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German Pages 411 Year 2010
Schriften zum Völkerrecht Band 192
Das Verhältnis zwischen dem ständigen Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und der Darfur-Konflikt vor dem Gerichtshof
Von
Robert Frau
a Duncker & Humblot · Berlin
ROBERT FRAU
Das Verhältnis zwischen dem ständigen Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
Schriften zum Völkerrecht Band 192
Das Verhältnis zwischen dem ständigen Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und der Darfur-Konflikt vor dem Gerichtshof
Von
Robert Frau
a Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-13225-6 (Print) ISBN 978-3-428-53225-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83225-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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25. September 1998 29. November 2007
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit leicht überarbeitet und aktualisiert. Rechtsprechung, Literatur sowie neuere Entwicklungen wurden bis Ende Februar 2010 berücksichtigt. Eine weitergehende Beschäftigung mit dem Darfur-Konflikt findet unter www.darfur situation.net statt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg. Ihm möchte ich für die gesamte Zeit, in der er mich als Studenten erst für das Völkerrecht begeistert und dann an seinem Lehrstuhl aufgenommen hat, herzlichst danken. Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Ulrich Häde für die überaus schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Daneben möchte ich mich bei zahlreichen Freunden bedanken; allen voran bei meinem Promotionskreis für die vielen fruchtbaren Diskussionen: Christine Köhler, Johanna Sprenger und Dr. Jan Römer. Meinen Kollegen, allen voran Frau Yasmin Wis´niewska und unseren beiden Sekretärinnen, Jana Wenzel und Nina Arndt, danke ich für die schöne Zeit am Lehrstuhl. Aus meinem Freundeskreis danke ich vor allem den Herren Dr. Fabian Scheffczyk, Ramon Toossi und Jonas Dimroth sowie Frau Dr. Jae-Yun Lee und vor allem Frau Simone Habekost für die persönliche Betreuung während der Arbeit. Meiner Schwester Malena und meinen Eltern Gabriele und Rüdiger Frau danke ich sehr dafür, dass sie die Arbeit überhaupt ermöglicht haben. Ihre Hilfe und ihr Interesse an der Arbeit haben mich während der gesamten Zeit unschätzbar unterstützt. Die Veröffentlichung der Arbeit wurde durch einen Druckkostenzuschuss des Auswärtigen Amts unterstützt. Berlin, im März 2010
Robert Frau
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
1. Teil Die Grundlagen
31
1. Kapitel Der Rechtsrahmen
31
I.
Primär- und Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
II.
Das Relationship Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte des Abkommens und Funktion von Art. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt des Abkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
Die Rechtsbindungen des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bindung an die Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Handlungsvoraussetzungen nach Art. 39 VNCh. . . . . . . . . . . . . . b) Die Rahmenbedingungen für ein Handeln im Rahmen von Kapitel VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindung an Völkerrecht kraft Völkerrechtssubjektivität. . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Analogieschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Souveränität der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Funktionsnachfolge und Flucht in die internationale Organisation . . . . 9. Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Änderungsbefugnis und Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Rechtsbindung des Sicherheitsrates an das Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Relationship Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhalten des Sicherheitsrates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis: Bindung des Sicherheitsrates an das Statut. . . . . . . . . . . . . 13. Das Verfassungsargument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Ergebnis: Die Rechtsbindung des Sicherheitsrates. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 36 36
III.
31 32
38 40 44 48 48 49 50 52 55 59 59 59 60 61 62 62 62
10
Inhaltsverzeichnis
IV.
Die Rechtsbindungen des Gerichtshofs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen und Relationship Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbrechenselemente und Verfahrens- und Beweisregelungen. . . . . . . . . 3. Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bindung an Sicherheitsratsresolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Urteile internationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Rechtsgrundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Menschenrechtlicher Vorbehalt als materielle Hierarchie . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis zur Rechtsbindung des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.
Der Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
VI.
Zusammenfassung des Rechtsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
63 63 63 64 65 65 66 66 67
2. Kapitel
I.
II.
Die Methode
71
Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele und Methoden der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Effektivitätsgrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Flankierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Auslegung mehrsprachiger Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodische Besonderheiten bei der Auslegung der VN-Charta . . . . . . a) Der formelle Verfassungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der materielle Verfassungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Internationalisierung des Verfassungsbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Charta als völkerrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeit zur Auslegung der VN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regeln für die Auslegung des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Methodische Besonderheiten bei der Auslegung des Statuts . . . . . . . aa) Interpreten des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nationaler Ursprung der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Grundsatz in dubio pro reo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Weitere Auslegungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Auslegungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegung anhand des Menschenrechtsschutzes und Interpreten des Statuts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslegung von Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII VNCh . . .
71 71 73 80 81 83 85 87 90 91 92 94 96 96 100 101 102 102 103 103
Die Auslegung der anzuwendenden Rechtstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Inhaltsverzeichnis
11
2. Teil Die Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
106
3. Kapitel Entstehungsgeschichte und Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut I.
II.
Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Arbeit der ILC und deren Entwurf für das Statut eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das ad-hoc-Komitee 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vorbereitungskommission (Preparatory Commission, „PrepComm“) 1996–1998 sowie das Intersessionale Treffen in Zutphen 1998. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Diplomatische Konferenz in Rom 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die abnehmende Bedeutung des Sicherheitsrates als Fazit der Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beabsichtigte Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eröffnung der Gerichtsbarkeit bei Vertragsstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründung der Gerichtsbarkeit bei Nichtvertragsstaaten . . . . . . . . . 3. Der pacta-tertiis-Grundsatz und die dogmatische Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragliche Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewährung von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auslegung von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Annahme durch den Abschluss des RA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nutzen einer bestehenden Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konkludente Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als konsensersetzende Verfahrenseinleitungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dogmatische Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut: Rechtsgrundverweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Parallele zur Solange-Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Parallele zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU nach den Verträgen von Maastricht und Amsterdam. . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einteilung der Merkmale von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . 8. Ausweitung der Gerichtsbarkeit des IStGH durch den Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als Rechtsgrundverweis in die Charta der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106 107 108 110
112 112 113 113 114 115 115 115 119 119 120 120 121 121 122 123 123 125 126 127
128
12
Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
129
I.
Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
II.
Eigener Definitionsansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
III.
Überprüfung der vorgeschlagenen Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Gang der Überprüfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beurteilungsspielraum/Ermessen des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . b) Der Friedensbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Bruch des Friedens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Angriffshandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Friedensbedrohung und die repressive Funktion des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Neue Entwicklungen als Problem: Rein innerstaatliche Sachverhalte als Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rein innerstaatliche Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusätzliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzüberschreitender Bezug als Voraussetzung für eine Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis für die vorgeschlagene Definition. . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelfälle als Friedensbedrohung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darstellung und Überprüfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erstes Anpassen der vorgeschlagenen Definition: Keine Überweisung von Einzelfällen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Obergrenze für die Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problem der Beschränkung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit nach der VNCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit nach dem Statut – Unzulässigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . d) Zulässigkeit nach dem Statut – Zulässigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschränkung für Mitgliedstaatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zweites Anpassen der vorgeschlagenen Definition: Zulässige Beschränkung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Sicherheitsrat als Weltgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstrakte Phänomene als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das IStGH-Statut und abstrakte Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnung der Gründung im Wege einer Sicherheitsratsresolution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Territorialitätsbezug des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134 134 135 136 136 138 138 139 140 141 141 142 144 145 146 146 150 150 150 151 151 152 154 155 156 156 156 161 161 163
Inhaltsverzeichnis (1) Selbstanzeigen von Staaten nach Art. 13 lit. a) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der deutsche Vorschlag zur universellen Zuständigkeit . . . cc) Zwischenergebnis: Abstrakte Phänomene als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen auf die vorgeschlagene Definition . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Konsensersatz durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.
13
164 165 166 166 167 167
Eigene Definition der „Situation“ i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut . . . . . 167
5. Kapitel Die weiteren Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung nach Statut und Charta
168
I.
Anschein eines oder mehrerer Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
II.
Maßnahme nach Kapitel VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
III.
Gerichtsbarkeit ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 5 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens/gravity-threshold . . . . 3. Art. 124 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.
Gerichtsbarkeit ratione temporis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
V.
Gerichtsbarkeit ratione personae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
VI.
Komplementaritätsgrundsatz, Art. 17 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
VII. Verfahrensrechtliche Anforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Adressat der Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form der Überweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 16 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 172 172 174
179 179 179 180
VIII. Rechtsgrundverweis: Voraussetzungen aus der VNCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 IX.
Handlungsverpflichtung und Ermessen bei der Maßnahmenauswahl des Sicherheitsrates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
X.
Die Voraussetzungen zur Verfahrenseinleitung vor dem IStGH durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
6. Kapitel Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
183
I.
Verfahrenseinleitung nach Kapitel VII VNCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
II.
Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut als Einleitungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
14
Inhaltsverzeichnis 2. Das Verbot von Angriffskriegen und seine strafrechtliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entstehungsgeschichte und Zukunft von Art. 5 IStGH-Statut . . . . . . . . . 4. Funktion im Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Verfahren zur Aufnahme der Definition oder die Änderung des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vorschläge der Arbeitsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Hummrichs Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kurths Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ergebnis und Stellungnahme zu den vorgestellten Vorschlägen . . . . . . . 10. Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Folgeproblem: Verneinung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Ergebnis: Das Aggressionsverbrechen als eigenständige Verfahrenseinleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 192 195 196 198 200 201 202 207 209 210
III.
Exkurs: Die Nutzung des IStGH unabhängig von dessen Statut? Der Fall Charles Taylor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
IV.
Ergebnis: Verfahrenseinleitungen neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut . . . . . . 211
Zwischenergebnis: Die Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . 211
3. Teil Die Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
213
7. Kapitel Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
213
I.
Grundlagen des internationalen Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
II.
Der Verfahrensgang nach Art. 53 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Evaluierung der Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überprüfung durch den Ankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausreichende Verdachtsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schwerekriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überprüfung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Komplementarität und der Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Irrelevanz für den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relevanz der Komplementarität als Kriterium auch für Art. 13 lit. b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stadien bis Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut und der Komplementaritätsgrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 216 216 216 219 220 221 221 223 223 224 224
Inhaltsverzeichnis
15
3. Gerichtliche Kontrolle der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablehnung des Anklägers und Nachkontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zeitlimit für die Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ermittlungen und deren Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Sicherheitsrates zur Einleitung von Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Staatliche Kooperationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der IStGH und die Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der IStGH und die Nichtvertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeiten zur Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nutzung dieser Möglichkeiten durch die Staaten. . . . . . . . . . . . . d) Die Folgen der Verletzung einer Kooperationspflicht . . . . . . . . . . . . . aa) Völkerrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sicherstellung der Zusammenarbeit durch den Sicherheitsrat . . e) Der IStGH und internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenarbeit zwischen IStGH und VN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Begründung von Kooperationspflichten durch Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII der VNCh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Art. 16 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut ist jederzeit möglich . . . . . . . b) Ermittlungsstopp erst nach Ermittlungseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme und Ergebnis: Konkrete Ermittlungsmaßnahmen als Erfordernis einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut . . . . . . .
225 226 228 228 230 230
III.
Einzelne Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbereitung eines Prozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozess und Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Urteilsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 248 250 250
IV.
Die Stellung des Sicherheitsrates im Laufe des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . 250
231 231 231 233 234 235 236 238 238 239 241 242 243 243 245 245 247
8. Kapitel Die Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
251
I.
Rekapitulation: Die Grundpfeiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
II.
Adressaten der Resolution: Wer kann gebunden werden?. . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Direkte bzw. unmittelbare Wirkung der Resolutionen auf den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Mittelbare Verbindlichkeit über die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
16
Inhaltsverzeichnis 3. Beispiel: Verpflichtung nationaler Behörden, Strafverfolgungsmaßnahmen einzustellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beurteilung nach der VNCh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beurteilung nach dem IStGH-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überweisungen nach Kapitel VII neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und die Pflichten der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis zur Adressatenfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.
IV.
V.
256 256 257 258 258
(Selbst-)Bindung des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rücknahme einer Überweisungsresolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Möglichkeit zur Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 16 IStGH-Statut als möglicherweise einziger Beendigungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsfolgen einer solchen Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präklusion des Sicherheitsrates vom Beschluss einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verlust der Gerichtsgründungskompetenz durch Überweisung an den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Grundsatz ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Argumente gegen die Gründungsfreiheit des Sicherheitsrates . . . . . . c) Beschränkte Kompetenz des Sicherheitsrates zur Gründung von ad-hoc-Tribunalen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die (Selbst-)Bindungen des Sicherheitsrates durch eine Überweisungsresolution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259 259 259
Auswirkungen auf die Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausweitung der Gerichtsbarkeit durch Hinwegsetzen über das Statut . . a) Materielle, personelle und zeitliche Ausweitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumliche Ausweitung und Staatsangehörigkeitserfordernis . . . . . . . c) Ausweitung der Gerichtsbarkeit auf alle gewohnheitsrechtlichen Anknüpfungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Tatbestandsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diskrepanz zwischen Statut und Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 124 IStGH-Statut als Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafverfolgung der Aggression mithilfe von Art. 39 VNCh trotz Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der IStGH als Terrorgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
267 268 268 269
260 261 262 262 263 265 266 267
270 272 272 275 276 278
Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Weitere Probleme auf der Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Inhaltsverzeichnis
17
4. Teil Gerichtliche Überprüfbarkeit
282
9. Kapitel Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
282
Möglichkeit der Überprüfung und deren Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Tadic´-Entscheidung des ICTY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelung im IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Justiziabilität der Voraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – Die originären Voraussetzungen des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – Der Rechtsgrundverweis . . . . . . . . . . . aa) Materielle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verstoß gegen die Rechtsbindungen des Sicherheitsrates. . . . . . c) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – Der Situationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . 4. Eingeschränkte Überprüfungskompetenz des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . .
283 283 285 287 288 288 288 289 290 294 295
II.
Folge eines Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Chartawidrige Resolutionen und deren Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statutswidrige Resolutionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mögliche Teilbarkeit der Resolutionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295 296 297 298
III.
Die Überprüfungsmöglichkeit einer Sicherheitsratsresolution durch den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
I.
5. Teil Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
300
10. Kapitel Der Konflikt in Darfur
301
I.
Der Konflikt in Darfur (Sudan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
II.
Bevölkerung, Geschichte und Religion Darfurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
III.
Die Geschichte Darfurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der religiöse Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die lokale Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die nationale Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die internationale Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303 305 305 306 310
18
Inhaltsverzeichnis a) Tschad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Libyen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Andere internationale Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) China und die Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nachbarn des Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die vierte Dimension: Auseinanderbrechen der Rebellen. . . . . . . . . . . . . 6. Maßnahmen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Resolutionen 1547, 1556, 1564 und der Bericht der Untersuchungskommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Resolutionen 1590, 1591, 1627: Die UNMIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Resolution 1672 und Maßnahmen gegen Individuen . . . . . . . . . . . . . . d) Resolution 1706. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einordnung der Truppe als peace-keeping oder peace-enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Friedensvertrag vom 5. Mai 2006 als Problem . . . . . . . . . . . e) Resolution 1769 und die hybride Truppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
311 313 314 314 314 315 315 316 317 319 319 319 320 321 322
11. Kapitel Resolution 1593 (2005)
322
I.
Hintergründe der Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
II.
Rechtmäßigkeit des Inhalts der Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgedanke und dessen Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtmäßigkeit nach Kapitel VII VNCh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Problembeladenheit der Resolution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsgrundlage im Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einschränkung ratione personae, Resolution 1593 Abs. 6 . . . . . . . . . . . . a) Das Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwandtschaft zu Art. 16 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vereinbarkeit des Abs. 6 mit dem Situationsbegriff des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Ausschließliche Gerichtsbarkeit“ des beitragenden Staates . . . . . . . 6. Zusammenarbeitspflicht der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Möglichkeit zur Verpflichtung und die Adressaten. . . . . . . . . . . . b) Der Umfang der Kooperationspflichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abkommen nach Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Gerichtsbarkeit ratione temporis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtmäßigkeit nach dem Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtmäßigkeit nach der Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325 325 325 326 326 327 327 329 330 331 332 333 333 335 335 335 336 336 336
Inhaltsverzeichnis
19
10. Die weiteren Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 11. Die Rechtmäßigkeit der Resolution 1593. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 III.
Rechtsfolge für den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
IV.
Rechtsfolgen für die Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsfolgen für den Sudan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen für Darfurs Nachbarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge für die IStGH-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolge für VN-Mitgliedstaaten, die nicht Vertragspartei des Statuts sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
338 338 338 339 340
12. Kapitel Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
340
I.
Auswertung der Informationen und Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 340
II.
Der erste Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorgeladenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Antrag nach Art. 58 Abs. 7 des Statuts und die Entscheidung der Kammer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Teil des Völkerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tatbestände, insb. die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafverfolgungsmaßnahmen des Sudan und Art. 17 IStGH-Statut . . . . 4. Rechtliche Würdigung der sudanesischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . a) Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Besondere Teil des Völkerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung der Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das weitere Verfahren und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
346 347 349 349 349 349 351 351
III.
Der Haftbefehl gegen Omar al-Bashir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Antrag des Anklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entscheidung der Vorverfahrenskammer I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Immunität von amtierenden Staatsoberhäuptern. . . . . . . . . . . . . . c) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
352 352 354 356 356 357 360
IV.
Der dritte Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
341 341 342 345
20
Inhaltsverzeichnis 6. Teil Zusammenfassung
364
13. Kapitel Die Ergebnisse
364
I.
Das Verhältnis zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
II.
Das Verhältnis von IStGH und Sicherheitsrat im Hinblick auf den Darfur-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
III.
Ausblick auf die Zukunft des Verhältnisses zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
Urteilsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
Abkürzungsverzeichnis AJIL AJPIL AMIS AÖR APuZ ASP AU AVR BDGVR BGBl. BGH BGHSt Bull.BReg. BVerfG BVerfGE BYIL CAR CLF CNN ColumbiaJTL CYIL Diss. Op. DPA EA EG EGMR EJCCLCJ EJIL EMRK EoC EPIL EU EuG
American Journal of International Law Austrian Journal of Public and International Law African Union Mission in Sudan Archiv für Öffentliches Recht Aus Politik und Zeitgeschichte Assembly of State Parties to the Rome Statute of the International Criminal Tribunal Afrikanische Union Archiv des Völkerrechts Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bulletin der Bundesregierung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law Central African Republic Criminal Law Forum Cable News Network Columbia Journal of Transnational Law Canadian Yearbook of International Law Dissenting Opinion Darfur Peace Agreement vom 5. Mai 2006 Europa Archiv Europäische Gemeinschaft/Nizza-Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (BGBl. 2001 II, 1666) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskonvention Elements of Crimes, ICC-ASP/1/3 (part II-B) vom 9. September 2002 Encyclopedia of Public International Law Europäische Union/Nizza-Vertrag über die Europäische Union (BGBl. 2001 II, 1666) Europäisches Gericht erster Instanz bzw. Gericht der EU
22 EuGH EuGRZ EUV-Lissabon FAZ Fn. FS FW GASP GeorgetownJIL GG GK
GoS GS GV GYIL HarvardILJ HarvardILR HastingsICLR HdB HRLJ HRQ Hrsg. HRW HuV-I ICC ICID ICLQ ICLR ICTR ICTR-Statut ICTY ICTY-Statut IGH ILC ILCYB ILM
Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Lissabon-Vertrag über die Europäische Union (BGBl. 2009 II, 1083) Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift Die Friedens-Warte. Journal of International Peace and Organization Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU Georgetown Journal of International Law Grundgesetz Genfer Konvention(en) vom 12. August 1949, I. Konvention, 75 UNTS 31, BGBl. 1954 II, 783; II. Konvention, 75 UNTS 85, BGBl. 1954 II, 813; III. Konvention, 75 UNTS 135, BGBl. 1954 II, 838; IV. Konvention, 75 UNTS 287, BGBl. 1954 II, 917, BGBl. 1956 II, 1586 Government of Sudan/Zentralregierung des Sudan Gedächtnisschrift Generalversammlung der Vereinten Nationen German Yearbook of International Law Harvard International Law Journal Harvard International Law Review Hastings International & Comparative Law Review Handbuch Human Rights Law Journal Human Rights Quarterly Herausgeber Human Rights Watch Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften International Criminal Court (= IStGH) International Commission of Inquiry on Darfur International and Comparative Law Quarterly International Criminal Law Review International Criminal Tribunal for Rwanda Statut des International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia Statut des International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia Internationaler Gerichtshof International Law Commission Yearbook of the International Law Commission International Legal Materials
Abkürzungsverzeichnis ILR IMT IMTFE IndianJIL Int’l L.FORUM IOLR IPbpR IsraelYBHR IST IStGH IStGH-Statut JEM JICJ JURA JZ LeidenJIL lit. LNTS LRA MPYBUNL m. w. N. NGO NIF NILR NJ NJW NordicJIL NStZ NYIL NZWehrR NZZ ONU OTP ÖZöRV PCIJ Series PDF PNAS RA
23
International Law Reports International Military Tribunal (Nürnberger Hauptkriegsverbrechertribunal) International Military Tribunal for the Far East (Tokioter Hauptkriegsverbrechertribunal) Indian Journal of International Law International Law FORUM du Droit International International Organizations Law Review Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, 999 UNTS 171, BGBl. 1973 II, 1534 Israel Yearbook on Human Rights Iraqi Special Tribunal Internationaler Strafgerichtshof Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, 2187 UNTS 3, BGBl. 2000 II, 1394 (= RS) Justice and Equality Movement Journal of International Criminal Justice Juristische Ausbildung JuristenZeitung Leiden Journal of International Law litera League of Nations Treaty Series Lord’s Resistance Army Max Planck Yearbook on United Nations Law mit weiteren Nachweisen Nichtregierungsorganisation Nationale Islamische Front Netherlands International Law Review Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nordic Journal of International Law Neue Zeitschrift für Strafrecht Netherlands Yearbook of International Law Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zürcher Zeitung Organisation des Nations Unies (= VN) Office of the Prosecutor Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht Entscheidungssammlung des Permanent Court of International Justice/Ständigen Internationalen Gerichtshofes Popular Defence Force Proceedings of the National Academy of Sciences Relationship Agreement
24 RdC RGBl. RGDIP Rn. RPE RS Rs. SCCED SC Res. SCSL S.Ct. Sep. Op. SICT Slg. SLM/A SLM/A AW SLM/A MM SOFA SPLM/A StGB StIGH STL SWGCA SWP SZ TAZ TexasILJ UN UNAMID UNAMIS UNMIS UNTS VanderbiltJTL verb. Rs. VGR VillanovaLR VN VNCh
Abkürzungsverzeichnis Recueil des Cours de l’Academie de droit international de la Haye Reichsgesetzblatt Revue Générale de Droit International Public Randnummer Rules of Procedure and Evidence, ICC-ASP/1/3 (part II-A) vom 9. September 2002 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (= IStGH-Statut) Rechtssache Special Criminal Court on the Events in Darfur Sicherheitsratsresolution Special Court for Sierra Leone Supreme Court Reporter Separate Opinion Supreme Iraqi Criminal Tribunal Amtliche Sammlung der Rechtsprechung von EuG und EuGH Sudan Liberation Movement/Army Sudan Liberation Movement/Army Flügel von Abdel Wahid Sudan Liberation Movement/Army Flügel von Minni Arkou Minawi Status of Force Agreement Sudan People’s Liberation Movement/Army Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Special Tribunal for Lebanon Special Working Group on the Crime of Aggression Stiftung Wissenschaft und Politik Süddeutsche Zeitung Die Tageszeitung Texas International Law Journal United Nations African Union – United Nations Hybrid Operation in Darfur United Nations Advance Mission in Sudan United Nations Mission in Sudan United Nations Treaty Series Vanderbilt Journal of Transnational Law Verbundene Rechtssachen Völkergewohnheitsrecht Villanova Law Review Vereinte Nationen Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, BGBl. 1973 II, 430
Abkürzungsverzeichnis VRS VRÜ WEU WTO WVK WVKIO
ZaöRV ZAR ZIS ZP I/II
25
Völkerrechtssubjekt Verfassung und Recht in Übersee Westeuropäische Union World Trade Organization Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, 1155 UNTS 331, BGBl. 1985 II, 926 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen vom 21. März 1986, ILM 1986, S. 543 ff. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentralafrikanische Republik Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zusatzprotokoll I/II zu den Genfer Konventionen von 1949 vom 8. Juni 1977, 1125 UNTS 3, Protokoll I, BGBl. 1990 II, 1551; Protokoll II, 1125 UNTS 609, BGBl. 1990 II, 1637
Einleitung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Verhältnis zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ziel der Untersuchung ist es, das Verhältnis am Beispiel der Einleitung eines Verfahrens vor dem IStGH durch den Sicherheitsrat zu klären und anhand der ersten vor dem Gerichtshof durch den Sicherheitsrat anhängig gemachten Situation, dem Darfur-Fall, zu evaluieren. Gleichzeitig soll geklärt werden, wie zwei durch völkerrechtliche Verträge geschaffene internationale Organisationen mit jeweils unterschiedlichen Mitgliedstaaten und unterschiedlichen Interessen möglichst effektiv zusammenarbeiten können. Die Bedeutung der Vereinten Nationen (VN) ist im Völkerrecht ohne Beispiel. Zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Völkerrechts ist die Staatengemeinschaft nahezu vollständig in einer Organisation integriert. Die Aufgaben der VN sind weit gestreut. Dem zentralen Organ Sicherheitsrat haben die Staaten das Recht verliehen, wirksam in ihre Souveränität einzugreifen. Bei der Erfüllung seiner Aufgabe, der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, hat sich der Sicherheitsrat des Völkerstrafrechts bedient und sich so als Motor der Rechtsentwicklung etabliert. Die rasante Verbreitung internationaler Strafgerichtshöfe ist ohne die Arbeit des Sicherheitsrates nicht vorstellbar. Nach Beendigung des Kalten Krieges bediente er sich der Instrumente, die die Staatengemeinschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen hatte und die lange wirkungslos geblieben waren. Seine auf Kapitel VII der Charta gestützte Einsetzung der beiden ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien1 und Ruanda2 führte zu einer Renaissance für das Völkerstrafrecht. Fast ein halbes Jahrhundert nach den internationalen Tribunalen von Nürnberg und Tokio erlangte jenes „brachliegende“ Rechtsgebiet wieder praktische Wirksamkeit. Der Sicherheitsrat setzte einen Prozess in Gang, der sich nicht mehr aufhielten ließ. Das Völkerstrafrecht bewährte sich und zählt inzwischen zum festen Bestand des Völkerrechts, insb. zu den Durchsetzungsmechanismen des humanitären Völkerrechts. Diese Entwicklung kulminierte in dem Beschluss des Römischen Statuts, das den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegründet hat. Am 1. Juli 2002 trat das Statut in Kraft, seitdem arbeitet der Gerichtshof. 1 2
SC Res. 827 (1993). SC Res. 955 (1994).
28
Einleitung
Mit dem IStGH ist erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Akteur im Völkerstrafrecht erschienen, der nicht Teil der VN-Familie ist. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und der Ständige Internationale Strafgerichtshof verfolgen mit ihrer Arbeit das gleiche Ziel: die Wiederherstellung von internationalem Frieden und internationaler Sicherheit.3 Mittlerweile ist allgemein anerkannt, dass die Begehung von schwersten völkerrechtlichen Verbrechen einen Bruch des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit darstellen kann.4 Während die juristische Aufarbeitung durch einen strafrechtlichen Prozess die einzige Aufgabe des IStGH ist, genießt der Sicherheitsrat auf diesem Feld weitreichende Kompetenzen. Die jahrzehntelange Arbeit der International Law Commission (ILC, Völkerrechtskommission der VN) auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts sowie die Verabschiedung der Prinzipien von Nürnberg zeugen von der grundsätzlichen Überzeugung der VN, mittels des Strafrechts solchen Verbrechen begegnen zu können. Auch die Praxis des Sicherheitsrates bezieht strafrechtliche Maßnahmen in die Aufgabenerfüllung mit ein. Neben der Errichtung der Internationalen Tribunale im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda arbeitet der Sicherheitsrat mit den hybriden Gerichtshöfen in Sierra Leone, Kambodscha und Ost-Timor zusammen. Es ist somit die logische Konsequenz, dass aufseiten der Vereinten Nationen der Sicherheitsrat maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit des Strafgerichtshofs innehat. Allein ihm räumt das Statut ein, mitzuwirken. Der Sicherheitsrat kann Verfahren einleiten (Art. 13 lit. b) IStGH-Statut), Verfahren stoppen (Art. 16 IStGH-Statut) oder bei der Vollstreckung helfen (Art. 87 IStGH-Statut). Erstaunlicherweise sind die Beziehungen zwischen IStGH und Sicherheitsrat enger als die zwischen Sicherheitsrat und IGH. Bei ersterem kann der Rat auf dreifache Weise Einfluss nehmen, während er beim IGH nur ein Gutachten anstrengen kann.5 Diese institutionelle Konstruktion hat auf der einen Seite zahlreiche Vorteile. Der deutsche Richter am IStGH Hans-Peter Kaul sieht in dieser Unabhängigkeit von den Vereinten Nationen und den Beschlüssen des „von der Machtgier der Vetomächte getriebenen Sicherheitsrates die Schönheit des Internationalen Strafgerichtshofs“.6 Die Erwartungshaltung gegenüber dem IStGH ist noch immer immens,7 nicht nur in der Weltöffentlichkeit, 3 Art. 1, 24, 39 ff. VNCh, Präambel IStGH-Statut; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, in: Lee, ICC, S. 127 (S. 139). 4 Vgl. nur SC Res. 827 (1993), SC Res. 955 (1994), SC Res. 1593 (2005) und die Ausführungen im 4. Kapitel. 5 Elaraby, The Role of the Security Council and the Independence of the International Criminal Court: Some Reflections, in: Politi/Nesi, ICC, S. 43 (S. 44). 6 Ein gefährlicher Luxus, Der Spiegel 3/2009, S. 92 (S. 94).
Einleitung
29
sondern auch in der Staatengemeinschaft. Bemerkenswerterweise haben gerade auch Staaten das Statut des IStGH ratifiziert, die Konflikte auf ihrem Staatsgebiet austragen. Sie sehen den IStGH als taugliches Mittel zum Frieden.8 Zur Unparteilichkeit des Gerichtshofs trägt der ständige Charakter bei. Zum ersten Mal in der Geschichte der Völkerstrafgerichtsbarkeit ist die Gerichtsbarkeit nicht auf einen bestimmten Konflikt oder eine einzelne Tat beschränkt. Sein Rechtscharakter als internationale Organisation stellt die richterliche Unabhängigkeit sicher. Auf der anderen Seite hat die Unabhängigkeit von den VN und insb. vom Sicherheitsrat einige Nachteile. Ob ein Staat dem IStGH-Statut beitritt, entscheidet er autonom. Die Reichweite der internationalen Strafgerichtsbarkeit ist somit grundsätzlich noch immer vom Konsens eines Staates abhängig. Der Sicherheitsrat ist im gegenwärtigen Völkerrecht dagegen die Institution, die auch gegen den Willen eines Staates umfangreiche Zwangsmaßnahmen ergreifen kann. Das Völkerrecht ist als dezentrale Rechtsordung zu seiner Durchsetzung auf solche Vollstreckungsmöglichkeiten angewiesen. Das Römische Statut geht für den Sicherheitsrat auch mit einem Bedeutungsverlust einher. Gerade die Fähigkeit, Tribunale zu errichten – oder genauer einzelne Konflikte strafrechtlich aufarbeiten zu lassen – kommt nach Artikel 13 des Statuts auch Vertragsstaaten und sogar dem Ankläger zu. Bereits die Praxis der ersten Jahre hat gezeigt, wie wichtig die Überweisung durch (Vertrags-)Staaten an den Gerichtshof ist. Daneben sind drei der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates nicht Vertragspartei des Statuts. Die Opposition der USA gegenüber dem neuen Völkerrechtssubjekt ist hinlänglich bekannt. Die USA, China und Russland werden auch in Zukunft ihre Interessen verfolgen, die oftmals auch im Gegensatz zu den Interessen des IStGH stehen. Seine zentrale Stellung im Völkerstrafrecht hat der Sicherheitsrat somit eingebüßt. Neben ihm besteht eine zweite, unabhängige Institution mit der Kompetenz zur strafrechtlichen Aufarbeitung zwischenstaatlicher Konflikte. Es stellt sich somit die Frage, wie das Verhältnis zwischen dem IStGH und dem Sicherheitsrat ausgestaltet ist. Es stehen sich zwei völkerrechtliche Verträge gegenüber, die in Beziehung zueinander zu setzen sind. Diese Beziehung wird bereits in Art. 2 IStGH-Statut angesprochen. 7 Die Zeit Nr. 10/2009 vom 26. Februar 2009, S. 13. Der Artikel trägt bezeichnenderweise die Überschrift „Die Großwildjäger“. Kinkel, NJW 1998, S. 2650, bezeichnet den IStGH als „Meilenstein in der Entwicklung des Völkerstrafrechts“. Vgl. auch Hermsdörfer, NZWehrR 1998, S. 193 ff. 8 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 12 Rn. 18.
30
Einleitung
Es gilt deshalb zu klären, was der rechtliche Rahmen für eine Zusammenarbeit ist und wie die entsprechenden Rechtstexte auszulegen sind. Daran schließt sich die Frage an, was die Konsequenzen für das Verhältnis zwischen dem IStGH und dem Sicherheitsrat sind. Praktische Relevanz entfalten die Ausführungen für den Fall Darfur (Sudan). Im Frühjahr 2005 hat der Sicherheitsrat zum ersten und bisher einzigen Mal eine Situation an den IStGH überwiesen. Der Sudan ist jedoch nicht Vertragspartei, sodass sich die Frage nach der generellen Zulässigkeit einer solchen Überweisung im Hinblick auf den pacta-tertiis-nec-nocent-nec-prosunt-Grundsatz und die nach der Zulässigkeit gerade der Überweisung des Darfur-Konflikts stellt.
1. Teil
Die Grundlagen 1. Kapitel
Der Rechtsrahmen I. Primär- und Sekundärrecht Maßgebliche Bestimmungen für das Verhältnis von UN und IStGH zueinander sind im Primärrecht der beiden Organisationen zu finden: in der VNCh und im IStGH-Statut. Insbesondere das Kapitel VII der Charta und Art. 13 des Statuts sind hier zu nennen. Daneben kommen das allgemeine Völkerrecht in Gestalt des Vertragsrechts, wie es in der WVK und WVKIO seinen Niederschlag gefunden hat, der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und das Völkerrecht im Rang des ius cogens in Betracht. Schließlich ist das Sekundärrecht beider Organisationen zu berücksichtigen; neben den einschlägigen Sicherheitsratsresolutionen also auch – wo verfügbar – die Beschlüsse des Gerichtshofs.
II. Das Relationship Agreement 1. Entstehungsgeschichte des Abkommens und Funktion von Art. 2 IStGH-Statut Im Gegensatz zu den ad-hoc-Tribunalen und noch mehr als die hybriden Völkerstrafgerichtshöfe ist der IStGH unabhängig von den Vereinten Nationen. Weder die Infrastruktur noch die einzelnen Verfahren bedürfen der Unterstützung durch die VN. Rechtlich besteht und funktioniert der Gerichtshof auch ohne die VN. Einzig Art. 16 IStGH-Statut kommt als Einflussnahme der Vereinten Nationen in Betracht. Anders als in anderen Artikeln des Statuts wird der Sicherheitsrat ohne vorherige Aufforderung tätig (Art. 87 IStGH-Statut) und seine Resolution hat einen unmittelbaren Einfluss auf einen oder mehrere Fälle (Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nimmt Bezug auf eine Situation).
32
1. Teil: Die Grundlagen
Die Bedeutung der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Friedenssicherung bzw. Friedenswiederherstellung, und auch auf dem Gebiet der strafrechtlichen Aufarbeitung von Konflikten, ist bei aller Kritik noch immer groß. Der Effektivität des Völkerstrafrechts leistet der Sicherheitsrat Vorschub. Eingedenk dessen war während der Verhandlungen klar, dass der IStGH nicht ohne jeden Bezug zu den VN existieren kann. So sieht Erwägungsgrund 9 der Präambel vor, dass ein mit dem System der Vereinten Nationen in Beziehung stehender Strafgerichtshof errichtet werden soll. Mit Art. 2 des Statuts wird die Grundlage für diese Beziehung gelegt: Artikel 2 – Verhältnis des Gerichtshofs zu den Vereinten Nationen Der Gerichtshof wird durch ein Abkommen, das von der Versammlung der Vertragsstaaten dieses Statuts zu genehmigen und danach vom Präsidenten des Gerichtshofs in dessen Namen zu schließen ist, mit den Vereinten Nationen in Beziehung gebracht.
Art. 2 IStGH-Statut hat somit mehrere Funktionen: Er betont die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit den VN, gibt dem Gerichtshof den Auftrag zu Verhandlungen für ein Abkommen und sieht den Weg für dessen Abschluss und Implementierung vor.1 Daneben eröffnet er die Möglichkeit, die Regelungen des Statuts zu konkretisieren. Das vorgesehene Relationship Agreement (RA) schlossen die VN und der IStGH im Oktober 2004. Nach den Verhandlungen stimmte die Vertragsstaatenversammlung des Gerichtshofs am 7. September 20042 und die Generalversammlung der VN am 13. September 20043 dem Entwurf zu. Mit der Unterzeichnung durch den Präsidenten des Gerichtshofs und den Generalsekretär der Vereinten Nationen trat das Abkommen am 4. Oktober 2004 in Kraft. 2. Inhalt des Abkommens Im Abkommen konkretisieren die beiden Organisationen ihr Verhältnis zueinander. Die Grundlagen für das Verhältnis werden durch das Statut gelegt.4 Verfahrenseinleitung, Verfahrensbeendigung und Urteilsdurchsetzung werden in den Art. 13, 16 und 87 IStGH-Statut geregelt. Darüber hinausgehende Regelungen kann das Relationship Agreement nicht treffen. Es leitet seinen Geltungsgrund aus völkerrechtlichen Verträgen ab. Zur Erweite1 Condorelli/Villalpando, Relationship of the Court with the United Nations, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 219 (S. 222, 224 f.). 2 UN Doc. A/58/874/Add.1 vom 8. September 2004. 3 UN Doc. A/RES/58/318 vom 20. September 2004. 4 R. Clark, CLF 8 (1997), S. 411 (S. 422), hielt schon damals das RA nicht für geeignet, grundlegende Regelungen zu treffen.
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
33
rung bspw. der Befugnisse des Sicherheitsrates haben beide Organisationen keine Kompetenz.5 Die Kompetenz zum Abschluss des Abkommens liegt aufseiten des IStGH beim Präsidenten (Art. 2 IStGH-Statut).6 Für die Vereinten Nationen schließt der Generalsekretär die Abkommen, die der Zustimmung der Generalversammlung bedürfen. Da weder die VN noch der IStGH Vertragspartei der WVKIO ist, sind deren Regelungen nicht anwendbar. Allerdings stellen diese weitgehend kodifiziertes Gewohnheitsrecht dar. Für die Auslegung ist der Kanon des Art. 31 WVK in seiner gewohnheitsrechtlichen Ausgestaltung heranzuziehen. Folge des Relationship Agreements ist, dass beide Organisationen an die Gründungsverträge der jeweils anderen Organisation gebunden sind. Beide bleiben aber Nichtvertragspartei des anderen Vertrages. Eine Bindung wie bei einem Vertragsstaat dürfte aber schwierig sein. Die Regelungen der Verträge schaffen Verpflichtungen für Staaten. Schon die praktische Umsetzung durch eine internationale Organisation dürfte schwierig sein. Trotzdem sind die VN an „spirit and rules“ des Statuts gebunden.7 Vor allem lässt das RA Regelungen zur Sanktionierung der Nichtkooperation durch Staaten vermissen.8 Somit werden die drei Artikel des Statuts nur in verfahrenstechnischer Hinsicht präzisiert. Das RA trifft vor allem Regelungen zur offiziellen Übermittlung von Ersuchen und Berichten. Der für die vorliegende Untersuchung besonders relevante Art. 17 RA legt Folgendes fest: Article 17 Cooperation between the Security Council of the United Nations and the Court 1. When the Security Council, acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, decides to refer to the Prosecutor pursuant to article 13, paragraph (b), of the Statute, a situation in which one or more of the crimes referred to in article 5 of the Statute appears to have been committed, the Secretary-General shall immediately transmit the written decision of the Security Council to the Prosecutor together with documents and other materials that may be pertinent to the decision of the Council. The Court undertakes to keep the Security Council informed in this regard in accordance with the Statute and the Rules of Procedure 5 Zumindest unglücklich ist deswegen die Formulierung bei Condorelli/Villalpando, Relationship of the Court with the United Nations, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 219 (S. 222), die den „constitutional character“ des RA hervorheben. 6 Gallant, LeidenJIL 16 (2003), S. 553 (S. 562). 7 Condorelli/Villalpando, Relationship of the Court with the United Nations, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 219 (S. 223). 8 Villalpando, Relationship of the Court with the United Nations, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 219 (S. 230).
34
1. Teil: Die Grundlagen
and Evidence. Such information shall be transmitted through the Secretary-General. 2. When the Security Council adopts under Chapter VII of the Charter a resolution requesting the Court, pursuant to article 16 of the Statute, not to commence or proceed with an investigation or prosecution, this request shall immediately be transmitted by the Secretary-General to the President of the Court and the Prosecutor. The Court shall inform the Security Council through the Secretary-General of its receipt of the above request and, as appropriate, inform the Security Council through the Secretary-General of actions, if any, taken by the Court in this regard. 3. Where a matter has been referred to the Court by the Security Council and the Court makes a finding, pursuant to article 87, paragraph 5 (b) or paragraph 7, of the Statute, of a failure by a State to cooperate with the Court, the Court shall inform the Security Council or refer the matter to it, as the case may be, and the Registrar shall convey to the Security Council through the Secretary-General the decision of the Court, together with relevant information in the case. The Security Council, through the Secretary-General, shall inform the Court through the Registrar of action, if any, taken by it under the circumstances.
Das RA hält sich somit an den vom Statut vorgegebenen Rahmen. Es konkretisiert das Primärrecht, trifft aber keine darüber hinausgehenden Regelungen.
III. Die Rechtsbindungen des Sicherheitsrates Heftig umstritten ist seit Gründung der Vereinten Nationen die Frage nach der Rechtsbindung des Sicherheitsrates. Insbesondere im Rahmen von Kapitel VII, das dem Sicherheitsrat sehr weitreichende Befugnisse einräumt, ist die Frage nach rechtlichen Grenzen von großer Bedeutung. Die Diskussion ist unüberschaubar geworden. Einzelne Richter des IGH nahmen in ihren abweichenden Meinungen dazu Stellung,9 Wissenschaftler beschäf9 Richter Morelli im Certain-Expenses-Fall, ICJ Reports 1962, S. 216 (S. 222); abweichende Meinung Richter Weeramantry, Case concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Beschluss vom 14. April 1992, ICJ Reports 1992, S. 3, S. 50 ff.; abweichende Meinung Präsident Schwebel, Case concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Preliminary Objections, Judgment, ICJ Reports 1998, S. 9, S. 64 (S. 74 ff.); abweichende Meinung Richter Jennings, Case concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Preliminary Objections, Urteil vom 27. Februar 1998, ICJ Reports 1998, S. 99 (S. 109 ff.); Einzelmeinung Richter Kooijmans, Case concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Con-
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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tigen sich in Aufsätzen10 und Monographien11 damit und auch das EuG12 und der EuGH13 sind inzwischen in die Diskussion eingestiegen. Während Hans Kelsen 1951 vertrat, dass der Sicherheitsrat keiner Bindung an Völkerrecht außerhalb der Charta unterliege,14 hat sich inzwischen die Gegenauffassung als herrschende Meinung15 durchgesetzt. Die genauen Grenzen sind hoch umstritten. Dabei gilt es zwei Fragestellungen auseinanderzuhalten. Zum einen stellt sich die Frage der Rechtsbindung bei den Handlungsvoraussetzungen des Art. 39 VNCh und zum anderen bei der Maßnahmenwahl nach Art. 40 ff. VNCh. Auf die Frage der Rechtsfolge einer möglicherweise rechtswidrigen Resolution wird später eingegangen. Die Relevanz dieser Frage für die vorliegende Untersuchung wird deutlich, berücksichtigt man die Folgen der Rechtsbindung. Ohne irgendeine normative Bindung könnte der Sicherheitsrat jedes tatsächliche Geschehen an den IStGH überweisen. Jede Einschränkung des Gegenstandes müsste vention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Preliminary Objections, Urteil vom 27. Februar 1998, ICJ Reports 1998, S. 54 (Rn. 17). 10 Payandeh, ZaöRV 66 (2006), S. 41 ff.; Alvarez, AJIL 90 (1996), S. 1 ff.; Reisman, Constitutional Crisis, AJIL 87 (1993), S. 83 ff.; Thallinger, ZaöRV 67 (2007), S. 1015 (S. 1016); Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: Gowlland-Debbas, S. 71 ff.; Dugard, Judicial Review of Sanctions, in: Gowlland-Debbas, S. 83 (S. 86); Paulus, Kompetenzüberschreitende Akte von Organen der Europäischen Union – Die Sicht des Völkerrechts, in: Simma/Schulte, S. 49 ff.; Nolte, The Limits of the Security Council’s Powers and its Function in the International Legal System: Some Reflections, in: Byers, Rule of Law, S. 315 ff.; Petculescu, NILR LII (2005), S. 167 ff.; Krieger, FW 81 (2006), S. 107 ff.; Gallant, LeidenJIL 16 (2003), S. 553 (S. 571 ff.); Mégret/Hoffmann, HRQ 25 (2003), S. 314 ff.; Hörmann, AVR 44 (2006), S. 267 ff.; v. Arnauld, AVR 44 (2006), S. 201 ff. 11 Bedjaoui, The New World Order and the Security Council – Testing the Legality of its acts; Conforti, The Law and Practice of the United Nations; sowie die Dissertationen von Martenczuk, Fraas, Lorinser, Herbst, A. Stein, Krisch und die Habilitationen von De Wet und Fink. 12 EuG, Rs. T-306/01 (Yusuf/Rat und Kommission), Slg. II-2005, S. 3533; EuG, Rs. T-315/01 (Kadi/Rat und Kommission), Slg. II-2005, S. 3649; EuG, Rs. T-253/02 (Ayadi ./. Rat), Urteil vom 12. Juli 2006, Slg. II-2006, S. 2139; EuG, Rs. T- 49/04 (Hassan ./. Rat), Urteil vom 12. Juli 2006, Slg. II-2006, S. 52; EuG, Rs. T-228/02 (Volksmudschaheddin des Iran ./. Rat), Urteil vom 12. Dezember 2006, EuGRZ 2006, S. 655. 13 EuGH, Verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation ./. Rat), Urteil des Gerichtshofs vom 3. September 2008, Slg. I-2008, S. 6351. 14 Kelsen, The Law of the United Nations, S. 294. 15 Diese Meinung vertreten die in Fn. 19 genannten Autoren.
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1. Teil: Die Grundlagen
über das Statut erfolgen – wenn es denn überhaupt eine Einschränkung geben soll. Die Bindung an Recht schon durch die Charta hätte eine erste Einschränkung des Überweisungsgegenstandes zur Folge. Hier wird determiniert, welchen Sachverhalt der Gerichtshof beurteilen darf. Denn durch die weitreichenden Eingriffsbefugnisse in die Souveränität der VN-Mitgliedstaaten könnte der pacta-tertiis-nec-prosunt-nec-nocent-Grundsatz ausgehebelt werden. Ohne Rechtsbindung würde der Sicherheitsrat jeden Sachverhalt überweisen und der Gerichtshof dürfte, durch die Resolution nach Art. 25 i. V. m. Kapitel VII VNCh gerechtfertigt, in die Souveränität der Staaten, die nicht Mitglieder des IStGH-Statuts sind, namentlich in die Strafhoheit, eingreifen. 1. Bindung an die Charta a) Die Handlungsvoraussetzungen nach Art. 39 VNCh Zum einen ist fraglich, ob der Sicherheitsrat das Kapitel VII nutzen kann, wann immer er möchte oder ob er an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gebunden ist. Einige Autoren sprechen für eine völlige Freistellung des Sicherheitsrates. Sie bestreiten, dass die Charta rechtliche Grenzen setzt. Hans Kelsen war 1951 der erste, der diese Ansicht entwickelte. Seiner Meinung nach liegt die Entscheidung im Gutdünken des Rates.16 Dafür spreche die möglichst große Effektivität,17 die dadurch erreicht würde. Der Sicherheitsrat entscheide vollkommen selbstständig, ob er handeln dürfe. Er könne so flexibel über Friedensbedrohungen urteilen und auf sie reagieren. Diese Ansicht übersieht jedoch zwei Punkte. Erstens vermischt sie Zweckmäßigkeitserwägungen mit Rechtsfragen. Dies ist weder zulässig noch erforderlich. Wenn der Sicherheitsrat den Art. 39 VNCh dynamisch auslegen darf, kann er flexibel auf neue Szenarien reagieren. Zweitens übersieht sie die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale in Art. 39 VNCh. Allein deren Erwähnung in der Charta zeigt, dass bestimmte Grenzen für das Handeln des Sicherheitsrates bestehen. Erst wenn eine der drei Varianten vorliegt, darf er handeln. Dass die Begriffe dabei auslegungsbedürftig sind, spielt für die Frage des „Ob“ keine Rolle.18 Hätten die Staaten den Sicherheitsrat freistellen wollen, so „hätte die Charta sich darauf beschränken können, ihm die bestehenden Befugnisse zur Sicherung des Weltfriedens 16
Kelsen, The Law of the United Nations, S. 727. Zur Effektivität vgl. McDougal/Reisman, AJIL 62 (1968), S. 1 (S. 7). 18 De Wet, S. 136; Lorinser, S. 39; Lailach, S. 163 f. Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale 4. Kapitel III. 2. 17
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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einzuräumen, ohne hierfür weitere Voraussetzungen zu normieren“.19 Die Aufzählung der Tatbestandsmerkmale wäre dann überflüssig geworden. Andere Autoren sehen noch weitergehende Grenzen für ein Handeln im Rahmen von Kapitel VII. Von Gaja20 und McDougal/Reisman21 wird das Willkürverbot als Grenze angesehen. Dieses ergibt sich vor allem aus Ziel und Zweck der Charta, die in Form der Abstimmungsmodalitäten ausreichende Sicherheit vor willkürlichen Maßnahmen des Rates bieten.22 Um dem Willkürverbot Genüge zu tun, müssen die Maßnahmen, folgt man den Autoren, die Ziele und Zwecke der Charta verfolgen.23 Ein so verstandenes Willkürverbot lässt sich aus der Charta nicht herleiten.24 Zwar sind Ziele und Zwecke festgeschrieben. Eine so weite Auslegung der Charta und insb. des Art. 27 Abs. 3 VNCh, die ein Verbot begründen würde, geben jedoch weder Wortlaut noch Systematik noch Entstehungsgeschichte her. Ziel und Zweck ist es, die Hürden für ein Vorgehen des Rates hoch zu setzen. Allerdings ist zu bedenken, dass 1968 eine andere weltpolitische Situation herrschte, in der Art. 27 VNCh echten Schutz bot.25 Dazu kommt, dass Sinn und Zweck des Kapitels VII ist, die größtmögliche Flexibilität bei der Handlung des Rates sicherzustellen. Dies spricht gerade gegen eine Bindung an ein Willkürverbot. Dem Sicherheitsrat wurde durch die Charta eine herausragende Stellung eingeräumt. Diese konstituiert eben keine Handlungspflicht des Sicherheitsrates.26 Zwar beinhaltet die Anerkennung eines Willkürverbots nicht automatisch eine Handlungspflicht. Dies behaupten auch die Verfechter eines solchen nicht. Das Willkürverbot hilft dann an dieser Stelle nicht weiter. Grenze für die Willkür bzw. freie Entscheidung bleibt der Wortlaut des Art. 39 VNCh. Die Flexibilität des Sicherheitsrates ist unbestritten. Daher, und weil im Völkerrecht kein Institut besteht, dass der deutschen Selbstbindung der Verwaltung entspricht, kann der Sicherheitsrat, wenn er ausschließlich im Rahmen des siebten Kapitels handelt, keine Erwartungshaltung bei den Mitgliedstaaten hervorrufen. Die Bildung eines Vertrauenstatbestands scheidet somit im Rahmen der Art. 39 ff. VNCh aus. Spielen jedoch andere Bereiche eine Rolle, wie z. B. Menschenrechte, dann stellt sich die Lage anders dar.27 19
Lorinser, S. 46. Vgl. De Wet, S. 134 ff.; A. Stein, S. 30. Gaja, RGDIP 97 (1993), S. 297 (S. 315). 21 McDougal/Reisman, AJIL 62 (1968), S. 1 (S. 9). 22 McDougal/Reisman, AJIL 62 (1968), S. 1 (S. 9). 23 McDougal/Reisman, AJIL 62 (1968), S. 1 (S. 9). 24 Kritisch auch Martenczuk, S. 209, der aus den Zielen und Zwecken keine praktikable Begrenzung für die Feststellungsbefugnis herleiten kann. 25 So auch noch Tomuschat, EA 49 (1994), S. 677 (S. 684). 26 Vgl. nur Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 3. 27 Dazu im 1. Kapitel unter III. 7.–9. 20
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1. Teil: Die Grundlagen
Für eine Begrenzung spricht auch die Souveränität der Mitgliedstaaten. Zwar billigten sie dem Sicherheitsrat sogar die Kompetenz zum Eingriff in ihre Souveränität zu.28 Ihr Wille ging aber nicht so weit, unbegrenzte Eingriffe zuzulassen. Dies käme im Extremfall einer Selbstaufgabe ihrer Staatlichkeit gleich.29 Weiterhin würde durch eine unbegrenzte Feststellungsbefugnis der Sicherheitsrat in die Lage versetzt, das Kompetenzgefüge der Charta zu unterlaufen.30 Dagegen sprechen die gesamte Systematik und Konzeption der Charta sowie einzelne Artikel, z. B. Art. 10 und Art. 24 Abs. 1 VNCh. Dass die drei Tatbestandsmerkmale Friedensgefährdung, Friedensbruch und Angriffshandlung einer Auslegung bedürfen, die im Einzelfall durch den Sicherheitsrat selbst erfolgt, spricht dabei nicht gegen eine Begrenzung. Die Auslegungsfähigkeit und Auslegungsbedürftigkeit ist gerade Merkmal des Rechts. Somit setzt die Charta dem Sicherheitsrat einen Rechtsrahmen für seine Handlungsmöglichkeiten. Im Rahmen dieser drei Merkmale bestimmt jedoch der Sicherheitsrat selbst, was eine Friedensbedrohung, ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung ist.31 b) Die Rahmenbedingungen für ein Handeln im Rahmen von Kapitel VII Fraglich ist weiterhin, ob dem Sicherheitsrat bei der Auswahl seiner konkreten Maßnahme Grenzen gesetzt wurden. Der Sicherheitsrat ist als Organ der Vereinten Nationen an deren Recht gebunden.32 Da er nicht nur seine Rechte, sondern sogar seine Existenz aus der Charta herleitet, würde eine Freistellung vom Vertragsrecht der Charta die Existenz des Rates selbst in Frage stellen.33 Es ergeben sich schon aus den bestimmenden Artikeln der Charta Beschränkungen für den Sicherheitsrat. So sind die Regeln über die Zusammensetzung in Art. 22 VNCh und über die Abstimmung in Art. 27 VNCh für den Sicherheitsrat nicht disposi28
Vgl. Art. 2 Nr. 7 VNCh. Ebenso Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 517 (S. 542). Aston, S. 82. 30 Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 517 (S. 542). 31 Akehurst/Malanczuk, A modern Introduction to International Law, S. 219: „A threat to the peace is whatever the Security Council says is a threat to the peace.“ Ebenso: Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, S. 284; Combacau, Le Pouvoir de sanction de l’O. N. U., S. 259. 32 Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 517 (S. 534); Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 1 (S. 21). 33 Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 517 (S. 534). 29
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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tiv. Über diese (vertragsrechtlichen) Grundlagen kann sich der Rat nicht hinwegsetzen. Selbst der Schlüsselartikel zum siebten Kapitel setzt drei Hürden für ein Tätigwerden. Die Art. 27 und 39 VNCh geben einen rechtlichen Rahmen für die Beschlussfassung. Ein Verstoß dagegen führt somit zur „formellen Rechtswidrigkeit“. Wenn die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht wurden, mangelt es an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Ob man den Verstoß gegen Art. 39 VNCh als formellen oder materiellen Fehler einordnet, kann zunächst dahingestellt bleiben. Fraglich ist, ob aus anderen Regelungen eine „materielle“ Bindung folgt. Die Aufgabe des Sicherheitsrates liegt in der Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Durch Art. 24 Abs. 1 VNCh übertragen die Mitgliedstaaten dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung zur Friedenssicherung.34 Die Kompetenz des Sicherheitsrates wird durch diese Bestimmung auf dieses Ziel eingeschränkt. Zwar trägt der Sicherheitsrat hier die Verantwortung, aber auch nur für diesen Sachbereich der internationalen Beziehungen. Seine Zuständigkeit ist beschränkt.35 Gerade für das siebte Kapitel der Charta wird dies nochmals durch Art. 39 a. E. VNCh bestätigt. Dessen Maßnahmen müssen erfolgen, „um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen“. Die raison d’eˆtre des Sicherheitsrates bindet ihn also im Rahmen des siebten Kapitels. Seine Handlungen müssen auf dieses Ziel ausgerichtet sein. Art. 25 der Charta ist dabei nicht entscheidend. Es ist umstritten, ob sich der Halbsatz „in accordance with the present Charter“ auf die Entscheidungen des Sicherheitsrates36 oder auf die Durchführung durch die Mitgliedstaaten37 oder sogar auf beides38 bezieht. Lorinser,39 Martenczuk40 und Fraas41 haben nachgewiesen, dass der Art. 25 jedoch nicht hilfreich ist. Nach keiner Auslegung ergibt sich Entscheidendes. Die Bindung des Sicherheitsrates an die Charta ist, wie gezeigt, selbstverständlich.42 Dass die 34 Auf den umstrittenen Begriff der „Hauptverantwortung“ und seine Auslegungsmöglichkeiten muss hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Simma/Delbrück, UNO-Charter, Art. 24 Rn. 8. 35 Aston, S. 64. 36 IGH, Namibia II Gutachten, ICJ Reports 1971, S. 16 (S. 53); Diss. Op. Richter Fitzmaurice, ebd., S. 229 (S. 293, Rn. 113 f.). 37 Dahm, Völkerrecht, Band II, § 44 II 3 (S. 212). 38 Diss. Op. Richter Fitzmaurice, Namibia II, S. 229 (S. 293, Rn. 113 f.); Diss. Op. Richter Bedjaoui, Lockerbie, S. 33 ff. (S. 47, Rn. 28). 39 Lorinser, S. 124 ff. 40 Martenczuk, S. 128 ff. 41 Fraas, S. 99 ff. 42 Vgl. auch Martenczuk, S. 131.
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1. Teil: Die Grundlagen
Vertragsstaaten bei der Durchführung der Resolutionen an die Charta gebunden sind, ist ebenso selbstverständlich.43 Richtigerweise sieht Martenczuk das Potential von Art. 25 VNCh für die vorliegende Frage darin, dass diese Bestimmung den Sicherheitsrat möglicherweise von sonstigem Völkerrecht freistellt. Jedoch ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik noch aus der Entstehungsgeschichte und folgender Praxis eine solch weitreichende Bedeutung. Art. 25 VNCh ist für dieses Ergebnis nicht eindeutig genug formuliert.44 Die Funktionen, die der Rat im Rahmen von Kapitel VII ausübt, entsprechen exekutiven oder polizeilichen45 Funktionen im innerstaatlichen Recht, zumindest im europäischen Recht. Sie sind auf das Lösen von Konflikten und die Abwehr von Gefahren für den Weltfrieden angelegt. Der Rat soll schnell und flexibel reagieren. Dazu steht ihm ein breiter Ermessensspielraum auf mehreren Ebenen zur Verfügung. Er entscheidet nicht nur über Eingreifen oder Untätigbleiben. Seine Reaktionsmöglichkeiten sind nicht in einem Katalog abschließend aufgezählt, Art. 40, 41 und 42 VNCh sind insoweit nicht abschließend. Das Kapitel VII unterliegt aber insgesamt rechtlichen Schranken. Die Maßnahmen des Rates sind auf kurzfristige Lösung angelegt.46 Rechtsverbindliche Maßnahmen mit endgültiger Lösung eines Konflikts sind nicht Gegenstand des siebten Kapitels, dazu kann der Sicherheitsrat das sechste Kapitel bemühen. In diesem Kapitel ist die Rechtslage dann wiederum eine ganz andere. In letzter Zeit wird diese Aufteilung in Frage gestellt. Insbesondere durch die Proliferation Security Initative der Vereinigten Staaten47 geriet Bewegung in die Diskussion.48 2. Bindung an Völkerrecht kraft Völkerrechtssubjektivität Eine Bindung des Sicherheitsrates an das allgemeine Völkerrecht könnte sich schon aus der Rechtssubjektivität der Vereinten Nationen ergeben. Jede internationale Organisation ist als (partikulares) Völkerrechtssubjekt Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten49 und damit an Völkerrecht 43
Vgl. auch Martenczuk, S. 131. Martenczuk, S. 131. 45 Begriff in Anlehnung an Koskenniemi, EJIL 6 (1995), S. 325 (S. 325). 46 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 12, 31; Krisch, S. 249 ff. 47 U.S. Dept. of State, Bureau of Public Affairs, Proliferation Security Initiative, (Washington, D.C., 15 Sept. 2003), vgl. Contemporary Practice of the United States, Proliferation Security Initiative for Searching Potential WMD Vessels, AJIL 98 (2004), S. 355. S. dazu Heintschel von Heinegg, IsraelYBHR 35 (2005), S. 181–203. 48 Einzelheiten in Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 31. 44
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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gebunden.50 Fraglich ist jedoch, wie weit diese Bindung reicht. Allein die Eigenschaft der Rechtspersönlichkeit sagt noch nichts über den Umfang aus.51 Beide Bereiche sind streng voneinander zu trennen52 und die folgenden Ausführungen unter diesem Gesichtspunkt zu lesen.53 Zwar ist die Rechtsfähigkeit unabdingbare Voraussetzung für die Trägerschaft bestimmter Rechte und Pflichten. Diese sind jedoch nicht in vollem Umfang automatische Folge der Zuerkennung der Rechtsfähigkeit. Ein Völkerrechtssubjekt befindet sich allerdings mit seiner Entstehung im Völkerrechtssystem. Es existiert nicht losgelöst von jedem Völkerrecht im rechtsfreien Raum und hat nur die Möglichkeit, am Rechtsverkehr teilzunehmen. Bestimmte Regelungen müssen aus rechtslogischen Gründen für alle Völkerrechtssubjekte gelten, nimmt man das Völkerrecht als Rechtsordnung ernst. So dürften Regelungen des internationalen ordre public für alle Völkerrechtssubjekte verbindlich sein.54 Dies ist u. a. Konsequenz aus dem Konsensprinzip.55 Grundlegende Regelungen des Völkerrechts betreffen alle Völkerrechtssubjekte. Dazu gehören Regelungen des allgemeinen Völkerrechts zur Schaffung neuen Völkerrechts, zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit oder das ius cogens.56 Auch die Staatenpraxis während und 49
Ipsen/Epping, Völkerrecht, § 31 Rn. 38; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 0303. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1512; Reinisch, AJPIL 47 (1995), S. 173 (S. 186). 51 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/2 § 106 I 1 (S. 215); Diskussionsbeiträge von Ress, in: BDGVR 42 (2007), S. 122 und Puttler, ebd., S. 124. 52 Seyersted, Nordisk Tidsskrift for International Ret 1964, S. 3 ff.; Reinisch, Austrian JPIL 47 (1995) S. 173 ff.; Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1570, für Trennung. Für die Bindung an das Völkergewohnheitsrecht der Mitgliedstaaten Seild/Loibl, Rn. 1512. 53 So wird insb. in diesem Gliederungspunkt die Möglichkeit der Bindung an das Gewohnheitsrecht überprüft, während der Umfang in den folgenden Prüfungspunkten untersucht wird. 54 Mosler, RdC 140, S. 33 ff.; ders., International Legal Community, EPIL II, S. 1251 (S. 1252) ist dem Verfassungsbegriff im Völkerrecht positiv gegenüber eingestellt, erkennt aber an, dass selbst ohne eine Verfassung rudimentäre Regelungen für jede Rechtsgemeinschaft gelten. Vgl. auch Jaenicke, International Public Order, EPIL II, S. 1349 (S. 1351); Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 524 ff. m. w. N.; Klein, Paralleles Tätigwerden von Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof bei friedensbedrohenden Streitigkeiten, in: FS Mosler, S. 467 (S. 487); Orakhelashvili, AVR 43 (2005), S. 240 (S. 241 ff.). Kokott/Hoffmeister, International Public Order, EPIL Online Edition, Rn. 9 ff., erkennen dabei für die vier Komplexe Frieden und Sicherheit, Freiheit und Gleichheit, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung sowie im Respekt vor der Natur und der gleichen Verantwortung für deren Wahrung solche Regelungen an. 55 Mosler, International Legal Community, EPIL II, S. 1251 (S. 1252). 56 Nach Jaenicke, International Public Order, EPIL II, S. 1349 (S. 1350), gibt es drei Arten von Grundregelungen: zur Schaffung neuen Völkerrechts, im Organisa50
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1. Teil: Die Grundlagen
nach der Entkolonialisierung spricht dafür. Die neuen Staaten, also die neuen Völkerrechtssubjekte, konnten sich mit ihrer tabula-rasa-Forderung nicht durchsetzen. Gewisse Regeln, die die Staatengemeinschaft schon vor ihrem Entstehen gesetzt hat, gelten mit Geburt der Staaten auch für diese. Allein dieser Regelungskreis der fundamentalen Bestimmungen kann kraft Völkerrechtsfähigkeit verbindlich sein. Wenn eine solche Grundordnung für Staaten existiert, dann gilt diese auch für internationale Organisationen. Die Staaten übertragen nicht mehr Befugnisse als sie selbst innehaben (nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse habet). Internationale Organisationen sind gerade als Mittel des Völkerrechts geschaffen. Als abgeleitete Rechtssubjekte ergibt sich für diese Organisationen aus dem Schluss a maiore ad minus, dass der internationale ordre public auch für sie gilt. Das Funktionieren der Völkerrechtsgemeinschaft hängt von der Bindung aller Völkerrechtssubjekte an bestimmte fundamentale Regelungen ab. Wäre dies nicht der Fall, dann würde sich das Völkerrecht selbst derogieren. So bleibt das Funktionieren des Völkerrechts sichergestellt. Die Regelungen der International Public Order sind dabei von Verpflichtungen erga omnes oder dem ius cogens zu unterscheiden.57 Zwischen den verschiedenen Kategorien mag es zahlreiche Überschneidungen geben. Eine automatische Klassifizierung als Teil des internationalen ordre public allein durch den Nachweis der zwingenden Geltung oder Verpflichtung gegenüber der internationalen Gemeinschaft ist nicht möglich.58 Während es eindeutig ist, dass Vertragsrecht zumindest nicht direkt auch Nichtvertragsparteien bindet,59 wird in der Literatur von der Rechtssubjektivität auf eine umfassendere Bindung an Gewohnheitsrecht geschlossen.60 Dann müsse sich auch die Geltung des universalen Gewohnheitsrechts auf alle Völkerrechtssubjekte erstrecken.61 So hat insb. Seyersted vertreten, dass das Völkergewohnheitsrecht die Entstehung neuer Völkerrechtssubjekte, namentlich die internationaler Organisationen, regelt und sich daraus dann auch einzelne gewohnheitsrechtliche Rechte und Pflichten ableiten tionsbereich und essentielle materielle Regeln, die zum Schutz gemeinsamer Interessen der internationalen Gemeinschaft erforderlich sind. 57 Kadelbach, Jus cogens, Obligations erga omnes and other Rules – The Identification of Fundamental Norms, in: Tomuschat/Thouvenin, S. 21 (S. 27, 30 ff.). 58 Ausführlicher Mosler, International Legal Community, EPIL II, S. 1251 (S. 1252); Jaenicke, International Public Order, EPIL II, S. 1349 ff.; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, S. 331 ff. 59 Vgl. Art. 34 WVK; Art. 34 WVKIO. Anderer Ansicht ist Gill, NYIL 26 (1995), S. 33 (S. 78 f.). 60 Seyersted, Nordisk Tidsskrift for International Ret 1964, S. 3 ff. 61 So Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, S. 222; Payandeh, ZaöRV 66 (2006), S. 41 (S. 46).
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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lassen, die auf das partikuläre Rechtssubjekt anwendbar sind. Internationale Organisationen entstünden bei Vorliegen bestimmter Kriterien, nicht mit einem Willensakt der Staaten. Seine Theorie hat sich jedoch nicht durchgesetzt.62 In einem Rechtssystem ist es durchaus üblich, dass die Rechtssubjekte unterschiedliche Rechte haben und unterschiedlichen Pflichten unterliegen. Dies gilt auch für das Völkerrecht. Die VN müssen nicht kraft ihrer Völkerrechtssubjektivität dieselben Rechte und Pflichten wie Staaten haben.63 Dies gilt umso mehr beim Sicherheitsrat als einem Organ der VN, welcher nach allgemeiner Auffassung zu Maßnahmen berechtigen kann, die ohne seine Resolution völkerrechtswidrig wären (vgl. Art. 41 VNCh). Ausgangspunkt für die mögliche Erstreckung des Völkergewohnheitsrechts auf den Sicherheitsrat müssen die Elemente des Gewohnheitsrechts sein. Das Gewohnheitsrecht besteht aus einer dauerhaften, einheitlichen und verbreiteten Übung, die von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragen werden muss.64 Der Adressatenkreis des Völkergewohnheitsrechts muss sich dann auch auf internationale Organisationen erstrecken. Es erscheint dann jedoch fraglich, ob jede gewohnheitsrechtliche Norm auch jedes Völkerrechtssubjekt bindet. Beinhalten sowohl Übung als auch Rechtsüberzeugung eine Verpflichtung, so lässt sich bestimmen, ob gekorene Völkerrechtssubjekte auch zum Adressatenkreis gehören.65 Ist dieser Kreis jedoch auf Staaten beschränkt, kann sich eine Verpflichtung von internationalen Organisationen nur durch Änderung der Norm ergeben.66 Die Staaten schaffen das Gewohnheitsrecht vor allem für ihre Beziehungen zueinander, Adressaten der Norm sind fast immer Staaten. Wollen sie neues Recht für Organisationen schaffen, so bedienen sie sich der Vertragsform. Ergibt sich aus der gewohnheitsrechtlichen Norm kein Adressatenkreis und soll die Regelung universell gelten, so ist mit der Literatur davon auszugehen, dass sich die Bindung auf alle Völkerrechtssubjekte erstreckt. Das universelle Moment wird dann nicht nur in räumlicher, sondern vor allem in personeller Hinsicht relevant. 62
Vgl. Fassbender, ÖZöRV 37 (1986), S. 17 (S. 36 ff.). IGH, Reparations for Injuries suffered in the Service of the United Nations (Bernadotte-Gutachten), ICJ Reports 1949, S. 174 (S. 178 f.). So aber ausdrücklich Seyersted, Nordisk Tidsskrift for International Ret 1964, S. 3 (S. 101): „There is no basic legal difference between states and other sovereign communities“. 64 Vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut. 65 Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), 110 f. 66 Diskussionsbeiträge von Klein, in: BDGVR 42 (2007), S. 118, und Rauschning, ebd., S. 120, Ress, ebd., S. 122. 63
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1. Teil: Die Grundlagen
Zum größten Teil wird eine Bindung an allgemeine Rechtsgrundsätze bejaht.67 Diese sind als allgemeine Prinzipen, die Ausdruck der Gerechtigkeit sein sollen, Teil der Rechtsordnung Völkerrecht und gelten somit für alle Völkerrechtssubjekte.68 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze ergeben sich aus einem Vergleich der verschiedenen nationalen Verfassungen. Sie sind somit eigentlich völkerrechtsfremde Normen,69 die neben dem Vertrags- und Gewohnheitsrecht eine dritte, eigenständige Völkerrechtsquelle darstellen.70 Da sie keine ausformulierten Normen begründen, sondern eben nur allgemeine Rechtsgrundsätze darstellen,71 sind sie allgemein verbindlich.72 Somit ist der Sicherheitsrat als Organ der Vereinten Nationen an fundamentale Rechtssätze, universelles Gewohnheitsrecht und an die allgemeinen Rechtsgrundsätze gebunden. Wie weit die Bindung an die einzelnen Gebiete des Gewohnheitsrechts reicht, wird später zu untersuchen sein. 3. Selbstbindung Eine Bindung des Sicherheitsrates an die Charta steht einhellig außer Frage.73 Die Charta enthält einige Normen, die die Arbeit des Rates regeln. Dazu gehören z. B. Art. 24 und 27, sowie die Regelungen des siebten Kapitels. Es könnte jedoch sein, dass die Charta eine Bindung an Vertrags- oder Gewohnheitsrecht vorsieht. In Betracht kommt hier nur der Verweis über Art. 24 Abs. 2 der Charta auf die purposes and principles aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2. Danach ist der Sicherheitsrat bei seiner Aufgabenwahrnehmung 67
Brownlie, S. 659, Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 187 m. w. N.); Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107 (S. 109); Arnold, S. 254; Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 579). 68 Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107 (S. 109); Reinisch, AJPIL 47 (1995), S. 173 (S. 187); Fraas, S. 76; Arnold, S. 202. 69 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 17 Rn. 1. 70 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 17 Rn. 5; Arnold, S. 254. 71 Richter McNair in Status of South-West Africa, ICJ Reports 1950, S. 128 (S. 148). 72 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 600; Arnold, S. 154. 73 So auch Reinisch AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 189 in Fn. 64, S. 206); Simma/ Delbrück, UNO-Charter, Art. 24 Rn. 10; Schreuer, Die Bindung Internationaler Organisationen an völkerrechtliche Verträge ihrer Mitgliedstaaten, in: FS Zemanek, S. 223 (S. 246); Lamb, Legal Limits to United Nations Security Council Powers, in: FS Brownlie, S. 361 (S. 366); ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 42; Higgins, AJIL 64 (1970), S. 1 (S. 1); Fraas, S. 74; Franck, The Security Council and „Threats to the Peace“, in: R.-J. Dupuy, S. 83 (S. 85).
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gehalten, sich am Völkerrecht zu messen und die Souveränität der Staaten zu beachten (Art. 2 Nr. 7). Jedoch schränkt der jeweils nächste Satz diese Bindung wieder ein: Art. 1 Abs. 1 gilt nur für Maßnahmen nach Kapitel VI. Und im Rahmen der Handlungen nach Kapitel VII stellt die Souveränität der Mitgliedstaaten keine absolute Grenze dar.74 Denn bei der Abwägung der Maßnahmen dürfte sich der Sicherheitsrat aufgrund der Konzeption der VNCh zumindest am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientieren.75 Es könnte jedoch sein, dass die Charta den Sicherheitsrat von der Beachtung des Völkerrechts ausnimmt, ihn sozusagen entpflichtet. Wie oben gezeigt, entpflichtet zumindest Art. 25 VNCh den Sicherheitsrat nicht. Für eine Entpflichtung würde die Formulierung in Art. 2 Nr. 7 Hs. 2 VNCh sprechen, dort wird der Sicherheitsrat ja gerade von der Beachtung eines zentralen völkerrechtlichen Grundsatzes entbunden. Doch spricht die Existenz dieses Halbsatzes im Umkehrschluss gerade gegen eine Entpflichtung. Wenn die Gründungsstaaten ausdrücklich eine Entpflichtung vornehmen wollten, so mussten sie diese wohl ausdrücklich in die Charta aufnehmen. Da eine Entpflichtung nur an dieser einen Stelle vorgenommen wurde, besteht in anderer Hinsicht keine Ausnahme des Sicherheitsrates. Daraus kann weiterhin nicht geschlossen werden, dass der Sicherheitsrat keinerlei Bindung unterliegt. Art. 24 Abs. 2 stellt keine abschließende Regelung zur Rechtsbindung dar. Wäre dies der Fall, so wären alle anderen Regelungen der Charta, die den Sicherheitsrat binden, bedeutungslos. Beispielsweise wäre Art. 27 Abs. 3 überflüssig.76 Im Übrigen wäre die Rechtsbindung zu bejahen, wenn sich der Rat mit einem einseitigen Rechtsakt gewissen völkerrechtlichen Regelungen unterworfen hätte. Die Existenz einseitiger Rechtsakte ist im Völkerrecht weitgehend anerkannt.77 Vor allem gehören dazu einseitige Erklärungen.78 Der IGH hatte sich im Falle der französischen Atomtests im Südpazifik u. a. mit der Rechtsverbindlichkeit einseitiger Erklärungen zu befassen. Australien und Neuseeland79 beantragten die Feststellung, dass diese Tests völkerrechtswidrig seien. Noch bevor der Gerichtshof über die Anträge entscheiden 74
Kritisch auch Ipsen, VN 1992, S. 41 (S. 45). Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 30. 76 Martenczuk, S. 157 f. 77 IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 253, Rn. 43; Fastenrath, S. 210. 78 IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 253, Rn. 43. 79 Das Verfahren Neuseeland vs. Frankreich (ICJ Reports 1974, S. 457) ist im Wesentlichen identisch mit dem Verfahren Australien vs. Frankreich. 75
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konnte, erklärten verschiedene französische Beamte80 und zu guter Letzt der französische Staatspräsident81, dass ihr Land in Zukunft solche Tests nicht mehr durchführen würde. In der Folge untersuchte der Gerichtshof, unter welchen Umständen eine solche Erklärung die abgebende Nation bindet.82 Da das geschriebene Völkerrecht keine entsprechenden Regelungen bereithält, entwickelte der Gerichtshof aus dem Gewohnheitsrecht eigene Kriterien. Ausgehend vom Prinzip von Treu und Glauben formulierte der IGH zwei Elemente, die einem einseitigen Akt Rechtskraft zukommen lassen könnten: den Inhalt und die Umstände der Erklärung. Der Erklärende müsse vor allem Rechtsbindungswillen haben. Dieser müsse in der Erklärung zum Ausdruck kommen. Als formelles Kriterium gelte, dass die Äußerung öffentlich erfolgen muss. Auch wenn die Erklärung keines Adressaten und keiner Annahme bedürfe, so solle sie doch an die (Welt-)Öffentlichkeit gerichtet sein. Die entscheidenden Umstände der Erklärung erkannte der IGH darin, dass im Lichte seiner Funktion und der Repräsentationswirkung, die dem Präsidenten zukommt, ein Vertrauenstatbestand aufseiten der anderen Völkerrechtssubjekte geschaffen würde, der Frankreich in Zukunft binde. Der Grund für eine solche Bindungsmöglichkeit liege im Vertrauensschutz der betroffenen Staaten. Diese Rechtsprechung kann auf einseitige Erklärungen von internationalen Organisationen ausgedehnt werden. Auch hier begründen die Argumente eine Bindung. Einseitige Akte sowohl von Staaten als auch von internationalen Organisationen schaffen, wenn die Erklärungsumstände bestimmten Voraussetzungen genügen, einen Vertrauenstatbestand bei den Adressaten. Diese verlassen sich auf die einseitige Erklärung. Dieses Vertrauen wurde von dem Erklärenden selbst veranlasst. Insoweit genießt der Adressat Vertrauensschutz. Zum Schutz dieses Vertrauens ist es gleichgültig, ob es von einem Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt veranlasst worden ist. Es ist jedoch eine Einzelfallfrage, ob die Umstände der Erklärung es rechtfertigen, dass das Vertrauen des Adressaten geschützt wird. Aus der jüngsten Praxis könnte eine weitere Bindungsbegründung vorstellbar sein. Für den Bereich des humanitären Völkerrechts hat der Generalsekretär eine einseitige Erklärung in seinem Bulletin veröffentlicht.83 Da80 IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 253, Rn. 35–40. 81 IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 253, Rn. 37. 82 IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 253, Rn. 41–52. 83 UN Doc. ST/SGB/1999/13 vom 6. August 1999. Vgl. zu der Erklärung den Diskussionsbeitrag von Suy, in: BDGVR 42 (2007), S. 115.
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rin erklärt er Grundprinzipien und Grundregeln des humanitären Völkerrechts für anwendbar, wenn Truppen der VN in einem bewaffneten Konflikt als Kombattanten beteiligt sind. Dies kann bei Zwangsmaßnahmen oder Friedensoperationen mit der Berechtigung zur gewaltsamen Selbstverteidung84 der Fall sein. Die Grundprinzipien und Grundregeln, die anwendbar sein sollen, werden aufgeführt und entsprechen in etwa dem gewohnheitsrechtlichen Standard. Dies alles könnte für einen Rechtsbindungswillen bei Abgabe der Erklärung sprechen. Die äußeren Umstände sprächen für eine Selbstbindung. Der Generalsekretär verkörpere in der Öffentlichkeit geradezu die Vereinten Nationen. Niemand stehe so sehr für die Organisation wie er. Er übernehme eine Repräsentationsfunktion, er stelle die Missionen der VN zusammen und koordiniere die Einsätze. Seine Erklärung ist noch dazu in den entsprechenden VN-Publikationen veröffentlicht. Der Generalsekretär könnte mit seiner Erklärung einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen haben, dass sich die Truppen, die unter VN-Kommando stehen, an die Regelungen des humanitären Völkerrechts halten. Diese Begründung verfängt nicht. Problematisch ist dabei, dass der Generalsekretär nicht durch einseitige Handlung die Kompetenzen des Sicherheitsrates konkretisieren geschweige denn beschneiden darf. Die Charta enthält eine austarierte Kompetenzverteilung. Dieses Organisationsprimärrecht kann nicht durch Organisationssekundärrecht verändert werden. Die Erklärungen leiten sich dabei aus der VNCh ab und sind somit Vertragssekundärrecht. Somit ergibt sich folgendes Bild: Der Sicherheitsrat hat eine ähnliche Verpflichtung niemals abgegeben. Eine ausdrückliche Selbstbindung sowohl an humanitäres als auch an anderes Völkerrecht kommt nicht in Betracht. Die Erklärung des Generalsekretärs entfaltet erst Wirkung auf einer nachfolgenden Stufe. Das „Ob“ des Einsatzes (und die generellen Regelungen des „Wie“, also die Reichweite des Mandats) ist davon nicht betroffen. Erst das tatsächliche Handeln ist an diesem Maßstab zu messen. Das mag gekünstelt klingen. Doch ist hier die herausgehobene Stellung des Sicherheitsrates zu betonen. Für ihn gibt es – mit dieser Begründung! – noch keine Bindung an das humanitäre Völkerrecht. Sein Auswahlermessen ist durch keine Selbstbindung an das humanitäre Völkerrecht beschränkt.85
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Sogenanntes robustes Peace-Keeping. Im Ergebnis so auch Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 1 (S. 15, 134). 85
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4. Gleichheitssatz Nimmt man das Völkerrecht als Rechtsordnung ernst, so soll dieser Rechtsordnung der Gleichheitssatz als Ausdruck der Gerechtigkeit immanent sein. Dieser Satz besage, dass gleiche Sachverhalte gleich behandelt werden müssen. Zumindest bestimmte materielle Regelungen des Völkergewohnheitsrechts erstreckten sich somit auf alle Völkerrechtssubjekte. Der so verstandene Gleichheitssatz sei mit dem Willkürverbot vergleichbar.86 Es ist jedoch zweifelhaft, ob der völkerrechtliche Gleichheitssatz, wenn man ihn denn anerkennt, so weit reicht. Auch ist unklar, welche Regelungen wichtig genug sind, um für alle die gleichen Rechtswirkungen entfalten zu können. Dieser Ansatz vermag nicht zu überzeugen, eine Bindung des Sicherheitsrates aufgrund des Gleichheitssatzes ist abzulehnen. 5. Analogieschluss Teilweise wird eine Analogie zur staatlichen Rechtsbindung gezogen. Internationale Organisationen nehmen quasi-staatliche Funktionen wahr.87 Es bestehe eine gleiche Interessenlage, die nicht durch das Völkerrecht geregelt werde. Diese Regelungslücke sei planwidrig, sodass eine Analogie zulässig sein soll.88 Die internationalen Organisationen wären somit an das allgemeine Völkerrecht gebunden.89 Diese Ansicht ist jedoch aufgrund des Analogieverbots im Völkerrecht, das sich aus dem Konsensprinzip ableitet,90 abzulehnen. -Von den Befürwortern eines Analogieschlusses wird daher eine Einschränkung vorgeschlagen: Erst wenn ein Rechtssubjekt zustimmt, ist Platz für die Analogie. Verkannt wird dadurch aber wiederum, dass gerade dann kein Raum für einen Analogieschluss bleibt. Um durch seine Zustimmung gebunden zu werden, liegt entweder ein Vertragsschluss oder (in Verbindung mit einer dauerhaften, einheitlichen und verbreiteten Übung) Gewohnheitsrecht vor. Eine Bindung der VN an allgemeines Völkerrecht kraft Analogie scheidet somit aus. 86
Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107 (S. 109). Fraas, S. 76 ff. Vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/2, § 105 (S. 208). 88 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 889. 89 Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107 (S. 113); Reinisch, AJPIL 47 (1995), S. 173 (S. 191); Arnold, S. 206. 90 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 19 Rn. 5 f. Zum Konsensprinzip jüngst Hillgruber, Braucht das Völkerrecht eine Völkerrechtswissenschaftstheorie?, in: Jestaedt/Lepsius, S. 113 (S. 113 ff.). 87
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6. Souveränität der Mitgliedstaaten Tragendes Element der Völkerrechtsordnung ist das Prinzip der Souveränität der Staaten.91 Alle Weiterentwicklungen im Völkerrecht, vor allem im Völkerstrafrecht, sind am Maßstab der Souveränität zu messen. Für jeden Eingriff in die Souveränität muss sich eine Rechtfertigung finden. Einen solchen Verstoß würde es darstellen, wenn eine internationale Organisation rechtlich ungebunden tätig sein dürfte, wenn sie also unbeschränkt in die Souveränität eingreifen dürfte. Gerechtfertigt wäre dies, wenn die Staaten die Organisation dazu ermächtigt hätten. Jedoch findet sich in der Charta keine Regelung, die eine so weitreichende Entpflichtung gestattet. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Staaten keine Instanz schaffen wollten, die ohne jegliche Rechtsbindung für die Staaten verbindliche Entscheidungen treffen darf. Der Sicherheitsrat hat keinen „Blankoscheck“92 zur Änderung der Rechtslage der Staaten.93 Zwar legt Art. 2 Nr. 7 VNCh fest, dass die Souveränität der Staaten im Rahmen von Kapitel VII keine Grenze darstellt. Jedoch kann der Sicherheitsrat in diesem Rahmen nur vorläufige Maßnahmen treffen.94 Endgültige Regelungen sind nicht von der Polizeifunktion des siebten Kapitels gedeckt. Der Sicherheitsrat soll einem Polizisten ähnlich Gefahren bekämpfen.95 Somit bleibt den Staaten ein Kernbereich der Souveränität erhalten. Sie wollten ihre Existenz nicht mit Art. 2 Nr. 7 VNCh gefährden. Zwar stellen die Resolutionen 137396 und 154097 des Sicherheitsrates den Charakter als vorübergehende Maßnahmen in Frage. Darin verpflichtete der Sicherheitsrat die Staaten erstmals zu Maßnahmen, die keinen konkreten Konflikt lösen sollten, sondern gegen die Phänomene Terrorismus und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen an sich gerichtet waren.98 Die Tendenz der Praxis geht somit in eine Richtung, in der die polizeiliche Funktion nur noch den Kernbereich darstellt und daneben dauerhafte Regelungen möglich sind. Es bleibt abzuwarten, ob die Staatenpraxis diese Auslegung auch in Zukunft tragen wird. Denn selbst wenn die vorläufige Natur der Maßnahmen in Kapitel VII im Hinblick auf Res. 1373 und 1540 abge91 Steinberger, Sovereignty, EPIL IV, S. 500 (S. 511 f.). Zum Begriff Souveränität Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts I § 15, S. 691–708. 92 Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 193). 93 Vgl. 1. Kapitel III. 94 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 31. 95 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 12. 96 SC Res. 1373 (2001) vom 28. September 2001. 97 SC Res. 1540 (2004) vom 28. April 2004. 98 Vgl. 4. Kapitel III. 6.
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lehnt wird, so besteht diese Ausnahme bislang nur in den beiden von den Resolutionen erfassten Bereichen. Vorstellbar ist dagegen vielmehr, dass die Verpflichtungen nur so lange bestehen, wie die Phänomene Terrorismus und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eine Bedrohung für den Weltfrieden i. S. d. Art. 39 VNCh darstellen. 7. Ius cogens Die Charta ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Sie unterliegt somit den Regelungen über völkerrechtliche Verträge. Das Recht der Verträge ist in der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) geregelt. Diese gilt in den meisten Teilen auch gewohnheitsrechtlich.99 In der gewohnheitsrechtlichen Ausgestaltung gelten die Regelungen auch für die VN-Charta. Aus der vertragsrechtlichen Natur der VN-Charta ergibt sich dann eine weitere Bindung an das Völkerrecht. Gewohnheitsrechtlich ist anerkannt, dass es bestimmte, nicht dispositive Regelungen gibt, von denen ein Vertrag nicht abweichen darf, sogenanntes ius cogens. Demnach gibt es Völkerrecht, das nicht nur konsensfundiert als Recht gilt, sondern darüber hinaus mit der erhöhten Bestandskraft eine weitere Qualifizierung erfahren hat. Es darf nur durch eine Norm desselben Ranges geändert werden. Dabei ist dieses Recht zwingend, Ausnahmen dürfen nicht gemacht werden. In den Art. 53 und 64 WVK ist dieses – auch schon 1945 geltende – Gewohnheitsrecht kodifiziert worden.100 Die VNCh stellt einen völkerrechtlichen Vertrag dar. Somit darf sie nicht gegen ius cogens verstoßen. Weder darf sie direkt und unmittelbar gegen ius cogens verstoßen noch darf sie zu einem solchen Verstoß ermächtigen. Da Resolutionen des Sicherheitsrates ihren Geltungsgrund aus Art. 25 VNCh ableiten, sie somit Vertragssekundärrecht sind, unterliegen sie denselben rechtlichen Schranken wie die Charta.101 Damit dürfen Resolutionen 99 IGH, Legal Consequences for States of the continued presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Gutachten vom 21. Juni 1971, ICJ Reports 1971, S. 16 (S. 47); IGH, Fisheries Jurisdiction Case (United Kingdom v. Iceland), Jurisdiction of the Court, Urteil vom 2. Februar 1973, ICJ Reports 1973, S. 3, Rn. 36; IGH, Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 between th WHO and Egypt, Gutachten vom 20. Dezember 1980, ICJ Reports 1980, S. 73, Rn. 46–50; IGH, Case concerning the Gabcˇíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7, Rn. 46. 100 Vgl. nur Verdross/Simma, universelles Völkerrecht, §§ 524 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Kritisch demgegenüber Sztucki, S. 93–96; und Czaplinski, Jus cogens and the Law of Treaties, in: Tomuschat/Thouvenin, S. 83 (S. 85 f.). 101 Im Ergebnis so auch Sondervotum Richter ad hoc E. Lauterpacht, Case concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the
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nicht gegen zwingendes Gewohnheitsrecht verstoßen, anderenfalls sind sie von Anfang an nichtig.102 Dieser Argumentation schloß sich auch das EuG in seiner umstrittenen Kadi/Yusuf-Rechtsprechung103 an. Das EuG hatte darin über mehrere Verordnungen104 zu entscheiden, welche GASP-Beschlüsse105 umsetzten, die wiederum auf Resolutionen des Sicherheitsrates106 ohne Umsetzungsspielraum basierten. In den einschlägigen Resolutionen der VN wurde festgesetzt, welche Maßnahmen die Staaten zu ergreifen haben, um internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Dazu gehören bspw. Reiseverbote oder das Einfrieren von Bankkonten. Weiterhin wurde ein Sanktionsausschuss gegründet, der eine Liste der betroffenen Personen, die von den Maßnahmen getroffen werden sollten, erstellt hat. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Pflege dieser Liste. Diese Resolution wurde von den Mitgliedstaaten der EG zuerst auf unionsrechtlicher und dann auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene umgesetzt. Den europäischen Rechtsakten lagen Resolutionen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der VN-Charta zugrunde. Kapitel VII ermächtigt den SiCrime of Genocide (Bosnia v. Serbia and Montenegro), Further Requests for the Indication of Provisional Measures, Beschluss vom 13. September 1993, ICJ Reports 1993, S. 407 ff., insb. Rn. 98–104; Fraas, S. 77, 84; Lamb, Legal Limits to United Nations Security Council Powers, in: FS Brownlie, S. 361 (S. 372); so wohl auch Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 193 f.); und auch Schreuer, Die Bindung Internationaler Organisationen an völkerrechtliche Verträge ihrer Mitgliedstaaten, in: FS Zemanek, S. 223 (S. 249); Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 29; Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: Gowlland-Debbas, S. 71 (S. 76). So wohl noch Bianchi, EJIL 17 (2007), S. 881 (S. 887). 102 Vgl. Art. 64 WVK. Vgl. auch Lauterpacht, Sondervotum Genocide-Convention, ICJ Reports 1993, S. 407 (S. 440, insb. Rn. 104); Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII Rn. 29; Doehring, MPYBUNL 1 (1997), S. 91 (S. 98 f.); Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, S. 27; Fassbender, ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 (S. 590 ff.); Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 1 (S. 22); Cannizzaro, IOLR 3 (2006), S. 189 (S. 213 ff.). Krisch, S. 307 f., erkennt in Art. 42 VNCh eine Entpflichtung des Sicherheitsrates von zwingendem Völkerrecht und damit keine Bindung des Sicherheitsrates auch in anderen Gebieten. Ius cogens stellt ihm zufolge nur eine Leitlinie des Handelns dar, und keine Rechtsgrenze. Ihm ist mit der obigen Argumentation zu widersprechen. 103 EuG, Rs. T-315/01 (Kadi/Rat und Kommission), Slg. II-2005, S. 3649; EuG, Rs. T-306/01 (Yusuf/Rat und Kommission), Slg. II-2005, S. 3533. 104 Verordnungen (EG) 337/2000, 467/2001, 2199/2001, 881/2002. 105 Gemeinsame Standpunkte 1999/727/GASP und 2001/154/GASP. 106 SC Res. 1267 (1999) und SC Res. 1333 (2000). Die Sanktionen wurden verlängert durch SC Res. 1390 (2002), SC Res. 1455 (2003), SC Res. 1526 (2004) und SC Res. 1617 (2005).
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cherheitsrat, wenn die internationale Sicherheit oder der Weltfrieden bedroht sind bzw. gebrochen wurden, nichtmilitärische oder militärische Zwangsmaßnahmen zu treffen. Gemäß Art. 25 der Charta sind diese Entscheidungen für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Sie leiten ihren Geltungsgrund aus einem völkerrechtlichen Vertrag ab und teilen dessen Rechtsnatur.107 Für die Mitgliedstaaten der VN stellen sie somit geltendes Völkerrecht i. S. v. Art. 38 lit. a) IGH-Statut dar. Im Fall der hier interessierenden smart sanctions wird somit eine konkrete völkerrechtliche Pflicht für Staaten begründet, Maßnahmen gegen genannte oder zu nennende Individuen zu ergreifen.108 Das EuG ist für seine Argumentation vielfach kritisiert worden.109 Der EuGH hat sich als Rechtsmittelinstanz der Argumentation des EuG nicht angeschlossen.110 Der Sicherheitsrat ist somit als ein durch Vertrag geschaffenes Organ an das ius cogens gebunden. Über zwingende Regelungen des Völkerrechts kann er sich nicht hinwegsetzen. Erließe er eine Resolution, die dem zwingenden Völkerrecht widerspreche, dann wäre diese in Anlehnung an Art. 64 WVK nichtig. 8. Funktionsnachfolge und Flucht in die internationale Organisation Entscheidend für die Rechtsbindung sprechen jedoch das Argument der Funktionsnachfolge bzw. Flucht in die internationale Organisation und der Schutz grundlegender Menschenrechte sowie Regelungen des humanitären Völkerrechts.111 In den letzten Jahrzehnten wurden in geradezu inflationärer Weise internationale Organisationen gegründet. Derzeit gibt es mehr als 250 internationale Organisationen und damit mehr gekorene als geborene Völkerrechtssubjekte.112 Ähnliche Probleme und Globalisierungstendenzen 107
Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1503. Inwieweit auch eine völkerrechtliche Pflicht für Individuen begründet wird, ist für die Untersuchung nicht relevant. Vgl. dazu Schmitz, 167 ff.; Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, S. 32 ff.; Heintschel von Heinegg, HuV-I 1996, S. 75 (S. 80 ff.). 109 Vgl. zur eingehenden Auseinandersetzung mit den Urteilen und der Kritik Deja/Frau, JURA 2008, S. 609 (S. 613 ff.) sowie 9. Kapitel I. 3. b) cc). 110 EuGH, Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi u. a./Rat und Kommission), Urteil vom 3. September 2008, Slg. I-2008, S. 6351. 111 So auch Fraas, S. 78 ff. Auch Schreuer, Die Bindung Internationaler Organisationen an völkerrechtliche Verträge ihrer Mitgliedstaaten, in: FS Zemanek, S. 223 (S. 249) erkennt das Institut an. Diese Argumentation vertreten wohl auch Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 1 (S. 16 ff.); Reinisch, Global Governance 7 (2001), S. 131 (S. 137). 108
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zwingen die Staaten dazu, ihre Schwierigkeiten gemeinsam zu lösen. Sie übertragen ihre Aufgaben zum Teil auf neue Rechtspersönlichkeiten, die – mit eigenen Kompetenzen und Organen ausgestattet – Lösungen anbieten sollen.113 Diese neuen Völkerrechtssubjekte, hier also der IStGH, folgen den Staaten nicht vollständig in deren Funktionen nach, sondern treten neben sie. Es kommt zu einer „konkurrierenden Zuständigkeit“. Aus der jüngsten Vergangenheit ist gerade der IStGH ein Beispiel. Dieser ergänzt ausdrücklich die nationale Strafgewalt bei Verbrechen, „welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“.114 Die Strafhoheit der Staaten bleibt zwar erhalten, erfährt aber durch die neue Organisation Unterstützung. Im Bereich der Vereinten Nationen ist diese Aufgabenübertragung sogar noch stärker. Waren die Staaten früher für den Frieden und für die Sicherheit ihrer Bürger allein verantwortlich, ist die Hauptverantwortung dafür auf den Sicherheitsrat übergegangen. Vor allem im Bereich des Selbstverteidigungsrechts macht Art. 51 VNCh dies deutlich. Geregelt ist, dass ein angegriffener Staat Selbstverteidigungsmaßnahmen nach dem Selbstverteidigungsrecht der Charta ergreifen darf, solange nicht der Sicherheitsrat gehandelt hat. Dort kommt die konkurrierende Zuständigkeit am prägnantesten zum Ausdruck. Die Staaten sind in ihrem Handeln jedoch an Völkerrecht gebunden. Sie sind zur unbedingten Einhaltung des Völkerrechts verpflichtet. Schaffen sie in ihrer Eigenschaft als Völkerrechtssubjekte durch Völkerrecht ein weiteres Völkerrechtssubjekt, so wäre es sinnwidrig, wenn dieses neue Rechtssubjekt nicht dem Völkerrecht unterworfen wäre. Die Staaten können sich nicht durch Flucht in eine internationale Organisation ihrer Verpflichtungen entledigen. Ein kollektives opting-out aus dem Völkerrecht gibt es nicht.115 Selbst wenn die Funktionen nicht vollständig von den Staaten auf die Organisation übergegangen sind, die Staaten also Restfunktionen selbst ausüben (können) – wie z. B. Art. 51 VNCh statuiert – gilt der Grundsatz der Funktionsnachfolge.116 112 Union of International Associations (Hrsg.), Yearbook of International Organizations, Band 5, 43. Auflage 2006, München, S. 33. 113 Dies geschieht weiterhin auf staatlicher Ebene, sodass die These vom Ende aller Staatlichkeit unzutreffend ist. Der Staat behält auch in einer globalisierten Welt seine zentrale Stellung. s. dazu Sassen, S. 517 ff. 114 Erwägungsgründe 4 und 10 der Präambel, Hervorhebung durch den Verfasser. 115 Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107 (S. 118); Reinisch, AJPIL 47 (1995), S. 173 (S. 191, 193); Fraas, S. 78 f.; Schreuer, Die Bindung Internationaler Organisationen an völkerrechtliche Verträge ihrer Mitgliedstaaten, in: FS Zemanek, S. 223 (S. 227, 249); Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 160). 116 Schreuer, Die Bindung Internationaler Organisationen an völkerrechtliche Verträge ihrer Mitgliedstaaten, in: FS Zemanek, S. 223 (S. 249).
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Daneben gilt im Völkerrecht der Grundsatz nemo plus iuris ad alium transferre potest quam ipse habet.117 Demnach können Staaten nicht mehr Rechte übertragen, als ihnen selbst zustehen. Deren Völkerrechtsbindung findet ihre Fortsetzung in der Rechtsbindung der von den Staaten geschaffenen Völkerrechtssubjekte. Gegen eine solche Ausstrahlung von Verpflichtungen könnte jedoch die Unabhängigkeit der Vereinten Nationen und des Gerichtshofs sprechen. Sie haben eine eigenständige Rechtspersönlichkeit. Sie können somit eigene Verpflichtungen eingehen und eigene Rechte begründen. Dem würde eine „vererbte“ Rechtsbindung entgegenstehen. Eine solche tabula rasa für internationale Organisationen kann es jedoch nicht geben. Selbst bei Staaten ist dies nicht vollständig gegeben. Neue Staaten müssen sich dem internationalen orde public unterordnen.118 Ein neues Völkerrechtssubjekt existiert nicht im rechtsfreien Raum. Vielmehr ist für ein solches zumindest der Organisationsbereich des Völkerrechts verbindlich. Es ist im Moment der eigenen Entstehung an die Regelungen bezüglich der Entstehung und des Untergangs von Völkerrechtssubjekten, bezüglich der Schaffung neuen Völkerrechts und bezüglich der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit gebunden. Der IGH hat den Gedanken der Funktionsnachfolge in seinem NamibiaI-Gutachten von 1950119 herangezogen, um die Verpflichtung eines Staates gegenüber den VN zu begründen. In dem Gutachten ging es um die Frage, welchen Status das damalige Südwestafrika und welche diesbezüglichen Verpflichtungen Südafrika hatte. Deutschland hatte sich im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg dazu verpflichtet, alle Ansprüche auf überseeische Gebiete fallen zu lassen. In der Folge wurde Südwestafrika gemäß Art. 22 der Völkerbundsatzung Teil des Mandatssystems des Völkerbundes. Das Mandat wurde auf das Vereinigte Königreich und von dessen damaligem König Georg V. an die Südafrikanische Union übertragen. Inhalt des Mandats war die Verwaltung des Gebietes und die Begleitung auf dem Weg in die Unabhängigkeit. Überwacht wurde diese Verwaltung durch den Völ117
Gill, NYIL 26 (1995), S. 33 (S. 82 in Fn. 124); Franck, The Security Council and „Threats to the Peace“, in: R.-J. Dupuy, S. 83; Thallinger, ZaöRV 67 (2007), S. 1015 (S. 1026); Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: Gowlland-Debbas, S. 71 (S. 75 f.). Max Huber im Fall The Island of Palmas (or Miangas), Netherlands v. USA, Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA Vol. II, S. 829 ff. = AJIL 22 (1928), S. 867 ff. (S. 879), spricht davon, dass dieser Grundsatz „self-evident“ sei. 118 Dazu s. Mosler, RdC 140, S. 142. 119 IGH, International Statuts of South-West Africa (Namibia I Gutachten), Gutachten vom 11. Juli 1950, ICJ Reports 1950, S. 128.
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kerbund. Das dem Gutachten zugrunde liegende Rechtsproblem entstand, als der Völkerbund aufgelöst wurde. Die Verpflichtungen des Mandats bestanden weiter – von Südafrika mehr oder weniger anerkannt120 – denn Südafrika fühlte sich nicht mehr an die Berichterstattungspflicht gebunden. So wollte die Regierung insb. der Generalversammlung der VN keinen jährlichen Bericht erstatten. Der IGH konnte den Argumenten nicht folgen. Ausgehend von der Ähnlichkeit zwischen Mandatssystem des Völkerbundes und dem Treuhandsystem der VN zog er den Schluss, dass der Treuhandrat in die Stellung des Völkerbundrates getreten sei. Entscheidend für diesen Übergang war der Gedanke, dass die Verwaltung einer ehemaligen Kolonie internationaler Aufsicht bedarf.121 Die Berichterstattungspflicht entfiel somit nicht, nur weil der Adressat des Berichts nicht mehr existierte. Auch die Tatsache, dass die Mandatsgebiete nicht automatisch Teil des Treuhandsystems wurden, änderte nichts an der Entscheidung des IGH. Da die Staaten mit den VN einen Nachfolger für die Aufgabe der Entkolonialisierung geschaffen haben, konnte die Berechtigung vom Völkerbundrat auf die Generalversammlung übergehen.122 Die Funktionsnachfolge war möglich, weil die Pflicht vor allem das betreute Gebiet betraf. Diesem – und nicht nur dem Völkerbundrat – kamen die Regelungen des Mandats zugute. Eine ähnliche Situation ist auch auf anderen Gebieten vorstellbar. Auch die Einhaltung grundlegender Regelungen des Völkerrechts im Organisationsbereich, vereinzelt auch im Handlungsbereich, liegt im Interesse aller Völkerrechtssubjekte. Eine Entpflichtung des Sicherheitsrats von der Bindung an das fundamentale Völkerrecht ist folglich nicht nur in der Charta nicht enthalten,123 sie wäre auch mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht zu vereinbaren. 9. Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht In einem Strafverfahren sind Menschenrechte besonders relevant. Vor allem das Menschenrecht auf einen fairen Gerichtsprozess ist hier einschlägig. Daneben legen Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 IStGH-Statut die Gerichtsbar120 Vgl. die Auslegung der entsprechenden Stellungnahmen Südafrikas durch den IGH, Namibia I, S. 135 f. 121 Namibia I, S. 136. 122 Vgl. Namibia I, S. 136 f. 123 Bedjaoui, The New World Order and the Security Council, S. 32; Lamb, Legal Limits to United Nations Security Council Powers, in: FS Brownlie, S. 361 (S. 366); ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 42; Arnold, S. 199.
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1. Teil: Die Grundlagen
keit auch für Kriegsverbrechen fest. Wie oben gezeigt, besteht zwischen den menschenrechtlichen und den materiellen Völkerstrafrechtsregelungen, v. a. Art. 8 IStGH-Statut, eine enge Beziehung. In den sechs Jahrzehnten seit Bestehen der Vereinten Nationen rief insb. der Sicherheitsrat immer wieder zur Beachtung dieser beiden Rechtsgebiete auf. Bei schweren Verstößen gegen Menschenrechte ergriff er Maßnahmen nach Kapitel VII, um die rechtmäßige Lage wiederherzustellen.124 In bewaffneten Konflikten rief er immer wieder zur Achtung des Kriegsvölkerrechts auf. Dies gipfelte in der Schaffung der beiden ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda und findet seine Fortsetzung in Res. 1593 (2005). Allein daraus kann zwar noch nicht auf eine Rechtsbindung des Rates geschlossen werden, jedoch ist schwer nachzuvollziehen, wie die Staaten zur Beachtung dieser beiden Regelungsbereiche gebracht werden sollen, wenn derjenige, der sie dazu verbindlich anhält, nicht daran gebunden ist. Dies mag man als rechtspolitisches Argument abtun. Doch durch sein Beharren auf der Beachtung dieser fundamentalen Bereiche des Völkerrechts hat der Sicherheitsrat inzwischen einen Vertrauenstatbestand bei den Vertragsstaaten geschaffen.125 Deshalb können sich die Mitgliedstaaten der VN nun darauf verlassen, dass der Sicherheitsrat nicht mit unterschiedlichen Mindeststandards bezüglich der Menschenrechte handelt. Somit ist der Sicherheitsrat auch an Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht gebunden. Dabei sind jedoch gewisse Einschränkungen anzuerkennen. Dem Sicherheitsrat fehlt die Möglichkeit, die Beachtung beider Rechtsgebiete so sicherzustellen, wie ein Staat es vermag. Auch im Bereich der Menschenrechte gilt es zu bedenken, dass der Rat nur unter bestimmten Voraussetzungen tätig wird, nämlich wenn die Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh erfüllt sind. In den meisten Fällen dürfte es dann auch zu einer beunruhigenden humanitären Situation kommen, in der zahlreiche menschenrechtliche Garantien verletzt werden. Die Konflikte werden zwar nicht immer einen Notstand i. S. d. Art. 4 IPbpR nach sich ziehen und damit zur Supendierung dieser Regelungen führen. Somit ist aber klar, dass die Menschenrechte nicht mit ihrem vollem Inhalt zum Tragen kommen. Als Mindestverpflichtung dürften für den Sicherheitsrat zumindest die notstandsfesten Regelungen der unterschiedlichen Menschenrechtsregime in Betracht kommen. 124 SC Res. 713 und 721 (beide 1991), SC Res. 743 (1992) für das ehemalige Jugoslawien; SC Res. 733, 746, 751, 767, 775, 794 (alle 1992) und SC Res. 814, 837, 886 (alle 1993), SC Res. 897, 923, 954 (alle 1994) für Somalia; SC Res. 841 und 873 (beide 1993), SC Res. 917 und 940 (beide 1994) für Haiti; SC Res. 864 (1993) für Angola, SC Res. 918 und 929 (beide 1994) für Ruanda. 125 Vgl. Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 1 (S. 21). Für den Bereich der Menschenrechte so auch Fraas, S. 82 f.
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Auch wenn die Einordnung von bestimmten Normen als zwingendes Völkerrecht äußerst umstritten ist, so wird man grundlegende Menschenrechte als solches klassifizieren können.126 Zu diesen grundlegenden Menschenrechten gehören das Sklaverei- und Rassendiskriminierungsverbot127 und auch das Gebot eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.128 Fraglich ist, ob sich aus Menschenrechten, die kein ius cogens sind, eine Rechtsbindung ergibt. Eine direkte Bindung an die einschlägigen Verträge kommt dabei nicht in Frage, da die Vereinten Nationen nicht Vertragspartei sind.129 Auch eine Bindung an die gewohnheitsrechtliche Ausprägung erscheint fraglich, wird das Völkergewohnheitsrecht doch grundsätzlich von Staaten geschaffen, um andere Staaten zu binden. Doch sprechen mehrere Gründe für eine Bindung zumindest an o. g. grundlegende Menschenrechte.130 So gilt das gewohnheitsrechtliche Gebot von Treu und Glauben für alle Völkerrechtssubjekte. Der Sicherheitsrat fordert in seinen Resolutionen die unbedingte Einhaltung von Menschenrechten.131 Bei einer solchen Forderung wäre es ein Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn er sich selbst nicht daran halten würde. Seine Autorität und Glaubwürdigkeit wären dahin. Die Vereinten Nationen waren bei der Entwicklung des menschenrechtlichen Standards Vorreiter. Unter ihrer Ägide entstanden die beiden Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Organe der VN haben einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der sie nun nach dem Estoppel-Prinzip bindet.132 Sollten die Organe der Vereinten Nationen nun weit hinter diesen 126
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 145 I 3 (S. 536 f.); Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 174; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 13 Rn. 59; Doehring, Völkerrecht, Rn. 985 ff.; Kadelbach, Jus cogens, Obligations erga omnes and other Rules – The Identification of Fundamental Norms, in: Tomuschat/Thouvenin, S. 21 (S. 30). 127 IGH, Case concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Ltd., Second Phase, ICJ Reports 1970, S. 3 ff., Rn. 34. 128 Doehring, Völkerrecht, Rn. 986. De Wet, S. 371 denkt dieses an, lässt es aber offen. 129 A. A. Gill NYIL 26 (1995), S. 33 (S. 78 f.). 130 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII Rn. 27 f., sehen die Menschenrechte als verbindliche Richtlinien („guidelines“) an. 131 Für die ad-hoc-Tribunale der VN, die Einzelne in besonderem Maße betreffen, SC Res. 808 vom 22. Februar 1993, SC Res. 827 vom 25. Mai 1993, SC Res. 955 vom 8. November 1994; Nolte, Practice of the UN Security Council with respect to Humanitarian Law, in: FS Delbrück, S. 487 (S. 489). 132 Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 201); Fraas, S. 82 f.; Diskussionsbeitrag von De Wet, in: BDGVR 42 (2007), S. 144. Mosler, ZaöRV 36 (1976), S. 6 (S. 45). Vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 164 III 4 (S. 768); Krisch, S. 309.
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Standard zurückfallen, so dürfte dies in der Regel einen Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium darstellen.133 Somit ist der Sicherheitsrat auf mehrere Weisen an Menschenrechte gebunden. Im Bereich des humanitären Völkerrechts ergibt sich zusätzlich eine Rechtsbindung, deren Begründung der Matthews-Rechtsprechung des EGMR ähnelt.134 Die Staaten haben den Sicherheitsrat damit beauftragt, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu schützen. Diese Aufgabe kommt eigentlich den Staaten als geborenen Völkerrechtssubjekten zu. Sie sind an alle Regelungen zur Friedenswahrung und -wiederherstellung gebunden. Dieser Verpflichtung können sie sich nicht entziehen, indem sie diese Aufgabe einer internationalen Organisation übertragen. Es wäre rechtsmissbräuchlich und inkonsequent, wenn die Rechtsunterworfenen einfach ein Organ schaffen, dem sie ihre Aufgabe übertragen und das sie von jeder Rechtsbindung freistellen. Die Flucht in die internationale Organisation wird somit verhindert. Die Organisation übernimmt quasi die Funktionsnachfolge. Die Staaten bleiben weiterhin gebunden, neben sie tritt das neue Völkerrechtssubjekt. Diese Überlegung gilt neben den menschenrechtlichen Regimen vor allem für das humanitäre Völkerrecht. Hier darf der Sicherheitsrat die truppenstellenden Staaten nicht entpflichten.135 Auch hier haben die VN bei den Staaten einen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt, sich an die Regelungen des humanitären Völkerrechts zu halten.136 Dazu dürften in jedem Fall die Regelungen zum Opferschutz in bewaffneten Konflikten zählen, denn diese sind Herzstück des humanitären Völkerrechts; deren Verletzung wird regelmäßig gerügt. Ob dies für die Regelungen der Kriegsführung ebenso gilt, kann jedoch bezweifelt werden. Diese Argumentation kommt im Bereich der Menschenrechte jedoch nicht zum Tragen. Die Staaten haben ihre Aufgabe oder – um die Terminologie zu wahren – ihre Funktion, die Menschenrechte zu wahren, noch nicht in einem so großen Maße an den Sicherheitsrat übertragen, als dass der Zweck der Matthews-Rechtsprechung ohne Weiteres übertragen werden könnte. Die Einhaltung der Menschenrechte ist von so herausragender Be133 De Wet, S. 198–204. Zu diesem Grundsatz Müller/Cottier, Estoppel, EPIL II, S. 116 ff. Im Ergebnis so auch Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 1 (S. 21); Cannizzaro, IOLR 3 (2006), S. 189 (S. 213 ff.). 134 EGMR Matthews v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 18. Februar 1999, EuGRZ 1999, 200. 135 Fraas, S. 77–79; Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107 ff. 136 So v. a. Bulletin des Generalsekretärs zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Truppen der VN, UN Doc. ST/SGB/1999/13. Vgl. De Wet, S. 204 ff.
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deutung für die Staaten, dass sie ihre Aufgaben dahingehend nicht vollständig übertragen. 10. Änderungsbefugnis und Freistellung Eine Bindung des Sicherheitsrates an Völkerrecht außerhalb der Charta kommt nicht in Betracht, wenn die Charta den Sicherheitsrat ausdrücklich entpflichtet bzw. davon freistellt. Eine klare Regelung findet sich aber nicht. Art. 24 und 25 VNCh könnten dahingehend ausgelegt werden. Wie oben gezeigt, ist deren Formulierung jedoch nicht eindeutig genug. Zwar ist die Auslegungsbedürftigkeit Merkmal einer Rechtsnorm. Doch zeigt die Systematik, dass die Schaffung eines rechtlich weniger stark gebundenen Vollstreckungsorgans nicht durch die VNCh erreicht werden sollte. Aus der Charta lässt sich somit kein Blankoscheck herauslesen. Insbesondere sind die VN als Organisation an universelles Gewohnheitsrecht gebunden, was aus den o. g. Gründen hervorgeht. Sollte eines ihrer Organe daran nicht gebunden sein sollen, so müsste dies klar in der Charta bestimmt werden. Dies ist allerdings nicht geschehen. Weiterhin wird angeführt, dass aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Befugnis, Völkerrecht zu ändern, e contrario137 und aus Art. 40 Satz 2138, der dem Sicherheitsrat verbietet, in die Rechtsposition der Staaten einzugreifen, geschlossen werden kann, dass eine Rechtsbindung besteht. Zweifelhaft ist, ob aus der fehlenden Änderungsbefugnis auf eine Rechtsbindung geschlossen werden kann. Nicht jeder zur Änderung Befugte ist auch ungebunden, das zeigt ein Blick auf die Staaten. 11. Zwischenergebnis Der Sicherheitsrat ist auch ohne ausdrückliche Regelung in der Charta an Völkerrecht außerhalb der Charta gebunden. Als Organ des Völkerrechtssubjekts VN ist er an universelles Gewohnheitsrecht gebunden. 12. Rechtsbindung des Sicherheitsrates an das Statut Arbeiten Sicherheitsrat und Gerichtshof zusammen, so ist zu untersuchen, ob der Sicherheitsrat an das Recht des Gerichtshofs gebunden ist. Beispielsweise stellt sich in einem Fall, in dem der Rat eine Situation an den Ankläger überweist, die Frage, ob sich der Sicherheitsrat an die Regelungen des Sta137 138
Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 190). Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 190).
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tuts halten muss. Im Rahmen von Art. 16 IStGH-Statut stellt sich die Frage, ob der Sicherheitsrat die Ermittlungen auch für 24 Monate aussetzen darf. Dem Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt139 zufolge sind die Regelungen des Statuts grundsätzlich rechtlich nicht verbindlich für die Arbeit des Sicherheitsrates. Beide Verträge stehen gleichberechtigt nebeneinander. Eine Bindung an den jeweils anderen Vertrag sehen sie jedenfalls pauschal nicht vor. Einzig für die Staaten, die beide Verträge ratifiziert haben, ergibt sich aus Art. 103 VNCh eine Rangfolge. Andere Hierarchien ergeben sich nicht. So ist insb. nicht vorstellbar, dass die Charta unter dem Statut steht. Da die Charta keinerlei Bezug auf den Gerichtshof nimmt, kann auch keine Bindung an das Statut über die Charta erfolgen. Auch aus allgemeinen Überlegungen kann noch keine Bindung begründet werden. Vorerst muss gelten: Der Sicherheitsrat kann seine Einflussnahme auf den Gerichtshof ausgestalten wie er möchte. Solange er sich an die o. g. Rechtsbindungen hält, ist z. B. eine Ausweitung der Frist in Art. 16 IStGH-Statut auf 24 Monate für die nach der Charta beurteilte Rechtmäßigkeit irrelevant. Eine Einschränkung der Bindung einer rechtmäßigen Resolution nach VNRecht könnte sich dann nur aus dem Statut ergeben. Eine Bindung des Sicherheitsrates an das Statut kann sich jedoch aus zwei anderen Begründungen ergeben. a) Das Relationship Agreement Zum einen ist aus dem Relationship Agreement (RA) eine Bindung zwischen IStGH und VN möglich. Die VN haben in Art. 2 Abs. 1 RA den Gerichtshof als unabhängiges Völkerrechtssubjekt anerkannt. Abs. 3 desselben Artikels hält den Respekt voreinander, insb. bezüglich des Mandats, fest. In Abs. 4 und 9 der Präambel und in Art. 3 a. E. kommt der Respekt vor dem Statut zum Ausdruck, der in Art. 17 Bezug auf die drei Einflussmöglichkeiten, also Art. 13, 16 und 87 des Statuts, nimmt. Insoweit sind den VN und ihren Organen die Regelungen des Statuts bewusst. Mehr noch, sie geben zu erkennen, dass sie sich aus Respekt vor dem anderen Völkerrechtssubjekt in einem Vertrag dazu verpflichten, sich an diese Regeln halten zu wollen. Daraus könnte sich die Bindung des Sicherheitsrates an das Statut ergeben. Problematisch ist dabei, dass das RA nur auf das Statut verweist. Seine Regelungen konkretisieren aber nur die formelle Seite der Überweisung, es regelt also das praktische Vorgehen bei der Überweisung. Allerdings konkretisiert es gerade die Regelungen des Statuts. Erkennt der Sicherheitsrat nun an, dass er an diese Konkretisierungen gebunden ist, dann ist darin not139
Vgl. Art. 34 WVK.
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wendigerweise implizit die Bindung an die grundlegenden Regelungen, die konkretisiert werden, namentlich Art. 13, 16, 87 IStGH-Statut, enthalten. b) Verhalten des Sicherheitsrates Der Sicherheitsrat hat in den Resolutionen, die er an den IStGH gerichtet hat, meist Bezug auf den konkreten Artikel des Statuts genommen.140 Er gab zu erkennen, dass ihm die Regelungen bewusst waren und er diese als Grundlage seines Handelns nimmt. Allerdings hat der Sicherheitsrat in zwei Punkten Regelungen getroffen, die scharf kritisiert worden sind. Dies sind zum einen die Inanspruchnahme der Möglichkeit nach Art. 16 IStGH-Statut, Strafverfolgungsmaßnahmen auszusetzen141 und zum zweiten der Abs. 6 der Res. 1593, mit der die Situation in Darfur an den Gerichtshof überwiesen worden ist. Für Art. 16 IStGH-Statut wurde gefordert, dass bereits Fälle anhängig sind. Dies war damals jedoch nicht der Fall. Die Resolutionen ergingen vielmehr als präventiver Schutz vor einer etwaigen Strafverfolgung durch den IStGH. Bei Res. 1593 Abs. 6 wurde bemängelt, dass die Ausnahme bestimmter Staatsangehöriger von der Gerichtsbarkeit des IStGH nicht zulässig sei. Zumindest bezüglich der Resolutionen 1422, 1487 und 1497 besteht jedoch keine Einigkeit darüber, ob sie tatsächlich nicht dem Statut entsprechen. Insoweit sind diese Resolutionen kein Nachweis dafür, dass den Sicherheitsrat das Statut nicht interessiert. Allein die Auslegbarkeit des Statuts und die kritikwürdigen Resolutionen des Sicherheitsrates ändern aber nichts am gesamten Verhalten des Rates, der insoweit einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und sich somit einseitig verpflichtet hat, das Statut zu beachten. Er nutzt das Regime des IStGH, um seine Aufgaben im Rahmen der Friedenssicherung zu erfüllen. Dazu bedient er sich der Möglichkeiten, die das Statut ihm bietet. In Einzelfällen versuchte er, diese Möglichkeiten zu seinen Gunsten so weit zu dehnen, dass ihm vorgeworfen wurde, sich nicht mehr an das Statut zu halten bzw. dessen Vorgaben nicht freiwillig zu befolgen. Es sei hier noch auf Folgendes hingewiesen: Der Rat hat sich in allen Resolutionen, die Art. 13 und 16 des Statuts betrafen, bezüglich der Frist an die Regelungen des Statuts gehalten. Dies spricht auch dafür, dass der Rat damit die rechtlichen Bindungen, denen der IStGH unterliegt, anerkannt 140 SC Res. 1422 (2002) Abs. 1; SC Res. 1487 (2003) Abs. 1. In Res. 1593 nimmt der Sicherheitsrat keinen Bezug auf Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Die Probleme in diesem Zusammenhang werden im 11. Kapitel unter II. 3. behandelt. 141 SC Res. 1422 (2002), SC Res. 1487 (2003) und SC Res. 1497 (2003).
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1. Teil: Die Grundlagen
hat. Damit ist er bezüglich der Frist gebunden. Als Argument für die Rechtsbindung an das Statut wird weiterhin angeführt, dass die Praxis des Sicherheitsrates eine stillschweigende Rechtsbindung annimmt.142 Eine solche stillschweigende Begründung an sich dürfte jedoch nur schwer herauszulesen sein. In Verbindung mit der obigen Argumentation verstärkt dieses Argument jedoch die Begründung für eine Bindung des Rates an das Statut. c) Ergebnis: Bindung des Sicherheitsrates an das Statut Der Sicherheitsrat ist somit an das Statut gebunden.143 Er hat durch Unterzeichnung des RA und seine Praxis zu erkennen gegeben, dass er die Regelungen als für sich verbindlich akzeptiert.144 Dies hat er von sich aus getan, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein. Dass er versucht, diese zumindest zu dehnen, spricht nicht gegen das Ergebnis. Es mag als Auslegung oder als Versuch, das Statut durch die Praxis der Staaten (wenn sie der Praxis des Rates folgen) zu ändern, angesehen werden. Noch ist dies jedenfalls nicht geschehen. 13. Das Verfassungsargument Nimmt man an, dass die Charta die Verfassung der internationalen Gemeinschaft ist, dann ordnet man das Völkerrecht mehr oder weniger um. Selbstverständlich ergeben sich dann auch – wenn überhaupt – ganz andere Rechtsbindungen für die VN und ihre Organe.145 Ausführungen hierzu können unterbleiben, da die VNCh nach der hier vertretenen Meinung nicht als Verfassung der internationalen Gemeinschaft angesehen wird. 14. Ergebnis: Die Rechtsbindung des Sicherheitsrates Neben den Beschränkungen der Charta ist der Sicherheitsrat an ius cogens, grundlegende Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht gebunden. Dazu kommt, dass er sich selbst verpflichtet hat, das Statut einzuhalten. Zu untersuchen ist demnach später, was die Rechtsfolge einer rechtswidrigen Resolution ist.146 142
Vgl. Reinisch, AJPIL 47 (1995) S. 173 (S. 191 ff.). Im Ergebnis so auch Sarooshi, NYIL 2001, S. 27 (S. 30 f.). 144 Die Regelungen, an die der Sicherheitsrat bei der Überweisung einer Situation gebunden ist, werden im 2. Teil, 4. und 5. Kapitel, behandelt. 145 V. a. Fassbender, UN Security Council reform and the right of veto, S. 129–162. 146 Vgl. 9. Kapitel II. 143
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IV. Die Rechtsbindungen des Gerichtshofs 1. Grundlagen und Relationship Agreement Für den Gerichtshof stellt sich die Frage der Rechtsbindung etwas einfacher dar. Als unabhängige internationale Organisation unterliegt er grundsätzlich nur den Schranken, die der Gründungsvertrag setzt. So ist er insb. nicht an das (Vertrags-)Recht anderer internationaler Organisationen gebunden.147 Einzig wenn der jeweilige konstitutive Vertrag dies vorsieht, kann das Recht einer anderen Organisation bindend sein.148 Daneben kommt hier wie bei der VNCh das ius cogens in Betracht. Mit der oben gegebenen Begründung darf das Römische Statut (RS) nicht gegen zwingende Regelungen des Völkerrechts verstoßen.149 Neben diesen allgemeinen Grenzen legt der Gründungsvertrag in Art. 21 fest, welches Recht anwendbar ist. Art. 21 IStGH-Statut begründet eine klare Hierarchie: Danach sind an erster Stelle das Statut inkl. seiner Verbrechenselemente und der Beweis- und Verfahrensregelungen, an zweiter Stelle, soweit angebracht und anwendbar, völkerrechtliche Verträge, Grundsätze und Regeln des Völkerrechts sowie schließlich an dritter Stelle allgemeine Rechtsgrundsätze aus nationalen Rechtsordnungen heranzuziehen. Für den strafrechtlichen Teil des Völkerrechts bedeutet dies einen eindeutigen Fortschritt gegenüber den Statuten der ad-hoc-Tribunale. Dort fehlte eine solche Hierarchie.150 Auf den ersten Blick ergibt sich somit eine Normenhierarchie mit dem Statut und den daraus abgeleiteten Texten an der Spitze, ihm folgen das allgemeine Völkerrecht und schließlich die Ergebnisse aus der Rechtsvergleichung. Diese auf den ersten Blick klare Einteilung bedarf dennoch einiger Klarstellungen. 2. Verbrechenselemente und Verfahrens- und Beweisregelungen Isoliert betrachtet stellt Art. 21 Abs. 1 das Statut, die Verbrechenselemente und Verfahrens- und Beweisregeln (RPE) auf dieselbe Stufe. Aus Art. 9 Abs. 3 RS für die Verbrechenselemente und aus Art. 51 Abs. 5 RS für die RPE aber wird klar, dass das Statut allein an der Spitze steht. 147 Condorelli/Villalpando, Relationship of the Court with the United Nations, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 219 (S. 221); Herbst, EuGRZ 2002, S. 581 (S. 585); Stahn EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 88); Heselhaus, ZaöRV 62 (2002), S. 907 (S. 910). 148 Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 102); Heselhaus, ZaöRV 62 (2002), S. 907 (S. 910). 149 1. Kapitel IV. 150 Triffterer/McAuliffe deGuzman, ICC-Statute, Art. 21 Rn. 6.
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Art. 21 Abs. 1 lit. a) b) RS setzt nicht Statut und abgeleitete Regelungen in Beziehung, sondern das Strafgerichtshofsrecht mit dem sonstigen Völkerrecht. Er stellt klar, dass das allgemeine Völkerrecht den Anhängen nach und nicht vor geht.151 3. Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht Trotz des merkwürdigen Wortlauts in Art. 21 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut wird davon das Völkergewohnheitsrecht erfasst.152 Die Formulierung erklärt sich mit den Bedenken, die Strafrechtler aufgrund des Grundsatzes nullum crimen sine lege mit dem Begriff „custom“ bzw. „Gewohnheit“ haben.153 Für den IStGH können völkerrechtliche Verträge wichtig sein, bei denen der Gerichtshof keine Vertragspartei ist. Wie gezeigt ist die Charta der VN ein völkerrechlicher Vertrag. Als solcher fällt sie in Art. 21 Abs. 1 lit. b) IStGHStatut. Fraglich ist aber, ob sie nicht für bestimmte Bereiche aufgrund von Art. 13 lit. b), Art. 16 und Art. 87 IStGH-Statut höher als das Statut steht. Das ist der Fall, wenn dies ausdrücklich aus dem Statut hervorgeht. Art. 13 lit. b) und die Artikel, die das Verfahren regeln, geben eine solche Höherrangigkeit aber nicht her. Vielmehr halten sie sich an die Struktur, die Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut vorgibt. So kann der Gerichtshof eine Situation überprüfen, muss aber kein Verfahren einleiten. Die Resolution nach Kapitel VII ist insoweit nur Auslösemechanismus auf derselben Stufe wie lit. a) und c). Die Resolution hat hier also die von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut festgelegte Rechtsfolge, also eine Rechtsfolge auf dem Niveau des Statuts. Die Resolution an sich bleibt als sekundäres VN-Recht, also abgeleitetes Vertragsrecht, auf der Stufe Art. 21 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut. Sie ist am Maßstab des Statuts zu überprüfen. Dies alles, obwohl die VNCh den Gerichtshof eigentlich nicht binden kann, da dieser ja keine Vertragspartei ist.154 Allerdings entsteht auch hier keine Bindung, die für die VN rechtsverbindlich wäre. Denn nach dem pacta-tertiis-Grundsatz ist dies nicht möglich. Das Statut regelt einzig für seinen eigenen Bereich die Hierarchie. Wenn es Regelungen anderer Regime übernimmt, bestimmt es, inwieweit es diese mit oder ohne Einschränkung übernimmt. Zu dieser Filterfunktion insb. von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut folgen später genaue Untersuchungen.155 151 Im Ergebnis ebenso Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1077–1079). 152 Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1071); Triffterer/McAuliffe deGuzman, ICC-Statute, Art. 21 Rn. 13. 153 Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1071). 154 Olásolo, The Triggering Procedure of the International Criminal Court, S. 97. 155 3. Kapitel II.
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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Eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut hat zwar unmittelbareren Einfluss auf eine Situation bzw. einen oder mehrere Fälle vor dem IStGH. Aber auch hier ergibt sich keine Höherrangigkeit der Charta über das Statut. Auch aus Art. 87 IStGH-Statut ergibt sich eine solche nicht. a) Bindung an Sicherheitsratsresolutionen Es bleibt dabei, dass die VNCh und das daraus abgeleitete Recht, insb. die Sicherheitsratsresolutionen, vom Gerichtshof und seinen Organen erst subsidiär zu seinem Statut heranzuziehen sind.156 Dies gilt in dieser Absolutheit jedoch nur für die Regelungen des materiellen Strafrechts. Eine Überweisungsresolution eröffnet bzw. begründet157 die Gerichtsbarkeit erst. Die Bindung an die Sicherheitsratsresolution folgt dabei direkt aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, der das Regime des IStGH für die Regelungen der VNCh öffnet, und nicht aus der VNCh.158 Über den in der Resolution gesetzten Rahmen können sich die Organe des Gerichtshofs nicht hinwegsetzen. b) Urteile internationaler Gerichte Besonderen Anteil an der Ausarbeitung des Völkerstrafrechts haben die Urteile der beiden ad-hoc-Tribunale. Insbesondere das Tadic´-Urteil der Berufungskammer des ICTY vom Oktober 1994 ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen und kommt wohl nur dem Urteil im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess nahe.159 Zu der Frage, ob diese und andere Urteile Teil der Hierarchie von Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut sind, hat sich die PreTrial-Chamber II schon früh geäußert. As to the relevance of the case law of the ad hoc tribunals, the matter must be assessed against the provisions governing the law applicable before the Court. Article 21, paragraph 1, of the Statute mandates the Court to apply its Statute, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence „in the first place“ and only „in the second place“ and „where appropriate“, „applicable treaties and the principles and rules of international law, including the established principles of the international law of armed conflict“. Accordingly, the rules and practice of other jurisdictions, whether national or international, are not as such „applicable law“ before the Court beyond the scope of article 21 of the Statute. More specifically, the law and practice of the ad hoc tribunals, which the Prosecutor refers to, 156
Heilmann, S. 126. Zu dieser Differenzierung s. 3. Kapitel II. insb. 2. und 3. 158 Dazu auch 3. Kapitel II. 3. 159 Alvarez, EJIL 7 (1996), S. 245 (S. 245), spricht von der epischen Bedeutung des Urteils. 157
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1. Teil: Die Grundlagen
cannot per se form a sufficient basis for importing into the Court’s procedural framework remedies other than those enshrined in the Statute.160
Die Urteile sind somit nicht Teil der Hierarchie, obwohl ihr Ursprung in einem völkerrechtlichen Vertrag, der VNCh, liegt. Es ist aber zu erwarten, dass der IStGH die Urteile trotzdem heranzieht. Dogmatisch werden diese dann als Rechtserkenntnisquelle anzusehen sein. Dies dürfte besonders relevant werden, wenn die Kammern des IStGH den Nachweis einer gewohnheitsrechtlichen Norm (ausschließlich) mit einem Verweis auf die Rechtsprechung oder ein konkretes Urteil des ICTY oder ICTR führen. Angesichts der den Urteilen zugrunde liegenden Erfahrung mit Regelungen des humanitären Völkerrechts, der Breite der Rechtsprechung und der (in der Regel) breiten Auswertung der Staatenpraxis durch die Kammern der Tribunale dürfte ein solcher Verweis ausreichen. 4. Allgemeine Rechtsgrundsätze Die Einordnung der allgemeinen Rechtsgrundsätze in lit. b)161 oder c)162 ist umstritten, dürfte aber von geringer Relevanz sein. Bestehen so viele Lücken, dass auf diese zurückgegriffen werden muss – allgemeine Rechtsgrundsätze sind subsidiär zum Vertrags- oder Gewohnheitsrecht und nur heranzuziehen, wenn in diesen Rechtsquellen keine Regelungen zu finden sind163 –, wird dies die letzte Möglichkeit zur Rechtsfindung sein. Hierarchieprobleme bestehen dann nicht. 5. Menschenrechtlicher Vorbehalt als materielle Hierarchie Diese formelle Hierarchie steht unter dem Vorbehalt, dass sie menschenrechtskonform ist, Art. 21 Abs. 3 IStGH-Statut. Sie wird also durch eine materielle Hierarchie ergänzt.164 Diese versteht sich nach der für den Sicherheitsrat gegebenen Begründung165 auch ohne ausdrückliche Regelung im Statut, ist aber aufgrund der Eindeutigkeit zu begrüßen. Auch hierzu hat sich bereits eine Kammer geäußert. 160 Decision on the Prosecutor’s Position on the Decision of Pre-Trial-Chamber II to redact factual Descriptions of Crimes from the Warrants of Arrest, Motion for Reconsideration, and Motion for Clarification, ICC Doc. ICC-02/04-01/05-60 vom 28. Oktober 2005, Rn. 19. 161 Triffterer/McAuliffe deGuzman, ICC-Statute, Art. 21 Rn. 11 ff. 162 Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1073). 163 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 17 Rn. 6. 164 Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1080 f.). Vgl. auch Schabas, Introduction to the ICC, S. 197 f. 165 1. Kapitel III. 7.–9.
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
67
Article 21 (3) of the Statute stipulates that the law applicable under the Statute must be interpreted as well as applied in accordance with internationally recognized human rights. Human rights underpin the Statute; every aspect of it, including the exercise of the jurisdiction of the Court. Its provisions must be interpreted and more importantly applied in accordance with internationally recognized human rights; first and foremost, in the context of the Statute, the right to a fair trial, a concept broadly perceived and applied, embracing the judicial process in its entirety. The Statute itself makes evidence obtained in breach of internationally recognized human rights inadmissible in the circumstances specified by article 69 (7) of the Statute. Where fair trial becomes impossible because of breaches of the fundamental rights of the suspect or the accused by his/her accusers, it would be a contradiction in terms to put the person on trial. Justice could not be done. A fair trial is the only means to do justice. If no fair trial can be held, the object of the judicial process is frustrated and the process must be stopped.166
Vereinzelt wurde die Auflistung der verbotenen Diskriminierungsgründe kritisiert, da bestimmte Diskriminierungsgründe wie die sexuelle Orientierung nicht aufgezählt sind.167 Die Aufzählung ist ausweislich des Wortlauts jedoch nicht abschließend („grounds such as . . .“, „etwa . . .“), deswegen verfängt die Kritik nicht. Es ist weiterhin darauf hinzuweisen, dass das Statut den Maßstab nicht in fundamentalen oder zwingenden Menschenrechten, sondern in allen international anerkannten Menschenrechten sieht.168 Relevant dürfte zum Großteil jedoch nur das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren sein. 6. Ergebnis zur Rechtsbindung des Gerichtshofs Der IStGH ist somit an erster Stelle an sein Recht, dann an das allgemeine Völkerrecht einschließlich der VNCh und der Sicherheitsratsresolutionen und schließlich an allgemeine Rechtsgrundsätze gebunden. Diese alle müssen mit ius cogens und den Menschenrechten vereinbar sein.
V. Der Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt Bereits angesprochen wurde das grundlegende Problem der Untersuchung. Zwei völkerrechtliche Verträge auf derselben Geltungsebene müs166 Judgment on the Appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the Decision on the Defence Challenge to the Jurisdiction of the Court pursuant to article 19 (2) (a) of the Statute of 3 October 2006, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-772 vom 14. Dezember 2006, Rn. 37. 167 Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1081); Triffterer/McAuliffe deGuzman, ICC-Statute, Art. 21 Rn. 24. 168 Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1081).
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1. Teil: Die Grundlagen
sen in Übereinstimmung gebracht werden. Der Grundsatz des effet utile verlangt dabei die größtmögliche Effektivität.169 Beide Verträge schaffen jeweils ein neues Völkerrechtssubjekt. Dessen Rechte und Pflichten ergeben sich zum Großteil aus dem jeweiligen konstitutiven Vertrag. Im System des Völkerrechts stehen sie grundsätzlich unabhängig voneinander. Eine Bindung der einen Entität an die Regelungen der anderen ist nach dem Gewohnheitsrecht ausgeschlossen. Grundlage dafür ist der Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt aus dem römischen Recht.170 Demnach begründet ein Vertrag für eine Nichtvertragspartei ohne deren Zustimmung weder Rechte noch Pflichten.171 Er ist Folge des weiterhin geltenden Konsenserfordernisses im Völkerrecht, das wiederum Folge der Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten ist.172 Für eine Nichtvertragspartei stellen völkerrechtliche Verträge anderer Völkerrechtssubjekte eine res inter alios acta dar.173 Sie entfalten für Nichtvertragsparteien keine Wirkung. Wie aus Art. 5 WVK hervorgeht, gilt der Grundsatz auch für Gründungsverträge internationaler Organisationen.174 Dogmatisch gesehen ist der Grundsatz pacta tertiis Teil des Völkergewohnheitsrechts175 und zwischenzeitlich nach den Vorarbeiten der ILC in Art. 34 ff. WVK und Art. 34 ff. WVKIO kodifiziert worden.176 Der Inhalt 169
Dazu sogleich im 2. Kapitel. Grundlegend für das Völkerrecht der Schiedsspruch im Fall The Island of Palmas (or Miangas), Netherlands v. USA, Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA Vol. II, S. 829 ff. = AJIL 22 (1928), S. 867 ff. (S. 888). ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 30 Rn. 1 (S. 226); Ipsen/ Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 23; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 152 (S. 613 ff.); Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, in: BDGVR 28 (1987), S. 9; Vukas, Treaties, Third-Party Effect, EPIL Online Edition, Rn. 2. 171 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 23. 172 ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 30 Rn. 1 (S. 226); Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, in: BDGVR 28 (1987), S. 9 (S. 18); Hillgruber, Braucht das Völkerrecht eine Völkerrechtswissenschaftstheorie?, in: Jestaedt/Lepsius, S. 113 (S. 115). 173 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 152 I 1 (S. 614); Ruffert, AVR 38 (2000), S. 129 (S. 160); so wohl auch T. Stein, Der Internationale Strafgerichtshof – Start über Stolpersteine, in: FS Fleck, S. 559 (S. 570); Gallant, LeidenJIL 16 (2003), S. 553 (S. 569). 174 Danilenko, ICC Statute and Third States, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1871 (S. 1872). 175 Nachweis bei ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 30 Rn. 2 f. (S. 226). 176 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 23; Danilenko, ICC Statute and Third States, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1871 (S. 1871). Zur WVKIO Klein/Pechstein, S. 9 ff.; Nascimento e Silva, GYIL 29 (1986), S. 68 (S. 71 ff.). 170
1. Kap.: Der Rechtsrahmen
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von Völkergewohnheitsrecht und vertragsrechtlicher Ausgestaltung ist dabei deckungsgleich. Beide Verträge sind in der vorliegenden Untersuchung nicht anwendbar. Weder VN noch IStGH sind Vertragspartei der WVKIO, noch steht ihnen als internationale Organisationen der Beitritt zur WVK offen. Die Ausgestaltung des Grundsatzes und seiner konsensualen Umgehung bzw. seiner Ausnahmen, hängt von der Art der Wirkung auf die dritte Partei ab. Unterschieden werden muss zwischen Verträgen zugunsten und zulasten einer Nichtvertragspartei. Verträge zugunsten einer dritten Partei müssen daraufhin untersucht werden, ob sie ein genuines Recht für diese gewähren wollen. Es kann sich allerdings auch ergeben, dass vielmehr nur tatsächliche Vorteile i. S. e. Reflexwirkung begründet werden.177 Eine Vermutung für die Gewährung von Rechten besteht dabei nicht.178 Ob die einer dritten Partei gewährten Rechte mit Inkrafttreten des Vertrages wirksam werden sollten oder ob eine Annahme durch den Begünstigten erforderlich sein sollte, war in der ILC umstritten.179 Die WVK schafft einen Kompromiss. Nach Art. 36 Abs. 1 S. 1 WVK ist die Zustimmung erforderlich, wird aber vermutet, solange das Gegenteil nicht erkennbar ist.180 Die WVKIO ändert für ihren Bereich die Rechtslage dahingehend, dass die Zustimmung der Organisation erforderlich ist.181 Ein Kompromiss wie in der WVK ist in Art. 36 Abs. 2 WVKIO nicht vorgesehen. Die Annahme der Verpflichtung muss dabei nach den Regelungen der annehmenden Organisation erfolgen. Pflichten kann ein Vertrag für eine dritte Partei nicht begründen.182 Die einzige „Ausnahme“ ist die ausdrückliche Annahme dieser Verpflichtung 177 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 24; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 152 I 3 a (S. 617 f.). 178 StIGH; Case of the Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (Switzerland v. France), Urteil vom 7. Juni 1932, PCIJ Series A/B No. 46, S. 96 (S. 147); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 152 I 1 (S. 614). 179 ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 30 Rn. 4 (S. 226 f.), Art. 32 Rn. 1 ff. (S. 228 f.). 180 Kritik bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 152 I 2 (S. 616). Für Drittstaaten dagegen gilt die Regelungsweise der WVK, vgl. Art. 36 Abs. 1 WVKIO. 181 ILCYB 1982, Vol. II, part II, Draft articles on the law of treaties between States and international organizations or between international organizations with commentaries, Art. 36 Rn. 3 (S. 43); Pernice, ZaöRV 48 (1988), S. 229 (S. 237). 182 ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 31 Rn. 1 (S. 227); Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 26 ff. mit den Ausnahmen und anderen Problemen.
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1. Teil: Die Grundlagen
durch das Völkerrechtssubjekt.183 Dabei stellt die Zustimmung des verpflichteten Staates keine Ausnahme vom pacta-tertiis-Grundsatz, sondern den Rechtsgrund für die Verpflichtung des Drittstaates dar.184 Voraussetzung dafür ist, dass die Vertragsparteien Pflichten begründen wollten.185 Ob man diesen Weg dabei als eigenständigen Vertrag zwischen den Parteien des ursprünglichen Vertrages und dem Drittstaat oder als eine Bindung über eine einseitige Erklärung des Drittstaates auffasst, kann dahinstehen. Die Möglichkeit und der Weg zur Beendigung der Verpflichtung ist nach Art. 37 Abs. 1 WVK bzw. Art. 37 Abs. 1 WVKIO den Parteien anheimgestellt. Es gilt, diese Differenzierung im Hinterkopf zu behalten, um sie an den entscheidenden Stellen anzuwenden. So soll in dieser Untersuchung geprüft werden, wie das Verhältnis durch Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausgestaltet wurde.
VI. Zusammenfassung des Rechtsrahmens Die Beziehungen von Sicherheitsrat und Strafgerichtshof werden vor allem durch die jeweiligen konstitutiven Verträge und das allgemeine Völkerrecht bestimmt. Zugrunde liegender Gedanke ist das Verbot der Verträge zulasten Dritter. Das RA ist für Detailfragen einschlägig, vermag es aber nicht, bestimmenden Einfluss auszuüben. Sowohl die VN, insb. also der Sicherheitsrat, als auch der IStGH sind an Völkerrecht gebunden. Dies ergibt sich aus der vertragsrechtlichen Natur der beiden gekorenen Völkerrechtssubjekte. Der Sicherheitsrat hat zwar sowohl einen sehr weiten Beurteilungspielraum auf der Tatbestandsseite, Art. 39 VNCh, als auch einen sehr weiten Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite, Art. 41 f. VNCh, rechtlich ungebunden kann er jedoch auf keiner Ebene agieren. Er unterliegt im Rahmen seiner Maßnahmenwahl Grenzen im Hinblick auf die Souveränität der Mitgliedstaaten, das zwingende Völkerrecht, die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht. Er ist weiterhin an die Regelungen des IStGH-Statuts gebunden, wenn er den Strafgerichtshof nutzen möchte. Der Gerichtshof ist neben den VN ein selbstständiges Völkerrechtssubjekt, das in seinem Statut die Hierarchie des in diesem Rahmen anwendbaren Völkerrechts festlegt. Regelungen aus anderen völkerrechtlichen Regimen, wie der VNCh und den daraus abgeleiteten Resolutionen des Sicher183 ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 30 Rn. 1 (S. 226). 184 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 26. 185 ILCYB 1966, Vol. II, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, Art. 31 Rn. 1 (S. 227).
2. Kap.: Die Methode
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heitsrates, gelten nur, soweit das Statut dies vorsieht. Die Resolutionen müssen dabei die Grenzen des Statuts einhalten, um verbindliche Wirkungen innerhalb des IStGH-Regimes zu entfalten. Nachdem der anzuwendende Rechtsrahmen erörtert wurde, ist zu klären, wie dieser ausgelegt wird. 2. Kapitel
Die Methode I. Auslegung Nachdem der anzuwendende Rechtsrahmen beschrieben wurde, gilt es die erwähnten Probleme einer juristischen Lösung zuzuführen. Dazu muss zunächst Klarheit über die dabei heranzuziehenden Auslegungsmethoden hergestellt werden. Bei einem Verweis auf Art. 31 WVK, der den gewohnheitsrechtlichen Kanon kodifiziert, kann es nicht bleiben. Wie noch zu zeigen sein wird, ist gerade die Auslegung der VN-Charta problematisch. Die aktuelle Diskussion über den Verfassungscharakter der Charta entzündet erneut – nach der Konferenz von San Francisco 1945 – Streit um die Auslegungsmethoden. Doch auch die Frage nach dem zur Auslegung Berechtigten ist nicht einfach zu beantworten. Hier ist auf das Spannungsverhältnis zwischen der Auslegung durch die Organe und der durch die Mitgliedstaaten einzugehen. Insbesondere die Auslegung der VNCh durch den Sicherheitsrat selbst ist heftig umstritten. Die hieraus folgenden Konsequenzen sind von zentraler Bedeutung für die Einschätzung des Verhältnisses zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem VN-Sicherheitsrat. 1. Ziele und Methoden der Auslegung Ziel der Auslegung ist es, den rechtlichen Gehalt einer Vorschrift zu ermitteln. Die Praxis ist während der täglichen Arbeit an der Anwendung einer Vorschrift im Einzelfall interessiert.186 Dabei bedient sich die Rechts186
Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 32; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 5; Karl, Vertragsauslegung – Vertragsänderung, in: Schreuer, S. 9. Die Unterscheidung ist für die vorliegende Untersuchung insoweit von Bedeutung, als erst bei der Überprüfung der konkreten Resolutionen die Anwendung für den Einzelfall relevant wird.
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1. Teil: Die Grundlagen
wissenschaft187 der wörtlichen, systematischen und teleologischen Methoden,188 die im Völkerrecht gewohnheitsrechtlich gelten und in Art. 31 Abs. 1 WVK kodifiziert sind.189 Demnach ist ein Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zweckes auszulegen“. Diese drei Vorgehensweisen bilden dabei einen einheitlichen Auslegungsvorgang, wie sich u. a. aus der Überschrift des Art. 31 WVK ergibt.190 Abgesehen davon, dass der Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung bildet, kann zwischen ihnen keine Hierarchie bestehen.191 Heute gilt allgemein, dass der Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung setzt. Während früher primär vom Willen der Vertragsparteien ausgegangen wurde,192 ist heute der auszulegende Text Ansatzpunkt einer jeden Auslegung.193 Über den Gehalt des Wortlauts hinaus können die ande187 Zur Anwendung der WVK durch den IGH vgl. Torres-Bernárdez, Interpretation of Treaties by the International Court of Justice following the Adoption of the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, in: FS Seidl-Hohenveldern, S. 721 ff. 188 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 40 f.; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 6 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 II 1 (S. 640 ff.). 189 IGH, Case concerning the Territorial Dispute (Libia v. Chad), Urteil vom 3. Februar 1994, ICJ Reports 1994, S. 6, Rn. 41.; IGH, Case concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Urteil vom 15. Februar 1995, ICJ Reports 1995, S. 6, Rn. 33; IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana v. Namibia), Urteil vom 13. Dezember 1999, ICJ Reports 1999, S. 1045, Rn. 18; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 11; Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 4. Abschnitt Rn. 39; Vitzthum/ Vitzthum, Völkerrecht, 1. Abschnitt Rn. 123; Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL II, S. 1416 (S. 1419); Simma/Ress, UNO-Charter, Interpretation, Rn. 8; Doehring, Völkerrecht, Rn. 327; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 I 4 (S. 639 f.); Cassese, International Criminal Law, S. 17. 190 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 12; Köck, ZaöRV 53 (1998), S. 217 (S. 219); Germer, HarvardILJ 11 (1970), S. 401 (S. 415). 191 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 12; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 II 1 (S. 640); Köck, ZaöRV 53 (1998), S. 217 (S. 219). 192 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 4 f. 193 IGH, Case concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 1. Juli 1994, ICJ Reports 1994, S. 112, Rn. 27; IGH, Sondervotum Richter Spender, Certain Expenses, ICJ Reports 1962, S. 182 (S. 185); Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, S. 83 ff. und S. 91, mit einer eingehenden Analyse; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 58; ders., ZaöRV 27 (1967), S. 491 (S. 496); Brownlie, Principles, S. 631 ff.; Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1347; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstraf-
2. Kap.: Die Methode
73
ren Methoden nicht gehen. Dieser objektive Ansatz erfordert geradezu eine dynamische Auslegung.194 Ein starres Festhalten am reinen, ursprünglichen Willen der Vertragsparteien ist ausgeschlossen.195 Die Motive der vertragsschließenden Parteien sind vielmehr nur zur Unterstützung einer Auslegung geeignet, stellen also nicht das Objekt der Auslegung dar.196 Es sei darauf hingewiesen, dass die folgenden Ausführungen dem institutionellen Teil des Völkerstrafrechts gelten. Die genuinen materiell-strafrechtlichen Regelungen, also Tatbestände und Verbrechenselemente, werden in dieser Untersuchung nur vereinzelt behandelt, da sie das Verhältnis zwischen dem IStGH und dem Sicherheitsrat nicht erhellen können. a) Der Effektivitätsgrundsatz Neben der kodifizierten Auslegungsregel werden Grundsätze herangezogen, die sich aus der teleologischen Auslegung entwickelt und inzwischen gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt haben.197 Einer davon ist insb. bei der Auslegung von Gründungsverträgen internationaler Organisationen relevant. Diese unterliegen gemäß Art. 5 WVK, der insoweit Völkergewohnheitsrecht kodifiziert,198 keinen besonderen Auslegungsregelungen. Ergänrechts, S. 378 ff. mit einer genaueren Auseinandersetzung für das Völkerstrafrecht im Sinne Köcks. 194 IGH, Legal Consequences for States of the continued presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Gutachten vom 21. Juni 1971 (Namibia-Gutachten II), ICJ Reports 1971, S. 16 (S. 31 f.); IGH, Aegean Sea Continental Shelf Case (Greece v. Turkey), Urteil vom 19. Dezember 1978, ICJ Reports 1978, S. 3 (S. 34 f.); IGH, Sondervotum Richter Spender, Certain Expenses, ICJ Reports 1962, S. 182 (S. 185 f.); Ipsen/ Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 21; Martenczuk, S. 52; Doehring, Völkerrecht, S. 394; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 II 1 (S. 641), § 153 IV 1 (S. 649); Herdegen, VanderbiltJTL 27 (1994), S. 135 (S. 152) für die dynamische Auslegung durch den Sicherheitsrat; Kunig, United Nations Charter, Interpretation of, EPIL Online Edition, Rn. 20. 195 Für die VN-Charta ist dieser Punkt nicht zu unterschätzen. Zöge man den ursprünglichen Willen der Vertragsparteien heran, so stünde man vor dem Problem, dass die meisten der heutigen Mitgliedstaaten damals noch gar nicht bestanden oder erst später Mitglied wurden. Ihnen ist nicht zumutbar, sich über die genauen Motive eines jeden Gründungsstaates zu informieren. So auch Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 18; Köck, ZaöRV 53 (1998), S. 217 (S. 230 f.); Doehring, Völkerrecht, S. 394; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 I 2 b (S. 636), die zusätzlich festhalten, dass ein solches Vorgehen gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit verstoßen würde. 196 Vgl. Art. 32 WVK. 197 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 16; Orakhelashvili, MPYBUNL 11 (2007), S. 143 (S. 152). 198 Martenczuk, S. 51; Fraas, S. 13.
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1. Teil: Die Grundlagen
zend wird von der Rechtsprechung und der Literatur die Maxime ut res magis valeat quam pereat herangezogen, die gleichbedeutend mit dem aus dem Europarecht199 bekannten effet-utile-Prinzip ist.200 Danach ist ein völkerrechtlicher Vertrag so auszulegen, dass dessen Geltungsziel und Regelungsgehalt bestmöglich verwirklicht werden; sein Nutzeffekt soll bei Einhaltung von Wortlaut und Systematik möglichst groß sein.201 Nach der Maxime ut res magis soll bei der Auslegung immer diejenige Auslegung zu wählen sein, die am besten geeignet ist, den erkennbaren Zweck des Vertrages zu erreichen.202 Dabei ist zu beachten, dass die effektivste Auslegung nicht immer die weiteste Auslegung ist. Dem Zweck eines Vertrages kann es unter Umständen dienlicher sein, einzelne Vorschriften restriktiv auszulegen.203 199
s. dazu v. a. EuGH, Rs. 9/70 (Leberpfennig), Slg. 1970, S. 825 (S. 838). Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 96; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 16; Herbst, S. 99. 201 IGH, The Corfu Channel Case (UK v. Albania), Preliminary Objection, Urteil vom 25. März 1948, ICJ Reports 1948, S. 15 (S. 23 f.); IGH, Interpretation of Peace Treaties with Bulgaria, Hungary and Romania, Gutachten vom 18. Juli 1950, ICJ Rep. 1950, S. 221 (S. 229); IGH, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Gutachten vom 28. Mai 1951, ICJ Reports 1951, S. 15 (S. 24 f.); IGH, Case concerning Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. USA), Urteil vom 27. August 1952, ICJ Reports 1952, S. 176 (S. 197 f.); IGH, Sondervotum Richter Spender, Certain Expenses, ICJ Reports 1962, S. 182 (S. 185 f.); Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 10, 16 m. w. N.; Herdegen, Völkerrecht, § 15 Rn. 32 f.; Delbrück, VRÜ 1993, S. 6 (S. 18); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/2, § 106 I 1 c (S. 218); Makarczyk, The International Court of Justice on the Implied Powers of International Organizations, in: FS Lachs, S. 501 ff., mit einer eingehenden Darstellung der Rechtsprechung. Für den IStGH Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 162; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 381 f.; Schachter, The UN legal order: an overview, in: Joyner, S. 3 (S. 10); Orakhelashvili, MPYBUNL 11 (2007), S. 143 (S. 152); Krieger, S. 74 f.; Hilf/Hörmann, Effektivität – Ein Rechtsprinzip?, in: FS Tomuschat, S. 913 (S. 932). 202 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 88 f. m. w. N.; Klein. Statusverträge im Völkerrecht, S. 333 f.; Taki, Effectiveness, EPIL Online Edition, Rn. 1. 203 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 92; Fastenrath, S. 186 f. Die von Bernhardt auf S. 96 f. vorgenommene Einschränkung auf den Vertragszweck gilt heute noch. Nach Bernhardt, ebd., konnte nicht angenommen werden, dass beim Stand der damaligen internationalen Ordnung „regelmäßig eine vollständige, in jeder Hinsicht sachgerechte und ‚effektive‘ Regelung“ durch einen Vertrag erfolgen sollte. Das heutige Völkerrecht ist auf dem Weg zum Kooperationsrecht zwar weiter, vgl. Ipsen/Ipsen, Völkerrecht, Vorwort der 4. und 5. Auflage; Ruffert, AVR 38 (2000), S. 129 (S. 129). Eine vollständige Regelung des Völkerstrafrechts ist aber auch durch das IStGH-Statut nicht erfolgt, vgl. unten 3. Kapitel II. Insoweit bleibt es bei der Einschränkung, dass der Vertragszweck möglichst effektiv verwirklicht werden soll. 200
2. Kap.: Die Methode
75
Schon der Ständige Internationale Gerichtshof hat dieses Prinzip als erkenntnisleitend anerkannt.204 Auch die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen durch den IGH wird vom effet-utile-Gedanken, den der IGH als „principle of effectiveness“ bezeichnet, getragen.205 In der Literatur wird das Effektivitätsprinzip unproblematisch als ein Aspekt der teleologischen Auslegung angesehen.206 204 StIGH, Competence of the ILO in regard to International Regulation of the Conditions of the Labour of Persons Employed in Agriculture, Gutachten vom 12. August 1922, PCIJ Series B, No. 2, S. 31 ff.; StIGH, Case of the S. S. „Wimbledon“, Urteil vom 17. August 1923, PCIJ Series A, No. 1 (1923) S. 24 f.; StIGH, German Settlers in Poland, Gutachten vom 10. September 1923, PCIJ Series B, No. 6, S. 25 ff.; StIGH, Acquisition of Polish Nationality, Gutachten vom 15. September 1923, PCIJ Series B, No. 7, S. 16 f.; StIGH, Competence of the ILO to Regulate Incidentally the Personal Work of the Employer, Gutachten vom 13. Juli 1926, PCIJ Series B, No. 13, S. 19; StIGH, Case of the Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex, Beschluss vom 19. August 1929, PCIJ, Ser. A., No. 22, S. 13; StIGH, Lighthouses Case between France and Greece, Urteil vom 17. März 1934, PCIJ Series AB, No. 62, S. 27; StIGH, Minority Schools in Albania, Gutachten vom 6. April 1935, PCIJ Series AB, No. 64, S. 182. 205 IGH, The Corfu Channel Case (UK v. Albania), Preliminary Objection, Urteil vom 25. März 1948, ICJ Reports 1948, S. 15 (S. 23 f.); IGH, Interpretation of Peace Treaties with Bulgaria, Hungary and Romania, Gutachten vom 18. Juli 1950, ICJ Reports 1950, S. 221 (S. 229); IGH, International Statuts of South-West Africa, Gutachten vom 11. Juli 1950, ICJ Reports 1950, S. 128, Diss. Op. Richter de Visscher, S. 186 (S. 187); IGH, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Gutachten vom 28. Mai 1951, ICJ Reports 1951, S. 15 (S. 24 f.); IGH, Case concerning Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. USA), Urteil vom 27. August 1952, ICJ Reports 1952, S. 176 (S. 197 f.); IGH, Case concerning the Aerial Incident of July 27th, 1955 (Israel v. Bulgaria), Preliminary Objections, Urteil vom 26. Mai 1959, ICJ Reports 1959, S. 127; Sondervotum Richter Spender, Certain Expenses, ICJ Reports 1962, S. 182 (S. 185 f.); IGH, Case concerning the Territorial Dispute (Libyan Arab Jamahiriya v. Chad), Urteil vom 3. Februar 1994, ICJ Reports 1994, S. 3, Rn. 51; IGH, South West Africa Cases (Ethiopia and Liberia v. South Africa), Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Reports 1966, S. 6, Rn. 91; IGH, Case concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 15. Februar 1995, ICJ Reports 1995, S. 6, Rn. 40; IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, S. 66, Diss. Op. Richter Weeramantry, ebd, S. 101 (S. 148); IGH, Fisheries Jurisdiction (Spain v. Canada), Jurisdiction of the Court, Urteil vom 4. Dezember 1998, ICJ Reports 1998, S. 432, Rn. 52. 206 Ausführlich zu dem Prinzip H. Lauterpacht, BYIL 26 (1949), S. 48 (S. 67 ff.), der dem Effektivitätsgrundsatz den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes einräumt (S. 83). Für eine Einordnung in die teleologische Auslegung Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1349; Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 1. Abschnitt Rn. 123 f., 4. Abschnitt Rn. 39 f.; Vitzthum/Hailbronner, Völkerrecht, 3. Abschnitt Rn. 12; Schweisfurth, Völkerrecht, 4. Kapitel Rn. 97, 10. Kapitel Rn. 64 ff. Den Grundsatz ohne Einordnung bejahend Simma/Ress, UNO-Charter,
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1. Teil: Die Grundlagen
Von der ut-res-magis-Maxime ist die implied-powers-Lehre zu unterscheiden. Dieses aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende Institut erweitert dabei die Kompetenzen der jeweiligen Organisation. Selbst wenn der auszulegende Vertrag zu einem Bereich schweigt, kann dieses Prinzip deren Zuständigkeit für eben diesen Bereich begründen.207 Der effet-utileGrundsatz ist dagegen nicht auf die Kompetenzerweiterung beschränkt. Er setzt am Wortlaut des Vertrages an und regelt die Auslegung des geschriebenen Vertragstextes. Dabei ist die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes i. S. d. IGH-Rechtsprechung auf Gründungsverträge internationaler Organisationen möglich. Sie ist nicht etwa nur auf das Europarecht beschränkt.208 Schermers/Blokker209 sind – soweit ersichtlich – die Einzigen, die diese Problematik diskutieren210 und in der Folge ablehnen. Ansatzpunkt für eine differenzierte Betrachtung sei der fundamentale Unterschied zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den Vereinten Nationen.211 Dieser würde vor allem in der fundamental anderen „interpretative function“ von EuGH und IGH bestehen. Ihrer Meinung nach besteht dieser Unterschied jedoch nicht, da sich beide Gerichte in ihrer Hauptaufgabe, der Auslegung des entsprechenden Gründungsvertrages, sehr ähneln. Somit sei das effet-utile-Prinzip auch auf andere Gründungsverträge anwendbar.212 Schermers/Blokker ist beizupflichten. Ergänzend kommt es für die Geltung des effet-utile-Prinzips auch nicht auf die Integrationsdichte oder -tiefe einer Gemeinschaft an. Entscheidend ist vielmehr, dass der Vertrag einer Auslegung bedarf, die dessen Geltungsziel und Regelungsgehalt bestmöglich verwirklicht, wobei Wortlaut und Systematik eingehalten werden.213 Ob die Staaten diese Auslegung gewollt haben, muss im Vertragstext wenigstens angedeutet sein. Dabei spielt vor allem der Vertragszweck eine Rolle.214 Eine solche Auslegung der Interpretation, Rn. 35; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 16; Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, S. 49 ff.; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 88 ff.; M. Bos, NILR 27 (1980), S. 135 (S. 142); Hilf/Hörmann, Effektivität – Ein Rechtsprinzip?, in: FS Tomuschat, S. 913 (S. 929). 207 IGH, Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 174 (S. 182). 208 Zu dieser Problematik Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1350. 209 Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1350. 210 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 336; Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 4. Abschnitt, Rn. 40, betont, wie wichtig das effet-utile-Prinzip für integrierende bzw. stark integrierte Gemeinschaften ist. 211 Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1350. 212 Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1350. 213 s. o. Fn. 201.
2. Kap.: Die Methode
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VNCh ist durch die Mitgliedstaaten gewollt. Die Ziele der VN kommen bereits in der Präambel zum Ausdruck. Vor allem sollen die Staaten und ihre Bürger vor der Geißel des Krieges bewahrt werden. Der Weltfrieden und die internationale Sicherheit sind Rechtsgüter der Charta. Zu ihrem Schutz geben die Staaten Kompetenzen an den Sicherheitsrat ab (Art. 24 Abs. 1 VNCh). Für so überragend wichtige Schutzgüter muss ein effektives System bestehen. Die Präambel des Römischen Statuts knüpft an diese beiden Schutzgüter an. Fast wörtlich wird das Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 VNCh zitiert. Eindringlich wird an die Millionen Toten der Kriege des 20. Jahrhunderts erinnert. Auch hier werden die zentralen Rechtsgüter der internationalen Gemeinschaft als Schutzgut beschworen. Die Effektivität des Gerichtshofs nimmt die Präambel in Erwägungsgrund 4 wörtlich auf: „effective prosecution“. Andere Erwägungsgründe stützen dieses Ergebnis.215 Somit gibt es auch hier das Bedürfnis nach einer effektiven Auslegung. Der Effektivitätsgrundsatz als Teil der teleologischen Auslegung leitet die Auslegung der in Frage kommenden Rechtstexte folglich dahingehend, dass bei Einhaltung von Wortlaut und Systematik die Auslegung zu wählen ist, die das Geltungsziel und den Regelungsgehalt der Vorschrift bestmöglich erreicht. Die Grenze der effektiven Auslegung ist der Wortlaut. Er bildet die äußerste Grenze der möglichen Wirksamkeit.216 Dies betont auch der Internationale Gerichtshof immer wieder. Lücken im Vertrag schließt dieser nicht durch die effektive Auslegung, da er anderenfalls als Normgeber auftreten würde.217 Zur Lückenschließung muss der Vertragszweck aus dem Vertragstext hervorgehen.218 Die ut-res-magis-Maxime wird auch nicht von der Souveränität der Staaten eingeschränkt.219 Die in-dubio-mitius-Regel, wonach bei Vertragsbestimmungen, welche die staatliche Gestaltungs- oder Entscheidungsfreiheit einschränken, restriktiv auszulegen ist, hat sich nicht durchsetzen können.220 214 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 89 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des StIGH. 215 Vgl. Präambel Erwägungsgründe 5 und 11. 216 Vgl. nur Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 16; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 381. 217 So schon IGH, Interpretation of Peace Treaties with Bulgaria, Hungary and Romania, Gutachten vom 18. Juli 1950, ICJ Reports 1950, S. 221 (S. 229). 218 StIGH, Competence of the ILO in regard to International Regulation of the Conditions of the Labour of Persons Employed in Agriculture, Gutachten vom 12. August 1922, PCIJ Series B, No. 2, S. 23. 219 Für Gründungsverträge internationaler Organisationen ebenso Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, S. 97. 220 Grundlegend H. Lauterpacht, BYIL 26 (1949), S. 48 (S. 56 ff.).
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1. Teil: Die Grundlagen
Rudolf Bernhardt hat bereits 1962 die Tendenz im Schrifttum und in der Rechtsprechung nachgewiesen, diese Maxime zurückzuweisen.221 Die völkerrechtliche Rechtsprechung lässt diese Beschränkung nur zu, wenn die territoriale Souveränität betroffen ist.222 Sie hat keinen Eingang in die WVK gefunden. Im Gegenteil, ihre Auslegungsergebnisse dürften regelmäßig den teleologischen Auslegungsergebnissen widersprechen.223 Nur wenn der Zweck durch restriktive Auslegung bestmöglich erreicht werden kann, fallen das effet-utile und das in-dubio-mitius-Prinzip zusammen. Eine Souveränitätsverletzung ist weiterhin ausgeschlossen, da der Staat durch den Vertragsschluss in die Beschränkung seiner domaine réservé eingewilligt hat.224 Den Bereich seiner ausschließlichen Zuständigkeit hat der betreffende Staat gegenüber dem Völkerrecht geöffnet. Somit kann die indubio-mitius-Regel nur subsidiär angewandt werden, wenn andere Auslegungsmethoden keine Klarheit über das Vereinbarte schaffen.225 Die möglichst effektive Auslegung der Verträge ist der neuralgische Punkt der vorliegenden Untersuchung. Wenn beide Verträge ihre volle Wirksamkeit verlangen, können sie sich im Extremfall entgegenstehen. Ein Beispiel für diese mögliche Konstellation ist Art. 16 IStGH-Statut, der den Konfliktfall regelt. Ist die Entscheidung gefallen, dass die Strafverfolgung politische Prozesse behindert, so kann der Sicherheitsrat die Strafverfolgungsmaßnahmen für einen Zeitraum von zwölf Monaten aussetzen. Hier ist die größtmögliche Effektivität beider Regime gewahrt. Zwar tritt die Effektivität der Strafverfolgung kurzfristig hinter außerrechtliche Aspekte zurück, dies ist im Statut auch so angelegt. Ob damit aber die langfristige Effektivität der Strafverfolgung überhaupt beeinträchtigt ist, oder ob nicht vielmehr eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut die dauernde Effektivität nicht erst begründet, ist ungeklärt. Die vorliegende Untersuchung versucht, im Stadium der Verfahrenseinleitung eine möglichst große Effektivität auf beiden Seiten zu erreichen. Verlangt wird, dass beide Akteure möglichst effektiv zusammenarbeiten können. Entscheidend ist somit das rechtliche Dürfen. Die Frage nach dem politischen Durchsetzungswillen ist hier nicht zu beantworten. Wie im Völkerrecht üblich, bleibt dies den Politikwissenschaftlern überlassen. Beson221
Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 143 ff. Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 155 f.; weitere Nachweise bei Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 337. 223 Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, S. 97. 224 Am deutlichsten bei StIGH, Jurisdiction of the European Commission of the Danube between Galatz and Braila, Gutachten vom 8. Dezember 1927, PCIJ Series B, No. 14, S. 6 (S. 36). H. Lauterpacht, BYIL 26 (1949), S. 48 (S. 60); Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, S. 51 ff. 225 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 155 f. 222
2. Kap.: Die Methode
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ders problematisch wird die effektive Auslegung daher, wenn darüber entschieden werden muss, welche Situation überprüft werden soll, welche Personen oder welcher Zeitraum der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen soll und welche Rechtswirkungen die Akte einer Institution auf die andere haben. Während der Sicherheitsrat seine Hauptverantwortung weiterhin wahrnehmen will und wird, wird der Strafgerichtshof auf seiner richterlichen Unabhängigkeit beharren. Die Geltung des effet-utile-Prinzips steht für die Primärrechtsquellen fest. Denn an der Einordnung von VN und IStGH als internationale Organisationen i. S. d. Völkerrechts kann kein Zweifel bestehen. Für die VN hat der IGH bereits sehr früh die Völkerrechtssubjektivität als internationale Organisation anerkannt.226 Für den Gerichtshof begründet Art. 4 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut die Rechtspersönlichkeit. Auch nach den gewohnheitsrechtlichen Kriterien erfüllt der Gerichtshof alle Voraussetzungen, um sich als internationale Organisation zu qualifizieren. Das Völkergewohnheitsrecht fordert vier Merkmale. So müssen mindestens zwei Völkerrechtssubjekte auf dem Gebiet des Völkerrechts eine auf Dauer angelegte Vereinigung gründen, die mit selbstständigen Aufgaben betraut und mit mindestens einem handlungsfähigen Organ ausgestattet ist.227 Vor allem die Spruchkörper des Gerichtshofs nehmen ihre Aufgabe der Völkerstrafrechtsverfolgung selbstständig wahr. Der Gerichtshof wird dabei unabhängig vom Willen der Mitgliedstaaten tätig. Somit ist der IStGH eine internationale Organisation i. S. d. Völkerrechts.228 Bei der Auslegung der Verträge als Primärrechtsquellen ist somit diejenige Auslegung zu wählen, die bei Einhaltung von Wortlaut und Systematik die bestmögliche Wirksamkeit von Geltungsziel und Regelungsgehalt verwirklicht.
226 IGH, Reparation for Injuries suffered in the Service of the United Nations (Bernadotte-Gutachten), Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 174 ff. 227 Ipsen/Epping, Völkerrecht, § 6 Rn. 2; Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, EPIL Online Edition, Rn. 1. Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 32–45; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 0105, die zusätzlich noch fordern, dass die Staaten zumindest teilweise auf die Ausübung ihrer Souveränität verzichten. In der Abgabe der Strafgewalt liegt eine solche vor. Der nach Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/2, § 105 I 3 (S. 210 f.), erforderliche Wille der Mitgliedstaaten, der Organisation Völkerrechtssubjektivität zuerkennen zu wollen, ergibt sich regelmäßig durch die Aufgabenzuweisung, vgl. Dahm/ Delbrück/Wolfrum, ebd. 228 So auch Mangold, S. 209; Pellet, Applicable Law, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1051 (S. 1053).
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1. Teil: Die Grundlagen
b) Die Flankierungsfunktion Das Völkerstrafrecht ist vor allem ein Rechtsgebiet, das den Menschenrechtsschutz im weitesten Sinne flankiert.229 Es stellt einen Durchsetzungsund Abschreckungsmechanismus zum Schutze der völkerrechtlichen Rechte des Individuums dar, wie sie in internationalen und regionalen Menschenrechtsregimen verankert sind.230 Dort und im gleichlautenden Gewohnheitsrecht haben sich Rechte entwickelt, die sowohl im bewaffneten Konflikt – sei er international, sei er innerstaatlich – als auch in anderen Situationen gefährdet und verletzt werden können. Geschehen diese Verletzungen in besonders großem Ausmaß, so kommen vor allem die Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Straftatbestände in Betracht. Das Völkerstrafrecht hat an dieser Stelle eine repressive Funktion, wie sie auch aus dem innerstaatlichen Strafrecht bekannt ist. Die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten kann durch das Strafrecht unterstützt werden. Es kann gezielt gegen diejenigen vorgegangen werden, die menschenrechtliche Garantien verletzen. Neben den Grundsätzen der völkerrechtlichen (Staaten-)Verantwortlichkeit wird so auf Rechtsbrüche reagiert. Daneben kommen auch spezial- und generalpräventive Gedanken zum Zuge. In den letzten Jahren hat die Staatengemeinschaft zu erkennen gegeben, das Völkerstrafrecht ernster zu nehmen als in den Jahren seit 1945. Auch wenn nicht alle möglichen Fälle bearbeitet werden, besteht seit 1993 nicht mehr die Sicherheit, mit Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts ungestraft davon zu kommen. Diese Flankierungsfunktion hat sich jüngst in Uganda gezeigt. Ohne die Drohung einer strafrechtlichen Verfolgung wäre das Abkommen zwischen Regierung und Rebellen im Februar 2008 wohl nicht zustande gekommen. Ob und wie sich die Strafverfolgung vor dem IStGH auf die sudanesische Zentralregierung auswirken wird, bleibt abzuwarten. Neben dem Schutz der Menschenrechte dient das Völkerstrafrecht der Durchsetzung des humanitären Völkerrechts. Hier stellen die Strafnormen in Art. 129 f. GK III, Art. 146 f. GK IV und im Gewohnheitsrecht einen 229 Pocar, The Rome Statute and Human Rights, in: Politi/Nesi, ICC, S. 67 (S. 68–73); Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 447. 230 Pocar, The Rome Statute and Human Rights, in: Politi/Nesi, ICC, S. 67 (S. 68–73); Triffterer, The Preventive and the Repressive Function, in: Politi/Nesi, ICC, S. 137 ff.; Spieker, Comment, GYIL 45 (2002), S. 109 (S. 110 f.). Bothe, Durchsetzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts – ein Paradigmenwechsel?, in: Marauhn, S. 115 (S. 128), sieht die Abschreckungsfunktion allerdings als faktisch nicht gegeben an. Bassiouni, JICJ 4 (2006), S. 421 (S. 426) und Rodman, HRQ 30 (2008), S. 529 (S. 546 ff.), verneinen die Abschreckungswirkung im Hinblick auf den Darfur-Konflikt bis zum Jahr 2006 bzw. 2008.
2. Kap.: Die Methode
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dazu etablierten Mechanismus dar.231 Auch wenn diese Regelungen dem Wortlaut nach nicht unmittelbar eine Strafbarkeit nach Völkerrecht begründen, sind Sinn und Zweck offensichtlich. Selbst wenn den Individuen im humanitären Völkerrecht die partielle Völkerrechtssubjektivität abgesprochen und somit ihr Schutz nur über das Interesse der Staaten an der Einhaltung der Kriegsführungsregeln sichergestellt wird,232 ist auch dann eben dieser Schutz Sinn und Zweck der Normen. Die Entwicklung vom völkerrechtlichen Strafauftrag an die Vertragsparteien hin zum genuin völkerrechtlichen Strafrecht hat diesen Schutz im Völkerrecht somit auf eine sekundäre Ebene, neben die eigentlichen Verbotsnormen auf der primären Ebene, ausgedehnt. Nunmehr hat auch das Völkerstrafrecht bezüglich der Kriegsverbrechen sowohl repressive als auch präventive Funktion.233 Diese Doppelfunktion findet sich auch im Statut wieder; im sechsten Erwägungsgrund der Präambel und in Art. 18 ist von beiden Richtungen die Rede. Die Flankierungsfunktion des Völkerstrafrechts verstärkt das Ergebnis, dass die Texte dynamisch auszulegen sind. Denn die beiden Rechtsbereiche, sowohl die Menschenrechte als auch das humanitäre Völkerrecht, unterliegen einer rasanten Entwicklung. Die Bedeutung einzelner Worte kann sich verändern, Begriffe unterliegen einer Bedeutungsevolution. Nur wenn die vertraglich vereinbarten Regelungen dynamisch und evolutiv ausgelegt werden, kann der Vertragszweck bestmöglichst erreicht werden.234 Somit kommt der teleologischen Auslegungsmethode, ergänzt durch das effetutile-Prinzip und den Grundsatz der dynamisch-evolutiven Auslegung, besonderes Gewicht zu. Aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes kann dieses Ergebnis nicht unverändert auf das materielle Strafrecht übertragen werden. Gemäß dem Ziel dieser Untersuchung bleiben jedoch materiell-stafrechtliche Überlegungen am Rande. c) Die Auslegung mehrsprachiger Verträge Multilaterale Verträge werden oft in zwei oder mehr Sprachen geschlossen. Der authentische Text liegt somit in verschiedenen Versionen vor. 231 Fleck/Wolfrum, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Rn. 1207–1213 zu den Durchsetzungsmechanismen, insb. dem nationalen und internationalen Strafrecht. 232 Vgl. Ipsen/Ipsen, Völkerrecht, § 67 Rn. 4. 233 Triffterer, The Preventive and the Repressive Function, in: Politi/Nesi, ICC, S. 137 ff. 234 Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 381; Schabas, Introduction to the ICC, S. 198.
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1. Teil: Die Grundlagen
Nach der gewohnheitsrechtlichen Regelung, die in Art. 33 Abs. 1 WVK kodifiziert wurde,235 sind alle Sprachen gleichermaßen verbindlich. Nach der Vermutung in Art. 33 Abs. 3 WVK haben die jeweiligen Sprachfassungen dieselbe Bedeutung. Leitend sind nach Art. 33 Abs. 4 WVK auch hier Ziel und Zweck des Vertrages. Sie spielen bei der Auslegung der verschiedenen Sprachfassungen die entscheidende Rolle.236 Somit ist bei der Auslegung von allen verbindlichen Wortlauten auszugehen, auch wenn die (Verhandlungs-)Praxis sich auf die englische und französische Fassung beschränkt. Im Falle der VN-Charta sind gemäß Art. 111 die chinesische, französische, russische, englische und spanische Fassung maßgebend. Das IStGH-Statut ist zusätzlich noch in arabischer Sprache verbindlich (Art. 128). Neben den eigentlichen Vertragstexten sind die Vorarbeiten eines Vertrages Hilfsmittel bei der Auslegung, Art. 32 WVK. Darunter fällt auch die Urfassung eines Vertragstextes. Gerade bei der Gründung einer internationalen Organisation sind regelmäßig zwar viele Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich. Die tägliche Arbeit findet aber nur an einer oder zwei Sprachfassungen – dem Urtext – statt.237 Diesem Urtext kommt somit grundsätzlich keine besondere Bedeutung gegenüber den verbindlichen Fassungen zu.238 Doch subsidiär kann der Urtext die im Rahmen von Art. 31 WVK gefundene Auslegung stützen oder bei einer mehrdeutigen Auslegung nach Art. 31 WVK Klarheit bringen.239 Für das Statut sind – in Ermangelung anderer Arbeitsversionen – die englische Fassung des Statuts und der Urtext von herausragender Bedeutung. Alle Entwürfe liegen ausschließlich in dieser Sprachfassung vor, da die Arbeitssprache auf den Konferenzen Englisch war. Andere Sprachfassungen wurden erst nach der Annahme des endgültigen Textes im Juli 1998 angefertigt.240 Sie folgen der materiellen Einigung nach und sind somit bloße Übersetzungen der englischen Fassung.241 Bei der Auslegung der entscheidenden Artikel wird in dieser Untersuchung daher auf diese Sprachfassung zurückgegriffen.242 235
Hilf, S. 49; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 22. IGH, LaGrand, Rn. 101; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 22. 237 Hilf, S. 37. 238 Hilf, S. 88 ff. m.w.N. 239 So wohl auch Hilf, S. 90 f. 240 Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 145). 241 Vgl. Hilf, S. 37, 43; Wood, MPYBUNL 2 (1998), S. 73 (S. 88). 242 Die in dieser Untersuchung verwendete deutsche Version ist die amtliche Übersetzung, abgedruckt in BGBl. 2000 II, 1394. 236
2. Kap.: Die Methode
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2. Methodische Besonderheiten bei der Auslegung der VN-Charta Grundsätzlich unterliegt die Charta als völkerrechtlicher Vertrag den genannten Auslegungsregeln.243 Einer immer stärker vertretenen Ansicht nach soll die Charta jedoch kein Vertrag wie jeder andere sein. Selbst unter den rechtsetzenden Verträgen244 nehme sie eine solche Sonderstellung ein, dass sie als Verfassung der Staatengemeinschaft bezeichnet wird.245 Auch wenn die Diskussion um die Verfassungsqualität der Charta in den letzten Jahren besonders intensiv geführt wird, ist die Idee nicht neu.246 Schon von Gründung der VN an sahen Autoren in der Charta die Verfassung(surkunde) der Staatengemeinschaft oder sogar der internationalen Gemeinschaft. Vor allem kontinentaleuropäische (insb. deutsche) und US-amerikanische Juristen beschäftigen sich mit dieser Frage.247 Vertreter dieser Ansicht verbinden mit dieser Bezeichnung nicht nur politische oder symbolische Wertungen. Nach dieser Lesart soll die Charta die grundlegenden Regelungen und Werte der Völkerrechtsgemeinschaft festlegen. Daraus ließen sich dann auch handfeste juristische Konsequenzen ziehen: Vorgeschlagen wurde eine „verfassungsrechtliche“ Auslegung der Charta.248 243 IGH, Certain Expenses of the United Nations (Art. 17 II of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 (S. 157); Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 4. Abschnitt Rn. 39; Verdross/Simma §§ 270, 275; Conforti, The Law and Practice, S. 10, 12 f.; Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charter, in: FS Mosler, S. 891 (S. 892 f.); Fraas, S. 12 f.; Martenczuk, S. 52 f. Vgl. auch Art. 5 WVK, der Ausdruck des Gewohnheitsrechts ist, Martenczuk, S. 51; Fraas, S. 13. 244 Zu den rechtsetzenden und den gegenseitigen Verträgen s. Doehring, Völkerrecht, Rn. 329 ff. 245 Vehement für eine solche spricht sich v. a. Fassbender aus. Vgl. ders., UN Security Council reform and the right of veto; ders., ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 ff.; ders., Grund und Grenzen der konstitutionellen Idee im Völkerrecht, in: FS Isensee, S. 73 ff.; Tomuschat, AVR 33 (1995); S. 1 ff.; Simma, RdC 250, S. 217 (S. 262); Frowein, RdC 248, S. 345 (S. 355 ff.); Habermas, Konstitutionalisierung, S. 157 ff. Sympathisierend auch Krisch, S. 310 f. 246 Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, der zwar nicht auf die VNCh abstellt, aber den Verfassungsgedanken ins Völkerrecht einführt. 247 Fassbender, ColJTL 36 (1998), S. 529 (S. 532 ff.) vermutet, dass dies v. a. an der Verfassungsvielfalt Europas und insb. in Deutschland an den vielen verfassungsrechtlichen Entwicklungen in kurzer Zeit liege. Vgl. auch Paulus, ZaöRV 67 (2007), S. 695 ff. 248 Fassbender, UN Security Council reform and the right of veto, S. 131 ff.
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1. Teil: Die Grundlagen
Die Befürworter der Verfassungseigenschaft versuchen dabei, eine Analogie zum innerstaatlichen Verfassungsbegriff zu ziehen. So gilt ihnen Art. 103 der Charta als Beweis für die Höherrangigkeit der Charta über das übrige Völkerrecht. Dies sei ein entscheidendes Merkmal einer Verfassung, die immer an der Spitze der Normenhierarchie stehe. Hinzu komme die Kompetenz des Sicherheitsrates, auch gegen den Willen der betroffenen Staaten verbindliche Beschlüsse zu fassen und so in die Souveränität der Staaten einzugreifen. Weiterhin sind fast alle Staaten der Erde Mitgliedstaaten. Über Art. 2 Nr. 6 der Charta werde auch für Nichtmitgliedstaaten eine Bindung an die Grundsätze der Charta erreicht. Neue Auslegungsmethoden führen die Vertreter dieser Ansicht nicht ein. Sie setzen allerdings einen viel größeren Schwerpunkt auf die dynamische Auslegung. So wollen sie den ursprünglichen Willen der Vertragsstaaten nur ausnahmsweise heranziehen.249 Dies gilt auch dann, wenn man der Bejahung von Verfassungsqualität skeptisch gegenübersteht. So hat sich im Völkerrecht der objektive Ansatz durchgesetzt, der die Auslegung nicht beim Willen der Staaten, sondern am Vertragstext beginnen lässt und erst in der Folge zu dem Willen der Vertragsparteien gelangt.250 Auch einer Auslegung durch die Organe der VN kommt nach Auffassung der Konstitutionalisierungsverfechter keine verbindliche Wirkung zu. Ausschlaggebend soll die Reaktion der Staaten bleiben.251 Der Klassifizierung der Charta als Verfassung stehen große Bedenken entgegen,252 die im Ergebnis durchgreifen. Zweifelhaft ist dabei schon, was hinter dem Begriff „Verfassung“ stehen soll.253 Dabei kann es sich nur 249
Fassbender, Columbia JTL 36 (1998), S. 529 (S. 596). Vgl. nur Art. 31 Abs. 2 WVK; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 5. 251 Fassbender, ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 (S. 596 ff.), legt dabei besonderes Gewicht auf die tägliche Auslegung durch die VN-Organe. Dies ist, wie noch gezeigt werden wird, richtig. Dazu muss man die Charta jedoch nicht als Verfassung verstehen. 252 Kritisch auch Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 286–318; Schütz, The Twilight of the Global Polis: On Losing Paradigms, Environing Systems and Observing World Society, in: Teubner, S. 257 ff.; Teubner, ZaöRV 63 (2003); S. 1 ff.; Diss. Op. Richter Gros in Namibia II, Rn. 35, Hillgruber, Braucht das Völkerrecht eine Völkerrechtswissenschaftstheorie?, in: Jestaedt/Lepsius, S. 113 (S. 115); De Wet, Potchefstroom Electronic Law Journal, Vol. 2, 2007, S. 5 f.; Macdonald, CYIL XXV (1987), S. 115 ff. (S. 128), ist der Verfassungsidee gegenüber insgesamt positiv eingestellt. Ihm ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er das Fazit zieht, dass die Charta (möglicherweise) den Beginn einer Konstitutionalisierung reflektiert und somit Teil einer neuen konstitutionellen Ordnung wird (Hervorhebungen durch den Verfasser). Damit entfällt dann aber eine Einzelstellung der Charta im Völkerrechtsgefüge. 250
2. Kap.: Die Methode
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um einen juristischen Verfassungsbegriff handeln. Rechtsvergleichend Ergebnisse zu erzielen, dürfte dabei schwerfallen. Das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten ist – wenn überhaupt – nur schwer in Übereinstimmung zu bringen, einen Ansatzpunkt für brauchbare Lösungen kann es kaum geben.254 Im deutschen Verfassungsrecht wird seit Georg Jellinek zwischen einem formellen und einem materiellen juristischen Verfassungsbegriff unterschieden.255 Diese Unterscheidung wird auch auf internationaler Ebene herangezogen. a) Der formelle Verfassungsbegriff Der formelle Verfassungsbegriff definiert einen Rechtstext als Verfassung (meistens das Verfassungsgesetz), wenn dieser gegenüber anderen Normen nur unter erschwerten Bedingungen abänderbar ist256 und auf höherer Stufe der Rechtsordnung steht.257 Die VNCh sieht in Art. 108, 109 zwei Verfahren zur Änderung des Primärrechts vor.258 Eine einfache Änderung ist nach Art. 108 VNCh möglich, wenn dieser zwei Drittel der Generalversammlung zustimmen, sowie zwei Drittel aller Mitglieder inklusive der ständigen Sicherheitsratsmitglieder diese ratifizieren. Eine Revision nach Art. 109 muss von zwei Dritteln einer Revisionskonferenz empfohlen werden und ebenfalls von zwei Dritteln aller Mitglieder inklusive der ständigen Sicherheitsratsmitglieder ratifiziert werden. Die Charta ist somit sogar einfacher zu ändern als andere völkerrechtliche Verträge, zu deren Änderung – soweit keine Spezialregelungen existieren – gemäß Art. 40 WVK und dem entsprechenden Gewohnheitsrecht alle Vertragsstaaten zustimmen müssen.259 253
Kritisch zu einer Übertragung v. a. Teubner, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (S. 3 ff.). Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charter, in: FS Mosler, S. 891 (S. 892); Herdegen, VanderbiltJTL 27 (1994), S. 135 (S. 150). 255 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 506, 508. 256 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 534. 257 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 534; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 74 f. 258 Diese zwei Verfahren entsprechen der völkerrechtlichen Praxis. Rechtstechnisch betrachtet sind beide Verfahren nur Änderungen bestehenden Rechts. Nur wenn, wie im Falle der VNCh, andere Regelungen bezüglich des Verfahrens gelten, ist diese Unterscheidung überhaupt relevant. S. dazu Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 14 Rn. 1. 259 Zu demselben Ergebnis kommt Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 309 ff. Er hebt aber hervor, dass dadurch der Verfassungscharakter eher gestärkt wird. Gewisse Grundentscheidungen können so auch ohne Konsens des Staates erreicht werden und die Charta bleibt ein flexibles Instrument. Zum Konsenserforder254
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1. Teil: Die Grundlagen
Unabhängig davon kann ein multilateraler Vertrag auch durch das sogenannte opting-out geändert werden. Dabei schließen nur einige und nicht alle Vertragsparteien eine Vereinbarung ab, wonach der ursprüngliche Vertrag zwischen ihnen modifiziert gelten soll. Das Verhältnis zu den nicht modifizierenden Vertragsparteien richtet sich weiterhin nach dem ursprünglichen, also dem nicht modifizierten Vertrag. Ein solches opting-out scheint dem Wortlaut der Art. 108 f. VNCh nach zumindest nicht ausgeschlossen.260 Zwar kann sich gerade aus diesen detaillierten Vorschriften ergeben, dass sie abschließend die Änderungen der Charta regeln. Feststeht dies jedenfalls nicht. Auch insoweit ist somit nicht von einer erhöhten Bestandskraft der VNCh auszugehen.261 Die Charta genießt ihrem Art. 103 gemäß Vorrang vor den sonstigen vertraglichen Verpflichtungen ihrer Mitgliedstaaten. Daraus wird teilweise die Höchstrangigkeit der Charta im gesamten Völkerrecht hergeleitet.262 Jedoch beschränkt sich diese Hierarchieanordnung dem Wortlaut nach nur auf Vertragsrecht. Gewohnheitsrechtliche Verpflichtungen werden durch die Charta nicht berührt.263 Es bleibt bei einem Widerspruch zwischen VNCh und Gewohnheitsrecht bei den regulären Kollisionsregelungen.264 Ein höherer Rang kommt der Charta im Völkerrecht somit nur gegenüber anderen Verträgen der Mitgliedstaaten zu.265 Merkmal einer Verfassung ist nicht nur der Anwendungsvorrang einer Norm, sondern deren Geltungsvorrang. Im Falle eines Widerspruchs wird unterrangiges Recht regelmäßig unwirksam
nis bei Änderung völkerrechtlicher Verträge Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 13 insb. Rn. 4 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 155 II 1 (S. 663 f.), II 3 c) (S. 665 f.). 260 A. A. Simma/Karl/Mützelburg/Witschel, UNO-Charter, Art. 108 Rn. 10. 261 Selbst wenn mit Simma/Karl/Mützelburg/Witschel, UNO-Charter, Art. 108 Rn. 10, von einem Ausschluss jeder anderen Änderungsart neben Art. 108 VNCh ausgegangen wird, kommt der Charta keine gegenüber anderen Verträgen erhöhte Bestandskraft zu. 262 Simma/Bernhardt, UNO-Charter, Art. 103 Rn. 21; Fassbender, ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 (S. 532). 263 P. M. Dupuy, MPYBUNL 1 (1997), S. 1 (S. 13); Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 309; Simma, RdC 250, S. 217 (S. 261). Anderer Ansicht sind Simma/Bernhardt, UNO-Charter, Art. 103 Rn. 21; Kelsen, The Law of the UN, S. 116. 264 Art. 30, 40 f., 59 WVK. Vgl. auch Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 12 Rn. 24 ff.; § 15 Rn. 67 ff., § 20 Rn. 6; Simma/Bernhardt, UNO-Charter, Art. 103 Rn. 3. 265 Zu den einzelnen Konstellationen s. Simma/Bernhardt, UNO-Charter, Art. 103 Rn. 6 ff. Kritisch zu Art. 103 als Merkmal für die Verfassung auch Suy, The Constitutional Character of Constituent Treaties of International Organizations and the Hierarchy of Norms, in: FS Bernhardt, S. 267 (S. 271).
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oder nichtig. Dagegen statuiert Art. 103 VNCh einen reinen Anwendungsvorrang. Die Charta stellt somit keine Verfassung im formellen Sinne dar. b) Der materielle Verfassungsbegriff Der materielle Verfassungsbegriff ist erfüllt, wenn grundlegende Normen eines Verbandes festgelegt werden.266 Zuzugeben ist, dass Regelungen von entscheidender Wichtigkeit für die Staatengemeinschaft in der Charta geregelt werden. So sind gerade das Gewaltverbot in Art. 2 Nr. 4 und das siebte Kapitel der Charta Meilensteine in der Entwicklung des modernen Völkerrechts. In der Öffentlichkeit werden die VN geradezu mit dem Völkerrecht identifiziert. So zeigte sich bspw. in der Diskussion um den dritten Golfkrieg 2003, welche Stellung der Sicherheitsrat und ein gemeinsames Vorgehen im Rahmen der Organisation einnehmen. Politisch sei es wünschenswert gewesen, einen Waffeneinsatz nur mit einem Mandat des Sicherheitsrates durchzuführen, anstatt sich auf das Selbstverteidigungsrecht zu berufen, denn es war umstritten, ob dessen tatsächliche Voraussetzungen in diesem Fall erfüllt waren. Viele Äußerungen gingen dahin, dass sich die VN im Konflikt mehr engagieren sollten. Allein diese herausgehobene politische Stellung zeugt jedoch noch nicht von der Festlegung grundlegender Regelungen des Verbandes Staatengemeinschaft. Innerstaatlich konstituiert eine Verfassung die Rechtsordnung.267 Aus ihr leiten die anderen Rechtsnormen ihre Geltung her.268 Sie ist die „rechtliche Grundordnung eines Gemeinwesens“ und als solche nor266
Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 506 ff. Schmitt, Verfassungslehre, S. 7 ff. Soweit ersichtlich ist sein Begriff der „Verfassung“ bisher nicht für diese Diskussion fruchtbar gemacht worden. Schmitt meint mit „Verfassungsgesetz“ das, was vorliegend als Verfassung bezeichnet wird und die Rechtsordnung konstituiert. Eine Übertragung von Schmitts Verfassungsbegriff auf die VNCh wäre nach seiner Lehre nicht möglich. Eine Verfassung ist nach Schmitt immer die „grundlegende politische Entscheidung des Trägers der verfassungsgebenden Gewalt“ (ders., Verfassungslehre, S. 23). Im Akt der Verfassungsgebung konstituiert die verfassungsgebende Entität ihre politische Einheit (ders., Verfassungslehre, S. 21). Diese politische Entscheidung ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind (ders., Der Begriff des Politischen, S. 26). Sie beinhaltet als letzte Konsequenz die Möglichkeit, zum Krieg zu schreiten (ders., Der Begriff des Politischen, S. 27). Somit schließt diese Unterscheidung immer jemanden aus. Daher kann es auf einem „endgültig pazifizierte(n) Erdball“ (ders., Der Begriff des Politischen, S. 35), in dem die Möglichkeit des Kampfes erloschen ist, keine Politik mehr geben (ders., Der Begriff des Politischen, S. 35, 54 ff.). Es bleibt niemand, der einen Feind darstellen könnte. Wenn alle einbezogen sind, kann keine Verfassung diese Unterscheidung treffen. Eine einzige Verfassung auf internationaler Ebene ist nicht möglich. Ob es auch einen internen Feind (vgl. ders., Der Begriff des Politischen, S. 46) geben kann, bleibt hier dahingestellt. 267
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miert sie die Grundzüge der rechtlichen Gesamtordnung.269 In ihr kommen der „Strukturplan für die Rechtsgestalt“270 des Gemeinwesens sowie die Grundzüge der staatlichen Organisation und Zuständigkeiten zum Ausdruck.271 Auch wenn nicht alle obersten Fundamentalsätze in das Verfassungsgesetz einfließen können, so sind doch die meisten dieser Fundamentalsätze Teil der Verfassung.272 Die Charta müsste Regelungen enthalten, die die Grundfunktionen und Grundwerte der Gemeinschaft enthalten.273 Eine Verfassung hat einen Exklusivitätsanspruch im Hinblick auf die oberste Stufe der Rechtsordnung. Diese Ansprüche kann die Charta zumindest allein jedoch bei weitem nicht erfüllen. In ihr kommt nicht zum Ausdruck, wie neues Völkerrecht geschaffen wird.274 Das Vertragsvölkerrecht ist nicht in der Charta, sondern sowohl in der WVK bzw. WVKIO als auch im Gewohnheitsrecht geregelt. Auch die Entstehung des Gewohnheitsrechts wird nicht geregelt. Art. 38 des IGH-Statuts kann diese Mängel nicht beseitigen. Er zählt die Rechtsquellen zwar auf, ist aber seiner Funktion nach nur für den Prüfungsmaßstab des Internationalen Gerichtshofs rechtsverbindlich275 und sagt weiterhin auch nichts über eine Hierarchie zwischen den Quellen und der Charta aus. Im Gegenteil, der IGH verortet die Charta sogar in der Rechtsquelle des Völkervertragsrechts.276 Gerade das Merkmal eines Strukturplanes ist nicht erfüllt. Die Charta konstituiert die Vereinten Nationen als internationale Organisation und damit als Völkerrechtssubjekt. Fiele sie weg, so hörten die VN auf zu existieren. Das Bestehen der internationalen Gemeinschaft und das Funktionieren des Völkerrechts ist rechtlich nicht von der Existenz der VN abhängig. Die Völkerrechtsgemeinschaft ist ohne Vereinte Nationen dieselbe Völkerrechtsgemeinschaft, nur um ein Völkerrechtssubjekt ärmer.277 268
Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228 ff.; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 248 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 306 (1934: S. 270 f.); Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 11 f., 42 f. 269 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 10. 270 Hollerbach, Ideologie und Verfassung, in: Maihofer, S. 37 (S. 46). 271 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 532. 272 H. Heller, Staatslehre, S. 306 (1934: S. 270 f.), 311 (1934: S. 275). 273 Simma, RdC 250, S. 217 (S. 260 f.). Vgl. Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 297 m. w. N. in Fn. 61. 274 Dies ist herausragendes Element einer Verfassung, Tomuschat RdC 241, S. 216; Tomuschat, AVR 33 (1995), S. 1 (S. 8 f.); Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 74. 275 Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Pellet, IJC-Statute, Art. 38 Rn. 54, 42 ff. 276 IGH, Certain Expenses, S. 157. 277 Zu diesem Ergebnis kommt auch Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 307.
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Zusätzlich werden weitere wichtige Rechtsbereiche des Völkerrechts von der Charta nicht angesprochen bzw. geregelt. Allen voran fehlt das Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit. Dieser wichtige Kernbereich des modernen Völkerrechts ist im Gewohnheitsrecht und seit wenigen Jahren als Rechtserkenntnisquelle i. S. d. Art. 18 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut in der Resolution der Generalversammlung der VN zu finden.278 Mit verbindlicher Rechtswirkung hat jedoch kein Organ der VN festgestellt, geschweige denn konstitutiv geregelt, was zu diesem Rechtsbereich gehören soll.279 Auch das Wirtschafts-280 und Umweltvölkerrecht sowie das Völkerstrafrecht sind nicht in der VNCh zu finden.281 Die Charta beschränkt sich auf Teilbereiche des Völkerrechts. Sie lässt zu, dass neben ihr anderes Völkerrecht ent- und besteht.282 Nicht für jeden Kollisionsfall trifft sie eine Regelung. Als Argument für den materiellen Verfassungsbegriff wird der fast universelle Mitgliederkreis der VN herangezogen.283 Auch für Nichtmitglieder ergäben sich Verpflichtungen aus der Charta. In Art. 2 Nr. 6 VNCh wird die Organisation immerhin dazu verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass auch die Nichtmitglieder nach den Grundsätzen der Charta handeln, „als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist“. Daraus eine direkte Verpflichtung der Nichtmitglieder herzuleiten, ginge jedoch zu weit. Dazu ist der Wortlaut nicht eindeutig genug. So wird nur die Organisation verpflichtet. Inhalt dieser Pflicht ist nicht auf die Einhaltung der Vorschriften zu achten, sondern nur die politische Aufgabe, die Ziele der VN auch bei Nichtmitgliedern durchzusetzen.284 Klare Bindungen an einzelne Bestimmungen oder Kompetenzen der Charta gibt es nicht. Diese wären nach dem pacta-tertiis-Grundsatz auch nicht zulässig.285 Wenn es denn in letzter Zeit die Tendenz im Sicherheitsrat gibt, Nichtmit278
UN Doc. A/56/589 und A/56/589/Corr. 1 vom 28. Januar 2002. Dazu auch P. M. Dupuy, MPYBUNL 1 (1997), S. 1 (S. 18). 280 Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 286. 281 Der IStGH existiert wie gesagt von den Vereinten Nationen völlig unabhängig. Dies bestätigen die VN in Art. 2 Abs. 1 des RA. 282 IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Germany v. Denmark, Germany v. Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, ICJ Reports 1969, S. 3, Rn. 63. In IGH, Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Merits, Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 14, Rn. 178, stellt der IGH fest, dass selbst zwei inhaltsgleiche Regelungen aus unterschiedlichen Rechtsquellen eine eigenständige, von der anderen unabhängige, Existenz führen. Bejahend auch P. M. Dupuy, MPYBUNL 1 (1997), S. 1 (S. 7 f., 15) 283 Fassbender, UN Security Council reform and the right of veto, S. 108 ff. 284 Im Ergebnis so auch IGH, Namibia II Gutachten, ICJ Reports 1971, S. 56 Rn. 126. 279
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1. Teil: Die Grundlagen
gliedstaaten direkt zu verpflichten, so beruht dies nicht auf Art. 2 Nr. 6 der Charta, sondern darauf, dass die Staaten zu erkennen gegeben haben, sich freiwillig daran halten zu wollen.286 c) Die Internationalisierung des Verfassungsbegriffs Ohne Änderung ist der Verfassungsbegriff nicht sinnvoll ins Völkerrecht übertragbar. Fraglich ist, ob eine Modifizierung oder Anpassung möglich ist und sich daraus neue Erkenntnisse ergeben. Trotz der erwähnten Schwierigkeiten bei der (Verfassungs-)Rechtsvergleichung aller Staaten erkennen die Verfassungsbefürworter bestimmte Merkmale, die sich auf die Staatengemeinschaft übertragen lassen. Für Neil Walker287 kann es eine Verfassung auf internationaler Ebene geben, wenn ein konstitutioneller Diskurs mit einem konstitutionellen Selbstverständnis geführt wird, ein Anspruch auf Hoheitsgewalt oder Souveränität geltend gemacht wird, der nicht absolut sein muss, in einer institutionellen Struktur voneinander abgegrenzte Kompetenzen bestehen, die ein Organ unabhängig und selbstständig interpretieren kann und die Repräsentation der Bürger gesichert ist.288 Walker ist zuzugestehen, dass er keine Sonderstellung für die VN-Charta begründen will. Seine Untersuchungen konzentrieren sich zwar auf das Feld des Europarechts, lassen sich aber auch auf das Völkerrecht übertragen. Er sucht nach einer Möglichkeit, nichtstaatlichen Akteuren Verfassungssubjektivität zuzusprechen. Somit kommt neben seinen Hauptuntersuchungsgegenständen EU und WTO auch die VN in Betracht. Erkennt man solchen Rechtssubjekten eine „Verfassungseigenschaft“ an, dann haben die VN und damit ihre Charta aber keine Sonderstellung im Völkerrechtsgefüge. Die Charta steht nicht allein auf einer verfassungsrechtlichen Ebene im Walker’schen Sinne. Fassbender, der sich in seiner Terminologie auf Max Weber beruft,289 sieht mit den Merkmalen „system of governance“, der Festlegung von Kriterien zur Mitgliedschaft, der Normenpyramide, der Geltungszeit auf Dauer, der Bezeichnung als „Charta“ und der Universalität, die von der „Verfas285
Tomuschat, RdC 241, S. 252 f., hält die Regelung für einen Verstoß gegen den Grundsatz. 286 Paulus, Die internationale Gemeinschaft, S. 311 ff. 287 N. Walker, The EU and the WTO: Constitutionalism in a New Key, in: de Bruca/Scott, S. 31 ff.; ders., Modern Law Review 65 (2002), S. 317–359. 288 N. Walker, The EU and the WTO: Constitutionalism in a New Key, in: de Bruca/Scott, S. 31 (S. 33). 289 Fassbender, UN Security Council reform and the right of veto, S. 98; ders., ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 (S. 570).
2. Kap.: Die Methode
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sungsgeschichte“ der Charta und einem nahezu mystischen Moment in San Francisco überlagert werden, begründet, dass die Charta den „Idealtypus“ (Max Weber)290 einer Verfassung verkörpert. In ihr seien alle Völkerrechtssubjekte integriert.291 Allerdings erkennt er an, dass manche Staaten aus guten Gründen nicht Mitglied der VN geworden sind.292 Die Charta trifft in Art. 4 die Regelung zur Aufnahme neuer Mitglieder. Einer Verfassung kann sich jedoch kein Rechtssubjekt entziehen. An die Entstehung als Rechtssubjekt ist die Verpflichtung an bestimmte grundlegende Regelungen gebunden. Die Existenz des Art. 4 VNCh und die entsprechende Praxis bei der Aufnahme neuer Mitglieder geben klar zu erkennen, dass ein Staat nicht kraft „Geburt“ Mitglied der Vereinten Nationen wird. Art. 2 Nr. 6 VNCh kann wie oben gezeigt keine universelle Geltung der Charta begründen. Die anderen Merkmale treffen nur für den Bereich der Vereinten Nationen zu. Es bleibt bei dem bisherigen Ergebnis. Die zentrale Stellung kommt der Charta im Rechtsgefüge der internationalen Gemeinschaft somit nicht zu, auch wenn der Verfassungsbegriff modifiziert und dann ins Völkerrecht übertragen werden könnte. d) Die Charta als völkerrechtlicher Vertrag Die Charta bleibt somit ein völkerrechtlicher Vertrag.293 Der Kanon aus Art. 31 WVK ist zur Auslegung heranzuziehen. Die Besonderheiten der Charta können jedoch nicht verleugnet werden. So ist insb. Fassbender zugutezuhalten, dass er die verschiedenen Regelungen herausgearbeitet und systematisiert hat, die einen besonderen Charakter der VNCh begründen.294 Durch die Charta wird eine internationale Organisation mit weitreichender Rechtspersönlichkeit geschaffen. Die Mitgliedstaaten haben eine feststehende Organisationsstruktur errichtet, in der eigene Organe eigene Aufgaben der VN eigenverantwortlich wahrnehmen. Die Charta beschreibt das Verhältnis zwischen den Mitgliedern und der Organisation. Sie gibt den Staaten Unterstützungspflichten auf. Mehr noch, die Mitglieder sind dazu verpflichtet, bestimmten Entscheidungen des Sicherheitsrates Folge zu leisten.295 Die Mitglieder ordnen sich der Organisation in bestimmter Hinsicht 290
M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, § 1 Begriff der Soziologie und des „Sinns“ sozialen Handelns, I Methodische Grundlagen, S. 5; M. Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 146 ff. (S. 190 ff.). 291 Fassbender, ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 (S. 532). 292 Fassbender, UN Security Council reform and the right of veto, S. 108 ff. 293 So auch Conforti, Law and Practice, S. 10, 12. 294 Fassbender, ColumbiaJTL 36 (1998), S. 529 (S. 568–584); ders., UN Security Council Reform, S. 89–115; P. M. Dupuy, MPYBUNL 1 (1997), S. 1 (S. 31).
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1. Teil: Die Grundlagen
unter,296 um ihr gemeinsames Ziel zu erreichen.297 Folge dieser Rechtsverleihung ist, dass die Organisation auf der internationalen Bühne mit Rechtspersönlichkeit agieren kann.298 Diese Besonderheiten können jedoch im Rahmen des klassischen Auslegungskanons berücksichtigt werden.299 Gerade die teleologische Auslegung ist besonders geeignet, den Erfordernissen einer „Verfassung“ Rechnung zu tragen.300 Einzelne Bestimmungen werden somit im Lichte von Ziel und Zweck der VNCh ausgelegt. Leitend sind die Wahrung bzw. Wiederherstellung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit durch friedliche Streitbeilegung.301 Diesem Ziel muss – dem effet-utileGedanken folgend – auch die Auslegung dienen. 3. Zuständigkeit zur Auslegung der VN-Charta Das Recht zur Auslegung eines Vertrages steht in erster Linie seinen Vertragsparteien zu.302 Sie sind Träger der Rechte und Pflichten, die sie durch den Vertrag begründen.303 Liegt eine gemeinsame Auslegung durch alle 295
IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949 (Bernadotte-Gutachten), ICJ Reports 1949, S. 174 (S. 178 f.). 296 Vgl. Art. 25, 103 VNCh. 297 Vgl. zu den Zielen der VN Art. 1 VNCh. 298 IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949 (Bernadotte-Gutachten), ICJ Reports 1949, S. 174 (S. 179 f.). 299 Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL II, S. 1416 (S. 1421); Köck, ZaöRV 53 (1998), S. 217 (S. 223, 234 f.). Dabei gilt die Einschränkung von Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 4. Abschnitt Rn. 38, der die Besonderheiten nur für die „verfassungsähnlichen“ Teile der Charta gelten lässt. 300 E. Lauterpacht, RdC 152 S. 420 ff.; Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 10, 16; Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 4. Abschnitt Rn 39; Doehring, Völkerrecht, Rn. 203, 394 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/2, § 106 I 1 c (S. 218), dies., Völkerrecht I/3, § 153 IV 1 (S. 648 f.); Verdross/Simma, § 780 Nr. 5; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 43; Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charter, in: FS Mosler, S. 891 (S. 893); Simma/Ress, UNO-Charter, Interpretation, Rn. 34; Fraas, S. 13; Karl, Vertragsauslegung – Vertragsänderung, in: Schreuer, S. 9 (S. 13); Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1349. 301 Vgl. Art. 1 Abs. 1 VNCh. S. auch Kelsen, The Law of the UN, S. 13 ff.; Ipsen/Epping, Völkerrecht, § 32 Rn. 9; Doehring, Völkerrecht, Rn. 419, 427. 302 Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL II, S. 1416 (S. 1417); Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 1; Köck/Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 559; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 I 2 a (S. 634 f.); Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 43; Kunig, United Nations Charter, Interpretation of, EPIL Online Edition, Rn. 7.
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Vertragsparteien vor, so kann diese entweder als authentische Vertragsauslegung, die verbindlich ist,304 oder als Vertragsänderung anzusehen sein. Eine Abgrenzung dürfte im Einzelfall schwerfallen.305 Gerade bei rechtsetzenden Verträgen, wie den Gründungsverträgen internationaler Organisationen, kommt auch eine Auslegungszuständigkeit der Organe in Betracht. Die Vertragsstaaten schaffen eine institutionelle Struktur, in der die Organe selbstständig ihre Aufgaben wahrnehmen. Hier entsteht neben den Vertragsstaaten ein neues Völkerrechtssubjekt, das ebenso Träger von Rechten und Pflichten aus eben diesem Vertrag ist. Im Rahmen der täglichen Arbeit legen diese zwangsläufig die Regelungen aus, indem sie eben diese Texte anwenden.306 So muss der Sicherheitsrat die Tatbestandsmerkmale in Art. 39 VNCh auslegen, bevor er eine Resolution nach Art. 40 ff. VNCh fassen kann. Ob die Auslegung durch die Organe gewollt ist und welche Rechtsfolgen sich daran anschließen, kann nur für die jeweilige Organisation selbst bestimmt werden. Auf der Konferenz von San Francisco einigte man sich auf eine Auslegung des Kapitels VII durch den Sicherheitsrat selbst. Ihm sollte durch die weite Formulierung insb. der Eingriffsvoraussetzungen ein großer Handlungsspielraum eröffnet werden.307 Auch der IGH hat anerkannt, dass jedes Organ der VN die für es selbst maßgebenden Artikel zuerst selbst auslegen 303
Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 1. Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 11 Rn. 2; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 153 I 2 a (S. 635); Verdross/Simma § 775; Köck/Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 217 in Fn. 12; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 44 f.; Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charter, in: FS Mosler, S. 891 (S. 898); Schachter, Interpretation of the Charter in the Political Organs of the United Nations, in: FS Kelsen, S. 269 (S. 272). 305 Als Beispiel sei Art. 27 Abs. 3 VNCh genannt. Dazu Karl, Vertragsauslegung – Vertragsänderung, in: Schreuer, S. 9 ff.; Simma/Simma/Brunner/Kaul, UNO-Charter, Art. 27 Rn. 52 ff. 306 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 48, der dieses Vorgehen als allgemeinen Rechtsgrundsatz einer internationalen Organisation qualifiziert; Bedjaoui, The New World Order, S. 11; Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1344, 1360. 307 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 232; Vitzthum/Klein, Völkerrecht, 4. Abschnitt, Rn. 202; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3 § 153 IV 2 (S. 650); Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, in: FS Bernhardt, S. 103 (S. 107 ff.); Herdegen, VanderbiltJTL 27 (1994), S. 135 (S. 152); Conforti, The Law and Practice of the United Nations, S. 171 f.; Lorinser, S. 40, 43; Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 4; Arnold, S. 203; Kunig, United Nations Charter, Interpretation of, EPIL Online Edition, Rn. 7, 11, 15 f. 304
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muss.308 Seine Urteile haben nur inter-partes-Wirkung, daneben bleiben die Mitgliedstaaten zur Auslegung berechtigt. Der Spielraum des Sicherheitsrates erstreckt sich dabei auf mehrere Bereiche. Dabei bleibt es nicht bei einer Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in Art. 39 VNCh. Er muss weiterhin – nach der Sachverhaltsermittlung – den jeweiligen Sachverhalt unter diese Begriffe subsumieren.309 Auch bei der nachfolgenden Auswahl der Mittel hat der Sicherheitsrat einen großen Handlungsspielraum. Fraglich ist, welche Wirkung seiner Auslegung zukommt. Stattet der Gründungsvertrag einer internationalen Organisation ein Organ oder alle Organe mit der Befugnis aus, bestimmte Teile des Vertrages verbindlich für alle Vertragsstaaten und die Organisation selbst auszulegen, so spricht man von autoritativer Auslegung.310 Die Gründungsstaaten haben dem Sicherheitsrat nicht die Kompetenz eingeräumt, das Kapitel VII für sie verbindlich auszulegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Auslegung durch den Sicherheitsrat bedeutungslos ist. Akzeptieren die Mitgliedstaaten dessen Praxis, kann in dieser Akzeptanz eine spätere Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK oder eine spätere Übung bei der Anwendung der Charta i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK liegen. Diese Staatenpraxis ist dann bei der Auslegung zu berücksichtigen.311 Anknüpfungspunkt ist dann nicht die Resolutionspraxis. Denn diese gibt nur den Anlass zur staatlichen Auslegung. Die Grenze zur stillschweigenden Vertragsänderung ist dabei fließend.312 4. Regeln für die Auslegung des IStGH-Statuts Für die Auslegung des Römischen Statuts als völkerrechtlichen Vertrag gelten nach den obigen Ausführungen zur VNCh die klassischen Metho308
IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 (S. 168). So auch Schachter, United Nations Charter, EPIL IV, S. 1051 (S. 1056). 309 Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, in: FS Bernhardt, S. 103 (S. 109, 118); Martenczuk, S. 195; Lorinser, S. 40. Zum Ermessen des Sicherheitsrates s. im 4. Kapitel unter III. 2. 310 Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, in: FS Bernhardt, S. 103 (S. 106). 311 Dies geschieht unter der Voraussetzung, dass alle Staaten die Auslegung akzeptieren. In der Praxis erfolgt eine Zustimmung stillschweigend, nur wenn ein Mitglied die Auslegung nicht akzeptiert, erfolgt ein ausdrücklicher Protest. 312 Hillgruber, Braucht das Völkerrecht eine Völkerrechtswissenschaftstheorie?, in: Jestaedt/Lepsius, S. 113 (S. 123).
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den.313 Auch die Kammern des Gerichtshofs gehen bei ihrer Auslegung davon aus. Considering that the Statute is an international treaty by nature, the Chamber will use the interpretative criteria provided in articles 31 and 32 of the Vienna Convention of the Law of Treaties (in particular the literal, the contextual and the teleological criteria) in order to determine the content of the gravity threshold set out in article 17 (1) (d) of the Statute. As provided for in article 21 (1) (b) and (1) (c) of the Statute, the Chamber will also use, if necessary, the „applicable treaties and the principles and rules of international law“ and „general principles of law derived by the Court from national laws of legal systems of the world“.314 According to article 21 (1) (a) of the Statute, the Chamber shall apply „in the first place, this Statute, Elements of Crimes and its Rules of Procedure and Evidence.“ As this Chamber has already stated, (see for instance „the Decision on the Final System of Disclosure and the Establishment of a Timetable“, issued by the single judge on 15 May 2006 [ICC-01/04-01/06-102], Annex I, para. 1.) in determining the contours of such a framework, the Chamber must look at the general principles of interpretation as set out in article 31 (1) of the Vienna Convention on the Law of Treaties, according to which „a treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in light of its object and purpose“.315
Der Auslegungskanon aus dem Gewohnheitsrecht, so wie er in Art. 31 WVK kodifiziert ist, kann nur Ausgangspunkt für die Auslegung des Statuts sein.316 Für den IStGH ergeben sich einige Besonderheiten, die es jetzt herauszuarbeiten gilt. Problematisch erscheinen dabei die zur Auslegung Berechtigten, das Verhältnis von Völkerstrafrecht zum Menschenrechtsschutz bzw. humanitären Völkerrecht und der Grundsatz in dubio pro reo. 313 IStGH, Appeals Chamber, Situation in the Democratic Republic of the Congo (ICC-01/04), Judgement on the Prosecutor’s Application for Extraordinary Review of Pre-Trial Chamber 1’s 31 March 2006 Decision denying Leave to Appeal, ICC Doc. ICC-01/04-168 vom 13. Juli 2006, Rn. 5; Decision Concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr. Thomas Lubanga Dyilo, ICC Doc. ICC01/04-01/06-8-US-Corr vom 24. Februar 2006, Rn. 42; Decision on the Practices of Witness Familiarisation and Witness Proofing, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-679 vom 8. November 2006, Rn. 8; Cassese, International Criminal Law, S. 17. 314 Decision Concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr. Thomas Lubanga Dyilo, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-8-US-Corr vom 24. Februar 2006, Annex I Under Seal Decision on the Prosecutor’s Application for warrant of arrest, Article 58, ICC Doc. ICC-01-04-01/06 vom 10. Februar 2006, Rn. 42. 315 Decision on the Practices of Witness Familiarisation and Witness Proofing, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-679 vom 8. November 2006, Rn. 8. 316 Schabas, Introduction to the ICC, 2. Auflage, S. 93 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 160; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 14 Rn. 12.
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1. Teil: Die Grundlagen
An einige Grundsätze muss erinnert werden, so darf der Bestimmtheitsgrundsatz nicht aus den Augen verloren werden. Hintergrund ist, dass sich bei dem möglichst effektiven Menschenrechtsschutz die Rechte der Opfer und die Prozessgarantien für den Angeklagten gegenüberstehen. Die Rechtsstellung der Opfer ist im Statut des IStGH umfassend geregelt. Sie haben zahlreiche Mitwirkungsrechte (Art. 68 IStGH-Statut).317 Demgegenüber stehen die Angeklagten, deren Stellung der in einem nationalen rechtsstaatlichen Verfahren angeglichen werden soll (Art. 66 f. IStGH-Statut). Im Einzelfall ist zwischen den beiden Rechtspositionen eine Abwägung zu treffen. a) Methodische Besonderheiten bei der Auslegung des Statuts aa) Interpreten des Statuts Zum einen bereitet es Schwierigkeiten, die Vertragsstaaten als zur Auslegung berechtigt zu akzeptieren. Im Statut finden sich dazu nur wenige Regelungen. Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 IStGH-Statut vergewissert sich der Gerichtshof in jedem Fall seiner Gerichtsbarkeit. Dazu ist die Auslegung der einschlägigen Vorschriften Voraussetzung. Hier ist der Gerichtshof notwendigerweise zur Auslegung berechtigt. Auch für die Auslegung des materiellen Rechts kommt nur der Gerichtshof selbst in Frage. Dies ergibt sich aus dem Charakter als Gerichtshof und vor allem aus der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 40 IStGH-Statut. Zwei Begründungwege führen hier zu dieser Erkenntnis. Im Völkerrecht gilt wie im nationalen Recht der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit.318 Dieser gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. v. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut. Kern ist, dass der Richter in einem internationalen Gerichtsverfahren unabhängig vom Willen der Staaten ist. Er ist nur an das Organisationsrecht und in Teilen an das allgemeine Völkerrecht gebunden.319 Der internationale Strafrichter muss bei der Rechtsanwendung von jeglicher Einflussnahme der Staaten frei sein.320 Die Gefahr einer Politisierung der internationalen Strafjustiz ist dem Völkerstrafrecht immanent. Seit den Nürnberger Prozessen steht regelmäßig der Vorwurf der Siegerjus317 s. v. a. Jorda/Hemptinne, The Status and Role of the Victim, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 1387 ff. 318 Vgl. nur Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Aznar-Gómez, ICJ-Statute, Art. 2 Rn. 7. 319 Vgl. 1. Kapitel III. 320 Mangold, S. 205, spricht zutreffenderweise von einem „Wesenselement einer unabhängigen Strafjustiz“.
2. Kap.: Die Methode
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tiz im Raum. Die Angeklagten bezweifeln die Rechtmäßigkeit der Errichtung der Tribunale. Sie sehen sich als Opfer einer vorzugsweise westlichen Weltverschwörung, die es auf andere Weltregionen und deren politische Systeme abgesehen habe. Abgesehen von diesen Befürchtungen, die teilweise nicht mehr sind als bloße Verteidigungsstrategien, muss der internationale Richter von der Einflussnahme der Staaten frei sein. Vorstellbar ist, dass sich der Richter ggf. dem Druck nicht entziehen kann. So etwa, wenn der Heimatstaat im Gegenzug für die Nominierung vom Richterkandidaten eine bestimmte Entscheidung oder Rechtsprechungslinie erwartet. Vorstellbar ist etwa, dass der Angeklagte einer Regierung ein besonderer Dorn im Auge ist. Diese Regierung könnte dann vom Richter eine ganz bestimmte Auslegung fordern. In Zusammenarbeit mit anderen Staaten könnte dann eine „Auslegungshilfe“ beschlossen werden, die erkennbar auf diesen Fall einwirken soll. Verhindern lässt sich dies, wenn man die Stellung des Richters von vornherein so ausgestaltet, dass solche Versuche der Einflussnahme keinen Erfolg haben können, also wenn die richterliche Unabhängigkeit weit gefasst wird. Dass der Richter einem Kulturkreis entstammt und dessen Wertungen bewusst oder unbewusst in seine Arbeit einfließen lässt, ist dagegen nicht besorgniserregend. In internationalen Prozessen soll gerade eine möglichst universelle Wertung gefunden werden. Die Proporzregelungen zur Richterwahl dienen nicht nur dem Interesse der Staaten, viel Einfluss zu haben, sondern auch der Repräsentation möglichst unterschiedlicher Ansichten und Wertungen. In seiner Arbeit muss der internationale Strafrichter die einzelnen Merkmale der Tatbestände auslegen. Eine vorgegebene Auslegung kann zulässig sein, wenn diese allgemein und rechtlich verbindlich ist. Die Unabhängigkeit wäre aber dahin, wenn die Vertragsstaaten im Einzelfall eine Auslegung vorgeben dürften. Da der Richter seine Unabhängigkeit jedoch vom Willen der Mitgliedstaaten herleitet, darf in gewissen Grenzen über die Unabhängigkeit verfügt werden. Unantastbar ist dabei der Einzelfall. Es widerspreche einer unabhängigen Justiz, wenn sie im Einzelfall eingeschränkt würde. Gerade die Beurteilung eines konkreten Sachverhalts ist genuine Aufgabe eines Richters. Die Dezentralität des Völkerrechts hat zur Folge, dass es keine obligatorischen Streitbeilegungsmechanismen gibt. Aufgrund der – jedenfalls noch bestehenden – fragmentarischen Ordnung des Völkerrechts321 ist ein umfassender Justizapparat, den nationalen Institutionen vergleichbar, nicht vorstellbar. Sehen die Völkerrechtssubjekte den Bedarf nach einer rechtsprechenden Instanz, so schaffen sie diese für den jeweili321 Dazu v. a. Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen; Oeter, The International Legal Order and its Judicial Function, in: FS Tomuschat, S. 583 (S. 594).
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1. Teil: Die Grundlagen
gen Bereich. Das ist neben dem Völkerstrafrecht aktuell im Recht der WTO zu beobachten. In dem jeweiligen Bereich legen die Staaten die Aufgaben und Reichweite der Organisation fest. Sie haben dabei einen ähnlich weiten Spielraum wie bei anderen Verträgen. Im Fall des IStGH ist dies bei den Tatbeständen deutlich zu erkennen. Es wurde diskutiert, ob auch andere als die in Art. 5 Abs. 21 IStGH-Statut enumerativ aufgeführten Tatbestände aufgenommen werden sollten. Das Verbrechen der Aggression hat zumindest bisher Eingang ins Statut gefunden. Doch es wurden bereits Stimmen laut, auf der Revisionskonferenz 2010 auf den Tatbestand zu verzichten. Das Verbrechen des Terrorismus hat keinen Eingang in das Statut gefunden. Einzig eine Subsumtion unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit erscheint möglich.322 Gut illustriert wird dies auch durch die Wiederbelebung der Strafgerichtshofsidee durch Trinidad und Tobago. In der Generalversammlung der Vereinten Nationen machte dieses Mitglied den Vorschlag, einen internationalen Gerichtshof zu errichten, dessen Kompetenz den internationalen Drogenschmuggel umfassen sollte.323 Dieser Vorschlag hat im Rom-Statut keinen Niederschlag gefunden. Somit unterliegt die Unabhängigkeit der Richter den strukturbedingten Grenzen. Ihre Zuständigkeit hängt vom Willen der Völkerrechtssubjekte ab. Die Errichtung einer internationalen Rechtsprechung erfolgt bereichsspezifisch und ist konsensbedingt. Es gibt im Völkerrecht jedoch keine Regelung, die besagt, dass ein einmal eingerichteter Gerichtshof bestehen bleiben muss. Wenn die Staaten die Kompetenz haben, Gerichtsbarkeit, wenn auch beschränkt, einzurichten, dann können sie diese auch wieder abschaffen. Insoweit ist die Existenz der richterlichen Unabhängigkeit vom Willen der Staaten abhängig. Hier unterliegen die Völkerrechtssubjekte keiner Beschränkung. Allerdings kommen andere Grenzen für die Staaten in Betracht. Völkerrechtliche Rechtsprechungsorgane werden vor allem durch Vertrag errichtet. Bei Vertragsschluss sind die vertragschließenden Parteien durch das ius cogens gebunden. Gegen die zwingenden Regelungen der internationalen Gemeinschaft dürfen die Staaten nicht handeln. Ein solcher Verstoß zieht zwar die Staatenverantwortlichkeit nach sich, entfaltet aber keine Rechtswirksamkeit. Der genaue Bestand des ius cogens ist zwar umstritten. Dazu sollen jedoch grundlegende Menschenrechte gehören. Deren Geltung ist zusätzlich in Art. 21 Abs. 2 IStGH-Statut verankert. Auch wenn sich diese Regelung 322 Für den Fall Irak vgl. OTP, Letter of Prosecutor dated 9 February 2006, S. 6; OTP, Update on communications received by the Office of the Prosecutor of the ICC, Annex Iraq response, 10 February 2006, Rn. 8; Report on the Activities of the Court, Doc. ICC-ASP/5/15, Rn. 58. 323 Cassese, International Criminal Law, S. 328.
2. Kap.: Die Methode
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nicht unmittelbar auf die richterliche Unabhängigkeit bezieht, wirkt Art. 21 Abs. 2 IStGH-Statut zu deren Gunsten. Denn ein solches grundlegendes Menschenrecht ist das Recht auf ein faires und unabhängiges Strafverfahren. Kodifiziert ist dies in den regionalen324 und universellen325 Menschenrechtsverträgen und im Rom-Statut selbst326. Es hat gewohnheitsrechtliche Geltung.327 Teilweise wird es sogar als ius cogens klassifiziert.328 Als direkte und zwingende Folge aus diesem Recht ergibt sich die richterliche Unabhängigkeit. Ohne unabhängige Richter ist ein faires und unabhängiges Gerichtsverfahren nicht vorstellbar. Das Recht des Individuums wird vereitelt, wenn der zur Beurteilung Berufene nicht frei entscheiden kann. Die Berechtigung des Einzelnen, die insoweit außer Frage steht, hat auf der anderen Seite deshalb die Berechtigung der Richter als Spiegelbild. Ein judikatives Organ, das Recht nicht auslegen darf, wäre eine Farce. Gerade in der Auslegung liegt die Aufgabe eines Gerichts. Ein Richter ohne Auslegungsspielraum wäre kein Richter, sondern Vollstrecker, er wäre exe324 Art. 6 EMRK und deren Zusatzprotokoll 7, das Deutschland bisher nicht ratifiziert hat, Art. 8 Amerikanische Konvention zum Schutz der Menschenrechte, Art. 7 Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker/Banjul Charta. 325 Art. 10, 11 Abs. III Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) der VN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948; Art. 14 Abs. III IPbpR; Art. 40 VN-Kinderrechtskonvention; Art. 84–87, 99–108 GK III, Art. 5, 64–76 GK IV, Art. 75 ZP I, Art. 6 ZP II. 326 Art. 67 IStGH-Statut. 327 Vgl. Art. 14 IPbpR. Vgl. auch die Stellungnahmen des Menschenrechtsausschusses, Concluding Observations of the Human Rights Committee, Slovakia, U.N. Doc. CCPR/C/79/Add.79 (1997), Rn 3; Concluding Observations of the Human Rights Committee, Egypt, U.N. Doc. CCPR/C/79/Add.23 (1993), Rn. 9; Concluding Observations of the Human Rights Committee, Iceland, U.N. Doc. CCPR/ C/79/Add.26 (1993); Concluding Observations of the Human Rights Committee, Albania 2004; UN Doc. CCPR/CO/82/ALB, 2 December 2004, Rn. 18; Concluding Observations of the Human Rights Committee, Equatorial Guinea, U.N. Doc. CCPR/CO/79/GNQ (2004), Rn. 7. s. auch die Basic Principles on the Independence of the Judiciary, Adopted by the Seventh United Nations Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders, Milan, 26 August to 6 September 1985; endorsed by General Assembly Resolutions 40/32 of 29 November 1985 and 40/146 of 13 December 1985. Aus der Literatur Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 440; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 373–378; Irmscher, Der Verpflichtungskonflikt der Staaten im Fall der intelligenten Sanktionen des UN-Sicherheitsrates, in: GS Blumenwitz, S. 383 (S. 390 ff.). 328 Doehring, Völkerrecht, Rn. 986; vorsichtiger Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 303 f.; Questiaux, Questions of the Human Rights of Persons Subjected to any Form of Detention or Imprisonment – Study of the Implications for Human Rights of Recent Developments concerning Situations known as States or Siege or Emergency, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1982/15 vom 27. Juli 1982; kritisch aber das Recht wohl noch bejahend Hannikainen, S. 438 ff.
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1. Teil: Die Grundlagen
kutives, nicht judikatives Organ. Selbst im Strafrecht, das als Teil des öffentlichen Rechts die Beziehung zwischen Hoheitsträger und Individuum regelt, gilt dies. Trotz der Nähe des Strafrichters zum hoheitlichen Handeln anderer Staatsorgane bleibt dieser Grundgedanke der Rechtsprechung erhalten. Bedenkenswert – und für kontinentaleuropäische Juristen ungewöhnlich – ist beim IStGH, dass eine Auslegung der Tatbestandsmerkmale bereits durch die Vertragsstaaten getroffen wurde, mit der der Gerichtshof nach Art. 9 Abs. 1 IStGH-Statut arbeiten soll. Diese sogenannten Elements of Crimes (EoC)329 könnten eine Verletzung oder Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit darstellen. Aufgrund der Herleitung der richterlichen Befugnisse vom Willen der Mitgliedstaaten und aus der fragmentarischen Struktur des Völkerrechts ist eine solche „Einschränkung“ jedoch zulässig. Erinnert man sich zusätzlich daran, dass die Verbrechenselemente ausdrücklich nur eine Behelfsfunktion haben, bestätigt sich dies. In den Verbrechenselementen liegt keine Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit und schon gar kein Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht. Insoweit ist nicht erkennbar, gegen welche Normen des ius cogens diese Liste verstoßen sollte. Für die Auslegung des Statuts ergibt sich damit Folgendes. Die Auslegung durch die Vertragsstaaten, hier auch durch die Vertragsstaatenversammlung, ist nicht zulässig. Vorgaben dürfen nur in rechtlich verbindlicher Weise und dann losgelöst vom Einzelfall, also abstrakt und generell, gemacht werden. Hier ist jedoch zu beachten, dass die Grenzen zwischen Auslegung und Änderung fließend sind. Jedoch wurde mit dem Instrument der Vertragsstaatenversammlung ein Forum etabliert, in dem Regelungen geschaffen werden können. Untergrenze bleibt dabei aber, dass nur vom Einzelfall losgelöst verbindliche Vorgaben gemacht werden dürfen.330 Damit sind die Grenzen zwischen Auslegung und Änderung einfacher zu ziehen. bb) Nationaler Ursprung der Begriffe Eine weitere Besonderheit ergibt sich daraus, dass das Völkerstrafrecht mit genuin nationalen Begriffen arbeitet. Hier sind die travaux préparatoires von herausragender Bedeutung, um zu ermitteln, aus welchem nationalen Rechtssystem die strafrechtlichen Begriffe stammen.331 So lässt 329
ICC-ASP/1/3 vom 9. September 2002. Zu diesen v. a. Dörmann, MPYBUNL 7 (2003), S. 341–407; Lee, Elements of Crimes; Politi, Elements of Crimes, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 443–473. 330 Auch der Sicherheitsrat darf nur in Situationen eingreifen, nicht in Fälle, vgl. dazu Art. 13 lit. b) und 16 IStGH-Statut. 331 Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 380.
2. Kap.: Die Methode
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sich der genaue Gehalt der materiellen strafrechtlichen Regelungen herausarbeiten. cc) Der Grundsatz in dubio pro reo Viel entscheidender ist die Frage, ob die Auslegung immer zugunsten des Angeklagten zu erfolgen hat. Dafür spricht die Regelung in Art. 22 Abs. 2 des Statuts. Demnach sollen die Tatbestände eng ausgelegt werden und kein Raum für eine Analogie bestehen. Allerdings kann damit der Kanon aus Art. 31 WVK in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz konfligieren,332 wenn man denn den Menschenrechtsschutz der Opfer als leitendes Effektivitätsmoment annimmt und die Menschenrechte des Angeklagten nicht in die Abwägung einbezieht. Zusätzlich ist diese Auslegung wohl Folge des Bestimmtheitsgrundsatzes und nicht des in-dubio-pro-reo-Grundsatzes. Gadirov ist im Triffterer-Kommentar der Meinung, dass die Auslegung niemals zuungunsten des Angeklagten vorgenommen werden darf.333 Der Grundsatz in dubio pro reo spricht dem ersten Anschein nach dafür. Doch bezieht sich der Grundsatz im Ursprung nur auf Tatfragen. Es geht gerade nicht um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, sondern um eine Beweisregel für den Zweifelsfall. Das Statut regelt zwar ausdrücklich die Auslegung zugunsten des Angeklagten. Dem Wortlaut nach gilt dies jedoch nur für die Tatbestände. Die Auslegung der anderen Artikel oder der VNCh oder der Sicherheitsratsresolutionen kann dagegen auch zulasten des Angeklagten geschehen. Hätten die Staaten dies anders gewollt, wäre entweder Art. 22 Abs. 2 eindeutiger ausgefallen oder diese Regelung auch für andere Bereiche ausdrücklich getroffen worden. Der Grundsatz in dubio pro reo gilt nur, wenn Zweifel bezüglich der Auslegung bestehen. Wenn diese aber durch die klassischen Methoden ausgeräumt werden können, besteht kein Anlass mehr, diese Zweifelsregelung heranzuziehen. Dass sich die Rechte von Angeklagten und Opfern in einem Strafprozess gegenüberstehen, liegt in der Natur der Sache. Geboten ist eine Abwägung, die die bestmögliche Wirksamkeit der jeweiligen Rechte der beiden Betroffenen erreicht. Diese kann jedoch nur im Einzelfall erfolgen. Zu beachten ist dabei die Schwere der Rechtsgutsverletzung bzw. der Tatvorwürfe. Die Auslegung des Statuts kann nur dann generell zum Vorteil des Angeklagten geschehen, wenn es sich um die Auslegung der Tatbestände, inkl. der Verbrechenselemente, handelt. 332 Das nimmt Schabas, Introduction to the ICC, 2. Auflage, S. 95 an. Ders., Introduction to the ICC, 3. Auflage, S. 201 f. ist etwas vorsichtiger. 333 Triffterer/Gadirov, ICC-Statute, Art. 9 Rn. 32.
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1. Teil: Die Grundlagen
dd) Weitere Auslegungsmaximen Im Völkerstrafrecht kommen weitere Auslegungsmaximen zum Tragen. Sie haben ihre Wurzeln im nationalen Strafrecht und können daher als allgemeine Rechtsgrundsätze i. S. v. Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut angesehen werden. Damit ist aber auch gesagt, dass sie nicht in der Strenge gelten können, wie im staatlichen Recht. Zu den Rechtsgrundsätzen gehören der Bestimmtheitsgrundsatz (nullum crimen, nulla poena sine lege certa et scripta), das Analogie- und das Rückwirkungsverbot.334 Das Völkerstrafrecht gilt neben dem Statut immer noch in seiner gewohnheitsrechtlichen Ausprägung. Der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege scripta kann somit nicht gelten. Er ist für die völkerstrafrechtliche Auslegung nicht relevant.335 Somit kann auch der Bestimmtheitsgrundsatz nicht in der gewohnten (innerstaatlichen) Strenge gelten, da auf das Schriftformerfordernis verzichtet werden muss. Allerdings muss bei der Auslegung des Statuts eine größere Bestimmtheit als im Gewohnheitsrecht verlangt werden.336 ee) Auslegungshierarchie Art. 21 des Statuts legt die Hierarchie fest, in der das Recht vom Gerichtshof angewendet wird. An erster Stelle wendet er demnach das Statut sowie die RPE und EoC an. Soweit es erforderlich ist, folgt an zweiter Stelle das sonstige Völkerrecht und an dritter Stelle das nationale Strafrecht insb. des Staates/der Staaten, die neben dem Gerichtshof zur Strafverfolgung berechtigt sind. Zwar regelt diese Bestimmung die Auslegung nicht, jedoch kann, wenn schon die Anwendbarkeit sich nach einer Stufenfolge richtet, für die Auslegung nichts anderes gelten. Ansonsten wäre die Rangfolge sinnlos und überflüssig: Über eine gleichrangige Auslegung der Quellen würde diese umgangen. Insoweit bildet das Statut den Maßstab für die Auslegung des Völkerrechts und des nationalen Strafrechts.337 In der Folge sind allgemeine Regelungen so auszulegen, dass sie die Voraussetzungen des Statuts erfüllen. Gibt es zwei völkerrechtlich mögliche Auslegungsergebnisse, ist für das Statut dasjenige zu wählen, das möglichst effektiv zur Strafverfolgung beiträgt. 334 Cassese, International Criminal Law, S. 47 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 14 Rn. 13 f. 335 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 14 Rn. 13. 336 Vgl. Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 148 ff.). 337 Ebenso Caracciolo, Applicable Law, in: Lattanzi/Schabas, S. 211 (S. 224 ff.).
2. Kap.: Die Methode
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b) Auslegung anhand des Menschenrechtsschutzes und Interpreten des Statuts Die Auslegung des Statuts unterliegt zwei Besonderheiten. Zum einen ist dies der möglichst effektive Menschenrechtsschutz. Dabei stehen sich die Rechte der Opfer und die Prozessgarantien für den Angeklagten gegenüber. Die Rechtsstellung der Opfer ist im Statut des IStGH umfassend geregelt. Sie haben zahlreiche Mitwirkungsrechte (Art. 68 IStGH-Statut).338 Demgegenüber stehen die Angeklagten, deren Stellung der in einem nationalen rechtsstaatlichen Verfahren angeglichen werden soll (Art. 66 f. IStGH-Statut). Im Einzelfall ist zwischen den beiden Rechtspositionen eine Abwägung zu treffen. Diese stellt keine Verletzung des in-dubio-pro-reo-Grundsatzes dar, vielmehr eine Erweiterung, da dieser Grundsatz erst als letztes Mittel der Auslegung in Betracht kommt. Zum anderen sind nur die Organe des Gerichtshofs, also vor allem die Spruchkörper, zur Auslegung berechtigt. Dies ergibt sich aus der Unabhängigkeit, die die Organisation als Teil der völkerrechtlichen Judikative genießt. 5. Auslegung von Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII VNCh Das einzige Mittel, mit dem der Sicherheitsrat auf den Strafgerichtshof einwirken kann, sind Resolutionen nach dem siebten Kapitel. Da es sich um nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen handelt, ist ihre Rechtsgrundlage Art. 41 der Charta. Solche Resolutionen sind die Schnittstellen zwischen den beiden Regimen. Wird einer internationalen Organisation die Kompetenz eingeräumt, verbindliche Rechtsregeln zu schaffen, so kann man dieses als sekundäres Organisationsrecht bezeichnen.339 Dies gilt allerdings nur für den Rahmen der Organisation, also für die Selbstverwaltung der Organisation und dort, wo es vorgesehen wurde, auch gegenüber ihren Mitgliedern.340 Im Falle der VN kann man somit vom sekundären VN-Recht oder sekundärem Charta-Recht sprechen. Seinen Geltungsgrund leitet dieses Organisationssekundärrecht aus dem Organisationsprimärrecht, dem Gründungsvertrag, also der Charta, ab. Es teilt dessen Rechtsnatur, es ist Völkervertrags338
s. v. a. Jorda/Hemptinne, The Status and Role of the Victim, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 1387 ff. 339 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1502; Aston, S. 46 ff.; Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, EPIL Online Edition, Rn. 1. 340 Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, EPIL Online Edition, Rn. 8 ff.
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1. Teil: Die Grundlagen
recht.341 Aufgrund der Einheit der Organisationsrechtsordnung342 gelten die für das Primärrecht herausgearbeiteten Auslegungsregeln auch für das Sekundärrecht. Sie sind am Maßstab des Art. 31 Abs. 1 WVK auszulegen.343 Aus dem Effektivitätsgrundsatz in Verbindung mit der abgeleiteten Geltung aus dem Primärrecht folgt eine weitere Auslegungsmaxime. Um den Zweck der Organisation zu erreichen, müssen Primär- und Sekundärrecht eine einheitliche, in sich geschlossene Rechtsordnung darstellen.344 Somit ist das Sekundärrecht auch am Maßstab des Primärrechts auszulegen. Fraglich ist wiederum, wer zur Auslegung befugt ist. Für die vorliegende Untersuchung stellt sich das Problem, dass sowohl Sicherheitsrat als auch die Organe des Gerichtshofs mit den Resolutionen arbeiten. Für den Bereich der Vereinten Nationen bleibt es bei der gefundenen Auslegungsregelung. Für die Auslegung der Resolutionen durch den Gerichtshof greifen die Begründungen der VN-Vorbereitungskommission und des IGH im CertainExpenses-Fall345: Die Organe sind gerade aufgrund der täglichen Arbeit zur Auslegung berufen. Diese müssen u. a. gemäß Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut ihre eigene Zuständigkeit begründen, dafür müssen sie aber die Resolutionen auslegen. Im Statut findet sich keine Ermächtigung für den Sicherheitsrat, verbindlich für die Organe des Gerichtshofs auszulegen. Dabei ist folgende Einschränkung zu machen: Die Auslegung durch die Organe gilt nur für den Bereich des Gerichtshofs. Das Statut öffnet sein Regime für bestimmte andere Rechtskreise, hier für das sekundäre VN-Recht. 341 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1503. Dagegen hält Skubiszewski, A New Source of the Law of Nations: Resolutions of International Organisations, in: FS Guggenheim, S. 508 ff., Resolutionen internationaler Organisationen für eine Rechtsquelle sui generis. 342 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1504, 1601b. 343 Fastenrath, S. 210; Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, EPIL Online Edition, Rn. 46 ff.; Orakhelashvili, MPYBUNL 11 (2007), S. 143 (S. 152 ff.). Vorsichtiger Wood, MPYBUNL 2 (1998), S. 73 (S. 85 ff.), der im Ergebnis nur unwesentlich von der hier vorgeschlagenen Auslegung abweicht, indem er besonderen Wert auf die Auslegung im Kontext der VNCh legt. Es muss darauf hingewiesen werden, dass bei der Auslegung von Resolutionen, die sich an Individuen richten, verstärkt auf den Text abgestellt werden muss. Die Adressaten hatten keine Möglichkeit an der Entstehung mitzuwirken und sich so ein genaues Bild über ihre Pflichten zu machen. Dies kann nur durch die Lektüre geschehen. 344 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1504. 345 IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 (S. 168).
2. Kap.: Die Methode
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Dabei gibt das Recht des Gerichtshofs vor, wie weit diese Öffnung geht. Insbesondere ist hier die Hierarchie des Art. 21 IStGH-Statut zu beachten. Es zeichnet sich hier eine Parallele zur Solange-Rechtsprechung des BVerfG ab.346 Das VN-Recht gilt für den Regelungsbereich des IStGH-Statuts nicht kraft seiner Autonomie als angebliche Verfassungsebene der internationalen Gemeinschaft. Jeder Rechtsakt der VN gilt in diesem Rahmen nur, wenn und soweit das Statut den Bereich für anderes Völkervertragsrecht öffnet. Das bedeutet auch, dass die statutsrechtlichen Grenzen für die Öffnung eingehalten worden sein müssen. Ob dies geschehen ist, prüft der IStGH selbst, Art. 19 i. V. m. Art 13, 16, 87 IStGH-Statut.
II. Die Auslegung der anzuwendenden Rechtstexte Im Ergebnis ist in der vorliegenden Untersuchung insb. die teleologische Komponente der Auslegung zu betonen. Die Arbeit an den völkerrechtlichen Texten wird von dem Gedanken der Effektivität geleitet. Die VNCh wird als völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 31 WVK ausgelegt. Für eine wie auch immer geartete Verfassungsauslegung ist kein Raum. Bei der Auslegung des Statuts ist die englische Fassung auch neben den anderen authentischen Fassungen von herausragender Bedeutung. Die Vorarbeiten sind nur in dieser Sprachfassung erfolgt und nur die englische Fassung verfügt über eine Entstehungsgeschichte. Im nächsten Teil gilt zu klären, was die Voraussetzungen für ein gemeinsames Handeln von Sicherheitsrat und Strafgerichtshof sind. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist als zentrale Norm ausführlich in seiner Entstehungsgeschichte, seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu untersuchen.
346
BVerfGE 37, 271 (Solange I), BVerfGE 73, 339 (Solange II), BVerfGE 89, 155 (Maastricht), BVerfGE 102, 147 (Bananenmarktordnung). Vgl. v. a. unten, 3. Kapitel I. 6.
2. Teil
Die Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat 3. Kapitel
Entstehungsgeschichte und Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Art. 13 des Statuts enthält die sogenannten trigger mechanisms.1 Sie eröffnen die Gerichtsbarkeit des IStGH. Erst wenn einer der drei dort vorgesehenen Wege beschritten wird, wird der Gerichtshof tätig.2 Die erste Möglichkeit ist die Überweisung einer Situation durch einen Vertragsstaat des Römischen Statuts (lit. a). Bahnbrechend war die Aufnahme einer proprio-motu-Ermittlungsbefugnis für den Chefankläger des Gerichtshofs in lit. c).3 Den Weg über Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ging der Sicherheitsrat bisher nur einmal. Im März 2005 überwies er die Situation in Darfur an den Gerichtshof. Während der Verhandlungen zum Statut war das Verhältnis zum Sicherheitsrat hoch umstritten.4 Die Delegierten waren durch das Tadic´-Urteil des 1 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 1; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: R. Lee, ICC, S. 143 (S. 146). Cameron, Jurisdiction and Admissibility Issues under the ICC Statute, in: McGoldrick/Rowe/Donnelly, S. 65 (S. 82), identifiziert die ad-hoc-Akzeptanz als vierten trigger mechanism. Ihm ist in Anbetracht von Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut zuzustimmen. 2 Berman, The Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: FS Bos, S. 173 (S. 174). 3 s. dazu Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 7 ff. 4 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 1; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143; Lüder, Die Geschichte der Verfolgung von Kriegsverbrechen, in: FS Fleck, S. 365 (S. 379); Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, in: Lee, ICC, S. 127; Lindenmann, The Rules of Procedure and Evidence on Jurisdiction and Admissibility, in: Fischer/Kreß/Lüder, S. 173; Kirsch/Holmes, AJIL 93 (1999), S. 2 (S. 2); Oosthuizen, NILR XLVI (1999), S. 313 (S. 314). Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty. ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 58 f.); Gargiulo, The Controversial Relationship be-
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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ICTY für diesen Punkt sensibilisiert. Für einige Vertreter war die Einflussnahme eines politischen Organs auf die Arbeit eines Gerichts unvorstellbar und nicht akzeptabel. Sie wollten den IStGH davon frei halten. Er sollte seine Arbeit unabhängig – auch gerade von den Vereinten Nationen – leisten. Auf der anderen Seite stand die Hoffnung, mit der Autorität der VN und des Sicherheitsrates – die dieser gerade in der Gründung der ad-hocTribunale bewiesen hatte – eine breite Legitimation und Effektivität der zu schaffenden internationalen Strafgerichtsbarkeit zu gewährleisten. Im Laufe der Jahre wurden unterschiedliche Vorschläge für das Verhältnis unterbreitet. Erst in den letzten Tagen der Diplomatischen Konferenz in Rom entstand die endgültige Version, die heute im Statut enthalten ist.5 Die Untersuchung befasst sich im Folgenden ausführlich mit Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, dessen Entstehungsgeschichte und möglichen Alternativen. Nach einem kurzen historischen Abriss der Entstehung, der die Vertragsvorarbeiten als ergänzende Auslegungsmittel i. S. d. Art. 32 WVK auswertet, werden Tatbestand und Rechtsfolge der Norm dargestellt. Entgegen der von Art. 31 f. WVK vorgegebenen Vorgehensweise soll so der Boden für das Verständnis und die spätere Auslegung bereitet werden. Dabei steht im Vordergrund, wie beide Verträge an dieser Schnittstelle zwischen IStGH-Statut und VNCh möglichst effektiv zur Geltung gebracht werden können.
I. Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut6 Art. 13 lit. b) IStGH-Statut legt die Grundlage für strafrechtliche Ermittlungen und Untersuchungen durch den Gerichtshof, die durch den Sicherheitsrat eingeleitet werden. Das Statut nimmt nicht nur zur Voraussetzung, dass der Sicherheitsrat tatsächlich gehandelt hat. Die rechtlichen Eigenarten der Charta werden genutzt. tween the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 68 ff.). Wilmshurst, The International Criminal Court: The Role of the Security Council, in Politi/Nesi, ICC, S. 39 ff. und Berman, The Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: FS Bos, S. 173 (S. 175), sehen die Kritik nicht als juristisch, sondern als politisch motiviert an. Ihnen ist zuzustimmen. 5 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 13; Lindenmann, The Rules of Procedure and Evidence on Jurisdiction and Admissibility, in: Fischer/Kreß/ Lüder, S. 173 (S. 173). 6 Zur Entstehungsgeschichte des Statuts insgesamt s. v. a. Ahlbrecht, S. 343 ff.; Bruer-Schäfer, S. 87 ff.; Triffterer/Triffterer, ICC-Statute, Preliminary Remarks Rn. 1–11; Schabas, Introduction to the ICC, S. 1 ff. und Kaul, International Criminal Court, EPIL Online Edition, Rn. 1 ff.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Ein summarischer Blick auf die Entstehungsgeschichte des Statuts ist erforderlich, um die travaux préparatoires als Auslegungshilfsmittel i. S. d. Art. 32 WVK heranziehen zu können. 1. Die Arbeit der ILC und deren Entwurf für das Statut eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs7 Die Generalversammlung erteilte der ILC im Jahre 1989 den Auftrag, die Frage der Errichtung eines ständigen Strafgerichtshofs anzusprechen.8 Special Rapporteur Thiam beendete seine Arbeit 1992 mit der Feststellung, dass die Ausarbeitung eines Statuts zwar grundsätzlich möglich sei, aber aufgrund eines fehlenden Mandats nicht erfolgen könne. Die ILC ersuchte die Generalversammlung um ein solches Mandat,9 das mit der Resolution 47/33 am 25. November 1992 erteilt wurde. Im Jahre 1994 legte die ILC ihren Entwurf vor.10 Das Regime der Gerichtsbarkeit basierte auf dem Konsens der Staaten und der Kontrolle des Sicherheitsrates als „opt-in system“.11 Die Mitgliedstaaten sollten nach diesem Entwurf für jeden Fall gesondert ihre Zustimmung zur Strafverfolgung durch den ICC erteilen. Die Vorläuferregelung zu Art. 13 lit. b) IStGH-Statut findet sich in Art. 23 ILC-Entwurf: Article 23, Action by the Security Council12 (1) Nothwithstanding article 21, the Court has jurisdiction in accordance with this Statute in respect to crimes referred to in article 20 as a consequence of the referral of a matter to the Court by the Security Council acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations. (2) A complaint of or directly related to an act of aggression may not be brought under this Statute unless the Security Council has first determined that a state has committed the act of aggression which is the subject of the complaint. (3) No prosecution may be commenced under this Statute arising from a situation which is being dealt by the Security Council as a threat to or breach of the peace or an act of aggression under Chapter VII of the Charter, unless the Council otherwise decides. 7 Crawford, AJIL 88 (1994), S. 140 ff., ders., The Work of the International Law Commission, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 23 ff. 8 A/RES/44/39 vom 4. Dezember 1989. 9 ILC-Summary Records, 44th Session, YBILC 1992 I, 14.–17. Juli 1992, S. 191–211. 10 ILC Report of 1994, Vol. II, Part II, UN Doc. A/49/10, im Folgenden ILCEntwurf. 11 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 2; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, in: Lee, ICC, S. 127 (S. 128); Nsereko, CLF 10 (1999), S. 87 (S. 104). 12 Zur Kritik an Art. 23 ILC-Entwurf S. Yee, HastingsICLR 19 (1996), S. 529 ff.
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Art. 23 Abs. 1 ILC-Entwurf ist somit die „Urfassung“ des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Vorgesehen war ein Recht des Sicherheitsrates, durch eine Resolution nach Kapitel VII eine matter an den Gerichtshof zu überweisen. In Art. 23 Abs. 3 ILC-Entwurf wurde ein anderes System zugrunde gelegt, als es Niederschlag im Römischen Statut gefunden hat: Solange sich der Sicherheitsrat mit einer Situation beschäftigte, wäre der Gerichtshof daran gehindert gewesen, sich mit diesem Fall zu befassen. Im Einzelfall hätte der Sicherheitsrat den Sachverhalt für den Gerichtshof zwar freigeben können, paralleles Tätigwerden wäre aber nicht automatisch möglich gewesen. Dies stand im Belieben des Sicherheitsrates. Begründet wurde diese Hierarchie mit der herausragenden Stellung des Sicherheitsrates nach Art. 12 Abs. 1, 24 Abs. 1 VNCh und dem Bedürfnis nach koordiniertem Vorgehen in einem Fall, in dem Sicherheitsrat und Gerichtshof parallel bzw. zeitgleich vorgehen wollen.13 Diese Wertung findet sich schon in der Charta, denn so ist das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung ausgestaltet. Andere Mitglieder der ILC standen dieser Rollenverteilung kritisch gegenüber. Anknüpfungspunkt war eine andere Parallele zum Recht der Vereinten Nationen, nämlich das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof. Dieses sei viel eher heranzuziehen als die Parallele zur Generalversammlung. Es handele sich auch beim IStGH um ein Rechtsprechungsorgan. Wenn dem Sicherheitsrat schon gegenüber dem VNOrgan IGH ein solches Exklusivitätsrecht fehle, dann könne erst recht nicht ein von den VN unabhängiges Gericht dem Sicherheitsrat so unterworfen werden. Die Unabhängigkeit des Gerichts in seiner Eigenschaft als Justizorgan und als Völkerrechtssubjekt sei sonst stark gefährdet. Als Folge des Art. 23 Abs. 2 ILC-Entwurf wäre der Gerichtshof am Vorgehen gehindert gewesen, wenn eine Sache nur auf der Agenda des Sicherheitsrates gestanden hätte. Im Ergebnis hätte somit ein einzelnes Mitglied des Rates den Gerichtshof an seiner Arbeit hindern können. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates würden dadurch zu mächtig werden: Ihr politischer Einfluss im Sicherheitsrat sollte sich nicht auf den unabhängigen Gerichtshof erstrecken.14 Dass alle anderen Mitgliedstaaten der VN davon nicht angetan gewesen wären, versteht sich von selbst.
13
ILC-Entwurf, S. 87. ILC-Entwurf, S. 88; Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 5; Berman, The Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: FS Bos, S. 173 (S. 175). 14
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
2. Das ad-hoc-Komitee 1995 Die Generalversammlung nahm den Abschlussbericht der ILC positiv auf. Sie setzte ein ad-hoc-Komitee ein, das eine Staatenversammlung vorbereiten sollte.15 Ziel war der Entwurf eines Statuts, der als Grundlage für einen völkerrechtlichen Vertrag dienen könnte. Auch in dem Komitee wurde u. a. das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Gerichtshof sowie eine mögliche Überweisung diskutiert. Die Beratung ähnelte der innerhalb der ILC. Umstritten war nach wie vor, ob der Sicherheitsrat überhaupt eine Rolle spielen sollte.16 Auch hier wurde als Argument gegen eine Beteiligung des Sicherheitsrates angeführt, dass der Gerichtshof als justizielles Organ vom politischen Organ Sicherheitsrat unabhängig sein sollte. Dessen Einflussnahme würde die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Autonomie des Gerichts unterwandern.17 Die Möglichkeit der Überweisung ergäbe sich nicht aus der Charta. Dem Sicherheitsrat und insb. dessen ständigen Mitgliedern würden so mehr Kompetenzen zustehen als 1945 vorgesehen.18 Die Gegenseite konnte sich auch im ad-hoc-Komitee durchsetzen. Entscheidend war für sie, dass der Rat die Hauptverantwortung für die Wahrung bzw. Wiederherstellung des Friedens trägt, Art. 24 Abs. 1 VNCh.19 Diese Hierarchie der VN-Charta sollte sich auch auf den Gerichtshof erstrecken. Sollte der Sicherheitsrat keine Rolle im Statut spielen, so wäre ein wesentlich komplexeres opt-in-System erforderlich gewesen.20 Die starke Stellung des Sicherheitsrates in Art. 23 Abs. 3 ILC-Entwurf wurde verworfen. Mindesterfordernis für die exklusive Beschäftigung mit einer Sache durch den Sicherheitsrat war nunmehr, dass der Rat gehandelt haben musste.21 15
A/RES/49/53 vom 1. Dezember 1994. Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 8; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 146); A. Bos, From the International Law Commission to the Rome Conference (1994–1998), in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 35 (S. 41); Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, in: Lee, ICC, S. 127 (S. 130 f.). 17 Report of the Ad Hoc Committee on the Establishment of an International Criminal Court 1995, UN Doc. A/50/22 vom 6. September 1995, Rn. 121, 125, nachfolgend Ad-hoc-Report; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (146 ff.). 18 Ad-hoc-Report Rn. 121; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 147). 19 Ad-hoc-Report Rn. 120. 20 Ad-hoc-Report Rn. 120. 21 Ad-hoc-Report Rn. 124 f.; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 147); Arsanjani AJIL 93 (1999), S. 22 (S. 27); Bergsmo, NordicJIL 69 (2000), S. 87 (S. 107). 16
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Daneben war umstritten, wie weit der Sachverhalt zu verstehen war, den der Sicherheitsrat überweisen sollte. Dabei reichten die Vorschläge von cases über complaints und matters bis hin zu situations. Ein case/complaint stellt dabei einen Einzelfall dar, entweder eine Tathandlung oder auch das Verhalten einer einzelnen Person. Die Begriffe matter und situation sind demgegenüber weiter gefasst. Sie beziehen sich gerade nicht auf ein individualisierbares Verhalten. Beide umschreiben also eine tatsächliche Situation, nehmen aber noch keine rechtliche Wertung vor. Auch werden weder bestimmte Sachverhalte noch bestimmte Ereignisse eingegrenzt. Zwischen beiden Begriffen wird aber weder in der Praxis22 noch in der Literatur eine klare Trennung aufgezeigt. In welchen Merkmalen sich matter und situation unterscheiden, ist nach wie vor unklar. Mit dem Abschluss des IStGH-Statuts ist die Diskussion nicht überflüssig geworden. Nach wie vor ist unklar, wie der Begriff der „Situation“ zu verstehen ist. Denn die Begriffswahl begrenzt den Einfluss, den der Sicherheitsrat auf den Gerichtshof, insb. den Ankläger, nehmen kann. Durch diese Unbestimmtheit hat der Ankläger die Freiheit, eine tatsächliche Lage umfassend zu untersuchen und die Angeklagten und die Taten selbst auszuwählen. Er muss nicht den genauen Vorgaben des Rates folgen. Diese Begriffswahl stellt dabei auch einen Kompromiss dar: Wenn der – von politischen Interessen geleitete – Sicherheitsrat Einfluss auf ein Gericht nehmen kann, nämlich durch die Überweisung, dann soll dieser Einfluss möglichst gering bleiben.23 Nur durch eine möglichst breite Überweisung kann so die Unabhängigkeit des Gerichtshofs, insb. des Anklägers und der Kammern, gewahrt bleiben. Würde der Sicherheitsrat einzelne Fälle überweisen, so würde er sich als Ankläger betätigen. Der Gerichtshof könnte, wäre er verlängerter Arm der Mitglieder des Sicherheitsrates, wohl nur schwer seine Glaubwürdigkeit bzw. Autorität als Gericht wahren. Kurz gesagt: Je weiter der Begriff in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, desto größer die Unabhängigkeit des Gerichtshofs. Für die Überweisung von cases bzw. Fällen sprach die Gleichsetzung mit Staaten. Diesen würde in Art. 25 Abs. 1 und 2 ILC-Entwurf die Möglichkeit gegeben, sich mit genauer bestimmten complaints an den Gerichtshof zu wenden.24 22 Aus den Vorarbeiten geht nicht hervor, worin der Unterschied liegen soll. Vgl. Report of the International Law Commission on the work of its forty-sixth session 2 May – 22 July 1994, UN Doc. A/49/19 (ILC-Entwurf), S. 85 f.; Ad-hoc-Report, Rn. 120 f. (S. 27); Report of the Ad Hoc Committee on the Establishment of an International Criminal Court Vol. I, UN Doc. A/51/22 vom 13. September 1996, Rn. 132 ff. (S. 31 f.); Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, UN Doc. A/CONF.183/2/Add.1 vom 14. April 1998, S. 34. 23 Ad-hoc-Report, Rn. 120.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Das ad-hoc-Komitee blieb bei der Voraussetzung eines Handelns nach Kapitel VII. Erwogen wurde, die Überweisungskompetenz auch auf Kapitel VI zu erstrecken. Durchsetzen konnte sich dieser Vorschlag nicht.25 3. Die Vorbereitungskommission (Preparatory Commission, „PrepComm“) 1996–1998 sowie das Intersessionale Treffen in Zutphen 1998 Die Arbeit der ILC und des ad-hoc-Komitees wurden in der Vorbereitungskommission fortgesetzt. Auch in diesen vier Jahren konnten sich die Staatenvertreter, Experten und NGOs nicht einigen.26 Vor allem die Rolle des Sicherheitsrates blieb dabei ein potentieller „deal breaker“.27 Bis zum Ende der Sitzungen blieben die verschiedenen Vorschläge bestehen. 4. Die Diplomatische Konferenz in Rom 1998 Vom 15. bis zum 17. Juli 1998 tagte in Rom die United Nations Diplomatic Conference of Plenipontentiaries on the Establishment of an International Criminal Court. Die Stellung des Sicherheitsrates blieb bis zur letzten Minute umstritten.28 Eine Minderheit kritisierte noch immer eine Einbeziehung des Sicherheitsrates insgesamt. Die Mehrheit der Staatenvertreter erkannte die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates an.29 Sie hielt sich 24 L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 148), der darauf hinweist, dass diese Gleichsetzung im Römischen Statut erfolgt ist. Allerdings wurde hier die weite Fassung situation gewählt. Auch für die Einleitung durch Staaten gilt die Unabhängigkeit des Gerichtshofs als Argument. 25 L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 148). 26 Ahlbrecht, S. 351 ff. 27 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 10; s. auch Report of the Intersessional Meeting in Zutphen, UN Doc. A/AC.249/1998/L.13 art. 6 [21] vom 4. Februar 1998; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, in: Lee, ICC, S. 127 (S. 131 f.); A. Bos, From the International Law Commission to the Rome Conference (1994–1998), in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 35 (S. 48). 28 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 11; Lüder, Die Geschichte der Verfolgung von Kriegsverbrechen, in: FS Fleck, S. 365 (S. 379); A. Bos, From the International Law Commission to the Rome Conference (1994–1998), in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 35 (S. 64); Kirsch/Robinson, in: Cassese/Gaeta/Jones, ICC, Vol. I, S. 67 (S. 82); Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, in: Lee, ICC, S. 127 (S. 133). 29 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 13; L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 147).
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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dabei an die Argumentation der ICTY-Berufungskammer im Tadic´-Fall30: Der Sicherheitsrat genießt als Hauptverantwortlicher für die Wahrung und Wiederherstellung des Friedens einen weiten Ermessensspielraum in Bezug auf seine Maßnahmen. Die VN-Charta zählt dabei die einzelnen Maßnahmen nicht abschließend auf, insb. ist Art. 41 VNCh nicht enumerativ. Wenn der Sicherheitsrat also nach VN-Recht die Möglichkeit zur Einsetzung von Strafgerichten hat, so stellt Art. 13 lit. b) IStGH-Statut das Gegenstück im Statut dar. 5. Die abnehmende Bedeutung des Sicherheitsrates als Fazit der Entstehungsgeschichte Festzuhalten bleibt Folgendes: Die Stellung des Sicherheitsrates im Statut wurde im Verlaufe der Verhandlungen immer schwächer.31 Dies zeigt sich in zwei Aspekten. Zum einen können de lege lata Ankläger und Sicherheitsrat gleichzeitig tätig werden. Auch die mittelbare Einflussnahme auf dem Weg der Konkretisierung des Überweisungsgegenstandes ist eingeschränkt worden. Mit anderen Worten: Der Sicherheitsrat soll die Anklageschrift in Bezug auf Personen, deren Handlungen und die Tatbestände nicht konkretisieren können. Das Überweisungsrecht des Sicherheitsrates wandelte sich von einem exklusiven Beschäftigungsrecht zu einem Überweisungsrecht unter dreien. Von einer Vorrangstellung wie im ILC-Entwurf kann keine Rede mehr sein. Auch wenn die Kompetenzen des Sicherheitsrates für den Gerichtshof sehr hilfreich sein können,32 so stehen beide Institutionen in Bezug auf die Verfahrenseinleitung grundsätzlich auf Augenhöhe. Einzig das Erfordernis einer wie auch immer gearteten Maßnahme im Rahmen von Kapitel VII zieht sich durch die gesamte Entstehungsgeschichte des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, ohne umstritten gewesen zu sein.
II. Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Artikel 13 lit. b) IStGH-Statut steht an der Schnittstelle zwischen VNRecht und IStGH-Recht. Hintergedanke der Regelung ist, dass VN und IStGH zusammenarbeiten müssen. Er konkretisiert diesen Erwägungsgrund 30 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic ´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995. 31 Schabas, CLF 12 (2001), S. 415 (S. 423). 32 s. dazu den nächsten Punkt unter II.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
und ermöglicht die praktische Zusammenarbeit. Nachfolgend wird verdeutlicht, wie Art. 13 lit. b) IStGH-Statut diese Brücken- oder Scharnierfunktion erfüllt. 1. Kompetenzzuweisung Teilweise wird vertreten, dass Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dem Sicherheitsrat eine Kompetenz zugesteht. Diese Ansicht ist abzulehnen. Als Organ der Vereinten Nationen ergeben sich die Kompetenzen des Rates allein aus der Charta. Ein anderer Vertrag kann nicht in das Kompetenzgefüge der VN eingreifen. Nach dem Grundsatz des pacta tertiis ist das grundsätzlich nicht möglich. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut kann somit eben keine Kompetenz für den Sicherheitsrat begründen. Selbst die Gewährung eines rechtlichen Vorteils ist nur mit Zustimmung des zu Berechtigenden möglich, vgl. Art. 36 Abs. 1 WVK und dementsprechendes Gewohnheitsrecht. Zwar ist denkbar, dass eine solche Konstellation hier vorliegt. Art. 13 lit. b) IStGHStatut könnte der rechtliche Vorteil sein, den der Sicherheitsrat durch das RA schriftlich angenommen hat. Jedoch ist fraglich, ob diese Begründung wirklich erforderlich ist. Es ist vorstellbar, dass die Kompetenzen des Sicherheitsrates unangetastet bleiben – sie werden weder erweitert noch beschränkt. Einzig das Statut bietet dem Sicherheitsrat an, seine VN-rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen des Statuts zu nutzen. Des Rückgriffes auf Art. 36 Abs. 1 WVK bedarf es dann nicht. Denn die Eingriffsmöglichkeit des Sicherheitsrates in andere völkerrechtliche Regime ist vielmehr bereits in der Charta angelegt. So zeigen Art. 25, 39 ff. und 103 VNCh deutlich, dass der Sicherheitsrat sich über andere Verträge hinwegsetzen kann. Er kann in andere Vertragsregime eingreifen. Dies ist dann für die Mitgliedstaaten der VNCh und des betroffenen Vertrages in der Hinsicht verbindlich, dass die Pflichten aus der VNCh den anderen vertraglichen Pflichten vorgehen. Dass der Sicherheitsrat bei seiner Maßnahmenauswahl einen sehr großen Spielraum hat, ist in Kapitel 2 III. gezeigt worden. In eine andere Organisation kann der Rat vom VN-Recht aus betrachtet also jederzeit eingreifen. Das VN-Recht steht dem nicht entgegen. Aufgrund des pacta-tertiis-Grundsatzes muss die andere internationale Organisation nun aber ihren Bereich dafür öffnen, denn die VNCh entfaltet, wie oben gezeigt,33 keine Wirkung für andere Organisationen. Erst wenn die Gründer bzw. Mitglieder einer internationalen Organisation dieser eine Verpflichtung auferlegen, das Recht einer anderen internationalen Organisation anzuerkennen bzw. das neue Rechtssubjekt an das Recht einer anderen, schon bestehenden Rechtspersönlichkeit zu binden, kann – die schon im 33
2. Kapitel V.
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Statut der älteren Organisation angelegte Möglichkeit zur Bindung einer anderen Entität – auch für die neue Wirkung entfalten. Vorliegend bedeutet dies, dass die Vertragsstaaten des IStGH-Statuts dieses neue Regime also für die VNCh öffnen mussten, um die in der Charta angelegten Möglichkeiten des Sicherheitsrates für den Bereich des Statuts zuzulassen. Dies ist durch Art. 13 lit. b) IStGH-Statut geschehen. Somit erweitert Art. 13 lit. b) IStGHStatut die Möglichkeit des Gerichtshofs, tätig zu werden. Er gibt somit nicht dem Sicherheitsrat, sondern dem Gerichtshof eine Kompetenz.34 2. Beabsichtigte Rechtsfolge a) Eröffnung der Gerichtsbarkeit bei Vertragsstaaten Bei den Rechtsfolgen der Verfahrenseinleitung nach Art. 13 lit. b) IStGHStatut ist zu unterscheiden. Überweist der Sicherheitsrat eine Situation ohne Berührung mit Nichtvertragsstaaten,35 eröffnet die Resolution die Gerichtsbarkeit des IStGH. Das heißt, der IStGH kann in diesem Fall (Konflikt) Strafverfolgungsmaßnahmen ergreifen. Denn in diesem Fall haben die betroffenen Staaten der Begründung der Gerichtsbarkeit in Art. 5 Abs. 1, 12 Abs. 1 IStGH-Statut zugestimmt. Die Begründung bezieht sich auf die Völkerrechtsmäßigkeit der Ausübung der Strafgewalt, also auf die Frage, ob der IStGH (generell) vorgehen darf. Ohne Begründung würde diese einen Verstoß gegen das Interventionsverbot darstellen. b) Begründung der Gerichtsbarkeit bei Nichtvertragsstaaten Überweist der Sicherheitsrat jedoch eine Situation, die Nichtvertragsparteien berührt, so begründet die Resolution die Gerichtsbarkeit erst und eröffnet sie zugleich.36 34 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 630); Berman, The Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: FS Bos, S. 173 (S. 174); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 13 Rn. 15; Hoffmeister/Knoke, ZaöRV 59 (1999), S. 785 (S. 789). Anderer Ansicht sind Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 199 III 3. b) (S. 1152 f.), die in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eine „Ergänzung der Handlungsoptionen des Sicherheitsrates“ sehen. Nur wenn man die Ergänzung als rein faktische Möglichkeit sieht, nämlich im Nutzen der Infrastruktur, und nicht als neue rechtliche Möglichkeit, behalten die Autoren recht. Der rechtliche Rahmen für die „Ergänzung der Handlungsoptionen“ liegt in den Art. 39 ff. VNCh. 35 Also wenn die Erfordernisse des Art. 12 IStGH-Statut erfüllt sind. 36 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 16; Gallant, LeidenJIL 16 (2003), S. 553 (S. 583).
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
In Verbindung mit Art. 12 IStGH-Statut erschließt sich die Bedeutung der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat. Dort wird festgelegt, dass der IStGH nur Gerichtsbarkeit über solche Verbrechen hat, die auf dem Territorium eines Vertragsstaates begangen wurden37 (lit. a) oder deren Täter Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist (lit. b). Anknüpfungspunkte für die Gerichtsbarkeit sind somit das Territorialitätsprinzip38 und das aktive Personalitätsprinzip39, die beide völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind.40 Das Statut bleibt insoweit hinter den gewohnheitsrechtlich anerkannten Anknüpfungsprinzipien zurück.41 Nach diesen kann ein Staat seine Strafgewalt auch dann ausüben, wenn das bzw. die Opfer sein/e Staatsangehörigen/er ist/sind (passives Personalitätsprinzip).42 Auch das Weltrechtsprinzip43 findet im Statut keine Anerkennung. Anders als beim passiven Personalitätsprinzip ist bei diesem jedoch fraglich, für welche Tatbestände es gilt. Auch andere Anknüpfungspunkte,44 die im deutschen Strafrecht in den §§ 5–7 StGB geregelt sind, haben für den Gerichtshof keine Bedeutung. Art. 12 IStGH-Statut ist Ausdruck des Konsensprinzips, das auch dem Statut zugrunde liegt. Die Staaten erkennen die automatische Eröffnung der Gerichtsbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 IStGH-Statut an. Voraussetzung dafür ist, dass ein Verbrechen auf dem Territorium eines Vertragsstaates oder von einem Vertragsstaatenangehörigen begangen wurde. Allerdings gilt dieser Artikel ausweislich seines Wortlauts nicht in Fällen des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.45 Eine Zustimmung der Staaten zur Strafverfolgung durch 37
Wenn die Tat auf einem Schiff oder in einem Flugzeug begangen wurde, muss der Flaggenstaat Vertragspartei sein. 38 Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, §§ 16 ff. 39 Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, §§ 40–46. 40 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 199 III 3. a) (S. 1152); Phillips, CLF 10 (1999), S. 61 (S. 68); M. Wagner, MPYBUNL 7 (2003), S. 409 (S. 488). 41 So auch König, S. 158. 42 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 199 III 3.a) (S. 1152). Zu dem Prinzip vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, §§ 33–36, insb. Rn. 632. 43 Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, §§ 50–53. 44 Es werden unterschiedliche Prinzipien anerkannt bzw. geltend gemacht. Die wichtigsten sind: a) Schutzprinzip zugunsten eines Staates für eines seiner Rechtsgüter, vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, §§ 26–29, b) Kompetenzverteilungsprinzip, vgl. ders., ebd., § 38, c) Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege, vgl. ders., ebd., §§ 47–49, d) Prinzip des Schutzes von Gütern der internationalen Gemeinschaft, vgl. ders., ebd., §§ 54–56. Für alle anderen Prinzipien gibt ders., ebd., eine vertiefte und immer noch aktuelle Darstellung. 45 Vgl. Oosthuizen, NILR XLVI (1999), S. 313 (S. 317); Triffterer/Williams, ICC-Statute, 1. Auflage, Art. 13 Rn. 16; Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/ Schabas, S. 67 (S. 81); Fixson, Der Internationale Strafgerichtshof: Seine Entste-
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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den IStGH ist somit nicht mehr erforderlich.46 Genau darin liegt die wesentliche Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut: Kraft der Sicherheitsratsbefugnisse aus Kapitel VII der Charta darf der IStGH auch über Nichtvertragsparteien seine Gerichtsbarkeit ausüben.47 Dass der Sicherheitsrat aus Kapitel VII die Befugnis hat, Individuen, die Angehörige eines VNMitgliedstaates sind, strafrechtlich verfolgen zu lassen, ist seit der Tadic´Entscheidung des ICTY von 1995 überwiegend anerkannt. Für eine solche Kompetenz sprechen gute Gründe.48 Diese VN-rechtliche Befugnis wird über Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dem Gerichtshof zugänglich gemacht. Enthung und seine Stellung im Völkerrecht, in: St. Kirsch, S. 207 (S. 217); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 199 III 3. b) (S. 1152 f.); Bourgon, Jurisdiction ratione loci, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 559 (S. 565); Kaul, The International Criminal Court: Jurisdiction, Trigger Mechanism and Relationship to National Jurisdiction, in Politi/Nesi, ICC, S. 59 (S. 60); Berman, The Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: FS Bos, S. 173 (S. 176); Arsanjani, Reflections on the jurisdiction and trigger mechanism of the International Criminal Court, in: FS Bos, S. 57 (S. 59); Danilenko, ICC Statute and Third States, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1871 (S. 1874 f.); Phillips, CLF 10 (1999), S. 61 (S. 68); Arbour/Bergsmo, Int’l L.FORUM 1 (1999), S. 13 (S. 19); Gowlland-Debbas, The Functions of the United Nations Security Council in the international Legal System, in: Byer, S. 277 (S. 296). 46 Arsanjani, Reflections on the jurisdiction and trigger mechanism of the International Criminal Court, in: FS Bos, S. 57 (S. 59). 47 Arbour/Bergsmo, Conspicuous Absence of Jurisdictional Overreach, in: FS Bos, S. 129 (S. 139); Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 684); Nsereko, CLF 10 (1999), S. 87 (S. 111); Akande, JICJ 1 (2003), S. 618 (S. 620); Kaul, International Criminal Court, EPIL Online Edition, Rn. 59; Zellweger/Koller, Non-State Actors, International Criminal Law and the Role of the International Criminal Court, in: FS Wildhaber, S. 1619 (S. 1629); Gowlland-Debbas, The Functions of the United Nations Security Council in the international Legal System, in: Byer, S. 277 (S. 296). 48 Genauer 9. Kapitel I). Vgl auch ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 32–40; ICTR Trial Chamber II, Prosecutor v. J. Kanyabashi, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Case No. ICTR-96-15-T, Beschluss vom 18. Juni 1997, Rn. 5 ff.; Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 683 f.); Zimmermann, MPYBUNL 2 (1998), S. 169 (S. 216); Zimmermann, ZaöRV 58 (1998), S. 47 (S. 94); Heintschel von Heinegg, Die Errichtung des Jugoslawien-Strafgerichtshofs durch Resolution 827 (1993), in: Fischer/Lüder, S. 63–87; Phillips, CLF 10 (1999), S. 61 (S. 62); L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 147); Bergsmo, EJCCLCJ 6 (1998), S. 29 (S. 36). Eitel, MPYBUNL 4 (2000), S. 53 (S. 69); Perrin de Brichambaut, The Role of the United Nations Security Council in the International Legal System, in: Byers, S. 269 (S. 273); Oellers-Frahm, Die Einsetzung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, in: FS Bernhardt, S. 733 ff. Ablehnend dagegen Graefrath, NJ 1993, S. 433–437.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
scheidet sich der Sicherheitsrat für eine Strafverfolgung, so kann er auf die Gründung von ad-hoc-Tribunalen verzichten und die Infrastruktur des IStGH heranziehen. Eine solche Erweiterung der Gerichtsbarkeit des IStGH stellt keinen Verstoß gegen den in Art. 35 WVK kodifizierten Grundsatz des pacta tertiis dar. Die Ausübung von Strafgewalt durch ein Unterorgan des Sicherheitsrates, das ein ad-hoc-Tribunal nach Art. 29 VNCh darstellt,49 ist eine Maßnahme nach Kapitel VII VNCh. Der Einschränkung ihrer Souveränität durch Maßnahmen nach Kapitel VII haben die Staaten mit Beitritt zu den VN zugestimmt.50 Wenn der Sicherheitsrat nun seine Strafgewalt nicht durch ein ad-hoc-Tribunal, sondern durch eine bereits bestehende Institution ausüben lassen möchte, ist diese Maßnahme noch immer von der Charta und damit vom Willen der VN-Mitgliedstaaten gedeckt.51 Dabei muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben, wie weit die Konsensersetzung reicht. Das Statut gibt nämlich nicht vor, wann der IStGH tätig werden darf. Es regelt dies nur für die Fälle Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut. Da der Wortlaut nicht dagegen spricht und andere Anknüpfungsprinzipien im Statut nicht erkennbar sind, ist davon auszugehen, dass die Resolution den fehlenden Konsens von Täter- oder Tatortstaat ersetzen soll, wenn dieser Staat das Statut nicht ratifiziert hat. Da der Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut aber ausdrücklich nur auf diese beiden Alternativen von Art. 13 IStGH-Statut verweist, ist es möglich, dass für Sicherheitsratsüberweisungen alle gewohnheitsrechtlichen Anknüpfungspunkte in Betracht kommen. Diese Frage gehört zu den Rechtsfolgen einer Sicherheitsratsresolution und wird daher später behandelt.52
49 Kirgis, AJIL 89 (1995), S. 506 (S. 522 ff.); Perrin de Brichambaut, The Role of the United Nations Security Council in the International Legal System, in: Byers, S. 269 (S. 272). 50 So der traditionelle Ansatz, vgl. Hillgruber, Braucht das Völkerrecht eine Völkerrechtswissenschaftstheorie?, in: Jestaedt/Lepsius, S. 113 (S. 119); Vukas, Treaties, Third-Party Effect, EPIL Online Edition, Rn. 7. 51 Zimmermann, MPYBUNL 2 (1998), S. 169 (S. 216 f.); Zimmermann, ZaöRV 58 (1998), S. 47 (S. 94); Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 627 (S. 629 f.). Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty. ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 60 ff.); Arbour/Bergsmo, Conspicuous Absence of Jurisdictional Overreach, in: FS Bos, S. 129 (S. 139 f.). L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 149), verweist darauf, dass die völkerrechtlichen Kompetenzen des Sicherheitsrates ins Spiel kommen. 52 Vgl. 8. Kapitel IV. 1. c).
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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3. Der pacta-tertiis-Grundsatz und die dogmatische Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass der pacta-tertiis-Grundsatz das Verhältnis der beiden Organisationen zueinander vorbestimmt. Beide Verträge müssen in Übereinstimmung gebracht werden. Ansatzpunkt für das Verhältnis im Stadium der Verfahrenseinleitung ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Die Beziehung, die damit zwischen Gerichtshof und Rat etabliert wird, ist ohne Vorläufer im Völkerrecht.53 Eine solche Verfahrenseinleitung war bisher noch nicht möglich. Kein Gerichtshof der internationalen Gemeinschaft bietet dem Sicherheitsrat eine vergleichbare Möglichkeit. Es stellt sich die Frage nach der dogmatischen Einordnung dieser Beziehung in Anbetracht des pacta-tertiis-Grundsatzes. a) Vertragliche Beziehung Vorstellbar ist, dass es sich um eine vertragsähnliche Beziehung handelt.54 In Betracht käme dann das RA als Grundlage für die nähere Ausgestaltung des Verhältnisses. Olufemi Elias und Anneliese Quast lehnen dies für die Beziehung nach Art. 16 IStGH-Statut ab.55 Als die Resolution 1422 erlassen wurde, war das RA noch nicht in Kraft getreten. Für eine solche vertragliche Beziehung spricht der Art. 2 IStGH-Statut. Ausdrücklich wird statuiert, dass „(d)er Gerichtshof durch ein Abkommen [. . .] mit den Vereinten Nationen in Beziehung gebracht (wird).“ Art. 2 IStGH-Statut trifft allerdings nur allgemeine Regelungen.56 Spezielle Vorschriften für einzelne Verfahrensstadien – also Art. 13 lit. b), 16 und 87 IStGH-Statut – setzen den Rahmen, den das RA nur in Details und Verfahrensfragen ausgestalten kann. Konstitutiv und damit entscheidend für die Gewährung von Rechten kann das RA somit nicht sein.57 Es begründet keine vertragliche Beziehung für das Stadium der Verfahrenseinleitung.
53 Für Art. 16 IStGH-Statut Triffterer/Bergsmo/Pejic ´ , ICC-Statute, Art. 16 Rn. 10. 54 Elias/Quast, Non-State Actors and International Law 3 (2003), S. 165 (S. 180). 55 Elias/Quast, Non-State Actors and International Law 3 (2003), S. 165 (S. 180). 56 Triffterer/Marchesi, ICC-Statute, Art. 2 Rn. 1 macht dies sehr deutlich. 57 1. Kapitel II. 2.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
b) Gewährung von Rechten In Betracht kommt, dass Art. 13 lit. b) IStGH-Statut den VN, genauer dem Sicherheitsrat, ein Recht gewähren soll. Es läge dann eine Situation nach der gewohnheitsrechtlichen Ausprägung des Art. 36 Abs. 2 WVKIO vor. Artikel 36 Verträge zugunsten von Drittstaaten oder Drittorganisationen – WVKIO [. . .] (2) Eine Drittorganisation wird durch eine Vertragsbestimmung berechtigt, wenn die Vertragsparteien beabsichtigen, durch die Vertragsbestimmung der Drittorganisation oder einer Gruppe internationaler Organisationen, zu der sie gehört, oder allen Organisationen ein Recht einzuräumen, und die Drittorganisation dem zustimmt. Die Zustimmung bestimmt sich nach den Vorschriften der Organisation. (3) Ein Staat oder eine internationale Organisation, die ein Recht nach Absatz 1 oder 2 ausüben, haben die hierfür in dem Vertrag niedergelegten oder im Einklang mit ihm aufgestellten Bedingungen einzuhalten.
Mithin ist erforderlich, dass das Statut dem Rat ein Recht gewähren soll und dieser muss das Recht angenommen haben. Ob ein solches Recht gewährt werden soll, lässt sich nur durch Auslegung ermitteln. aa) Auslegung von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Aus dem Wortlaut lässt sich nicht herauslesen, dass dem Sicherheitsrat ein Recht eingeräumt werden sollte. Eine Kompetenz kann das Statut dem Sicherheitsrat nicht einräumen, auch bei Mitwirkung oder Annahme dieser Berechtigung durch den Sicherheitsrat.58 Auch die systematische oder teleologische Auslegung führt zu keinem klaren Ergebnis. Sicher ist nur, dass die Zusammenarbeit möglichst effektiv sein soll. Somit sind die Hilfsmittel bei der Auslegung eines Vertrages heranzuziehen. Hintergrund der Bestimmung war die Geschichte der Errichtung der ad-hoc-Tribunale durch den Sicherheitsrat.59 Der Gerichtshof sollte diese zwar ersetzen. Die Beteiligung des Sicherheitsrates sollte aber sichergestellt werden. Dabei war die Diskussion um die Legalität der Errichtung von ICTY und ICTR den Verhandelnden wohl bekannt. Die Ansicht, dass die VNCh die Gründung von strafrechtlichen Tribunalen gestatte, hatte sich durchgesetzt. Diese Kompetenz aus der VNCh wollten sich die Mütter und Väter des Römischen Statuts zunutze machen, um Nichtvertragsstaaten des 58 Zur Begründung s. o., die Prüfung, ob Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eine Kompetenz des Sicherheitsrates begründen soll, in diesem Kapitel unter II. 1. 59 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 4.
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Statuts mit in die Gerichtsbarkeit einzubeziehen und eine möglichst universelle Reichweite zu gewährleisten. Der Rekurs auf die Vorarbeiten ergibt somit, dass dem Sicherheitsrat ein „Recht“ zugestanden werden sollte. bb) Annahme durch den Abschluss des RA Zusätzliches Erfordernis für die Wirksamkeit ist die Annahme durch die VN bzw. den Sicherheitsrat. Eine Annahme des Rechts könnte in dem Abschluss des RA liegen. In diesem erkennen die VN die Unabhängigkeit des Gerichtshofs an. Sie „respektieren“ das Statut und das Mandat des IStGH, Art. 2 Abs. 3 RA. Bei der Ausübung der jeweiligen Verantwortungen kooperieren die beiden Organisationen „in conformity with the respective provisions of the Charter and the Statute“, Art. 3 RA. Für den Fall, dass der Sicherheitsrat eine Situation „pursuant to article 13, paragraph (b), of the Statute“ (Art. 17 Abs. 1 RA) an den Ankläger überweist, werden Verfahrensregelungen getroffen. Der Wortlaut spricht dafür, dass der Rat die Regelungen des Statuts beachten will. Die Wortwahl ist aber zu beachten. Das RA spricht an keiner Stelle von einer Bindung des Rates an das Statut. Lediglich von Respekt ist die Rede. Die Wendung in Art. 17 Abs. 1 RA kann auch auf einen anderen Teil des Absatzes bezogen werden. Die Annahme der Regelungen des Statuts durch das RA erscheint somit wahrscheinlich. Gesichert ist dies jedoch noch nicht. cc) Nutzen einer bestehenden Kompetenz Vorstellbar ist aber, dass das Recht nicht angenommen wurde, weil die Kompetenz zur Gründung internationaler Strafgerichtshöfe schon in der Charta angelegt war. Das Statut könnte auf diese Möglichkeit verweisen und die Reihenfolge in Art. 36 Abs. 2 WVKIO umkehren. Dafür sprechen die Entstehungsgeschichte und der effet-utile-Gedanke. Fraglich ist aber, ob durch eine solche Umkehrung der Reihenfolge der Art. 36 Abs. 2 WVKIO konterkariert wird. Hintergrund der Regelung war, dass eine internationale Organisation nicht gegen ihren Willen (oder den ihrer Mitgliedstaaten) berechtigt wird. Vor allem sollte sich die Zustimmung nach den Regelungen der Organisation richten.60 Zieht man die Zustimmung vor die Verleihung der Rechte, könnte dieser Gedanke verletzt werden. Für eine Wahrung der von der WVKIO vorgesehenen Reihenfolge 60
ILCYB 1962, Vol. II, part II, S. 43.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
spricht, dass durch die Umkehr eine rechtsmissbräuchliche Nutzung der Zustimmung nicht ausgeschlossen ist. Nicht ohne Grund ist die Zustimmung einer internationalen Organisation in jedem Falle konstitutiv für die Berechtigung – im Gegensatz zu Staaten, bei denen die Erforderlichkeit der Zustimmung umstritten ist. Ob ein Berechtigter seine Rechte nutzt, ist jedoch ausschließlich von ihm abhängig. Er kann sein Recht ausüben oder nicht, er kann auch ganz auf das Recht verzichten.61 Einer Absicherung gegen Rechtsmissbrauch bedarf es somit nicht. Insbesondere der Sicherheitsrat sollte möglichst frei agieren können. Dieser Gedanke verstärkt die Ansicht, dass zumindest in diesem konkreten Fall die „Annahme“ des Rechts vor dessen Gewährung erfolgen kann. Art. 103 VNCh steht dem nicht entgegen. Das wäre der Fall, wenn dieser Artikel ausschließen würde, dass der Sicherheitsrat andere Verträge – um die Sprache des RA aufzugreifen – respektiert. Zwar werden Resolutionen des Sicherheitsrates in den Vorrang mit einbezogen. Der Art. 103 VNCh ist aber eine Kollisionsregel, die für die Vertragsparteien der VNCh gilt. Den Sicherheitsrat verpflichtet sie nicht. Ihm ist es durch Art. 103 VNCh nicht verboten, sich konsistent zu anderen Verträgen zu verhalten oder diese zu befolgen. dd) Konkludente Annahme Vorstellbar ist auch, dass die Annahme dieses Rechts konkludent durch die Inanspruchnahme erfolgt. Die bisher einzige Nutzung des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut geschah durch Resolution 1593 vom 31. März 2005. Problematisch ist dabei, dass der Art. 13 lit. b) IStGH-Statut in der Resolution nicht einmal erwähnt wird. In den Resolutionen 1422 und 1487 nimmt der Rat jedoch Bezug auf Art. 16 IStGH-Statut. Ob in der Beschlussfassung im März 2005 eine konkludente Annahme des Rechts zu sehen ist, kann dahingestellt bleiben. Ein bloßes Verschweigen der Grundlage des Rechts wiegt nicht so schwer wie die Tatsache, dass die Verfahrenseinleitung durch den Rat nur nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut möglich ist. Dies war allen Beteiligten bewusst.62 61
Vgl. ILCYB 1966, Vol. II, S. 228. Vgl. die Stellungnahme des argentinischen Vertreters im Sicherheitsrat bei der Beschlussfassung über Resolution 1593, UN Doc. S/PV.5158, S. 7. Er macht deutlich, dass er keine Bedenken hatte, Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht zu erwähnen. „We wish to highlight the fact that this is the first time that the Security Council, making use of article 13 of the Rome Statute, has referred to the Prosecutor a situation in which – according to the report, whose veracity we do not doubt – it appears 62
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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c) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als konsensersetzende Verfahrenseinleitungsnorm Art. 13 lit. b) IStGH-Statut will somit die Möglichkeit der Charta nutzen, dass der Sicherheitsrat strafrechtliche Maßnahmen einleiten darf. Wie unter 1. gezeigt, bedarf es dazu nicht der Konstruktion des Art. 36 Abs. 2 WVKIO, vielmehr nutzt das IStGH-Statut die in der VNCh angelegten Möglichkeiten. Der IStGH nutzt die Kompetenz des Rates, bietet den Gerichtshof dem Sicherheitsrat an und gibt diesem das Recht, die Gerichtsbarkeit und die Ressourcen des IStGH zu nutzen. Grenzen für das Handeln des Sicherheitsrates nach Kapitel VII VNCh werden durch das RA nicht gesetzt. Die Kontrolle einer Resolution auf Vereinbarkeit mit dem IStGH-Statut erfolgt intern für den Bereich des IStGH (Filterfunktion). 4. Dogmatische Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut: Rechtsgrundverweis Art. 13 lit. b) IStGH-Statut verweist somit auf die Rechtsfolge des siebten Kapitels. Nach deutscher Terminologie stellt er somit einen Rechtsfolgenverweis dar. Ein solcher liegt immer dann vor, wenn eine Norm Voraussetzungen festlegt, die Rechtsfolge sich jedoch aus einer anderen Norm ergibt, auf die verwiesen wird.63 Allerdings verweist Art. 13 lit. b) IStGHStatut auch auf die Voraussetzungen des siebten Kapitels. Dem Wortlaut nach muss der Sicherheitsrat bei seinem Unterbreiten nämlich „nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig“ geworden sein. Dies ähnelt dem Institut des Rechtsgrundverweises. Anders als beim Rechtsfolgenverweis wird in diesem in der Ausgangsnorm nicht nur auf die Rechtsfolge, sondern auch auf den Tatbestand der Norm verwiesen. Das heißt, dass in den Fällen der verweisenden Norm die Voraussetzungen der Norm, auf die verwiesen wird, erfüllt sein müssen. In der Folge tritt dann die Rechtsfolge der Norm ein, auf die verwiesen wird.64
that one or more types of crimes over which the Court has jurisdiction have been committed. We believe that this is undoubtedly a crucial precedent. We believe that the letter and spirit of the Rome Statute must be respected and that the balance of its provisions must be preserved, taking into account the legitimate concerns of States without weakening in any way the powers of the Court. For that reason, we regret that we had to adopt a text that establishes an exception to the jurisdiction of the Court. It is our hope that this will not become standard practice.“ 63 Vgl. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 304.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Art. 13 lit. b) IStGH-Statut verweist auf das Vorliegen der Voraussetzungen des siebten Chartakapitels. Wenn diese vorliegen, dann ergibt sich die oben genannte Rechtsfolge für die Mitgliedstaaten der VN. Allerdings treten zusätzlich die Rechtsfolgen ein, die das Statut vorsieht. Auch verlangt das Statut noch das Vorliegen weiterer Voraussetzungen, wie bspw. den Anschein eines Verbrechens. Die deutsche Terminologie kann nicht ohne Einschränkungen ins Völkerrecht übertragen werden. Die dogmatische Funktion ist der eines Rechtsgrundverweises jedoch vergleichbar. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut verweist auf Tatbestand und Rechtsfolgen des siebten Kapitels der VNCh, setzt dazu noch eigene Voraussetzungen und lässt für das eigene Regime bestimmte Rechtsfolgen eintreten. Man hat sozusagen zwei Bündel von Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Insoweit ist „nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig“ als Rechtsgrundverweis zu sehen.65 Denkbar wäre auch, eine Tatbestandswirkung der Resolution für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut anzunehmen. Diese liegt nach deutscher Terminologie dann vor, wenn eine Behörde an die von einem Gericht getroffene Sachverhaltsfeststellung, und u. U. auch an die daraus gezogenen Folgerungen, gebunden ist.66 Mit anderen Worten bedeutete dies, dass das Vorliegen einer Resolution nach Kapitel VII reine Tatbestandsvoraussetzung des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist. Eine Resolution des Sicherheitsrates, in der eine Situation nach Art. 39 VNCh festgestellt wird, wäre damit für den IStGH hinsichtlich dieser Einordnung verbindlich, ohne dass dem Gerichtshof eine Überprüfungsmöglichkeit gegeben wäre. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut wäre m. a. W. akzessorisch zum Recht der VN. Der Unterschied zwischen Rechtsgrundverweis und Tatbestandswirkung liegt, verkürzt gesagt, in der fehlenden Überprüfung der Voraussetzungen. Bei einem Rechtsfolgenverweis wird dagegen besonderer Wert auf die Übernahme der Rechtsfolgen gelegt, die bei der Tatbestandswirkung nicht unbedingte Folge sind. Für eine solche Wirkung spricht zwar der breite Beurteilungsspielraum des Sicherheitsrates im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh. Dennoch ist diese dogmatische Einordnung aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Denn die entscheidende Funktion der Überweisungsresolution ist die Begründung der Gerichtsbarkeit über Angehörige von Nichtvertragsstaaten und Verbrechen auf deren Territorium.67 64 Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 304 f. 65 So auch Arnold, S. 187; Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 575). 66 Creifelds, Tatbestandswirkung, Feststellungswirkung, S. 1270. 67 3. Kapitel II. 2.
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Ob der Gerichtshof Gerichtsbarkeit besitzt, ist in jeder Phase des Verfahrens festzustellen, Art. 19 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut. Die Organe können sich somit nicht blind auf die Resolution verlassen, sondern müssen zumindest nachprüfen,68 ob eine Kapitel-VII-Resolution vorliegt, da ihnen sonst die völkerrechtliche Grundlage zur Ausübung von Hoheitsgewalt fehlt. Noch deutlicher zu beschreiben, ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als Filter, der Resolutionen nach Kapitel VII VNCh erfordert und sich die Rechtsfolge zu eigen macht. Dabei setzt er eigene Voraussetzungen und filtert dadurch einige Resolutionen nach Kapitel VII VNCh heraus, die keine Auswirkungen auf den Gerichtshof haben sollen. 5. Parallele zur Solange-Rechtsprechung des BVerfG Auch hier ist wieder ein Vergleich zur Solange-Rechtsprechung des BVerfG hilfreich. Das BVerfG hatte in einer Reihe von Urteilen Gelegenheit, Stellung zum Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und deutschem Recht zu nehmen.69 Zwar erkannte es die Eigenarten des Gemeinschaftsrechts an. Für Auslegungsfragen sei der EuGH abschließend befugt. So sieht es der Art. 220 EG vor, der über das deutsche Zustimmungsgesetz im deutschen Rechtsraum gilt bzw. unmittelbar anwendbar ist.70 Die Grenze für diese Anwendung seien aber konstituierende Strukturen des GG.71 Deren Einhaltung sei vom BVerfG überprüfbar.72 Art. 23 bzw. 24 GG ermögliche es, die deutsche Rechtsordnung derart zu öffnen, dass der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland für ihren Hoheitsbereich zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb dieses Hoheitsbereiches Raum gelassen werde.73 Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist damit dem Europa-Artikel des Grundgesetzes vergleichbar. Hierdurch öffnet sich der Rechtsrahmen des Statuts für Recht aus einer anderen Quelle, dem VN-Recht. Der Artikel beinhaltet dafür jedoch auch die Grenzen. Durch die Statuierung eigener Tatbestandsmerkmale setzt er Voraussetzungen für die Anwendbarkeit und Geltung des VN-Rechts im IStGH-Rahmen. 68
Zur Überprüfung der Resolution durch den IStGH s. 9. Kapitel. BVerfGE 37, 271 – Solange I; BVerfGE 73, 339 – Solange II; BVerfGE 75, 223 – Kloppenburg; BVerfGE 89, 155 – Maastricht; BVerfGE 102, 147 – Bananenmarktordnung. 70 BVerfGE 73, 339 (374 ff.) – Solange II, BVerfGE 75, 223 (234 f.) – Kloppenburg; vgl. Maunz/Dürig/Randelzhofer, GG, Art. 24 Rn. 30 ff. 71 BVerfGE 37, 271 (279) – Solange I. 72 BVerfGE 75, 223 (234 f.) – Kloppenburg. 73 BVerfGE 73, 339 (374) – Solange II. 69
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
6. Parallele zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU nach den Verträgen von Maastricht und Amsterdam Vergleichbar ist die Struktur ferner mit der Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union durch den Vertrag von Maastricht74 in Art. J.4. Danach sollte die WEU Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge hatten, ausarbeiten und durchführen. Während diese Vorschrift in der Fassung des Amsterdamer Vertrages75 als Art. 17 EU-Vertrag dahingehend geändert wurde, dass die WEU stärker in die GASP einbezogen wurde,76 fiel sie mit dem Vertrag von Nizza77 weg. Grund für die Integration war, die militärisch-operativen Möglichkeiten der GASP auszubauen.78 Im Rahmen der sogenannten Petersberger Aufgaben, die auf einem Katalog von Aufgaben beruhen, die der WEU-Ministerrat für die WEU aufgestellt hat79 und die wörtlich in den EU-Vertrag übernommen wurden80, wollten sich die Vertragsparteien des EU-Vertrages dabei der Hilfe der WEU bedienen. Mit dem Abschluss des Vertrages von Nizza sollte die EU die Petersberger Aufgaben mit von der EU geführten Truppen durchführen. Damit bestand kein Bedarf mehr für die Nutzung der WEU und dementsprechend wurde der Bezug auf die WEU gestrichen.81 Die damalige Konstruktion warf ähnliche Fragen auf wie die Konstruktion zwischen VN und IStGH: Die WEU bestand als eigenständiges Völkerrechtssubjekt fort, sodass der Rückgriff auf die WEU als „anmaßend“82 empfunden werden konnte. Jedoch vereinbarten die Vertragsparteien des EU-Vertrages, konkrete Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen EU und WEU zu erarbeiten, was in der Folgezeit auch geschah.83 Die Konstruktionen EU-WEU und VN-IStGH ähneln sich somit. Allerdings gibt es gewichtige Unterschiede. So war die EU mangels Verleihung der Rechtspersönlichkeit durch die Vertragsstaaten kein Völkerrechtssub74
BGBl. 1992 II, 1253. BGBl. 1998 II, 387. 76 Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 296. 77 BGBl. 2001 II, 1667. 78 Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 296. 79 Tagung des Ministerrates der Westeuropäischen Union am 19. Juni 1992, Bull.-BReg Nr. 68 vom 23. Juni 1992, S. 649 (S. 652). 80 Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 296. 81 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 1120. 82 Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 298. 83 Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 299. 75
3. Kap.: Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
127
jekt84 – die VN hingegen sind es.85 Weiterhin sollte die WEU schrittweise in die EU integriert werden (Art. 17 EU-Vertrag, Amsterdamer Fassung). Wenn auch angedacht wurde, den IStGH als Organ der VN einzurichten,86 so ist doch aber unstreitig, dass umgekehrt die VN nicht in den IStGH integriert werden sollen. Aufgrund der nur noch rechtshistorischen Bedeutung und der gewichtigen Unterschiede soll der Verweis auf diese Konstruktion hier ausreichen. 7. Einteilung der Merkmale von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Zur Veranschaulichung mag folgende Übersicht dienen. Die Merkmale der entsprechenden Normen zur Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat werden in die Kategorien Tatbestand bzw. Rechtsfolge und Regime eingeteilt. Tabelle 1 Einteilung der einzelnen Merkmale von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut87 Merkmal
Dogmatische Funktion
Darstellung unter Gliederungspunkt
In Übereinstimmung mit diesem Statut
Tatbestand IStGH-Statut
Kapitel 4, 5
kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben,
Rechtsfolge IStGH-Statut
Kapitel 7, 8
wenn eine Situation,
Tatbestand IStGH-Statut
Kapitel 4 Fortsetzung nächste Seite
84 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 1120. Seit dem Vertrag von Lissabon besitzt die Europäische Union nunmehr Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUVLissabon) und ersetzt die Europäische Gemeinschaft (Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV-Lissabon). 85 IGH, Reparation for Injuries suffered in the Service of the United Nations (Bernadotte-Gutachten), Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 174 ff. 86 UN Doc. A/AC.249/1998/L.10 vom 20. Dezember 1997; Triffterer/Triffterer, ICC-Statute, Preliminary Remarks Rn. 9. 87 Eigene Darstellung. Die Reihenfolge der Merkmale entspricht nicht ihrer Erwähnung im Statut. Das Merkmal des in Art. 5 IStGH-Statut bezeichneten Verbrechens wird in dieser Tabelle nur einmal erwähnt. Nochmals ist darauf hinzuweisen, dass alle Tatbestandsmerkmale zum Tatbestand des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut gehören. Der Tatbestandsverweis auf Kapitel VII VNCh ist Tatbestandsmerkmal von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.
128
2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Fortsetzung Tabelle 1
Merkmal
Dogmatische Funktion
Darstellung unter Gliederungspunkt
in der es den Anschein hat,
Tatbestand IStGH-Statut
Kapitel 5
dass eines oder mehrere der in Art. 5 bezeichneten Verbrechen begangen wurden,
Tatbestand IStGH-Statut
Kapitel 5
Rechtsgrundverweis: Tatbestand und Rechtsfolge VNCh
Kapitel 4
dem Ankläger unterbreitet wird.
Tatbestand IStGH-Statut
Kapitel 5
Freistellung von Art. 12 IStGH-Statut durch Nichterwähnung
Rechtsfolge des Kapitel VII VNCh mit Rechtsfolge für IStGH
Kapitel 7, 8
vom Sicherheitsrat, der nach Kapitel VII VNCh tätig wird,
8. Ausweitung der Gerichtsbarkeit des IStGH durch den Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als Rechtsgrundverweis in die Charta der Vereinten Nationen Die Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut besteht somit darin, dem Gerichtshof eine erweiterte Gerichtsbarkeit einzuräumen, die auch über Nichtvertragsparteien ausgeübt werden kann, wenn der Sicherheitsrat der VN dies für eine Möglichkeit hält, um eine Situation i. S. d. Art. 39 VNCh zu lösen. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut soll das Recht des siebten Kapitels für den Gerichtshof nutzbar machen. Er trägt damit zur größeren Effektivität des Gerichtshofs bei.88 Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist somit ein Rechtsgrundverweis in das siebte Kapitel der VNCh. Was die genaueren Voraussetzungen, die für eine Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat erfüllt sein müssen, sind, wird in den folgenden Kapiteln näher untersucht werden.
88 Condorelli/Villalpando, Relationship of the Court with the United Nations, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 219 (S. 222).
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
129
4. Kapitel
Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Die Voraussetzungen für die Überweisung eines Sachverhalts durch den Sicherheitsrat finden sich in verschiedenen Artikeln des Statuts. Zentral ist dabei die Regelung des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Dessen Voraussetzungen, insb. der Begriff der „Situation“,89 sollen im Folgenden näher erläutert werden. In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, welche weiteren Voraussetzungen erforderlich sind und was diese beinhalten. Ausdrücklich bezieht sich kein Artikel auf besondere Voraussetzungen, die (nur) im Falle einer Sicherheitsratsresolution gelten.90 In Betracht kommen somit lediglich die Voraussetzungen, die sich mit der Gerichtsbarkeit befassen, also die Art. 5, 11, 12, 16, 17, 24, 25 und 26 IStGH-Statut. Diese werden im nächsten Kapitel behandelt.
I. Die Ausgangslage Der Sicherheitsrat hat die Möglichkeit, dem Ankläger bestimmte „Situationen“ zu überweisen.91 Damit ist er den Mitgliedstaaten gleichgestellt, die ebenfalls Situationen überweisen können. Eine handhabbare Definition für diesen Begriff ist bisher nicht vorhanden. Die Versuche erschöpfen sich in der Aufzählung von Kriterien, die ent89 Einige Worte zur Terminologie: Der Begriff der Situation wird in diesem Kapitel exzessiv gebraucht. Dabei sind drei Situationsbegriffe zu unterscheiden. Untersuchungsgegenstand ist der Situationsbegriff als ausdrückliches Tatbestandsmerkmal des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Soweit nicht anders kenntlich gemacht, wird der Situationsbegriff nachfolgend so gebraucht. Daneben wird der Begriff der Situation i. S. d. Art. 39 VNCh verwendet. Gemeint sind damit die drei Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh, also der Bruch oder die Gefährdung des Weltfriedens sowie eine Angriffshandlung (Piétzka, Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 30 [1981], S. 31 [S. 31]). Die dafür verwendete Bezeichnung ist eine „Situation nach Art. 39 VNCh“. Nur am Rande wird in diesem Kapitel der Begriff der Situation gebraucht, um den rein tatsächlichen Sachverhalt zu bezeichnen. 90 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 629). 91 Vgl. den ILC-Entwurf, der Staaten die Möglichkeit zu complaints gab, Art. 25 Abs. 1 und 2, und dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, matters zu überweisen. Das Römische Statut hat dabei eine Gleichstellung zwischen Staaten und Sicherheitsrat erreicht.
130
2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
halten sein sollen. Sie grenzen vor allem negativ ab. Teilweise wird eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als ein Komplex von räumlich, zeitlich und kausal92 oder von personal, räumlich und zeitlich93 zusammenhängenden Ereignissen beschrieben. Vereinzelt wird gefordert, dass die in Frage stehende Situation der Situation im ehemaligen Jugoslawien oder Ruanda ähnelt.94 Vorstellbar ist weiterhin, dass eine situation einen konkreten Konflikt meint. Dieser wäre u. a. durch ein räumliches Element gekennzeichnet. Eine matter könnte demgegenüber ein Sachgebiet darstellen, das eben nicht durch räumliche Konkretisierungen zu umschreiben ist. In Betracht dafür kämen z. B. das Problem der Kindersoldaten oder des Terrorismus. Überwiegend wird jedoch nur auf den Unterschied zur „matter“ oder zum „case“, und damit auf den weiteren Bedeutungsgehalt des Begriffs „situation“ verwiesen.95 Am weitesten geht wohl Flavia Lattanzi, die nur eine objektiv identifizierbare faktische Situation verlangt.96 Auch die Vorverfahrenskammer I des IStGH hat bereits Stellung zu dem Begriff bezogen. Dabei verwies sie vor allem auf den Unterschied zum Einzelfall.97 The Chamber considers that the Statute, the Rules of Procedure and Evidence and the Regulations of the Court draw a distinction between situations and cases in terms of the different kinds of proceedings, initiated by any organ of the Court, that they entail. Situations, which are generally defined in terms of temporal, territorial and in some cases personal parameters, such as the situation in the territory of the Democratic Republic of the Congo since 1 July 2002, entail the proceedings envisaged in the Statute to determine whether a particular situation should give rise to a criminal investigation as well as the investigation as such. Cases, which comprise specific incidents during which one or more crimes within the jurisdiction of the Court seem to have been committed by one or more identified suspects, entail proceedings that take place after the issuance of a warrant of arrest or a summons to appear.98 92 Fixson, Der Internationale Strafgerichtshof: Seine Entstehung und seine Stellung im Völkerrecht, in: St. Kirsch, S. 207 (S. 217). 93 Olásolo, The Triggering Procedure of the International Criminal Court, S. 90 ff.; ders., CLF 16 (2005), S. 279 (S. 282); ders., ICLR 3 (2003), S. 87 (S. 123, 127); ders., ICLR 5 (2005), S. 121 (S. 125 ff.); ders., Guest Lecture, S. 3. Ihm folgend Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 13 Rn. 29 in Fn. 36. 94 Kurth, S. 61; Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 1137 (S. 1148). 95 L. Yee, The International Criminal Court and the Security Council: Articles 13 (b) and 16, in: Lee, ICC, S. 143 (S. 148 f.); Arsanjani, Reflections on the jurisdiction and trigger mechanism of the International Criminal Court, in: FS Bos, S. 57 (S. 65). 96 Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty. ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 62). 97 s. dazu auch Olásolo, LeidenJIL 20 (2007), S. 193 ff.
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
131
Diese Ansätze vermögen nicht, vollständig zu befriedigen. Gerade bei einer so diffizilen Angelegenheit wie dem Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und IStGH ist eine genauere Umschreibung wünschenswert. Beide Institutionen werden auf ihre Unabhängigkeit pochen. Es steht zu erwarten, dass in einem konkreten Strafverfahren die überwiesene Situation umstritten sein wird.99 Gerade wenn Tathandlungen angeklagt sind, die auf unterschiedlichen Staatsgebieten begangen worden sein sollen, kann hier ein entscheidendes Problem liegen. Wenn bspw. keiner der nach Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut in Frage kommenden Staaten Vertragspartei des IStGH-Statuts ist, der Rat seine „Kompetenz“ aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nutzt, und dann aber die überwiesene Konfliktsituation fraglich bleibt, also welche Handlungen auf wessen Staatsgebiet gemeint sind, ergeben sich entscheidende Rechtsfragen. Ein Angeklagter könnte geltend machen, die ihm zur Last gelegten Handlungen seien gar nicht Teil der Situation. Zwischen der Definition der Situation und den Rechtsfolgen, also der Gerichtsbarkeit des IStGH besteht somit ein enger Zusammenhang, der hier sehr weitreichende Konsequenzen für die betroffenen Staaten bedeutet. Damit wird aber auch deutlich, dass eine Definition im Interesse einer funktionierenden internationalen Strafgerichtsbarkeit liegt. An dieser Stelle kann ein Verweis auf die Feststellungsbefugnis des Sicherheitsrates nicht ausreichen. Dessen Kompetenzen und Hauptverantwortung für den Weltfrieden genügen nicht, um ihm einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum einzuräumen. Es reicht eben nicht, dass der Sicherheitsrat einen beliebigen Sachverhalt überweist. Denn während bei den Tatbestandsmerkmalen nach Kapitel VII ein so großer Spielraum besteht, dass die Entscheidungsbefugnis des Sicherheitsrates zum entscheidenden Kriterium für das siebte Kapitel wird,100 besteht vorliegend ein unabhängiger völkerrechtlicher Vertrag, der eigene Voraussetzungen schafft. Die Voraussetzungen, die das Statut für den Sachverhalt, der überweisen wird, vorgibt, sind enger als die der Charta für das Tätigwerden nach Kapitel VII. Es verlässt sich nicht auf die Vorrangstellung des Rates. Das Statut sieht eine Filterung der Überweisungsresolutionen vor. Deutlich wird dies durch die Formulierung im Statut. Nicht umsonst kann der Sicherheitsrat nicht „Art.-39-VNCh-Situationen“ überweisen – also einen Sachverhalt, der eines 98
Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of VPRS 1, VPRS 2, VPRS 3, VPRS 4, VPRS 5 and VPRS 6, ICC Doc. ICC-01/04-101-Corr vom 17. Januar 2006, Rn. 65. Fußnoten wurden entfernt, Hervorhebungen durch den Verfasser. 99 Olásolo, The Triggering Procedure of the International Criminal Court, S. 94, spricht richtig davon, dass die genaue Definition der Situation von „outmost importance“ für das Verfahren ist. 100 Ipsen, VN 1992, S. 41 (S. 42).
132
2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
der drei Tatbestandsmerkmale erfüllt –, sondern nur Situationen, die er nach Art. 39 VNCh überweist, d.h. Sachverhalte, die zwar ein Tatbestandsmerkmal des Art. 39 VNCh erfüllen, aber gleichzeitig eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut darstellen.
II. Eigener Definitionsansatz Nachfolgend soll eine positive Definition angeboten werden, die möglichst ohne die – nichtssagende – Abgrenzung zur „matter“ auskommt. Ausgangspunkt ist dabei der folgende Gedanke. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut öffnet den Bereich des IStGH für das VN-Recht. Er verweist direkt auf Kapitel VII der Charta und damit implizit auf Art. 39 VNCh und das Vorliegen einer solchen Situation. Es kann davon ausgegangen werden, dass in einer solchen Situation regelmäßig die Begehung von Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut stattfindet.101 Es liegt also nahe, die Situation i. S. v. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut mit der Situation nach Art. 39 VNCh gleichzusetzen: Eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist jede Situation, die eine Gefährdung, einen Bruch des Weltfriedens oder eine Angriffshandlung gemäß Art. 39 VNCh darstellt. Diese Definition hat den Vorteil, dass sowohl aufseiten des Sicherheitsrates als auch aufseiten des Gerichtshofs eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit gewahrt wird. Eine weite Auslegung des Begriffs situation wird durch die travaux préparatoires und den effet-utile-Gedanken getragen. Die Gerichtsbarkeit wird in dem weitesten Maße eröffnet, das durch das Völkerrecht zugelassen wird. Denn die Voraussetzungen des Art. 12 IStGH-Statut gelten nicht. Die Rechtsfolgen, die in Kapitel VII VNCh vorgesehen sind, kommen zum Einsatz. Die Eröffnung erfolgt hierbei natürlich durch die beiden Verträge. Die Auswahl und Verfolgung von Einzelfällen obliegt dem Ankläger. Dem Ankläger bleibt somit ein margin of investigation, ein Ermittlungsspielraum. Auf der anderen Seite bedeutet diese Definition keine Einschränkung des Sicherheitsrates.102 Diese ist in rechtsverbindlicher Hinsicht zwar nicht möglich,103 jedoch können die Beschränkungen, die das Statut an eine 101 Vgl. schon Absatz 3 der Präambel; Stellungnahme des amerikanischen Vertreters, UN Doc. A/C.6/49/SR.17 vom 17. November 1994, S. 13; Stellungnahme des russischen Vertreters, UN Doc. A/C.6/49/SR.20 vom 21. November 1994, S. 19; S. Yee, HastingsICLR 19 (1996), S. 529 (S. 529); Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 71). 102 Fixson, Der Internationale Strafgerichtshof: Seine Entstehung und seine Stellung im Völkerrecht, in: St. Kirsch, S. 207 (S. 217).
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
133
Überweisung stellt, Diskussionspunkte im Sicherheitsrat sein, d.h. die Staatenvertreter dort beeinflussen und so in der Folge ihren Niederschlag in der Überweisungsresolution finden. Koppelt man die beiden „Begriffe“104, ist es dem Sicherheitsrat möglich, mit strafrechtlichen Mitteln dynamisch auf eine Friedensbedrohung zu reagieren. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nimmt dann möglicherweise teil an der dynamischen Auslegung des Art. 39 VNCh. Der Maßstab, an dem sich die vorgeschlagene Definition messen lassen muss, ist selbstverständlich der Wortlaut des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, insb. das Merkmal „Situation“. Hier zeigt sich, dass der Verweis auf Kapitel VII in Art. 13 lit. b) IStGHStatut nicht nur bloßes Tatbestandsmerkmal, sondern entscheidendes Merkmal der Verfahrenseröffnung ist. Der IStGH und seine Kammern müssen sich der eigenen Gerichtsbarkeit versichern, Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut. Sie müssen dabei auch für den Regelungsbereich des Statuts inzident die Resolutionen prüfen. Die Gerichtsbarkeit liegt vor, wenn die Voraussetzungen aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und einigen anderen Bestimmungen105 erfüllt sind. Der Gerichtshof bedarf einer Rechtsgrundlage, um gegen Drittstaatsangehörige vorgehen zu dürfen. Daneben sollten bestimmte Sachverhalte von einer Überweisung ausgeschlossen werden.106 Die Kammern konkretisieren somit den überwiesenen Sachverhalt anhand der Kriterien des Statuts. Zu betonen bleibt, dass der IStGH nicht die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Resolution beurteilen soll. Er konkretisiert lediglich den Umfang der Resolution im Bereich des Statuts (= Begründung der eigenen Gerichtsbarkeit) und lässt die Resolution im Übrigen unangetastet.107 Als für die Auslegung der Situation gesichert kann gelten, dass der Sicherheitsrat möglichst wenig Einfluss auf die Gerichtsbarkeit nehmen soll und dass die Situation i. S. v. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut möglichst weit ausgelegt werden soll, insb. ist keine Konkretisierung im Hinblick auf Personen erlaubt.108
103
1. Kapitel V. In Art. 39 VNCh ist der Situationsbegriff nicht enthalten. 105 Vgl. 5. Kapitel. 106 3. Kapitel I. und nachfolgend 4. Kapitel III. insb. 4. 107 Vgl. 9. Kapitel insb. II. 108 Vgl. 3. Kapitel, so wohl auch Fixson, Der Internationale Strafgerichtshof: Seine Entstehung und seine Stellung im Völkerrecht, in: St. Kirsch, S. 207 (S. 217). 104
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
III. Überprüfung der vorgeschlagenen Definition 1. Der Gang der Überprüfung Gegen die Definition könnten die Regelungen des Statuts oder der Charta sprechen. Ob sich ein solcher Widerspruch ergibt, ist mithilfe des Auslegungskanons des Art. 31 WVK zu lösen. Dies wird auch zeigen, ob die Gleichsetzung von den Gründern des IStGH intendiert war. Das Statut kann der Definition nicht entgegenstehen. Vielmehr baut diese ja gerade auf dem Statut auf. Das Merkmal „Situation“ und die Systematik sind somit Maßstab der nachfolgenden Überprüfung. Der Vorschlag erübrigt sich auch nicht etwa aufgrund des eindeutigen Wortlauts von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Weder lässt sich dem eine Ablehnung entnehmen noch eine zweifelsfreie Bestätigung. Für eine solche Bestätigung wäre eine andere Formulierung erforderlich gewesen. So müsste der Sicherheitsrat eine Art.-39-VNCh-Situation überweisen, und nicht eine Situation überweisen und sich dabei des Kapitels VII VNCh bedienen. Art. 39 VNCh und Art. 13 lit. b) IStGH-Statut haben unterschiedliche Wortlaute. Da in Art. 39 VNCh der Begriff „Situation“ auch nicht gebraucht wird, ergibt sich die Möglichkeit zur Überprüfung und damit zur Anpassung der Definition. Daneben wird der Sicherheitsrat auf dem Gebiet der Friedenssicherung tätig, der IStGH dagegen auf dem Gebiet der Strafverfolgung. Eine Eins-zu-eins-Übernahme kann somit nicht erfolgen. Damit fällt der Definitionsvorschlag jedoch nicht weg. Der Verweis in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut besteht. Es bleibt nur Raum, den Begriff statutsspezifisch anzupassen. Wenn eine Eins-zu-eins-Übernahme der „Art.-39-VNChSituationen“ nicht gewollt ist, so bleibt Raum für eine Anpassung der Definition. Während also die Möglichkeit der Anpassung der Definition schon aus dem Wortlaut folgt, so ergibt sich das „Wie“ der Anpassung aus der Systematik des Statuts. Der unterschiedliche Wortlaut in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und Art. 39 VNCh ist gegenüber dem Verweis auf das siebte Kapitel zu vernachlässigen. Die Definition erübrigt sich auch nicht mit einem Hinweis auf die Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als Rechtsgrundverweis. Wie oben gezeigt, werden neben den Voraussetzungen des siebten Kapitels noch andere, dem IStGH-Statut eigene Hürden gesetzt. Durch die Tatbestandsmerkmale des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut wird der Begriff der Situation nach Art. 39 VNCh gefiltert und statutsspezifisch angepasst. Der Begriff der Situation ist auch nicht Teil des Rechtsgrundverweises. Dieser ist in den Worten „nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig“ zu sehen. Der Situationsbegriff ist Teil der Voraussetzungen des IStGH-Statuts, m. a. W. Teil
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
135
des Tatbestands von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.109 In diesem Kapitel wird nur die Definition überprüft, die Voraussetzungen des Kapitels VII VNCh müssen zusätzlich vorliegen. Möglicherweise steht jedoch das Recht des siebten Kapitels dem Definitionsvorschlag entgegen. Dazu sind die Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh zu untersuchen. Das Recht des siebten Kapitels hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung erfahren. Diese Entwicklungen stellen große Anforderungen an die Charta und in der Folge auch an das Statut. Als dieses im Jahre 1998 verabschiedet wurde, waren bspw. die Entwicklungen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht absehbar. Es stellt sich die Frage, ob es intendiert war, den Situationsbegriff des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut an der dynamischen Interpretation des Art. 39 VNCh teilhaben zu lassen. Nachfolgend müssen somit zuerst die drei Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh in ihrer klassischen Ausprägung untersucht werden. Dann folgen eine Darstellung der neuen Entwicklung und eine Überprüfung der Definition. 2. Die Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh Das Römische Statut eröffnet mit Art. 13 lit. b) die Gerichtsbarkeit des IStGH, wenn der Sicherheitsrat einen Konflikt an den Gerichtshof überweist. Der Sicherheitsrat muss einen Überweisungsbeschluss fassen, in dem eine Situation dem Ankläger übermittelt wird. Dabei reicht allerdings ein einfacher Beschluss des Rates nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine Resolution nach Kapitel VII der Charta.110 Dessen Voraussetzungen sind in den Art. 39 ff. VNCh geregelt. Während des Kalten Krieges kam Kapitel VII kaum zum Einsatz. Erst die sich verändernde weltpolitische Situation nach den Jahren 1989/1990 brachte den vermehrten Einsatz von Kapitel-VII-Maßnahmen mit sich. In der Folgezeit kam es zu einer regen Beschäftigung mit diesem Instrument nicht nur in der Praxis des Sicherheitsrates selbst,111 sondern auch durch den Rest der Völkerrechtsgemeinschaft. Der Internationale Gerichtshof 109
Der Rechtsgrundverweis ist auch Teil des Tatbestands. Hier ist diese Formulierung allein für die bessere Lesbarkeit gewählt. 110 Bei einer genauen Lektüre von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut fällt auf, dass eben keine Resolution nach Kapitel VII gefordert wird. Hier sei jedoch der Lesbarkeit halber angenommen, dass Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eine Resolution verlangt. Die ausführliche Beschäftigung mit diesem Problem folgt im 5. Kapitel unter II. 111 Kooijmans, The Enlargement of the Concept „Threat to the Peace“, in: R.-J. Dupuy, S. 111 ff.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
streifte Fragen des siebten Kapitels in einigen Urteilen, wobei vor allem in den Sondervoten ausführlicher Stellung genommen wurde. Auch die Literatur befasste sich eingehend mit diesem Komplex.112 Neben den umstrittenen Rechtsbindungen waren und sind vor allem die Tatbestandsmerkmale in Art. 39 VNCh und die möglichen Maßnahmen in Art. 41, 42 VNCh Gegenstand der Diskussion. a) Beurteilungsspielraum/Ermessen des Sicherheitsrates Der Sicherheitsrat genießt im Rahmen von Kapitel VII einen weiten Spielraum. Der Beurteilungsspielraum erstreckt sich auf tatsächliche und rechtliche Feststellungen, der Ermessensspielraum auf die Auswahl der Reaktion.113 Allein das Bestehen des Spielraums könnte für den Definitionsvorschlag problematisch sein. Jedoch ist es gerade Ziel und Zweck des Verweises, diesen Spielraum zu nutzen. Dies soll zur Effektivität beitragen.114 Somit ist die Definition unverändert haltbar. Festzuhalten ist weiterhin, dass die zu beurteilende Situation nicht völkerrechtswidrig sein muss. Bei Art. 39 VNCh geht es um die tatsächliche Beurteilung eines Sachverhalts, nicht um dessen rechtliche Überprüfung.115 b) Der Friedensbegriff In der Diskussion unterscheidet man zwischen dem weiten positiven und dem engen negativen Friedensbegriff. Der klassische negative Friedensbegriff stellt dabei auf die Abwesenheit zwischenstaatlicher Gewalt ab.116 Ein Bruch des Friedens liegt somit vor, wenn zwei oder mehr Staaten mit Waffengewalt gegeneinander vorgehen. Dieser Begriff ist noch immer Kern des „Friedens“ i. S. d. Art. 39 VNCh.117 Jedoch werden auch immer mehr andere Aspekte in die Diskus112
s. die im 1. Kapitel Fn. 10, 11 zitierten Hinweise. 1. Kapitel III. 1. 114 3. Kapitel II. 2. 115 Vgl. nur Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 12 ff. Dies übersieht Piétzka, Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 30 (1981), S. 31 ff., die auf dem Vorliegen eines Völkerrechtsbruchs ihre gesamte Argumentation aufbaut, vgl. S. 33: „Man muss davon ausgegehen, dass alle diese Situationstypen durch Rechtsverletzungen gekennzeichnet sind“. 116 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 6, 11. 117 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 6. 113
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
137
sion einbezogen. Der Friedensbegriff soll damit zum positiven Begriff ausgeweitet werden. Dieser stellt nämlich auf das konfliktfreie Zusammenleben der Menschen und Staaten ab. Er umfasst also auch die Abwesenheit sozialer, politischer oder ökonomischer Konflikte.118 Eine solche Ausweitung des Friedensbegriffs ist jedoch aus einigen Gründen nicht zulässig. Damit würde die Kompetenzaufteilung innerhalb der VN unterlaufen. Für Aspekte des positiven Friedens sind die anderen Organe der VN zuständig.119 Vor allem die Generalversammlung ist gemäß Art. 10 VNCh für alle Bereiche, die in den Rahmen der Charta fallen, zuständig. Darunter sind vor allem die Felder zu verstehen, die in Art. 1 und 2 VNCh erwähnt werden. Der Zuständigkeitsbereich der Generalversammlung umfasst somit nahezu jeden Aspekt der zwischenstaatlichen Beziehungen120 und damit die Aspekte des positiven Friedens. Dass die Generalversammlung nicht mit verbindlicher Wirkung vorgehen kann, ändert nichts an der Zuständigkeitsverteilung. Die VN haben keine umfassende Kompetenz, für alle ihre Zuständigkeitsbereiche rechtsverbindlich handeln zu können. Ein weites Begriffsverständnis würde den Sicherheitsrat für alle internationalen Belange zuständig werden lassen.121 Dann könnte er auf jedem Feld gemäß Art. 25 VNCh verbindliche Regelungen beschließen. Dies ist jedoch von den Gründungsvätern nicht gewollt. Für eine Ausweitung würde aber der Vergleich zu Satz 2 sprechen. Satz 1 des Art. 39 spricht nur vom Frieden, erst in Satz 2 folgt der internationale Bezug. Jedoch muss man Satz 1 nach Art. 31 Abs. 1 WVK im Lichte der anderen Vorschriften lesen, die die Friedenssicherung durch den Sicherheitsrat regeln.122 Neben Satz 2 gehören Art. 1 Abs. 1 und Art. 24 dazu. Beide sprechen ausdrücklich von „international peace and security“. Auch wäre es widersprüchlich, wenn das „Ob“ des Handelns von einer Einschätzung einer innerstaatlichen Situation abhängig wäre, die Maßnahmen aber nur zur Sicherung des Weltfriedens bzw. der internationalen Sicherheit getroffen werden dürften. Der Systematik der Charta wird Rechnung getragen, wenn der Begriff des Friedens bereits in Satz 1 als internationaler Frieden definiert wird. Somit ist Schwelle für das Kapitel VII der Bruch des Weltfriedens. 118
Tomuschat, RdC 241, S. 334 ff.; Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 6. 119 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 6; Martenczuk, S. 226 f.; Gading, S. 165 f.; Lailach, S. 31–36. 120 Simma/Hailbronner/Klein, UNO-Charter, Art. 10 Rn. 10. 121 Vgl. Bothe, Les Limites des Pouvoirs de Conseil de Sécurité, in: R.-J. Dupuy, S. 67 (S. 72). 122 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 7. Vgl. Art. 31 Abs. 1 WVK.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Es bleibt bei dem negativen Friedensbegriff.123 Vom Friedensbegriff des Art. 39 VNCh ist somit nur die Abwesenheit zwischenstaatlicher Gewalt erfasst. c) Der Bruch des Friedens Dem Sicherheitsrat steht Kapitel VII offen, wenn er einen Bruch des Friedens festgestellt hat. Nach dem soeben gefundenen Friedensbegriff ist ein Friedensbruch eine Situation, in der zwei oder mehr Staaten Gewalt in ihren zwischenstaatlichen Beziehungen anwenden. Die dahingehende Praxis des Sicherheitsrates stützt dieses Ergebnis. Zwar sah der Rat dieses Merkmal erst in wenigen Fällen als gegeben an.124 In diesen Fällen handelte es sich aber um Konflikte, in denen es zu bewaffneten Feindseligkeiten zwischen zwei Staaten gekommen war.125 Es steht zu erwarten, dass der Rat auch in Zukunft Situationen nur als Friedensgefährdung und nicht als einen Friedensbruch bezeichnen wird. d) Die Angriffshandlung Ebenso eröffnet die Feststellung einer Angriffshandlung den Handlungsspielraum des Kapitels VII der Charta. Bislang wurde jedoch noch keine Situation als eine Aggression i. S. d. Art. 39 VNCh bezeichnet.126 Selbst den offensichtlichen Fall127 der Invasion Kuwaits durch den Irak im Sommer 1990 bezeichnete der Sicherheitsrat nur als einen Bruch des Friedens.128 Ob sich an dieser Praxis etwas ändern wird, ist zweifelhaft, aber gerade im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut von Interesse. Der Aggressionsbegriff ist der wohl umstrittenste Begriff im Völkerrecht. Weder aus der Praxis noch aus der Wissenschaft kommen Definitionen, die abschließend sind. Die Aggressionsdefinition der Generalversammlung129 ist 123
So auch Starck, S. 168; Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 517 (S. 543). SC Res. 82 (1950) (Korea), SC Res. 502 (1982) (Falklandinseln), SC Res. 660 (1990) (Kuwait). 125 SC Res. 82 (1950) (Korea), SC Res. 502 (1982) (Falklandinseln), SC Res. 660 (1990) (Kuwait). 126 In SC Res. 387 (1976), SC Res. 573 und 577 (beide 1985) klassifiziert der Sicherheitsrat das jeweilige Handeln zwar als „aggression“, fasst aber keine KapitelVII-Resolution. 127 Franck, The Security Council and „Threats to the Peace“, in: R.-J. Dupuy, S. 83 (S. 86); Hummrich, S. 235. 128 SC Res. 660 (1990): „breach of the peace“. 129 SC Res. 3314 (1974). Dazu Bruha, S. 278 ff. 124
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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wenig hilfreich. Sie ist zum einen nicht rechtsverbindlich, wenn sie auch von Teilen der Rechtsprechung und Lehre als Kodifizierung von Gewohnheitsrecht verstanden wird.130 Zum anderen definiert sie die Aggression i. S. d. Art. 51 VNCh und nicht die Angriffshandlung i. S. d. Art. 39 VNCh.131 Zwar ist die Aggression der Kern der Angriffshandlung. Doch bleibt dann immer noch eine Grauzone bei Situationen, die sich nach der Aggressionsdefinition nicht als Angriffshandlung bestimmen lassen. Nach einer Auffassung kommt zu den Voraussetzungen des Friedensbruchs nur ein Element hinzu, nämlich die Feststellung des Aggressors.132 Daraus erklärt sich auch die Nichtanwendung dieser Variante von Art. 39 VNCh. Es sind politische Erwägungen, die die Zurückhaltung begründen. Mit einer eindeutigen Schuldzuweisung sind Verhandlungen während eines Konflikts schwierig. Aber auch die Rückkehr zu friedlichen Beziehungen ist durch die eindeutige Verurteilung vorbelastet. Auf die Möglichkeit des Gerichtshofs, eine Angriffshandlung strafrechtlich zu bewerten, wird im 6. Kapitel näher eingegangen. Ob allein eine Feststellung einer Angriffshandlung die Gerichtsbarkeit des IStGH nach sich zieht, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls ergibt sich aus dem Statut nicht, dass eine Angriffshandlung i. S. d. Art. 39 VNCh keine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zur Folge haben kann. Auch im Rahmen einer Angriffshandlung können andere Verbrechen begangen werden als nur die Aggression i. S. d. Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut. Die Eröffnung des siebten Kapitels durch eine Aggressionsfeststellung eröffnet somit auch die Überweisungsmöglichkeit nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. e) Die Friedensbedrohung Als letzte Variante kann der Sicherheitsrat eine Situation als Friedensbedrohung einordnen. Dabei handelt es sich um einen sehr unscharfen Begriff.133 Vor allem das Vorliegen einer Gefahr ist kaum eingrenzbar. Klare Konturen sind nicht möglich und von den Gründern der VN wohl auch nicht intendiert. Zwar darf der Sicherheitsrat beim Vorliegen eines der drei Tatbestandsmerkmale sowohl präventiv als auch „repressive“ mit sogenannten „en130
Ferencz, Aggression, EPIL I, S. 58 (S. 63 f.). Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 14. 132 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 13 ff. 133 Vgl. auch Wood, United Nations, Security Council, EPIL Online Edition, Rn. 26; Neuhold, Peace, Threat to, EPIL III, S. 935 (S. 937 f.); Freudenschuß, AJPIL 46 (1993), S. 1 (S. 2). 131
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
forcement measures“ vorgehen.134 Allerdings wird mit dem Begriff der Friedensbedrohung die präventive Funktion des Sicherheitsrates besonders deutlich.135 Schon vor dem Ausbruch von Gewalt darf der Sicherheitsrat Maßnahmen „zur Wahrung“ der internationalen Sicherheit ergreifen. In der Praxis erfolgt fast ausschließlich eine Klassifizierung als Friedensbedrohung. Auch anhaltende Konflikte subsumiert der Rat unter die Friedensgefährdung. Diese Praxis darf über die präventive Funktion nicht hinwegtäuschen. Bei genauer Betrachtung stellt die Fortsetzung der Feindseligkeiten auch immer eine Gefährdung des zukünftigen Weltfriedens dar,136 sodass sich der Sicherheitsrat in diesen Fällen seiner Verhütungsfunktion bedient. f) Die Friedensbedrohung und die repressive Funktion des Strafrechts Strafrechtliche Maßnahmen setzen erst nach der Tat ein und haben somit eine in erster Linie repressive Funktion. Dieser Strafzweck könnte dem Begriff der Friedensbedrohung widersprechen, der, wie gezeigt, eine präventive Dimension hat. Im Völkerstrafrecht mögen die Strafzwecke umstritten sein.137 Insbesondere ist eine Übertragung der innerstaatlichen Strafzwecktheorien schwierig. Doch für den Bereich des IStGH stellt es sich einfacher dar. Hier ergibt sich bereits aus zahlreichen Regelungen des Statuts, so z. B. Erwägungsgrund 5 der Präambel, eine präventive Dimension. Die Praxis des Gerichtshofs spricht auch dafür. So hat der Gerichtshof nach den Überweisungen auch die Kompetenz, Straftaten zu verfolgen, die im anhaltenden Konflikt erst noch begangen werden. Dies ist zulässig, da das Statut keine Begrenzung für die Zukunft enthält. Besonders relevant ist das Tatbestandsmerkmal der Friedensbedrohung für interne Konflikte, die vom Sicherheitsrat regelmäßig unter dieses Tatbestandsmerkmal subsumiert werden. Erfordert man für eine Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh einen wie auch immer gearteten internationalen Bezug,138 so liegt regelmäßig in einem innerstaatlichen Konflikt die Möglichkeit eines zwischenstaatlichen Konflikts. Gleichwohl ist dann nicht aus134 Vgl. Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 41 Rn. 14; Simma/Frowein/ Krisch, UNO-Charter, Art. 42 Rn. 12 ff. 135 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 16. 136 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 16. 137 Dazu Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 94 ff. 138 Dazu sogleich unter 3.
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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geschlossen, dass im internen Konflikt völkerrechtliche Straftatbestände verwirklicht werden. Selbst unter Zugrundelegung des engen Friedensbegriffs139 steht das Vorliegen einer Friedensbedrohung der Kompetenzeröffnung nicht entgegen. Dafür spricht auch die Existenz von völkerrechtlichen Straftatbeständen in Art. 7, 8 Abs. 2 lit. e) IStGH-Statut, die auch bzw. nur im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt begangen werden können. Die präventive Dimension der Friedensbedrohung i. S. v. Art. 39 VNCh steht somit der Definition nicht entgegen. 3. Neue Entwicklungen als Problem: Rein innerstaatliche Sachverhalte als Friedensbedrohung Die nach dem Kalten Krieg einsetzende Resolutionspraxis des Sicherheitsrates hat zu einer Neuinterpretation der Charta geführt.140 Bewaffnete Auseinandersetzungen der letzten Jahre finden meist innerhalb eines Staates statt. Damit unterscheiden sie sich von den traditionellen Konflikten, zu deren Bekämpfung die Vereinten Nationen gegründet wurden. Die Entwicklung bezog sich somit vor allem auf den Begriff der Friedensbedrohung, da keine andere Klassifizierung durch den Sicherheitsrat erfolgte. Zuerst ist fraglich, ob rein interne Sachverhalte eine Bedrohung des internationalen Friedens darstellen und so gemäß der Definition eine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nach sich ziehen können, die den Situationsbegriff des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut erfüllen kann. In der Literatur wird bisweilen vertreten, dass solche rein innerstaatlichen Sachverhalte für Art. 39 VNCh ausreichend sind. Insbesondere massive Menschenrechtsverletzungen stellten eine Gefahr für den internationalen Frieden dar.141 Nach dieser Auffassung wären mithilfe der oben aufgestellten Definition Bürgerkriege und ähnliche innerstaatliche Konflikte „Situationen“ i. S. v. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. a) Rein innerstaatliche Sachverhalte In der Literatur wird der Ansatz vertreten, dass rein innerstaatliche massive Menschenrechtsverletzungen eine Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 begründen sollen. 139 140 141
Vgl. oben unter b). Wood, United Nations, Security Council, EPIL Online Edition, Rn. 27. Tomuschat, AVR 33 (1995), S. 1 (S. 12 f.).
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
So hat insb. Lailach142 herausgearbeitet, dass der Sicherheitsrat mit seinen vorangegangenen Kapitel-VII-Resolutionen nicht die Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts habe bändigen wollen. Sein Hauptbeweggrund sei die Verhinderung weiteren menschlichen Leidens im großen Ausmaß gewesen. Lailach weist anhand der Erklärungen der Vertreter im Rat nach, dass diese ihr besonderes Augenmerk nicht auf die Konfliktverhinderung, sondern auf das Mindern von Leid gelegt haben. Dies stand als Motiv hinter der Beschlussfassung. Damit wären Erwägungen auf internationaler Ebene irrelevant gewesen. Frowein und Krisch143 folgen Lailach und sehen in der Praxis eine Tendenz zur Ausweitung der Merkmale und zur Einbeziehung rein interner Konflikte. Als Grenze sehen sie die Kompetenz des Sicherheitsrates an. Dieser sei gemäß Art. 24 Abs. 1 der Charta aber nur für die Wahrung und Wiederherstellung von Weltfrieden und internationaler Sicherheit zuständig. Somit müsste eigentlich jede massive Menschenrechtsverletzung einen Nexus zu einem bewaffneten Konflikt aufweisen, der das Land oder die Region destabilisieren könnte.144 Jedoch sprechen der Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Charta nicht für eine Einbeziehung rein interner Konflikte.145 Doch lassen beide die neue Praxis, die Lailach aufzeigt, ausreichen.146 b) Zusätzliche Kriterien Auf der anderen Seite werden solche rein internen Menschenrechtsverletzungen nicht als ausreichend angesehen. Zusätzlich werden im Schrifttum und in der Rechtsprechung noch andere Merkmale verlangt, die auf die Auswirkungen des internen Konflikts auf die Nachbarstaaten bezogen sind. Die erforderlichen Auswirkungen können aber von unterschiedlicher Intensität sein. So ergibt sich Herdegen147 zufolge aus dem Stellenwert des bedrohten Rechtsgutes, aus der Intensität der Gefährdung oder aus den grenzüberschreitenden Auswirkungen das zusätzliche Kriterium einer destabilisierenden Wirkung der Menschenrechtsverletzungen. Auch Schilling148 ist der 142 Lailach, S. 132 ff. Delbrück, VRÜ 1993, S. 6 (18 f.), ist auch dieser Meinung, steht dem Ganzen allerdings noch kritisch gegenüber (S. 19 f.). Schmitz, S. 169 ff., ist Lailachs Meinung. Pape, S. 134, ist undeutlich, wohl aber Lailachs Meinung. 143 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 19 ff.; Krisch, S. 155. 144 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 21. 145 Delbrück, VRÜ 1993, S. 6 (19). 146 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 18. 147 Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, S. 16 f. 148 Schilling, AVR 33 (1995), S. 67 (S. 87 ff.).
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Meinung, dass rein interne Sachverhalte nicht ausreichen. Er argumentiert ebenfalls mit der Kompetenz des Sicherheitsrates. Allerdings erkennt er an, dass der Sicherheitsrat selbst keinen Wert auf ein zusätzliches Kriterium legt. Dies verstoße aber – so Schilling zu Recht – gegen den Souveränitätsgrundsatz des Völkerrechts.149 Besonders eng sieht Arntz150 den Begriff der Friedensbedrohung. Seiner Meinung nach liegt sie erst vor, wenn „bereits eine physische und über die Grenzen eines Staates hinausgehende Gewaltanwendung größeren Umfangs stattgefunden hat und erkennbar die akute Gefahr weiterer militärischer Auseinandersetzungen besteht.“ Vertreten wird auch, selbst eine Auslegung der Mitgliedstaaten, die interne Konflikte als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh ansieht, als irrelevant anzusehen. So wehrt sich Starck151 gegen die weite Auslegung: Sie untersucht die Praxis und erkennt, dass der Sicherheitsrat rein interne Sachverhalte ausreichen lässt. Allerdings weite der Rat dadurch seine Kompetenzen zu sehr aus. Zu einer solchen authentischen Auslegung sei er nicht befugt. Auch die nachfolgende Staatenpraxis rechtfertige diese nicht. Nicht einmal im Sicherheitsrat selbst seien die Resolutionen unumstritten gewesen.152 Auch Lorinser153 erwähnt die Ausdehnung durch die Praxis und lässt diese nicht als rechtsändernd gelten, selbst wenn die Mitgliedstaaten dieser Praxis zustimmen. Sie begründet dies mit der Charta. Dort sei nach „objektiven Anknüpfungspunkten“ zu suchen. Diese können in der Gefahr von „bewaffneten Gegenmaßnahmen“ liegen.154 Auch die Verfahrenskammer des ICTR im Kanyabashi-Urteil von 1997 forderte das Vorliegen weiterer Kriterien. Sie verwies zwar darauf, dass eine Subsumtion im Ermessen des Sicherheitsrates stehe, aber die massiven 149 Schilling AVR 33 (1995), S. 67 (S. 91), m. w. N. Ähnlich wie Herdegen und Schilling sieht Chesterman, S. 140 ff. (insb. S. 151), eine Tendenz zur Ausweitung. Er kritisiert aber, dass normative Grenzen schwer zu ziehen sind und befürwortet daher ein grenzüberschreitendes Element. White hingegen, S. 42 ff. (insb. S. 43), findet, dass das grenzüberschreitende Element überschätzt werde. Die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts oder massive Menschenrechtsverletzungen trügen immer die Gefahr einer humanitären Intervention in sich. Obwohl er sich also für die progressive Seite ausspricht, fordert er dennoch ein zusätzliches Kriterium. Dass dies im Regelfall erfüllt sein wird, ändere daran nichts. Allerdings werde seiner Meinung nach in der Zukunft das Gefahrenelement wohl wegfallen, wenn der Sicherheitsrat sich bspw. mit Drogen- und Umweltproblemen beschäftigt. 150 Arntz, S. 110. 151 Starck, S. 163 ff. 152 Starck, S. 167. 153 Lorinser, S. 48 f. 154 Lorinser, S. 49.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Flüchtlingsströme begründeten die Gefahr für die Stabilität der Region. Insbesondere die demographische Zusammensetzung der Nachbarstaaten rief Bedenken hervor, dass sich der Konflikt ausbreiten würde.155 Sie führt leider nicht aus, welche demographischen Faktoren gemeint sind. Stark verkürzt kam es im Ruanda-Konflikt zu einem Völkermord an den Tutsis. Angehörige dieser Ethnie leben nicht nur in Ruanda, sondern vor allem auch in Burundi und der DR Kongo. Die Hutu leben auch in Burundi. Man kann davon ausgehen, dass die Kammer auf die grenzüberschreitenden ethnischen Gruppen anspielt. Somit kann nach deren Ansicht auch ein grenzüberschreitendes Siedlungsgebiet einer Bevölkerungsgruppe eine Gefahr für den Frieden der Region bedeuten. c) Grenzüberschreitender Bezug als Voraussetzung für eine Friedensbedrohung Mit der Frage nach der Gefahr hängt der Friedensbegriff systematisch eng zusammen.156 Dieser wurde als negativer Frieden definiert.157 Die oben erwähnten Argumente bleiben auch bei der Auslegung der Gefahr entscheidend. So darf das Kompetenzgefüge der Charta nicht unterlaufen werden. Dies würde jedoch passieren, wenn man durch eine weite Auslegung des Gefahrenbegriffs – quasi über die Hintertür – die Kompetenz des Sicherheitsrates ausdehnen würde. Es widerspreche dem oben gefundenen Ergebnis, rein interne Menschenrechtsverletzungen für eine Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh ausreichen zu lassen. Eine Lösung mit Blick auf den erga-omnes-Charakter der Menschenrechte hilft nicht weiter. Zwar sind alle Staaten bzw. alle Völkerrechtssubjekte an sie gebunden und an deren Einhaltung interessiert. Nach den Vertretern dieser Lesart beinhaltet ein Verstoß gegen erga-omnes-Normen schon die Möglichkeit einer zwangsweisen Rechtsdurchsetzung. Denn nach Art. 39 VNCh ist eine präventive Handlung des Sicherheitsrates zulässig. Damit begründete der Verdacht eines Verstoßes gegen erga-omnes-Normen eine völkerrechtlich zulässige Intervention und man beschwöre internationale Spannungen herauf. Die von Lailach angeführten Erklärungen sind nicht entscheidend. Sie können gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK höchstens Hilfsmittel bei der 155
ICTR, Trial Chamber II, The Prosecutor v. Joseph Kanyabashi, No. Case ICTR-96-15-T Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Beschluss vom 18. Juni 1997, Rn. 21. 156 Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Art. 39 Rn. 6; Starck, S. 168 f.; Pape, S. 128 ff. 157 4. Kapitel III. 2. b).
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Auslegung sein. Einzig die Resolution 918 (1994) führt Lailach an, um die Praxis des Sicherheitsrates zu belegen. Diese ist allein aber nicht ausreichend, um einen so weiten Bedrohungsbegriff zu begründen. Denn damit ist höchstens ein Einzelfall belegt. In letzter Zeit zeigt insb. die Sicherheitsratspraxis zu Darfur, dass der Rat immer die Auswirkungen auf die Nachbarländer einbezieht und nie die rein humanitäre Katastrophe ausreichen lässt.158 Bei Art. 39 VNCh geht es aber nur um tatsächliche Situationen. Die Frage nach einer völkerrechtlichen Bewertung der Situation stellt sich gerade nicht.159 Bei Verletzungen von Menschenrechten stellt diese Meinung auf das rechtliche Element ab. Dies ist unzulässig. Somit bleibt es beim eben gefundenem Ergebnis. Schwere Menschenrechtsverletzungen, auch von genozidalem Ausmaß, indizieren höchstens die Friedensgefährdung,160 begründen sie aber nicht. d) Zwischenergebnis für die vorgeschlagene Definition Rein interne Konflikte ohne Auswirkungen auf die Region stellen keine Art.-39-VNCh-Situation dar. Somit sind diese auch nicht geeignet, eine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zur Folge zu haben. Bürgerkriege können nur dann eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut darstellen, wenn sie mögliche Auswirkungen auf die Region haben. Dies mag regelmäßig der Fall sein. Die Kriterien der Seite, die eine zusätzliche Voraussetzung verlangt, sind weich. In der Praxis dürften beide Ansichten selten zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Somit ist die Definition haltbar. Anzumerken ist, dass eine Auslegung der Merkmale von Art. 39 VNCh dahingehend, dass auch rein interne Konflikte erfasst werden, vom Statut für den Begriff der Situation durchaus übernommen werden kann. Denn das Statut lässt in Art. 13 lit. a) IStGH-Statut unbestritten ausreichen, dass interne Konflikte von Staaten angezeigt werden können. Es ist nicht ersichtlich, warum diese Auslegung nicht auch auf Art. 13 lit. b) IStGH-Statut übertragbar sein soll, wenn die Praxis in Zukunft diese Auslegung trägt. 158 SC Res. 1556, 1564, 1574 (alle 2004 und nicht nach Kapitel VII), 1590 (2005), 1679, 1706 (beide 2006). 159 Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, S. 20 ff. Vgl. Schilling, AVR 33 (1995), S. 67 (S. 88 f.); McDougal/Reisman, AJIL 62 (1968), S. 1 (S. 8): für die Friedensgefährdung, so auch Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, S. 284. 160 Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, S. 16. Kritisch auch Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty. ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 59).
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
4. Einzelfälle als Friedensbedrohung a) Darstellung und Überprüfung In den letzten Jahren wurden die internationalen Beziehungen und das Völkerrecht durch verschiedene Individuen stark belastet. An dem Verhalten einzelner Personen entzündeten sich Spannungen, die teilweise Gegenstand vor internationalen Gerichten waren und auch den Sicherheitsrat beschäftigt haben. Die Ereignisse um Augusto Pinochet und die Urteile der britischen Lordrichter markieren dabei nur die Spitze des Eisbergs.161 Die Streitereien um Slobodan Milosˇevic´ sind seit seinem Tod in der Untersuchungshaft des ICTY zwar verstummt. Dagegen zeugt das Urteil des IGH vom 26. Februar 2007 im Fall der Völkermordkonvention (Bosnien vs. Serbien) vom Konfliktpotential, das die Krise dort noch immer innehat und vom Einfluss, den Einzelne auf die zwischenstaatlichen Beziehungen haben. So wurde Serbien verurteilt, gegen Völkerrecht verstoßen zu haben, indem die Regierung es unterlassen hatte, Ratko Mladic´ an den ICTY zu überweisen.162 Auch die Fälle des Haftbefehls vom 11. April 2000,163 LaGrand,164 Avena165 und Medellin166 sowie die Ereignisse um Nicolae Ceaus¸escu und Pol Pot deuten in diese Richtung.167 Als letztes Beispiel lässt sich die Gründung des Special Tribunal for Lebanon anführen. Nach dem Attentat auf den ehemaligen Ministerpräsidenten des Libanon, Rafik Hariri, engagierten sich die VN in der Aufklärung dieses Verbrechens. So untersuchte der damalige VN-Untergeneralsekretär Detlef Mehlis den Vorfall. Mit Resolution 1757 vom 30. Mai 2007, einer Maßnahme nach Kapitel VII, errichtete der Sicherheitsrat das hybride Gericht. 161 s. dazu Ahlbrecht/Ambos, Der Fall Pinochet(s); Gattini, Pinochet Cases, EPIL Online Edition. 162 IGH, Case concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia v. Serbia and Montenegro), Urteil vom 26. Februar 2007, bislang nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 471 (6). 163 IGH, Case concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, ICJ Reports 2002, S. 3 ff. 164 IGH, LaGrand Case (Germany v. USA), Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Reports 2001, S. 466 ff. 165 IGH, Case concerning Avena and Other Mexican Nationals (Mexico v. USA), Urteil vom 31. März 2004, ICJ Reports 2004, S. 12 ff. 166 Entscheidung des US Supreme Courts vom 25. März 2008, 128 S.Ct. 1346 (2008), sowie die Beiträge in AJIL 101 (2008): Bederman, S. 529 ff., Bradley, S. 540 ff., Charnovitz, S. 551, Vazquez, S. 563 ff.; Kemmerer, Der Fall Medellin, FAZ vom 31. Oktober 2008, S. 40. 167 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 633 in Fn. 23).
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Aus dieser Konfliktträchtigkeit von Individuen leiten einige Autoren ab, dass auch das Verhalten einzelner Personen eine Situation i. S. d. Art. 39 VNCh darstellen könne. Die Gefährdung des Weltfriedens durch eine konkrete Person, sei es deren aktuelles Verhalten, sei es deren Nichtbestrafung für ein vergangenes Tun, könne dann eine Kapitel-VII-Resolution nach sich ziehen. Dann sei es jedoch nur logisch, wenn dieses Verhalten eine Resolution gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nach sich ziehen könne, die dementsprechend vom IStGH untersucht werden dürfe.168 Vor allem im Falle der Straflosigkeit für angeblich begangene Völkerrechtsverbrechen sei eine Überweisung an den Gerichtshof eine gute Konfliktlösungsmöglichkeit. Die stärkste Begründung findet diese These im Wortlaut des Statuts. Art. 13 lit. b) spricht von einem oder mehreren Verbrechen. Daraus leiten die Befürworter her, dass auch Einzelfälle erfasst sein müssen.169 Diese Argumentation übersieht aber, dass ausdrücklich von Situationen die Rede ist, in denen es den Anschein hat, dass ein oder mehrere Verbrechen begangen worden sind. „Verbrechen“ bezieht sich nicht auf die Kombination von Tatbestand und Sachverhalt oder nur auf den Sachverhalt, sondern einzig auf den Tatbestand. Der Begriff des Verbrechens ist im Statut und insb. in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Synonym für den Begriff des Tatbestands. Dies ergibt sich eindeutig aus Art. 5170 und dem Chapeau des Art. 13 IStGH-Statut.171 Der Wortlaut von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut lässt also ausreichen, dass in einer Situation nur eines der drei bzw. vier Kernverbrechen begangen worden ist – zunächst unabhängig von der Anzahl der Rechtsverletzungen. Wenn schon das stärkste Argument nicht zu überzeugen vermag, so tragen auch die anderen Begründungen nicht. Zwar hat der Sicherheitsrat nach der Charta einen sehr weiten Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum.172 Selbstverständlich kann er auch einen Einzelnen als Gefährdung des Weltfriedens ansehen, und das vielleicht sogar mit gutem Grund. Nichts 168 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 632 f.); Kurth, S. 65. Ablehnend Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty. ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 61). 169 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 633). 170 Art. 5 trägt die amtliche Überschrift „Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen“ und zählt in Abs. 1 die vier Tatbestände auf (nicht ohne sie dann noch einmal als „Verbrechen“ zu bezeichnen). 171 „Der Gerichtshof kann in Übereinstimmung mit diesem Statut seine Gerichtsbarkeit über ein in Artikel 5 bezeichnetes Verbrechen ausüben, wenn a) . . .“, Hervorhebungen durch den Verfasser. 172 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 633) führen dies als Argument an.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
in der Charta hindert ihn daran, Maßnahmen zur Eindämmung zu ergreifen.173 Nur hat eine solche Resolution für den Gerichtshof nur die Rechtsverbindlichkeit, die das Statut ihr zuspricht. Und nach Art. 13 lit. b) i. V. m. Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut ist nur die Überweisung einer Situation (i. S. d. Definition) verbindlich. Der Ausschluss von Einzelfällen war gerade Sinn und Zweck der Formulierung als „Situation“.174 Eine anders lautende Resolution kann sich nicht über die primärrechtlichen Regelungen hinwegsetzen.175 Allerdings ist zuzugeben, dass eine Überweisung weder Ankläger noch Kammern bindet. Die Unabhängigkeit des Gerichtshofs bliebe auch gewahrt, wenn einzelne Fälle überwiesen werden würden. Ankläger und Vorverfahrenskammern behielten ihre Rechte aus dem Statut, insb. die Rechte aus Art. 53 IStGH-Statut.176 Gegen den klaren Wortlaut von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut hilft dies jedoch nicht weiter. Allein die Möglichkeit, ein Verfahren nicht durchzuführen, ist keine Garantie der Unabhängigkeit, so wie sie vom Statut vorgesehen war. Es ging den Vätern und Müttern des Statuts nicht nur um eine negative Freiheit, also den Schutz vor zu genauer Konkretisierung, sondern auch um die Möglichkeit der eigenständigen Auswahl der Einzelfälle. Überweist der Sicherheitsrat nun einen Einzelfall, so wäre nichts gewonnen, wenn der Ankläger sich daran nicht gebunden fühlt. Denn für die Verfolgung anderer Fälle fehlte ihm dann die Sicherheitsratsresolution. Seine positive Auswahlfreiheit könnte er nicht nutzen. Selbst rechtspolitisch überzeugt die Einbeziehung von einzelnen Fällen in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht. Selbstverständlich können auch Einzelne mit Massenvernichtungswaffen, Computerangriffen, Terroranschlägen etc. eine Gefährdung des Weltfriedens darstellen. Regierungsverantwortliche oder sonstige Träger von Staatsgewalt arbeiten jedoch schon immer mit einem Apparat zusammen. Eine strafrechtliche Aufarbeitung bspw. eines Angriffskrieges müsste dann auch die Mitglieder des Staatsapparats treffen.177 Eine Situation i. S. d. Art. 39 VNCh wird bei einer einzelnen Person 173 Auch die nur partielle Völkerrechtssubjektivität von Individuen steht dem nicht entgegen. Als Gefährdungshandlung durch ein Individuum kommen ja gerade die Tätigkeiten in Betracht, die durch das Völkerstrafrecht verboten werden und die Individuen so zu Völkerrechtssubjekten machen. Gegen Völkerrechtssubjekte darf der Sicherheitsrat nun aber vorgehen. 174 s. 3. Kapitel I. 4. 175 Ähnlich begründet auch Sarooshi, The Peace and Justice Paradox: The International Criminal Court and the Security Council, in: McGoldrick/Rowe/Donnelly, S. 95 (S. 106–109) seine Ablehnung. 176 Dies führen Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 632 f.) und Kurth, S. 65, als Argument an.
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nur in solch seltenen Fällen wie Milosˇevic´ oder Pinochet zu bejahen sein – also in den Fällen, in denen die fehlende strafrechtliche Aufarbeitung die Gefahr für den Weltfrieden darstellt und nicht die verbrecherischen Handlungen als solche. In beiden Konstellationen ist es jedoch rechtspolitisch wünschenswert, wenn die Auswahl der Strafgerichtsverfahren durch ein Justizorgan und nicht durch das politische Organ Sicherheitsrat (und den darin zur Sprache kommenden Interessen) getroffen wird. Der Sicherheitsrat ist in seiner Effektivität nicht beeinträchtigt. Maßnahmen nach dem Kapitel VII kann er ohne Weiteres beschließen. Seine Aufgabe der Friedenswahrung kann er nach wie vor erfüllen. Auch der IStGH steht ihm weiterhin zur Verfügung. Er muss den Überweisungssachverhalt dann nur weiter fassen. Zusätzlich kann dann der Ankläger auch das Verhalten anderer Personen untersuchen, die möglicherweise im Vorfeld oder im Nachhinein zu der Friedensgefährdung beigetragen haben. Es ist meistens somit nicht die Strafwürdigkeit des Einzelnen, die eine Situation i. S. d. Art. 39 VNCh darstellt, sondern die Straflosigkeit des Einzelnen. Dazu gehören aber mindestens zwei: der Täter und derjenige, der ihn straflos lässt. Die Verpflichtung des Sicherheitsrates, ganze Situationen zu überweisen, auch wenn offensichtlich sein sollte, welcher konkrete Fall den Anlass bildet, ist kein juristischer Kunstgriff ohne handfeste Konsequenzen. Gerade der Spielraum des IStGH wird erweitert. Die Hintergedanken des Rates wird man in Kauf nehmen müssen, sie verstehen sich bei einem politischen Organ von selbst und sprechen dem Beschluss nicht die juristischen Implikationen ab.178 Der Gerichtshof ist eben nicht an diese Überlegungen im Rat gebunden. Einzelne Fälle können somit nicht vom Sicherheitsrat an den IStGH überwiesen werden.179 Vielmehr zeigen die travaux préparatoires sowie die oben erörterten Argumente, dass personelle Konkretisierungen ausgenom177 So auch Gomaa, The Definition of the Crime of Aggression and the ICC Jurisdiction over that Crime, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 55 (S. 76). 178 s. dazu auch IGH, Legality of the Treat or Use of Nuclear Weapons, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, S. 226 ff. (Rn. 13); IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Gutachten vom 9. Juli 2004, ICJ Reports 2004, S. 136 ff. (Rn. 36–41). ICTY Appeals Chamber; The Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutary appeal on jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 23–25. 179 Zu demselben Ergebnis kommt anscheinend auch Berman, The Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: FS Bos, S. 173 (S. 174). Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty. ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 61), lehnt dies ebenfalls ab. Sie ist weiterhin der Meinung, dass eine solche Überweisung auch nach VN-Recht nicht in Betracht kommt. Arsanjani, Reflections on the juris-
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men sein sollen. Das Ergebnis der Vorarbeiten, nämlich die Verwendung des Wortes „Situation“, soll genau dies zum Ausdruck bringen. b) Erstes Anpassen der vorgeschlagenen Definition: Keine Überweisung von Einzelfällen Somit ist die Definition anzupassen: Eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist jede Situation nach Art. 39 VNCh, die nicht hinsichtlich einzelner Personen konkretisiert ist.180 Allerdings ist es nicht schädlich, wenn der Sicherheitsrat in seiner Resolution – oder später – genauere Angaben und seine Vorstellung von der Situation konkreter macht. So ist z. B. der Brief mit den Namen von 51 Verdächtigen in Darfur, die der Generalsekretär dem Ankläger überreicht hat,181 nicht als Einschränkung zu verstehen, sondern vielmehr als Hilfe für die Ermittlungen. Die gemeinsame Zielsetzung wäre ad absurdum geführt, würde die VN ihre Ermittlungsergebnisse, die der Sicherheitsrat im Rahmen von Art. 39 VNCh genutzt hat, nicht weitergeben dürfen. Dabei ist selbstverständlich zu beachten, dass diese Angaben nur Informationen sind und in keiner Weise für den Gerichtshof und seine Organe verbindlich sind. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 21 IStGH-Statut statuierten und oben erörterten Hierarchie, wonach die Regelungen des Statuts verbindlicher sind als die des VN-Rechts. 5. Obergrenze für die Strafverfolgung a) Problem der Beschränkung der Strafverfolgung Mit der Feststellung, dass das Statut keine Überweisung des Sicherheitsrates zulässt, die einzelne Fälle benennt, ist jedoch nur die Grenze nach unten gesetzt. Damit ist aber noch offen, ob der Sicherheitsrat die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs nach oben begrenzen kann und dies nach dem Statut zulässig ist. Vorstellbar ist etwa, dass er die Zuständigkeit auf eine Konfliktpartei beschränkt oder Blauhelmtruppen der VN bzw. bestimmte Staatsangehörige ausnimmt. diction and trigger mechanism of the International Criminal Court, in: FS Bos, S. 57 (S. 65); Olásolo, ICLR 5 (2005), S. 121 (S. 126). 180 So auch Fixson, Der Internationale Strafgerichtshof: Seine Entstehung und seine Stellung im Völkerrecht, in: St. Kirsch, S. 207 (S. 217). 181 Prosecutor receives list prepared by Comission of Inquiry on Darfur, ICC Doc. ICC-OTP-20050405-97-En vom 5. April 2005; Bhandary, IndianJIL 45 (2005), S. 256 (S. 258).
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Die Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Höchstgrenze ist wieder anhand der beiden Verträge vorzunehmen. Problematisch ist dabei vor allem die Ausnahme von Staatsangehörigen von Nichtvertragsparteien. b) Zulässigkeit nach der VNCh Aufseiten des VN-Rechts stellen sich dabei keine großen Probleme. Der große Ermessensspielraum des Sicherheitsrates und seine Einschätzungsprärogative bezüglich der zu treffenden Maßnahme sprechen für eine unbeschränkte Verfolgungsmöglichkeit. Sein Ermessen kann nur in engen Ausnahmen beschränkt werden. Denkbar ist allein, dass eine Begrenzung durch den Gleichheitssatz erfolgt. Dieser soll ähnlich wie bei Art. 3 Abs. 1 GG besagen, dass gleiche Sachverhalte gleich und ungleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden sollen, solange keine andere Behandlung gerechtfertigt ist. Eine Bindung des Sicherheitsrates an den Gleichheitssatz ist jedoch nicht zu erkennen. Die obige Untersuchung hat die Grenzen der Rechtsbindung aufgezeigt. Diese wurden weit gezogen, um nur die elementarsten Grundregeln bei einem Handeln durch den Sicherheitsrat zu schützen. Sein Auswahlermessen soll möglichst groß sein, um hohe Effektivität zu erreichen. Rechtliche Erwägungen i. S. e. genauen Subsumtion können dabei außer Betracht bleiben. Der Sicherheitsrat ist nicht verpflichtet, gegen den Störer vorzugehen. Genauso wenig ist er dazu verpflichtet, gegen alle möglichen Beteiligten gleich stark vorzugehen. Demnach bietet das Recht der Vereinten Nationen keinen Anhaltspunkt, um eine Beschränkung der Strafverfolgung zu beschließen. c) Zulässigkeit nach dem Statut – Unzulässigkeitsgründe Unabhängig davon sei die Zulässigkeit nach dem Statut zu untersuchen. Das Statut filtere die Resolution, um für den Regelungsbereich des Statuts, also die ständige internationale Strafgerichtsbarkeit, eigene Regelungen zu treffen und sich dabei der Eigenarten des Kapitels VII VNCh zu bedienen. Unmittelbar am Wortlaut lasse sich keine Beschränkung festmachen. Dennoch sprächen die Vorbereitungsmaterialien zum Situationsbegriff des Statuts gegen die Zulässigkeit einer Beschränkung. Eine Abgrenzung nach Personengruppen hätte gerade nicht stattfinden sollen. Die Ausnahme von Angehörigen bestimmter Staaten oder Konfliktparteien sei genauso wenig vorgesehen gewesen wie die Überweisung einzelner Fälle.
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Weiterhin sei der Gerichtshof ein unabhängiges und vor allem unparteiisches Gerichtsorgan. Seine Gerichtsbarkeit erstrecke sich auf alle Personen und sei blind gegenüber politischen oder ethnischen Zugehörigkeiten. Auch die bisherige Praxis des Gerichtshofs könnte diese Lösung tragen. Als Uganda im Dezember 2003 die erste Selbstanzeige an den Ankläger erstattete, benannte es den Fall als „situation concerning the Lord’s Resistance Army“. Diese Formulierung wurde dahingehend verstanden, dass die Regierung den IStGH nur nutzen wollte, um die Rebellen zu bekämpfen, die eigenen Truppen aber ausnehmen wollte.182 Der Ankläger sah dieses Problem und wies den Präsidenten des IStGH darauf hin. My Office has informed the Ugandan authorities that we must interpret the scope of the referral consistently with the principles of the Rome Statute, and hence we are analyzing crimes within the situation of northern Uganda by whomever committed.183
Moreno-Ocampo lege somit Wert auf die unparteiische Stellung des Anklägers, und damit des Gerichtshofs, in einem Konflikt. Diese Entscheidung wurde begrüßt. Kritisiert wurde später, dass der Ankläger diese Haltung im Falle Darfurs nicht aufrechterhalten hat.184 Hier wäre, folgte man dieser Meinung, ein ähnlicher Protest angebracht gewesen. Ob als weiteres Argument gegen die Begrenzung der Gleichheitssatz herangezogen werden kann, ist aufgrund seiner Unbestimmtheit zweifelhaft.185 d) Zulässigkeit nach dem Statut – Zulässigkeitsgründe Für die Zulässigkeit einer Beschränkung spreche, dass die Überweisung einzelner Fälle ein anderes Problem darstelle als die Ausnahme einiger Gruppen. Denn während es sich bei der Überweisung um die positive Begründung der Gerichtsbarkeit handele, beschränke die „Deckelung nach oben“ die Gerichtsbarkeit. Damit würde dem Gerichtshof keine Kompetenz 182
Schabas, Introduction to the ICC, S. 157. Decision Assigning the Situation in Uganda to Pre-Trial Chamber II, ICC Doc. ICC-02/04-1 vom 5. Juli 2004, Annex 1 (Brief des Anklägers vom 17. Juni 2004 an den Präsidenten des Gerichtshofs), Hervorhebungen durch den Verfasser. Die Anzeige Ugandas ist noch immer geheim. Sie ist Anhang des Antrags auf Haftbefehle des Anklägers vom 6. Mai 2005, ergänzt durch Anträge vom 13. und 18. Mai 2005, die alle drei ebenfalls noch unter Verschluss sind. Der Ankläger hält seine Auffassung aufrecht, vgl. Decision to Convene a Status Conference on the Investigation in the Situation in Uganda in Relation to the Application of Article 53, ICC Doc. ICC-02/04-01/05-68 vom 2. Dezember 2005, Rn. 4 f. 184 Schabas, Introduction to the ICC, S. 157. 185 s. oben im 1. Kapitel unter III. 4. 183
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genommen, die er vorher schon hatte.186 Er bekäme zwar eine Zuständigkeit, deren Ausmaß wäre aber in jedem Fall – beschränkt oder unbeschränkt – ein Plus. Dem Statut sei zu entnehmen, dass dem Sicherheitsrat irgendein Begrenzungsrecht zukommen soll. Art. 16 IStGH-Statut gibt eindeutig zu verstehen, dass bestimmte Fälle ausgenommen werden dürfen. Dafür mag es genaue Grenzen geben, am Anfang steht jedoch eine politische Entscheidung des Sicherheitsrates. Wenn Art. 16 IStGH-Statut dahingehend auszulegen ist, dass sogar einzelne Fälle für eine gewisse Zeit nicht verfolgt werden dürfen, dann müsse auch im Rahmen von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eine Begrenzung gewollt sein. Das, was Art. 16 IStGH-Statut stoppt, würde bei einer Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut von vornherein ausgenommen sein. Art. 16 IStGH-Statut stelle dann keine abschließende Regelung dar. Denn dieser sei eben nur für Fälle und nicht für Situationen anwendbar. Über eine Begrenzung der „Befugnisse“ aus Art. 13 lit. b) IStGHStatut könne daher kein Schluss gezogen werden. Der Verweis auf das self-referral Ugandas gehe fehl. Zwar sei die Entscheidung des Anklägers konsequent. Ein anderes Ergebnis wäre nicht mit dem Statut zu vereinbaren gewesen und hätte den IStGH seine Glaubwürdigkeit gekostet. Aber die Gegenmeinung verstehe die Entscheidung falsch. Kritikpunkt an der ugandischen Entscheidung war, dass die ugandische Regierung ihre Truppen von der Gerichtsbarkeit ausnehmen wollte.187 Auf diese Kritik antwortet der Ankläger: Er unterscheidet in seiner Untersuchung nicht zwischen Rebellen und Staatsorganen. Über die mögliche Strafverfolgung anderer Personen sagt seine Stellungnahme nichts aus. Seine Weigerung, nur bestimmte Personengruppen einer Untersuchung zu unterziehen, bezieht sich somit auf die Strafbarkeit der anderen Konfliktpartei. Seine Aussage kann somit nicht als ein Argument gegen die Deckelung angeführt werden. Die Gegenmeinung übersehe weiterhin das entscheidende Argument. Das Statut ist tatsächlich blind in Bezug auf politische oder ethnische Eigenschaften. Es ist aber bei weitem nicht blind gegenüber dem Völkerrecht. Und das allgemeine Völkerrecht setzt der Strafverfolgung durch den IStGH Grenzen, die durch eine nach oben unbegrenzte Gerichtsbarkeit verletzt werden würden. Denn als ein durch Vertrag geschaffenes Subjekt sei der IStGH gewissen Beschränkungen unterworfen, die im Statut geregelt sind. Erinnert sei hier 186 So wohl Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 694 f.). 187 Vgl. nur Schabas, Introduction to the ICC, S. 157.
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an die Ausführungen zum pacta-tertiis-Grundsatz. Eine Überweisung durch die VN würde in den Fällen erfolgen, in denen der Tatortstaat nicht Vertragspartei des Statuts ist.188 Die wirksame Ausübung der Gerichtsbarkeit gegenüber der bzw. den Nichtvertragspartei(en) beruhe dann auf der Resolution des Sicherheitsrates. Die fehlende Zustimmung des betroffenen Staates, die nach dem Konsensprinzip erforderlich ist, würde durch die Entscheidung des Sicherheitsrates wirksam ersetzt werden. Geht man davon aus, dass der Gleichheitssatz die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten verbietet, nehme man dadurch dem Konsensprinzip und dem pacta-tertiis-Grundsatz jede Wirkung. Denn mit dem Postulat, dass der Gleichheitssatz so weit gilt, kann es keine Unterschiede mehr nach verschiedenen Staatsangehörigkeiten geben. Dann würde aber nicht nur eine Ausnahme gemacht, sondern die Geltung fundamentaler Regelungen des Völkerrechts in Frage gestellt werden – und es läge ein Verstoß gegen das Statut vor. Der Sicherheitsrat könne sich zwar faktisch über den pacta-tertiis-Grundsatz hinwegsetzen. Wenn er Regelungen erließe, die er einem Vertrag entnommen hat bzw. wenn er auf einen Vertrag verweist, sei dies für die Mitglieder der VN verbindlich. Zwar gelte der Vertrag dann nicht, aber der Inhalt gelte entweder in der Rechtsform der Resolution oder über den Verweis der Resolution. Zu dieser Regelung hätten die Mitgliedstaaten der VN den Sicherheitsrat ermächtigt, indem sie die VNCh ratifiziert haben. Gleichzeitig hätten sie in den Eingriff in ihre Souveränität eingewilligt. Das Statut könne sich allerdings nicht über seine eigenen Grenzen hinwegsetzen. Es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der Drittstaaten nicht binden kann. Weder könne es Nichtvertragsparteien verpflichten noch dem Sicherheitsrat, vermittelt über den Gleichheitssatz, Grenzen auferlegen. Das heißt, dessen Kompetenzen nach der Charta werden nicht berührt, wenn das Statut die Resolution filtert. Die Resolution des Sicherheitsrates schaffe somit eine völkerrechtliche Grundlage für die Strafverfolgung von Nichtvertragsparteien des Statuts. Sie müsse völkerrechtlich nach Staatsangehörigkeiten differenzieren. e) Stellungnahme Der Sicherheitsrat wird vom IStGH dazu gebraucht, völkerrechtsgemäß Gerichtsbarkeit über Tatort- oder Täterstaaten auszuüben, die Nichtvertragsparteien des Statuts sind.189 Die Unterscheidung zwischen Vertragsparteien 188 Der Täterstaat dürfte hier weniger relevant sein, zählt rechtlich aber genauso viel wie der Tatortstaat. 189 s. 3. Kapitel II. 3.
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und Drittstaaten ist fundamental. Die Unparteilichkeit des Gerichtshofs kann nur innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Regelungen gelten. Das Statut ist völkerrechtskonform auszulegen. Eine Situation kann dann nur diejenigen Personen umfassen, bei denen die Strafverfolgung zulässig ist – entweder weil die Taten auf dem Gebiet einer Vertragspartei begangen wurden oder weil der Heimatstaat des Täters Vertragspartei ist. Dehnt der Sicherheitsrat die Gerichtsbarkeit auf Nichtvertragsparteien aus, gilt diese Unterscheidung noch immer. Er kann die Anwendung des Statuts für Nichtvertragsparteien anordnen.190 Die Argumente für die Zulässigkeit einer solchen Deckelung sind überzeugend. Die Gegenargumentation verkennt die Funktion der Sicherheitsratsresolution als Ersatz für den Konsens der Staaten und als Rechtsgrundlage für die Ausübung der Gerichtsbarkeit. Der Sicherheitsrat ist befugt, Staatsangehörige von Nichtvertragsparteien des Statuts von der Gerichtsbarkeit des IStGH auszunehmen, sodass der Gerichtshof über deren Taten keine Strafgewalt ausüben kann. f) Beschränkung für Mitgliedstaatsangehörige Diese Argumentation verfängt jedoch nicht, wenn es um den Ausschluss von Angehörigen der Staaten geht, die das Statut ratifiziert haben. Diese Staaten haben zwar in die automatische Gerichtsbarkeit eingewilligt, Art. 12 IStGH-Statut. Doch kann der Sicherheitsrat in einer Überweisungsresolution eine Ausnahme schaffen, die dann gemäß Art. 25 VNCh für die Mitgliedstaaten verbindlich ist und kraft der Befugnis aus Art. 103 VNCh Vorrang vor den Verpflichtungen aus dem Statut genießt. Für den Strafgerichtshof gilt diese Regelung allerdings nicht. In ihm ist keine Anordnung enthalten, dass das VN-Recht dem Statut vorgeht. Im Ergebnis bedeutet dies also, dass der Sicherheitsrat eine Beschränkung mit Rechtswirkung für die Staaten vorsehen kann, der Gerichtshof daran aber nicht gebunden ist. In der Praxis dürfte sich der Ankläger dann auch an diese Beschränkung halten. Absehbar sind zwei Hürden, die sich für ihn auftun würden. Zum einen wäre mit einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut zu rechnen. In dieser dürfte der Sicherheitsrat dann die Strafverfolgung der gesamten Situation aussetzen. Zum anderen wären die Mitgliedstaaten durch die Resolution verpflichtet, keine Hilfe bei den Ermittlungen zu leisten. Ohne diese ist der Ankläger praktisch machtlos.
190 Anwendung bedeutet hier, der Inhalt des Statuts gilt, aber in der – für die Nichtvertragsparteien verbindlichen – Rechtsform einer Sicherheitsratsresolution.
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g) Zweites Anpassen der vorgeschlagenen Definition: Zulässige Beschränkung der Strafverfolgung Die oben aufgestellte Definition ist somit weiter zu verfeinern. Eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist jede Situation nach Art. 39 VNCh, in der nicht einzelne Fälle überwiesen werden und in der nicht nach bestimmten Personengruppen, insb. Konfliktparteien, unterschieden wird. Die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten ist zulässig. 6. Der Sicherheitsrat als Weltgesetzgeber a) Abstrakte Phänomene als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh Die aktuelle Entwicklung im Recht des Kapitels VII schafft für die Definition ein weiteres Problem. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der Sicherheitsrat seine Kompetenzen so weit in Anspruch genommen, dass ihm unterstellt worden ist, er wolle sich als Weltgesetzgeber etablieren. In den Resolutionen 1368191, 1373192 und 1540193 bezeichnete er bestimmte Phänomene erstmals als solche als Gefährdung des Weltfriedens.194 Er verwies somit auf abstrakte Probleme, losgelöst von aktuellen Konflikten, die bisher als allein tatbestandserfüllend i. S. d. Art 39 VNCh angesehen wurden. Entscheidend für den hier zu behandelnden Problemkreis ist Resolution 1373. Dort nahm der Sicherheitsrat erstmals ein abstraktes Gefahrenverständnis für die Friedensbedrohung nach Art. 39 VNCh zum Anlass, um weitreichende Maßnahmen nach dem siebten Kapitel der Charta zu treffen. Ein abstraktes Gefahrenverständnis wird auch in Resolution 1368 zugrunde gelegt, jedoch ohne Bezug auf Kapitel VII und dessen Maßnahmenkatalog. Für die Resolutionen 1368 und 1373 gab es zwar einen konkreten Anlass, das Gefahrenverständnis ist aber ausweislich des Wortlauts abstrakt. Erst 191 SC Res. 1368 (2001), Rn. 1: „(. . .) and regards such acts, like any act of international terrorism, as a threat to international peace and security“. 192 SC Res. 1373 (2001), Präambel Abs. 3: „Reaffirming further that such acts, like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security“. Vgl. auch Rn. 1 f. 193 SC Res. 1540 (2004), Präambel Abs. 1: „Affirming that proliferation of nuclear, chemical and biological weapons, as well as their means of delivery, constitutes a threat to international peace and security“. 194 Aston, ZaöRV 62 (2002), S. 257 (S. 267); Aston, S. 79 ff.; Szasz, AJIL 96 (2002), S. 901 (S. 902); Johnstone, AJIL 102 (2008), S. 275 (S. 283 ff.); Nolte, Practice of the UN Security Council with respect to Humanitarian Law, in: FS Delbrück, S. 487 (S. 499).
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bei Resolution 1540 gab es kein Ereignis, dass den Sicherheitsrat zur Annahme von gesetzesähnlichen Maßnahmen verleitete.195 In Resolution 1373 verpflichtete der Rat die Staaten zu weitreichenden Maßnahmen. So wurden u. a. Pflichten zur Verhinderung der Terrorfinanzierung geschaffen. Diese wurden als abstrakt-generelle Regelungen und damit als eine weitere Entwicklungsstufe auf dem Weg zur Kooperationsrechtsordnung angesehen. Teilweise werden auch die Gründungen der beiden ad-hoc-Tribunale diesem Problemkreis zugerechnet. Doch kommt in diesen beiden Resolutionen kein neues Gefahrenverständnis zum Tragen.196 Der Sicherheitsrat wollte einen konkreten Konflikt lösen, nicht generell einen Gerichtshof für alle Völkerstraftäter einrichten. Die Problematik besteht wenn überhaupt also erst auf Rechtsfolgenseite und nicht schon auf der Tatbestandsebene. Legt man dieses abstrakte Gefahrenverständnis dem Art. 39 VNCh zugrunde, dann könnte der Sicherheitsrat abstrakte Phänomene überweisen und so die Gerichtsbarkeit des IStGH begründen. Schon bei der Möglichkeit eines Konflikts könnte die Gerichtsbarkeit eröffnet sein. Der Sicherheitsrat müsste nicht abwarten, sondern könnte Phänomene überweisen.197 Vorstellbar ist, dass bspw. Terrorismus erneut als solches als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnet wird und die Verfolgung jedes Terroraktes an den Gerichtshof überwiesen wird.198 Somit fiele jeder zukünftige Terrorakt in die Jurisdiktion – wenn die hier vorgeschlagene Definition stimmte. Aus dem IStGH würde ein Internationaler Terrorgerichtshof, der – losgelöst von einem konkreten Konflikt – abstrakte Phänomene strafrechtlich ahnden dürfte. Parallel dazu dürfte der Rat abstrakten Phänomenen mit dem „Völkerpolizeirecht“ bzw. dem völkerrechtlichen Gefahrenabwehrrecht begegnen.199 Zu untersuchen ist somit, ob das abstrakte Gefahrenverständnis von der VNCh gedeckt ist (a) und ob das Statut der Übernahme dieses Begriffs entgegensteht (b). Die Frage nach der Zulässigkeit abstrakt-genereller Rechtsetzung durch den Sicherheitsrat kann hier dahingestellt bleiben. Die vorgeschlagene Definition bezieht sich nur auf die Tatbestandsebene. Allein 195
Zimmermann/Elberling, VN 2004, S. 71 (S. 72). Vgl. Aston, S. 67 f.; Kirgis, AJIL 89 (1995), S. 506 (S. 522); A. Stein, S. 61 f.; Happold, LeidenJIL 16 (2003), S. 593 (S. 596). 197 Olásolo, ICLR 5 (2005), S. 121 (S. 125), lehnt ohne Begründung ab, dass strukturelle Umstände eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut sein können. 198 Materiell müssten die Straftaten dann am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 IStGHStatut untersucht werden; Cassese, EJIL 12 (2001), S. 993 (S. 994 f.). 199 Vorausgesetzt, man folgt dieser Meinung und bejaht die Rechtmäßigkeit der Res. 1368, 1373, 1540, insb. die abstrakte Auslegung des Gefahrbegriffs und den Maßnahmenkatalog. 196
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durch die Auslegung des Situationsbegriffs wird der Handlungsrahmen gesetzt. Die Definition hat somit bestimmte Rechtsfolgen, allerdings nicht die der VNCh, sondern des Statuts. Deutlich zu betonen ist Folgendes: Es geht nicht um die Ausweitung der Jurisdiktion durch eine Kapitel-VII-Resolution, in dem Sinne, dass der Sicherheitsrat bestimmte Tatbestände einführt oder sich über die im Statut niedergelegten Voraussetzungen hinwegsetzt. Kraft seiner Kapitel-VII-Kompetenz erweitert er so den vom Statut gesetzten Rahmen. Hier geht es nicht um eine solche Ausweitung. Dass durch Art. 13 lit. b) IStGH-Statut die Gerichtsbarkeit ausgeweitet wird, steht fest. Denn dadurch dürfen auch Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten verfolgt werden. Genau dies ist die Funktion der Überweisungsmöglichkeit. Fraglich ist an dieser Stelle daher nun, in welchem Ausmaß diese Ausweitung möglich ist. Und die Ausweitung wird allein über den Situationsbegriff erreicht, so wie es in Rom intendiert war. Die Situation, in diesem Fall also das abstrakte Phänomen, bleibt im Übrigen am Maßstab des Statuts, insb. den Tatbeständen, zu prüfen. Christian Tomuschat war 1993 – soweit ersichtlich – der Erste, der die Möglichkeit erkannte, dass der Sicherheitsrat sich mit abstrakten Phänomenen beschäftigen würde.200 Dies sei auch zulässig. Tomuschat argumentiert anhand von Art. 24, 39 VNCh. So ließe sich dem Wortlaut von Art. 39 VNCh kein Argument entnehmen, ein „subject-matter“ spezifisches Verständnis der Gefahr zu begründen.201 Zum klassischen „geographischen“ Gefahrenbegriff, der sich an einem konkreten Konflikt orientiere, bestehe nach der Charta somit kein Unterschied. Im Gegenteil, wenn der Sicherheitsrat effektiv gegen Gefahren für den Weltfrieden vorgehen sollte, wenn der Präventionsgedanke dem Art. 39 VNCh zugrunde liege, so müsse der Gefahrenbegriff abstrakt ausgelegt werden. Tomuschat sieht vor allem in Bereichen, die zwischenstaatliche Gewalt hervorrufen können, eine solche abstrakte Gefahr. Aber auch Aspekte des positiven Friedens könnten Anlass für Kapitel-VII-Maßnahmen werden. Der Rat hätte ihm zufolge auch die Kompetenz, Umweltfragen im Rahmen von Kapitel VII zu behandeln. Das abstrakte Gefahrenverständnis lässt sich jedoch nicht auf den positiven Friedensbegriff stützen.202 Es bleibt beim negativen Friedensbegriff. Auch im Bereich der abstrakten Gefahren als Tatbestandserfüllung des Art. 39 VNCh hat die Staatenpraxis auf die zwischenstaatliche Gewalt nicht verzichtet. So hat der Sicherheitsrat in Resolution 1373 anerkannt, dass Ter200
Tomuschat, RdC 241, S. 344 ff. Tomuschat, AVR 33 (1995), S. 1 (S. 12). Ebenso Dicke, National Interest vs. the Interest of the International Community, in: Delbrück, New Trends, S. 145 (S. 164, 167). 202 4. Kapitel III. 2. b). 201
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rorakte das Recht zur Selbstverteidung nach sich ziehen, und somit das zwischenstaatliche Element bestätigt. Als Grundlage für das neue Verständnis kommt aber zutreffenderweise der Begriff der Bedrohung in Betracht. Insoweit ist Tomuschat zuzustimmen, wenn er sagt, dass eine effektive Aufgabenwahrnehmung nur mit einer präventiven Dimension vorstellbar sei. Umfasst werden davon nicht nur Spannungslagen, die jederzeit in einen Konflikt umschlagen können, sondern auch Phänomene, die zwischenstaatliche Gewaltanwendung nach sich ziehen können. Die präventive Dimension ist somit schon in der Charta angelegt. Dass dieses Verständnis bislang nicht vorherrschend war, vermag den Befund nicht zu ändern. Die Charta ist auf eine dynamische Auslegung angelegt. Anders ist eine effektive Friedenssicherung nicht zu leisten. Durch desuetudo bzw. Nichtgebrauch ist dieses Verständnis jedenfalls nicht unzulässig geworden. Insoweit kommt es also nicht auf die Staatenpraxis an. Selbst wenn man dieser Auslegung nicht folgt und die Praxis der Vertragsstaaten untersucht, ändert sich das Ergebnis nicht. So sind Jochen Frowein und Nico Krisch skeptisch, ob die Staatenpraxis dieses Verständnis trägt.203 Sie würden allerdings bei einem entsprechenden Nachweis die Änderung für zulässig halten.204 Diesen Nachweis führt Aston. Er hat in seiner ausführlichen Untersuchung nachgewiesen, dass die Praxis nach den Resolutionen 1373 und 1540 eine solche Auslegung unterstützt bzw. ihr nicht im Ganzen entgegensteht. Auch wenn einige Staatenvertreter meistens Einzelheiten, teilweise aber auch die „Legislativkompetenz“ des Rates als solche kritisch beurteilten, so habe der Sicherheitsrat beide Resolutionen einstimmig angenommen. Dafür gestimmt hätten sogar die Staatenvertreter, die in der Diskussion gegen eine solche Resolution gewesen seien.205 Die Erfüllung ihrer Verpflichtung nach Abs. 6 der Resolution 1373206 durch die Staaten spreche auch für die Akzeptanz der abstrakten Lesart.207 Selbst die ablehnenden Stellungnahmen änderten nichts an dem Befund, dass die Auslegung der Gefahr i. S. d. Art. 39 VNCh als abstrakte Gefahr schon in der Charta angelegt sei und durch eine Auslegung mit dem klassischen Kanon erfolge. Die Staaten203
Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 21. Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII, Rn. 23. 205 Aston, S. 107, führt Pakistan als Beispiel an. Dessen Vertreter hatte den Entwurf in der Aussprache noch heftig kritisiert, dann aber doch zugestimmt. Vgl. Press Release SC/8076 vom 28. April 2004. 206 Die Staaten sollten einem Ausschuss über ihre Umsetzungsmaßnahmen Bericht erstatten. SC Res. 1456 Abs. 4 vom 20. Januar 2003 zeugt davon, dass die Staaten ihre Pflicht im Großen und Ganzen erfüllt haben. 207 Aston, S. 92 f. 204
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
praxis brauche somit nicht nach dem gewohnheitsrechtlichen Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK herangezogen zu werden.208 Als Zwischenergebnis festzuhalten ist somit, dass Phänomene als solche eine Gefahr i. S. d. Art. 39 VNCh darstellen können. Die VNCh beinhaltet ein abstraktes Gefahrenverständnis. Die Kritik daran verfängt nicht.209 Somit kann dies im Anschluss an Aston zumindest für den Bereich des Terrorismus als gesichert gelten.210 Er nimmt zu Recht an, dass Resolution 1540 die Fortsetzung von Resolution 1373 ist und sich vor allem gegen Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen richtet.211 Daneben kann daher auch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch nichtstaatliche Akteure aufgrund der Reaktion der Staatengemeinschaft und der Nähe zum Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen als abstraktes Phänomen angesehen werden, das eine Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh darstellt. Ob noch weitere Phänomene als solche auch eine Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh begründen können, kann hier dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass dies grundsätzlich möglich und in zwei Bereichen bereits heute zulässig ist. Dieses Gefahrenverständnis bedarf jedoch einer Einschränkung. Schon oben wurde erwähnt, dass Maßnahmen nach Art. 40 ff. VNCh nur zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Weltfriedens getroffen werden dürfen.212 Sie müssen somit eine Verbindung zu Ziel und Zweck des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen aufweisen.213 Dafür sind die Eingriffsbefugnisse des Kapitels VII geschaffen worden. Dies gilt auch im Rahmen der Auslegung des Gefahrenbegriffs. Zwischen der Handlung, die eine abstrakte Gefahr darstellen soll, und der Bedrohung des Weltfriedens muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen.214 Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich an diesem Verständnis durch die zukünftige Staatenpraxis etwas ändern wird. Eine so veränderte Auslegung steht der Definition nicht entgegen. Erwähnenswert ist jedoch noch der Vorschlag des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew, der aktuellen Lage vor der Küste Somalias mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen. Trotz der langen Geschichte dieses Pro208 Kirgis, AJIL 89 (1995), S. 506 (S. 522 ff.). Vgl. auch Zemanek, Is the Security Council the Sole Judge of its own Legality?, in: FS Bedjaoui, S. 629 (S. 643). 209 Kritisch gegenüber dem abstrakten Gefahrenverständnis sind noch Simma, RdC 250, S. 217 (S. 277 f.) und A. Stein, S. 63 ff., allerdings ohne Begründung. 210 Aston, S. 104 ff. 211 Aston, S. 104 ff. 212 1. Kapitel III. 1. b). 213 Szasz, AJIL 96 (2002), S. 901 (S. 904). 214 Aston, S. 117.
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
161
blems ist seit Ende 2008 die Bedrohung durch Piraten am Horn von Afrika durch die vermehrten Angriffe auf westliche Schiffe vor eben dieser Küste in den Fokus der Medien und der Außenpolitik gerückt.215 Daraufhin wies Medwedjew Anfang Mai 2009 die russische Generalstaatsanwaltschaft an, die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs für Piraten zu prüfen.216 Sein Vorschlag sieht also die Gründung eines weiteren ad-hoc-Tribunals vor. Möglich wäre aber auch, dass der Sicherheitsrat das Phänomen der Piraterie neben den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch nichtstaatliche Akteure stellt und so die Zuständigkeit des IStGH begründet.217 Somit kann jedes Phänomen, das geeignet ist, einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zur zwischenstaatlichen Gewaltanwendung zu begründen, eine Gefahr für den Weltfrieden i. S. d. Art. 39 VNCh sein. Also wäre das Ergebnis, dass auch abstrakte Phänomene als „Situation“ i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut in Betracht kämen. Fraglich ist, ob dieses Ergebnis auch vom Statut gedeckt ist. b) Das IStGH-Statut und abstrakte Phänomene Der Transformation dieser Auslegung von Art. 39 VNCh in eine Situation nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut stehen zwei Bedenken entgegen. aa) Ablehnung der Gründung im Wege einer Sicherheitsratsresolution In der Arbeit der ILC wurden verschiedene Möglichkeiten erörtert, den neuen Gerichtshof mit den Vereinten Nationen in Beziehung zu setzen. Neben der Möglichkeit, einen klassischen Vertrag zu schließen, – die sich durchgesetzt hat – war die Variante, die VNCh zu ergänzen und den Gerichtshof als VN-Organ zu schaffen, die wohl beliebteste. Schon in der ILC wurden die Erfolgsaussichten dafür allerdings als gering eingestuft.218 Als dritte Möglichkeit wurde in Erwägung gezogen, den Gerichtshof entweder 215 Interview mit Heintschel von Heinegg, „Wer in Gottes Namen soll denn Piraten bekämpfen?“, in: Die Welt vom 7. Oktober 2008, S. 7; s. dazu schon das Sondervotum des Richters Moore im Lotus-Fall vor dem StIGH, Case Concerning the Steamship S. S. Lotus, Urteil vom 7. September 1927, PCIJ Series A, No. 9, S. 70. 216 Medwedjew für Piraten-Tribunal, in: FAZ vom 6. Mai 2009, S. 7; SpiegelOnline, Medwedjew will Seeräuber vor Sondergericht stellen, http://www.spiegel. de/politik/ausland/0,1518,622853,00.html, besucht am 9. Mai 2009. 217 Somalia ist keine Vertragspartei des IStGH-Statuts, sodass sich eine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut anbietet; vgl. auch die SC Res. 1816 vom 2. Juni 2008, 1838 vom 7. Oktober 2008, 1846 vom 2. Dezember 2008 und 1851 vom 16. Dezember 2008.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
durch eine Resolution von Generalversammlung oder Sicherheitsrat allein oder durch eine entsprechende Resolution und deren Annahme durch alle Staaten zu schaffen. Ein Jahr vor Beginn der Verhandlungen zum Statut wurde der ICTY durch die Sicherheitsratsresolution 827 vom 25. Mai 1993, und am 8. November 1994 der ICTR durch Resolution 955 geschaffen, sodass diese Möglichkeit ins Auge sprang. Diese Variante war die wohl den wenigsten Erfolg versprechende für die Gründung des IStGH.219 Deren Befürworter führten die schnelle und im Vergleich zu langwierigen Vertragsverhandlungen unkomplizierte Gründung an. So könnte zusätzlich vermieden werden, dass nur Staaten aus bestimmten Regionen den Vertrag ratifizierten. Eine Kombination aus Resolution und Annahme durch die Staaten hätte noch immer den Vorteil, dass die Kapitel-VII-Maßnahmen die Zeit bis zur Ratifizierung durch die Staaten überbrücken könnten. Kritisiert wurde die mangelnde Legitimität einer solchen Resolution. Gerade im Hinblick auf die nicht repräsentative Zusammensetzung des Sicherheitsrates seien solche Bedenken fatal für die Arbeit des Gerichts. Die Kompetenz des Sicherheitsrates erstrecke sich außerdem nur auf Reaktionen hinsichtlich einer bestimmten Situation, also hinsichtlich eines konkreten Konflikts (konkretes Gefahrenverständnis).220 Kritik wurde auch von Wissenschaftlern geäußert, die (inzwischen) ein abstraktes Gefahrenverständnis vertreten.221 Der Sicherheitsrat sei nicht zur Gesetzgebung befugt. So könne er keine abstrakt-generellen Regelungen treffen. Die Mehrheitsmeinung der ILC hat sich bekanntlich bis ins Statut hinein durchgesetzt. Würde man nun die neue Entwicklung im Gefahrenverständnis mittels der Definition in das Statut übertragen, so wäre das Ergebnis der ILC konterkariert. Der Sicherheitsrat könnte über den Weg des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut quasi einen neuen Gerichtshof gründen. Diese wäre auch ein neues Instrument im Völkerstrafrecht, das Elemente der ad-hocTribunale (die Gründung durch den Sicherheitsrat mittels Kapitel VII VNCh und die damit verbundenen Konsequenzen für alle Staaten) und des IStGH (Gerichtsbarkeit unabhängig von einem Anlass) vereinigen würde. Anklänge dieser Lösung finden sich übrigens in der Beschreibung, dass der Sicherheitsrat über Art. 13 lit. b) IStGH-Statut den IStGH wie ein ad-hocTribunal nutzen könnte. 218 ILCYB 1994, Vol. II, Part 2, S. 22 Rn. 51. Vgl. auch Triffterer/Triffterer, ICC-Statute, Preliminary Remarks, Rn. 44 f. 219 ILCYB 1994, Vol. II, Part 2, S. 22 Rn. 51 f. 220 ILCYB 1994, Vol. II, Part 2, S. 22 Rn. 51 f. 221 Tomuschat, EA 49 (1994), S. 61 (S. 66: Der Sicherheitsrat ist kein „internationaler Gesetzgeber mit umfassender Rechtssetzungsmacht“); Simma, RdC 250, S. 217 (S. 277 f.). Zur weiteren Kritik s. Cassese, From Nuremberg to Rome, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 3 (S. 15 ff.).
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Allerdings kann allein daraus nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass abstrakte Phänomene die Gerichtsbarkeit nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht begründen können. Die Intention der Verfasser des Statuts ging jedenfalls nicht dahin, dass der Sicherheitsrat keinen Einfluss bei der Verfahrenseinleitung haben soll. Die Diskussion in der ILC hat ja gerade in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Spuren hinterlassen. So kann man die Grundgedanken des dritten Vorschlags insb. aus den Art. 12 und 13 IStGH-Statut herauslesen: Der Gerichtshof macht sich die Kapitel-VII-Kompetenzen des Sicherheitsrates zunutze. In welchem Umfang ist umstritten und wird vorliegend geklärt. Dennoch: Das Argument der mangelnden Legitimation ist damit hinfällig. Nutzt das Statut den Sicherheitsrat als „Einleiter“ eines Verfahrens im Hinblick auf eine Situation aus, so ist nicht nachvollziehbar, warum der Legitimationsmangel bei der vorgeschlagenen Auslegung der „Situation“ entscheidend sein sollte. Wenn er schon Konflikte überweisen kann und dies als legitim angesehen wird, wäre die Legitimation nicht geringer, überwiese er abstrakte Gefahren. Da sich nun das Gefahrenverständnis gewandelt hat, ist kein Grund ersichtlich, die Definition anzupassen. Der gewählte Weg, um den Gerichtshof zu gründen, ist somit nicht geeignet, die Definition zu verwerfen. bb) Der Territorialitätsbezug des Statuts Durch die Gerichtsbarkeit des IStGH zieht sich ein Territorialitätserfordernis. Bei den anderen zwei Auslösemechanismen des Art. 13 IStGH-Statut muss gemäß Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut entweder der Tatortstaat oder der Heimatstaat des Täters Vertragspartei des Statuts sein. Somit darf der Ankläger nur solche Fälle untersuchen, die einen „räumlichen Bezug“ zum Statut aufweisen. Abstrakten Phänomenen, wie sie der Sicherheitsrat in Resolution 1373 und 1540 als Friedensbedrohung angesehen hat, fehlt jedoch ein solcher Bezug. Aus der Gesamtschau der Normen mit Territorialbezug könnte sich die Unzulässigkeit solcher abstrakten Phänomene ergeben, wenn das Statut von dem Erfordernis, dass in jedem Fall eine räumliche Grenze für den Untersuchungsgegenstand vorliegen muss, durchzogen wird. Im Statut finden sich vereinzelte Regelungen, an denen eine Auslegung anknüpfen kann. Das Statut nimmt in den Erwägungsgründen 7, 8, 10 der Präambel und den Art. 12 Abs. 2, Art. 17 und Art. 22 Abs. 1 lit. c) Bezug auf räumliche Kriterien. Allerdings nimmt das Statut in den Erwägungsgründen 3 und 4 der Präambel einen sehr weiten räumlichen Bezug. Dort kommt zum Ausdruck, dass die Verbrechen weltweit bekämpft werden sollen. Eindeutig lässt sich also nicht herauslesen, dass jederzeit ein Bezug zu einem konkreten Staat vorliegen muss.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
(1) Selbstanzeigen von Staaten nach Art. 13 lit. a) IStGH-Statut In Art. 13 lit. a) IStGH-Statut wird den Vertragsstaaten die Möglichkeit eröffnet, Situationen an den Ankläger zu übermitteln. Diese Möglichkeit ähnelt somit der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat. Bislang sind drei Staatenüberweisungen bei der Anklagebehörde eingegangen,222 in denen Ermittlungen eingeleitet wurden.223 Uganda, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik haben Situationen angezeigt, die auf ihrem eigenen Staatsgebiet stattgefunden haben oder noch immer stattfinden. Dies war überraschend, hatte doch während der Verhandlungen kein Vertreter an Selbstanzeigen gedacht.224 Eine solche ist rechtlich zwar möglich, da nicht durch das Statut ausgeschlossen,225 politisch erscheint eine solche aber bedenklich. So kritisiert William Schabas, dass Uganda und die DR Kongo den Gerichtshof nutzen, um mit den Rebellenbanden auf ihrem Staatsgebiet abzurechnen, ohne Interesse an einer unparteilichen strafrechtlichen Aufarbeitung zu haben.226 Bei aller Überraschung über einen solchen Gebrauch von lit. a) kann dieser aber kein Territorialitätserfordernis begründen. Der Wortlaut verlangt nicht, dass der anzeigende Staat ein besonderes Interesse an der Situation hat oder in diese selbst involviert ist.227 Auch eine stillschweigende Vertragsänderung bzw. -ergänzung kommt nicht in Betracht. Bei nur drei Vertragsstaaten von über 100 kann von einer Praxis nach Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK keine Rede sein. Kein Staat hat erklärt, dass ein strikter Territorialitätsbezug erforderlich sei. 222 Uganda, ICC Doc. ICC-20040129-44-En vom 29 Januar 2004; DR Kongo, ICC Doc. ICC-OTP-20040419-50-En vom 19. April 2004; Zentralafrikanische Republik, ICC Doc. ICC-OTP-20050107-86-En vom 7. Januar 2005. 223 Uganda, ICC Doc. ICC-OTP-20040729-65-En vom 29. Juli 2004; DR Kongo, ICC Doc. ICC-OTP-20040623-59-En vom 23. Juni 2004; ZAR, ICC Doc. ICCOTP-PR-20070522-220-En vom 22. Mai 2007. 224 Schabas, Introduction to the ICC, S. 35 f., S. 143; El Zeidy, ICLR 5 (2005), S. 83 (S. 99); Murphy, CLF 17 (2006), S. 281 (S. 281); Kreß, „Staateneigenüberweisungen“ an den Internationalen Strafgerichtshof und die Rolle des Chefanklägers – Kursorische Anmerkungen zur ersten Verfahrenspraxis des Internationalen Strafgerichtshofs, in: Neubacher/Klein, S. 103 (S. 104); Bassiouni, JICJ 4 (2006), S. 421 (S. 424). 225 Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, S. 134; Kreß, „Staateneigenüberweisungen“ an den Internationalen Strafgerichtshof und die Rolle des Chefanklägers – Kursorische Anmerkungen zur ersten Verfahrenspraxis des Internationalen Strafgerichtshofs, in: Neubacher/ Klein, S. 103 (S. 106). 226 Schabas, Introduction to the ICC, S. 36. Ähnlich auch Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, S. 134. 227 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 13 Rn. 15.
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Auch der Ankläger hat nicht zu verstehen gegeben, dass nur eine Selbstanzeige bei Art. 13 lit. a) IStGH-Statut in Betracht kommt. Aus dem Unterlassen des Anklägers, abstrakte Phänomene zu untersuchen, kann nicht geschlossen werden, dass diese nicht vom Situationsbegriff erfasst sind. Die Anklagebehörde hat nicht genügend Ressourcen, um alle fraglichen Situationen eingehend zu untersuchen. Gerade die drei Selbstanzeigen und der Darfur-Konflikt nehmen sie sehr stark in Anspruch.228 In den ersten Jahren der Arbeit ist es illusorisch, anzunehmen, dass bereits alle Möglichkeiten des Gerichtshofs ausgeschöpft wurden. (2) Der deutsche Vorschlag zur universellen Zuständigkeit Die deutsche Delegation hat während der Rom-Konferenz den Vorschlag unterbreitet, dem Gerichtshof unbegrenzte Zuständigkeit zu verleihen.229 Dies sollte durch den Anknüpfungspunkt der universellen Zuständigkeit geschehen. Demnach hat ein Staat die Berechtigung zur Strafverfolgung, unabhängig davon ob irgendeine Verbindung zu diesem Staat besteht.230 Dieser Vorschlag konnte sich nicht durchsetzen. Grund dafür war die Befürchtung, mit einer solchen universellen Zuständigkeit keine Mehrheit der Staaten gewinnen zu können.231 Allein aus der Tatsache, dass die Mehrheit eine universelle Zuständigkeit des Gerichtshofs für nicht wünschenswert erachtete, lässt sich jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass in jedem Falle eine starke territoriale Begrenzung gewünscht war. Gerade die Aufnahme des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zeigt, dass eine umfassendere territoriale Zuständigkeit möglich sein sollte, nämlich in den Fällen, in denen die in Art. 12 IStGH-Statut aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Theoretisch kann die Gerichtsbarkeit auf alle Staaten der Welt ausgedehnt werden. Das Statut verbietet somit nicht, dass abstrakte Phänomene als Situationen i. S. v. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut in Betracht kommen. 228
Schabas, Introduction to the ICC, S. 36. UN Doc. A/CONF.183/13 (Vol. III). Dazu auch La Haye, NILR XLVI (1999), S. 1 (S. 4 ff.). 230 Ambos, Möglichkeiten und Grenzen völkerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutzes, in: Neubacher/Klein, S. 111 (S. 112); Nsereko, CLF 10 (1999), S. 87 (S. 98); Kreß, JICJ 4 (2006), S. 561 (S. 563 ff.). Die Reichweite des Prinzips ist dabei umstritten, vgl. nur Zimmermann, Violations of Fundamental Norms of International Law and the Exercise of Universal Jurisdiction in Criminal Matters, in: Tomuschat/ Thouvenin, S. 335 (S. 353). 231 Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, S. 136; Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 12 Rn. 6 f. 229
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
cc) Zwischenergebnis: Abstrakte Phänomene als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh Der Sicherheitsrat kann abstrakte Phänomene als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 VNCh klassifizieren. Dem steht das Statut nicht entgegen. Somit können solche Phänomene vom Sicherheitsrat zur strafrechtlichen Aufarbeitung an den Gerichtshof überwiesen werden, die dann anhand der übrigen materiellen Regelungen, insb. der Tatbestände, zu überprüfen sind. Deutlich zu machen ist, dass die Frage der Befugnis zur abstrakt-generellen Regelung durch den Sicherheitsrat, also die Rechtsfolgenseite, hier nicht beantwortet werden muss. Der Definitionsvorschlag erstreckt sich nur auf den Tatbestand des Kapitels VII VNCh. Allein die dortigen Entwicklungen sind für die hier vorgeschlagene Definition relevant.232 c) Auswirkungen auf die vorgeschlagene Definition Ein abstraktes Verständnis der Gefahr für den Weltfrieden gemäß Art. 39 VNCh ist in Wortlaut und Systematik der Charta angelegt. Zumindest für den Bereich der Terrorismusbekämpfung ist gesichert, dass der Sicherheitsrat dort Maßnahmen nach Kapitel VII ergreifen kann. Auch für die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch nichtstaatliche Akteure dürfte eine solche Kompetenz bestehen. Eine Übernahme dieser Auslegung für den Situationsbegriff nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist möglich. Das Statut steht dieser Auslegung nicht entgegen. Ob die Äußerungen des russischen Präsidenten Medwedjew233 zum Anlass genommen werden, Piraterie als abstrakte Gefahr i. S. d. Art. 39 VNCh zu klassifizieren, bleibt abzuwarten.234
232 Zur Frage der abstrakt-generellen Rechtsetzung Arangio-Ruiz, Rivista di Diritto Internazionale 83 (2000), S. 609; Alvarez, International Organisations as Lawmakers; Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 175 ff.; Elberling, IOLR 2 (2005), S. 337 (S. 359); Perrin de Brichambaut, The Role of the United Nations Security Council in the International Legal System, in: Byers, S. 269 ff.; Happold, LeidenJIL 16 (2003), S. 593 ff. 233 Medwedjew für Piraten-Tribunal, in: FAZ vom 6. Mai 2009, S. 7; SpiegelOnline, Medwedjew will Seeräuber vor Sondergericht stellen, http://www.spiegel. de/politik/ausland/0,1518,622853,00.html, besucht am 9. Mai 2009. 234 Der Sicherheitsrat ermächtigt die Staaten bislang, gegen die Piraterie vor der somalischen Küste vorzugehen, SC Res. 1816 vom 2. Juni 2008 und SC Res. 1846 vom 2. Dezember 2008, er hat somit ein konkretes Gefahrenverständnis.
4. Kap.: Der Situationsbegriff von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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7. Konsensersatz durch den Sicherheitsrat Oben wurde gezeigt, dass der Sicherheitsrat den Konsens eines Staates ersetzen soll.235 Dessen Staatsangehörige sollen durch den IStGH verfolgt werden, auch wenn dieser nicht zugestimmt hat. Nicht nur der Konsens des Täterstaates, auch der Konsens des Tatortstaates soll ersetzt werden können. Dem Statut ist nicht zu entnehmen, dass diese Fiktion für den Bereich des IStGH ausgeschlossen sein soll. Vielmehr spricht gerade der Ausschluss von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut im Rahmen von Art. 12 IStGH-Statut dafür, dass auch andere völkerrechtlich anerkannte Anknüpfungspunkte für Überweisungen des Sicherheitsrates in Betracht kommen. 8. Zwischenergebnis Die vorgeschlagene Definition ist haltbar. Sie muss nur in wenigen Bereichen angepasst werden. Die Vorteile bleiben bestehen. So ergeben sich Probleme, wenn der Sicherheitsrat nach Personengruppen differenziert. Allerdings sieht das IStGH-Statut Regelungen vor, die die Handlung des Sicherheitsrates filtern und so statutsspezifisch formen.
IV. Eigene Definition der „Situation“ i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Es hat sich gezeigt, dass der Vergleich zu dem Begriff, der in Art. 39 VNCh umschrieben wird, für die Beschreibung der Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut fruchtbar gemacht werden kann. Die vorgeschlagene Definition ist nur in wenigen Teilen anzupassen: Eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist jede Situation nach Art. 39 VNCh, in der nicht einzelne Fälle überwiesen werden und in der nicht nach bestimmten Personengruppen, insb. Konfliktparteien, unterschieden wird. Die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten von Nichtvertragsparteien des IStGHStatuts ist zulässig. Neben der Überweisung einer Situation werden weitere Voraussetzungen statuiert. Nunmehr sollen auch diese untersucht werden.
235
3. Kapitel II. 2.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
5. Kapitel
Die weiteren Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung nach Statut und Charta Neben der Überweisung einer Situation in dem oben gefundenen Sinn verlangt das Statut noch andere Voraussetzungen. Diese sind vor allem in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut selbst enthalten. In seiner Funktion als Rechtsgrundverweis nimmt er weiterhin die Voraussetzungen des siebten Kapitels VNCh auf. Diese wurden zwar im vorigen Kapitel behandelt, gehören jedoch auch zu den hier behandelten und werden daher kurz erwähnt. Neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut kommen Voraussetzungen aus anderen Artikeln des Statuts in Betracht. Dies sind vor allem Voraussetzungen ratione materiae, personae und ratione temporis sowie verfahrensrechtliche Anforderungen. Im vorliegenden Kapitel werden diese erörtert. Nicht erforderlich ist, dass der Tatort- oder Täterstaat Vertragspartei des IStGH-Statuts ist. Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut, der diese beiden Anknüpfungsprinzipien den Fällen gemäß Art. 13 lit. a) und c) IStGH-Statut zugrunde legt, gilt im Falle der Sicherheitsratsresolution ausdrücklich nicht.236
I. Anschein eines oder mehrerer Verbrechen Nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut muss es den Anschein haben, dass in der Situation eines oder mehrere Verbrechen i. S. d. Art. 5 IStGH-Statut begangen worden sind. Fraglich ist, wann dieser Anschein vorliegt und ob der Sicherheitsrat dazu verpflichtet ist, Vorermittlungen durchzuführen, um einen solchen Verdacht zu begründen. An diese Voraussetzung sind niedrige Anforderungen zu stellen. Im Falle einer Überweisung durch den Sicherheitsrat dürfte der Anschein von Verbrechen i. S. d. Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut regelmäßig bestehen. Der Sicherheitsrat wird nur in Notlagen tätig, in denen mit der Begehung von Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut gerechnet werden muss. Dennoch ist fraglich, wie ein solcher Anschein bejaht werden kann. Die englische Fassung von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut spricht von „one or more of such crimes appears to have been committed“. Das englische „appears“ ist in der deutschen Übersetzung mit „Anschein“ daher richtig wiedergegeben, es darf nicht nur scheinbar zu Verbrechen gekommen sein. Vielmehr müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Wahrscheinlichkeit eines oder mehrerer Verbrechen besteht. Daraus ergibt sich 236
Vgl. 3. Kapitel II. 2.; 8. Kapitel IV. 1. c).
5. Kap.: Die weiteren Voraussetzungen nach Statut und Charta
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die Frage, wie der Sicherheitsrat von einer solchen Wahrscheinlichkeit ausgehen kann und welche Anforderungen das Statut stellt. Dabei gilt zu beachten: Der Sicherheitsrat soll keine strafrechtliche Subsumtion unternehmen. Dies ist Sache der Organe des Gerichtshofs. Die politische und polizeiliche Funktion des Sicherheitsrates wären durch eine der Vorverfahrenskammer ähnlichen Aufgabe beeinträchtigt. Völkerrechtliche Bewertungen nimmt der Sicherheitsrat gerade nicht vor. Des Weiteren hat eine Überweisung nicht automatisch die Einleitung eines oder mehrerer konkreter Verfahren zur Folge. Der Ankläger überprüft die Informationen des Sicherheitsrates, bevor er Ermittlungen einleiten kann. Eine Sachverhaltsprüfung erfolgt also schon in diesem frühen Stadium. Daraus folgt wiederum, dass der Sicherheitsrat nicht die Schwelle erreichen muss, an der der Ankläger Ermittlungen einleiten würde, das Glaubhaftmachen eines hinreichenden Verdachts ist also nicht erforderlich. Vielmehr genügt eine gegingere Stufe („Anfangsverdacht“). Auch hier sind wieder die Effektivität des IStGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten der VN gegeneinander abzuwägen. Unter Beachtung des Wortlauts genügt es jedoch nicht, zu sagen, dass die Begehung von Verbrechen nur nicht ausgeschlossen werden darf. Das Statut erfordert allerdings nicht, dass der Sicherheitsrat (subjektiv) von den Verbrechen überzeugt ist. Dies ist folgerichtig, bedenkt man, dass der Rat sich nicht in juristischer Subsumtion üben, sondern effektiv für die Wahrung und Sicherung des Weltfriedens eintreten soll. Für die strafrechtliche Alltagsarbeit ist der Gerichtshof und insb. der Ankläger zuständig. An diese Funktionen des Sicherheitsrates knüpft das Statut an. In der Praxis ist nicht damit zu rechnen, dass der Sicherheitsrat ohne gründliche Überlegung einen Konflikt überweist. Der Sicherheitsrat wurde bislang nie für überstürztes Handeln, sondern nur für sein Zögern kritisiert. Er wird sich auch in Zukunft nicht dazu hinreißen lassen, den Gerichtshof zu einem wirklich universellen werden zu lassen, indem er wahllos Situationen nach Den Haag überweist. Dies dürfte auch bei den Verhandlungen in Rom Hintergrund gewesen sein. Allein die im Sicherheitsrat zur Sprache kommenden unterschiedlichen Interessen der Akteure dürften dafür sorgen, dass in der Diskussion um eine Überweisungsresolution eine hinreichende Tatsachengrundlage bestehen wird. Auch ist dem Statut nicht zu entnehmen, dass der Rat die Verbrechenswahrscheinlichkeit selbst untersucht hat. Der Generalsekretär der VN hat gemäß Art. 99 VNCh das Recht, die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auf jede Angelegenheit zu lenken, die nach seinem Dafürhalten geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit zu gefährden. Dazu gehören auch solche Angelegenheiten, die dann eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut darstellen können. Daneben existieren genügend
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Organisationen, die sich mit Notlagen beschäftigen, in denen sich solche Verbrechen ereignet haben können. So arbeiten bspw. das VN-Hochkommissariat für Flüchtlinge oder der Menschenrechtsrat auf Gebieten, denen die Verbrechensmöglichkeit immanent ist. Aber auch auf privater Ebene untersucht bspw. Human Rights Watch zahlreiche Konfliktsituationen. Weder Statut noch Charta ist dabei das Verbot zu entnehmen, dass der Sicherheitsrat sozusagen von anderer Seite den mit Tatsachen unterfütterten Anstoß bekommt, einen Konflikt zu überweisen. Allerdings wird der Sicherheitsrat regelmäßig eine Untersuchungskommission einsetzen, die den Konflikt untersucht, bevor er eine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut beschließt. Diese wird allein zur internen Diskussion benötigt, um die schon erwähnte Tatsachengrundlage zu ermitteln. Das Mandat der Kommission wird regelmäßig zum Inhalt haben, dass diese dem Rat Empfehlungen geben soll.237 An den Anschein von Verbrechen sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Schon die bisherige Praxis spricht dafür, dass der Sicherheitsrat den zu überweisenden Sachverhalt genau untersuchen wird. Bei Art.-39-VNChSituationen wird es regelmäßig der Fall sein, dass Verbrechen i. S. d. Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut begangen worden sein könnten. Auch muss der Sicherheitsrat nicht davon überzeugt sein, dass Verbrechen begangen worden sind. Die den Anschein unterstützenden Tatsachen werden zwar regelmäßig vom Sicherheitsrat selbst erforscht werden, können aber auch von dritter Seite beigebracht werden.
II. Maßnahme nach Kapitel VII Auffällig ist, dass Art. 13 lit. b) IStGH-Statut keine Resolution nach Kapitel VII VNCh verlangt, sondern ein Vorgehen nach Kapitel VII („acting under Chapter VII“). Insoweit unterscheidet sich der Wortlaut von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut von dem des Art. 16 IStGH-Statut. Fraglich ist aber, welchen Hintergrund und welche Konsequenzen dies hat. Zwar stellt diese Formulierung in der Praxis vor allem sicher, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII gehandelt hat. In der Literatur ist dieses Problem dennoch zum Großteil übersehen worden.238 Oosthuizen deutet an, dass „acting“ vielleicht mehr beinhaltet als eine einfache Entscheidung 237
Vgl. die Abschlussempfehlungen der ICID, ICID-Report, Rn. 647 ff. Oosthuizen, NILR XLVI (1999), S. 313 (S. 320) und Phillips, CLF 10 (1999), S. 61 (S. 72), werfen die Frage auf, diskutieren sie aber leider nicht. Triffterer/ Bergsmo/Pejic´, ICC-Statute, Art. 16 Rn. 22, diskutieren das Problem im Rahmen von Art. 16 kurz. Kurth, S. 65, schließt sich den beiden ohne nähere Begründung an. 238
5. Kap.: Die weiteren Voraussetzungen nach Statut und Charta
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im Rahmen von Kapitel VII. Dabei ist nicht ganz eindeutig, ob er meint, dass die Resolution mehr beinhalten muss als eine reguläre Resolution i. S. d. Kapitels VII, um als Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zu gelten. Als zusätzliches Erfordernis kämen ein Verweis auf Art. 13 lit. b) IStGH-Statut oder die Aufzählung von möglichen Verbrechen, also Tatbeständen, in Betracht. Möglich wäre auch, dass nicht nur eine Resolution in Frage kommt, sondern dass es auch ausreichend ist, wenn der Sicherheitsrat über eine Überweisung nur im Rahmen von Kapitel VII debattiert.239 Auch wenn das Statut hier in der Tat mehrdeutig ist, so kommt auch im Rahmen von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nur eine Resolution nach Kapitel VII, nämlich Art. 41 VNCh in Frage. Der unterschiedliche Wortlaut erklärt sich anders. Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist die Ausweitung der Gerichtsbarkeit des IStGH.240 Diese wird darüber erreicht, dass Art. 12 IStGH-Statut nicht gilt. Auch Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts sollen zur Duldung der bzw. sogar zur Kooperation bei der Strafverfolgung durch den IStGH verpflichtet werden. Im derzeitigen Völkerrecht ist dies gegen den Willen der betroffenen Staaten nur möglich, wenn sie vom Sicherheitsrat der VN dazu verpflichtet werden. Dies geschieht über Kapitel VII i. V. m. Art. 25 VNCh. Danach erkennen die Mitgliedstaaten der VN an, dass sie an die Entscheidungen des Sicherheitsrates gebunden sind. Diese Bindung kommt also nur bei Beschlüssen – also Resolutionen – des Sicherheitsrates in Betracht. Bloße Empfehlungen, die im Rahmen von Kapitel VII gemäß Art. 39 VNCh ebenfalls möglich sind, reichen daher nicht aus. Somit ist für die in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut angelegte Möglichkeit bzw. für die darin vorgesehene Ausdehnung der Gerichtsbarkeit eine förmliche Resolution erforderlich. Das Statut verlangt dies zwar nicht ausdrücklich, eine einfache Diskussion vermag aber nicht, die Jurisdiktion effektiv und verbindlich auszuweiten. Insoweit ist hier die Funktion des Rechtsgrundverweises maßgebend dafür, eine Resolution zu verlangen.
239 So Triffterer/Bergsmo/Pejic ´ , ICC-Statute, Art. 16 Rn. 22, die sich auf unveröffentlichte Aufzeichungen Hans-Peter Kauls aus Rom berufen. Vgl. Kaul, Der Internationale Strafgerichtshof – Stand und Perspektiven, in: Neubacher/Klein, S. 93 (S. 96 ff.), ders., Auf dem Weg zum Weltstrafgerichtshof, Verhandlungsstand und Perspektiven, VN 1997, S. 177 ff.; ders., Durchbruch in Rom, VN 1998, S. 125 ff.; ders., EJCCLCJ 6 (1998), S. 48 ff. 240 3. Kapitel II.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
III. Gerichtsbarkeit ratione materiae 1. Art. 5 IStGH-Statut Der Beschluss des Sicherheitsrates muss eine Situation erfassen, in der es um die schwersten völkerrechtlichen Verbrechen geht, Art. 5 Abs. 1, Präambel Abs. 4 IStGH-Statut. Andere als die in Art. 5 IStGH-Statut erwähnten Straftaten kann der Rat nicht überweisen. Die Aufzählung ist, wie sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte ergibt, ein abschließender Katalog. Aus dem Statut geht nicht hervor, ob der Sicherheitsrat in der Resolution die Tatbestände erwähnen muss. Dies würde jedoch die Unabhängigkeit des Gerichtshofs berühren und auch keinen Sinn ergeben. Der Ankläger kann so juristisch frei arbeiten und die in Frage kommenden Tatbestände prüfen. Der Sicherheitsrat muss sich nicht in Subsumtionen ergehen. Das Aggressionsverbrechen ist gemäß Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut noch nicht überweisbar bzw. anklagbar. Erst wenn sich die Vertragsstaaten auf eine Definition geeinigt haben, kann der Gerichtshof Handlungen an diesem Maßstab überprüfen. 2. Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens/gravity-threshold Aus der Zielsetzung in der Präambel ergibt sich weiterhin, dass die Verbrechen von einer gewissen Schwere gekennzeichnet sein müssen. Der Gerichtshof soll nur „die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“241 verfolgen. So hat insb. der Ankläger die Pflicht, bei seinen Untersuchungen und seiner Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen die Schwere des Verbrechens zu berücksichtigen.242 Die Kammern des Gerichtshofs kontrollieren diese Entscheidung und weisen eine Sache u. a. dann als unzulässig ab, wenn sie nicht „schwerwiegend genug ist, um weitere Maßnahmen des Gerichtshofs zu rechtfertigen“.243 Zu der Frage, wann eine Sache schwerwiegend genug ist, schweigt das Statut.244 Der Ankläger hat in seinen Strategiepapieren insb. zum Komplementaritätsgrundsatz Stellung genommen.245 Auf die Schwere kam er nur am Rande zu sprechen.246 241
Erwägungsgrund 4 der Präambel. Art. 53 Abs. 1 lit. c) und Abs. 2 lit. c) IStGH-Statut. 243 Art. 17 Abs. 1 lit. d), Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut. 244 Murphy, CLF 17 (2006), S. 281 (S. 282); Schüller, HuV-I 2008, S. 73 (S. 73). 245 OTP, Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, 2003; OTP, Report on Prosecutorial Strategy, 14. September 2006. 242
5. Kap.: Die weiteren Voraussetzungen nach Statut und Charta
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Fraglich ist, ob das Erfordernis der Schwere bereits bei der Überweisung durch den Sicherheitsrat vorliegen muss. Dafür spricht die generelle Zielsetzung des IStGH, so wie sie in der Präambel zum Ausdruck kommt. Auch die gemäß Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut vorgeschriebene einleitende Untersuchung der Informationen, die dem Ankläger zur Verfügung gestellt wurden, setzt nicht am Einzelfall an. Sie ist nur möglich, wenn es sich um die Überprüfung einer gesamten Situation handelt.247 Denn erst in Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut folgt die Evaluierung von Ermittlungen, die sich auf Einzelfälle beziehen. Die Überprüfungskompetenz der Kammern erstreckt sich ebenfalls nur auf den Einzelfall. Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut ist im Lichte der anderen Varianten und dem Chapeau des Abs. 1 auszulegen, Art. 31 Abs. 1 WVK. Dort und im Art. 19 IStGH-Statut ist im verbindlichen englischen Wortlaut248 von case die Rede. Die Vorverfahrenskammer I sieht dies anders. Ihr zufolge ergibt eine Auslegung, die vor allem am systematischen Gesichtspunkt orientiert ist, dass dieses Erfordernis schon früher gilt. According to a contextual interpretation, the Chamber observes that the gravity threshold provided for in article 17 (1) (d) of the Statute must be applied at two stages: (i) at the stage of initiation of the investigation of a situation, the relevant situation must meet such a gravity threshold and (ii) once a case arises from the investigation of a situation, it must also meet the gravity threshold provided for in that provision. [. . .]249
Die Kammer beschränkt sich in den weiteren Ausführungen auf den Fall (ii),250 sodass die Entscheidung keine weiteren Anhaltspunkte für das Erfordernis der Schwere in Fall (i) enthält. Der Entscheidung ist aus den o. g. Gründen nicht zuzustimmen. Eine Auslegung von Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut im Zusammenhang mit dem Rest des Art. 17 Abs. 1 IStGHStatut sowie dem restlichen Statut ergibt gerade kein solches Erfordernis in einem frühen Stadium. Auch das Argument, Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGHStatut müsse die Situation als Ganzes betreffen, da eine Situation immer mehrere Fälle umfasse und der Ankläger daher die Schwere bereits bei der 246 OTP, Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, 2003, S. 7; OTP, Report on Prosecutorial Strategy, 14. September 2006, S. 7. 247 So wohl auch Murphy, CLF 17 (2006), S. 281 (S. 287). 248 Vgl. 2. Kapitel I. 2. c). 249 Decision Concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr. Thomas Lubanga Dyilo, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-8-US-Corr vom 24. Februar 2006, Annex I Under Seal Decision on the Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest, Article 58, ICC Doc. ICC-01-04-01/06 vom 10. Februar 2006, Rn. 44. 250 Vgl. dazu v. a. Murphy, CLF 17 (2006), S. 281 ff.; Schüller, HuV-I 2008, S. 73 ff.; El Zeidy, CLF 19 (2008), S. 35 ff.; Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 17 Rn. 28.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Einleitung von Ermittlungen zumindest im Hinterkopf habe,251 hilft nicht über den klaren Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut hinweg. Dennoch ist aufgrund des Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut und des vierten Erwägungsgrundes der Präambel zu fordern, dass die Situation eine gewisse Schwere aufweisen muss. Erst dann hat der überwiesene Sachverhalt Aussicht darauf, durch Ermittlungen des Anklägers genauer untersucht zu werden. Dieses Erfordernis muss allerdings erst vorliegen, wenn die Überweisungsresolution gefasst wurde. Erst wenn dieses erfüllt ist, wird der Ankläger Untersuchungen und ggf. Ermittlungen einleiten. So ist es sinnvoll, wenn der Sicherheitsrat diese Schwere in seine Überlegungen einbezieht. Rechtlich erforderlich ist dies nicht. Auch ohne ausreichende Schwere darf der Sicherheitsrat eine Situation überweisen. Ausreichend dafür ist der Verbrechensanschein und nicht der hinreichende Tatverdacht.252 Es wäre auch möglich, durch die gravity-threshold den Situationsbegriff zu schärfen. Doch nach Auslegung des gesamten Statuts ergibt sich, dass das Erfordernis der Schwere nur in Verbindung mit einzelnen Fällen genannt wird. Demnach ist es kein Kriterium, das die Situation umgrenzen kann, sondern ein zusätzliches Kriterium des IStGH-Statuts. 3. Art. 124 IStGH-Statut253 Eine weitere Hürde ergibt sich aus Art. 124 IStGH-Statut. Demnach kann ein Staat einseitig bestimmen, dass der Gerichtshof für eine Dauer von sieben Jahren seine Gerichtsbarkeit gemäß Art. 8 IStGH-Statut über Kriegsverbrechen, die von Staatsangehörigen des erklärenden Staates oder auf dessen Gebiet begangen wurden, nicht ausübt. Geschuldet war dieser Artikel vor allem Frankreich und anderen Staaten, die eine hohe Anzahl von Soldaten im Ausland stationiert haben. Bislang haben nur Frankreich und Kolumbien eine Erklärung nach Art. 124 IStGH-Statut abgegeben. Somit ist diese Einschränkung bezüglich der Tatbestände zu beachten. Für Drittstaaten ergibt der Art. 124 IStGH-Statut jedoch keine Probleme. Denn der Art. 124 IStGH-Statut ist in erster Linie Anreiz, dem Römischen Statut beizutreten. Erst dann kann ein Staat in den Genuss dieses Rechts kommen. Die Resolution des Sicherheitsrates ersetzt den Konsens der Staaten. Ein Verstoß gegen den pacta-tertiis-Grundsatz kann nicht darin gesehen 251
So aber Schüller, HuV-I 2008, S. 73 (74 f.). Vgl. 5. Kapitel I. 253 Zur Frage, ob Art. 124 IStGH-Statut ein Problem für Überweisungsresolutionen des Sicherheitsrates darstellt, vgl. 8. Kapitel IV. 2. b). 252
5. Kap.: Die weiteren Voraussetzungen nach Statut und Charta
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werden, dass die Nichtvertragsparteien keine Möglichkeit des Ausschlusses nach Art. 124 IStGH-Statut haben.
IV. Gerichtsbarkeit ratione temporis In Art. 11 IStGH-Statut wird die Zuständigkeit ratione temporis geregelt. Nur Verbrechen, die nach Inkrafttreten des Statuts begangen worden sind, dürfen vom IStGH abgeurteilt werden.254 Art. 11 des Statuts differenziert dabei nicht wie Art. 12 IStGH-Statut nach den verschiedenen Einleitungsarten. Die zeitliche Grenze gilt somit für alle Möglichkeiten der Verfahrenseinleitung nach Art. 13 IStGH-Statut. Art. 22 Abs. 1 IStGH-Statut legt fest, dass eine Person nur dann verantwortlich ist, wenn die Handlung zur Tatzeit mit Strafe bedroht war. Art. 24 Abs. 1 des Statuts legt fest, dass Individuen nicht für ihr Verhalten vor Inkrafttreten des Statuts belangt werden dürfen. Das Statut soll damit dem Erfordernis des gewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatzes des nullum crimen sine lege bzw. nulla poena sine lege gerecht werden,255 der in Art. 22 des Statuts festgeschrieben wird. Zwar ist fraglich, ob eine ausdrückliche Erwähnung des Grundsatzes und seiner Einzelheiten im Statut erforderlich war. Schon das Nürnberger Tribunal hat sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt.256 Auch die beiden adhoc-Tribunale der VN mussten dazu Stellung nehmen. Das Völkerrecht enthielt somit schon vor 1945 Verbotsnormen, die mit (individual-)strafrechtlichen Mitteln geahndet werden konnten. Eine Statuierung der Tatbestände in Verbindung mit den Art. 11, 24 Abs. 1 IStGH-Statut nur um dem nullum-crimen-Grundsatz zu entsprechen, mag dann überflüssig sein. Die Tatbestände des Völkerstrafrechts bestehen mit nahezu identischem Wortlaut auch im Völkergewohnheitsrecht. Die Art. 11, 24 Abs. 1 IStGH-Statut ändern somit nichts an der materiellen Rechtslage257 und der Strafbarkeit von Individuen. Allein der Gerichtshof hat dafür keine Gerichtsbarkeit. Diese 254 Cameron, Jurisdiction and Admissibility Issues under the ICC Statute, in: McGoldrick/Rowe/Donnelly, S. 65 (S. 70); Arsanjani, Reflections on the jurisdiction and trigger mechanism of the International Criminal Court, in: FS Bos, S. 57 (S. 62 ff.); Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, S. 137. 255 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 627 (S. 635). 256 Der Nürnberger Prozess: Urteil. Der Nürnberger Prozess, S. 763. 257 Vgl. Art. 22 Abs. 3 IStGH-Statut: „Dieser Artikel bedeutet nicht, dass ein Verhalten nicht unabhängig von diesem Statut als nach dem Völkerrecht strafbar beurteilt werden kann.“
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Regelungen sollen die Anwendung und Durchsetzung des Völkerstrafrechts bei den Staaten belassen.258 Luigi Condorelli und Santiago Villalpando schlagen eine andere Interpretation vor. Ihnen zufolge ließe sich aus Art. 11 Abs. 1 IStGH-Statut zwar der vorläufige Schluss ziehen, dass der Sicherheitsrat an diese Grenze gebunden sei. Doch ohne einen Blick auf die Systematik des Artikels lasse sich kein endgültiges Ergebnis finden. Abs. 2 schaffe aber eine Möglichkeit für den Sicherheitsrat, das zeitliche Erfordernis zu umgehen. Dort heißt es nämlich: Article 11, Jurisdiction ratione temporis (2) If a State becomes a Party to this Statute after its entry into force, the Court may exercise its jurisdiction only with respect to crimes committed after the entry into force of this Statute for that State, unless that State has made a declaration under article 12, paragraph 3.
Für Condorelli und Villalpando ist dies zu Recht die logische Folge der vertragsrechtlichen Natur des Statuts und des Konsenserfordernisses. Allerdings gehen sie in der Folge zu weit: Ihnen zufolge stellt eine solche adhoc-Erklärung das erforderliche Gegenstück zu Art. 12 IStGH-Statut dar. Dieser sei ebenso Ausfluss des Konsensprinzips, gelte aber gerade nicht für den Sicherheitsrat. Insoweit könne der Sicherheitsrat nicht durch Art. 11 des Statuts gebunden werden. Sie gehen jedoch zu weit, da in Art. 11 IStGH-Statut eben keine Aufteilung in die unterschiedlichen Varianten von Art. 13 IStGH-Statut erfolgt. Schon der Anknüpfungspunkt Art. 11 Abs. 2 des Statuts ist fraglich. Dieser gilt ja nur für Vertragsparteien, die nach Inkrafttreten des Statuts Mitglied werden. Es erscheint als zu weit hergeholt, aus diesem Fundament in Verbindung mit einer Ähnlichkeit zu Art. 12 Abs. 1 IStGH-Statut eine solch weitreichende Freistellung für den Sicherheitsrat zu folgern. Eine ausdrückliche oder – ähnlich der Aufzählung in Art. 12 IStGH-Statut – implizite Freistellung wäre ausreichend. Da dies nicht geschehen ist, gilt die in Art. 11 IStGH-Statut festgelegte zeitliche Grenze absolut, auch für Überweisungen durch den Sicherheitsrat. Allerdings erkennen die beiden Autoren die Fragwürdigkeit ihrer Argumentation an und verweisen auf die Praxis des Gerichtshofs. Erst dann könne Klarheit gewonnen werden.259 Die Praxis liegt nunmehr in Resolution 1593 vor. Dort überweist der Sicherheitsrat die Situation in Darfur seit 258 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 635). 259 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 637).
5. Kap.: Die weiteren Voraussetzungen nach Statut und Charta
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dem 1. Juli 2002 an den IStGH. Die Kämpfe in Darfur erreichten jedoch erst 2003 eine Qualität, die die internationale Gemeinschaft zum Handeln veranlasste. Resolution 1593 kann nicht anders interpretiert werden, als dass der Sicherheitsrat zumindest in zeitlicher Hinsicht die größtmögliche Effektivität bzw. Jurisdiktion erreichen wollte. Hätte er sich selbst nicht an Art. 11 IStGH-Statut gebunden gefühlt, so wäre kein Grund dafür ersichtlich, Anfang Juli 2002 als Stichtag anzusehen. Somit spricht auch die bisherige Praxis gegen den Vorschlag Condorellis und Villalpandos. Doch gerade zur ausdrücklichen Klarstellung sind die Vorschriften der Art. 11 und 24 Abs. 1 IStGH-Statut begrüßenswert. In Zusammenhang mit einer Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat ergeben sich einige Probleme für den nullum-crimen-Grundsatz. Insbesondere die strafbaren Kriegsverbrechen des Art. 8 IStGH-Statut unterscheiden sich von den gewohnheitsrechtlich anerkannten Tatbeständen. Auf die in diesem Bereich auftauchenden Probleme wird im Rechtsfolgenteil eingegangen werden.260 Somit darf der Sicherheitsrat nur solche Handlungen überweisen, die nach dem 1. Juli 2002 begangen worden sind.261
V. Gerichtsbarkeit ratione personae Straftaten müssen von natürlichen Personen (Art. 25 IStGH-Statut) begangen worden sein, die zum Tatzeitpunkt mindestens 18 Jahre alt waren (Art. 26 IStGH-Statut).262 Die Altersgrenze von 18 Jahren (Teil 3 des Statuts – Allgemeiner Teil des Völkerstrafrechts und damit Teil des materiellen Strafrechts) wurde eingefügt, um den Altersgrenzen der Vertragsstaaten zu entsprechen und den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.263 Den Richtern sollte es nicht obliegen, die Reife der Angeklagten zu überprüfen.264 Ausnahmen von diesem Erfordernis sind im Statut nicht vorgesehen. Der Wortlaut der Art. 5 und 11 IStGH-Statut ist insoweit eindeutig. Auch die systematische Stellung im Teil 2 – Jurisdiktion, Zulässigkeit und anwend260
8. Kapitel IV. 2. a). Im Ergebnis so auch Kaufman, CLF 16 (2005), S. 343 (S. 350). 262 Cameron, Jurisdiction and Admissibility Issues under the ICC Statute, in: McGoldrick/Rowe/Donnelly, S. 65 (S. 71), begründet dies in Fn. 24 mit Zwang. Vgl. auch Arsanjani, Reflections on the jurisdiction and trigger mechanism of the International Criminal Court, in: FS Bos, S. 57 (S. 61 f.) mit der Entstehungsgeschichte. 263 Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, S. 137. 264 Triffterer/Clark/Triffterer, ICC-Statute, Art. 26 Rn. 11 f. 261
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
bares Recht – zeigt, dass diese Artikel Grundvoraussetzungen regeln, von denen nur abgewichen werden kann, wenn es ausdrücklich im Statut vorgesehen ist. Da dies nirgendwo geschehen ist, gelten die Art. 25, 26 IStGHStatut auch für Überweisungen des Sicherheitsrates. Er muss sich an diese Erfordernisse halten.
VI. Komplementaritätsgrundsatz, Art. 17 IStGH-Statut Umstritten ist, ob der Sicherheitsrat die Zulässigkeit einer Situation vor einer Überweisungsresolution anhand der Kriterien aus Art. 17 IStGH-Statut überprüfen muss. Dafür spricht, dass die Überprüfung des innerstaatlichen Justizsystems früher oder später erfolgen muss. Der Grundsatz der Komplementarität aus Art. 17 IStGH-Statut, der bekanntlich das Fundament des Gerichtshofs darstellt,265 verlangt eine solche Evaluierung. Auf der anderen Seite kann eine Parallele zu den ad-hoc-Tribunalen gezogen werden. Sowohl ICTY als auch ICTR waren vor den nationalen Gerichten zur Strafverfolgung zuständig. Sie konnten dem staatlichen Justizapparat jederzeit einen Fall entziehen.266 Wenn nun aber der Sicherheitsrat den IStGH als quasi-ad-hoc-Tribunal nutzen soll, dann könnte sich der Gedanke der vorrangigen Zuständigkeit aus dem ICTY- und dem ICTR-Statut auf den IStGH erstrecken. Eine solche Übertragung eines bloßen Gedankens auf das Statut ist jedoch nicht möglich. Noch dazu erwähnt das Statut den Komplementaritätsgrundsatz an verschiedenen Stellen. An dessen Bedeutung für den IStGH besteht kein Zweifel. Eine Ausnahme vom Grundsatz nur im Falle der Überweisung durch den Sicherheitsrat hätte einer eindeutigen Formulierung bedurft. Art. 17 IStGH-Statut ist trotz seines unmittelbaren Zusammenhangs mit zahlreichen Artikeln des Statuts267 seiner Funktion nach nicht Voraussetzung für die Ausübung der Gerichtsbarkeit, sondern wird erst auf einer späteren Stufe relevant. In einem konkreten Einzelfall kann der in Art. 17 enthaltene Komplementaritätsgrundsatz der Ausübung der Gerichtsbarkeit (auch der Aufnahme von Ermittlungen) entgegenstehen. Art. 17 hindert eine Situation nicht daran, in die Gerichtsbarkeit des Statuts zu fallen. Der 265 Cassese, International Criminal Law, S. 351; Bergsmo/Webb, International Criminal Courts and Tribunals, Complementarity and Jurisdiction, EPIL Online Edition, Rn. 10; Kaul, International Criminal Court, EPIL Online Edition, Rn. 61 ff. 266 Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 123 ff. 267 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute Art. 17 Rn. 2.
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Sicherheitsrat muss keine Überprüfung des innerstaatlichen Rechtssystems leisten. Somit ist der Komplementaritätsgundsatz keine Voraussetzung für die Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat.
VII. Verfahrensrechtliche Anforderungen 1. Adressat der Resolution Die Resolution des Sicherheitsrates muss gemäß Art. 13 lit. b) IStGHStatut an den Ankläger überwiesen werden. Eine Mitteilung an den Gerichtshof als Institution reicht nicht aus. Das Organ Ankläger muss informiert werden. Dies ist verständlich, bedenkt man, dass der Ankläger derjenige ist, der die Vorermittlungen durchführt und dann über die Einleitung eines Verfahrens entscheidet. Nach Art. 17 Abs. 1 S. 1 RA übermittelt der Generalsekretär der VN unverzüglich nach Beschlussfassung die schriftliche Resolution an den Ankläger. Dabei soll der Rat Informationen an den Gerichtshof weitergeben, die diesem bei seiner Arbeit helfen. Insbesondere soll so der Ankläger bei seinen Vorermittlungen unterstützt werden. Es wäre absurd, wenn der Sicherheitsrat seine „Ermittlungsergebnisse“ nicht an den Gerichtshof weitergeben dürfte. 2. Form der Überweisung Das Statut spezifiziert die Förmlichkeiten der Resolution nicht weiter. Aus den Beweis- und Verfahrensregeln ergibt sich aber, dass die Mitteilung der Überweisung schriftlich zu erfolgen hat: Rule 45, Referral of a situation to the Prosecutor A referral of a situation to the Prosecutor shall be in writing.268
Diese Regelung hat auch im RA seine Bestätigung erfahren: Article 17, Cooperation between the Security Council of the United Nations and the Court 1. When the Security Council, acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, decides to refer to the Prosecutor pursuant to article 13, paragraph (b), of the Statute, a situation in which one or more of the crimes referred to in article 5 of the Statute appears to have been committed, the Secretary-General shall immediately transmit the written decision of the Security Council to the Prosecutor together with documents and other materials that may be pertinent to the decision of 268
Die Regel bezieht sich aufgrund ihrer systematischen Stellung in den RPE auf Art. 13: Chapter 3 Jurisdiction and admissibility, Section I Declarations and referrals relating to articles 11, 12, 13 and 14.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
the Council. The Court undertakes to keep the Security Council informed in this regard in accordance with the Statute and the Rules of Procedure and Evidence. Such information shall be transmitted through the Secretary-General.
Sinnvollerweise soll die Zusammenarbeit also schriftlich erfolgen. Dies trägt zur Publizität und zur Begrenzung der Überweisung bei. Ein Verstoß269 gegen die Vorschriften dürfte in der Praxis jedoch kein entscheidendes Verfahrenshindernis sein. 3. Art. 16 IStGH-Statut Weiterhin darf der Sicherheitsrat die Ermittlungen nicht gestoppt haben. Dabei ist allerdings schon fraglich, ob der Sicherheitsrat überhaupt einen Beschluss nach Art. 16 fassen darf, bevor einer Situation überhaupt die Aufmerksamkeit des Anklägers gilt.270 Mit der herrschenden Meinung ist davon auszugehen, dass der Stopp von Ermittlungen nach Art. 16 IStGHStatut erst nach der Individualisierung einzelner Täter (= Einleitung von Verfahren) zulässig ist.271 Es bleibt festzuhalten, dass im Falle eines – zulässigen – Ermittlungsstopps nach Art. 16 IStGH-Statut die nachfolgende Überweisung gemäß Art. 13 b) IStGH-Statut konkludent den Stopp-Beschluss aufheben bzw. ändern kann. Davon wird im Regelfall auszugehen sein, auch wenn die Reihenfolge eines früheren Beschlusses nach Art. 16 IStGH-Statut und einem erst darauf folgenden Beschluss nach Art. 13 b) IStGH-Statut unwahrscheinlich ist.
VIII. Rechtsgrundverweis: Voraussetzungen aus der VNCh Oben wurde die Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als Rechtsgrundverweis begründet.272 Somit sind nicht nur die Voraussetzungen des Statuts, sondern auch die entsprechenden Voraussetzungen der Charta unabdingbare Erfordernisse für die Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut verweist auf Kapitel VII VNCh. Die Tatbestandsvoraussetzungen wurden bereits in einem anderen Zusammenhang 269 Fraglich ist schon, ob die VN überhaupt an die RPE gebunden sein und dann gegen sie verstoßen kann. Ausdrücklich erwähnt das RA diese nur in einem anderen Zusammenhang. Es lässt sich aber eine Kette vom Statut, an das die VN gebunden sind, über Art. 51 IStGH-Statut bis zu den RPE konstruieren. 270 Kurth, S. 171 m. w. N. 271 Die Begründung dafür wird im 7. Kapitel unter II. 7. geliefert. 272 3. Kapitel II. 4.
5. Kap.: Die weiteren Voraussetzungen nach Statut und Charta
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erörtert. An dieser Stelle ist nur darauf hinzuweisen, dass diese vorliegen müssen.273 Die Voraussetzungen für ein Handeln in diesem Rahmen sind jedoch nicht ausschließlich in den Art. 39 ff. VNCh zu finden. Das Quorum für die Abstimmung findet sich in Art. 27 VNCh. Dabei wird zwischen Verfahrensfragen und allen anderen Fragen unterschieden. Eine Überweisungsresolution ist dabei eine Entscheidung in einer Sache und keine Verfahrensfrage. Demnach richtet sich das Mehrheitserfordernis nach Art. 27 Abs. 3 VNCh. Zur Beschlussfassung müssen neun Mitglieder im Sicherheitsrat einer Resolution zustimmen. Als zusätzliches Kriterium hat sich – im Wege der Auslegung oder der stillschweigenden Vertragsänderung – herausgebildet, dass kein ständiges Mitglied im Rat (P5-Staat) einer Resolution widersprechen darf.274 Stimmenthaltungen eines P5-Staates sind nach der akuellen Lesart des Art. 27 Abs. 3 VNCh unschädlich, solange nur neun Mitglieder für die Resolution stimmen.
IX. Handlungsverpflichtung und Ermessen bei der Maßnahmenauswahl des Sicherheitsrates Zu dem großen Spielraum, den der Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII hat, gehört auch, dass er nach einer positiven Feststellung i. S. d. Art. 39 VNCh keine Verpflichtung zum Handeln hat. Eine solche Verpflichtung könnte sich aus der Charta ergeben. Dort ist eine solche jedoch nicht zu finden. Weder ist sie aus dem Wortlaut herauszulesen noch ergibt sie sich aus Sinn und Zweck der Charta. Im Gegenteil, Art. 24 Abs. 1 VNCh spricht für einen möglichst großen Handlungsspielraum des Sicherheitsrates. Er entscheidet, ob in einer friedensbedrohenden Situation gehandelt werden muss und, wenn ja, wie. Die Auferlegung einer Handlungspflicht würde die Effektivität dieser Regelung beschränken. Der Sicherheitsrat ist in der Auswahl seiner Maßnahmen sehr frei. Er genießt aufgrund seiner Hauptverantwortung für den Weltfrieden grundsätzlich freie Ermessensauswahl.275 Diese unterliegt den Beschränkungen der Charta und des allgemeinen Völkerrechts, das auch für den Sicherheitsrat verbindlich ist. Die Charta beschränkt die Maßnahmen auf Mittel, die einen Konflikt nicht abschließend regeln. Dies ist Maßnahmen nach Kapitel VII vorbehalten. Art. 41 f. zählen einige mögliche Reaktionsmöglichkeiten auf. 273 274 275
4. Kapitel III. 2. Simma/Simma/Brunner/Kaul, UNO-Charter, Art. 27 Rn. 52 ff. Simma/Frowein/Krisch, UNO-Charter, Introduction to Chapter VII Rn. 11 ff.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Ausweislich des Wortlauts sind diese jedoch nicht abschließend. Insbesondere die Einrichtung eines Strafgerichts wird nach der Staatenpraxis spätestens seit der Errichtung des ICTY für zulässig erachtet. Ob der Sicherheitsrat nun aber einen eigenen Gerichtshof gründet oder einen bestehenden nutzt, macht dogmatisch dabei keinen Unterschied. Mögliche Maßnahme nach Kapitel VII ist somit auch aus VN-rechtlicher Sicht die Überweisung an den IStGH. Aufgrund der von Art. 39 VNCh vorgegebenen Richtung muss der Rat diese Maßnahmen ergreifen, um den Weltfrieden sicherzustellen bzw. wiederherzustellen.276
X. Die Voraussetzungen zur Verfahrenseinleitung vor dem IStGH durch den Sicherheitsrat Die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinleitung ergeben sich in erster Linie aus dem Statut (v. a. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut). Des Weiteren kommen Merkmale des Kapitels VII VNCh hinzu. Erforderlich ist das Überweisen einer Situation, die den Anschein macht, dass Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut begangen worden sind. Der Situationsbegriff orientiert sich dabei am Vorliegen einer Art.-39VNCh-Situation. Nach dem aktuellen Stand der Entwicklung des VNRechts kann jede Situation, die einen Bruch oder eine Gefährdung des Weltfriedens oder eine Angriffshandlung darstellt, eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut sein, soweit nicht einzelne Fälle überwiesen werden und nicht nach bestimmten Personengruppen, insb. Konfliktparteien, unterschieden wird. Die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten von Nichtvertragsparteien des IStGH-Statuts ist zulässig, ebenso wie die Überweisung abstrakter Phänomene. Neben den Erfordernissen aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut müssen noch andere Regelungen, die die Gerichtsbarkeit des IStGH betreffen, erfüllt sein. Demnach sind nur solche Fälle verfolgbar, in denen natürliche Personen, die zum Tatzeitpunkt mindest 18 Jahre alt waren, Taten gemäß Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut nach dem 1. Juli 2002 begangen haben. Zwar müssen bei der Eröffnung der Gerichtsbarkeit entweder der Tatort- oder der Täterstaat Vertragspartei des Statuts sein. Eine Mitgliedschaft im IStGH ist jedoch in den Fällen der Überweisung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht erforderlich.277 Ebenso wenig ist es erforderlich, dass der Sicherheits276 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 627 (S. 630). 277 8. Kapitel IV. 1. c).
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rat das staatliche Justizsystem einer Prüfung am Maßstab des Art. 17 IStGH-Statut unterzieht. Die Überweisung muss dabei nach Kapitel VII VNCh erfolgen. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut stellt einen Rechtsgrundverweis dar, verlangt somit das Vorliegen der Voraussetzungen aus Art. 39 VNCh und die Rechtsfolge nach Art. 41 VNCh. Die Überweisung muss schriftlich erfolgen und an den Ankläger adressiert sein. Aufgrund der zeitlichen Grenze kann kein Verfahrensstopp nach Art. 16 IStGH-Statut vorliegen. 6. Kapitel
Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung Neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut sind zwei weitere Varianten der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat zumindest denkbar. Zum einen könnte der Rat seine regulären Befugnisse aus der VNCh nutzen, um die Gerichtsbarkeit zu eröffnen. Er würde unabhängig von jeglicher Statutsvorschrift handeln, also neben dem IStGH-Statut. Zum anderen ist die Feststellung einer Angriffshandlung durch den Sicherheitsrat als Verfahrenseinleitung denkbar, wobei der problematische Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut beachtet werden muss.
I. Verfahrenseinleitung nach Kapitel VII VNCh In Betracht kommt eine Parallele zu den ad-hoc-Tribunalen der VN. Der Sicherheitsrat könnte im Rahmen von Kapitel VII handeln und mit einer Resolution nach Art. 41 VNCh die Gerichtsbarkeit des IStGH eröffnen. Dabei müsste er keinen Bezug und keine Rücksicht auf den Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und die sonstigen Beschränkungen nehmen. Dafür spricht zum einen der Gedanke, den IStGH als quasi-ad-hoc-Tribunal zu nutzen. Der Rat sollte nicht mehr darauf angewiesen sein, selbst ein Statut zu entwerfen und eine Infrastrukur einzurichten. Die Gründung eines Gerichts verlangt viel Arbeit. Einfacher und damit effektiver sollte es durch eine Nutzung des IStGH gehen. Vom Standpunkt des VN-Rechts aus erscheint eine solche Verfahrenseinleitung logisch und konsequent. Der Sicherheitsrat hat die Kompetenz zur Gründung von Strafgerichten. Seine Resolutionen im Rahmen von Kapitel VII sind gemäß Art. 25 VNCh für alle Mitgliedstaaten der VN verbindlich und stehen sogar über anderen Verträgen, Art. 103 VNCh. Kraft dieser Bestimmung kann der Sicherheitsrat Staaten auch entgegen ihren sonstigen
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
vertraglichen Verpflichtungen binden. Somit könnte er neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut das Verfahren auf andere Art einleiten und sich damit über Art. 13 lit. b) IStGH-Statut hinwegsetzen. Diese Argumentation gewichtet schon ihren Ausgangspunkt falsch. Argumentiert man vom Recht der VN aus, so vermag dieses nur Wirkung für die VN und deren Mitglieder zu entfalten. Der IStGH ist aber nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Das VN-Recht ist nicht verbindlich für den Gerichtshof.278 Dagegen spricht auch die Stellung als unabhängige internationale Organisation. Konstitutives Dokument ist das Statut, darin werden die Rechtsbindungen bestimmt. Und gemäß Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut folgt die Charta erst nach dem Statut. Das Statut nimmt für die Verfahrenseinleitung aber nur in Art. 5 Abs. 2, 13 lit. b) IStGH-Statut Bezug auf den Sicherheitsrat. Andere Möglichkeiten zieht es nicht in Betracht. Vielmehr ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut die einzige Möglichkeit,279 in der das siebte Kapitel VNCh eine Rolle bei der Verfahrenseinleitung spielen soll. Er stellt somit einen numerus clausus der Verfahrenseinleitungen dar. Dies ergibt sich schon daraus, dass andere Regelungen des Statuts, die sich mit dem weiteren Verfahren befassen, nur nach den lit. a), b) und c) unterscheiden. Sie lassen keinen Platz für andere Arten der Verfahrenseinleitung.280 Die politische Rolle des Sicherheitsrates sollte möglichst wenig Einfluss auf einzelne Verfahren haben. Soweit man den Standpunkt der VNCh einnimmt, kommt das Kapitel VII also als Verfahrenseinleitungsmöglichkeit in Betracht. Dieses vorläufige Ergebnis wird aber hinfällig, wird das Recht des IStGH untersucht, denn dort ist nur eine Einleitung nach Art. 13 IStGH-Statut vorgesehen. Hinzuweisen bleibt auf die Möglichkeit, dass der Sicherheitsrat den Ankläger informell über einen Konflikt informiert. Ein Staat kann dann über Art. 13 lit. a) IStGH-Statut oder der Ankläger über Art. 13 lit. c) IStGHStatut offiziell das Verfahren einleiten. Wie der Sicherheitsrat eine solche Information weitergibt, ist nicht von Belang.
278
1. Kapitel IV. Zu Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut sogleich. 280 Zu einer möglichen Interpretation einer reinen Art.-39-VNCh-Resolution, die nicht unter Art. 13 lit. b) IStGH-Statut subsumiert werden kann, s. dieses Kapitel I., III. und IV. 279
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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II. Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut als Einleitungsnorm 1. Einführung Zu den vier Tatbeständen, für deren Verfolgung der IStGH zuständig ist, gehört auch das Verbrechen der Aggression, Art. 5 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut. Seine Verfolgung kann aufgrund von Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut bisher nicht stattfinden. Artikel 5 – Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen (2) Der Gerichtshof übt die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression aus, sobald in Übereinstimmung mit den Artikeln 121 und 123 eine Bestimmung angenommen worden ist, die das Verbrechen definiert und die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen festlegt. Diese Bestimmung muss mit den einschlägigen Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen vereinbar sein.
Seine englische Fassung lautet Article 5 – Crimes within the jurisdiction of the Court (2) The Court shall exercise jurisdiction over the crime of aggression once a provision is adopted in accordance with articles 121 and 123 defining the crime and setting out the conditions under which the Court shall exercise jurisdiction with respect to this crime. Such a provision shall be consistent with the relevant provisions of the Charter of the United Nations.
Im Mai und Juni 2010 wird die erste Überprüfungskonferenz in Uganda stattfinden. Bis dahin soll eine Arbeitsgruppe281 Vorschläge nach Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut erarbeitet haben, die zu einer Definition durch die Vertragsstaatenversammlung führen. Zwei Problemkreise bestimmen die Arbeit. Zum ersten Kreis gehören die Formulierung des Tatbestands, also die eigentliche Definition, und Aspekte des allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts wie Teilnahmearten oder die Versuchsstrafbarkeit.282 Es handelt sich somit um Fragen des materiellen Strafrechts. Der zweite Kreis umfasst die Ausübung der Gerichtsbarkeit und beinhaltet die Frage nach der Beteiligung von anderen Akteuren.283 So ist insb. die Rolle des Sicherheitsrates nach wie vor ungeklärt. Neben diesem kommen auch andere VN-Organe als relevante Akteure in Betracht. 281 Zu der Arbeitsgruppe sogleich, eine kurze Zusammenfassung der Arbeit seit 1998 findet sich bei Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 5 Rn. 26 ff. 282 Dazu ILCYB 1996, Vol. II, Part II, S. 42 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, Rn. 255 ff.; Cassese, International Criminal Law, S. 114 ff.; Schabas, Introduction to the ICC, S. 139 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1318; Werle, Völkerstrafrecht, 1. Auflage, Rn. 1150 ff. 283 Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 5 Rn. 38.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Aspekte des materiellen oder eigentlichen Völkerstrafrechts bleiben hier ausgespart. Ihre Erörterung vermag es nicht, das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Strafgerichtshof zu beleuchten. Auf die Darstellung des zweiten Problemkreises – der Voraussetzung für die Ausübung der Gerichtsbarkeit – wird sich diese Untersuchung konzentrieren. Wo es angebracht ist, werden Teile des ersten Bereiches angesprochen. 2. Das Verbot von Angriffskriegen und seine strafrechtliche Durchsetzung Gemeinhin gilt der Tatbestand der Aggression als das völkerrechtliche Verbrechen.284 Alle anderen Verbrechen i. S. v. Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut werden regelmäßig in bewaffneten Konflikten begangen, eine Aggression hat dann schon stattgefunden. Dieses „Paradigma des Völkerstrafrechts“ hat eine problembeladene Tradition.285 Als Täter kommen grundsätzlich nur Personen in Betracht, die an der Spitze eines Staates stehen oder das Militär kontrollieren. Es ist ein sogenanntes Führungsverbrechen oder leadership crime.286 Aufgrund dieser Verbindung des zu prüfenden strafwürdigen Verhaltens Einzelner zum Völkerrechtssubjekt Staat berührt der Tatbestand die staatliche Souveränität unmittelbar.287 Zwischen dem Vorliegen eines An284 Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 146); Schabas, Origins of the Criminilization of Aggression: How Crimes against Peace became the „Supreme International Crime“, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 17 ff. Ausführliche Geschichte bei Hummrich, S. 41 ff. 285 Vgl. auch Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 428 ff.); Ambos, Internationales Strafrecht, Rn. 252 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1283 ff.; Cassese, International Criminal Law, S. 110 ff.; Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 446. 286 ILCYB 1996, Vol. II, Part II, S. 42; Ambos, Internationales Strafrecht, Rn. 257; Kurth, S. 93; Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 437 f.); Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/ Schabas, S. 67 (S. 94); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 15 Rn. 79; Nsereko, ZIS 2007, S. 500 (S. 503). Das Erfordernis einer entsprechenden Position im staatlichen Machtgefüge ist inzwischen fester Bestandteil des Verbrechens. Möglich ist, es als Tatbestandsmerkmal oder als Kriterium für die Ausübung der Gerichtsbarkeit heranzuziehen. Vgl. nur Informal inter-sessional meeting of the Special Working Group on the Crime of Aggression, held at the Liechtenstein Institute on Self-Determination, Woodrow Wilson School, Princeton University, United States, from 11 to 14 June 2007, ICCASP/6/SWGCA/INF.1 vom 25. Juli 2007, S. 3, Rn. 9. 287 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1280; Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/ Schabas, S. 67 (S. 92 ff.).
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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griffskriegs und dem Verbrechen der Aggression besteht ein überaus enger Zusammenhang. So soll das Vorliegen einer Angriffshandlung (eines Angriffskriegs) unbedingte Voraussetzung für die individuelle Strafbarkeit sein.288 Seine Geschichte ist somit eng mit dem allgemeinen Völkerrecht, insb. dem ius ad bellum, verknüpft. Im Urteil des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses kommt dies zum Ausdruck, wenn festgestellt wird: Zu behaupten, dass es ungerecht sei, jene zu strafen, die unter Verletzung von Verträgen und Versicherungen Nachbarstaaten ohne Warnung angegriffen haben, ist offenbar unrichtig, denn unter solchen Umständen muß der Angreifer wissen, dass er unrecht hat, und weit entfernt davon, dass es nicht ungerecht wäre, ihn zu strafen, wäre es vielmehr ungerecht, wenn man seine Freveltat straffrei ließe. Angesichts der Stellung, die die Angeklagten in der Regierung Deutschlands einnahmen, mußten sie, oder zumindest einige von ihnen, Kenntnis der durch Deutschland unterschriebenen Verträge haben, in denen der Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten für rechtswidrig erklärt wurde; sie mußten gewußt haben, dass sie allem Völkerrecht zum Trotz handelten, als sie mit vollem Vorbedacht ihre auf Invasion und Angriff gerichteten Absichten ausführten.289 Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von abstrakten Wesen begangen, und nur durch Bestrafung jener Einzelpersonen, die solche Verbrechen begehen, kann den Bestimmungen des Völkerrechts Geltung verschafft werden.290
Früher galten bewaffnete Auseinandersetzungen und Kriege als ein legitimes Mittel in den internationalen Beziehungen.291 Seit dem Vertrag über die Ächtung des Kriegs von 1928,292 dem so genannten Briand-KelloggPakt, zeichnete sich jedoch eine Änderung im Völkerrecht ab.293 Im ersten umfassenden Verbot von Angriffskriegen und jeder aggressiven Gewaltanwendung nach Art. 2 Nr. 4 VNCh hat diese Entwicklung ihren vorläu288 Proceedings of the Preparatory Commission at its first, second and third sessions (16–26 February, 26 July–13 August and 29 November–17 December 1999), UN Doc. PCNICC/1999/L.5/Rev.1, Annex IV (= Crime of aggression, Discussion paper proposed by the Coordinator, Consolidated text of proposals on the crime of aggression), S. 26 ff.; Hummrich, S. 72, 222; Nsereko, ZIS 2007, S. 500 (S. 503); Wilmshurst, Definition of the Crime of Aggression: State Responsibility or Individual Criminal Responsibility?, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 93 (S. 93). 289 Der Nürnberger Prozess: Urteil. Der Nürnberger Prozess, S. 764. 290 Der Nürnberger Prozess: Urteil. Der Nürnberger Prozess, S. 764. 291 Vgl. nur die These von Clausewitz, S. 44, wonach der Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Zu erinnern ist daran, dass sich der General dabei natürlich nicht auf das Völkerrecht bezieht. 292 Vertrag über die Ächtung des Krieges vom 27. August 1928, RGBl. 1929 II, 97 ff.; LNTS Bd. 94, S. 59 ff. 293 Zum „strafrechtlichen“ Inhalt des Vertrages vgl. Der Nürnberger Prozess: Urteil. Der Nürnberger Prozess, S. 764; Ahlbrecht, S. 55 f.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
figen Höhepunkt erreicht. Demnach verpflichten sich alle Mitglieder der Vereinten Nationen dazu, „in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ zu unterlassen. Dieses Verbot gilt inzwischen gewohnheitsrechtlich, sein Status als ius cogens ist umstritten.294 Strafrechtliche Sanktionen zieht ein Verstoß gegen das Gewaltverbot allerdings nicht nach sich.295 Sein strafrechtliches Korrelat findet das Verbot des allgemeinen Völkerrechts erst im Verbrechen der Aggression. Begrifflich sind Angriffshandlung und Angriffskrieg auf der Makroebene (dem staatlichen Unrecht) vom Aggressionsverbrechen und Aggressionstatbestand auf der Mikroebene (dem individuellen Unrecht) zu trennen. Die Begriffe auf der Makroebene unterscheiden sich ebenfalls voneinander. Getrennt wird zwischen Angriffskriegen, die das Verbrechen der Aggression nach sich ziehen sollen, und Angriffshandlungen, bei denen es nicht zu einer strafrechtlichen Ahndung kommen soll.296 Unklar ist, ob ein Ereignis bzw. eine Handlung erst dann ein Aggressionsverbrechen darstellt, wenn eine Angriffshandlung bzw. ein Angriffskrieg stattgefunden hat. Es stellt sich die Frage nach der Akzessorietät von Makround Mikroebene. Die Geschichte und Systematik zeugt von dem engen Zusammenhang. Zahlreiche Stimmen fordern daher auch den Verstoß eines Staates gegen das Gewaltverbot als unabdingbare Voraussetzung für die Strafbarkeit der Handelnden. Ein völkerrechtswidriges Handeln eines Staates kann somit die individuelle Verantwortlichkeit nach sich ziehen, muss es aber nicht. Im Hinblick auf die soeben zitierte Aussage des IMT erscheint dies folgerichtig. Doch darf dabei nicht vergessen werden, dass es sich um eigenständige Begriffe handelt. Dem mag entgegengehalten werden, dass es sich bei der strafrechtlichen Bewertung gerade nicht um die Beurteilung von Hoheitsakten handelt. Nur wenn der Tatbestand des Verbrechens ausdrücklich einen Völkerrechtsverstoß von staatlicher Seite fordere, könne mit Gewissheit von einem Bedingungszusammenhang gesprochen werden. Nur dann sei das staatliche Fehlverhalten als Tatbestandsmerkmal conditio sine qua non für die individuelle Verantwortlichkeit. In anderen Fällen sei dies fraglich, und zwar deshalb, weil die allgemeinen strafrechtlichen Einzelheiten gerade im Hinblick auf die Aggression völlig umstritten sind. Der erforderliche Vorsatz- oder Absichtsgrad wird in der Arbeitsgruppe heftig diskutiert.297 Be294 295 296 297
Kadelbach, S. 234 ff.; Heilmann, S. 193. Simma/Randelzhofer, UNO-Charter, Art. 2 Nr. 4 Rn. 67; Heilmann, S. 193. Eingehend Hummrich, S. 72 mit weiteren Hinweisen. Kurth, S. 93 f.
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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sonders deutlich wird dies durch die mögliche Versuchsstrafbarkeit.298 Es sei ungeklärt, ob auch Planung und Vorbereitung der Aggression strafbar sein sollen. Dies sei aber Teil der Versuchsstrafbarkeit. Damit wird diese zeitlich ausgedehnt, und zwar vor dem Bestehen einer staatlichen Verantwortlichkeit. Die Praxis zeigt aber, dass Strafverfolgung auf der Mikroebene nicht ohne einen Verstoß auf der Makroebene stattfindet. Gewohnheitsrechtlich ist somit eine Akzessorietät erforderlich. Erstmals wurden im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess Strafurteile für das Beginnen eines völkerrechtswidrigen Kriegs gefällt.299 Art. 6 des IMT-Statuts300 legte die Zuständigkeit des Tribunals, also die Tatbestände, fest. Darunter war auch der Tatbestand der Verbrechen gegen den Frieden, wovon das Führen eines Angriffskriegs Teil war. Das Tribunal verurteilte zwölf Angeklagte wegen Verbrechen gegen den Frieden.301 Sein Äquivalent für die japanischen Kriegsverbrecher, das International Military Tribunal for the Far East, war gemäß Art. 5 IMTFE-Statut für nahezu den gleichen Tatbestand zuständig. In Tokio wurden 25 der 28 wegen Verbrechen gegen den Frieden angeklagten Männer u. a. aufgrund des Art. 5 lit. a) IMTFE-Statut verurteilt.302 Die Generalversammlung hat 1946 die Prinzipien des Nürnberger Urteils in Resolution 95 (I) ausdrücklich anerkannt.303 Seine Fortsetzung fand dieser Beschluss in der berühmten Aggressionsdefinition der GV.304 Rechtsverbindlichkeit kommt der Definition nicht zu. Sie soll den Begriff der Angriffshandlung in Art. 39 VNCh bestimmen.305 Ob die Resolution Bezug auf individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nimmt,306 darf bezweifelt 298 Hummrich, S. 208 ff. Die Versuchsstrafbarkeit wird vom Vorsitzenden der SWGCA abgelehnt, Discussion paper proposed by the Chairman, ICC-ASP/ 5/SWGCA/2 vom 16. Januar 2007, S. 3. Vgl. die Diskussion in Informal inter-sessional meeting of the Special Working Group on the Crime of Aggression, held at the Liechtenstein Institute on Self-Determination, Woodrow Wilson School, Princeton University, United States, from 11 to 14 June 2007, ICC-ASP/6/SWGCA/ INF.1 vom 25. Juli 2007, S. 3 f., Rn. 13. 299 Cassese, International Criminal Law, S. 111; Sunga, EJCCLCJ 6 (1998), S. 61 (S. 65). 300 Abgedruckt in: Der Nürnberger Prozess: Einsetzung des Gerichtshofs. Der Nürnberger Prozess, S. 238 ff. 301 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1294. Die Verurteilten waren Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel, Rosenberg, Frick, Funk, Dönitz, Raeder, Jodl, Seyß-Inquart und von Neurath. 302 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1294. 303 A/RES/95 (I) vom 11. Dezember 1946. 304 A/RES/3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974. 305 Kurth, S. 92; Heilmann, S. 186. 306 Der fragliche Art. 5 Abs. 2 der Resolution lautet: „A war of aggression is a crime against international peace. Aggression gives rise to international responsibil-
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
werden.307 Der Wille der GV, Angriffskriege zu ächten, ist dabei aber eindeutig. Ihre Resolutionen sind zwar nicht rechtsverbindlich, zeugen aber von der opinio juris der Staaten.308 Somit stützen sie das gewohnheitsrechtliche Verbot von Angriffskriegen. Eine mögliche Definition der Aggression i. S. d. Statuts setzt an dieser Resolution und der VNCh an.309 Die zahlreichen Prozesse, die in den Jahrzehnten seit 1945 gegen andere Verantwortliche im Zweiten Weltkrieg stattfanden, beinhalteten keine Verurteilung aufgrund des Aggressionsverbrechens. Auch die ad-hoc-Tribunale und die hybriden Gerichtshöfe haben keinen vergleichbaren Tatbestand. Einzig das damalige Iraqi Special Tribunal (heute Supreme Iraqi Criminal Tribunal) enthält eine ähnliche Regelung.310 Die Tatbestände beruhen somit ity.“ In der friendly-relations-declaration vom 24. Oktober 1970, UN Doc. A/RES/ 2625 (XXV), 1. Erwägungspunkt 2. Absatz wiederholt sich die Formulierung. 307 Die ILC, Yearbook 1994, Vol. II, Part II, S. 38 (ILC-Entwurf), lehnt dies ab. Ebenso Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 427 (S. 435); Schuster, CLF 14 (2003), S. 1 (S. 8) Stark zweifelnd: Cassese, International Criminal Law, S. 112. Befürwortend Müller-Schieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 417); Hummrich, S. 73 ff.; Heilmann, S. 187; Westdickenberg/ Fixson, Das Verbrechen der Aggression im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, in: FS Eitel, S. 483 (S. 490); Escarameia, The ICC and the Security Council on Aggression: Overlapping Competencies?, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 133 (S. 134). 308 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 16 Rn. 23, § 18 Rn. 21; Kurth, S. 92 f. 309 Vgl. nur Discussion paper on the definition and elements of the crime of aggression, prepared by the Coordinator of the Working Group on the Crime of Aggression, UN Doc. PCNICC/2002/WGCA/RT.1/Rev.2 vom 11. Juli 2002. 310 Die erste Fassung: Art. 10 Statute of the Iraqi Special Tribunal The Tribunal shall have jurisdiction over any Iraqi national or resident of Iraq accused of the crimes listed in Articles 11–14, committed since July 17, 1968 and up and until May 1, 2003, in the territory of Iraq or elsewhere, namely: a) The crime of genocide; b) Crimes against humanity; c) War crimes; or d) Violations of certain Iraqi laws listed in Article 14 below. Art. 14 Statute of the Iraqi Special Tribunal The Tribunal shall have the power to prosecute persons who have committed the following crimes under Iraqi law: a) For those outside the judiciary, the attempt to manipulate the judiciary or involvement in the functions of the judiciary, in violation, inter alia, of the Iraqi interim constitution of 1970, as amended; b) The wastage of national resources and the squandering of public assets and funds, pursuant to, inter alia, Article 2(g) of Law Number 7 of 1958, as amended; and c) The abuse of position and the pursuit of policies that may lead to the threat of war or the use of the armed forces of Iraq against an Arab country, in accordance with Article 1 of Law Number 7 of 1958, as amended.
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auf irakischem Recht. Ihre Beschränkung auf den Schutz nur bestimmter Staaten entspricht nicht dem völkergewohnheitsrechtlichen Standard.311 Sie haben keinen völkerstrafrechtlichen Charakter. Es mangelt seit 1946 folglich an der Staatenpraxis.312 In Anbetracht der Kriterien aus Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut erscheint der gewohnheitsrechtliche Charakter des Verbrechens fraglich. Jedoch geht nicht nur die wohl herrschende Meinung in der Literatur von der Geltung aus.313 Gewichtiger ist, dass in Rom kein Staat die Existenz des Aggressionsverbrechens bezweifelt hat.314 Diese Diskussion ist zu vernachlässigen, wenn erst einmal eine Definition gefunden wurde. Denn dann gilt Völkervertragsrecht und nicht Völkergewohnheitsrecht. Die heutige gültige Fassung: Art. 1 Statute Supreme Iraqi Criminal Tribunal First: A Tribunal is hereby established and shall be known as The Supreme Iraqi Criminal Tribunal (the „Tribunal“). The Tribunal shall enjoy complete independence. Second: The Tribunal shall have jurisdiction over every natural person, whether Iraqi or non-Iraqi resident of Iraq, accused of committing any of the crimes listed in Articles 11, 12, 13 and 14 of this law, committed during the period from 17 July 1968 to 1 May 2003, in the Republic of Iraq or elsewhere, including the following crimes: A. Genocide; B. Crimes against humanity; C. War crimes; and D. Violations of Iraqi laws listed in Article 14 of this law. Art. 14 Statute Supreme Iraqi Criminal Tribunal The Tribunal shall have the power to prosecute persons who have committed the following crimes: First: Interference in the affairs of the judiciary or attempting to influence its functioning. Second: The wastage and squandering of national resources, pursuant to Article 2 (g) of the Punishment of Conspirators against Public Safety and Corrupters of the System of Governance Law 7 of 1958. Third: The abuse of position and the pursuit of policies that have almost led to the threat of war or the use of the Iraqi armed forces against an Arab country, in accordance with Article 1 of Law 7 of 1958. Fourth: If the Tribunal finds that the special element of any of the crimes stipulated in Articles 11, 12 and 13 of this Law is missing, and establishes that the act involved constitutes a crime punishable under the Penal Code or any other penal law at the time of its commission, the Tribunal shall be competent to hear the case. 311 Ambos, Internationales Strafrecht, Rn. 254. 312 Cassese, International Criminal Law, S. 112 f. 313 Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 427 (S. 427); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1299; Müller-Schieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 414 f.); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 15 Rn. 77; Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 449. 314 Kurth, S. 94 in Fn. 433. So auch Carpenter, NordicJIL 64 (1995), S. 223 (S. 226).
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Gesetzt den Fall, dass der IStGH nach der Revisionskonferenz seine Gerichtsbarkeit ausüben darf, stellt sich die Frage nach dem zeitlichen Rahmen. Möglich wäre eine Strafbarkeit seit dem 1. Juli 2002 (dem Inkrafttreten des Statuts) oder dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Änderung des Statuts.315 Diese Frage soll hier kurz aufgezeigt werden, da sie die Voraussetzung zur Ausübung der Gerichtsbarkeit betrifft. Es bleibt festzuhalten, dass zwischen dem an Staaten gerichteten Verbot der Gewaltanwendung und dem strafrechtlichen Verbot für Einzelne unterschieden werden muss. Beide stehen zwar in einem engen Zusammenhang, sind rechtlich jedoch losgelöst voneinander zu betrachten.316 Bei einer parallelen Beurteilung einer Situation durch Sicherheitsrat und IStGH wären „Beurteilungsmaßstab und Zielsetzung völlig verschieden und rechtfertigten somit durchaus eine divergente Einschätzung. Die strafrechtliche Bewertung einer nur für das Statut des Strafgerichtshofs definierten und als ‚Aggression‘ bezeichneten Situation ist folglich unabhängig von der Feststellung des Sicherheitsrates.“317 Es bleibt aber dabei, dass aus der Staatenpraxis ein Verstoß auf der Makroebene als Voraussetzung für die Strafbarkeit auf der Mikroebene zu fordern und im Statut festzulegen ist. 3. Entstehungsgeschichte und Zukunft von Art. 5 IStGH-Statut Neben der Arbeit am Entwurf für einen IStGH beschäftigte sich die ILC mit einem Katalog von völkerrechtlichen Straftatbeständen. Die ursprüngliche Konzeption sah den Abschluss zweier Verträge vor, von denen einer den materiellen und einer den institutionellen bzw. prozessualen Teil enthalten sollte.318 Die Arbeit an dem Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind war frustrierend. Vier Entwürfe wurden erarbeitet, hiervon wurde kein einziger von der Generalversammlung angenommen. Seine letzte Fassung erhielt der Code 1996.319 Im Laufe der Verhandlungen 315
Schabas, Introduction to the ICC, S. 139 f. Gomaa, The Definition of the Crime of Aggression and the ICC Jurisdiction over that Crime, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 55 (S. 64 f.); Stancu, Defining the Crime of Aggression or Redefining Aggression?, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 87 (S. 88). Eine staatliche Völkerrechtsverletzung als unabdingbare Voraussetzung für die individuelle Strafbarkeit nimmt Hummrich, S. 73, an, für den gewohnheitsrechtlichen Tatbestand, vgl. aber ders., S. 229 f. 317 Hummrich, S. 229. 318 Vgl. nur Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind, ILCYB, 1954, Vol. II, S. 149 ff. Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 430 f.); Heilmann, S. 185 ff.; MüllerSchieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 411 ff.). 316
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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zum Statut wurden wesentliche Teile des Kodex in den Statutsentwurf integriert. Der relevante Art. 16, Crime of aggression, lautete: An individual who, as leader or organizer, actively participates in or orders the planning, preparation, initiation or waging of aggression committed by a State shall be responsible for a crime of aggression.
Die Ausübung der Gerichtsbarkeit wollte die ILC einem internationalen Gericht vorbehalten. Art 8, Establishment of jurisdiction, Draft Code Without prejudice to the jurisdiction of an international criminal court, each State Party shall take such measures as may be necessary to establish its jurisdiction over the crimes set out in articles 17, 18, 19 and 20, irrespective of where or by whom those crimes were committed. Jurisdiction over the crime set out in article 16 shall rest with an international criminal court. However, a State referred to in article 16 is not precluded from trying its nationals for the crime set out in that article.
Der ILC-Entwurf für das Statut des Gerichtshofs von 1994 sah eine starke Rolle des Sicherheitsrates bei der Feststellung und Verfolgung der Aggression vor. Article 23, Action by the Security Council320 (2) A complaint of or directly related to an act of aggression may not be brought under this Statute unless the Security Council has first determined that a state has committed the act of aggression which is the subject of the complaint.
In diesen Vorschriften wird vor allem der enge Bezug zum völkerrechtlichen Delikt der Angriffshandlung deutlich. Die Völkerrechtskommission betont, dass das Vorliegen eines staatlichen Völkerrechtsbruchs Voraussetzung für die individuelle Strafbarkeit sein soll. Davon abgesehen war die ILC gegenüber der Aufnahme des Tatbestands insgesamt kritisch eingestellt. Neben der umstrittenen Rolle des Sicherheitsrates321 waren auch strafrechtliche Einzelheiten unklar.322 Schon die Methode zur Formulierung des Tatbestands war und ist umstritten. In Frage 319 Der letzte Entwurf und ein Überblick über die Entstehungsgeschichte sind enthalten in Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, ILCYB, 1996, Vol. II (Part Two), S. 15 ff. Im Folgenden Draft Code. Die drei anderen Entwürfe stammen von 1951 (Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind, ILCYB 1951, Vol. II, S. 43 ff.), 1954 (Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind, ILCYB 1954, Vol. II, S. 112 ff.) und 1991 (Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, ILCYB 1991, Vol II, Part II, S. 94 ff.). 320 Eingehend Carpenter, NordicJIL 64 (1995), S. 223 (S. 232 ff.). 321 ILCYB 1994, Vol. II, Part II, S. 38 f. 322 ILCYB 1996, Vol. II, Part II, S. 42 f.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
kommen eine Generalklausel, Regelbeispiele oder ein Katalog ähnlich wie bei Art. 8 IStGH-Statut.323 In Erwartung der bevorstehenden Schwierigkeiten in Rom einigte man sich auf den Kompromiss, den Tatbestand nur de jure in das Statut aufzunehmen. Aufgrund der fehlenden Definition ist die Gerichtsbarkeit des IStGH aber de facto ausgeschlossen.324 Politisch war sich die Mehrheit nämlich einig, das Aggressionsverbrechen in das Statut aufzunehmen. Das Fehlen dieses größtmöglichen Verbrechens wurde als ein Rückschritt in der Entwicklung des Völkerrechts gewertet. Angesichts der Tatsache, dass alle anderen Verbrechen „bloße Symptome“ des Krieges sind, sollte das Übel an der Wurzel gepackt und die „Krankheit“ an ihrem Ursprung bekämpft werden.325 So einigte man sich auf den Kompromiss. Es bleibt festzuhalten, dass die Stellung des Sicherheitsrates immer schwächer wurde. Eine so umfassende Rolle wie er sie noch im ILC-Entwurf hatte, kommt ihm im Statut nicht zu.326 Die Vertragsstaaten wollten den IStGH so unabhängig wie nur möglich von der Einflussnahme des Sicherheitsrates stellen.327 Erst nach dem Ablauf von sieben Jahren kann das Statut geändert werden. Die für 2010 vorgesehene Überprüfungskonferenz soll sich dem Problem annehmen. Eine erste Änderung soll dann die Definition der Aggression sein. Artikel 123 – Überprüfung des Statuts (1) Sieben Jahre nach Inkrafttreten dieses Statuts beruft der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine Überprüfungskonferenz zur Prüfung etwaiger Änderungen des Statuts ein. Eine solche Überprüfung kann insb., jedoch nicht ausschließlich, die in Artikel 5 enthaltene Liste der Verbrechen umfassen. Die Konferenz steht allen Teilnehmern der Versammlung der Vertragsstaaten zu denselben Bedingungen offen. 323 Suggestions made orally by Italy on 13 March 2000 with regard to a structure for discussion on the crime of aggression, UN Doc. PCNICC/2000/WGCA/DP.3 vom 24. März 2000, Rn. 5a. Eingehend Hummrich, S. 173 ff.; und Müller-Schieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 415 f.). 324 Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 5 Rn. 16. Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 112 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1281; Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 99); Schabas, CFL 12 (2001), S. 415 (S. 423 f.); Gomaa, The Definition of the Crime of Aggression and the ICC Jurisdiction over that Crime, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 55 (S. 55 f.). 325 Sunga, EJCCLCJ 6 (1998), S. 61 (S. 64), die Begriffe stammen von ihm, die Übersetzung stammt vom Verfasser. 326 Nsereko, NordicJIL 71 (2002), S. 497 (S. 507). 327 Hummrich, S. 232.
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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Bereits die PrepComm hatte auf ihrer dritten Sitzung eine Arbeitsgruppe mit der Aufgabe der Definition der Aggression eingesetzt. Die Working Group on the Crime of Aggression stellte ihre Arbeit mit Inkrafttreten des Statuts ein.328 Ihre Vorschläge und Ergebnisse wurden für die weitere Arbeit an dem Tatbestand zusammengefasst.329 Die Vertragsstaatenversammlung setzte mit ihrer ersten Resolution die noch heute bestehende Arbeitsgruppe, die Special Working Group on the Crime of Aggression, ein.330 Grundlage ihrer Arbeit bleibt das durch die WGCA erstellte Papier.331 Sie hatte vor, ihre Arbeit ein Jahr vor Beginn der Revisionskonferenz abzuschließen.332 Jedoch hat auch die achte Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz im November 2009 keinen abschließenden, allgemein anerkannten Entwurf empfohlen, sodass die Überprüfungskonferenz im Sommer 2010 abzuwarten bleibt. Zu der Arbeit der SWGCA gehören die beiden genannten Problemkreise. 4. Funktion im Statut Funktion des Art. 5 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut ist es, die Gerichtsbarkeit des IStGH für das Verbrechen der Aggression de jure zu begründen. Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut schließt die Gerichtsbarkeit dann aber faktisch aus.333 Zugleich ist damit aber ein Auftrag ergangen, eine brauchbare Definition zu finden. Hier wird zumindest eine Verhandlungspflicht für die Vertragsstaaten begründet.334 Im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben lässt sich möglicherweise auch eine Definitionspflicht herleiten. 328
Heilmann, S. 191 f. Report of the Preparatory Commission for the International Criminal Court (continued), Addendum, Part II, Proposals for a provision on the crime of aggression, UN Doc. PCNICC/2002/2/Add. 2 vom 24. Juli 2002. Darin enthalten ist das Discussion paper on the definition and elements of the crime of aggression, prepared by the Coordinator of the Working Group on the Crime of Aggression, UN Doc. PCNICC/2002/WGCA/RT.1/Rev. 2 vom 11. Juli 2002. Dieses Arbeitspapier ist inzwischen „aktualisiert“ worden, Discussion paper proposed by the Chairman, ICC-ASP/5/SWGCA/2 vom 16. Januar 2007. 330 ASP/1/Res. 1 vom 9. September 2002. Zu dieser Arbeitsgruppe auch Heilmann, S. 191 f.; K. J. Heller, EJIL 18 (2007), S. 477 ff. Die Arbeit der SWGCA ist dokumentiert auf der Homepage des IStGH: http://www.icc-cpi.int/asp/aspaggres sion.html (Besuch am 8. Januar 2008). 331 Heilmann, S. 192. 332 Report of the Special Working Group on the Crime of Aggression, ICC-ASP/ 4/SWGCA/1 vom 1. Dezember 2005, Rn. 12. s. aber zuletzt die noch umstrittenen Vorschläge in Report of the Special Working Group on the Crime of Aggression, ICC-ASP/7/20/Add.1 vom 10. Juni 2008. Vgl. auch Barriga/Danspeckgruber/ Wenaweser: The Princeton Process on the Crime of Aggression, S. 60 ff. 333 Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 5 Rn. 16. 329
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Für die Definition werden schon in Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut Grenzen gesetzt. Die Bestimmung muss nämlich mit den „einschlägigen Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen vereinbar sein“. Eindeutig sind die Grenzen jedoch nicht. Teilweise heißt es, dieser Passus trage der Hauptverantwortung des Sicherheitsrates Rechnung.335 Daneben sind vor allem eine Beteiligung der Generalversammlung oder des IGH möglich.336 Denkbar ist auch, dass sich der Passus daneben auf Art. 51 VNCh oder andere Fälle der zulässigen Gewaltanwendung bezieht und damit auf bestimmte Vorsatzoder Irrtumsfragen verweist. 5. Das Verfahren zur Aufnahme der Definition oder die Änderung des Statuts Eine Änderung des Statuts erfordert gemäß Art. 121 Abs. 3, 4 IStGHStatut die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Vertragsstaaten sowie die anschließende Ratifikation durch sieben Achtel der Staaten. Für die Tatbestände existiert als weitere Hürde der Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut. Artikel 121 – Änderungen (5) Eine Änderung der Artikel 5, 6, 7 und 8 dieses Statuts tritt für die Vertragsstaaten, welche die Änderung angenommen haben, ein Jahr nach Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Annahmeurkunde in Kraft. Hinsichtlich eines Vertragsstaats, der die Änderung nicht angenommen hat, übt der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über ein von der Änderung erfasstes Verbrechen nicht aus, wenn das Verbrechen von Staatsangehörigen des betreffenden Vertragsstaats oder in dessen Hoheitsgebiet begangen wurde.
Die Hürden sind somit nicht nur besonders hoch.337 Die Gerichtsbarkeit bleibt dann auch de facto von der Zustimmung der Staaten abhängig. Die in Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut statuierten Voraussetzungen gelten somit 334 In diese Richtung Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 147), der von einer Erwartung spricht, die mit Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut begründet wurde. 335 Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 427 (S. 432 f.); ders., The Respective Roles of the ICC and the Security Council in Determining, the Exitence of an Aggression, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 121 (S. 121); Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 99); Heilmann, S. 194. So wohl auch Hummrich, S. 231, zweifelnd Gomaa, The Definition of the Crime of Aggression and the ICC Jurisdiction over that Crime, in: Politi/ Nesi, Aggression, S. 55 (S. 74 ff.). 336 In diese Richtung wohl Yengejeh, Reflections on the Role of the Security Council in Determining an Act of Aggression, in: Politi/Nesi, Aggression, S. 125 (S. 127 ff.). 337 Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 100).
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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nicht für geänderte Tatbestände. Für das Aggressionsverbrechen ist damit erforderlich, dass sowohl Tatort- als auch Täterstaat der Änderung zugestimmt haben.338 Trotz des Zusammenhangs zwischen Art. 12 IStGH-Statut und Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut scheint diese doppelte Erfordernis auch für Verfahrenseinleitungen nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zu gelten.339 Allerdings gelten die Ausführungen nur, wenn die Definition der Aggression als Änderung des Statuts klassizifiert werden kann. Selbst in der Arbeitsgruppe ist umstritten, ob es sich um eine solche handelt.340 In Betracht kommt auch, dass lediglich ein schon in Rom vorgesehener Prozess zum Abschluss gebracht wird,341 seine Beendigung dann eine Änderung sui generis darstellte und nicht den Anforderungen aus Art. 121 Abs. 5 IStGHStatut unterläge. Für einen Prozessabschluss spricht, dass die Änderung geplant und voraussehbar war, wenn auch die Einzelheiten unklar waren. Genau darum ging es in Rom. Die Staaten hätten sich zur Definition verpflichtet. Dagegen steht der Wortlaut von Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut, in dem nicht zwischen den verschiedenen Artikeln differenziert wird. Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut zählt die Tatbestände abschließend auf. Art. 6, 7 und 8 IStGH-Statut legen die Tatbestände (m. a. W. die Definitionen der Verbrechen) fest. Genau eine solche Definition der Aggression soll aber erfolgen. Dogmatisch hat die zu erarbeitende Definition dieselbe Funktion wie die Art. 6–8 IStGH-Statut. Es widerspreche der Systematik des Statuts, ihr einen anderen Stellenwert einzuräumen. Daran ändert auch nichts, dass die Änderung geplant war. Ob es denn wirklich eine Verpflichtung zur Definition gibt – und nicht nur zum Versuch –, darf bezweifelt werden.342
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Kurth, S. 98 f.; Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 439); Heilmann, S. 210. 339 Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 439). 340 Clark, LeidenJIL 15 (2002), S. 859 (S. 882, Fn. 79); Heilmann, S. 210 f. 341 Informal inter-sessional meeting of the Special Working Group on the Crime of Aggression, held at the Liechtenstein Institute on Self-Determination, Woodrow Wilson School, at Princeton University, New Jersey, United States, from 21 to 23 June 2004, ICC Doc. ICC-ASP/3/SWGCA/INF.1 vom 13. August 2004, S. 6. Rn. 14. 342 Für eine Änderung nach Art. 121, 123 Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 5 Rn. 32; Kurth, S. 99. Müller-Schieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 414). Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 438), verweist auf den möglichen Widerspruch zwischen Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut und Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
6. Vorschläge der Arbeitsgruppe Selbst in der Arbeitsgruppe bildet die Diskussion um die Rolle des Sicherheitsrates den Schwerpunkt. Das Vorschlagsspektrum ist breit. Die Staatenvertreter halten folgende modi operandi für möglich:343 (a) Der Sicherheitsrat muss eine Aggression feststellen. Anderenfalls kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit nicht ausüben. Ein anderes Organ kann die Feststellung nicht treffen. Der IStGH ist an die positive/negative Feststellung durch den Sicherheitsrat dabei entweder gebunden oder nicht gebunden. (b) Neben dem Sicherheitsrat kann auch ein anderes VN-Organ diese Feststellung treffen, so z. B. die GV oder der IGH. (c) Erst wenn der Sicherheitsrat z. B. aus Zeitgründen nicht handelt, kann ein anderes Organ der VN die Feststellung treffen. (d) Wenn der Sicherheitsrat handeln soll, aber aus bestimmten Gründen dies nicht getan hat (z. B. aus Zeitgründen), könnte der IStGH auch ohne jede Feststellung tätig werden. (e) Es ist überhaupt keine vorhergehende Feststellung erforderlich. Der IStGH entscheidet völlig autonom. (f) Zwischen den Varianten des Art. 13 IStGH-Statut muss unterschieden werden. Bei der Variante lit. a) soll keine weitere Authorisierung erforderlich sein. Bei lit. b) dürfte es keine Probleme mit der Feststellung geben. Nur bei lit. c) müsste ein modus operandi gefunden werden. 343 Zu finden sind die verschiedenen Vorschläge in den Dokumenten der Kommission: Discussion paper on the definition and elements of the crime of aggression, prepared by the Coordinator of the Working Group on the Crime of Aggression, UN Doc. PCNICC/2002/WGCA/RT.1/Rev. 2 vom 11. Juli 2002; Report of the Special Working Group on the Crime of Aggression, ICC-ASP/4/SWGCA/1 vom 1. Dezember 2005; Informal intersessional meeting of the Special Working Group on the Crime of Aggression, ICC-ASP/5/SWGCA/INF. 1 vom 5. September 2006; Report of the Special Working Group on the Crime of Aggression, ICC-ASP/5/SWGCA/1 vom 29. November 2006; Discussion paper proposed by the Chairman, ICC-ASP/ 5/SWGCA/2 vom 16. Januar 2007; Informal intersessional meeting of the Special Working Group on the Crime of Aggression, held at the Liechtenstein Institute on Self-Determination, Woodrow Wilson School, Princeton University, United States, from 11 to 14 June 2007, ICC-ASP/6/SWGCA/INF.1 vom 25. Juli 2007. Vgl. auch Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 432 ff.); Schabas, Introduction to the ICC, S. 138; Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 96 ff.); Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 147); Schabas, The Unfinished Work of Defining Aggression, in: McGoldrick/ Rowe/Donnelly, S. 123 (S. 135 ff.).
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Diese Varianten haben nicht die gleichen Realisierungschancen. Die Mehrheit tendiert aber aufgrund des Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut zu einer Relevanz des Sicherheitsrates344 und lehnt damit die Variante (e) ab. Die Vor- und Nachteile aller Varianten sollen kurz erläutert werden. Die unbedingte Bindung an eine Feststellung durch den Sicherheitsrat (a) wahrt dessen Hauptverantwortung für den Weltfrieden, wie sie in Art. 24 Abs. 1 VNCh niedergelegt wurde. Der IStGH ist dabei allerdings vom Wohlwollen des Sicherheitsrates und insb. dessen ständiger Mitglieder abhängig. Bedenkt man, dass der Rat nicht ein einziges Mal eine Angriffshandlung i. S. v. Art. 39 VNCh festgestellt hat, so werden politische Überlegungen die Ausübung der Gerichtsbarkeit wohl in allen Fällen verhindern.345 Ob dies gewollt ist, wird sich auf der Revisionskonferenz zeigen. Derselbe Nachteil betrifft die Variante (f), die nach den verschiedenen trigger mechanisms unterscheidet. Die gleichrangige Feststellung durch GV oder IGH (b) würde wohl eher zu einer Strafverfolgung durch den IStGH führen als die anderen Varianten – bis auf die vorletzte Variante (e). Allerdings wird dort die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates übergangen. Eine subsidiäre Feststellung durch die GV (c) dagegen wahrt den Gedanken von Art. 24 Abs. 1 VNCh. Durch den IGH ist eine solche Feststellung weder im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens noch in einem Gutachten zeitnah zu erwarten. Gesteht man dem IStGH die Kompetenz zu, nach Scheitern des Rates allein vorzugehen (d), sind Hauptverantwortung des Sicherheitsrates und Unabhängigkeit des IStGH gewahrt. Geht der IStGH ohne jede Feststellung autonom vor (e), werden das ius ad bellum und das Völkerstrafrecht sauber getrennt. Die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates wird berührt, aber nicht eingeschränkt. Er kann noch immer tätig werden und notfalls die Ermittlungen gemäß Art. 16 IStGH-Statut stoppen. Dagegen steht jedoch die bisherige Staatenpraxis, die einen Verstoß auf der Makroebene für die Strafverfolgung auf der Mikroebene fordert.
344 Westdickenberg/Fixson, Das Verbrechen der Aggression im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, in: FS Eitel, S. 483 (S. 517); Kurth, S. 95; Hummrich, S. 231. 345 So auch Kurth, S. 96 f.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
7. Hummrichs Vorschlag Nach einer ausführlichen Darstellung des Spannungsverhältnisses zwischen Sicherheitsrat und VNCh auf der einen und Gerichtshof und IStGH-Statut auf der anderen Seite346 schlägt Martin Hummrich folgende Lösung vor:347 Crime of Aggression (1) The crime of aggression is committed by an individual who is in a position of exercising control or capable of directing the political or military action of a state. (2) For the purposes of the present Statute the crime of aggression means the carrying out of an armed attack, directed by a State against the territorial integrity or political independence of another State, when this armed attack was undertaken in manifest contravention of the Charter of the United Nations with the object of establishing a military occupation of, or annexing, the territory of such other State or part thereof by armed forces of the attacking state. (3) When an armed attack under paragraph 2 has been committed, the (a) planning, (b) preparing or (c) ordering thereof shall also constitute a crime of aggression. (4) The court shall exercise its jurisdiction with regard to the crime of aggression in accordance with the provisions of article 13 of the Statute. (5) The Security Council shall determine the existence of an act of aggression perpetrated by the state whose national is concerned in accordance with the relevant provisions of the Charter of the United Nations before proceedings take place in the Court with regard to the crime of aggression. (6) The Security Council, acting in accordance with article 13 (b) of the Statute of the ICC, shall first make a decision establishing that an act of aggression has been committed by the State whose national is concerned. (7) The court, upon receipt of a complaint relating to the crime of aggression under article 13 (a) or (c), shall, with due regard to the provisions of Chapter VII of the Charter of the United Nations, first request the Security Council to determine whether or not an act of aggression has been committed by the state whose national is concerned. (8) The Security Council shall make a decision upon this request within 12 months. (9) Notification of this decision shall be made by letter from the President of the Security Council to the President of the ICC without delay. (10) If the Security Council does not make such a determination or does not make use of article 16 of the Statute within 12 months of the request, the court shall proceed with the case in question. 346 347
Hummrich, S. 222 ff. Hummrich, S. 239 f.
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
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(11) The decision of the Security Council under paragraph 8 above shall not be interpreted as in any way affecting the independence of the Court in the exercise of its jurisdiction with regard to the crime of aggression.
Hummrichs Vorschlag hat einiges für sich. So ist vor allem die Verbindung in Abs. 10 eine Innovation, die die Wertungen des Statuts widerspiegelt. Zu begrüßen ist, dass dem Sicherheitsrat die Wahl zwischen dem Stopp von und der Zustimmung zu Ermittlungen bleibt. Allerdings verkennt er die Gleichrangigkeit der drei Tatbestandsmerkmale in Art. 39 VNCh. 8. Kurths Ansatz Michael Kurth348 entwickelt einen eigenen Vorschlag in deutscher Sprache. Für die Definition des Tatbestands (Kurths Art. 8 bis Abs. 1) verweist er auf die englische Darstellung von Irina Kaye Müller-Schieke349: Art. 8bis – Verbrechen der Aggression350 (1) For the purpose of the present Statute, the crime of aggression means either of the following acts committed by an individual who is in a position of exercising control or directing the political or military action of a state: (a) planning, (b) preparing, (c) initiating, or (d) carrying out an armed attack of that state directed against the territorial integrity or political independence of another state in violation of the Charter of the United Nations. (2) Der Gerichtshof übt die Gerichtsbarkeit über dieses Verbrechen aus, wenn der Sicherheitsrat in einer nach Artikel 39 der VNCh angenommenen Resolution festgestellt hat, dass eine Angriffshandlung des Staates vorliegt, dessen Staatsangehöriger wegen dieses Verbrechens vor dem Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden soll. (3) Bleibt eine solche Feststellung aus, übt der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über dieses Verbrechen aus, wenn seit dem Zeitpunkt der Unterrichtung des Sicherheitsrates durch den Ankläger über eine dieses Verbrechen betreffende Situation zwölf Monate vergangen sind und der Rat untätig bleibt. (4) Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs über dieses Verbrechen hat Vorrang vor den einzelstaatlichen Gerichten. Der Gerichtshof kann in jedem Stadium des Ver348
Kurth, S. 219 f. Müller-Schieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 428). 350 Kurth möchte die Nummerierung des Statuts beibehalten und schlägt daher vor, nach Art. 8 IStGH-Statut die Aggression in einem separaten Artikel aufzunehmen. Diese Zählung wird wohl auch von der Arbeitsgruppe befürwortet, Discussion paper proposed by the Chairman, ICC-ASP/5/SWGCA/2 vom 16. Januar 2007, S. 3. 349
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fahrens die einzelstaatlichen Gerichte förmlich ersuchen, ihre Zuständigkeit an den Gerichtshof abzutreten. (5) Die Feststellung des Sicherheitsrates nach Absatz 2 ist in keiner Weise geeignet, die Unabhängigkeit des Gerichtshofs zu beeinträchtigen und die Bewertung der konkreten Handlung als Aggressionsverbrechen im Sinne des Statuts zu präjudizieren.
Sein Entwurf hat mehrere Vorteile. So beschränkt sich der Tatbestand auf die schwersten Fälle – wie von der Präambel in Abs. 4 gefordert. Er ist mit anderen351 der Auffassung, die Aggression müsse auf evidente Fälle beschränkt sein.352 Die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates bliebe gewahrt. Die politischen Realitäten würden beachtet werden. Eine Untätigkeit des Rates, aus was für Gründen auch immer, führte nicht zu einer Bestrafungslücke. Eine politisch motivierte Weigerung könne trotz allem zur Gerichtsbarkeit des IStGH führen. Der Sicherheitsrat könne nicht einmal indirekt Einfluss auf den Gerichtshof nehmen, indem er keine Resolution erlässt. Die Definitionsmacht bliebe beim Gerichtshof. Kurths Abs. 5 macht dies noch einmal deutlich. Entgegen dem sonst herrschenden Komplementaritätsgrundsatz hätte der IStGH die vorrangige Gerichtsbarkeit gegenüber nationalen Strafverfolgungsbehörden. Damit würde die Gefahr einer politisch motivierten einzelstaatlichen Strafverfolgung zumindest abgemildert werden.353 Völlig vermag dieser Ansatz auch nicht zu befriedigen. Zwar ist der Vorrang des IStGH überaus begrüßenswert. In Anbetracht der Wichtigkeit des Komplementaritätsgrundsatzes ist eine völlige Abkehr davon aber rechtlich fraglich und politisch wohl nicht durchsetzbar. Sein Entwurf ist zudem noch in einem zweiten Punkt zu kritisieren. 9. Ergebnis und Stellungnahme zu den vorgestellten Vorschlägen Kurths Vorschlag sowie alle anderen Vorschläge kranken an derselben Stelle.354 Ihr Blick auf das siebte Kapitel der VNCh ist zu eng. Jeder Vorschlag verlangt eine Resolution nach Kapitel VII der VNCh, in der eine Angriffshandlung festgestellt wurde. 351 Müller-Schieke, LeidenJIL 14 (2001), S. 409 (S. 428); wohl auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1293. 352 Kurth, S. 219. 353 Auf den Gegensatz von Hauptverantwortung und richterlicher Unabhängigkeit weist auch Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 427 (S. 433), hin. 354 Ausgenommen Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 434), und Hummrich, S. 236, die den hier vertretenen Ansatzpunkt befürworten.
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Dabei sind die drei Varianten in Art. 39 VNCh rechtlich völlig gleichwertig, was die Eröffnung von Kapitel VII angeht. Eine Klassifizierung als Angriffshandlung beinhaltet kurz gesagt nur eine Schuldzuweisung.355 Es geht dem Rat ja gerade nicht um eine völkerrechtliche Bewertung.356 Nach keinem Vorschlag ist die Feststellung, dass eine Aggression vorliegt, für den Gerichtshof verbindlich. Die strafrechtliche Arbeit des IStGH soll durch die Resolution nicht vorherbestimmt werden. Der Rat ist ein politisches Organ. Er enthält sich strafrechtlichen Bewertungen. Warum dann aber ausgerechnet im Falle des Aggressionsverbrechens eine Angriffshandlung festgestellt werden muss, ist rechtlich nicht nachvollziehbar. Denkbar ist nämlich auch, die anderen Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh ausreichen zu lassen. Bedenkt man zusätzlich die nicht vorhandene Praxis des Sicherheitsrates zur Angriffshandlung, so würden alle Vorschläge, die eine Resolution des Sicherheitsrates verlangen, zur völligen oder zur verzögerten Untätigkeit des IStGH führen.357 Vorgeschlagen wird hier daher eine andere Variante. Sie beruht auf dem Gedanken, dass die drei Tatbestandsmerkmale in Art. 39 VNCh gleichwertig sind. Ihr Inhalt unterscheidet sich nach politischen Gesichtspunkten, rechtliche Unterschiede gibt es jedoch nicht. Daher soll es gleichgültig sein, welche Variante der Sicherheitsrat auswählt. Als Kompromiss und um den außergewöhnlichen Charakter eines völkerrechtswidrigen Ersteinsatzes von Waffengewalt zu unterstreichen, wäre es auch vorstellbar, die Feststellung einer Angriffshandlung und eines Friedensbruchs zu fordern und die Feststellung einer Friedensbedrohung nicht ausreichen zu lassen. Daneben spielt der Gedanke des Art. 24 Abs. 2 VNCh eine Rolle. Die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates für den Weltfrieden kann nicht 355
Vgl. 6. Kapitel. Ebenso Richter Schwebel in seiner diss. op. in IGH, Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 259 ff., insb. S. 290, Rn. 60. „Moreover, while the Security Council is invested by the Charter with the authority to determine the existence of an act of aggression, it does not act as a court in making such a determination. It may arrive at a determination of aggression – or, as more often is the case, fail to arrive at a determination of aggression – for political rather than legal reasons. However compelling the facts which could give rise to a determination of aggression, the Security Council acts within its rights when it decides that to make such a determination will set back the cause of peace rather than advance it. In short, the Security Council is a political organ which acts for political reasons. It may take legal considerations into account but, unlike a court, it is not bound to apply them.“. 357 Gaja, The Long Journey towards repressing Aggression, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 427 (S. 434). 356
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
vernachlässigt werden. Der Gedanke der Charta wird durch den letzten Halbsatz von Art. 5 Abs. 2 IStGH in das Statut übertragen. Zu bedenken bleibt das Leitmotiv dieser Untersuchung: beiden Verträgen die größtmögliche Effektivität zu verschaffen und dabei die Unabhängigkeit von Sicherheitsrat und Strafgerichtshof zu wahren.358 Vor Abschluss der Arbeit der SWGCA ist es unmöglich, das Ergebnis vorherzusagen.359 Dementsprechend lässt sich aus Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut nicht herauslesen, welche Funktion die Definition für die Verfahrenseinleitung haben soll.360 Es ist nicht abzusehen, ob die Feststellung einer „Aggression“ durch den Sicherheitsrat, z. B. durch Feststellung einer Angriffshandlung i. S. v. Art. 39 VNCh (oder eines Friedensbruches), eine Möglichkeit zur Verfahrenseinleitung neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut sein wird. Möglich ist auch, dass der Sicherheitsrat einer Einleitung nach Art. 13 lit. a) oder lit. c) zustimmen muss. Dann wären diese beiden trigger mechanisms einer weiteren Sicherung unterzogen. Eine eigene Stellungnahme kann daher nur Eckpfeiler aufzeigen. Für die Stellungnahme muss am Wortlaut des Statuts angesetzt werden. Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut hält die Leitlinie für die Regelung des materiellen Rechts bereit. Darunter fallen nicht nur völkerstrafrechtliche, sondern auch prozessuale Probleme. Einzig das Verfahren zur Änderung des Statuts ist in Art. 121 IStGH-Statut enthalten. Aus Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut lassen sich somit bei der Ausformung des Tatbestands die Fundamente für eine Regelung herausarbeiten. Dabei bestimmt der Wortlaut, dass auf die VNCh Rücksicht genommen werden soll. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass v. a. Art. 24 Abs. 2 VNCh und die Rolle des Sicherheitsrates nach Kapitel VII VNCh gemeint sind. Auf dessen Feststellung einer möglichen Aggression legt das Statut somit wert. Der Bezug auf die Charta als Ganzes legt in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 VNCh (Hauptverantwortung des Sicherheitsrates361) den Schluss nahe, dass auch andere Organe der VN als feststellendes Organ in Betracht kommen könnten.362 Ein Verfahren vor dem IGH wird dabei nicht effektiv sein. Es nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Die Beteiligung der Generalversammlung ist subsidiär vorstellbar. So können für deren Kompetenz die Grundsätze der Uniting-for-Peace-Resolution363 herangezogen werden. Im Jahr 1950 war der Sicherheitsrat aufgrund der Korea-Krise handlungs358
Dies betont auch Hummrich, S. 232. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1316. Heilmann, S. 184 f. 360 Hummrich, S. 231. 361 IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 ff. (S. 306). 362 So auch Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 147); Hummrich, S. 225. 359
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
205
unfähig. Die Generalversammlung sah darin eine Nichtwahrnehmung der Aufgaben nach Art. 12 Abs. 1 VNCh. Als Folge nahm die GV für sich in Anspruch, den Mitgliedstaaten der VN Maßnahmen zu empfehlen, „if the Security Council fails to exercise its primary responsibility for the maintenance of international peace and security on any case where there appears to be a threat to the peace, breach of the peace or act of aggression“.364 Obwohl eine Nichtwahrnehmung der Befugnisse aus Kapitel VII VNCh eine sinnvolle Aufgabenwahrnehmung sein kann,365 bescheinigte der IGH die Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise.366 Denkbar ist, dass die GV wie in der Resolution vorgesehen Notstandssondersitzungen einberuft, um eine Handlung als Angriffshandlung zu bewerten. Ein solcher Beschluss ist gemäß Art. 10 VNCh nicht verbindlich. Das wird aber (noch) nicht vom Statut gefordert. Für die Handlungsweise durch den Sicherheitsrat gilt Ähnliches. Die Feststellung einer Angriffshandlung, die den engen Bezug zur Aggression hat, erfolgt gemäß Art. 39 VNCh im Rahmen von Kapitel VII. Darauf wird in Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut kein Bezug genommen. Trotzdem ist in der Literatur – soweit ersichtlich – niemand der Auffassung, dass auch eine andere Rechtsgrundlage in Betracht käme. Gaja war der Erste, der erkannt hat, dass nicht nur die Angriffshandlung, sondern auch die beiden anderen Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh in Frage kommen. Denn die drei Varianten in Art. 39 VNCh sind rechtlich völlig gleichwertig, was die Eröffnung von Kapitel VII angeht. Eine Klassifizierung als Angriffshandlung beinhaltet, kurz gesagt, nur eine Schuldzuweisung. Weil der Sicherheitsrat ein politisches Organ ist, haben die Entscheidungen des Sicherheitsrates einen anderen Charakter und eine andere Funktion als Entscheidungen von judikativen Organen. Auch wenn die Feststellung erforderlich sein soll, so bindet sie den IStGH doch nach keinem Vorschlag. Hier bildet die richterliche Unabhängigkeit eine absolute Grenze in der Diskussion. Es geht dem Rat ja gerade nicht um eine völkerrechtliche Bewertung.367 Warum dann aber ausgerechnet im Falle des Aggressionsverbrechens eine Angriffshandlung festgestellt werden muss, erschließt sich nicht. Auf diese Weise kann der drohenden Lähmung in Bezug auf die Aggression vorgebeugt werden. 363 A/RES/377 (V) vom 3. November 1950; vgl. Binder, Uniting for Peace Resolution (1950), EPIL Online Edition, insb. Rn. 19 ff. 364 A/RES/377 (V) Rn. 1; Ipsen/Epping, Völkerrecht, § 32 Rn. 45. 365 Simma/Hailbronner/Klein, UNO-Charter, Art. 12 Rn. 13; Ipsen/Epping, Völkerrecht, § 32 Rn. 45. 366 IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 (S. 162 ff.). 367 Ebenso Richter Schwebel in seiner diss. op. in IGH, Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Report 1986, S. 259 ff., insb. S. 190, Rn. 60.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Lässt man eine Feststellung eines der drei Tatbestandsmerkmale genügen (oder einer Angriffshandlung und/oder eines Friedensbruches), liegt die Verantwortung zuerst beim Ankläger, später bei den Kammern des IStGH. Somit ist zu konstatieren, dass das Statut bisher eine Beteiligung von VN-Organen wünscht. Allerdings ist bislang weder aus Wortlaut noch aus Systematik zu erkennen, dass die Feststellung conditio sine qua non für die Ausübung der Gerichtsbarkeit sein soll. Daher bleibt Raum für die eigenständige Feststellung durch den IStGH, selbst in dem Fall, dass die Uniting-for-Peace-Resolution als subsidiär zur Sicherheitsratsfeststellung angesehen wird. Es würde auf den ersten Blick genügen, ließe man nach der Einleitung nach Art. 13 IStGH-Statut einen Beschluss durch ein VN-Organ genügen (oder einen erfolglosen Fristablauf). Doch vermag diese Lösung nicht, beide Verträge zu möglichst großer Effektivität zu bringen. Dafür bietet von allen vorgestellten Varianten die Variante (f) den am besten geeigneten Ansatzpunkt. Diese unterscheidet zwischen den Varianten des Art. 13 IStGH-Statut. Bei der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut reicht aber diese Überweisungsresolution aus. Welche Tatbestandsvariante der Sicherheitsrat als erfüllt ansieht, interessiert dann den Gerichtshof nicht mehr. Jede Subsumtion ist geeignet, die Strafverfolgung für jeden Tatbestand ausreichen zu lassen. Der Sicherheitsrat hatte die generelle Eröffnung in der Hand. Er will sie entweder ganz oder gar nicht. Eine zweite politische Kontrolle durch den Sicherheitsrat ist nicht erforderlich. Diese widerspreche auch den Wertungen von Art. 13 lit. b), 16 IStGH-Statut. Es bleibt, für die Varianten Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut eine mögliche Verfahrensweise aufzuzeigen. Möglich wäre die Genehmigung einer Strafverfolgung oder der Ermittlungsstopp. Für die vorherige Einwilligung sprechen die früheren Versionen des Aggressionsverbrechens. Demnach war die Strafverfolgung gerade von einer solchen Resolution des Sicherheitsrates abhängig. Die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates bliebe unangetastet. Allerdings würde dies die Systematik des Art. 13 IStGH-Statut durchbrechen. Aufgrund der Natur als Führungsverbrechen käme eine Einwilligung einer Ermittlungseinleitung gleich. Die trigger mechanisms müssten dann anhand der zu untersuchenden Tatbestände weiter differenziert werden. Nur bei den Kriegsverbrechen, den Verbrechen gegen die Menschheit und Völkermord wäre die Systematik gewahrt. Zugespitzt: Jede Strafverfolgung der Aggression wäre ein Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Diese Möglichkeit wird somit abgelehnt.368 368
So auch Hummrich, S. 233 f.
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
207
Für die bloße Möglichkeit, Ermittlungen nach Art. 16 IStGH-Statut zu stoppen, spricht, dass dies die bisher einzige Möglichkeit für den Sicherheitsrat ist, auf einzelne Fälle einzuwirken. Dies ist gerade bei Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut jedoch nicht gewünscht. Ein Untätigbleiben würde zusätzlich im Wertungswiderspruch zu Art. 16 IStGH-Statut stehen – bliebe denn eine Ersatzfeststellung durch GV oder PTC außen vor. Diese Alternative vernachlässigt aber die Stellung, die der Sicherheitsrat bei der Feststellung einer Angriffshandlung hat. Bei Art. 16 IStGH-Statut handelt der Sicherheitsrat nur auf eigenen Antrieb. Das kann mit dem letzten Teil des Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut nicht gemeint sein. Die Formulierung des Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut legt nahe, dass für das Aggressionsverbrechen eine stärkere Einwirkungsmöglichkeit als Art. 16 IStGH-Statut vorgesehen ist.369 Wenn aber die (nachträgliche) Kontrolle nicht ausreichend sein soll, so muss die vorgesehene Beteiligung des Rates den Beginn der Strafverfolgung markieren.370 Eine Möglichkeit, die Vorteile beider Vorschläge aufzunehmen und die Widersprüche zum Statut zu vermeiden, liegt in Abs. 2 und 3 von Kurths Vorschlag. Der Sicherheitsrat muss aufgrund seiner Verantwortung angerufen werden. Reagiert er nicht, so kann der Gerichtshof mit seinen Ermittlungen fortfahren. Dies kann dabei aber nur für die Varianten aus Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut gelten. Bei Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist bezüglich des Aggressionsverbrechens von keiner Besonderheit auszugehen. 10. Eigener Vorschlag Von allen unter II. 5. erwähnten Varianten bietet die letzte (f) den am besten geeigneten Ansatz. Denn dort wird zwischen den verschiedenen Varianten der Verfahrenseinleitung differenziert. Ist ein Verfahren vor dem IStGH nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eröffnet worden, soll diese Überweisung ausreichen. Welches Tatbestandsmerkmal von Art. 39 VNCh der Sicherheitsrat als erfüllt ansieht, spielt dabei keine Rolle. Insofern unterscheidet sich der folgende Vorschlag von der Variante (f) nur dadurch, dass eben keine Feststellung einer Angriffshandlung erforderlich ist. Der Sicherheitsrat „übergibt“ diese Aufgabe an den Ankläger. Der Rat selbst würde um eine politische Schuldzuweisung herumkommen. Der Ankläger würde sich durch eine Aggressionsanklage aber auch nicht beliebt machen, wenn diese auf expliziter Anregung durch den Sicherheitsrat beruht. Steht durch eine Strafverfolgung zu viel auf dem Spiel, 369 370
Hummrich, S. 231. Hummrich, S. 231.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
kann der Rat immer noch den Artikel 16 IStGH-Statut nutzen. Einen Startschuss für die Aggressionsverfolgung befürworten viele Stellungnahmen nur, um die politischen Schwierigkeiten, die eine solche mit sich bringt, möglichst gering zu halten. Diese Schwierigkeiten müssen aber nicht unbedingt vorher beseitigt werden. Eine mögliche Reaktion mit Art. 16 IStGHStatut auf solche Streitigkeiten ist ausreichend. Für die Verfahrenseinleitungen nach Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut muss somit eine Lösung gefunden werden. Dafür bietet sich Kurths Vorschlag an. Der Sicherheitsrat muss einer Strafverfolgung durch den IStGH zustimmen, wenn die Initialzündung durch einen Mitgliedstaat oder den Ankläger selbst erfolgt ist. Ob der Sicherheitsrat dann ausdrücklich eine Angriffshandlung oder auch einen Friedensbruch bzw. eine Friedensgefährdung feststellen muss, kann dahingestellt bleiben. Es böte sich aus den soeben genannten Gründen natürlich an, alle drei Tatbestandsvarianten ausreichen zu lassen. Der Vorteil dieses Vorschlags ist, dass die praktischen Schwierigkeiten der anderen Vorschläge abgemildert werden. In manchen Fällen mag es einfacher sein, eine andere Variante von Art. 39 VNCh anzunehmen, als die Schuld offen zuzuweisen. Deutlich zu machen ist, dass die Strafverfolgung von einer Zustimmung des Sicherheitsrates abhängig bleibt. Nur in den Fällen, in denen der Sicherheitsrat sich weigert zu handeln, kann der IStGH autonom tätig werden. Eine Feststellung durch den Sicherheitsrat weist nur auf eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit hin. Auch ein Urteil gegen einen Politiker oder Befehlshaber hat keine rechtlichen Auswirkungen auf Fragen der Staatenverantwortlichkeit für einen Verstoß gegen Art. 2 Nr. 4 VNCh. Die Gerichtsbarkeit des IStGH ist gemäß Art. 25 Abs. 1 IStGH-Statut auf natürliche Personen beschränkt.371 Hier wird daher folgender Entwurf vorgeschlagen. Ob Kurths Absätze 4 und 5 übernommen werden sollen, bleibt dahingestellt. Art. 8 bis – Verbrechen der Aggression (1) [Definition des Tatbestands] (2) Im Falle des Artikels 13 lit. a) oder lit. c) übt der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über das in Absatz 1 bezeichnete Verbrechen erst aus, wenn der Sicherheitsrat in einer Resolution nach Kapitel VII VNCh festgestellt hat, dass eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. (3) Bleibt eine solche Feststellung oder eine Resolution des Sicherheitsrates nach Art. 16 IStGH-Statut aus, übt der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über dieses 371
hin.
Darauf weist ebenso besonders Nsereko, NordicJIL 71 (2002), S. 497 (S. 507)
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
209
Verbrechen aus, wenn seit dem Zeitpunkt der Unterrichtung des Sicherheitsrates durch den Ankläger über eine dieses Verbrechen betreffende Situation zwölf Monate vergangen sind und der Rat untätig bleibt. (4) [. . .] (5) Im Falle des Artikels 13 lit. b) kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über das in Absatz 1 bezeichnete Verbrechen sofort ausüben.
Eine Einbeziehung der GV oder des IGH scheidet aus. Zwar bleibt es dabei, dass sie subsidiär möglich ist. Aber mit der Fristsetzung an den Sicherheitsrat bleibt der IStGH zumindest subsidiär zuständig. Eine Situation wie in der Korea-Krise, in der der Rat handlungsunfähig war und niemand einspringen konnte, kann nach diesem Vorschlag nicht mehr eintreten. Die Aufnahme von GV oder IGH in den neuen Tatbestand erscheint somit als überflüssig. 11. Folgeproblem: Verneinung durch den Sicherheitsrat Das Erfordernis einer Reaktion des Sicherheitsrates wirft ein Folgeproblem auf. Stellt er positiv eine Situation i. S. v. Art.-39-VNCh-Situation fest, ergeben sich keine Probleme mit dem oben gemachten Vorschlag. Auch bei seinem Schweigen bedarf es keiner weiteren Erläuterung. Lehnt der Sicherheitsrat aber ausdrücklich in einer Resolution ab, dass eine Angriffshandlung vorliegt, stellt sich die Frage nach den Folgen einer solchen Resolution, namentlich ob damit die Gerichtsbarkeit des IStGH ausgeschlossen wird. Sollte dies bejaht werden, stellt sich die Frage, ob dies nicht der Unabhängigkeit des Gerichtshofs widerspreche. Hat die negative Entscheidung aber keinerlei Wirkung, stellt sich die Frage nach dem Sinn einer vorherigen Anfrage. Ist das Ergebnis gleichgültig, braucht man auch den Prozess nicht abzuwarten und kann direkt nach der Anfrage beim Sicherheitsrat mit den Ermittlungen fortfahren. Der Antrag verkäme zu einem Placebo – er wäre überflüssig, aber er gaukelte die Entscheidungshoheit des Sicherheitsrates vor. Dieses Problem stellt sich nach Heilmann nur dann, wenn der Sicherheitsrat das Vorliegen einer Angriffshandlung ablehnt. Bei den beiden anderen Tatbestandsmerkmalen soll ein negativer Bescheid irrelevant sein. Dabei lässt er ein Jurisdiktionshindernis nur gelten, wenn dies im Statut verankert ist. Ein solches liege aber schon im Schweigen des Sicherheitsrates vor. Er lehnt dann aber ab, dass eine ausdrückliche Resolution ein solches Hindernis darstellt.372 Seine Untersuchung lässt allerdings keine Begründung erkennen. Aufgeklärt wird dieser Widerspruch nicht. 372
Heilmann, S. 204 f.
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2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
Das Problem der Bindung des IStGH an eine Ablehnung durch den Sicherheitsrat stellt sich nur, wenn es Raum für Strafbarkeit neben einer zulässigen Gewaltanwendung gibt, wenn also der postulierte, unbedingte Zusammenhang zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit existiert. Das kann der Fall sein, wenn es der Tatbestand vorsieht. Zweifelhaft könnte die logische Voraussetzung einer Angriffshandlung deshalb sein, weil nicht klar ist, wie weit sich die zeitliche Dimension erstreckt. So kann eine Strafbarkeit schon im Vorbereitungs- oder Versuchsstadium bestehen. Dann bestünde u. U. keine völkerrechtliche Verantwortlichkeit, aber Strafbarkeit. Eine Aufnahme der Versuchsstrafbarkeit ist allerdings nur sinnvoll, wenn es bereits zu staatlichem Unrecht gekommen ist. Auch die bisherige Praxis erfordert das Vorliegen eines Verstoßes auf der Makroebene, um auf der Mikroebene die Verantwortlichen zu verfolgen. Von der Versuchsstrafbarkeit sind dann Vorbereitungshandlungen von Personen erfasst, die nicht aktiv an der eigentlichen Aggression teilgenommen haben, deren Verhalten sich also auf das Vorfeld beschränkt. 12. Ergebnis: Das Aggressionsverbrechen als eigenständige Verfahrenseinleitung Vor Abschluss der Arbeit der SWGCA ist es unmöglich, das Ergebnis vorherzusagen.373 Dementsprechend lässt sich aus Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut nicht herauslesen, welche Funktion die Definition für die Verfahrenseinleitung haben soll.374 Es ist nicht abzusehen, ob die Feststellung einer „Aggression“ durch den Sicherheitsrat bspw. im Wege der Feststellung einer Angriffshandlung i. S. v. Art. 39 VNCh, eine Möglichkeit zur Verfahrenseinleitung neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut sein wird. Möglich ist auch, dass der Sicherheitsrat nach Art. 13 lit. a) oder lit. c) zustimmen muss. Dann wären diese beiden trigger mechanisms einer weiteren Sicherung unterzogen.
III. Exkurs: Die Nutzung des IStGH unabhängig von dessen Statut? Der Fall Charles Taylor Am 4. Juni 2003 wurde Anklage gegen Charles Ghankay Taylor vor dem Special Court for Sierra Leone erhoben. Im Mai 2007 wurde die Anklage zum zweiten Mal erweitert.375 373
Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1316. Heilmann, S. 184 f. Hummrich, S. 231. 375 The Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Case No. SCSL-03-01, Indictment, SCSL Doc. No. SCSL-03-01-I-001 vom 3. März 2003; Amended Indicment, 374
6. Kap.: Andere Möglichkeit der Verfahrenseinleitung
211
Der Prozess kann aufgrund von Sicherheitsbedenken jedoch nicht in Freetown, dem Sitz des Tribunals, stattfinden. Daher hat der Präsident des SCSL den IStGH gebeten, in dessen Räumlichkeiten tagen zu dürfen.376 Der Bitte wurde entsprochen und Taylor nach Den Haag überstellt. Dort findet der Prozess vor den Richtern des SCSL statt. Es handelt sich somit nicht um eine Nutzung des IStGH unabhängig vom Statut. Vielmehr wird nur die Infrastruktur genutzt. Der Prozess um Taylor hat keinen rechtlichen Berührungspunkt mit dem IStGH-Statut.
IV. Ergebnis: Verfahrenseinleitungen neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Der bisher einzige Weg für den Sicherheitsrat, die Gerichtsbarkeit des IStGH zu eröffnen, ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Selbst mit seinen Befugnissen aus Kapitel VII VNCh i. V. m. Art. 103 VNCh kann er für den Gerichtshof als Völkerrechtssubjekt „IStGH“ keine Zuständigkeit begründen. Ob die Feststellung einer Angriffshandlung i. S. d. Art. 39 VNCh die Gerichtsbarkeit des IStGH eröffnet, bleibt abzuwarten. Es gibt zahlreiche Vorschläge, das Verbrechen zu definieren und die Rolle des Sicherheitsrates festzulegen. Es erscheint am sinnvollsten, die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates ernst zu nehmen. So soll seine Feststellung vorrangig sein. Allerdings kommen daneben noch andere Organe zur Feststellung oder eine direkte Verfolgung durch den IStGH ohne Feststellung eines VN-Organs in Betracht. Des Weiteren erscheint es sinnvoll, die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates nicht nur auf die Feststellung einer Angriffshandlung zu beziehen, sondern Raum für politisch weniger brisante Formulierungen, wie die Feststellung eines Friedensbruches, zuzulassen.
Zwischenergebnis: Die Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat Der Sicherheitsrat spielt im System des IStGH eine wichtige Rolle. Allerdings sind die Kompetenzen des Sicherheitsrates, so wie sie in den ersten Entwürfen des IStGH-Statuts vorgesehen waren, im Römischen Statut stark SCSL Doc. SCSL-03-01-I-75 vom 17. März 2005; Prosecution’s Second Amended Indictment, SCSL Doc. SCSL-03-01-PT-263 vom 29. Mai 2007. Zur Anklage Meisenberg, HuV-I 2004, S. 30 ff. Die Dokumente sind auf der Homepage des Gerichtshofs zu finden, http://www.sc-sl.org/index.html. 376 Pressemitteilung des SCSL vom 30. März 2006, Special Court President Requests Charles Taylor be Tried in The Hague.
212
2. Teil: Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung
eingeschränkt. Das Kapitel VII VNCh stellt das wichtigste Hilfsmittel für den IStGH dar, um seinen Auftrag der Bekämpfung der Straflosigkeit weltweit zu verfolgen. Die Effektivität von VNCh und IStGH-Statut kann erreicht werden, wenn man beiden Organisationen großen Freiraum lässt. Im Detail wurde dies oben gezeigt. Grundlage ist, dass beide Verträge in ihrem Bereich die oberste Hierarchieebene einnehmen. Anderes Völkerrecht hat sich daran messen zu lassen, wenn es in dem Bereich Geltung und Anwendung erlangen will. Dies geht nur, wenn das jeweilige Primärrecht eine solche Geltung zulässt. Im Bereich der Verfahrenseinleitung ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut die bisher einzige Möglichkeit für den Sicherheitsrat, ein Verfahren vor dem IStGH einzuleiten. Ob nach der Revisionskonferenz die Feststellung einer Angriffshandlung i. S. v. Art. 39 VNCh als weitere Verfahrenseinleitung in Betracht kommt, ist bislang nicht vorhersehbar. Es bestehen jedoch Zweifel daran, dass eine solche Feststellung einen weiteren trigger mechanism neben den aus Art. 13 IStGH-Statut begründet. Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist, die Gerichtsbarkeit des IStGH möglichst universell werden zu lassen. Dies geschieht, indem die rechtlichen Besonderheiten der VNCh herangezogen werden. Durch die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsrat wird die Gerichtsbarkeit des IStGH nahezu global. Um ein Verfahren einzuleiten, müssen die Voraussetzungen aus Statut und Charta erfüllt sein. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut statuiert nur den Kern der Voraussetzungen. Überwiesen werden kann eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Eine solche Situation liegt in jeder Situation nach Art. 39 VNCh vor, die nicht Einzelfälle betrifft und die nicht nach bestimmten Personengruppen, insb. Konfliktparteien, unterscheidet. Die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten von Nichtvertragsparteien des IStGH-Statuts ist dabei zulässig. Daneben muss es den Anschein haben, dass ein oder mehrere Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut, von natürlichen Personen, die zum Tatzeitpunkt mindestens 18 Jahre alt waren, begangen worden sind. Die Verbrechen dürfen nicht vor dem 1. Juli 2002 beendet worden sein. Der Sicherheitsrat muss die Situation im Rahmen einer Resolution nach Kapitel VII VNCh überweisen. Diese muss schriftlich an den Ankläger übermittelt werden. Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen für die Überweisung eines Konflikts durch den Sicherheitsrat an den Strafgerichtshof untersucht worden sind, sollen nun die Rechtsfolgen dargestellt werden.
3. Teil
Die Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat 7. Kapitel
Das Verfahren nach der Überweisungsresolution I. Grundlagen des internationalen Strafprozesses Folge einer Überweisungsresolution ist die Eröffnung der Gerichtsbarkeit des IStGH nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Der Verfahrensgang nach der Überweisungsresolution wird in diesem Kapitel dargestellt. Auf die Unterschiede, die sich zu einem Verfahren ergeben, das nach Art. 13 lit. a) oder lit. c) IStGH-Statut eingeleitet wurde, geht die Untersuchung nur ein, wo diese Unterschiede relevant werden. Grundlegendes Problem bei der Einrichtung eines internationalen völkerstrafrechtlichen Tribunals oder Gerichtshofs ist die Entscheidung, welchem innerstaatlichen System das Verfahren nachgebildet werden soll. Zwei Systeme stehen dabei zur Verfügung.1 Einige Staaten folgen dem System des common law. Es entstammt dem anglo-amerikanischen Rechtskreis. Dort ist das Adversarialprinzip oder adversatorische Prinzip Grundlage eines jeden Strafprozesses. Anklage und Verteidigung stehen sich gegenüber. Die Anklagevertretung bereitet den Prozess gegen einen Verdächtigen vor. Sie sammelt Beweise und versucht so, die Schuld zu belegen. Während der Ermittlungen und des Prozesses konzentriert sie sich auf die Schuld des Verdächtigen. Beweise werden erst im Laufe der Verhandlungen präsentiert und nach einem diffizilen System zugelassen oder zurückgewiesen.
1 Schabas, Introduction to the ICC, S. 236 ff.; Behrens, HuV-I 1998, S. 144 (S. 144); Orie, Accusatorial v. Inquisitorial Approach in International Criminal Proceedings Prior to the Establishment of the ICC and in the Proceedings before the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1439 ff. Marchesiello, Proceedings before the PreTrial Chambers, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1231 (S. 1232), unterscheidet zwischen vier Ausgestaltungen.
214 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
PRELIMINARY EXAMINATION (Potential Situations)
REVISION (Appeals)
INTERLOCUTORY APPEALS INVESTIGATION TRIAL
APPEAL
IMPLEMENTATION
Pre-trial-chamber
Referral
Beginning of an investigation
Arrest warrant
A R R E S T
Conformitation of charges
Conclusion of trial
Abbildung 1: Die verschiedenen Prozessphasen2
Auf der anderen Seite steht das Inquisitionsprinzip, es entstammt den kontinentaleuropäischen Traditionen. Für dieses Prinzip hat sich der englische Begriff civil law durchgesetzt. Anklage wird durch eine Behörde erhoben, die vor Beginn des Prozesses umfassend Beweise gesammelt hat. Sie ist neutral und unparteiisch. Anders als im anglo-amerikanischen System muss sie Beweise zugunsten und zuungunsten des Verdächtigen sammeln. Die Beweise sind Grundlage des Prozesses und somit schon vor Beginn der Verhandlungen beim Gericht vorzulegen. Die Bausteine internationaler Tribunale stammen aus beiden Systemen, je nach Verfahrensstand überwiegen dann inquisitorische oder adversatorische Elemente. So bietet es sich an, die Aufgaben der Anklagebehörde nach dem Inquisitionsprinzip zu gestalten. Die Verteidigung hat es in einem internationalen Prozess schwer, sie kann ihre Arbeit meist nicht ungehindert leisten.3 Daraus ergibt sich, dass für die einzelnen Verfahrensstadien eigene Begriffe gefunden werden mussten. Die Terminologie ist somit nicht vergleichbar mit der anderer Tribunale oder nationaler Justizsysteme.4 Daher ist es nicht immer möglich, den zugrunde liegenden Gedanken herauszulesen und zu erkennen, welches System Pate gestanden hat.5 Die Vertragsstaatenversammlung hat die in Abbildung 1 dargestellte Einteilung vorgenommen.
II. Der Verfahrensgang nach Art. 53 IStGH-Statut Sobald eine Einleitung nach einem der drei trigger mechanisms in Art. 13 IStGH-Statut stattgefunden hat, wird das Verfahren nach dem Statut 2 Darstellung aus Report on the Court Capacity Model, Doc. ICC-ASP/5/10 vom 21. August 2006, Rn. 13. 3 Schabas, Introduction to the ICC, S. 238. 4 Marchesiello, Proceedings before the Pre-Trial Chambers, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 1231 (S. 1233). 5 Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 169).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
215
in Gang gesetzt. Dies ist die fundamentale Rechtsfolge des Art. 13 IStGHStatut. Die Anfangsphase eines jeden Vorgangs beim Gerichtshof wird durch Teil 5 des Statuts – Ermittlungen und Strafverfolgung – geregelt. Dies sind die Regelungen des Art. 53 IStGH-Statut, die zeitlich unmittelbar auf Art. 13 IStGH-Statut folgen.6 Artikel 53 – Einleitung von Ermittlungen (1) Nach Auswertung der ihm zur Verfügung gestellten Informationen leitet der Ankläger Ermittlungen ein, sofern er nicht feststellt, dass es für die Verfahrenseinleitung nach diesem Statut keine hinreichende Grundlage gibt. Bei seiner Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen prüft der Ankläger, a) ob die ihm vorliegenden Informationen hinreichende Verdachtsgründe dafür bieten, dass ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen wurde oder wird, b) ob die Sache nach Artikel 17 zulässig ist oder wäre und c) ob unter Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens und der Interessen der Opfer dennoch wesentliche Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Durchführung von Ermittlungen nicht im Interesse der Gerechtigkeit läge. Stellt der Ankläger fest, dass es für die Verfahrenseinleitung keine hinreichende Grundlage gibt, und beruht diese Feststellung ausschließlich auf Buchstabe c, so unterrichtet er die Vorverfahrenskammer. (2) Gelangt der Ankläger nach den Ermittlungen zu dem Schluss, dass es für eine Strafverfolgung keine hinreichende Grundlage gibt, weil a) keine hinreichende rechtliche oder sachliche Grundlage für die Beantragung eines Haftbefehls oder einer Ladung nach Artikel 58 besteht, b) die Sache nach Artikel 17 unzulässig ist oder c) eine Strafverfolgung unter Berücksichtigung aller Umstände, einschließlich der Schwere des Verbrechens, der Interessen der Opfer, des Alters oder der Gebrechlichkeit des angeblichen Täters sowie seiner Rolle bei dem angeblichen Verbrechen, nicht im Interesse der Gerechtigkeit liegt, so unterrichtet der Ankläger die Vorverfahrenskammer und den nach Artikel 14 unterbreitenden Staat oder den Sicherheitsrat im Fall des Artikels 13 Buchstabe b von seiner Schlussfolgerung und den Gründen dafür. (3) a) Auf Ersuchen des nach Artikel 14 unterbreitenden Staates oder des Sicherheitsrates im Fall des Artikels 13 Buchstabe b kann die Vorverfahrenskammer eine Entscheidung des Anklägers nach Absatz 1 oder 2, nicht weiter vorzugehen, nachprüfen und den Ankläger ersuchen, sie zu überprüfen. b) Darüber hinaus kann die Vorverfahrenskammer aus eigener Initiative eine Entscheidung des Anklägers, nicht weiter vorzugehen, nachprüfen, wenn diese aus6
Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 2; Behrens, HuV-I 1998, S. 144 (S. 145). Vgl. auch Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 (S. 1146).
216 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat schließlich auf Absatz 1 Buchstabe c oder Absatz 2 Buchstabe c beruht. In diesem Fall wird die Entscheidung des Anklägers nur dann wirksam, wenn sie von der Vorverfahrenskammer bestätigt wird. (4) Der Ankläger kann eine Entscheidung über die Einleitung der Ermittlungen oder der Strafverfolgung auf der Grundlage neuer Tatsachen oder Informationen jederzeit überprüfen.
In Abs. 1 und 2 wird deutlich, dass zwei Phasen erfasst werden. Die erste Phase ist die Evaluierung der vorhandenen Informationen (Abs. 1), an diese schließen sich ggf. Ermittlungen an. (Abs. 2). Erreicht wird dadurch eine bessere Ressourcenausnutzung durch die Anklagebehörde.7 Nach den verschiedenen trigger mechanisms wird noch nicht unterschieden. Erst wenn der Ankläger zu negativen Ergebnissen kommt und das Verfahren einstellen möchte, richtet sich das Prozedere nach der Einleitungsart. Wie erwähnt, wird hier nur das Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dargestellt.8 1. Evaluierung der Informationen a) Überprüfung durch den Ankläger aa) Ausreichende Verdachtsmomente Sobald der Anklagebehörde die Resolution des Sicherheitsrates zugegangen ist, beginnt sie mit der Auswertung der darin enthaltenen Informationen.9 Bei Bedarf zieht sie weitere Quellen heran. Es spricht nichts dagegen, dass auch der Sicherheitsrat weitere Ermittlungsergebnisse übermittelt. Regelmäßig wird eine Kommission die tatsächliche Lage für den Sicherheitsrat untersuchen. Deren Bericht kann dem Ankläger zur Verfügung gestellt werden.10 Für eine proprio-motu-Einleitung nach Art. 13 lit. c) IStGH-Statut bestimmt Art. 15 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut, dass der Ankläger von Staaten, Organen der Vereinten Nationen, zwischenstaatlichen oder nichtstaatlichen Organisationen oder anderen geeignet scheinenden Stellen weitere Informationen einholen darf. Dahinter steht der Gedanke der effektiven und 7
Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 6. Für eine Darstellung aller Aspekte von Art. 53 IStGH-Statut vgl. nur Triffterer/ Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 1 ff.; Schabas, Introduction to the ICC, S. 235 ff.; Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 ff. 9 Vgl. Art. 42 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut. 10 Zum Begriff der Information Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 8 f. 8
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
217
umfassenden Arbeit. Daher muss Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dahingehend ausgelegt werden, dass der Ankläger diese Stellen um weitere Auskünfte bitten darf.11 Klar abzugrenzen ist die Evaluierung der ersten Informationen von der zweiten Stufe, der Durchführung von Ermittlungen nach Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut. In diesem späteren Verfahrensstadium haben die Mitgliedstaaten nach einer förmlichen Unterrichtung (Art. 18 Abs. 1 IStGH-Statut, bei einer Einleitung nach Art. 13 lit. c] ist die Zustimmung einer Vorverfahrenskammer erforderlich, Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut) nämlich die Rechte aus Art. 18 IStGH-Statut, die vor allem eigene Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen zulassen.12 Dem Wortlaut des Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut nach überprüft der Ankläger auf dieser ersten Stufe somit anhand der vorgelegten Informationen nur, ob die Einleitung von Ermittlungen Erfolg versprechend ist. Mit den Worten des Statuts muss dafür eine „hinreichende Grundlage“ bzw. „reasonable basis“ vorhanden sein. Im Statut kommt der Begriff mehrmals vor.13 Sein Inhalt ist unklar und nicht immer derselbe.14 Kriterien für den Begriff in Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut sind das Vorliegen hinreichender Verdachtsgründe, der Komplementaritätsgrundsatz und das Interesse der Strafjustiz. Es ist somit eine Mischung aus strafrechtlichen und völkerrechtlichen Kriterien. Sind diese Kriterien erfüllt, so „leitet der Ankläger Ermittlungen ein“. Es liegt nicht in seinem Ermessen, ob er das Verfahren weiterführt, Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut verpflichtet ihn dazu.15 Allerdings hat der Ankläger faktisch einen großen Freiraum. Die Kriterien sind breit gefasst. Insbesondere ist wohl nur schwer festzumachen, was im Interesse der Gerechtigkeit liegt.16 Erschwert wird eine klare Begriffsbildung durch die Aspekte, die das Statut einbezieht. So müssen die Schwere des Verbrechens und die Interessen der Opfer berücksichtigt werden. William Schabas macht auf folgende Hinweise des Anklägers aufmerksam: 11
Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, 1. Auflage, Art. 53 Rn. 9. Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 (S. 1150 f.). 13 Neben Art. 53 in Art. 15 und 58 IStGH-Statut. 14 Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 11. Zu den abgestuften Verdachtsgraden vgl. Judgement on the Appeal of the Prosecutor against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad al Bashir“, ICC-02/05-01/09-73 vom 3. Februar 2010, insb. Rn. 29 ff. 15 Schabas, Introduction to the ICC, S. 242; Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 7. 16 Schabas, Introduction to the ICC, S. 244. Dazu El Zeidy, ICLR 5 (2005), S. 83 (S. 111 ff.). 12
218 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat „The experts are not in a position to make a recommendation on whether the Regulations should contain a further definition of what may constitute ‚interests of justice‘. Were it to be decided that such definition be given, this could comprise the following factors: (a) the start of an investigation would exacerbate or otherwise destabilise a conflict situation; (b) the start of an investigation would seriously endanger the successful completion of a reconciliation or peace process; or (c) the start of an investigation would bring the law into disrepute. Some of the arguments speaking in favour of such inclusion may be: (1) If the criteria are not made public, the Prosecutor will be heavily criticised if he ever makes a decision based on these factors; inclusion brings transparency; (2) It could be important for the Security Council to know these factors and take them into account when deciding whether to refer a case to the ICC; (3) Pursuant to rule 105(4) and (5), the Prosecutor has to give reasons for not starting an investigation of only based on interests of justice assessments.“17
Bislang hat der Ankläger dieses Kriterium noch nicht geltend gemacht, um seine Entscheidung, keine Ermittlungen einzuleiten, zu begründen. Weiterhin könnte hier die Wertung aus Art. 16 IStGH-Statut angebracht sein. Jedoch gehen daraus keine Kriterien hervor, wann der Sicherheitsrat Ermittlungen vorläufig einstellen kann. Im Übrigen dürfte es undenkbar sein, dass Art. 53 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut und Art. 16 IStGH-Statut gleichzeitig problematisch sind. Art. 16 IStGH-Statut dürfte erst bei einzelnen Verfahren anwendbar sein. Dies ist jedoch insb. nach einem Blick in die Praxis äußerst umstritten.18 Das Einstellungskriterium ist dem jedoch vorgelagert. In dem Verfahrensstadium des Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut ist noch niemand namentlich benannt. Allerdings unterliegt eine Einstellung nach Art. 53 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut der ex-officio-Überprüfung durch die Vorverfahrenskammer, Art. 53 Abs. 3b IStGH-Statut. Erst eine Bestätigung durch die Kammer lässt den Entschluss des Anklägers wirksam werden. Somit gibt es ein Mindestmaß an Schutz vor willkürlichem Handeln des Anklägers, der gerichtsintern gewährleistet wird. Für eine Einleitung durch den Sicherheitsrat dürfte dieses Kriterium kein Hindernis darstellen. Eine Strafverfolgung wird regelmäßig im Interesse der Gerechtigkeit liegen. Wäre dies nicht der Fall, hätte der Sicherheitsrat die Situation nicht überwiesen oder, in schwerer wiegenden Fällen, den Art. 16 IStGH-Statut genutzt, um andere Verfahren zu stoppen. Auch das Kriterium aus Art. 53 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut dürfte unproblematisch sein. Die Lage wird vor dem Beschluss über ihre Überweisung eingehend untersucht worden sein. Da die Feststellung einer Situation nach 17 Draft Regulations of the Office of the Prosecutor, S. 19, Fn. 79 zu Regulation 12.2 (c). 18 3. Kapitel VII. 3.
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
219
Art. 39 VNCh erforderlich ist und in diesen regelmäßig Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut begangen werden,19 ist aller Voraussicht nach das Kriterium aus Art. 53 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut regelmäßig erfüllt. Hier gereicht die politische Natur des Sicherheitsrates zum Vorteil. Die im Sicherheitsrat vertretenen Staaten, insb. die ständigen Mitglieder, verfolgen im Rat ihre eigenen politischen Strategien und Ziele. Sie erlassen nicht leichtfertig Resolutionen nach Kapitel VII VNCh. Dem Sicherheitsrat ist bislang nicht vorgeworfen worden, übereifrig zu sein. Die Kritik am Sicherheitsrat betrifft in fast allen Fällen seinen fehlenden Ehrgeiz, alle Konfliktsituationen mit den Mitteln nach Art. 40 ff. VNCh zu behandeln.20 Die Gefahr von unsubstantiierten Vorwürfen vom Sicherheitsrat ist somit gering. bb) Schwerekriterium Weiterhin muss der Ankläger bejahen, dass die untersuchte Situation von ausreichender Schwere ist.21 Aus Art. 53 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut ergibt sich dieses Erfordernis im Stadium der Voruntersuchung und Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen. Die Kammern des Gerichtshofs hatten bislang keine Gelegenheit, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Einzig die Vorverfahrenskammer I hat sich mit Fragen der Schwere, allerdings nicht im Rahmen des Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut, sondern in einer Einzelfallprüfung („case“), befasst.22 Es stellt sich somit die Frage, wie das Erfordernis der Schwere ausgestaltet ist. Die Vorverfahrenskammer I stellt Kriterien auf, bei deren Erfüllung 19
5. Kapitel I. Dabei wird nicht vergessen, dass es durchaus umstrittene Resolutionen gab. Beispiele hierfür sind Resolution 731 vom 21. Januar 1992 und Resolution 748 vom 31. März 1992. Beide treffen Maßnahmen nach dem Terroranschlag in einem Flugzeug über dem schottischen Lockerbie. Zusammen mit anderen Dokumenten ergaben die Resolutionen die Verpflichtung Libyens, seine der Tat verdächtigten Staatsbürger auszuliefern. s. dazu v. a. T. Stein, AVR 31 (1993), S. 206 ff. Aus den letzten Jahren kann hierzu die Resolution 1441 vom 8. November 2002 angeführt werden. Der faktische Hintergrund war zumindest teilweise unklar. Der kritische Abs. 13 gab Anlass zu Diskussionen. 21 Vgl. 5. Kapitel III. 2. 22 Decision Concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr. Thomas Lubanga Dyilo, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-8-US-Corr vom 24. Februar 2006, Annex I Under Seal Decision on the Prosecutor’s Application for warrant of arrest, Article 58, ICC Doc. ICC-01-04-01/06 vom 10. Februar 2006, Rn. 42 ff.; Decision on the Confirmation of Charges, ICC-02/05-02/09-243-Red vom 8. Februar 2010, Rn. 30. 20
220 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
von einer gewissen Schwere ausgegangen werden kann.23 Diese Kriterien müssen zusätzlich zu den materiell-strafrechtlichen Erfordernissen der Art. 6–8 IStGH-Statut vorliegen.24 Die erforderliche Schwere liegt der Kammer zufolge bei der Bejahung von drei Kriterien vor: i) Is the conduct which is the object of a case systematic or large-scale (due consideration should also be given to the social alarm caused to the international community by the relevant type of conduct)? ii) Considering the position of the relevant person in the State entity, organization or armed group to which he belongs, can it be considered that such person falls within the category of most senior leaders of the situation under investigation, and iii) Does the relevant person fall within the category of most senior leaders suspected of being the most responsible, considering (1) the role played by the relevant person through acts or omissions when the State entities, organization or armed group to which he belongs commit systematic or large-scale crimes within the jurisdiction of the Court, and (2) the role played by State entities, organization or armed groups in the overall commission of crimes within the jurisdiction of the Court in the relevant situation?25
Diese Kriterien sind erkennbar nur für den Einzelfall geeignet. Als Anhaltspunkte für die „Schwere“ i. S. d. Art. 53 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut scheiden sie damit aus, soweit sie sich auf einzelne Personen beziehen. Das Kriterium der besonderen Aufmerksamkeit durch die Weltöffentlichkeit in (i) scheidet bei einer Beschlussfassung durch den Sicherheitsrat aus, da ein solches Interesse durch die Resolution zumindest indiziert sein dürfte. Einzig das Kriterium der systematischen Begehung oder der Begehung in großem Ausmaß lässt sich heranziehen. Dafür sind das Vorliegen eines planmäßigen Vorgehens oder die große Zahl von Tätern, Opfern oder Straftaten Indizien.26 cc) Weitere Kriterien Zusätzlich muss der Ankläger überprüfen, ob die Regelungen des Teils 2 des Statuts erfüllt zu sein scheinen. Dazu gehören neben dem Verdacht auf Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut auch die zeitliche, örtliche und persönliche Anwendbarkeit des Statuts.27 23 Pre-Trial-Chamber I, ICC Doc. ICC-01-04-01/06 vom 10. Februar 2006, Rn. 45–63. 24 Pre-Trial-Chamber I, ICC Doc. ICC-01-04-01/06 vom 10. Februar 2006, Rn. 45. 25 Pre-Trial-Chamber I, ICC Doc. ICC-01-04-01/06 vom 10. Februar 2006, Rn. 63. 26 Vgl. auch Murphy, CLF 17 (2006), S. 281 (S. 283). 27 Hoffmeister/Knoke, ZaöRV 59 (1999), S. 785 (S. 794).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
221
Im Rahmen seiner Prüfung dürfte einzig das Komplementaritätskriterium problematisch werden. b) Überprüfung durch den Sicherheitsrat Vorstellbar ist, dass der Sicherheitsrat in seiner Überweisungsresolution feststellt, dass die Kriterien aus Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut erfüllt sind und der Ankläger somit sofort Ermittlungen einleiten kann. Kraft der Sicherheitsratsresolution könnte so der Schritt der Informationsevaluierung übersprungen werden. Dafür spricht die größtmögliche Effektivität. Der Ankläger müsste nicht eine Situation überprüfen, die der Sicherheitsrat im Regelfall schon überprüft hat. Prozessökonomische Gründe sind jedoch nicht entscheidend, solange dies nicht aus dem Statutstext hervorgeht. Der Wortlaut erwähnt eine solche Möglichkeit nicht, schließt sie allerdings auch nicht aus. An zahlreichen Stellen im Statut sind die speziellen Befugnisse des Sicherheitsrates jedoch geregelt. Eine Bindung an die Beschlüsse des Rates muss aufgrund der Hierarchie eindeutig aus dem Statut hervorgehen, da es auf der obersten Hierarchieebene nach Art. 21 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut steht. Insoweit ergeben die Artikel des Römischen Statuts, die den Sicherheitsrat erwähnen, einen numerus clausus der Einwirkungsmöglichkeiten.28 Der Sicherheitsrat kann keine für den Gerichtshof und seine Organe verbindliche Entscheidung über die Kriterien des Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut treffen.29 2. Komplementarität und der Sicherheitsrat Es ist vorstellbar, dass der Grundsatz der Komplementarität in den Fällen des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht gilt. Der Sicherheitsrat könnte sich über diesen Grundsatz hinwegsetzen und auch den Gerichtshof von der Beachtung freistellen. Ausgangspunkt für diese Ansicht ist eine Parallele zu den ad-hoc-Tribunalen.30 Diese sind vorrangig für die einzelnen Verfahren zuständig, staatliche Strafverfolgung kommt erst subsidiär zum Zuge, Art. 9 Abs. 2 ICTY28
Ähnlich Heilmann, S. 122. Cameron, Jurisdiction and Admissibility Issues under the ICC Statute, in: McGoldrick/Rowe/Donnelly, S. 65 (S. 82), behauptet, es könne in den meisten Fällen unterbleiben, er ist aber dagegen, dass diese Rechtswirkung erfolgt. 30 Kreß, Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: FS Richter II, S. 319 (S. 327). 29
222 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Statut, Art. 8 Abs. 2 ICTR-Statut. Dies bedeutet vor allem, dass sie ein vor nationalen Gerichten anhängiges Verfahren jederzeit an sich ziehen können.31 Für sie ist keine dem Art. 17 IStGH-Statut vergleichbare Regelung geschaffen worden. Nutzt der Sicherheitsrat nun seine „Kompetenzen“ aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, so kommt der Gedanke seiner Hauptverantwortung wieder ins Statut. Die Geschichte des Völkerstrafrechts bestätigt die herausgehobene Stellung, die der Sicherheitsrat in diesem Rechtsgebiet einnimmt. Dem Art. 13 lit. b) IStGH-Statut liegt der Gedanke zugrunde, dass der Rat den IStGH als quasi-ad-hoc-Tribunal nutzt.32 Daher könnte der Grundsatz der Komplementarität – parallel zur Konstruktion von ICTY und ICTR – in den Überweisungsfällen nicht gelten. Aus dem Statut ergibt sich nicht ausdrücklich, dass eine solche Freistellung gewünscht ist. Einzig aus Art. 18 IStGH-Statut lässt sich ein unterstützendes Argument ziehen. Die Regelung des Art. 18 IStGH-Statut gilt ausweislich des Wortlauts nicht in den Fällen der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat. Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass der Komplementaritätsgrundsatz in allen Stadien nicht gilt. Art. 18 IStGH-Statut trifft eine Verfahrensregelung zur Überprüfung der Einhaltung dieses Grundsatzes, er statuiert ihn nicht. Aus den Vorarbeiten des Statuts ergibt sich weiterhin, dass die Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat besonders schnell sein sollte („fast-track-proceedings“33). Daher hat man auf den Zwischenschritt des Art. 18 IStGH-Statut verzichtet.34 Seine deutlichste Ausprägung findet der Grundsatz in Art. 17 IStGH-Statut, einem Artikel, der nicht nach den Varianten von Art. 13 IStGH-Statut unterscheidet. Der Grundsatz der Komplementarität ist für den IStGH fundamental. Schon in Abs. 10 der Präambel des IStGH-Statuts wird nachdrücklich darauf hingewiesen, „dass der aufgrund dieses Statuts errichtete Internationale Strafgerichtshof die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit ergänzt“. Es ist auch nicht Funktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut, den Grundsatz für die Fälle der Überweisung auszuschließen. Funktion ist vielmehr nur die Begründung der Gerichtsbarkeit, also die erste Stufe im Untersuchungsverfahren. Allein die Rechtsgrundlage wird geschaffen. Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist daher nicht, auf das Verfahren und dessen einzelne Schritte Einfluss zu nehmen.35 Die Unter31
Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 123 ff. Phillips, CLF 10 (1999), S. 61 (S. 65). 33 Bassiouni, Observations on the Structure of the (Zutphen) Consolidated Text, 13bis, Nouvelles Études pénales 5 (1998), 13 (zitiert nach Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 [S. 1144]). 34 Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 (S. 1144). 35 Zum Komplementaritätsgrundsatz als Voraussetzung für das Verfahren vgl. 5. Kapitel VI. 32
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
223
suchung der Systematik des Statuts in Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte ergibt, dass der Grundsatz so fundamental ist, dass in keinem Fall von der Komplementarität abgewichen werden soll.36 Allerdings wird eine andere Lösung vorgeschlagen, um den Komplementaritätsgrundsatz zu umgehen. Der Sicherheitsrat soll kraft seiner Befugnisse aus Kapitel VII VNCh bindend feststellen, ob ein Staat willens oder in der Lage ist, die Ermittlungen bzw. die Strafverfolgung durchzuführen. Der Gerichtshof und seine Organe sollen in der Folge das staatliche Justizsystem nicht mehr überprüfen müssen. Art. 17 IStGH-Statut und sich darauf beziehende Regelungen werden somit umgangen. Diese Lösung wird nicht nur für diesen ersten Schritt des Verfahrens vorgeschlagen. Es gibt verschiedene Ansätze, die alle darauf hinauslaufen, den Sicherheitsrat vom Komplementaritätsgrundsatz freizustellen. Vorliegend soll dieser Punkt abschließend untersucht werden. Die hier gefundenen Argumente und Ergebnisse gelten für alle Punkte, an denen auf diese Befugnisse des Rates zur verbindlichen Feststellung verwiesen wird. a) Irrelevanz für den Sicherheitsrat Hinter diesem Ansatz steht ein ähnlicher Gedanke wie bei dem soeben erläuterten. Die Strafverfolgung durch den Sicherheitsrat soll möglichst effektiv sein. Die Geltung des Komplementaritätsgrundsatzes wird nicht in Frage gestellt, was zur Integrität des Statuts beiträgt. Kraft seiner Befugnisse aus Art. 39 ff. VNCh könne der Sicherheitsrat den Gerichtshof aber davon entbinden, die Komplementarität zu untersuchen. Er solle die Infrastruktur des IStGH nutzen und ihn von hindernden Beschränkungen frei machen.37 b) Relevanz der Komplementarität als Kriterium auch für Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Genau dort liegt dem anderen Ansatz zufolge der Schwachpunkt der Argumentation. Das Statut muss unbedingt eine Wirkung der Kapitel-VIIVNCh-Befugnisse für den Komplementaritätsgrundsatz anordnen. Ohne ausdrückliche Regelung durch das Statut würde das Regime des IStGH nicht für das VN-Recht geöffnet werden. In keinem Artikel, der sich mit 36
Cassese, International Criminal Law, S. 353. So noch Zimmermann, ZaöRV 58 (1998), S. 47 (S. 94); Zimmermann, MPYBUNL 2 (1998), S. 169 (S. 216). Vorsichtiger nun Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 686). 37
224 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
der Komplementarität beschäftigt, werde eine solche Anordnung getroffen.38 Der Komplementaritätsgrundsatz sei von so großer Bedeutung für den Gerichtshof, dass ein Abweichen hiervon der Systematik des Statuts widerspreche. Wie bereits gezeigt39 kämen Sicherheitsrat und Komplementaritätsgrundsatz in unterschiedlichen Phasen zum Zuge. In Art. 13 lit. b) IStGH-Statut handele es sich um Situationen, während mit Art. 17 IStGH-Statut etc. Einzelfälle behandelt würden.40 In der Überweisungsresolution könne der Sicherheitsrat keine Feststellung bezüglich Art. 17 IStGH-Statut treffen – Einzelfälle dürfe er gerade nicht einleiten.41 Eine gesonderte Resolution zum Komplementaritätsgrundsatz nach Verfahrenseinleitung sei aber eben nur verbindlich, wenn das Statut dies anordne. Dagegen spreche weiterhin die Unabhängigkeit von Anklagebehörde und Vorverfahrenskammer.42 Diese urteilten selbstständig über das Vorliegen der Voraussetzungen. c) Stellungnahme und Ergebnis Der zweiten Ansicht ist zuzustimmen. Wie bereits erwähnt, kann das Kapitel VII VNCh für den Gerichtshof nur Wirkung entfalten, wenn das Statut es ausdrücklich anordnet. Beim Grundsatz der Komplementarität muss dies nachdrücklich betont werden. Er ist Fundament der Gerichtsbarkeit des IStGH. Weder aus dem Statut noch aus den Vorarbeiten geht hervor, dass eine Freistellung des Sicherheitsrates von diesem Erfordernis gewollt war. d) Stadien bis Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut und der Komplementaritätsgrundsatz Grundsätzlich gilt der Komplementaritätsgrundsatz somit auch für Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Für das Stadium von der Überweisungsresolution bis zum Abschluss des Verfahrens nach Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut ist eine zusätzliche Bemerkung erforderlich. Wie gezeigt, ist 38 Hoffmeister/Knoke, ZaöRV 59 (1999), S. 785 (S. 798). Vgl. auch Phillips, CLF 10 (1999), S. 61 (S. 73). 39 5. Kapitel VI. 40 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 627 (S. 638 f.). 41 4. Kapitel III. 4. 42 Hoffmeister/Knoke, ZaöRV 59 (1999), S. 785 (S. 798).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
225
der Grundsatz keine Voraussetzung bei einer Überweisung durch den Sicherheitsrat. Das staatliche Justizsystem muss den Sicherheitsrat nicht interessieren. Wahrscheinlich wird dessen Versagen in einigen Fällen auch die Gefahr für den Weltfrieden erst begründen. Der Grundsatz gilt auch nur für einzelne Verfahren, nicht für den gesamten Komplex eines Konflikts. Der Wortlaut der englischen Fassung des Art. 17 IStGH-Statut ist insoweit deutlich:43 Article 17 Issues of admissibility 1. Having regard to paragraph 10 of the Preamble and article 1, the Court shall determine that a case is inadmissible where: (a) The case is being investigated or prosecuted by a State which has jurisdiction over it, unless the State is unwilling or unable genuinely to carry out the investigation or prosecution; (b) The case has been investigated by a State which has jurisdiction over it and the State has decided not to prosecute the person concerned, unless the decision resulted from the unwillingness or inability of the State genuinely to prosecute; (c) The person concerned has already been tried for conduct which is the subject of the complaint, and a trial by the Court is not permitted under article 20, paragraph 3; (d) The case is not of sufficient gravity to justify further action by the Court. 2. In order to determine unwillingness in a particular case, the Court shall consider, having regard to the principles of due process recognized by international law, whether one or more of the following exist, as applicable: (a) The proceedings were or are being undertaken or the national decision was made for the purpose of shielding the person concerned from criminal responsibility for crimes within the jurisdiction of the Court referred to in article 5; (b) There has been an unjustified delay in the proceedings which in the circumstances is inconsistent with an intent to bring the person concerned to justice; (c) The proceedings were not or are not being conducted independently or impartially, and they were or are being conducted in a manner which, in the circumstances, is inconsistent with an intent to bring the person concerned to justice. 3. In order to determine inability in a particular case, the Court shall consider whether, due to a total or substantial collapse or unavailability of its national judicial system, the State is unable to obtain the accused or the necessary evidence and testimony or otherwise unable to carry out its proceedings.
3. Gerichtliche Kontrolle der Entscheidung Entscheidend für das Verfahren nach Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut ist Art. 53 Abs. 3a IStGH-Statut. Demnach spielen einige der Organe des Gerichtshofs zusammen. Die einzelnen Abteilungen des Gerichtshofs sind in 43
Hervorhebungen durch den Verfasser.
226 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Art. 34 lit. b) IStGH-Statut genannt. Neben der Hauptverfahrensabteilung und der Berufungsabteilung existiert die Vorverfahrensabteilung. Sechs Richter sind ihr zugeteilt und bilden zurzeit drei Kammern. Die Aufgaben der Kammern finden sich in allen Teilen des Statuts.44 Sie lassen sich nach drei Zielrichtungen aufteilen. Sie sollen die optimale Ressourcenverteilung dadurch sicherstellen, dass nur Erfolg versprechende Verfahren weitergeführt, die Rechte der Verdächtigen gewährleistet und die Ermittlungen zum Strafprozess vorangetrieben werden.45 a) Ablehnung des Anklägers und Nachkontrolle Lehnt der Ankläger die Ermittlungseinleitung ab, unterliegt diese Entscheidung grundsätzlich nicht der Kontrolle durch eine Vorverfahrenskammer. Wurde das Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eingeleitet, so ergibt sich nach Art. 53 Abs. 3a IStGH-Statut für diesen Fall etwas anderes.46 Demnach kann der Sicherheitsrat die Vorverfahrenskammer ersuchen, die negative Entscheidung des Anklägers zu überprüfen. Gegebenenfalls ersucht die Vorverfahrenskammer dann wiederum den Ankläger, seine Entscheidung zu überdenken. Dies erscheint vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass der Sicherheitsrat seine Überweisungskompetenz nur selten wahrnehmen wird. Zusätzlich wird es wohl fast immer der Fall sein, dass ein Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut hinreichend substantiiert ist, um Ermittlungen einzuleiten. Daher erscheint eine ablehnende Haltung des Anklägers zumindest als „verdächtig“. Der Prüfungsmaßstab für die Kammer wird nicht ausdrücklich festgelegt. Da es sich um eine Nachprüfung handelt, ist Maßstab für die Entscheidung der Katalog aus Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut.47 Allerdings ist dieses Ersuchen freiwillig. Aus dem Wortlaut des Art. 53 Abs. 3a IStGH-Statut geht hervor, dass der Ankläger nicht gezwungen werden kann, Ermittlungen einzuleiten. Auch der Gedanke einer unabhängigen Behörde spricht dagegen.48 Dementsprechend heißt es in den RPE: 44 Art. 15 Abs. 4, Art. 18 Abs. 3, Art. 19, Art. 61 Abs. 7, Art. 72 Abs. 5 IStGHStatut. 45 Marchesiello, Proceedings before the Pre-Trial Chambers, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 1231 (S. 1235). Vgl. auch Behrens, HuV-I 1998, S. 144 (S. 146); Behrens, EJCCLCJ 6 (1998), S. 113 (S. 115 f.). 46 Zur praktischen Durchführung Regel 104–110 RPE. 47 Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 34.
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
227
Rule 108, Decision of the Pre-Trial Chamber under article 53, paragraph 3 (a) RPE (2) Where the Pre-Trial Chamber requests the Prosecutor to review, in whole or in part, his or her decision not to initiate an investigation or not to prosecute, the Prosecutor shall reconsider that decision as soon as possible.
Nur im Falle des Art. 53 Abs. 3b IStGH-Statut, also wenn der Sachverhalt nicht die erforderliche Schwere aufweist, ersetzt die Entscheidung der Kammer die des Anklägers.49 Hier kann die Kammer den Ankläger dazu verpflichten, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Der Wortlaut der Verfahrens- und Beweisregeln macht dies deutlich. Rule 110, Decision by the Pre-Trial Chamber under article 53, paragraph 3 (b) RPE (2) When the Pre-Trial Chamber does not confirm the decision by the Prosecutor referred to in subrule 1, he or she shall proceed with the investigation or prosecution.
Das Verfahren nach Art. 53 Abs. 3b IStGH-Statut gilt für alle notitiae criminis, somit auch für die Überweisung durch den Sicherheitsrat.50 Im Übrigen besteht keine Verpflichtung des Anklägers, den Sicherheitsrat im Falle der Einstellung des Verfahrens zu informieren. Anders ist es im Falle der Einstellung von Ermittlungen. Nach Art. 53 Abs. 2 a. E. IStGHStatut muss der Ankläger dann den Sicherheitsrat informieren. Dies zeigt erneut, dass Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut vor Ressourcenverschwendung schützen soll. Eine weitere Besonderheit bei einem Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist, dass Art. 18 IStGH-Statut nicht anwendbar ist. Ausweislich seines Wortlauts gilt dieser nur für Einleitungen nach Art. 13 lit. a) und lit. c) des Statuts. Demnach kann schon im ersten Verfahrensstadium durch einen Staat der Einwand erhoben werden, der Grundsatz der Komplementarität werde verletzt. Ein Staat, der Gerichtsbarkeit über diese Fälle hat, kann geltend machen, dass er bereits Ermittlungen durchführt und damit, dass der Ankläger des IStGH seine Ermittlungen einstellen soll. Leitet der Sicherheitsrat das Verfahren nicht nach Art. 13 lit. b) IStGHStatut ein, lässt er dem Ankläger aber Informationen zukommen, so dass dieser seine proprio-motu-Befugnisse aus Art. 13 lit. c) IStGH-Statut nutzen 48
Ebenso Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 36, die darauf verweisen, dass selbst bei einer Bindung des Anklägers an die Entscheidung nicht automatisch ein positives Ergebnis folgen muss. 49 Triffterer/Bergsmo/Kruger, ICC-Statute, Art. 53 Rn. 35. 50 Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 (S. 1157).
228 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
kann, hat der Sicherheitsrat kein Beschwerderecht nach Art. 53 Abs. 3a IStGH-Statut.51 b) Entscheidung durch den Sicherheitsrat Somit kann der Gerichtshof, insb. der Ankläger, ein vom Sicherheitsrat eingeleitetes Verfahren beenden. Das Verhältnis zwischen den beiden hörte auf zu existieren – zumindest in dieser Situation. Denkbar ist aber auch, dass der Sicherheitsrat die Entscheidung der Kammer oder des Anklägers verbindlich ändert. Das heißt, er würde sich über das in Art. 53 IStGH-Statut etablierte System hinwegsetzen und die Hürden beseitigen. Nach dem Statut ist dies nicht möglich. Der Artikel ist so ausdifferenziert, dass er als abschließend betrachtet werden muss. Es käme also nur der Weg über Kapitel VII VNCh in Betracht. Wie oben schon nachgewiesen, haben die Resolutionen nach dem siebten Kapitel nur Wirkung, wenn das Statut dies gestattet. Da dies hier nicht der Fall ist, kann der Sicherheitsrat weder die Entscheidung der Kammer noch die des Anklägers ersetzen. Zu betonen ist zusätzlich, dass eine solche Möglichkeit der Unabhängigkeit von Ankläger und Spruchkörpern zuwiderlaufen würde.52 Wie es Hoffmeister und Knorke prägnant formulieren: „Der Sicherheitsrat kann eine von Ankläger und Vorverfahrenskammer für unzulässig erklärte Sache nicht in eine zulässige verwandeln.“53 4. Zeitlimit für die Auswertung Die Auswertung von Informationen hat den Ankläger bislang viermal dazu gebracht, Ermittlungen einzuleiten. Zahlreiche andere Informationen führten nicht zu Ermittlungen.54 Im Fall DR Kongo wurde nach gut zwei Monaten entschieden, Ermittlungen einzuleiten. Ebenso lange dauerte die Entscheidung im Fall Darfur. Die Situation in Uganda bewertete die Anklagebehörde nach sechs Monaten als Erfolg versprechend. Einzig die Beurteilung der Selbstüberweisung durch 51
Hoffmeister/Knoke, ZaöRV 59 (1999), S. 785 (S. 801). Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 162). 53 Hoffmeister/Knoke, ZaöRV 59 (1999), S. 785 (S. 798). 54 Zu den wichtigsten übrigen Fällen Schabas, Introduction to the ICC, S. 51 ff. Zu beachten ist, dass nicht alle Verfahren öffentlich werden, Moreno-Ocampo, Address to the Assembly of States Parties, 30. November 2007 erhältlich auf der Homepage des IStGH: Zurzeit werden vor allem Kolumbien und die Elfenbeinküste beobachtet. 52
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
229
die Zentralafrikanische Republik erfolgte erst nach 28 Monaten.55 Nach fast zwei Jahren äußerte die Vorverfahrenskammer erstmals Bedenken wegen der langen Dauer. Sie berief sich dabei auf Regel 104 RPE, wonach Ermittlungen „within a reasonable time from the reception of a referral by a State Party under articles 13 (a) and 14 of the Statute, regardless of its complexity“ beendet sein müssen.56 Sie verwies dabei auf andere Regelungen des Statuts und der RPE, in denen dieser oder ein ähnlicher Standard angewandt werde. Dazu gehören die Art. 61 Abs. 1 und 3, Art. 64 Abs. 2, Art. 67 Abs. 1c und Art. 82 Abs. 1d IStGH-Statut, Regel 24 Abs. 2b, Regel 49 Abs. 1, Regel 101 Abs. 1, Regel 106 Abs. 1, Regel 114 Abs. 1, Regel 118 Abs. 1, Regel 121 Abs. 1 und Abs. 6 und Regel 132 Abs. 1 RPE. Die Kammer verlangte vom Ankläger einen Bericht über den aktuellen Stand der Ermittlungen.57 Der Ankläger verwies darauf, dass es im Statut keine Grundlage für das Ersuchen der Kammer gebe. Rn. 1 The Pre-Trial Chamber’s supervisory role, under Article 53 (3), only applies to the review of a decision under Article 53 (1) and (2) by the Prosecutor not to proceed with an investigation or a prosecution. The OTP submits that to date no decision under Article 53 (1) has been made, and that accordingly there is no exercise of prosecutorial discretion susceptible to judicial review by the Chamber. The OTP is nonetheless including in this submission a description of the current status of the preliminary examination of the CAR situation. Rn. 10 The OTP notes that under the terms of the Statute, the referring State only has a right to make a request to the Pre-Trial Chamber to review a prosecutorial decision not to proceed with an investigation or a prosecution. The OTP’s duty, pursuant to Rule 105 (1), is confined to promptly informing in writing the referring State of a decision not to initiate an investigation under Article 53 (1). As already stated in paragraph 1 of this document, the OTP stresses that to date no decision has been made under Article 53 (1), and that accordingly the duty enshrined in Rule 105, and referred to by this Chamber in its 30 November 2006 Decision,7 has not arisen. Finally, the OTP, while committed to reaching decisions under Article 53 (1) as expeditiously as possible, submits that no provision in the Statute or the Rules establishes a definitive time period for the purposes of the completion of the preliminary examination. The OTP submits that this was a deliberate legislative decision that provides the required flexibility to adjust the parameters of the assessment or analysis phase to the specific features of each particular situation. That choice, and the discretion that it provides, should remain undisturbed.58 55 Die Daten stammen von der Homepage des IStGH http://www.icc-cpi.int/ cases.html. 56 Decision Requesting Information on the Status of the Preliminary Examination of the Situation in the Central African Republic, ICC Doc. ICC-01/05-6 vom 30. November 2006, S. 4. 57 Ebd. S. 5. 58 Prosecution’s Report Pursuant to Pre-Trial Chamber Ill’s 30 November 2006 Decision Requesting Information on the Status of the Preliminary Examination of
230 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Trotz dieser Vorbehalte antwortete der Ankläger auf die Bitte der Kammer. Ihm ist zuzugestehen, dass im Statut keine ausdrückliche Fristsetzung erfolgt. Allerdings hat die Kammer recht, wenn sie auf den Beschleunigungsgrundsatz verweist, der einem Strafverfahren, das vor dem IStGH durchgeführt wird, zugrunde liegt. Bei Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut handelt es sich um eine im Vergleich zu den späteren Schritten oberflächliche Prüfung. Da es noch keine Einzelfälle gibt, muss der Ankläger nicht den Standard anlegen, der für einen Prozess gilt. Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Organisationen beobachten heutzutage genau, in welchem Staat welche Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Deren Dokumentationen sind leicht zugänglich. Für die grundlegende Einschätzung einer Situation bedarf es somit nicht mehrerer Jahre. Der Ankläger ist nach dem Statut gehalten, die Prüfung nach Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut schnellstmöglich abzuschließen.59 5. Ermittlungen und deren Abschluss a) Das Verfahren Wenn der Ankläger Erfolgsaussichten sieht, leitet er ohne weiteren Zwischenschritt Ermittlungen ein.60 Der Ankläger ist an Art. 54 IStGH-Statut gebunden. Dort werden seine Rechte und Pflichten aufgelistet. Auffällig ist, dass seine Befugnisse dem inquisitorischen System entstammen.61 Aufgrund der Schwierigkeiten, eine effektive Strafverteidigung auf internationaler Ebene zu gewährleisten „erforscht [er] dabei gleichermaßen die belastenden wie die entlastenden Umstände“ (Art. 54 Abs. 1 a] IStGH-Statut). In diesem Prozessschritt ändert sich der Fokus. Von der Untersuchung der gesamten Situation wendet sich das Augenmerk auf einzelne Vorfälle und Personen. Ziel der Ermittlungen ist es, den Sachverhalt so aufzuarbeiten, dass sich die Täter einem Prozess stellen und mit einer Verurteilung rechnen müssen. Nach Abschluss der Ermittlungen hat der Ankläger einige Möglichkeiten, die dementsprechend auf die Einleitung der eigentlichen Strafverfolgung gerichtet sind. Zwar gibt es auch hier die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen. Dabei dienen dem Ankläger ähnliche Kriterien wie the Situation in the Central African Republic, ICC Doc. ICC-01/05-7 vom 15. Dezember 2006, Rn. 1, 10. 59 So wohl auch Schabas, Introduction to the ICC, 3. Auflage, S. 248. 60 Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 (S. 1159). 61 Schabas, Introduction to the ICC, S. 248; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 13 Rn. 29; Behrens, HuV-I 1998, S. 144 (S. 146).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
231
bei der Aufnahme von Ermittlungen. Allerdings sind sie dem Fortgang des Verfahrens angepasst und beziehen sich auf Einzelfälle. Stellt der Ankläger das Verfahren nicht ein, dann stellt er einen Antrag auf den Erlass eines Haftbefehls oder einer Vorladung gemäß Art. 58 Abs. 1, 7 IStGH-Statut. Einen Beurteilungsspielraum hat er auch hier nicht – solange die Kriterien erfüllt sind.62 Für das Interesse der Gerechtigkeit gilt das oben Erwähnte. Stellt der Ankläger die Ermittlungen ein, so muss er gemäß Art. 53 Abs. 2 a. E. IStGH-Statut den Sicherheitsrat informieren. Dabei muss er seine Entscheidung begründen. Nach Art. 53 Abs. 3a IStGH-Statut kann der Sicherheitsrat auch diese Entscheidung bei der Vorverfahrenskammer anfechten. Dafür gelten die unter 3. gemachten Ausführungen. b) Entscheidung des Sicherheitsrates zur Einleitung von Ermittlungen Der Sicherheitsrat kann den Ankläger mit einer Resolution nach Kapitel VII nicht zur Einleitung von Ermittlungen ohne vorherige Prüfung ermächtigen. Insoweit gelten hier die Ausführungen zu Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut entsprechend. Da das Statut eine Entscheidung des Sicherheitsrates dazu, ob eine hinreichende Grundlage gegeben ist, nicht vorsieht, kann eine entsprechende Resolution keine Wirkung auf das Verfahren vor dem IStGH haben. 6. Staatliche Kooperationspflichten a) Grundlegende Bemerkungen In einem internationalen Verfahren ist es beileibe nicht so, dass nur die Verteidigung einen schweren Stand hat. Auch die Anklagebehörde hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie hat keine eigenen Vollstreckungsorgane.63 Die Durchführung der Ermittlungen wird somit in vielen Fällen von der Bereitschaft der Staaten abhängen.64 Auch wenn sie zur Koopera62
Turone, Powers and Duties of the Prosecutor, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1137 (S. 1152 ff., 1172). 63 Swart, International Co-operation, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1589 (S. 1589); Schomburg, Die Zusammenarbeit mit den Internationalen Strafgerichtshöfen, in: St. Kirsch, S. 129 (S. 129); Rinoldi/Parisi, International Co-Operation and Judicial Assistance between the International Criminal Court and State Parties, in: Lattanzi/ Schabas, S. 339 (S. 340); Bruer-Schäfer, S. 274. 64 Cassese, International Criminal Law, S. 355; Triffterer/Kreß/Prost/Wilkitzki, ICC-Statute, Part 9 Preliminary Remarks, Rn. 1; Behrens, HuV-I 1998, S. 144 (S. 146); Kreß, HuV-I 1998, S. 151 (S. 155); Schomburg, Die Zusammenarbeit mit
232 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
tion verpflichtet sind, wird nicht jeder Staat helfen, wo er nur kann. So wird es auch der Ankläger nicht einfach haben, Beweise zu sammeln, Verdächtige oder Zeugen zu befragen und Tatorte zu besuchen.65 Dies wird noch durch das Paradox verstärkt, dass der Staat zwar helfen soll, aber genau dessen Behörden weder als fähig noch willens nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut beurteilt werden, die Fälle selbst zu bearbeiten.66 Potenziert wird dies nochmals, wenn die Anklagebehörde auch gegen Mitglieder des staatlichen Apparats ermittelt. Bei der Zusammenarbeit sind im internationalen Justizsystem zwei Herangehensweisen denkbar.67 Auf der einen Seite ein Modell, in dem der Gerichtshof den Staaten übergeordnet ist (vertikales Modell oder „supra-statemodel“). Er kann allgemeine Kooperation, Beweisherausgabe und Ähnliches verlangen. Insbesondere hat er das letzte Wort, was die Frage angeht, ob Beweise die staatliche Sicherheit in dem Maße gefährden, dass sie dem Gerichtshof vorenthalten werden müssen.68 Auf der anderen Seite steht das Modell, in dem die Zusammenarbeit unter Gleichen erfolgt (horizontales Modell oder „inter-state-model“). Grundlage ist dabei der Konsens zwischen den Beteiligten. Daher wird in diesem Modell die Zusammenarbeit meist durch Vertrag geregelt.69 Der Gerichtshof und dessen Organe haben keinerlei Rechtsmacht über die Staaten – außer dass der Gerichtshof dessen Staatsangehörige verurteilen darf. Er kann Staaten zu keiner Zusammenarbeit zwingen. Die Souveränität der Staaten gilt in diesem Modell als entscheidend und nahezu unantastbar. den Internationalen Strafgerichtshöfen, in: St. Kirsch, S. 129 (S. 129); Rinoldi/Parisi, International Co-Operation and Judicial Assistance between the International Criminal Court and State Parties, in: Lattanzi/Schabas, S. 339 (S. 339); Bruer-Schäfer, S. 274. 65 Schabas, Introduction to the ICC, S. 249; Mochochoko, International Co-operation and Judicial Assistance, in: Lee, ICC, S. 305 (S. 305). 66 Swart/Sluiter, The International Criminal Court and the International Criminal Co-operation, in: FS Bos, S. 91 (S. 92). 67 Grundlegend The Prosecutor v. Tihomir Blaskic, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Case No. IT-95-14-AR108 bis, Urteil vom 29. Oktober 1997, Rn. 47, 54. Der Kammer folgend Swart, International Co-operation, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1589 (S. 1590 ff.); Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 164), Cassese, International Criminal Law, S. 356; Kreß, HuV-I 1998, S. 151 (S. 155); Triffterer/Kreß/ Prost/Schlunck/Wilkitzki, ICC-Statute, 1. Auflage, Part 9 Preliminary Remarks, Rn. 3; Swart/Sluiter, The International Criminal Court and the International Criminal Co-operation, in: FS Bos, S. 91 (S. 97 ff.); Mochochoko, International Co-operation and Judicial Assistance, in: Lee, ICC, S. 305 (S. 305). 68 Cassese, International Criminal Law, S. 356; Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 164). 69 Swart, International Co-operation, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1589 (S. 1590 ff.); Cassese, International Criminal Law, S. 356.
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
233
b) Der IStGH und die Vertragsstaaten Im Falle des IStGH haben sich die Staaten im Großen und Ganzen für das zweite Modell entschieden, durchsetzt mit Elementen des vertikalen Modells.70 Der Ankläger ist zum Großteil auf die Mithilfe der Staaten angewiesen. Er hat keine effektiven Mittel zur Hand, den Staaten mit verbindlicher Autorität gegenüberzutreten. Kritisiert wurde, dass zu viele „Schlupflöcher“ (Cassese) für die Staaten existieren.71 Das Statut sieht für Vertragsstaaten ein ausdifferenziertes System der Rechtshilfe vor. In Teil 9, Art. 86–102 IStGH-Statut werden ihnen zahlreichen Pflichten auferlegt. Diese unterscheiden sich grundsätzlich nicht nach der Art der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Nur wenn ein Vertragsstaat seine Kooperationspflichten verletzt, ergeben sich im Hinblick auf Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Besonderheiten. Für die Verletzung der Zusammenarbeitspflicht trifft das Statut folgende Regelung: Art. 87 – Ersuchen um Zusammenarbeit: Allgemeine Bestimmungen – IStGHStatut (7) Leistet ein Vertragsstaat entgegen diesem Statut einem Ersuchen des Gerichtshofs um Zusammenarbeit nicht Folge und hindert er dadurch den Gerichtshof an der Wahrnehmung seiner Aufgaben und Befugnisse aufgrund dieses Statuts, so kann der Gerichtshof eine entsprechende Feststellung treffen und die Angelegenheit der Versammlung der Vertragsstaaten oder, wenn der Sicherheitsrat die Angelegenheit dem Gerichtshof unterbreitet hat, dem Sicherheitsrat übergeben.
Geändert wird in diesem Fall somit der Adressat einer „Beschwerde“ der Organe. Zusätzlich ermächtigt diese Regelung den Gerichtshof dazu, Kooperationsabkommen mit Nichtvertragsparteien zu schließen.72 Adressat der Pflicht sind die Staaten. Eine direkte Verpflichtung von Individuen kommt nach der Rechtsprechung des ICTY im Blaskic-Fall nicht in Betracht.73 Für weitere Einzelheiten zum Kooperationsregime kann hier auf den Vertragstext und die Literatur verwiesen werden.74 70
Swart, International Co-operation, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1589 (S. 1594 f.); Cassese, International Criminal Law, S. 358; Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 164); Kreß, HuV-I 1998, S. 151 (S. 161); Bruer-Schäfer, S. 275. 71 Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 165, 170). 72 Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1617). 73 Prosecutor v. Tihomir Blaskic, Case No. IT-95-14-AR108 bis, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Rn. 41 ff. 74 Swart, International Co-operation, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1589 ff.; Swart, Arrest and Surrender, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1639 ff.; Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 ff.; Ciampi, Other Forms of Coopera-
234 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
c) Der IStGH und die Nichtvertragsstaaten Grundsätzlich können Nichtvertragsparteien durch das Statut nicht zur Zusammenarbeit verpflichtet werden.75 Entgegen der offiziellen Haltung der US-Regierung76 stellt das Statut keine Verletzung dieses Grundsatzes dar.77 Es stellt sich aber die Frage, ob und in welchem Umfang Nichtvertragsparteien des IStGH-Statuts durch eine Resolution des Sicherheitsrates zur Zusammenarbeit verpflichtet werden können. Vorstellbar ist, dass eine Überweisungsresolution automatisch eine Zusammenarbeitspflicht begründet, die sich an den Verpflichtungen für Vertragsstaaten orientiert. Der Sicherheitsrat könnte diese wirksame völkerrechtliche Pflicht schaffen, ohne dies ausdrücklich im Beschluss zu bestimmen. Doch zeigt das System der Kooperation in Teil 9 des Statuts, dass zwischen Eröffnung bzw. Anerkennung der Gerichtsbarkeit und der Zusammenarbeit getrennt werden muss. Während in Art. 12 ff. IStGH-Statut die Eröffnungswege für die Gerichtsbarkeit festgelegt werden, regelt der Teil 9 des Statuts, also die Art. 86 ff. IStGH-Statut, die Pflichten zur Kooperation der Staaten mit dem Gerichtshof. Dort ist von Vertragsstaaten die Rede. Eine Überweisungsresolution des Sicherheitsrates bezieht sich jedoch nur auf die Eröffnung der Gerichtsbarkeit, da der Wortlaut von Art. 13 IStGHStatut auf die Gerichtsbarkeit verweist. Dies ergibt sich auch aus dem systematischen Standort von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut in Teil 1 – Gerichtsbarkeit, Zulässigkeit und anwendbares Recht. Hätte die Resolution automatisch die Kooperationspflicht zur Folge haben sollen, so hätte dazu noch eine Regelung im 9. Teil des Statuts getroffen werden oder der Art. 13 IStGH-Statut hätte auf die Kooperation verweisen müssen. tion, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1705 ff.; Cassese, International Criminal Law, S. 248 ff.; Kreß, HuV-I 1998, S. 151 (S. 155); Schomburg, Die Zusammenarbeit mit den Internationalen Strafgerichtshöfen, in: St. Kirsch, S. 129 (S. 134 ff.); Rinoldi/Parisi, International Co-Operation and Judicial Assistance between the International Criminal Court and State Parties, in: Lattanzi/Schabas, S. 339 ff.; Kreß, EJCCLCJ 6 (1998), S. 126 (S. 133 ff.); Swart/Sluiter, The International Criminal Court and the International Criminal Co-operation, in: FS Bos, S. 91 ff.; sowie die Kommentierungen zu den Art. 86 ff. IStGH-Statut in Triffterer, ICC-Statute. 75 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 86 Rn. 3; König, S. 158; Danilenko, ICC Statute and Third States, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1871 (S. 1889); BruerSchäfer, S. 283. 76 Scheffer, International Criminal Court: The Challenge of Jurisdiction, Adress at the Annual Meeting of the American Society of International Law, 26. März 1999 (zitiert nach Mégret, EJIL 12 (2001), S. 247 [S. 248]). Am prominentesten aus der Literatur Wedgwood, EJIL 10 (1999), S. 93 ff.; Scheffer, AJIL 1993 (1999), S. 12 ff. 77 Mégret, EJIL 12 (2001), S. 247 (S. 249); Paust, VanderbiltJTL 33 (2000).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
235
aa) Möglichkeiten zur Zusammenarbeit Einen ersten Ansatz zur Ermittlung des Umfangs der Zusammenarbeitspflicht dritter Staaten bietet Art. 87 Abs. 5 IStGH-Statut. Art. 87 – Ersuchen um Zusammenarbeit: Allgemeine Bestimmungen – IStGHStatut (5) a) Der Gerichtshof kann jeden Staat, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist, ersuchen, aufgrund einer ad hoc-Vereinbarung, einer Übereinkunft mit diesem Staat oder auf jeder anderen geeigneten Grundlage Unterstützung nach diesem Teil zu leisten.
Diese Regelung ist Ausprägung des pacta-tertiis-Grundsatzes.78 Ohne Zustimmung eines Staates kann dieser nicht gebunden werden. Eine Zustimmung ist im Völkerrecht auf mehrere Arten denkbar. Zwei sind ausdrücklich im Statut angesprochen, andere in der dritten Variante impliziert. Das am häufigsten gebrauchte Instrument des modernen Völkerrechts ist der Vertrag. Hier ist die Zustimmung eines Staates vorhanden und in den Einzelheiten nachweisbar.79 Auf dieses Instrument verweisen die ersten beiden Varianten des Art. 87 Abs. 5a IStGH-Statut. Damit verbunden ist die Befugnis, mit Nichtvertragsparteien „Formen internationaler Zusammenarbeit zu vereinbaren“.80 Die erste Möglichkeit ist somit die ad-hoc-Vereinbarung. Diese ist sauber von der ad-hoc-Erklärung aus Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut abzugrenzen. Erklärt ein Nichtvertragsstaat nach Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut, dass er die Gerichtsbarkeit über ein in Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut genanntes Verbrechen anerkennt, kommen seine Kooperationspflichten denen eines Vertragsstaates sehr nahe. Dies gilt dann nur für das in der Erklärung genannte Verbrechen.81 Der Umfang ist dann aus dem Statut zu ermitteln, d.h. Teil 9 des Statuts, insb. Art. 86 IStGH-Statut („Die Vertragsstaaten arbeiten nach Maßgabe dieses Statuts [. . .]“), auch wenn der Wortlaut auf Vertragsstaaten Bezug nimmt.82 Erklärende Staaten gelten in diesem Umfang dann als solche. Wie erwähnt, ist eine ad-hoc-Erklärung nicht zu verwechseln mit der adhoc-Vereinbarung, die in Art. 87 Abs. 5 IStGH-Statut angesprochen ist. Eine ad-hoc-Vereinbarung ist ein Vertrag, durch den ein Staat sich ver78
Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 18. Abgesehen von Fällen der Art. 51 f. WVK. 80 Kreß, HuV-I 1998, S. 151 (S. 156). 81 Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1616); Kaul, Preconditions to the exercise of jurisdiction, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 583 (S. 610). 82 Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1616). 79
236 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
pflichtet, in einer Situation oder einem Fall mit dem Gerichtshof zu kooperieren.83 Die Kooperation basiert dann nicht auf einer „materiellen Anerkennung“ wie bei Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut, sondern ist konfliktakzessorisch. Die Zuständigkeit des IStGH wird durch eine solche ad-hoc-Vereinbarung gerade nicht anerkannt. Einzig die Regelungen zur Zusammenarbeit werden dann für den Staat verbindlich.84 In welchem Umfang dies der Fall sein wird, ist eine Einzelfallfrage. Im jeweiligen Abkommen kann der Staat seine Verpflichtung selbst bestimmen und so hinter den Regelungen des neunten Teils zurückbleiben oder sogar – wohl nur eine theoretische Möglichkeit – darüber hinausgehen.85 Was dagegen eine Übereinkunft (Variante 2) sein soll, ist unklar. Vorstellbar ist, dass sie bloß abstrakt gilt, also losgelöst vom jeweiligen Konflikt. Ein Staat kann dann mit dem IStGH einen Vertrag schließen, in dem er sich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Damit ist dann wieder nicht die Anerkennung der Gerichtsbarkeit verbunden, sondern eine reine Hilfeleistung in der Vollstreckung. Möglich ist auch, dass der Begriff bloß ein Synonym zur ad-hoc-Vereinbarung sein soll. Die dritte Variante des Art. 87 Abs. 5 IStGH-Statut stellt ein Einfallstor für verschiedene Institute dar. Hier kommen Regelungen aus dem VNRecht oder aus anderen Verträgen in Betracht, die einen oder mehrere Staaten zur Kooperation verpflichten. Entscheidend ist dabei, dass ein Rechtsbindungswille zu erkennen ist.86 bb) Nutzung dieser Möglichkeiten durch die Staaten Vertragsrechtliche Pflichten könnten sich aus den Genfer Konventionen von 1949 ergeben. Dort ist die Verpflichtung der Staaten festgeschrieben, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts sicherzustellen. Diese gilt auch gewohnheitsrechtlich. Vorstellbar ist, dass diese Verpflichtung in einer besonderen Situation nur durch Kooperation mit dem IStGH eingehalten werden kann87 und in der Folge eine Zusammenarbeitspflicht begründet. Dazu dürfte der Text der Genfer Konventionen jedoch zu knapp sein. Einzig die Konstellation, in der ein Staat seiner Bestrafungspflicht aus den 83
Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1617). Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1617). 85 Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1617); Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 21; Palmisano, The ICC and Third States, in: Lattanzi/Schabas, S. 391 (S. 424 f.). 86 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 23. 87 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 20. Vgl. auch Palmisano, The ICC and Third States, in: Lattanzi/Schabas, S. 391 (S. 419 ff.). 84
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
237
Genfer Konventionen nicht nachkommt, Vertragspartei des IStGH-Statuts ist und der Konflikt, in dem der Staat seine Pflicht nicht befolgt, der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegt, kann eine Kooperationspflicht begründen. Wichtigste Grundlage für die Begründung einer Rechtspflicht für Staaten auch gegen ihren aktuellen Willen ist das Kapitel VII VNCh. Liegt eine solche Sicherheitsratsresolution vor, so verliert der Unterschied zwischen Vertragsparteien und Nichtvertragsparteien an Bedeutung.88 Rechtsgrundlage bleibt aber die Charta, insb. deren Art. 25, 42 und 103. Das Statut gibt nur den Rahmen vor, in dem sich die Zusammenarbeit abspielen soll.89 Das Konsenserfordernis des Völkerrechts wird nicht umgangen. Mit seinem Beitritt zu den VN erkennt der Staat das siebte Kapitel als verbindlich an. Ihm ist spätestens aufgrund von Art. 25 VNCh bewusst, dass dessen Regelungen für ihn verbindlich sind – auch wenn er Adressat der Maßnahmen oder Sanktionen sein sollte. Die Rechtsfolge einer solchen Resolution ist somit die Zusammenarbeitspflicht mit dem IStGH. Die Reichweite einer solchen Pflicht ergibt sich dabei aus der jeweiligen Resolution und kann hier nicht abstrakt begründet werden.90 Wichtig dürften vor allem Regelungen zur Festnahme und Überstellung an den IStGH sein. In der Resolution 1593 verpflichtete der Sicherheitsrat die Regierung des Sudan, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten und seinen Organen Hilfe zukommen zu lassen.91
88 Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1616); Palmisano, The ICC and Third States, in: Lattanzi/Schabas, S. 391 (S. 417). 89 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 19; Danilenko, ICC Statute and Third States, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1871 (S. 1889); Palmisano, The ICC and Third States, in: Lattanzi/Schabas, S. 391 (S. 418); Bruer-Schäfer, S. 283; Ph. Kirsch, Introduction, in: FS Bos, S. 1 (S. 5). 90 Ob eine Resolution, die nur eine Situation an den IStGH überweist, eine Kooperationspflicht begründet, ist zweifelhaft. Sie bezieht sich auf einen anderen Verfahrensschritt und hat grds. nur zum Ziel, die Gerichtsbarkeit des IStGH auszuweiten. A. A. Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 101), der eine Zusammenarbeitspflicht durch die Überweisungsresolution gesichert sieht. So auch Palmisano, The ICC and Third States, in: Lattanzi/Schabas, S. 391 (S. 417 f.). Aufgrund der Teilung in die Teile 1 und 9 des Statuts kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. 91 Auf den genauen Inhalt der Kooperationspflicht des Sudan wird im 11. Kapitel IV. 1. eingegangen.
238 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
d) Die Folgen der Verletzung einer Kooperationspflicht aa) Völkerrechtliche Verantwortlichkeit Unabhängig von einer Mitgliedschaft im IStGH zieht die Verletzung seiner Kooperationspflicht die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates nach sich.92 Der Staat kann somit Beklagter in einem Prozess sein. Allerdings findet dieser nicht vor dem IStGH statt. Dazu verleiht ihm das Statut keine Kompetenz. Der Rechtsweg zu anderen Gerichten – allen voran natürlich der IGH – könnte aber ausgeschlossen sein, wenn das Statut ein self-contained-Regime darstellte. Das Urteil im Teheraner Geiselfall legt dafür die Kriterien fest. The rules of diplomatic law, in short, constitute a self-contained régime which, on the one hand, lays down the receiving State’s obligations regarding the facilities, privileges and immunities to be accorded to diplomatic missions and, on the other, foresees their possible abuse by members of the mission and specifies the means at the disposal of the receiving State to counter any such abuse. These means are, by their nature, entirely efficacious, for unless the sending State recalls the member of the mission objected to forthwith, the prospect of the almost immediate loss of his privileges and immunities, because of the withdrawal by the receiving State of his recognition as a member of the mission, will in practice compel that person, in his own interest, to depart at once. [. . .]93
Der Vertrag muss somit für seine Verletzungen alle zur Verfügung stehenden Mittel abschließend aufzählen. Ob dies der Fall ist, kann nur durch Auslegung des Vertrages geklärt werden. Das Statut gibt dem Gerichtshof nur die Kompetenz, einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten festzustellen. Bei einem Feststellungsurteil kann der Gerichtshof ggf. aber keinen Schadensersatz zusprechen.94 Gemäß Art. 87 Abs. 7 i. V. m. Art. 112 Abs. 2 lit. f) IStGH-Statut berät im Anschluss die Vertragsstaatenversammlung über die Frage. Das Statut würde ein self-contained-Regime darstellen, wenn der Ausschluss des Schadensersatzes so gewollt gewesen wäre. Dem ist aber nicht so. Die Staaten bestehen bei einer Völkerrechtsverletzung auf einer irgendwie gearteten Wiedergutmachung. Daneben kann auch der Sicherheitsrat nach Art. 87 Abs. 7 IStGH-Statut Maßnahmen ergreifen. Das Statut sieht vor, dass im Falle einer Überweisung 92
Bruer-Schäfer, S. 283. IGH, Case concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (USA v. Iran), Urteil vom 24. Mai 1980, ICJ Reports 1980, S. 3 ff. Rn. 86. 94 Swart/Sluiter, The International Criminal Court and the International Criminal Co-operation, in: FS Bos, S. 91 (S. 122). 93
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
239
nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht nur die Vertragsstaatenversammlung, sondern auch der Sicherheitsrat „angerufen“ werden kann. Die fehlende Kooperation wird diesem angezeigt. Der Sicherheitsrat kann dann seine Kompetenzen nutzen und ggf. gegen den Staat, der seine Kooperationsverpflichtungen verletzt, Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII VNCh ergreifen.95 Somit stellt das Statut kein self-contained-Regime für die Verletzung der Kooperationspflichten dar.96 Bei einer Verletzung der Kooperationspflichten kann der Rechtsweg zum IGH gewählt werden.97 bb) Sicherstellung der Zusammenarbeit durch den Sicherheitsrat Neben dem IGH kann aber auch der Sicherheitsrat die Zusammenarbeit sicherstellen. Die relevanten Regelungen basieren auf der Blaskic-Subpoena-Entscheidung des ICTY. Dort hatte die Kammer nur annehmen können, dass sie bei einer Nichtbefolgung der Zusammenarbeitsregelungen durch einen Staat an den Sicherheitsrat berichten dürfe.98 Für den IStGH ist diese Kompetenz nun festgeschrieben. Art. 87 – Ersuchen um Zusammenarbeit: Allgemeine Bestimmungen – IStGHStatut (5) b) Leistet ein Staat, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist und der eine ad-hoc-Vereinbarung oder eine Übereinkunft mit dem Gerichtshof getroffen hat, einem aufgrund der Vereinbarung oder eine Übereinkunft gestellten Ersuchen um Zusammenarbeit nicht Folge, so kann der Gerichtshof die Versammlung der Vertragsstaaten oder, wenn der Sicherheitsrat die Angelegenheit dem Gerichtshof unterbreitet hat, den Sicherheitsrat davon unterrichten. (7) Leistet ein Vertragsstaat entgegen diesem Statut einem Ersuchen des Gerichtshofs um Zusammenarbeit nicht Folge und hindert er dadurch den Gerichtshof an der Wahrnehmung seiner Aufgaben und Befugnisse aufgrund dieses Statuts, so kann der Gerichtshof eine entsprechende Feststellung treffen und die Angelegenheit der Versammlung der Vertragsstaaten oder, wenn der Sicherheitsrat die Angelegenheit dem Gerichtshof unterbreitet hat, dem Sicherheitsrat übergeben. Article 87 – Requests for cooperation: general provisions (7) Where a State Party fails to comply with a request to cooperate by the Court contrary to the provisions of this Statute, thereby preventing the Court from exer95
So auch Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 37, 26. Kreß, HuV-I 1998, S. 151 (S. 155). 97 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 33, weisen darauf hin, dass der Teil 9 IStGH-Statut bezüglich der Rechtfertigungsgründe wohl ein self-containedRegime darstellt. 98 Prosecutor v. Tihomir Blaskic, Case No. IT-95-14-AR108 bis, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997 vom 29. Oktober 1997, Rn. 33. 96
240 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat cising its functions and powers under this Statute, the Court may make a finding to that effect and refer the matter to the Assembly of States Parties or, where the Security Council referred the matter to the Court, to the Security Council.
Für die vorliegende Untersuchung sind einige Dinge auffällig. Zum einen wird nur eine Regelung für das Versäumnis von Vertragsstaaten geschaffen. Weder Staaten, die sich zur Kooperation bereit erklärt haben, noch solche, die einer Verpflichtung nur aufgrund einer Sicherheitsratsresolution unterliegen, müssen mit einer Überweisung an den Sicherheitsrat rechnen. Seine Befassung stellt nach der Bewertung durch eine Kammer und die Vertragsstaatenversammlung das letzte Mittel dar, um die Kooperation zu gewährleisten. Zusätzlich scheint der Sicherheitsrat nur in solchen Fällen angerufen werden zu können, in denen er selbst das Verfahren durch Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausgelöst hat. Ob das Statut hinsichtlich dieser Fragen ein self-contained-Regime darstellt, ist unklar.99 Ob die Organe des Gerichtshofs den Sicherheitsrat aber (offiziell) anrufen dürfen, kann außer Betracht bleiben. Denn das Statut kann die Grenzen für die Kompetenzen des Sicherheitsrates nicht festlegen. Betrachtet man den Fall einer Nichtbefolgung der Zusammenarbeitspflicht vom Standpunkt der Charta aus, ergibt sich ein anderes Bild. Der Rat genießt nach dem siebten Kapitel einen weiten Ermessensspielraum bezüglich seiner Handlungsentscheidung und der Wahl der Mittel. Nach dem Recht der VNCh kann er einen Staat somit verpflichten, mit dem Gerichtshof zusammenzuarbeiten – wenn die Weigerung eine Bedrohung des Weltfriedens darstellt. Im Falle einer Nichtbefolgung dieser Pflicht kann er auf Grundlage des Kapitels VII VNCh Sanktionen gegen diesen Staat beschließen.100 Diese sind gemäß Art. 25, 41, 42 VNCh gegenüber dem verletzenden Staat wirksam. Er muss auch dann mit dem IStGH zusammenarbeiten, wenn er nicht Vertragspartei des Statuts ist oder die Zusammenarbeit gesondert vereinbart hat. Dies gilt im Grundsatz auch für Vertragsparteien oder solche, die Kooperationsabkommen geschlossen haben. Solange auch hier durch eine nicht genügende oder fehlende Kooperation der Weltfrieden bedroht wird, kann der Sicherheitsrat auf Grund von Kapitel VII VNCh Maßnahmen gegen diesen Staat ergreifen. Diese können über den Teil 9 des Statuts hinausgehen. 99 Zweifelnd Cassese, International Criminal Law, S. 360; Cassese, EJIL 10 (1999), S. 144 (S. 166). Für den Ausschluss der Berichtsmöglichkeit an den Sicherheitsrat Schomburg, Die Zusammenarbeit mit den Internationalen Strafgerichtshöfen, in: St. Kirsch, S. 129 (S. 137). Dagegen wohl Palmisano, The ICC and Third States, in: Lattanzi/Schabas, S. 391 (S. 418). 100 Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 102).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
241
Begrenzt der Sicherheitsrat die Zusammenarbeit, erlässt er also eine Resolution, die gemäß Art. 103 VNCh für die Staaten über den Regelungen des Statuts steht, stellt sich die Frage nach den Folgen einer solchen Kollision. Denn die Sicherheitsratsresolution ist nicht verbindlich für den Gerichtshof. Die Staaten können über die Vertragsstaatenversammlung versuchen, auf den Gerichtshof einzuwirken. Dazu sind sie nach dem VNRecht wohl verpflichtet. Es ist aber auch denkbar, eine solche Resolution des Rates im Einzelfall als eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut aufzufassen. Deren Rechtmäßigkeit richtet sich dann nach dieser Bestimmung. Allerdings gelten diese Ausführungen nur, wenn der Staat, dessen Verhalten bewertet werden soll, Mitglied der VN ist. e) Der IStGH und internationale Organisationen Fruchtbar für die Arbeit des Gerichtshofs kann in verschiedenen Verfahrensstadien auch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen sein. Organisationen wie das IKRK101 können aufgrund ihres Arbeitsgebietes oder ihrer speziellen Erfahrung wertvolle Hinweise geben.102 Bei der Festnahme von Verdächtigen ist vor allem Unterstützung durch bspw. die NATO denkbar. Auf der anderen Seite stehen Organisationen, deren Tätigkeitsfeld so umfassend ist, dass sie z. B. auch auf strafrechtlichen Gebieten weitreichende Kompetenzen haben und ggf. mit dem IStGH kooperieren können. Das Statut antizipiert die Zusammenarbeit auch mit gekorenen Völkerrechtssubjekten. Art. 87 – Ersuchen um Zusammenarbeit: Allgemeine Bestimmungen – IStGHStatut (6) Der Gerichtshof kann jede zwischenstaatliche Organisation ersuchen, Informationen oder Unterlagen beizubringen. Der Gerichtshof kann auch um andere Formen der Zusammenarbeit und Unterstützung bitten, die mit dieser Organisation vereinbart werden und mit ihrer Zuständigkeit oder ihrem Auftrag vereinbar sind.
Diese Formulierung ist an Art. 15 Abs. 2 IStGH-Statut angelehnt. Art. 87 Abs. 6 IStGH-Statut schafft somit die Möglichkeit, auch mit internationalen Organisationen zu kooperieren.103 Er enthält dabei die Kompetenz für den 101
Internationales Komitee vom Roten Kreuz. Dabei ist die strikte Neutralität des IKRK zu beachten, Bindschedler-Robert, Red Cross, EPIL IV, S. 57 (S. 59); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/2, § 115 II 3 (S. 335 f.). Es bleibt deswegen aber zweifelhaft, ob das IKRK dem Ersuchen des Gerichtshofs Folge leisten würde. 103 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 86 Rn. 5; Triffterer/Kreß/Prost, ICCStatute, Art. 87 Rn. 28. 102
242 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
IStGH, solche Abkommen abzuschließen. Die Folgen eines solchen Abkommens bestimmen sich nach dem Umfang der darin enthaltenen Rechte. Bislang wurde nur ein solches Abkommen beschlossen.104 Auffällig ist die Beschränkung auf zwischenstaatliche Einrichtungen. Der Umkehrschluss, dass Nichtregierungsorganisationen keine Zusammenarbeit mit dem IStGH vereinbaren dürfen, ist nicht zulässig. Die Staaten können als Völkerrechtssubjekte keine verbindlichen Regelungen für NGOs treffen. Vorstellbar ist daneben eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit aufgrund einer Sicherheitsratsresolution.105 Der Rat kann aufgrund einer Art.-39VNCh-Situation eine Resolution erlassen, in der auch internationale Organisationen verpflichtet werden. So kann ein militärisches Bündnis verpflichtet werden, Haftbefehle zu vollstrecken. Grundsätzlich kann eine solche Resolution die Organisation nicht binden.106 Der Umfang einer möglichen Verpflichtung ergibt sich aus dem konstitutiven Recht der jeweiligen Organisation.107 Vorstellbar ist eine einseitige Erklärung der Organisation, dass sie an das Recht der VN gebunden ist, solange das Organisationsprimärrecht dies erlaubt. Allerdings sind die Staaten, die Mitglieder sowohl der VN als auch der anderen Organisation sind, über die Art. 25, 41 und 103 VNCh verpflichtet, ihre Mitgliedschaftsrechte dahingehend zu nutzen, die Kooperation mit der Sicherheitsratsresolution herbeizuführen bzw. in diesem Sinne auf die Organisation einzuwirken. f) Zusammenarbeit zwischen IStGH und VN Für die VN selbst stellt sich dies seit dem Inkrafttreten des RA anders dar. Das Relationship Agreement ist dabei ein Abkommen i. S. d. Art. 87 Abs. 6 IStGH-Statut. Article 15 – General provisions regarding cooperation between the United Nations and the Court, Relationship Agreement (1) With due regard to its responsibilities and competence under the Charter and subject to its rules as defined under the applicable international law, the United Nations undertakes to cooperate with the Court and to provide to the Court such information or documents as the Court may request pursuant to article 87, paragraph 6, of the Statute. (. . .) 104 Agreement between the International Criminal Court and the European Union on Cooperation and Assistance vom 10. April 2006, in Kraft getreten am 1. Mai 2006, ICC Doc. ICC-PRES/01-01-06. 105 Ciampi, Obligation to Cooperate, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1607 (S. 1620 f.); Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 28. 106 1. Kapitel V. 107 Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 29.
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
243
Im RA finden sich (etwas) genauere Regelungen zur Zusammenarbeit. Diese stehen jedoch immer unter dem Vorbehalt, dass die VNCh diese nicht verbietet. Sie sind somit nicht detailliert genug, um ein abgeschlossenes Kooperationsregime zu begründen. Insbesondere lässt das RA genug Spielraum für die VN, um im Einzelfall, z. B. aus Geheimhaltungsgründen, bestimmte Unterlagen oder Informationen zurückzuhalten. Auch hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich. g) Begründung von Kooperationspflichten durch Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII UNCh Kraft seiner Befugnisse aus Kapitel VII der Charta kann der Sicherheitsrat auch solche Staaten zur Zusammenarbeit verpflichten, die weder Vertragspartei des Statuts sind noch die Zusammenarbeit nachträglich vereinbart haben. Ob das Statut dem entgegensteht, kann außer Betracht bleiben. Für ein effektives Kooperationsregime, das sich an völkerrechtliche Vorgaben, insb. den pacta-tertiis-Grundsatz, hält, schafft die Charta die Grundlage. 7. Art. 16 IStGH-Statut Hauptverhandlungsgegenstand in Rom bei der Frage des Verhältnisses zum Sicherheitsrat war der heutige Art. 16 IStGH.108 Das „Ob“ und „Wie“ der Ausgestaltung war völlig ungewiss. Die Staatenvertreter einigten sich auf folgenden Kompromiss.109 Artikel 16 – Aufschub der Ermittlungen oder der Strafverfolgung Richtet der Sicherheitsrat in einer nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolution ein entsprechendes Ersuchen110 an den Gerichtshof, so dürfen für einen Zeitraum von 12 Monaten keine Ermittlungen und keine Strafverfolgung aufgrund dieses Statuts eingeleitet oder fortgeführt werden; das Ersuchen kann vom Sicherheitsrat unter denselben Bedingungen erneuert werden.
Ähnlich wie Art. 13 lit. b) IStGH-Statut stellt dieser Artikel in Teilen einen Tatbestandsverweis dar. Sowohl die Voraussetzungen des Statuts als 108
Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 644 f.); Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/ Schabas, S. 67 (S. 85). 109 Kurth, S. 75; Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 85). 110 Dies bedeutet nicht, dass der Gerichtshof ein Ermessen hat, Oosthuizen, NILR XLVI (1999), S. 313 (S. 331 f.).
244 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
auch der Charta müssen erfüllt sein, damit die beabsichtigte Rechtsfolge eintritt.111 Bereits wenige Tage nach dem Inkrafttreten des Statuts verabschiedete der Sicherheitsrat Resolution 1422.112 Darin heißt es: Acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, 1. Requests113, consistent with the provisions of Article 16 of the Rome Statute, that the ICC, if a case arises involving current or former officials or personnel from a contributing State not a Party to the Rome Statute over acts or omissions relating to a United Nations established or authorized operation, shall for a twelve-month period starting 1 July 2002 not commence or proceed with investigation or prosecution of any such case, unless the Security Council decides otherwise; (. . .)
Selbstverständlich liefen zu diesem Zeitpunkt noch keine Ermittlungen. Keine einzige Situation, kein einziger Fall war vor dem IStGH anhängig. Resolution 1422 war dementsprechend umstritten. Hauptstreitpunkt war, ob ein Ermittlungsstopp zulässig sei, obwohl noch keine Ermittlungen stattfanden. In Abs. 2 der Resolution 1422 stellte der Sicherheitsrat fest, dass er die Resolution nach Ablauf eines Jahres wieder erneuern möchte. Dies ist mit der Resolution 1487 geschehen.114 Die dritte Resolution, die in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist Resolution 1497.115 Dort wird allerdings nicht direkt auf Art. 16 IStGH-Statut Bezug genommen. Die vorliegende Untersuchung setzt an diesem Punkt an. Für das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Strafgerichtshof ist im Hinblick auf die Verfahrenseinleitung Art. 16 IStGH-Statut nicht relevant. Einzig die Frage nach dem Zeitpunkt, ab dem der Sicherheitsrat diese Möglichkeit nutzen darf, interessiert hier. Zwei Meinungen zeichnen sich ab: Eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut ist jederzeit möglich bzw. für eine solche Resolution ist mindestens ein anhängiges Ermittlungsverfahren erforderlich. Für 111 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 646). 112 SC Res. 1422 (2002). Zur Entstehungsgeschichte der Resolution Kurth, S. 132 ff.; Kreß, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 1087 ff.; Deen-Racsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 (S. 356 ff.); Zimmermann, „Acting under Chapter VII (. . .)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: FS Eitel, S. 253 (S. 258 ff.); Lavalle, CLF 14 (2003), S. 195 ff.; Zimmermann/Scheel, VN 2002, S. 137 ff.; El Zeidy, VanderbiltJTL 35 (2002), S. 1503 ff.; Szasz/Ingadottir, LeidenJIL 14 (2001), S. 867 ff.; Theissen, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004 (47), S. 915 ff. 113 Dass der Sicherheitsrat den IStGH nur „bittet“ ist dem Ansehen des Gerichtshofs geschuldet und ändert nichts an der Verbindlichkeit der Resolution. Heselhaus, ZaöRV 62 (2002), S. 907 (S. 910). 114 SC Res. 1487 (2003). 115 SC Res. 1497 (2003). Vgl. dazu Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 (S. 241, 244 f., 249); Abass, TexasILJ 40 (2005), S. 263 ff.
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
245
die Darstellung anderer Aspekte wird auf die zahlreich vorhandene Literatur verwiesen.116 a) Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut ist jederzeit möglich Der Sicherheitsrat trägt die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens. Laut Zimmermann ist dies der Hintergrund des Art. 16 IStGH-Statut. Um diese Verantwortung wahrzunehmen, solle es dem Rat gestattet sein, so effektiv wie möglich zu arbeiten. Dazu gehöre auch, seine Kompetenz aus Art. 16 IStGH-Statut so früh wie möglich zu nutzen. Der Verfahrensstopp müsse nach einer teleologischen Auslegung schon möglich sein, wenn der Ankläger die Situation noch bewertet. In Resolution 1422 sei zudem nur die Rede davon, dass Ermittlungen eingestellt werden sollen, falls ein Fall untersucht wird, in dem die Verdächtigen Staatsangehörige einer Nichtvertragspartei des Statuts sind. Die Resolution beziehe sich also nur auf hypothetische Fälle. In Art. 14 Abs. 1 IStGH-Statut sei zudem von einer „investigation of a situation“ die Rede. Daher sei unter dem Begriff der „investigation“ die Gesamtheit der untersuchten Sachverhalte zu sehen. Daher solle auch in Art. 16 IStGH-Statut diese „investigation“ gemeint sein.117 Daneben müsse a fortiori ein Halt schon dann möglich sein, wenn noch keine Ermittlungen eingeleitet sind. Denn zu diesem Zeitpunkt fiele der Eingriff in die Kompetenzen der Organe weit weniger stark ins Gewicht. b) Ermittlungsstopp erst nach Ermittlungseinleitung Der anderen Ansicht nach soll mehr erforderlich sein. Vertreter dieser Meinung118 begründen dies mit dem eindeutigen Wortlaut des Statuts. In 116 Triffterer/Bergsmo/Pejic ´ , ICC-Statute, Art. 16; Kurth, S. 123 ff.; Olásolo, The Triggering Procedure of the International Criminal Court, S. 171 ff.; Deen-Racsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 ff.; Elias/Quast, Non-State Actors and International Law 3 (2003), S. 165 ff.; Fritsche, Security Council Resolution 1422: Peacekeeping and the International Criminal Court, in: FS Eitel, S. 107 ff.; Herbst, EuGRZ 2002, S. 581 ff.; Heselhaus, ZaöRV 62 (2002), S. 908 ff.; Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 ff.; Kreß, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 1087 ff.; Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 ff.; Zimmermann, „Acting under Chapter VII (. . .)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: FS Eitel, S. 253 ff. 117 Zimmermann, „Acting under Chapter VII (. . .)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: FS Eitel, S. 253 (S. 270 f.). 118 Aus den Stellungnahmen der Staaten: Argentinien, Brasilien, China, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Guinea, Iran, Irland, Jordanien, Kamerun, Kanada, Kolumbien, Kuba, Liechtenstein, Malaysia, Mauritius, Mexiko, Neuseeland,
246 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Art. 16 IStGH-Statut sei von Ermittlungen und Strafverfolgung die Rede. Diese setzten aber ein Handeln der Organe des Gerichtshofs voraus. Es müsse ein konkreter Untersuchungsgegenstand vorliegen.119 Abgestellt werden könne dabei auf die Bestätigung der Anklage nach Art. 61 IStGH-Statut oder, noch früher, auf die Ausstellung eines Haftbefehls nach Art. 58 IStGH-Statut. Dieser Meinung nach sei die Einleitung von Ermittlungen nach Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut, also sobald eine oder mehrere Personen individualisiert wurden, der Zeitpunkt, an dem frühestens eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut ergehen könne.120 Auch die systematische Stellung nach Art. 13 ff. IStGH-Statut spreche dafür, den Zeitpunkt erst später anzusehen.121 Die Absicherung in der Resolution durch den Zusatz „falls es zu einer Ermittlung komme“ vermag es den Vertretern dieser Meinung nach nicht, die Rechtmäßigkeit der Resolution zu wahren. Denn die Resolution erging vor der Einleitung von Ermittlungen. Nur auf diesen Zeitpunkt komme es bei Art. 16 IStGH-Statut an.122 Zweifelhaft sei die Vereinbarkeit einer solchen Resolution mit Art. 12 Abs. 2, Art. 27 IStGH-Statut.123 Berührt werde durch eine weite Einstellungskompetenz des Sicherheitsrates auch die Unabhängigkeit des Gerichtshofs.124 Dies sei jedoch nicht gewollt und sei im Verlauf der Verhandlungen Anlass dafür gewesen, immer strengere Kriterien für das Eingreifen des Rates zu normieren, die in Art. 16 IStGH-Statut ihren Höhepunkt erfahren hätten.125 Morten Bergsmo und Jelena Pejic´ fassen zusammen: It may not be concluded, however, that by referring to both „investigation“ and „prosecution“, article 16 extends the Security Council’s deferral power to the totalSamoa, Südafrika, Schweiz, Syrien, Vereinigtes Königreich und Venezuela, UN Doc. S/PV.4568 (ohne Datum). Aus der Literatur: Kreß, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 1087 (S. 1095); Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 88); Herbst, EuGRZ 2002, S. 581 ff.; Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 ff.; Deen-Racsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 (S. 387); Zimmermann, „Acting under Chapter VII (. . .)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: FS Eitel, S. 253 (S. 273). 119 Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 647); Kurth, S. 171; Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 (S. 247). 120 Triffterer/Bergsmo/Pejic ´ , ICC-Statute, Art. 16 Rn. 14. 121 Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 90); Kurth, S. 171; Heselhaus, ZaöRV 62 (2002), S. 907 (S. 924). So wohl auch Deen-Racsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 (S. 366). 122 Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 91). 123 Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 93 ff.). Elias/Quast, Non-State Actors and International Law 3 (2003), S. 165 (S. 178 f.). 124 Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 (S. 246); Heselhaus, ZaöRV 62 (2002), S. 907 (S. 908). 125 Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 (S. 246).
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
247
ity of activities of the Prosecutor. The Statute clearly states that steps taken by the prosecutor prior to the Pre-Trial Chamber’s authorization of an investigation only constitute a „preliminary examination“, not the beginning of an investigation. Indeed, the purpose of the authorization is to enable the Prosecutor to start an investigation. Among the steps which the prosecutor can take before an investigation starts are seeking „information from States, organs of the United Nations, intergovernmental or non-governmental organizations, or other reliable sources that he or she deems appropriate“ receiving „written or oral testimony at the seat of the Court“, as well as analysing the information received. The Security Council cannot prevent the Prosecutor from taking these steps on the basis of article 16.126
c) Stellungnahme und Ergebnis: Konkrete Ermittlungsmaßnahmen als Erfordernis einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut Ansatzpunkt muss der englische Wortlaut des Statuts sein. In Art. 16 IStGH-Statut ist von „investigation and prosecution“ die Rede. Beide Begriffe kommen in Art. 53 Abs. 1 und 2 IStGH-Statut vor. Investigation ist in der deutschen Übersetzung mit Ermittlung, prosecution mit Strafverfolgung wiedergegeben. Eine Untersuchung der Situation ohne Schuldzuweisung an Individuen, die preliminary examination, ist wohl nicht geeignet, um eine Art.-39-VNCh-Situation darzustellen.127 Eine so weite Auslegung ist auch nicht aufgrund von Ziel und Zweck des Art. 16 IStGH-Statut geboten. Die Wahrung des Weltfriedens ist auch noch möglich, wenn Einzelfälle untersucht werden. Neben dem Wortlaut kommen also auch die systematische und die teleologische Auslegung zu dem Schluss, dass zumindest die Ermittlungseinleitung nach Art. 53 IStGH-Statut erreicht worden sein muss, bevor der Sicherheitsrat seine Kompetenz wahrnehmen kann. Auch der a-fortiori-Schluss auf die Eingriffsintensität geht fehl. Der stärkere Eingriff liegt nicht in dem Halt einzelner Verfahren, sondern in dem Halt der gesamten Untersuchung. Denn je später der Eingriff des Sicherheitsrates erfolgt, desto konkreter sind die Verfahren und desto mehr Untersuchungsstoff bleibt dem Ankläger oder den Kammern. Ein Halt des gesamten Überweisungssachverhalts nimmt dem Ankläger die Möglichkeit, überhaupt tätig zu werden, der Halt entzöge ihm die Grundlage seiner Ermittlungen. Der zweiten Meinung ist zuzustimmen. Abschließend sei auf Folgendes hingewiesen. Auch Art. 16 IStGH-Statut verlangt das Vorliegen einer Resolution nach Kapitel VII VNCh. Er nimmt somit Bezug auf Art. 39 VNCh. Bei der oben aufgestellten Definition wurde untersucht, ob abstrakte Phänomene unter Art. 39 VNCh subsumiert werden können. Im Falle des Verfahrensstopps stellt sich eine Folgefrage, 126 127
Triffterer/Bergsmo/Pejic´, ICC-Statute, Art. 16 Rn. 15. Dazu sogleich.
248 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
nämlich die, ob abstrakte Strafverfolgungen, also losgelöst von konkreten Einzelfällen oder gar von Situationen i. S. v. Art. 13 lit. a), lit. b) IStGHStatut, eine Gefährdung der internationalen Sicherheit darstellen können und durch eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut gestoppt werden können. Die Tatbestandsmäßigkeit der Ermittlungen im Rahmen des Art. 39 VNCh ist umstritten.128 Sie kann losgelöst vom Einzelfall nicht abschließend beurteilt werden. Werden Fälle untersucht bzw. ausermittelt, die den Fällen von Milosˇevic´ und Pinochet vergleichbar sind,129 ist vorstellbar, dass diese Ermittlungen einen negativen Einfluss auf die internationalen Beziehungen der beteiligten Staaten haben. Sind die Verdächtigen nicht öffentlich individualisiert worden, dürfte die Tatbestandsmäßigkeit in der Regel abzulehnen sein. An der Reaktion der beteiligten Staaten wird man jedoch nicht ausmachen können, ob Art. 39 VNCh erfüllt ist. Es ist davon auszugehen, dass die Staaten in jedem Fall protestieren werden.
III. Einzelne Verfahren 1. Vorbereitung eines Prozesses Nach dem Abschluss der Ermittlungen beginnt die eigentliche Strafverfolgung. Die Anklagebehörde bearbeitet von nun an auch Einzelfälle und nicht mehr nur Situationen. Nach Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut hat der Ankläger jederzeit nach Ermittlungseinleitung die Möglichkeit, Haftbefehle zu beantragen. Dem Wortlaut lässt sich entnehmen, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sein müssen. Das bedeutet, dass die Situation nicht komplett strafrechtlich ausgeleuchtet worden sein muss. Zu weiteren Ermittlungsmaßnahmen bleibt der Ankläger berechtigt. Der Ankläger kann nicht nur zu einem Zeitpunkt Haftbefehle beantragen. Zu beachten ist nur, dass dies nicht vor Ermittlungseinleitung geschieht.130 Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls ist, dass ein begründeter Verdacht vorliegt, die Person habe Straftaten unter der Gerichtsbarkeit des IStGH begangen, und dass die Festnahme der Person notwendig erscheint um sicherzustellen, dass sie zur Verhandlung erscheint, dass sie die Ermittlungen oder das Verfahren nicht behindert oder dass sie an der Begehung weiterer Straftaten gehindert wird. 128 Kreß, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 1087 (S. 1096); Herbst, EuGRZ 2002, S. 581 (S. 587); Stahn, EJIL 14 (2003), S. 85 (S. 86 f.); Jain, EJIL 16 (2005), S. 239 (S. 244); Zimmermann, „Acting under Chapter VII (. . .)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: FS Eitel, S. 253 (S. 264 ff.). 129 4. Kapitel III. 4. 130 Triffterer/Hall, ICC-Statute, Art. 58 Rn. 4.
7. Kap.: Das Verfahren nach der Überweisungsresolution
249
Alternativ zu einem Haftbefehl kann eine Vorladung beantragt oder bewilligt werden, Art. 58 Abs. 7 IStGH-Statut. Eine Vorladung ist angebracht, wenn eine Festnahme nicht erforderlich ist, um das Erscheinen der Person vor dem IStGH sicherzustellen. Bislang hat der Gerichtshof einige Haftbefehle und eine Vorladung erlassen. Den ersten Haftbefehl stellte er im Februar 2006 gegen Thomas Lubanga Dyilo aus.131 In der Situation der Demokratischen Republik Kongo ergingen inzwischen drei weitere Haftbefehle.132 Im Darfur-Fall ergingen bislang drei Haftbefehle133 sowie eine Vorladung134. Fünf Haftbefehle ergingen im Fall Uganda,135 von denen einer inzwischen zurückgezogen wurde, da der Verdächtige verstorben ist.136 Bislang nur ein Haftbefehl erging in der Situation der ZAR.137 Wenn einer der Gesuchten an den Gerichtshof überstellt wird, beginnt sein Verfahren. Nach Art. 60 Abs. 1 IStGH-Statut ist der erste Schritt die Prüfung, ob die Person über das auf sie zukommende Verfahren unterrichtet wurde. Dann folgt die Bestätigung der Anklage nach Art. 61 IStGHStatut.138 131
Warrant of arrest, ICC Doc. ICC-01/04-01/06-2 vom 10. Februar 2006. Warrant of arrest for Bosco Ntaganda, ICC. Doc. ICC-01/04-02/06-2 vom 22. August 2006; Warrant of arrest for Germain Katanga, ICC Doc. ICC-01/04-01/07-1 vom 2. Juli 2007; Warrant of arrest for Mathieu Ngudjolo Chui, ICC-01/04-02/07-1 vom 6. Juli 2007. 133 Decision on the Prosecution Application under Article 58 (7) of the Statute, ICC Doc. ICC-02/05-01/07-1-Corr vom 27. April 2007; Warrant of arrest for Ahmad Muhammad Harun („Ahmad Harun“), ICC Doc. ICC-02/05-01/07-2; Warrant of arrest for Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman („Ali Kushayb“), ICC Doc. ICC-02/05-01/07-3, beide vom 1. Mai 2007 sowie Warrant of Arrest for Omar Hassan Al Bashir, ICC-02/05-01/09-1 vom 4. März 2009. 134 Decision on the Prosecutor’s Application under Article 58, Warrant of arrest for Bahr Idriss Abu Garda, ICC. Doc. ICC-02/05-02/09-15 vom 7. Mai 2009. Zu dieser Vorladung sowie zu den drei Haftbefehlen im Darfur-Konflikt s. 12. Kapitel. 135 Warrant of Arrest for Joseph Kony issued on 8 July 2005 as amended on 27 September 2005, ICC Doc. ICC-02/04-01/05-53 vom 27. September 2005; Warrant of Arrest for Vincent Otti, ICC Doc. ICC-02/04-01/05-54 vom 8. Juli 2005; Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, ICC Doc. ICC-02/04-01/05-55 vom 8. Juli 2005; Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, ICC Doc. ICC-02/ 04-01/05-56 vom 8. Juli 2005; Warrant of Arrest for Dominic Ongwen, ICC Doc. ICC-02/04-01/05-57 vom 8. Juli 2005. 136 Decision to Terminate the Proceedings against Raska Lukwiya; ICC Doc. ICC-02/04-01/05-248 vom 11. Juli 2007. 137 Warrant of arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC. Doc. ICC-01/ 05-01/08-1 vom 23. Mai 2008. 138 Vgl. Decision on the Confirmation of Charges, ICC-02/05-02/09-243-Red vom 8. Februar 2010, Rn. 35 ff. 132
250 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
2. Prozess und Urteil Der weitere Verfahrensgang richtet sich nach den Art. 62 ff. IStGH-Statut.139 Nach dem Erlass eines Urteils ist eine Berufung möglich, Art. 81 ff. IStGH-Statut. Das Statut sieht keine weitere ausdrückliche Möglichkeit für den Sicherheitsrat vor, das Verfahren einzuleiten, es zu lenken und wiederaufzunehmen oder gar Partei eines Prozesses zu werden. Die Möglichkeit, kraft seiner Kapitel-VII-VNCh-Befugnisse einzugreifen, scheitert wie dargelegt daran, dass solche Resolutionen keine Rechtswirkung im Bereich des IStGH entfalten können.140 Die Art. 81 ff. IStGH-Statut sind abschließend. 3. Urteilsvollstreckung Auch im Bereich der Vollstreckung kommen dem Sicherheitsrat keine besonderen Befugnisse zu. Sein Eingreifen ist nach dem Statut nicht möglich. Eine Resolution des Sicherheitsrates, in der einem Staat aufgetragen wird, einen Gefangenen freizulassen, ist nach dem siebten Kapitel durchaus denkbar. In Frage käme ein einfacher Entlassungsauftrag an den Staat oder auch die Freilassung im Wege einer Amnestie. Der Sicherheitsrat könnte die Wertung aus Art. 16 IStGH-Statut als Begründung anführen. Es böte sich dann an, mit der Gefährdung des Weltfriedens durch die weitere Inhaftierung des Verurteilten zu argumentieren. Dieses Vorgehen dürfte keinerlei Praxisrelevanz haben. Das Statut trifft zu diesem Problem auch keine Regelung.141
IV. Die Stellung des Sicherheitsrates im Laufe des Verfahrens Der Sicherheitsrat spielt somit nur bei der Verfahrenseinleitung eine Rolle. Im ersten Schritt sind seine Maßnahmen von Bedeutung. Danach läuft das Verfahren seinen geordneten Gang nach dem Statut. Der Sicherheitsrat kann nur eingreifen, wenn das Statut dies ausdrücklich vorsieht. Lenken kann er den Prozess nicht mehr. Das einzige effektive Mittel, um auf laufende Verfahren Einfluss zu nehmen, ist Art. 16 IStGH-Statut. Von entscheidender Bedeutung dürfte im Verfahren die Vollstreckungshilfe durch den Sicherheitsrat sein. Er kann mit seinen Befugnissen aus Ka139
Vgl. dazu Behrens, HuV-I 1998, S. 144 (S. 146 ff.); Behrens, EJCCLCJ 6 (1998), S. 113 (S. 118 ff.). 140 1. Kapitel IV. 141 Zum Umfang s. 1. Kapitel.
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
251
pitel VII VNCh helfen, die Strafverfolgung des Gerichtshofs möglichst effektiv werden zu lassen. Ob und in welchem Umfang der Rat diese Möglichkeit nutzen wird, ist jedoch fraglich. Schon bei der Verfahrenseinleitung zeigt er sich wenig hilfsbereit. Seine Untätigkeit in Konflikten, die angeblich offensichtlich unter Art. 39 VNCh fallen würden, ist oft beklagt worden. Trotz allem ist zu begrüßen, dass die rechtlichen Befugnisse aus Kapitel VII nutzbar gemacht werden können. 8. Kapitel
Die Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Neben der Einleitung eines oder mehrerer Verfahren vor dem Gerichtshof kann eine Überweisungsresolution noch andere Folgen haben. Davon sind einige bereits im vorhergehenden Kapitel erläutert worden. Das folgende Kapitel behandelt Schwierigkeiten, die nicht verfahrensrechtlicher Natur sind. Einteilen kann man diese danach, ob sie vor allem das Recht des IStGH-Statuts oder das der Charta betreffen.
I. Rekapitulation: Die Grundpfeiler Beide Organisationen sind als Völkerrechtssubjekte unabhängig vom Willen der Mitgliedstaaten. Sie genießen Rechte und Pflichten, die sie selbstständig wahrnehmen bzw. erfüllen. Grundsätzlich stehen sie sich als Gleiche gegenüber. Sowohl die VN als auch der IStGH haben die Kompetenz, Völkerrecht zu setzen. Das RA, die Resolutionen und die Beschlüsse des Gerichtshofs stellen dabei abgeleitetes bzw. sekundäres Völkerrecht dar. Die Bindung der anderen Entität an solches Recht kann nur erfolgen, wenn das Primärrecht des Adressaten dies gestattet. Daraus ergeben sich dann auch der Umfang der Bindungswirkung und ggf. weitere Voraussetzungen.142 Es ist zu wiederholen, dass der Sicherheitsrat an das Recht des Statuts gebunden ist, wenn er verbindlich Einfluss nehmen möchte. Er kann sich nicht über das im Statut gesetzte Recht hinwegsetzen.143 Wenn er den Gerichtshof nutzen will, dann soll er sich auch an die grundlegenden Regelungen des 142
1. Kapitel V. Zur Begründung s. oben 1. Kapitel IV. und V., 3. Kapitel. Aus der Literatur nur Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 572 f.). 143
252 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
IStGH, also insb. an das Statut, halten.144 Der IStGH ist an seinen konstitutiven Rechtsakt gebunden. Eine Aufforderung durch den Sicherheitsrat, welche die Vorschriften des Statuts umgeht, würde für den Gerichtshof einen Verstoß gegen seine völkerrechtliche Verpflichtung bedeuten.145 Condorelli und Villalpando weisen darauf hin, dass durch die Befolgung einer solchen Resolution das Prinzip der Spezialität146 verletzt werden würde.147 Demnach ist eine internationale Organisation auf die Erreichung ihres Ziels ausgerichtet. Dafür stellt ihr die Satzung die entsprechenden Mittel zur Verfügung. Gegen diese Regelungen darf sie nicht verstoßen. Hilfreich für die Lösung zahlreicher Fragen sind die Ausführungen zu den Rechtsbindungen. Eine Kategorisierung der verschiedenen Rechtsfolgen ist durchaus möglich. So kann man differenzieren, ob nur die Mitgliedstaaten des IStGH-Statut oder auch die der VNCh betroffen sind, ob der Gerichtshof oder die VN Adressaten sind, ob die Auswirkungen auf den Gerichtshof unmittelbar erfolgen oder nur vermittelt durch eine Einwirkungspflicht der Mitgliedstaaten, ob materielle Voraussetzungen geändert werden oder in einzelne Verfahren eingegriffen wird etc. Hinzu kommen Kombinationen und Mischformen aus einzelnen Charakterisierungen. Da die Aufzählung anhand dieser Kriterien nicht zu bewerkstelligen ist, werden die Probleme nachfolgend in einer möglichst sinnvollen Reihenfolge behandelt.
II. Adressaten der Resolution: Wer kann gebunden werden? Somit ist zunächst zu klären, wer durch eine Kapitel-VII-Resolution gebunden werden kann. 144 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 ff.; Condorelli/Villalpando, Referral and Deferral by the Security Council, in: Cassese/Gaeta/Jones S. 627 (S. 637); Lattanzi, The Rome Statute and State Sovereignty – ICC Competence, Jurisdictional Links, Trigger Mechanism, in: Lattanzi/Schabas, S. 51 (S. 63); Benvenuti, Complementarity of the International Criminal Court to National Criminal Jurisdictions, in: Lattanzi/Schabas, S. 21 (S. 41 f.); Gargiulo, The Controversial Relationship between the International Criminal Court and the Security Council, in: Lattanzi/Schabas, S. 67 (S. 82 ff.). 145 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 577). 146 IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, S. 66 (Rn. 25). 147 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 577).
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
253
1. Direkte bzw. unmittelbare Wirkung der Resolutionen auf den IStGH Denkbar ist zunächst, dass der Gerichtshof selbst und unmittelbar gebunden wird. Der genaue Umfang der Bindungswirkung kann dann in einem zweiten Schritt überprüft werden. Für die Bereiche, in denen das Statut eine Resolution bzw. ein Handeln des Sicherheitsrates vorsieht, kann eine solche Bindung grundsätzlich angenommen werden. Wie gezeigt, öffnet das Statut den Rechtskreis des IStGH in bestimmten Fällen für den Sicherheitsrat, macht sich dessen Befugnisse zunutze und bestimmt, dass der Resolution Verbindlichkeit zukommen soll. Bestes Beispiel dafür ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.148 Dies alles geschieht nach Art. 21 IStGH-Statut aber unter dem Vorbehalt, dass die Resolution im Rahmen der vom Statut aufgestellten Voraussetzungen erlassen wird.149 Fraglich ist, ob neben diesen ausdrücklich angeordneten Fällen noch andere Punkte in Betracht kommen, in denen die Resolutionen direkt für den IStGH wirksam werden. Für die grundsätzliche Möglichkeit sprechen Effektivitätserwägungen bzw. prozessökonomische Gründe. Der Sicherheitsrat könnte einzelne Verfahren beschleunigen, indem er die Befugnisse aus Kapitel VII VNCh nutzt. Rechtstechnisch könnte dies über Art. 103 VNCh erreicht werden, um direkt auf den Gerichtshof einzuwirken. Resolutionen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII VNCh werden von diesem Vorrang erfasst.150 Eine wirklich effektive internationale Strafjustiz könnte nur mithilfe des Sicherheitsrates erfolgen. Allerdings entfaltet Art. 103 VNCh keine Wirkung für den IStGH – ebenso wenig der Art. 25 VNCh.151 Eine direkte Wirkung ist nur möglich, wenn das Statut dies vorsieht. Die ausdrücklichen Regelungen wurden bereits behandelt, sie existieren nur für den Bereich der Verfahrenseinleitung (Art. 13 lit. b] IStGH-Statut), des Verfahrensstopps (Art. 16 IStGH-Statut) und der Durchsetzung (Art. 87 IStGH-Statut). Eine Gestattung durch das Statut kann somit nur impliziert sein. Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Dagegen steht auch die Unabhängigkeit des IStGH. Seine Organe sollten von möglichst viel Einflussnahme von außen 148
3. Kapitel II. 1. Kapitel V. 150 Simma/Bernhardt, UNO-Charter, Art. 103 Rn. 10; Herbst, S. 373. 151 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 578). 149
254 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
freigestellt werden. So spricht die Entstehungsgeschichte gegen weitere Einflussnahme durch den Sicherheitsrat. Im Laufe der Jahre haben sich die Staaten immer mehr gegen eine starke Stellung des Sicherheitsrates entschieden.152 Nur dort, wo seine Funktionen unabkömmlich sind bzw. wo die Arbeit des Gerichtshofs den Sicherheitsrat in seiner Verantwortung allzu sehr beeinträchtigen würde, hat man Mechanismen zur Zusammenarbeit (= zur direkten Verbindlichkeit) geschaffen. Diese Überlegungen sprechen gegen weitere Möglichkeiten zur Einflussnahme. Das Statut schafft einen numerus clausus der Einfallstore für den Sicherheitsrat. Jede Bindung an Sicherheitsratsresolutionen muss ausdrücklich im Statut vorgesehen sein.153 Daneben sieht das RA keine andere Regelung vor. Es kann nicht in das Primärrecht eingreifen und somit auch keine weitergehende Bindung des Gerichtshofs an Sicherheitsratsresolutionen vorsehen. Sein Inhalt gibt eine solche Verpflichtung nicht her.154 Somit kann der Sicherheitsrat keine anderen Resolutionen als jene, die im Statut vorgesehen sind, erlassen, welche für den Gerichtshof verbindlich sind. 2. Mittelbare Verbindlichkeit über die Mitgliedstaaten Es bleibt aber die schon angedeutete Möglichkeit, dass der Sicherheitsrat eine Kapitel-VII-Resolution erlässt, die gemäß Art. 25 VNCh für die Mitgliedstaaten der VN verbindlich ist. Gemäß Art. 103 VNCh steht diese über etwaigen Verpflichtungen der Staaten aus dem Statut. Sie müssen die an sie gerichteten Bestimmungen umsetzen. Nach Art. 48 Abs. 2 VNCh müssen die Mitgliedstaaten die Verpflichtungen auch durch Einrichtungen durchführen, deren Mitglied sie sind. Dazu gehören auch internationale Organisationen.155 Der Sicherheitsrat kann die Staaten somit zu einem bestimmten Verhalten gegenüber dem Gerichtshof verpflichten. Über diesen Umweg nimmt er dann Einfluss auf dessen Arbeit. Die folgenden Ausführungen gelten somit für Staaten, die beide Verträge ratifiziert haben. Bei Staaten, die das Statut zwar unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert haben, ist Art. 18 WVK zu beachten. Die Bindung der Staaten an die Resolutionen des Sicherheitsrates, die dieser nach Kapitel VII VNCh erlässt, steht dabei außer Frage. Die Kolli152
3. Kapitel I. Heilmann, S. 121 f.; Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 577 f.). 154 Heilmann, S. 122 ff. 155 Simma/Bryde/Reinisch, UNO-Charter, Art. 48 Rn. 9. 153
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
255
sionsregelung des Art. 103 VNCh erstreckt sich nach herrschender Auffassung auch auf Resolutionen des Sicherheitsrates. Dem Wortlaut ist eine Beschränkung auf das Organisationsprimärrecht nicht zu entnehmen. Insoweit müssen die anderen Auslegungsmethoden herangezogen werden. Nach der Präambel ist es Hauptaufgabe der Vereinten Nationen, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Die Mitglieder schließen sich zusammen, um ihre „Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird“. Herzstück der Charta ist dabei das siebte Kapitel. Ihren Ambitionen kann die Organisation nur gerecht werden, wenn nicht nur die Ziele, sondern auch die Mittel zu deren Erreichung Vorrang vor anderen Verpflichtungen haben. Mit der herrschenden Meinung erfasst die Regelung des Art. 103 somit auch Resolutionen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII VNCh. Somit schafft die Charta die Möglichkeit für den Sicherheitsrat, in bestimmten Fällen auf andere internationale Organisationen Einfluss zu nehmen. Dies geschieht vermittelt durch die Handlungen der Mitgliedstaaten, die zur Umsetzung der Resolution verpflichtet sind. Bei der Beschlussfassung über das Statut war diese Möglichkeit bekannt. Das Statut enthält keine ausdrückliche Regelung zum Vorrang der VNCh. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass dieses Schweigen nicht als Leugnen, sondern vielmehr als Bestätigung dieses Vorrangs ausgelegt werden muss. Die Vertragsstaaten des Statuts sind allesamt Mitglieder der VN. Ihnen war in Rom (und danach) bewusst, dass sie bei einem Konflikt zwischen Chartaverpflichtung und Statutsverpflichtung die VNCh einhalten müssen. Auch das RA vermag an dieser Möglichkeit nichts zu ändern. Auch wenn dessen Ziel die verbesserte Zusammenarbeit der beiden Organisationen ist, ergibt sich aus seinem Wortlaut keine Verpflichtung für den IStGH, sich an Resolutionen des Sicherheitsrates zu halten bzw. keine Verpflichtung für den Sicherheitsrat, sich der Annahme von Resolutionen zu enthalten, die eine de-facto-Wirkung auf den Gerichtshof haben. Der vorgeschlagene Weg einer mittelbaren Einflussnahme des Sicherheitsrates auf den Gerichtshof durch Verpflichtung der Mitgliedstaaten des IStGH-Statuts ist somit möglich.156 Trägt der Sicherheitsrat den Staaten auf, sich in der Vertragsstaatenversammlung auf eine bestimmte Art und 156
So auch Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 579 f.); Benzing, MPYBUNL 7 (2003), S. 591 (S. 626 ff.).
256 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Weise zu verhalten bzw. ein bestimmtes Ziel herbeizuführen, so sind sie dazu verpflichtet. Da sie allerdings auch Vertragsparteien des Statuts sind, haben sie sich als solche an dessen Regelungen zu halten. Verletzen sie einen der beiden Verträge, so machen sie sich völkerrechtlich verantwortlich. Verpflichtet der Sicherheitsrat die Staaten zu einem Verhalten, das statutsgemäß ist, so haben sie sich demgemäß zu verhalten. „Verstößt“ die Pflicht gegen das Statut, dann haben die Staaten die Wahl. Sie verletzen entweder die Grenzen, die das Statut vorgibt, oder missachten ihre Selbstbindung nach Art. 103 VNCh, womit sie sich für genau diese Fälle dazu verpflichtet haben, die Charta einzuhalten. 3. Beispiel: Verpflichtung nationaler Behörden, Strafverfolgungsmaßnahmen einzustellen Die soeben gemachten Ausführungen lassen sich an folgendem Beispiel157 verdeutlichen. Der Sicherheitsrat überweist eine Situation an den IStGH. Seine Bewertung des staatlichen Justizsystems entfaltet für den Gerichtshof keine Wirkung. Ist dem Sicherheitsrat die Strafverfolgung durch den IStGH jedoch besonders wichtig, kann er den Staaten auftragen, keine innerstaatlichen Strafverfolgungsmaßnahmen bezüglich der in Frage stehenden Situation zu ergreifen. Somit wäre der Gerichtshof gemäß Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut zuständig. Der Komplementaritätsgrundsatz wäre kein Hindernis mehr. Dem ersten Anschein nach ist dieses Vorgehen von Charta und Statut gedeckt. a) Beurteilung nach der VNCh Die Charta sieht die Bindung der Mitgliedstaaten ausdrücklich vor. Durch das Statut kann keine Änderung dieser Kompetenz erreicht werden.158 Fraglich ist nur, ob der Sicherheitsrat auf staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen Einfluss nehmen darf. Der Sicherheitsrat ist bei seinem Handeln nur wenigen Begrenzungen unterworfen.159 Dazu gehören grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf einen fairen Gerichtsprozess. Notwendige Folge davon ist eine institutionelle Garantie für den Rechtsweg, d.h. wenn ein Verfahren läuft, sind die Richter unabhängig und unterliegen keiner Weisung. Diese Unabhängigkeit 157
Oosthuizen, NILR XLVI (1999), S. 313 (S. 328 f). Arbour/Bergsmo, Conspicuous Absence of Jurisdictional Overreach, in: FS Bos, S. 129 (S. 139 f.). 159 1. Kapitel III. 158
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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könnte durch einen direkten Eingriff des Sicherheitsrates unterlaufen werden. Diese Bedenken lassen sich nicht ausräumen, wenn darauf verwiesen wird, dass gar kein Prozess stattfindet und somit auch kein Raum für Unfairness bleibt. Denn es kann sein, dass der Angeklagte ein berechtigtes Interesse an der vollständigen Durchführung seines Prozesses hat, um seine Unschuld feststellen zu lassen. Eigentliche Strafverfolgungsbehörden wie Staatsanwaltschaft oder Polizei genießen nicht denselben völkerrechtlichen Schutz wie die Judikative. Es ist daher möglich, dass der Sicherheitsrat die Staaten auffordert, Ermittlungen fallen zu lassen. Die Umsetzung erfolgt dann nach innerstaatlichem Recht. Wenn die Verfahren eingestellt sind, kann der IStGH ohne Subsidiaritätsprobleme ermitteln. Im Übrigen gilt dies auch, wenn der Sicherheitsrat eine Ermittlung gerade in einem Staat durchführen lassen will. Er wird den entsprechenden Staat dann dazu anhalten, effektive Maßnahmen zu ergreifen. Sinnvoller wäre allerdings eine Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut. Darin liegt die Möglichkeit, aufgrund einer im Einzelnen zwar umstrittenen, im Ganzen aber sicher bestehenden Rechtsnorm, auf einzelne Verfahren Einfluss zu nehmen. b) Beurteilung nach dem IStGH-Statut Das Statut nimmt zu dieser Problematik nicht Stellung. Ein Konflikt könnte sich ergeben, wenn das Statut einen ähnlichen Vorrang wie Art. 103 VNCh statuieren würde. Dies ist nicht der Fall. Die Reichweite des Statuts ist beschränkt und erstreckt sich nicht auf Bereiche, die die Mitgliedstaaten und andere internationale Organisationen betreffen. Aus dem Grundsatz pacta sunt servanda, der in Art. 26 WVK kodifiziert wurde, ergibt sich eine Pflicht der Mitgliedstaaten des Statuts, die gleichzeitig Mitglieder des Sicherheitsrates sind. Danach müssen diese Staaten alles unterlassen, was das Ziel des Römischen Statuts gefährden würde. Davon erfasst ist auch die Verpflichtung, sich in internationalen Organisationen dementsprechend zu verhalten160, m. a. W. für die Integrität des Vertrages einzustehen.161 Für den hier interessierenden Bereich bedeutet dies, dass die Staaten sich bei der Beschlussfassung über eine Resolution ihrer Verpflichtung gegenüber dem IStGH bewusst sein müssen. 160 Zimmermann, „Acting under Chapter VII (. . .)“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, in: FS Eitel, S. 253 (S. 271); Heilmann, S. 125. 161 Heilmann, S. 125.
258 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Somit kann der Sicherheitsrat diesen Weg nutzen, um die Gerichtsbarkeit des IStGH zu beeinflussen. Vermittelt über die Staaten kann er einzelne Verfahren beeinflussen. 4. Überweisungen nach Kapitel VII neben Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und die Pflichten der Staaten Solange die Frage der Aggression nicht geklärt ist, bleibt Art. 13 lit. b) IStGH-Statut der einzige Weg für den Sicherheitsrat, den Gerichtshof direkt zur Verfahrenseinleitung zu bringen. Eine reine Resolution nach Kapitel VII VNCh verpflichtet den Gerichtshof nicht, das Prozedere in Gang zu setzen. Durch eine solche Resolution werden die Mitgliedstaaten verpflichtet. Sie sind nach dem pacta-sunt-servanda-Grundsatz verpflichtet, die Resolutionen des Sicherheitsrates umzusetzen. Dazu gehört, wie soeben erwähnt, auch die Pflicht, in internationalen Organisationen für die Erreichung des gemeinsamen Ziels zu sorgen. Wenn der Sicherheitsrat ein Verfahren vor dem IStGH einleiten möchte, ohne sich des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zu bedienen, kann er die Staaten dazu verpflichten, ihre Möglichkeit nach Art. 13 lit. a) IStGH-Statut zu benutzen. Die Verpflichtung ergibt sich dann entweder ausdrücklich aus der Resolution oder über den Umweg des pacta-suntservanda-Grundsatzes. Diese Möglichkeit ist allerdings wesentlich umständlicher als der direkte Weg über Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Relevant wird sie als Auffanglösung, wenn nicht sicher ist, ob der Rat den direkten Weg gehen wollte bzw. gegangen ist. Eine Resolution, die Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht erwähnt, ist dann als eine solche Resolution interpretierbar, die die Staaten verpflichtet, nach Art. 13 lit. a) IStGH-Statut vorzugehen.162 5. Ergebnis zur Adressatenfrage Nur dort, wo es das Statut vorsieht, kann der Sicherheitsrat den Gerichtshof direkt binden. Vermittelt über die Mitgliedstaaten, die Resolutionen des Sicherheitsrates umsetzen müssen, kann der Rat Einfluss auf die Arbeit der Organe nehmen. Vorstellbar ist dieser Weg bei Prozesshandlungen und bei der Strafvollstreckung (Amnestien). Die mittelbare Wirkung erstreckt sich nicht nur von VN zu IStGH. Umgekehrt ist das Statut nach dem pacta-sunt-servanda-Grundsatz schon bei Beschlussfassung im Rat von Bedeutung.163 162
Vgl. dazu 7. Kapitel.
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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III. (Selbst-)Bindung des Sicherheitsrates Möglich ist auch, dass sich der Sicherheitsrat durch seine bisherige Resolutionspraxis selbst Grenzen gesetzt hat. Seine Rechtsakte schaffen möglicherweise einen Vertrauenstatbestand bei den Staaten. Der Sicherheitsrat könnte sich somit bestimmter Kompetenzen entledigt haben. Daneben sind noch andere Rechtsfolgen denkbar. 1. Rücknahme einer Überweisungsresolution Die bisher einzige Überweisungsresolution war und ist äußerst umstritten. Sollte sich der Rat in Zukunft zu einer weiteren Überweisungsresolution durchringen, wird auch diese hochpolitisiert sein. Stellt sich nach der Beschlussfassung, unter Umständen sogar nach Einleitung von Ermittlungen oder Beginn der ersten Verfahren, die Interessenlage der Mitglieder im Sicherheitsrat anders dar, kann die Stimmung im Rat kippen und die Überweisungsresolution zurückgezogen werden. Vorstellbar ist auch, dass sich die Konfliktsituation entspannt oder gelöst hat. Es stellt sich dann die Frage, ob der Sicherheitsrat die Überweisungsresolution zurückziehen darf. Anderenfalls könnte ihm nur die Möglichkeit bleiben, seine „Kompetenz“ aus Art. 16 IStGH-Statut zu nutzen. a) Die Möglichkeit zur Aufhebung Weder VNCh noch IStGH-Statut nehmen zu einer solchen Situation Stellung. In der Praxis der VN kann nur der Sicherheitsrat selbst eine Änderung bzw. Aufhebung seiner Resolutionen erreichen. Weder die Generalversammlung noch der IGH haben eine Kompetenz dazu. Theoretisch fundiert wird diese Praxis durch einen entsprechenden Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts, wonach nur der jeweils Rechtsetzende das Recht wieder aufheben kann. Im Völkerrecht hat sich die Theorie des actus contrarius nicht durchsetzen können.164 Grundsätzlich sind Staaten somit nicht darauf angewiesen, ihre Rechtsetzung durch einen gleichartigen Akt rückgängig zu machen. Für den Sicherheitsrat als Organ einer internationalen Organisation kann dies nicht uneingeschränkt gelten. Aus der VNCh lässt sich nicht eindeutig 163 In diese Richtung geht die Stellungnahme des Vertreters Benins im Sicherheitsrat, UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 10, der die Ja-Stimme für den Überweisungsbeschluss zuerst damit begründet, dass Benin Vertragspartei des Statuts ist. Erst danach kommen praktische Gründe. 164 Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 13 Rn. 5.
260 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
herauslesen, wie eine Rücknahme von Zwangsmaßnahmen zu erfolgen hat. Im Interesse der Rechtssicherheit hat sich die Praxis herausgebildet, dass der Sicherheitsrat seine Sanktionen wieder aufhebt, wenn er sie nicht mehr für erforderlich erachtet. Eine ausdrückliche Aufhebung ist wünschenswert, da die Staaten an sie gebunden sind. Würde der Rat seine Beschlüsse nur stillschweigend ändern oder aufheben, wäre es völlig unklar, wann und wie die Sanktionen geändert wurden. Diese Frage wird in ähnlicher Form für ICTY und ICTR relevant, denn dort stellt die Rücknahme der Gründungsresolution nur einen der gangbaren Wege dar, um die Tribunale aufzulösen.165 Vorstellbar ist auch, dass die Resolution unwirksam wird, wenn die Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCh nicht mehr vorliegen.166 Dies müsste dann aber eine Grundlage in der Charta finden. Dieser ist nicht zu entnehmen, dass Maßnahmen des Sicherheitsrates automatisch auslaufen und unwirksam werden sollen. Das einzige Organ, das die Voraussetzungen des Art. 39 VNCh feststellen kann, ist der Sicherheitsrat selbst. Dies muss nicht nur für das Vorliegen zu Beginn, sondern auch für das Wegfallen gelten. Eine Feststellung durch andere Organe kommt ebenso wie die automatische Unwirksamkeit nicht in Betracht. Daneben ist diese Lösung aufgrund der großen Rechtsunsicherheit nicht praktikabel. b) Art. 16 IStGH-Statut als möglicherweise einziger Beendigungstatbestand Denkbar ist, dass diese Möglichkeit durch Art. 16 IStGH-Statut ausgeschlossen worden ist. Dort wird die einzige Möglichkeit normiert, wie der Sicherheitsrat in ein laufendes Verfahren eingreifen kann. Das Statut wollte keine andere Möglichkeit vorsehen. Somit könnte eine Rücknahmeresolution ausgeschlossen sein. Dies würde aber in den Regelungsbereich der VN eingreifen. Die Befugnis zur Rücknahme oder Änderung der eigenen Entscheidung verdankt der Sicherheitsrat nicht dem Statut. In die Kompetenzverteilung der Charta kann das Statut nicht eingreifen. Noch dazu kommt die Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut erst auf der Stufe nach der Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut in Betracht. Während diese den Beginn markiert, kann jene erst in einzelnen Verfahren, 165
Vgl. Schabas, The UN International Criminal Tribunals, S. 40 ff. Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), UN Doc. S/25704 vom 3. Mai 1993, Rn. 28, denkt dies an, lässt es aber offen. 166
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
261
also im Schritt danach, Wirkung entfalten. Art. 16 IStGH-Statut erfasst nicht alle Fälle, die von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut berührt werden. Der Hintergedanke von Art. 16 IStGH-Statut trägt dieses Ergebnis mit. Der Sicherheitsrat entscheidet, wann eine Situation nach Art. 39 VNCh vorliegt. Er trifft die Maßnahme nach eigenem Ermessen. Entscheidet er sich dafür, dass die Untersuchung einer Situation den Weltfrieden gefährdet, so entzieht er dem Gerichtshof die völkerrechtliche Grundlage für die Strafverfolgung. Für Art. 16 IStGH-Statut gilt selbiges in Bezug auf Ermittlungen oder Strafverfolgung. c) Die Rechtsfolgen einer solchen Aufhebung Die Rechtsfolge einer solchen Aufhebungsresolution kann verschieden ausgestaltet sein. Zum einen kann der Rat bestimmen, dass die Aufhebung die Überweisung nicht berührt. So kann er u. a. beschließen, dass die begonnenen Verfahren zu Ende geführt werden. Oder der Rat nimmt dazu keine Stellung. Dann ist durch Auslegung zu ermitteln, was sein Wille war. Problematisch wird es, wenn der Sicherheitsrat seine Überweisungsresolution mit Wirkung ex tunc aufhebt. Das Statut schweigt dazu. Oben wurde gezeigt, dass die Überweisung nur die „Initialzündung“ für die Gerichtsbarkeit war. Das weitere Verfahren läuft ohne Zutun des Rates. Problematisch ist aber nicht der Verfahrensgang, sondern die Basis der Gerichtsbarkeit. Nur für Vertragsparteien des Statuts stellt dies keine Hürde dar. Sie haben in Art. 12 Abs. 1 IStGH-Statut die Gerichtsbarkeit automatisch anerkannt. Nichtvertragsparteien des Statuts müssen die Arbeit nur auf Grundlage der Resolution nach Kapitel VII VNCh anerkennen und ggf. unterstützen. Als Nichtvertragspartei sind die Staaten nicht an das Statut gebunden. Der Gerichtshof darf ohne andere Rechtsgrundlage keine Hoheitsgewalt über diese ausüben. Wie beschrieben ist die Rechtsgrundlage gegenüber Nichtvertragsparteien die Resolution.167 Schafft der Sicherheitsrat diese ab, so sind Nichtvertragsparteien nicht mehr zur Duldung verpflichtet. Die Organe des Gerichtshofs dürfen ohne den Anknüpfungspunkt nach Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut nicht gegen Staatsangehörige der Nichtvertragsparteien vorgehen. Somit entfällt durch eine Rücknahmeresolution die Basis der Gerichtsbarkeit für einen Teil der in Frage stehenden Situation. Im Falle einer Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dürfte dies regelmäßig der entscheidende Teil sein. Anderenfalls wäre eine Einleitung durch 167
Vgl. insb. 3. Kapitel II. 2.
262 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
den Sicherheitsrat nicht erforderlich gewesen, sondern auch der Weg über Art. 13 lit. a) oder lit. c) IStGH-Statut in Betracht gekommen. Selbst wenn man annähme, Art. 16 IStGH-Statut schließe eine solche Möglichkeit aus, entfiele die einzige völkerrechtliche Grundlage, die den Verstoß gegen den pacta-tertiis-Grundsatz rechtfertigt – solange die Nichtvertragsparteien keine gesonderte Erklärung nach Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut abgegeben haben. Der Gerichtshof mag dann noch arbeiten und auch einzelne Verfahren zu Ende führen, weil er für sich annimmt, das Fundament für die Gerichtsbarkeit sei nie entfallen. Da es aber nach dem pacta-tertiis-Grundsatz bei Fehlen des staatlichen Einverständnisses keine andere Grundlage gibt als eine Resolution, würde sich der IStGH wohl völkerrechtlich verantwortlich machen. Somit kann der Sicherheitsrat die Arbeit des Gerichtshofs empfindlich beinträchtigen. 2. Präklusion des Sicherheitsrates vom Beschluss einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut In Betracht kommt auch, dass der Sicherheitsrat einen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt hat, dass er die Arbeit des IStGH nicht behindern, sondern vielmehr unterstützen wird. Daraus ließe sich schließen, dass er seine Kompetenzen aus Art. 16 IStGH-Statut nicht wahrnehmen wird. Das Statut bietet dafür jedoch keinen Anhaltspunkt. Art. 13 lit. b) IStGHStatut und Art. 16 IStGH-Statut betreffen verschiedene Verfahrensstufen. Vom Vorliegen einer Resolution lässt sich nicht auf die Bewertung in einem anderen Rahmen schließen. Nach dem Wortlaut und der Systematik des Statuts kann der Rat also Ermittlungen und Strafverfolgungen stoppen, auch wenn er das Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eingeleitet hat. 3. Verlust der Gerichtsgründungskompetenz durch Überweisung an den IStGH Wesentlich relevanter als diese Problematik ist, ob der Sicherheitsrat seine Kompetenz verliert, weitere ad-hoc-Tribunale zu gründen.168, 169 Praktisch relevant wird diese Möglichkeit, wenn der Sicherheitsrat mit der Arbeit des IStGH unzufrieden ist und für denselben Konflikt ein Sondertribu168
Staker, Int’l L.FORUM 0 (1998), S. 16 ff. Das Verhältnis zu den beiden ad-hoc-Tribunalen bleibt hier ausgespart. Das entscheidende Kriterium, nämlich die jeweilige Gerichtsbarkeit ratione temporis, ist für den ICTR keines. Es gibt keine Überschneidungen zwischen seiner Gerichtsbarkeit und der des IStGH. Für den ICTY ist dies problematischer. Hier sei auf die Literatur verwiesen, insb. Kurth, S. 212 f. 169
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
263
nal errichten möchte. Gründet er einen Gerichtshof für eine ganz andere Situation, so stellt sich diese Schwierigkeit nicht. Das Statut kann nicht in das Recht der Charta eingreifen.170 Somit ist die Frage anhand des Rechts der VN zu überprüfen. Rechtspolitische oder Zweckmäßigkeitserwägungen, wie sie z. B. Staker171 oder Arnold172 anstellen, spielen nachfolgend keine Rolle. Der VNCh ist naturgemäß keine Bestimmung zu entnehmen, die in einem solchen Konflikt einschlägig ist. Kompetenzgrundlage bleibt auch hier das siebte Kapitel der Charta.173 Seit der Tadic´-Entscheidung des ICTY174 ist allgemein anerkannt, dass der Sicherheitsrat eine solche Kompetenz hat. Diese Regelungen kann das Statut auch nicht im Hinblick auf die Gründung weiterer ad-hoc-Tribunale ändern.175 Dem ersten Anschein nach ist die Gründung weiterer Tribunale somit gedeckt. a) Der Grundsatz ne bis in idem Dies übersieht jedoch die Bindungen, denen der Sicherheitsrat unterliegt. Im Kapitel über den Rechtsrahmen wurde bereits dargelegt, dass der Sicherheitsrat an grundlegende Menschenrechte gebunden ist. Dazu gehören auch Regelungen, die einen Strafprozess betreffen. Gewohnheitsrechtlich gilt im Völkerrecht der Grundsatz des ne bis in idem.176 Im Statut ist dieser in Art. 20 kodifiziert. Es versteht sich von selbst, dass die Formulierung im IStGH-Statut, das ein völkerrechtlicher Vertrag ist, den Sicherheitsrat nicht binden kann. Der genaue Gehalt des ne-bis-in-idem-Grundsatzes ist jedoch umstritten. Zwischen den Individualrechten eines Beschuldigten und Gerechtigkeitserwägungen muss eine Abwägung getroffen werden. Erschwert wird diese 170
Arnold, S. 188; Kurth, S. 213. Staker, Int’l L.FORUM 0 (1998), S. 16 (S. 17 f.). 172 Arnold, S. 188 ff. 173 Arbour/Bergsmo, Conspicuous Absence of Jurisdictional Overreach, in: FS Bos, S. 129 (S. 139 f.). 174 3. Kapitel II. 2. 175 Staker, Int’l L.FORUM 0 (1998), S. 16 (S. 16). 176 Die ILC erkennt ihn bei aller Vorsicht als fundamental wichtig („fundamental guarantee“) an, ILCYB 1996, Vol. II, part II, S. 37. Zustimmend auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 199 IV 4 (S. 1157); Schabas, Introduction to the ICC, S. 191 ff. Skeptisch Triffterer/Tallgren/Reisinger-Coracini, ICC Statute, Art. 20 Rn. 8 ff.; BVerfGE 75, S. 1 (S. 18); BGHSt 34, S. 334 (S. 340); Conway, CLF 14 (2003), S. 351 ff. Skeptisch aufgrund der unklaren Grenzen Wyngaert/Ongena, Ne bis in idem Principle – Including the Issue of Amnesty, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 705 (S. 706). 171
264 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
durch die Interessen der Staaten, die u. U. ihre Staatsangehörigen mit der Durchführung von sogenannten shame trials vor anderen Jurisdiktionen schützen möchten. Art. 17 IStGH-Statut versucht diese Art von Prozessen zu verhindern und deren Auswirkungen auf den internationalen Strafprozess gering zu halten. Ob diese Regelung erfolgreich ist, wird die Zukunft zeigen. Besonders problematisch ist weiterhin, dass der Grundsatz nur innerhalb einer Gerichtsbarkeit gelten soll.177 In einigen Verträgen ist dieses Prinzip festgeschrieben. So beinhalten Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK und Art. 8 Abs. 4 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention das grundsätzliche Verbot der Doppelbestrafung. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schweigt dazu, aber der IPbpR trifft mit Art. 14 Abs. 7 eine Regelung. Der Menschenrechtsausschuss sieht die Geltung jedoch beschränkt auf Verfahren innerhalb einer Jurisdiktion.178 Auch der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind enthält mit seinem Art. 12 eine solche Regelung. Die Verträge und Stellungnahmen des Menschenrechtsausschusses betreffen jedoch nur Tatbestände des nationalen Rechts wie Mord, Vergewaltigung etc. Für die völkerstrafrechtlichen core crimes gelten die Zweifel gerade nicht.179 Kai Ambos weist anhand der Rechtsprechung verschiedener Gerichte nach, dass für die Völkerstraftatbestände der Grundsatz in den Verfahren Geltung hat.180 Auch nach Oehler gehört das Verbot des ne bis in idem zum Wesen des Weltrechtsprinzips,181 dem auch die Tatbestände der Art. 5 ff. IStGH-Statut unterfallen sollen.182 Alle Staaten haben einen Strafanspruch gegen den Täter. Wenn allerdings ein Staat den Täter abgeurteilt hat, erlischt der Anspruch aller anderen Staaten. Sollen von einem nationalen oder internationalen Strafgericht Urteile auf Grundlage des Weltrechtsprinzips gefällt werden, so darf der Täter für eben diese Tat und eben dieses Delikt noch nicht verurteilt worden sein. 177 UN Committee for Human Rights, A. P. v. Italy, UN Doc. CCPR/ C/31/D/204/1986 vom 2. November 1987, Rn. 7.3; Triffterer/Tallgren/ReisingerCoracini, ICC Statute, Art. 20 Rn. 8 ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 178 UN Committee for Human Rights, A. P. v. Italy, UN Doc. CCPR/ C/31/D/204/1986 vom 2. November 1987, Rn. 7.3. Die neue Kommentierung zu Art. 14 Abs. 7 IPbpR nimmt zu dieser Frage keine Stellung mehr, General Comment No. 13: Equality before the courts and the right to a fair and public hearing by an independent court established by law (Art. 14) vom 13. April 1984, Rn. 19. 179 Schabas, Introduction to the ICC, S. 192. 180 Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 191 f., 198 f., 238. 181 Oehler, Internationales Strafrecht, § 53 Rn. 906. 182 Schabas, Introduction to the ICC, S. 60; Cassese, EJIL 13 (2002), S. 853 (S. 855 ff.). Vgl. auch die verschiedenen Sondervoten im Fall Arrest Warrant, ICJ Reports 2002, S. 3 ff. Die Richter Guillaume, Ranjeva, Higgins, Kooijmans, Buergenthal, Rezek und van den Wyngaert kommen mit unterschiedlichen Begründungen zu diesem Ergebnis.
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
265
Der Sicherheitsrat hat seine beiden ad-hoc-Tribunale mit einer entsprechenden Regelung ausgestattet.183 Auch die hybriden Gerichte sind daran gebunden.184 Der Sicherheitsrat hat somit die berechtigte Erwartung geschaffen, dass bei weiteren Tribunalen dieser Grundsatz ebenfalls zur Anwendung gelangen wird. Von der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Doppelbestrafungsverbots im Völkerrecht kann somit im Folgenden ausgegangen werden. Für die Gründungsproblematik ist dieser Grundsatz aber noch nicht voll zu berücksichtigen. Er gilt erst für einzelne Verfahren. Die Gründung ist diesen naturgemäß vorgelagert. Somit wird der Sicherheitsrat durch das Doppelbestrafungsverbot nicht an der Gründung weiterer Tribunale gehindert. Er muss aber bei der Gründung den Grundsatz beachten, d.h. der Sicherheitsrat sollte das Doppelbestrafungsverbot in das Statut aufnehmen, auch wenn das Tribunal auch ohne ausdrückliche Erwähnung daran gebunden ist. Der Grundsatz geht daher auch nicht so weit, dass er die Überprüfung einer gesamten Konfliktsituation durch ein Unterorgan des Sicherheitsrates verhindert, nachdem schon der IStGH oder ein anderer Gerichtshof sich damit befasst haben. Die parallele Strafverfolgung ist auf völkerrechtlicher Ebene wohl zulässig. Davon zeugt schon die Existenz des Komplementaritätsgrundsatzes. Dieser gestattet die Verfolgung durch den IStGH, solange die nationalen Maßnahmen nicht effektiv sind. b) Argumente gegen die Gründungsfreiheit des Sicherheitsrates Gegen das Weiterbestehen der Kompetenz werden noch weitere Argumente angeführt. So bemüht sich Pascal Arnold um die Begründung einer Pflicht, nach der der Sicherheitsrat dem IStGH Vorrang vor der Gründung weiterer Tribunale geben muss.185 Er argumentiert mit der Rechtsansicht der Staaten. Diese hätten sich bemüht, eine „universelle und einheitliche Gerichtsbarkeit“ zu schaffen. Damit hätten sie ihre Ablehnung gegenüber weiteren Tribunalen zum Ausdruck gebracht. Als „stellvertretendes Organ der Staatengemeinschaft“ sei der Rat an diese Rechtsansicht gebunden. Die bestehenden und zu schaffenden Verbindungen zwischen den beiden Organisationen verstärkten diese Pflicht. Die VN hätten die Arbeit am Statut unterstützt. Im Sinne des „Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Staaten“ 183 184 185
Art. 10 ICTY-Statut, Art. 9 ICTR-Statut. Art. 9 SCSL-Statut, Art. 5 STL-Statut. Arnold, S. 191 f. Die folgenden wörtlichen Zitate stammen auch von dort.
266 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
„muss“ der Sicherheitsrat der Gerichtsbarkeit des IStGH den Vorzug geben. Arnold argumentiert weiter rechtspolitisch aus dem „Blickwinkel einer einheitlichen Rechtsprechung und der damit verbundenen Rechtsfortbildung im humanitären Völkerrecht“.186 Ausgangspunkte für die Beantwortung der Frage nach dem Verlust der Gerichtsgründungskompetenz sind VN-Charta und IStGH-Statut. Nach dem heute herrschenden objektiven Auslegungsansatz beginnt die Interpretation am Text, die Motive der vertragschließenden Parteien sind nur subsidiär heranzuziehen.187 Finden sie im Rechtstext keinen Niederschlag, sind sie nicht entscheidend. Dem Statut ist nicht zu entnehmen, dass die Staaten die Gründung anderer Tribunale rechtsverbindlich verhindern oder untersagen wollten. Gerade bei der Abschaffung einer Kompetenz hätte der dahingehende Wille eindeutiger manifestiert werden müssen. Arnolds Ansicht findet keinen Niederschlag in den konstitutiven Rechtsakten. Im Übrigen zeigt die unwidersprochen gebliebene Arbeit des Sicherheitsrates seit Arnolds Ausführungen im Jahre 1999, namentlich die Gründung von SCSL und STL, dass die von ihm propagierte Rechtsansicht in der Praxis nicht geteilt wird. Andere Gründe für das Erlöschen bzw. die Nichtanwendbarkeit der Gründungskompetenz sind nicht ersichtlich. c) Beschränkte Kompetenz des Sicherheitsrates zur Gründung von ad-hoc-Tribunalen Insoweit ist die Kompetenz des Sicherheitsrates durch das Verbot der Doppelbestrafung beschränkt. Ob der Sicherheitsrat die Strafverfolgung einleiten kann, ist somit nur im Hinblick auf einzelne Personen zu beurteilen. Ganze Konfliktsituationen sind durch den ne-bis-in-idem-Grundsatz nicht gesperrt. Dies gilt nicht nur, wenn der Strafgerichtshof in Fällen des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut tätig geworden ist, sondern auch in den Fällen lit. a) und lit. c). Die Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat selbst ist im Hinblick auf den Verlust der Komptenenz, ad-hoc-Tribunale zu gründen, nicht anders zu beurteilen als bei einer anderen Verfahrenseinleitung. Ist er mit den Ergebnissen eines konkreten internationalen Strafprozesses nicht zufrieden, kann der Sicherheitsrat somit kein Tribunal gründen, um diese Fälle erneut anklagen zu lassen. Dies ist insoweit auch Folge der dezentralen Natur des Völkerrechts.
186 Arnolds Hervorhebungen sind hier eingeebnet. Ebenso wie Arnold argumentiert auch Kurth, S. 71. 187 1. Kapitel II. 1. a).
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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4. Die (Selbst-)Bindungen des Sicherheitsrates durch eine Überweisungsresolution Der Sicherheitsrat kann sich durch eine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut kaum selbst binden. Möglich wäre dies nur, wenn die VNCh oder Regelungen des allgemeinen Völkerrechts, an die der Sicherheitsrat gebunden ist,188 dies vorsehen. Dies ist nicht zu erkennen. Der Sicherheitsrat kann insb. seine Überweisungsresolution jederzeit zurückziehen. Die Verfahren vor dem IStGH müssen dann eingestellt werden – solange es sich um Fälle handelt, die keinen Bezug nach Art. 12 Abs. 1 IStGH aufweisen. Seine Kompetenz, ad-hoc-Tribunale zu gründen, verliert er dagegen nicht. Einzig die Verfahren, die bereits vom IStGH oder einem anderen Gericht ordnungsgemäß durchgeführt189 worden sind, sind von der Gerichtsbarkeit des neuen ad-hoc-Tribunals ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus dem nebis-in-idem-Grundsatz.
IV. Auswirkungen auf die Gerichtsbarkeit des IStGH Der Gedanke, dass der IStGH die Gründung weiterer ad-hoc-Tribunale überflüssig machen sollte, war als Motiv bei den Verhandlungen zum Statut stets präsent. Der Sicherheitsrat sollte in Zukunft die bestehende Infrastruktur nutzen und nicht auf den langwierigen und teuren Weg angewiesen sein, neue Tribunale zu schaffen. Ziel war es, eine effektive und schnelle völkerrechtliche Strafverfolgung zu gewährleisten.190 Gerade der Bestand von festen Regelungen kann die Effektivität der Strafverfolgung beeinträchtigen. Bisher war der Sicherheitsrat in der Lage, flexibel auf Konflikte zu reagieren und maßgeschneiderte Konzepte zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens zu schaffen. So konnte er die Tatbestände aufnehmen, die relevant waren, die Gerichtsbarkeit ratione temporis und ratione personae so anpassen, dass nur die dringendsten Fälle bearbeitet wurden etc.191 Die Möglichkeit, flexibel auf Krisen zu reagieren und dabei Maßnahmen nach Kapitel VII VNCh zu ergreifen, besteht für den Sicherheitsrat nach wie vor. Dazu gehört auch die Gründung weiterer ad-hoc-Tribunale192 Ob 188
1. Kapitel. Art. 20 Abs. 3 IStGH-Statut. 190 Nsereko, CLF 10 (1999), S. 87 (S. 90). 191 Staker, Int’l L.FORUM 0 (1998), S. 16 (S. 17 f.); Arnold, S. 188 ff. Kritisch Kurth, S. 213 f. 192 Vgl. vorheriger Punkt III. 4. 189
268 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
es im Strafrecht wünschenswert ist, für jeden Fall neue, maßgeschneiderte Gerichtshöfe zu schaffen, darf im Hinblick auf rechtsstaatliche Grundsätze durchaus bezweifelt werden. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Daneben gilt es zu bedenken, dass eine optimale Ressourcennutzung nicht allein durch den Sicherheitsrat erfolgen kann. Im Gegenteil, das Statut sieht einen Mechanismus vor, der (prozess-)ökonomisches Vorgehen in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren gewährleisten soll. 1. Ausweitung der Gerichtsbarkeit durch Hinwegsetzen über das Statut Daher wird vertreten, dass der Sicherheitsrat die Gerichtsbarkeit des IStGH ausweiten kann. Er soll sich kraft seiner Befugnisse aus Kapitel VII VNCh über die Determinanten des Statuts hinwegsetzen dürfen.193 Personelle, zeitliche und räumliche Grenzen sollen nicht gelten bzw. dispositiv sein, um eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten. a) Materielle, personelle und zeitliche Ausweitung Für die Außerachtlassung der Art. 5–8, 11, 24–26, 30 IStGH-Statut, in denen die materielle, personelle und zeitliche Jurisdiktion geregelt ist, für Fälle der Überweisung durch den Sicherheitsrat sprechen die Art. 25, 39 ff. 103 VNCh. In diesen wird der Vorrang des Primär- und Sekundärrechts der VN vor anderem Recht statuiert. Diese entfalten für den Gerichtshof aber keine Wirkung. Denn der Gerichtshof ist als eigenständiges Völkerrechtssubjekt nicht an das Primärrecht eines anderen Völkerrechtssubjekts gebunden.194 Dies wäre nur durch eine ausdrückliche Ausnahme im Statut möglich.195 Diese Ausnahme trifft das Statut allerdings an keiner Stelle. Möglich wäre zwar eine Erweiterung des Primärrechts des IStGH durch eine Resolution des Sicherheitsrates, in der für bestimmte Fälle Ausnahmen von den Jurisdiktionsparametern gemacht werden. Für die Ergänzung des Statuts wurde aber ein Mechanismus entwickelt, der in seiner Komplexität abschließend ist. Insbesondere ist eine Ergänzung um weitere Tatbestände dem Art. 121 IStGH-Statut unterworfen, in dem der Sicherheitsrat keine Rolle spielt.196 Dies ergibt sich aus der späteren Praxis der Vertragsstaaten, 193 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 576). 194 1. Kapitel IV. 195 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 574).
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Art. 31 Abs. 2 WVK. Die Abschlussakte der Rom-Konferenz enthält die Resolution E, in der die Staaten ihr Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, für Terrorismus und „Drogenverbrechen“ keine Definition gefunden zu haben. Sie empfehlen eine Definition und spätere Aufnahme nach Art. 123 IStGH-Statut.197 Damit kommt ihr Wille zum Ausdruck, keine anderen Ergänzungen als ihre eigenen zu akzeptieren. Somit kann der Sicherheitsrat keine neuen Tatbestände einfügen, keine Minderjährigen oder juristischen Personen oder Taten anklagen, die vor dem 1. Juli 2002 begangen wurden.198 Die Lage bezüglich anderer materieller Probleme stellt sich ebenso dar. So kann der Sicherheitsrat nicht einzelne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe ausweiten oder einschränken. Subjektive Erfordernisse erlauben auch keine Ausnahme. Auch die Art. 27 ff. IStGH-Statut sind somit unberührbar. Bezüglich der Tatbestände ergeben sich einige Probleme, auf die später zurückzukommen sein wird. b) Räumliche Ausweitung und Staatsangehörigkeitserfordernis Anders stellt sich die Bewertung der räumlichen Ausweitung dar. Grundsätzlich dürfen gemäß Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut nur solche Fälle vom IStGH bearbeitet werden, bei denen Tatort- oder Täterstaat Vertragspartei des IStGH-Statuts ist. Die Voraussetzungen müssen nicht kumulativ, sondern können alternativ vorliegen. Ohne den Konsens eines Nichtvertragsstaates ist es nicht möglich, seine Staatsangehörigen zu verfolgen, wenn sie in einem Nichtvertragsstaat Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut begehen bzw. begangen haben. Ebenso wenig ist es zulässig, Taten auf dem Territorium eines Nichtvertragsstaates zu verfolgen, wenn der Täter Staatsangehöriger einer Nichtvertragspartei ist.199 Allerdings gilt Art. 12 IStGH-Statut nur für Fälle nach Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut. Funktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist es, die Gerichtsbarkeit möglichst universell zu gestalten. Dazu stellt das Statut den Sicherheitsrat von den Erfordernissen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut frei. 196 Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 574). 197 Final Act of the United Nations Diplomatic Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court, Annex I, Resolution E, UN Doc. A/CONF.183/13(Vol.I), S. 71 f. 198 Ebenso Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 580 f.), allerdings mit der Einschränkung, dass Art. 11 IStGH-Statut nicht einschlägig sein soll. Im 5. Kapitel unter IV. wurde diese Argumentation bereits abgelehnt. 199 3. Kapitel II. 2.
270 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Die Rechtsgrundlage für die Jurisdiktion über Nichtvertragsparteien des Römischen Statuts ist dann das Kapitel VII VNCh.200 Rechtsfolge einer Überweisungsresolution ist somit die Ausdehnung der räumlichen Zuständigkeit und die Ausnahme vom Staatsangehörigkeitserfordernis. Genau diese ist durch Art. 13 lit. b) IStGH-Statut auch beabsichtigt.201 c) Ausweitung der Gerichtsbarkeit auf alle gewohnheitsrechtlichen Anknüpfungsprinzipien Fraglich ist aber, ob die Resolution nicht nur den fehlenden Konsens des Tatort- oder Täterstaates ersetzt. Es kann sein, dass bei einer Überweisung durch den Sicherheitsrat jedes gewohnheitsrechtlich anerkannte Anknüpfungsprinzip Anwendung findet. Ob dies vorgesehen ist, kann nur anhand des Statuts und den anerkannten Hilfsmitteln ermittelt werden. Das Statut nennt keinen anderen Ansatzpunkt. Es bleibt nur Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut. Fraglich ist, ob dieser so zu verstehen ist, dass alle Anknüpfungsprinzipien in Betracht kommen, oder ob er festlegt, dass allein diese zwei Prinzipien grundlegend für die Arbeit des IStGH sind, gleichgültig, wie das Verfahren eingeleitet wurden. Für Art. 13 lit. b) IStGH-Statut bedeutete dies, dass dann lediglich der Konsens des Drittstaates, der Tatort- oder Täterstaat ist, fingiert wird. Dafür müsste der Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut als numerus clausus der Anknüpfungspunkte auszulegen sein. Gegen die abschließende Natur von Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut spricht, dass der Artikel sich seinem Wortlaut nach nur auf die anderen beiden Eröffnungsvarianten des Art. 13 IStGH-Statut bezieht. Für Art. 13 lit. b) IStGH-Statut soll er gerade nicht gelten. Die Entwicklungsgeschichte stützt diese Auslegung. Der heutige Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut bezog sich nie auf Sicherheitsratsüberweisungen. Diese Frage wurde vielmehr auch in den Entwürfen ausgespart.202 Auch die Ablehnung des deutschen Vorschlags, die Gerichtsbarkeit auf das Weltrechtsprinzip zu stützen, spricht nicht gegen die Ausweitung. Der Vorschlag bezog sich auf die Staatenüberweisungen oder die proprio-motu-Ermittlungen des Anklägers. Sinn und Zweck des Vorschlags war es, Strafbarkeitslücken zu füllen, die in mangelnder Staatenbeteiligung begründet waren.203 Es ging der deut200 s. oben im 3. Kapitel unter II. und Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 581); Gallant, LeidenJIL 16 (2003), S. 553 (S. 583). 201 3. Kapitel II. 202 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 12 Rn. 3 ff. 203 Erklärung des deutschen Delegationsleiters Hans-Peter Kaul, zitiert nach Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 12 Rn. 7 in Fn. 42. Vgl. auch das
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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schen Delegation gerade nicht um die Überweisungen durch den Sicherheitsrat. Angeführt wurden zahlreiche Beispiele, bei denen die Gerichtsbarkeit nicht ausgeübt werden konnte, weil keine Zustimmung vorhanden war.204 Auch die anderen Vorschläge in Rom, v. a. der koreanische Vorschlag zur automatischen Zuständigkeit des IStGH, sobald entweder Tatort-, Täter- oder Opferstaat oder Gewahrsamstaat des Täters Vertragspartei des Statuts sei, bezogen sich ebenfalls nur auf den Fall der Staatenüberweisung oder die Ermittlung durch den Ankläger.205 Selbst die Vereinigten Staaten schlugen die dem Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut vergleichbare Lösung nur für den Fall vor, in dem der Sicherheitsrat nicht überwiesen hat.206 Hintergrund war, dass die Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat ihr Veto hätten einlegen können und so im Einzelfall die Durchsetzung der universellen Zuständigkeit verhindern oder generell faktisch unmöglich machen könnten.207 Der Sicherheitsrat könnte dieser Auslegung nach jeden gewohnheitsrechtlichen Anknüpfungspunkt wählen und die Gerichtsbarkeit des IStGH darauf basieren lassen.208 Das Fehlen einer Regelung im Statut kann aber auch dahingehend ausgelegt werden, dass eben kein anderer Anknüpfungspunkt in Betracht kommen sollte. Man könnte sich nur am Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut orientieren. Die Resolution des Sicherheitsrates ersetze dann den fehlenden Konsens des Tatort- oder Täterstaates. Somit würde das Universalitätsprinzip nicht gelten, auch nicht im Falle des Art. 13 lit. b) IStGHStatut.209 Im Ergebnis ist Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut nur abschließend, wenn es um die Varianten Art. 13 lit. a) und c) IStGH-Statut geht. Gewohnheitsrechtlich kommen mehrere Anknüpfungsprinzipien in Betracht. Diese sind der rechtliche Normalfall. Die Staaten haben sich zusammengeschlossen, Protokoll der Sitzung vom 16. Juni 1998, UN Doc. A/CONF.183/SR.4 vom 20. November 1998, mit der deutschen Stellungnahme in Rn. 20 ff. 204 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 12 Rn. 7. 205 UN Doc. A/CONF.183/13 (Vol. III). 206 UN Doc. A/CONF.183/C.1/L.53 vom 9. Juli 1998; UN Doc. A/CONF.183/ C.1/L.70 vom 14. Juli 1998. 207 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 12 Rn. 10. Die USA wollten die Stellung des Sicherheitsrates bei den Verhandlungen zum Statut so stark wie nur irgend möglich machen, um die Gerichtsbarkeit des IStGH (faktisch oder rechtlich) einzuschränken, Schabas, EJIL 15 (2004), S. 701 ff.; Stahn, ZaöRV 60 (2000), S. 631 (S. 635 f.). 208 Im Ergebnis ist nur so die Kommentierung Triffterer/Williams/Schabas, ICCStatute, Art. 12 zu verstehen. Diese nehmen, ohne es ausdrücklich zu sagen, an, dass der Sicherheitsrat nicht auf diese beiden Anknüpfungspunkte beschränkt ist (vgl. nur Rn. 11). 209 Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 216).
272 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
um ihre Strafhoheit gemeinsam auszuüben. Auszugehen ist dann davon, dass sie dies für einen bestimmten materiellen Bereich umfassend tun wollten. Ausnahmen müssten zur Vermeidung von Unklarheiten ausdrücklich statuiert werden. Dies ist in Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut geschehen. Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut ist dahingehend auszulegen, dass die Staaten die gewohnheitsrechtlichen Anknüpfungspunkte beschränken, wenn der IStGH handelt. Eine ausdrückliche Beschränkung existiert jedoch nicht für den Fall des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Eine Auslegung der Vorschriften des Statuts ergibt auch keine implizite oder stillschweigende Beschränkung. Die Entstehungsgeschichte von Art. 13 lit. b) und Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut zeigt, dass der Sicherheitsrat den Konsens einer Nichtvertragspartei ersetzen sollte. Seine Beteiligung sollte eine größtmögliche Effektivität ermöglichen. Somit ist der Sicherheitsrat in der Wahl der gewohnheitsrechtlich zulässigen Anknüpfungspunkte der Strafverfolgung frei. Er kann über den Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut hinausgehen und andere Punkte wählen. An welches Kriterium er anknüpft, kann nur eine Auslegung der jeweiligen Überweisungsresolution ergeben.210 2. Einzelne Tatbestandsprobleme Nicht nur die Möglichkeit, sich über das Statut hinwegzusetzen, wird bei Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut diskutiert. Daneben bereiten einige Artikel des Statuts besondere Probleme bei einer solchen Einleitung. a) Diskrepanz zwischen Statut und Gewohnheitsrecht Wie gezeigt, ist nach der Überweisungsresolution die Gerichtsbarkeit des IStGH über solche Verbrechen eröffnet, die in Art. 5 Abs. 1 des Statuts bezeichnet sind. An diesen Tatbeständen orientieren sich die Organe des Gerichtshofs, wenn sie eine Situation oder Einzelfälle untersuchen. Das Statut orientiert sich bei der Definition der Tatbestände in den Art. 6–8 zwar am Gewohnheitsrecht, an einigen Stellen geht es jedoch über den herkömmlichen Gehalt hinaus. Besonders problematisch sind die Regelungen zu Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, den Verfolgungsakten aus nationalen, ethnischen oder kulturellen Gründen gemäß 210 Im Ergebnis auch La Haye, NILR XLVI (1999), S. 1 (S. 19 ff.); GowllandDebbas, The Functions of the United Nations Security Council in the international Legal System, in: Byer, S. 277 (S. 296 ff.); Burghardt/Geneuss, ZIS 2009, S. 126 (S. 128).
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Art. 7 Abs. 1 lit. h) IStGH-Statut, zum Verschwindenlassen von Personen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. i) IStGH-Statut, zu Angriffen gegen humanitäre Hilfsmissionen und Friedensmissionen gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. b) iii) IStGH-Statut, Angriffen mit unverhältnismäßigen Begleiterscheinungen auf die Umwelt gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. b) iv) IStGH-Statut und zur Eingliederung von Kindersoldaten gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxvi) IStGH-Statut.211 Unproblematisch wäre diese ursprüngliche Diskrepanz, wenn sich das Völkergewohnheitsrecht im Moment der Annahme des Statuts auf alle darin kodifizierten Tatbestände ausgedehnt hätte.212 Dieser Big Bang des gewohnheitsrechtlichen Völkerstrafrechts ist abzulehnen. Es mangelt an den beiden konstitutiven Elementen des Völkergewohnheitsrechts. Bei einem derzeitigen Ratifikationsstand von gut hundert Vertragsparteien kann nicht von einer einheitlichen und verbreiteten Praxis der Völkerrechtssubjekte ausgegangen werden.213 Das Gewohnheitsrecht ist noch immer enger als die Tatbestände des Statuts.214 Insbesondere bei dem Kriegsverbrechen der Eingliederung von Kindersoldaten (Art. 8 Abs. 2 lit. b] xxvi, lit. e] vii) IStGH-Statut) und den Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt (Art. 8 Abs. 2 lit. c], lit. e] IStGH-Statut) bestehen Unterschiede. Problematisch ist aber Folgendes. Im Falle einer Überweisung durch den Sicherheitsrat sind auf den ersten Blick alle Tatbestände einschlägig. Die Organe zögen dann jede einzelne Variante der Art. 5 ff. IStGH-Statut in Betracht. Dies würde bedeuten, dass die Strafbarkeit eines Täters, der Angehöriger eines Nichtvertragsstaats ist, im Falle einer Überweisung nicht nach dem Gewohnheitsrecht, aber nach dem Statut untersucht werden würde. Ohne Resolution würde sein Verhalten nur nach dem Gewohnheitsrecht beurteilt werden. Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten stünden somit bei einer Überweisung durch den Sicherheitsrat schlechter da als Angehörige einer Vertragspartei. Für Erstere bestand zur Tatzeit weder ein geschriebenes noch ein ungeschriebenes strafbewehrtes Verbot, anhand dessen sie nun beurteilt werden. Es ergeben sich somit Probleme im Hinblick auf den Grundsatz des nullum crimen sine lege. Die Geltung des Rückwirkungsverbots für den Gerichtshof steht dabei außer Frage. Es ist in 211 Fischer, The Jurisdiction of the International Criminal Court for war crimes, in: FS Ipsen, S. 77 (S. 80); Bock/Preis, HuV-I 2007, S. 148 (S. 149 ff.). 212 Gallant, VillanovaLR 48 (2003), S. 763 (S. 819). 213 Kurth, S. 68. 214 So auch der ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Furundz ˇ ija, Judgement, Case No. IT-95-17/1-T, Urteil vom 10. Dezember 1998, Rn. 227; Fischer, The Jurisdiction of the International Criminal Court for war crimes, in: FS Ipsen, S. 77 (S. 80).
274 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Art. 22 f. IStGH-Statut aufgenommen worden. Zahlreiche internationale Verträge beinhalten ähnliche Regelungen. Der Grundsatz ist somit im Gewohnheitsrecht fest verankert.215 Die Lösung dieser Misslichkeit ist auf zwei Arten denkbar. Dabei muss das Rückwirkungsverbot beachtet werden. Es garantiert den Schutz der Angehörigen von Nichtvertragsparteien.216 Hier soll aufgezeigt werden, wie in der Praxis mit dem Problem umgegangen werden kann. Zum einen kann der Sicherheitsrat als Gesetzgeber handeln. In der Praxis wird seit 2001 diskutiert, ob er abstrakt-generelle Maßnahmen treffen darf. Somit könnte er durch seine Überweisungsresolution Straftatbestände schaffen, die auch für Angehörige von Nichtvertragsparteien gelten. Unabhängig von der Frage, ob der Sicherheitsrat zu einer derart weitreichenden Rechtsetzung befugt ist,217 verfängt diese Lösung nicht.218 Selbst in diesem Fall wäre der Sicherheitsrat an das Rückwirkungsverbot gebunden, über das er sich in keiner Weise hinwegsetzen kann. Die zweite Möglichkeit stellt dagegen einen gangbaren Weg dar. Sie basiert auf den Verpflichtungen der Organe des Gerichtshofs. Demnach müssen Ankläger und Kammern sich in jedem Schritt eines Verfahrens gegen eine oben beschriebene Person vergewissern, dass die geschriebenen Tatbestände zur Tatzeit gewohnheitsrechtlich galten.219 Nur dann ist eine Verurteilung rechtmäßig und wahrt die Menschenrechte des Angeklagten. Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot kommt nicht mehr in Betracht. Mit anderen Worten: Der Sicherheitsrat überweist eine Situation. Strafrechtliche Bewertungen nimmt er nicht vor. Ob ein Verhalten ggf. gegen ein gewohnheits- oder vertragsrechliches Verbot verstößt, ist keine Überweisungsvoraussetzung. Die Subsumtion erfolgt erst durch die Organe des Gerichts215
Cassese, International Criminal Law, S. 36 ff.; Triffterer/Broomhall, ICC-Statute, Art. 22 Rn. 1; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 14 Rn. 13; Condorelli/Villalpando, Can the Security Council extend the ICC’s Jurisdiction?, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 571 (S. 580). 216 Klabbers, The Spectre of International Criminal Justice: Third States and the ICC, in: Zimmermann, Current Developments, S. 49 (S. 67 ff.). 217 Zu diesem Problem s. Arangio-Ruiz, Rivista di Diritto Internazionale 83 (2000), S. 609; Alvarez, International Organisations as Law-makers; Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin; Talmon, AJIL 99 (2005), S. 175 ff.; Elberling, IOLR 2 (2005), S. 337 (S. 359); Perrin de Brichambaut, The Role of the United Nations Security Council in the International Legal System, in: Byers, S. 269 ff.; Happold, LeidenJIL 16 (2003), S. 593 ff. 218 Dies übersieht Kurth, S. 70, der nur auf die Rechtsetzungskompetenz abstellt. 219 Fischer, The Jurisdiction of the International Criminal Court for war crimes, in: FS Ipsen, S. 77 (S. 84); Kurth, S. 70.
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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hofs. Diese nehmen die Art. 5 ff. IStGH-Statut als Maßstab für die Beurteilung eines Verhaltens. Erst innerhalb des IStGH wird somit die Diskrepanz zwischen Vertragsrecht und Gewohnheitsrecht relevant. Den eleganten Anschein kann dieser Weg leider nicht wahren. Denn der Gerichtshof ist nur für die Aburteilung der in den Art. 5–8 IStGH-Statut definierten Verbrechen zuständig. Seine Gerichtsbarkeit erstreckt sich somit nur auf vertragsrechtliche Tatbestände. Gewohnheitsrecht ist nicht Grundlage eines Verfahrens. Die Verurteilung einer Person aufgrund des Statuts, welche nicht Angehörige eines Vertragsstaates ist, stellt aber bei einer Überweisung durch den Sicherheitsrat aus den o. g. Gründen keinen Verstoß gegen den pacta-tertiis-Grundsatz dar. Sie ist zulässig. Auf das Problem, dass das Verbrechen der Person vielleicht nicht vorzuwerfen ist, wird ausreichend Rücksicht genommen, wenn überprüft wird, ob das geschriebene Recht zur Tatzeit als Gewohnheitsrecht galt. Der Sicherheitsrat kann somit nicht das seitenlange Arsenal der Tatbestände nutzen. Durch das Rückwirkungsverbot werden ihm Grenzen gesetzt. Verurteilungen sind nur dann möglich, wenn sich Vertragsrecht und Gewohnheitsrecht decken. Das Gewohnheitsrecht wird sich im Laufe der Zeit ändern und aller Voraussicht nach ausdehnen. Diese Beschränkungen werden nicht durch das Statut gesetzt, sondern sie sind inhärente Beschränkungen der Maßnahmenauswahl nach Kapitel VII VNCh.220 b) Art. 124 IStGH-Statut als Problem Ein ähnliches Problem stellt sich im Hinblick auf Art. 124 IStGH-Statut. Vertragsparteien können bei Ratifikation des Statuts eine Erklärung dahingehend abgeben, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs über Kriegsverbrechen nach Art. 8 IStGH-Statut für einen Zeitraum von sieben Jahren, nachdem das Statut für diesen Staat in Kraft getreten ist, nicht anzuerkennen. Diese Regelung ist im Hinblick auf Staaten geschaffen worden, deren Truppen weltweit in Friedensmissionen im Einsatz sind. Insbesondere Frankreich legte Wert auf diese Möglichkeit.221 Dies mag vom rechtspolitischen Standpunkt aus wünschenswert sein. Nur wenn Staaten das Statut ratifizieren, kommen sie in den Genuss dieses Ausschlusses. Nichtvertragsparteien steht diese Möglichkeit naturgemäß nicht offen. Die Rechtsfolgen einer solchen Erklärung sind jedoch nicht eindeutig. So könnte dadurch die Gerichtsbarkeit des IStGH für Kriegsverbrechen, die 220
Zur Begründung s. oben 1. Kapitel III. Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 124 Rn. 2. Die französische Regierung hat bei der Ratifikation eine entsprechende Erklärung abgegeben. 221
276 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
von einem Staatsangehörigen der erklärenden Partei oder auf deren Staatsgebiet begangen werden, ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite kann die Gerichtsbarkeit aber auch nur ausgeschlossen sein, solange keine andere Begründung der Gerichtsbarkeit gegeben ist. Hat bspw. der Tatortstaat die Erklärung abgegeben, wurde das Verbrechen aber von einem Angehörigen einer Vertragspartei begangen, die keine solche Erklärung abgegeben hat, so wäre die Erklärung ohne praktische Wirkung. Anknüpfungspunkt wäre dann die Staatsangehörigkeit des Täters und nicht der Tatortstaat. Dasselbe gilt auch, wenn der Täterstaat den Ausschluss erklärt hat und der Tatortstaat nicht, oder wenn es sich nicht um eine Vertragspartei handelt, sondern um die ad-hoc-Anerkennung der Gerichtsbarkeit nach Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut.222 Dem Wortlaut nach stellt sich dieses Problem aber nicht in Fällen des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Art. 124 IStGH-Statut schafft eine Ausnahme zu Art. 12 Abs. 1 und 2 IStGH-Statut, und damit nur für Art. 13 lit. a) und lit. c) IStGH-Statut.223 Der Ausschluss ist nur möglich, weil die Gerichtsbarkeit grundsätzlich vom Konsens des Staates abhängig ist. Bei einer Einleitung durch den Sicherheitsrat liegt jedoch eine Ausnahme vom Konsenserfordernis vor.224 Damit fällt die Ausnahmemöglichkeit weg, denn wo kein Regelfall, da keine Ausnahme. Art. 124 IStGH-Statut stellt bei Verfahrenseinleitungen durch den Sicherheitsrat somit kein Problem dar. c) Strafverfolgung der Aggression mithilfe von Art. 39 VNCh trotz Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut Bei der umstrittenen Aggressionsfrage ist ein Weg denkbar, mit dem der Sicherheitsrat die Strafbarkeit begründen könnte. Dazu ist wieder eine Parallele zu den Resolutionen nach dem 11. September 2001 zu ziehen. Nach den Anschlägen hat der Sicherheitsrat bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus durchgegriffen. Jahrelanges Ringen um Begriffe und Maßnahmen hat er durch seine Resolutionen eingeschränkt, wenn nicht beendet. Der Sicherheitsrat hat sich dabei die Vorarbeit der Staatengemeinschaft zunutze gemacht.225 Internationaler Terrorismus stellt seit Jahrzehn222
Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 124 Rn. 5. Triffterer/Zimmermann, ICC-Statute, Art. 124 Rn. 8. 224 Genauer: Es ist kein Konsens zum Statut erforderlich. Das Konsensprinzip wird aber gewahrt, da Rechtsgrundlage das siebte Kapitel der Charta ist. Dem haben die Staaten mit VN-Beitritt zugestimmt. 225 Aston, S. 70 ff., folgende wörtliche Zitate stammen auch von dort. 223
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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ten ein Problem für die Staaten dar. Dennoch waren sie nicht in der Lage, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Ausgangsproblem war dabei die Definition von Terrorismus („Der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen“). Ein einziges, umfassendes, völkerrechtlich verbindliches Regelwerk wurde unmöglich. In der Folge entschied man sich zu einer „pragmatisch ausgerichteten Politik der kleinen Schritte“226, die sich gegen einzelne Erscheinungsformen des Terrorismus richtete. Die Staaten schufen detaillierte Regelungen, die in ihrer Wirksamkeit – schon aufgrund des engen Anwendungsbereiches – beschränkt blieben. Nach dem 11. September 2001 entschied sich der Sicherheitsrat dafür, die entsprechenden Verpflichtungen universell gelten zu lassen. Er begründete ein abstraktes Gefahrenverständnis von Art. 39 VNCh und übernahm, teilweise wörtlich, die Verpflichtungen vor allem des Abkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus.227 Eine Definition von Terrorismus, also dessen worauf sich die Verpflichtungen der Staaten bezogen, blieb er allerdings schuldig.228 Denkbar wäre nun, dass er sich, auch was das Aggressionsverbrechen angeht, über das zögerliche Verhalten der Staaten hinwegsetzt und eine Resolution erlässt, in der er ein bestimmtes Verhalten als gewohnheitsrechtlich verbotene Aggression bezeichnet, die Staaten zur Strafverfolgung verpflichtet und die Sache an den IStGH zur Verfolgung überweist. Er könnte somit das Fehlen einer allgemein gültigen Definition umgehen und den Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut aushebeln. Dies ist jedoch nicht i. S. d. Statuts. Wie gezeigt, steht das Statut in seinem Regelungsbereich über der Charta. Die Höherrangigkeit aus Art. 103 VNCh spielt hier keine Rolle. Dagegen steht auch der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Es ist Sinn und Zweck einer richterlichen Überprüfung, einen Sachverhalt unter einen abstrakten Tatbestand zu subsumieren. Eine Entscheidung durch den Sicherheitsrat kann diese Arbeit nicht ersetzen. Bei dieser Vorgehensweise stellt sich ebenso das Problem der Diskrepanz zwischen Gewohnheitsrecht und Statut. Der Gerichtshof ist für die Verurteilung am Maßstab des Gewohnheitsrechts nicht zuständig. Solange es keine schriftliche Grundlage im Statut gibt, braucht ihn die gewohnheitsrechtliche Ausprägung nicht zu interessieren. Des Weiteren darf der Sicherheitsrat keine Einzelfälle an den Ankläger überweisen.
226
Aston, S. 71 f. zählt diese auf. Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 – BGBl. 2003 II 1923 ff.; ILM 39 (2000), S. 270 ff. 228 Aston, S. 77 f. 227
278 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut ist somit eindeutig. Der Sicherheitsrat kann, bis es eine Definition durch die Vertragsstaaten des Statuts gibt, die ihren Niederschlag im Text gefunden hat, nicht die Verfolgung einer Aggression durch den IStGH veranlassen. d) Der IStGH als Terrorgerichtshof In diesem Rahmen muss noch einmal auf die oben aufgestellte Definition229 verwiesen werden. Durch die Annahme, dass auch abstrakte Phänomene eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut darstellen können, kann es sein, dass Terrorakte oder Drogendelikte an den IStGH überwiesen werden. Sie sind dann am Maßstab der Art. 6–8 IStGH-Statut zu überprüfen. Dadurch wird die Zuständigkeit nicht über das vom Statut erlaubte Maß ausgedehnt. Zwar setzt die Überweisungsresolution (in Verbindung mit der hier aufgestellten Definition) eine Rechtsfolge, nämlich die Eröffnung der Gerichtsbarkeit. Diese wurde oben erläutert.230 Durch die Resolution wird aber gerade nicht die Zuständigkeit ratione materiae ausgeweitet und kein neuer Katalog von Straftatbeständen geschaffen. Eine solche Resolution wäre für den IStGH nicht verbindlich.231
V. Sonstige Rechtsfolgen 1. Kosten Internationale Strafverfolgung ist kostspielig. Die beiden ad-hoc-Tribunale kosten die Vereinten Nationen bis zu 250 Millionen US-Dollar jährlich.232 Im Falle einer Überweisung des Sicherheitsrates wollten die Vertragsparteien des Statuts etwaige Kosten nicht selbst tragen. Sie einigten sich auf folgenden Kompromiss:233 229
4. Kapitel IV. 3. Kapitel II. insb. 2.; 8. Kapitel. 231 1. Kapitel IV. insb. 3. a). 232 Zahlen für 2006 und 2007, Financing of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Genocide and Other Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of Rwanda and Rwandan Citizens Responsible for Genocide and Other Such Violations Committed in the Territory of Neighbouring States between 1 January and 31 December 1994, UN Doc. A/RES/60/241 vom 15. Februar 2006, S. 3; Financing of the International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the Former Yugoslavia since 1991, UN Doc. A/RES/60/243 vom 23. Februar 2006, S. 3. 233 Arsanjani, Financing, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 315 (S. 318 ff.). 230
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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Artikel 115 – Finanzielle Mittel des Gerichtshofs und der Versammlung der Vertragsstaaten Die Kosten des Gerichtshofs und der Versammlung der Vertragsstaaten einschließlich ihres Büros und ihrer Nebenorgane, die in dem von der Versammlung der Vertragsstaaten beschlossenen Haushalt vorgesehen sind, werden aus folgenden Quellen bestritten: a) den berechneten Beiträgen der Vertragsstaaten; b) den von den Vereinten Nationen vorbehaltlich der Zustimmung der Generalversammlung bereitgestellten finanziellen Mitteln, insbesondere im Zusammenhang mit den Kosten, die infolge von durch den Sicherheitsrat unterbreiteten Situationen entstanden sind.
Art. 115 lit. b) IStGH-Statut manifestiert dabei die Erwartung der Mitgliedstaaten, dass die VN für die in Anspruch genommene Leistung finanziell aufkommen.234 Insofern ist der Art. 115 lit. b) logische Konsequenz der Überweisungsmöglichkeit.235 Die Regelung nimmt Bezug auf das Organisationsrecht der VN. Die GV ist nach Art. 17 VNCh für das Budget verantwortlich. Es ist der einzige Bereich, in dem die Vollversammlung bindende Beschlüsse fassen kann. Nach der Rechtsprechung des IGH fallen unter die Kosten, welche die VN gemäß Art. 17 Abs. 2 VNCh zu tragen haben, solche, die zur Wahrung des Weltfriedens erforderlich sind.236 Dazu gehören vor allem auch Maßnahmen, die der Sicherheitsrat nach Kapitel VII VNCh trifft.237 Die Überweisung einer Situation an den IStGH ist eine Maßnahme nach Art. 41 VNCh, mithin eine Maßnahme nach dem Kapitel VII VNCh. Demnach müsste die Generalversammlung über die Verteilung dieser Kosten entscheiden.238 Die Grundlage für diese Kompetenz ist somit Art. 17 Abs. 1, 2 VNCh in der Auslegung durch den IGH i. V. m. den Art. 39, 41 VNCh. Die GV muss 234
Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Addendum, UN Doc. A/CONF.183/2/Add.1 vom 14 April 1998, S. 160 in Fn. 2; Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 206); Arsanjani, Financing, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 315 (S. 323, 325); Triffterer/Halff/Tolbert Art. 115 Rn. 18; Rao, Financing of the Court, Assembly of States Parties and the Preparatory Commission, in: Lee, ICC, S. 399 (S. 402). 235 Schabas, Introduction to the ICC, S. 370. 236 IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 (S. 164). 237 Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151 (S. 167); Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593, in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 699). 238 Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593, in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 699); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 206 ff.).
280 3. Teil: Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat
aufseiten der VN über die Finanzierung entscheiden und dafür mit dem Gerichtshof zusammenarbeiten. Eine direkte Verpflichtung der Vereinten Nationen ist ohne die Zustimmung der GV nicht möglich.239 Nach dem pacta-tertiis-Grundsatz müsste eine solche Verpflichtung durch die VN angenommen worden sein.240 Als ausdrückliche Annahmeerklärung kommt auch hier das Relationship Agreement in Frage. Die Finanzierungsfrage ist dort angesprochen worden. Article 13 – Financial matters (1) The United Nations and the Court agree that the conditions under which any funds may be provided to the Court by a decision of the General Assembly of the United Nations pursuant to article 115 of the Statute shall be subject to separate arrangements. The Registrar shall inform the Assembly of the making of such arrangements. (2) The United Nations and the Court further agree that the costs and expenses resulting from cooperation or the provision of services pursuant to the present Agreement shall be subject to separate arrangements between the United Nations and the Court. The Registrar shall inform the Assembly of the making of such arrangements. (3) The United Nations may, upon request of the Court and subject to paragraph 2 of this article, provide advice on financial and fiscal questions of interest to the Court.
Der Wortlaut ist eindeutig. Eine endgültige Lösung ist noch nicht gefunden worden, die in Art. 13 Abs. 1, 2 RA vorgesehenen Abkommen sind noch nicht geschlossen worden. Eine Annahme der Verpflichtung aus dem Statut ist nicht erfolgt. Eine Überweisungsresolution hat im Hinblick auf die Finanzierung in erster Linie tatsächliche Folgen: Die Ermittlungsarbeit verursacht Kosten. Weder aus dem Wortlaut des Statuts noch der Charta noch des RA ergibt sich, dass mit der Überweisung ein Anspruch gegen die VN ensteht. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzierungsabkommen ausgestaltet sein werden. 2. Weitere Probleme auf der Rechtsfolgenseite Zu wiederholen ist, dass eine Feststellung des Sicherheitsrates, dass die Voraussetzungen aus Art. 17 IStGH-Statut erfüllt sind, die Organe des Gerichtshofs nicht binden kann. Sie überprüfen eigenständig und unabhängig das Vorliegen der Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung. Dem Sicherheitsrat ist durch das Statut nicht die Befugnis verliehen worden, verbind239 240
Arsanjani, Financing, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 315 (S. 325). 1. Kapitel V.
8. Kap.: Rechtsfolgen der Einleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut
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lich über das Strafverfolgungssystem eines Staates zu urteilen.241 Das Problem einer ultra-vires-Resolution des Sicherheitsrates und deren Rechtsfolgen werden aufgrund des engen Zusammenhangs mit der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung erst im folgenden Kapitel behandelt. Es hat sich gezeigt, dass eine Überweisungsresolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zahlreiche Rechtsfolgen nach sich zieht. Fraglich ist nun, ob eine Überweisungsresolution gerichtlich überprüfbar ist, ggf. nach welchem Maßstab dies geschehen würde und wer eine solche Überprüfung durchführen könnte.
241
5. Kapitel VI.
4. Teil
Gerichtliche Überprüfbarkeit 9. Kapitel
Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit Ständig wiederkehrendes Problem eines völkerstrafrechtlichen Prozesses ist die Legitimität und Legalität des Gerichts. Schon in Nürnberg machten die Angeklagten geltend, das gesamte Verfahren wäre Siegerjustiz und hätte mit einem ordentlichen Gericht nichts gemein. In einem seiner ersten Urteile musste sich auch der ICTY mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit seiner Errichtung auseinandersetzen. Das Urteil der Berufungskammer im Fall Tadic´ markiert den wohl größten Meilenstein seit dem Nürnberger Urteilsspruch. Der ICTR folgte in seiner Kanyabashi-Entscheidung1 der Tadic´Argumentation. Es ist zu erwarten, dass auch der IStGH sich mit dieser Frage zu befassen haben wird.2 Insbesondere stellt sich hier das Problem, dass der Tatortstaat oder der Staat, dessen Staatsangehöriger der Angeklagte ist, nicht Vertragspartei des Statuts sein muss. Ist die Gerichtsbarkeit aufgrund einer Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eröffnet, kann die Strafverfolgung sogar gegen den Willen dieses Staates stattfinden. Noch dazu kann der Staat nicht einmal Mitglied des Sicherheitsrates sein und muss sich demnach dem Willen der 15 Mitglieder des Rates beugen. Diese Argumentation dürfte Grundlage für eine Verteidigungsstrategie vor dem IStGH sein. Dass diese Argumente allerdings nicht stichhaltig sind, wurde bereits gezeigt. Auch gegen den Willen eines Staates und ohne dessen Mitwirkung sind die Maßnahmen des IStGH völkerrechtsgemäß – solange die oben erläuterten Voraussetzungen eingehalten wurden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Frage nicht aufkommen wird und sogar berechtigte Zweifel an der Einhaltung der Voraussetzungen bestehen können. Bei der Überweisung ei1 ICTR, Trial Chamber II, The Prosecutor v. Joseph Kanyabashi, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Case No. ICTR-96-15-T, Beschluss vom 18. Juni 1997. 2 Reinisch, Verfahrensrechtliche Aspekte der Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: BDGVR 42 (2007), S. 42 (S. 64).
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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ner Situation ist Grundlage der Gerichtsbarkeit die Resolution. Es stellen sich die Fragen, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung der Gerichtsbarkeit, inkl. der Sicherheitsratsresolution, überprüft werden können, wer darüber entscheiden darf und welche Folgen sich ergeben. Dem Gegenstand dieser Untersuchung entsprechend beschränkt sich dieses Kapitel auf die Überprüfung der Gerichtsbarkeit im Verhältnis zum Sicherheitsrat, d.h. behandelt wird, ob die Voraussetzungen, die für den Art. 13 lit. b) IStGH-Statut gelten, überprüft werden dürfen.
I. Möglichkeit der Überprüfung und deren Einzelheiten 1. Die Tadic´-Entscheidung des ICTY Die Statuten der beiden ad-hoc-Tribunale enthielten keine Regelung dazu, ob und wie die Legalität der Errichtung untersucht werden konnte. Als gleich im ersten Verfahren diese Frage aufkam, entschied die Verfahrenskammer, dass dem Gericht keine Kompetenz zur Beantwortung zustünde.3 Die Berufungskammer sah dies anders. Ihrer Meinung nach gehöre es zum Wesen eines Gerichts, über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.4 Der Sicherheitsrat hätte nicht irgendein Unterorgan, sondern gerade einen Gerichtshof errichten wollen.5 Ein Gericht aber unterscheide sich aufgrund des judikativen Charakters von jedem anderen Unterorgan.6 Entscheidend im Beschluss der Berufungskammer war die Auslegung des Jurisdiktionsbegriffs.7 Die Kammer unterschied zwischen primärer (sachlicher, personeller, territorialer und zeitlicher) Zuständigkeit bzw. Gerichtsbarkeit auf der einen und der inhärenten Zuständigkeit bzw. Gerichtsbarkeit auf der anderen Seite.8 Sie wählte einen weiten Jurisdiktionsbegriff, den die Verfahrenskammer noch abgelehnt hatte. Die primäre Zuständigkeit ergebe 3 ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic ´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR-72, Beschluss vom 10. August 1995, Rn. 8. 4 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic ´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT94-1-AR-72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 14 ff. Noch deutlicher die Sep. Op. Richter Sidhwa, Rn. 33. 5 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic ´ a/k/a „Dule“ Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT94-1-AR-72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 15. 6 So schon der Generalsekretär in seinem Bericht zur Gründung des ICTY, Report of the Secretary General pursuant to paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), UN Doc. S/25704 vom 3. Mai 1993, Rn. 28. 7 Buchwald, S. 102; Heintschel von Heinegg, HuV-I 1996, S. 75 (S. 76 f.).
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
sich dabei aus den Regelungen des Statuts und beziehe sich auf das auszusprechende Urteil. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Resolution, die als Folge der inhärenten Gerichtsbarkeit, die unabhängig vom jeweiligen (konstitutiven) Statut, das die primäre Gerichtsbarkeit begründe, bestehe, heißt es im Urteil: (18) This power, known as the principle of „Kompetenz-Kompetenz“ in German or „la compétence de la compétence“ in French, is part, and indeed a major part, of the incidental or inherent jurisdiction of any judicial or arbitral tribunal, consisting of its „jurisdiction to determine its own jurisdiction.“ It is a necessary component in the exercise of the judicial function and does not need to be expressly provided for in the constitutive documents of those tribunals, although this is often done (see, e. g., Statute of the International Court of Justice, Art. 36, para. 6). But in the words of the International Court of Justice: „[T]his principle, which is accepted by the general international law in the matter of arbitration, assumes particular force when the international tribunal is no longer an arbitral tribunal [. . .] but is an institution which has been pre-established by an international instrument defining its jurisdiction and regulating its operation.“ (Nottebohm Case (Liech. v. Guat.), 1953 I.C.J. Reports 7, 119 (21 March).) This is not merely a power in the hands of the tribunal. In international law, where there is no integrated judicial system and where every judicial or arbitral organ needs a specific constitutive instrument defining its jurisdiction, „the first obligation of the Court – as of any other judicial body – is to ascertain its own competence.“ (Judge Cordova, dissenting opinion, advisory opinion on Judgements of the Administrative Tribunal of the I.L.O. upon complaints made against the U.N.E.S.C.O., 1956 I.C.J. Reports, 77, 163 (Advisory Opinion of 23 October) (Cordova, J., dissenting).) (19) It is true that this power can be limited by an express provision in the arbitration agreement or in the constitutive instruments of standing tribunals, though the latter possibility is controversial, particularly where the limitation risks undermining the judicial character or the independence of the Tribunal. But it is absolutely clear that such a limitation, to the extent to which it is admissible, cannot be inferred without an express provision allowing the waiver or the shrinking of such a well-entrenched principle of general international law. As no such limitative text appears in the Statute of the International Tribunal, the International Tribunal can and indeed has to exercise its „compétence de la compétence“ and examine the jurisdictional plea of the Defence, in order to ascertain its jurisdiction to hear the case on the merits. (20) It has been argued by the Prosecutor, and held by the Trial Chamber that: „[T]his International Tribunal is not a constitutional court set up to scrutinise the actions of organs of the United Nations. It is, on the contrary, a criminal tribunal with clearly defined powers, involving a quite specific and limited criminal juris8
ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case No. IT-94-1, Urteil vom 10. August 1995, Rn. 14.
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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diction. If it is to confine its adjudications to those specific limits, it will have no authority to investigate the legality of its creation by the Security Council.“ (Decision at Trial, at para. 5; see also paras. 7, 8, 9, 17, 24, passim.) There is no question, of course, of the International Tribunal acting as a constitutional tribunal, reviewing the acts of the other organs of the United Nations, particularly those of the Security Council, its own „creator.“ It was not established for that purpose, as is clear from the definition of the ambit of its „primary“ or „substantive“ jurisdiction in Articles 1 to 5 of its Statute. But this is beside the point. The question before the Appeals Chamber is whether the International Tribunal, in exercising this „incidental“ jurisdiction, can examine the legality of its establishment by the Security Council, solely for the purpose of ascertaining its own „primary“ jurisdiction over the case before it.9
Die Berufungskammer stellte also fest, dass jedes Gericht die Kompetenz innehabe, die eigene Gerichtsbarkeit zu überprüfen, unabhängig von einer ausdrücklichen Zuweisung dieser Kompetenz. Mehr noch, nur eine Beschränkung dieser Kompetenz bedürfe der ausdrücklichen Regelung, unabhängig davon, ob eine solche Beschränkung überhaupt zulässig wäre. Dies sei unverzichtbarer Bestandteil der dezentralisierten Völkerrechtsordnung, in der Gerichte nur für einen bestimmten (Vertrags-)Zweck geschaffen würden. Damit ginge in keinem Fall die Überprüfung der „Verfassungsmäßigkeit“ der Sicherheitsratsresolution einher. Denn Gegenstand der inzidenten Überprüfung der Sicherheitsratsresolution sei allein die Frage, ob das Tribunal schon zur Befassung mit dem vor ihm liegenden Fall berechtigt sei. Die Tadic´-Entscheidung stieß in unmittelbarer Folge auf Widerstand. Inzwischen ist sie jedoch weitestgehend anerkannt und der Gehalt ihrer Argumente unbestritten.10 Insbesondere die Inzidentüberprüfung, also die weitgehend als Kompetenz-Kompetenz bezeichnete Kontrolle der eigenen Legalität, ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.11 2. Die Regelung im IStGH-Statut Der ILC-Entwurf enthielt schon vor der Tadic´-Entscheidung eine Regelung zur Überprüfung der eigenen Zuständigkeit. Dennoch darf die Ent9
Ebd., Rn. 18 ff., Hervorhebungen durch den Verfasser. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, § 198 II 1 d) (S. 1133); Buchwald, S. 100 ff. Für eine detaillierte Darstellung der Meinungen vor und nach dem Verfahren vgl. Buchwald, S. 92 ff. 11 Triffterer/Hall, ICC-Statute, Art. 19 Rn. 2; Buchwald, S. 100 f. m. w. N.; Kurth, S. 192, Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 693; DeenRacsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 (S. 381); Heintschel von Heinegg, HuV-I 1996, S. 75 (S. 77); Aldrich, AJIL 90 (1996), S. 64 (S. 65); Orakhelashvili, MPYBUNL 11 (2007), S. 143 (S. 193). 10
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
scheidung als Auslöser dafür angesehen werden, diese ausdrückliche Regelung aufzunehmen. Das Statut bestimmt heute: Artikel 19 – Anfechtung der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs oder der Zulässigkeit einer Sache12 (1) Der Gerichtshof vergewissert sich, dass er in jeder bei ihm anhängig gemachten Sache Gerichtsbarkeit hat. Der Gerichtshof kann aus eigener Initiative über die Zulässigkeit einer Sache nach Artikel 17 entscheiden.
Die deutsche Übersetzung ist hier jedoch zu korrigieren, denn der englische Wortlaut ist eindeutiger. Er spricht von einem case, in dem die Gerichtsbarkeit überprüft werden kann. Somit ist es möglich, dass der Gerichtshof – entweder die Vorverfahrensoder die Hauptverfahrenskammer (Art. 19 Abs. 6 IStGH-Statut) – die Gerichtsbarkeit überprüft. Schon daraus, dass Art. 18 IStGH-Statut die Verfahrenseinleitung nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausklammert sowie aus dem Wortlaut des Art. 19 IStGH-Statut (case) ergibt sich, dass dies nur in einem konkreten Verfahren passieren kann. Die Gerichtsbarkeit über einen Konflikt ist abstrakt nicht nachprüfbar. Erforderlich ist vielmehr, dass ein Individuum Ziel von formellen Verfahrensschritten über die Einleitung von Ermittlungen geworden ist. Erst dann kommt der Erlass von Haftbefehlen oder Vorladungen gemäß Art. 58 IStGH-Statut in Betracht.13 Damit ist allerdings noch nicht geklärt, wie der Begriff der Gerichtsbarkeit (jurisdiction) ausgelegt werden soll, Art. 19 IStGH-Statut definiert ihn nicht. In der Überschrift zum 2. Teil des Statuts taucht der Begriff zum ersten Mal auf („Gerichtsbarkeit, Zulässigkeit und anwendbares Recht“). Art. 5, 11, 12 und 13 IStGH-Statut regeln in der Folge die Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit. In den Artikeln werden nicht alle Erfordernisse aufgeführt, die als Voraussetzungen für die Überweisung identifiziert worden sind. Unter den Begriff der Gerichtsbarkeit fallen damit die Gerichtsbarkeit ratione materiae (Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut), ratione temporis (Art. 11 IStGH-Statut), die Merkmale Territorialität und Personalität 12 Der Art. 19 IStGH-Statut stellt dabei einen numerus clausus bezüglich der Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit dar. (Triffterer/Clark, Art. 119 Rn. 6; Kurth, S. 190). Art. 119 Abs. 1 IStGH-Statut statuiert, dass allein der Gerichtshof über die richterlichen Aufgaben entscheidet. Darunter fallen nach Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut auch Fragen bezüglich der Gerichtsbarkeit. Der Rechtsweg zum IGH steht somit nicht mehr offen. Ob ein Gutachtenverfahren vor dem IGH möglich ist, kann hier außer Betracht bleiben. Heilmann, S. 145 f., nimmt an, dass Art. 119 Abs. 1 IStGHStatut einen Kontrollmechanismus neben Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut schaffe, jener soll subsidiär einschlägig sein. 13 Triffterer/Hall, ICC-Statute, Art. 19 Rn. 3; Heilmann, S. 143.
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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(Art. 12 IStGH-Statut) und die trigger mechanisms (Art. 13 IStGH-Statut). Nach Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut entscheidet der Gerichtshof somit über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit.14 Zur Differenzierung kann hier die Terminologie des ICTY herangezogen werden. Teil der inhärenten Überprüfungskompetenz sind somit die Regelungen über die ordnungsgemäße Einleitung des Verfahrens. Zur substantiellen Gerichtsbarkeit gehören die Regelungen des materiellen Strafrechts.15 Die Auslösemechanismen sind Teil der Frage, ob der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit überhaupt ausüben darf. Sie sind somit den Problemen des materiellen Rechts vorgelagert und der Konstellation im Tadic´-Fall ähnlich. Die Überprüfung der Voraussetzungen aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist folglich nach Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut vor dem IStGH möglich.16 Art. 13 lit. b) IStGH-Statut spricht ausdrücklich von „Der Gerichtshof kann in Übereinstimmung mit dem Statut (. . .)“, sodass zumindest inzident eine Überprüfung der Resolution möglich sein soll.17 Ob dies der Fall ist, wird sogleich untersucht. Als zuständiger Spruchkörper kommt dabei jede Kammer in Betracht. Festzustellen bleibt, dass eine Entscheidung durch den IGH den IStGH nicht bindet, gleichgültig ob es sich um Fragen der primären oder der inhärenten Gerichtsbarkeit handelt oder um Fragen der Verletzung einer Kooperationspflicht. Dazu hätte eine Bindung des IStGH an Entscheidungen des IGH statuiert werden müssen.18 Dies ist nicht geschehen. Im Gegenteil, zumindest von der Eröffnung seiner Gerichtsbarkeit muss sich der IStGH selbst überzeugen, Art. 19 IStGH-Statut. 3. Justiziabilität der Voraussetzungen Die grundsätzliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit steht somit fest. Fraglich ist nur, ob dies für alle Voraussetzungen gelten kann oder ob ge14
Meißner, S. 61 f.; Deen-Racsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 (S. 382); Triffterer/Clark, ICC-Statute, Art. 119 Rn. 5 f.; Saroshi, ICLQ 48 (1999), S. 387 (S. 404); Kurth, S. 192 f. 15 Meißner, S. 48 ff., unterscheidet zwischen den allgemeinen Grenzen der Gerichtsbarkeit (= primäre Gerichtsbarkeit) und der Fähigkeit zur Ausübung der Gerichtsbarkeit (= inhärente Gerichtsbarkeit). Ihm folgend Kurth, S. 193. 16 So auch Kurth, S. 194. 17 Heilmann, S. 143 ff.; Zimmermann, GYIL 45 (2002), S. 35 (S. 43 f.); Zappalà, JICJ 1 (2003), S. 114 (S. 120), allerdings für Art. 16 IStGH-Statut. 18 Kritisch zu diesem „Fehler“ Pellet, Settlement of Disputes, in: Cassese/Gaeta/ Jones, S. 1841 (S. 1842 f.).
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
rade die Voraussetzungen aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut der Nachprüfbarkeit durch den IStGH entzogen sind. Daneben stellt sich die Frage, ob der IStGH die Einhaltung von zwingendem Völkerrecht sowie anderen Rechtsbindungen des Sicherheitsrates überprüfen darf. a) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – Die originären Voraussetzungen des Statuts Teilt man die Merkmale des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut auf,19 sind genuine Merkmale des Statuts das Vorliegen einer Situation, der Anschein eines Verbrechens, die Überweisung an den Ankläger und das Vorliegen einer Resolution des Sicherheitsrates nach Kapitel VII VNCh. Der Anschein eines Verbrechens und das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Überweisung sind unproblematisch überprüfbar. Die Kammern des Gerichtshofs können hier nachprüfen, ob beide Voraussetzungen gegeben sind. Nach der oben gefundenen Definition bestehen enge Verbindungen zwischen dem Situationsbegriff des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut und dem siebten Kapitel der VNCh. Ob der Begriff daher überprüfbar ist, kann erst nach der Darstellung der Justiziabilität des Rechtsgrundverweises festgestellt werden. b) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – Der Rechtsgrundverweis Über den Rechtsgrundverweis nimmt das Statut Bezug auf die VNCh. Als Teil der Ausübungsvoraussetzungen ist der IStGH grundsätzlich zur Überprüfung nach Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut berechtigt. Damit aber eine vollständige Justiziabilität anzunehmen, wäre verfrüht. aa) Materielle Anforderungen Denn das siebte Kapitel gibt dem Sicherheitsrat einen sehr großen Spielraum. Er entscheidet frei über das Ob und Wie seines Handelns. Wie gezeigt, legt er dazu die Handlungsvoraussetzungen aus Art. 39 VNCh selbstständig aus. Fraglich ist jedoch, ob er dabei einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Der IGH hat sich in dieser Frage bislang zurückgehalten. Einzelne Richter haben sich in ihren Sondervoten jedoch gegen eine solche Überprü19
s. Tabelle 1 auf S. 127.
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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fungsmöglichkeit gewandt.20 Die beiden ad-hoc-Tribunale sind derselben Auffassung.21 Auch die Literatur folgt dieser Ansicht zum ganz überwiegenden Teil.22 In der Tat sprechen gute Gründe für einen Ausschluss der Überprüfbarkeit. Es handelt sich bei der Auswahl der Tatbestandsmerkmale um eine politisch motivierte, und keine juristische Entscheidung bzw. juristisch nachprüfbare Subsumtion.23 Die Effektivität des Friedenssicherungssystems sollte durch einen möglichst großen Entscheidungsspielraum gesteigert werden. Die Gegenmeinung24 verkennt die politischen Dimensionen der Tatbestandsmerkmale. Kein Tribunal kann darüber zu Gericht sitzen.25 Somit sind die materiellen Voraussetzungen des siebten Kapitels nicht durch den IStGH kontrollierbar. Ob der Handlungsspielraum der Art. 40 ff. VNCh eröffnet ist, entscheidet nur der Sicherheitsrat. bb) Formelle Anforderungen Die formellen Voraussetzungen des Handelns im Rahmen von Kapitel VII dagegen stehen nicht im Belieben des Sicherheitsrates. So ergeben sich die Abstimmungsmodalitäten aus Art. 27 Abs. 3 VNCh. Das Quorum ist als Teil des Primärrechts dem Spielraum des Sicherheitsrates entzogen. Die Abstimmung über eine Resolution ist ohne Weiteres nachprüfbar. Eine Nachzählung mindert die Effektivität der Maßnahmen des Sicherheitsrates nicht. Ebenso ist ohne Weiteres nachprüfbar, ob der Sicherheitsrat nach Kapitel VII tätig geworden ist. Dies stellt die entscheidende Basis des Rechts20 Diss. Op. Richter Weeramantry, Case concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Beschluss vom 14. April 1992, ICJ Reports 1992, S. 50 (S. 66); Sep. Op. Richter E. Lauterpacht, Case concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia v. Serbia and Montenegro), Further Requests for the Indication of Provisional Measures, Beschluss vom 13. September 1993, ICJ Reports 1993, Rn. 99. 21 ICTR Trial Chamber II, The Prosecutor v. Joseph Kanyabashi, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Case No. ICTR-96-15-T, Beschluss vom 18. Juni 1997, Rn. 20. So wohl auch ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“ Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case No. IT-94-1, Urteil vom 2. Oktober 1995, Rn. 20. 22 Deen-Racsmany, NILR XLIX (2002), S. 353 (S. 383); Schweigman, S. 265; Oosthuizen, NILR XLVI (1999), S. 313 (S. 334); Gill, NYIL 26 (1995), S. 33 (S. 117); Akande, ICLQ 46 (1997), S. 309 (S. 338), Higgins, ICLQ 17 (1968), S. 58 (S. 80). 23 4. Kapitel III. 2. 24 Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 517 (S. 540 ff.). 25 Kurth, S. 197.
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
grundverweises in Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dar. In der Praxis gibt er dies stets ausdrücklich an: „Acting under Chapter VII“. Auch die Frage, ob der Rat nach Kapitel VII vorgegangen ist, ist für den IStGH überprüfbar. Ohne eine solche Kontrolle könnte der Sicherheitsrat nach jeder anderen Vorschrift der Charta handeln. Da der Gerichtshof jedoch auf die spezifischen Folgen, nämlich die Rechtsverbindlichkeit des siebten Kapitels, angewiesen ist, muss er überprüfen können, ob sie vorliegen. Die formellen Voraussetzungen sind nach Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut überprüfbar, da im Statut das Erfordernis einer Kapitel-VII-Resolution erwähnt wird.26 Dies ist originärer Teil der statutseigenen Voraussetzungen.27 cc) Verstoß gegen die Rechtsbindungen des Sicherheitsrates Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass der Sicherheitsrat einigen völkerrechtlichen Schranken unterliegt. Neben den Beschränkungen der Charta ist der Sicherheitsrat an ius cogens, grundlegende Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht gebunden. Hinzu kommt, dass er sich selbst verpflichtet hat, das IStGH-Statut einzuhalten.28 Zu prüfen ist nun, ob die Kammern des Gerichtshofs auch einen Verstoß gegen diese Rechtsbindungen inzident prüfen dürfen. Eine direkte Überprüfung der Sicherheitsratsresolution auch im Hinblick auf ius cogens, grundlegende Menschenrechte oder humanitäres Völkerrecht scheidet mangels einer solchen Kompetenz des IStGH von vornherein aus. Die Frage weist große Ähnlichkeiten zu der Diskussion der Kadi/YusufRechtsprechung des EuG auf.29 Dort hatte das EuG im Grundsatz angenommen, „dass die fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrates grundsätzlich nicht der Kontrolle durch das Gericht unterliegen und dass das Gericht nicht berechtigt ist, ihre Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht – und sei es auch nur inzident – in Frage zu stellen.“30 Dagegen aber könne „das Gericht die Rechtmäßigkeit der fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrates im Hinblick auf das ius cogens, verstanden als internationaler ordre public, der für alle Völkerrechtssubjekte einschließlich der Organe der UN gilt und von dem nicht abgewichen werden darf, inzident prüfen.“31 26
So auch Kurth, S. 195 f.; Heilmann, S. 146. Vgl. Tabelle 1 auf S. 127. 28 1. Kapitel III. 29 Zu den beiden Urteilen und deren Hintergrund, s. 1. Kapitel III. 7. 30 EuG, Rs. T-315/01 (Kadi ./. Rat und Kommission), Urteil vom 21. September 2005, Slg. II-2005, S. 3649, Rn. 226. 31 EuG, Rs. T-315/01 (Kadi ./. Rat und Kommission), Urteil vom 21. September 2005, Slg. II-2005, S. 3649, Rn. 227. 27
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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Demnach sieht das EuG die Grenze, bei deren Überschreitung sich der Sicherheitsrat der Kontrolle durch die europäische Gerichtsbarkeit aussetzen muss, bei der Verletzung von Normen des zwingenden Völkerrechts.32 Entscheidend für das EuG ist dabei, dass sowohl die Mitgliedstaaten der EU als auch die EG aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Konzeption des DreiSäulen-Modells dazu verpflichtet seien, die Sicherheitsratsresolution ohne Spielraum umzusetzen.33 Im Rahmen der EG sei Art. 307 EG von besonderer Bedeutung, der bestimme, dass die älteren vertraglichen Verpflichtungen der EG-Mitgliedstaaten (namentlich die VN-Charta) nicht durch den Abschluss des EG-Vertrages berührt würden.34 Maßgebend war weiterhin, dass der Sicherheitsrat mit seinen sogenannten smart sanctions über den „zwischenstaatlichen Charakter der Zwangsmaßnahmen hinweg geschritten“35 sei. Da im Rahmen der Vereinten Nationen kein Rechtsschutz gegen solche Zwangsmaßnahmen für den Einzelnen möglich sei, die EG sowie ihre Mitgliedstaaten36 aber an Grundrechte gebunden seien, müsse der staatlichen oder überstaatlichen Gerichtsbarkeit eine „Reservekompetenz“37 zur Sicherung der Grundrechte des Einzelnen zukommen.38 Die Konstellation erinnert, wie Andreas von Arnauld bereits festgestellt hat,39 an die SolangeRechtsprechung des BVerfG.40 Der Entscheidung des EuG hat sich der EuGH als zweite Instanz nicht angeschlossen. Maßgeblich war für den EuGH, dass die Kompetenzen der europäischen Gerichtsbarkeit, so wie sie in Art. 220 EG niedergelegt seien, eben keine Kompetenz für die Überprüfung einer Sicherheitsratsresolution begründeten.41
32 Payandeh, ZaöRV 66 (2006), S. 41 (S. 53); kritisch dagegen Haltern, JZ 2007, S. 537 (S. 540). 33 Biehler, AVR 41 (2003), S. 169 (S. 173); Deja/Frau, JURA 2008, S. 609 (S. 612 ff.). 34 EuG, Rs. T-315/01 (Kadi ./. Rat und Kommission), Urteil vom 21. September 2005, Slg. II-2005, S. 3649, Rn. 185. 35 Fassbender, AÖR 132 (2007), S. 257 (S. 259). 36 Diese dürften sich nicht durch die Gründung internationaler Organisationen diesen Verpflichtungen und Bindungen entziehen, vgl. 1. Kapitel III. 8. 37 Payandeh, ZaöRV 66 (2006), S. 41 (S. 63). 38 EuG, Rs. T-315/01 (Kadi ./. Rat und Kommission), Urteil vom 21. September 2005, Slg. II-2005, S. 3649, Rn. 226 ff. 39 v. Arnauld, AVR 44 (2006), S. 201 (S. 207). 40 BVerfGE 37, 271, Beschluss vom 29. Mai 1974 – Solange I. 41 EuGH, Verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation ./. Rat), Urteil vom 3. September 2008, Slg. I-2008, S. 6351. Der EuGH überprüft aus Rechtsschutzgründen die Gemeinschaftsrechtsakte am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte. Eine Überprüfung der Sicherheitsratsresolutionen, und sei es nur am Maßstab des ius cogens, lehnt er ab. Auf dieses Urteil braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden, da die
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
Obwohl die Frage der Überprüfung einer Sicherheitsratsresolution durch den IStGH, der durch den EuG ähnelt, kann für den IStGH keine Parallele zur Kadi-Rechtsprechung gezogen werden. Die smart sanctions, die den Urteilen des EuG zugrunde lagen, betrafen Individuen. Sie hatten zwar keine supranationale Wirkung, da sie noch umgesetzt werden mussten. Doch hatte schon die Beschlussfassung in New York aufgrund des fehlenden Umsetzungsspielraums der Staaten bzw. der EG Auswirkungen auf die in der Liste42 bezeichneten Individuen bzw. juristischen Personen. Anders verhält es sich bei einer Überweisungsresolution des Sicherheitsrates nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Eine solche hat keine vergleichbaren Auswirkungen auf Individuen. Denn zwischen die Resolution des Sicherheitsrates und die Ermittlungsmaßnahmen bzw. die Urteile des IStGH treten eigenständige Schritte der Organe des Gerichtshofs. Während bei den Resolutionen des Sicherheitsrates, die smart sanctions treffen, die davon betroffenen Personen namentlich sowie mit Adresse, Geburtsort und -datum sowie ihrer Ausweisnummer bekannt sind,43 ist das bei einer Überweisungsresolution nicht der Fall. Dies widerspreche den Regelungen des Statuts.44 Die Zwischenschritte der Organe des IStGH, insb. die des Anklägers, unterliegen jedoch der gerichtlichen Kontrolle,45 sodass für eine „Reservekompetenz“ des IStGH kein Bedarf besteht. Ebenso wenig existiert im IStGH-Statut eine Norm wie der Art. 307 EG, der die VNCh zumindest de facto über das Gemeinschaftssekundärrecht bzw. neben das Gemeinschaftsprimärrecht stellt.46 Im Gegenteil, Art. 21 IStGH-Statut normiert eine andere Hierarchie.47 Überprüfungskompetenz des IStGH nicht auf der Argumentation des EuGH beruht. Vgl. dazu auch die Anmerkungen in diesem Kapitel, Fn. 48. 42 1. Kapitel III. 7. 43 Darauf weist Biehler, AVR 41 (2003), S. 169 (S. 173), eindringlich hin. 44 4. Kapitel III. 4. 45 Vgl. nur Art. 53 IStGH-Statut. 46 Haltern, JZ 2007, S. 537 (S. 540), ist insoweit zu folgen. Daran vermag auch die Feststellung des EuG, „dass die Gemeinschaft als solche, anders als ihre Mitgliedstaaten, nicht unmittelbar durch die Charta der Vereinten Nationen gebunden ist und dass für sie daher keine allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung besteht, die Resolutionen des Sicherheitsrates gemäß Artikel 25 der Charta anzunehmen und durchzuführen. Der Grund dafür besteht darin, dass die Gemeinschaft weder Mitglied der UN noch Adressatin der Resolutionen des Sicherheitsrates, noch Nachfolgerin in die Rechte und Pflichten ihrer Mitgliedstaaten im Sinne des Völkerrechts ist“ (EuG, Rs. T-315/01 (Kadi ./. Rat und Kommission), Urteil vom 21. September 2005, Slg. II-2005, S. 3649, Rn. 192), nichts ändern. Kritisch nunmehr allerdings EuGH, Verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation ./. Rat), Urteil vom 3. September 2008, Slg. I-2008, S. 6351, Rn. 301 ff. 47 1. Kapitel IV.
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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Dennoch ergibt sich aus der nachfolgenden Argumentation eine Kompetenz des IStGH für die Überprüfung einer Sicherheitsratsresolution auf Verstöße gegen zwingendes Völkerrecht, grundlegende Menschenrechte und Normen des humanitären Völkerrechts.48 Der Gerichtshof ist als Völkerrechtssubjekt an Völkerrecht gebunden. Art. 21 IStGH-Statut gibt eine Hierarchie des anwendbaren Rechts vor.49 So dürfen die Organe des IStGH nicht gegen ius cogens oder Menschenrechte verstoßen. Insoweit dürften die Schritte der Organe des Gerichtshofs, die nach einer ggf. rechtswidrigen Resolution des Sicherheitsrates ergehen, direkt auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des Statuts überprüft werden. Als sekundäres Vertragsrecht dürfen die Rechtsakte des IStGH nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen, ansonsten sind sie nichtig.50 Der Gerichtshof muss sich in jeder Phase des Verfahrens seiner eigenen Gerichtsbarkeit versichern, Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut. Dies ist im Hinblick auf Situationen, die ihre Rechtsgrundlage in der Überweisungsresolution finden, von entscheidender Bedeutung. Denn wenn die Resolution des Sicherheitsrates rechtswidrig und die Folge eben dieser Rechtswidrigkeit der Wegfall der Resolution sein sollte (rechtlich gar nicht existent, ex tunc oder ex nunc automatisch nichtig bzw. anfechtbar),51 handelt der IStGH ohne Rechtsgrundlage und greift ggf. in die 48 Die hier vertretene Auffassung ähnelt dabei der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. C-84/95 (Bosphorus Airways), Urteil des Gerichtshofs vom 30. Juli 1996, Slg. 1996-I, S. 3953 sowie des EuG in der Rs. T-228/02 (Volksmudschaheddin des Iran ./. Rat), Urteil vom 12. Dezember 2006, EuGRZ 2006, S. 655. Die Gerichte hatten dort (inzident) über eine Sicherheitsratsresolution zu entscheiden, die den Staaten bei der Umsetzung ihrer durch die Resolution geschaffenen Verpflichtungen einen Spielraum beließ. Die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit bejahte die Möglichkeit einer Überprüfung der daraufhin erlassenen gemeinschaftsrechlichen Umsetzungsakte am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte. Dies sei möglich, weil die Organe der Gemeinschaft zur Konkretisierung der Resolutionen einschreiten und so eine eigene Entscheidung treffen müssten, die dann im Rahmen des Art. 220 EG überprüfbar sei (so auch Haltern, JZ 2007, S. 537 S. [544 f.]). Der EuGH nimmt in seiner Kadi-Entscheidung, Verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation ./. Rat), Urteil vom 3. September 2008, eine ähnliche Position ein. Ihm zufolge könnten die Verpflichtungen aufgrund einer internationalen Übereinkunft nicht die Verfassungsgrundsätze des EG-Vertrages beeinträchtigen. Eine Kontrolle der Sicherheitsratsresolution sei aber aufgrund des Art. 220 EG ausgeschlossen. Er bejaht aber aufgrund der grundrechtlichen Verpflichtungen der Gemeinschaft eine vollumfängliche Justiziabilität der Gemeinschaftsrechtsakte, die die Resolution umsetzen. Aufgrund der Verpflichtung, die dort in Frage stehenden Resolutionen eins zu eins umzusetzen, bietet sich eine Parallele zu dieser Rechtsprechung hier weniger an. 49 Zu den Einzelheiten vgl. oben 1. Kapitel IV. 50 Vgl. Art. 53 WVKIO; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1502; Aston, S. 46 ff.; Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, EPIL Online Edition, Rn. 1.
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
Souveränität von Drittstaaten ein. Die Kammern des IStGH müssen auch hier überprüfen, ob sie überhaupt handeln dürfen. Dies ist Teil ihrer inhärenten Gerichtsbarkeit, wie sie der ICTY im Tadic´-Fall bezeichnet hat.52 Davon abgesehen ist eine Konstellation schwer vorstellbar, in der der Sicherheitsrat eine Situation überweist, dabei gegen ius cogens, grundlegende Menschenrechte oder humanitäres Völkerrecht verstößt und der Gerichtshof diese Überweisungsresolution inzident überprüft. Vorstellbar ist, dass der Sicherheitsrat eine Gruppe von Personen überweist, die unter Folter die Begehung von Verbrechen nach Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut gestanden haben. Einer Prüfung am Maßstab des ius cogens bedarf es dann jedoch nicht mehr, da an den IStGH nur Situationen und keine Personengruppen überwiesen werden dürfen. Eine dementsprechende Prüfungskompetenz ergibt sich schon aus der Filterfunktion des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.53 Denn das Tatbestandsmerkmal der „Situation“ unterliegt der Kontrolle durch den Gerichtshof.54 Wesentlich brisanter und realistischer ist, dass der Sicherheitsrat im Rahmen einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut gegen ius cogens verstoßen könnte. Er könnte bspw. die Strafverfolgung von Personen stoppen, die gegen das Folterverbot oder das Verbot von Angriffskriegen verstoßen haben sollen. Anders als im Falle einer Überweisungsresolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut bedarf es dort nämlich – zumindest beim Stopp von Ermittlungen, die nicht auf das Aggressionsverbrechen bezogen sind – nicht der Rechtsgrundlage einer Sicherheitsratsresolution. Die Prüfung auf Verstöße gegen ius cogens und andere Rechtsbindungen wäre somit entbehrlich und der IStGH müsste sich an die Resolution halten. Somit ist eine inzidente Überprüfungskompetenz des IStGH für Verstöße des Sicherheitsrates gegen seine Rechtsbindungen grundsätzlich gegeben. Diese folgt aus dem Statut und der Rechtsnatur des IStGH als vertraglich geschaffenes Rechtssubjekt. Allerdings ist eine entsprechende rechtswidrige Überweisungsresolution schwer vorstellbar. c) Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – Der Situationsbegriff Eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ist jede Situation nach Art. 39 VNCh, in der nicht einzelne Fälle überwiesen werden und in der 51
Vgl. unten 9. Kapitel II. 1. mit einer Stellungnahme zur Rechtsfolge. 9. Kapitel I. 1. 53 3. Kapitel II. 4. Ganz davon abgesehen, ob und wie weit die fruit-of-the-poisonous-tree-Doktrin im Völkerstrafrecht reicht. 54 Dazu sogleich unter c). 52
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
295
nicht nach bestimmten Personengruppen, insb. Konfliktparteien, unterschieden wird. Die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten von Nichtvertragsparteien des IStGH-Statuts ist zulässig. Nach den soeben gefundenen Ergebnissen ist eine Überprüfung von Merkmalen des Art. 39 VNCh durch den IStGH jedoch nicht zulässig. Somit könnte sich das Verbot einer gerichtlichen Überprüfung auf den Situationsbegriff erstrecken. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass der Situationsbegriff nach der getroffenen Definition55 ein genuiner Begriff des Statuts ist. Er lehnt sich zwar an den Begriff in Art. 39 VNCh an, setzt aber eigene Grenzen. So werden nicht die Tatbestandsmerkmale übernommen, sondern es wird ein eigener Situationsbegriff geschaffen. Er ist enger als der Begriff in Art. 39 VNCh. Der IStGH muss aufgrund der fehlenden Justiziabilität des Art. 39 VNCh die Einschätzung des Sicherheitsrates einer Sachlage als Gefährdung des Weltfriedens, Bruch des Friedens oder Aggression als gegeben annehmen. Die Überprüfungskompetenz nach Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut setzt ein, wenn es um die Schärfung des Situationsbegriffs geht. Die Kammern müssen dann anhand des Statuts auslegen, ob die Auslegung des Sicherheitsrates und dessen unmittelbare Übernahme in das Statut möglich ist oder ob die Resolution „gefiltert“56 werden muss. 4. Eingeschränkte Überprüfungskompetenz des IStGH Der IStGH hat die Kompetenz, die Begründung seiner Gerichtsbarkeit zu überprüfen sowie die Einhaltung der materiellen Regelungen sicherzustellen. Bei einer Kontrolle der Eröffnung der Gerichtsbarkeit wird die Überweisungsresolution des Sicherheitsrates inzident überprüft. Maßstab dabei ist, inwieweit das Statut Resolutionen im Regelungsbereich des IStGH gelten lässt. Daher müssen sich die Akte des Rates am Primärrecht des IStGH messen lassen. Allerdings beschränkt sich diese Kompetenz auf die formellen Voraussetzungen des Handelns des Sicherheitsrates im Rahmen von Kapitel VII und die Rechtsbindungen des Sicherheitsrates.
II. Folge eines Urteils Somit steht fest, dass es rechtswidrige Resolutionen geben kann, die in einem bestimmten Rahmen von den Kammern des IStGH überprüft werden können. Die Folgen einer solchen rechtswidrigen Resolution sind äußerst 55 56
4. Kapitel IV. 3. Kapitel II. 4.
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
umstritten. Vorstellbar ist, dass eine solche Resolution rechtlich nicht existent, ex tunc automatisch bzw. nach einer Anfechtung nichtig oder ohne Mängel rechtswirksam und unanfechtbar ist.57 Dabei scheiden die beiden extremen Positionen aus. Ein Verstoß gegen die Rechtsbindung ohne jegliche Folgen wäre sinnwidrig. Die Existenz rechtswidriger Akte ist im Völkerrecht allgemein anerkannt. Diese ziehen die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates nach sich. Auch internationale Organisationen haften für ihre rechtswidrigen Handlungen,58 sodass sie rechtlich existent werden. Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Frage, ob ein solcher Akt ex tunc nichtig oder anfechtbar ist und wer darüber entscheidet. 1. Chartawidrige Resolutionen und deren Rechtsfolge Gerade der Fall, dass eine Resolution gegen die VNCh verstößt, wird seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Nach einer verbreiteten Auffassung, die sich vor allem auf das Sondervotum des Richters Morelli im Certain-Expenses-Fall des IGH stützt,59 ergäbe die Kategorie der Anfechtbarkeit nur einen Sinn, wenn es ein zuständiges Organ gäbe, das entscheiden würde.60 Vertreter dieser Ansicht erkennen einzig im IGH dieses Organ. Dieser habe jedoch keine Verwerfungskompetenz für Akte der anderen VN-Organe. Eine Überprüfung von Sicherheitsratsresolutionen komme nur inzident in Betracht, und selbst diese Möglichkeit sei umstritten.61 Das Fehlen einer effektiven Anfechtungsmöglichkeit schließe daher die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit aus. Eine solche Konstellation wäre ein „juristischer Kunstgriff“62, um den Sicherheitsrat 57 Grundlegend dazu Jennings, Nullity and Effectiveness in International Law, in: FS McNair, S. 64 ff.; E. Lauterpacht, The Legal Effect of Illegal Acts of International Organisations, in: FS McNair, S. 88 ff. 58 Ipsen/Ipsen, Völkerrecht, § 39 Rn. 4; Eagleton, RdC 76, S. 319 (S. 384 ff.); Paulus, Kompetenzüberschreitende Akte von Organen der Europäischen Union – Die Sicht des Völkerrechts, in: Simma/Schulte, S. 49 (S. 51). Im Ergebnis so auch Dugard, Judicial Review of Sanctions, in: Gowlland-Debbas, S. 83 (S. 85). 59 IGH Certain Expenses of the United Nations, ICJ Reports 1962, S. 151, Sep. Op. Richter Morelli, S. 216 (S. 222). 60 Martenczuk, S. 123 f.; Herdegen, VanderbiltJTL 27 (1994), S. 135 (S. 139). 61 Vgl. dazu den IGH im Case concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising from Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiniya v. United Kingdom), ICJ Reports 1992, S. 9 ff., sowie die Sondervoten der Richter Lachs S. 26 f., Bedjaoui, S. 33 (S. 41 ff.), Weeramantry, S. 50 (S. 61 ff.), Shahabudeen, S. 28 (S. 32) (wortgleich mit dem Verfahren Libya v. USA, ICJ Reports 1992, S. 114 ff.). 62 Martenczuk, S. 124.
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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von jeglicher Rechtsbindung freizustellen. Somit wäre die Rechtsfolge rechtswidriger Resolutionen die anfängliche Nichtigkeit. Eine Einschränkung auf offensichtliche oder schwerwiegende Fehler sei dabei nicht angebracht,63 zum einen aus praktischen Gründen und zum anderen dürfte wohl jeder Verstoß gegen die oben skizzierten Grenzen64 eine schwerwiegende Verletzung des Völkerrechts darstellen. Diese Ansicht vermischt jedoch materiell-rechtliche Fragen mit solchen des Verfahrensrechts.65 Die Möglichkeit der Anfechtung ist somit unabhängig von einem Verfahren zu betrachten. Jedoch ist der Ansicht Morellis zuzustimmen, dass der IGH nicht dieses Organ sein kann. Eine derartige Kompetenzzuweisung findet sich an keiner Stelle. Ebenso gibt es keine Kompetenz für den IStGH. Mehr noch, als unabhängiges Völkerrechtssubjekt, das nicht Teil der VN-Familie ist, kann dieser nicht in den Regelungsbereich der Charta eingreifen. Eine solche Anfechtungsbefugnis wäre völkerrechtswidrig. Schon die Vorfrage, ob der Gerichtshof überhaupt das Handeln des Sicherheitsrates überprüfen darf, ist in weiten Teilen negativ zu beantworten. Eine Entscheidung des IStGH über die Nichtigkeit kommt somit nicht in Betracht. Es bleibt einzig der Sicherheitsrat selbst. Da dieser die Resolution erlassen hat, kann er auch über deren Ende entscheiden.66 Es kann aber davon ausgegangen werden, dass er sich nicht die Blöße geben wird, die Rechtswidrigkeit seines Handelns einzugestehen, sondern dass er ggf. eine Änderung oder Aufhebung aus Zweckmäßigkeitsgründen beschließen wird. 2. Statutswidrige Resolutionen Im Gegensatz dazu steht die Diskussion in Bezug auf den IStGH selbstverständlich noch am Anfang. In der Praxis ist sie noch nicht relevant geworden. Allerdings ist die Ausgangslage hier deutlich klarer als bei der Überprüfung im Rahmen der VN. Für den Bereich des Statuts entscheiden die Kammern abschließend, ob die Gerichtsbarkeit eröffnet ist. Ihre Entscheidung ist für den gesamten Bereich des IStGH bindend. Darüber hinaus kann eine Entscheidung keine Wirkung entfalten. Insbesondere strahlt ein Urteil, in dem die Resolution als statutswidrig erklärt wurde, nicht auf das System der Vereinten Nationen aus. Für diesen Bereich kann der IStGH keine Kompetenz beanspruchen. 63
Martenczuk, S. 125–128. 1. Kapitel III. 65 Die vorhergehende Meinung ablehnend auch Osieke, AJIL 77 (1983), S. 239 (S. 255). 66 De Wet, S. 375. 64
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4. Teil: Gerichtliche Überprüfbarkeit
Eine Kontrolle setzt auch nicht am Maßstab der VNCh an, sondern gemäß der in Art. 21 IStGH-Statut festgelegten Anwendungshierarchie.67 Dieser Liste zufolge steht das Statut an oberster Stelle. Erst danach folgen andere völkerrechtliche Verträge, zu denen auch die Charta zählt. Sicherheitsratsresolutionen fallen mit in diese Kategorie. Ihre Geltung ist dem Statut insgesamt nachgeordnet (Art. 21 Abs. 1 lit. b] IStGH-Statut). Für die einzelnen Bereiche, in denen eine Resolution Wirkung entfalten kann, setzt das Statut dazu noch andere Voraussetzungen (Art. 13 lit. b], 16 IStGH-Statut). Der Gerichtshof überprüft die Resolutionen somit am Maßstab seines Primärrechts. Halten die Resolutionen die Grenzen ein, wendet er sie an – so der Wortlaut des Chapeau von Art. 21 IStGH-Statut. Dies gibt Aufschluss über die Rechtsfolge einer Resolution, die sich nicht an die Vorgaben des Statuts hält: Sie ist unanwendbar, sie bindet die Organe des Gerichtshofs nicht.68 Diese Lösung lässt die Autorität des Rates unter der Charta unberührt. An diesem Maßstab wird die Resolution nicht gemessen. Bezüglich der Gültigkeit oder Verbindlichkeit der Resolution für alle anderen Bereiche trifft der Gerichtshof dann keine Entscheidung. Die Einhaltung des Quorums aus Art. 27 Abs. 3 IStGH-Statut wird dabei regelmäßig gegeben sein. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Sicherheitsrat einen abgelehnten Entwurf der Weltöffentlichkeit als eine tadellose Resolution verkaufen wird. Entscheidet der IStGH in diesem Fall, dass deswegen die Resolution nicht anwendbar ist, so kann nicht davon gesprochen werden, dass dieses Urteil die Autorität (oder auch Seriosität) des Rates berührt. Dafür hätten die Vertreter schon selbst gesorgt. Ob der Sicherheitsrat unter Kapitel VII gehandelt hat, dürfen die Kammern auch überprüfen. Diese Prüfung stellt ebenfalls keinen Angriff auf den Rat dar. Die Frage, ob eine Resolution nach Kapitel VII erlassen wurde, stellt sich in der Praxis ständig – auch wenn dies unproblematisch ist. Die Staaten müssen wissen, ob sie an die Resolution gebunden sind, und dafür brauchen sie Klarheit über die Rechtsgrundlage. Zwar ist der Gerichtshof nicht kraft Kapitel VII an die Resolution gebunden, eine Überprüfung kann er dennoch vornehmen. 3. Mögliche Teilbarkeit der Resolutionen Ist eine Resolution des Sicherheitsrates nur in Teilen statutswidrig, ist fraglich, ob der Gerichtshof die gesamte Resolution oder nur einzelne Teile 67
1. Kapitel IV. Im Ergebnis ebenso Heilmann, S. 148; Kurth, S. 200 f.; Zappalà, JICJ 1 (2003), S. 114 (S. 120). 68
9. Kap.: Gerichtliche Überprüfbarkeit der Gerichtsbarkeit
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für unanwendbar erklären kann. Das Statut gibt darüber keine Auskunft. Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut spricht vielmehr nur von der „Anwendung“. Über eine Teilanwendung schweigt die Norm. Auch das Chapeau von Art. 13 IStGH-Statut setzt nur eine Übereinstimmung mit dem Statut voraus. Aus beiden Formulierungen kann jedoch nicht zwingend der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Teilbarkeit ausgeschlossen ist. Vielmehr ist gemäß dem effet-utile-Prinzip bzw. der ut-res-magis-Maxime nach der Methode auszulegen, die eine möglichst große Effektivität gewährleistet. Eine teilweise Anwendung ist effektiver als gar keine Anwendung, vor allem dann, wenn die beschränkenden Teile einer Resolution nicht angewandt werden. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dies regelmäßig gilt. Denn wenn der Gerichtshof die Resolution auf ein Maß zurechtstutzt, dass dem Sicherheitsrat unerträglich erscheint, so kann dieser seine Resolution jederzeit zurückziehen oder widerrufen. Der IStGH stünde dann ohne Rechtsgrundlage da. Eine Auslegung, die die Teilbarkeit befürwortet, wäre nicht nur weniger effektiv, sondern sogar kontraproduktiv. Ob diese Rücknahme durch den Sicherheitsrat erfolgen wird, kann die Kammer regelmäßig nicht sicher beurteilen. Selbst einzelne Stellungnahmen von Vertretern im Sicherheitsrat, die mit dem Widerruf drohen, sind aufgrund des Mehrheitserfordernisses in Art. 27 Abs. 3 VNCh kein deutliches Anzeichen für den Rückzug des Rates. Eine Auslegung nach der ut-res-magis-Maxime bringt somit keine Klarheit über die genauen Grenzen der Teilbarkeit. Eine teilweise Anwendbarkeit der Resolution ist durch das Statut grundsätzlich möglich.
III. Die Überprüfungsmöglichkeit einer Sicherheitsratsresolution durch den IStGH Der IStGH kann die Eröffnung seiner Gerichtsbarkeit überprüfen. Inzidenter Gegenstand sind dabei auch Resolutionen nach Art. 13 lit. b) IStGHStatut des Sicherheitsrates. Maßstab ist das Statut. Voraussetzungen aus der VNCh dürfen nur überprüft werden, wenn sie die formellen Bedingungen oder die Rechtsbindungen des Sicherheitsrates betreffen. Kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass eine Resolution die Voraussetzungen des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut nicht erfüllt, so erklärt er die Resolution für unanwendbar. Sie wird für den Bereich des IStGH nicht existent; mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts läge dann ein ausbrechender Rechtsakt vor.
5. Teil
Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof Mit dem Engagement der Vereinigten Staaten gegen den Strafgerichtshof sah die Zukunft der internationalen Strafverfolgung zunächst schlecht aus. Neben dem Abschluss zahlreicher Abkommen nach Art. 98 IStGH-Statut dämpften die beiden Resolutionen 1422 (2002) und 1487 (2003) die Freude über das Inkrafttreten des Statuts. Die Zeichen standen auf Konflikt.1 Um so größer war die Überraschung, als sich die Vereinigten Staaten nicht gegen die Übertragung der Situation in Darfur, Sudan, an den IStGH stellten.2 Ende März 2005 überwies der Sicherheitsrat zum ersten Mal einen Konflikt an den IStGH. Bis heute ist dies der einzige Fall, in dem die Möglichkeit aus Art. 13 lit. b) IStGH-Statut genutzt wurde. Nichtsdestotrotz dauern die Verbrechen bis heute (März 2010) an. Resolution 1593 (2005) scheint nur auf den ersten Blick einer der vielen Meilensteine der letzten Jahre im Völkerstrafrecht zu sein. Bei einer genaueren Betrachtung kommen die Probleme der Resolution klar zum Vorschein.3 Im folgenden Teil wird zunächst der Konflikt eingehend dargestellt. Die tatsächliche Lage ist verworrener, als sie gemeinhin erläutert wird. Abschließend wird der weitere Verfahrensgang erörtert. Gegen die ersten Individuen sind bereits Haftbefehle erlassen worden. Inwieweit der Sudan zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verpflichtet ist, lässt sich an diesem Beispiel illustrieren.
1
Kreß, Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: FS Richter II, S. 319 (S. 324); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 203 f.). 2 Cassese, JICJ 4 (2006), S. 434 (S. 436). 3 So auch Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 226); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 195).
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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10. Kapitel
Der Konflikt in Darfur Seit 2003 kämpfen in Darfur verschiedene Gruppen gegeneinander. In der deutschen Literatur fehlt eine vollständige Darstellung des Sachverhalts.4 Die Ausführungen in der englischen Literatur sind zahlreicher, aber oft verkürzend. Daher soll der Konflikt hier in seinem historischen, politischen und geographischen Kontext erläutert werden.
I. Der Konflikt in Darfur (Sudan) Der Sudan ist der flächenmäßig größte afrikanische Staat. Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1956 kommt das Land nicht zur Ruhe.5 Wechselnde politische Systeme sowie ethnische und religiöse Differenzen in der Bevölkerung haben dazu beigetragen, dass immer wieder blutige Kämpfe stattfanden. In Darfur gibt es seit Jahrhunderten Spannungen, die im Jahre 2003 eine Intensität der Gewalt erreichten, die vorher kaum vorstellbar war.6 So wurden gezielt Dörfer angegriffen, in denen kein Widerstand zu erwarten war. Die Gewalt, die aus Massenmord, Massenvergewaltigungen und Plünderungen besteht, hält teilweise über Tage an. Schätzungen gehen davon aus, dass es bis heute mehr als 2,4 Millionen internally displaced persons gibt, dazu kommen ungefähr 300.000 Flüchtlinge im Tschad. Die Zahl der Toten ist nicht verlässlich anzugeben. Die VN gehen davon aus, dass mehrere Hunderttausend Menschen ihr Leben in Folge des Konflikts verloren haben.7
II. Bevölkerung, Geschichte und Religion Darfurs Die drei sudanesischen Staaten Nord-, West- und Süd-Darfur liegen im äußersten Westen des Landes. Sie grenzen direkt an Libyen, Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Auf einer Fläche von der Größe Frank4 Eine sehr gute Einführung sind die Beiträge in Chiari (Hrsg.), Sudan – Wegweiser zur Geschichte des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. 5 Wagner, GeorgetownJIL 37 (2006), S. 193 (S. 195); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 196); Mückusch, Der erste Bürgerkrieg und die schwierige Unabhängigkeit 1956 bis 1983, in: Chiari, S. 39 ff. 6 So auch Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 197); Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 226); Sinha, IndianJIL 45 (2005), S. 389 (S. 389). 7 Mehler/Melber/Walraven/Mattes, Africa Yearbook 2004, S. 340; letzte Angaben der NZZ, Ein kleiner Auslandseinsatz im Sudan, 12. Februar 2009, S. 33, und von CNN, Sudan, rebels sign prisoner release deal, vom 17. Februar 2009, sprechen von 300.000 Toten.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
reichs leben ungefähr sechs Millionen Menschen.8 Je nach Zählung unterteilt sich die heutige Bevölkerung in 409 bis 12010 verschiedene Ethnien. Der überwiegende Teil Darfurs ist trocken und für Landwirtschaft wenig geeignet. Erst im Süden wird der Boden fruchtbarer. Arabisch ist seit Langem die lingua franca.11 Ursprünglich wurde die Region von Stämmen besiedelt, die über die Jahrtausende sesshaft und zu Bauern wurden. Ihr Siedlungsgebiet ist größer als die heutigen Verwaltungseinheiten. Der größte Stamm gab der Gegend ihren Namen: Die Fur sind im zentralen Darfur die dominierende Gruppe; „Dar“ bedeutet auf Arabisch „Land“ oder „Gebiet“. Zu den „afrikanischen“ Stämmen zählen vor allem noch die Zaghawa und Massalit.12 Diese beiden Stämme siedeln auch im Tschad.13 Im 14. Jahrhundert kamen arabische Stämme aus dem Norden nach Darfur.14 Sie behielten ihre nomadische Lebensweise bei und zogen mit ihren Rinder- bzw. Kamelherden in der Trockenzeit in den Süden. Die Aufteilung in Rinderzüchter und Kamelzüchter stellt dabei auch die grobe Zweiteilung der „arabischen“ Bevölkerung in baggara (Rinder-) und abbala (Kamelzüchter) dar.15 Diese ethnische Aufteilung wird heute stark vereinfachend als Ursache des aktuellen Konflikts angesehen.16 Unbestritten spielt die ethnische Zugehörigkeit eine wichtige Rolle.17 Diese war auch für die Landverteilung ein Kriterium.18 8
ICID-Report, Rn. 51. So Ibrahim, Hintergründe. 10 So der Haftbefehlsantrag gegen den Präsidenten des Sudan, Omar al-Bashir, Public redacted version of Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-157; ICC-02/05-157-AnxA vom 12. September 2008, Rn. 6. 11 Ibrahim, Hintergründe. 12 Dazu kommen noch die Berti, Bargu, Bergid, Tunjur, Tama, Bedeyat, Dajo, Meidob, Jebel, Salamat, Aranga etc. Nachfolgend werden die Namen der Stämme sowie die Janjaweed in der englischen Schreibweise aufgeführt. 13 Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 1135; Ibrahim, Hintergründe. 14 Messiriya, Irayqat, Mahamid, Beni Hussein, Rezeigat, Habbaniya, Beni Halba, Mahariya, Taaisha, Maaliyya, Umm Jullul etc. 15 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es auch afrikanische Rinder- und Kamelzüchter sowie arabische Bauern gibt (Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 [S. 41 f.]). Arabische Rinderzüchter sollen die Mehrzahl der Mitglieder der Janjaweed bilden (ebd., S. 41). Im Folgenden wird die Bezeichnung afrikanische und arabische Stämme zur besseren Übersichtlichkeit und ohne Anführungszeichen beibehalten. Damit ist selbstverständlich keine Wertung verbunden, es erfolgt aus rein praktischen Gründen. 16 Grundlegend kritisch dazu O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 36 ff.). Einleitend zu den verschiedenen Ethnien im Sudan Ille, Ethnische Strukturen, in: Chiari, S. 131 ff. 9
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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Allein dieses Kriterium reicht jedoch nicht aus, um eine Befassung des Sicherheitsrates zu rechtfertigen. Wie gezeigt werden wird, liegen die Ursachen des Konflikts tiefer. Die ethnische Zugehörigkeit wird dabei für andere Interessen ausgenutzt und verschärft so die Auseinandersetzungen. Bedeutung erlangt hat die ethnische Zugehörigkeit erst in den 1920er Jahren.19 Auch aus einem anderen Grund ist der ethnische Aspekt nicht entscheidend. Beide Gruppen haben sich über die Zeit – auch äußerlich – einander angenähert. Immer wieder kam es zu erzwungenen oder freiwilligen Ehen zwischen den Stämmen oder Ethnien.20 Teilweise soll es zum Wechsel der ethnischen Zugehörigkeit ausreichen, seinen Hof zu verkaufen und Rinder bzw. Kamele zu züchten.21
III. Die Geschichte Darfurs Mit kürzeren Unterbrechungen22 war Darfur bis 1916 ein unabhängiges Sultanat. Erst als der Sultan Ali Dinar im Ersten Weltkrieg auf die falsche Seite gesetzt hatte, marschierten britische Truppen in Darfur ein. In der Folgezeit wurde Darfur in die Verwaltung des Kondominiums Sudan einbezogen.23 1956 wurde der Sudan unabhängig. 1969 kam durch einen Putsch Oberst Jafar Mohammed an-Numeiri an die Macht. Bis 1985 ein erneuter Putsch zum Sturz an-Numeiris führte, wurde der Sudan immer wieder von blutigen Gefechten zwischen Regierung und Rebellen, die einen islamischen Gottesstaat errichten wollten, erschüttert. Ab 1985 wurde der Sudan dann langsam an dieses Ziel herangeführt, u. a. wurden Teile der Scharia geltendes Recht.24 Im Juni 1989 kam ebenfalls durch einen Putsch General Omar Hassan al-Bashir an die Macht. Seine Regierung der Nationalen 17 So auch O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 36); Piiparinen, Global Governance 13 (2007), S. 365 (S. 366). 18 Zu diesem Problem s. O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 38). 19 O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 34). 20 Human Rights Watch, Darfur Destroyed, S. 5; Ibrahim, Hintergründe; ICIDReport, Rn. 53; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 42). 21 Zur Durchlässigkeit der ethnischen Grenzen O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 30); Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 41, 46). 22 V. a. Ende des 19. Jahrhunderts. Überblickartig bei O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 ff.; Pahl, Zeit der Fremdherrschaft, in: Chiari, S. 27 (S. 29). 23 Pahl, Zeit der Fremdherrschaft, in: Chiari, S. 27 (S. 32 ff.). Ägypten und Großbritannien übten gemeinsam Hoheitsgewalt über Sudan aus. Zum Begriff des Kondominiums s. Ipsen/Epping, Völkerrecht, § 5 Rn. 33. 24 Genauer zur Chronologie Ploetz (Hrsg.), S. 1602.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Islamischen Front (NIF) amtiert bis heute. Prominentes Mitglied dieser Bewegung ist Hassan al-Turabi, der die ideologische Grundlage der NIF entwickelt hat, allerdings 1999 geschasst wurde.25 Al-Turabi gilt allgemein als Chefideologe der „islamischen Revolution“ von 1989.26 Von ihm stammen die theoretischen Grundlagen des politischen Systems. Für den Darfur-Konflikt ist von Bedeutung, dass al-Turabi als „Zielgruppe“ eines islamischen Staates die Landbevölkerung ausgemacht hatte. Seiner Meinung nach müsste sich ein solcher nicht auf die zumeist kommunistisch orientierte, städtische Bevölkerung oder die arabische Elite konzentrieren, sondern gerade die vernachlässigte und verarmte und vor allem religiöse Landbevölkerung in den Mittelpunkt stellen. Mit dem Ausscheiden al-Turabis aus der politischen Elite ging somit der wichtigste Fürsprecher der Bevölkerung Darfurs verloren. Es ist davon auszugehen, dass dies das Vertrauen in die Regierung hat sinken lassen. Es wird – nicht nur von Regierungsseite – vermutet, dass al-Turabi Verbindungen zum Justice and Equality Movement (JEM), einer Rebellengruppe aus Darfur, besitzt, was von ihm allerdings abgestritten wird.27 Seit dem Eintritt in die Unabhängigkeit stammt die politische und militärische Elite aus dem Norden des Sudan. Die arabische Bevölkerungsgruppe von dort28 stellte z. B. alle Präsidenten. Dies hatte u. a. zur Folge, dass die Randregionen des Sudan nicht am wirtschaftlichen Aufschwung des Landes teilhaben konnten.29 So wurde Nyala, die heutige Hauptstadt Süddarfurs, erst in den 1950er Jahren an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Darfurs historisches Zentrum al-Fascher, heute Hauptstadt Nord-Darfurs und mit ca. 250.000 Einwohnern die größte Stadt Darfurs, hat bis heute keine Eisenbahnanbindung.
25 Zu seiner Rolle vor allem Prunier, S. 111. Al-Turabi ist seit dem 13. Oktober 2003 wieder frei, Hofmeier/Mehler/Mattes, Afrika Jahrbuch 2003, S. 305; Cryer, LeidenJIL 2006, S. 195 (198). 26 Natsios, Foreign Affairs 87 (2008), S. 77 (S. 82); A. Weber, Die „Schlacht um Omdurman“ und ihre Folgen für den Frieden im Sudan, S. 2. Vgl. auch den kurzen biographischen Abriss bei A. Weber, Machtstrukturen und politische Lager, in: Chiari, S. 75 (S. 77 f.). 27 Mehler/Melber/Walraven/Mattes, Africa Yearbook 2004, S. 204, 341; Köndgen, inamo Nr. 39 2004; Ibrahim, Hintergründe; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 44). 28 Diese stellt ungefähr 5 Prozent der sudanesischen Bevölkerung, O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 30). 29 O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 29); Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 43).
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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1. Der religiöse Aspekt Die arabischen Stämme brachten den Islam in den Sudan. Dabei wurde auch Darfur „missioniert“. Spätestens im 17. Jahrhundert wurde der Islam so die dominierende Religion in Darfur, heute sind fast alle Bewohner islamischen Glaubens.30 Anders als im Konflikt im Süden des Sudan31 ist die religiöse Zugehörigkeit also weder wirkliche noch vorgeschobene Ursache für den heutigen Konflikt oder Trennlinie zwischen den Gruppen. Davon zeugen auch die Erklärungen der Konfliktparteien. Keine Seite beruft sich dabei auf einen heiligen Kampf gegen Andersgläubige oder verfolgt einen Missionierungsauftrag.32 Teilweise wird ein i. w. S. religionsbedingtes Argument angeführt. Die sudanesische Zentralregierung habe erst nach den Attentaten vom 11. September 2001 eine Offensive gegen die Bewohner Darfurs starten können. Kalkül soll gewesen sein, dass die westlichen Staaten sich zu diesem Zeitpunkt nicht für einen Konflikt unter Moslems interessieren würden. Ob dieses Argument wirklich eine Rolle gespielt hat, kann hier nicht überprüft werden. Es soll nur verdeutlichen, dass die Religion nicht als trennendes Merkmal genannt wird, sondern nur zur Abschottung vor der Weltöffentlichkeit dienen sollte. 2. Die lokale Dimension Aufgrund der fortschreitenden Verwüstung (Nord-)Darfurs wurden die Kämpfe um die natürlichen Ressourcen Wasser und Weideland immer intensiver.33 Logischerweise entstehen die größten Konflikte zwischen den Bauern und den Nomaden, die auf die bäuerlichen Felder ziehen.34 30
ICID-Report, Rn. 52; Schmidinger, Blätter für deutsche und internationale Politik 2005, S. 194 (S. 195); Ibrahim, Hintergründe; Ibrahim, Zeitschrift für bedrohte Völker 228, S. 3; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 42); Thielke, Krieg in Darfur, in: Chiari, S. 65 (S. 65); GlobalSecurity.org, Sultanate; Nabati, Response; Ploetz, S. 1133 setzt den Zeitpunkt bereits ins 16. Jahrhundert. 31 s. unten 10. Kapitel III. 2. 32 Im Ergebnis so auch De Waal, Famine that Kills: Darfur, Sudan, 1985–1986, S. xviii. 33 Du Plessis/Gevers, African Security Review 14 (2) 2005, S. 23 (S. 26); Auswärtiges Amt, Darfur-Konflikt; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 41); Global Security.org, Darfur Civil Conflict; Ibrahim, Hintergründe; Schmidinger, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, S. 778 (S. 780). Vgl. auch Burke/Miguel/ Satyanath/Dykema/Lobell, Warming increases the risk of civil war in Africa, PNAS 106 (2009), S. 20670 ff. 34 Da, wie gezeigt, die ethnischen Gruppen nicht klar anhand ihres Grades an Sesshaftigkeit unterschieden werden können, sei angemerkt, dass es so natürlich auch zu innerethnischen Konflikten kam.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Diese Konflikte sind nicht neu. Schon seit Beginn der nomadischen Wanderungen existieren sie. Blutige Auseinandersetzungen kamen stets vor. Bis zum Anfang des dritten Jahrtausends konnten sie durch traditionelle Methoden beigelegt und geschlichtet werden. In den meisten Fällen trat dabei eine dritte Partei als Vermittler auf und ein Blutgeld wurde als Lösung vereinbart.35 Erst Mitte der 1980er Jahre wurden diese Konflikte blutiger und eine Lösung schwieriger. 3. Die nationale Dimension Anfang der 1980er Jahre begann im Süden des Sudan ein Bürgerkrieg, mit dem sich christliche Afrikaner gegen die Zentralregierung zur Wehr setzen wollten.36 Die Regierung reagierte im Rahmen ihrer Politik der Arabisierung.37 Mitte der 1980er Jahre begann sie, arabische Stämme in Darfur mit Waffen auszurüsten und sie auszubilden. Diese Milizen wurden im Süden gegen die Rebellen eingesetzt.38 Nur teilweise wurden sie in die bestehende militärische Struktur eingegliedert. Erst am 9. Januar 2004 wurde der Konflikt im Südsudan beendet. Die Sudan People’s Liberation Army (SPLA, früher Movement/SPLM) und die Regierung konnten sich in Naivasha, Kenia, auf ein Rahmenabkommen einigen, das am 26. Mai 2004 in den wichtigen Teilen Macht- und Reichtumsteilung ergänzt werden konnte. Dies hatte den folgenden Hintergrund: Sowohl im Südsudan als auch in Darfur finden sich Ölvorkommen, an deren Ausbeutung die unterschiedlichen internationalen Akteure interessiert sind.39 Der Sicherheitsrat hat mit Res. 1547 eine special political mission eingesetzt, die den Friedensprozess überwachen soll. Seit der Res. 1590 besteht diese als United Nations Mission in Sudan (UNMIS) fort. Am 9. Juli 2005 trat die Übergangsverfassung des Sudan in Kraft. Sie enthält spezielle Regelungen bis 2011, dann soll ein Referendum über den Verbleib des Südens im Staat Sudan entscheiden.40 Die neue Zentralregierung besteht aus 35 Schmidinger, Blätter für deutsche und internationale Politik 2005, S. 194 (S. 195); Ibrahim, Hintergründe; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 43 f.); Straus, Foreign Affairs 84 (2005), S. 123 (S. 126). 36 Pahl, Zeit der Fremdherrschaft, in: Chiari, S. 27 (S. 36 f.). 37 Schmidinger, Blätter für deutsche und internationale Politik 2005, S. 194 (S. 196); Chiari, Der Zweite Bürgerkrieg und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft des Sudan, in: Chiari, S. 51 ff.; Ibrahim, Hintergründe; Sinha, IndianJIL 45 (2005), S. 389 (S. 390); Straus, Foreign Affairs 84 (2005), S. 123 (S. 125 f.); Abass, NILR 49 (2007), S. 415 (S. 417). 38 Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 42). 39 Paes, Erdölproduktion und der Konflikt im Süd-Sudan, in: Chiari, S. 60 f.; Hofmeier/Mehler/Mattes, Afrika Jahrbuch 2003, S. 310.
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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der National Congress Party41 und der SPLM/A und nennt sich Government of National Unity. 1994 wurde die Verwaltung des Sudan umorganisiert. Im Zuge dessen kam es zu einer Auflösung des Staates Darfur in drei kleinere Staaten. Von Nachteil war dies vor allem für die Fur. Diese siedeln im zentralen Darfur und stellen dort die Mehrheit.42 Ihr Siedlungsgebiet wurde durch die drei neuen Staaten zerschnitten, sodass die Fur jetzt in jedem der drei Staaten in der Minderheit sind. Das Problem der Neugliederung Darfurs wurde im Darfur Peace Agreement (DPA) vom 5. Mai 2006 angesprochen. Dort43 wird Bezug genommen auf die Ausgliederung des nördlichen Teils von Darfur, der heute nicht mehr Teil von Nord-Darfur ist. Ob er wieder eingegliedert wird, ist offen. In den Jahren 2002 und 2003 bildeten afrikanische Stämme in Darfur zwei Rebellenorganisationen. Einmal wurde – wohl mit Unterstützung durch die SPLM/A – die Darfur Liberation Front gegründet, die sich bald in Sudan Liberation Movement bzw. Army (SLM/A) umbenannt hat. Sie besteht zum großen Teil aus Bauern. In ihrer Charta haben sie sich zum Ziel gesetzt, die Marginalisierung der sudanesischen Peripherie zu beenden.44 Die andere Organisation – das Justice and Equality Movement – setzt sich aus ehemaligen Anhängern der NIF zusammen.45 Ihre ideologische Grundlage bildet das Black Book, ein Buch, das im Jahre 2000 erschien und die politischen Zustände des gesamten Sudan anprangerte.46, 47 Während die Rebellen anfangs militärische Erfolge feiern konnten, schlägt die Zentralregierung seit April 2003 intensiv zurück.48 Es ist nicht bekannt, wie viele 40
Nichtsdestotrotz geht der militärische Konflikt im Südsudan weiter, vgl. Spiegel 42/2008, S. 111. 41 Die NIF hat sich nach internen Machtkämpfen 1999 umbenannt. 42 s. oben im 10. Kapitel unter II. 43 Art. 1 Rn 12, Art. 6 Rn. 61 DPA. 44 s. auch Hofmeier/Mehler/Mattes, Afrika Jahrbuch 2003, S. 308; Piiparinen, Global Governance 13 (2007), S. 365 (S. 366). 45 A. Weber, Machtstrukturen und politische Lager, in: Chiari, S. 75 (S. 81). 46 A. Weber, Die „Schlacht um Omdurman“ und ihre Folgen für den Frieden im Sudan, S. 2. 47 Daneben gibt es weitere Rebellenorganisationen, die nicht den Einfluss der zwei großen erreichen konnten. Zu nennen sind die Sudan Federalist Democratic Alliance und das National Movement for Reform and Development (arabische Abkürzung Hawat). Natsios, Foreign Affairs 87 (2008), S. 77 (S. 84), geht von inzwischen 27 Rebellengruppen aus. 48 Human Rights Watch, Entrenching Impunity – Government Responsibility for International Crimes in Darfur, S. 6; Auswärtiges Amt, Darfur-Konflikt; Ibrahim, Hintergründe; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 44); Hofmeier/Mehler/Mattes, Afrika Jahrbuch 2003, S. 305; Piiparinen, Global Governance 13 (2007), S. 365 (S. 366).
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Kämpfer auf jeder Seite stehen. Schätzungen gehen davon aus, dass die arabischen Milizen aus mindestens 20.000 Mann bestehen, während die Rebellen nach eigenen Angaben 27.000, nach unabhängigen Schätzungen 10.000 Mitglieder haben.49 Die arabischen Milizen wurden als Janjaweed bekannt. Die wörtliche Übersetzung des arabischen Wortes ist unklar. Im Kern bedeutet es jedoch soviel wie „bewaffnete Reiter“.50 Verwendet wird es, um die Männer zu bezeichnen, die Städte und Dörfer angreifen.51 Unter ihrem Anführer Musa Hilal verbreiten diese Milizen Angst und Schrecken bei der Zivilbevölkerung. Sie greifen Dörfer an, plündern, brandschatzen, vergewaltigen und töten. Gerade die Handlungen dieser Banden sind besonders gewalttätig und blutrünstig. Ihr Ziel sind längst nicht mehr die gegnerischen Rebellen, sondern die Zivilbevölkerung.52 Die Angriffe folgen einem Muster.53 Demnach gehen reguläre Streitkräfte und Janjaweed gemeinsam gegen die Dörfer vor. Die regulären Streitkräfte umzingeln einzelne Dörfer. Dann greifen sie mit Boden- und teilweise auch mit Luftstreitkräften (Kampfhubschrauber) die Dörfer an. Während oder nach dem Angriff auf ein Dorf stoßen die Janjaweed dazu bzw. lösen die Streitkräfte ab. Männer und ältere Personen werden zumeist sofort nach dem Einmarsch getötet, Frauen und Mädchen vorher vergewaltigt. Alle lebensnotwendigen Gegenstände werden zerstört und vernichtet. Nicht nur landwirtschaftliche Werkzeuge, sondern auch Lebensmittel und Vorräte, Nutztiere werden getötet, die Wasserversorgung wird zerstört. Diese Angriffe können sich über Tage hinziehen. Oftmals marschieren kilometerlange Formationen durch Darfur und zerstören Dörfer auf die beschriebene Weise.54 Die Janjaweed sind nicht in die militärische Struktur des Sudan eingegliedert. Sie sind Private, die wohl unter sehr großem Einfluss bzw. starker Kontrolle der Zentralregierung stehen. Durch Gesetz wurde die Popular Defence Force (PDF) gegründet, eine Miliz, die in reguläre militärische Verbände integriert wurde und nicht mit den Janjaweed verwechselt werden 49
Mehler/Melber/Walraven/Mattes, Africa Yearbook 2004, S. 341. Die Übersetzungen reichen von „bewaffnete Araber auf Pferderücken“ bei Hofmeier/Mehler/Mattes, Afrika Jahrbuch 2003, S. 308, oder „Horden“ bzw. „Pferdereiter“ bei Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 40 f.), bis zu „Reiter auf Kamelen mit G 3 Gewehr“ oder „Teufel auf Pferden“. 51 So auch ICID-Report, Rn. 103 ff.; J. Wagner, GeorgetownJIL 37 (2006), S. 193 (198). 52 Public redacted version of Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-157; ICC-02/05-157-AnxA vom 12. September 2008, Rn. 9. 53 Vgl. zuletzt Public redacted version of Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-157; ICC-02/05-157-AnxA vom 12. September 2008, Rn. 14. 54 Ebd., Rn. 49. 50
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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darf.55 In der Praxis ist es allerdings fast unmöglich, die drei kämpfenden Gruppen auf staatlicher Seite zu unterscheiden. So sollen die Janjaweed bei manchen Angriffen die Uniformen der Streitkräfte tragen. Während das Friedensabkommen von Naivasha den Bürgerkrieg im Süden beendet hat, trug es zur Verschärfung des Darfur-Konflikts bei. Zum einen war es für die Zentralregierung möglich, Streitkräfte und Milizen nach Darfur zu verlagern.56 Zum anderen haben die Rebellen in Darfur ein klares Ziel vor Augen: Sie möchten dieselben Regelungen für sich erreichen.57 Die Regierung lehnt dies mit dem Argument ab, der Süden sei ein Einzelfall.58 Weiterhin befürchten die Rebellen, dass der Friedensprozess im Süden alle Kapazitäten in Anspruch nehmen wird und die Marginalisierung Darfurs weiter voranschreitet.59 Doch auch in Darfur kam es immer wieder zu einzelnen Waffenstillstandsabkommen und anderen Vereinbarungen.60 So konnte am 8. April 2004 in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, ein Abkommen unterzeichnet werden, dessen Einhaltung durch eine Mission der Afrikanischen Union, die AMIS,61 überwacht wird.62 Bislang wurde nicht nur dieses Abkommen von mindestens einer Partei gebrochen.63 Am 3. Juli 2004 unterzeichneten 55 Vgl. Mehler, FW 83 (2008), S. 45 ff.; A. Weber, Machtstrukturen und politische Lager, in: Chiari, S. 75 (S. 84 f.). 56 Schmidinger, Blätter für deutsche und internationale Politik 2005, S. 194 (S. 198); Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 40); Tull, Der Sudan nach dem Naivasha-Friedensvertrag, S. 6; Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 1134. 57 Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 40); so auch der sudanesische Oppositionsführer Sadik a-Mahdi im Gespräch mit Spiegel Online, Das bedeutet Krieg, http:// www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-612464,00.html, besucht am 10. März 2009. 58 Der sudanesische Botschafter bei den VN verwies auf die Schwierigkeiten der Regierung, eine einheitliche Friedenspolitik für das gesamte Land zu entwickeln. Diese Schwierigkeiten ergäben sich aus der zeitlichen Nähe der Konflikte. s. S/PV.5015, S. 14. 59 Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 1134; Prunier, S. 111. 60 Im Folgenden werden die wichtigsten Vereinbarungen vorgestellt. Die Resolutionen des Sicherheitsrates werden unter III. 6. behandelt. 61 African Union Mission in Sudan. Sie ist das größte Projekt der erst 2002 gegründeten Organisation und stellt die bisher schwierigste Herausforderung dar; Williams, International Peacekeeping 13 (2006), S. 168 ff. Vgl. auch Thielke, Krieg in Darfur, in: Chiari, S. 65 (S. 70 f.) sowie Grill, Jagd auf die Helfer, in: DIE ZEIT, 28.02.2008, mit vernichtender Kritik an dem Einsatz. 62 Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 1134; Abass, NILR 49 (2007), S. 415 (S. 420 ff.). 63 s. nur S/2005/719 Rn. 3; SC Res. 1591 (2005) Präambel Abs. 9; SC Res. 1564 (2004) Abs. 1; SC Res. 1590 (2005) Präambel Abs. 12; HRW, Government Responsibility, S. 8; Du Plessis/Gevers, African Security Review 14 (2) 2005, S. 23
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
der Sudan und die VN eine gemeinsame Erklärung. Die Zentralregierung erklärte u. a., die Janjaweed zu entwaffnen und der weitgehenden Straflosigkeit ein Ende zu bereiten. Erst am 5. Mai 2006 wurde ein Friedensabkommen geschlossen. Dieses weckte große Hoffnungen, da es Regelungen zur Macht- und Reichtumsverteilung enthält und somit dem Naivasha-Abkommen nahekommt.64 Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die Interessen der sudanesischen Zentralregierung die Spannungen, die seit Langem zwischen verschiedenen Stämmen bestehen, auf eine neue Ebene gehoben haben.65 Die Gewalt hat ein neues Ausmaß angenommen. 4. Die internationale Dimension Für die vorliegende Untersuchung ist die internationale Dimension die wichtigste. Mit der Beteiligung anderer internationaler Akteure – oder Völkerrechtssubjekte – ist eine Bedrohung des internationalen Friedens bzw. der internationalen Sicherheit leichter zu begründen. So kann wohl kaum ein Zweifel an der Klassifikation bestehen, wenn ein zweites Völkerrechtssubjekt Konfliktpartei ist. Entscheidend sind nachfolgend die internationalen Aspekte des Darfur-Konflikts. Es wird sich zeigen, dass die Eröffnung des Kapitels VII der Charta wegen der vielen internationalen Verflechtungen außer Frage steht. Von herausragender Bedeutung ist insb. Darfurs westlicher Anrainer, der Tschad. Hinzu kommen Verwicklungen anderer afrikanischer Staaten wie z. B. Libyen. Relevant für die Reaktionen der Staatengemeinschaft im Rahmen des Sicherheitsrates sind weiterhin die Handlungen von drei Vetomächten: Frankreichs, Chinas und der USA.
(S. 27); Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 1134; Mehler/Melber/ Walraven/Mattes Africa Yearbook 2004, S. 340. 64 Zu diesem Abkommen s. unten 10. Kapitel III. 6. f) bb). Im Übrigen ist der Süden des Sudan auch auf eine andere Weise für die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs relevant. In Uganda kämpft seit Jahren die christliche Lord’s Resistance Army (LRA) gegen die ugandische Regierung. Dieser Konflikt erstreckt sich auch auf sudanesisches Territorium, insb. sollen die LRA-Rebellen im Südsudan Zuflucht finden (Mattes, in: Afrika-Jahrbuch 2003, S. 309). Uganda hat die Situation gemäß Art. 13 lit. a) IStGH-Statut an den IStGH übergeben. Da der Sicherheitsrat dort keine entscheidende Rolle spielt, bleibt eine Behandlung dieses Konflikts hier außen vor. 65 So auch der Haftbefehlsantrag des OTP gegen al-Bashir, Public redacted version of Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-157; ICC-02/05157-AnxA vom 12. September 2008, Rn. 5.
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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a) Tschad Als Nachbarn teilen Sudan und Tschad ein gemeinsames Schicksal und eine gemeinsame Geschichte. Der Tschad wurde im Jahre 1960 von Frankreich unabhängig. Dem folgten, ähnlich wie im Sudan, Jahrzehnte voller politischer Instabilität und blutiger innerer Konflikte. Die meisten Regierungen wurden auf gewaltsame Art abgelöst. Die heutige Regierung unter Präsident Idriss Déby kam im Dezember 1990 durch einen Putsch an die Macht.66 Seine Offensive gegen den damaligen Präsidenten Habré67 begann im Sudan. Aus Darfur führte er seine Truppen nach N’Djamena.68 Es wird vermutet, dass der Sudan Déby unterstützte. Dafür spricht nicht nur der Beginn der Rebellion in Darfur, sondern auch, dass Habré Rebellen im Sudan unterstützte. Der Sudan streitet bis heute jegliche Unterstützung ab,69 erkannte allerdings noch in den letzten Tagen des Jahres 1990 die neue Regierung an.70 Der aktuelle Darfur-Konflikt hat direkte Auswirkungen auf den Tschad sowie dessen Beziehung zum Sudan. Weil er direkter Anrainer der Konfliktregion ist, bestand schon früh ein Interesse, dort für Ruhe zu sorgen. So trat der Tschad anfangs als Vermittler auf,71 u. a. fanden in N’Djamena Verhandlungen über ein Waffenstillstandsabkommen statt, die am 8. April 2004 mit dem Abschluss eines Abkommens zum Erfolg führten.72 In der Folgezeit wurde die Beteiligung auf andere Art und Weise vertieft. Denn die zivile Bevölkerung Darfurs floh vor den Janjaweed in den Tschad. Dort gibt es Flüchtlingslager, in denen inzwischen mehrere Hunderttausend Menschen leben. Solche Flüchtlingsbewegungen stellen das klassische Beispiel für den Moment dar, in dem ein interner Konflikt zu einem internationalen wird.73 Somit handelt es sich spätestens seit den ersten Flüchtlingsbewegungen um einen Konflikt, der die internationale Sicherheit und den internationalen Frieden bedroht. Die Rebellengruppen folgten den Flüchtlingsbewegungen. SLM/A und JEM halten sich in den Lagern versteckt und rekrutieren dort ihren Nachwuchs. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Janja66
Ploetz, S. 1653. s. dazu auch die Klage Belgiens gegen den Senegal, ICJ Pressemitteilung vom 20. Februar 2009. 68 Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 246. 69 Libyen bestreitet dies ebenfalls. 70 Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 246. 71 Genauere Chronologie bei Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 252. 72 Humanitarian Ceasefire Agreement, ergänzt durch das Protocol on the Establishment of Humanitarian Assistance in Darfur vom 8. April 2004. 73 Hier nicht i. S. d. humanitären Völkerrechts gebraucht; vgl. 4. Kapitel III. 3. 67
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
weed in den Tschad kommen, um dort die Flüchtlingslager anzugreifen. Im Zuge dieser Angriffe ist es schon zu Kämpfen zwischen Janjaweed und regulären tschadischen Streitkräften gekommen.74 Dies spricht dafür, dass die Maßnahmen des siebten Kapitels eröffnet sind. Teilweise kontrollieren die Janjaweed die Umgebung, sodass es für die Flüchtlinge unmöglich wird, in den Sudan zurückzukehren.75 Das Flüchtlingsproblem wird so weiter verschärft. Die Konfrontation zwischen sudanesischer Zentralregierung und afrikanischen Rebellen bedeutete für Präsident Déby eine besonders prekäre Situation. Auf der einen Seite stehen seine ehemaligen Unterstützer immer noch in Regierungsverantwortung. Auf der anderen Seite ist Déby ein Mitglied der Zaghawa,76 die einen Großteil der Mitglieder der SLM/A stellen. Der Vorsitzende der JEM, Khalid Ibrahim, ist ein entfernter Verwandter von ihm. Déby entschied sich gegenüber seiner Ethnie dafür, loyal zu bleiben. SLM/A und JEM werden seitdem aus dem Tschad unterstützt. Neben dem Darfur-Konflikt gibt es weitere Gründe für eine interne Instabilität des Tschad, die Auswirkungen auf die gesamte Region hat.77 Das Regime unter Déby gilt als eines der korruptesten der Welt.78 Nepotismus und ethnische Konflikte tragen zum Auseinanderfallen der Gesellschaft bei. Im Mai 2006 wurde Déby für eine dritte Amtszeit wiedergewählt, dafür war eine Verfassungsänderung erforderlich, die auch in Regierungskreisen kritisiert wurde. Die Unzufriedenheit gipfelt immer wieder in Putschversuchen, die bisher nie erfolgreich waren. Seitdem herrscht im Tschad Bürgerkrieg. Die tschadischen Rebellen kämpfen weiterhin für eine neue Regierung. Dabei werden sie vom Sudan unterstützt, der eine willkommene Gelegenheit hat, die tschadische Unterstützung der SLM/A und JEM zu vergelten. Beide Länder werfen sich die gegenseitige Unterstützung der Rebellen vor.79 Inzwischen haben sich beide Staaten wieder einander angenä74 Hofmeier/Mehler/Basedau, Afrika Jahrbuch 2003, S. 209; Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 252. 75 Außerhalb der Lager kommt es immer wieder zu Massenvergewaltigungen. s. dazu Wagner, GeorgetownJIL 2006, S. 193 ff. 76 Hofmeier/Mehler/Basedau, Afrika Jahrbuch 2003, S. 202; Mehler/Melber/ Walraven/De Bruijn/Dijk, Africa Yearbook 2004, S. 201; Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 45). 77 Mehler/Melber/van Walraven/De Bruijn/van Dijk, Africa Yearbook 2004, S. 201. 78 In den Jahren, in denen der Tschad im Transparency International corruption perceptions index auftaucht, belegt er einen der hinteren Plätze: Drittletzter Platz (2004), letzter Platz (2005), 156. Platz von 163 (2006), 172. Platz von 179 (2007) sowie 173. Platz von 180 (2008), (http://www.transparency.org/policy_research/ surveys_indices/cpi).
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hert und insb. vereinbart, die Unterstützung der jeweiligen Rebellengruppen einzustellen.80 Im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik ist eine EU-Friedenstruppe eingesetzt, deren Mandat allerdings auf das Staatsgebiet dieser beiden Staaten beschränkt ist.81 Die Verflechtungen des Tschad in Darfur sind somit vielschichtig. Seit Beginn des Konflikts zeigen sich Auswirkungen auf den Tschad. Damit steht fest, dass im Überweisungszeitraum der Resolution 1593 (seit 1. Juli 2002) eine dauerhafte Gefährdung und später ein Bruch der internationalen Sicherheit vorliegt. b) Libyen In Libyen kam Muammar al-Gaddafi, ebenfalls durch einen Putsch, im September 1969 an die Macht. Noch im selben Jahr begann er, seine panarabische Vision zu verwirklichen. Nach missglückten Fusionsversuchen mit anderen Staaten verfolgte er eine Politik der Einmischung in andere Staaten Afrikas. Libyen bildete arabische Milizen aus, damit diese in ihren Ursprungsländern für einen arabischen Gürtel in Afrika kämpfen konnten. Selbst mit direkten Militäreinsätzen libyscher Streitkräfte verfolgte Gaddafi dieses Ziel. 1987/88 führten Libyen und Tschad Krieg um den AouzouStreifen in der Grenzregion.82 Ein Teil der libyschen Streitkräfte operierte von Darfur aus. Folge war u. a., dass es insb. für arabischstämmige Personen einfach war, über die Nachschublinien der Streitkräfte in Darfur an Waffen zu gelangen.83 Nachdem dieser Krieg beendet wurde, ließen Gaddafis Truppen ihre Ausrüstung und Waffen in Darfur zurück. Die arabischen Milizen übernahmen den Rest der Ausrüstung.84 In den letzten Jahren hat die libysche Politik einen radikalen Wechsel vollzogen. Gaddafi ist von der Unterstützung des bewaffneten Kampfes abgerückt und engagiert sich als Vermittler in verschiedenen Konflikten. Im 79 Mehler/Melber/Walraven/De Bruijn/Dijk, Africa Yearbook 2004, S. 204; International Crisis Group, Darfur’s Fragile Peace Agreement, S. 13; A. Weber, Die „Schlacht um Omdurman“ und ihre Folgen für den Frieden im Sudan, S. 2. 80 FAZ vom 10. Februar 2010. 81 Chiari, EU-Friedenstruppe für die Nachbarstaaten der Krisenregion Darfur, in: Chiari, S. 68. 82 Siehe dazu IGH, Case concerning the Territorial Dispute (Libyan Arab Jamahiriya v. Chad), Urteil vom 3. Februar 1994, ICJ Reports 1994, S. 3 ff. 83 Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 44). 84 Khalafalla, APuZ 04/2005, S. 40 (S. 44).
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Darfur-Konflikt spielt Libyen eine Vermittlerrolle. Auch auf libyschem Staatsgebiet fanden immer wieder Verhandlungen statt.85 c) Andere internationale Aspekte aa) Frankreich Die französischsprachige Region in Afrika wird traditionell als Einflusssphäre Frankreichs angesehen.86 So besteht seit den 1980er Jahren zwischen Frankreich und dem Tschad ein Militärabkommen. Französische Truppen sind im Tschad stationiert und unterstützen die einheimischen Streitkräfte. Im gegenwärtigen innertschadischen Konflikt sieht Frankreich Déby als einzigen verlässlichen Partner an. Er gilt in Paris mehr oder weniger als Garant für Stabilität, eine Alternative scheint nicht in Aussicht.87 Französische Truppen unterstützen ihn im Machtkampf mit logistischen Aufgaben und liefern ihm Geheimdienstinformationen.88 In der aktuellen Forschung wird davon ausgegangen, dass Déby ohne diese Unterstützung längst gestürzt worden wäre,89 womit wohl auch die Unterstützung der Darfur-Rebellen durch den Tschad weggefallen worden wäre. bb) China und die Vereinigten Staaten Bereits im Jahre 2004 verabschiedete der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika eine Resolution, in der die Vorgänge in Darfur als Völkermord klassifiziert wurden. Seitdem treiben die USA die internationale Reaktion auf den Konflikt voran. So sind sie neben dem Vereinigten Königreich die Hauptsponsoren der Sicherheitsratsresolution 1706, mit der das Mandat der UNMIS auf Darfur ausgedehnt wurde. Dieses Engagement wird von Kritikern mit den Interessen der USA am Öl Darfurs90 erklärt bzw. mit dem Interesse, China den Zugriff auf dieses Öl zu verweigern. Auf chinesischer Seite wird das Interesse am sudanesischen Öl der Grund dafür sein, dass China nur sehr zögerlich gegen den Sudan vorgehen will.91 China er85
Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 252. Mehler/Melber/Walraven/De Bruijn/Dijk, Africa Yearbook 2004, S. 204. 87 Mehler/Melber/Walraven/De Bruijn/Dijk, Africa Yearbook 2004, S. 201. 88 Mehler/Melber/Walraven/De Bruijn/Dijk, Africa Yearbook 2004, S. 204. 89 International Crisis Group, Darfur’s Fragile Peace Agreement, S. 13. 90 Vertreibungen in Darfur – des Erdöls wegen? In NZZ vom 16. Juni 2004. 91 The Financial Times London, 16. März 2005, S. 13; Grill, Die neuen Kolonialherren, in: Die Zeit Nr. 38/2006 vom 14. September 2006, S. 32; Taylor, International Affairs 82 (2006), S. 937 (S. 950). 86
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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hält ungefähr 50 Prozent des sudanesischen Öls,92 und dies seit Mitte der 1990er Jahre.93 Die chinesische Regierung hält sich bei der internationalen Zusammenarbeit zur Lösung des Darfur-Konflikts zurück. Vielmehr versucht sie bilateral auf die sudanesische Zentralregierung einzuwirken.94 Inhalt der Gespräche zwischen sudanesischer und chinesischer Staatsführung sollen dabei auch militärische Zwangsmaßnahmen gewesen sein.95 cc) Nachbarn des Sudan Weitere Nachbarn des Sudan wie vor allem Eritrea und die Zentralafrikanische Republik spielen ebenfalls eine Rolle. Während die ZAR vor allem im direkten Konflikt mit dem Tschad steht, wollte Eritrea in den 1980er Jahren von Darfur aus einen Zweifrontenkrieg gegen die sudanesische Zentralregierung führen. Für die vorliegende Untersuchung ist eine genaue Betrachtung der Beteiligung der Nachbarn Sudans zu vernachlässigen. Andere Aspekte wurden aufgezeigt, die die internationale Dimension des Konflikts begründen. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Eritrea voraussichtlich Partei des nächsten sudanesischen Konflikts sein wird. Im Osten des Sudan, also an der Grenze zu Eritrea, wird sich die süd- und westsudanesische Konstellation wahrscheinlich wiederholen.96 5. Die vierte Dimension: Auseinanderbrechen der Rebellen Wie sich allein an der Zahl der Rebellengruppen erkennen lässt, bildet diese Seite keinen geschlossenen Block. Es bestehen Unterschiede hinsichtlich der ideologischen und ethnischen Herkunft, der Programmatik, der Zielsetzung und der dazu eingesetzten Mittel (Schwerpunkt auf militärischer oder politischer Aktion). Diese Unterschiede sind hier jedoch zu vernachlässigen.97 Während zu Beginn des Konflikts die Rebellen mehr oder weniger geschlossen gegen die Janjaweed und die Zentralregierung kämpften, änderte 92 Grill, Die neuen Kolonialherren, in: Die Zeit Nr. 38/2006 vom 14. September 2006, S. 32; Taylor, International Affairs 82 (2006), S. 937 (S. 937 ff.). 93 International Crisis Group, China’s Thirst for Oil, S. 23. 94 International Crisis Group, China’s Thirst for Oil, S. 25 ff. 95 International Crisis Group, China’s Thirst for Oil, S. 25 ff. 96 So auch O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 34). 97 Für eine Darstellung der Unterschiede O’Fahey, The Fletcher Forum of World Affairs 30:1, S. 27 (S. 34, 36).
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
sich die Situation bald. Innerhalb der SLM/A begann ein Machtkampf, in dem sich drei verschiedene Fraktionen gegenüberstanden. Intensiviert wurden diese Auseinandersetzungen durch die Friedensverhandlungen von Abuja, Nigeria, die im Mai 2006 mit dem Darfur Peace Agreement (DPA) endeten. Neben der JEM waren die Fraktionen unter Abdel Wahid98 und unter Minni Arkou Minawi99 eingeladen. Das DPA wurde nur von der SLM/A MM unterzeichnet. Minni Minnawi dürfte als Chef des militärischen Flügels auf der Ermittlungsliste des OTP stehen. Mit seiner Unterschrift unter das DPA soll er sich Straffreiheit erkauft haben. Einzelheiten sind nicht bekannt, sodass eine Analyse der Rechtswirkungen dieser Vereinbarung nicht geleistet werden kann. Ob eine solche Amnestie beim OTP etwas zugunsten Minnawis bewirken kann, ist jedoch mehr als fraglich. Die anderen beiden Gruppierungen konnten im Abkommen keine ausreichende Grundlage für friedliche Beziehungen finden. Die Themen Macht- und Reichtumsverteilung wurden ihrer Meinung nach zu sehr zugunsten der Zentralregierung entschieden. Größtes Manko des DPA ist allerdings, dass es keine Regelungen zur Rückkehr der Flüchtlinge sowie zur Entwaffnung der Janjaweed vorsieht. Seitdem wurden immer wieder Verhandlungen durchgeführt und kleine Abkommen geschlossen. Keines davon war dafür geeignet, den Konflikt zu beenden.100 Für den weiteren Verlauf des Konflikts ist entscheidend, dass inzwischen die Rebellenfraktionen untereinander kämpfen. Die Situation wird somit immer unübersichtlicher.101 Effektive Friedensverhandlungen werden fast unmöglich. 6. Maßnahmen der Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen reagierten erst spät auf den Konflikt. Zwar warnte der United Nations Emergency Relief Coordinator, Jan Egeland, bereits im Jahre 2003 davor, dass die Situation in Darfur die schlimmste humanitäre Katastrophe weltweit werden würde.102 Der Sicherheitsrat aller98
SLM/A AW, der ursprüngliche Flügel. SLM/A MM, dem der größte Teil des militärischen Flügels der SLM/A zuzurechnen ist. 100 Vgl. zuletzt die Meldung von CNN, Sudan, rebels sign prisoner release deal, vom 17. Februar 2009 zu einem Abkommen zwischen der Zentralregierung und der JEM. 101 A. Weber, Die „Schlacht um Omdurman“ und ihre Folgen für den Frieden im Sudan, S. 1. 102 Humanitarian and security situations in western Sudan reach new lows, UN agency says, . besucht am 30.12.2009. 99
10. Kap.: Der Konflikt in Darfur
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dings reagierte in Person seines Präsidenten erst zu den Gedenkveranstaltungen zum zehnten Jahrestag des Völkermordes in Ruanda am 7. April 2004, indem er daran erinnerte, den Opfern eines andauernden Völkermordes zur Hilfe verpflichtet zu sein.103 Die entscheidenden Maßnahmen für den Konflikt in Darfur sind die Resolutionen 1556, 1593, 1706 und 1769. Erwähnt werden hier nur die Maßnahmen der VN, die Darfur direkt betreffen. a) Resolutionen 1547, 1556, 1564 und der Bericht der Untersuchungskommission Ein Jahr nach Beginn des bewaffneten Kampfes verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1547. Diese Resolution hatte die Situation im Süden des Sudan zum Thema, die Situation in Darfur wurde nur am Rande erwähnt. Der Sicherheitsrat rief die Parteien des Konflikts auf, die Kämpfe in Darfur zu beenden.104 Mit Resolution 1556 stellte der Sicherheitsrat zum ersten Mal fest, dass der Konflikt im Sudan eine „Bedrohung für internationalen Frieden und Sicherheit und Stabilität in der Region“ darstellt. Die Hauptverantwortung sah der Rat bei der Zentralregierung. Diese wurde aufgefordert, die Milizen zu entwaffnen und Gespräche mit allen Konfliktparteien aufzunehmen. Weiterhin sollten die Janjaweed und ihre Verbündeten zur Rechenschaft gezogen werden. Ob damit eine Handlungspflicht oder eine Pflicht zum Erreichen des Ziels geschaffen wurde, ist nicht ganz klar, für den weiteren Verlauf aber unerheblich. Alle Parteien wurden aufgefordert, die Kämpfe einzustellen. Der Generalsekretär wurde aufgefordert, monatliche Berichte über die Situation in Darfur vorzulegen. Das Androhen von Sanktionen fand im Sicherheitsrat keine Mehrheit.105 Resolution 1556 wurde ohne Gegenstimme, allerdings mit zwei Enthaltungen angenommen.106 Der Sudan akzeptierte die Verpflichtungen aus dieser Resolution.107 In Resolution 1564 stellte der Sicherheitsrat fest, dass der Sudan seinen Verpflichtungen aus Resolution 1556 nicht nachgekommen war. Diesmal war die Androhung von Sanktionen im Text enthalten. Der Sicherheitsrat wies den Generalsekretär an, eine Untersuchungskommission zu bil103 Du Plessis/Gevers, African Security Review 14 (2) 2005, S. 23 (S. 27); Abass, NILR 49 (2007), S. 415 (S. 427). 104 SC Res. 1547 (2004), Absatz 6. 105 Nabati, Response. 106 Enthalten haben sich China und Pakistan, vgl. S/PV.5015, S. 3. 107 Frame/Ofcansky, Africa South of the Sahara 2006, S. 1134.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
den.108 Diese International Commission of Inquiry on Darfur (ICID) unter Vorsitz von Antonio Cassese sollte die Situation in tatsächlicher Hinsicht untersuchen und Vorschläge unterbreiten, wie die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden könnten.109 Resolution 1556 begrenzte dabei den Kreis nicht auf die Janjaweed, sondern auf die Personen, die Verantwortung für und in dem Konflikt trugen. In ihrem Bericht vom 25. Januar 2005110 kam die Kommission zu dem Schluss, dass in Darfur schwere Menschenrechtsverletzungen und schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen worden waren und zum damaligen Zeitpunkt (wie heute) auch noch andauerten. Die Begehung und Verfolgung von Völkermord hingegen schloss der Bericht zwar nicht aus, verwies aber auf die schwierige Beweislage.111 Verantwortlich seien Rebellengruppen, Milizen und Zentralregierung. Die Kommission hielt es für bewiesen, dass die Zivilbevölkerung Opfer von Luftangriffen, Tötungen, Zwangsumsiedlungen, sexuellen Übergriffen und Übergriffen auf ihre Dörfer sowie auf VN-Flüchtlingslager geworden ist. Weiterhin hätte die Zentralregierung internationale Hilfsorganisationen daran gehindert, nach Darfur zu gelangen oder in Darfur zu arbeiten. Die große Mehrheit der Opfer wären dabei Angehörige von afrikanischen Stämmen. Neben anderen Maßnahmen kam die Kommission zu der Empfehlung, die Situation gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen. Das sudanesische Justizsystem wurde als unfähig und unwillig bewertet, den Konflikt juristisch nachzubearbeiten.112 Daran konnte al-Bashir auch mit seinem Versprechen gegenüber Kofi Annan, dem damaligen VNGeneralsekretär, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen und die Einsetzung einer Untersuchungskommission zu veranlassen, nichts ändern.113
108 SC Res. 1564 (2004). Diese Kommission war vonseiten der EU schon am 26. Juli 2004 gefordert worden, vgl. German and Spanish Ambassadors to the UN, S/PV.5015, S. 7 f. 109 Report of the International Commission of Inquiny on Darfur to the United Nations Secretary-General vom 25. Januar 2005, im Folgenden ICID-Report; ICIDReport, S. 2; Alston, JICJ 3 (2005), S. 600 (S. 601). 110 So auch Human Rights Watch, Entrenching Impunity – Government Responsibility for International Crimes in Darfur, S. 7 m. w. N., S. 8 ff.; Auswärtiges Amt, Darfur-Konflikt; Ibrahim, Hintergründe. 111 ICID-Report Rn. 518 ff. Kritisch Kreß, JICJ 3 (2005), S. 562 ff.; Haren, NILR LIII (2006), S. 205. 112 ICID-Report, S. 5. 113 Joint Communiqué der sudanesischen Regierung und dem Generalsekretär der VN vom 3. Juli 2004.
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b) Resolutionen 1590, 1591, 1627: Die UNMIS In Resolution 1590 wurden die Parteien erneut aufgefordert, die Kämpfe einzustellen. Der Sicherheitsrat installierte die UNMIS, die United Nations Mission in Sudan, die zum einen die AMIS unterstützen sollte und zum anderen die UNAMIS, die United Nations Advance Mission in Sudan, im Südsudan ablösen sollte. Resolution 1591 richtete ein Komitee von Experten ein, das die Implementation der Resolution 1590 überwachen sollte.114 Am 23. September 2005 verlängerte der Sicherheitsrat das Mandat der UNMIS bis zum 24. März 2006. c) Resolution 1672 und Maßnahmen gegen Individuen Am 25. April 2006 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1672 nach Kapitel VII, mit der er die VN-Mitgliedstaaten verpflichtete, die bereits in Resolution 1591 Absatz 3 benannten Maßnahmen gegen vier Männer durchzusetzen. Darunter waren sowohl Mitglieder der Zentralregierung als auch der Rebellen. Die Mitgliedstaaten wurden verpflichtet, den Genannten die Ein- oder Durchreise zu verwehren sowie alle Finanzmittel einzufrieren, die direkt oder indirekt durch einen der vier kontrolliert werden. d) Resolution 1706 Ende August 2006 wurde eine weitere Stufe in der Reaktion der Staatengemeinschaft erreicht, indem der Sicherheitsrat Resolution 1706 beschloss. Darin waren militärische Maßnahmen vorgesehen. In Absatz 1 wurde die sudanesische Regierung „eingeladen“, ihre Zustimmung zu den beschlossenen Maßnahmen zu geben. Diese Formulierung findet sich in keiner anderen Resolution des Sicherheitsrates. Während in den meisten Berichten zur Resolution davon ausgegangen wird, dass trotz dieses Wortlauts die Zustimmung des Sudan erforderlich war,115 war John Bolton, der damalige USamerikanische Botschafter bei den VN, der Meinung, eine solche Zustimmung sei nicht erforderlich.116 Sudans Regierung hat umgehend nach dem Beschluss erklärt, keine internationalen Truppen zu akzeptieren. Eine Zustimmung zur Resolution 1706 sollte es nicht geben.117 Fraglich war, ob die UNMIS auch uneingeladen nach Darfur kommen durfte. 114 Breitwieser, (S. 90 f.). 115 FAZ vom 1. 116 FAZ vom 1. 117 FAZ vom 1.
Die Rolle der Vereinten Nationen im Sudan, in: Chiari, S. 87 September 2006, S. 12. September 2006, S. 12. September 2006, S. 12.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
aa) Einordnung der Truppe als peace-keeping oder peace-enforcement Abhängig ist dies vor allem von der völkerrechtlichen Einordnung der Mission. Die UNMIS kann entweder Aufgaben der Friedenssicherung oder der Friedensschaffung übernehmen. Unterschieden werden diese beiden Aufgaben anhand ihrer Rechtsgrundlage sowie ihres Mandats. Friedensschaffende Maßnahmen erfolgen auf der Grundlage von Kapitel VII VNCh. Damit verbunden ist die Berechtigung zu militärischen Zwangsmaßnahmen. Einer Zustimmung der Konfliktparteien bedarf es nicht. Im Gegensatz dazu ist die Rechtsgrundlage bei friedenswahrenden Missionen unklar. Bei allen Feinheiten besteht der entscheidende Unterschied zu friedensschaffenden Maßnahmen jedoch darin, dass die Rechtsgrundlage nicht allein in Kapitel VII zu finden ist. Sie werden auch auf Kapitel VI gestützt, das friedliche Streitbeilegung zum Gegenstand hat. Gegen den Willen des betroffenen Staates kann eine solche Mission nicht eingesetzt werden. Militärische Zwangsmaßnahmen sind nur zur Selbstverteidigung der Soldaten sowie in begrenztem Umfang zur „Verteidigung“ der Aufgabe zulässig. Somit stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur der durch Resolution 1706 geschaffenen Truppe. Der klare Wortlaut118 – in dem übrigens in der Übersetzung durch den Deutschen Übersetzungsdienst bei den VN „Einladung“ zur „Aufforderung“ wird – spricht gegen eine rechtliche Relevanz der Zustimmung. Aufgrund der Zweideutigkeit des Wortlauts sind andere Faktoren, insb. die Aufgaben zur Auslegung des Abs. 1 der Resolution und damit zur Einordnung des Mandats heranzuziehen. Sieht man sich die Tatsachen in Darfur an, so scheint es absurd, von friedenserhaltenden Maßnahmen zu sprechen. Die Massaker gehen weiter. An dieser Stelle kommt das Abkommen vom Mai 2006 ins Spiel. Danach besteht „Frieden“ zwischen der Regierung und der SLM/A MM, und gerade zur Aufrechterhaltung dieses Status wird die UNMIS in Darfur eingesetzt.119 Gegen eine Einordnung als friedensschaffende Mission spricht, dass die Regelungen, die unter Kapitel VII getroffen wurden,120 sich nur auf die Verteidigung der Aufgabe der Soldaten und ihrer selbst beziehen. Die Ausweitung des Mandats der UNMIS basierte eben nicht auf Kapitel VII der Charta. Gerade diese Beschränkung der Zwangsmaßnahmen entspricht dem neueren Modell des peace-keeping. 118
Abs. 1 Res. 1706: Der Sicherheitsrat (. . .) „invites the consent of the Government of National Unity for this deployment“. 119 Vor allem Abs. 1 und 8 der Resolution. 120 Abs. 12 der Resolution.
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bb) Der Friedensvertrag vom 5. Mai 2006 als Problem In Abuja, Nigeria, endeten lange Friedensverhandlungen mit dem umfangreichen Darfur Peace Agreement. Von den drei beteiligten Rebellenfraktionen unterzeichnete nur die SLM/A MM den Vertrag. Den anderen beiden Fraktionen – der Fraktion der SLM/A unter Abdel Wahid Mohamed Nur und der JEM – ging das Abkommen nicht weit genug.121 Eine ausreichende Beteiligung der Opposition auf nationaler Ebene wurde nicht erreicht, sodass keine Absicherung gegen eine weitere Vernachlässigung Darfurs getroffen wurde.122 Der größte Fehler des DPA dürfte darin liegen, dass es keine Reglungen zur Entwaffnung der Janjaweed und zur Rückkehr der Flüchtlinge gibt. Auf eine UNO-Truppe wird nicht Bezug genommen, auf die AMIS dagegen schon. Es ist fraglich, ob das Abkommen nach der Umwandlung der AMIS in die UNMIS geändert werden muss, oder ob eine andere Auslegung möglich ist. Gegen beides wird sich der Sudan wehren. Die schlimmste Konsequenz hat das Abkommen aufseiten der Rebellen. Es scheint, als wäre es Khartum gelungen, die verschiedenen Fraktionen gegeneinander auszuspielen. Minni Minawi soll sich mit seiner Unterschrift Straffreiheit vor dem Internationalen Strafgerichtshof erkauft haben. Ganz davon abgesehen, ob eine solche Vereinbarung irgendeine Auswirkung hat, zeigen die Umstände deutlich, dass in Darfur eine neue Front entsteht. Schon wird von Kämpfen zwischen Rebellen berichtet. Für die Resolution 1706 stellt das DPA jedoch einen Kern dar. Eine Mission, die auf einer so umstrittenen Grundlage agiert, kann aber kaum erfolgreich sein. Nur weil der Sicherheitsrat zur Unterzeichnung aufruft, wird wohl kaum einer der Kritiker seine Meinung ändern. Es ist vielmehr zu erwarten, dass die SLM/A endgültig auseinanderbrechen wird. Die verschiedenen Rebellenfraktionen werden kaum noch zu unterscheiden sein. Effektive Friedensverhandlungen werden so fast unmöglich. Neben den rund 10.000 Soldaten, die bereits im Südsudan stationiert sind, kommen nach Resolution 1706 bis zu 17.300 weitere hinzu. Damit wird die UNMIS die mit Abstand größte peace-keeping-Operation werden. Wird diese zu einem großen Teil von afrikanischen Staaten gestellt, so wird es für den Sudan noch schwieriger, sich dem internationalen Druck zu widersetzen. 121
International Crisis Group, Darfur: Revitalising the Peace Process, S. 6 ff. Im Februar 2010 haben nunmehr auch die Verhandlungen zwischen der JEM und der Zentralregierung zu einem Abkommen geführt, in das auch die VN große Hoffnungen setzen (Spiegel Online, Widersacher vereinbaren Waffenruhe für Darfur, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-679918,00.html, besucht am 24. Februar 2010; FAZ vom 25. Februar 2010, S. 6). 122
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e) Resolution 1769 und die hybride Truppe Nachdem die Resolution 1706 vom 31. Juli 2007 keine Wirkung gezeigt hatte, entschloss sich der Sicherheitsrat zur Aufstellung der ersten hybriden Friedenssicherungstruppe, der African Union – United Nations Hybrid Operation in Darfur (UNAMID). Neben den regulären Truppen der Mitgliedstaaten werden Verbände der Afrikanischen Union in die Kommandostrukturen integriert. Dies hat den Vorteil, dass afrikanische Truppen eingesetzt werden können, die durch bessere Ausrüstung aus Industrieländern unterstützt werden.123 Inzwischen ist die Mission in Darfur tätig, allerdings weder in der vorgesehenen Truppenstärke noch mit spürbarem Erfolg.124 11. Kapitel
Resolution 1593 (2005) I. Hintergründe der Resolution Die Regierung der Vereinigten Staaten war die erste, die die Weltöffentlichkeit auf die Situation in Darfur aufmerksam gemacht hat. Innerhalb der Regierung war das Vorgehen gegenüber dem Sudan umstritten.125 Dennoch verurteilte der damalige Außenminister Colin Powell die Situation und das Verhalten des Sudan mit deutlichen Worten. In seiner Stellungnahme vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats am 9. September 2004 bezeichnete er die Verbrechen als „Völkermord“.126 Die inneramerikanischen Hintergründe für dieses Vorgehen sind unklar. Als gesichert kann aber gelten, dass verschiedene Lobbygruppen um Einfluss rangen. Auf der einen Seite standen die Unterstützer des damaligen Rebellenführers John Garang. Auf der anderen Seite standen die Realpolitiker, die nicht auf die Unterstützung Khartums im Kampf gegen den Terrorismus verzichten 123
J. Walker, ILM 46, 899 (2007). Kritisch Breitwieser, Die Rolle der Vereinten Nationen im Sudan, in: Chiari, S. 87 (S. 100 ff.). 125 Dazu Prunier, S. 180 ff. 126 Secretary Colin L. Powell, Testimony Before the Senate Foreign Relations Committee, Washington D.C., 9. September 2004: „When we reviewed the evidence compiled by our team, and then put it beside other information available to the State Department and widely known throughout the international community, widely reported upon by the media and by others, we concluded, I concluded, that genocide has been committed in Darfur and that the Government of Sudan and the Jingaweit bear responsibility – and that genocide may still be occurring.“, http://www.state.gov/secretary/former/powell/remarks/36042.htm, besucht am 3. Februar 2008. 124
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wollten. Dies alles wurde durch den Wahlkampf in den USA verstärkt.127 Die engen Handelsbeziehungen zwischen China und Sudan, insb. mit Hinblick auf das Öl, dürften die Besorgnis der Regierung weiter vertieft haben. Mit dieser Einstellung verstärkte die Regierung den internationalen Handlungsdruck.128 In der Folge setzte der Sicherheitsrat die Expertenkommission ein, die in ihrem Abschlussbericht eine Überweisung an den Sicherheitsrat vorschlug – unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des ICTY Antonio Cassese war dies wohl zu erwarten. Der Sicherheitsrat stand politisch unter Druck, denn er musste entscheiden. Den Konflikt unbeachtet zu lassen, konnte er sich nicht leisten. Insbesondere konnten die USA sich nicht auf ihrem Vorwurf ausruhen, sondern mussten handeln. Als Alternative zur Überweisung an den IStGH wäre wohl nur ein Militäreinsatz in Darfur denkbar gewesen.129 Frankreich übernahm die Federführung und konnte alle Mitglieder des Sicherheitsrates, die auch Vertragsparteien des Statuts waren, für eine Überweisung an den IStGH gewinnen.130 Der französische Entwurf sah dabei in zwei entscheidenden Punkten weitergehende Regelungen vor als die verabschiedete Fassung. Zum einen sollte sich die Kooperationspflicht auch auf andere Staaten erstrecken131, 127 Zu den Hintergründen Prunier, S. 180 ff.; Straus, Foreign Affairs 84 (2005), S. 123 (S. 128 ff.). Maßgeblich für das Erreichen der amerikanischen Öffentlichkeit waren die Kommentare von Nicholas Kristof in der New York Times, der damit Druck auf die Regierung ausübte. 2005 erhielt Kristof dafür den Pulitzerpreis, vgl. ders., The Secret Genocide Archive, in: New York Times, 23. Februar 2005; ders., Day 141 of Bush’s Silence, in: New York Times, 31. Mai 2005; ders., A Policy of Rape, in: New York Times, 5. Juni 2005; ders., Never Again, Again?, in: New York Times, 20. November 2005; ders., What’s to be done about Darfur? Plenty, in: New York Times, 29. November 2005. Zur Kritik am Vorgehen der Regierung Prendergast/Thomas-Jensen, Foreign Affairs 86 (2007), S. 59 ff. 128 Kreß, Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: FS Richter II, S. 319 (S. 325). 129 Kaufman, CLF 16 (2005), S. 343 (S. 348). Zu dieser Debatte vgl. die Stellungnahmen von Romeo Dallaire, dem Befehlshaber der UNO-Truppen in Ruanda 1994, Looking at Darfur, Seeing Rwanda, New York Times, 4. Oktober 2004; Piiparinen, Global Governance 13 (2007), S. 365 ff.; Abass, NILR 49 (2007), S. 415 (S. 423 ff.); Udombana, HRQ 27 (2005), S. 1149 ff. 130 Resolutionsentwurf Frankreichs vom 23. März 2005 unter http://www.vigilsd. org/resolut/N-U/consecu05a.htm#France:%20draft%20resolution, besucht am 8. Februar 2009. 131 Dabei ist der Entwurf nicht eindeutig. Er lässt sich dahingehend auslegen, dass entweder nur die Mitgliedstaaten und/oder Nichtmitgliedstaaten des IStGH-Statuts dieser Pflicht unterliegen sollten. Denkbar ist auch eine Auslegung als rein deklaratorische Erinnerung an die Verpflichtung. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben.
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zum anderen war die Regelung zur Gerichtsbarkeit ratione personae etwas eindeutiger und enger.132 Von den Mitgliedern, die nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts waren, vertrat kein Staat eine solch ablehnende Haltung gegenüber dem neuen Völkerrechtssubjekt wie die USA. Ihr Vorschlag, ein hybrides Tribunal zu errichten133 oder den ICTR zu ergänzen, fand keine Unterstützung.134 Somit stand die amerikanische Regierung vor der Wahl, die Überweisung zu blockieren und damit sichtbar für die fehlende Strafverfolgung verantwortlich gemacht werden zu können oder die Resolution um den Preis der massiven Aufwertung des Gerichtshofs passieren zu lassen.135 Die Befürworter der Resolution konnten sich durchsetzen, doch wurde nicht jeder Widerstand gebrochen. Infolgedessen musste man sich auf einen Kompromiss einigen.136 So wurde vor allem die weitreichende Mitwirkungspflicht aus dem französischen Vorschlag abgemildert und die Gerichtsbarkeit ratione personae weiter eingeschränkt. Mit elf Ja-Stimmen,137 keiner Gegenstimme und vier Enthaltungen138 wurde die Resolution am 31. März 2005 angenommen.
132 Der Entwurf sah eine Ausnahme eindeutig nur für solche Drittstaatsangehörigen vor, die vom Sicherheitsrat mandatierte Aufgaben im Sudan wahrnehmen. Der jeweilige Staat musste gegenüber dem Generalsekretär der VN innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach dem Beschluss über die Resolution erklären, dass diese Ausnahme für seine Staatsangehörigen gelten sollte. Eine Regelung, ähnlich dem Art. 124 IStGH-Statut. 133 So noch die amerikanische Vertreterin Anne Patterson im Sicherheitsrat bei der Beschlussfassung über Res. 1593, UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 3 ff. 134 Kirgis, UN Commission’s Report on Violations of International Humanitarian Law in Darfur, ASIL Insight Februar/April 2005; Kreß, Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: FS Richter II, S. 319 (S. 326); Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 689 f.). Kritisch zu den Vorschlägen schon ICID-Report, Rn. 573 ff. 135 Kreß, Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: FS Richter II, S. 319 (S. 326). 136 Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 682); Kaufman, CLF 16 (2005), S. 343 (S. 345). 137 UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 2. Vertragsparteien: Argentinien, Benin, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Philippinen, Rumänien, Tansania und Vereinigtes Königreich; unterschrieben, aber damals noch nicht ratifiziert hatte Japan; unterschrieben, aber bis heute nicht ratifiziert hat Russland. 138 Algerien (unterschrieben), Brasilien (Vertragspartei), China und die Vereinigten Staaten.
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II. Rechtmäßigkeit des Inhalts der Resolution 1. Grundgedanke und dessen Rechtsfolge Der Strafgerichtshof konnte nicht von sich aus tätig werden, da der Sudan das Statut am 8. September 2000 zwar unterzeichnet, es aber bis heute nicht ratifiziert hat. Nach dem pacta-tertiis-Grundsatz konnte der IStGH seine Gerichtsbarkeit nicht ausüben. Durch die Inanspruchnahme des Sicherheitsrates und dessen Kompetenzen aus Kapitel VII VNCh sollte dieses Problem umgangen werden. Wie oben gezeigt, ist Rechtsfolge einer solchen Resolution ja gerade die Umgehung der Konsenserfordernisse aus Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut.139 Rechtsfolge der Resolution 1593 (2005) ist somit, dass der IStGH seine Gerichtsbarkeit über Nichtvertragsparteien ausüben kann. Die Resolution ist jedoch nicht unproblematisch, eine völkerrechtliche Prüfung ist erforderlich. 2. Rechtmäßigkeit nach Kapitel VII VNCh An der Einhaltung der formellen Vorschriften besteht kein Zweifel. Sowohl das Quorum nach Art. 27 Abs. 3 VNCh als auch das Handeln unter Kapitel VII wurden eingehalten. Die materiellen Voraussetzungen sind zwar nicht vom IStGH zu prüfen, in der vorliegenden Untersuchung kann diese Prüfung jedoch erfolgen. Es stellt sich die Frage, ob der Konflikt im Sudan eine Gefährdung des Weltfriedens darstellt. Der Sicherheitsrat ordnet den Konflikt als Gefahr für internationalen Frieden und Sicherheit ein. Eine klare Definition der Tatbestandsmerkmale fehlt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es umstritten ist, ob rein innerstaatliche Sachverhalte den Handlungsbereich von Kapitel VII eröffnen. Unproblematisch ist dies, wenn der Konflikt grenzüberschreitende Auswirkungen hat.140 Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung. Im Frühjahr 2005 waren bereits Hunderttausende Sudanesen aus ihren Städten und Dörfern vertrieben worden. Sie fanden nicht nur im Sudan als internally displaced persons, sondern vor allem im Tschad Zuflucht. Das klassische Beispiel für grenzüberschreitende Auswirkungen eines innerstaatlichen Konflikts ist somit erfüllt. Nach der Rechtsprechung des ICTY kommt als grenzüberschreitendes Element auch in Betracht, dass sich eine ethnische Gruppe über Staatsgren139 140
1. Kapitel V.; 3. Kapitel II. 4. Kapitel III.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
zen hinweg angesiedelt hat und daher der Konflikt von einem Staat in den anderen überspringen kann.141 Wie oben gezeigt, bestehen vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen im weitesten Sinne zwischen den Beteiligten. Seine ethnische Zugehörigkeit hat den Präsidenten des Tschad zur Unterstützung der Rebellen in Darfur verleitet. Diese Unterstützung heizt nicht nur den innersudanesischen Konflikt weiter an, sondern auch die Spannungen zwischen dem Tschad und dem Sudan. Der Konflikt stellt somit ohne Zweifel eine Gefahr für den Weltfrieden dar. Das Handlungsinstrumentarium des Kapitels VII ist eröffnet. 3. Problembeladenheit der Resolution Die Resolution ist, wie bereits angedeutet, rechtlich fragwürdig. In der Diskussion über die Resolution 1593 kamen die Nachteile jedoch kaum zur Sprache. Einzig der brasilianische Vertreter, der zur Zeit der Abstimmung die Präsidentschaft innehatte, hatte die Nachteile so deutlich vor Augen, dass er dem Entwurf nicht zustimmen konnte.142 William Schabas findet für die Resolution fast pathetisch klingende Worte: There is a strong tendency to overlook the inconvenient flaws in the referral. (. . .) Thrilled at having humbled the Americans, who in effect acquiesced at the referral, the Court has welcomed the Security Council resolution like the Trojans with the Greeks bearing gifts.143
Die Nachteile, auf die Schabas anspielt, ergeben sich hinsichtlich der Vereinbarkeit der Resolution mit dem Statut. Darunter fallen die Probleme der unklaren Rechtsgrundlage, der Gerichtsbarkeit ratione personae, der Kooperationspflichten, der Abkommen nach Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut und der Kostentragung. 4. Rechtsgrundlage im Statut Erstaunlicherweise nahm weder die Beratung im Sicherheitsrat noch nimmt die Resolution den Wortlaut des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut als Ausgangspunkt. Im Überweisungsbeschluss wird die Rechtsgrundlage nicht einmal erwähnt. Den Bezug zu Art. 13 lit. b) IStGH-Statut stellte einzig der 141
s. oben 10. Kapitel III. 4. Gleichzeitig kritisierte er die Blauäugigkeit der Zustimmenden, UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 11. Enttäuscht auch Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 226); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 195); Kreß, Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: FS Richter II, S. 319 (S. 326 f.); Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 599). 143 Schabas, Introduction to the ICC, S. 51. 142
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
327
argentinische Vertreter her, der darauf verwies, dass der Rat diese Möglichkeit nutze.144 Im Gegensatz dazu wird in den Resolutionen 1422 (2002) und 1487 (2003) der Art. 16 IStGH-Statut ausdrücklich als Rechtsgrundlage erwähnt. Selbst in Erwägungsgrund 2 der Resolution 1593 (2005) wird dieser Artikel zitiert und in Erinnerung gerufen. Es erscheint somit bedenklich, dass der Rat die Grundlage der Überweisungsresolution aus dem Statut nicht nennt.145 Denn es erscheint denkbar, dass der Sicherheitsrat den Art. 13 lit. b) IStGH-Statut gar nicht nutzen wollte. Vielleicht wollte er vielmehr eine Resolution erlassen, die nach dem siebten Kapitel verbindlich ist, ohne sich auf das gesamte Statut zu beziehen, also eine Überweisung, die den Regelungen des Statuts nicht unterworfen ist. Dies stellte dann eine Umgehung der strengen (Verfahrens-)Vorschriften des IStGH dar. Dagegen spricht jedoch, dass der Rat nur mittels Art. 13 lit. b) IStGHStatut ein Verfahren einleiten kann. Andere Möglichkeiten stehen ihm nicht offen. Neben den vom Statut vorgesehenen Möglichkeiten kann es auf Grund des pacta-tertiis-Grundsatzes keine Eröffnungsmöglichkeit geben, die rechtsverbindlich für den Gerichtshof wäre.146 Parallel zur Resolution 1593 nennt der Sicherheitsrat auch bei der Auswahl seiner Maßnahmen nach Kapitel VII VNCh nicht den konkreten Artikel, auf dem seine Handlung beruht. Die Resolution ist somit nach dem effet-utile-Prinzip dahingehend auszulegen, dass der Rat das Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGHStatut beginnen wollte. Der fehlende Bezug auf Art. 13 lit. b) rechtspolitischen Standpunkt aus gesehen, klassischen Auslegungskanons ergibt sich grundlage für die Wirkung der Resolution Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.
IStGH-Statut mag, von einem bedenklich sein. Mithilfe des jedoch kein Problem. Rechts1593 (2005) im Statut ist der
5. Einschränkung ratione personae, Resolution 1593 Abs. 6 a) Das Problem In Abs. 6 nimmt der Sicherheitsrat eine genau bestimmte Gruppe von Personen von der Gerichtsbarkeit aus. Es sind „Staatsangehörige, derzeitige oder ehemalige Amtsträger sowie derzeitiges oder ehemaliges Personal 144
UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 7. So auch Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 592); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 208). 146 1. Kapitel IV. 145
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
eines beitragenden Staates außerhalb Sudans, der nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist“. Die Ausnahme gilt „in Bezug auf alle behaupteten Handlungen oder Unterlassungen auf Grund von oder im Zusammenhang mit Einsätzen in Sudan, die vom Sicherheitsrat oder von der Afrikanischen Union eingerichtet oder genehmigt wurden“. Folge der Ausnahme soll sein, dass diese Personen der „ausschließlichen Gerichtsbarkeit dieses beitragenden Staates unterliegen, es sei denn, dass dieser Staat auf die ausschließliche Gerichtsbarkeit ausdrücklich verzichtet“ hat. Nachempfunden ist diese Regelung dem Abs. 7 der Resolution 1497. Dieser Absatz ist Mittelpunkt aller Kritik an dem Beschluss. Sie wird in der Stellungnahme des philippinischen Vertreters im Sicherheitsrat am deutlichsten:147 We also believe that the International Criminal Court (ICC) may be a casualty of resolution 1593 (2005). Operative paragraph 6 of the resolution is killing its credibility – softly, perhaps, but killing it nevertheless. We may ask whether the Security Council has the prerogative to mandate the limitation of the jurisdiction of the ICC under the Rome Statute once the exercise of its jurisdiction has advanced. Operative paragraph 6 subtly subsumed the independence of the ICC into the political and diplomatic vagaries of the Security Council.
Allerdings fährt er fort: Nevertheless, that eventuality may well be worth the sacrifice if impunity is, indeed, ended in Darfur; if human rights are, indeed, finally protected and promoted; and if, indeed, the rule of law there is upheld. Thus, we voted in favour of resolution 1593 (2005).
Auch der sudanesische Vertreter bei den VN, der in der Sitzung des Sicherheitsrates als Gast zugegen war, kritisierte die Ausnahme. Seiner Meinung nach werde der Gerichtshof als kulturimperialistisches Mittel benutzt. Stärkere Staaten, die für sich das Tugendmonopol der Welt in Anspruch nähmen, richteten über schwächere. Noch dazu nähmen sie sich selbst von der Gerichtsbarkeit aus. Gerechtigkeitsinteressen würden zu Verhandlungsmasse gemacht. Die Resolution zeuge von nichts anderem als von Doppelmoral.148 Eingefügt wurde der sechste Absatz auf Druck der Vereinigten Staaten.149 Deren Vertreterin war besonders wichtig, dass der IStGH keine Gerichtsbarkeit über Angehörige von Nichtvertragsparteien ausüben könne.150 147
UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 6. UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 12 f. 149 Kirgis, UN Commission’s Report on Violations of International Humanitarian Law in Darfur, ASIL Insight Februar/April 2005; Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 205); Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 594). 150 UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 2 ff. 148
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
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Insbesondere im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz könnten sich bei der Resolution 1593 Probleme ergeben. So könnte die Strafverfolgung mit dem Manko des Abs. 6 ein Beispiel selektiver Justiz werden. Das Völkerstrafrecht soll in allen Fällen gleich angewandt werden. Ausnahmen nur aufgrund der Staatsangehörigkeit sollen mit dem Gleichheitssatz somit unvereinbar sein.151 Bevor die Rechtmäßigkeit überprüft wird, ist der genaue Gehalt der Ausnahme in Abs. 6 der Resolution zu ermitteln. Robert Cryer weist zu Recht darauf hin, dass der Absatz 6 auf drei Arten ausgelegt werden kann. So kann dieser eine implizite Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut oder ein Abkommen nach Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut darstellen, oder die Resolution ist eine reine Art. 13 lit. b) IStGH-Statut-Resolution. Der Sicherheitsrat kann jedoch keine Abkommen nach Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut schließen oder fingieren. Das Statut spricht insofern von Staaten. Diese Möglichkeit kommt somit nicht in Betracht.152 b) Verwandtschaft zu Art. 16 IStGH-Statut Für eine Auslegung als Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut sprechen einige Gründe. So verweist der Rat in Erwägungsgrund 2 der Präambel auf den Art. 16 IStGH-Statut. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Abs. 6 dem Art. 16 IStGH-Statut nachempfunden ist.153 Dies bedeutet noch nicht, dass eine solche Resolution vorliegt. Denn es gibt einen gewichtigen Unterschied. Während Art. 16 IStGHStatut und die darauf aufbauenden Resolutionen 1422 (2002) und 1487 (2003) den Begriff „request“ enthalten, ist die Formulierung in Resolution 1593 (2005) stärker. Hier entschied („decides“) der Sicherheitsrat, dass die personelle Gerichtsbarkeit begrenzt ist. Die Formulierung in den Resolutionen 1422 und 1487 ist dabei der Höflichkeit gegenüber einem unabhängigen Völkerrechtssubjekt geschuldet. Diese Umgangsformen scheint der Sicherheitsrat bei der hier in Frage stehenden Resolution außer Acht gelassen zu haben. Allerdings ist dies nicht die vollständige Erklärung für die Begriffswahl. An Kapitel-VII-VNChMaßnahmen sind die Staaten gebunden, wenn sie verpflichtend sein sollen. 151
Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 217). Zweifelnd ebenso die Vertreter Algeriens, UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 5; Argentiniens, ebd., S. 7 f.; Benins, ebd., S. 10; Brasiliens, ebd, S. 11; Sudans, ebd., S. 12. 152 Mit anderer Begründung Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 210). 153 Kirgis, UN Commission’s Report on Violations of International Humanitarian Law in Darfur, ASIL Insight Februar/April 2005.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Eine solche Pflicht begründet der Sicherheitsrat mit eben dieser Formulierung. Somit soll der Abs. 6 vor allem dazu dienen, die Staaten daran zu hindern, selbst eine Eröffnung der Gerichtsbarkeit nach Art. 13 lit. a) IStGH-Statut einzuleiten.154 Dass dies möglich ist, ergibt sich aus der Pflicht der Staaten nach Art. 103, 25 VNCh. Staatliches Verhalten wird auf diese Weise durch den Sicherheitsrat vorgegeben. Einer Auslegung als Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut steht die bisherige Praxis des Sicherheitsrates entgegen. Bislang hat sich dieser an die Voraussetzungen des Statuts gehalten. Demnach ist ein Ermittlungsstopp nur für jeweils zwölf Monate zulässig. Während die Resolutionen 1422 (2002) und 1487 (2003) dieses Zeitfenster einhalten, fehlt eine Bezugnahme darauf in Resolution 1593 (2005) sowohl in Hinblick auf den Stopp von Ermittlungen als auch auf den vorgegebenen Zeitrahmen. Die Entscheidung, dass die genannten Personen der exklusiven Gerichtsbarkeit des beitragenden Staates unterliegen, ist nicht mit Art. 16 IStGHStatut vereinbar. Nach der Resolution 1593 (2005) ist die Gerichtsbarkeit anderer Staaten auf Dauer ausgeschlossen. Es gibt im Völkerstrafrecht einige Anknüpfungspunkte, die es einem Staat gestatten, seine Strafgewalt auszuüben.155 Im Falle der Resolution 1593 aber werden selbst die Staaten, die nach dem Völkergewohnheitsrecht Jurisdiktion ausüben dürften, an der Ausübung eben dieser Kompetenz gehindert. Dagegen bleibt im Falle einer Resolution nach Art. 16 IStGH-Statut diese Kompetenz unberührt.156 Daher ist die Resolution nicht vereinbar mit Art. 16 IStGH-Statut. Sie ist nicht als eine solche auszulegen.157 c) Vereinbarkeit des Abs. 6 mit dem Situationsbegriff des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut Es bleibt nur, die Resolution als eine Resolution nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut zu sehen. Damit ist zur Rechtmäßigkeit der Resolution selbst aber noch nichts gesagt. Die Stellungnahmen in der Literatur kritisieren die „Einengung“ des Situationsbegriffs in Abs. 6. Sie verweisen auf die bekannte Unterscheidung zwischen case und situation.158 Nach der Auslegung 154 Vgl. Kirgis, UN Commission’s Report on Violations of International Humanitarian Law in Darfur, ASIL Insight Februar/April 2005. 155 Vgl. oben 3. Kapitel II. 2. b). 156 Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 596). 157 Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 211); Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 596); Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 231 f.). 158 Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 231); Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 212 f.).
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
331
in der Literatur, die sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte des Statuts stützt, soll der Sicherheitsrat nur Konflikte überweisen, eine Differenzierung nach einzelnen Personengruppen sei demnach unzulässig. Nach dem oben gefundenen Situationsbegriff sind grundsätzlich alle Gegebenheiten, die eine Art.-39-VNCh-Situation darstellen können, eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.159 Eingegrenzt wird der statutseigene Begriff durch das Verbot einer Einzelfallüberweisung und der Differenzierung nach Konfliktparteien, solange diese nicht anhand der Staatsangehörigkeit von Nichtvertragsparteien des IStGH-Statuts erfolgt. Die Resolution 1593 nimmt Staatsangehörige von Drittstaaten aus, soweit sie Mitglieder einer mandatierten Mission im Sudan waren. Ausgeschlossen werden weiterhin auch Staatsangehörige des Sudan, soweit die Taten nicht auf dessen Staatsgebiet begangen wurden.160 Der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen aber Staatsangehörige von Nichtvertragsparteien des Statuts, die auf dem Gebiet Sudans Verbrechen begehen und nicht Teil einer Mission von Sicherheitsrat oder AU sind bzw. waren. Die Resolution ersetzt somit den Konsens des Territorialstaates, der zur Strafverfolgung erforderlich ist. Sie hält sich an den Rahmen des Situationsbegriffs des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Aus diesem Grund ist auch der Gleichheitssatz, wenn man ihn denn für diese Fälle anwendet, nicht verletzt. Es geht in Abs. 6 erstens nicht um die Ausnahme einer Gruppe. Die Staatsangehörigen von Drittstaaten unterfallen von Anfang an nicht der Gerichtsbarkeit des IStGH, solange sie nicht auf dem Gebiet einer Vertragspartei Verbrechen begehen. Mit der Resolution wird vielmehr – zweitens – die Gerichtsbarkeit über eine bestimmte Gruppe erst begründet. Sie erstreckt sich nun auf die Täter, die auf dem Gebiet Darfurs Verbrechen begehen. Ein Ausschluss erfolgt nur für Mitglieder einer mandatierten Mission. Eine solche Ausnahme ist allerdings Teil des Muster Status of Force Agreements (SOFA) der VN.161 Nach dessen Regelung wird die Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates nicht ausgeübt. d) „Ausschließliche Gerichtsbarkeit“ des beitragenden Staates Probleme ergeben sich nur aus der postulierten Ausschließlichkeit der Gerichtsbarkeit des entsendenden Staates. Eine solche ist im Muster-SOFA nicht vorgesehen. 159
4. Kapitel IV. Schabas, Introduction to the ICC, S. 71. 161 Model status-of-forces agreement for peace-keeping-operations: Report of the Secretary General, UN Doc. A/45/594 vom 9. Oktober 1990, S. 11. 160
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Vorgänger des Abs. 6 ist die Resolution 1497 (2003).162 Auch dort hat der Sicherheitsrat die ausschließliche Gerichtsbarkeit des truppenstellenden Staates anerkannt. Problematisch ist nicht so sehr die „Ausnahme“ bestimmter Staatsangehöriger, als vielmehr die Begründung dieser Strafgewalt und damit des Ausschlusses anderer Strafgewalten, die neben dem aktiven Personalitätsprinzip existieren. Eine solche ausschließliche Gerichtsbarkeit soll mit dem Völkerrecht nicht vereinbar sein.163 Begründet wird diese Ansicht allerdings nicht. Über die Vorrangregelung in Art. 103 VNCh kann der Sicherheitsrat die Staaten von ihren vertraglichen Pflichten entbinden.164 Eine Strafverfolgungspflicht für Verbrechen, die in Art. 5 Abs. 1 IStGH-Statut erwähnt sind, findet sich in Art. V Völkermordkonvention165, Art. 5 Folterkonvention166, Art. 49 GK I, Art. 50 GK II, Art. 129 GK III, Art. 146 GK IV167 sowie Art. 85 ZP I.168 Über diese vertraglichen Regelungen kann sich der Sicherheitsrat hinwegsetzen und die Staaten von dieser Verpflichtung befreien. Dies behindert auch nicht die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts. Es bleibt noch immer die Strafgewalt des Heimatstaates des Täters in Betracht.169 Die Begründung einer exklusiven Strafgewalt durch die Resolution 1593 (2005) ist somit völkerrechtsgemäß.170 6. Zusammenarbeitspflicht der Staaten Die Zusammenarbeit des Sudan mit dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Ankläger ist von entscheidender Bedeutung. Als Nichtvertragspartei ist er allerdings nicht an die Regelungen des Statuts gebunden. Eine Verpflichtung kommt nur freiwillig oder über eine Sicherheitsratsresolution in Betracht. 162 Schabas, Introduction to the ICC, S. 156; Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 232 f.). 163 Stellungnahmen Mexikos, UN S/PV.4803 vom 1. August 2003 (zur Res. 1497), S. 2 f.; Deutschlands, ebd., S. 4; Frankreichs, ebd., S. 7; Dänemarks, UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 6; Frankreichs, ebd., S. 8; Brasiliens, ebd., S. 11. Zweifelnd auch Argentinien, ebd., S. 8. 164 1. Kapitel III. 165 BGBl. 1954 II, 730. 166 BGBl. 1990 II, 246. 167 BGBl. 1954 II, 783, 813, 838, 917. 168 BGBl. 1990 II, 1551. 169 Dies verkennt Schabas, Introduction to the ICC, S. 156 f. 170 So auch Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 698 f.).
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
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a) Die Möglichkeit zur Verpflichtung und die Adressaten Absatz 2 der Resolution schafft eine solche Pflicht. Danach ist der Sudan verpflichtet, mit dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Ankläger uneingeschränkt zusammenzuarbeiten und ihnen jede erforderliche Unterstützung zu gewähren. Andere Nichtvertragsparteien des Statuts fordert der Sicherheitsrat nachdrücklich zur uneingeschränkten Zusammenarbeit auf, wobei er ausdrücklich anerkennt, dass diese keinerlei Verpflichtungen aus dem Statut unterliegen. Die Verpflichtung des Sudan verstößt dabei nicht gegen den Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt. Der Sicherheitsrat kann mittels des Art. 41 VNCh eine solche Pflicht begründen. Die Ausnahme anderer Staaten ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden. Der Rat hat einen weiten Ermessensspielraum und darf somit bestimmen, wer von der Verpflichtung betroffen sein soll. Als weitere Adressaten dieser Pflicht nennt der Sicherheitsrat alle anderen Parteien des Konflikts. In den vorhergehenden Resolutionen wandte sich der Rat an die anderen Konfliktparteien, also an die Rebellen und die Janjaweed. Er konkretisierte die Pflichten der nichtstaatlichen Akteure in den Resolutionen. Auch in Resolution 1593 (2005) schuf er Pflichten für diese und erstreckte die Geltung der Resolution 1593 auf nichtstaatliche Akteure.171 b) Der Umfang der Kooperationspflichten Damit ist der genaue Inhalt der Kooperationspflichten allerdings ungewiss. Der Sicherheitsrat trifft dazu keine weiteren Bestimmungen in seinem Unterbreitungsbeschluss. Keine Resolution, die Bezug auf den Sudan oder die Nachbarstaaten Darfurs nimmt,172 erläutert jedoch die Zusammenarbeitspflicht. Es bleibt somit unklar, wozu der Sudan verpflichtet ist.173 Vorgeschlagen wird hier, dass die Kooperationspflichten des Sudan denen einer Vertragspartei gleichen. Der Sudan hat das Statut unterzeichnet. In Kraft getreten ist es für ihn bislang nicht. Allerdings ist er gemäß Art. 18 WVK dazu verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und 171 Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 695). 172 SC Res. 1627 und 1651 (beide 2005), SC Res. 1663, 1665, 1672, 1679, 1706, 1709, 1713, 1714 (alle 2006) und SC Res. 1755, 1769, 1778, 1779 und 1784 (alle 2007). 173 Ohne Begründung einer weitreichenden Kooperationspflicht Kaufman, CLF 16 (2005), S. 343 (S. 353).
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Zweck eines Vertrages vereiteln würden, wenn er entweder unter Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung den Vertrag unterzeichnet oder Urkunden ausgetauscht hat, die einen Vertrag bilden – solange er seine Absicht nicht klar zu erkennen gegeben hat, nicht Vertragspartei werden zu wollen, oder wenn er seine Zustimmung dazu, durch den Vertrag gebunden zu sein, ausgedrückt hat, und zwar bis zum Inkrafttreten des Vertrages und unter der Voraussetzung, dass sich das Inkrafttreten nicht ungebührlich verzögert. Die Voraussetzungen aus Art. 18 lit. a) WVK liegen dabei vor. Zieht man den Teil 9 des Statuts heran, so besteht bezüglich der Zusammenarbeitspflicht Rechtssicherheit. Der Sudan wird nicht zu mehr verpflichtet als ein Staat, der das Statut bereits ratifiziert hat. Die Unterzeichnung des Statuts zeigt den bestehenden Willen des Sudan, Vertragspartei zu werden. Auch wenn die Ratifikation nicht vorliegt, erklärt sich der Sudan mit dem Regime grundsätzlich einverstanden. Anders als bei den Staaten, die das Statut nicht unterschrieben oder ihre Unterschrift zurückgezogen haben, besteht hier eine Grundübereinstimmung. Auch der IStGH scheint von dieser Lösung auszugehen. Er erkennt in der Resolution eine „andere geeignete Grundlage“ i. S. d. Art. 87 Abs. 5 lit. a) IStGH-Statut. Für das Verfahren zur Festnahme der beiden bisherigen Verdächtigen verweist er dann auf die Regelungen des Statuts. Er geht somit weder über das darin vorgesehene Maß hinaus noch unterschreitet er die in Teil 9 vorgesehenen Verpflichtungen.174 Mangels anderer Indizien für den Umfang wird somit angenommen, dass der Sudan wie eine Vertragspartei des IStGH-Statuts zur Zusammenarbeit verpflichtet ist. Die nichtstaatlichen Akteure sind soweit zur Zusammenarbeit verpflichtet, wie es ihnen möglich ist. Ihnen fehlt die Infrastruktur des Sudan, bspw. ein Justizsystem. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Rebellen zur Überstellung derjenigen verpflichtet sind, gegen die ein Haftbefehl vorliegt.
174 Request to the Republic of the Sudan for the arrest and surrender of Ahmad Harun, ICC Doc. ICC-02/05-01/07-13; Request to the Republic of the Sudan for the arrest and surrender of Ali Kushayb, ICC Doc. ICC-02/05-01/07-14; Request to United Nations Security Council members that are not states parties to the Statute for the arrest and surrender of Ahmad Harun, ICC Doc. ICC-02/05-01/07-19; Request to United Nations Security Council members that are not states parties to the Statute for the arrest and surrender of Ali Kushayb, ICC Doc. ICC-02/05-01/07-20, alle vom 5. Juni 2007.
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
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c) Ergebnis Die von Resolution 1593 (2005) Abs. 2 statuierte Zusammenarbeitspflicht ist völkerrechtsgemäß. Der Sudan unterliegt denselben Verpflichtungen, denen ein Vertragsstaat unterliegt. Rechtsgrundlage für diese Verpflichtung ist die Resolution. Danach wäre auch eine Verpflichtung aller Staaten zur Zusammenarbeit vorstellbar.175 7. Abkommen nach Art. 98 Abs. 2 IStGH-Statut Die Möglichkeit des Statuts, bilaterale Abkommen zu schließen, womit die Gerichtsbarkeit des IStGH de facto umgangen werden kann, stellt neben den Resolutionen nach Art. 16 IStGH-Statut den Weg dar, den die USA gehen, um den Gerichtshof zu schwächen. Dementsprechend legte die Vertreterin der USA im Sicherheitsrat großen Wert auf eine Bestätigung dieser Abkommen in der Resolution 1593.176 Erwägungsgrund 4 der Präambel nimmt Kenntnis von Art. 98 IStGH-Statut und den Abkommen. Der dänische Vertreter sah den Erwägungsgrund als reine Bestätigung der Tatsache an, dass es solche Abkommen gibt.177 Brasiliens Vertreter sah in dieser Bezugnahme einen entscheidenden Grund dafür, sich der Stimme zu enthalten.178 Die Zulässigkeit solcher Abkommen ist umstritten.179 Allerdings vermag die Erwähnung in der Präambel nicht, Rechtswirkungen zu erzielen.180 Die Erwähnung in der Resolution wirft somit keine Probleme auf. 8. Gerichtsbarkeit ratione temporis Der Sicherheitsrat überweist die Situation seit dem 1. Juli 2002 an den IStGH. Er sieht keine Besonderheiten bezüglich der Verbrechen vor. Dies kann jedoch, wie oben gezeigt, ein Problem darstellen.181 Nicht alle Tatbestände hatten im Jahre 2002 schon gewohnheitsrechtliche Geltung. Auch 175 Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 593). Ob diese begründet wird, ist jedoch eine politische Frage. 176 UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 3 ff. 177 UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 6. 178 UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 11. 179 Schabas, Introduction to the ICC, S. 73 f.; Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 691). 180 Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 691); Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 597); Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 231). 181 8. Kapitel IV. 2. a).
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
der Sicherheitsrat ist an den Grundsatz des nullum crimen sine lege gebunden. Seine Resolutionen, die Völkerstrafrecht zur Anwendung bringen wollen, also die Gründung der ad-hoc-Tribunale und die Überweisung an den IStGH, sind nur im Rahmen des Rückwirkungsverbots völkerrechtsgemäß. Daher muss der Sicherheitsrat nicht ausdrücklich erklären, dass das Rückwirkungsverbot gilt. Absatz 1 der Resolution ist somit nicht als Ausweitung der Gerichtsbarkeit zu verstehen. Der Ankläger und die Kammern müssen somit sicherstellen, dass die jeweiligen Tatbestände gewohnheitsrechtliche Geltung haben.182 Dies gilt immer dann, wenn Angehörige einer Nichtvertragspartei angeklagt werden, Verbrechen auf dem Gebiet einer Nichtvertragspartei begangen zu haben.183 9. Kosten Der französische Vorschlag sah noch eine Kostentragung durch die VN vor. Auf Druck der Vereinigten Staaten wurde dies jedoch gestrichen184 und anerkannt, dass keine mit der Überweisung in Verbindung stehenden Kosten von den VN getragen werden sollen. a) Rechtmäßigkeit nach dem Statut Das Statut trifft Regelungen zur Finanzierung, die allerdings nicht abschließend sind. Auch das RA schafft nur die Voraussetzungen für den Abschluss von besonderen Finanzierungsabkommen. Da diese bis heute nicht geschlossen wurden, gibt es keine verbindlichen Regelungen im IStGH-Regime zur Finanzierung. Die Resolution ist daher in diesem Punkt nicht zu beanstanden.185 b) Rechtmäßigkeit nach der Charta Anders sieht dies aus, bewertet man vom Standpunkt der Charta aus. Nach Art. 17 VNCh besitzt die Generalversammlung das Budgetrecht. In diesem Bereich kann sie verbindliches Organisationssekundärrecht setzen. Der Sicherheitsrat hat dazu keine Kompetenz.186 182
8. Kapitel IV. 2. a). Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 692 f.), dagegen geht davon aus, dass alle Tatbestände Gewohnheitsrecht kodifizieren. 184 Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 204). 185 A. A. Fletcher/Ohlin, JICJ 4 (2006), S. 428 (S. 429 f.). 183
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
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Mit der Resolution möchte der Sicherheitsrat die VN, insb. die Generalversammlung, dazu verpflichten, keine Kosten für die Überweisung zu übernehmen. Eine solche Regelung könnte in die Budgethoheit der VN eingreifen. Eine ähnliche Konfliktlage ergab sich bei der Gründung des ICTY. Nach Auffassung des Rates sollte dessen Finanzbedarf über den regulären Haushalt der VN finanziert werden. Die Generalversammlung war der Auffassung, dass die Geldmittel aus dem peace-keeping-Topf stammen sollten. Allerdings trifft dieser Fall nicht die Situation der Resolution 1593 (2005). Denn durch diese wird ja gerade keine weitere finanzielle Verpflichtung der VN begründet, sondern eine Kostentragungspflicht ausgeschlossen.187 Eine für die VN verbindliche Bestimmung über die Finanzierung der Überweisung konnte der Sicherheitsrat somit nicht treffen. Sollte sich die Generalversammlung entscheiden, ein Finanzierungsabkommen mit dem IStGH zu schließen, das auch die Situation in Darfur umfasst, steht das VN-Recht dem nicht entgegen. Die VNCh sieht eine solche Kompetenz des Sicherheitsrates nicht vor. Besonders zu beachten war bei der Beschlussfassung über die Resolution die Stellungnahme der Vereinigten Staaten. Anne Patterson drohte den anderen Mitgliedern damit, dass die amerikanische Regierung im Falle einer Kostentragung durch die VN die Einstellung ihrer Beitragszahlungen erwäge.188 10. Die weiteren Voraussetzungen Die weiteren Voraussetzungen für die Verfahrenseinleitung wurden eingehalten. Die Situation wurde an den Ankläger überwiesen. Eine Bestimmung zum Komplementaritätserfordernis trifft der Sicherheitsrat nicht. Der Verbrechensanschein liegt ohne Zweifel vor. Weiterhin hält sich der Rat an die Grenzen ratione materiae et temporis. Zu bemerken bleibt, dass die Grenzen aus Art. 5 ff. IStGH-Statut in Verbindung mit dem Gewohnheitsrecht bleiben. So kann der Gerichtshof Staatsangehörige von Nichtvertragsparteien nicht nach allen in den Art. 5 ff. IStGH-Statut angeführten Tatbeständen anklagen und verurteilen. Grenze für die Strafbarkeit bildet die gewohnheitsrechtliche Ausprägung der Verbrechen.189 186 Happold, ICLQ 55 (2006), S. 226 (S. 234). Dies verkennen Fletcher/Ohlin, JICJ 4 (2006), S. 428 (S. 429 f.). 187 Cryer, LeidenJIL 19 (2006), S. 195 (S. 207). 188 UN Doc. S/PV.5158 vom 31. März 2005, S. 3 f. 189 8. Kapitel IV. 2. a).
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
11. Die Rechtmäßigkeit der Resolution 1593 Die Mängel der Resolution sind der Preis, der für die Überweisung zu zahlen war.190 Durch die Resolution 1593 (2005) wurde keine Möglichkeit geschaffen, im Bereich des Statuts nachteilige Regelungen mit rechtsverbindlicher Wirkung zu setzen.
III. Rechtsfolge für den IStGH Die Gerichtsbarkeit des IStGH ist eröffnet. Seine Organe können Strafverfolgungen für die Verbrechen auf dem Gebiet Darfurs durchführen, Täter anklagen und verurteilen. Halten sich die Organe an die Regelungen des Statuts, so ist diese Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Resolution 1593 gedeckt und somit völkerrechtsgemäß.
IV. Rechtsfolgen für die Staaten 1. Rechtsfolgen für den Sudan Für den Sudan ergeben sich die weitreichendsten Rechtsfolgen, diese sind alle mit dem Völkerrecht vereinbar. Als wichtigste Rechtsfolge muss er einen Eingriff in seine Strafgewalt dulden. Der IStGH kann auf der Grundlage der Kapitel-VII-Resolution Verbrechen aburteilen, die von Angehörigen des Sudan an anderen Staatsangehörigen des Sudan auf dessen Hoheitsgebiet begangen wurden.191 Weiterhin ist der Sudan zur Zusammenarbeit mit den Organen des Gerichtshofs verpflichtet. Der Umfang entspricht nach dem hier entwickelten Vorschlag dem einer Vertragspartei. Nicht verpflichtet ist er dazu, seine staatliche Gerichtsbarkeit ruhen zu lassen. Zum einen gilt das Komplementaritätsprinzip auch in diesem Fall. Sudanesische Strafgerichte können somit alle Fälle in Darfur untersuchen und unter Umständen die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den IStGH verhindern. Zum anderen ist den Resolutionen des Sicherheitsrates keine dahingehende Entscheidung zu entnehmen. Vielmehr soll sich auch der Sudan seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen bewusst sein und für eine Bestrafung der Täter sorgen. 2. Rechtsfolgen für Darfurs Nachbarn Der Tschad und die Zentralafrikanische Republik sind (inzwischen) als Vertragsparteien an das Statut gebunden. Wie oben gezeigt, sind vor allem 190 191
Condorelli/Ciampi, JICJ 3 (2005), S. 590 (S. 594). 3. Kapitel II.
11. Kap.: Resolution 1593 (2005)
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tschadische Staatsangehörige in Darfur anzutreffen. Es besteht die Möglichkeit, dass sie dort Verbrechen begehen. Im Einzelfall können die Täter dann vor den IStGH gestellt werden. Insoweit unterscheidet sich die Rechtsfolge nicht von der für Angehörige anderer Staaten, die nicht Mitglied einer Mission sind. Selbstverständlich ist der Tschad tatsächlich durch den Konflikt betroffen. Wie gezeigt, spielt sein Staatsgebiet eine Rolle im Darfur-Konflikt. Die Taten dort sind aber nach der Resolution 1593 nicht vor dem IStGH anklagbar. Im Übrigen hat der Tschad bislang auch kein self-referral vorgenommen. Dass der Sicherheitsrat die Situation überweisen wird, ist im Hinblick auf das ständige Mitglied Frankreich unwahrscheinlich. Es bleibt eine Einleitung nach Art. 13 lit. c) IStGH-Statut. Laut seinen Stellungnahmen überwacht der Ankläger den dortigen Konflikt. Vor allem hat er die grenzüberschreitenden Wirkungen aus Darfur im Blick. Die Regierung der Zentralafrikanischen Republik hat eine Selbstanzeige beim Ankläger vorgenommen. Im Mai 2007 entschied der Ankläger, die Situation nach Art. 53 IStGH-Statut zu untersuchen.192 Die Überweisung erstreckt sich dabei auf alle Taten, die seit dem 1. Juli 2002 auf dem Staatsgebiet begangen wurden. Somit kommen auch Verbrechen in Betracht, die mit der Situation in Darfur zusammenhängen. Die Rechtsfolgen der Resolution 1593 (2005) für den Tschad und die ZAR unterscheiden sich somit nicht von denen, die für andere Staaten gelten. Einzig für das Gebiet der Zentralafrikanischen Republik ist die Gerichtsbarkeit des IStGH bereits eröffnet. 3. Rechtsfolge für die IStGH-Mitgliedstaaten Für die Mitgliedstaaten des Statuts werden die regulären Kooperationspflichten in Gang gesetzt. Der Teil 9 IStGH-Statut ist uneingeschränkt anwendbar. Ihre eigene Strafverfolgung müssen die Staaten nicht aussetzen. Ihre Verpflichtungen entsprechen denen, die sich ergeben, wenn ein Verfahren nach Art. 13 lit. a) oder lit. c) IStGH-Statut eingeleitet wird.193 Dazu 192 Prosecutor opens investigation in the Central African Republic, ICC Doc. ICC-OTP-PR-20070522-220_EN vom 22. Mai 2007. 193 Praktisch relevant ist diese Verpflichtung schon geworden. s. dazu die Ausführungen im 12. Kapitel und das Request to States Parties to the Rome Statute for the arrest and surrender of Ahmad Harun, ICC Doc. ICC-02/ 05-01/07-17; Request to States Parties to the Rome Statute for the arrest and surrender of Ali Kushayb, ICC Doc. ICC-02/05-01/07-18, beide vom 5. Juni 2007.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
kommt die besondere Verpflichtung aus Abs. 6, keine Gerichtsbarkeit über die dort genannten Personen auszuüben. 4. Rechtsfolge für VN-Mitgliedstaaten, die nicht Vertragspartei des Statuts sind Die Mitgliedstaaten der VN sind an die Resolutionen des Sicherheitsrates gebunden. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass diese eingehalten werden. Allerdings wird eine generelle Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem IStGH, die den Regelungen des Teils 9 entspricht, ausdrücklich nicht begründet. Vielmehr stellt der Sicherheitsrat klar, dass diese nicht besteht. Erst wenn die Staaten direkt vom Sicherheitsrat dazu verpflichtet werden, nach Teil 9 oder anderen Regelungen zu kooperieren, müssen sie diese Pflicht erfüllen. So müssen sie die Täter der Verbrechen im Darfur-Konflikt verfolgen und ggf. anklagen. Einzig die Pflicht aus Abs. 6 der Resolution schafft eine verbindliche Anweisung für die Staaten dieser Gruppe. 12. Kapitel
Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof I. Auswertung der Informationen und Ermittlungsverfahren Die Anklagebehörde evaluierte die Informationen über den Konflikt in Darfur in etwas mehr als zwei Monaten. Dann gab der Ankläger die Einleitung von Ermittlungen bekannt.194 In der Folge beantragte195 der Ankläger zwei Haftbefehle, die am 27. April 2007 ausgestellt196 wurden. Seit der Überweisung hat die Anklagebehörde den Sicherheitsrat über den Fortgang informiert.197 In Resolution 1593 (2005) Abs. 8 hatte dieser darum gebeten. 194 The Prosecutor of the ICC opens investigation in Darfur, ICC Doc. ICC-OTP0606-104-En vom 6. Juni 2005. 195 Prosecutor’s Application under Article 58 (7), Doc. ICC-02/05-56, vom 27. April 2007. 196 Decision on the Prosecution Application under Article 58 (7) of the Statute, ICC-02/05-01/07-1, vom 27. April 2007, im Folgenden Entscheidung 2007. 197 First Report of the Prosecutor of the International Criminal Court, Mr. Luis Moreno Ocampo, to the Security Council pursuant to UNSC 1593 (2005) vom 29. Juni 2005; Second Report of the Prosecutor of the International Criminal Court, Mr. Luis Moreno Ocampo, to the Security Council pursuant to UNSC 1593 (2005) vom 13. Dezember 2005; Third Report of the Prosecutor of the International Criminal Court, to the Security Council pursuant to UNSC 1593 (2005) vom 14. Juni
12. Kap.: Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
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Da im Statut eine solche Berichterstattungspflicht nicht vorgesehen ist, erfolgen die Stellungnahmen freiwillig. In seiner Erklärung an die Vertragsstaatenversammlung berichtete Moreno-Ocampo davon, im Jahre 2008 Ermittlungen in einem zweiten und dritten Fall einzuleiten.198 Der zweite Fall begann mit einer Sensation: Am 14. Juli 2008 beantragte der Ankläger einen Haftbefehl gegen den amtierenden Präsidenten des Sudan, Omar alBashir.199 Die Vorverfahrenskammer I erließ den Haftbefehl am 4. März 2009.200 Im dritten Fall sind zwei der Verdächtigen noch geheim.201 Gegen den dritten Beschuldigten, Abu Garda, erließ die Kammer im Mai 2009 eine Vorladung.202 Die drei Anführer von Rebellengruppen werden beschuldigt, am 29. September 2007 den Haskanita-Stützpunkt der AMIS in Umm Kadada, Nord-Darfur, angegriffen zu haben.
II. Der erste Fall 1. Die Vorgeladenen Ende Februar 2007 beantragte der Ankläger Vorladungen für Ahmad Muhammad Harun und Ali Muhammad Ali Abd-al-Rahman alias Ali Kushayb.203 Beide Namen sind keine große Überraschung.204 Harun war als Innenminister verantwortlich für das „Darfur Security desk“ des Ministeri2006; Fourth Report of the Prosecutor of the International Criminal Court, to the Security Council pursuant to UNSC 1593 (2005) vom 14. Dezember 2006; Fifth Report of the Prosecutor of the International Criminal Court, to the Security Council pursuant to UNSC 1593 (2005) vom 7. Juni 2007; Sixth Report of the Prosecutor of the International Criminal Court, to the Security Council pursuant to UNSC 1593 (2005) vom 5. Dezember 2007. 198 Moreno-Ocampo, Address to the Assembly of States Parties, 30 November 2007, erhältlich auf der Homepage des IStGH. 199 Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-151-US-Exp vom 14. Juli 2008; ICC-02/05-151-US-Exp-Anxsl-89; Corrigendum ICC-02/05-151-USExp-Corr; Corrigendum ICC-02/05-151-US-Exp-Corr-Anxs l & 2; Public redacted version of Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-157; ICC02/05-157-AnxA vom 12. September 2008. 200 Warrant of Arrest for Omar Hassan Ahmad Al Bashir, ICC-02/05-01/09, vom 4. März 2009; Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, ICC-02/05-01/09-3, vom 4. März 2009, im Folgenden: Entscheidung 2009. 201 Summary of the Prosecutor’s Application under Article 58, ICC-02/05-162, vom 20. November 2008. 202 Decision on the Prosecutor’s Application under Article 58, Warrant of arrest for Bahr Idriss Abu Garda, ICC. Doc. ICC-02/05-02/09-15 vom 7. Mai 2009. 203 Prosecutor’s Application under Article 58 (7), vom 27. Februar 2007, Doc. ICC-02/05-56, im Folgenden: Haftbefehlsantrag 2007.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
ums. Kraft dieses Amtes koordinierte er die „counterinsurgency campaign“ der Regierung. Laut den Ermittlungsergebnissen war er vor allem verantwortlich für die Rekrutierung weiterer Janjaweed. Seit 2006 ist er Minister für humanitäre Angelegenheiten.205 Ali Kushayb war lange eine führende Persönlichkeit in West-Darfur. Im August 2003 trat er in die regulären Streitkräfte ein. Er soll mehrere Tausend Janjaweed befehligt haben.206 2. Der Antrag nach Art. 58 Abs. 7 des Statuts und die Entscheidung der Kammer Nach Einleitung der Ermittlungen, dem Wortlaut nach nicht erst nach deren Abschluss, kann der Ankläger zu dem Schluss kommen, dass die Ermittlungen keine Grundlage für Anklagen bieten und das Verfahren einstellen, Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut. Kommt er zu dem Schluss, dass eine Basis für Anklagen besteht, kann er Haftbefehle bzw. Vorladungen nach Art. 58 des Statuts bei der Vorverfahrenskammer beantragen. Haftbefehle sind zu erlassen, wenn ein begründeter Verdacht dafür vorliegt, dass Straftaten unter der Gerichtsbarkeit des IStGH begangen wurden, und die Festnahme der Person notwendig erscheint um sicherzustellen, dass sie zur Verhandlung erscheint, dass sie die Ermittlungen oder das Verfahren nicht behindert oder um sie an der Begehung weiterer Straftaten zu hindern. Vorladungen sind angebracht, wenn eine Festnahme nicht erforderlich ist, Art. 58 Abs. 7 Statut.207 Nach einer ersten Subsumtion scheinen somit die Voraussetzungen für einen Haftbefehl zumindest für Harun vorzuliegen. Der Konflikt dauert an, und Harun ist noch immer Mitglied der Regierung. Der Ankläger selbst weist ausdrücklich darauf hin, dass Harun schon in der Vergangenheit versucht habe, Beweise verschwinden zu lassen.208 Der Ankläger beantragt aber gerade keinen Haftbefehl, sondern nur eine Ladung. Es stellt sich die Frage, ob der Ankläger nur eine Vorladung beantragt hat, weil er die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut für nicht erfüllt hält. Der Ankläger allerdings verweist die Auswahlfrage wiederum zurück an die Kammer. Es sei in deren Ermessen zu entscheiden, welche der zwei Optionen durch die Beweise gestützt werden.209 Seiner Einschätzung nach reich204
Vgl. nur Human Rights Watch, Entrenching Impunity – Government Responsibility for International Crimes in Darfur, Dezember 2005, S. 75 ff. 205 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 30 ff.; Entscheidung 2009 Rn. 230. 206 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 36 f. 207 Zum Verfahren s. Behrens, HuV-I 1998, S. 144–151; Fourmy, Powers of the Pre-Trial Chambers, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1207 (S. 1215 ff.); Marchesiello, Proceedings before the Pre-Trial Chambers, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 1231 ff.; Schabas, Introduction to the ICC, S. 235 ff. 208 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 272.
12. Kap.: Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
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ten Vorladungen aus.210 Erst wenn der Sudan bzw. die beiden Vorgeladenen den Beschlüssen nicht nachkämen, sollten Haftbefehle erlassen werden.211 Hier führt der Ankläger die andere Seite von Haruns Vorverhalten an. Hoch angerechnet wird ihm, dass er bereits mit Strafverfolgungsbehörden kooperiert hat. Das OTP geht somit von einer weiteren Bereitschaft dazu aus.212 Die Kammer folgt dieser Argumentation nicht, und das zu Recht. Sie geht davon aus, dass ihr Auswahlermessen zwischen Haftbefehlen und Ladungen begrenzt ist.213 Sie hält die Ladung für eine Ausnahme zum Erlass eines Haftbefehls und kehrt somit die Reihenfolge, die der Ankläger vorschlägt, um. Insoweit befindet sie sich in Übereinstimmung mit der Auslegung des Art. 58 Abs. 7 in der Literatur.214 Allerdings geht die Kammer weiter und konstruiert die Ladung als strenge Ausnahme. Nach ihrer Auffassung kommt eine Ausnahme vom Haftbefehl nur in Betracht, wenn die Person freiwillig vor dem Gerichtshof erscheinen kann und wird.215 Sie verlangt ausreichende Garantien für das Erscheinen in Den Haag.216 Dies erscheint im Hinblick auf die englische Fassung des Statuts problematisch. Vorladungen sind danach u. a. dann angebracht, wenn damit sichergestellt217 werden kann, dass die Person erscheint. Eine Wortwahl, die nicht ganz den vollen Inhalt einer Garantie trifft. Auch das Merkmal „freiwillig“ taucht im Statut nicht auf. Auf der anderen Seite trägt die Auslegung der Kammer zur Effektivität des Verfahrens bei. Für die mildere Alternative der Ladung muss so ein erhöhter Begründungsaufwand betrieben werden. Auch in den anderen vor dem IStGH anhängigen Verfahren wurden Haftbefehle ausgestellt, sodass davon auszugehen ist, dass Art. 58 Abs. 7 in der Praxis kaum eine Rolle spielen wird. Doch auch in tatsächlicher Hinsicht ist die Kammer davon überzeugt, dass nur ein Haftbefehl ausreichend ist. Sie verweist darauf, dass Harun noch immer zum „inneren Kreis“ der Regierung zähle218 und bereits früher Beweise manipuliert bzw. verschwinden lassen habe.219 Der Einschätzung 209
Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 270. Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 273. 211 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 278. 212 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 275. 213 Entscheidung 2007, Rn. 117. 214 Triffterer/Hall, ICC-Statute, Art. 58 Rn. 3. 215 Entscheidung 2007 Rn. 117: „[. . .] the person can and will appear voluntarily before the court [. . .]“. 216 Entscheidung 2007, Rn. 118: „[. . .] sufficient guarantees [. . .]“. 217 Art. 58 Abs. 7: „[. . .] to ensure the person’s appearance [. . .]“. 218 Entscheidung 2007, Rn. 127. 219 Entscheidung 2007, Rn. 129. 210
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
der Kammer ist insoweit zuzustimmen. Auch wenn Harun inzwischen den Geschäftsbereich gewechselt hat, so trägt er als Regierungsmitglied eine Mitverantwortung für den weiterlaufenden Konflikt. Die aktive Rolle der Regierung ist weithin bekannt. Hält man sich den Vorwurf der Beweismanipulation vor Augen, so erscheint es geradezu als leichtsinnig, ihn lediglich vorzuladen. Auch bei Ali Kushayb hält die Kammer einen Haftbefehl für erforderlich – anders der Ankläger. Die Begründung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Ali Kushayb sitzt seit Dezember 2006 in sudanesischer Haft.220 Sein Erscheinen in Den Haag hängt nun also nicht mehr von ihm selbst ab, sondern nur davon, dass die sudanesischen Behörden ihre Verpflichtung221 erfüllen, ihn zu überstellen. Die Kammer jedoch begründet ihren Haftbefehl gerade mit der Inhaftierung. Dadurch werde er darin gehindert, freiwillig in Den Haag zu erscheinen.222 Bedenkt man, dass die „Freiwilligkeit“ als Voraussetzung durch die Kammer eingeführt wurde, so scheint diese Argumentation widersinnig. Nach den aufgestellten Grundsätzen kommt für die Kammer also nur der Haftbefehl in Betracht. Zur Unterstützung ihres Ergebnisses zieht sie auch die Beweis- und Verfahrensregeln223 heran. Aus einer Zusammenschau von den Art. 58 Abs. 5, 89, 91 IStGH-Statut und Regel 183 ergebe sich, dass eine Vorladung nur möglich sei, wenn der oder die Betroffene nicht inhaftiert sei.224 Da keine Regelungen für eine Überstellung einer inhaftierten Person getroffen worden seien, sei es nicht denkbar, eine Vorladung auszustellen.225 Dabei übersieht die Kammer den Art. 93 Abs. 7 a IStGH-Statut, womit die zeitweilige Übergabe eines Häftlings an den IStGH geregelt wird, und unterlässt es somit, einige klarstellenden Bemerkungen zu machen. Art. 93 IStGH-Statut gilt zwar nur für die Zusammenarbeit mit den Vertragsparteien des Statuts,226 doch durch Abs. 2 der Sicherheitsratsresolution 1593 wurde der Sudan zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verpflichtet. Somit ergibt sich über Art. 25, 41, 39 VNCh eine Bindung an die Regelungen des neunten Teils.227 Die Übergabe nach Art. 93 Abs. 7 IStGH-Statut wird als subsidiär zur Überstellung nach 220 221 222 223
Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 257. Dazu sogleich. Entscheidung 2007, Rn. 133. Rules of Procedure and Evidence, ICC-ASP/1/3 (part II-A) vom 9. September
2002. 224
Entscheidung 2007, Rn. 120. Entscheidung 2007, Rn. 121. 226 Art. 86 IStGH-Statut gilt grundlegend für den Teil 9 des Statuts und steht quasi vor der Klammer, vgl. Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 86 Rn. 8. 227 Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 693). Vgl. Triffterer/Kreß/Prost, ICC, Art. 87 Rn. 19. 225
12. Kap.: Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
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Art. 89, 91 IStGH-Statut gesehen.228 Ist ein Verdächtiger in einem nationalen Verfahren in Haft, so scheint jedoch Art. 93 Abs. 7 die einschlägige Vorschrift zu sein, mit der die Überstellung geregelt wurde.229 Ali Kushayb könnte wohl nach dieser Vorschrift nach Den Haag überstellt werden, seine Aussage machen und wieder zurück in den Sudan gebracht werden. Während dieser Zeit ist seine Inhaftierung gemäß Art. 93 Abs. 7 b) IStGH-Statut sichergestellt. Dennoch befriedigt Art. 93 Abs. 7 IStGH-Statut keineswegs. Die nur zeitweilige Überstellung ist nicht Sinn und Zweck des Verfahrens. Schließlich sollen die Ermittlungen in einem Verfahren und einem Urteil enden, Art. 93 ist dagegen eine Regelung zur Rechtshilfe während des Ermittlungs- und Hauptverfahrens.230 Auch der genaue Umfang der Bindung an Teil 9 durch eine Kapitel-VII-Resolution bleibt unscharf. Hier hätte die Kammer Stellung beziehen können, ob der Sudan wie eine Vertragspartei verpflichtet wird – also an den Wortlaut der einzelnen Bestimmungen gebunden ist – oder ob das genaue Verfahren der Zusammenarbeit anders geregelt wird. Über Art. 103, 25, 42 VNCh i. V. m. Resolution 1593 Abs. 2 wird die Geltung des gewohnheitsrechtlichen pacta-tertiis-nec-prosunt-nec-nocent-Grundsatzes wohl so weit abgeschwächt, dass der Sudan an die einzelnen Vorschriften des Statuts gebunden ist, selbstverständlich nur so weit, wie die Resolution reicht.231 In Anbetracht der beharrlichen Weigerung des Sudan, mit dem Gerichtshof zu kooperieren,232 wäre hier eine Stellungnahme der Kammer für das weitere Verfahren wünschenswert gewesen. a) Allgemeiner Teil des Völkerstrafrechts Diese Kritik darf jedoch nicht über die positiven Aspekte der Entscheidung hinwegtäuschen. Gemäß dem Ziel des Gerichtshofs, nur die schwersten Verbrechen zu verfolgen, konzentrierte sich der Ankläger auf die Spitze der Befehlskette. Wenn er auch nicht bei der Staatsleitung angefangen hat, muss doch betont werden, dass mit seinem Antrag und der Entscheidung der Prozess gegen einen amtierenden Minister vorbereitet wird. Gemäß Art. 27 des Statuts genießen Minister schon vertragsrechtlich keine Immu228
Triffterer/Prost/Schlunk, ICC-Statute, 1. Auflage, Art. 93 Rn. 1. So wohl Heeck, S. 307. 230 Vgl. die Beispiele bei Triffterer/Prost/Schlunk, ICC-Statute, 1. Auflage, Art. 93 Rn. 42 ff. 231 So wohl auch Zimmermann, Two steps forward, one step backwards? SC Res. 1593 (2005), in: FS Tomuschat, S. 681 (S. 693 ff.); Triffterer/Kreß/Prost, ICC-Statute, Art. 87 Rn. 19. 232 Vgl. nur Doc. ICC-02/05-72-US-Exp-Anx A, S. 5, zit. nach Entscheidung 2007 Rn. 123. 229
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
nität. Auch für die postulierte gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität233 dürfte dieser Fall wertvolle Staatenpraxis darstellen und somit zu einer Festigung dieser Norm beitragen. Auf lange Sicht gesehen, wird dieser Aspekt bedeutender sein als die angesprochene Kritik. b) Die Tatbestände, insb. die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts Die Ermittlungen konzentrierten sich auf Angriffe auf einige Dörfer in West-Darfur in den Jahren 2003 und 2004. Der Antrag beinhaltet 51 Anklagepunkte wegen Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen. Zur Strafbarkeit nach Art. 6 IStGH-Statut, Völkermord, äußerten sich der Ankläger, und somit auch die Kammer, nicht. Schon das Mandat der Internationalen Untersuchungskommission234 beinhaltete die Frage, ob Völkermord begangen wurde. In ihrem Abschlussbericht äußerte sich die Kommission skeptisch. Allerdings schließt sie diese Möglichkeit nicht kategorisch aus.235 Angesichts der praktischen Schwierigkeiten, die eine Strafverfolgung gerade im Hinblick auf die subjektive Seite des Völkermordes überwinden muss, scheint eine Anklage nach Art. 7 und 8 des Statuts effektiver zu sein. Harun und Ali Kushayb wird dabei die Begehung einer Kollektivtat nach Art. 25 Abs. 3 lit. d) IStGH-Statut236 vorgeworfen, Ali Kushayb mehrmals eine eigenhändige Begehung von Kriegsverbrechen und Harun die Anstiftung zum Kriegsverbrechen der Plünderung.237 Das Statut unterteilt die Strafbarkeit für Kriegsverbrechen nach der hergebrachten Unterscheidung zwischen internationalen und innerstaatlichen bewaffneten Konflikten. Schon die Untersuchungskommission klassifizierte den Konflikt ohne große Begründung als innerstaatlich.238 Der Ankläger folgte dieser Einschätzung. Mag dies damals noch zutreffend gewesen sein, so wird man dies heute jedoch in Frage stellen müssen. Angesichts der Verwicklungen des Tschad und der ZAR muss von einem internationalen bewaffneten Konflikt ausgegangen werden.239 233 Vgl. ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaskic, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Case No. IT-95-14-AR108bis, Urteil vom 29. Oktober 1997, Rn. 41; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 451. 234 s. Punkt 2.2. 235 ICID-Report, Rn. 520. Zur Kritik am Vorgehen der Kommission Kreß, JICJ 3 (2005), S. 562 (S. 578). 236 s. dazu Triffterer/Ambos, ICC-Statute, Art. 25 Rn. 24 ff.; Werle, Völkerstrafrecht Rn. 417 ff. 237 Überblick in Anhang 1 zum Haftbefehlsantrag 2007. 238 ICID-Report Rn. 74 ff.
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Die individuelle Strafbarkeit von Verstößen gegen das im internen Konflikt anwendbare Völkerrecht war lange umstritten. Inzwischen ist sie vor allem aufgrund der Arbeit des ICTY gewohnheitsrechtlich anerkannt.240 Im Falle Darfurs können die verletzten Normen anhand der hergebrachten Einteilung in Haager und Genfer Recht aufgezeigt werden.241 Weniger Probleme bereiten die Vorschriften des Haager Rechts über verbotene Mittel und Methoden der Kriegsführung. Bisher ist nach keinem Angriff über den Einsatz verbotener Mittel und Methoden berichtet worden. Das genaue Gegenteil ist der Fall hinsichtlich der Regelungen des Genfer Rechts, den Regelungen zum Schutze der Zivilbevölkerung, der Kriegsgefangenen und Verwundeten. Die meisten Militäraktionen der Janjaweed sowie der sudanesischen Zentralregierung richten sich direkt gegen die Zivilbevölkerung. Dabei werden sehr oft Dörfer angegriffen, die über keinerlei militärische Einrichtungen verfügen. Zu erwähnen ist weiterhin die extreme sexuelle Gewalt, deren Opfer unter allen Bevölkerungsgruppen zu finden sind. 3. Strafverfolgungsmaßnahmen des Sudan und Art. 17 IStGH-Statut Bereits im Mai 2005 setzte der sudanesische Präsident die National Commission of Inquiry ein. Diese hatte die Aufgabe, Vorarbeiten für die nationale Strafverfolgung zu leisten. Unterstützt wurde diese Kommission durch das Judicial Investigations Committee im Januar 2005, das Special Prosecution for Crimes against Humanity Office im September 2005 und im Januar 2006 durch drei Special Prosecution Commissions für die Staaten Darfurs. Die Arbeit dieser ad-hoc-Institutionen soll im Rahmen der Special Criminal Courts on the Events in Darfur (SCCED) verwertet werden. Der erste dieser ebenfalls drei Gerichtshöfe wurde vom Präsidenten des Obersten Ge239
10. Kapitel III. 4. ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Rn. 128–137; Barboza, RdC 278, S. 159; Cassese, International Criminal Law, S. 52; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, III 1 (S. 1066–1068); Graditzky, S. 29 (S. 57); Bothe, War Crimes, in: Cassese/Gaeta/Jones, S. 379 (S. 417); König, S. 345–353; Condorelli, War Crimes and Internal Conflicts in the Statute of the International Criminal Tribunal, in Politi/ Nesi, ICC, S. 107 (S. 109); Momtaz, Yearbook of International Humanitarian Law 2 (1999), S. 177 (S. 179–182); Kreß, IsraelYBHR 30 (2000), S. 103 (S. 105–109); Green, GYIL 45 (2002), S. 82 (S. 95, 98 ff.); Robinson/Hebel, Yearbook of International Humanitarian Law 2 (1999), S. 193 ff.; Schabas, Fordham International Law Journal 26 (2002/03), S. 907 ff. 241 Zur Einteilung siehe nur Ipsen/Ipsen, Völkerrecht, § 63 Rn. 8; Schabas, Introduction to the ICC, S. 53. 240
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richtshofs im Juni 2005 (einen Tag nach Bekanntgabe der Ermittlungen durch das OTP242) durch Dekret gegründet,243 im November 2005 folgte die Gründung der anderen zwei.244 Diese drei Gerichtshöfe bilden heute einen einheitlichen SCCED mit Sitz an drei Standorten. In Teil II der Statuten wurde die Jurisdiktion festgelegt. Demnach ist der Gerichtshof u. a. für die Strafverfolgung zuständig, wenn die Handlungen Verbrechen unter nationalem Recht oder humanitärem Völkerrecht darstellen (lit. a).245 Schon das Vorhandensein des Gerichtshofs wirft das Problem der Komplementarität mit dem IStGH auf.246 Art. 17 des Statuts enthält das grundlegende Prinzip des Strafgerichtshofs.247 Demnach kann auf internationaler Ebene Strafverfolgung nur stattfinden, wenn ein zur Strafverfolgung berechtigter Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Ermittlungen oder ein Verfahren durchzuführen (Art. 17 Abs. 1 lit. a), wenn der Staat sich gegen Ermittlungen bzw. ein Verfahren entschieden hat (lit. b), wenn die Person bereits gerichtlich belangt wurde (lit. c) oder wenn die Straftat nicht die genügende Schwere für den IStGH aufweist (lit. d).248 Diesen Gesichtspunkt hatte auch die Vorverfahrenskammer in der Entscheidung über den Antrag von Februar 2007 zu berücksichtigen.249 Die Möglichkeit, Kriegsverbrechen vor dem SCCED zu verfolgen, scheint dabei auf den ersten Blick für eine Sperre nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) und b) zu sprechen. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch zahlreiche rechtliche und tatsächliche Probleme.
242 Der sudanesische Justizminister Yassin erklärte, dass dadurch eine Strafverfolgung durch den IStGH überflüssig gemacht werden sollte, Sinha, IndianJIL 45 (2005), S. 389 (S. 397). 243 Decree establishing the Special Criminal Court on the Events in Darfur vom 7. Juni 2005. Das Dekret ist als Anhang zu UN Doc. S/2005/403 abgedruckt. 244 Erhältlich unter http://www.sudanjudiciary.org/newse/news.php?id=8. Die Statuten sind inhaltsgleich. 245 Das Statut des ersten Gerichtshofs, mit Sitz in al-Fascher, wurde im November 2005 dahingehend geändert, dass auch Verletzungen des humanitären Völkerrechts in dessen Zuständigkeit fallen, während diese Vorschrift in den Statuten der anderen Gerichtshöfe von Anfang an enthalten ist. Das Änderungsdekret ist ebenfalls unter http://www.sudanjudiciary.org/newse/news.php?id=8 erhältlich. 246 Innerhalb der AU wird nunmehr diskutiert, einen hybriden Gerichtshof für Darfur zu schaffen, vgl. http://blogs.aljazeera.net/africa/2009/10/31/special-courtdarfur-crimes, besucht am 28. Februar 2010. 247 Triffterer/Williams/Schabas, ICC-Statute, Art. 17 Rn. 1. 248 Holmes, Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/ Gaeta/Jones, S. 667 ff.; Cárdenas, S. 57 ff. 249 Vgl. Art. 19 Abs. 6 IStGH-Statut.
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4. Rechtliche Würdigung der sudanesischen Maßnahmen a) Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts Bis zur Ergänzung des ersten Statuts und zur Gründung des zweiten und dritten Gerichtshofs war es nur möglich, nach sudanesischem Strafrecht zu urteilen. Der IStGH soll nach Präambel Abs. IV seines Statuts jedoch nur die schwersten Verbrechen aburteilen. Deren Täter sind meistens nicht diejenigen, die die Tat eigenhändig begehen, sondern die, die an der Spitze einer Hierarchie stehen. Für diese Fälle existiert das Rechtsinstitut der superior responsibility, das sowohl in Art. 28 IStGH-Statut als auch im Gewohnheitsrecht verankert ist.250 Dieses gilt jedoch nur für die völkerstrafrechtlichen Tatbestände. Auf sudanesisches Strafrecht kann es nicht ausgeweitet werden. Somit bestand keine Möglichkeit, militärische oder zivile Vorgesetzte für die Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Dieses Problem stellt sich nach der Ergänzung der Gerichtsbarkeit des SCCED nicht mehr. b) Der Besondere Teil des Völkerstrafrechts Die Statuten des SCCED sehen keine Strafbarkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und für Völkermord vor. Beide sind auch nach sudanesischem Strafrecht (noch) nicht strafbar.251 Solange die Gesetzesentwürfe nicht verabschiedet wurden, kann ein Verfahren vor dem SCCED kein Verfahren vor dem IStGH ausschließen. c) Würdigung der Tatsachen Die Gerichtsbarkeit des IStGH wird nur ausgeschlossen, wenn die innerstaatliche Strafverfolgung dieselbe Person aufgrund desselben Verhaltens verfolgt, wie der IStGH.252 Auch ohne Bezug zu konkreten Personen können generelle Aussagen über den SCCED und dessen Relevanz für den Gerichtshof getroffen werden. Der Ankläger hat in seinen Berichten an den Sicherheitsrat immer wieder betont, dass die vor dem SCCED verhandelten Fälle seine Strafverfolgung nicht un250
Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 666. Entsprechende Gesetzesentwürfe sind auf dem Weg. Der Verfasser dankt Herrn Mitglied des Parlaments Salih Mahmoud Osman für diesen Hinweis. 252 The Prosecutor against Mr. Thomas Lubanga Dyilo, Decision concerning PreTrial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr. Thomas Lubanga Dyilo, Pre-Trial Chamber I vom 24. Februar 2006, Rn. 31. 251
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zulässig machen.253 Begründet wird dies damit, dass die Fälle vor dem SCCED – wenn es denn zur Verhandlung kommt – meistens reguläre Verbrechen beinhalten, die nur am Rande mit dem Konflikt zu tun haben.254 Bisher wurden vor den Tribunalen weniger als 30 Anklagen verhandelt, dabei waren 18 Angeklagte rangniedrige Mitglieder staatlicher Truppen.255 Diese Fälle beinhalteten einzelne Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Gesamtkontext des Konflikts wird in den Verfahren nicht deutlich. Die verhandelten Verbrechen sind von kleinem Ausmaß. Die CasseseKommission hat bereits Anfang 2005 51 Verdächtige identifiziert und deren Namen in einem versiegelten Umschlag an den VN-Generalsekretär übergeben.256 Während vor dem SCCED noch im Juni 2006 keine Fälle völkerstrafrechtlicher Tatbestände vorlagen,257 gab es inzwischen 14 Festnahmen wegen Kriegsverbrechen, darunter die von Ali Kushayb.258 Auch die Identifizierungen durch die Darfur-Kommission zeigen, dass es weit mehr als ein Dutzend Täter geben muss. Im Antrag des Anklägers wird dargelegt, wie wenig die sudanesischen Behörden selbst über die Verfahren wissen. So scheint weder klar zu sein, wie viele Personen angeklagt bzw. verurteilt wurden noch wer diese Personen sind.259 Neben dem SCCED bestehen die Specialized Courts weiter. Diese hatten ähnliche Aufgaben wie der SCCED und haben ihre Verfahren nach der Einsetzung des Special Courts an diesen übertragen.260 Sie bleiben aber weiterhin zuständig. Das Verhältnis zwischen SCCED und Specialized Courts ist nicht geklärt.261 Gegen Harun läuft kein Verfahren vor dem SCCED. Offenbar laufen auch keinerlei andere Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn.262 Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde von al-Bashir mit der Begründung gestoppt, dass Harun unschuldig sei.263 Das Verfahren gegen Ali Kushayb be253 Insb. Erster Bericht, S. 4; Zweiter Bericht, S. 5 f.; Dritter Bericht, S. 3 ff.; Vierter Bericht, S. 6 f. 254 Human Rights Watch, Lack of Conviction – The Special Criminal Court on the Events in Darfur, unter http://www.humanrightswatch.org, S. 10 ff. Vgl. auch Dritter Bericht des OTP an den Sicherheitsrat, S. 5; Vierter Bericht des OTP an den Sicherheitsrat, S. 6 f.; Sinha, IndianJIL 45 (2005), S. 389 (S. 397). 255 Vierter Bericht des OTP, S. 6. 256 ICID-Report, Rn. 643–646. 257 Dritter Bericht des OTP, S. 5. 258 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 276. 259 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 253 ff. 260 Human Rights Watch, Lack of Conviction, S. 7. 261 Human Rights Watch, Lack of Conviction, S. 7. 262 Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 264. 263 Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 267.
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inhaltet jedoch nicht das gesamte tatsächliche Geschehen, das der Ankläger ihm vorwirft und auch nicht alle in Frage kommenden Tatbestände. So fehlen u. a. die Punkte Vergewaltigung und Folter.264 Inzwischen ist Ali Kushayb wieder aus sudanesischer Haft entlassen worden, mit der Begründung, es lägen keine Beweise gegen ihn vor.265 Nach der noch jungen Rechtsprechung des IStGH mangelt es bei der staatlichen Strafverfolgung, die internationale Strafverfolgungsmaßnahmen ausschließen würde, somit an den entscheidenden Punkten. 5. Ergebnis Allein die geringe Anzahl der Verfahren im Verhältnis zu den geschätzten Zahlen von Opfern und Mitgliedern der Konfliktparteien lässt den Schluss zu, dass die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht in der Lage oder willens sind, die Verbrechen aufzuklären und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Auch das Fehlen der Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vor dem SCCED zeigt die Halbherzigkeit der sudanesischen Strafverfolgungsbehörden. Gegen Harun laufen keine Strafverfolgungsmaßnahmen, Zuständigkeitskonflikte entstehen hier somit nicht. Ali Kushaybs Strafverfolgung ist inzwischen beendet worden. Sie hätte aller Voraussicht nach die vom Statut erforderliche Ernsthaftigkeitsschwelle auch nicht überschritten. Auch in diesem Fall wird der IStGH seine Gerichtsbarkeit ausüben dürfen. Die Existenz des Sondergerichtshofs ist nicht geeignet, substantielle Bedenken nach Art. 17 IStGH-Statut zu begründen. Vielmehr ist dessen Einrichtung nur erfolgt, um die Strafverfolgung durch den IStGH auszuschließen.266 Somit ist der IStGH nicht aufgrund der Subsidiarität zur nationalen Strafverfolgung daran gehindert, Handlungen in Darfur strafrechtlich zu untersuchen und anzuklagen. Die Ausnahmegründe von Art. 17 Abs. 2 greifen ein.267 6. Das weitere Verfahren und Ausblick Das Verhalten der sudanesischen Behörden im Konflikt und gerade im Hinblick auf den Gerichtshof trübt die Hoffnungen auf eine effektive internationale strafgerichtliche Aufarbeitung. Vor allem das Erscheinen des Regierungsmitglieds Harun ist fraglich. 264 265 266 267
Haftbefehlsantrag 2007, Rn. 266. Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 340. So auch Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 331 ff. Dazu Cárdenas, S. 103 ff.
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Erscheinen Harun und Ali Kushayb doch in Den Haag, so wird die Vorverfahrenskammer die Anklage gemäß Art. 61 überprüfen und wohl auch zulassen. Ein Verfahren vor dem IStGH wird nicht an Art. 17 des Statuts scheitern. Wenn sie nicht in Den Haag erscheinen, sieht Art. 61 Abs. 2 IStGH-Statut die Möglichkeit vor, Anklagen auch ohne Beisein des Beschuldigten zu „bestätigen“. Nach Regel 123 Abs. 3 der Beweis- und Verfahrensregeln soll vorher jedoch ein Haftbefehl erlassen und alles versucht werden, um eine solche Verhandlung ohne den Angeklagten zu vermeiden.268 Der Sudan ist trotz seiner Weigerung zu einer Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet. Dies ergibt sich aus Abs. 2 der Resolution 1593. Weigert er sich weiterhin, so treffen ihn die Regelungen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit. Auch wenn die Entscheidung vom 27. April 2007 nicht voll befriedigt, darf davon ausgegangen werden, dass sie einen ersten Erfolg im Fall Darfur und damit einen weiteren Entwicklungsschritt im Völkerstrafrecht darstellt.
III. Der Haftbefehl gegen Omar al-Bashir 1. Der Antrag des Anklägers Die Hauptverantwortung für den anhaltenden Konflikt in Darfur wird gemeinhin dem Präsidenten des Sudan, Omar al Bashir, zugeschrieben. Getreu der Aufgabe des Gerichtshofs, die schwersten Verletzungen des Völkerstrafrechts nicht ungestraft zu lassen, beantragte der Chefankläger im Sommer 2008 einen Haftbefehl gegen al-Bashir.269 Die Vorverfahrenskammer war mit den beigelegten Beweisen nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen und forderte den Ankläger mehrmals auf, weitere Beweismittel vorzulegen.270 Diesen Aufforderungen kam das OTP nach.271 Der Haftbefehls268
Friman, Investigation and Prosecution, in: R. Lee, RPE, S. 493 (S. 527). Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-151-US-Exp vom 14. Juli 2008; ICC-02/05-151-US-Exp-Anxsl-89; Corrigendum ICC-02/05-151-USExp-Corr; Corrigendum ICC-02/05-151-US-Exp-Corr-Anxsl & 2; Public redacted version of Prosecutor’s Application under Article 58 ICC-02/05-157; ICC02/05-157-AnxA vom 12. September 2008, im Folgenden Haftbefehlsantrag 2008. 270 Decision Requesting Additional Supporting Materials in relation to the Prosecution’s Request for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Al Bashir, CC-02/05-160 und ICC-02/05-160-Conf-Exp-Anxl., beide vom 15. Oktober 2008; Decision Requesting Additional Information from the Prosecution and the Registry, ICC-02/05-184-Conf-Exp., vom 5. Februar 2009. 271 Prosecution’s Submission of Further Information in Compliance with „Decision Requesting Additional Supporting Materials in relation to the Prosecution’s Request 269
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antrag wurde vor allem in Afrika kritisiert.272 Befürchtet wurde, u. a. von dem ehemaligen Präsidenten Algeriens Ben Bella, dass der IStGH als Mittel genutzt werde, um missliebige Staatschefs aus ihren Ämtern zu drängen. Der Ankläger wirft al-Bashir in zehn Anklagepunkten vor, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen zu haben. Bereits kurz nach Beginn der Rebellion im Jahre 2003 habe alBashir beschlossen, die Fur, Massalit und Zaghawa aufgrund ihrer anderen ethnischen Zugehörigkeit auszulöschen.273 Eine eigenhändige Begehung der Taten wird ausdrücklich ausgeschlossen. Al-Bashir nutze als Präsident den gesamten sudanesischen Staatsapparat. Als Präsident sei er Oberbefehlshaber der sudanesischen Streitkräfte, ernenne die Gouverneure der Bundesstaaten und diese unterstünden ihm. Er habe absolute Kontrolle über den Staatsapparat, die Medien und Finanzen.274 Damit habe er die Taten nach Art. 25 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut begangen. Bahnbrechend ist der Antrag vor allem aufgrund der Tatsache, dass mit al-Bashir das erste Mal in der Geschichte ein amtierendes Staatsoberhaupt angeklagt wird. Zwar regelt der Art. 27 IStGH-Statut, dass Immunität von Strafverfolgungsmaßnahmen nicht aufgrund der amtlichen Eigenschaft eines Verdächtigen besteht, in der Völkerrechtspraxis und -wissenschaft ist dies aber seit Langem ein Diskussionspunkt. Eine Betrachtung der Praxis der letzten Jahre hilft nicht, da die Verfolgung eines amtierenden Staatspräsidenten bislang nicht vorgekommen ist. Gerade im Hinblick auf die vertragsrechtliche Natur des Art. 27 IStGH-Statut und den Sudan als Nichtvertragspartei des Statuts bedarf dieser Punkt noch der Klärung. Weniger Probleme bereitet die Frage nach der Komplementarität, Art. 17 IStGH-Statut. Im Gegenteil, al-Bashir nutzt seine Stellung, um seinen Gefolgsleuten Straffreiheit zu garantieren.275 for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Al Bashir“ dated 15 October 2008, ICC-03/05-161 und ICC-02/05-161-Conf-AnxsA-J, beide vom 17. November 2008; Provision of Information Pursuant to PTC I Request Made During Hearing on 3 February 2009, ICC-02/05-183-US-Exp and ICC-02/05-183-Conf-Exp-AnxsA-E, vom 4. Februar 2009; Prosecution’s Additional Submissions Pursuant to Undertaking made during the Hearing on 3 February 2009, ICC-02/05-186-US-Exp., vom 6. Februar 2009; Prosecution’s Submission of Information Pursuant to Decision of PTC I of 4 February 2009, ICC-02/05-188-US-Exp., vom 13. Februar 2009. Auch die Kanzlei hat weitere Informationen vorgelegt, Additional information from the Registry pursuant to the „Decision Requesting Additional Information from the Prosecution and the Registry“ dated 4 February 2009, ICC-02/05-190-US-Exp., vom 16. Februar 2009. 272 A. Weber/Tull, Der Internationale Strafgerichtshof und Darfur: Wie hinderlich ist Gerechtigkeit?, S. 2; Der Spiegel 30/2008, S. 99; NZZ vom 5. März 2009, S. 3. 273 Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 12. 274 Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 39 ff. 275 Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 329 ff.
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Der Ankläger hielt die Ausstellung eines Haftbefehls für erforderlich. AlBashir habe jahrelang die Gerichtsbarkeit des IStGH angezweifelt. Bei jeder Gelegenheit habe er es ausgeschlossen, jemals einen Sudanesen an den IStGH auszuliefern. Das OTP zog daraus zu Recht den einzig möglichen Schluss, nämlich dass er nicht freiwillig nach Den Haag kommen wird.276 2. Die Entscheidung der Vorverfahrenskammer I Anfang März 2009 verkündete die Vorverfahrenskammer I, begleitet von außergewöhnlichem Medieninteresse,277 ihre Entscheidung: Sie erließ den ersten internationalen Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt.278 Zu Beginn ihrer Begründung versichert sich die Kammer aufgrund der Vertraulichkeit des Verfahrens von Amts wegen279, dass der Fall zulässig ist, Art. 17, 19 IStGH-Statut. Sie beschränkt sich bei der Prüfung zu Recht darauf, dass keine sudanesischen Maßnahmen ersichtlich seien, die das Verhalten al-Bashirs untersuchen.280 Aus diesem Grund sei auch der Erlass eines Haftbefehls erforderlich. Es könne aufgrund der bekannten Gegnerschaft der Zentralregierung gegenüber dem IStGH nicht davon ausgegangen werden, dass al-Bashir sich freiwillig stellen werde.281 Die fehlende Kooperation der Regierung al-Bashir im Fall von Ali Kushayb und Harun sei dabei das stärkste Indiz. Dass Harun bis heute Minister für humanitäre Angelegenheiten sei, zeige, wie verwickelt al-Bashir in den Konflikt sei und wie unkooperativ er gegenüber der Staatengemeinschaft sei. Die Kammer schließt sich der Auffassung des OTP an, dass er zu zahlreichen Gelegenheiten verkündet habe, niemals einen Sudanesen an den IStGH auszuliefern bzw. zu überstellen.282 Da er noch immer absolute Kontrolle über den Staatsapparat habe, sei die Gefahr groß, dass er Beweise vernichten oder Zeugen beeinflussen bzw. bedrohen werde. 276
Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 407 ff. Anders als über die vorherigen wurde über diesen Haftbefehl als Aufmacher auf den Titelseiten der Ausgaben vom 5. März 2009 berichtet, so von der FAZ, SZ, NZZ und TAZ. 278 Warrant of Arrest for Omar Hassan Al Bashir, ICC-02/05-01/09-1, vom 4. März 2009. 279 Judgement on the Prosecutor’s Appeal against the decision of Pre-Trial-Chamber I entitled „Decision on the Prosecutor’s Application for Warrants of Arrest“, Article 58, ICC-01/04-169; vom 13. Juli 2006. 280 Entscheidung 2009, Rn. 46 ff. 281 Entscheidung 2009, Rn. 224 ff. 282 Entscheidung 2009, Rn. 231, mit zahlreichen Nachweisen aus der internationalen Presse. 277
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Erstaunlich kurz streift sie die Frage nach der Immunität.283 Ihr reichen die Verweise auf die Präambel, den Art. 27 IStGH-Statut und die Hierarchie nach Art. 21 IStGH-Statut, wonach nur dann auf die gewohnheitsrechtlichen Immunitätsregeln zurückgegriffen werde, wenn im Statut keine Regelung getroffen wurde, und auf die Entscheidung des Sicherheitsrates, Strafverfolgungen nach dem Statut einzuleiten. Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass ein hinreichender Verdacht bezüglich der Kriegsverbrechen284 und der Verbrechen gegen die Menschheit285 besteht. Sie folgt dem Antrag des Anklägers nicht, soweit dieser dem Präsidenten Völkermord vorwirft. Die Kammer verweist vor allem darauf, dass der Ankläger nach seinen eigenen Worten keine direkten Beweise für die Begehung von Völkermord hat. Allein die Fakten implizierten eine solche Begehung.286 Zwar untersucht sie die vorgetragenen Tatsachen, vor allem öffentliche Dokumente, Reden etc. sowie das Ausmaß der Gewalt.287 Diese würden jedoch allein nicht darauf schließen lassen, dass al-Bashir Völkermord begangen habe. Vielmehr seien auch andere Schlüsse möglich. So könne die mangelhafte Versorgung der Vertriebenenlager auch mit der Bürgerkriegslage in Darfur begründet werden. Die angebliche Strategie der Zentralregierung, den Konflikt zu verharmlosen oder zu leugnen, könne auch mit der Angst vor Strafverfolgung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschheit erklärt werden. Der erforderliche mens rea, d.h. der besondere Vorsatz des Völkermordes, könne nicht nachgewiesen werden.288 Auch der einfache Vorsatz hilft nicht weiter. Denn wenn ein Verbrechensvorsatz bestünde, so könne er sich auch auf andere Verbrechen beziehen. Richterin Usacka lässt dagegen in ihrer abweichenden Meinung die vorgelegten Beweise ausreichen.289 Die Berufungskammer hat im Februar 2010 auf einen Antrag des Anklägers hin eine neue Prüfung des Haftbefehlsantrags durch die Vorverfahrenskammer verlangt. Begründet wurde dies mit einer falschen Rechtsanwendung durch die Vorverfahrenskammer.290 Soweit diese verlangt hat, dass die vorgelegten Beweise ausschließlich auf die Begehung von Völkermord 283
Entscheidung 2009, Rn. 41 ff. Entscheidung 2009, Rn. 55 ff. 285 Entscheidung 2009, Rn. 79 ff. 286 Haftbefehlsantrag 2008, Rn. 371 ff. 287 Entscheidung 2009, Rn. 166 ff. 288 Vgl. Fletcher/Ohlin, JICJ 3 (2005), S. 539 (S. 553). 289 Zu den Einzelheiten s. den Anhang von Entscheidung 2009. Ebenso kritisch Burghardt/Geneuss, ZIS 2009, S. 126 (S. 131 ff.). 290 Judgement on the Appeal of the Prosecutor against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad al Bashir“, ICC-02/05-01/09-73 vom 3. Februar 2010, Rn. 29 ff. 284
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deuten, habe die Kammer nämlich verkannt, dass in dieser frühen Phase des Verfahrens die Überzeugung des Gerichts nicht erforderlich sei.291 Nunmehr liegt es an der Vorverfahrenskammer, erneut über den Haftbefehlsantrag zu entscheiden.292 Die Vorverfahrenskammer schließt ihre Haftbefehlsentscheidung mit einem Verweis auf die Pflicht des Sudan, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten.293 Diese Pflicht ergebe sich aus der Resolution 1593, zu deren Umsetzung der Sudan gemäß Art. 24, 25, 103 VNCh verpflichtet sei und die ihm die volle „Unterstützung“ des Gerichtshofs auferlege. 3. Würdigung und Ausblick Der Antrag des OTP sowie die Entscheidung der Kammer sind im Ergebnis rechtlich haltbar. Die Entscheidung, die Beweise für den Völkermordverdacht nicht ausreichen zu lassen, dürfte im Hinblick auf die generell bekannten und vom Gericht angeführten Beweisschwierigkeiten effektiv und prozessökonomisch motiviert gewesen sein. Inwieweit eine erneute Überprüfung durch die Vorverfahrenskammer den Haftbefehl auch auf den Tatbestand des Völkermordes erstreckt, bleibt abzuwarten. Auch die Frage nach der Komplementarität, Art. 17 IStGH-Statut, ist im Fall al-Bashir eindeutiger zu beantworten als bei Harun und Ali Kushayb. Sowohl der Ankläger als auch die Kammer führen die erheblichen Tatsachen auf. Der Verweis auf die Zusammenarbeitspflicht des Sudan mit dem IStGH stützt das oben gefundene Ergebnis, dass der Sudan den gleichen Verpflichtungen unterliegt wie eine Vertragspartei.294 a) Die Staatenimmunität Einzig die Ausführungen zur Immunität al-Bashirs sind problematisch. Inbesondere macht es sich die Vorverfahrenskammer zu einfach, indem sie auf Art. 27 IStGH-Statut und die Resolution 1593 verweist.295 Grundlegen291
Judgement on the Appeal of the Prosecutor against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad al Bashir“, ICC-02/05-01/09-73 vom 3. Februar 2010, Rn. 39. 292 Judgement on the Appeal of the Prosecutor against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad al Bashir“, ICC-02/05-01/09-73 vom 3. Februar 2010, Rn. 42. 293 Entscheidung 2009 Rn. 240 ff. 294 8. Kapitel I., II., 11. Kapitel I. 6., IV. 295 So auch Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 160).
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des Problem der Untersuchung des Darfur-Konflikts durch den IStGH ist die fehlende Zustimmung des Sudan. Als Nichtvertragspartei ist er nicht an die Regelungen des Statuts gebunden.296 Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ist nur aufgrund der Resolution 1593 eröffnet. Diese ersetzt den sonst im Völkerrecht erforderlichen Konsens eines Staates. Allein aus der Resolution leitet der IStGH seine Kompetenzen für den Darfur-Konflikt ab. Fraglich ist, ob der Gerichtshof im Fall al-Bashir seine Kompetenzen ausüben darf oder ob die Immunität amtierender Staatsoberhäupter die Strafverfolgung ausschließt. Denn diesen kommt die Staatenimmunität zugute. Gewohnheitsrechtlich ist anerkannt, dass ein Staat über einen anderen Staat nicht richten darf (par in parem non habet iurisdictionem non habet imperium). Eine Inanspruchnahme von Personen, die für den Staat handeln, würde eine mittelbare Beeinträchtigung der Souveränität der Staaten darstellen.297 Vertreten wird, dass sich die Staatenimmunität nicht auf das Völkerstrafrecht beziehen soll.298 Strafverfolgungsmaßnahmen gegen al-Bashir stünde die Staatenimmunität somit nicht entgegen.299 b) Die Immunität von amtierenden Staatsoberhäuptern Allerdings besteht neben der Staatenimmunität eine gewohnheitsrechtliche Immunität für amtierende Staatsoberhäupter.300 Umfasst wird jedes Verhalten dieser Personen. Hintergrund ist, dass jedes Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren, gleichgültig ob es das Staatsoberhaupt als Amtsträger oder als Privatperson betrifft, geeignet ist, dessen Amtsführung zu beeinträchti296
Vgl. 1. Kapitel V. BGH NJW 1979, S. 1101 (S. 1102); Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 158); Morris, High Crimes and Misconceptions: The ICC and Non-Party States, in: Shelton, S. 219 (S. 279). 298 Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 158 f.) m.w.N. 299 Vgl. auch Akande, JICJ 1 (2003), S. 618 (S. 634 ff). 300 Aus der Judikatur House of Lords, 1. Pinochet-Urteil vom 25. November 1998, HRLJ 1998, S. 436 ff.; House of Lords, 3. Pinochet-Urteil vom 24. März 1999, HRLJ 1999, S. 61 ff.; ILR 125, S. 490 ff.; OLG Köln, NStZ 2000, S. 667 ff. Aus der Literatur vgl. nur Cassese, International Criminal Law, S. 303 ff.; ders., EJIL 13 (2002), S. 853 (S. 862); Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 106; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1, S. 264 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 607, 614; Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 159); T. Stein, Limits of International Law Immunities for Senior State Officials in Criminal Procedure, in: Tomuschat/Thouvenin, S. 249 (S. 249 f.). Vgl. auch IGH, Case concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, ICJ Reports 2002, S. 3 ff.; ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaskic, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Case-Nr. IT95-14-AR108bis, Urteil vom 29. Oktober 1997. 297
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gen und somit ebenfalls mittelbar den Staat betreffen würde. Diese Immunität betrifft somit prozessuale Aspekte.301 Fraglich ist aber, ob ein Ausschluss dieser Immunität für völkerrechtliche Straftaten aufgrund der Staatenpraxis angenommen werden kann.302 Aufgrund des pacta-tertiis-Grundsatzes kann keine vertragsrechtliche Ausnahme für al-Bashir gemacht werden. Der Sudan hat das IStGH-Statut bislang nicht ratifiziert. Ein vertraglich erklärter Ausschluss kann somit nicht vorliegen.303 Art. 18 WVK hilft über die fehlende Ratifikation nicht hinweg. Denn dort ist lediglich bestimmt, dass ein Staat alles zu unterlassen hat, was den Vertragszweck gefährden könnte. Er ist nicht verpflichtet, den Vertrag voll zu erfüllen. Eine aktive Pflicht, auf seine Immunitäten zu verzichten, kann weder dem Sudan noch seinen Organen aus Art. 18 WVK auferlegt werden. Allerdings ist eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom Grundsatz der Immunität amtierender Staatsoberhäupter wegen der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen gegeben. Die Rechtsprechung internationaler Gerichte zeugt von dieser Ausnahme. Grundlegend dazu erkannte bereits der IGH im Arrest-Warrant-Fall an, dass die Immunität amtierender Außenminister bei der Strafverfolgung wegen völkerrechtlicher Verbrechen vor besonderen internationalen Gerichten keine Geltung beanspruchen könne.304 Begründet wird dies mit der Rechtsprechung internationaler Strafgerichtshöfe. So hatte sich der ICTY im Fall Milosˇevic´ mit der gewohnheitsrechtlichen Ausnahme befasst.305 Milosˇevic´ wurde während seiner Amtszeit als serbischer Präsident im Mai 1999 vom ICTY angeklagt.306 Sein Einwand, immun zu sein, wurde aufgrund von Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut nicht gehört. Die Hauptverfahrenskammer berief sich dabei auf den klaren Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 ICTY-Statut, wonach die Eigenschaft als staatlicher Funktionsträger keine Immunität begründe. Die Kammer argumentierte ebenfalls mit der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewohnheitsrechtlichen Geltung eben dieses Grundsatzes.307 301
Cassese, International Criminal Law, S. 304. s. nur IGH, Case concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, ICJ Reports 2002, S. 3 (S. 25 f.); Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 160) m.w.N. 303 So auch Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 160 f.). 304 Case concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, ICJ Reports 2002, S. 3, Rn. 61. 305 ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Slobodan Milosevic, Decision on Preliminary Motions, Case No. IT-02-54, Beschluss vom 8. November 2001, Rn. 28. 306 ICTY Pre-Trial-Chamber, Prosecutor ./. Slobodan Milosevic et al., Indictment, Case No. IT-99-37, vom 22. Mai 1999. 302
12. Kap.: Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
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Ebenso lehnte es der Special Court for Sierra Leone ab, einen Antrag auf Ausstellung eines Haftbefehls gegen Charles Taylor, den zum Entscheidungszeitpunkt amtierenden Präsidenten Liberias, aufgrund der Immunität abzuweisen. Die Berufungskammer, die über diese Frage zu entscheiden hatte, berief sich vor allem auf den Arrest-Warrant-Fall des IGH. Sie kam zu dem Schluss, dass die Immunität nicht für Verfahren vor internationalen Strafgerichtshöfen gelte.308 Zwar wurde der Sondergerichtshof durch Vertrag gegründet, er sei aber als „besonderer internationaler Gerichtshof“ i. S. d. Rechtsprechung des IGH zu klassifizieren. Dem IGH sei es in seiner Entscheidung nämlich darum gegangen, den par-in-parem-Grundsatz auch in internationalen strafgerichtlichen Verfahren sicherzustellen. Dies sei insb. bei einem durch den Sicherheitsrat errichteten Gerichtshof der Fall, denn dazu habe der Sicherheitsrat ja die Kompetenz.309 Der Rechtsprechung ist zu folgen. Grundlage der Immunität ist die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung. Bei der Begehung völkerrechtlicher Verbrechen wie Völkermord oder Kriegsverbrechen ist ein Staatsoberhaupt aber nicht schutzbedürftig. Der par-in-parem-Grundsatz wird direkt nicht betroffen, denn es handelt sich um eine strafrechtliche Bewertung des Verhaltens Einzelner. Ob aber über solche Taten, die die Staatengemeinschaft als „Bedrohung für die Sicherheit und das Wohl der Welt“ (Erwägungsgrund 3 der Präambel IStGH-Statut) ansieht, ein international besetztes Gericht aufgrund seiner breiteren Legitimation besser urteilen kann als ein nationales Gericht, ist fraglich. Das rechtspolitische Argument, dass internationale Strafverfolgung weniger anfällig für politische Einflussnahme ist als nationale, mag richtig sein. Für die Beurteilung der gewohnheitsrechtlichen Geltung muss dieses Argument jedoch außen vor bleiben. Selbst wenn jedoch die gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität abgelehnt wird, kommt eine Immunität al-Bashirs aus einem anderen Grund nicht in Betracht.310 Die Berufungskammer des SCSL erkennt zwar richtig, dass internationale Tribunale eine gegenüber nationalen Gerichten herausgehobene Stellung haben. Insoweit versteht sie die Entscheidung des IGH richtig. Diese Besonderheit liegt jedoch nicht in dem rechtspolitischen Aspekt, dass internationale Strafverfolgung weniger anfällig für politische 307 ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Slobodan Milosevic, Decision on Preliminary Motions, Case No. IT-02-54, Beschluss vom 8. November 2001, Rn. 28. 308 SCSL Appeals Chamber, Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Decision in Immunity from Jurisdiction, SCSL-2003-01-I-059, Rn. 34 ff., Beschluss vom 31. Mai 2004, Rn. 34 ff.; so wohl auch T. Stein, Limits of International Law Immunities for Senior State Officials in Criminal Procedure, in: Tomuschat/Thouvenin, S. 249 (S. 251 ff.). 309 Vgl. 9. Kapitel I. 310 Im Ergebnis so auch Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 162).
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Einflussnahme sei als nationale. Vielmehr betont der IGH ausdrücklich, dass die ad-hoc-Tribunale Maßnahmen nach Kapitel VII VNCh sind.311 Das ist der Grund für den wirksamen und zulässigen Ausschluss der Immunität.312 Der Sicherheitsrat kann den Staaten verbindlich Handlungen vorschreiben, Art. 24, 25, 103 VNCh. Zu den Adressaten gehört auch der Sudan. Durch seine Resolution 1593 hat der Sicherheitsrat die Immunitäten etwaiger Beschuldigter für unbeachtlich erklärt. Amtliche Funktionen sollen nach dem Willen des Sicherheitsrates unbeachtlich sein. Dies geht zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut hervor, die Resolution ist allerdings nur so zu verstehen. Zum einen ist der Sicherheitsrat, wenn er den IStGH nutzen möchte, gehalten, das gesamte Statut zu akzeptieren. Eine teleologische Auslegung der Resolution ergibt, dass der Sicherheitsrat sich möglichst eng an das Statut halten wollte. Dazu zählt auch, dass er den Immunitätsausschluss aus Art. 27 IStGH-Statut akzeptiert. Hätte er diesem nicht zugestimmt, hätte er es deutlich zu erkennen geben müssen. Wie Kreicker richtig festgestellt hat, gilt dies umso mehr, als Resolution 1593 in Abs. 6 bestimmte Funktionsträger anderer Nichtvertragsstaaten ausdrücklich von der Gerichtsbarkeit des IStGH ausgenommen hat.313 Als Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass amtierende Funktionsträger des Sudan, namentlich al-Bashir, keine Immunität für völkerrechtliche Strafverfolgung vor dem IStGH genießen. c) Ausblick Omar al-Bashir steht auch Monate nach dem Erlass des Haftbefehls an der Spitze des Sudan. Stellenweise wurden jedoch Stimmen laut, die in dem Haftbefehl den „Anfang vom Ende al-Bashirs“ sehen. Seinen „Zenit an der Macht“ habe er damit überschritten.314 Für eine abschließende Beurteilung ist es jedoch noch zu früh. Insbesondere in den arabischen Staaten genießt er noch erheblichen Rückhalt.315 Auch bleiben die Parlamentswahlen im März 2010 abzuwarten. Ob innerhalb der sudanesischen Regierung schon um die Nachfolge gerungen wird, kann nicht beurteilt werden. Ruft man sich in Erinnerung, wie stark Milosˇevic´ und Karadzˇic´ in Serbien waren 311
Case concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Urteil vom 14. Februar 2002, ICJ Reports 2002, S. 3, Rn. 61. 312 So auch Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 161 f.), stellenweise mit einer anderen Begründung. 313 Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 163 f.). 314 So die NZZ vom 5. März 2009, S. 3, aus der beide Zitate stammen. 315 Sudans Präsident Bashir besucht Kairo, Spiegel Online, http://www.spiegel. de/politik/ausland/0,1518,615394,00.html, besucht am 25. März 2009.
12. Kap.: Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
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und welchen Rückhalt sie genossen, darf ein Sturz al-Bashirs noch während des Verfahrens vor dem IStGH nicht überraschen.316 Gerüchte sprechen bereits von seinem Gang ins Exil nach Saudi-Arabien.317 Angesichts der katastrophalen Lage im Sudan kann keine Aussage darüber getroffen werden, was dann passiert – vor allem nicht darüber, wie die Entwicklung im Darfur-Konflikt verlaufen wird.318 Zu erwähnen bleibt nur, dass das Verfahren gegen al-Bashir dann einfacher durchgeführt werden kann. Probleme mit der Immunität gibt es dann nicht mehr, da gewohnheitsrechtlich keine Ausnahme von der persönlichen Immunität besteht, sobald ein Funktionsträger sein Amt aufgibt. Sinn und Zweck der Immunität ist die Funktionsfähigkeit eines Staates, die dadurch gewährleistet werden soll, dass kein Druck auf amtierende Amtsträger ausgeübt wird.319
IV. Der dritte Fall Neben diesen beiden Fällen, in denen die Beschuldigten der Öffentlichkeit namentlich bekannt sind, verfolgt der Ankläger drei weitere Individuen wegen des Angriffs auf den Stützpunkt der AMIS in Haskanita, Nord-Darfur, am 29. September 2007.320 Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, ungefähr 1.000 Rebellen bei dem Angriff angeführt zu haben und damit für den Tod von zwölf AMIS-Mitgliedern und für schwere Verletzungen von acht weiteren AMIS-Mitgliedern verantwortlich zu sein. Daneben seien sie auch für die Plünderung des Militärstützpunktes verantwortlich, bei der u. a. ungefähr 17 Fahrzeuge gestohlen wurden.321 Der Ankläger subsumierte die Handlungen der drei Beschuldigten im Vorfeld und während des Angriffs als Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt nach 316 Ayman al-Zawahiri, Führungsmitglied von al Kaida, wirft al-Bashir sogar vor, dem amerikanischen Druck nachzugeben, Meldung von CNN, Al Queda No 2: Sudan’s president pandered to West, vom 24. März 2009, http://edition.cnn.com/ 2009/WORLD/africa/03/24/a.-zawahiri.message/index.html, besucht am 24. März 2009. 317 Die Zeit Nr. 10/2009 vom 26. Februar 2009, S. 13. 318 A. Weber/Tull, Der Internationale Strafgerichtshof und Darfur: Wie hinderlich ist Gerechtigkeit?, S. 4. Kritisch auch Nguyen, Haftbefehl gegen Präsident Al Bashir – IStGH-Ankläger außer Kontrolle?, HRR-Strafrecht.de, August/September 2009, S. 368 ff. 319 Ausführlich zu dieser Immunität mit Nachweisen aus Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur Cassese, International Criminal Law, S. 305 ff.; Kreicker, HuV-I 2008, S. 157 (S. 160 ff). 320 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 4, 12 ff.
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5. Teil: Die Situation in Darfur (Sudan) vor dem Strafgerichtshof
Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut. Der Ankläger hält auch diesen Fall in Anbetracht von Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut für zulässig, da zum einen das Schwereerfordernis erfüllt sei und zum anderen keine nationalen Verfahren gegen die drei Beschuldigten anhängig seien.322 Während zwei der Beschuldigten noch unbekannt sind, ist der dritte, Bahr Idriss Abu Garda, öffentlich bekannt. Abu Garda, ein Zaghawa, soll als ehemaliges Führungsmitglied der JEM eine Fraktion der JEM führen, die unter JEM-Collective Leadership (JEM-CL) bekannt ist.323 Diese Gruppe soll – obwohl erst am 4. Oktober 2007 formell gegründet – den Angriff auf den Stützpunkt Haskanita ausgeführt haben.324 Der Ankläger hielt einen Haftbefehl für Abu Garda für erforderlich, da die Zentralregierung nicht mehr mit dem IStGH kooperiere und daher ohne Haftbefehl das Erscheinen Abu Gardas in Den Haag nicht gesichert sei.325 Allerdings hielt der Ankläger es für ausreichend, Vorladungen auszustellen, wenn sich die Beschuldigten freiwillig stellten.326 Nachdem der Ankläger Nachweise für Abu Gardas Kooperation vorlegte, sah sich die Kammer dazu berechtigt, in diesem Fall nur eine Vorladung auszustellen.327 Dieser Vorladung hat Abu Garda Mitte Mai 2009 Folge geleistet.328 321 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 4, 64 ff. 71. 322 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 173, 178. 323 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 12 ff. 324 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 14 ff. 325 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 164 ff. 326 Prosecutor’s Application under Article 58 filed on November 2008 now filed pursuant to the request of Pre-Trial-Chamber I of 7 May 2009, ICC. Doc. ICC02/05-02/09-16-Anx1 vom 20. Mai 2009, Rn. 170. 327 Decision on the Prosecutor’s Application under Article 58, Warrant of arrest for Bahr Idriss Abu Garda, ICC. Doc. ICC-02/05-02/09-15 vom 7. Mai 2009, Rn. 39 ff. 328 Pressemitteilung des IStGH, Bahr Idriss Abu Garda arrives at the premises of the Court, ICC-CPI-20090517-PR413 vom 17. Mai 2009; CNN, Accused Sudanese war criminal shows up at Hague for hearing, Meldung vom 18. Mai 2009, http://edition.cnn.com/2009/WORLD/africa/05/17/sudan.war.crimes/index.html, zuletzt besucht am 22. September 2009.
12. Kap.: Der Darfur-Fall vor dem Gerichtshof
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Die Kammer folgte in der strafrechtlichen Bewertung dem Antrag. Das Problem der Komplementarität streifte die Kammer nur kurz, da sie sich aufgrund fehlender entgegenstehender Tatsachen die Ansicht des Anklägers zu eigen machte.329 Im Oktober fanden confirmation of charges hearings nach Art. 61 IStGH-Statut statt.330 Die Kammer sah jedoch keine ausreichenden Beweise und verweigerte die Bestätigung, sodass das Verfahren gegen Abu Garda im Februar 2010 sein Ende fand.331 Ob sich die anderen beiden in diesem Fall Beschuldigten ebenfalls freiwillig stellen werden, kann nicht beurteilt werden. Festzuhalten bleibt, dass der Ankläger im Darfur-Konflikt sowohl gegen die Rebellen auf der einen Seite als auch gegen die Milizen und die Regierung auf der staatlichen Seite ermittelt.
329 Decision on the Prosecutor’s Application under Article 58, Warrant of arrest for Bahr Idriss Abu Garda, ICC. Doc. ICC-02/05-02/09-15 vom 7. Mai 2009, Rn. 4. 330 Pressemitteilung des IStGH, Abu Garda case: confirmation hearing will commence on 19 October 2009, ICC-CPI-20090914-MA44 vom 14. September 2009. 331 Decision on the Confirmation of Charges, ICC-02/05-02/09-243-Red vom 8. Februar 2010, Rn. 236, S. 97.
6. Teil
Zusammenfassung 13. Kapitel
Die Ergebnisse I. Das Verhältnis zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass eine effektive Zusammenarbeit der beiden Völkerrechtssubjekte IStGH und VN möglich ist. Der IStGH und die VN bestehen nebeneinander als unabhängige Völkerrechtssubjekte. Die Existenz des einen ist nicht von der des anderen abhängig. Bestimmt wird die Beziehung der beiden durch die beiden Gründungsverträge und das allgemeine Völkerrecht. Von herausragender Bedeutung für die Beurteilung des Verhältnisses ist der pacta-tertiis-Grundsatz. Daraus ergibt sich, dass eine Organisation weder an das Primär- noch an das Sekundärrecht der anderen Organisation gebunden ist. Es bedürfte dafür einer ausdrücklichen Regelung im Primärrecht der Organisation, die an das Recht der anderen gebunden werden soll. Dies gilt selbst im Falle einer Resolution des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der VNCh. Der IStGH und seine Organe sind daran nicht gebunden, solange das IStGH-Statut keine Bindung vorsieht. Dies ist gerade im Bereich des Völkerstrafrechts problematisch. Sowohl der IStGH als auch die VN, vor allem der Sicherheitsrat, wirken stark an der Entwicklung und Durchsetzung des Völkerstrafrechts mit. Vor allem im Bereich der Durchsetzung nimmt der Sicherheitsrat eine herausgehobene Stellung ein. Kraft der Befugnisse aus Kapitel VII kann auch gegen den Willen eines Staates Strafgewalt ausgeübt werden. Der Internationale Strafgerichtshof ist auf den Sicherheitsrat angewiesen, wenn er effektiv und weltweit tätig werden möchte. Die beiden unabhängigen Institutionen sind für jedes Verfahrensstadium in Beziehung zueinander zu setzen. Für den Bereich der Verfahrenseinleitung regelt Art. 13 lit. b) IStGH-Statut die Mitwirkung des Sicherheitsrates an der Strafverfolgung durch den
13. Kap.: Die Ergebnisse
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IStGH. Das Statut macht sich dabei zunutze, dass der Sicherheitsrat den erforderlichen Konsens eines Staates zu rechtsverbindlichen Maßnahmen des IStGH ersetzen kann. Die Rechtsgrundlage für die Strafverfolgung ist in diesen Fällen, in denen die Anknüpfungspunkte aus Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut nicht vorliegen, die Resolution des Sicherheitsrates. Um eine wirksame Rechtsgrundlage zu sein, muss die Resolution des Sicherheitsrates selbst völkerrechtmäßig sein, denn auch der Sicherheitsrat unterliegt rechtlichen Grenzen. Voraussetzung für sein Handeln ist, dass eins der drei Tatbestandsmerkmale aus Art. 39 VNCh erfüllt ist. Dann hat der Sicherheitsrat einen weiten Ermessensspielraum bezüglich seiner Handlungsoptionen. Rechtliche Grenzen ergeben sich aus der Souveränität der Mitgliedstaaten und der Natur der Kapitel-VII-Maßnahmen, aus dem ius cogens, sowie aus den Menschenrechten und den Regelungen des humanitären Völkerrechts. An die Regelungen des Statuts ist der Sicherheitsrat nur aufgrund einer Selbstverpflichtung gebunden. Dabei ergibt die Auslegung des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut anhand des Katalogs aus Art. 31 WVK und unter Zuhilfenahme der travaux préparatoires, dass die Stellung des Sicherheitsrates im laufenden Verfahren vor dem IStGH schwach ausgestaltet wurde. Mehr als eine „Initialzündung“ des Verfahrens sollte durch eine Sicherheitsratsresolution nicht erreicht werden. Eine Einflussnahme des Sicherheitsrates auf die Arbeit des Gerichtshofs sollte ausgeschlossen werden. Der zu überweisende Sachverhalt wurde daher im Laufe der Verhandlungen immer weiter gefasst. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut hat aber nicht nur die Funktion, Resolutionen des Sicherheitsrates im Regelungsbereich des Statuts verbindlich zu machen. Übernommen werden soll nicht jede Resolution, sondern nur eine Resolution bzw. Teile derselben, die bestimmten Anforderungen genügen. In erster Linie muss eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut vorliegen. Eine Situation i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut liegt nach der hier vorgeschlagenen Definition in jeder Situation nach Art. 39 VNCh vor, die nicht einzelne Fälle konkretisiert und/oder in der nicht nach bestimmten Personengruppen, insb. Konfliktparteien, unterschieden wird. Die Differenzierung nach Staatsangehörigkeiten von Nichtvertragsparteien des IStGH-Statuts ist zulässig. Daneben müssen die verfolgten Personen zum Tatzeitpunkt mindestens 18 Jahre alt gewesen sein und die Taten müssen nach dem 1. Juli 2002 begangen worden sein. Die Handlungen sind am Maßstab der Art. 5 ff. IStGH-Statut zu beurteilen. Eine Überweisungsresolution muss das staatliche Justizsystem nicht einer Prüfung am Maßstab des Art. 17 IStGH-Statut unterziehen. Der Sicherheitsrat muss eine Kapitel-VII-Resolution beschließen, die schriftlich an den Ankläger zu richten ist. Eine andere Möglichkeit, den Gerichtshof anzurufen, besteht für den Sicherheitsrat nicht. Seine Befugnisse aus Kapitel VII VNCh sind unbeachtlich, solange sie nicht als Resolution ergehen
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6. Teil: Zusammenfassung
und diese nicht durch den Filter des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut passt. Der Gerichtshof darf die Resolution nur dann als Grundlage seiner Maßnahmen heranziehen, wenn die Voraussetzungen des Statuts erfüllt sind. Die Möglichkeit, Aggressionsverbrechen gemäß Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut zu verfolgen, besteht bislang nicht. Es ist unklar, ob dafür eine Resolution des Sicherheitsrates erforderlich sein wird oder ob der IStGH unabhängig davon tätig werden wird dürfen. Die Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 wird darüber Aufschluss geben. Erste Konsequenz einer Überweisungsresolution ist, dass das Verfahren nach den Art. 53 ff. IStGH-Statut in Gang gesetzt wird. Der Ankläger überprüft die vorgelegten Informationen und entscheidet, ob er Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Individuen einleitet. Dabei unterliegt er der Kontrolle durch die Vorverfahrenskammern und einer Berichtspflicht an den Sicherheitsrat. Die wichtigste Rechtsfolge ist jedoch die Befugnis des IStGH, auch in solchen Fällen Strafgewalt auszuüben, in denen kein Anknüpfungspunkt nach Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut gegeben ist. Der Konsens der beteiligten Staaten wird durch die Resolution des Sicherheitsrates ersetzt. Die Gerichtsbarkeit des IStGH wird so auf Täter ausgeweitet, die keine Staatsangehörigen eines Staates sind, der das Römische Statut ratifiziert hat. Dagegen können weder der zeitliche Rahmen der Strafverfolgung noch die Straftatbestände ausgeweitet werden. Auch die Strafverfolgung Minderjähriger oder juristischer Personen kann nicht erfolgen. Die Nichtvertragsstaaten des IStGH-Statuts sind nicht unmittelbar zur Kooperation verpflichtet. Allein die Mitgliedstaaten des IStGH unterliegen von Anfang an den Bestimmungen des Teil 9 des Statuts, in dem weitreichende Zusammenarbeitspflichten statuiert werden. Ob Nichtvertragsstaaten des IStGH-Statuts zur Zusammenarbeit verpflichtet werden, ergibt nur die Auslegung der konkreten Überweisungsresolution, ggf. in Verbindung mit weiteren Resolutionen. Der Sicherheitsrat selbst hat nach einer Überweisungsresolution kaum noch Möglichkeiten, auf das Verfahren einzuwirken. Die Maßnahmen des IStGH und seiner Organe laufen unabhängig vom Sicherheitsrat. Dem Sicherheitsrat bleibt die Möglichkeit, gemäß Art. 16 IStGH-Statut die Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Einzelne vorübergehend einzustellen oder die Zusammenarbeit bei den Ermittlungsmaßnahmen sicherzustellen. Im äußersten Fall kann er seine Überweisungsresolution zurückziehen und so die völkerrechtliche Grundlage der Strafverfolgung beseitigen. Seine Kompetenz, Strafgerichtshöfe zu gründen, verliert der Sicherheitsrat nicht. Wegen des Grundsatzes des Doppelbestrafungsverbots können
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aber im Einzelfall bereits durch einen internationalen Gerichtshof verurteilte Täter nicht mehr vor dem vom Sicherheitsrat ggf. neu gegründeten Tribunal verurteilt werden. Bei einer hinreichenden Praxis nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut kann sich der Sicherheitsrat an dessen Voraussetzungen selbst binden und so einen Vertrauenstatbestand dafür schaffen, sich nicht über die Regelungen des Statuts hinwegzusetzen. Der IStGH muss sich gemäß Art. 19 Abs. 1 IStGH-Statut in jeder Phase des Verfahrens davon überzeugen, dass er seine Gerichtsbarkeit rechtmäßig ausübt und zuständig ist. Daher ergibt sich auch eine Überprüfungskompetenz hinsichtlich der Überweisungsresolution. Diese ist von den Kammern des Gerichtshofs zumindest inzident überprüfbar. Dabei beschränkt sich diese Kompetenz auf die Teile der Resolution, die nicht dem Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum des Sicherheitsrates unterfallen. Die Kammern prüfen die Voraussetzungen nach, die vom Statut vorgeschrieben werden. Dazu gehören der Situationsbegriff sowie die materiellen, personellen, temporalen und verfahrensrechtlichen Anforderungen. Sie müssen sich weiterhin versichern, auf einer völkerrechtlich wirksamen Grundlage zu operieren. Stellt eine Kammer fest, dass eine Resolution über die Statutsgrenzen hinausgeht, wendet sie diese Teile nicht an. Die Resolution bleibt im übrigen Völkerrechtskreis bestehen und wirksam. Die vorliegende Untersuchung hat somit ergeben, dass beide Organisationen, VN und IStGH, ihre Aufgaben eigenständig wahrnehmen, im Bereich des Völkerstrafrechts aber gemeinsam agieren. Während der IStGH vor allem die Kompetenzen des Sicherheitsrates nutzt, macht sich der Sicherheitsrat die Infrastruktur des Gerichtshofs zunutze.
II. Das Verhältnis von IStGH und Sicherheitsrat im Hinblick auf den Darfur-Fall Der Darfur-Konflikt im Sudan hat längst internationale Auswirkungen. Sie erstrecken sich nicht allein auf Anrainerstaaten, sondern auch auf weit entfernt liegende Staaten auf anderen Kontinenten. Besonders brisant sind die Verwicklungen von einigen ständigen Sicherheitsratsmitgliedern. Am Vorliegen einer Situation i. S. d. Art. 39 VNCh besteht kein Zweifel. Die Reaktionen der Staatengemeinschaft auf diesen Konflikt umfassen auch die Überweisung der Situation an den IStGH mit der Resolution 1593 vom März 2005. Darin wird der Darfur-Konflikt seit dem 1. Juli 2002 in die Gerichtsbarkeit des IStGH einbezogen. Die sudanesischen Täter auf sudanesischem Territorium unterfallen der Gerichtsbarkeit. Ausgenommen
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werden Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten des Römischen Statuts, die auf Betreiben des Sicherheitsrates der VN oder der Afrikanischen Union in Darfur waren, sind oder sein werden. Der Ausschluss anderer Staatsangehöriger ist dabei, entgegen der herrschenden Meinung, völkerrechtsmäßig. Die Resolution 1593 schafft erst die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Gerichtshofs. Wie weit diese gehen soll, entscheidet der Sicherheitsrat. Da er als Differenzierungskriterium das Merkmal der Staatsangehörigkeit wählt, unterscheidet er nach sachlich gerechtfertigten Kriterien. Insoweit ist kein Verstoß gegen Völkerrecht erkennbar. Auch die in der Resolution geschaffene Verpflichtung des Sudan, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten, ist völkerrechtsgemäß. Sie umfasst Pflichten, wie sie in Teil 9 des Statuts geregelt werden. Der Situationsbegriff, so wie er im 4. Kapitel herausgearbeitet wurde, trifft auch im Fall Darfur zu. Die Überweisung des Darfur-Konflikts liegt in diesem Rahmen. Auch die übrigen Voraussetzungen, die im 5. Kapitel aufgeführt wurden, sind erfüllt. Die Sicherheitsratsresolution 1593 ist rechtmäßig, darauf basierende Strafverfahren sind völkerrechtlich zulässig. Der Sudan hat seine Kooperationsverpflichtungen aus der Resolution 1593, die vom Statut und den Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII VNCh umschrieben werden, bisher nicht erfüllt. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Zusammenspiel von Sicherheitsrat und Strafgerichtshof in diesem Einzelfall bewähren wird. Die rechtlichen Voraussetzungen sind gegeben und Erfolg versprechend.
III. Ausblick auf die Zukunft des Verhältnisses zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat Im Hinblick auf die Zukunft der Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die vorliegende Arbeit gezeigt, dass beide Organisationen auf dem Gebiet der Strafverfolgung effektiv zusammenarbeiten können. Die hergebrachte Auslegung des vorhandenen Rechtsrahmens führt zu sinnvollen und völkerrechtskonformen Ergebnissen. Die Möglichkeiten, die das Statut in Verbindung mit einer Kapitel-VIIResolution des Sicherheitsrates bietet, sind bei weitem noch nicht ausgereizt. Die „klassische“ Möglichkeit, die Gerichtsbarkeit des IStGH über eine Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII auch auf Nichtvertragsparteien zu erstrecken, indem die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut ersetzt werden, wird in Zukunft die wahrscheinlichste Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat sein. Neben dieser Ausweitung der Ge-
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richtsbarkeit hält das IStGH-Statut mit dem Tatbestandsmerkmal der „Situation“ i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eine Möglichkeit bereit, die internationale Strafverfolgung noch wesentlich umfassender zu gestalten. Maßgeblich sind dabei die Kompetenz und die Bereitschaft des Sicherheitsrates, einen Konflikt oder ein abstraktes Phänomen als Gefährdung des Weltfriedens i. S. d. Art. 39 VNCh einzuordnen und an den IStGH zu überweisen. In Zukunft kann so die Gerichtsbarkeit des IStGH weit ausgedehnt werden. Vorstellbar ist, dass Terrorismus, Piraterie, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch Private, Umweltstraftaten oder Drogendelikte an den IStGH überwiesen und dann am Maßstab der Tatbestände der Art. 5 ff. IStGH-Statut beurteilt werden. Für den Bereich der Kooperationspflichten hat sich ergeben, dass Nichtvertragsparteien hinsichtlich ihrer Zusammenarbeitspflichten für einzelne „Situationen“ i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut den Vertragsparteien gleichgestellt werden können. Der Sicherheitsrat wird diese Staaten, auf deren Staatsgebiet die „Situation“ i. S. d. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut stattfindet, in Zukunft zur effektiven Strafverfolgung mit einer Resolution nach Kapitel VII zur Kooperation verpflichten können. Losgelöst vom Verhältnis zwischen dem Strafgerichtshof und dem Sicherheitsrat zeigt sich, dass in der Völkerrechtsordnung auch ohne eine verfassungsähnliche Hierarchie zwischen den einzelnen Akteuren und den einzelnen Verträgen, die auf einem Rechtsgebiet einschlägig sind, effektiv zusammengearbeitet werden kann. Dafür ist es ausreichend, den Regelungsbereich im Primärrecht einer Organisation für verbindliche Maßnahmen der anderen Organisation zu öffnen. Der Gefahr einer Zersplitterung der Völkerrechtsordnung kann so entgegengetreten werden. Der Internationale Strafgerichtshof und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden auch in Zukunft effektiv zusammenarbeiten können. Ihr gemeinsames völkerrechtliches Handlungsinstrumentarium lässt Raum für zukünftige Entwicklungen.
Urteilsverzeichnis Urteile und Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in chronologischer Reihenfolge Competence of the ILO in regard to International Regulation of the Conditions of the Labour of Persons Employed in Agriculture, Gutachten vom 12. August 1922, PCIJ Series B, No. 2 Case of the S. S. „Wimbledon“, Urteil vom 17. August 1923, PCIJ Series A, No. 1 (1923) German Settlers in Poland, Gutachten vom 10. September 1923, PCIJ Series B, No. 6 Acquisition of Polish Nationality, Gutachten vom 15. September 1923, PCIJ Series B, No. 7 Competence of the ILO to Regulate Incidentally the Personal Work of the Employer, Gutachten vom 13. Juli 1926, PCIJ Series B, No. 13 Case Concerning the Steamship S. S. Lotus, Urteil vom 7. September 1927, PCIJ Series A, No. 9 Jurisdiction of the European Commission of the Danube between Galatz and Braila, Gutachten vom 8. Dezember 1927, PCIJ Series B, No. 14 Case of the Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex, Beschluss vom 19. August 1929, PCIJ Series A, No. 22 Lighthouses Case between France and Greece, Urteil vom 17. März 1934, PCIJ Series AB, No. 62 Minority Schools in Albania, Gutachten vom 6. April 1935, PCIJ Series AB, No. 64
Urteile und Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in chronologischer Reihenfolge The Corfu Channel Case (UK v. Albania), Preliminary Objection, Urteil vom 25. März 1948, ICJ Reports 1948, S. 15 ff. The Corfu Channel Case (UK v. Albania), Merits, Urteil vom 9. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 4 ff. Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 174 ff. The Corfu Channel Case (UK v. Albania), Assessment of the Amount of Compensation due from the People’s Republic of Albania to the United Kingdom of Great
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Case concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia v. Serbia and Montenegro), Urteil vom 26. Februar 2007, ICJ Reports 2007, noch nicht veröffentlicht Urteile und Entscheidungen Internationaler Strafgerichte in chronologischer Reihenfolge IMT, Urteil vom 1. Oktober 1946, zitiert nach: Nürnberger Prozess, Das Protokoll des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, Mit einer Einführung von Christian Zentner, 2. Ausgabe, Berlin 2004, Digitale Bibliothek Band 20, zitiert als: Der Nürnberger Prozess, Verfahrensstadium ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case No. IT-94-1, Beschluss vom 10. August 1995 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a „Dule“, Decision on the defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR72, Beschluss vom 2. Oktober 1995 ICTR Trial Chamber II, The Prosecutor v. J. Kanyabashi, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Case No. ICTR-96-15-T, Beschluss vom 18. Juni 1997 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaskic, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Case No. IT-95-14-AR108bis, Urteil vom 29. Oktober 1997 ICTY Trail Chamber, Prosecutor v. Furundzˇija, Judgement, Case No. IT-95-17/1-T, Urteil vom 10. Dezember 1998 ICTY Trial Chamber, Prosecutor v. Slobodan Milosˇevic´, Decision on Preliminary Motions, Case No. IT-02-54, Beschluss vom 8. November 2001 SCSL Appeals Chamber, Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, Decision in Immunity from Jurisdiction, SCSL-2003-01-I-059, Rn. 34 ff., Beschluss vom 31. Mai 2004 Urteile weiterer Gerichte in chronologischer Reihenfolge Schiedsrichter Max Huber in The Island of Palmas (or Miangas), Netherlands v. USA, Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA Vol. II, S. 829 ff. = AJIL 22 (1928), S. 867 ff. EuGH, Rs. 9/70 (Leberpfennig), Urteil vom 6. Oktober 1970, Slg. 1970, S. 825 BVerfGE 37, 271, Beschluss vom 29. Mai 1974 – Solange I BGH, Urteil vom 26. September 1978, NJW 1979, S. 1101 BVerfGE 73, 339, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – Solange II BVerfGE 75, 223, Beschluss vom 8. April 1987 – Kloppenburg
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Personen- und Sachverzeichnis Abd-al-Rahman, Ali Muhammad Ali siehe Ali Kushayb Abu Garda 341, 362 f. ad-hoc-Tribunale siehe ICTR und ICTY African Union Mission in Sudan (AMIS) 309, 319, 321, 341, 361 African Union – United Nations Hybrid Operation in Darfur (UNAMID) 322 Afrikanische Union (AU) 309, 322, 328, 368 Aggression 98, 138 f., 172, 185 ff., 258, 276 ff., 294 f., 366 Aggressionsverbrechen siehe Aggression Al Kaida 360 in Fn. 316 Algerien 324 in Fn. 138, 329, 353 Ali Kushayb 342, 344 ff., 350 ff. allgemeine Rechtsgrundsätze 44, 66, 70 f. Ambos, Kai 264 Anfangsverdacht 169 (vgl. 248) Angriffshandlung siehe Frieden Angriffskrieg 186 ff., 294 Annan, Kofi 318 Aouzou-Streifen 313 Arnauld, Andreas von 291 Arnold, Pascal 264 f. Arntz, Joachim 143 Aston, Jurij Daniel 159 f. Auslegung – effet utile 68, 73 ff., 104, 121, 132, 299, 327 – IStGH-Statut und Auslegung 94 ff. – Methoden der Auslegung 71 ff. – multilaterale Verträge 81 ff.
– verfassungsrechtliche Auslegung 83 f. – VNCh und Auslegung 83 ff. – Ziele der Auslegung 71 f. – Zuständigkeit für Auslegung 92 f., 96 ff., 103 al-Bashir, Omar Hassan 303 ff., 318, 341, 350, 352 ff. Bella, Ben 353 Bergsmo, Morten 246 f. Bernhardt, Rudolf 78 Blokker, Niels M. 76 Bolton, John 319 Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 105, 125, 291 siehe auch Solange-Rechtsprechung des BVerfG Burundi 144 case 111 f., 130, 146 ff., 173, 200, 218 ff., 225, 285 f. siehe auch IStGH unter Situationsbegriff Cassese, Antonio 233, 318, 323, 350 Ceaus¸escu, Nicolae 146 China 29, 310, 314 ff., 323, 324 in Fn. 138 civil law 214 command responsibility siehe superior responsibility common law 213 f. complaints siehe case Condorelli, Luigi 176 f., 252 Cryer, Robert 329 Darfur 61, 80 in Fn. 230, 106, 145, 150, 165, 176 f., 228, 249, 300 ff.
Personen- und Sachverzeichnis Darfur Liberation Front (DLF) siehe Sudan Liberation Movement/ Army (SLM/A) Darfur Peace Agreement (DPA) 307, 316, 321 ff. Déby, Idriss 311 ff. Demokratische Republik Kongo 144, 164, 228, 249 Deutschland 54, 125, 165, 187 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind 192 f., 264 Drittstaaten 120, 133, 154 f., 174, 182 f., 234 ff., 269 f., 294, 331, 366 Drogendelikte 98, 143 in Fn. 149, 169, 269, 278, 369 Dyilo, Thomas Lubanga 249 Effektivitätsgrundsatz bei der Auslegung siehe Auslegung Egeland, Jan 316 einseitige Rechtsakte 45 f., 70 f. Einzelfälle 146 ff. siehe auch case und matter elements of crimes siehe Verbrechenselemente Entkolonialisierung 42, 54 f. erga-omnes-Verpflichtungen 42, 144 Eritrea 315 EuG 35, 51 f., 290 ff. – Kadi/Yusuf-Rechtsprechung 51 f., 290 ff. EuGH 35, 52, 290 ff. – Kadi/Yusuf-Rechtsprechung 51 f., 290 ff. Europäische Union (EU) 51 f., 126 f., 290 ff. – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 51 f., 126 f. al-Fascher 125, 304 Fassbender, Bardo 90 f. fast-track-proceedings 222
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Flankierungsfunktion des Völkerstrafrechts 80 f. Folter 57, 194, 351 Fraas, Michael 39 Frankreich 46, 174, 275, 301 f., 310 f., 314, 323, 334 Frieden – abstraktes Gefahrenverständnis 156 ff. – Angriffshandlung 38, 138 f. – Bedrohung des Friedens 38, 139 f. – Begriff des Friedens 136 ff., 158 ff. – Bruch des Friedens 38, 138 f. – Sicherung des Friedens 32 – Wiederherstellung des Friedens 32 Friedensbedrohung siehe Frieden Friedensbruch siehe Frieden Frowein, Jochen A. 142, 159 Fur 302, 307, 353 al-Gaddafi, Muammar 313 Gadirov, Erkin 101 Gaja, Giorgio 37 Garang, John 321 GASP siehe Europäische Union Genfer Konventionen von 1949 236 f., 332 Georg V. 54 Gewohnheitsrecht siehe Völkergewohnheitsrecht gravity-threshold 95, 172 ff., 219 f., 225 Habré, Hissène 311 Hariri, Rafik 146 Harun, Ahmad Muhammad 341 ff., 350 ff., 356 Haskanita 341 Herdegen, Matthias 142 hinreichende Grundlage für die Einleitung von Ermittlungen 216 ff.
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Personen- und Sachverzeichnis
humanitäres Völkerrecht 27, 31, 46 f., 52, 55 ff., 66, 80 f., 95 f., 236, 266, 290 ff., 318, 332, 346 ff., 350 Hummrich, Martin 200 f. hybride Gerichtshöfe 28, 146, 196, 265, 324, 348 in Fn. 246 Idealtypus 90 f. Immunität 345 f., 353 ff. in dubio pro reo 95, 101, 104 inter-state-model 232 internally displaced persons 301, 325 International Commission of Inquiry on Darfur (ICID) 317 ff., 323, 346, 350 International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) 31, 66, 120, 162, 178, 221 f., 260 f., 278, 282, 324 International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY) 31, 56, 120, 157, 162 f., 178, 232, 239 f., 260, 278, 282 ff., 325 f., 337, 358 – Tadic´-Rechtsprechung 65 f., 106 f., 112 f., 117, 263, 282 ff., 294 International Law Commission (ILC) 28, 68 f., 108 ff., 161 ff., 192 ff., 285 ff. International Military Tribunal (IMT) 187 ff. International Military Tribunal for the Far East (IMTFE) 189 international public order siehe ordre public Internationale Organisationen 40 ff., 48 ff., 63, 114 f., 120 ff., 241 Internationaler Gerichtshof (IGH) 28, 34, 45 ff., 54 ff., 75 f., 79, 88, 93 f., 104, 109, 146, 196, 238 f., 296, 358 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) – Begründung der Gerichtsbarkeit 115 f., 133 – Berufungskammer 226, 355 – Entstehungsgeschichte des IStGHStatuts 106 ff. – Eröffnung der Gerichtsbarkeit 115
– Filterfunktion von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut 123, 131 – ius cogens und das IStGH-Statut 63 – Menschenrechte und das IStGHStatut 66 f. – Präsident des IStGH 32 – Sekundärrecht 31 – Situationsbegriff 129 ff., 167, 294 f. – Tatbestände des IStGH-Statuts 80 f. – Überprüfungskonferenz des IStGHStatuts 98, 185, 194 – Vertragsstaatenversammlung 32, 195, 255 f. – Vorverfahrenskammer 130 f., 226 ff. Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) 241 inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Sicherheitsratsresolution durch den IStGH 282 ff. Irak 138, 190 f. Iraqi Special Tribunal 190 f. Islam 305 ius cogens 31, 41 f., 50 ff., 98 ff., 188, 290 ff. – ius cogens und Menschenrechte 57 f., 98 f. Janjaweed 308 Jellinek, Georg 85 Judicial Investigations Committee 347 Justice and Equality Movement (JEM) 304, 306, 311 f., 315 f., 321, 362 Kadi-Rechtsprechung siehe EuGH bzw. EuG Kaul, Hans-Peter 28 Kelsen, Hans 35 f. Kompetenz-Kompetenz 85 f., 284 f. Komplementaritätsgrundsatz 172, 178 f., 202, 217, 221 ff., 256 f., 338, 348, 353, 356, 363 Kongo siehe Demokratische Republik Kongo
Personen- und Sachverzeichnis Kooperationspflichten 231 ff., 333 ff., 354, 366, 368 f. Kosten der Überweisung 278 ff., 336 f. Kreicker, Helmut 360 Kriegsverbrechen 55 f., 80 f., 174 f., 177, 206, 272 ff., 346 f., 355 Krisch, Nico 142, 159 f. Kurth, Michael 201 f., 208 Kuwait 138 Lailach, Martin 142, 144 f. Lattanzi, Flavia 130 Libyen 219 in Fn. 20, 301, 310, 313 f. Lord’s Resistance Army (LRA) 152 Lorinser, Barbara 39, 143 Martenczuk, Bernd 39 f. Massalit 302, 353 Massenvernichtungswaffen 49 f., 148, 160 f., 166, 369 matter 34, 108 ff., 129 in Fn. 91, 130, 132 siehe auch case und IStGH-Statut unter Situationsbegriff McDougal, Myres 37 Medwedjew, Dmitrij 160 f., 166 Mehlis, Detlef 146 Menschenrechte 31, 37, 52 ff., 55 ff., 62 f., 80 f., 95 ff., 101, 103, 141 ff., 230, 264, 318, 365 – Menschenrechte als ius cogens 57 f., 98 f. Milosˇevic´, Slobodan 146, 149, 248, 358 Minawi, Minni Arkou 316, 321 Mladic´, Ratko 146 Morelli, Gaetano 296 f. Moreno-Ocampo, Luis 152, 341 Müller-Schieke, Irina Kaye 201 Naivasha 306, 309 f. Namibia 54
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National Commission of Inquiry 347 NATO 241 ne bis in idem 263 ff., 366 nemo plus juris ad alium transferre potest, quam ipse habet 42, 54 Nichtvertragsstaaten siehe Drittstaaten Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess siehe IMT nulla poena sine lege 102, 175 ff. nullum crimen sine lege 64, 102, 175 ff., 273 f., 336 an-Numeiri, Jafar Mohammed 303 Nyala 304 Oehler, Dietrich 264 Öl 314, 323 opt-in-System 108, 110 ordre public 41 f., 54, 290 pacta tertiis nec nocent nec prosunt 30, 60, 64, 67 ff., 114 ff., 333, 364 – res inter alios acta 68 par in parem non habet iurisdictionem non habet imperium siehe Immunität Patterson, Anne 324 in Fn. 133, 328, 337 peace-enforcement 320 peace-keeping 47 in Fn. 84, 320 ff., 337 Pejic´, Jelena 246 f. Personalitätsprinzip siehe Völkerstrafrecht Pinochet, Augusto 146, 149, 248 Piraterie 160 f., 166, 369 Popular Defence Force (PDF) 308 Pot, Pol 146 Powell, Colin 323 Primärrecht 31, 47, 79, 103 f., 148, 212, 242, 251, 254 f., 289, 292, 295, 298 Proliferation Security Initiative 40 proprio-motu-Befugnisse 106, 216, 227, 270
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Personen- und Sachverzeichnis
Rassendiskriminierungsverbot 57 Rechtsbindungen des Sicherheitsrates siehe Sicherheitsrat Rechtsfolgenverweis 123 f. Rechtsgrundverweis 123 f., 134, 171, 180 f., 288 ff. Rechtssubjektivität siehe Völkerrechtssubjektivität Reisman, Michael 37 Relationship Agreement (RA) 31, 60 f., 63, 119 ff., 242 f., 255 f. – Entstehungsgeschichte 32 – Inhalt 32 ff., 119 res inter alios acta siehe pacta tertiis nec nocent nec prosunt Resolutionen des Sicherheitsrates siehe Sicherheitsrat Richterliche Unabhängigkeit 96 ff. Ruanda 130, 144, 317 rules of procedure and evidence (RPE) siehe Verfahrens- und Beweisregeln Russland 29, 160 f., 324 in Fn. 137 Saudi-Arabien 361 Schabas, William 164, 217 f., 326 Schermers, Henry 76 Schilling, Theodor 142 f. Schmitt, Carl 87 in Fn. 267 Sekundärrecht 31, 47, 50 f., 103 f., 268, 336 Selbstanzeigen 152 f., 164 f., 339 self-contained-regime 238 f. Seyersted, Finn 42 Sicherheitsrat – Adressaten einer Sicherheitsratsresolution 252 ff. – Aufgaben 39, 44 f., 51, 53 – Befugnisse 40, 137 f. – Beurteilungsspielraum 36, 136, 181 f. – Ermessensspielraum 40, 70 f., 136, 181 f. – Funktionen 40, 49, 155
– Handlungsvoraussetzungen 36 ff., 135 ff. – Hauptverantwortung 39 in Fn. 34, 53, 112 f., 196, 202 ff. – Kapitel-VII-Maßnahmen 38 f., 170 – Rechtsbindungen 34 ff., 290 ff. – Rechtsfolge rechtswidriger Resolutionen 293 ff. – Rechtsnatur der Sicherheitsratsresolutionen 50 f., 103 f. – Sicherheitsratsresolution 827 (1993) 27, 162 – Sicherheitsratsresolution 918 (1994) 145 – Sicherheitsratsresolution 955 (1994) 27, 162 – Sicherheitsratsresolution 1368 (2001) 156 f. – Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) 49 f., 156 ff., 163 – Sicherheitsratsresolution 1422 (2002) 61, 119, 122, 244 ff., 300, 327 ff. – Sicherheitsratsresolution 1487 (2003) 61, 122, 244 ff., 300, 327 ff. – Sicherheitsratsresolution 1497 (2003) 61, 244, 328, 332 – Sicherheitsratsresolution 1540 (2004) 49 f., 156 ff., 163 – Sicherheitsratsresolution 1547 (2004) 306, 317 – Sicherheitsratsresolution 1556 (2004) 317 – Sicherheitsratsresolution 1564 (2004) 317 f. – Sicherheitsratsresolution 1590 (2005) 319 – Sicherheitsratsresolution 1591 (2005) 319 – Sicherheitsratsresolution 1593 (2005) 56, 61, 122, 176 f., 237, 300, 313, 317, 322 ff. – Sicherheitsratsresolution 1627 (2005) 319
Personen- und Sachverzeichnis – Sicherheitsratsresolution 1672 (2006) 319 – Sicherheitsratsresolution 1706 (2006) 314, 317, 319 ff. – Sicherheitsratsresolution 1757 (2007) 146 – Sicherheitsratsresolution 1769 (2007) 317, 322 – smart sanctions 52, 291 Situationsbegriff siehe IStGH Sklaverei 57 smart sanctions siehe Sicherheitsrat Solange-Rechtsprechung des BVerfG 105, 125 f., 291 f. Somalia 160 f. Souveränität 36, 38, 44 f., 49 f., 77 f., 118 Special Court for Sierra Leone (SCSL) 210 f., 266, 359 Special Criminal Courts for the Events in Darfur (SCCED) 347 Special Prosecution Commissions 347 Special Prosecution for Crimes against Humanity Office 347 Special Tribunal for Lebanon (STL) 146, 266 Special Working Group on the Crime of Aggression (SWGCA) 195, 198 ff., 204 Ständiger Internationaler Gerichtshof 75 Starck, Dorothee 143 Strafrecht siehe Völkerstrafrecht Sudan 237, 301 ff. Sudan Liberation Movement / Army (SLM/A) 307, 311 f., 316 f., 320 Sudan People’s Liberation Movement/ Army (SPLM/A) 306 f. superior responsibility 349 supra-state-model 232 Supreme Iraqi Criminal Tribunal siehe Iraqi Special Tribunal tabula rasa 42, 54 Tadic´-Rechtsprechung siehe ICTY
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Taylor, Charles Ghanka 210 f., 359 Terrorismus 49 ff., 98, 130, 148, 157, 160 f., 166, 269, 276 ff., 322, 369 Tomuschat, Christian 158 f. travaux préparatoires 100, 108, 132, 149 f., 365 Triffterer, Otto 101 trigger-mechanisms 106, 199, 204, 206, 210, 214 f., 286 f. Tschad 301 f., 309 f., 311 ff., 325 f., 338 f. al-Turabi, Hassan 304 Uganda 80, 152 f., 164, 185, 228, 249, 310 in Fn. 64 Umwelt 89, 158, 273, 369 United Nations Advanced Mission in Sudan (UNAMIS) 319 United Nations Mission in Sudan (UNMIS) 306, 314, 319 ff. uniting-for-peace-Resolution 204 USA siehe Vereinigte Staaten von Amerika ut res magis valeat quam pereat siehe Effektivitätsgrundsatz Verbrechenselemente 63 f., 100 Vereinigte Staaten von Amerika 40, 271, 300, 314, 322, 328, 336 f. Vereinigtes Königreich 54, 324 in Fn. 137 Vereinte Nationen – Generalsekretär 33, 46 f., 150, 169, 179, 317 f., 324 in Fn. 132, 350 – Generalversammlung 32 f., 55, 85, 89, 108 ff., 137 ff., 189 ff., 192, 196, 204 f., 259, 279, 336 ff. – Sicherheitsrat siehe Sicherheitsrat – Verfassung der internationalen Gemeinschaft 83 ff. – Ziele und Zwecke 37 f. Verfahrens- und Beweisregeln 63 f., 226 f. Verfassung – Auslegung 83 f.
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Personen- und Sachverzeichnis
– formeller Verfassungsbegriff 85 f. – Internationalisierung des Verfassungsbegriffs 90 f. – materieller Verfassungsbegriff 87 ff. Villalpando, Santiago 176, 252 Völkerbund 54 f. Völkergewohnheitsrecht 42 ff., 57, 64 ff. – Adressaten 42 ff. – universales Völkergewohnheitsrecht 42 Völkermord 142, 146, 206, 317 f., 322, 346 ff., 349 ff. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit 54, 80, 89 Völkerrechtssubjektivität 40 ff., 52 ff., 68, 79 ff. Völkerstrafrecht – Anknüpfungsprinzipien 116, 165, 167, 270 ff., 330 f. – repressive Funktion 80, 140 f. – Weltrechtsprinzip 116, 165 f., 264, 270
Wahid, Abdel 316, 321 Walker, Neil 90 Weber, Max 90 Weltrechtsprinzip siehe Völkerstrafrecht Westeuropäische Union (WEU) 126 f. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) 31, 33, 50, 68 ff., 71 ff., 88, 91 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen (WVKIO) 31, 33, 68 ff., 88, 120 ff. Willkürverbot 37, 48, 218 Yusuf-Rechtsprechung siehe EuGH bzw. EuG Zaghawa 302, 312, 353, 362 al-Zawahiri, Ayman 361 in Fn. 316 Zentralafrikanische Republik 164, 228 f., 249, 301, 313, 315, 338, 346