Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb [1 ed.] 9783428456901, 9783428056903


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Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb [1 ed.]
 9783428456901, 9783428056903

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 73

Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb Von

Reinhard Hofmann

Duncker & Humblot · Berlin

REINHARD HOFMANN Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 73

Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb

Von

Dr. Reinhard Hofmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg

DUNCKER &

HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hofmann, Reinhard: Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb/ von Reinhard Hofmann. - Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 73) ISBN 3-428-05690-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Buchdruckerei A. sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 8-428-05690-6

Meinen Eltern für ihre stetige Fürsorge sowie dem Andenken an Frau Meta Rau (15.9.1899 - 3. 8. 1983)

Vorwort Die Arbeit hat im Sommersemester 1984 der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation vorgelegen. Sie entstand wäh­ rend meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht von August 1982 bis Juni 1984. Ohne den Rat und die Hilfe anderer hätte die Arbeit so nicht entste­ hen können, und es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, dafür an dieser Stelle Dank zu sagen. Mein Dank gilt zuförderst meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Gerrick v. Hoyningen-Huene. Seine stringente methodische Anleitung, die mir stets Vorbild war, ermöglichte es mir, das Thema recht schnell zu bearbeiten. Herzlich danken möchte ich wei­ ter dem Koreferenten, Herrn Prof. Dr. Karlheinz Misera, der in mir bereits als Student die Begeisterung für das Arbeitsrecht geweckt hat. Herrn Prof. Dr. Hermann Weitnauer schulde ich Dank für manchen Rat. Verbunden bin ich weiter Frau Brigitte Rensch, die in der ihr eigenen freundlichen und entgegenkommenden Weise das Typoskript erstellt hat. Schließlich habe ich Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Johannes Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften zum Sozial- und Ar­ beitsrecht" zu danken. Heidelberg, im Juli 1984

Reinhard Hofmann

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Themenbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

II. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

III. Der Begriff „Politik" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

§ 2 Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Entwicklung bis Ende des ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

II. Betriebsrätegesetz von 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

III. Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

IV. Zeit nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

V. BetrVG 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

VI. BetrVG 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis

37

. ... .... .. . . ... . .. .. .... ... .. ..... ... .. .... ....... .

38

§ 3 Normzweck des § 74 II 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

I. Konkretisierung der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

. ... . ..... ... ... . .. .. ...... .. ... .. .. . ...

41

III. Schutz der Meinungs- und Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Neutralitätsgedanke

45

IV. Fehlende Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

V. Machtmißbrauchsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

zweites Kapitel Tatbestand und Rechtsfolgen des § 74 II 3 BetrVG § 4 Sachliche Reichweite des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

I. Der Begriff „parteipolitisch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

1. Extensive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

10

Inhaltsverzeichnis 2. Restriktive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Extensive oder restriktive Auslegung? . . b) Präzisierung der restriktiven Auffassung

............... ... . .. ......... ............... ..............

56 58 58 62

II. Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktive Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive oder subjektive Komponente? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Betätigung durch Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Parteipolitik im privaten Gespräch im Betrieb . . . . . . . . . . . .

64 64 64 65 66 68 70

III. ,,Im Betrieb" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außerdienstlicher Hinweis auf das Betriebsratsamt . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 73 73 75

IV. Erscheinungsformen parteipolitischer Betätigung . . . . . . . . . . . . . 1. Verbotene Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von § 74 II 3 BetrVG nicht verbotene Handlungen . . . . . . . . 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77 78 80

V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 §5

Adressatenkreis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

I. Der einzelne Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung des § 74 II 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsvertragliche Grenzen parteipolitischer Betätigung . . a) Dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung der Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Leistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebliche Verbundenheit aller Mitarbeiter . . . . . . . cc) Personaler Vertrauensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unternehmensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Art. 5 GG und die Schranken der Grundregeln über das Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik des Schrifttums an der BAG-Rechtsprechung . . . . aa) Tatsächliche Vermutung für Störung des Betriebsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prognose einer erfahrungsgemäßen Störung des Be­ triebsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grundregeln des Arbeitsverhältnisses als Schranken i. S. von Art. 5 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 84 84 86 87 87 89 90 90 91 91 92 93 93 94 95 95

Inhaltsverzeichnis

11

3. Verbot parteipolitischer Betätigung durch Betriebsvereinbarung .................................................. 96 a) Meinungsstand

. ......................... . ............ 96

b) Stellungnahme

. ...................................... 98

II. Betriebsrat als Gremium .................................... 99 III. Das einzelne Betriebsratsmitglied ............................ 99 1. In amtlicher Eigenschaft . ................................ 99 2. Als Arbeitnehmer des Betriebes .......................... 100 a) Meinungsstand . ........................ . ............. 100 b) Stellungnahme

. ...................................... 102

VI. Die Arbeitgeberseite ........................................ 103 1. Der Arbeitgeber und sein Vertreter . ...................... 103 2. Leitende Angestellte . ..... . .............................. 103 a) Meinungsstand . ................................ . ..... 103 b) Stellungnahme

. ...................................... 104

V. Sonstige betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger . ...... 105 1. Überbetriebliche Ebene ................ . ................. 105 a) Gesamtbetriebsrat und seine Mitglieder ................ 105 b) Konzernbetriebsrat und seine Mitglieder . .............. 106 2. Betriebliche Ebene . ...................................... 107 a) Jugendvertretung und ihre Mitglieder . ................ 107 aa) Meinungsstand . .................................. 107 bb) Stellungnahme .................................... 108 b) Ersatzmitglieder ...................................... 109 c) Wahlvorstand und Wahlbewerber ...................... 111 aa) Wahlvorstand .................................... 111 bb) Wahlbewerber .................................... 112 cc) Zulässigkeit sog. Parteilisten ...................... 113 VI. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ...................... 114 VII. Gewerkschaften

............................................ 116

1. Meinungsstand

116

2. Stellungnahme

117

VIII. Rechtstatsächliches zur parteipolitischen Betätigung der Adressaten . ...................................................... 119 1. Betriebsrat, Betriebsratsmitglieder, Jugendvertreter . ...... 119 2. Die Arbeitgeberseite ..................................... 119 3. Bewertung IX. Ergebnis

.............................................. 121

. .................................................. 123

§ 6 Rechtsfolgen des Verbots sowie deren Beeinflussung durch Verfassungsrecht . ...................................................... 125 I. Überblick

125

12

Inhaltsverzeichnis II. Das Verhältnis von Art.5 GG zu § 74 II 3 BetrVG ............ 126 1. Drittwirkung ............................................ 126 2. § 74 II 3 BetrVG als „allgemeines Gesetz" i. S. von Art.5 II GG . .................................................... 126 3. Wechselwirkungslehre und Gebot der Abwägung im Einzelfall . .................................................... 128 III. Unterlassungspflicht 129 130 1. Absolutes Verbot 2. Relatives Verbot ......................................... 130 3. Stellungnahme

.......................................... 131

IV. Rechtliche Möglichkeiten bei Verstößen ...................... 133 1. Verstöße des Betriebsrats und der Betriebsratsmitglieder 133 a) Beschlußverfahren, einstweilige Verfügung ............ 133 b) Sanktionen nach § 23 I BetrVG ........................ 134 c) Außerordentliche Kündigung .......................... 135 d) Maßnahmen aufgrund einer Bußordnung .............. 137 2. Verstöße des Arbeitgebers ................................ 138 a) Beschlußverfahren, einstweilige Verfügung ............ 138 b) Zwangsverfahren nach § 23 III BetrVG ................ 138 c) Verfassungsrechtliche Bedenken aus Art.3 I GG ....... 139 3. Schlußbewertung ........................................ 141 4. Exkurs: Rechtsfolgen bei Verstößen des einzelnen Arbeitnehmers . ................................................ 142 a) Abmahnung .......................................... 142 b) Betriebsbußen ........................................ 142 c) Kündigung ........................................... 142 d) Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer, § 104 BetrVG . .................................................. 143 V. Ergebnis . .................................................. 143 § 7 Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer und wirtschaftlicher

Art ............................................................... 145 I. Überblick

.................................................. 145

II. Unmittelbarer Betriebsbezug ................................ 146 1. Behandeln . .............................................. 147 2. Betroffensein ............................................ 147 3. Unmittelbarkeit ......................................... 148 III. Tarifpolitische Angelegenheiten ............................. 151 IV. Sozialpolitische Angelegenheiten . ............................ 152 V. Wirtschaftliche Angelegenheiten . ............................ 154 VI. Das Verhältnis von Hs.1 zu Hs.2 in § 74 II 3 BetrVG . ........ 156

Inhaltsverzeichnis

13

VII. Stellungnahme und Bewertung .............................. 158 1. Keine Aufgabenzuweisung ............................... 159 2. Absicherungsfunktion .................................... 160 VIII. Ergebnis ................................................... 161

Drittes Kapitel Sonderfragen

§ 8 Geltung des § 74 II 3 BetrVG in der Betriebsversammlung

162

I. Überblick ................................................... 162 II. Themen der Betriebsversammlung . .......................... 162 III. Anwendung der Grundsätze des § 74 II BetrVG .............. 165 1. Bedeutung in sachlicher Hinsicht .......................... 165 2. Adressatenkreis im Rahmen des § 45 BetrVG .............. 166 a) Geltung für alle Teilnehmer .......................... 166 b) Geltung für Arbeitgeber, Betriebsrat und dessen Mitglieder . ... .. ............................ .. . ..... ..... 167 c) Stellungnahme ....................................... 167 IV. Belegschaftsversammlungen ................................. 169 V. Abdingbarkeit des Verbots .................................. 170 1. Meinungsstand .......................................... 170 172 2. Stellungnahme VI. Betriebsauftritte von Politikern . ............................ 173 1. Problemstellung . ........................................ 173 2. Generelle Unzulässigkeit von Politikerbesuchen . .......... 175 3. Kriterien für die Zulässigkeit ............................ 175 a) Nichtöffentlichkeit der Betriebsversammlung . .......... 176 b) Zulässiges Thema nach § 45 Satz 1 BetrVG . ............ 176 c) Politikerbesuche während eines Wahlkampfes .......... 177 d) Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber .. . ..... 177 e) Paritätsgebot . .. , ........ , .. , ............ , ............ 178 f) Kein Teilnahmezwang für die Arbeitnehmer . .......... 178 g) Sonstige Belegschaftsversammlungen ............... , . , 178 h) Sachliche Kompetenz des Politikers .................... 178 4. Stellungnahme , , ............. , .......... , .. , ...... . ..... 178 a) Allgemeine rechtliche und rechtspolitische Aspekte . .... 178 b) Beurteilung der Kriterien für die Zulässigkeit von Politikerbesuchen ........................................ 181 VII. Ergebnis . .................................................. 182

14

Inhaltsverzeichnis

§ 9 Besonderheiten des Tendenzbetriebes .............................. 184 I. Problemstellung ............................................ 184 II. Geltung des § 74 II 3 BetrVG im Tendenzbetrieb . ............ 185 1. Anwendbarkeit .......................................... 185 2. Anwendbarkeit der §§ 45 Satz 1 Hs.2, 74 II 3 BetrVG ...... 186 III. Exkurs: Parteipolitische Betätigung des Arbeitnehmers im Tendenzbetrieb . ..................... . ...................... 186 1. Tendenzförderungspflicht .... . ........... . .... . .......... 186 a) Tendenzträger ........................................ 187 188 b) ,.Nichttendenzträger" 2. Besonderheiten bei der Kündigung ....................... 189 IV. Ergebnis . .................................................. 189 Zusammenfassung in Thesen

191

Literaturverzeichnis

193

Abkürzungsverzeiclmis a.A. Abg. AcP a.E. a.F. AG AiB AktG Anm. AOG AP AR-Blattei ArbG ArbGG ArbRdGgw ARS ARSt Art. Aufl. AuR AVG Az. BAG BAT bay.BRG BB BBG Bd. BetrVG 1952 BetrVG Bensh. Sammlung BGB BGBI. BI. BlStSozArbR BPersVG BRD BRG BRRG BT-Drucks.

anderer Ansicht Abgeordneter Archiv für civilistische Praxis am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft Arbeitsrecht im Betrieb Aktiengesetz vom 6. 9. 1965 Anmerkung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1. 1934 Arbeitsrechtliche Praxis - Nachschlagewerk des BAG (Loseblattsammlung) Arbeitsrecht-Blattei (Loseblattsammlung) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekannt­ machung vom 2.7.1979 Das Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeitsrechtssammlung Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Auflage Arbeit und Recht Angestelltenversicherungsgesetz vom 20. 12. 1911 in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.5.1924 Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Bundesangestelltentarifvertrag vom 23. 2. 1961 bayerisches Betriebsrätegesetz vom 25. 10. 1950 Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz in der Fassung der Bekannt­ machung vom 3.1.1977 Band Betriebsverfassungsgesetz vom 11.10. 1952 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. 1. 1972 Bensheimer Sammlung Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 Bundesgesetzblatt Blatt Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Ar­ beitsrecht Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. 3. 1974 Bundesrepublik Deutschland Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 Beamtenrechtsrahmengesetz in der Fassung der Be­ kanntmachung vom 3. 1. 1977 Bundestags-Drucksache

16

Abkürzungsverzeichnis

BVerfG BVerfGE

Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

CDU

Christlich Demokratische Union

DDRV

Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 (GBI. I S. 199) in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfas­ sung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.Oktober 1974 (GBI. I S. 425) Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen das heißt Deutsches Richtergesetz in der Fassung der Bekannt­ machung vom 19.4.1972 Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt

Die AG d.h. DRiG DuR DVBl. Einl. EStG EzA

Einleitung Einkommensteuergesetz vom 16. 10. 1934 in der Fas­ sung der Bekanntmachung vom 6. 12. 1981 Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht (Leseblatt­ sammlung)

FAZ Fn.

Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote

GewO

Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntma­ machung vom 1. 1.1978 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5. 1949 Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungs­ gesetz (Leseblattsammlung) von Fabricius/Kraft / Thiele/Wiese, 1.-3. Bearbeitung, 1974 ff. Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GG GK-BetrVG GmbH HBV HGB HilfsdienstG h.M. Hs.

Handbuch der Betriebsverfassung (Loseblattausgabe) von Glaubrecht/Halberstadt/Zander, 1977 ff. Handelsgesetzbuch vom 10. 5. 1897 Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom

5.12.1916

herrschende Meinung Halbsatz

IG i.S. i.V.m.

Industriegewerkschaft im Sinne in Verbindung mit

Jus JZ

Juristische Schulung Juristenzeitung

KJ KPD

Kritische Justiz Kommunistische Partei Deutschlands

Abkürzungsverzeichnis KRG Nr. 22 KSchG KStG

17

Kontrollratsgesetz Nr. 2 2 (Betriebsrätegesetz) vom 10. 4. 1946 Kündigungsschutzgesetz vom 25. 8. 1969 Körperschaftssteuergesetz vom 31. 8. 1976 in der Fas­ sung der Bekanntmachung vom 10. 12. 1981

LAG Leg.Per. Ls. bad.-württ. LPVG

Landesarbeitsgericht Legislaturperiode Leitsatz baden-württembergisches Landespersonalver­ tretungsgesetz in der Fassung vom 1. 10. 1975

MitB MitbestG 1976 m. w. N.

Die Mitbestimmung Mitbestimmungsgesetz, Gesetz über die Mitbestim­ mung der Arbeitnehmer vom 4. 5. 1976 mit weiteren Nachweisen

n. F. NJW NSDAP

neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

OVG

Oberverwaltungsgericht

ParteiG PrGS

Parteiengesetz vom 24. 7. 1967 Preußisches Gesetzblatt

RAG RdA REG RGBI. Rn. RVO

Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Reichsehrengerichtshof Reichsgesetzblatt Randnummer Reichsversicherungsordnung vom 19. 7. 191 1 in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. 12. 1924

SAE SG

Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Soldatengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 8. 1975 Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SPD TVVO

Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und An­ gestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeits­ streitigkeiten (Tarifvertragsverordnung) vom 23. 12. 1918

u. a. u. ä.

unter anderem und ähnliche(s)

Verf. VG VKGO

Verfasser Verwaltungsgericht Geschäftsordnung der Volkskammer der Deutschen Demokratische Republik vom 7. Oktober 1974 (GBI. I s. 469)

2 Hofmann

18 wo WRV z. B. ZDG ZfA ZfBergR

ZPO ZRP

Abkürzungsverzeichnis Wahlordnung, Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 16. 1. 1972 Weimarer Reichsverfassung, deutsche Verfassung vom 11. 8. 1919 zum Beispiel Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverwei­ gerer (Zivildienstgesetz) in der Fassung der Bekannt­ machung vom 9. 8. 1973 Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Bergrecht Zivilprozeßordnung in der Fassung vom 12. 9. 1950 Zeitschrift für Rechtspolitik

Die im übrigen verwendeten Abkürzungen entsprechen Kirchner, Abkür­ zungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Auflage 1983.

Erstes Kapitel

Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG § 1 Einleitung I. Themenbegrenzung

„Politisch Lied, ein garstig Lied" - dieses geflügelte Wort1 , so könnte man meinen, gilt auch2 im Betrieb. Dort nämlich haben, so ordnet es § 74 II 3 BetrVG an, Arbeitgeber und Betriebsrat j ede parteipolitische Betätigung zu unterlassen. Die Befassung mit Angelegenheiten tarifpo­ litischer, sozialpolitischer und wirtschaftlicher Art, welche den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar berühren, läßt j edoch § 74 II 3, Hs. 2 BetrVG zu. Für die Behandlung von Themen auf der Betriebs­ und Abteilungsversammlung erklärt § 45 Satz 1, Hs. 2 BetrVG die Grundsätze des § 74 II BetrVG und somit auch das Verbot parteipoliti­ scher Betätigung des § 74 II 3 BetrVG für anwendbar. Die Personalver­ tretungsgesetze enthalten entsprechende Vorschriften, vgl. §§ 51, 66 I 3 BPersVG, §§ 52, 67 I 3 bad.-württ. LPVG. Wird diese Abhandlung auf das betriebsverfassungsrechtliche Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb beschränkt, kommt damit schon zum Ausdruck, daß nur ein Ausschnitt eines noch umfassenderen Pro­ blembereichs behandelt werden soll. Begreift man als übergreifende Fragestellung diejenige nach der Zulässigkeit von „Politik im Betrieb" 3 überhaupt, so wird erkennbar, welche Problemfelder hier nur insoweit miteinbezogen werden, als es für das Verständnis und die Auslegung des betriebsverfassungsrechtlichen Verbots parteipolitischer Betätigung notwendig erscheint. Dabei handelt es sich zum einen um die politische Betätigung des Arbeitnehmers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses\ zum anderen um den noch umfassenderen Fragenkreis der Meinungs­ freiheit im Arbeitsverhältnis5• ' Vgl. Büchmann, S. 140. 2 Vgl. Goethes Faust I, Szene „Auerbachs Keller" , Vers 2092. 3 So der gleichnamige Aufsatz von Meisel in RdA 1976, 38. 4 Vgl. dazu Otto, S. 78 ff.

2•

20

1. Kap. : Grundlagen zu

§ 74 II 3

BetrVG

Auch soweit der Zusammenhang zwischen der parteipolitischen Betä­ tigung und der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht näher dar­ gestellt wird, soll der Begriff des Betriebsfriedens so verwendet wer­ den, wie es der herrschenden Lehre entspricht6 • Eingehend behandelt werden j edoch der Tatbestand des Verbots der parteipolitischen Betäti­ gung im Betrieb nach § 74 II 3 BetrVG sowie die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Verbot, j eweils einschließlich der damit verbundenen Streitfragen. Soweit im Rahmen der Betriebsversammlung (§§ 42--46 BetrVG) spezifische Probleme des Verbots parteipolitischer Betätigung auftreten - etwa hinsichtlich der zulässigen Themen, des Adressaten­ kreises des Verbots oder der Möglichkeit von Politikerauftritten - wer­ den diese ebenfalls Gegenstand ausführlicher Erörterungen sein.

II, Problemstellung Es scheint in der Natur des Themas zu liegen - die politische Brisanz ist offensichtlich7 -, daß es mitunter durch Reizworte angegangen wird. So lautet ein gängiger, schlagwortartig formulierter8 Vorwurf gegen die rechtlich eingeschränkte Möglichkeit, sich im Betrieb politisch betätigen zu können : ,,Demokratie darf nicht am Werkstor enden." Weiter wird von einer Karikatur berichtet9 , auf der die durch das Fabriktor gehen­ den Arbeitnehmer von einem neben dem Werkstor stehenden großen Schild gewarnt werden: ,,Achtung! Sie verlassen den demokratischen Sektor der Bundesrepublik Deutschland 10 !" Derart geschmäht, sieht sich das Verbot parteipolitischer Betätigung kritisiert als dem Klasseninteresse des Unternehmers dienend 1 1 und dazu bestimmt, den Betrieb möglichst politisch keimfrei zu halten. s Hierzu aus neuerer Zeit Bäumer, BlStSozArbR 198 1 , 337; Schaub, RdA

sowie die Monographie von Voll, Meinungsfreiheit und Treuepflicht, Diss. Mannheim 1975. 6 Vgl. dazu etwa Dietz / Richardi, § 74 Rn. 42---48, der weitgehend die Er­ gebnisse der Arbeit von Germelmann, Der Betriebsfrieden in der Betriebs­ verfassung, zugrunde legt; weiterhin W, B lomeyer, ZfA 1972, 85. Zum neuen individualrechtlichen Betriebsfriedensbegriff des BAG vgl. BAG DB 1983, 1979, 137

2578, 1 8 9

Däubler, Bd. I , 6 .3.2.2. Zitiert bei Buchner, ZfA 1982, 49, Joachim, in: Posser / Wassermann, S. 255 (256).

10 Mit dieser Parole demonstrierte auch der wegen seiner parteipolitischen Betätigung gekündigte Arbeitnehmer in der Entscheidung BAG DB 1983, 2578. Dies wurde bei der nach § 626 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zu seinem Nachteil berücksichtigt, 11

R. Hoffmann, KJ 1969, 71 (78) ; Ladeur, KJ 1970, 231 ff.

§

1 Einleitung

21

Sachlicher formuliert der DGB 12 seine Forderung nach einer Ein­ schränkung des Verbots parteipolitischer Betätigung. Er hält den Be­ trieb nicht nur für einen Wirtschafts-, sondern auch für einen Lebensbe­ reich, der von unserer demokratisch strukturierten Gesellschaft nicht einfach losgelöst betrachtet und als ein Bereich angesehen werden dürfe, in dem staatsbürgerliche Rechte - gemeint sein dürfte die durch Art. 5 GG garantierte Meinungsfreiheit - nicht gelten. Demgegenüber argumentieren diejenigen, die das Verbot parteipoliti­ scher Betätigung für rechtspolitisch sinnvoll halten, damit, der Betrieb, insbesondere die Betriebsversammlung, dürfe nicht zum Ort 13 , zur „Plattform" 14 oder gar zum „Tummelplatz" 1 5 parteipolitischer Agitation und Propaganda werden. Das Verbot parteipolitischer B etätigung hin­ dere Arbeitgeber und Betriebsrat daran, ihre Stellung im Betrieb zu­ gunsten einer parteipolitischen Richtung zu mißbrauchen16 . Es gibt aber auch Stimmen, die eine größere Gelassenheit und mehr Toleranz in den Arbeitsbeziehungen bei politischer Betätigung verlan­ gen11. Daß solche unterschiedlichen Vorverständnisse erheblich voneinander abweichende Interpretationen des Rechtsinstituts des Verbots der p ar­ teipolitischen Betätigung nach sich ziehen18 , leuchtet insbesondere ange­ sichts mannigfacher politischer Handlungsmöglilchkeiten 19 ohne weite­ res ein. So ist auch die Diskussion um die Interpretation des Verbots partei­ politischer Betätigung seit seiner Verankerung in § 51 Satz 2 BetrVG 1952 bis heute nicht abgeklungen. Neben einer Vielzahl von Aufsätzen liegen bisher auch d rei monographische Abhandlungen211 , davon zwei21 aus neuerer Zeit vor.

12 In: Grundsätze des DGB zur Weiterentwicklung des Betriebsverfassungs­ rechts, 1983, S. 10. 13 Meise!, RdA 1976, 38 (39). 14 Abgeordneter Ruf (CDU/CSU), in: Stenographischer Bericht der 101 . Sit­ zung des Deutschen Bundestages - 6. Wahlperiode - vom 11. 2. 1971, S. 5813 (A). 15 Abgeordneter Ziegler (CDU/CSU), in: Stenographischer Bericht der 101. Sitzung des Deutschen Bundestages - 6. Wahlperiode - vom 11. 2. 1971, S. 5836 (A). 16 K. Molitor, BB 1955, 167. 17 Otto, Anm. zu ArbG Iserlohn, EzA Art. 5 Nr. 4, S. 24 a; Otto, AuR 1980, 289. 18 Vgl. Gnade / Kehrmann / Schneider / Blanke, § 74 Rn. 25-36 einerseits, Kammann / Hess / Schlochauer, § 74 Rn. 32-39 andererseits. 19 Vgl. die Beispiele bei Glaubitz, BB 1972, 1277 und Hacker, DB 1963, 962 (964).

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung war mit dem Fragenkreis schon hinreichend beschäftigt. Während das BAG bereits in mehreren Entscheidungen zu Einzelfragen des Verbots parteipolitischer Betäti­ gung Stellung bezog, hatte das BVerfG22 im Jahre 1976 in einem vielbe­ achteten Beschluß23 die Verfassungsmäßigkeit des § 74 II 3 BetrVG zu überprüfen. III. Der Begriff „Politik"

Wenn der Begriff „Politik" hier gleich zu Anfang erörtert wird, ohne in den Zusammenhang mit den Tatbestandsmerkmalen des § 74 II 3 BetrVG gestellt zu werden, hat dies seine Bewandtnis. Zunächst kommt der Begriff in dieser Norm mehrmals vor. Dabei wird zum einen den Betriebspartnern die parteipolitische Betätigung untersagt, zum ande­ ren bleibt die Behandlung tarifpolitischer und sozialpolitischer Angele­ genheiten möglich. Auch die §§ 75 I 1, 1 1 8 I Nr. 1 BetrVG, aus denen sich für die Darstellung einige Argumente gewinnen lassen, enthalten den Begriff „Politik" . Hinzu kommt der Umstand, daß die h. M. unter parteipolitischer B etätigung ohnehin jede auch allgemeinpolitische Be­ tätigung versteht, unabhängig davon, ob für oder gegen eine politische Partei, Gruppierung oder auch nur eine politische Richtung geworben wird24• Der Begriff „Politik" ist mehrdeutig, eine Erkenntnis, die bereits im antiken Griechenland bekannt war25. Außer der Rechtswissenschaft beschäftigen sich mit ihm auch andere Disziplinen, etwa die politische Wissenschaft, die Soziologie und die Wirtschaftswissenschaften, um nur einige zu nennen26 • Eine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung liegt bisher nicht vor, vielmehr gebraucht j ede Wissenschaftsdisziplin den Be­ griff zu ihren je eigenen Zwecken17 • Richtigerweise wird man davon aus20 Zuerst Behnes, Die politische Tätigkeit im Arbeitsverhältnis unter Be­ rücksichtigung der öffentlichen Dienstverhältnisse, Diss. Würzburg 1967. 2 1 Rüttgers, Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb, Diss. Köln 1979; Vollmer, Grenzen der politischen Betätigung im Betrieb, 1977. 22 BVerfGE 42, 133. 23 Vgl. dazu Anm. Hanau, AR-Blattei, Betriebsverfassung XIV A, Entsch. 13; Pauly, Jus 1978, 163; Anm. Reuter, Jus 1976, 681 ; Schneider, Die Quelle 1976, 359. 24 BAG AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG 1952; BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972; Dietz / Richardi, § 74 Rn. 58 f. ; Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 20 ; Stege / Weins­ pach, § 74 Rn. 12. 25 W. Besson, Evangelisches Staatslexikon, Spalte 1855 f.; Stern, Bd. 1, S. 14. 26 Vgl. weiter Stern, Bd. 1, S. 18. Tl Vgl. etwa den Politikbegriff in Zusammenhang mit den einzelnen Wis­ senschaftsdisziplinen bei den 24 Stichworten von Politik bis Politologie im Großen Brockhaus, Bd. 9, S. 107; für die Politikwissenschaft vgl. W. Besson, in: Evangelisches Staatslexikon, Spalte 1855 ff.

§ 1 Einleitung

23

zugehen haben, daß es sich beim Begriff Politik um eine Art von Fär­ bung handelt, die sich j edem Lebenssachverhalt anheften kann28 • Demgegenüber wird von manchen Autoren29 der folgende Weg be­ schritten: Nach einer Herleitung des Begriffs aus dem Griechischen wird der Versuch einer abstrakten Definition angeboten, die aus verschiede­ nen Wörter- und Handbüchern anderer Wissenschaftsdiziplinen entnom­ men ist. Der so gewonnene Begriff wird dann als Rechtsbegriff ausge­ geben und verwendet. So wird etwa Politik als j egliche Einflußnahme auf die öffentlichen Dinge verstanden, wozu j eder Bereich gehören soll, in dem Normen gesetzt werden, die für einen größeren Personenkreis von nicht unerheblicher Bedeutung sind30• Oder man definiert Politik als auf Macht und Herrschaft in der Gesellschaft und auf die Gestal­ tung des öffentlichen Lebens gerichtetes Verhalten und Handeln von Individuen, Gruppen, Organisationen, Parteien, Klassen, Parlamenten und Regierungen31 • Auch Gerichte sind dieser Vorgehensweise bereits erlegen. Bei der Beurteilung der parteipolitischen Betätigung eines Be­ triebsratsmitglieds definierte das LAG Frankfurt32 den Begriff Politik als die Kunst, das Notwendige möglich zu machen. Die soeben angebotenen Begriffe erscheinen jedoch juristisch nicht handhabbar, weil eine einigermaßen abgesicherte Subsumtion unter sie nur schwer möglich ist. Sie können das umfassende Phänomen Politik nur wenig faßbar beschreiben. Rechtsdogmatisch müssen sich die zitierten Stimmen hinsichtlich ihres Vorgehens den Vorwurf, einen Soziologismus entworfen und gebraucht zu haben, gefallen lassen33 • Das soziologistische Rechtsdenken verneint jede normative Eigenständigkeit rechtlicher Vorschriften und begreift die Normen lediglich als Ausdruck sozialer Vorgegebenheit". Daher fällt es dieser Denkart leicht, Begriffe aus anderen Wissenschaften zu über­ nehmen und als Rechtsbegriffe zu verwenden. Zwar hat die gesell­ schaftliche Wirklichkeit als Element der Normkonkretisierung und da­ mit der Auslegung oft erhebliche Bedeutung35 • Der Jurist muß die sozia28 Doehring, S. 2 1 ; Forsthof/, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl. 1958, S. 467 (in der 8.-10. Aufl. nicht mehr enthalten) ; Stern, Bd. 1, S. 18. 29 Behnes, S. 13 ff.; Meise!, RdA 1976, 38 (39) ; Schaub, RdA 1979, 137 (140) ; Vollmer, S. 5 f. 30 Vollmer, S. 5. 3 1 Meise!, RdA 1976, 38 (39) . 32 LAG Frankfurt, DB 1967, 430. 33 Vgl. zur Methodenkritik des Soziologismus F. Müller, Juristische Metho­ dik, S. 132, 189, 192, 194; ders., Rechtsstaatliche Form - Demokratische Poli­ tik, S. 260 f. 34 Vgl. F. Müller, Rechtsstaatliche Form - Demokratische Politik, S. 260 ; ders., Juristische Methodik, S. 132. 35 F. Müller, Juristische Methodik, S. 189.

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1 . Kap . : Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

len Sachverhalte, auf die sich die Norm bezieht, mit in den Blick neh­ men, wenn er sie interpretiert"'. Jedoch ist die normierende Kraft des Rechts mehr als nur eine auswählende und verallgemeinernde Formulie­ rung gesellschaftlich „geltender" Inhalte. Der Soziologismus läßt das eigenständige Normprogramm zu kurz kommen37 , während die Jurispru­ denz sich gerade unter diesem normativen Aspekt und daher mit dem Sinn der j eweiligen Norm befaßt38. Der hier bevorzugte Weg, auf eine abstrakte Definition von Politik wegen der ihr ermangelnden Anschaulichkeit und Brauchbarkeit zu ver­ zichten, taucht als Rechtsproblem nicht zum ersten Mal auf. Erinnert sei nur an die Kontroverse zwischen H. J. Wolf! und E. Forsthof/ zum Begriff „öffentliche Verwaltung" . Während sich H. J. Wolf/39 um eine fünfzeilige Definition müht, hält E. Forsthof/40 den Begriff nicht für de­ finierbar; denn „die Mannigfaltigkeit, in der sich die einzelnen Verrich­ tungen der Verwaltung ausfächern, spottet der einheitlichen Formung" . Bei einem vieldeutigen B egriff wie dem der Politik kann die Rechts­ wissenschaft nur so vorgehen, diesen Begriff als Tatbestandsmerkmal im Sachzusammenhang der j eweiligen Rechtsmaterie herauszuarbeiten. Diese Vorgehensweise wurde beispielsweise auch bei dem ebenfalls mehrdeutigen Rechtsbegriff „Öffentlich" bzw. des „öffentlichen Interes­ ses" , der ebenfalls in den verschiedensten Normzusammenhängen auf­ taucht, praktiziert41 • Speziell bei der Interpretation des Begriffs Politik in § 118 I Nr. 1 BetrVG geht namentlich auch Mayer-Maly42 so vor, daß er einen engeren und einen weiteren Politikbegriff vorstellt und dann erörtert, welcher Begriff bei der Auslegung des § 118 I Nr. 1 BetrVG am besten geeignet ist, um den Sinn dieser Vorschrift zu erfassen. Rechtsmethodisch spricht man insoweit von einem funktionsbestimmten Rechtsbegriff, der in dem j eweiligen Regelungszusammenhang zu be­ stimmen sei43 • Andere nennen dies „funktionsdifferente Auslegung" 44 • Um einen Eindruck zu vermitteln, wo der Begriff der Politik, zum Teil gepaart mit anderen Begriffen, als Rechtsbegriff vorkommt, seien 36 Larenz, Methodenlehre, S. 65 f. 37 F. Müller, Juristische Methodik, S. 194. 38 Larenz, Methodenlehre, S. 200. 39 Wolf! / Bachof, 1 , § 2 III. 40 Forsthof!, 10. Aufl., S. 1. 41 Vgl. die Aufarbeitung des Begriffs bei P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970 und W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1 969 ; zusf. v. Münch, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 III. 42 Mayer-Maly, AR-Blattei D-Blatt Tendenzschutz I , unter D 1. 43 Larenz, Methodenlehre, S. 464. 44 F. Müller, Juristische Methodik, S. 157 ff.

§ 1 Einleitung

25

folgende Vorschriften genannt. Nach Art. 65 Satz 1 GG bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik45 • § 29 ZDG untersagt den Zi­ vildienstleistenden, § 15 SG den Soldaten die politische Betätigung im Dienst. §§ 35 Abs. 2 BRRG, 53 BBG verpflichten den Beamten, § 79 DRiG den Richter, § 8 I BAT den Angestellten im öffentlichen Dienst zur Mäßigung und Zurückhaltung bei der politischen Betätigung46 • § 31 I BRRG sieht die Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhe­ stand für den sogenannten politischen Beamten vor. Auf die §§ 75 I 1, 1 18 I Nr. 1 BetrVG wurde bereits hingewiesen. Für das vorliegende Thema kommt es also in erster Linie darauf an, wie der Begriff der parteipolitischen Betätigung bzw. der tarifpoliti­ schen und sozialpolitischen Angelegenheiten in § 74 II 3 BetrVG in dem dortigen Regelungszusammenhang zu verstehen ist. Bei dieser Ausle­ gung werden zumindest einige der soeben genannten Vorschriften zum Zwecke der vergleichenden Interpretation und damit zur Gewinnung von Sachargumenten herangezogen.

45 Zur Auslegung des Begriffs Politik in diesem Zusammenhang Liesegang, in : v. Münch, Grundgesetzkommentar, Bd . 2, Art. 65 Rn . 7 . 46 Zur Auslegung des § 8 I B A T vgl . BAG AP Nr. 8 z u Art. 5 I G G Mei­ nungsfreiheit. Das BAG interpretiert den Begriff der politischen Betätigung dort gerade unter dem Gesichtspunkt des Zurückhaltungsgebots , welches das Vertrauen der Bürger in die Obj ektivität der Amtsführung sichern soll .

§ 2 Geschichtliche Entwicklung Die geschichtliche Entwicklung des Verbots parteipolitischer Betäti­ gung soll an dieser Stelle dargestellt werden. Dies zum einen deshalb, weil es von dogmengeschichtlichem Interesse ist, die Ursprünge eines Rechtsinstituts zu verfolgen. Zum anderen kann die durch die gewon­ nenen Ergebnisse möglich werdende historische Interpretation als eine der klassischen juristischen Auslegungsmethoden' zum Verständnis des geltenden Rechts fruchtbar gemacht werden2 • I. Entwicklung bis Ende des ersten Weltkrieges

Ein Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb für Arbeitgeber und Betriebsrat war ausdrücklich zum ersten Mal in § 51 Satz 2 BetrVG 1952 normiert. Dennoch kam dem Problem der politischen Betätigung im Arbeitsverhältnis bereits im 19. Jahrhundert eine gewisse Bedeu­ tung zu3 • So verboten manche Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern, ge­ wisse Zeitungen zu halten oder Gaststätten, in denen sozialdemokrati­ sche Politik diskutiert wurde, zu besuchen4 . Gesetzliche Vorschriften zum Zwecke einer ausgewogenen und interessengerechten Regelung wa­ ren zu dieser Zeit aber deswegen nicht notwendig, weil die Arbeitgeber im Betrieb ohnehin ganz überwiegend den „Herr-im-Haus-Standpunkt" vertraten5 und auch den „politischen Ton" 6 angaben. Will man über­ haupt für diese Zeit den Begriff „Betriebsverfassung" verwenden, kann man sie als einseitig7 oder absolutistisch8 bezeichnen. Der Kündigungs1

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 313. Vgl. etwa unten § 3 IV, § 4 II 3 b. 3 Vgl. Gnade, ArbRdGgw, Bd. 14 (1977), S. 59 (60). 4 Vgl. dazu die Ausführungen des Abgeordneten u. Stumm-Halberg, in: Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, VIII. Leg.­ Per. I. Session 1890/91, Bd. 1, S. 161 (A) ; ein Verbot solcher in „Arbeitsord­ nungen" enthaltenen Vorschriften über die politische Betätigung und die Zei­ tungslektüre forderte, weil dies den Betrieb nichts anginge, im Jahre 1912 Potthoff, S. 134 ff. 5 So die Formulierung bei Neumann-Duesberg, S. 26 und Nikisch III, S. 4, aber auch früher schon Potthoff, S. 132. 6 So Gnade, ArbRdGgw, Bd. 14 (1977), S. 59 (60). 1 Neuloh, S. 72. 2

§ 2 Geschichtliche Entwicklung

27

schutz steckte noch in den Anfängen, das Arbeitsrecht stand bis 1914 auf dem Boden der Kündigungsfreiheit, die nur durch wenige zwingende Vorschriften wie §§ 134, 138 BGB eingeschränkt war9 • Der Arbeitgeber hatte also die Möglichkeit, die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zu entlassen, wenn sie sich in mißliebiger Weise politisch oder auch ge­ werkschaftlich betätigten. Hiervon wurde auch Gebrauch gemacht. So führte in einer Rede vor dem Reichstag der Industrielle und Abgeord­ nete Frhr. Jochen v. Stumm-Halberg in der Reichstagssitzung vom 19. 5. 1890 bei den Beratungen zum Arbeiterschutzgesetz 10 folgendes aus1 1 : „Wer gewisse Zeitungen hält, den kündige ich - und das werde ich auch künftig unter allen Umständen beibehalten." Zu den Sozialdemo­ kraten gewandt, fuhr er fort: ,,Ich halte mich vor meinem Gewissen für verpflichtet, was an mir liegt, mit allen gesetzlichen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, dafür zu sorgen, daß die verderblichen Lehren, die von Ihrer Seite ausgehen, nicht in die Kreise meiner Arbeiter eingeschleppt werden, Es ist mir nie im Leben eingefallen, einen Arbeiter deshalb in Geld zu bestrafen, sondern ich habe stets mir gesagt: Dem Arbeiter, der sich in der Weise geirrt, dem kündige ich, der mag sich eine andere Ar­ beit suchen." Der Arbeitgeber konnte also angesichts seiner weitgehend unbe­ schränkten Kündigungsmöglichkeit nicht nur im Betrieb politische Ak­ tionen unterbinden, sondern auch über den engeren Bereich des Betrie­ bes hinaus mittelbar in das Privatleben des Arbeitnehmers hineinwir­ ken und so den Arbeitnehmer auch politisch bevormunden12 • Auch in Arbeitsordnungen aus dieser Zeit wurde die parteipolitische Betätigung untersagt. So enthielt die „Fabrik-Ordnung" der Rheinischen Dynamit­ Fabrik von 1885 13 folgende Vorschrift: ,,Sozialdemokratische Bestrebun­ gen und Neigungen werden nicht geduldet." Bei den gesetzgeberischen Bemühungen zur Schaffung einer Betriebs­ verfassung spielte der hinter dem Verbot der parteipolitischen Betäti­ gung stehende Gedanke, die Wahrung des Betriebsfriedens14 , von Be­ ginn an eine Rolle. Bereits der erste Vorläufer der heutigen Betriebs­ verfassung, der Entwurf einer Gewerbeordnung durch den volkswirt­ schaftlichen Ausschuß der Nationalversammlung in der Frankfurter 8 Neumann-Duesberg, S. 25. 9 Buchner, ZfA 1982, 49 (51) ; G. Hueck, in : Hueck, KSchG, Einl. Rn.1. 10 RGBI. 1891, S. 261 ff. 1 1 Vgl . v. Stumm-Halberg, in : Stenografischer Bericht über die Verhandlungen des Reichstages, VII. Leg .Per. I. Session 1890/91, Bd . 1, S. 160 f. 12 So formulierte es Gnade, ArbRdGgw, Bd. 14 (1977), s. 59 (61). 13 Abgedruckt b ei Flohr, S . 127 . 14 Dietz / Richardi, § 7 4 Rn. 55 ; Fitting / Aufjarth / Kaiser, § 7 4 Rn. Ba ; Gal­ perin / Löwisch, § 74 Rn. 19.

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1. Kap . : Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

Paulskirche in den Jahren 1848/49, sah in den §§ 42 und 43 unter Be­ teiligung der Arbeitnehmer errichtete Fabrikausschüsse vor 15 . In der Begründung zu diesem, später vom Plenum abgelehnten 16 Entwurf, wurde der Aufgabenkreis dieser Fabrikausschüsse dahingehend um­ schrieben, sie sollten durch Aufrechterhaltung der O rdnung im Innern 17 , durch Vermittlung bei Streitigkeiten, durch Belebung des Interesses der Arbeiter an der Fabrikanstalt fördernd auf die Industrie einwir­ ken 18 . Der nächste Anlauf, Belegschaftsvertretungen gesetzlich zuzulassen, erfolgte durch das sog. Arbeiterschutzgesetz 19 vom 1. Juni 1891�. In die­ ser Novelle zur Gewerbeordnung waren in § 134 h Gewerbeordnung fa­ kultativ sog. Arbeiterausschüsse2 1 vorgesehen. Die diesen Gremien ein­ geräumten Mitwirkungrechte waren auf zwei Tatbestände beschränkt. Zwar konnte gern. §§ 134 a-g GewO der „Besitzer der Fabrik" (vgl. § 1 34 b III GewO) nach wie vor einseitig die - ab 20 Arbeitern zwin­ gend vorgeschriebene - Arbeitsordnung erlassen. Nach § 1 34 b III S atz 1 GewO blieb es dem Arbeitgeber auch überlassen, Fragen der O rdnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter im Betriebe regelnde B estimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen - hier klingt der Gesichtspunkt des Betriebsfriedens wieder an. Jedoch war der Arbeitgeber gern. § 1 34 d II GewO verpflichtet, zuvor den Arbeiter­ ausschuß anzuhören. Wollte der Unternehmer gar in die Arbeitsordnung Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter „bei Benutzung der zu ihrem Besten getroffenen mit der Fabrik verbundenen Einrichtungen22 , sowie Vorschriften über das Verhalten der minderj ährigen Arbeiter außerhalb des Betriebes" aufnehmen, bedurfte er nach § 134 b III 2 GewO der Zustimmung des Arbeiterausschusses. Rechnete der Gedanke des Betriebsfriedens bis zu diesem Zeitpunkt zu der allgemeineren und umfassenderen Materie der Ordnung des Be­ triebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer, taucht in den folgenden Etappen der Entwicklung bereits die sprachliche Formulierung auf, un­ ter die das Reichsarbeitsgericht23 später auch die politische Betätigung der Betriebsratsmitglieder subsumierte. 1 5 Nikisch, Arbeitsrecht III, S . 4 ; Neumann-Duesberg, S. 25. 16 Neumann-Duesberg, S. 25. 1 7 Vgl. heute § 87 I Nr. 1 BetrVG. 18 Germelmann, S. 28. Diesen Gedanken nennt auch das BAG in seiner Ent­ scheidung vom 7. 9. 1956, AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG als den Grund, der die Mit­ bestimmung des Betriebsrats rechtfertigt. 19 Vgl. Neumann-Duesberg, S. 27. 20 RGBL 1891, S . 261 ff. 2 1 Dazu Teuteberg, S. 37�10. 22 Vgl. heute § 87 I Nr. 8 und 9 BetrVG. 23 RAG vom 10. 7 . 1929 - Bensheimer Sammlung Bd. 6, 320.

§ 2 Geschichtliche Entwicklung

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So ergingen im Jahre 1905 unter dem Druck von Arbeiteraufständen und sozialen Unruhen, die zu den größten Grubenarbeiterstreiks führ­ ten, die Deutschland je gesehen hatte24 , zwei Novellen zum allgemeinen Berggesetz für die preußischen Staaten25 • Diese Änderungsgesetze vom 14. 7. 190526 und vom 28. 7. 190917 schreiben die Errichtung der Arbeiter­ ausschüsse zwingend vor28 • Hinsichtlich der Mitwirkungsrechte bestimm­ ten die §§ 80 ff., daß die Arbeiterausschüsse das gute Einvernehmen in­ nerhalb der Belegschaft und zwischen der Belegschaft und dem Arbeit­ geber fördern und erhalten sollten. Dieses Recht der Arbeiterausschüsse erstreckte sich nicht nur auf die äußeren Arbeitsbedingungen, sondern umfaßte auch Lohnfragen. Dies wurde damit begründet, daß allgemei­ ner Zweck der Arbeiterausschüsse die E rhaltung des Friedens inner­ halb des Betriebes sei, aber gerade Lohnfragen Anlaß zu Spaltungen innerhalb des Betriebes geben können. An der friedlichen Beilegung derartiger Streitigkeiten habe die Öffentlichkeit ein besonderes Inter­ esse29. Die den Gedanken des Betriebsfriedens umschreibende Wendung der Förderung des guten Einvernehmens innerhalb der B elegschaft so­ wie zwischen dieser und dem Arbeitgeber fand sich wieder in § 12 I 1 des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. 12. 191630 • Die­ ses Gesetz sah die Arbeiterausschüsse und deren Mitwirkungsrechte für alle Hilfsdienstbetriebe vor (vgl. § 11 I HilfsdienstG) . Spezieller Zweck der Wahrung des Betriebsfriedens war es, die durch den ersten Weltkrieg besonders beanspruchte Kriegswirtschaft nicht auch noch mit den auf dem Gebiete des Arbeitslebens auftretenden Konflikten mehr als unbe­ dingt notwendig zu belasten31 •

II. Betriebsrätegesetz von 1920 Schon bald nach dem Ende des 1. Weltkrieges schaffte der als Gesetz­ geber fungierende Rat der Volksbeauftragten mit der „Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlich­ tung von Arbeitsstreitigkeiten" vom 23. 12. 1918 (TVV0) 32 eine rechtliche 24 Vgl. Germelmann, S. 29; Vollmer, S. 14; die Forderungen der streikenden Ruhrbergarbeiter sind abgedruckt bei Blanke / Ernst / Mückenberger / Sta­ scheit, S. 1 12. 25 Vom 24. 6. 1865, PrGS 1865, 705 ff. 26 PrGS 1905, 307 ff. 21 PrGS 1909, 677 ff. 28 Neumann-Duesberg, S. 30. 29 Reuß, ZfBergr 50 ( 1909), S. 533 (592, 594). 30 RGBl. 1916, 1333 ff. 31 Nikisch, Arbeitsrecht UI, S. 5. 32 RGBI . 1918, S. 1456.

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

Grundlage für die Errichtung der Arbeiterausschüsse. Wieder kam die­ sen nach § 13 I 3 TVVO die Aufgabe zu, ,,das gute Einvernehmen inner­ halb der Arbeiterschaft oder Angestelltenschaft sowie zwischen diesen und dem Arbeitgeber zu fördern" . Nachdem der Rätegedanke33 , der sich in der russischen Revolution von 1917 in Form der Arbeiter- und Soldatenräte durchgesetzt hatte, von dort nach Deutschland vorgedrungen war (,,alle Macht den Räten"), fand er auch in dem sog. ,,Räteartikel" der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 1 1 . 8. 191934 seinen Niederschlag. Gern. Art. 165 WRV sollten für die Arbeiter und Angestellten „zur Wahrung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen in den Betrieben Betriebsarbeiterräte, auf überbetrieblicher Ebene bezirkliche Arbeiter- und Bezirkswirtschafts­ räte, ein Reichsarbeiterrat und ein Reichswirtschaftsrat eingerichtet werden" . Das Betriebsrätegesetz (BRG) vom 4. 2. 192035 füllte diese Verfassungs­ norm auf einfach-gesetzlicher Ebene aus36 • Darin wurde dem Betriebs­ rat in § 66 Nr. 3 BRG die Aufgabe übertragen, den Betrieb vor Erschüt­ terungen zu bewahren. Weiter oblag es dem Betriebsrat nach § 66 Nr. 6 BRG wiederum, das Einvernehmen innerhalb der Arbeitnehmerschaft sowie zwischen ihr und dem Arbeitgeber zu fördern. Es entsprach allge­ meiner Auffassung37 , daß § 66 Nr. 6 BRG lediglich ein besonderer Unter­ fall des § 66 Nr. 3 BRG darstellte, beide Vorschriften also den Zweck hatten, den Frieden im Betrieb zu bewahren. Die Sorge für den Be­ triebsfrieden wurde als oberste Aufgabe38 und als „Hauptkompetenz" 39 des Betriebsrats bezeichnet. Unter „Erschütterungen des Betriebes" ver­ stand man zunächst nur Arbeitseinstellungen und sonstige den unge­ störten Gang des Betriebes beeinträchtigende Handlungen40 • Wegen § 66 Nr. 6 BRG mußte der Betriebsrat selbst jede „Hetz- und Wühlarbeit unterlassen sowie für die Unterlassung durch andere sorgen" 41 • Nach drei Entscheidungen des RAG in den Jahren 1929 und 193042 zur politi33 Er geht auf den französischen Anarchisten P. J. Proudhon (1809-1865) zurück, vgl. dazu E. Molitor, in: Festschrift für Hersehe!, S. 105. 34 RGBI. 1919, S. 1383. 35 RGBI. 1920, S. 147. 36 Sinzheimer, S. 233. 37 Flatow / Kahn-Freund, BRG, 13. Aufl. 1931, § 66 Anm. 6.1 ; Mansfeld, BRG, 3. Aufl. 1930, § 66 Anm. 7a. 38 Kaskel, S. 202. 39 Jacobi, S. 23 Fn. 26. 40 Flatow, BRG, 12. Aufl. 1927, § 66 Anm. 3.3. 41 Kaskel, S. 202; hierauf wird unten § 4 II 3 bei der Frage, ob eine partei­ politische Betätigung des Betriebsrats i. S. des § 74 II 3 BetrVG auch dann vorliegt, wenn er die parteipolitische Betätigung anderer Arbeitnehmer dul­ det, zurückzukommen sein.

§ 2 Geschichtliche Entwicklung

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sehen und gewerkschaftlichen Betätigung von Betriebsratsmitgliedern begann auch das Schrifttum, politische, den Betrieb aufwühlende Kämpfe43 bzw. politische Propaganda44 als Beispiele für Erschütterungen des Betriebes (§ 66 Nr. 3 BRG) und als Verletzung der Pflicht, das Ein­ vernehmen innerhalb der Arbeitnehmerschaft herzustellen (§ 66 Nr. 6 BRG), anzuführen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben verlangte man vom Betriebsrat völlige Neutralität auf politischem und gewerkschaftlichem Gebiet45 • Ohnehin durfte der Betriebsrat schon deswegen nicht zu poli­ tischen Fragen Stellung nehmen, weil ihm insoweit die Zuständigkeit46 fehlte, er hatte nach § 1 BRG lediglich die gemeinsamen wirtschaftli­ chen, nicht aber - in Abgrenzung hierzu - politischen Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen47 • Bereits den soeben genannten48 Ent­ scheidungen des RAG liegen Sachverhalte zugrunde, die als typisch für den Problembereich parteipolitischer Betätigung im Betrieb bezeichnet werden können. Im ersten Fall49 hatte das Betriebsratsmitglied mit Ar­ beitnehmern diese belästigende politische Gespräche geführt, in den Arbeitspausen politische Reden gegenüber den Arbeitnehmern gehal­ ten und eine Betriebsversammlung unterbrochen, um politische und ge­ werkschaftliche Fragen zu klären. Im zweiten Fall50 verteilte ein Betriebsratsmitglied vor Schichtbeginn am Werkseingang ein Flugblatt der Kommunistischen Partei Deutsch­ lands. Darin wurde zum politischen Massenstreik aufgerufen. Flatow51 sollte mit seiner Bemerkung, die unendliche Fülle der Tatbestände würde hier noch oft schwierige Probleme aufwerfen, recht behalten. Im dritten Fall52 , in welchem wieder mittels eines Flugblattes zum Streik aufgefordert wurde, suchte das Betriebsratsmitglied seine poten­ tiellen Leser an einem Ort, wo er sich des Interesses ebenfalls sicher sein konnte: Er deponierte die Flugblätter in der Toilette des Betriebes. 42 RAG, 10. 7. 1929 - ARS 6, 320 ; RAG, 16. 11. 1929 - ARS 7, 444 ; RAG, 19. 2 . 1930 - ARS 8, 204. 43 Flatow / Kahn-Freund, BRG, 13. Aufl., § 66 Anm. 3 .3 b. 44 Flatow / Kahn-Freund, BRG, 13. Aufl., § 66 Anm. 6.3 b . 45 Mansfeld, B R G , § 66 Anm. 7a; Welbling / Schultz / Sell, B R G , § 6 6 Anm. 9a. 46 Dieses Zuständigkeitsargument wird erst neuerdings wieder in die Dis­ kussion gebracht, vgl. Buchner, ZfA 1982, 49 (6 1 ) ; Oetker, BlStSozArbR 1983, 321 (322). 47 Flatow / Kahn-Freund, BRG, 13. Aufl., § 1 Anm. 3 ; Mansfeld, BRG, § 1 Anm. 2a. 48 Siehe Fn. 42. 49 RAG ARS 6 , 320. 50 RAG ARS 7, 444. 5 1 Flatow, Anm. zu RAG ARS 7, 444 in ARS 7, 446. s2 RAG ARS 8, 204.

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1. Kap.: Grundlagen zu

§ 74

II 3 BetrVG

Das RAG53 betonte, die Stellung als Betriebsratsmitglied und die da­ mit nach § 66 Nr. 6 BRG verbundene Aufgabe, das Einvernehmen inner­ halb der Arbeitnehmerschaft zu fördern, legten dem Betriebsratsmit­ glied naturgemäß auch in der Ausübung politischer Tätigkeit innerhalb des Betriebes gewisse Verpflichtungen auf. Auch das Verteilen von poli­ tischen Flugblättern vor dem Werkstor sah das RAG54 als politische Agitation an, wodurch die aus § 66 Nr. 3 BRG folgende Pflicht, den Be­ trieb vor Erschütterungen zu bewahren, verletzt werde. Diese Auffas­ sung bestätigte das RAG in seiner Entscheidung vom 19. 2. 193055 , indem es die Kündigung des die Flugblätter verteilenden Betriebsratsmitglie­ des, das dadurch gegen die Arbeitsordnung verstoßen hatte, für gerecht­ fertigt erklärte. Das BRG enthielt j edoch noch einen zweiten Komplex von Vorschrif­ ten, die die politische Gesinnung und Betätigung der Arbeitnehmer zum Gegenstand hatten. Nach § 81 I BRG mußten zwischen dem Arbeitge­ ber und den Gruppenräten56 vereinbarte Einstellungsrichtlinien57 die Bestimmung enthalten, daß die Einstellung eines Arbeitnehmers u. a. nicht von seiner politischen Betätigung oder von der Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zu einem politischen Verein abhängig gemacht wer­ den durfte. Gern. § 84 I Nr. 1 BRG konnten gekündigte Arbeitnehmer gegen die Kündigung beim Gruppenrat Einspruch einlegen, wenn der begründete Verdacht vorlag, daß die Kündigung wegen der politischen Betätigung oder der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem politischen Verein erfolgt ist. Diese beiden Normen wird man nach ihren Formulierungen gewissermaßen als gedankliche Vorläufer der heute in § 75 I 1 BetrVG niedergelegten Grundsätze über die Behandlung der Betriebsangehörigen betrachten dürfen. III. Zeit des Nationalsozialismus

Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. 1 . 1933 wurde die Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung gestoppt. Mit den politischen Vorstellungen des Nationalsozialismus war das Modell einer Betriebsverfassung, wie es im BRG enthalten war, nicht zu ver­ einbaren. Nach dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) 53

RAG ARS 6, 320 (32 1). RAG ARS 7 , 444 (445). 55 RAG ARS 8, 204. 56 Die Gruppenräte, also der Arbeiterrat und der Angestelltenrat, hatten nach Maßgabe der §§ 78-90 BRG die spezifischen Interessen dieser Arbeit­ nehmergruppen wahrzunehmen. 57 Vgl. heute § 95 BetrVG. 54

§ 2 Geschichtliche Entwicklung

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vom 20. 1 . 193458 wurde auch für den Betrieb der sog. Führergrundsatz59 eingeführt, wonach der Unternehmer als Betriebsführer den Betrieb und seine „Gefolgschaft" - die Arbeitnehmer - in eigenständiger Ver­ antwortung . leitete, vgl. §§ 1, 2 AOG60 • An die Stelle der Betriebsräte traten nach § 5 AOG sog. Vertrauensräte, denen aber gern. §§ 5, 6 AOG im wesentlichen nur beratende und unterstützende Funktionen obla­ gen61 . Selbständige Entscheidungen zu treffen, war dem Vertrauens­ rat und den Vertrauensmännern untersagt'2. Parteipolitik spielte in die­ sem zeitlichen Abschnitt im Betrieb in mehrfacher Weise eine Rolle. Zu­ nächst wirkte die NSDAP selbst über das AOG in das Arbeitsleben und in die Betriebe hinein, die Partei war organisatorisch in das AOG einge­ baut63 . So durfte z. B. die Aufstellung der Liste der Vertrauensmänner und ihrer Stellvertreter nur durch den Führer des Betriebes im Ein­ vernehmen mit dem im jeweiligen Betrieb tätigen Obmann der natio­ nalsozialistischen Betriebsorganisation, also einer Untergliederung der NSDAP, erfolgen (§ 9 AOG) . Weiterhin mußten die Vertrauensmänner ohnehin der Deutschen Arbeitsfront, einer weiteren Untergliederung der NSDAP, angehören (§ 8 AOG) , womit die politische Zuverlässigkeit im nationalsozialistischen Sinne gewährleistet war64. Obwohl eine Insti­ tution wie die Betriebsversammlung im AOG nicht vorgesehen war, fanden doch an deren Stelle sog. ,,Betriebsappelle" statt65 , denen die NSDAP große Bedeutung zumaß. Der Betriebsappell diente unter dem Vorwand der Klärung betrieblicher Verhältnisse dazu, die Gefolgschaft einer nachhaltigen nationalsozialistischen Propaganda auszusetzen. Die NSDAP erreichte damit auch solche Arbeitnehmer, die ansonsten kaum zum Besuch der Parteiversammlungen zu bewegen waren66 • Ein weite­ rer Bereich, in dem die politische Einstellung der Arbeitnehmer arbeits­ rechtliche Folgen nach sich zog, waren Kündigungen wegen abweichen­ der politischer Meinung67 • Davon betroffen waren insbesondere Kommu58 RGBI. 1934, I, S. 45. 59 Vgl. Mansfeld, Die Ordnung der nationalen Arbeit, § 2 Anm. 1, 2. 60 Vgl. v. Hoyningen-Huene, § 2 I c; Rüthers, AuR 1970, 97. 61 Vgl. Dietz, in: A. Hueck / Nipperdey / Dietz, Kommentar zum AOG, § 5 Rn. 16. 6 2 Dietz, in: A. Hueck / Nipperdey / Dietz, § 6 Rn. 4. 63 Vgl. Dersch, Kommentar zum AOG, § 18, Anm. 3b. 64 Weitere Beispiele bei Dersch, soeben Fn. 63. 65 Dazu Hersehe!, DB 1962, 237 ; ders., DB 1962, 1 1 10. 66 Hersehe!, DB 1962, 237; zum äußeren Rahmen eines solchen Betriebs­ appells vgl. RAG, 25. 10. 1937 - ARS 32, 58 (60 f.) : dort war die Hakenkreuz­ flagge gehißt, Nationallieder wurden gesungen, die Gefolgschaft erhob die rechte Hand zum deutschen Gruß, auf den Führer wurde ein „Sieg Heil!" aus­ gerufen. 67 RAG, 16. 2. 1938 - ARS 32, 303 mit Anm. A. Hueck; vgl. dazu die Be­ richte über die Rechtsprechung aus dieser Zeit von Lepke, DB 1968, 1990 ff. und Mayer-Maly, AuR 1968, 1 (3 f.) ; außerdem Germelmann, S. 38 f. 3 Hofmann

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

nisten und Sozialdemokraten68 • Die hier in erster Linie interessierende Fragestellung nach der poliltischen Betätigung im Betrieb hatte im AOG keine ausdrückliche Regelung erfahren. Wie bereits das BRG enthielt jedoch das AOG eine Norm über die Störung des Arbeitsfriedens, wor­ unter die Literatur auch eine politische Betätigung verstand. § 36 I Nr. 2 AOG sah einen Verstoß gegen die soziale Ehre für den Fall vor, daß „Angehörige der Gefolgschaft den Arbeitsfrieden im Betriebe durch böswillige Verhetzung der Gefolgschaft gefährden, sich insbesondere als Vertrauensmänner bewußt unzulässige Eingriffe in die Betriebsführung anmaßen oder den Gemeinschaftsgeist innerhalb der Betriebsgemein­ schaft fortgesetzt böswillig stören". Diese Vorschrift wurde so inter­ pretiert69, daß ihr vor allem der Gedanke der Verhinderung des Klas­ senkampfes zugrunde liegen sollte. Zwei Entscheidungen aus dieser Zeit hierzu sollen dies veranschauli­ chen. In einem Fall70 hielt das Gericht eine ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Störung des Betriebsfriedens für gerechtfertigt, weil sich an seinem bereits 1931 gekauften Fahrrad eine Klingel mit dem Abzeichen - es war ein rotes gotisches „S" - des sozialdemokra­ tischen Arbeiter-Radfahrer-Bundes „Solidarität" befand und er damit zur Arbeit kam7 1 • Im zweiten Fall72 wurden Arbeitnehmer im ehren­ gerichtlichen Verfahren wegen eines Verstoßes gegen die bereits er­ wähnte Vorschrift des § 36 I Nr. 2 AOG mit einem Verweis bestraft. Ihr „Vergehen" lag einmal darin, nicht mit dem „Deutschen Gruß" gegrüßt zu haben73 , zum anderen sangen sie beim Absingen der Nationalhymne auf einer Betriebsfeier nicht mit und erhoben auch nicht den rechten Arm.

IV. Zeit nach 1945 Bereits während des politischen und militärischen Zusammenbruchs des Deutschen Reiches bildeten sich schon im April und Mai 1945 spon­ tan Betriebsräte, die später auch von den Besatzungsmächten gebilligt 68 Vgl. LAG Frankfurt, 27. 1 1. 1933 - ARS 19, 207; LAG Essen, 3. 1. 1934 ARS 20, 77; weitere Nachweise bei Otto, S. 81 f. und insbesondere Rüthers, s. 218 ff. @ Dietz, in: A. Hueck / Nipperdey / Dietz, § 36 Rn. 27. 70 LAG Leipzig, 15. 10. 1934 - ARS 23, 1 10. 1 1 Auf die in neuerer Zeit ergangenen Urteile des BAG betreffend das Tra-. gen von politischen Plaketten sei hier nur vorab hingewiesen: BAG AP Nr. 8 zu Art. 5 I GG Meinungsfreiheit; BAG, DB 1983, 2578. Ausführlich dazu v. Hoyningen-Huene / R.Hofmann, BB 1984, 1050. 12 REG, 25. 10. 1937 - ARS 32, 58. 73 In den Entscheidungsgründen (soeben Fn. 72, S. 59) heißt es, sie hätten stattdessen „Tageszeit" geboten.

§ 2 Geschichtliche Entwicklung

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wurden74 . Die Rechtsgrundlage für die Errichtung der Betriebsräte wurde ein Jahr später mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 22 vom 10. 4. 194675 (KRG) geschaffen. Darin erhielten die Betriebsräte auch allge­ meinpolitische Aufgaben übertragen. Nach Art. V Abs. 1 e KRG sollten die Betriebsräte bei der Verhinderung aller Rüstungsindustrie und bei der Entnazifizierung von öffentlichen und privaten Betrieben mit den Behörden zusammenarbeiten. Auf der anderen Seite wurde j edoch Art. VII KRG, wonach die Betriebsräte ihre Aufgaben in Zusammen­ wirken mit den anerkannten Gewerkschaften auszuführen hatten, so in­ terpretiert, daß in Abgrenzung dazu eine parteipolitische Betätigung des Betriebsrats oder von Betriebsratsmitgliedern nicht erlaubt sei76 • Das KRG war lediglich ein Rahmengesetz ; ins einzelne gehende Rege­ lungen zu treffen, blieb den bald darauf erlassenen Ländergesetzen vor„ behalten. Während die meisten Landesgesetze keine Vorschriften über partei­ politische Betätigung im Betrieb enthielten71 , normierte zunächst das bayerische Betriebsrätegesetz78 in § 52 u. a. ein Verbot parteipolitischer Betätigung79 : ,,Der Betriebsrat hat sein Amt unparteiisch zu führen; er hat j ede unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Geschlecht sowie politische oder gewerk­ schaftliche Betätigung oder Einstellung zu unterlassen. Er hat sich in seiner Amtsführung j eder parteipolitischen Werbung oder Tätigkeit zu enthalten80." § 50 Satz 2 bay. ERG enthielt daneben für den Betriebsrat die Pflicht, den Frieden im Betrieb nicht zu gefährden oder zu schädi­ gen. Im Abschnitt über die Pflichten des Arbeitgebers erstreckte § 57 II 2 bay. BRG durch Verweis auf § 52 bay. BRG das Verbot parteipoliti­ scher Betätigung auf den Arbeitgeber.

74 Vollmer, S. 20; vgl. auch Art. XI des Kontrollratsgesetzes ; Treichel, 2. Aufl., S. 16. 75 Amtsblatt des Kontrollrats Nr. 6, S. 133. 76 Treichel, 1. Aufl., S. 82. 77 Das hessische Betriebsrätegesetz (BRG für das Land Hessen vom 31. 5. 1948, GVBI. S.1 17) sah in § 30 III nur die Pflicht des Betriebsrats vor, den Betriebsfrieden zu sichern; vgl. Engler, Hessisches BRG, § 30 Anm. 13. 78 Bay. BRG vom 25. 10. 1950, GVBI. S .. 227, in der Fassung vom 3 . 7. 1951, GVBI. S. 89. 79 Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Begründung oder erläuternde Hinweise, vgl. Verhandlungen des bayerischen Landtages, 4. Tag, 1949/50, 6. Bd. Nr. 169 (S. 645-664) ; Nr. 170 (S. 667-684) ; Nr. 171 (S. 685-695) ; Nr. 173

(S. 732-738).

80 Vgl. ,Meissinger / R.aumer, bay. BRG, Anm. zu § 52 : .,Politische Betäti­ gung gehört nicht in den Betrieb" . 3•

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1 . Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

V. BetrVG 1952 D as BetrVG 1952 enthielt in § 49 II 2 für beide Betriebspartner die Verpflichtung zur Wahrung des Betriebsfriedens, in § 51 Satz 2 sprach es für Arbeitgeber und Betriebsrat das Verbot parteipolitischer Betäti­ gung aus. § 5 1 Satz 2 BetrVG 1952 wurde im Bericht des Ausschusses für Arbeit81 damit begründet, es solle j ede Beeinträchtigung des Be­ triebsfriedens durch parteipolitische Einflüsse vermieden werden. Auch die in § 44 BetrVG 1952 vorgesehene Beschränkung der Betriebsver­ sammlung auf Themen, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer berüh­ ren, diente dem Zweck, j egliche Politisierung der Betriebsversammlung auszuschließen82 • Der bereits in den §§ 8 1 , 84 BRG zum Ausdruck ge­ kommene Grundsatz der Gleichbehandlung83, der eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer u. a. wegen ihrer politischen Einstellung und Betätigung untersagte, wurde im BetrVG 1952 „vor die Klanu;ner" zu den allgemeinen Regeln über die Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer gezogen und galt damit für alle mitbestimmungs­ pflichtigen Angelegenheiten, die einzelne Arbeitnehmer betrafen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung war in § 51 Satz 1 BetrVG 1952 dem Verbot parteipolitischer Betätigung direkt vorangestellt. Bereits im Ge­ setzgebungsverfahren zum BetrVG 1952 war das Verbot parteipoliti­ scher Betätigung eine der umstrittensten Vorschriften. Der KPD-Abge­ ordnete Paul hielt der CDU-geführten Regierung vor84: ,, . . . Sie wollen durch die Formulierung in § 51 die Aufklärung der Arbeiter über die kriegs- und volksfeindliche Politik der Adenauer-Regierung verhindern. Sie wollen, daß sich die Betriebsräte letzten Endes nur noch um die Reinigung der Klosette bekümmern sollen." Demgegenüber begründete der dem damaligen DGB-Vorstand ange­ hörende85 S PD-Abgeordnete Richter seine Zustimmung zu der Norm da­ mii:86, ,,der Betriebsrat als ein Organ zur Interessenvertretung der Ar­ beitnehmerschaft soll die Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes wahrnehmen, aber er soll sie nicht parteipolitisch, d. h. im Sinne der einen oder anderen Partei wahrnehmen. Der Arbeitgeber als Besitzer 8 1 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, BT­ Drucksache Nr. 3585, schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit, S. 10. 82 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1 . Wahlperiode 1949, BT­ Drucksache 3585, schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit, S. 8. 83 Vgl. oben § 2 II a. E. 84 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1 . Wahlperiode 1949 (1952), stenografischer Bericht Bd. 12, S. 10048 (A). 85 Vgl. Treichel, 2. Aufl., S. 237. 86 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1 . Wahlperiode 1949 (1952), stenografischer Bericht Bd. 12, S. 10050 (A).

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der Betriebsmittel soll seine wirtschaftliche Macht ebenfalls nicht par­ teipolitisch gegenüber dem Arbeitnehmer wahrnehmen oder ausnützen oder u. U. mißbrauchen" . VI. BetrVG 1972

Die nunmehr geltende Vorschrift des § 74 II 3 BetrVG war während des Gesetzgebungsverfahrens Gegenstand heftigster Kontroversen. Zu­ nächst war weder im Entwurf der SPD-Fraktion87 noch im DGB-Ent­ wurf88 noch im Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Sozial­ ordnung89 für ein neues Betriebsverfassungsgesetz ein Verbot der par­ teipolitischen Betätigung vorgesehen. Begründet wurde der Verzicht auf das Verbot damit, daß eine Übertretung zu ungerechten Ergebnis­ sen führe und es im Interesse der Demokratie auch nicht wünschenswert sei, politische Diskussionen im Betrieb zu untersagenw . Die darauf fol­ genden Entwürfe des Bundesrats91 und der Bundesregierung92 enthiel­ ten wieder das Verbot, wenn auch in modifizierter Form. Soweit der Betriebsfrieden und der Arbeitsablauf nicht beeinträchtigt werden, sollte die parteipolitische Betätigung erlaubt sein. Jedoch selbst diese moderate Regelung stieß im Schrifttum weitgehend auf Ablehnung93 , verbunden mit der Forderung nach einem absoluten Verbot parteipoli­ tischer Betätigung. Nach einer heftig geführten Bundestagsdebatte94 forderte auch die CDU/CSU-Fraktion im § 22 V ihres Gesetzentwurfes95 die Beibehaltung des absoluten Verbots der parteipolitischen Betätigung. Der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deut­ schen Bundestages kam schließlich nach Durchführung eines Sachver87 Verhandlungen des Deutschen Bundestages , 5. Wahlperiode, BT-Drucksache V, S. 3658. 88 Abgedruckt in RdA 1970, 237. 89 Abgedruckt in RdA 1970, 357. w Begründung zum D GB-Entwurf, RdA 1970, 244. 91 Bundesrats-Drucksache 715/70, S. 15. 92 Verhandlungen des Deutschen Bundestages , 6. Wahlperiode, BT-Druck­ sache VI/1786, S. 15. 93 Vgl . Buchner, Die AG 1971, 140 ; Galperin, Der Regierungsentwurf eines neuen BetrVG , 1971, S.27; ders., BB 1971 , 139; ders., DB 1971, 1306; Hanau, BB 1971, 488; vgl. auch Rüthers, Wirtschaftswoche 970, Heft 48, S. 81 zum Ent­ wurf des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. 94 Verhandlungen des Deutschen Bundestages , 6. Wahlperiode, 101. Sitzung, S. 5803-5905 ; dabei nahmen 9 Abgeordnete zum Verbot parteipolitischer Be­ tätigung SteIIung. 95 Verhandlungen des Deutschen Bundestages , 6. Wahlperiode, BT-Druck­ sache VI/1806.

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

ständigenhearings96 in seinem Bericht97 aufgrund der Stellungnahmen der Mehrzahl der Sachverständigen sowie zahlreicher Hinweise aus der Praxis einmütig zu der Auffassung, es sei im Interesse des Betriebsfrie­ dens und der Zusammenarbeit im Betrieb vorzuziehen, parteipolitische Betätigung von Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zuzulassen. Ihren systematischen Standort fand die Norm über das Verbot par­ teipolitischer Betätigung im allgemeinen Abschnitt über Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei den Grundsätzen für die zu:. sammenarbeit in § 74 II 3 BetrVG, im Anschluß an die die betriebsver­ fassungsrechtliche Friedenspflicht regelnde Vorschrift des § 74 II 2 BetrVG. Neuerdings fordert der DGB98 wiederum angesichts der zu einer wei­ ten Auslegung des Verbots neigenden Rechtsprechung99 die Einschrän­ kung des Verbots der parteipolitischen Betätigung dahingehend, daß le­ diglich Arbeitgeber und Betriebsrat als Organe der Betriebsverfassung Betätigungen für politische Parteien und Gruppierungen zu unterlassen haben. Die grundgesetzliche Meinungsfreiheit des einzelnen Betriebs­ ratsmitglieds soll j edoch davon unberührt bleiben. Es läßt sich daher absehen, daß das Verbot parteipolitischer Betätigung nicht nur in der rechtsdogmatischen, sondern auch in der rechtspolitischen Diskussion verbleiben wird. VII. Ergebnis

Mit einigen Quellen ließ . sich belegen, daß die parteipolitische Betä­ tigung, insbesondere für die Sozialdemokratie, bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Rolle spielte. Zumindest in einzelnen Fällen reagierten die Arbeitgeber mit Kündigungen und der Aufnahme entsprechender Verbote in Arbeitsordnungen. Dogmengeschichtlich stand der Gesichtspunkt der Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeitnehmer - heute in § 87 I Nr. 1 BetrVG normiert - am An­ fang, so im Arbeiterschutzgesetz von 189 1 . Als einer der wichtigsten Aspekte der betrieblichen Ordnung wurde im folgenden, zuerst in zwei · 96 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, ET-Druck­ sache V/3658. 97 . Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 6. Wahlperiode, schriftlicher B.ericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu Drucksache VI/2729, S. 10. 98 Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsrechts, 1983, S. 10; Grundsätze des Deutschen Gewerk­ schaftsbundes zur Weiterentwicklung des Bundespersonalvertretungsrechts, 1983, S. 10. 99 Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße; BAG AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972.

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Novellen von 1905 und 1909 zum allgemeinen Berggesetz von Preußen, in verschiedenen Formulierungen der Tatbestand der Wahrung des Be­ t riebsfriedens ausgeformt. Das RAG sah unter der Geltung des BRG von 1920 die politische Betätigung von Betriebsratsmitgliedern im Be­ trieb als Störung des Betriebsfriedens an. Erst im BetrVG 1952 und, nach längeren Kontroversen im Gesetzgebungsverfahren, auch im BetrVG von 1972 wurde das Verbot parteipolitischer Betätigung zum selbständigen Tatbestand erhoben.

§ 3 Normzweck des § 74 II 3 BetrVG Bereits seit der Normierung in § 51 Satz 2 BetrVG 1952 werden in Rechtsprechung und Schrifttum mehrere, in ihren Ausgangspunkten durchaus unterschiedliche Erklärungen dafür gegeben, worin eigent­ lich die ratio legis des Verbots parteipolitischer Betätigung im Betrieb besteht. Häufig' werden auch die einzelnen Kriterien unterschiedlich zueinander gewichtet und so einmal dieser, einmal j ener Topos in den Vordergrund gestellt. Mittlerweile liegen fünf Deutungsversuche vor. Diese sollen im folgenden vorgestellt werden, wobei zu prüfen sein wird, inwieweit sie als Erklärung des Verbots tauglich sind .

I. Konkretisierung der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht Fast durchweg an erster Stelle wird der Gesichtspunkt genannt, das in § 74 II 3 BetrVG enthaltene Verbot sei eine Ausprägung und Konkre­ tisierung der allgemeineren Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens (§ 74 II 2 BetrVG) 2 , diene also dessen Erhaltung. Das Gesetz wolle den Betriebsfrieden in einem Punkte wahren, in welchem er besonders ge­ fährdet sei. Eine Politisierung des Betriebes könne erfahrungsgemäß leicht zu Spaltungen und Gegensätzen innerhalb der Belegschaft führen mit der Folge, daß Arbeitsablauf und Betriebsklima darunter zu leiden hätten. Der Betrieb als Stätte der Produktion solle aus dem Meinungs­ streit einzelner Gruppen herausgehalten werden, weil j ede einseitige Stellungnahme der Betriebspartner von anderen Betriebsangehörigen als eine Herausforderung aufgefaßt werden könne, was der reibungslo­ sen Zusammenarbeit abträglich sei3 • Die Auffassung, das Verbot partei­ politischer Betätigung im Betrieb sei ein Ausfluß der allgemeinen be­ triebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht des § 74 II 2 BetrVG, ist zu­ treffend. Dies hat zum einen die geschichtliche Entstehung des Rechts1 Vgl. Blomeyer, ZfA 1972 , 85 (120) ; Buchner, ZfA 1982, 49 (6 1); Dietz / Ri­ chardi, § 74 Rn. 55; Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 19. 2 BVerfGE 42, 133 (140) ; BAG AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972 ; BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972 ; Brecht, § 74 Rn. 8; Dietz / Richardi, § 74 Rn. 55; GK­ Thiele, §74 Rn. 50; Söllner, § 21 I 2. J Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 19.

§ 3 Normzweck

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instituts des Verbots parteipolitischer Betätigung deutlich gezeigt4 . Zu der bereits seit den Anfängen des Betriebsverfassungsrechts bestehen­ den Verpflichtung des Betriebsrats, den Frieden im Betrieb zu wahren, gehörte seit den Entscheidungen des RAG5 auch, daß sich der Betriebs­ rat im Betrieb nicht politisch betätigen durfte. Bei einer systematischen Betrachtung fällt weiter die räumliche Nähe des Verbots in § 74 II 3 BetrVG im Anschluß an die die betriebsverfassungsrechtliche Friedens­ pflicht enthaltende Norm des § 74 II 2 BetrVG auf6. Man kann daher den Tatbestand des Verbots parteipolitischer Betätigung als konkret ausgestanzten Unterfall der betriebsverfassungsrechtlichen Friedens­ pflicht bezeichnen. Diese beinhaltet - neben dem ebenfalls in § 74 II 1 BetrVG ausdrücklich erwähnten Arbeitskampfverbot7 - die Verpflich­ tung, Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebes beeinträchtigt werden. Unter Arbeitsablauf ver­ steht das Gesetz die tatsächliche Durchführung der im Betrieb anfallen­ den Arbeiten8 • Mit dem Tatbestandsmerkmal Frieden des Betriebes ist mehr die Atmosphäre friedlicher Zusammenarbeit, das Betriebsklima gemeint9• Seine formelle Seite verlangt, daß sich die Betriebspartner der gesetzlichen Formen bedienen, um einen Interessenkonflikt zu lösen. Eine Störung des Betriebsfriedens ist gegeben, wenn ein Konflikt nicht innerhalb dieses vom BetrVG zur Verfügung gestellten Systems ausge­ tragen werden kann oder ausgetragen wird, so daß also das System durchbrochen wird. Nach seiner materiellen Seite sollen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Auseinandersetzungen wegen solcher Fragen führen, die nicht ihre Grundlage unmittelbar im Betriebsgeschehen ha­ ben 10 . II. Neutralitätsgedanke Eine zweite Auffassung sieht das Verbot parteipolitischer Betätigung in enger Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot für Arbeitgeber und Betriebsrat in § 75 I 1 BetrVG, das die Betriebspartner zu einer strengen Neutralität gegenüber allen Betriebsangehörigen verpflichte 1 1 • 4

Vgl. oben § 2 II, III. Vgl. oben § 2 II mit Fn. 40. 6 Kreutz, BIStSozArbR 1972, 60 (65) . 7 Dietz / Richardi, § 74 Rn. 43 . 8 Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 14. 9 Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 14; GK- Thiele, § 74 Rn. 48. 10 So Dietz / Richardi, § 74 Rn. 46; Germelmann, S. 62, 94 ; vgl. weiter W.Blo­ meyer, ZfA 1972, 85 ff. 1 1 W. Blomeyer, ZfA 1972, 120 ; Buchner, Die AG 1973, 2 1 ; grundlegend Ri­ chardi, NJW 1962, 1374; weiter Dietz / Richardi, § 74 Rn. 55 f.; Gamillscheg, 5

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

Dies bedeute im Rahmen von § 75 BetrVG positiv, darüber zu wachen, daß j ede unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen wegen ihrer politischen Betätigung oder Einstellung unterbleibe sowie zur Si­ cherung dieses Gebots im Rahmen von § 74 II BetrVG negativ, daß sie jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen haben. Diese systematische Verbindung sei für die Bedeutung und Auslegung von er­ heblichem Gewicht; denn wenn man das Verbot parteipolitischer Betä­ tigung im Betrieb nicht allein aus der Sicherung der Friedenspflicht er­ klärt, sondern in enge Verbindung zum Neutralitätsgebot der Betriebs­ partner bringe, erhalte die Bestimmung einen eigenständigen betriebs­ verfassungsrechtlichen Charakter. Diese Auffassung läßt sich nur bei Kenntnis der Rechtslage unter dem BetrVG 1952 verstehen 12 . § 51 Satz 2 BetrVG 1952 untersagte Arbeitgebern und Betriebsräten die par­ teipolitische Betätigung. Nach § 51 Satz 1 BetrVG 1952, dem heute § 75 Satz 1 BetrVG entspricht, oblag es Arbeitgeber und Betriebsrat darüber hinaus, alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln und dabei u. a. zu überwachen, daß eine unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer politischen Betätigung unterbleibt. Namentlich Richardi13 hielt diese systematische Verbindung nicht für zufällig, sondern für wohlbegründet. Weiter wurde betont, notwendige äußere Voraussetzung 14 und institutionelle Bedingung15 für die Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben sei die Neutralisierung des Amtes. Nach dieser Ansicht sollte den speziellen Diskriminierungsverboten des § 51 Satz 1 BetrVG 1952 noch ein allgemeiner Neutralitätsgrund­ satz vorgelagert sein. Er besagte, daß die Betriebspartner bereits im Vorfeld einer Maßnahme j eden Anschein von Parteilichkeit zu vermei­ den trachten müssen, um unter Präventionsgesichtspunkten auch nur j ede abstrakte Gefährdung des Vertrauens in die Neutralität und Ob­ j ektivität der Amtsführung des Betriebsrats von vornherein zu verhin­ dern 16. Dieser allgemeine Neutralitätsgrundsatz würde demnach in § 51 Satz 2 BetrVG 1 952 nur seine besondere Ausprägung gefunden haben. Richardi 17 begründet seine Auffassung heute damit, die j etzige VerankeArbeitsrecht II, Nr. 438 a; Hueck / Nipperdey, Lehrbuch Bd. II/2, S. 1347 f.; F. J. Meyer, S. 121; Neumann-Duesberg, NJW 1964, 1700; Oetker, BlStSozArbR 1983, 321; Säcker, AuR 1965, 358; Säcker, DB 1967, 2075. 12 Vgl. schon oben § 2 V zur Gesetzesgeschichte. 1 3 In NJW 1962, 1374. 14 Säcker, AuR 1965, 359. 1 5 Säcker, DB 1967, 2075. 16 So Säcker in Anm. zu BVerfG AR-Blattei Vereinigungsfreiheit, Entsch. 6. 1 7 In Dietz / Richardi, § 75 Rn. 55; zustimmend Oetker, BlStSozArbR 1983, 321 (322).

§ 3 Normzweck

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rung des Verbots parteipolitischer Betätigung im Rahmen der Bestim­ mung über die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht bedeute keine Änderung der materiellen Rechtslage, sondern sei zufällig, be­ dingt durch den Stand der Gesetzgebungsarbeit, als es wieder in das Gesetz eingefügt wurde. Diese Herleitung des Verbots parteipolitischer Betätigung aus einem - angeblichen 18 - Neutralitätsgrundsatz begegnet Bedenken. Zunächst entsprach es schon unter der Geltung des BetrVG 1952 der h. M., das Verbot parteipolitischer Betätigung als Ausprägung der in § 49 II 1 BetrVG 1952 aufgestellten betrieblichen Friedenspflicht anzusehen 19 . Unter systematischen Aspekten sah die h. M. gerade die räumliche Nähe zum Gleichbehandlungsgebot des § 51 Satz 1 BetrVG 1952 als verfehlt anM . Die historische Entstehung des Verbots parteipolitischer Betäti­ gung aus dem Gedanken des Betriebsfriedens wurde bereits darge­ stellt21 . Auf die Zufälligkeit des Standes der Gesetzgebung zu verweisen, ohne daß damit eine Änderung der materiellen Rechtslage verbunden sein soll, erscheint deswegen nicht richtig, weil der Schluß viel näher liegt, der Gesetzgeber habe der h. M. unter dem BetrVG 1952 Rechnung tragen wollen. Wie gezeigt, war das Verbot parteipolitischer Betätigung schon im Entwurf des Bundesrates22 wieder enthalten und wurde be­ reits dort23 neben die Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens ge­ stellt, also noch lange vor Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens. Mag die Auffassung von Richardi unter der Geltung des BetrVG 1952 zuge­ troffen haben; in j edem Fall hat mit dem BetrVG 1972 insoweit eine Gewichtsverlagerung24 stattgefunden, die in der räumlichen Nähe zwi­ schen dem Betriebsfrieden und dem Verbot parteipolitischer Betätigung in § 74 II 2 und 3 BetrVG auch in der rechtlichen Systematik zum Aus­ druck kommt. Unabhängig von diesen historischen und systematischen Gesichts­ punkten erscheint der Neutralitätsgedanke als solcher nicht tragfähig, das Verbot parteipolitischer Betätigung zu begründen. Daß die Be­ triebspartner die Arbeitnehmer nicht wegen deren politischen Betäti18 19

So Nikisch III, S. 239. BAG 4. 5. 1955, AP Nr; 1 zu § 44 BetrVG; BAG 13. 1. 1956, AP Nr. 4 zu § 13 KSchG; Dietz, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG; Dietz, 4. Aufl., § 51 Rn. 15 ; Frey, AuR 1961, 43 (48) ; Galperin / Siebert, § 51 Rn. 8. M Behnes, S. 12; Frey, AuR 1961, 43 (48) m. w. N. in Fn. 76; Neumann-Dues-

berg, S. 442.

2 1 Vgl. oben § 2. Bundsrats-Drucks. 715/70, S. 15. 23 Vgl. § 74 II 2 des Entwurfs. 24 So Kreutz, BIStSozArbR 1972, 60 (65) ; dies räumt auch W. Blomeyer, ZfA 1972, 85 (120) ein. 22

1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG gung und Einstellung diskriminieren dürfen, folgt unmittelbar aus § 75 I 1 BetrVG. Eine unabhängig von j eder konkreten Maßnahme bezüglich Einzelner, einer Gruppe oder aller Arbeitnehmer des Betriebs beste­ hende vorgelagerte Neutralitätspflicht, um bereits j eglichen Schein der Parteilichkeit zu vermeiden, besteht nicht25 . Unterstützt ein Betriebs­ partner im betrieblichen Rahmen eine politische Partei, kann selbstver­ ständlich der Eindruck entstehen, er begünstige Arbeitnehmer, die der­ selben Partei angehören. Aber dieser Eindruck kann bereits dann ent­ stehen, wenn sich etwa die Parteimitgliedschaft des Arbeitgebers oder der Betriebsratsmitglieder herausstellt26 • Der „böse Schein" 27 einer mög­ lichen Ungleichbehandlung selbst bildet noch keinen Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten aus § 75 I 1 BetrVG. Die Arbeitnehmer sind des­ halb darauf beschränkt, sich gegen konkrete Verstöße zu wenden und beim Verlust des Vertrauens in den Betriebsrat bei der nächsten Wahl anders zu votieren28 • Hinzu kommt, daß eine parteipolitische Betätigung nicht zwingend eine Diskriminierung Andersdenkender zur Folge hat. „Partei ergreifen" bedeutet noch nicht diskriminieren. Damit würde man unterstellen, daß j emand, der sich parteipolitisch betätigt, es nicht mehr vermag, seine Verpflichtungen aus § 75 BetrVG zu erfüllen. Dar­ über hinaus bleiben die bereichsspezifischen Ausnahmen der tarifpoli­ tischen, sozialpolitischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des § 74 II 3, Hs. 2 BetrVG zu beachten . Soweit diese den Betrieb unmittelbar betreffen, dürfen die Betriebspartner hierzu Stellung nehmen. Eine pointierte Äußerung etwa eines Betriebsratsmitglieds würde aber stets eine Verletzung der Neutralitätsverpflichtung bedeuten, obwohl § 74 II 3 BetrVG sie nicht verbietet19. Die genannten bereichsspezifischen Aus­ nahmen in § 74 II 3, Hs. 2 BetrVG zeigen auch, daß das BetrVG den Be­ trieb nicht vollständig politisch neutralisieren wi1130 • Unklar bleibt schließlich, wieso die verschärfte Neutralitätsverpflichtung im Vorfeld der im konkreten Einzelfall eingreifenden Verpflichtungen aus § 75 I 1 BetrVG gerade aus dem Verbot parteipolitischer Betätigung des § 74 II 3 BetrVG gefolgert werden können soll. Dazu bietet jedenfalls die An­ zahl der bisher ergangenen Judikate zu diesem Bereich keinen Anlaß31 • 2s Wie hier Nikisch III, s. 239 ; Rüttgers, S. 19 ff .; Vollmer, S. 43 . 26 So ist in Betrieben ab 500 Arbeitnehmern jeder dritte, ab 2000 Arbeitneh­ mern jeder zweite Betriebsratsvorsitzende Mitglied einer politischen Partei, vgl. die Statistik bei Niedenhoff, Betriebsräte, S. 60 f . 21 Söllner, A c P 161, 408 (423). 28 Söllner, AcP 161, 408 (423); Vollmer, S. 43 . 29 So Rüttgers, S. 22. 30 So Kreutz, BIStSozArbR 1972, 60 (65). 3 1 Bezeichnenderweise steht der Terminus der Neutralitätspflicht in der Kommentierung von § 75 BetrVG bei Dietz / Richardi an keiner Stelle, son­ dern nur bei § 74 Rn . 56.

§ 3 Normzweck

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Im Ergebnis ist daher die Auffassung, die das Verbot parteipolitischer Betätigung aus einem vermeintlichen Neutralitätsgrundsatz herleitet, abzulehnen. III. Schutz der Meinungs- und Wahlfreiheit In zwei Entscheidungen32 hat nunmehr auch das BAG neben der Wahrung des Betriebsfriedens ein weiteres Rechtsgut33 angenommen, dem das Verbot parteipolitischer Betätigung dienen soll. Das BVerfG34 hat durch seine Formulierung, das Verbot diene „vornehmlich" der Ge­ währleistung des Betriebsfriedens, die Möglichkeit offengelassen, § 74 II 3 BetrVG i. S. einer solchen zusätzlichen Zweckbestimmung zu deu­ ten35 . Inhaltlich besagt der Schutz der Meinungs- und Wahlfreiheit der Arbeitnehmer - von einigen Autoren auch negative Meinungsfreiheit genannt36 - die Betriebspartner haben sich auch deshalb einer partei­ politischen Betätigung zu enthalten, weil die Arbeitnehmer des Betriebs im Kollektiv der Arbeitnehmerschaft, dem sie sich nicht entziehen kön­ nen, in ihrer Meinungs- und Wahlfreiheit als Staatsbürger nicht beein­ flußt werden sollen. Eine parteipolitische Betätigung könne leicht zu einem starken und ständig gegenwärtigen Meinungsdruck für die Ar­ beitnehmer werden und damit zu einer psychologischen Zwangssitua­ tion37 . Dieser Gesichtspunkt soll zur Verdeutlichung zunächst in den grund­ rechtsdogmatischen Zusammenhang eingeordnet werden. Dabei kann es hier dahinstehen, ob der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG unmittel­ bare Drittwirkung zukommt38 oder ob man in diesem Grundrecht eine allgemeine Wertentscheidung sehen will, die die Auslegung und An­ wendung zivilrechtlicher Normen - wie hier § 74 II 3 BetrVG - beein­ flußt39, da man nach beiden Auffassungen im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen kommt40• Ausgangspunkt muß dabei j edoch sein, daß das 32 BAG AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972. 33 Grundlegend Hohn, BB 1975, 376; Löwisch, BB 1976, 676; vgl. weiter ders., Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972 ; ders., Anm. zu BAG EzA § 74 BetrVG 1972 Nr. 3 ; Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 19; zust. Dietz / Richardi, § 74 Rn. 56; Hanau, Anm. zu BAG EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1 ; Oetker, BlStSoz­ ArbR 1983, 321 (322). 34 BVerfGE 42, 133 (140) . 35 Hanau, Anm. zu BAG EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1, S. 20. 36 Hanau, Anm. zu BAG EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1 , S. 20; Hohn, DB 1975,

376.

37

Anm. zu BAG EzA § 74 BetrVG 1972 Nr. 3, S. 4. So BAG AP Nr. 2 zu § 13 KSchG; offengelassen in BAG AP Nr. 2 zu § 134 BGB. 39 So die Lehre Dürigs, in: Festschrift für Nawiasky, 1956, ·s. 157 ff. 40 Schaub, RdA 1979, 137 (138). 38

Löwisch,

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

Verbot parteipolitischer Betätigung zunächst eine Beschränkung der Meinungsfreiheit derj enigen darstellt, denen das Verbot auferlegt ist: Arbeitgeber, Betriebsrat41 und Betriebsratsmitglieder. § 74 II 3 BetrVG stellt insoweit ein allgemeines Gesetz i. S. des Art. 5 II GG dar, welches der Freiheit der Meinungsäußerung zulässigerweise Schranken setzen kann, da die Vorschrift die parteipolitische Betätigung nicht wegen ih­ rer geistigen Zielsetzung, sondern zur Erhaltung des Betriebsfriedens untersagt42 • Sieht man § 74 II 3 BetrVG damit zuallererst als Beschrän­ kung der positiven Meinungsfreiheit des genannten Adressatenkreises, der aufgrund der Norm eine bestimmte Meinung nicht äußern darf; kann der Schutz der negativen Freiheit derj enigen, denen diese Mei­ nung „präsentiert" wird, von vornherein nur eine untergeordnete Rolle spielen; denn ausdrücklich geschützt ist nach Art. 5 I 1 GG das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten, während die hier zu erörternde negative Komponente dieses Grundrechts, nämlich keine Meinung zu äußern, sich nicht informieren zu müssen, nicht Meinungs­ äußerungen Anderer ausgesetzt zu sein, demgegenüber nur von unterge­ ordneter Bedeutung ist43 . Doch es sprechen auch mehrere Gründe dagegen, daß diese negative Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer überhaupt als ratio legis dem Ver­ bot parteipolitischer Betätigung zugrunde liegt. Häufig werden die Ar­ beitnehmer mit einer parteipolitischen Betätigung der Betriebspartner gar nicht in Berührung kommen, etwa dann, wenn sich ein Betriebs­ partner bei der monatlichen Besprechung (vgl . § 74 I 1 BetrVG) partei­ politisch betätigt oder ein Betriebsratsmitglied auf der Betriebsratssit­ zung parteipolitisch agitiert, was ebenfalls gern. § 74 II 3 BetrVG unzu­ lässig ist44 • Weiter kann man von einer Beeinflussung der Meinungs­ und Wahlfreiheit der Arbeitnehmer kaum noch sprechen, wenn diese ohnehin bereits der Meinung sind, die mit der parteipolitischen Betä­ tigung zum Ausdruck gebracht wird. Speziell für die nach § 45 Satz 1 i. V. m. § 74 II 3 BetrVG untersagte parteipolitische Betätigung auf der Betriebsversammlung wird die negative Meinungsfreiheit dadurch ge­ wahrt, daß für die Arbeitnehmer keine Teilnahmeverpflichtung be­ steht45 und sie die Betriebsversammlung auch jederzeit verlassen kön41 Der Betriebsrat als Organ ist zwar kein Grundrechtssubjekt im umfas� seden Sinn, doch kommt ihm wegen Art. 19 III GG eine begrenzte Grund­ rechtsfähigkeit zu, vgl. Dietz / Richardi, § 1 Rn. 21. 42 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des § 74 II 3 BetrVG BVerfGE 42, 133 (140). 43 Diese negative Meinungsfreiheit führt denn auch im Schrifttum ein Schattendasein; vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 5 Rn. 40; v. Münch, in: ders., GG-Kommentar Art. 5 Rn. 12 sowie Götzfried, NJW 1963, 1961. 44 Zum letzteren vgl. Buchner, in: Festschrift für Gerhard Müller, S. 93 (98). 45 Nach v. Hoyningen-Huene, § 6 V 3 und Niedenhotf, Mitbestimmung, S. 1 1 6 nehmen ohnehin nur 7 5 0/o der Belegschaft a n den Betriebsversammlungen teil.

§ 3 Normzweck

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nen46 • Weiter besteht für die Teilnehmer der Betriebsversammlung die Möglichkeit, sich gegen die parteipolitische Betätigung vermittels der Geschäftsordnung zu wehren47 • Eine Beeinträchtigung der negativen Meinungsfreiheit wird man erst dann annehmen können, wenn dieser Zwang ein gewisses Ausmaß erreicht. Nicht bei j eder noch so geringfü­ gigen parteipolitischen Stellungnahme wird man ohne Not dieses Maß an unzulässigem Druck und Zwang als gegeben annehmen können. Dies soll anhand der vom BAG entschiedenen Fälle zur parteipolitischen Betätigung unter Gegenüberstellung der zur parallelen Erscheinung der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 III GG verdeutlicht werden. Dar­ unter versteht man das Recht des einzelnen, einer Koalition fernzublei­ ben oder aus ihr auszutreten48 • Wegen unzulässiger Druckausübung auf die Entschließungsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers und des damit verbundenen Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit hält die h. M.49 sog. Differenzierungsklauseln, durch die verhindert werden soll, daß Außenseiter dieselben Rechte erhalten wie Verbandsmitglieder, für unwirksam. Unbeschadet der Richtigkeit dieser RechtsprechungSO kann hier von einem erheblichen Druck zum Gewerkschaftsbeitritt gespro­ chen werden, weil die in den Differenzierungsklauseln vorgesehenen finanziellen Vorteile für die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer einen ganz massiven Anreiz für die Außenseiter zum Gewerkschaftsbei­ tritt darstellen. Demgegenüber erscheinen die Sachverhalte, die das BAG veranlaßten, die Meinungs- und Wahlfreiheit der Arbeitnehmer als ratio legis des Verbots parteipolitischer Betätigung zu postulieren, unter dem Gesichts­ punkt der D ruckausübung geradezu harmlos. Im ersten Fall51 hielt eiri Parteipolitiker auf einer Betriebsversammlung zu einem nach § 45 Satz 1 BetrVG zulässigen52 sozialpolitischen Thema ein Kurzreferat. Im zweiten Fall53 geschah nichts weiter, als daß Betriebsratsmitglieder Flugblätter parteipolitischen Inhalts vor dem Betrieb verteilt hatten. Irgendein Zwang, die Flugblätter anzunehmen oder zu lesen, wurde nicht angewandt. Ohne Ausübung eines gewissen Drucks wird man j e­ doch den Schutzbereich der negativen Meinungs- und Informationsfrei­ heit des Art. 5 I GG nicht als betroffen ansehen können. Die hierfür genannten Beispiele54 liegen j edenfalls auf einer recht massiven Ebene 46 47 48 49 50 51 52 53

Hohn, BB 1975, 376. Vollmer, S. 161. Vgl. nur Brox, Rn. 242 ; Zöllner, § 8 IV 5.

BAG AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; weitere Nachweise bei Zöllner, § 38 II 2. Dagegen etwa Söllner, § 9 V 3 b. BAG AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972. So das BAG (oben Fn. 51) selbst unter B I d der Gründe. BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972.

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

der Zwangsausübung. Das einfache Vermitteln und Darstellen einer Meinung kann hierfür keinesfalls genügen. Ohnehin ist bei j eder unzu„ lässigen parteipolitischen Betätigung von auch nur einigem Gewicht das Rechtsgut der Wahrung des Betriebsfriedens tangiert. Mit dem Verbot parteipolitischer Betätigung den Zweck der Sicherung der Meinungs­ und Wahlfreiheit der Arbeitnehmer zu verbinden, erscheint daher im Ergebnis sowohl überflüssig als auch unrichtig. Dieser Gesichtspunkt kann das Verbot parteipolitischer Betätigung somit ebenfalls nicht er­ klären. IV. Fehlende Zuständigkeit

Eine weitere Meinung55 sieht den Grund für das Verbot parteipoliti­ scher Betätigung darin, daß sich die betriebsverfassungsrechtlichen Or­ gane mit einer solchen Betätigung außerhalb ihrer Amtsaufgabe bewe­ gen würden. Die Aufgabe des Betriebsrats werde im Betriebsverfas­ sungsgesetz klar umrissen. Es sei anerkannt, daß seine funktionelle Zu­ ständigkeit auf die sachlichen Bereiche der ihm zuerkannten Mitwir­ kungsrechte begrenzt sei. Zu ihnen zähle nicht das Handeln für die Be­ legschaft im parteipolitischen Raum. Die Belegschaft sei durch das Be­ triebsverfassungsgesetz zwangsverfaßt. Die in der Zwangsverfassung vorgesehenen Organe seien an die ihnen durch die Zwangsverfassung zugewiesenen Kompetenzen gebunden. Betrachtet man diese sich auf die mangelnde Zuständigkeit stützende Auffassung näher, fällt auf, daß in wenigen Sätzen mehrere Begriffe des Organisationsrechts56 in unreflektierter Weise verwendet werden: ,,Auf­ gabe - funktionelle Zuständigkeit - Kompetenz" . Hier muß zunächst Klarheit in der Terminologie geschaffen werden, um die Tragfähigkeit dieser Begründung in der Sache beurteilen zu können. Den Ausgangspunkt bildet der Begriff Zuständigkeit. Hierun­ ter versteht man in der Regel die ausschließliche Bezogenheit eines Ge­ genstandes auf ein Subj ekt57 , z. B. der Gegenstand „soziale Angelegen­ heiten" wird auf das Subj ekt Betriebsrat bezogen. Weiter wird unter54 In dem von Götzfried, NJW 1963, 1961 genannten Fall mußte ein Häftling in einer Gemeinschaftszelle schlafen, in die j eden Abend einige Stunden lang durch einen Lautsprecher Musik übertragen wurde. Er hatte nun - um die Formulierung des BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972 aufzugreifen - wirk­ lich keine reale und legale Möglichkeit, sich dem „Kollektiv der Häftlinge" zu entziehen, 55 Grundlegend Buchner, ZfA 1982, 6 1 ; zustimmend Oetker, BIStSozArbR 1983, 321 (322). 56 Vgl. H. J. Wol / Bachof, II §§ 71-78, insbes. § 72. f! 51 H. J. Wolff / Bachof, II, § 72 I b.

§ 3 Normzweck

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schieden zwischen einer Zuständigkeit im materiellen Sinne58 und im hier interessierenden organisationsrechtlichen Sinne59. Organisations­ rechtlich bedeutet Zuständigkeit die Zuordnung der einer Organisation eigenzuständigen, hier durch Gesetz auferlegten Aufgaben auf inneror­ ganisatorische Wahrnehmungssubj ekte (Aufgabenzuständigkeit als Wahrnehmungszuständigkeit)00 - hier also den Betriebsrat. Organisa­ tionsrechtliche Wahrnehmungszuständigkeit meint also die durch orga­ nisatorische Rechtssätze und sie ergänzende Rechtsakte begründete Ver­ pflichtung und Berechtigung, bestimmte Angelegenheiten einer organi­ satorischen Einheit in regelmäßig bestimmten Arten, Weisen und For­ men wahrzunehmen61 • Um ein Beispiel zu geben: Der Rechtssatz § 87 I Nr. 9 BetrVG begründet die Berechtigung für den Betriebsrat, die An­ gelegenheit der Zuweisung von Werkswohnungen, die bei der organisa­ torischen Einheit Betrieb anliegt, unter Beachtung der Arten, Weisen und Formen der §§ 74-77 BetrVG wahrzunehmen, d. h. dabei mitzube­ stimmen. Dasj enige was danach zusteht, der Gegenstand der Wahrneh­ mungsverpflichtung, also die wahrzunehmende Aufgabe, nennt man Kompetenz62 • Aus der Zuständigkeit zur Erledigung einer Aufgabe, also der Kompetenz, darf j edoch nicht auf die Zulässigkeit aller Mittel (Maß­ nahmen) geschlossen werden, die zu ihrer Erfüllung getroffen werden oder erforderlich sind63 . Danach wird klarer, was die hier untersuchte Rechtsauffassung64 meint: Da dem Betriebsrat im BetrVG nicht die Kompetenz zur partei­ politischen Betätigung eingeräumt wurde, darf er sich nicht parteipoli­ tisch betätigen. Nur : Mit dieser Rechtsmeinung läßt sich das in § 74 II 3 BetrVG positivrechtlich angeordnete Verbot der parteipolitischen Betä­ tigung gerade nicht erklären. Der logische Bruch dieser Auffassung liegt darin, daß - unterstellt man einmal ihre Richtigkeit - § 74 II 3 BetrVG von vornherein überflüssig wäre; denn dann würde es genügen, aus der fehlenden positiven Anordnung der Möglichkeit zur parteipolitischen Betätigung auf deren Unzulässigkeit zu schließen. Einer ausdrücklichen Regelung, wie sie § 74 II 3 BetrVG enthält, hätte es überhaupt nicht be­ durft. Diese Auffassung übersieht weiter die dem BetrVG durchaus zu­ grundeliegende organisationsrechtliche Unterscheidung zwischen Kom­ petenzzuweisungen (allgemeine Aufgaben, § 80 BetrVG und die MitwirDazu H. J. Wolf/ / Bachof, II, § 72 I b 1 . H . J . Wolf! / Bachof, II, § 7 2 I b . 00 H . J . Wolf/ / Bachof, II, § 7 2 I b 2 . 6 1 H . . J . Wolff / Bachof, II, § 7 2 I c. 62 H. J. Wolff / Bachof, II, § 72 I c 1 . 63 H . J . Wolf/ / Bachof, II, § 7 2 I c 2 . 64 Buchner, ZfA 1982, 6 1 ; Oetker, BlStSozArbR 1983, 321 (322). 58 59

4 Hofmann

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

kungsrechte nach §§ 87-1 13 BetrVG) einerseits und der Frage, mit wel­ chen Mitteln diese Kompetenzen durchgesetzt werden dürfen bzw. nicht dürfen (vgl. §§ 74--77 BetrVG) andererseits65 • § 74 BetrVG enthält nach seiner amtlichen Überschrift Grundsätze für die Zusammenarbeit der Betriebspartner, die für alle dem Betriebsrat zugewiesenen Mitwir­ kungsrechte Geltung beanspruchen. So dürfen die Betriebspartner bei der Durchsetzung und Regelung sämtlicher Mitwirkungsrechte - nega­ tiv - keine Arbeitskämpfe führen (§ 74 I, II 1 BetrVG) , den Betriebs­ frieden und den Arbeitsablauf nicht beeinträchtigen (§ 74 II 2 BetrVG) und sich eben nicht parteipolitisch betätigen (§ 74 II 3 BetrVG). Umge­ kehrt sollen sie sich einmal monatlich besprechen (§ 74 I 1 BetrVG), ernsthaft verhandeln (§ 74 I 2 BetrVG) und können Betriebsvereinba­ rungen abschließen (§ 77 BetrVG) sowie notfalls die Einigungsstelle (§ 76 1-VI BetrVG) oder das Arbeitsgericht (§ 76 VII BetrVG, § 2 a I Nr. 1 ArbGG) anrufen. § 74 beschreibt eben nicht, we l che Kompetenzen der Betriebsrat hat66 , sondern wie er die ihm zugewiesenen Kompeten­ zen zu erfüllen hat. Es ist daher verfehlt, von der fehlenden Kompe­ tenzzuweisung auf die ratio legis des Verbots parteipolitischer Betäti­ gung zu schließen. Denn natürlich kann eine gegen § 74 II 2 BetrVG verstoßende parteipolitische Betätigung auch bei der Wahrnehmung der dem Betriebsrat zugewiesenen Mitwirkungsrechte - sozusagen „bei Gelegenheit" dieser Aufgabenwahrnehmung - vorkommen, so etwa, wenn ein Betriebsratsmitglied bei der monatlichen Besprechung mit dem Arbeitgeber (§ 74 I 1 BetrVG) oder auf der Betriebsratssitzung par­ teipolitisch agitiert. Dann aber entfallen sicherlich nicht die Mitwir­ kungsrechte hinsichtlich der Angelegenheiten, die die Betriebspartner bei der monatlichen Besprechung oder auf der Betriebsratssitzung diskutieren, sondern diese Mitwirkungsrechte werden verfahrensmäßig fehlerhaft verfolgt, weil ein in § 74 BetrVG enthaltener Grundsatz der Zusammenarbeit nicht beachtet wird. Ohnehin kann die hier abgelehnte Rechtsauffassung von Buchner nicht das Verbot parteipolitischer Betäti­ gung für den Arbeitgeber erklären, da es für ihn keine Aufgabenzuwei­ sung gibt. Vielmehr beschränkt das BetrVG gerade Betätigungsmöglich­ keiten, die dem Arbeitgeber an und für sich zustehen, wenn es etwa durch das ih § 2 II BetrVG enthaltene gewerkschaftliche Zugangsrecht das Hausrecht des Arbeitgebers aus Art. 13 I GG und durch das Verbot parteipolitischer Betätigung in § 74 II 3 BetrVG die Meinungsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 5 GG zulässigerweise67 einschränkt. Auch für 65 Für die Beachtung solcher öffentlich-rechtlicher Strukturprinzipien bei der Auslegung des BetrVG auch Dietz / Richardi, § 1 Rn. 40; Oetker, BlStSoz­ ArbR 1983, 321 (322). 66 So auch Hanau, BB 1971, 485 (488). 67 BVerfGE 42, 133 ff.

§ 3 Normzweck

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den Arbeitgeber ist das Verbot parteipolitischer Betätigung also eine Verfahrensfrage, eine Verhaltenspflicht68 • Nach allem erscheint die Auf­ fassung Buchners kaum haltbar69.

V. Machtmißbrauchsgedanke Ein weiterer Gesichtspunkt, der die ratio legis des Verbots parteipoli­ tischer Betätigung ausmachen soll, ist der Gedanke des Machtmiß­ brauchs. Arbeitgeber und Betriebsrat komme im Betrieb eine expo­ nierte Stellung zu. Dies könne die Betriebspartner dazu verleiten, ihre besonderen Möglichkeiten und Machtstellung im Betrieb zur Propa­ gierung parteipolitischer Stellungnahme auszunutzen70 • Dem wolle § 74 II 3 BetrVG einen Riegel vorschieben71 • Das leuchtet auf den ersten Blick für den Betriebsrat ohne weiteres ein. Angesichts der umfangrei­ chen Mitwirkungsrechte, die dem Betriebsrat zustehen, hat das BetrVG mehrere Sperren vorgesehen, die den Handlungsspielraum des Be­ triebsrats hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Mitwirkungsrechte ein­ schränken. Die Sperren werden dort angeordnet, wo die Gefahr beson­ ders groß erscheint, daß der Betriebsrat den vorgegebennen Handlungs­ rahmen überschreitet und damit seine Macht „mißbrauchen" könnte: Betriebsverfassungsrechtliches Arbeitskampfverbot (§ 74 II 1 BetrVG) und Friedenspflicht (§ 74 II 2 BetrVG), das Verbot des Eingriffs in die Betriebsleitung (§ 77 I 2 BetrVG) sowie eben auch das Verbot parteipoli­ tischer Betätigung in § 74 II 3 BetrVG. Auf der anderen Seite gilt für den Arbeitgeber neben den genannten, in § 74 II BetrVG enthaltenen Verhaltensanordnungen noch das Verbot der Störung und Behinderung der Betriebsratstätigkeit gern. § 78 Satz 1 BetrVG. Dabei liegt es auf der Hand, daß beim Betriebsrat als demj enigen, dem im Rahmen der Betriebsverfassung jedenfalls aus der

68 So Buchner selbst in : Festschrift für G. Müller, S. 93 (98). 69 Anzumerken bleibt nur noch, daß das BRG 1920 in § 1 und § 66 Nr. 3 und 6 gerade bei der Aufgabenzuweisung an die Betriebsräte die politische Betä­ tigung ausgenommen hat, wie dies Buchner für das BetrVG 1972 vertritt. Durch die Formulierung in § 1 „zur Wahrnehmung der gemeinsamen wirt­ schaftlichen Interessen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber" soll­ ten gerade politische Interessen jeder Art vom Betriebsrat nicht verfolgt werden dürfen (vgl. Mansfeld, BRG, § 1 Anm. 2 a). Daran zeigt sich auch, daß Aufgabennormen und Befugnisnormen im jeweiligen Normkontext bestimmt werden müssen und nicht logisch vorgegeben sind, vgl. dazu Sehlink, S. 85 ff,, insbesondere S. 90. 70 Behnes, S. 10; Hanau, Anm. zu BAG EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1, S. 20; Molitor, BB 1955, 167. 71 Diesen Gesichtspunkt nennt bereits der Abgeordnete Richter in der Bun­ destagsdebatte zum BetrVG 1952, vgl. oben § 2 Rn. 86.

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1. Kap.: Grundlagen zu § 74 II 3 BetrVG

Sicht des Arbeitgebers eine „Aggressivfunktion" zukommt72 , schon allein aufgrund dieses Umstandes die Gefahr größer ist, daß er die Regeln über die Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte nicht beachtet. Die Frage ist nun, ob diesem Gedanken des Machtmißbrauchs neben dem Gesichtspunkt der Wahrung des Betriebsfriedens als ratio legis des Ver­ bots parteipolitischer Betätigung eigenständige Bedeutung zukommt. Oben73 wurde der Begriff des Betriebsfriedens in seine formelle und materielle Komponente im Anschluß an die h. M.74 erläutert und zer­ legt. Während nun der Gegenstand der parteipolitischen Betätigung etwa die gezielte Werbung für eine bestimmte Partei und die dabei ein­ gebrachte „Autorität" im Betrieb - als Machtfaktor des Betriebsrats oder Arbeitgebers eher dem materiellen Begriff des Betriebsfriedens zuzu­ ordnen ist, weil ein Konfliktpotential in den Betrieb hineingetragen würde, welches dort kaum je seinen Ursprung haben wird, betrifft der Gedanke des Machtmißbrauches demgegenüber mehr den formellen Teil des Betriebsfriedensbegriffes. Insoweit mißbraucht der j eweilige Betriebspartner den vorgegebenen betriebsverfassungsrechtlichen Hand­ lungsrahmen, in dem parteipolitische Betätigung keinen Platz hat. Da­ mit soll deutlich gemacht werden: Der Gesichtspunkt des Machtmiß­ brauchs wird von den beiden Komponenten des Betriebsfriedensbe­ griffs abgedeckt und ist diesem sozusagen vorgelagert. Dies gilt sowohl für den Fall, daß Arbeitgeber oder Betriebsrat die Bedeutung der par­ teipolitischen Stellungnahme unterstreichen wollen, indem sie ihre her­ ausgehobene Position im Betrieb mit in die Waagschale werfen, als auch dann, wenn man den Machtmißbrauch darin sieht, daß ein Be­ triebspartner den ihm eingeräumten Handlungsspielraum nicht einhält. Im Ergebnis hat daher der Gedanke des Machtmißbrauchs neben dem Gesichtspunkt der Wahrung des Betriebsfriedens keine eigenständige Be­ deutung für die Auslegung sowie für den Sinn und Zweck des Verbots parteipolitischer Betätigung. Vielmehr berücksichtigt bereits die den Betriebspartnern auferlegte betriebsverfassungsrechtliche Friedens­ pflicht den Gedanken des Machtmißbrauchs hinreichend.

VI. Ergebnis Die ratio legis des Verbots parteipolitischer Betätigung besteht darin, den Betriebsfrieden und den ungestörten Arbeitsablauf in einem Punkt zu schützen, wo er nach Auffassung des Gesetzgebers besonders gefähr. 72 Vgl. v. Hayningen-Huene, Betriebverfassungsrecht, § 11 IV 1 c; ders., Manager-Magazin, Heft 5/1983, 158. 73 Vgl. § 3 I. 74 Vgl. Dietz / Richardi, § 74 Rn. 46; Germelmann, S. 62 f., 94 f.

§ 3 Normzweck

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det ist. Deswegen unterliegen parteipolitische Betätigungen einem abso­ luten Verbot, also unabhängig davon, ob der Betriebsfrieden und der Arbeitsablauf konkret gestört werden. § 74 II 3 BetrVG bildet also einen speziell hervorgehobenen Unterfall des § 74 II 2 BetrVG. Weitere von Rechtsprechung und Schrifttum . zur Bestimmung von Sinn und Zweck des § 74 II 3 BetrVG genannte Rechtsgüter wie der Neutralitäts­ gedanke, der Schutz der Meinungs- und Wahlfreiheit der Arbeitnehmer sowie die fehlende Kompetenz des Betriebsrats zur parteipolitischen Be­ tätigung scheiden j edoch als Normzweck nach hier vertretener Auffas­ sung aus. Der Gesichtspunkt des Machtmißbrauchs liegt schon der Rege­ lung des Schutzes von Betriebsfrieden und Arbeitsablauf in § 74 II 2 BetrVG zugrunde und ist dem Verbot parteipolitischer Betätigung da­ her lediglich mittelbar vorgelagert.

Zweites Kapitel

Tatbestand und Rechtsfolgen des § 74 II 3 BetrVG § 4 Sachliche Reichweite des V erhots I. Der Begriff „parteipolitisch" Eine der wichtigsten und entsprechend häufig diskutierten Fragen zu § 74 II 3 BetrVG geht dahin, was unter „parteipolitisch" im Sinne dieser Norm verstanden werden soll. Je weiter man dieses Tatbestandsmerk­ mal begrifflich faßt, um so mehr politisch gefärbte Handlungen unter­ fallen dem Verbot. Demgemäß stellt sich die Interessenlage so dar, daß diejenigen, die die Politik weitestgehend aus dem Betrieb heraushalten wollen, zu einer extensiven Auslegung neigen, während umgekehrt die­ j enigen, welche einen gewissen Spielraum für politische Handlungsmög­ lichkeiten auch im Arbeitsleben ermöglichen wollen, eher eine restrik­ tive Interpretation befürworten. 1. Extensive Auslegung

Das BAG 1 sowie dei herrschende Auffassung im Schrifttum2 vertreten den Standpunkt, der Begriff der Parteipolitik sei weit auszulegen. Hier­ unter sei zunächst alles zu verstehen, was die Arbeitnehmer zu einer Stellungnahme in parteipolitischen Fragen veranlassen soll; dies gelte aber auch für Maßnahmen, die ohne Nennung einer Partei offenbar de­ ren Interessen dienen soll. Auch müsse die politische Richtung nicht namentlich genannt werden, vielmehr reiche es aus, wenn werbend, un1 BAG AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG; BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972. 2 Brecht, § 74 Rn. 8; Dietz / Richardi, § 74 Rn. 58 f.; Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 20 f.; Gamillscheg, Arbeitsrecht II, Nr. 438 a; Glaubitz, BB 1972, 1277 ; Hacker, DB 1963, 962 (963) ; Hohn, BB 1975, 376; Kammann / Hess / Schlo­ chauer, § 74 Rn. 33; Meisel, RdA 1976, 38 (39) ; Molitor, BB 1955, 167; Neu­ mann-Duesberg, ArbRdGgw Bd. 3 (1965), S. 101 (109) ; Oetker, BIStSozArbR 1983, 321 (325) ; Pauly, Jus 1978, 163 (166) ; Richardi, NJW 1962, 1374 (1375) ; Rothe, BlStSozArbR 1959, 189; Sahmer, § 74 Anm. 4; Stege / Weinspach, § 74 Rn. 12.

§ 4 Sachliche Reichweite des Verbots

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terstützend oder auch nur befürwortend Auffassungen und Parolen oder Programme einer politischen Gruppierung im Betrieb verbreitet werden. Daher unterstehe auch die Agitation und der Eintritt für eine „politische Richtung" dem Verbot. Die herrschende Meinung setzt also die parteipolitische Betätigung mit der allgemeinen Politik gleich3 und erachtet sonach grundsätzlich j ede politische Betätigung für verboten4 • Begründet wird diese Auffassung zunächst damit, alle politischen Fra­ gen, mögen sie sich auf die Außenpolitik, die äußere oder innere Sicher­ heit, die Kultur, die Arbeit und die Freizeit beziehen, würden in den Bereich parteipolitischer Stellungnahmen fallen, da entsprechend der soziologischen Struktur unserer politischen Parteien als Weltanschau­ unsgparteien5 diese alle j ene Fragen bei ihrer Arbeit berücksichtigen und bei ihrer Programmatik dazu Stellung nehmen würden6 • Eine Grenzziehung zwischen Parteipolitik und allgemeiner Politik sei also nicht möglich, da die Parteien alle politischen Felder mit Meinungen besetzen. Reduziere man das Verbot auf den Fall, daß die Betätigung unter Bezugnahme auf eine Partei erfolgt, nehme man der Vorschrift des § 74 II 3 BetrVG j ede Bedeutung7 , die gesetzliche Bestimmung drohe dann leerzulaufen8 • Weiter habe der Gesetzgeber mit der Hervorhebung der parteipolitischen Betätigung nur den typischen Fall politischer Be­ tätigung hervorgehoben, ohne damit eine abschließende Regelung tref­ fen zu wollen9• Es werde auch bei dieser weiten Auslegung dem beson­ deren Wertgehalt des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 I GG noch Rechnung getragen, weil das Gesetz selbst schon in einer durch eine angemessene, verfassungsrechtlich gebotene graduelle Abstu­ fung in § 74 II 2 BetrVG einerseits, § 74 II 3 BetrVG andererseits zwi­ schen allgemeinen Meinungsäußerungen, die den Betriebsfrieden kon­ kret beeinträchtigen müßten, und parteipolitischen Betätigungen, die schon bei abstrakter Gefährdung untersagt seien, differenziere 10 • Die ex­ tensive Auffassung weist weiter darauf hin, der Gesetzgeber habe diese Auslegung dadurch in seinen Willen aufgenommen, daß er trotz Kennt­ nis dieser Streitfrage, die auch schon unter dem BetrVG 1 952 sehr kon­ trovers diskutiert wurde 11 , am Wortlaut „parteipolitisch" festgehalten 3 Oehmann / Bürger / Matthes, HwB AR Betriebsversammlung, Anm. 5 ; Galperin / Löwisch, § 7 4 Rn. 2 1 ; Meisel, RdA 1976, 3 8 (39); Molitor, BB 1955,

167.

Dietz / Richardi, § 74 Rn. 59. s Hacker, DB 1963, 963. 6 Dietz / Richardi, § 74 Rn. 59. 7 Richardi, NJW 1962, 1374 ( 1375). 8 BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1 972. 9 Richardi, NJW 1962, 1374 (1375). 10 Pauly, Jus 1978, 163 (166) . 4

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2. Kap.: Tatbestand und Rechtsfolgen des § 74 II 3 BetrVG

habe 12• Darüber hinaus zeige der Vergleich mit § 74 II 3, Hs. 2 BetrVG, der die Bereiche Sozialpolitik und Tarifpolitik vom Verbot ausnehme, daß sich eine parteipolitische Betätigung nicht danach beurteile, ob auf eine bestimmte politische Partei Bezug genommen werde, sondern da­ nach, ob es zu den satzungsgemäßen Aufgaben politischer Parteien und damit zum Bereich Politik überhaupt gehöre 13 , da das Gesetz die ein­ zigen sachlichen Ausnahmen vom Verbot enumerativ aufzähle. Schließ­ lich wird argumentiert14 , parteipolitische und allgemeinpolitische Gegen­ stände ließen sich nicht klar voneinander trennen. Daher sei es aus Gründen der Rechtssicherheit15 notwendig, von einer inhaltlichen Diffe­ renzierung zwischen „Parteipolitik" und „Allgemeinpolitik" abzusehen und alle politischen Angelegenheiten dem Verbot zu unterstellen. 2. Restriktive Auslegung

Demgegenüber vertritt eine andere Meinung im Schrifttum 16 eine ein­ engende Interpretation des Tatbestandsmerkmals „parteipolitisch" . Es sei nur erfüllt, wenn für eine bestimmte politische Partei oder für eine Gruppierung, die sich im politischen Meinungskampf präsentiere, agi­ tiert werde 17 • Andere setzen eine bewußte Inbezugnahme der Ziele einer Partei voraus, die sich etwa in der Erläuterung der Ziele dieser Partei äußern kann1 8 • Parteipolitisch sei demnach dasj enige, was von einer politischen Organisation (Partei) formuliert und vertreten werde 19 • Da­ bei wird die Bezugnahme auf eine Partei teilweise20 so verstanden, daß nur Parteien i. S. von Art. 21 GG, § 2 I ParteiG gemeint seien. Andere rechnen auch politische Gruppierungen, die noch nicht oder nicht mehr 1 1 Vgl. etwa die umfangreichen Nachweise bei Säcker, in: A. Hueck / Nip� perdey II/2. Halbband, S. 1347 und bei Nikisch, III , S. 235. 12 Kreutz, BIStSozArbR 1972, 60 (66) ; Meise!, RdA 1976, 38 (39) ; Pauly, JuS 1978, 163 (166) ; Reuter, Anm. zu BVerfGE 42, 133 in Jus 1976, 681 . 1 3 Kreutz, BlStSozArbR 1972, 6 0 (66) ; Meise!, RdA 1976, 38 (39) ; Pauly, JuS 1978, 163 (166). 14 Rüttgers, S. 58; GK-Thiele, § 74 Rn. 52. 1s Rüttgers, S. 59. 16 Grundlegend Radke, BB 1957, 1 1 12 (11 13) ; Berg / Bobke / Walter, BISt­ SozArbR 1983, 353 (357) ; Bieback, RdA 1978, 82 (91); Fabricius, BIStSozArbR 1973, 375; GK-Thiele, § 74 Rn. 52; Gnade, ArbRdGgw Bd. 14 (1977), S. 59 (66) ; v. Hoyningen-Huene, § 4 IV; Kuhlendahl, MitB 1961, 98 (99) ; Pfarr, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; Vollmer, S. 3 1 ; Weiss, § 74 Rn. 9; Zachert, AuR 1978, 222 (224) ; zum BetrVG 1952 vgl. Dieckhoff, AuR 1958, 238; Lepke, DB 1968, 1990 (2039); Löffler, NJW 1964, 1 100 ( 1 1 07); Rüthers, BB 1958, 778; Schmittner, AuR 1968, 353 (359). 17 Weiss, BetrVG, § 74 Rn. 9. 1 8 Fabricius, BIStSozArbR 1973, 375. 1 9 Radke, BB 1957, 1 13. 20 Behnes, S. 19, S . 25.

§ 4 Sachliche Reichweite des Verbots

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(vgl. § 2 II ParteiG) Parteien sind oder nicht Partei sein wollen, wie etwa anarchistische Gruppierungen, hierzu, weil sie eine ebenso große Gefahr für den Betriebsfrieden bedeuteten. Daher würden auch Bürger­ initiativen vom Verbot des § 74 II 3 BetrVG erfaßt21 . Begründet wird diese Auffassung zunächst mit dem Wortlaut „partei­ politisch" . Entgegen diesem Wortlaut könne in das Wort „parteipoli­ tisch" nicht der weiterreichende Begriff „politisch" hineininterpretiert werden22 • In der Wortwahl „parteipolitisch" und „politisch" sei zumin­ dest in der Tendenz ein Unterschied, der sich in der Auslegung nieder­ schlagen müsse-23. Die genetische Auslegung spreche ebenfalls für die restriktive Auffassung. Obwohl dem Gesetzgeber die Streitfrage, ob j ede allgemeinpolitische Betätigung unter das parteipolitische Betäti­ gungsverbot fällt, bekannt war, habe er die Vorsilbe „partei" beibehal­ ten24 . Weiter lege Art. 5 I GG gerade unter Berücksichtigung des beson­ deren Gewichts, das das BVerfG25 diesem Grundrecht beimißt, eine re­ striktive Interpretation nahe26 • Sinn und Zweck sei es, parteipolitische Auseinandersetzungen unter den Betriebspartner zu verhindern, nicht aber j ede politische Meinungsäußerung aus dem Bereich des Betriebes zu verbannen27 . Arbeitgeber und Betriebsrat sollen nicht von betriebs­ fremden Institutionen wie den politischen Parteien gleichsam dirigiert werden und gewissermaßen deren verlängerten Arm im Betrieb darstel­ len2ll . Die parteipolitische Auseinandersetzung solle aus der betrieblichen Sphäre herausgehalten werden, soweit durch sie Spannungen entstehen können. Hingegen könnten per Gesetz Spannungen, die durch verschie­ dene allgemeinpolitische Auffassungen hervorgerufen werden, gar nicht verhindert werden29 • Hätte der Gesetzgeber generell j ede politische Be­ tätigung verbieten wollen, so müßte das im Gesetz entsprechend zum Ausdruck kommen. Die Begriffe „politisch" und „parteipolitisch" gleich­ zusetzen, laufe auf eine gesetzliche Fiktion hinaus, die nicht ausgespro­ chen wurde30 •

2 1 GK-Thiele, § 74 Rn. 51. 22 Dieckhoff, AuR 1958, 239. 23 Rüttgers, S. 56. 24 Vollmer, S. 12. 25 BVerfGE 7, 198 (208) ; E 42, 133 (140). 26 Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße. 27 Schmittner, AuR 1968, 359. 2B Kuhlendahl, MitB 1961, 98 (100). 29 Behnes, S. 24. .10 Behnes, S. 25.

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2. Kap.: Tatbestand und Rechtsfolgen des § 74 II 3 BetrVG

3. Stellungnahme

a) Extensive oder restriktive Auslegung? Zunächst erweist sich die entstehungsgeschichtliche Auslegung als un­ ergiebig. Daraus, ob der Gesetzgeber durch die bereichsspezifischen Aus­ nahmen der Sozialpolitik und Tarifpolitik vom Verbot in § 74 II 3, Hs. 2 B etrVG ansonsten die extensive Auslegung bevorzugte31 oder durch das Festhalten am Wort „parteipolitisch" die restriktive Auslegung fest­ schreiben wollte 32 , lassen sich jedenfalls keine zwingenden S chlüsse zie­ hen. Für die restriktive Auslegung spricht allenfalls, daß sich der Ge­ setzgeber ohnehin kaum deutlicher auszudrücken vermag, als er es durch das Wort „parteipolitisch" getan hat. Kaum geleugnet werden kann allerdings, daß zwischen den Worten „parteipolitisch" und „poli­ tisch" in der Tendenz der Aussage ein Unterschied besteht33. Dies zeigt zunächst das Gesetz selbst, wenn es in § 75 I 1 BetrVG und § 1 18 I Nr. 1 B etrVG das Attribut „politisch" verwendet. Einen weiteren Hinweis ge­ ben §§ 35 II BRRG, 53 BBG. Diese Normen verlangen von dem Beam­ ten, der ja in einem besonderen Gewaltverhältnis, einem öffentlich­ rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht" und daher eine stärkere Einschränkung seiner Rechtsstellung hinnehmen muß35 , Mäßigung und Zurückhaltung bei der politischen Betätigung. Auch § 15 I SG gibt einen Hinweis, der die restriktive Auffassung stützt. Dort wird dem Soldaten gerade die Pflicht auferlegt, sich im Dienst nicht zugunsten oder zu un­ gunsten einer bestimmten politischen Richtung zu betätigen. Dies bildet gerade die weite Formulierung, mit der die herrschende extensive Aus• legung die parteipolitische Betätigung in § 74 II 3 BetrVG umschreibt36 • Gegen diese Interpretation der h. M. spricht also, daß das, was der Ge­ setzgeber geglaubt hat, für das Soldatenverhältnis ausdrücklich anord­ nen zu müssen, nicht mittels einer entsprechend weiten Auslegung auf den Betrieb und die Betriebsverfassungsorgane übertragen werden kann. Dazu sind die Formulierungen in § 15 I SG und § 74 II 3 BetrVG einfach zu verschieden. Oder, pointiert ausgedrückt : Man kann nicht mit dem Vehikel der Auslegung ein Stück „Kasernenhofdisziplin" auf die Betriebspartner für ihre Zusammenarbeit im Betrieb übertragen. Ein Vergleich zwischen § 74 II 3 BetrVG ( ,,parteipolitisch" ) und § 1 1 8 I N r . 1 BetrVG ( ,,politisch") führt denn auch dazu, daß sich Vertreter 31

Kreutz, BIStSozArbR 1972, 60 (66). 32 So Otto, S. 88; Vollmer, S. 12. 33 Rüttgers, S. 58. 34 v. Münch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 41. 35 Vgl. zur politischen Betätigung insoweit u. Münch, in: ders. (Hrsg.), Be­ sonderes Verwaltungsrecht, S. 62. 3.5 Vgl. oben § 4 I 1 .

§ 4 Sachliche Reichweite des Verbots

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der extensiven Auslegung in offene Widersprüche verwickeln. So will Löwisch37 den Begriff der „politischen Bestimmung" in § 118 I Nr; 1 BetrVG weit fassen, was daraus folge, daß § 1 18 I Nr. 1 BetrVG sich an­ ders als § 74 II 3 BetrVG nicht auf die Nennung der „Parteipolitik'' be­ schränke. Andererseits legt er38 auch den Begriff „Parteipolitik" weit aus und beschränkt ihn nicht auf Angelegenheiten, denen sich Parteien im eigentlichen Sinne annehmen, sondern läßt vielmehr auch hier jede Stellungnahme zu allgemeinpolitischen Fragen genügen. Auch das Ar­ gument, bei einer restriktiven Auslegung werde das Verbot parteipoli­ tischer Betätigung zur Bedeutungslosigkeit verurteilt und drohe leer­ zulaufen39 , kann nicht überzeugen. Gerade der vom BAG entschiedene Fall40 macht dies deutlich. In den dort von Betriebsratsmitgliedern ver­ teilten Flugblättern wurde ein Betriebsratsmitglied angegriffen, weil es meinte, von Franz-Josef Strauß ginge keine Gefahr für die Demokratie aus und ein anderes Betriebsratsmitglied, weil dieser „lieber mit CDUlern als mit Kommunisten zusammenarbeitet" . Bei diesem Sach­ verhalt wäre auch nach der restriktiven Auslegung eine parteipolitische Betätigung anzunehmen gewesen, weil eindeutig gegen eine politische Partei bzw. gegen einen führenden Politiker einer politischen Partei Stellung bezogen worden war. Sowohl die extensive4 1 als auch die restriktive42 Auslegung stützen sich für ihr Ergebnis auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, Art. 5 I GG. Demgegenüber soll hier zunächst auf einfach-gesetzlicher Ebene mit den klassischen Mitteln juristischer Hermeneutik ein „richti­ ges" Auslegungsergebnis herausgearbeitet werden, ohne dabei schon die Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht zu prüfen, da erst nach Gewin­ nung eines Auslegungsergebnisses dieses präzise an verfassungsrechtli­ chen Normen gemessen werderi kann43 • Dennoch erscheint es evident, daß die restriktive Auslegung, nach der ja weniger Meinungsäußerun­ gen unter das absolute Verbot parteipolitischer Betätigung fallen, ten­ denziell eher der Intention des Art. 5 I GG, die Freiheit der Meinungs­ äußerung zu garantieren, entspricht. Das letztlich zugunsten der restrik­ tiven Auffassung den Ausschlag gebende Argument besteht in der Un­ möglichkeit, das, was als „allgemeine Politik" verstanden werden soll, exakt zu umreißen44 • In: Galperin / Löwisch, § 118 Rn. 9. Vgl. Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 20 f. 39 BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972; Richardi, NJW 1962, 1374 (1375) . . 40 Vgl. soeben Fn. 39. · 4 1 Vgl. oben Fn. 2. 42 Vgl. oben Fn. 16. 4 3 Ebenso die Vorgehensweise von Oetker, BIStSozArbR 1983, 321 (325). 44 Über die Schwierigkeiten, den Begriff „Politik" als Rechtsbegriff zu de­ finieren, vgl. schon oben § 1 III. 37

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2. Kap.: Tatbestand und Rechtsfolgen des § 74 II 3 BetrVG

Wer hingegen, wie die extensive Auffassung, alle allgemeinpolitischen Fragen unter das Verbot parteipolitischer Betätigung subsumieren will, steht unter Zugzwang: Er muß genau definieren, was mit dem Termi­ nus der allgemeinen Politik gemeint ist. Dieser Argumentationslast ge­ nügen diejenigen45 , die zwar erkennen, daß eine Abgrenzung zwischen einem allgemeinpolitischen Handeln von der parteipolitischen Betäti-_ gung unmöglich ist, weil die Grenzen zwischen allgemeiner und Partei­ politik fließend seien, gerade nicht. Denn mit der von diesen Autoren damit begründeten Ablehnung der restriktiven Meinung haben sie noch nicht umgekehrt positiv umschrieben, was denn eigentlich die allge­ meine Politik ausmacht. Gerade eine solche positive Beschreibung der allgemeinen Politik wäre aber notwendig, um die sachliche Reichweite des Begriffs „Parteipolitik" in § 74 II 3 BetrVG exakt bestimmen zu können. Wenn insbesondere das BAG46 meint, parteipolitische und all­ gemeinpolitische Gegenstände ließen sich kaum voneinander trennen, widerspricht es damit seinen von ihm selbst im Grundsatzurteil zur koa­ litionsspezifischen Betätigung im Betrieb47 aufgestellten Grundsätzen, wo gerade hinsichtlich der Verteilung von Werbematerial die Unter­ scheidung zwischen parteipolitischem Inhalt und einem allgemeinpoliti­ schen Inhalt getroffen wird. Die Verteilung von Informationsmaterial parteipolitischen Inhalts wird den Koalitionen gänzlich untersagt, wäh­ rend Werbematerial allgemeinpolitischen Inhalts insoweit zulässiger­ weise im Betrieb verteilt werden darf, als es sich um Fragen handelt, die mit der Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i. S. des Art. 9 III 1 GG in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Demgegenüber muß der völlig ungewisse, verschwommene Unter­ schied zwischen allgemeinpolitischen48 und unpolitischen Fragen49 , auf den die h. M. die Abgrenzung des Begriffs der Parteipolitik i. S. von § 74 II 3 BetrVG verlagert, eine Quelle ständiger Rechtsunsicherheit bilden. Auf der anderen Seite hat die restriktive Meinung, wenn sie für die parteipolitische Betätigung wenigstens die Bezugnahme auf eine poli­ tische Partei verlangt, zumindest einen klaren Bezugspunkt für die Rechtsanwendung . . Damit läßt sich auch aus dem im Rechtsstaatsprinzip als Unterfall der Rechtssicherheit50 verankerten Grundsätzen der Nor45 Dietz / Richardi, § 74 Rn. 59; Galperin / Löwisch, § 74 Rn. 21. 46 BAG AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972 unter II 2 a cc der Gründe. 47 BAG AP Nr. 10 zu Art. 9 GG unter 2 b der Gründe. 48 Man denke an die bereits zitierte (oben § 1 III mit Fn. 28) Beschreibung von Doehring, S. 21, Politik sei eine Art von Färbung, die sich jedem Lebens­ sachverhalt anheften könne. 49 Vgl. etwa Dietz / Richardi, § 74 Rn. 59, wo auch die Bereiche der Kultur und der Freizeit zu den politischen Fragen gerechnet werden; ähnlich weit Neumann-Duesberg, ArbRdGgw Bd. 3 (1965), S. 101 (109).

§ 4 Sachliche Reichweite des Verbots

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menklarheit und Justitiabilität51 ein Argument für die restriktive Aus­ legung gewinnen, weil hiernach die Betriebspartner eher die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten unter dem Blickwinkel, ob es eine partei­ politische Betätigung i. S. des § 74 II 3 BetrVG darstellt, leichter ein­ richten können. Dies wird deutlich insbesondere für den Betriebsrat und die Betriebsratsmitglieder, die angesichts der dem Betriebsrat zu­ mindest aus der Sicht des Arbeitgebers zukommenden „Aggressivfunk­ tion"52 in einem gewissen Sinne „gefahrgeneigte Arbeit" leisten53 : Von den Betriebsratsmitgliedern erwartete Aktivität bringt diese immer wieder in die gefährliche Nähe der hier und dort auf Widerspruch stoßenden und den Betriebsfrieden gefährdenden Meinungsäußerungen. Hilfreich zur Klärung der hier erörterten Streitfrage kann auch ein Blick auf § 74 III BetrVG sein, wonach betriebsverfassungsrechtliche Funktions­ träger in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer in der Betätigung für ihre Gewerkschaft im Betrieb nicht beschränkt werden. Da es in der Bun­ desrepublik Deutschland mehrere Gewerkschaften gibt54 , stehen diese in einem gewissen Konkurrenzverhältnis, etwa hinsichtlich ihrer koali­ tionspolitischen Ziele und der Mitgliederwerbung. Bei dieser durch Art. 9 III GG im Kernbereich geschützten koalitionsspezifischen Betä­ tigung muß daher - bei der Mitglieder- und der Wahlwerbung vor Betriebsratswahlen ist dies evident - ein Bezug zu der jeweiligen Ge­ werkschaft hergestellt werden. Daß dabei unter Umständen Konflikte auftreten, nimmt der Gesetzgeber durch Art. 9 III GG, § 74 III BetrVG in Kauf, weil diese Konflikte in der Regel im Arbeitsleben ihren Ur­ sprimg haben. Umgekehrt will der Gesetzgeber Auseinandersetzungen zwischen Parteien, die sich, ohne auf die Arbeitswelt programmatisch fixiert zu sein, auf allen gesellschaftlichen Ebenen mit ihren umfassen­ den politischen Programmen betätigen, mit der Norm des § 74 II 3 BetrVG weitgehend heraushalten, weil diesen Konflikten in der Regel der unmittelbare Bezug zum Betrieb (vgl. die Formulierung in § 74 II 3, Hs. 2 BetrVG) fehlt und deswegen der einzelne Betrieb mit diesen Konflikten nicht belastet werden soll.

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St

Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 20 VII Rn. 61. Leibholz / Rinck / Hesselberger, Art. 20 Rn. 24; Herzog, in: Maunz / Dürig,

Art. 20 VII Rn. 63. 52 Vgl. u. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 11 IV 1 c; ders., Manager-Magazin, Heft 5/1983, S. 158. 53 Säcker, DB 1967, 2072; LAG Frankfurt, DB 1967, 430; dieser Begriff wird hier plakativ und nicht im sonst gebräuchlichen technischen Sinne als Ein­ schränkung der Arbeitnehmerhaftung verwendet; zu letzterem etwa u. Hoy­ ningen-Huene, in: M. Rehbinder, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 23 (32). 54 Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund sei hier die Deutsche Ange­ stellten-Gewerkschaft und der Christliche Gewerkschaftsbund genannt.

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2. Kap.: Tatbestand und Rechtsfolgen des § 74 II 3 BetrVG

Aus all diesen Gründen ist die restriktive Auffassung gegenüber der extensiven Auslegung des Begriffs „parteipolitisch" , wie ihn die h. M. versteht, vorzuziehen. b) Präzisierung der restriktiven Auffassung Auch die Vertreter der restriktiven Ansicht weisen jedoch bei ihren Formulierungen dessen, was sie unter parteipolitischer Betätigung ver­ stehen, erhebliche Unterschiede auf55 • Dabei erscheint es nach hier ver­ tretener Auffassung wichtig, daß eine parteipolitische Betätigung zu­ nächst nur dann vorliegt, wenn dabei ausdrücklich oder in deutlich er­ kennbarer Weise stillschweigend Bezug genommen wird auf eine be­ stimmte Partei i. S. des Art. 21 GG, § 2 I ParteiG oder deren organisato­ rische Untergliederungen. Auch eine Stellungnahme für oder gegen eine herausgehobene Persönlichkeit einer Partei erfüllt diesen Tatbestand. Die Betätigung für politische Ziele, die auch eine Partei verfolgt, reicht für sich allein hingegen nicht aus. Parteien werden in § 2 I 1 ParteiG defi­ niert als Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die . politische Willens­ bildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im deut­ schen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Um­ fang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Die Notwen­ digkeit, herausgehobene Persönlichkeiten miteinzubeziehen, zeigt ein­ dringlich etwa die Zahl der Rechtsstreitigkeiten, die wegen der Plakette ,,Stoppt Strauß" 56 geführt wurden. Oft stehen eben Personen für poli­ tische Parteien und deren Programme. Dabei soll nicht verkannt wer­ den, daß, je weiter man in der j eweiligen Parteihierarchie „nach unten" geht, etwa im kommunalen Parteigeschehen, gewisse Unschärfen auf� treten. Dieser Nachteil wiegt j edoch angesichts des ansonsten eher for­ mellen Kriteriums der Bezugnahme auf eirie Partei oder einen ihrer herausgehobenen Repräsentanten gering. Allerdings soll dieses Krite­ rium dann auch konsequent durchgehalten werden: Selbst wenn die A-Partei über den Betriebsrat für ihr sommerliches Grillfest oder die B-Partei für ihren traditionellen Schafkopfabend werben läßt - auf den ersten Blick „apolitische" Veranstaltungen - liegt eine parteipoli­ tische Betätigung des Betriebsrats vor. Entgegen der namentlich von Thiele57 vertretenen Meinung unterfallen die Bezugnahme auf Bürgerss Vgl. die Umschreibungen sowie die Nachweise hierzu oben § 4 I 2 mit Fn. 1 6-19. 56 Vgl. BAG DB 1983, 2578; LAG Düsseldorf, DB 1981, 1986; LAG Hamm, DB 1980, 1803; ArbG Iserlohn, BB 1980, 415; bay. VerfGH, NJW 1982, 1089.

§ 4 Sachliche Reichweite des Verbots

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initiativen und sonstige politische Gruppen nach hiesiger Auffassung nicht unter das Verbot parteipolitischer Betätigung. Dies zum einen des­ halb, um nicht erneut Schwierigkeiten in die Bestimmung dessen, wann eine Bezugnahme auf eine Partei gegeben ist, hineinzutragen. Diese Schwierigkeiten bestünden darin, jeweils feststellen zu müssen, ob eine Gruppe schon so weit „zusammengewachsen" ist und entsprechend ein­ heitlich nach außen auftritt, daß man sie als Partei i. S. des § 74 II 3 BetrVG ansehen könnte. Zum anderen liegt es nahe, daß gerade solche, organisatorisch wenig gefestigte Gruppen, unter denen sich die Beleg­ schaftsangehörigen vielleicht gar nichts vorstellen können, dann aber auch über wenig politische Schlagkraft verfügen, als daß sie das durch § 74 II 3 BetrVG geschützte Rechtsgut ernsthaft und nachhaltig beein­ trächtigen können und deswegen schon dem absoluten Verbot des § 74 II 3 BetrVG unterstellt werden müßten. Die Sperre des § 74 II 2 BetrVG, den Betriebsfrieden nicht zu beeinträchtigen, besteht selbstver­ ständlich auch für diese Gruppen bzw. deren Mitglieder. Auch Splitter­ parteien, die bei den Wahlen zu den Volksvertretungen nur geringe Stimmenanteile erhalten, fallen unter den Begriff der Partei i. S. von § 2 I ParteiG, solange sie sich an Wahlen beteiligen und ernsthaft das Ziel verfolgen, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluß zu nehmen. Ein Problem kann dann auftreten, wenn eine politische Gruppierung gerade dabei ist, ihre organisatorischen Strukturen so zu verfestigen, daß ihre Organisation auf eine Partei i. S. des § 2 I ParteiG angelegt ist, wie dies etwa bei den „Grünen" oder den sog. ,.Alternativen Listen" ge­ gen Ende der 70er J ahre zu beobachten war. Der Gesichtspunkt, daß die Parteien nicht über die Betriebspartner in die Betriebe hineinwir­ ken sollen58 , spricht eher dafür, hier im Zweifel höhere Anforderungen an die Verfestigung der Parteiorganisation zu stellen und entsprechende bezugnehmende Stellungnahmen erst dann dem Verbot aus § 74 II 3 BetrVG zuzuordnen. Vorher wird die Gruppierung auch noch kaum in der Lage sein, im Betrieb etwa durch Betätigungen von Betriebsrats­ mitgliedern für Unruhe zu sorgen und den Betriebsfrieden zu stören. Ein starkes Indiz dafür, daß es sich bei der betreffenden Organisation um eine Partei handelt, bildet j edoch die Teilnahme an Wahlen59 • Da gerade zu Zeiten von Wahlkämpfen parteipolitische Betätigungen be­ sonders häufig sind® und die innenpolitische Lage entsprechend „aufST GK-Thiele, § 74 Rn. 51 ; zustimmend Oetker, BIStSozArbR 1983, 321 (325) . 58 Vgl. oben § 4 I 2; Behnes, S. 24 ; Kuhlendahl, MitB 1961, 98 (100); Schmitt­ ner, AuR 1968, 353 (359). 59 Vgl. unten § 8 VI 3 c, 4 b.