Verfassungswidrig!: Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg [2 ed.] 9783666311284, 9783525311288


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Verfassungswidrig!: Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg [2 ed.]
 9783666311284, 9783525311288

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Josef Foschepoth

Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg

e t mit eis n h c i e r z ausge rd-Schmid- P a ic h dem R 2018

Josef Foschepoth

Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg

Mit 37 Abbildungen, 14 Grafiken und 1 Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. 2., aktualisierte Auflage, 2021 © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG , Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Polizeibeamte räumen nach Bestätigung des KPD -Verbots am 17.08.1956 das Büro der KPD -Landesleitung in Hamburg (© Süddeutsche Zeitung Photo) Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-31128-4

Inhalt Einleitung War das KPD-Verbot verfassungswidrig? . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1

Die KPD Kommunistische Milieupartei und SED-gesteuerte Kaderpartei . . . . 21

2

Die Radikalisierung Nationale Politik, Nationale Front und Nationales Programm . . . . . 51

3

Die Kriminalisierung Strafrechtliche Verfolgung politischer Gesinnung . . . . . . . . . . . . 83

4

Die Verbotsdebatte Kein Verbot der SRP ohne ein Verbot der KPD . . . . . . . . . . . . . . 106

5

Die Karlsruher Verhältnisse Prozessverzögerung und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

6

Die belastete Vergangenheit Warum der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts den KPD-Prozess nicht wollte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

7

Die Geheimabsprachen Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

8

Der Staatsprozess Rechtsstaatliches oder politisches Verfahren? . . . . . . . . . . . . . 235

9

Die verweigerte Amnestie Initiativen zur Freilassung politischer Häftlinge in der DDR und in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

6

Inhalt

10 Die deutsch-deutsche Verständigung Beibehaltung des KPD-Verbots und Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) . . . . . . . 314

11 Schlussbetrachtung Kalter Bürgerkrieg im Kalten Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

12

Die Quellen-Dokumentation Neue historische Dokumente zum KPD-Prozess . . . . . . . . . . . . . 367 A. Druck und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 B. Geheime Beratungen und Absprachen zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 C. Die geheime Vernehmung des Zeugen Jost durch Bundesverfassungsrichter Stein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490

Einleitung War das KPD-Verbot verfassungswidrig?

Kaum eine geschichtspolitische Deutung der Geschichte der Bunderepublik ist so tief im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert wie die These von einer »antitotalitären Äquidistanz«1 der als »wehrhafte Demokratie« bezeichneten Bundesrepublik. Wie die Weimarer Republik von ihren Rändern her und nicht etwa aus der Mitte der Gesellschaft heraus zerstört worden sei, so die Annahme, wurde auch die Bonner Republik immer wieder von ihren extremistischen Parteien am Rande herausgefordert und bedroht. Rechts gleich Links und in der Mitte die wehrhafte Demokratie, genauer der wehrhafte Staat. So schlicht wie das Modell sind Politik und Geschichte allerdings nicht. Wer war die Mitte? Wo waren die Millionen ehemaliger Nationalsozialisten geblieben? An den Rändern oder in der Mitte der Gesellschaft der jungen Bundes­ republik Deutschland? Waren sie Betroffene oder Nutznießer der antitotalitären Distanzierung? Kein Geringerer hat den Mythos von der gleichen Distanzierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber rechtem wie linkem Extremismus so geprägt wie der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung machte er am 20. September 1949 im Deutschen Bundestag deutlich, wie eng die Integration der ehemaligen Nationalsozialisten in die deutsche Gesellschaft mit einer antitotalitären Ausrichtung des neuen Staats verbunden war: »Wenn die Bundesregierung so entschlossen ist, dort, wo es ihr vertretbar erscheint, Vergangenes vergangen sein zu lassen, in der Überzeugung, dass viele für subjektiv nicht schwerwiegende Schuld gebüßt haben, so ist sie andererseits doch unbedingt entschlossen, aus der Vergangenheit die nötigen Lehren gegenüber allen denjenigen zu ziehen, die an der Existenz unseres Staates rütteln, (Bravo! und Sehr gut!) mögen sie nun zum Rechtsradikalismus oder zum Linksradikalismus zu rechnen sein.«2 Auf die versprochene Entlastung der Mehrheit folgte die Drohung an die Parteien am rechten und linken Rand, dass sie mit harten Konsequenzen zu rechnen hätten, wenn sie es nicht unterließen, weiterhin die Existenz der jungen Republik in Frage zu stellen. Mit diesem Modell ließ sich auf alle Seiten Druck ausüben und die Rangfolge der Gefahren nach Belieben ändern. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonten Adenauer und seine Mitstreiter immer wie1 Backes / Jesse: Vergleichende Extremismusforschung, S.187. 2 Konrad Adenauer. Reden, 1917–1967, S. 163.

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Einleitung

der, dass die rechte Gefahr überschätzt, die linke Gefahr hingegen unterschätzt werde.3 So konnte die eine Gefahr mit Blick auf die andere Gefahr minimiert bzw. maximiert werden. Wer der neue Hauptfeind war, stand für Adenauer schon im Frühjahr 1946 fest, der Kommunismus: »Die Gefahr ist groß. Asien steht an der Elbe.«4 Rassistische Prägungen eines nationalistisch übersteigerten Antibolschewis­ mus hatten die deutsche Allmachtsphantasie beflügelt, den Kommunismus durch einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ausrotten zu wollen. Die sich aus dem Scheitern eines derart übersteigerten nationalistischen Wahns ergebenden traumatischen Erfahrungen der Deutschen bildeten die politische Legitimation für die Gründung eines antikommunistischen Weststaats in Deutschland. Nicht eine »antitotalitäre Äquidistanz« zu Nationalsozialismus und Kommunismus, sondern ein Gemisch aus altem und neuem antikommunistischen Nationalismus wurde das politisch-ideologische Fundament eines wehrhaften westdeutschen Staats. So wollten bei einer Umfrage im Gründungsjahr der Bundesrepublik stolze 43 Prozent der Befragten lieber in einem nationalsozialistischen, zwei Prozent in einem kommunistischen Staat leben.5 Für die Bundesrepublik wurde der Kampf gegen den Kommunismus zum einigenden und sinnstiftenden Band für die bundesrepublikanische Gesellschaft. Die Grenzen, die nicht überschritten werden durften, wurden einerseits weit rechts außen gezogen, etwa gegen die, die sich offen zum Nationalsozialismus und zum »Führer« bekannten.6 Andererseits wurde die Grenze nach links bis weit in die Mitte der Gesellschaft vorgeschoben. Eine derart asymmetrische Äquidistanz ermöglichte es, die Arme zur Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder, NS -Eliten und NS -Täter weit zu öffnen. Integration der Nationalsozialisten und Ausgrenzung der Kommunisten bedingten einander. Wie ein Phönix aus der Asche konnte in dieser »antitotalitären« Konstellation die bürgerliche Mitte, die die NS -Diktatur aktiv mitgetragen hatte, zu neuen Ämtern aufsteigen. Ziel war es, wie Thomas Dehler (FDP) an einen Parteifreund schrieb, »das Bürgertum zu mobilisieren«7, gegen die Kommunisten und für das Projekt Adenauer, der Integration des Weststaats in den Westen. Dehler, Bundesjustizminister und antikommunistischer Stratege im ersten Kabinett Adenauer, machte sich gleich an die Arbeit. Um nachhaltige Erfolge zu erzielen, sollte der Kampf gegen den Kommunismus nicht nur mit politi-

3 Adenauer Briefe 1951–1953, Adenauer an Außenminister Robert Schuman, 23.8.1951, S. 115. 4 Adenauer Briefe 1945–1947, S. 191 5 OMGUS , Opinion Surveys: Records of United States occupation Headquarters, World War II, RG 260. 6 Frei: Vergangenheitspolitik, S. 23. 7 ADL: NL Dehler, N1–1023, Dehler an Middelhauve, Vorsitzender FDP NRW, 18.9.1950.

War das KPD-Verbot verfassungswidrig?

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schen, sondern auch und vor allem mit rechtlichen Mitteln geführt werden. Das Grundgesetz hatte bereits einige Freiheiten im Sinne eines wehrhaften Staats eingeschränkt. Vereinigungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstießen, waren verboten.8 Grundrechte konnten verwirkt9, verfassungswidrige Parteien verboten werden.10 Die Wiedereinführung eines weit gefassten politischen Strafrechts mit deutlichen Anklängen an Regelungen der NS -Diktatur wurde rasch auf den Weg gebracht, ebenso das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), das die Vorschriften für Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit und für Parteiverbote regelte. Die gern als »scharfe Schwerter des wehrhaften Staats« bezeichneten politischen Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sollten sich – historisch betrachtet – eher als stumpf erweisen. Nicht ein einziges Mal sprachen die Karlsruher Richter die Verwirkung eines Grundrechts aus. Von insgesamt sechs angestrengten Parteiverbotsverfahren, endeten nur die beiden ersten Verfahren gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) mit einem Verbot der Partei. Alle übrigen Versuche scheiterten. Über 40 Jahre nach den ersten Verbotsanträgen vergingen, ehe der Stadtstaat Hamburg 1993 zwei neue Verbotsanträge stellte, gegen die rechtsextreme Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) und gegen die Nationale Liste (NL). Die Anträge wurden bereits im Vorverfahren abgelehnt.11 2003 wies das Bundesverfassungsgericht erneut einen Antrag auf Verbot einer rechtsextremen Partei, dieses Mal der NPD, zurück. Der Antrag war von mehreren Verfassungsorganen, von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gemeinsam gestellt worden. Die nachgewiesene Platzierung von V-Leuten des Bundesverfassungsschutzes auf der Führungsebene der Partei war, so die Richter, »ein nicht behebbares Verfahrenshindernis«12. Ein weiteres, bislang letztes Mal musste sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der NPD befassen. Am 17. Januar 2017 verkündete das Gericht die Entscheidung. Die Rechtspartei wurde zwar als verfassungswidrig eingestuft, der Antrag auf ein Verbot der Partei jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Es fehle »an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt«13.

8 GG: Art.9, Abs.2. 9 GG: Art.18. 10 GG: Art. 21, Abs.2. 11 Morlok: Parteiverbot als Verfassungsschutz, S. 2935. 12 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE /2003/03/bs​ 200303182bvb000101.html 13 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg​ 17-004.html

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Einleitung

Die Entscheidung von 2017 war von großer politischer und historischer Bedeutung. 60 Jahre nach dem KPD -Verbot stellte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, ein für alle Mal klar, dass ein Parteiverbot »kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot«, sondern ein »Organisations­ verbot«14 sei. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit führe nicht automatisch zu einem Verbot der Partei. Wichtige Voraussetzung sei vielmehr der »Nachweis materieller Tathandlungen«, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien. Dieser Nachweis konnte von den Antragstellern nicht erbracht werden. Die Karlsruher Richter nutzten die Gelegenheit, um sich von einer anderslautenden Entscheidung des Gerichts gegen die KPD deutlich zu distanzieren. 1956 hatte das Bundesverfassungsgericht für Recht befunden, dass eine Partei auch dann verfassungswidrig sein und präventiv verboten werden könne, »wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können«15. Mit der Entscheidung vom 17. Januar 2017 reihte sich das Bundesverfassungsgericht, jetzt auch als Verfassungsorgan, in die Reihe der Kritiker aus den eigenen Reihen ein. Schon bei der Verkündung des Urteils hatte der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Josef Wintrich, auf die politische Dimension derartiger Verfahren hingewiesen. Den Vorwurf eines politischen Verfahrens wies er jedoch zurück, obwohl er durchaus durchblicken ließ, dass von außen, von wem auch immer, starker Druck auf das Gericht ausgeübt worden sei. 1967 räumte Erwin Stein, Berichterstatter im Verfahren gegen die KPD, gegenüber einem führenden Kommunisten ein, das Bundesverfassungsgericht habe regelmäßige Kontakte zur Bundesregierung gehabt und ihr bis zum Schluss immer wieder angeboten, den Antrag zurückzuziehen.16 Verfassungsrichter Herbert Scholtissek, der ebenfalls am KPD -Verfahren mitgewirkt hatte, kritisierte im selben Jahr in einer Fernsehsendung, dass der Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD »gar nicht so schlüssig begründet gewesen sei und unter heutigen Verhältnissen keinerlei Aussicht mehr auf Erfolg hätte«17. Auch die Verfassungsrichter Konrad Zweigert und Martin Drath äußerten sich Ende der 1960er Jahre kritisch zu dem eigenen Urteil und beklagten eine fehlende Revisionsmöglichkeit für derartige Verfahren.18 Im Kreis der Kritiker und Kritikerinnen darf natürlich Jutta Limbach nicht fehlen. 1996 erklärte die damalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts 14 zeit online: Ein Urteil, das Spielraum lässt, 17.1.2017 15 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 613. 16 BArch: BY 1/4356, Vermerk Rische über Gespräch mit Verfassungsrichter Stein, 13.1.1967. 17 ZDF: 17.8.1967. Vgl. DKP: Chronik der 60er Jahre, S.12. 18 Drath: Stellungnahme zu Problemen der Fortdauer des KPD -Verbots.

War das KPD-Verbot verfassungswidrig?

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aus Anlass des 40. Jahrestags des KPD -Verbots »dass sie nach heutigen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die KPD nicht verbieten würde«19. Bei allem Respekt gegenüber der Präsidentin ist darauf hinzuweisen, dass in der Bundesrepublik 1956 keine anderen rechtsstaatlichen Prinzipien galten als 1996. Es lag also weniger an den rechtsstaatlichen Prinzipien als an deren Anwendung bzw. Nichtanwendung durch die Richter des 1. Senats im Verfahren gegen die KPD. Womit wir wieder bei der Verwerfung der Entscheidungsgründe für das KPD Verbot von 1956 durch die höchstrichterliche Entscheidung vom 17. Januar 2017 wären. Danach kann eine verfassungswidrige Partei nur verboten werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte von Gewicht gibt, die es möglich erscheinen lassen, dass das Handeln einer verfassungswidrigen Partei auch zum Erfolg führt. Dieses war weder bei der NPD 2017, noch bei der KPD 1956 der Fall. Ein präventives Verbot einer verfassungswidrigen Partei ist in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat nicht möglich und daher rechts- bzw. verfassungswidrig, wenn – wie die Richter 1956 im Fall der KPD urteilten – »nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können«20. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2017 macht einmal mehr deutlich, wie wichtig die Erforschung der rechtsstaatlichen Grund­ lagen wichtiger Prozesse der Vergangenheit, insbesondere des KPD -Prozesses ist. Wenn es keine rechtlichen Grundlagen für ein Verbot der KPD gab, stellt sich sogleich die Frage, was dann die tatsächlichen Gründe für ein Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht waren? Das KPD -Verbot war politisch gewollt. Auch wenn die KPD gar nicht in der Lage war, ihre verfassungswidrigen Ziele umzusetzen, wovon auch die damaligen Verfassungsrichter überzeugt waren, sollte sie verboten werden. Warum? Dies erklärte Staatssekretär Ritter von Lex, Leiter der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung, in einer entlarvenden Sprache in seinem Schlussplädoyer vor dem höchsten Gericht folgendermaßen: Die KPD sei »trotz ihrer zahlenmäßigen Geringfügigkeit eine ernste Bedrohung für unser freiheitliches demokratisches Leben. Sie ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet.«21 Es ist eine wichtige Aufgabe der Zeitgeschichte die großen Forschungslücken insbesondere auf dem Gebiet der juristischen Zeitgeschichte zu schließen. Die quellenmäßigen Grundlagen haben sich seit 2009 deutlich verbessert. Damals gelang es, eine Fülle bislang unter Verschluss gehaltener staatlicher Akten frei 19 taz: 19.8.1996, Interview mit Jutta Limbach: »Ich hätte den KPD -Verbotsantrag ab­ gelehnt.« 20 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 613. 21 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 116, 5. Juli 1955.

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Einleitung

zu bekommen und für dieses Projekt zu erschließen. Die benutzten Quellen sind inzwischen weitgehend im Bundesarchiv verfügbar.22 Hierzu zählen die Akten der Bundesministerien des Innern, der Justiz, des Auswärtigen Amtes und des Bundeskanzleramtes, zum Teil auch des Verfassungsschutzes. Auch die Akten des Bundesverfassungsgerichts zum KPD -Prozess sind inzwischen im Bundesarchiv verfügbar. Wichtig waren ferner die im Berliner Bundesarchiv erstmals benutzten Bestände von SED und KPD. Weitere wichtige Quellen zur Geschichte der KPD gibt es in den Landesarchiven Duisburg, Stuttgart und München. Angesichts der Brisanz und Bedeutung der neuen Forschungsergebnisse wurden die wichtigsten Dokumente zum KPD -Verbot in einer QuellenDokumentation in diesem Buch erstmals veröffentlicht. So lässt sich die Beweisführung jederzeit quellenmäßig überprüfen.23 Die zeitgeschichtliche Forschung hat sich bislang um das KPD -Verbot so gut wie nicht gekümmert. Den allgemeinen Konsens hat Heinrich August Winkler in einem Satz zusammengefasst, der sich in dieser Form ohne weiteres in die allgemeine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik einfügen lässt: »Das sorgfältig begründete Urteil war verfassungsrechtlich ebenso unanfechtbar wie jenes, das vier Jahre zuvor, am 23. Oktober 1952, die rechtsextreme SRP getroffen hatte. Politisch freilich war die KPD für die innere Ordnung der Bundesrepublik schon seit langem keine Gefahr mehr.«24 Die Frage, wie ein Parteiverbot rechtsstaatlich in Ordnung sein kann, wenn von der Partei keinerlei Gefahren ausgehen, wurde einfach nicht gestellt. Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens wird behauptet, nie jedoch hinterfragt. Das Gericht habe, so ein anderer Autor »im Falle des Verbotsantrages gegen die KPD aufgrund der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Prämissen nicht anders entscheiden können. Kritik am Urteil konnte und kann deshalb – außer von interessierter Seite – kaum vorgebracht werden.«25 Edgar Wolfrum stellt zwar die richtige Frage, »ob es die Pflicht des wehrhaften und aus den Fehlern der Vergangenheit lernenden Rechtsstaates Bundesrepublik« gewesen sei, die KPD »zu verbieten, um den Bestand der Demokratie nicht zu gefährden?«26 Dies geschieht allerdings nur, um die Frage gleich im Sinne der traditionellen Sichtweise mit einem klaren ja zu beantworten. Waren Verfahren und Verbot der KPD wirklich in Ordnung? Das ist eine Frage, die in diesem Buch zum ersten Mal gestellt und aufgrund eigener umfangreicher Forschungen beantwortet wird.

22 Zur liberalen und erneut restriktiven Freigabepraxis vgl. Foschepoth: »Der Staat mauert sich ein«. 23 Vgl. Kap. 12: Die Quellen-Dokumentation. Neue historische Dokumente zum KPD ​Prozess. 24 Winkler: Der lange Weg nach Westen, S. 184. 25 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 24. 26 Wolfrum: Das Verbot der KPD im Jahr 1956, S.251.

War das KPD-Verbot verfassungswidrig?

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Dass die KPD und ihre Anwälte schon die Annahme des Antrags der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD für verfassungswidrig hielten, verwundert nicht. Sie argumentierten vor allem politisch. Die KPD sei eine der ersten wiederzugelassenen demokratischen Parteien, deren Politik jenen Zielen entsprochen habe, die die Siegermächte im Sommer 1945 bei ihren Beratungen in Potsdam über die Zukunft Deutschlands beschlossen hätten. Hierzu gehörten die Demilitarisierung, Denazifizierung, Dekartellisierung und Demokratisierung Deutschlands. Parteien, die mit diesen Zielen übereinstimmten, – dies sei bei der KPD der Fall – müssten in allen Teilen Deutschlands gefördert und dürften in ihrer Arbeit nicht behindert werden.27 Dies umso mehr, wenn sich eine Partei, wie die KPD, »in voller Übereinstimmung mit allen in Betracht kommenden staatsrechtlichen Dokumenten und insbesondere dem Grundgesetz«28 befinde. Zudem stehe das grundgesetzliche Gebot der Wiedervereinigung einem Verbot der KPD entgegen, da die Partei nicht an möglichen gesamtdeutschen Wahlen gleichberechtigt teilnehmen könnte.29 Auslegungen, die allesamt vom Gericht als Verfahrenshindernis nicht akzeptiert und zurückgewiesen wurden.30 Die hier verfolgte Argumentation rückt erstmals das Verfahren selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die leitende Frage, ob und wenn ja, inwieweit geltendes Recht und geltende Gesetze im Verfahren gegen die KPD verletzt oder außer Kraft gesetzt wurden, wird zum Maßstab einer historisch-kritischen Analyse der bislang unter Verschluss gehaltenen staatlichen Akten. Dabei geht es im Wesentlichen um jene Fragen und Probleme, die in den zentralen Kapiteln dieses Buches detailliert aufgearbeitet werden.31 1. Druck und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht: Hat die Bundesregierung politischen Druck auf das Bundesverfassungsgericht ausgeübt? Wenn ja, wie oft, wie stark, mit welchem Erfolg? Hat die Bundesregierung auf das Verfassungsgericht in Fragen und Verlauf des Verfahrens eingewirkt? Wenn ja, in welcher Form und welchem Umfang ist dies geschehen? In Schreiben, Telefonaten, persönlichen Gesprächen, gemeinsamen Besprechungen, mit geheim zu haltenden und öffentlichen Forderungen, mit Abmachungen, Anträgen, Anregungen, Wünschen und administrativen Zwängen? 2. Verletzung verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Bestimmungen: Wie stand es um die Achtung und Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien, insbesondere der Gewaltenteilung? Gab es Kontakte, Gespräche, Absprachen zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht? Welche Rolle 27 28 29 30 31

KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S.25 Ebd. S.39 Ebd. S. 393 ff. Ausführungen Kröger. Ebd. S.426. Vgl. Foschepoth, Verfassungswidrig, Kapitel 5, 7 und 8

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Einleitung

spielte der Bundesverfassungsschutz als weisungsgebundene Behörde des Bundesministeriums des Innern und gleichzeitiges Hilfsorgan des Bundesverfassungsgerichts? Welche verfassungsrechtliche Bedeutung hatte die Anwendung von § 35 BVerfGG statt der vorgeschriebenen Anwendung der StPO? 3. Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen von BVerfGG und StPO Wurden die Bestimmungen des BVerfGG und der StPO genauestens beachtet? Wurden beide Prozessparteien stets von allen Terminen gleich- und rechtzeitig informiert? Waren bei Zeugenvernehmungen beide Seiten vertreten? Erhielten beide Seiten unbeschränkten Zugang zu den Verfahrensakten? Wurden Geheimakten geführt? Wie kam es zu Durchsuchungsbeschlüssen des Gerichts, auf eigene Veranlassung, Antrag oder »Anregung« der Bundesregierung? Das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht war in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine äußerst konfliktreiche Beziehung. Im Kern ging es um die Frage, ob das neu geschaffene Bundesverfassungsgericht ein eigenständiges und unabhängiges »Verfassungsorgan« sein sollte, wie die Karlsruher Richter meinten. Oder ob es ein ganz normales Gericht sei, eingebunden in die allgemeine Gerichtsbarkeit, wie die Bundesregie­ rung, allen voran Bundesjustizminister Thomas Dehler, immer wieder betonten. Letztlich ging es um die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht ein Kontrollorgan oder ein Ausführungsorgan der Exekutive sei. Wenn das Karlsruher Gericht aus Sicht der Exekutive wieder einmal »versagte« und nicht so entschied, wie die Bundesregierung es gern gesehen hätte, konnte der Bundesjustizminister schon mal außer sich geraten. »Das Bundesverfassungsgericht«, erklärte er in der sog. Gutachten-Affäre zu den Westverträgen, sei » in einer erschütternden Weise von dem Weg des Rechts abgewichen und hat dadurch eine ernsthafte Krise geschaffen.«32 Der Bundeskanzler unterstützte die Sicht des Ministers. Was diesen ermunterte, noch eins drauf zu setzen, als die Richter nicht der gewünschten Linie der Bundesregierung folgten. Der Karlsruher Beschluss sei ein »Nullum«, so Dehler, den die Bundesregierung niemals anerkennen werde. »Die merkwürdige Geistesverfassung der Karlsruher Richter entspreche nicht mehr den Vorstellungen des Gesetzgebers, der sie eingesetzt habe.« Der größte Mangel des Gerichts sei »nicht die parteipolitische Zusammensetzung, sondern die fehlende richterliche Qualität«33. Der massive Konflikt zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Verfahren gegen die KPD. Während der Präsident jede Gelegenheit nutzte, das Verfahren zu verzögern, hielt der politische Druck unverändert an, endlich einen Termin für die mündliche

32 HStAS: Q 1/35, Bü 517, o. D. (März 1953, J. F.) Bemerkungen zur »Verfassungskrise« 1952, S. 4. 33 HStAS: Q 1/35, Bü 517, Stuttgarter Zeitung und Baseler Nationalzeitung, 12.12.1952.

War das KPD-Verbot verfassungswidrig?

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Verhandlung anzusetzen. Dies gelang jedoch erst, nachdem der erste Präsident des BVerfG, Höpker Aschoff, im Januar 1954 gestorben war. Sein Nachfolger, Josef Wintrich, suchte wieder mehr die Nähe zur Bundesregierung. Mehrfach ersuchte er den Kanzler, den Feststellungsantrag gegen die KPD zurückzuziehen. Das wäre natürlich die eleganteste Lösung für die Karlsruher Richter gewesen. Die Möglichkeit, den Antrag der Bundesregierung als unbegründet zurückzuweisen, war, je länger das Verfahren andauerte, ebenso wenig denkbar wie eine Entscheidung, die die KPD nicht verboten hätte. Also gab es nur eine Möglichkeit, ein Urteil zu sprechen, das dem drängenden Wunsch der Bundesregierung nach einem Verbot der KPD entsprach. Das war nicht einfach. Das Hohe Gericht war – wie viele andere Personen und Institutionen auch – davon überzeugt, dass von der KPD keine wirkliche Gefahr ausging und sie daher auch nicht verboten werden müsste. »Die KPD sei doch bereits tot«, meinte Präsident Wintrich, er »frage sich, ob man ihr noch den Gnadenstoß versetzen soll«34. Da die Bundesregierung jedoch nicht bereit war, den Antrag auf ein Verbot der KPD zurückzuziehen, waren beide Seiten  – wohl oder übel  – aufeinander angewiesen, schon um Schaden von sich selber abzuwenden. Die sich hieraus ergebende Spannung von Konflikt und Zusammenarbeit prägte das gesamte Verfahren. Ein Scheitern des Prozesses wäre ein Desaster für beide Seiten gewesen. Die Folge war der Zwang zu enger Zusammenarbeit in allen zentralen Fragen des Prozesses. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen. Am 24. Januar 1952 hatte das Bundesverfassungsgericht den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD angenommen. Dehler empfahl seinem Kollegen Lehr vom Innenresort, in Karlsruhe eine bundesweite Polizeiaktion anzuregen, um so viel Beweismaterial wie möglich beschlagnahmen zu lassen. Die Beweislage war noch zu dünn. Der Bundesinnenminister reichte die Anregung an den 1. Senat weiter, der sogleich einen entsprechenden Beschluss fasste. In enger Abstimmung zwischen Regierung und Gericht wurde die Operation vorbereitet und durchgeführt. Gegenüber dem Bundestagsausschuss zum Schutz der Verfassung ließ das Innenministerium jedoch erklären, »dass das Bundesverfassungsgericht die Maßnahme von sich aus angeordnet habe, die Durchführung entspreche also nicht einem Ersuchen des Bundesministeriums, sondern dem des Gerichts«35. Bundesinnenminister Lehr lud nach den zufriedenstellend verlaufenen Vorgesprächen mit Karlsruhe die Innenminister der Länder, deren Polizeibeauftragte und Vertreter des Verfassungsschutzes auf den 28. Januar 1952 zu einer geheim zu haltenden Sitzung in das Bonner Innenministerium ein. An dieser

34 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 16. Gespräch Wintrich mit Gecks, 19.11.1954. 35 BArch: B 106/15544, Ausschusses zum Schutz der Verfassung, 28.2.1952. Vermerk für StS v. Lex.

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Einleitung

Sitzung nahmen neben Bundesinnenminister Lehr, Staatssekretär Ritter von Lex als Leiter der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung für den KPD Prozess und Otto John als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz auch die Bundesverfassungsrichter Stein und Scholtissek als Berichterstatter in den anstehenden Parteiverbotsverfahren gegen die SRP und die KPD teil.36 Zunächst erklärte Verfassungsrichter Stein den Teilnehmern, dass die Rechtsgrundlage für die Durchsuchungsaktion § 35 BVerfGG sei.37 Wie mit einem Handstreich war die von § 38 BVerfGG für Durchsuchungen und Beschlagnahmen geforderte Anwendung der StPO mit ihren zahlreichen rechtsstaatlichen Einschränkungen vom Tisch gewischt. Auf diese Möglichkeit hatte wiederum Justizminister Dehler intern hingewiesen. In der Auslegung von Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht wurde § 35 als eine Art Ermächtigungsparagraph verstanden, der das Hohe Gericht vor störenden rechtlichen, gesetzlichen, ja sogar grundgesetzlichen Bestimmungen schützen sollte. Dieser Paragraph, meinte Verfassungsrichter Stein »gebe dem Gericht ziemlich freie Hand«38. Das zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht abgestimmte und am 31. Januar 1952 durchgeführte Durchsuchungsverfahren verlagerte auf die Exekutive, was laut StPO allein den am Ort des Geschehens zuständigen Richtern, Staatsanwälten und deren Hilfsorganen, der lokalen Polizei vorbehalten war. Nicht die gesetzlichen Richter ordneten an, sondern die Innenminister der Länder. Nicht die Staatsanwaltschaft bestimmte, was zu beschlagnahmen war, sondern die Polizei, in enger Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz. Dies verstieß gegen alle diesbezüglichen Gesetze und Verordnungen. Die Gefahr, jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden, bestand jedoch nicht. Die Generalvollmacht des § 35 BVerfGG schien alles zu ermöglichen. »Hier ist eine Vollmacht durch die Anordnung des Gerichts gegeben«, so Bundesinnenminister Lehr, »wodurch Sie, meine Herren Kollegen in den Ländern und in den Polizeidienststellen, sowie alle von Ihnen in Bewegung gesetzten Kräfte gedeckt sind. Darauf müssen Sie sich berufen.«39 Ein anderes Beispiel: Eine Woche nach Festsetzung des Termins für den Beginn der mündlichen Verhandlung kamen am 29. September 1954 der Berichterstatter für den KPD -Prozess, Bundesverfassungsrichter Stein und Regierungsrat Barthold (BMI), Mitglied der Prozessführenden Stelle der Bundesre36 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 4, Protokoll der Besprechung am 28.1.1952, S. 1. 37 BVerf GG, § 35 lautet: »Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln.« 38 Stein-Zitat und Näheres zu § 35 BVerfGG im Kapitel Die Geheimabsprachen, S. 204 ff. 39 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 4, Protokoll der Besprechung am 28.1.1952, S. 10 f.

War das KPD-Verbot verfassungswidrig?

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gierung, im Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zusammen, um gemeinsam die Hauptverhandlung gegen die KPD vorzubereiten. Das Ergebnis wurde in einem 16 Seiten umfassenden, »Streng Geheim« klassifizierten Vermerk festgehalten. Richter Stein erwartete, dass die Bundesregierung für die Eröffnung des Verfahrens einen Schriftsatz vorbereitete. Dieser sollte mit dem Bundesverfassungsgericht abgestimmt werden. Außerdem sei es erforderlich, »den Entwurf dieses Schriftsatzes, der die Gliederung des Sachvortrages der Bundesregierung, d. h. ihre Beweisführung zu enthalten haben wird, anhand des in Karlsruhe liegenden Materials anzufertigen, weil gleichzeitig geprüft werden muss, ob unsere Akten mit denen des Gerichts übereinstimmen und nur dort Rückfragen bei dem Mitarbeiter des BE (=Berichterstatters Verfassungsrichter Stein, J. F.) möglich sind«40. Des Weiteren wurden zwischen Stein und Barthold mögliche Gutachter und Zeugen diskutiert und abgestimmt. Die Erledigung von bereits früher gegebenen Arbeitsaufträgen des Bundesverfassungsrichters wurde abgefragt. Um den direkten Zugang zueinander zu erleichtern, stellte das Gericht der Prozessvertretung der Bundesregierung Räumlichkeiten in seinem Gebäude zur Verfügung. Ferner wurde die umstrittene Frage des freien Geleits für Vorstandsmitglieder der KPD erörtert. Welches Gericht sollte wann, welche Entscheidung fällen? Da das BVerfG darauf bestand, die Bundesregierung dagegen war, der BGH die Zuständigkeit des BVerfG in dieser Frage verneinte und nur zustimmen wollte, wenn die Bundesregierung ebenfalls zustimmte, gab es hohen Abstimmungsbedarf. Bundesanwalt Max Güde, ein Mann der Exekutive, der allerdings am BGH und nicht am BVerfG angestellt war, sollte sondieren und herausfinden, wie weit jede Seite zu gehen bereit war. Oberstaatsanwalt Kleinknecht, Referent im Bundesjustizministerium, brachte Sinn und Zweck der Kungelei zwischen den höchsten Gerichten und der Bundesregierung auf den Punkt: »Es muss vermieden werden, dass in der Frage des sicheren Geleits eine politisch ungünstig wirkende Divergenz in der Auffassung der beteiligten Staatsorgane entsteht.«41 Dieses Beispiel macht deutlich, was für ein Verfahren der KPD -Prozess war. Er war ein »Staatsprozess«, wie Verfassungsrichter Stein42 zutreffend das Verfahren gegen die KPD nannte. Angesichts der angeblichen, völlig überdimensionierten Bedrohung durch die KPD hatte, aus Sicht der Bundesregierung, der Staat eng zusammenzuarbeiten, allen rechtsstaatlichen Bedenken zum Trotz. Förderlich für die gewünschte Zusammenarbeit war auch, dass der Präsident des Gerichts und Vorsitzende des 1. Senats im selben Hotel wohnte wie leitende 40 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Vermerk Barthold, 28.9.1954. 41 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 11, Vermerk Kleinknecht, 8.10.1954, S. 429. 42 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 4, 28.Januar 1952, S 397.

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Beamte der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung. So konnte manches Gespräch zwischen Tür und Angel geführt werden, wie entsprechende Aktenvermerke belegen.43 Ferner wurden sämtliche Unterlagen und Materialien, die bei Durchsuchungsaktionen beschlagnahmt worden waren, nicht etwa in den Räumen des Gerichts, sondern in den Kellern des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln gelagert. So hatten die Vertreter der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung jederzeit ungehinderten Zugang. Ein Privileg, das die Vertreter der Prozesspartei der KPD nicht hatten. Diese erhielten nicht einmal Listen der beschlagnahmten Gegenstände, wie die StPO es ausdrücklich vorschreibt. Ein letztes Beispiel: Als Berichterstatter Stein auf Wunsch des Verfassungsschutzes am 27. Juni 1952 im Gebäude der CIA in Frankfurt einen Zeugen vernahm und darüber ein Protokoll anfertigte, stimmte dies zum größten Teil mit einer Selbsterklärung des Zeugen Jost aus Ost-Berlin überein, die 6 Wochen vorher vom Verfassungsschutz angefertigt und vom Zeugen unterschrieben worden war. Eine Ausfertigung bekamen der Verfassungsschutz und die Prozessführende Stelle der Bundesregierung. Die Anwälte der KPD erfuhren von all dem nichts, geschweige denn, dass sie vom Gericht zur Teilnahme an der Vernehmung eingeladen worden wären, wie die StPO es vorsah. Erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung zweieinhalb Jahre später kam das rechtswidrige Vorgehen des Gerichts ans Tageslicht und führte zu heftigen Attacken der Prozessvertreter der KPD. Ein Befangenheitsantrag gegen Richter Stein wurde jedoch vom Gericht abgelehnt. Trotz der engen Zusammenarbeit zwischen dem Bundesverfassungsrichter Erwin Stein und der Prozesspartei der Bundesregierung zog sich der Prozess weiter hin. Als neun Monate nach dem Ende der mündlichen Verhandlungen immer noch keine Entscheidung in Sicht war, erhöhte die Bunderegierung den Druck. Auf einer Pressekonferenz forderte Bundesinnenminister Schröder eine baldige Entscheidung der Karlsruher Richter. Die Bundesregierung sei der Auffassung, »dass die Autorität und die Sicherheit des Staates und das Ansehen seiner rechtsstaatlichen Institutionen eine baldige Schlussentscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangen«44. Als auch dies nichts half, wurde dem 1. Senat per Gesetz mit Wirkung zum 1.September 1956 die Zuständigkeit für den mehr als fünf Jahre dauernden KPD -Prozess entzogen, sofern das Gericht bis zum 31. August 1956 keine Entscheidung treffen würde. Am 17. August 1956 verkündete daraufhin der 1. Senat die lang erwartete Entscheidung. Nach einem 55 Monate dauernden Verfahren wurde die KPD für verfassungswidrig erklärt und verboten. Sämtliche Ersatz- und Nebenorganisationen wurden aufgelöst, die Schaffung neuer Ersatzorganisationen verboten. 43 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 16, Vermerk Fischler, 19.11.1954. 44 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 14, Schröder an Wintrich, 25.5.1956.

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Das Vermögen der KPD sollte zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen werden. Zuwiderhandlungen gegen die Entscheidung des Gerichts wurden »mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten bestraft«45. Mit dem Verbot der Partei begann die zweite große Phase der Verfolgung von Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland, die bis 1968 andauern sollte. Die Polizei- und Justizbehörden, die politischen Sonderstrafkammern und Strafgerichte, von den Amtsgerichten bis zum Bundesgerichtshof stöhnten unter der Masse der Ermittlungs- und Strafverfahren. Auch die Zivil-, Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit waren von den Folgen des KPD -Verbots betroffen. Über 1000 Zivilprozesse mussten geführt werden, um halbwegs rechtsstaatlich korrekt aus den Miet-, Besitz- und Geschäftsverhältnissen, die von heute auf morgen endeten, herauszukommen. Allein 800 Arbeitsgerichtsprozesse mussten wegen fristloser Kündigungen geführt werden.46 Zur Verfolgung politischer Straftaten wurden vom Beginn der Fünfzigerjahre bis zur Reform des poltischen Strafrechts 1968 insgesamt 150.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 6900 Kommunisten und solche, die man dafür hielt, wurden rechtskräftig verurteilt. Im gleichen Zeitraum wurden in der Bundesrepublik 961 NS -Täter verurteilt. Auf einen verurteilten NS -Täter kamen statistisch 7,18 verurteilte Kommunisten.47 Auch hier kann von einer antitotalitären Äquidistanz der Bundesrepublik keine Rede sein. Prägend für den wehrhaften Staat war vielmehr neben einer ausgeprägten »Justizvergessenheit« (Norbert Frei) gegenüber alten und neuen Nationalsozialisten eine kaum zu übertreffende »Justizversessenheit« gegenüber alten und neuen Kommunisten. Was die kommunistische Verfolgung für den Einzelnen bedeutete, geht aus einem Brief hervor, den Gerda Kahler, ehemaliges Mitglied der KPD in Wuppertal, am 10. Januar 1966 an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags schrieb: »Seit 1956, dem Jahr in welchem die KPD verboten wurde, bin ich ununterbrochen Belästigungen und Verfolgungen ausgesetzt, weil ich bei meiner politischen Tätigkeit davon ausgehe, dass mir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwar eine weitere Betätigung in der KPD untersagt, aber niemand mir das Recht nehmen kann, meine Gesinnung zu haben und diese zu äußern. So wurden wegen Staatsgefährdung gegen mich Ermittlungsverfahren eröffnet und ohne Begründung wieder eingestellt. Eine Vielzahl Vorladungen vor die politische Poli­zei  – denen ich allerdings nicht Folge leistete  – und vor den Untersuchungsrichter, wechselten ab mit Belästigungen durch die politische Polizei in der Wohnung. Ich musste mehrere Hausdurchsuchungen über mich ergehen lassen, bei 45 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 582. 46 BArch: B106/151328. Der Beauftragte des BMI für die Einziehung des KPD -Vermögens, 19.2.1957. 47 Vgl. Foschepoth, Verfassungswidrig!, Kapitel 9, S. 284 ff.

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welchen auch meine privaten Briefe und andere Unterlagen durchschnüffelt wurden. Druckschriften und Bücher sind des Öfteren durchschnüffelt worden, beschlagnahmt und wieder freigegeben worden. Beamte der politischen Polizei führten mich dem polizeilichen Erkennungsdienst vor. Dort fotografierte man mich und nahm von mir 40 Fingerabdrücke ab, so, wie es sonst wohl nur bei Schwerverbrechern üblich ist. In zwei Prozessen 1961 und 1964 wurde ich schließlich zu insgesamt 20 Monaten Gefängnis und 8 Jahren Entzug des passiven und aktiven Wahlrechts verurteilt. Wegen meines schlechten Gesundheitszustandes konnte mein Verteidiger RA Dr. ­Ammann aus Heidelberg, einen Haftaufschub von einem halben Jahr bis zum 15. Januar 1966 erwirken. Die Strafe soll ich nun – welche Humanität – im Gefängniskrankenhaus in Bochum verbüßen. Seit 1961, dem Jahr meiner ersten Verurteilung, kann ich bei Parlamentswahlen weder wählen, noch kandidieren. Das trifft auch für Betriebsratswahlen zu. Nach meiner Haftentlassung, die, wenn der Zeitplan der politischen Justiz eingehalten wird, 1967 erfolgt, werde ich frühestens 1972 wieder im Besitz meiner staatsbürger­lichen Rechte sein. 1956 begannen die Verfolgungen gegen mich. 1973 wird diese Etappe voraussichtlich beendet sein. Das heißt 17 Jahre politischer Terror, den ich wegen meiner kommunistischen Gesinnung durchzustehen habe.«48

Ob die in ihren Grundrechten schwer verletzte ehemalige Kommunistin jemals eine Antwort aus dem Deutschen Bundestag bekommen hat, ließ sich in den Akten nicht klären.

48 HStAS: EA 2/303, Bü 853, Gerda Kahler (Wuppertal) an die Abgeordneten des Bundestags, 10.01.1966.

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Die KPD Kommunistische Milieupartei und SED-gesteuerte Kaderpartei

Wirft man einen Blick in die Literatur zur Geschichte der KPD, entdeckt man eine Vielzahl von Begriffen, die dieser Partei im Laufe der Zeit zulegt worden sind. Da ist von einer revolutionären Partei, einer Massenpartei, einer Partei und Avantgarde der Arbeiterklasse, einer Klassen-, Klassenkampfpartei oder einer »marxistisch-leninistischen Kampfpartei«1 die Rede, wie es in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD heißt. In der neueren Forschung sind weitere Bezeichnungen gebräuchlich: Widerstandspartei, antifaschistische Partei, Traditionspartei, Milieupartei, Kaderpartei, Partei neuen Typs, Partei der SED oder schlicht »die Russenpartei«2. Ihre Rolle in der Nachkriegszeit wird als Wiederaufbaupartei, Einheitspartei, Westpartei oder gesamtdeutsche Partei beschrieben. Angesichts der verwirrenden Vielfalt dieser Zuschreibungen stellt sich die Frage: Was für eine Partei war denn nun die KPD?3 Um das klären zu können, ist es nötig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und zwar bis in die Anfänge der kommunistischen Bewegung zu Beginn des 20.  Jahrhunderts. Innerhalb der Sozialdemokratie, der Partei der Arbeiterbewegung im Deutschen Kaiserreich, gab es drei verschiedene ideologische Richtungen. Das »orthodoxe marxistische Zentrum« unter Karl Kautsky und August Bebel bekannte sich vorbehaltlos zum Marxismus, versuchte jedoch gleichzeitig die revolutionäre marxistische Theorie mit einer pragmatischen, reformorientierten Tagespolitik in Einklang zu bringen. »Die Revisionisten« um Eduard Bernstein, gingen einen Schritt weiter. Sie attackierten die marxistische Theorie und versuchten die SPD auf einen konsequenten Reformkurs zu bringen. Bei der Auseinandersetzung über die Frage, welche Konsequenzen aus der Russischen Revolution von 1905 zu ziehen seien, grenzte sich eine dritte Gruppe um Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Clara Zetkin immer deutlicher vom marxistischen Zentrum in der SPD ab und forderten »eine stärkere revolu1 Der KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 656 ff. 2 Weber: KPD, Sp. 161 f. 3 Zur Forschungslage: Weber: Zehn Jahre historische Kommunismusforschung. Bois/Wilde: Ein kleiner Boom. Entwicklungen und Tendenzen der KPD -Forschung seit 1989/90. Kössler: Partei, Bewegung und Lebensform. Neuerscheinungen zur Geschichte des Kommunismus in Deutschland.

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tionäre Ausrichtung der Partei«. Um 1913 schlossen sich die Linken in der SPD auch organisatorisch enger zusammen. Danach kämpften sie noch entschiedener gegen eine Umwandlung der SPD in eine gemäßigte Reformpartei.4 Der Erste Weltkrieg brachte den endgültigen ideologischen und organisatorischen Bruch der Linksradikalen mit der Sozialdemokratie. Nachdem Karl Liebknecht am 2. Dezember 1914 gegen die Kriegskredite im Deutschen Reichstag votiert hatte, bildeten die Linken, die den Krieg entschieden ablehnten, eine eigene Organisation. Ihr Mitteilungsorgan erhielt den Namen »Spartakus­briefe«. Analog dazu wurde die neue politische Organisation »Spartakusgruppe« bzw. »Spartakusbund« genannt. Auch nach dem Ausscheiden der »Linksradikalen« nahm der Widerstand gegen den Krieg innerhalb der SPD weiter zu. Mit der Folge, dass sich 1917, kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, eine weitere Gruppe, die sogenannte »Unabhängige sozialdemokratische Partei Deutschlands« (USPD) gründete. Nachdem sich der Spartakusbund zunächst der USPD angeschlossen hatte, trennten sich die beiden Gruppen wieder. So kam es, dass die Spartakisten am 29. Dezember 1918 beschlossen, eine eigene Partei zu bilden, die schon einen Tag später gegründet wurde und den Namen KPD erhielt.5 Wenige Tage nach dem Gründungsparteitag der KPD kam es in Berlin zum sogenannten »Spartakusaufstand«. In dessen Folge wurden die eben erst gewählten Führer der neugegründeten Partei, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, ermordet. Dies löste heftige Auseinandersetzungen über den Kurs der Partei aus. Wieder ging es um die Frage, wie revolutionär die neue kommunistische Partei sein sollte. Weitere Trennungen und Spaltungen waren die Folge. 1927 wurden allein zehn verschiedene kommunistische Gruppierungen innerhalb und außerhalb der KPD gezählt. Nachdem verschiedene Versuche gescheitert waren, durch Umsturz an die Macht zu kommen, erschien dies auch der KPD keine realistische Option mehr zu sein. Wirtschaftliche und politische Krisen sorgten jedoch erneut für eine Radikalisierung der KPD und neuen Zulauf. So wählten 3,7 Millionen Wahlberechtigte bei den Reichstagswahlen im Mai 1924 die KPD, was einem Anteil von 12,6 Prozent der abgegebenen Stimmen entsprach. Die Wirtschaftskrise von 1929 führte zu erneuter Radikalisierung der Arbeiterschaft, wodurch die KPD weiter gestärkt wurde. Bei der Reichstagswahl im November 1932 erzielte die KPD mit 17 Prozent der abgegebenen Stimmen den größten Wahlerfolg, den sie jemals erreichte. Knapp 6 Millionen Wähler hatten der KPD ihre Stimme gegeben. Die KPD war von einer Arbeiter- zu einer Arbeitslosenpartei« geworden.6 Gegen Ende der Zwanzigerjahre sahen viele Kommunisten eine revolutionäre Situation gekommen. Nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politi4 Weber: KPD, Sp. 161 f. 5 Ebd. 6 Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1665.

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schen Verhältnisse spitzten sich zu. Gern übernahm die KPD die von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) diagnostizierte und von der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) formulierte These, wonach die letzte Krise des Kapitalismus angebrochen sei und die kommunistische Weltbewegung die Aufgabe habe, die Führung des Proletariats zu übernehmen. Entsprechend war die auf einen »Klassenkompromiss« zielende Politik der SPD zu »entlarven« und die Arbeiterschaft für einen Sieg der sozialistischen Revolution zu mobilisieren. Als wichtige Waffe in diesem revolutionären Kampf wurde die von der Komintern entwickelte These vom Sozialfaschismus eingesetzt. Danach galt die SPD als der linke Flügel der faschistischen Bewegung. Auf dem Weddinger Parteitag von 1929 beschloss die KPD, den Hauptstoß gegen die als »Sozialfaschisten« beschimpfte SPD und nicht etwa gegen die NSDAP zu richten. 1931 beteiligte sich die KPD sogar gemeinsam mit den National­sozia­ listen an einem Volksentscheid gegen die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Preußen.7 Was für eine Partei war die KPD der Weimarer Zeit? Drei Handlungsebenen waren Profil bildend. Die KPD war erstens Teil  der deutschen Arbeiterbewegung, als deren Vorhut und Avantgarde sie sich verstand. Sie führte die Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung fort, »die Arbeiter gegen das bürgerlich-kapitalistische System zu integrieren«. Mit der Gründung zusätzlicher Massenorganisationen (Rote Hilfe, Kommunistischer Jugendverband, Roter Frontkämpferbund etc.) bildete sich seit Mitte der Zwanzigerjahre »ein System spezifischer kommunistischer Sub- und Gegenkultur« heraus, das über die eigenen Parteimitglieder hinausreichte, »jedoch nie die Mehrheit der Arbeiter in Deutschland umfasste«8. Die KPD bildete zweitens die zweitstärkste Sektion der Komintern, deren Aufgabe es war, die Bolschewistische Oktoberrevolution durch weitere Revolutionen in Europa abzusichern. Die Hoffnung auf eine »Sozialistische Weltrevolution« erfüllte sich jedoch nicht. Stattdessen avancierte die Sowjetunion mit dem Aufbau des Sozialismus in Russland zum »Vaterland des internationalen Proletariats«, dessen Schutz Vorrang vor einer weiteren Revolutionierung kapitalistischer Gesellschaften bekam. »Die sowjetische Staatsund Parteiführung wurde die höchste Autorität in einem sich zunehmend als geschlossen darstellenden Bezugssystems kommunistischer Politik und Ideologie.«9 Die KPD war drittens trotz ihrer revolutionären Bemühungen, die bestehenden Verhältnisse gegebenenfalls auch mit Gewalt zu überwinden, Teil des politischen Systems der Weimarer Republik. In der parlamentarischen Demokratie sah sie jedoch keine von allen Parteien zu respektierende Regierungsform, sondern eine willkommene Bühne zu kommunistischer Selbstdarstellung und 7 Weber: KPD, Sp. 161 f. 8 Sywottek: Kommunisten, S. 26. 9 Ebd., S. 28.

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antidemokratischer Agitation, die selbst vor einer Instrumentalisierung des Nationalismus nicht zurückschreckte. Hinzu kam ein während der gesamten Weimarer Zeit aufrechterhaltener »Stil der außerparlamentarischen Demonstra­ tionspolitik und der häufig kampagnenhaften Mobilisierung der Mitglieder«, der sich, begünstigt durch die allgemeine Lage, immer wieder »stabilisierend auf die Partei« auswirkte10. Zu den historisch bedeutsamen Folgen der Politik der Weimarer KPD gehören 1.  der sozialrevolutionäre Kampf gegen die Weimarer Republik; 2.  die dauerhafte Verhinderung eines Bündnisses mit den als »Sozialfaschisten« diffamierten Sozialdemokraten; 3. das unterwürfige Verhalten der KPD -Führung gegenüber Stalin11 und die konsequente Ausrichtung der KPD auf die Unterstützung der Sowjetunion; 4. die Unfähigkeit, in dem unaufhaltsamen Aufstieg der NSDAP, nicht die eigentliche und größte Gefahr für die Arbeiterbewegung und ganz Deutschland erkannt zu haben. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland errungen hatten, wurden die Kommunisten ihre ersten Opfer. In der Nacht vom 27./28. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude in Berlin. Die Tat-Frage ist abschließend bis heute nicht geklärt.12 Für die nationalsozialistische Propaganda hatten »die Kommunisten« das Reichstagsgebäude angezündet. Eine große Verhaftungswelle erfasste das Land. Allein in den ersten Wochen nach dem Brand wurden etwa 11 000 Kommunisten verhaftet, unter ihnen Reichstagsabgeordnete und zahlreiche Partei- und Bezirksleitungen der KPD. Die Festgenommenen wurden in Konzentrationslager oder Zuchthäuser gebracht und später teils mit, teils ohne Gerichtsverfahren ermordet. Die Zahl der kommunistischen Opfer wird für die gesamte Zeit der NS -Diktatur auf über 100 000 geschätzt.13 Der nicht verhaftete Rest der KPD -Führung, darunter Wilhelm Pieck, Franz Dahlem und Walter Ulbricht, floh ins Ausland und setzte die Arbeit zunächst in Prag, dann in Paris und seit 1939 in Moskau fort. Der Versuch, eine operative Leitung zur Steuerung der politischen Arbeit und des Widerstands innerhalb des Reiches aufzubauen, gelang nur vorübergehend. So konnte sich der kommunistische Widerstand nur zögernd und wenig koordiniert entwickeln.14 Ihre politische Linie änderte die KPD -Führung nicht. Mit großer Hart­ näckigkeit verfolgte sie weiterhin ihr Ziel, die Mehrheit der Arbeiter für sich zu gewinnen. Der Hauptfeind war und blieb die SPD. Im Mai 1933 verlautete aus dem Zentralkomitee (ZK) der KPD, die SPD, die kurz danach verboten wurde, sei die »soziale Hauptstütze« des Hitlerstaates.15 Als die Komintern auf ihrem 10 11 12 13 14 15

Ebd., S. 33. Hoppe: Stalin und die KPD in der Weimarer Republik, S. 38. Deiseroth: Der Reichstagsbrandprozess, S. 75. Sywottek: Kommunisten, S. 34. Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1666. Der deutsche Kommunismus. Dokumente, S. 345.

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VII. Weltkongress 1935 die Schaffung einer Volksfront gegen den Faschismus forderte, änderte die KPD ihre Prioritätenfolge. Voraussetzung für eine antifaschistische Volksfront wurde jetzt die Einheitsfront mit der SPD. Über die Frage, welchem Zweck diese dienen sollte, konnten die Exilführungen von KPD und SPD keine Einigung erzielen. Streitig blieb, ob die NS -Diktatur nur beseitigt oder auch die Bildung einer demokratischen Republik bzw. „Volksrepublik“ angestrebt werden sollte. Darüber hinaus konnte auch die Frage eines Zusammenschlusses von Kommunisten und Sozialdemokraten auf lokaler Ebene, wie auf der Berner Konferenz der KPD Ende Januar 1939 gefordert wurde, nicht geklärt werden.16 Mit der Zustimmung der KPD zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 24. August 1939 änderte sich erneut die Lage. Als am 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht Polen überfiel und einen europäischen Krieg mit den Westmächten auslöste, wurde dieser als »imperialistischer Krieg«17 verurteilt und die SPD erneut attackiert und als »imperialistischer Kriegsinteressent und Kriegstreiber«18 dargestellt. Als kurze Zeit später die Rote Armee, wie zwischen Hitler und Stalin in einem geheimen Zusatzprotokoll vereinbart, in Ostpolen einmarschierte, wurde dies von der KPD als »Sieg des Weltproletariats« gefeiert19. Alle Einheitsbekundungen und Zusammenschlussabsichten der KPD waren vorerst wieder Makulatur. Erst nach der Kriegswende von Stalingrad im Sommer 1943 änderte sich das wieder. Jetzt wurde unter maßgeblicher Beteili­ gung der im Moskauer Exil lebenden KPD -Führung das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) gegründet, dem vor allem deutsche Kriegsgefangene angehörten. In einer gezielten Frontpropaganda vermittelte das NKFD den Eindruck, »Kernorganisation der künftigen politischen Führung in Deutschland zu sein«20. Soweit der Blick auf die politische Geschichte und den historischen Kontext der KPD in der Zeit der Weimarer Republik und der NS -Diktatur. Es ist ein Blick von außen und von oben. Dieser bedarf der Ergänzung durch einen Blick von innen und von unten, einer Ergänzung der politikgeschichtlichen durch eine sozialgeschichtliche Fragestellung, wie die neuere Kommunismus-Forschung, von Klaus-Michael Mallmann für die Weimarer Republik und von Till K ­ össler für die Zeit nach 1945, überzeugend gezeigt hat.21 Jede Deutung des Kommu­ nis­mus als eines »monolithischen Systems« verkennt, so Mallmann, »dass die Mitglieder primär Subjekte waren, die die Politik vor Ort nach ihren eigenen Maßstäben gestalteten«. Dies bedeute, dass Weisungen von oben mal akzeptiert, aber häufig auch ignoriert wurden, wenn sie für falsch gehalten wurden. 16 Sywottek: Kommunisten, S. 36 f. 17 Weber: KPD, Sp. 161 f. 18 Sywottek: Kommunisten, S. 40. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik. Kössler: Abschied von der Revolution.

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Die Erforschung der Parteilinie ohne Berücksichtigung der Parteibasis, reiche nicht aus. Die innerorganisatorische »Binnenperspektive« müsse daher »durch die Außenperspektive der sozialen Vernetzungen und Milieuzusammenhänge, durch die Frage nach der Einbindung der Kommunisten in die lokale Gesellschaft«22 ergänzt werden. So rücken Entstehung, Entwicklung und Bedeutung kommunistischer Milieus in den Mittelpunkt des Interesses. Die Entstehung sozialistischer Milieus reicht in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Sie waren eine direkte Folge der Ausgrenzung der Arbeiter­ schaft aus dem gesellschaftlichen Leben und einer sich vertiefenden Kluft zwischen den Klassen. Das sozialistische Milieu »verband Klassenlage und politische Orientierung, Werthaltung, Weltbild und Lebensstil«. Es schuf Netzwerke, Instanzen der Selbsthilfe, der Sozialisation und sozialen Kontrolle. Das Milieu »bildete einen Mikrokosmos«, der Loyalitäten und Identitätsbildungen förderte. Es schuf »einen kollektiven Gesinnungszusammenhang«, der durch eine eigene Presse, gemeinsame Lokale, Feste und Vereine »gestützt und abgesichert wurde«. So bildete sich lokal und regional zentriert eine Nischen­ gesell­schaft heraus, in der ein neues, »durch Rituale und Symbole gefestigtes Wir-Gefühl«23 entstand. Die soziokulturellen Prägungen eines eigenen kommunistischen Milieus, das sich seit den Zwanzigerjahren erst nach und nach herausbildete, waren keineswegs einheitlich. Milieus sind historisch gewachsen. Sie sind vielschichtige und kom­plexe soziokulturelle Gebilde. Die Grenzen zwischen einzelnen Milieus sind flie­ßend. Die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu ist weder allein von außen geprägt, noch frei wählbar. Prägende Faktoren sind der Jahrgang und das Alter, die Lebensform und die Lebensphase, die Ausbildung und der Beruf, die wirtschaftliche und die soziale Lage, die geistigen und die weltanschaulichen Prägungen.24 Charakteristisch für das kommunistische Milieu war eine enge Verbindung von Alltags- und Arbeitswelt, von bestimmten Stadtteilen und industriellen Großbetrieben25, etwa der Kohle- und Stahlindustrie des Rhein-Ruhr-Gebietes, der Chemischen Industrie des Rhein-Neckar-Raumes oder der Schiffs- und Werftindustrie in Hamburg, Bremen, Rostock oder Kiel. Was ist nun konkret unter einem kommunistischen Milieu zu verstehen? Am Beispiel der Bergbaugemeinde Herringen, heute ein Stadtteil von Hamm in Westfalen, und der kommunistischen Familie Becker aus Hannover lassen sich die räumlichen und familiären Strukturen anschaulich verdeutlichen. Seit Beginn des 20. Jahrhun­derts war Herringen durch den rasant wachsenden Kohlebergbau geprägt. Gleich in zwei Zechen wurde das »schwarze Gold« 22 23 24 25

Mallmann: Milieu, Radikalismus und lokale Gesellschaft, S. 6. Ebd., S. 6 f. Hradil: Milieu, S. 239. Kössler: Abschied von der Revolution, S. 71.

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abgebaut. Die Bergarbei­ter wohnten mit ihren Familien in unmittel­barer Nähe zu den Zechen in ei­gens dafür angeleg­ten Bergarbeiter-Siedlungen. Die Ge­ meinde wuchs rasch, so dass auch Gast­stätten und Geschäfte sich ansiedelten. Bei den Kommunalwahlen von 1924 wurde die KPD stärkste politische Kraft. Bei den Reichs­tagswahlen von 1928 gaben 64 Prozent der Wahlbe­rechtigten der KPD ihre Stimme. Mit Blick auf das umliegende Ruhrgebiet war dies nichts Ungewöhnliches. Auch in Dortmund, Duisburg, Bottrop, Herne und Lünen war bzw. wurde die KPD ebenfalls stärkste Partei. In Herringen rekrutierten sich die Anhänger der KPD in erster Linie aus den Reihen der Bergarbeiter. Neben der KPD -Orts­gruppe Herringen bildete sich eine Reihe weiterer, der KPD nahe­ stehender Organisationen, zum Beispiel die Rote Hilfe, der kommunistische Frau­enbund, der kommu­nistische Jugendverband oder der Ar­beiterturnverein. Sogar ein Ar­beiter-Schach-Club wurde gegründet.26 Wie in Herringen betrachteten die Mitglieder und Wähler der KPD auch in anderen industriellen Re­ gionen die Partei nicht nur als ihre politische, sondern auch als ihre lebensweltliche Heimat. Man kannte sich, lebte und arbeitete zusammen, kämpfte für eine gemeinsame Sache, feierte zusammen, half und unterstützte einander. Bei der Entstehung, Entwicklung und Tradierung kommunistischer Milieus spielte die kommunistische Familie eine besondere Rolle. Die Familie war das stabilisierende Rückgrat der Partei. Das galt im Übrigen auch und besonders in der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung. »Die Familie war insgesamt in der Partei.«27 So zum Beispiel die Familie Becker aus Hannover: 1894 wurde in Hannover Karl Albin Becker geboren. Er besuchte die Volksschule und erlernte anschließend den Beruf des Schriftsetzers. Bereits mit 15 Jahren trat er der sozialistischen Jugendorganisation bei. 1919 wurde er Mitglied der KPD und schon bald hauptamtlicher Funktionär der Partei. 1928 kandidierte er bei den preußischen Landtagswahlen und zog als Abgeordneter der KPD in den Landtag ein. Zwei Geschwister waren ebenfalls Mitglieder der Partei. Seine Schwester, Lina Minna Becker, vertrat von 1924 bis 1927 die KPD in der Hamburger Bürgerschaft. Sie war verheiratet mit dem Parteigenossen Emil Unfried. Sein jüngerer Bruder, Ernst Becker, war bereits als Schüler Mitglied der revolutionären Jugendorganisation. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er der KPD bei, für die er bis 1928 als Redakteur arbeitete. Verheiratet war er mit der kommunistischen Funktionärin Martha Moritz. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, ging Karl Albin Becker in die Illegalität und arbeitete in Frankreich für die KPD. Nach der Eroberung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht wurde Becker vom Vichy-Regime an Deutschland ausgeliefert und am 1. Dezember 1942 in Plötzensee hingerichtet.28 26 Perrefort: Das rote Herringen, S. 11 ff. 27 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 393. 28 Herbst/Weber: Deutsche Kommunisten, S. 93 ff.

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Die KPD

Ungewöhnlich war, dass gleich zwei Frauen aus dem Becker-Clan, Lina Minna Becker und Martha Moritz, in der KPD Karriere machten, da die Partei eigentlich eine von Männern dominierte Partei war. Auch das kommunistische Milieu wurde vorwiegend von Männern geprägt. Politisch gaben sie den Ton an, in den Familien, den Betrieben, in der Partei. Die KPD war eine Partei der Arbeiter, wurde gegen Ende der Zwanzigerjahre jedoch zunehmend eine Partei der Arbeitslosen. Diese machten im Jahre 1927 bereits 80 Prozent der Mitglieder aus. Insgesamt wurden 40 Prozent der Mitglieder den gelernten, etwa 30 Prozent den ungelernten Arbeitern und 10 Prozent den Handwerkern und gewerblichen Arbeitern zugerechnet. Alle übrigen wie Bauern, kleine Beamte oder Angehörige der Mittelschicht bildeten eine verschwindend kleine Minderheit.29 Die KPD war nicht nur eine männlich geprägte und sozial homogene Partei, sondern auch eine junge Partei. Das Durchschnittsalter lag Anfang der 1930er Jahre um die Dreißig.30 Zu den prägenden Erfahrungen der zwischen 1895 und 1905 Geborenen zählten der Erste Weltkrieg von 1914/18, die revolutionären Umbrüche, die wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit. Die Männer waren in der Regel verheiratet und hatten Kinder. Die Frauen kümmerten sich um die Familie und übernahmen zusätzlich soziale und kulturelle Aufgaben, vor allem in kommunistischen Organisationen und Vereinen. Die Kinder und Jugendlichen waren im Kommunistischen Jugendverband aktiv und waren Mitglied in kommunistischen Sportvereinen. Immer wieder war die ganze Familie gefordert, Geld für bestimmte Aktionen oder Personen zu sammeln, die inhaftiert waren, Plakate zu kleben, Broschüren oder Flugblätter zu verteilen. Die regelmäßige Teilnahme an Partei- und Gewerkschaftsveranstaltungen, aber auch an Festen, Jubiläen oder Beerdigungen von Parteigenossen gehörten zum Alltag im kommunistischen Quartier.31 Die Weimarer Kommunisten waren »keine Berufsrevolutionäre«, etwa nach bolschewistischem Vorbild. Sie waren allenfalls »Revolutionäre im Wartestand«32. Sie hatten die Erfahrung gemacht, dass sich eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft nicht herbeizwingen ließ, auch nicht mit Gewalt. So machte sich bei aller Distanzierung der KPD -Führung zur geschmähten SPD eine Art Sozialdemokratisierung der kommunistischen Politik in den Quartieren breit. Zumindest vor Ort wollten die Kommunisten diejenigen sein, die sich am meisten und besten um die Belange, Rechte und Nöte der Arbeiter kümmerten. Die Gewerkschaftsarbeit erhielt daher hohe Priorität. Ihre Erfolge waren zugleich der Grund für eine wachsende Popularität der KPD in den Betrieben. Hier engagierten sich viele Kommunisten und kämpften tagtäglich für die Arbei­ter in den 29 Weber: KPD, Sp. 170. 30 Merson: Kommunistischer Widerstand in Nazideutschland, S. 33. 31 Siehe die Fotos von Kommunisten in diesem Buch, Abb. 13–29, S. 232–233. 32 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 381.

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Betrieben und die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. »Kaum irgendwo bildeten die KPD -Mitglieder eine isolierte Gruppe, sondern waren in aller Regel als gewählte Funktionsträger in den Arbeitervereinen, Genossenschaften und Gewerkschaften präsent und suchten diese als Medien der Mehrheitsbeschaffung, als Instanz des Verteilungskampfes und der solidarischen Hilfe, aber auch als Ort der Freizeitgestaltung zu nutzen.«33 Die KPD -Führung schaute mit einigem Missbehagen von der Zentrale in Berlin auf die pragmatischen Einstellungen und Haltungen an der Parteibasis. Jedenfalls war sie genauestens darüber informiert, »dass neben der Arbeit in den Gewerkschaften und Betriebsräten die Arbeit in den Kommunal- und kleinen Landesparlamenten die zahlreichsten Fälle opportunistischer Abweichungen aufweist«. Doch wie sollte das Heer der Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre vom Parteiapparat kontrolliert werden? Gab es doch im Frühjahr 1929 allein auf kommunalpolitischer Ebene 15 283 kommunistische Funktionäre. Die »kontrollieren sich selbst«, hieß es bei der Komintern.34 Parteilinie und Parteibasis, Zentralität und Regionalität, Milieu- und Kaderpolitik bildeten »verschiedene Pole kommunistischer Politik, bestimmten beide deren Wirkung und Erscheinungsbild, durchdrangen und begrenzten sich gegenseitig«35. Entstehung, Entwicklung und Tradierung kommunistischer Milieus in den 1920er Jahren waren und blieben bis in die frühe Geschichte der Bundesrepublik hinein wichtige Bedingungsfaktoren kommunistischer Politik in Deutschland. So erwies sich die kommunistische Idee trotz massiver Verfolgung durch die NS -Diktatur vor allem dort als »überlebens- und tradierfähig«, wo sie bereits zur »Familientradition« geworden war.36 Es ist erstaunlich, wie vergleichsweise »gut« die kommunistischen Milieus die schweren Jahre nationalsozialistischer Verfolgung überstanden haben. Die KPD war und blieb auch nach 1945 eine Milieupartei. In ihren Hochburgen konnte sie nahtlos an die Traditionen der Weimarer Zeit anknüpfen und ihre Anhängerschaft, soweit sie die NS -Diktatur überlebt hatten, wieder aktivieren. Nicht nur alte Genossen, sondern auch vormals ausgeschlossene Parteimitglieder, kehrten zurück und wurden in die Partei aufgenommen. Zudem konnte die KPD einen enormen Zuwachs von Neuzugängen verzeichnen. Eine interne Prüfung ergab, dass in den ersten Jahren seit Kriegsende, »fast zwei Drittel aller Mitglieder«37 neu hinzugekommen waren, unter ihnen viele Sozialdemokraten. Bereits im Frühjahr 1947, also zwei Jahre nach dem Ende des Krieges, konnte die KPD allein im Westen Deutschlands fast 325 000 Mitglieder verzeichnen. Eine 33 34 35 36 37

Ebd., S. 382. Mallmann: Milieu, Radikalismus und lokale Gesellschaft, S. 30. Ebd., S. 31. Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 393. BArch: BY1/565, Bericht über den Abschluss der Mitgliederkontrolle, 26.07.1949.

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Die KPD

78000

Se p 45 Fe b 46 Ju l4 6 Fe b 47 M ai 4 Fe 7 b 4 M 8 ai 4 Fe 8 b 49 Ju n 49 D ez 4 Ju 9 n 50 D ez 5 M 0 ai 51 D ez 5 M 1 är z M 52 är z5 Ja 3 n 54 Ju n 5 D 4 ez 54 19 56 19 67

7000

84332

82829

84103

129958

103130

136003

128448

184653

149303

195511

219217

211656

312526

293511

324214

80280

154123

243851

302187

Grafik 1: Entwicklung der Mitgliederzahlen der KPD im Westen Deutschlands 1945–1956/1967

Quellen: BArch: B 106/15956, Zahlen des BfV (28.10.1960). Kössler: KPD. Mitgliedschaft und Sozialstruktur, S. 796 ff. Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1782 ff.

Zahl, die nur knapp unter der liegt, die die KPD 1932 im Deutschen Reich erreicht hatte. Damit war allerdings auch schon der Höhepunkt erreicht. Von 1948 an sanken die Werte kontinuierlich ab. Zum Zeitpunkt des Verbots 1956 war die Zahl bereits auf 78 000 gesunken. In der Phase der Illegalität waren es dann nur noch 7 000 Mitglieder, die der KPD die Treue hielten.38 Der Charakter einer familiär geprägten Arbeiterpartei blieb auch nach 1945 erhalten. Nach wie vor waren es 80 bis 90 Prozent der Mitglieder, die aus der Gruppe der Industriearbeiter und deren Familien stammten.39 Wie in Weimar fand die Partei in der Gruppe der un- und angelernten Arbeiter besonders großen Zuspruch, während die Facharbeiter sich eher zurückhielten. Ein weiteres Indiz für die Fortexistenz des kommunistischen Milieus war die bleibende Verbindung von Alltags- und Arbeitswelt, von Wohnbezirken und dem industriellen Großbetrieb in unmittelbarer Nähe. Dies gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen, während in anderen Regionen wie Hamburg, Baden oder Bayern die enge Verbindung der Partei mit den Betrieben deutlich geringer war. Ein wichtiger Unterschied zur Weimarer Zeit war der deutliche Rückgang der Arbeitslosenzahlen innerhalb der Mitgliedschaft. Nach 1945 war der Anteil der 38 Kössler: KPD. Mitgliedschaft und Sozialstruktur, S. 796 ff. 39 Kössler: Kaderpartei oder Milieupartei?, S. 144.

Kommunistische Milieupartei und SED-gesteuerte Kaderpartei 

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Beschäftigten unter den Mitgliedern der KPD weitaus höher als in der Weimarer Zeit. Mit anderen Worten, die KPD war nach 1945 viel stärker in den Betrieben verankert, als dies in den Zwanzigerjahren der Fall war.40 Wenn es ein Spezifikum der KPD im Westen Deutschlands gab, dann dieses: Die KPD war »in erster Linie die Partei einer bestimmten politischen Generation«41 Die sozial-revolutionär gesinnten Genossen der Weimarer Zeit waren jedoch um einige Erfahrungen reicher und vor allem älter geworden. Lag der Altersdurchschnitt Anfang der Dreißigerjahre noch bei 30, so hatte sich dieser Anfang der Fünfzigerjahre auf über 50 erhöht, obwohl zahlreiche junge Mitglieder neu zur KPD gestoßen waren. Hierzu zählten vor allem junge Wehrmachtssoldaten, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft geschult worden waren, aber auch Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die von der SED besonders gefördert und unterstützt wurden. Da auch die SED an einer Verjüngung der Partei interessiert war, bekam der Generationenkonflikt eine neue politische Dimension, die das Verhältnis zwischen SED und KPD stark belasten sollte. Je mehr die SED eingriff und alte Kader durch junge Leute ersetzte, desto stärker eskalierte der Konflikt. Im Oktober 1949 setzten beispielsweise Bottroper Altkommunisten alles daran, »um die Leitungsarbeit zu sabotieren und in der Mitgliedschaft zu diskreditieren«. Der Konflikt endete, wie in vielen anderen Fällen auch, »in einem Patt und einer merklichen Lähmung der Partei«42. Das traditionelle Milieu schottete sich innerhalb der Partei zunehmend ab und bildete mehr und mehr »eine hermetisch abgeschlossene ›Erinnerungsgemeinschaft‹, in der die Tradierung des überkommenen Weltbilds und Lebens wichtiger waren als politische Erfolge und Ausstrahlungskraft nach außen«43. So kommt Kössler zu dem Schluss: »Die weitgehende Verankerung der KPD in einem generationsspezifischen Milieu beschränkte in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche ihre soziale Integrations- und generationelle Reproduktionsfähigkeit und trug so zum Zerfall des Kommunismus in der Bundesrepublik bei.«44 Die Bedingungen für eine Wiedergründung der KPD nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren günstig und schwierig zugleich. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland waren die Mitglieder des ZK der KPD, die im Moskauer Exil überlebt hatten, in das zerstörte und besetzte Deutschland zurückgekehrt. Obwohl die Gründung von Parteien zunächst verboten war, hatten vielerorts kommunistische Gruppen die Initiative übernommen, um teilweise gemeinsam mit den Sozialdemokraten in antifaschistischen Ausschüssen zusammenzuarbeiten oder gar neue gemeinsame Ortsgruppen zu schaffen. Von Berlin aus nahm das ZK sogleich konspirative Verbindungen zu den westdeut40 41 42 43 44

Kössler: Abschied von der Revolution, S. 60. Kössler: Kaderpartei oder Milieupartei?, S. 146. Ebd., S. 148. Ebd., S. 149. Ebd., S. 151.

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Die KPD

schen Parteigliederungen auf, um die Entwicklung deutschlandweit zu steuern und vor allem die Anerkennung der Exilführung als neue vorübergehende Füh­ rung der KPD zu sichern. In wichtigen Städten wie Bremen, Frankfurt oder Mün­chen stand die Parteiorganisation bereits im Mai bzw. Juni 1945 wieder.45 Überall gab es spontane Initiativen, nach dem Ende der NS -Diktatur die Arbeiterbewegung zu einer Einheitspartei zusammenzuschließen. Entsprechende Vereinbarungen wurden von den provisorischen KPD -Leitungen und dem ZK zwar gebilligt, eine rasche Fusion jedoch verhindert. Die KPD wollte erst ihre Anhänger organisieren und danach mit der SPD vereinigen, um aus einer Position der Stärke ihr Vereinigungskonzept durchzusetzen.46 Am 11. Juni 1945 rief das ZK der KPD in seiner Berliner Erklärung das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands auf. »Nicht nur der Schutt der zerstörten Städte, auch der reaktionäre Schutt der Vergangenheit muss gründlich hinweg geräumt werden.« Dies müsse auf soli­der Grundlage geschehen. Falsch wäre es, »Deutschland das Sowjetsystem aufzu­ zwingen«. Ein solcher Weg entspreche nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Deshalb sei es notwendig, einen anderen Weg zu gehen, und zwar »den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk«47. Zu den wichtigs­ten Aufgaben wurden gezählt: 1.  die vollständige Liquidierung der Überreste des Hitler-Regimes, 2. der Kampf gegen Hunger, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit, 3. die Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes, wozu auch die Zulassung freier Gewerkschaften und demokratischer Parteien gehörte, 4. die Wiederaufrichtung demokratisch verfasster Selbstverwaltungsorgane in den Kommunen und Ländern, 5.  der Schutz der Werktätigen vor Unternehmerwillkür, 6.  die Enteignung des gesamten Nazi-Vermögens, 7.  die Liquidierung des Großgrundbesitzes, 8.  die Verstaatlichung der Betriebe, die öffentlichen Bedürfnissen dienen, 9. ein friedliches und gutnachbarliches Zusammenleben mit den Völkern, 10. die Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung der den Völkern durch die Hitleraggression zugefügten Schäden.48 Derartige Forderungen entsprachen durchaus dem Geist der Zeit und wurden auch von anderen Parteien wie der SPD oder teilweise sogar der CDU, etwa in ihrem »Ahlener Programm« von 1947 erhoben. Dort hieß es zum Beispiel: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtba­ ren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch kann nur eine 45 46 47 48

Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1668. Ebd., S. 1669. Aufruf des ZK der KPD vom 11.6.1945, in: Herbst/Stefan/Winkler: Die SED, S. 532. Ebd., S. 532 f.

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­ euordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtN schaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.«49 Auch der KPD ging es um einen Neubeginn und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau Deutschlands. Doch die Wege dahin unterschieden sich deutlich. Für die Kommunisten konnte die »Neugeburt unseres Volkes« nur »durch die feste Einheit aller antifaschistischen, demokratischen und fortschrittlichen Volkskräfte verwirklicht werden«50. Dahinter verbarg sich bereits das klassische Konzept der KPD: von der Einheitsfront der Arbeiterklasse über die Volksfront mit allen fortschrittlichen »Volkskräften« zur Nationalen Front aller Parteien und Massenorganisationen unter der Führung der KPD/SED, wie sie mit Gründung der DDR geschaffen wurde. In kurzer Zeit konnte die KPD auch in den westlichen Besatzungszonen als antifaschistische Wiederaufbaupartei überzeugen. Bereits 1945 hatten die Kom­ mu­nisten in den kurzlebigen Antifa-Ausschüssen in vorderster Reihe mitgewirkt. Von den Besatzungsmächten berufen, wirkten sie in den Entnazifizierungsausschüssen, in den ersten parlamentarischen Gremien, in den Kommunal- und Landesverwaltungen mit. Sie wurden als Bürgermeister und Oberbürgermeister, als Staatssekretäre und Minister berufen. Zwischen 1945 und 1948 waren Kommunisten im Westen Deutschlands in allen Landesregierungen mit Ausnahme von Württemberg-Hohenzollern vertreten und zumeist für die Ressorts Arbeit, Soziales, Infrastruktur oder Wiederaufbau zuständig. Die KPD gehörte allen von den Besatzungsmächten ernannten ersten Landesparlamenten an. Bei den ersten freien Wahlen wurden Vertreter der KPD in alle Landesparlamente mit Ausnahme Bayerns und Schleswig-Holsteins gewählt. Auf der kommunalen Ebene war die Partei in 174 von 175 Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern mit eigenen Gemeinde- oder Stadtverordneten vertreten.51 Die Übersicht über das Abschneiden der KPD bei Wahlen in den Westzonen und später in der Bundesrepublik bis zum Verbot der Partei im August 1956, macht dreierlei deutlich: 1. Die politisch erfolgreichsten Jahre der KPD waren die frühen Besatzungsjahre. Mit Gründung der Bunderepublik und der DDR 1949 hatte die KPD ihren politischen Zenit längst überschritten. 2.  Die KPD war eine Regional- und Kommunalpartei. Nur einmal (1949) ist es ihr gelungen, mit einem äußerst schwachen Ergebnis in den Deutschen Bundestag gewählt zu werden. 3. Bei allen Wahlen, bei denen die KPD ein zweites Mal angetreten ist, ist sie gescheitert. Dies gilt für die Bundestagswahl 1953 und alle Landtagswahlen mit Ausnahme der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (1950) und der Bürgerschaftswahlen in Bremen, wo die KPD 1955 sogar ein drittes Mal in die 49 Ahlener Programm der CDU vom 3.2.1947: http://www.kas.de/wf/de/33.813/ 50 Aufruf des ZK der KPD vom 11.6.1945, in: Herbst/Stefan/Winkler: Die SED, S. 533. 51 Klocksin: Kommunisten im Parlament, S. 440.

1946

Kommunalwahlen

Landtagswahlen

1948

1949

BW HB NI NW RP SH BY HE NI NW RP SH Bund 1947

Bundestagswahlen

1950

1951

1952

1953

1954

1955 56

HH BY HE NW SH BW HB NI RP SH BW BY HE NI NW RP BW Bund HH BY HE NW SH HB NI RP BW

Quellen: Ritter/Niehuss: Wahlen in Deutschland 1946–1991.Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands. Deutscher Städtetag: Statistisches Jahrbuch deutscher Gemeinden, Bde. 37 (1949) und 45 (1957). Klocksin: Kommunisten im Parlament.

0,0%

2,0%

4,0%

6,0%

8,0%

10,0%

12,0%

14,0%

BW BY HB HE HH NI NW RP SH

Grafik 2: Stimmenanteile der KPD bei Wahlen im Westen Deutschlands 1945–1956

34 Die KPD

Kommunistische Milieupartei und SED-gesteuerte Kaderpartei 

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Bürgerschaft einziehen konnte. Auch in den meisten Kommunen war die Partei, als sie 1956 verboten wurde, längst auf eine Splitterpartei ohne jede bundespolitische Bedeutung zusammengeschmolzen. Wenn es eine Erfolgsgeschichte der KPD nach 1945 gab, dann war es die kommunistische Betriebsarbeit. Nach dem Vorbild der Weimarer Zeit baute die KPD im Westen ihre Organisationen wieder von unten über die kommunistischen Betriebszellen auf. In ihnen wurden die in einem Werk arbeitenden Kommunisten organisiert. Auch die westlichen Besatzungsmächte waren an einem Wiederaufbau der Gewerkschaften von unten über die Betriebe interessiert. Auf diese Weise sollten vor allem ehemalige Nazis entfernt bzw. daran gehindert werden, leitende Positionen in den Betrieben zu übernehmen. Eine Anweisung der Militärregierung erlaubte es den Vertretern der Arbeiterschaft sogar, mit den Arbeitgebern über die »Entfernung von Nazis und Militaristen aus der Betriebsleitung und aus den Kreisen der Arbeitnehmer« und über die »Wiedereinstellung von Opfern der Naziverfolgung« zu verhandeln.52 Der Erfolg der Betriebsgruppenarbeit der KPD ließ nicht lange auf sich warten. Bereits bei den ersten Betriebsratswahlen 1946 erzielte die KPD gute bis sehr gute Ergebnisse. In Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Schleswig-Holstein und WürttembergBaden gelang es, mit Werten zwischen 36 und 52 Prozent die SPD von Platz eins zu verdrängen. In Nordrhein-Westfalen war die Partei vor allem in der Kohleindustrie sehr erfolgreich. Hier errang die KPD 38,8 Prozent, während die SPD nur 36,8 Prozent der Mandate erreichte. Viele Betriebsratsvorsitzende großer Betriebe gehörten in der Nachkriegszeit der Kommunistischen Partei Deutschlands an.53 Aufgeschreckt durch die Erfolge der KPD, begann auch die SPD, eine konsequente Betriebsparteigruppenarbeit aufzubauen. Auch wenn es bald gelang, die KPD von ihrer Spitzenposition wieder zu verdrängen, blieben deren Erfolge auch bei den folgenden Betriebsratswahlen beachtlich, wenngleich der kommunistische Einfluss in den Betrieben bis zur Gründung der Bundesrepublik stetig geringer wurde. Auch vor Ort geriet die kommunistische Arbeit in den Westzonen zunehmend in den Sog des Kalten Krieges. Der Marshall-Plan zum Wiederaufbau Westeuropas, verkündet im Juni 1947, die sich verfestigende Teilung Deutschlands, die Gründung des von Moskau dominierten Kommunistischen Informationsbüros (Kominform), in dem alle kommunistischen Parteien Osteuropas, aber auch Frankreichs und Italiens vertreten waren, die Blockade Berlins und die Beendigung der Zusammenarbeit der vier Siegermächte nach dem Austritt der Sowjetunion aus dem Alliierten Kontrollrat in Berlin am 20.  März 1948 schränkten die Handlungsspielräume der »Russenpartei« im

52 Mielke: Der Wiederaufbau der Gewerkschaften, S. 81. 53 Major: The Death of the KPD, S. 154–158.

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Die KPD

Westen Deutschlands immer weiter ein und stürzte die von der SED gesteuerte KPD in eine tiefe Krise. Die Gründe dafür sind nicht nur in dem internationalen Konflikt des Kalten Krieges, sondern auch und vor allem in dem nationalen Konflikt der Deutschen über die Zukunft ihres Landes zu suchen. Dieser Konflikt wuchs sich mehr und mehr zu einem eigenen nationalen Konflikt im internationalen Konflikt des Kalten Krieges, zu einem deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg aus. Von diesem Konflikt war die KPD in besonderer Weise betroffen. Zum einen wollte sie als Westpartei agieren und aktiv am Aufbau eines neuen Deutschland mitwirken, zum andern sollte sie offensiv die Politik der SED und der Sowjetunion im Westen vertreten. An diesem Spagat, der sie in den Augen der westdeutschen Bevölkerung zunehmend unglaubwürdig machte, ist sie letztlich zerbrochen. Die Nachkriegs-KPD war seit Beginn eine gespaltene Partei. Der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrte Parteivorstand residierte in Berlin. In kurzer Zeit war es hier unter der Leitung des Exilvorstands der KPD – mit Wohlwollen und Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht  – gelungen, in der Sowjetischen Besatzungszone eine neue, zentralistisch aufgebaute und von oben nach unten funktionierende Parteiorganisation wiederaufzubauen. Im Westen Deutschlands wurde dagegen die alte Partei von unten nach oben wiederaufge­ baut. Es wurde so eine neue Organisationsstruktur geschaffen, die den alten Gliederungsprinzipien mit der zentralen Bedeutung der Bezirke zwar entsprach, aber dennoch ein hohes Maß an Eigenständigkeit aufwies. Dem Berliner Parteivorstand gelang es zwar schon bald, in seinem Macht- und Führungsanspruch auch von den Parteigliederungen im Westen anerkannt zu werden. Doch blieben die Spannungen dauerhaft erhalten, die sich zwischen den Weimarer Traditionalisten im Westen und den Machtstrategen Moskauer Prägung im Osten ergaben. Als der Aufruf des ZK der KPD vom 11. Juni 1945 in öffentlichen Versammlungen der KPD -West diskutiert wurde, betrachteten viele KPD -Mitglieder den neuen Kurs der Partei mit großem Unbehagen. Was sollte das sein, eine »antifaschistisch-demokratische Ordnung«, fragten sich Viele. »Wollen wir denn nicht mehr den Sozialismus und die Diktatur des Proletariats? Wollen wir nicht mehr ein Sowjetdeutschland, für das wir gekämpft und geblutet haben?«54 In der Nachkriegs-KPD stießen zwei Kulturen aufeinander: Die eine, die durch die sozialrevolutionäre Tradition der Weimarer Zeit und durch die unmittelbare Erfahrung der Verfolgung in der NS -Diktatur geprägt war, die andere, die im Moskauer Exil die machtpolitische Flexibilität der kommunistischen Bruderpartei und ihres Führers Josef Stalin kennengelernt und daraus ein neues Konzept einer aufeinander aufbauenden nationalen Politik der Einheitsfront, Volksfront und nationalen Front entwickelt hatte. Dabei sollte die Einheitsfront der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD der Kern einer neuen Volks54 Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1685.

Kommunistische Milieupartei und SED-gesteuerte Kaderpartei 

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frontbewegung werden, die weit ins bürgerliche Lager reichen sollte. Diese sollte schließlich in eine nationale Front münden, in der auch ehemalige Nationalsozialisten und Wehrmachtsoldaten ihren Platz finden sollten. Solange die KPD -Ost damit beschäftigt war, die Einheitsfront von KPD und SPD mit großer Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht durchzusetzen und zu konsolidieren, und die westlichen Besatzungsmächte eine zu starke Einflussnahme der SED auf die KPD -West durch restriktive und repressive Maßnahmen zu verhindern wussten, gab es noch gewisse Spielräume für eine eigenständige Entwicklung der KPD -West. Dieser Teil der KPD konnte immerhin bis 1948 sehr gut ohne einen eigenen, im Westen unbeschränkt handlungsfähigen Parteivorstand leben. Nicht von Anfang an, sondern mehr und mehr wurde die KPD -West zum integralen Bestandteil der SED. Um die Westpartei nach den Prinzipien des demokratischen Zentralismus aus Ost-Berlin überhaupt steuern zu können, brauchte es einen eigenen Vorstand der KPD, der von der SED in die Pflicht und Verantwortung genommen werden konnte. Dies war aufgrund der allgemeinen politischen Entwicklung erst im Jahre 1948 möglich. Seit Gründung der SED war es das Ziel der Berliner Parteiführung, dieses Modell auch auf den Westen Deutschlands auszudehnen. Dies konnte und sollte in zwei Schritten geschehen. In einem ersten Schritt sollte die KPD stärker an die SED gebunden werden, um die Westpartei nach den Vorstellungen des Berliner Parteivorstands organisatorisch und politisch besser steuern zu können. In einem zweiten Schritt sollte die Einheitsfront von KPD und SED mit der SPD in ganz Deutschland hergestellt werden. Welcher Schritt zuerst getan werden konnte, hing von den politischen Möglichkeiten im geteilten und besetzten Deutschland ab. Bereits im Sommer 1945 startete die KPD einen ersten Versuch mit der SPD zusammenzugehen. Der Versuch hatte zunächst durchaus Erfolg. Am 8. August 1945 unterzeichneten die Münchner Parteigliederungen eine Vereinbarung über eine »Aktionsgemeinschaft der SPD und KPD«, die sogar von der ameri­ kanischen Militärregierung bestätigt wurde. Der Versuch, die gesamte SPD auf diesen Kurs festzulegen, scheiterte jedoch. Im Mai 1946 beschloss der SPD Parteitag in Hannover, dass die Mitgliedschaft in der SED und die Werbung für diese Partei unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD seien.55 Die britische Militärregierung unterstützte die Haltung der SPD und ließ erklä­ ren, dass der britische Oberbefehlshaber weder der Errichtung einer Partei mit dem Namen SED zustimmen, noch eine Änderung des Namens KPD in SED genehmigen würde, solange die SPD nicht durch entsprechende Mehrheitsbeschlüsse deutlich erklärt habe, dass sie eine solche Parteiverschmelzung wünsche. Bereits auf dem Vereinigungsparteitag der SED im April 1946 in Berlin hatte der neue Parteivorstand den Versuch gemacht, sich als das Führungs­ 55 Kluth: Die KPD in der Bundesrepublik, S. 20.

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gremium der Arbeiterklasse in ganz Deutschland darzustellen. Um den gesamtdeutschen Führungsanspruch zu unterstreichen, wählte der Parteitag 42 Vertreter der KPD -West und acht Vertreter der SPD -West in den SED -Parteivorstand. Auf Druck der britischen und amerikanischen Militärregierung mussten jedoch die gewählten Westvertreter im Parteivorstand der SED ihre Mandate sogleich niederlegen.56 Der nächste politische Vorstoß galt nun einer Vereinigung der KPD mit der SED. Am 14. Februar 1947 wurde auf einer Tagung des Parteivorstandes der SED die Bildung einer »sozialistischen Arbeitsgemeinschaft«, bestehend aus Vertretern der westzonalen KPD und SPD sowie der SED beschlossen. Da die SPD schon im Jahr zuvor eine enge Zusammenarbeit mit der SED abgelehnt hatte, schlugen nun die Zonenleitungen der KPD der SED vor, eine derartige Arbeitsgemeinschaft nur mit der KPD -West zu bilden, was dann auch geschah. Die KPD, hieß es, werde in allen Fragen von nationaler Bedeutung von nun an mit der SED zusammenarbeiten. Der zentrale Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft war hochrangig besetzt, von Seiten der SED gehörten unter anderem Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht dazu. Das zentrale Büro befand sich im Gebäude der SED in Berlin. Die Leitungen der KPD in den drei Besatzungszonen richteten entsprechende Verbindungsbüros ein. Dem ersten Schritt zu einer Vereinigung von KPD und SED sollte eines Tages der zweite Schritt, die Vereinigung der SED und SPD in den Westzonen folgen.57 In rascher Folge wurden nun in allen Ländern der westlichen Besatzungszo­ nen Landesparteitage durchgeführt. Ein Punkt stand auf allen Tagesordnungen von Kiel bis München: die Verschmelzung der KPD mit der SED. Die Abstimmungsergebnisse signalisierten eine einhellige Zustimmung der KPD -Mitglieder. In mehreren Ländern bildeten sich sogar Gründungsausschüsse der SED, die allesamt aber von den Besatzungsmächten verboten wurden. Verboten wurde auch jede öffentliche Tätigkeit der sozialistischen Arbeitsgemeinschaft. Damit war deren eigentliches Ziel verwirkt, allen Widerständen zum Trotz nach innen wie nach außen für die Einheit der Arbeiterklasse zu werben. Entsprechend erlahmte bald das Interesse an ihr, zumal die eigentliche Anleitung und Führung der KPD seit Gründung der SED »durch das Zentralsekretariat des SED -Parteivorstandes« erfolgte, »dem kein westdeutscher Kommunist angehörte«58. Unter den Bedingungen des eskalierenden Kalten Krieges auf internationaler Ebene und des Kalten Bürgerkrieges auf nationaler Ebene war die Bildung einer gesamtdeutschen SED eine politische Illusion, die gegen den Willen der SPD und der Westmächte niemals durchgesetzt werden konnte. Wie war es möglich, wenigstens die KPD in die SED zu integrieren, ohne dass dies von außen be56 Ebd., S. 21. 57 Ebd., S. 23. 58 Mayer: Nur eine Wahlniederlage?, S. 30.

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merkt und von den westlichen Besatzungsmächten verboten würde? Ein Strategiewechsel war nötig, um das Unmögliche möglich zu machen. So beschloss im Frühjahr 1948 das Zentralsekretariat des SED -Parteivorstandes nach mehreren Sitzungen, die KPD nicht mehr mit der SED zu verschmelzen, sondern in die Selbständigkeit zu entlassen und einen eigenen Parteivorstand der KPD in den Westzonen zu bilden. Die KPD sollte mit anderen Worten im Einklang mit den Vorbereitungen zur Gründung eines Weststaates in Deutschland offiziell eine Westpartei werden. Am 14./15. April 1948 beschloss das Zentralsekretariat der SED »namentlich die Zusammensetzung eines 15- bzw. 16-köpfigen Parteivorstandes der KPD in den Westzonen«59. Nachdem die SED den neuen Kurs der KPD -West festgelegt hatte, wurden die KPD -Vertreter beauftragt, zügig, ohne jede Vorankündigung und Abstimmung innerhalb der Parteigremien, eine Delegiertenkonferenz nach Herne, dem Sitz der Zonenleitung der KPD in der britischen Besatzungszone, einzuberufen. Wichtigste Aufgabe dieser Konferenz sollte es sein, die von der SED bereits gefassten Beschlüsse zu bestätigen, den vorgesehenen Parteivorstand zu wählen und die KPD in Sozialistische Volkspartei Deutschlands umzubenennen. Die Umbenennung der KPD in SVD wurde damit begründet, dass der Name mit der seit 1945 entwickelten neuen Politik in Übereinstimmung gebracht werden müsse. Das bedeute, »dass unsere Partei heute den Kampf nicht nur für die Interessen der Arbeiterklasse, sondern auch für die des ganzen deutschen Volkes führt«. Nicht nur die Namensänderung, sondern auch die Ziele, für die die neue Partei kämpfen sollte, machten deutlich, dass die KPD ein integraler Bestandteil der SED geworden war und deren Politik im Westen zu propagieren hatte. Deshalb kämpfe die SVD, wie es in einer Entschließung der Herner Konferenz der KPD über die Änderung des Namens der Partei heißt, »für die Einheit der deutschen Arbeiterbewegung und für die Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte«; »für die unteilbare und unabhängige demokratische deutsche Republik«; »für eine demokratische Ordnung, in der nicht eine kleine Minderheit, sondern die große Mehrheit des Volkes ihren Willen auf allen Gebieten des Lebens verwirklicht«; »für eine neue Gesellschaftsordnung, in der der arbeitende Mensch frei und ohne Furcht vor Arbeitslosigkeit, Krieg und Unterdrückung leben kann«; »für den Sozialismus!«60 Die KPD sollte sich von einer lokal und regional verankerten Partei zu einer sozialistischen Partei entwickeln, die alle demokratischen Kräfte des Volkes erreicht und für den Aufbau einer demokratischen deutschen Republik gewinnt. Aus einer lokal und regional verankerten kommunistischen Milieupartei sollte eine nationale Partei werden, die sich für die nationalen Interessen des ganzen deutschen Volkes einsetzt, mithin »nationale Politik« betreibt. Dies war nicht 59 Ebd., S. 32. 60 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 1, S. 206.

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nur eine Kampfansage an die SPD, sondern auch ein Bekenntnis zur SED. Mit den Beschlüssen der Herner Delegiertenkonferenz wurde die KPD endgültig auf SED -Kurs gebracht. Zum ersten Mal wurde ein für die drei westlichen Besatzungszonen insgesamt zuständiger Parteivorstand der KPD/SVD gewählt. Erster Vorsitzender wurde Max Reimann. Die KPD konnte nun von oben und von unten kontrolliert werden. Mit dem neuen Parteivorstand der KPD bekam die SED einen direkten Ansprechpartner, der für die Umsetzung der SED -Politik in der Bundesrepublik verantwortlich war. Künftig hatte Reimann dem Politbüro der SED über alle Vorgänge im Westen zu berichten. Zudem wurde von unten ein Kontrollsystem aufgebaut, das die SED ebenfalls im Frühjahr 1948 beschlossen hatte. Künftig sollten sog. Instrukteure, die eigens von der SED in die Bundesrepublik geschickt wurden, die Umsetzung der SED -Beschlüsse unmittelbar vor Ort und damit auch den Parteivorstand der SVD überprüfen. »Die Sicherung der Führung der Partei in den westlichen Zonen durch das ZS [= Zentralsekretariat, J. F.] der SED, soll durch die Errichtung eines Instrukteurund Kuriersystems gewährleistet werden.«61 Was die Namensänderung anbetraf, hatte die SED wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die westlichen Besatzungsmächte reagierten prompt und untersagten der KPD jede Umbenennung ihres Namens, in welchen Varianten auch immer, ebenso die Verwendung des Kürzels »SVD«62. So blieb den traditionsbewussten Kommunisten im Westen Deutschlands wenigstens der alte Name ihrer Partei erhalten. Zum Weimarer Erbe der KPD gehörte auch der bereits erwähnte demokratische Zentralismus nach dem Vorbild der KPdSU. Lenin selbst hatte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ein streng zentralistisches und hierarchisch gegliedertes Organisationssystem verordnet. Zwar sollten die verschiedenen Funktionäre und Parteigremien formell gewählt werden, die Auswahl der Kandidaten nahm aber das für die Kaderpolitik zuständige Gremium, letztlich der Parteivorstand bzw. das Zentralkomitee der Partei vor. Die Kader der Partei wurden mit anderen Worten von oben nach unten ausgewählt, von unten nach oben durch formelle Wahlen bestätigt. Die Beschlüsse höherer Gremien waren für alle nachgeordneten Gremien verbindlich. So blieb in der Wirklichkeit vom demokratischen Zentralismus nur der Zentralismus übrig. Abweichende Positionen und innerparteiliche Gruppenbildungen waren streng untersagt. Eine strikte Parteidisziplin sorgte dafür, dass an der zentralistischen Form der »Demokratie« nicht gerüttelt wurde.63 Die Wirklichkeit sah, wie die Geschichte des 61 BArch: BY 1/563, Die Lage im Westen und die Rolle der KPD, 6.4.1948. 62 Müller: Die KPD und die »Einheit der Arbeiterklasse«, S. 385. 63 KPD 1945–1968. Dokumente, Statut der KPD, Der Parteiaufbau und die innerparteiliche Demokratie, Bd. 1, S. 386. Das Statut wurde unter großer Beteiligung der SED -Elite auf dem »Münchener Parteitag« (3.–5.3.1951) beschlossen, der allerdings nicht dort, sondern in Weimar durchgeführt wurde.

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Kommunismus zeigt, häufig anders aus. So mussten von Zeit zu Zeit tiefgreifende Änderungen und Parteisäuberungen durchgeführt werden, um die Partei im Sinne der jeweiligen Führung auf Kurs zu halten bzw. auf einen neuen Kurs zu bringen. Angesichts heftiger Spannungen, Konflikte und Turbulenzen in und zwischen den beiden Geschwisterparteien galt dies auch für die SED und KPD wenige Jahre nach ihrer Gründung bzw. Wiedergründung. So wurden beiden Parteien zwischen 1948 und 1951, zunächst der SED, dann auch der KPD eine ideologische, organisatorische und personelle Umwälzung großen Ausmaßes verordnet, die die KPD an den Rand des Ruins brachte: die forcierte Entwicklung der Weimarer Milieu- und Kaderpartei zu einer »Partei neuen Typus«. Was ist eine »Partei neuen Typus«? Die dogmatische Begründung lieferte der sowjetische Diktator Josef W. Stalin höchstpersönlich. Bereits 1925 hatte er auf seinem Weg zur unumschränkten Macht zwölf Grundbedingungen für die Entwicklung zur »Partei neuen Typs« formuliert. Darin heißt es: Es sei notwendig, dass sich die Partei »als die höchste Form der Klassenvereinigung des Proletariats« verstehe, die berufen sei, alle übrigen proletarischen Orga­ nisationen, von den Gewerkschaften bis zu den Parlamentsfraktionen, zu führen. Grundlage für die Führung der Partei sei die mit der revolutionären Praxis untrennbar verbundene revolutionäre Theorie des Marxismus. Notwendig sei, dass die Partei die konkreten Bedingungen der revolutionären Bewegung in einem Land, aber auch weltweit analysiere und die Richtigkeit ihrer Direktiven »im Feuer des revolutionären Kampfes der Massen überprüft«. Dort, wo die sozialdemokratischen Traditionen noch nicht überwunden seien, müsse die Partei »auf neue revolutionäre Art umgebaut« werden. Wichtig sei, dass die Partei es verstehe, Größe, Prinzipien und Festigkeit mit einem Maximum an Verbundenheit und Kontakt mit den Massen zu verbinden. Die Partei müsse »eine unversöhnliche revolutionäre Einstellung« mit einem Maximum »an Elastizität und Manövrierfähigkeit« verbinden. Notwendig sei, in die Partei, »die besten Elemente der fortschrittlichen Kämpfer aufzunehmen«. Wichtig sei, »dass die Partei die soziale Zusammensetzung ihrer Organisationen systematisch verbessert und sich von zersetzenden opportunistischen Elementen reinigt«. Die Partei müsse »eiserne Disziplin« fordern, die sich durch logische Einheit, Klarheit der Ziele und bewusstes Verhalten bei der Erledigung der Aufgaben entwickeln müsse. Notwendig sei, wie Stalin abschließend betonte, »dass die Partei die Durchführung ihrer eigenen Beschlüsse und Direktiven systematisch überprüft«, andernfalls könnten sie sich »in leere Phrasen verwandeln, die nur geeignet wären, das Vertrauen der breiten proletarischen Massen der Partei zu untergraben«64. Mit solcherart theoretischem Rüstzeug machte sich die SED an die Arbeit, um die Partei mit stalinistischen Methoden zu einer marxistisch-leninistischen 64 Stalin: Zwölf Grundbedingungen für die Entwicklung zur Partei neuen Typus.

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Partei neuen Typus umzubauen. Dies war nach Ansicht führender Parteistrategen die entscheidende Voraussetzung dafür, um in einer »demokratischen deutschen Republik« den Sozialismus überhaupt aufbauen zu können. Die Zeit drängte. So forderte Walter Ulbricht bereits im Schlusswort seiner Rede auf dem 2. Parteitag im September 1947 dazu auf, die SED zu einer Partei neuen Typus zu entwickeln.65 Seitdem gehörte diese Forderung zum Standardrepertoire der SED -Führung. Ein solcher Umbau bedeutete in erster Linie die konsequente Ausrichtung der Politik der SED auf das große Vorbild von Partei und Staat der Sowjetunion. Wie von Stalin gefordert musste die führende Rolle der SED in allen Bereichen von Partei, Staat und Gesellschaft gesichert werden. Auf dem 3. Parteitag der SED im Juli 1950 konnte eine Art Zwischenbilanz ­gezogen und die bereits vollzogenen politischen, ideologischen, organisatorischen und personellen Veränderungen sanktioniert werden. Die eigentliche Führung der Partei lag nach sowjetischem Vorbild künftig beim Politbüro und dem neu eingerichteten Sekretariat des Zentralkomitees. Ein neues Parteistatut wurde verabschiedet, in dem sich die SED als die »höchste Form der Klassenorganisation der Arbeiterklasse« darstellte, »die den fortschrittlichen Teil der Werktätigen in ihren Reihen vereinigt und sich von der Theorie von Marx, ­Engels, Lenin und Stalin leiten lässt«. Abweichungen vom MarxismusLeninismus, dem Statut der Partei, die Verletzung der Parteidisziplin und die Beteiligung an fraktionellen Gruppierungen wurden als unvereinbar mit der Geschlossenheit der Partei definiert. Mit diesen Festlegungen waren »die statutarischen Grundlagen für eine umfassende Kontrolle und Gleichschaltung der Mitgliedschaft der SED geschaffen, nachdem die zentralen und regionalen Führungsgremien bereits einer weitreichenden Parteisäuberung unterworfen worden waren«66. Die Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typs fand ihren deutlichsten Ausdruck in den Parteisäuberungen im Sommer 1948. In vorderster Front mit der Kominform startete Walter Ulbricht eine heftige Attacke gegen den »Titoismus« und die Titoisten in den eigenen Reihen, obwohl die meisten gar nicht wussten, was damit gemeint war. Josip Broz Tito, Partisan im Zweiten Weltkrieg und danach, hatte mit der kommunistischen Bewegung das neue kommunistische Jugoslawien geschaffen und war dessen erster Staatschef geworden. Er wagte es, einen eigenständigen Kurs gegenüber Moskau zu vertreten, und war darüber in Ungnade gefallen. Näher als der Titoismus lag den deutschen Kommunisten der »Sozialdemokratismus«, der ebenfalls für »Abweichlertum«, Revisionismus und Verstoß gegen die Parteidisziplin galt. Ein guter Anlass, um genau dieses innerhalb der SED zu bekämpfen. Was mit verbalen Attacken begann, endete 1951 mit der Überprüfung der Parteibücher sämtlicher ­Mitglieder. 65 Herbst/Stefan/Winkler: Die SED, Zeittafel zur Geschichte der SED, S. 1133. 66 Malycha: Von der Gründung 1945/46 bis zum Mauerbau 1961, S. 32.

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Mit der Vereinigung von SPD und KPD im April 1946 seien, so U ­ lbricht auf einer Vorstandstagung der SED, Mitglieder in die Partei gekommen, die der gegnerischen Ideologie anhingen. Daher sei es dringend erforderlich, die »Schumacher-Leute« rücksichtslos aus der Partei zu entfernen.67 Am 29.  Juli 1948 beschloss der Parteivorstand der SED, folgende Personen und Gruppen einem beschleunigten Ausschlussverfahren zu unterziehen: »Mitglieder, die eine parteifeindliche Einstellung vertreten; Mitglieder, die eine sowjetfeindliche Haltung bekunden; Mitglieder, die an Korruptionsaffären, Schiebereien, kriminellen Verbrechen direkt oder indirekt beteiligt sind; Mitglieder, die über ihre politische Vergangenheit in der Nazizeit wahrheitswidrige Angaben gemacht haben; Mitglieder, bei denen begründeter Verdacht besteht, dass sie im Interesse parteifeindlicher Kräfte (Agenten des Ostsekretariats der SPD) oder als Spione und Saboteure fremder Dienste in der Partei wirken.«68 Die Liste wurde in den folgenden Monaten und Jahren noch erweitert. Die Mitglieder der Partei wurden zu großer Achtsamkeit und zu einem »systematischen Kampf« gegen die versteckten Feinde aufgerufen. Hierzu zählten neben ehemaligen SPD -Mitgliedern auch ehemalige Mitglieder der KPD, die insbesondere vor 1933 politisch aktiv waren. Sie alle sollten durch junge, teilweise erst nach 1946 der SED beigetretene Mitglieder ersetzt werden. Wiederholte Kampagnen gegen »Titoisten«, »Trotzkisten«, »Sektierer«, »Spione« und »Agenten des Imperialismus« gaben dem zwischenzeitlich erlahmenden Kampf gegen die inneren Feinde neuen Aufschwung. Mit der angeordneten Überprüfung der Parteibücher Anfang 1951 hatten die Parteisäuberungen alle Mitglieder der SED erreicht. Im Ergebnis wurden über 320 000 Mitglieder und Kandidaten aus der Partei ausgeschlossen.69 Nicht weniger dramatisch als die in der Literatur auch als »Stalinisierung« der SED bezeichnete Entwicklung verlief die gleichzeitige Entwicklung der KPD im Westen Deutschlands. Analog zur Entwicklung in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) und der DDR war es auch hier die SED, die der KPD die Entwicklung zu einer Partei neuen Typus verordnete. Der Beschluss der SED vom 29. Juli 1948, die Partei »von feindlichen und entarteten Elementen« zu säubern, wurde auch auf die KPD übertragen. Auch hier begannen die ersten Parteisäuberungen mit der Jagd auf »Titoisten« und heftigen Angriffen auf die Sozialdemokraten. Unmittelbar nach der Herner Konferenz, mit der angeblich die Selbständigkeit der KPD begann, verstärkte sich der Druck der SED auf die Schwesterpartei. Willfährig tat der neue Parteivorstand der KPD unter Max Reimann das, was die SED von ihm forderte. Bereits im August 1948 wurden vom neuen KPD Vorstand organisatorische Umstellungen im Parteiaufbau beschlossen, der eine 67 Ebd., S. 33. 68 Ebd., S. 34. 69 Ebd., S. 36.

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»allgemeine Mitgliederkontrolle« folgte. Obwohl die KPD so gut wie nichts mit Tito oder den »Titoisten« zu tun hatte und auch keinen eigenen deutschen Weg zum Sozialismus wie in Teilen der SED forderte, rief der Parteivorstand die Genossen zu erhöhter Wachsamkeit »gegen das Eindringen parteifeindlicher Elemente und Provokateure«70 auf. Auch die Polemik gegen die SPD und die Gewerkschaften wurde verstärkt. Ein Klima des Misstrauens und des Dogmatismus breitete sich in der KPD aus, »in dem jede tatsächliche oder konstruierte Abweichung von der gültigen Linie und Politik als parteifeindlich oder parteischädigend, als titoistisch, trotzkistisch, oder brandleristisch71, als antikommunistisch und antisowjetisch, als sektiererisch oder opportunistisch deklariert werden konnte. Den Boden bildete dafür die bei den Mitgliedern und Funktionären vorhandene Treue zur Partei, insbesondere ihre freiwillige Unterordnung unter die Parteilinie und die Parteileitungen.«72 Weitere »revolutionäre« Veränderungen innerhalb der Partei folgten Schlag auf Schlag. Alte Führungskader wurden durch jüngere Funktionäre und Heimkehrer aus der Sowjetunion und dort geschulte Kräfte ersetzt. Führungsgremien in den Ländern und Kreisen wurden teilweise komplett ausgetauscht. Speziell für den Einsatz im Westen geschulte »Instrukteure« des Parteivorstands der SED bekamen die Vollmacht, durch unmittelbares Eingreifen an den oberen Führungsgremien vorbei die Durchführung der Parteibeschlüsse zu kontrollieren und zu sichern.73 Im Mai 1949 wurde der organisatorische Umbau der KPD vorerst abgeschlossen, offenbar auch mit Rücksicht auf den ersten Bundestagswahlkampf. In einem Bericht über die organisatorischen Veränderungen wurde festgestellt: »Der organisatorische Aufbau der KPD ist in allen Ländern mehr oder weniger dem Aufbau der SED angeglichen. Im Prinzip richten sich die Landesvorstände im Aufbau ihrer Abteilungen auch hier nach dem Aufbau der Abteilungen der SED.«74 Auch die Mitgliederkontrolle wurde beendet und wies im Ergebnis einen Schwund von 65 000 Mitgliedern gegenüber dem Vorjahr aus. Betrachtet man dagegen einen Zeitraum von zwei Jahren, so hatte die KPD im Frühjahr 1949 gegenüber dem Frühjahr 1947 sogar 112 558 Mitglieder verloren.75 Dies war allerdings erst der Auftakt zu weitaus tieferen Einschnitten in die Mitgliederstruktur der KPD. Erklärtes Ziel war es, vor allem die Altkommunisten Weimarer Prägung aus der Partei zu drängen und vor allem aus führenden 70 Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern, S. 12. 71 Heinrich Brandler, geboren 1881, war ein kritischer Altkommunist, wurde in der Weimarer Zeit mehrfach verhaftet und aus der Partei ausgeschlossen. https://www.bundesstiftungaufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363 %3B-1424.html?ID =4120. 72 Ebd., S. 6. 73 Mayer: Nur eine Wahlniederlage?, S. 44. 74 Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern, S. 14 75 Grafik 1, S. 30.

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Positionen zu entfernen. Während die Neu-Mitglieder der KPD, die nach 1945 in die Partei eingetreten waren, bereits Zweidrittel der Mitgliedschaft ausmachten, war das Verhältnis innerhalb der Führungskader geradezu umgekehrt. Etwa 80 Prozent der leitenden Kader stammten aus den kommunistischen Milieus der Weimarer Zeit. Sie repräsentierten ein völlig anderes Selbstverständnis als die Funktionäre neuen Typus. Sie sahen sich in erster Linie als »Arbeiterführer«, die ihr Selbstwertgefühl nicht aus ihrer Stellung in der Partei bezogen, sondern aus einer engagierten und erfolgreichen Vertretung und Durchsetzung unmittelbarer Interessen der Arbeiterschaft vor Ort. »Im Gegensatz zur Sachlichkeit und Askese des Kaders bestimmten eher Eigenschaften wie Mut, Stolz, Unerschrockenheit, Erfahrung und Tatkraft, aber auch Trinkfestigkeit und Geselligkeit den Arbeiterführer.«76 Gerade der von seinem Habitus her unabhängige, überzeugungsstarke und energische Arbeiterführer, der nicht nur bei Altkommunisten, sondern auch bei jüngeren Industriearbeitern und Gewerkschaftsmitgliedern beliebt war, stand einem ungehinderten Durchgreifen der Partei von oben nach unten entgegen. Aus Sicht der SED war der Austausch der altkommunistischen Funktionäre unbedingte Voraussetzung für die Durchsetzung der neuen Politik der SED. Junge parteigeschulte Funktionäre sollten die altgedienten Kommunisten so schnell wie möglich ersetzen. Professionalität und Parteidisziplin, ortsunabhängige Einsätze und häufige Wechsel der jungen Kader sollten die Bildung neuer lokaler Machtzentren verhindern. In einem Überblick zur Kaderstruktur der KPD aus dem Jahre 1954 ist nachzulesen, dass manche Kreissekretäre bis zu siebenmal innerhalb eines Jahres ihre Positionen ändern mussten. Viele von ihnen verfügten über einen graduierten Abschluss der SED -Parteischulen. Das Durchschnittsalter der lokalen Parteiführer lag in jenem Jahr gerade einmal bei 24 Jahren.77 Für die verschiedenen Kaderfunktionen sollten künftig nur Mitglieder gewählt werden, die »politisch klar und der Partei treu ergeben« waren und bewiesen hatten, »dass sie ohne jede Schwankung zur Politik der Sowjetunion, der Volksdemokratien und der Deutschen Demokratischen Republik stehen« und »sich für die Reinhaltung der Partei konsequent einsetzen«78. Die erste Wahl zum Deutschen Bundestag am 14. August 1949 war ein tiefer Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte der KPD. Statt eines erwarteten zweistelligen Ergebnisses, konnte die KPD nur 5,7 Prozent der Wählerstimmen erreichen. Vorausgegangen war ein polarisierender Wahlkampf, vor allem zwischen der SPD und der CDU, die beide stärkste Partei werden wollten. In einem Punkt bestand Einigkeit. Keine der beiden Parteien wollte sich in ihrer antikommunistischen Einstellung von der anderen Partei übertreffen lassen. So 76 Kössler: Vom Soldaten zum Manager, S. 187. 77 Major: Death of the KPD, S. 221. 78 Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern, S. 22.

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plakatierte die SPD »Wer sperrt die Grenzen? Die Kommunisten! Der Weg der SPD führt zu Einheit und Freiheit.« Um die letzten notwendigen Stimmen noch von der KPD zu bekommen, setzten die Sozialdemokraten gegen Ende des Wahlkampfs noch einmal nach und plakatierten: »Wer KP wählt, wählt KZ!«79 Der Spitzenkandidat der CDU Konrad Adenauer konnte es nicht lassen und rückte die Sozialdemokraten immer wieder in die Nähe des Kommunismus. Die Vereinigung von SPD und KPD zur SED in der Ostzone sei der Beweis. Mit rassistischen Plakatmotiven aus der Zeit der NS -Diktatur schürte die CDU Angst vor den Mongolen-Gesichtern aus dem fernen Osten und empfahl sich selbst als einziges Bollwerk gegen den Kommunismus. Auch die Besatzungsmächte leisteten ihren Beitrag. Als Max Reimann deutsche Politiker als »Quislinge« der Besatzungsmächte bezeichnet hatte, musste er dafür drei Monate ins Gefängnis. Immer wieder wurden kommunistische Zeitungen am Erscheinen gehindert und Wahlkampfbroschüren beschlagnahmt.80 Selbst der Vatikan positionierte sich im Kampf gegen den Kommunismus. Mitten im ersten bundesdeutschen Wahlkampf am 30. Juni 1949 veröffentlichte das Heilige Offizium auf Weisung von Papst Pius XII. folgendes Dekret: »Kein Katholik darf Bücher, Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlichen, lesen oder verbreiten, in denen die kommunistische Doktrin verkündet wird. Jeder Katholik, der die materia­ listische und antichristliche Lehre des Kommunismus verkündigt, sie verteidigt oder gar verbreitet, verfällt als Abtrünniger des katholischen Glaubens der Exkommunikation.«81 Die KPD war in einer äußerst schwierigen Lage. Das, was die SED von ihr erwartete und selbst in die Leitlinien für den Wahlkampf der KPD in der ­Bundesrepublik hineingeschrieben hatte82, so die Verherrlichung der Verhältnisse in der SBZ und die Unterstützung der sowjetischen Deutschlandpolitik, war die eigentliche Ursache für das Wahl-Desaster. Die für die KPD zuständige Westkommission im Politbüro der SED sah dies keineswegs so, sondern machte die »ideologische Unklarheit«, die organisatorische Schwäche und die mangelnde Unterstützung der nationalen Politik der SED und der Sowjetunion dafür verantwortlich. In einer Rede vor dem Politbüro ging der stellvertretende Leiter der Westkommission, Karl Schirdewan, mit der KPD hart ins Gericht: »Wir müssen der Partei klarmachen, dass jedes Zurückweichen in der Frage der Sowjetunion, in der Frage der Oder-Neiße-Grenze, in der Hetze und Verleumdung über die Ostzone, in Wirklichkeit den Hetzern und Verleumdern zugutekommt und niemals als eine taktische Klugheit anerkannt werden kann, um 79 AdsD: KA009226, Plakatstreifen der SPD im Bundestagswahlkampf 1949. 80 Benz: Auftrag Demokratie, S. 440 f. 81 Der Spiegel, 30 (1949), 21.7.1949. 82 BArch: DY 30/J IV 2/3/33, Protokoll des Sekretariats des ZK der SED, TOP 1: Unterstützung des Wahlkampfes der KPD zum westdeutschen Bundestag, 17.6.1949.

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einen größeren Einfluss zu gewinnen, sozusagen hintenrum, das ist noch gang und gäbe in der Partei.«83 Hatte sich die SED bei der Umgestaltung der KPD zu einer Kaderpartei neuen Typs vor der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag noch eher zurückgehalten, so drängte sie nach der verlorenen Wahl mit großer Entschlossenheit auf eine Beschleunigung des Anpassungsprozesses der KPD an die SED. Bis Ende 1949 erfolgten erste gravierende Eingriffe in ihre Organisation. Der zentrale Parteivorstand wurde faktisch entmachtet. Bis Anfang 1951 waren »fast das gesamte Sekretariat des KPD -Parteivorstands ausgewechselt, zehn von zwölf Landesvorsitzenden und viele Mitglieder der Landessekretariate abgelöst worden«84. Von den ehemals 100 Mitgliedern des KPD -Landesvorstands in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1947 waren 1956 nur noch drei Führungskader übriggeblieben.85 Bekannte Funktionäre wurden nicht nur ihrer Ämter enthoben, sondern auch in die DDR gerufen und teilweise verhaftet.86 Die Landesleitungen erhielten jetzt ihre Anweisungen direkt von der SED. Eine Parteikontrollkommission (Überwachung von Parteifeinden, Einhaltung von Parteibeschlüssen, Entgegennahme von Beschwerden, Urteile des Parteigerichts) sollte die ideolo­ gische Festigkeit und politische Schlagkraft erhöhen.87 Für die Kader der KPD war künftig die Kaderabteilung der Westkommission des Politbüros der SED zuständig. Die Instrukteure der SED im Westen bekamen die Vollmacht, »durch unmittelbares Eingreifen die Durchführung der Parteibeschlüsse zu sichern«88. Obwohl die KPD seit 1948 formell eine eigenständige Partei mit einem eigenen Vorstand war, sah sie nach der gescheiterten Bundestagswahl keine andere Möglichkeit mehr, als sich dem Führungsanspruch der SED bedingungslos zu unterwerfen, zumal sie auch wirtschaftlich in immer größere Abhängigkeit von der SED geriet. So musste Max Reimann regelmäßig zum Rapport nach OstBerlin reisen. Reumütig übte der Partei-Vorstand Selbstkritik. Schon auf einer ersten, von der SED geforderten außerordentlichen Vorstandssitzung Mitte Sep­ tember 1949 nahm Reimann die ganze Schuld an dem Wahldebakel auf sich. Unterwürfig erklärte er, »dass sich die Partei von dem Mutterboden einer mar­ xistisch-leninistischen Partei entfernt«89 habe. In einer Resolution, die der KPD -Vorstand auf einer weiteren Tagung Ende 1949 verabschiedete, heißt es: die Sorglosigkeit der Partei in ideologischen Fragen habe dazu geführt, »dass feindliche Elemente innerhalb der Partei ihre aktive Zersetzungsarbeit durch83 BArch: DY 30/J IV 2/3/40, Protokoll des Sekretariats des ZK der SED, Rede Karl Schirdewan, 20.8.1949. 84 Mayer: Nachdenken über die KPD, S. 136. 85 Major: Death of the KPD, S. 223. 86 Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern, S. 49. 87 LAV NRW R: NW 490-5, Bericht an den Innenminister NRW vom 23.1951. 88 Mayer: Nur eine Wahlniederlage, S. 44. 89 Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern, S. 18.

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führen konnten. Es ist ihnen gelungen, in eine Anzahl von Parteileitungen, sogar in Landesleitungen, einzudringen und die Partei an der erfolgreichen Lösung ihrer Aufgaben zu hindern.« Für die fehlende Wachsamkeit seien alle Organe der Partei, einschließlich des Parteivorstandes verantwortlich. Deshalb verpflichtete der Parteivorstand alle Mitglieder und Einheiten der Partei, »die Partei von der feindlichen Ideologie und deren Trägern zu reinigen« und »von allen Elementen zu säubern, die die Einheit des Willens und die eiserne Disziplin in der Partei bedrohen«90. Die personellen Säuberungen hielten bis in das Jahr 1952 an und teilweise darüber hinaus. Auf dem sog. »Münchener Parteitag«, der vom 2. bis 4. März 1951 in Weimar durchgeführt wurde, und an dem ein großer Teil der SED -Elite teilnahm, wurde der Umbau der KPD durch die Annahme eines neuen Parteistatuts formell besiegelt. Die KPD war ein integraler Teil der SED geworden. Die SED bestimmte die ideologischen Leitlinien, die politischen Schwerpunkte, die Auswahl der Funktionskader und Instrukteure, den organisatorischen Aufbau und die Finanzen der Partei. Die Aufgabe des zum Befehlsempfänger degradierten Parteivorstands war vor allem, dafür zu sorgen, dass niemand die Partei­ disziplin verletzte. Das neue Statut der KPD formulierte das so: »Die Partei ist eine einheitliche Kampforganisation. In ihr herrscht eine für alle Parteimitglieder in gleicher Weise verbindliche Disziplin. Kritik und Selbstkritik sind ein Entwicklungsgesetz der Partei, die Stärke der Partei liegt in der Geschlossenheit ihrer Reihen, in der Einheit des Willens und des Handelns. Unvereinbar damit sind Abweichungen von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus und dem Statut der Partei, ebenso wie die Verletzung der Parteidisziplin, die Beteiligung an fraktionellen Gruppierungen und Doppelzüngelei. Die Partei entfernt aus ihren Reihen diejenigen, die das Statut, die Beschlüsse sowie die Disziplin der Partei verletzen.«91 Der von der SED forcierte Umbau der KPD zu einer »Partei neuen Typs« wirkte sich innerhalb der Partei verheerend aus. Angst und Unsicherheit, Ärger und Wut, Frustration und Verzweiflung machten sich breit. Die Partei war faktisch nicht mehr arbeitsfähig. »Es sei einwandfrei festgestellt«, berichtete ein V-Mann des Verfassungsschutzes aus einer Sitzung des Parteivorstands in Frankfurt, »dass nur etwa fünfzehn Prozent der Parteimitgliedschaft aktiv tätig ist«92. In einem anderen Bericht heißt es, dass fast nur noch hauptamtliche Funktionäre für die Partei arbeiten würden. Ein Grund sei die Frustration über ständig neue Anweisungen, neue Aktionen und Kampagnen. Regelrecht aufge­bracht war ein Vorstandsmitglied über das System der Instrukteure und der sich selbst außer 90 Ebd., S. 20 f. 91 Die KPD 1945–1968. Dokumente: Statut der KPD, S. 381 f. 92 LAV NRW R: NW 490-1, Reaktion des PV Frankfurt auf das Wahlergebnis in NordrheinWestfalen, 30.6.1950.

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Kraft setzenden Anweisungen von oben. Wenn man gerade etwas angefangen habe, komme »von drüben« bereits »etwas ganz Anderes, das viel wichtiger ist. Sobald man dies aber verwirklichen will, stößt ein neuer Befehl alles wieder um. Man berücksichtigt drüben gar nicht den katastrophalen organisatorischen Zustand unserer Partei«, ergänzte Robert Weiland, Mitglied des Parteivorstandes. »Ich habe da einen guten Überblick, da ich vom PV meistens dorthin geschickt werde, wo es brennt, und ich kann euch sagen, es ist trostlos.«93 »Es ist eine echte Existenzkrise«, schrieb in einer weitsichtigen Analyse der SPD -Pressedienst Ende März 1949, »die nach allen Anzeichen den Abstieg dieser Partei zur Splitterpartei bedeuten wird, was zum Teil bereits in den jüngsten Wahlresultaten zum Ausdruck kam«. Kennzeichnend für diese Entwicklungen seien »Zersetzungserscheinungen im Funktionärskörper der Partei«. Dies komme darin zum Ausdruck, dass führende Leute auf Versammlungen immer wieder feststellten, »dass die Parteigliederungen zu einer wirksamen Durchführung von befohlenen Aktionen nicht mehr fähig sind«. Die älteren Parteimitglieder waren nur noch von einer Idee geleitet: »Opposition gegen die offizielle Parteilinie«94. Das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen brachte es in einer antikommunistischen Propaganda-Broschüre vom Herbst 1951 auf den Punkt: Die Kommunistische Partei, die eigentlich die Rolle der 5. Kolonne Moskaus wahrnehmen solle, halte offensichtlich »das aus Ost-Berlin diktierte Umsturztempo nicht durch. Sie ist als Partei zu unbedeutend, als Fraktion zu schwach, als Idee zu unaufrichtig, als Erscheinung zu unbeliebt und außerdem – ist sie zurzeit in schlechter Form«95. An der direkten Führung der KPD durch die SED hat sich auch in der Phase der Illegalität nach dem KPD -Verbot bis zur Auflösung der Partei 1971 nichts geändert, obwohl die Partei seit 1960 für die SED deutlich an Bedeutung verlor. Dennoch wurde sie in den Sechzigerjahren noch mit 10 bis 12 Millionen DM jährlich von der SED finanziert, wie Briefe Walter Ulbrichts an die Zentrale der KPdSU in Moskau belegen.96 In den Fünfzigerjahren stand die KPD in der Regel mindestens einmal pro Monat auf der Tagesordnung des Sekretariats und des Politbüros des ZK der SED. Hier wurden Anträge beschlossen, die die KPD im Bundestag zu stellen hatte, hier wurden die Erklärung der KPD zu den Verhandlungen Adenauers über den Generalvertrag zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten sowie das nationale Programm der KPD verabschiedet, das aufgrund seiner radikalen Formulierungen wesentlich zur Rechtfertigung und Begründung des KPD -Verbots beitragen sollte. Hier wurden Strategie und Taktik für den KPD -Prozess festgelegt und später die Neugründung der DKP 93 LAV NRW R: NW 490-3, Stimmungsbild eines Mitgliedes des PV, 16.11.1950. 94 AdsD: SPD PV, Sekretariat Fritz Heine, 505, SPD -Pressedienst, Hannover 30.3.1949. 95 Augen auf! Kommunismus durch die Hintertür, S. 24 f. 96 BArch: DY 30/3538, Schreiben Walter Ulbricht an die KPdSU 1963–1966.

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und das Ende der KPD beschlossen. Hier wurde aber auch die gesamte Kaderpolitik für die KPD festgelegt. Selbst Gehälter, Kur- und Urlaubsanträge des KPD -Vorstands wurden im SED -Politbüro beraten und entschieden.97 Mit der KPD verfügte die SED über ein Instrument, mit dem sie in der Bundesrepublik unmittelbar politisch wirken konnte. Aufgabe der KPD war es, die jeweiligen deutschlandpolitischen Positionen der SED zu vertreten und die westdeutsche Bevölkerung gegen das »Adenauer-Regime« und die »Schein-Opposition« eines Kurt Schumacher zu mobilisieren. So sollte beispielsweise 1950 die Politik der Nationalen Front zur Generallinie der KPD entwickelt und in allen Parlamenten, Ausschüssen und Massenorganisationen Westdeutschlands vertreten werden. »Gegenüber dem demagogischen Gerede der bürgerlichen Parteien und der SPD von der ›Einheit‹ Deutschlands muss in der Stellungnahme der Kommunisten immer klar die Frage des Kampfes um ein einheitliches, ­demokratisches und friedliches Deutschland, wie es im Potsdamer Abkommen vom Jahre 1945 festgelegt und dem deutschen Volke zugesagt wurde, hervorgehoben werden.« Das vorgegebene Ziel war klar definiert: »die Schaffung der einheitlichen Deutschen Demokratischen Republik über ganz Deutschland«98.

97 BArch: DY 30/IV 2/2/77, Protokoll des Politbüros vom 21.3.1950, TOP 13: »Antrag des PV der KPD auf Kuraufenthalt für die Genossen Fritz Sperling und Heinz Renner in der Sowjetunion.« 98 BArch: DY 30/IV 2/2/77, Protokoll des Politbüros vom 21.3.1950, TOP 16, Anlage 1. Bei der Anlage handelt es sich um ein ausführliches Papier mit Vorschlägen der Westkommission an das Politbüro der SED »auf Grund einer Aussprache mit dem Genossen Max Reimann«.

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Die Radikalisierung Nationale Politik, Nationale Front und Nationales Programm

Die Freude über einen vergleichsweise guten Start der KPD nach dem Ende der NS -Diktatur währte nicht lange. Die Auflösung der Antifa-Ausschüsse, das Scheitern der Einheitsfront am Unwillen der SPD, die Behinderungen der politischen Arbeit durch die Besatzungsbehörden, die zunehmenden Versammlungsauflösungen und Demonstrationsverbote, die regelmäßigen Durchsuchungen und Beschlagnahmen bis hin zur Beschlagnahme der neu erbauten und neu eingerichteten Parteizentrale in Düsseldorf durch die britische Besatzungsmacht, das immer feindseliger gesonnene politische und gesellschaftliche Umfeld kündigten schwierige Zeiten an. Hinzukamen die wachsenden innerparteilichen Konflikte zwischen den Generationen und Milieus, den alten Kadern und neuen Zugängen, die Unklarheit über den politischen Kurs der Partei, der Umbau der Partei zu einer »Partei neuen Typus«, die nicht enden wollenden »Parteisäuberungen« mit all ihren politischen, organisatorischen, personellen und persönlichen Konsequenzen. Die angebliche Umwandlung in eine eigenständige »Westpartei«, die tatsächliche Unterwerfung unter die vollständige Steuerung und Kontrolle durch die SED u. a. m. veranlassten immer mehr Mitglieder, die Partei zu verlassen. Der Gipfel der Zumutung, an der die KPD spätestens im Bundestagswahlkampf 1953 zerbrach, war die von Moskau geforderte, von der SED zu eigenem Machterhalt radikalisierte und von der KPD zur »Entlarvung« des »Adenauer-Regimes« umzusetzende »nationale Politik«. Kern dieser Politik war das strategische Interesse der Sowjetunion an einem vereinten Deutschland in den Grenzen von 1945, also ohne die bereits einvernehmlich mit den westlichen Siegermächten an Polen und die Sowjetunion abgetretenen ehemaligen deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße.1 Wenn von einem wieder vereinten Deutschland die Rede war, dann war damit stets das Deutschland in den Grenzen von 1945, die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR gemeint, nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington, London und Paris. Im Unterschied zu den Westmächten hatte die Sowjetunion ein großes Interesse an der Bewahrung der Einheit Deutschlands. Im Vernichtungskrieg der Deutschen gegen das »bolschewistische Russland«, war die­ Sowjetunion verwüstet und die Infrastruktur zerstört worden. Allein 27 Millio­ 1 Foschepoth: Potsdam und danach, S. 70–90.

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nen Tote waren zu beklagen, 18,5 Millionen Zivilisten und 8,5 Millionen Soldaten.2 Die vorrangigen Ziele der sowjetischen Deutschland- und Besatzungspolitik waren daher: 1. die Anerkennung der Schuld an Krieg und Verbrechen durch die Deutschen; 2. die Leistung von Wiedergutmachungen und Reparationen; 3.  die strukturellen Veränderungen und Sicherheiten vor einem wieder erstarkenden Deutschland. Diese Ziele waren im »Potsdamer Protokoll« der Siegermächte, aber auch im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 formuliert worden.3 »Die Sowjetunion feiert den Sieg«, so Stalin in einer Rundfunkbotschaft anlässlich der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, »wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten«4. Über ein Gespräch des Diktators am 4.  Juni 1945 mit Spitzenfunktionären der KPD notierte Wilhelm Pieck in sein Notizbuch: »Einheit Deutschlands sichern.«5 Gegenüber Walter Ulbricht wies Stalin darauf hin, dass es das erste Ziel der zu gründenden Einheitspartei sei, die »Einheit Deutschlands«6 zu sichern. Selbst zu Beginn des Jahres 1947, als sich die Teilung Deutschlands, Europas und der Welt verfestigte, wurde die SED von Stalin angewiesen, als »aktivster Beschützer der nationalen Einheit des deutschen Volkes«7 aufzutreten. Auch in den folgenden Jahren forderte Stalin die SED immer wieder auf, alles zu tun, um die Einheit Deutschlands wieder herzustellen. Die DDR sollte kein sozialistischer Separatstaat werden, sondern der »Grundstein« für ein »einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland«8 sein. Natürlich hatte die auf die Bewahrung der Einheit Deutschlands zielende Politik der Sowjetunion machtpolitische Motive. So sollten Präsenz und Einfluss der USA in Deutschland und Europa so weit wie möglich zurückgedrängt, Deutschland selbst entmilitarisiert und neutralisiert werden. Es sollte weder zerstückelt, noch geteilt werden, sondern zum Wiederaufbau der Sowjetunion beitragen, zunächst über die Abtretung deutscher und polnischer Territorien, über den Einsatz deutscher Kriegsgefangenen, über Reparationen, später über den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen. Deutschland sollte in Frieden mit sei­nen Nachbarn leben und nicht noch einmal die Sicherheit der Sowjetunion gefährden. Die Auffassung, wonach die Sowjetunion und insbesondere Stalin nach einem genauen Plan das Sowjetsystem zunächst auf die sowjetisch besetzte Zone (SBZ), danach auf ganz Deutschland übertragen wollte, ist aufgrund neuer, quellen­ 2 3 4 5 6 7 8

Jahn/Rürup: Erobern und Vernichten, S. 47.

KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 1, S. 135–143.

Synopse zur Deutschlandpolitik, S. 8. Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 21. Ebd., S. 53. Wettig: Treue Dienste für den Kreml, S. 406. Ebd., S. 410, Grußtelegramm Stalins zur Gründung der DDR am 7.10.1949.

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gestützter Forschungen nicht mehr zu halten. Seit den 1990er Jahren haben Dietrich Staritz, Michael Lemke, Wilfried Loth u. a. überzeugend nachgewiesen, dass in der sowjetischen Außen- und Deutschlandpolitik die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands im ersten Nachkriegsjahrzehnt (1945–1955) hohe Priorität gehabt hat.9 Selbst Gerhard Wettig, heftiger Kritiker der These von Loth, wonach die DDR »Stalins ungeliebtes Kind« gewesen sei, leugnet dieses nicht, sondern unterstreicht immer wieder die Bedeutung der nationalen Frage, der er allerdings weniger strategische als propagandistische Bedeutung für die Politik Moskaus beimisst.10 Als wichtige Voraussetzung dafür, dass diese Strategie zum Ziel führen könne, galt es zum einen, die Einheit der Arbeiterbewegung durch einen Zusammenschluss von SPD und KPD, zum anderen die Einheit der Anti-HitlerKoalition über die Zeit der Besatzung hinaus zu sichern. Beide Bemühungen gerieten in den Sog des sich verschlechternden Verhältnisses zwischen West und Ost und scheiterten. Die Vereinigung der britischen und amerikanischen Besatzungszone zur Bizone und die Vorbereitung staatlicher Strukturen im Westen Deutschlands, die Rede von US -Präsident Harry S. Truman am 12. März 1947, in der er jenen Ländern Unterstützung in Aussicht stellte, »die sich der Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch Druck von außen widersetzten«11, das Scheitern der Außenministerkonferenzen zur Vorbereitung eines Friedensvertrages mit Deutschland, die Verkündigung des Marshall-Plans, die Gründung eines kommunistischen Büros zur Förderung der Zusammenarbeit der kommunistischen Staaten in Osteuropa (Kominform) und die kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei führten sukzessive zur Verschärfung der Krise und schließlich zum Bruch der Beziehungen zwischen Ost und West. Auf die Blockbildung im Westen folgte die Blockbildung im Osten, in die jeweils die Westzonen und die Ostzone einbezogen wurden. Nach der Logik des Kalten Krieges erschienen Lösungen nicht mehr mit, sondern nur noch gegen die andere Seite möglich zu sein. Im Februar 1948 trafen sich in London die USA, Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Länder, um die Beteiligung der Westzonen am europäischen Wiederaufbauprogramm und den Aufbau eines Weststaates in Deutschland zu beschließen. Am 17. März 1948 unterzeichneten eben diese Staaten in Brüssel einen Vertrag zur Gründung der Westeuropäischen Union, der die sechs Mitgliedsstaaten im Falle eines bewaffneten Angriffs in Europa zu gegenseitigem Beistand verpflichtete. Drei Tage später, am 20. März, verließ der sowjetische Vertreter, Marschall Sokolowski, aus Protest 9 Staritz: Geschichte der DDR , S. 20 f. Lemke: Einheit oder Sozialismus? Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 216–222. 10 Der Tjulpanow-Bericht, S. 13–17. 11 Synopse zur Deutschlandpolitik, S. 28.

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gegen die Londoner Sechsmächtekonferenz, den Alliierten Kontrollrat in Berlin. Die Kooperation der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs war damit offiziell beendet. Dies machte den Weg frei für die Gründung eines westdeutschen Staates.12 1948 wurde trotz aller Spannungen und Trennungen zum Schlüsseljahr einer von der Sowjetunion geforderten »neuen nationalen Politik« in Deutschland. Der Westen steuerte gezielt auf eine staatliche Reorganisation des westlichen Teils Deutschlands hin: vom Marshallplan zur Währungsreform, vom Verfassungskonvent in Herrenchiemsee zur Verfassung gebenden Versammlung des Parlamentarischen Rates, von der Verabschiedung des Grundgesetzes zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) und die SED reagierten auf ihre Weise. Mit der Volkskongressbewegung und der Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) wurden auch in der SBZ zentrale Strukturen geschaffen. Die DWK erhielt den Auftrag, einen Zweijahresplan zu erstellen. Der Volkskongress bestellte einen 400 Mitglieder starken »Deutschen Volksrat« (300 aus der SBZ , 100 aus den Westzonen). Die Leitung übernahm Wilhelm Pieck, Parteivorsitzender der SED. Wichtigste Aufgabe war es, einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten.13 Auch in der Entwicklung der KPD wurde das Jahr 1948 zu einem Schüsseljahr. Zum ersten Mal erhielt die Westpartei – mit Max Reimann als Vorsitzenden  – einen eigenen Parteivorstand. Die KPD entwickelte sich nicht zu einer eigenständigen Partei, sondern geriet immer stärker unter Kuratel der SED. Von Ost-Berlin aus wurde die KPD gesteuert, kontrolliert und finanziert. Je deut­ licher die KPD an Rückhalt in der westdeutschen Bevölkerung verlor, nicht zuletzt aufgrund der immer größer werdenden Abhängigkeit von der SED, desto weniger war die Gründung eines westdeutschen Staates zu verhindern, desto leichter wurde es für die SED, die Westpartei zu einem gefügigen Instrument ihrer Politik zu formen. Ein Strategiewechsel wurde eingeleitet. Statt Partei- und Parlamentsarbeit rückte der »revolutionäre Massenkampf« in den Vordergrund. Nach außen sollte die KPD unabhängig erscheinen, nach innen jedoch als politisches Vollzugsorgan der SED fungieren, das die verschiedenen, mehr oder weniger kommunistisch beeinflussten Organisationen und Vereine anleiten und die seit Gründung der Bundesrepublik immer zahlreicher werdenden Kampagnen der SED für eine nationale Politik umsetzen sollte. Während die Steuerung durch die SED in der Öffentlichkeit verschwiegen werden sollte, wurde die Nähe zur Sowjetunion immer stärker betont. »Der Kampf um die Einheit Deutschlands und eine einheitliche, demokratische deutsche Republik kann nur zum Siege geführt werden im engsten Bündnis mit der 12 Stöver: Der Kalte Krieg, S. 89 ff. 13 Benz: Auftrag Demokratie, S. 303 ff.

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sozialistischen Sowjetunion«14, erklärte der Parteivorstand der KPD im Oktober 1948. Ein besonderer Weg zum Sozialismus – im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 noch ausdrücklich hervorgehoben – wurde jetzt mit Blick auf die Verdammung des jugoslawischen Sonderwegs (»Titoismus«) durch die Sowjetunion und die Komintern auch für Deutschland abgelehnt. Ein revolutionärer Umsturz im Westen Deutschlands wurde nicht mehr ausgeschlossen, sondern sogar gefordert. »Es gibt keinen ›friedlichen Weg‹ zum Sozialismus. Die demokratische Ordnung in Westdeutschland kann nur durch den revolutionären Massenkampf errungen werden.«15 Die ideologische Ausrichtung der KPD nahm eine klassenkämpferische Attitüde an. Die Radikalisierung der KPD durch die SED nahm seit 1948 kontinuierlich zu. »Die amerikanischen Imperialisten« und deren Politik der »Kolonialisierung« Westdeutschlands rückten ins Zentrum der politischen Agitation. Hauptaufgabe der Partei sei künftig, so ihr Vorsitzender Max Reimann, »die Organisierung des nationalen Widerstandes des werktätigen Volkes gegen die Spaltung Deutschlands, gegen die nationale und soziale Unterdrückung, gegen die Kolonialisierung Westdeutschlands«16. Eine Aufgabe, die 1952 im »Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« in der Forderung nach dem revolutionären Sturz des »Adenauerregimes« kulminierte.17 Seit 1948 wurde eine gemeinsame Deutschland- und Besatzungspolitik der vier Siegermächte zwar weiterhin beschworen, aber nicht mehr gemeinsam entwickelt, geschweige denn umgesetzt. Dies förderte auf beiden Seiten den Wunsch und die Möglichkeit der Deutschen nach größeren politischen Handlungsspielräumen. Einer, der dies rasch erkannte und in die Tat umsetzte, war Walter Ulbricht. Ihm ging es nicht in erster Linie um die nationale Einheit, sondern um die Gewinnung und Sicherung der Macht, um den raschen Aufbau des Sozialismus in der SBZ . Im Gespräch mit Abteilungsleitern des Zentral­ sekretariats der SED erklärte er, die Ostzone müsse jetzt »konsequent den volksdemokratischen Weg gehen«. Dazu müssten jedoch noch viele Voraussetzungen geschaffen werden. »Wir müssen erst noch die Massenorganisationen festigen, die bürgerlichen Parteien spalten und dann eine ›Nationale Front‹ aufbauen.«18 Eine solche Linie war mit der offiziellen Politik der Sowjetunion nicht vereinbar und musste unweigerlich zu Konflikten führen. Unterstützung für eine Politik des Aufbaus des Sozialismus vor Lösung der nationalen Frage kam jedoch von Oberst Sergej Tulpanow, dem Leiter der Informationsverwaltung der SMAD, ein Mann, mit dem Ulbricht es gut konnte. In einem Gespräch mit der SED -Führung am 8. Mai 1948 erklärte Tulpanow den deutschen Genossen 14 BArch: BY 1/110/301/1, 2. Tagung des PV KPD, Erklärung Reimanns, 3./4.9.1948. 15 Ebd. 16 Ebd., 2. Sitzung des PV KPD, Juni 1948. 17 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 1, Programm zur nationalen Wiedervereinigung, 2.11. 1952, S. 404. 18 Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 132.

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seine Sicht der Dinge, die Ulbricht durchaus teilte. Die SED befinde sich »an der Grenze zweier Welten, dort, wo die Welt des Kapitalismus auf die Welt des Sozialismus trifft«. Die sowjetische Besatzungszone entwickle sich »nach dem Typ der neuen Demokratie«. In dieser nehme die SED »eine herrschende staatliche Stellung ein« und sei »faktisch an der Macht«. Entsprechend müsse die Partei organisatorische und ideologische Schwächen und Unzulänglichkeiten überwinden und den Mitgliedern »eine klare Vorstellung über die Entwicklung und den Untergang des Kapitalismus, über die Unvermeidlichkeit des Sieges des Proletariats« vermitteln und »den Hass, zu dem sich rasch in die Richtung zum Faschismus entwickelnden amerikanischen Imperialismus und seinen Verbündeten« entfachen. Die nationale Frage sei, wie Tulpanow erklärte, »nur auf dem Wege des Klassenkampfes zu erreichen«19. Das Bemühen der SED -Führung, Anweisungen Stalins, insbesondere in der nationalen Politik »mit eigenen Initiativen« zu ergänzen, stieß in Moskau »nicht auf ungeteilte Zustimmung«20. Herbe Kritik erntete auch die Tulpanow-These, wonach die nationale Frage nicht zuerst zu lösen, sondern eine Frage des Klassenkampfes sei, mithin zusammen mit dem Aufbau des Sozialismus in der SBZ , gegebenenfalls auch erst danach zu beantworten sei. Der Politische Berater der SMAD, Vladimir S. Semjonow, der im Unterschied zu Tulpanow kein sonderlich gutes Verhältnis zu Ulbricht hatte, warnte davor, »dass einige von Tulpanow und Ulbricht eingeleitete Maßnahmen über das Ziel der Moskauer Politik hinausgehen und die derzeitige, an sich schon schwierige Lage noch komplizieren könnten«21. Das, was Ulbricht und Tulpanow anstrebten, wurde vorerst noch geheim gehalten. In der Öffentlichkeit kämpfte die SED – wie von Stalin gefordert – mit großem propagandistischem Aufwand für die Herstellung der Einheit Deutschlands. Nachdem alle Versuche, über die Länderparlamente und Parteien eine gesamtdeutsche Verständigung in Ost und West gleichsam »von oben« herbeizuführen, gescheitert waren und im November/Dezember 1947 mit der Londoner Außenministerkonferenz auch die letzte Nachkriegskonferenz der Siegermächte zur Vorbereitung eines Friedensvertrags mit Deutschland gescheitert war, wollten die Genossen in Berlin das Blatt noch einmal wenden und den Druck von unten verstärken. In allen Teilen Deutschlands sollte eine Volkskongressbewegung entstehen. Ein »Manifest an das deutsche Volk« sollte die nationale Politik der SED betonen. Faktisch war es jedoch nichts anderes als die Aufforderung an das deutsche Volk, die in der SBZ bereits umgesetzten »Errungenschaften« wie die Entnazifizierung des öffentlichen Lebens oder die Enteignung der »Großgrundbesitzer und Monopolisten« auf ganz Deutschland zu 19 Ebd., S. 133 f. 20 Wettig: Treue Dienste für den Kreml, S. 406. 21 Ebd., S. 135.

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übertragen. Entsprechend gering fiel die Begeisterung der »Massen« aus, die außerhalb der SED standen und für eine Mitarbeit gewonnen werden sollten. Eingeladen wurden Parteien und Massenorganisationen, Betriebe und bekannte Persönlichkeiten aus ganz Deutschland. Immerhin folgten 2 215 Personen, davon 664 aus den westlichen Besatzungszonen, der Einladung und nahmen am ersten Volkskongress teil, der am 6./7. Dezember 1947 in Berlin stattfand.22 Der Versuch, im Anschluss an die Berliner Großveranstaltung, in allen Ländern Volkskongresse durchführen zu lassen, um die Frage der Einheit Deutschlands in der gesamten Bevölkerung wachzuhalten, scheiterte kläglich. Ein zweiter Volkskongress war für den 17./18. März 1948, ein dritter für den 29./30. Mai 1949 geplant. Zum Konzept der Massenmobilisierung gehörte die Durchführung eines Volksbegehrens, um einen Volksentscheid über die Einheit Deutschlands zu erzwingen. Im Westen wurde daraus nichts, da die meisten Veranstaltungen von den drei westlichen Besatzungsmächten verboten wurden. So blieb die Volkskongressbewegung weitgehend eine sowjetzonale Veranstaltung, die selbst hier bei den bürgerlichen Parteien auf Widerstand stieß. Immerhin wurden für einen Volksentscheid 12,9 Millionen Unterschriften in der SBZ und eine Million in der britischen Besatzungszone gesammelt. Die einzige Partei, die im Westen die Volkskongressbewegung mittrug bzw. mittragen musste, war die KPD. Für die Mitglieder, die vor allem die Politik der SED im Westen »verkaufen« mussten, war dies mehr als nur eine lästige Verpflichtung. Immer wieder wurden sie dafür angefeindet. Entnervt und völlig erschöpft, gab ein KPD -Mitglied aus dem Ruhrgebiet für den Abschlussbericht des Volksbegehrens zu Protokoll: »Es war so furchtbar schwer. Als ich das erste Mal vom Unterschriftensammeln nach Hause kam, habe ich vor lauter Anspannung geweint. Die Menschen sind so feindlich und es ist so schwer, es ihnen begreiflich zu machen.«23 Die Volkskongressbewegung war längst noch nicht am Ende, als in Beratungen zwischen SMAD und SED schon eine neue Idee auftauchte, die das deutsche Volk erneut für die Bewahrung der nationalen Einheit mobilisieren sollte: die Gründung einer »Nationalen Front« in ganz Deutschland. »Nationale Front«: »Was soll das sein?«24 – fragten sich selbst Spitzenfunktionäre der SED wie Wilhelm Pieck. Wurden da nicht Erinnerungen an den Nationalsozialismus geweckt? In der Tat war der Begriff in den Dreißigerjahren entstanden, als sich im europäischen Ausland (Schweiz, Frankreich, Großbritannien) manche nationalsozialistisch inspirierte Bewegung den Namen »Nationale Front« gab. In Frankreich hat sich die heute größte rechtsextreme Partei in Europa ausgerechnet den Namen »Front Nationale« zugelegt, sicher auch, um an ihre Wurzeln in den Dreißigerjahren zu erinnern. In Deutschland selbst tauchte der Begriff 22 Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1718. 23 Klein: Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, S. 84. 24 Wilhelm Pieck – Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik, S. 282.

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nur kurz und in abgewandelter Form auf. 1933 benannte sich die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in »Deutschnationale Front« um. Trotz der offensichtlichen Nähe zum Rechtsextremismus gelang es der SED -Führung nicht, den Begriff wieder aus der Welt zu schaffen. Der Grund: Stalin selbst hatte ihn vorgeschlagen. In einem Vorbereitungspapier für ein Gespräch der SED -Spitze mit dem sowjetischen Diktator Ende September 1949 heißt es: »Um den Widerstand und den Kampf gegen diese Politik der Westmächte zu verbreitern und zu vertiefen, ist der Vorschlag auf Schaffung der Nationalen Front entstanden, für den wir die Anregung von Genossen St.[alin, J. F.] erhielten.«25 Bereits im Juni 1948 hatte die SMAD die SED -Führung aufgefordert, eine neue »Kampfformation« für Einheit und Frieden und zur Stärkung des nationalen »Befreiungskampfes« zu gründen. Die Nationale Front sollte »den wahren Nationalismus« stärker als bisher zur Geltung bringen. Zu einem kommunistischen Nationalismus gehöre es auch, »ehemalige Nazis« und »ehemalige Militärs« anzusprechen und für die Nationale Front zu gewinnen. Ziel sei es, so Semjonow, die »Einheit durch Anschluss« der Westzonen an die SBZ zu ermöglichen.26 Trotz der Aufforderung von höchster Stelle, unter Führung der SED eine deutsche nationale Bewegung ins Leben zu rufen, hielt die SED -Führung es nicht für nötig, auf die Moskauer Initiative zu reagieren. Seit der ersten Anwei­sung war fast ein Jahr vergangen, als Stalin Anfang Mai 1949 über den Genossen Semjonow die SED -Spitze erneut aufforderte, eine »Nationale Front für Einheit« zu bilden.27 Jetzt war guter Rat teuer. Wie sollte das geschehen? Die Volkskongressbewegung und die damit verbundene Vorbereitung einer Staatsgründung auf dem Gebiet der SBZ waren den SED -Genossen wichtiger als eine weitere Kampagne für ein vereintes Deutschlands. Zwar hatte die SED -Führung bei ihrem Aufenthalt in Moskau Anfang 1949 die Zusage erhalten, eine »Volkskammer« und eine »provisorische deutsche Regierung« in der SBZ bilden zu können, allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur in Reaktion auf eine vorherige Staatsbildung im Westen Deutschlands geschehen dürfe. Ferner hatte es Stalin zur Bedingung gemacht, dass an einer Staatsbildung Ost der »Deutsche Volksrat« oder auch ein neuer Volkskongress, mithin alle Parteien und Massenorganisationen beteiligt werden müssten. Die Gründung eines sozialistischen Staates, wie es Tulpanow und Ulbricht vorschwebte, kam vorerst nicht in Betracht.28 Um Stalins Willen zu erfüllen und dennoch den Fahrplan für eine eigene Staatsbildung nicht zu gefährden, erweiterte die SED kurzerhand das Programm für den in Kürze anstehenden dritten Volkskongress um den Tagesordnungspunkt »Manifest an das 25 26 27 28

Ebd., S. 299. Amos: Die Westpolitik der SED, S. 21. Ebd., S. 22. Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 146 ff.

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deutsche Volk«29, in dem dazu aufgerufen wurde, eine »Nationale Front für Einheit und gerechten Frieden« zu bilden. Die Blitzaktion der SED stieß auf deutlichen Widerstand der im Volkskongress vertretenen bürgerlichen Parteien. Am 28. Mai 1949 erklärten deren Delegierte, sie seien nicht bereit, an der Bildung einer »Nationalen Front« mitzuwirken. So fiel der Auftrag wieder an die SED zurück, die sich gern bereit erklärte, im Volksrat, in dem die SED über die absolute Mehrheit verfügte, ein Programm für die Nationale Front zu erarbeiten.30 Das Ergebnis dieses Tauziehens zwischen der Einheitsforderung Stalins und dem Machtanspruch der SED war die Gründung der DDR am 7.  Oktober 1949, deren Ablauf die Kluft zwischen beiden Positionen noch einmal deutlich machte. Auf der Tagesordnung des Deutschen Volksrates, der den Gründungsakt vollzog, standen an erster Stelle die »Schaffung der Nationalen Front« und erst an zweiter Stelle der »Beschluss zur Gründung der DDR«. So wurde zunächst zum Kampf um die »Wiederherstellung der Einheit Deutschlands« aufgerufen und erst danach die Gründung der DDR beschlossen. Der zweite Deutsche Volksrat wurde zur »Provisorischen Volkskammer«, die »Nationale Front« zur Nachfolgeorganisation des zweiten Volkskongresses erklärt und die »Bildung einer Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik«31 beschlossen. In einem »Aufruf zur Nationalen Front des demokratischen Deutschlands« fasste die SED -Führung die Aufgaben und Ziele der Nationalen Front kurz zusammen: »Kampf um die Einheit Deutschlands, für einen gerechten Friedensvertrag und für die Wiederherstellung der vollen Souveränität der deutschen Nation.«32 Mit Gründung der DDR gab es nun zwei deutsche Staaten in Deutschland. Beide standen von Anfang an unter dem nationalen Vorbehalt der Wiederherstellung eines einheitlichen Deutschlands. Beide beanspruchten Kernstaat oder Grundstein eines vereinten Deutschlands zu sein. Beide konkurrierten um die nationale Vorherrschaft in ganz Deutschland. Beide sprachen der jeweils anderen Seite jede nationale Legitimität ab. Als sich am 7.  September 1949 der 1. Deutsche Bundestag konstituierte, sprach das Politbüro der SED von einem »Tag der nationalen Schande« und des »schimpflichen Verrats«. Das deutsche Volk werde diesem »ungesetzlichen, antinationalen Spalterparlament« den Garaus machen. Alle »friedliebenden Deutschen« wurden aufgerufen, sich zur »Rettung der Einheit« in der »Nationalen Front« zusammenzuschließen.33 Aus Anlass der Gründung der DDR erklärte Bundeskanzler Adenauer im Deutschen Bundestag, die Bundesrepublik Deutschland sei die durch freie Wahlen »alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes« und daher 29 30 31 32 33

Manifest des Deutschen Volksrates, S. 2735 f. Ebd., S. 155 f. Amos: Die Westpolitik der SED, S. 28. Ebd., S. 29. Herbst/Stephan/Winkler: Die SED, S. 1139.

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Die Radikalisierung

»­a llein befugt, für das deutsche Volk zu sprechen«34. Gern hätte die SED, wie die von Pieck verfasste »Disposition für die Regierungsbildung« zeigt, einen vergleichbaren gesamtnationalen Anspruch formuliert. »Das eigentliche Deutschland«, hieß es darin, sei »die sowjetische Besatzungszone«. Darum handle »es sich nicht um eine ostdeutsche Staatenbildung oder um eine ostdeutsche Regierung, sondern um die Regierung für Gesamtdeutschland«35. Stalin widersprach. Ein derartiger Alleinvertretungsanspruch der SED war nicht in seinem Sinne. Auch der explizit von der SED -Führung geäußerte Wunsch, die »Westregierung« auf keinen Fall anzuerkennen, durfte nicht in die erste Regierungserklärung aufgenommen werden.36 Auch öffentlich vermied er jeden Sozialismus-Bezug, nannte die Gründung der DDR einen »Wendepunkt in der Geschichte Europas«, mit dem der Grundstein für ein »einheitliches, ­demokratisches und friedliebendes Deutschland«37 gelegt worden sei. Die Herstellung eines vereinten Deutschlands in den Grenzen von 1945 war und blieb das strategische Ziel der sowjetischen Außen- und Deutschlandpolitik, jedenfalls solange, bis an einer definitiven Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnis nichts mehr zu ändern war.38 Das war 1955 der Fall, dem Jahr, in dem die Pariser Verträge in Kraft traten, das Besatzungsstatut erlosch, die Bundesrepublik der NATO beitrat und eine durch alliierte Vorbehaltsrechte weiterhin beschränkte Souveränität erhielt.39 Für die SED bedeutete Stalins permanente Forderung nach einer »nationalen Politik« eine ständige Infragestellung der DDR und des Aufbaus eines sozialistischen Staates in Deutschland. Die Sicherung der eigenen Macht durch An­ erkennung und Sicherung der DDR war und blieb das oberste Ziel der national­en Politik der SED. Nach deren Selbstverständnis sollte die DDR der Kernstaat der deutschen Nation sein, dem – wenn überhaupt – der Westen Deutschlands eines Tages angeschlossen werden sollte. Je länger ihr dies versagt blieb, desto heftiger und aggressiver wurde der Kalte Bürgerkrieg um die nationale Vorherrschaft in Deutschland geführt. In diesem deutsch-deutschen Sonderkonflikt kam der KPD eine wichtige instrumentelle Bedeutung zu: im Westen als leibhaftiges Feindbild für eine tatsächliche oder vermeintliche bolschewistische Gefahr, im Osten als Sprachrohr einer von Moskau geforderten, von der SED im eigenen Machtinteresse radikalisierten und somit konterkarierten nationalen Politik. Seit Gründung der beiden deutschen Staaten glitt die gesamtdeutsche Politik der SED immer mehr in eine klassenkämpferische Politik hinüber, »die de facto mindestens ebenso sehr zur Spaltung führte wie die westliche Politik 34 Konrad Adenauer. Reden 1917–1967, 17.10.1949, S. 172. 35 BArch: NY 4036/768. NL Wilhelm Pieck, Disposition für die Regierungsbildung, 8.9.1949. 36 Wilhelm Pieck – Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik, S. 294. 37 Wettig: Treue Dienste für den Kreml, S. 410. 38 Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 219 ff. 39 Zur beschränkten Souveränität vgl. Foschepoth: Überwachtes Deutschland, S. 28–48.

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der Abschirmung vor der vermeintlichen kommunistischen Gefahr. In diesem gleitenden Übergang konnte sich der latente Interessenkonflikt zwischen der SED -Führung und Stalin verstecken, bis er im Sinne der SED gelöst war.«40 Schon wenige Wochen nach Gründung der DDR bedurfte es erneut eines kritischen Anstoßes seitens der sowjetischen Besatzungsmacht, die seit langem von Moskau geforderte Nationale Front endlich aufzubauen. Die beschlossene Umbildung der Volkskongress-Ausschüsse in Ausschüsse der Nationalen Front ginge viel zu langsam voran, mahnte Semjonow. Bislang sei über die Nationale Front keine einzige Broschüre und kein einziges Flugblatt »zur Unterstützung der Propagandisten und Agitatoren herausgegeben worden«41. Wochen später notierte Wilhelm Pieck – inzwischen nicht nur Vorsitzender der SED und Präsident des Deutschen Volksrates, sondern seit Oktober 1949 auch erster Präsident der DDR – in seinen Aufzeichnungen über ein Gespräch mit General Wassilij Tschuikow, dem Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, die Bewegung der Nationalen Front erreiche nicht die Massen: »Wir haben nicht die Leitung in den Ländern u. Kreisen – energisch nachhelfen.«42 Weisungsgemäß erhöhte die SED im Frühjahr 1950 das Tempo. Dies galt auch und insbesondere für die KPD. Schon 1948 hatte Tulpanow gefordert, dass »die Nationale Front ihr Hauptgewicht im Westen haben sollte«43. Die erste Gelegenheit, die nationale Politik der SED im Westen zu testen, bot der Bundestagswahlkampf 1949. In enger Abstimmung zwischen SMAD und SED wurden die Ziele einer gesamtdeutschen Nationalen Front entwickelt, die auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens zielten. Neben der Herstellung eines politisch, wirtschaftlich und kulturell geeinten Deutschlands ging es vor allem um drei konkrete Ziele, den Kampf für die Gewinnung der nationalen Unabhängigkeit, den Abschluss eines Friedensvertrages und den Abzug aller Besatzungstruppen. Ansonsten sollten nach dem Willen der SED die »Errungenschaften« der SBZ auf den Westen übertragen werden.44 Das agitatorische Leitmotiv war erstmals die These von der Kolonialisierung Deutschlands durch die imperialistischen Westmächte, allen voran durch die USA . Diese hätten »das ganze deutsche Volk in einen furchtbaren nationalen Notstand gestürzt«. Darum sei die Sammlung in einer breiten Nationalen Front »das dringendste Gebot der Stunde«, wie die KPD jetzt im Auftrag der SED erklären sollte. Nur im antiimperialistischen Kampf sei »die nationale Befreiung möglich«45. 40 Loth: Das ungeliebte Kind. Stalin und die Gründung der DDR , S. 38. 41 Wilhelm Pieck – Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik, Bericht Semjonows vom 24.1.1950, S. 328. 42 Ebd., Besprechung Tschuikow, Pieck u. a. am 7.3.1950, S. 336. 43 Amos: Die Westpolitik der SED, S. 24. 44 BArch: NY 4090/643/Bl. 104–107, Ziele der Nationalen Front, 2.7.1949. 45 BArch: DY 30 IV 2/2/34, Vorlage für die Sitzung des Politbüros der SED am 19.7.1949.

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Trotz großer materieller und propagandistischer Unterstützung durch die SED scheiterte der »nationale Wahlkampf« der KPD kläglich. In einer Sonder­ sitzung des Politbüros der SED46 musste Max Reimann die Gründe dafür erklären. »Die Nationale Politik steht bei uns bisher nur als Losung an den Mauern«, meinte er. So sei es nicht geglückt, weder in den Gewerkschaften, noch in den Betrieben, eine breite Diskussion über die Notwendigkeit eines vereinten Deutschlands auszulösen. Hauptfeind der Arbeiterklasse und aller national gesinnten Kräfte sei der amerikanische Imperialismus und seine Helfer. Um dagegen eine Nationale Front aufzubauen, dürfe »bei den Arbeitern nicht der Eindruck entstehen, als ob wir mit einem Teil  der Bourgeoisie ein Bündnis schließen«. Auch bei anderen Zielgruppen, die Stalin und die SED umwerben wollten, war die Resonanz äußerst gering, bei den »national gesinnten bürgerlichen Kreisen«, den Unternehmern wie den Bauern und Flüchtlingen, aber auch den kleinen Parteigenossen unter den ehemaligen Nazis. Sie alle dürften bei den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Parteien besser aufgehoben gewesen sein, die unter einander in höchsten nationalen Tönen mit einander stritten. Alle Parteien außer der KPD waren für eine Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937, also einschließlich der deutschen Ostgebiete von Stettin bis Königsberg, von der Ostsee bis zum Erzgebirge. In einem solchen Umfeld hätten die Kommunisten Tag für Tag die Oder-Neiße-Linie als endgültige »Friedensgrenze« zwischen Deutschland und Polen vertei­digen müssen. In allen Versammlungen tauchten Leute auf, so Reimann weiter, die neben der deutschen Ostgrenze »die Fragen der Kriegsgefangenen, der Sowjetunion, der persönlichen Freiheit, der Ostzone, der KZ«  – gemeint waren die politischen Straflager im sowjetischen Machtbereich – »aufrollten«. Mit einem derart antikommunistisch geprägten westdeutschen Nationalismus konnte der neue Nationalismus kommunistischer Prägung nicht konkurrieren. Am schwierigsten sei es für die KPD, die Arbeiter zu mobilisieren. Gerade sie wollten von der nationalen Politik nichts wissen. »Auf jeder Kundgebung, wo er gesprochen habe«, so Reimann weiter, »steckten bei seiner Abfahrt die Genossen den Kopf durch das Wagenfenster und sagten: ›Max, sprich nicht so viel von Vaterland und von Patrioten‹.«47 Der Probelauf der Nationalen Politik der SED im Westen war mehr als gescheitert. »Wenn die Politik der Nationalen Front im Westen erfolgreich entwickelt werden soll, dann müssen wir von den in Westdeutschland bestehenden Klassenverhältnissen ausgehen.« Ohne die Arbeiter, so Reimann weiter, »werden wir die Nationale Front nicht entwickeln können«48. Das aber brauche Zeit, viel Zeit, so das realistische Fazit des Vorsitzenden der KPD im Westen Deutschlands. 46 BArch: DY 30 IV 2/2/39, Sondersitzung des Politbüros der SED am 19./20.8.1949. 47 Ebd., Bl. 4. 48 Ebd., Bl. 35.

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Das Politbüro der SED sah das völlig anders. Schuld an dem Wahldebakel waren nicht die Leitlinien der SED für den Wahlkampf der KPD, sondern deren Unfähigkeit, die Politik der Nationalen Front im Westen umzusetzen. Ursache dafür sei vor allem die mangelnde Motivation der Parteimitglieder. »Nur 20–30 Prozent haben gearbeitet, 70 Prozent haben zugesehen«, meinte Wilhelm Pieck. »Das allerwichtigste ist, um eine nationale Politik entwickeln zu können, die Partei auf die Beine zu stellen.«49 Weitere Gründe wurden in den organisatorischen und personellen Schwächen und in der ideologischen Unklarheit der Partei gesehen, die sich vor allem in der mangelnden Bereitschaft der Genossen im Westen äußere, die Sowjetunion und die Ostzone öffentlich zu unterstützen und zu loben. So wurde, fast schon rührend, die Westkommission des Politbüros beauftragt, »konkrete Vorschläge zur Unterstützung der KPD mit Literatur, besonders über die Sowjetunion und die Ostzone, zu unterbreiten«50. Die neueste Literatur über die Nationale Front produzierte die SED selbst. Am 15. Februar 1950 erschien in millionenfacher Auflage das »Programm der Nationalen Front«51. Bereits eine Woche später stand die Taktik der KPD in Sachen Politik der Nationalen Front auf der Tagesordnung des Politbüros. Die Westkommission wurde beauftragt eine Art Strategiepapier zur Arbeit der KPD für die Nationale Front in Westdeutschland vorzulegen. Als Vorgabe des Politbüros müsse den KPD -Genossen klargemacht werden, dass erstens das Dokument zur Nationalen Front nicht nur für die DDR , sondern für ganz Deutschland gelte und zweitens die Unterschätzung der DDR in Westdeutschland korrigiert werden müsse.52 Am 21. März 1950 wurde dem Politbüro von der Westkommission ein umfangreiches Papier über die Durchführung der Politik der Nationalen Front in Westdeutschland vorgelegt. Trotz der desaströsen Erfahrungen mit der Unterstützungspolitik der KPD für die SED im Bundestagswahlkampf des vergangenen Jahres wurde die West-Partei jetzt erst recht in die Pflicht genommen. Die Politik der Nationalen Front, müsse »zur Generallinie der KPD entwickelt werden und ihre Anwendung auf allen Gebieten der Massenarbeit, in allen Massenorganisationen, in allen Parlamenten und Gemeindevertretungen und in verschiedenen Komitees und Ausschüssen finden«53. Als Vorbild für den Aufbau einer von der KPD gesteuerten Organisation sollten die in der DDR gemachten Erfahrungen dienen. Nur durch den Zusammenschluss und den Kampf aller betroffenen Schichten in der Nationalen Front gebe es »einen glücklichen Aus49 Ebd., Bl. 17. 50 Ebd., Bl. 2. 51 BArch: DY 30 IV 2/2/71, Programm der Nationalen Front, Beschlussfassung, 14.2.1950, Bl. 6–11. 52 BArch: DY 30 IV 2/2/73, Die Taktik der KPD im Westen, 21.2.1950. 53 BArch: DY 30 IV 2/2/77, Politik der Nationalen Front und Unterstützung der KPD, 21.3.1950, Bl. 6.

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weg für das deutsche Volk durch die Schaffung der einheitlichen Deutschen Demokratischen Republik über ganz Deutschland«54. Grundlage der gesamten Agitation und Propaganda der KPD müsse die historische Bedeutung der DDR »als der festen Basis für die Erkämpfung der nationalen Einheit und einen dauerhaften Frieden für ganz Deutschland« werden. »Die Erfolge in der DDR müssen in Westdeutschland ständig in Wort und Schrift popularisiert, alle Gesetze der DDR ausführlich in den verschiedenen Volksschichten erläutert und in Vergleich mit den Zuständen im westdeutschen Protektorat gestellt werden.« Im Einzelnen sollte die westdeutsche Bevölkerung über die »imperialistische Politik der Westmächte« aufgeklärt und zu entsprechenden Aktionen aufgefordert werden. Hierzu zählten der Kampf gegen die Annexion des Saargebietes, die Demontagen in Salzgitter, Hamburg und anderen Städten, gegen die Verhaftungen und »die Terrorjustiz der Militärbehörden und die Maßnahmen der Adenauer-Regierung und der deutschen Behörden«, die Millionenarbeitslosigkeit, Senkung der Löhne und Verlängerung der Arbeitszeiten bis hin zur »Aufdeckung und Bekämpfung der von den Militärbehörden und den deutschen Reaktionären geförderten faschistischen Gruppen«55. Laut Beschluss des SED -Politbüros sollten in der gesamten Bundesrepublik auf Orts-, Kreis- und Landesebene Ausschüsse der Nationalen Front gebildet werden. »Diese Ausschüsse sollen die Zusammenfassung von gewählten Delegierten aus den Betrieben, Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen, aus den verschiedenen Bevölkerungsschichten, Umsiedlern, Universitäten, Schulen, von Einzelpersönlichkeiten usw. sein.« Die Verantwortung für die Anleitung, Kontrolle und Arbeit der zahlreichen Ausschüsse der Nationalen Front und der noch neu hinzukommenden Friedensbewegung gegen eine Wiederbewaffnung Deutschlands sollte bei den Sekretariaten der KPD, beim Parteivorstand und den Landesvorständen liegen. Wenn alle Schichten des deutschen Volkes, wie KPD Vorstandsmitglied Walter Fisch, euphemistisch, aber auch ein wenig sarkastisch meinte, »an der Wiedergewinnung der nationalen Unabhängigkeit des deutschen Volkes interessiert« seien, dann stehe die Partei »vor einer großen Aufgabe, nämlich eine mächtige nationale Einheitsbewegung zustande zu bringen, mit der Aufgabe, die Lebensinteressen der gesamten Bauernschaft, des Mittelstandes, der kleinen Industrie, der Intelligenz, der jungen Generation, der Rentner und Flüchtlinge« und vieler anderer mehr mit ihrer ganzen Kraft zu vertreten«56. Wenn das ernst gemeint war, war es zumindest völlig realitätsfern. Die KPD drohte ihr sozialrevolutionäres Profil vollends zu verlieren. Aus der Klassenkampfpartei sollte eine Art Volkspartei werden mit einem nationalen Pro54 Ebd., Bl. 7. 55 Ebd., Bl. 7. 56 Zit. n. Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1705.

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gramm, das alle Schichten des deutschen Volkes von weit links bis weit rechts erreichen und ansprechen sollte. Eine Aufgabe, die von der schwer angeschlagenen, von der SED ständig überforderten und immer wieder aufs Neue düpierten Partei kaum zur Zufriedenheit ihrer Auftraggeber in Berlin und Moskau erledigt werden konnte. Ein erneutes Scheitern der KPD war vorprogrammiert. Wie konnte, wie sollte eine Partei wie die KPD überhaupt erfolgreich agieren, zumal in einem politischen und gesellschaftlichen Umfeld, das von tiefer Abneigung, ja von Hass gegen die Kommunistische Partei und deren Mitglieder geprägt war? Im April 1950, exakt zu der Zeit, als die Politik der Nationalen Front zur Generallinie der KPD entwickelt werden sollte, gaben in einer bundesweiten Umfrage auf die Frage, »Was halten Sie von der KPD?«, 80 Prozent der Befragten nur negative Urteile ab.57 Zum gleichen Zeitpunkt tauchten in Berichten von Geheimdienstleuten, aber auch in Presseberichten verstärkt Meldungen auf, wonach die SED die KPD als »Massenpartei« bereits abgeschrieben habe und nur noch an dem Aufbau eines – aus geschulten Funktionären bestehenden – illegalen Apparates interessiert sei. »Die Massenagitation soll mehr denn je bei den Organen der ›Nationalen Front‹ liegen.«58 Die Hoffnungen, die die SED -Führung in eine bundesweit agierende Nationale Front und eine dafür notwendige, gut funktionierende KPD steckte, waren ebenso groß wie unrealistisch. Seit Gründung der DDR wurde die KPD mit Einmalbeträgen – für 1949/50 beispielsweise in Höhe von 500 000 DM – und einem monatlichen Betrag von 320 000 DM subventioniert. Hinzu kamen 330 000 DM für den Auf- und Ausbau der Rundfunkpropaganda in Richtung Westdeutschland. Das ergab immerhin ein Jahresbudget von 4,65 Millionen DM.59 Angesichts immer wieder auftauchender sowjetischer Kritik an der SED -Führung, sie tue nicht genug für die Herstellung der deutschen Einheit, versprach Franz Dahlem, Mitglied des Politbüros, künftig über die »Nationale Front« alle verfügbaren Kräfte und Mittel »nach Westdeutschland zu werfen und dort die Politik der DDR zu popularisieren«60. Hunderte von hauptamtlichen Instrukteuren und freiwilligen Helfern wurden nach Westdeutschland geschickt, um die Genossen in ihrem Kampf gegen die imperialistischen Kriegstreiber zu unterstützen und einen »nationalen Widerstand« zu entfachen. Tonnenweise gingen Broschüren, Abhandlungen, Traktate, Flugblätter, Zeitungen und Zeitschriften, vorwiegend im Einzelversand von Ost- nach Westdeutschland. Leserbriefe wurden geschrieben, politische Erklärungen abgegeben, Pressekonferenzen abgehalten. Podiumsdiskussionen und Kundgebungen wurden durchgeführt, Anträge und Anfragen in Parlamen57 58 59 60

Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1947–1955, S. 272, Umfrage vom April 1950. LAV NRW R: NW 490-2, Hamburger Freie Presse, 11.7.1950. Amos: Die Westpolitik der SED, S. 55. Zit. n. Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 170.

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ten von der kommunalen Ebene bis zum Bundestag gestellt. Die Zielsetzung war im Grunde immer dieselbe, nämlich die politische, wirtschaftliche und militärische Integration der Bundesrepublik in den Westen zu attackieren, die Politik der Bundesregierung als »nationalen Verrat« zu diskreditieren und die Politik der DDR und der Sowjetunion als nationalen Gegenentwurf zu legitimieren. Dies sollte durch die Mobilisierung des ganzen deutschen Volkes, im Westen gegen das »Adenauer-Regime«, im Osten für die Schaffung einer »einheitlichen friedliebenden Deutschen Demokratischen Republik über ganz Deutschland«61 ermöglicht werden. Aufwand und Ertrag standen in Sachen Nationale Front in keinem angemessenen Verhältnis. Zwar gelang es in kurzer Zeit 160 Ausschüsse der Nationalen Front auf Orts- und Kreisebene mit tatkräftiger Unterstützung von Instrukteuren aus Ostberlin zu konstituieren. Auch konnten in verschiedenen Ländern wie Württemberg-Baden, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein Landesausschüsse gebildet werden. Diese waren aber häufig von kurzer Dauer, entweder weil nach Abzug der Berater die Ausschüsse ihre Arbeit einstellten, oder weil sie von der zuständigen Landesregierung früher oder später verboten wurden. Das Ergebnis der Arbeit für die Nationale Front in der Bundesrepublik, resümiert Amos, »muss frustrierend gewesen sein. Die westdeutsche Bevölkerung sah, und dies zu Recht, in der Nationalen Front eine ›kommunistische Tarnorganisation‹. Sie fühlte sich keineswegs so unterdrückt und ausgebeutet, wie die SED -Führung ständig propagierte.«62 Nicht zuletzt durch die sich im Frühjahr 1950 bildende und mit der Natio­ nalen Front konkurrierende unabhängige »Friedensbewegung«, die natürlich auch die KPD wieder mittragen sollte, hatte die Bewegung der Nationalen Front in der Bundesrepublik bereits nach einem halben Jahr ihren Zenit überschritten. Die Fülle der immer neuen Anweisungen und Kampagnen aus Berlin für die Herstellung der Einheit und gegen die »nationalen Verräter« machten aus Sicht der KPD -Basis einfach keinen Sinn. Schließlich waren es die Genossen an der Basis, die die Kastanien für die SED immer wieder aus dem Feuer holen sollten, und dafür auch noch den Kopf hinhalten, wenn nicht gar ins Gefängnis gehen mussten. Für die SED war die KPD dagegen in einer schlechten Verfassung. Die Partei habe »große ideologische Schwierigkeiten«, wie Otto Grote­ wohl in einem Gespräch mit Stalin betonte. Die SED sei jedoch bemüht, der KPD zu helfen, doch finde diese »nicht die rechte Sprache für die Massen«63. Stalin selbst hatte wenig Verständnis für den schlechten Zustand der KPD. So gab er der angereisten SED -Spitze für die westdeutschen Kommunisten den Rat mit auf den Weg, »ihre innere Organisationsarbeit fortzusetzen; Verbindung 61 BArch: DY 30 IV 2/2/97, Bl. 54. 62 Amos: Die Westpolitik der SED, S. 56. 63 Bonwetsch: Stalin und die Vorbereitung des 3. Parteitags der SED, S. 595.

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mit den einfachen Menschen zu halten und sie zu festigen; weniger schreien, mehr erklären«64. Ein Ratschlag, der gegenüber den ostdeutschen Kommunisten, den eigentlichen Verursachern der Malaise der KPD, besser angebracht gewesen wäre. Immerhin wurden auch die SED -Genossen gemaßregelt. Seine über 40-jährigen politischen Erfahrungen lehrten ihn, so Stalin, dass die Perspektiven in Westdeutschland besser seien, als Grotewohl es darstelle. Auch die SED -Spitze wurde gerügt und zwar dafür, dass sie »eher die eigene Macht in der DDR konsolidieren wollte und an einem Kampf um Popularität in der Bundesrepublik wenig Interesse zeigte«65. Zurück in Deutschland stellte das Politbüro der SED »selbstkritisch fest, dass die Politik und die praktische Arbeit der SED ungenügend auf die Lösung der gesamtdeutschen Aufgaben orientiert ist«. Da die Hauptaufgabe in der Ent­ wicklung einer gesamtdeutschen Politik bestehe, dürften »sich die führenden Organe der Partei nicht auf die Aufgaben in der DDR beschränken«. Entsprechend wurde der Entwurf für eine Entschließung des 3.  Parteitages der SED, der vom 20.  bis 24.  Juli 1950 in Berlin stattfand, »so überarbeitet, dass dem Kampf um Frieden und nationale Einheit eindeutig oberste Priorität eingeräumt wurde«66. Die Selbstkritik des SED -Triumvirats Pieck, Grotewohl und Ulbricht war schnell wieder vergessen. Der bevorstehende Parteitag der SED wurde nicht – wie von Stalin gewünscht – ein Parteitag der leisen, sondern – wie gehabt – der lauten Töne. Ministerpräsident Otto Grotewohl rief erstmals in seiner Rede offen zum »nationalen Widerstand« auf. »Die Nationale Front tritt in eine neue Phase ihres Kampfes ein; war es am Anfang die Periode des einfachen nationalen Protestes, so wurde daraus in der zweiten Periode die nationale Selbsthilfe, um sich heute in der dritten Phase angesichts der Spaltungs-, Kolonialisierungs- und Kriegspolitik des anglo-amerikanischen Imperialismus und seiner deutschen Handlanger zum nationalen Widerstand zu erheben.« Der nationale Widerstand müsse »auf der ganzen Linie entfacht werden«67. In Westdeutschland kämpfe die KPD »unter den besonderen Bedingungen der nationalen Versklavung und des wachsenden Terrors, der seitens der ausländischen imperialistischen Unterdrücker und ihrer Agenten und Helfershelfer gegen alle Kräfte des Friedens und der Demokratie angewandt wird«. Den Eindruck erweckend, als sei die KPD eine unabhängige und selbständige Partei, heißt es in der Entschließung des SED -Parteitag weiter: »Die Kommunistische Partei Deutschlands hat die Aufgabe, unter der Leitung ihres Parteivorstandes eine selbständige, diesen Bedingungen entsprechende Rolle zur Durchführung der gesamtdeutschen 64 65 66 67

Ebd., S. 599. Ebd., S. 581. Wilhelm Pieck – Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik, S. 343. Zit. n. Kluth: Die KPD in der Bundesrepublik, S. 39.

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Politik des Kampfes für den Frieden und für die Einheit Deutschlands zu spielen.« Aufgabe der Nationalen Front »im Bonner Separatstaat« sei es, »den nationalen Widerstand gegen die Spaltungs-, Kolonialisierungs- und Kriegspolitik des anglo-amerikanischen Imperialismus und seine deutschen Handlanger zu entfachen«68. Was war unter »nationalem Widerstand« zu verstehen? Gegen wen sollte er sich richten? Wer sollte ihn organisieren? Welche Mittel sollten eingesetzt werden? Wer übernahm das Kommando? Wer schritt zur Tat? Die Aufgaben waren klar verteilt. Die Speerspitze im Kalten Bürgerkrieg gegen den »Bonner Separat­ staat« waren die Genossen, unterstützt von einer sich ausbreitenden Nationalen Front. Die Scharfmacher saßen im Politbüro der SED, das sich nunmehr für die gesamte Westpolitik zuständig erklärte. Am 9. Januar 1951 beschloss dieses Gremium: »Das Politbüro und das Sekretariat des ZK sind für alle westdeutschen Fragen voll verantwortlich. Ihnen sind alle entscheidenden Fragen vorzulegen.«69 Nicht selbstbestimmtes, sondern ausführendes Organ der in Berlin beschlossenen Politik war der Parteivorstand der KPD. Allen Widerständen aus den eigenen Reihen gegen die Politik des nationalen Widerstands zum Trotz erklärte Max Reimann am 14. September 1950 im Vorstand der KPD seine ausdrückliche Zustimmung zu den Ergebnissen des 3. Parteitags der SED. Von nun an müsse eine »Wendung in der Politik und in der Massenarbeit ausgehen«70, um den Druck auf die »Adenauer-Clique« zu erhöhen. Erste Aufgabe des nationalen Widerstands war, die westdeutsche Bevölkerung »von der verbrecherischen Politik« der Westmächte und der Bundesregierung zu überzeugen. Gelegenheit dazu boten die verschiedenen Initiativen der SED und der Sowjetunion zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Hierzu zählte der Brief von Otto Grotewohl an die Bundesregierung, in dem er einen paritätisch besetzten »gesamtdeutschen konstituierenden Rat« anregte, um einen Friedensvertrag vor­ zubereiten und über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zu verhandeln. Auch der Vorschlag »Deutsche an einen Tisch« gehörte dazu wie die Prager Beschlüsse der osteuropäischen Außenminister vom 20./21. Oktober 1950. Darin protestierten die kommunistischen Regierungen gegen die Beschlüsse der New Yorker Drei-Mächte-Konferenz vom 19. September 1950 und sprachen sich entschieden gegen eine »Remilitarisierung Westdeutschlands« aus.71 Besondere Gelegenheit zur Neupositionierung der KPD bot der für das Frühjahr 1951 geplante Parteitag der KPD, der – wie bereits erwähnt – als »Münchner Parteitag« in die Geschichte eingegangen ist, obwohl er in Weimar (DDR) abge68 Ebd., S. 40. 69 BArch: DY 30 IV 2/2/125, Protokoll der Sitzung des Politbüros, 9.1.1951. 70 BArch: BY 1/438, Sitzung des PV der KPD, Rede Reimann, 14.9.1950. 71 Synopse zur Deutschlandpolitik, S. 105 f.

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halten wurde. Die »Thesen«, die der Parteivorstand vorlegte und als »Entschließung des Parteitags« verabschiedet wurden, waren zuvor von der Westkommission (Leitung Ulbricht) und einem Redaktionsausschuss, dem Reimann (KPD), Ackermann (SED) und Herrnstadt (SED) angehörten, erarbeitet und vom Politbüro der SED beschlossen worden.72 In dieses Dokument wurde auch ein Aufruf zum nationalen Widerstand aufgenommen.73 Dieser richtete sich in erster Linie gegen den »räuberischen amerikanischen Imperialismus und seiner britischen und französischen Verbündeten«. Aufgabe der westdeutschen Genossen war es jetzt »die Massen auf die bevorstehenden Kämpfe vorzubereiten und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Partei nicht hinter den Ereignissen zurückbleibt. Es gilt, den Kampfgeist der deutschen Patrioten zu stärken und ihren Glauben an die Kräfte der Arbeiterklasse Westdeutschlands, an die Kräfte und Möglichkeiten der Nationalen Front des demokratischen Deutschland zu festigen.« Die Parteimitglieder wurden aufgefordert, »in allen anderen – selbst in reaktionären  – Organisationen zu arbeiten, wenn diese Massen von Arbeitern, Bauern und Intellektuellen umfassen«. Auch Angehörige der Bourgeoisie oder Berufsoffiziere der deutschen Wehrmacht, die bereit waren, sich für ein friedliches vereintes Deutschland einzusetzen, sollten aufgefordert werden, sich am »nationalen Befreiungskampf« zu beteiligen. Selbst ehemalige Nationalsozialisten sollten für dieses Bündnis gewonnen werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen müsse die Frage der Mitgliedschaft in der NSDAP neu gestellt werden. »Die Partei muss eine scharfe Unterscheidung treffen zwischen den Massen, die ehemals der NSDAP angehörten und heute für die Erhaltung des Friedens eintreten oder für den Friedenskampf gewonnen werden können, und den Kriegsverbrechern, die heute unter dem amerikanischen Kommando – wie ehedem unter Hitler – das deutsche Volk in eine neue Katastrophe führen wollen.« Die politische Aufklärung dürfe sich nicht nur auf die Arbeiterklasse beziehen, sondern müsse sich an das gesamte deutsche Volk richten. »Eine solche breite Aufklärung wird die sozialen und psychologischen Voraussetzungen für den Sturz der volksfeindlichen Adenauer-Regierung schaffen sowie für die Zerschlagung und Isolierung der anderen Agenten des ausländischen Imperialismus in Westdeutschland.«74 Auf die kühnen Thesen und hohen Erwartungen, die durch den Parteitag der KPD geweckt wurden, folgte rasch die Ernüchterung. Bei der Wahl zum zweiten Niedersächsischen Landtag am 6. Mai 1951, entschieden sich weder die ehemaligen Nationalsozialisten, noch die anderen »Volksmassen« für die KPD. Ihr Stimmenanteil war auf 1,8 Prozent der abgegebenen Stimmen geschmolzen. 72 BArch: DY 30 IV 2/2/125 und 135, Protokolle der Sitzungen des Politbüros vom 9.1. und 27.2.1951. 73 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 1, Entschließung des Münchener Parteitags (3.–5.3.1951), S. 335–380. 74 Ebd., S. 360 ff.

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Anlass für das Politbüro der SED nach den Ursachen zu suchen. Nicht die nationale Politik der SED wurde kritisiert, sondern wieder einmal die innere Verweigerung der KPD, die SED -Politik als ihre Politik zu übernehmen und mit Überzeugung nach außen zu vertreten. Die politische Linie des Parteitages sei in der Mitgliedschaft noch nicht durchgedrungen, hieß es in einem Beschluss des Politbüros der SED vom 22. Mai 1951: »Die Mitgliedermassen sind von der Richtigkeit der politischen Linie der Partei nicht überzeugt, darum ist auch die Partei nicht fähig, eine breite nationale Politik zu entwickeln und als Vorkämpferin des ganzen deutschen Volkes aufzutreten.«75 Mit Beginn des Jahres 1952 wurde der Druck auf den Westen, endlich den Bekenntnissen zur Wiedervereinigung auch Taten folgen zu lassen, noch einmal verstärkt. Deutschlandpolitisch wurde dieses Jahr das Jahr des sowjetischen Diktators Josef W. Stalin. Bislang hatte er die diplomatische Initiative der DDR , den propagandistischen Schlagabtausch der SED und der KPD überlassen. Der Westen, allen voran die Bundesregierung und Konrad Adenauer, hatte die verschiedenen Initiativen und Vorschläge seit 1950 wieder und wieder mit der Forderung nach freien gesamtdeutschen Wahlen als Voraussetzung für Verhandlungen über einen Friedensvertrag abgelehnt. Die sich verschärfenden Attacken von SED und KPD suchte die Bundesregierung mit neuen Straf­tatbeständen – von Staatsgefährdung bis zum Hochverrat – zu bekämpfen und von den bundesdeutschen Gerichten bestrafen zu lassen. Die deutschlandpolitisch relevanten Initiativen der Bundesregierung konzentrierten sich dagegen auf Verhandlungen mit den drei Westmächten zur Ablösung des Besatzungsstatuts und der Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem. Als die von den Sowjets befürchtete Westintegration der Bundesrepublik um die Jahreswende 1951/52 immer wahrscheinlicher wurde, kam Stalin offensichtlich zu der Erkenntnis, dass nur ein attraktives Angebot den Integrationsprozess der Bundesrepublik in den Westen noch stoppen könne. Vorbereitet wurde die Initiative Stalins, die im Frühjahr 1952 zu dem legendären Notenwechsel mit den westlichen Besatzungsmächten über die Deutschlandfrage führte, durch die DDR . Im Auftrag des politischen Beraters der Sow­ jetischen Kontrollkommission (SKK), Vladimir S. Semjonow, ließ der Minister für auswärtige Angelegenheiten der DDR , Georg Dertinger (CDU-Ost), seinen alten Parteifreund Ernst Lemmer, Mitbegründer der CDU und stellvertretender Landesvorsitzender der Berliner CDU, vertraulich wissen, »die sowjetische Politik wolle sich jetzt ohne Rücksicht auf die SED ernstlich um die Wiedervereinigung bemühen, sofern Gesamtdeutschland neutralisiert werde; Moskau sei bereit, für ein neutralisiertes Deutschland einen hohen Preis zu zahlen«76. Um die leidige Frage nach freien gesamtdeutschen Wahlen, die die Bundesregierung 75 BArch: DY 30 IV 2/2/149. Protokoll der Sitzung des Politbüros der SED, 22.5.1951. 76 Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 178.

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immer wieder als Bedingung für Verhandlungen gestellt hatte, zu entschärfen, wurde die Volkskammer, die parlamentarische Vertretung der DDR , von Semjonow beauftragt, ein Wahlgesetz zu verabschieden, das auf dem Verhältniswahlrecht der Weimarer Verfassung basierte. Der Auftrag wurde mit der Verabschiedung des Wahlgesetzes am 9. Januar 1952 erledigt.77 Dieses Mal war es der Bundestag, der die Aufforderung der ­Volkskammer ablehnte, mit ihr zusammenzuarbeiten und eine gemeinsame gesetzliche Grundlage für eine gesamtdeutsche Wahlregelung zu schaffen. Daraufhin wandte sich Ministerpräsident Grotewohl am 13.  Februar 1952, wiederum auf Anweisung der sowjetischen Regierung, in einem Schreiben an die vier Siegermächte und setzte sich »mit Nachdruck für den unverzüglichen Abschluss eines Friedensvertrags mit Deutschland« ein. Ein Friedensvertrag werde nicht nur die Spaltung Deutschlands überwinden, sondern auch die »Wiedergeburt des deutschen Militarismus« verhindern. Die Bundesregierung erhielt eine Kopie des Schreibens zur Kenntnis und wurde aufgefordert, den Vorschlag der DDR zu unterstützen.78 Am 20. Februar 1952 antwortete die sowjetische Regierung als einzige auf das Schreiben Grotewohls. Sie erklärte in einer Note, sie stimme mit der Forderung der DDR nach einem raschen Abschluss eines Friedensvertrages überein und werde alles tun, diesen zu ermöglichen und die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates zu beschleunigen. Den Part des Westens, sowohl das Schreiben Grotewohls, als auch das der sowjetischen Regierung abzulehnen, übernahm Adenauer. Der Abschluss eines Friedensvertrages sei schon immer Ziel der Bundesregierung gewesen, so der Bundeskanzler. Allerdings »müsse bei den Friedensverhandlungen Deutschland durch eine vom gesamten deutschen Volk in freier und geheimer Wahl autorisierte Regierung vertreten sein«79. Stalin ließ sich nicht beirren. Am 10. März 1952 schlug die sowjetische Regierung in gleichlautenden Noten an die drei Westmächte vor, »unverzüglich die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland zu erwägen«. Bei den Verhandlungen müsse Deutschland »durch eine gesamtdeutsche Regierung unmittelbar beteiligt sein«. Deutschland solle als »einheitlicher, unabhängiger, demokratischer und friedliebender Staat« wiederhergestellt werden. ­Sämtliche Besatzungstruppen sollten innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrages abgezogen werden. Sämtliche Grundfreiheiten und Menschenrechte sowie »volle Betätigungsfreiheit« für alle demokratischen Parteien und Organisationen müssten garantiert werden. Das betraf vor allem die KPD und ihre Organisationen, gegen die die Bundesregierung im November 1951 einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt hatte. Sämtliche Organisa77 Ebd. 78 Synopse zur Deutschlandpolitik, S. 141 f. 79 Ebd., S. 142 f.

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tionen, »die gegen Demokratie und Frieden« seien, sollten dagegen verboten werden, wobei den ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und der NSDAP ausdrücklich gleiche bürgerliche und politische Rechte garantiert werden sollten. Deutschland müsse sich verpflichten, keinerlei Koalitions- oder Militärbündnisse gegen irgendeinen Staat einzugehen, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen habe. Die 1945 in Potsdam für das Gebiet der Besatzungszonen vereinbarten Grenzen sollten auch die Grenzen des künftigen Deutschlands sein. Außerdem sollte es Deutschland gestattet sein, eigene nationale Streitkräfte, die für die Verteidigung des eigenen Landes nötig seien, zu besitzen und die dafür notwendige Rüstungsindustrie aufzubauen.80 Im Kern lief das Angebot Stalins auf eine Neutralisierung Deutschlands und damit auf eine Verhinderung der Westeinbindung der Bundesrepublik in die westlichen Pakt- und Bündnisstrukturen hinaus. Die Westmächte und vor allem Bundeskanzler Adenauer persönlich, blieben bei der präferierten Block­ bildung und Beibehaltung der Teilung Deutschlands. Sie lehnten daher die sowjetische Offerte ab, die »nur scheinbare Konzessionen« enthalte und lediglich den Zweck verfolge, die Integration Westeuropas und die Schaffung einer westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft hinauszuzögern.81 Auch die zweite Note Stalins vom 9. April 1952, in der er Konzessionen in Fragen der Durchführung allgemeiner gesamtdeutscher Wahlen unter Aufsicht der vier Besatzungsmächte machte, konnte den Westen von seiner ablehnenden Haltung nicht abbringen. Bereits am 26. Mai 1952 unterzeichneten die Außenminister der drei Westmächte und Bundeskanzler Adenauer in Bonn den »Generalvertrag«, der das Besatzungsstatut ablösen sollte und der Bundes­ republik Deutschland eine durch Beibehaltung alliierter Vorbehaltsrechte eingeschränkte Souveränität verhieß. Weder der Generalvertrag, noch der tags darauf in Paris unterzeichnete Vertrag über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) traten jemals in Kraft. Sie scheiterten am Veto der französischen Nationalversammlung. Erst im Oktober 1954 konnten die Verträge neu verhandelt werden, jetzt allerdings mit Erfolg. Am 5. Mai 1955 traten die Westverträge, die statt der EVG eine NATO -Lösung für die Sicherheit vor und mit der Bundesrepublik vorsahen, in Kraft.82 Im Unterschied zu den Westmächten und den westeuropäischen Staaten wäre ein vereintes und neutrales Deutschland durchaus im Interesse der Sowjetunion gewesen. Nicht nur der Westen, sondern auch der Osten hatte ein großes Sicherheitsinteresse gegenüber Deutschland. Die traumatische Erfahrung des Vernichtungskriegs der Deutschen gegen die Sowjetunion, sollte sich nicht wiederholen. Eine dauerhafte Bindung der inzwischen zum Feind Nummer eins 80 Synopse zur Deutschlandpolitik, S. 146 f. 81 Ebd., S. 148, Adenauer in einem Presseinterview vom 23.3.1952. 82 Foschepoth: Überwachtes Deutschland, bes. S. 28–48.

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aufgestiegenen USA mit dem westlichen Teil Europas und Deutschlands war für Moskau eine ernstzunehmende Gefahr. Dafür war die Sowjetunion »wirklich bereit gewesen, Opfer zu bringen, um die Wiedervereinigung zu erreichen«, wie Stalin gegenüber dem italienischen Sozialistenführer Pietro Nenni am 17. Juli 1952 sagte.83 Erst am Abend des 9. März 1952, wenige Stunden vor Übergabe der sowjetischen Note an die drei Westmächte, war die SED -Führung durch die SKK Berlin über den Inhalt der sowjetischen Note informiert worden.84 Über die zweite Note wurde die DDR-Führung – nach bisherigem Kenntnisstand – nicht einmal informiert, geschweige denn konsultiert.85 Der Grund lag gewiss darin, dass nicht nur Adenauer und die Westmächte, sondern auch Ulbricht und die SED -Führung über Stalins Offerte sehr besorgt waren. Wären Stalins Noten akzeptiert, verhandelt und umgesetzt worden, hätte es weder eine Westintegration der Bundesrepublik, noch den Aufbau des Sozialismus in der DDR gegeben. Dennoch setzte sich Ulbricht gleich an die Spitze der Unterstützer von Stalins Offerte für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten, obwohl er bislang immer gegen eine Neutralisierung Deutschlands eingetreten war, aus durchsichtigem Grund, weil der Traum von einem sozialistischem deutschen Teilstaat für immer ein Traum geblieben wäre. Mit einem Tag Verspätung, am 11. März 1952, setzte die SED -Führung die propagandistische Unterstützung der sowjetischen Initiative in Gang.86 »Dank an Generalissimus Stalin für seine weise Friedenspolitik« lautete die zentrale Losung. Auffallend war ein eher gemäßigter Tonfall, der allerdings nicht auf propagandistische Spitzen verzichtete. So war in den Anweisungen für die Parteifunktionäre weiterhin die Rede von der »Bonner Clique«, dem Generalvertrag als »imperialistisches Diktat« und davon, dass der sowjetische Vorschlag »Deutschland vor der Verstrickung in imperialistische Komplotte« bewahre. Der Schwerpunkt der Kampagne lag wieder im Westen. Die KPD wurde ange­ wiesen, die Einzelheiten der Stalin-Initiative in Städten und Dörfern, in Betrieben und Wohngebieten, in Pressekonferenzen und Pressemitteilungen bekannt zu machen. Gleichzeitig wurden die Genossen angehalten, angesichts des Antrags auf ein Verbot der KPD den Ton im Umgang mit der Adenauer-Regierung zu verschärfen. So sprach zum Beispiel Max Reimann am 24.  März auf einer Pressekonferenz in München davon, dass Bundeskanzler Adenauer und Bun-

83 Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 181. 84 Ebd., S. 180. 85 Bonwetsch/Kudrjaŝov: Stalin und die 2.  Parteikonferenz der SED, S.  178. Staritz: Das ganze oder halbe Deutschland, S. 122. Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 180. 86 BArch: DY 30 IV 2/2/200, Protokoll der Sitzung des Politbüros vom 11.3.1952, Anlage Nr.  1 zum Protokoll, Argumentation für die Massenaufklärung zur Note der Sowjetregierung.

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desinnenminister Lehr mittels verschiedener Gesetze die Errichtung einer »Militärdiktatur« vorbereiteten.87 Adenauers Veto hatte wenigstens einem in der DDR genutzt: Walter Ulbricht. Nach dem Scheitern der Initiative Stalins schien der Weg zum Aufbau des Sozialismus in der DDR frei zu sein. Am 8. Juli 1952 bestätigte das Politbüro der KPdSU den neuen Kurs. Mit Zustimmung Moskaus konnten jetzt die Staatsmacht der DDR gestärkt und eine Volksarmee aufgebaut werden. Auf der 2. Parteikonferenz der SED, die vom 9. bis 12. Juli 1952 tagte, wurden die entsprechenden Beschlüsse gefasst und »der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe«88 in der DDR erklärt. Im Westen verkündete Max Reimann jetzt, der Aufbau des Sozialismus sei »das wichtigste Ereignis in der Geschichte unseres Volkes«. Der große propagandistische Aufwand, mit dem die neue Phase eingeleitet wurde, entsprach nach wie vor keineswegs dem Willen Stalins. Bei seiner letzten Besprechung am 9. April 1952 mit Pieck, Grotewohl und Ulbricht in Moskau hatte er der SED -Spitze ausdrücklich mit auf den Weg gegeben: »Auch wenn in Deutschland [gegenwärtig] zwei Staaten entstehen, braucht man den Sozialismus noch nicht groß anzukündigen.«89 Zwar sollte die DDR jetzt mit der Bundesrepublik gleichziehen, an eine grundsätzliche Änderung der sowjetischen Deutschlandpolitik war jedoch noch nicht gedacht. So sah sich Moskau wieder einmal veranlasst, die SED in die Schranken zu weisen. Am 8. Juli 1952 überreichte Semjonow, Sonderbotschafter und SKK-Berater, dem Generalsekretär der SED, Walter Ulbricht, im Auftrage Moskaus Richtlinien für die weitere innen- und außenpolitische Haltung der SED. Darin wurde die SED angewiesen, »jede weitere Verschärfung der innen- wie auch außenpolitischen Situation« zu unterlassen und »abwartend zu verbleiben«90. Dies galt auch und insbesondere hinsichtlich einer möglichen Herstellung der Einheit Deutschlands in den Grenzen von 1945. An diesem Ziel wollte Stalin auch nach dem Scheitern seiner Initiative unverändert festhalten. Auch dieses hatte er in seinem Gespräch mit der SED -Führung am 9.  April bereits sehr deutlich gemacht. Zum Ende der Unterredung kam Ulbricht darauf zu sprechen, »dass wir ein neues Programm der KPD abfassen wollen. Wir wollen uns bemühen, die Ausarbeitung dieses Programms zu beschleunigen, um es vor dem Verbot der KPD zu veröffentlichen.« Die Moskauer Parteiführung wurde gebeten, den Entwurf durchzusehen und »uns bei der Ausarbeitung des Programms« zu helfen. Stalin sagte dies zu. Grotewohl fasste nach und fragte, ob Stalin meine, »dass wir in der gegenwärtigen Situation Änderungen an unserer Argumentation in den Fragen der Einheit Deutschlands und in der offiziellen 87 BArch: DY 30 IV 2/2/201, Protokoll der Sitzung des Politbüros vom 18.3.1952, Bl. 30. 88 Malycha/Winters: Geschichte der SED, S. 107. 89 Bonwetsch/Kudrjasov: Stalin und die 2. Parteikonferenz der SED, S. 204. 90 Staritz: Das ganze oder halbe Deutschland, S. 123.

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Haltung der Regierung der DDR zur Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vornehmen müssen«. Stalin verneinte. »Die Propaganda für die Einheit Deutschlands muss weiter fortgesetzt werden. Das hat große Bedeutung für die Beeinflussung des Volkes in Westdeutschland. Gegenwärtig ist das eine Waffe in Ihrer Hand, die Sie auf keinen Fall aus der Hand legen dürfen. Auch wir werden weiterhin Vorschläge zu Fragen der Einheit Deutschlands machen, um die Politik der Amerikaner zu entlarven.«91 Zurück in Berlin machte sich Walter Ulbricht allen Mahnungen Stalins zu einer abwartenden Politik beim Aufbau des Sozialismus in der DDR und in der nationalen Frage Deutschlands zum Trotz an die Arbeit. Mit dem jetzt energisch betriebenen Aufbau des Sozialismus in der DDR verpasste die SED der KPD auch ein neues Programm. Seit dem noch von Rosa Luxemburg für den Spartakusbund verfassten und vom Gründungsparteitag der KPD übernommenen Programm hatte die KPD kein neues Programm erhalten.92 Allenfalls könnte die »Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes«93 von 1930 noch als ein weiterer Vorläufer angesehen werden. Dieser Bezug war offenbar bewusst gewählt. Die Verfasser des neuen Programms der KPD glaubten jedenfalls einige Parallelen zwischen der Notlage Deutschlands von 1930 und 1952 zu erkennen. Wie kam es zu dem neuen Programm der KPD, das den Titel »Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« trug und das für das Bundesverfassungsgericht die entscheidende Grundlage für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD werden sollte? Wer hat es verfasst? Welche Rolle spielte dabei die SED? Wie aus dem bereits zitierten Protokoll über das Gespräch Stalins mit der SED -Führung am 9. April 1952 hervorgeht, war nicht die KPD, sondern »wir«, also das Politbüro der SED, das entscheidende Gremium, das das neue Programm der KPD initiiert, konzipiert, redigiert und beschlossen hat. Die führende Rolle spielte hierbei kein Geringerer als Walter Ulbricht persönlich. Am 3. Juni 1952 fasste das Politbüro der SED den Beschluss, eine Kommission einzusetzen, die aus Walter Ulbricht, Paul Verner und Rudolf Herrnstadt bestand, allesamt Mitglieder des ZK der SED. Diese Kommission hatte die Aufgabe, den vom Sekretariat des Politbüros der SED (Leitung Ulbricht) vorgelegten Entwurf des Programms der KPD »durchzuarbeiten und mit ihren Vorschlägen dem Politbüro zu unterbreiten«94. Als Vorlage für das neue Programm diente die 45 Druckseiten umfassende Entschließung des »Münchener« (Weimarer) Parteitages der KPD vom Mai 1951, die ebenfalls von Ulbricht und einer Drei-Mann-Kommission vor91 Bonwitsch/Kudrjaŝov: Stalin und die 2. Parteikonferenz der SED, S. 206. 92 Klein: Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, S. 181. 93 Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, 24.8.1930. 94 BArch: DY 30 IV 2/2/214, Protokoll des Politbüros des ZK der SED, Bl. 13, 3.6.1952.

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bereitet und vom Politbüro beschlossen worden war.95 Der Unterschied: Sie war um mehr als die Hälfte gekürzt, redigiert und ganz erheblich verschärft worden. Bereits am 1. Juli 1952 berichteten Ulbricht und Herrnstadt über das Ergebnis ihrer Arbeit. Das Politbüro fasste daraufhin den Beschluss: »Das Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands wird als Grundlage angenommen.«96 Das Nationale Programm der KPD, wie das Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands auch verkürzt genannt wird, trug somit eindeutig die Handschrift von Walter Ulbricht. Den formellen Beschluss der KPD musste nun Reimann besorgen. Am 27. September 1952 befasste sich der KPD -Vorstand erstmals mit dem Thema. Ganz im Sinne der SED unterstrich Reimann die »Notwendigkeit eines nationalen Befreiungsprogramms« und begründete dies mit der »Mobilisierung aller patriotisch gesinnten Deutschen zum Kampf gegen die Ratifizierung des General-Kriegsvertrages und für die Herbeiführung eines Friedensvertrages mit Deutschland«97. Der Vorstand beschloss daraufhin, ein entsprechendes Programm zu erarbeiten. Da dieses bereits vorlag, konnte der Parteivorstand der KPD bereits am 2. November 1952, also innerhalb von vier Wochen, die SED -Vorlage als sein »Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« verabschieden.98 Dann ging alles sehr schnell. Am 29. Oktober 1952, vier Tage bevor das neue Programm durch den Parteivorstand der KPD verabschiedet wurde, hatte das SED -Politbüro bereits den nächsten Schritt eingeleitet und einen umfangreichen Maßnahmenplan zur Verbreitung des neuen KPD -Programms in der Bundesrepublik beschlossen.99 Dazu gehörten eine große Pressekonferenz des KPD Vorstands, Vorträge von Führungskadern in allen westdeutschen Großstäd­ ten, »Parteiaktivtagungen« und Mitgliederversammlungen, Ansprache wichtiger Zielgruppen, Betriebe, Gewerkschaften und Massenorganisationen und eine Erklärung des Zentralkomitees der SED zum neuen Programm der KPD, die am 13. November in »Neues Deutschland« und anderen Zeitungen der DDR erschien. Darin unterstützte die SED ausdrücklich die der KPD ins Programm geschriebene These vom »nationalen Verrat« der Bundesregierung und rief ebenfalls zum »unversöhnlichen und revolutionären Kampf zum Sturz der AdenauerRegimes« auf.100 95 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 1, Entschließung des Münchener Parteitags (3.–5.3.1951), S. 335–380. 96 BArch: DY 30 IV 2/2/218, Protokoll des Politbüros des ZK der SED, Bl. 8, 1.7.1952. 97 BArch: BY 1/507, Beschluss-Vorlage, 27.9.1952. 98 Staritz: Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 1715. 99 BArch: DY 30 IV 2/2/243, Anlage 2 zum Protokoll vom 4.11.1952: Richtlinien für die weitere Arbeit in Westdeutschland (Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 29.10.1952), Bl. 19–25. 100 Neues Deutschland, Das Programm zur Nationalen Wiedervereinigung Deutschlands, 13.11.1952, S. 1.

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Das »Nationale Programm« der KPD war somit ein Kampfprogramm des Polit­büros der SED gegen die Bundesregierung. Dieses Programm wollte ­Walter Ulbricht unbedingt vor einem KPD -Verbot noch auf den Weg bringen, wie er Stalin persönlich am 9. April 1952 gesagt hatte. Es sollte die entscheidende Waffe im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg werden. Möglich wurde dies dadurch, dass Ulbricht das sich immer deutlicher abzeichnende Machtvakuum in Moskau und die zunehmende »Führungsschwäche«101 Stalins bis zu dessen Tod am 5. März 1953 geschickt nutzte, um die KPD zu radikalisieren und für seine Zwecke in Stellung zu bringen. Das nationale Programm begann mit einer ähnlichen Feststellung wie die »Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes« von 1930: »Die Bevölkerung Westdeutschlands befindet sich in schwerer Not.«102 Krieg und Niederlage hätten Millionen Todesopfer und große Zerstörungen gebracht. Nach dem Krieg sei Westdeutschland »in die Sklaverei der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten« geraten. Nicht die Befreiung von der »Hitlerherrschaft« sei das Ziel der Westmächte gewesen, sondern »Deutschland als Staat zu vernichten, als Konkurrenten auszuschalten, seine Reichtümer an sich zu reißen und auszubeuten und unser Volk und Land für die Vorbereitung eines neuen Krieges um die Weltherrschaft zu missbrauchen«. Das ganze Leben der Bundesrepublik werde heute von den westlichen Besatzungsmächten gelenkt. »Nicht nur die Wirtschaft, auch die gesamte Innen- und Außenpolitik, die ganze Lebensweise Westdeutschlands, sind durch das amerikanische Besatzungsregime in Fesseln geschlagen.« Der amerikanische Imperialismus führe »einen systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur. Er möchte sie vernichten, damit die Deutschen vergessen, dass sie Deutsche sind und dass sie eine große Vergangenheit als selbständige und begabte Nation besitzen.« Das deutsche Volk solle dazu erzogen werden, »auf einen einheitlichen, deutschen Nationalstaat und auf die deutsche Nationalkultur zu verzichten und die ›amerikanische Lebensweise‹ mit ihrer äußerlichen und primitiven ›Kultur‹ anzunehmen«. Die imperialistischen Besatzungstruppen übten »die Funktion von Straf- und Gendarmerie-Bataillonen aus. Deutsche Frauen und Mädchen gelten den Okkupanten als Freiwild.«103 Ohne die Existenz des »Adenauer-Systems«, heißt es im Nationalen Programm weiter, wäre es den westlichen Imperialisten unmöglich, »ihr Regime der nationalen Knechtschaft und Erniedrigung weiter aufrecht zu erhalten.« Das »Adenauer-Regime« schütze und behüte die Interessen des westlichen Kapitals, es nehme die Befehle der amerikanischen Imperialisten entgegen 101 Scherstjanoi: Die Folgen von Stalins Tod für die DDR , S. 207. 102 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 1, Programm zur nationalen Widervereinigung Deutschlands, S. 396–415. 103 Ebd., S. 396–399.

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Abb. 1: KPD-Veranstaltung zur »Lage der westdeutschen Jugend«, München, Februar 1953

und zwänge sie der deutschen Bevölkerung auf. »Das Adenauer-Regime ist daher ein Regime des nationalen Verrats.« Es regiere »gegen das Volk« und trete »das von ihm selbst ausgearbeitete Bonner Grundgesetz mit Füßen«. Das ­»Adenauer-Regime« mache die westdeutsche Justiz und Polizei zu »Bütteln gegen ihre eigenen Landsleute, die für die natürlichsten Rechte des deutschen Volkes, für die Verständigung der Deutschen, für die nationale Einheit und den Abschluss eines gerechten Friedensvertrages eintreten. Das Adenauer-Regime bereitet die Errichtung der Militärdiktatur vor.« Das Adenauer-Regime sei daher auch »der Feind der Volksrechte und jeder Demokratie. Wenn die Bevölkerung Westdeutschlands leben will, muss sie das Adenauer-Regime stürzen.« Die »Unterdrücker« werden alle Machtmittel einsetzen, »um eine grundlegende Änderung der bestehenden Lage und die nationale Vereinigung Deutschlands zu verhindern. Deshalb muss das Regime Adenauer gestürzt und auf den Trümmern dieses Regimes ein freies, einheitliches, unabhängiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland geschaffen werden. Nur der unversöhnliche und revolutionäre Kampf aller deutschen Patrioten kann und wird zum Sturz des Adenauer-Regimes und damit zur Beseitigung der entscheidenden Stütze der Herrschaft der amerikanischen Imperialisten in Westdeutschland führen.«104

104 Ebd., S. 400–404.

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Erst der Sturz des Adenauer-Regimes mache den Weg frei für eine Regierung der nationalen Wiedervereinigung, die sich auf alle patriotischen Kräfte in Westdeutschland stützen könne. Daher sei die Verständigung aller Patrioten in Deutschland-West und Deutschland-Ost nötig, um gemeinsame Aktionen zu organisieren. Schon jetzt sei im nationalen Befreiungskampf des deutschen Volkes die Arbeiterklasse »die führende Kraft«. Aber sie kann ihre Kräfte nur dann voll entfalten, wenn sie selbst geeint und geschlossen vorgeht und die anderen Schichten der Bevölkerung vereinige. »Unzweifelhaft wird unser Kampf Opfer fordern. Aber für jeden im Kampf gefallenen oder aus dem Kampf herausgerissenen Patrioten, werden Tausende neue aufstehen.« Zwar werde es auch Misserfolge geben, doch stehe heute schon fest: »Der Sieg der nationalen Befreiungsbewegung ist sicher, denn ihre Sache ist gerecht.« In ihrem gerechten Kampf hätten die westdeutschen Patrioten die stärksten Verbündete. »Das friedliche Aufbauwerk der Deutschen Demokratischen Republik dient den Interessen des ganzen deutschen Volkes, es dient der Sache der nationalen Wiedervereinigung und der Befreiung Westdeutschlands aus den Ketten und der Schmach der imperialistischen Okkupation.«105 Mit der Kampagne zur Propagierung des »Programms der nationalen Wiedervereinigung« erreichte die Politik der Radikalisierung der KPD durch die SED Ende 1952 ihren Höhepunkt. Eine neue Säuberungswelle in SED und KPD machte klar, worum es im Grunde ging: Die antifaschistisch-demokratische Phase war zu Ende, der Aufbau des Sozialismus in der DDR sollte rasch beginnen und zügig vollzogen werden. Damit dieser Prozess weder von innen, noch von außen gestört oder gefährdet wurde, wurde er als im nationalen Interesse liegend begründet und die »antinationalen« Kräfte, die dieses Projekt bedrohten, im Westen wie im Osten mit härtesten Mitteln bekämpft. Der Erfolg blieb aus. In der Bundesrepublik liefen der KPD die Mitglieder davon, über 200 000 zwischen 1948 und 1952, in der DDR immer größere Teile der Bevölkerung. Im Jahr 1952 verließen 232 100 Personen, ein Jahr später 408 100 Personen die DDR .106 Die Krise folgte auf dem Fuße. Mit dem Tod Stalins Anfang 1953 wurde die Machtfrage neu gestellt. Für kurze Zeit gab es Signale der Entspannung. Die Idee eines vereinten Deutschlands auf der Basis einer Neutralisierung wurde erneut diskutiert und von der Fraktion um Lawrentij P. Berija107 im Kreml vertreten. Der Aufbau des Sozialismus in der DDR wurde in Frage gestellt und heftig 105 Ebd., S. 405–409. 106 Malycha/Winters: Geschichte der SED, S. 110. 107 Lawrentij P. Berija war als langjähriger Chef der Geheimpolizei unter Stalin der Organisator des Stalinistischen Terrors. Als neuer Innenminister profilierte er sich als AntiStalinistischer-Reformer, trat für ein Ende des sozialistischen Experiments in der DDR und ein »demokratisches und friedliebendes Gesamtdeutschland« ein. Nur kurze Zeit im Amt wurde er im Sommer 1953 entmachtet und bald darauf hingerichtet. http:// www.zeit.de/2003/28/A-Berija/seite-3.

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kritisiert. Die DDR erhalten oder preisgeben, wurde zur zentralen macht- und deutschlandpolitischen Frage.108 Ein »neuer Kurs« wurde ausgerufen, der beschleunigte Aufbau des Sozialismus als Fehler eingeräumt, die Machtposition Ulbrichts in Frage gestellt. Seine Ablösung schien unmittelbar bevorzustehen. Die Befürworter einer ernsthaften Politik der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gewannen im Politbüro der SED an Gewicht. Die Entmachtung Berjias, der Aufstand des 17. Juni und das gewaltsame Eingreifen der Sowjetunion brachten die erneute Wende, sicherten der DDR die Existenz und Ulbricht die Macht. Die Kritiker fielen einer neuen Säuberungswelle zum Opfer. Offiziell hielten die SED und auch Moskau am Ziel der Einheit Deutschlands fest. Tatsächlich hatte die Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Situation in der DDR jedoch Vorrang. Was blieb, war das strategische Interesse, die Westintegration der Bundesrepublik zu verhindern. Da Adenauer und der Westen jedoch um keinen Preis, auch nicht um den der Wiedervereinigung Deutschlands, bereit waren, dieses Projekt aufzugeben, blieb dem Osten auch weiterhin nur das Mittel nationaler Kampagnenpolitik. Die KPD hatte eine Kampagne nach der anderen durchzuführen. Im März 1953 wies die SED die Genossen an, das Nationale Programm zum Wahlkampfprogramm für die Bundestagswahl am 6. September 1953 zu erklären.109 Die Bundestagswahl wurde mit 2,2 Prozent für die KPD ein Desaster. Die Partei hatte nicht nur den Kontakt zu den Wählern und den eigenen Mitgliedern, sondern auch zu ihrer politischen Umwelt und zur politischen Wirklichkeit schlechthin verloren. Sukzessive wurde sie aus den Landes- und Kommunalparlamenten herausgewählt. Nun sollte sie nach dem Willen der SED wieder verstärkt den Kontakt zur SPD, zu den Gewerkschaften und anderen »Massenorganisationen« suchen. Dazu war der KPD längst die politische Kraft ausgegangen. Schuld daran war nach Einschätzung des SED -Politbüros allein die KPD. »Wenn die Kommunistische Partei Deutschlands die im Wahlkampf zutage getretenen Mängel überwindet, dann kann kein Zweifel daran bestehen, dass ihre gute und gerechte Sache siegen wird, weil sie Sache des Volkes ist.«110 Immer wieder brachte die SED die KPD in Stellung gegen die »Kriegsverträge von Bonn und Paris«. Der letzte große Kraftakt war eine erneute Kampagne zur Durchführung einer Volksabstimmung gegen die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und für den Abschluss eines Friedensvertrages im Frühjahr 1954. Auch diese Kampagne brachte nicht den gewünschten Erfolg, weder für die Sowjetunion, noch für die DDR und schon gar 108 Lemke: Einheit oder Sozialsimus?, S. 253–260. 109 BArch: DY 30 IV 2/2/265, Protokoll des Politbüros des ZK der SED, 3.3.1952, Anlage 2, Bl. 17. 110 BArch: DY 30 IV 2/2/320, Protokoll des Politbüros des ZK der SED, 7.9.1953, Anlage 1, Bl. 11.

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nicht für die KPD. Mit 3,8 Prozent der Stimmen scheiterte sie bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Sommer 1954 kläglich an der Fünf-ProzentHürde. Die inzwischen auf 83 000 Mitglieder geschrumpfte Partei war faktisch bereits tot. »Früher haben wir Klassenpolitik gemacht«, so Max Reimann über die Stimmung der Mitglieder, »und hatten im Wahlkampf Erfolg. Heute machen wir nationale Politik und haben bei Wahlen Misserfolge.«111 Wie depressiv die Stimmung in der immer weiter schrumpfenden Mitgliederschaft war, geht aus Äußerungen kleiner KPD -Funktionäre hervor, die in einem Bericht über die Lage der Partei zitiert werden: »Wenn das Weltfriedenslager so stark ist, dann werden uns die Sowjetmenschen schon eines Tages befreien, denn mit eigenen Kräften können wir es sowieso nicht schaffen.« Die deutsche Arbeiterklasse sei jedenfalls »nicht fähig, sich selbst zu befreien und ist nicht wert, dass man sich für sie einsperren lässt«112. Für die SED hatte die KPD dennoch ihre Funktion erfüllt. Mit Hilfe der westdeutschen Genossen war es der SED gelungen, die nationalen Ziele Moskaus in der deutschen Frage zu propagieren, gleichzeitig deren Ernsthaftigkeit durch eine fortgesetzte Radikalisierung der nationalen Politik der KPD zu konterkarieren. So hatte die KPD – auf maßgebliches Betreiben von Walter ­Ulbricht – dabei geholfen, den Graben zwischen Deutschland West und Deutschland Ost weiter zu vertiefen, so dass von der Moskauer Deutschlandpolitik keine ernsthafte Gefahr mehr für die DDR ausging. Die Zeit für die »Schaffung der Grundlagen des Sozialismus« war gekommen, wie die SED auf dem 4. Parteitag im Frühjahr 1954 verkündete. Selbst Moskau signalisierte, dass die deutsche Einheit nicht mehr auf der Agenda der sowjetischen Deutschlandpolitik stünde, wenn der Westen weiterhin keine Kompromissbereitschaft in Sachen Westintegration der Bundesrepublik zeige. 1955 wurde das Jahr der Entscheidung. Die Westverträge traten in Kraft, die Bundesrepublik wurde in die NATO aufgenommen. Die Sowjetunion beendete ihrerseits die Besatzung, vereinbarte mit Bundeskanzler Adenauer die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und entließ die DDR per Staatsvertrag in etwas mehr »Souveränität«. Fortan galt in Moskau die »Zwei-Staaten-Theorie«. Die SED und Walter Ulbricht persönlich hatten mit ihrer Strategie zum Aufbau eines sozialistischen Staates in Deutschland einen wichtigen Etappensieg errungen. So setzte sich 1955 mit der Zwei-Staaten-Theorie die deutschlandpolitische Position der DDR und nicht die Moskaus durch.113 Unterdessen bevölkerten im Westen immer mehr Kommunisten die Ge­ fängnisse. In einem Urteil vom 6. Mai 1954 verurteilte der Bundesgerichtshof erstmals zwei Kreissekretäre der KPD aus Salzgitter zu drei bzw. eineinhalb 111 BArch: DY 30 IV 2/2/371, Protokoll des Politbüros des ZK der SED, 6.7.1954, Anlage 1, Bl. 47. 112 BArch: BY 1/3662, Parteiarbeiterkonferenz, o. D., ca. April 1954. 113 Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 220 ff.

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Jahren Gefängnis »wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens in Tateinheit mit Verunglimpfung von Staatsorganen und öffentlich begangener Beleidigung« aufgrund der Verbreitung der Inhalte des »Programms der Nationalen Wiedervereinigung Deutschlands«114. Am 4.  Juni 1955 wurden die FDJ-Funktionäre Josef Angenfort und Wolfgang Seiffert wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu fünf Jahren Zuchthaus und vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie in ihrer politischen Arbeit das Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands eingesetzt und propagiert hatten.115 Am 13.  Juli 1956 verurteilte der Bundesgerichtshof die Mitglieder des KPD -Vorstands Friedrich Rische, Josef Ledwohn und Richard Scheringer zu dreieinhalb bzw. zwei Jahren Gefängnis wegen Beteiligung an der Erstellung und Propagierung des Nationalen Programms von 1952.116 Diese Verfahren dienten anderen Gerichten als Musterprozesse, nach denen zahlreiche weitere Kommunisten landauf, landab verurteilt wurden, die die Thesen und Forderungen des Nationalen Programms der KPD verbreiteten. Seit dem Hamburger Parteitag der KPD, der Ende Dezember 1954  – etwa einen Monat nach Eröffnung des Verfahrens vor dem Bundesverfassungs­gericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD  – stattfand, tauchte der Aufruf zum »revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes« nicht mehr auf, weder in schriftlichen, noch in mündlichen Erklärungen der Partei. Eine offizielle Verwerfung der These erfolgte jedoch erst im März 1956, als Max Reimann auf einer Sitzung des Parteivorstandes erklärte, die grundsätzliche Zielsetzung des Nationalen Programms habe sich als richtig erwiesen. »Anders jedoch steht es mit gewissen Formulierungen im ›Programm der Nationalen Wiedervereinigung Deutschlands‹, wie revolutionärer Sturz des Adenauer-Regimes. Diese Formulierung ist falsch; denn sie entsprach nicht und entspricht nicht der Lage und den Bedingungen in der Bundesrepublik und hat die Herstellung der Aktionseinheit und die Sammlung aller demokratischen Kräfte behindert.«117 Diese Erklärung konnte das Bundesverfassungsgericht nach Abschluss der mündlichen Verhandlungen nicht mehr überzeugen. So stellte das Gericht in seiner Entscheidung zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD fest, dass das »Programm der Nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« die »wichtigste Grundlage für die Beurteilung der aktuellen Zielsetzung der KPD«118 sei und damit die wichtigste Grundlage für ein Verbot der KPD.

Hochverrat und Staatsgefährdung. Urteile des Bundesgerichtshofes, Bd. 1, S. 74–107. Ebd., Bd. 1, S. 108–186. Ebd., Bd. 2, S. 11–42. KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 2, Es muss und kann anders werden. Erklärung der 23. PV-Tagung der KPD, 18.3.1956, S. 84. 118 KPD -Prozess. Dokumentarwerk. Bd. 3, S. 679. 114 115 116 117

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Die Kriminalisierung Strafrechtliche Verfolgung politischer Gesinnung

Am 20.  September 1949 hatte Bundeskanzler Adenauer vor dem Deutschen Bundestag seine erste Regierungserklärung abgegeben. Dreierlei war an seiner Rede bemerkenswert: Zum einen wurden die Millionen Opfer der national­ sozialistischen Tötungsmaschinerie und der deutschen Angriffskriege mit keinem Wort erwähnt. Auffallend war ferner die große Entschlossenheit mit der Adenauer im Namen der Bundesregierung ankündigte, »dort, wo es ihr vertretbar erscheint, Vergangenes vergangen sein zu lassen«. Dies galt jedoch nicht für die Radikalen von rechts und von links, so der dritte Aspekt, wenn es darum gehe, »aus der Vergangenheit die nötigen Lehren gegenüber all denjenigen zu ziehen, die an der Existenz unseres Staates rütteln …, mögen sie nun zum Rechtsradikalismus oder zum Linksradikalismus zu rechnen sein«1. Schon die erste deutsche Republik, so der Mythos vom Ende der Weimarer Republik und dem Beginn des NS -Diktatur, sei nicht aus der Mitte, von den bürgerlichen Parteien, den Liberal-Konservativen, den Deutschnationalen und den sonstigen national bzw. nationalistisch gesonnenen Steigbügelhaltern der Nationalsozialisten zerstört worden, sondern von den Rändern des politischen Spektrums, von den Rechts- und Linksradikalen. Waren die Radikalen, allen voran die Kommunisten, etwa schon wieder dabei, an der Existenz auch des neuen Staates rüttelten? Wie dem auch sei, nur der Aufbau eines nach rechts und links gleichermaßen wehrhaften Staates, so der Gründungsmythos der Bundesrepublik, konnte einer erneuten Bedrohung standhaft widerstehen. Für alle, die sich von den Rändern in die Mitte bewegten, hatte der Kanzler ein verlockendes Angebot zu machen, Vergangenes vergangen sein zu lassen. Dass dieses Angebot vor allem auf die alte und die neue Mitte der Gesellschaft zielte, wurde deutlich, als der Kanzler die politischen Radikalismen in den frühen Jahren der Bundesrepublik deutlich zu gewichten wusste. So ließ er keinen Zweifel daran, dass Befürchtungen, die vor allem in der ausländischen Presse über rechtsradikale »Umtriebe« laut geworden waren, »ganz bestimmt weit übertrieben«2 seien. Adenauer hätte es genauer wissen müssen. Nicht nur

1 Konrad Adenauer. Reden 1917–1967, S. 163 2 Ebd.

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Die Kriminalisierung

die ausländische Presse, sondern auch die Alliierte Hohe Kommission beobachtete die politische Entwicklung in der Bundesrepublik sehr genau. Im Unterschied zur Bundesregierung betrachteten die Besatzungsmächte die zunächst vereinzelt, dann immer häufiger auftretenden rechtsradikalen Vorfälle mit deutlich größerer Sorge als die Aktivitäten einer immer schwächer werdenden, sich zunehmend selbst zerstörenden KPD.3 In Berichten von V-Leuten hieß es ein Jahr später: »Die Stimmung in der Partei hat gegenwärtig zweifellos einen bisher noch nicht da gewesenen Tiefstand erreicht.«4 Tatsächlich befand sich die Kommunistische Partei bereits zu Beginn der Bundesrepublik in einem derart katastrophalen Zustand, dass sie überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, irgendeinen »revolutionären Aufruhr und offenen Terror vorzubereiten«5. Dagegen erreichte bereits im November 1949 die innenpolitische Debatte über ein Wiedererstarken des Nationalsozialismus einen ersten Höhepunkt. Wolfgang Hedler, Bundestagsabgeordneter der Deutschen Partei (DP) und somit Mitglied einer der die erste Regierung Adenauer tragenden Fraktionen, hatte in einer öffentlichen Rede die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 als »Landesverräter« beschimpft. Als der DP-Abgeordnete in einem gerichtlichen Verfahren mangels Beweisen frei gesprochen wurde, war der Skandal perfekt. Die SPD reagierte heftig und warnte vor einem Rückfall in Weimarer Verhältnisse. Als Hedler am 10.  März 1950 wieder im Bundestag erschien, wurde er von SPD -Abgeordneten, an der Spitze Herbert Wehner, »buchstäblich hinaus geprügelt«6. Die Hedler-Affäre blieb nicht ohne Folgen. Zum Schutz der jungen Demokratie wurden neue gesetzliche Regelungen gefordert. Der erste Entwurf eines Gesetzes, das sich gegen ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus wendete, stammte nicht von der Regierung, sondern von der Opposition. Eiligst hatte die SPD einen Gesetzentwurf zum »Schutz gegen die Feinde der Demokratie« erstellt. Die Vorlage stieß jedoch auf wenig Zustimmung. Die Bundesregierung, voran Bundesjustizminister Thomas Dehler, lehnten die Vorlage rundweg ab. Ein »Sondergesetz«, das sich nur gegen Neonazis richte, verkenne die Bedrohungslage und sei daher der Sache nicht dienlich. Vielmehr müssten die von den Besatzungsmächten abgeschafften politischen Strafrechtsparagraphen wieder im Strafgesetzbuch verankert werden, um auch gegen Kommunisten angewendet werden zu können. Im Bundesjustizministerium arbeitete bereits ein im NS Recht ausgewiesener Fachmann am Entwurf eines derartigen Gesetzes, das nur

3 Amt des Amerikanischen Hochkommissars für Deutschland. 7. Bericht über Deutschland, Die radikale Rechte, 1. April bis 30. Juni 1951, S. 32–41. 4 LAV NRW R: NW 490 Nr. 3, V-Leute Berichte, 21.9.1950. 5 BArch: B 106/17051, Denkschrift vom 21.2.1953. 6 Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 355.

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wenige Jahre nach dem Ende der NS -Diktatur das politische Strafrecht wieder einführen sollte. Sein Name war Dr. Josef Schafheutle.7 Während der NS -Diktatur hatte Schafheutle maßgeblich an der Grund­ legung einer neuen nationalsozialistischen Strafjustiz mitgewirkt. Zunächst als Hilfsreferent, später als Referatsleiter für politisches Strafrecht im Reichs­ justizministerium wirkte er an allen wichtigen Verordnungen und Gesetzen mit. Hierzu gehörten die »Heimtücke-Verordnung« (1933) und das »Heimtücke­ gesetz« (1934)8, die Verordnung zur Bildung von Sondergerichten (1933)9, das Gesetz zur Änderung des Strafrechts und des Strafverfahrens (1934), das eine Ausweitung der politischen Straftatbestände und erhebliche Strafverschärfungen bis zur Androhung der Todesstrafe vorsah.10 Kurz nachdem Schafheutle 1949 aus sowjetischer Haft entlassen worden war, holte Dehler ihn gleich nach Bonn. Nachdem das erste Strafrechtsänderungsgesetz am 30.  August 1951 in Kraft getreten war, wurde der »tüchtige« Jurist vorübergehend Staatsanwalt in Freiburg, ehe er 1954 in das Bundesjustizministerium zurückkehrte. Erneut wurde seine Expertise gebraucht, um ein Straffreiheitsgesetz auf den Weg zu bringen, von dem etliche NS -Parteigänger profitierten, selbst wenn wegen Totschlags gegen sie ermittelt wurde bzw. hätte ermittelt werden müssen.11 Zurück zur Vorbereitung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes. Bereits am 15. Februar 1950 hatte die SPD -Fraktion ihren Gesetz-Entwurf zum Schutz der Demokratie auf den parlamentarischen Weg gebracht. Zweieinhalb Monate später, am 30. Mai 1950 antwortete die Bundesregierung mit einem eigenen Entwurf, der bereits eine deutlich erkennbare antikommunistische Handschrift trug. Mit diesem Gesetz wurde der jungen Bundesrepublik der Kampf gegen den Kommunismus gleichsam als unerfüllter nationaler Auftrag in die Wiege gelegt. Das große Ziel der Nationalsozialisten, mit dem sie die ganze Gesellschaft infiziert hatten, war es gewesen, den »jüdischen Bolschewismus« zu vernichten. Trotz 27 Millionen Toten allein auf sowjetischer Seite war dieses Ziel nicht erreicht worden. Jetzt sollte wenigstens ein von Kommunisten weitgehend befreiter westdeutscher Staat als Bollwerk gegen den Kommunismus in Europa geschaffen werden. Die traumatischen Erfahrungen des verlorenen Krieges und die tiefsitzende Angst, die Sowjets könnten sich eines Tages für die deutschen Gräueltaten rä7 Kramer: Dr. Josef Schafheutle, S. 107–109. 8 »Heimtückegesetz« vom 20. Dezember 1934: http://www.documentarchiv.de/ns/heimtuecke. htm. 9 Verordnung der Reichsregierung zur Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933: http:// www.documentarchiv.de/ns/1933/sondergerichte-bildung_vo.html. 10 Gesetz zur Änderung des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934: http:// www.documentarchiv.de/ns/1933/stgb-landes-hochverrat-volksgerichtshof_ges.html. 11 Kramer: Dr. Josef Schafheutle, S. 107–109. Generell hierzu: Görtemaker/Safferling: Die Rosenburg. Abschließend jetzt: Görtemaker/Safferling: Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS -Zeit.

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chen, bildeten die Grundlage für die Entstehung eines neuen antikommunistischen Nationalismus, der trotzig die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 von Köln bis Königsberg forderte. Für die in ihrer Identität durch die Umbrüche von 1918, 1933 und 1945 verunsicherten Deutschen bildete der Antikommunismus eine »ungebrochene Konstante deutscher Geschichte und damit einen Bereich, der ihnen eine positive Bezugnahme auf ihre nationalsozialistische Vergangenheit erlaubte«12. Ein Gefühl, man habe schon sehr viel früher als die westlichen Mächte gegen den richtigen Feind gekämpft, machte sich breit, je größer die Distanz zur bedingungslosen Kapitulation und das Bedürfnis nach Sinnstiftung für den verlorenen Krieg gegen den Bolschewismus wurden. Der Ausbruch des Koreakrieges13 bot die Chance, den inneren Feind als trojanisches Pferd des äußeren Feindes in Stellung zu bringen. »Wir brauchen ja nicht in koreanische Ferne zu schweifen«, erklärte Bundesjustizminister Dehler bei der Begründung der Wiedereinführung des politischen Strafrechts im Deutschen Bundestag, »denn das Böse liegt so nahe! Für uns genügt das, was in der Ostzone vorgeht. Von dort aus wird mit allen Mitteln der Propaganda, der Wühlarbeit, der Zersetzung der Bundesrepublik gearbeitet, um sie zu Fall zu bringen. Ich glaube, wir können dem nicht tatenlos zusehen. Der Kampfruf ist ja nicht: Hannibal ante portas!, sondern das Trojanische Pferd ist in unserer Mitte, und wir müssen uns dagegen zur Wehr setzen.«14 Am 30. August 1951 trat das erste Strafrechtsänderungsgesetz nach einjähriger intensiver Beratung in Bundestag und Bundesrat in Kraft.15 Die Abgeordneten wussten genau, was für ein problematisches Gesetz sie verabschiedeten. An heftiger Kritik aus den Parlamenten, der Rechtswissenschaft und der Öffentlichkeit hatte es nicht gefehlt. Mehrfach wurde von der Opposition die bedenkliche Nähe der neuen politischen Paragraphen zum Strafrecht des »Dritten Reiches« kritisiert.16 Die Hauptbedenken gingen dahin, dass das Gesetz die Tatbestände viel zu abstrakt formulierte, so dass Freund und Feind in gleicher Weise getroffen werden konnten. Eine klare Bestimmung des Staatsfeindes fehlte, wie der Berichterstatter des Rechtsausschusses im Bundesrat betonte: »Der Gesetzgeber habe es versäumt, Freund und Feind, legales und illegales Tun wirklich zu bestimmen, es vielmehr den Gerichten überlassen, dies nachzuholen. Damit seien die Gerichte überfordert.«17 12 Garbe: Äußerliche Abkehr, Erinnerungsverweigerung und »Vergangenheitsbewältigung«, S. 712. 13 Vgl. Loth: Der Koreakrieg und die Staatswerdung der Bundesrepublik. 14 Verhandlungen des DBT: Stenografische Berichte, 1. WP, 83. Sitzung, 12.09.1950, S. 3108. 15 Erstes Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.8.1951. http://www.documentarchiv.de/brd/1951/ strafrechtsaenderungsgesetz.html. 16 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 1. WP, 83. Sitzung, 12.09.1950, S. 33116 f. und 3188. Gerats: Staat ohne Recht, S. 78–84. 17 Zit. n. Brünneck: Politische Justiz, S. 77.

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Das neue politische Strafrecht war in weiten Teilen ein Gesinnungsstrafrecht, da »für ein und dasselbe Geschehen Kommunisten bestraft, aber Nichtkommunisten frei gesprochen wurden«.18 Das Düsseldorfer Landesgericht formulierte das in einem Verfahren gegen das Westdeutsche Friedenskomitee so: »In verfassungstreuer Absicht geäußerte politische Werturteile sind strafrechtlich wertneutral.«19 Wenn sich dagegen ein Kommunist politisch betätigte, Plakate klebte, Flugblätter oder Zeitungen verteilte, Podiumsdiskussionen organisierte, Post aus der DDR erhielt oder seine Kinder zu einem Ferienaufenthalt in die DDR schickte, musste er damit rechnen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Bevor sich die Gerichte mit den politischen Straftätern befassten, wurden die Verfassungsschützer aktiv, um die richtige oder falsche Gesinnung des Verdächtigen zu ermitteln. Wenige Jahre nach dem Ende der NS -Diktatur wurde das Land mit einem Netz von Überwachung und Bespitzelung überzogen. Alle Beamten und staatlichen Einrichtungen wurden aufgrund der Treuepflicht und der Amtshilfe zur aktiven Unterstützung des Inlandsgeheimdienstes verpflichtet.20 Eine Fülle neuer Paragraphen wurde in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Diese lassen sich in vier Kategorien unterteilen: 1.  Hochverrat, Landesverrat, Staatsgefährdung, 2.  Politische Organisationsarbeit, 3.  Politische Meinungs­ äußerungen, 4.  Politische Kontakte zur DDR . Grundsätzlich sollte das Strafrecht nicht erst wirksam werden, wenn der Staat gewaltsam angegriffen oder Staatsgeheimnisse bereits verraten worden seien, sondern schon im Vorfeld, sobald staatsgefährdende Absichten bekannt wurden und verfolgt werden konnten. Nicht Gewalt oder Gewaltanwendung sollten künftig die entscheidenden Tatbestandsmerkmale sein, sondern die subjektive Absicht, die politische Überzeugung, die kommunistische Gesinnung, die den Staat bedrohten. Mit der Kriminalisierung politischer Gesinnung konnte prinzipiell jede politische Arbeit unterbunden werden, die als kommunistisch und damit als verfassungsfeindlich galt. Bestraft wurden nicht nur potentiell die Verfassung gefährdende Handlungen, sondern schon »die Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen dafür, dass potentiell verfassungsgefährdende Handlungen begangen werden konnten«21. Durch die Kriminalisierung kommunistischer Meinungsäußerungen konnten sowohl Beleidigungen und Verunglimpfungen des Staates, als auch publizistische Tätigkeiten, verfassungsfeindliche Publika­ tionen oder verfassungsverräterische Zersetzung, worunter öffentliche Kritik an Staatsorganen zu verstehen waren, strafrechtlich verfolgt werden. Der Kriminalisierung politischer Kontakte zur DDR dienten vor allem die Paragraphen über verfassungsverräterische Beziehungen. Das Gesetz verzichtete auch hier auf jede 18 19 20 21

Posser: Anwalt im Kalten Krieg, S. 297. Posser: Politische Strafjustiz aus der Sicht des Verteidigers, S. 41. Foschepoth: Staatsschutz und Grundrechte in der Adenauerzeit, bes. S. 40 ff. Brünneck: Strafgesetzgebung der Fünfziger- und Sechzigerjahre, S. 47–75, hier S. 56.

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Die Kriminalisierung

Präzisierung konkreter Tatbestandsmerkmale. Da die Kontaktdelikte nicht nur auf die KPD und andere kommunistische Organisationen beschränkt waren, »erfassten sie in erheblichem Ausmaß auch Nichtkommunisten«22. In einem ersten Grundsatzurteil, dem sogenannten »Fünf-Broschüren-Urteil«23, stellte der Bundesgerichtshof 1952 fest: Staatsauffassung und politische Praxis des Kommunismus stünden zu den Grundsätzen einer freiheitli­ chen demo­k ratischen Gesellschaftsordnung »in schroffstem Widerspruch«. Die kommunistischen Gewalthaber strebten danach, mithilfe »der Macht der Sow­ jetunion auch im Gebiet der Bundesrepublik eine bolschewistische Gewaltherrschaft zu begründen«. Den kommunistischen Führern diene die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands »als Mittel der Tarnung ihrer wahren Absichten, die auf die Errichtung der Gewaltherrschaft über ganz Deutschland zielen«24. Jeder Kontakt zur SED, der Staatspartei der DDR , jede Verbreitung ihrer politischen Ziele, jede Mitgliedschaft in einer von ihr unterstützten Organisation in der Bundesrepublik wurden unter Strafe gestellt. Dies galt natürlich auch für die von der SED gesteuerte KPD. Eine strafrechtliche Verfolgung war jedoch aufgrund des grundgesetzlich garantierten »Parteienprivilegs« erst möglich, wenn ihre Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt worden war.25 Leichter als ein Parteiverbot war politisch und rechtlich ein Verbot politischer Vereinigungen durchzusetzen. Nach Artikel 9 des Grundgesetzes haben alle Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, allerdings mit folgender Einschränkung: »Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.«26 Das Verbot kommunistischer oder kommunistisch beeinflusster Vereinigungen lag in der Zuständigkeit der Länder und war daher ohne die Hürde des Bundesverfassungsgerichts politisch wesentlich leichter durchzusetzen als ein Parteiverbot. Ein Vereinsgesetz kam allerdings erst 1964 zustande. Bis heute liest sich dieses Gesetz weniger als ein Vereinsgesetz als ein Vereinsverbots­ gesetz.27 Oberste Verbotsbehörden sind danach die obersten Landesbehörden, die für Vereine zuständig sind. In der Regel sind das die Landesinnenminister und für Vereine, die sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken, der Bundesminister des Innern.28

22 23 24 25 26 27 28

Ebd., S. 63. Allgemein hierzu: Foschepoth, Überwachtes Deutschland, S. 65 ff. BArch: B 362/1620, BGH: St E 3/52, S. 17. GG: Art 21, Abs. 2. GG: Art 9, Abs. 2. BGBl: I 1964, S. 593–601. BGBl: I 1964, § 3, Abs. 2, S. 593.

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Bis 1964 gab es drei Möglichkeiten für die Exekutive gegen politische Vereinigungen, aber auch gegen Einzelpersonen vorzugehen: 1.  Ein Bundesland, das gemäß Art. 9, Abs. 2  GG das Verbot eines gesetzwidrigen Vereins aussprach, konnte gemäß § 2 des Reichsvereinsgesetzes von 1908 die Auflösung des Vereins anordnen. »Ein Verein, dessen Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, kann aufgelöst werden.«29 2. Wenn eine verfassungs- oder gesetzwidrige Vereinigung nicht nur verboten und aufgelöst, sondern auch dessen Mitglieder strafrechtlich verfolgt werden sollten, war ein Antrag an das Bundesverwaltungsgericht nötig. Dies setzte allerdings voraus, dass es sich um eine größere Organisation wie zum Beispiel die FDJ, die VVN u. ä. handelte. 3. Nach dem Verbot der KPD von 1956 wurden auch Verbot und Auflösung politischer Vereinigungen leichter. Jetzt konnten politisch unliebsame Organisationen auch durch »unmittelbaren polizeilichen Zugriff« aufgelöst werden, wenn nachgewiesen werden konnte, »dass sich eine Tarnorganisation zur ›Ersatzorganisation‹ der KPD entwickelt habe«30. Was waren das für Organisationen, Gesellschaften, Vereine bzw. »Tarnorganisationen«, wie die Bundesregierung kommunistische, kommunistisch beeinflusste oder ihnen gleichgestellte Vereinigungen bezeichnete? Nach Ansicht des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen (BMG) waren diese Vereinigungen wie ein Spinnennetz oder verzweigtes Wurzelwerk miteinander verbunden. Durch den »Eisernen Vorhang« hindurch breiteten sie sich immer mehr im Westen Deutschlands aus. So jedenfalls suggeriert es ein Schaubild in einer Propaganda-Broschüre des BMG: »Augen auf! Kommunismus durch die Hintertür«31. Von Moskau über Prag und Berlin, heißt es darin, »ziehen sich die Spinnenfäden der bolschewistischen Infiltration mit ihren zahllosen Kreuzund Querverbindungen tief in den westdeutschen Raum hinein. Noch liegen die Hauptquartiere der SED und ihrer in der »Nationalen Front« verankerten Satelliten-Parteien und -Organisationen jenseits des Eisernen Vorhangs. Aber schon hat das SED -Politbüro ein Netz von offenen und getarnten Kommandostellen, von wissenden und unwissenden Befehlsempfängern Moskaus über Westdeutschland gezogen.«32 Im Wesentlichen gab es drei Arten kommunistischer oder kommunistisch beeinflusster Organisationen. Zur ersten Gruppe gehörten diejenigen Vereine, Gesellschaften oder Vereinigungen, die in der DDR , von der SED oder in deren Auftrag gegründet und im »Nationalrat der Nationalen Front« zusammengefasst waren. Hierzu zählten »Massenorganisationen« wie die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), der Demokratische Frauen­bund Deutschlands (DFD), aber auch die Gesellschaft für Deutsch-­ 29 Zit. n. Schmidt: Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, S. 31. 30 BayHStA: Minn 97783, Niederschrift der Innenministerbesprechung am 13.12.1956, S. 2. 31 Augen auf! Kommunismus durch die Hintertür, S. 25 ff. 32 Ebd.

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Die Kriminalisierung

Tabelle 1: Verbote KPD naher Organisationen 1951–1960 Land

SH

HH

HB

NI

NW

HE

RP

SL

BW

BY

Summe

Org. DFD

16.04.57 08.04.57 06.04.57 10.04.57 10.04.57 05.04.57 25.02.55 15.01.60

10.04.57 11.08.53 06.04.57

11

GDSF

22.02.56 23.02.56 24.02.56 11.06.52 15.03.56 05.12.52 25.02.55 15.03.56

07.11.52 11.08.53 14.03.56

11

FDJ

28.06.51 27.06.51

03.07.51

9

ZSDR

03.02.58

04.02.58 04.02.58 04.02.58 25.02.55

04.02.58 11.08.53 03.02.58

8

WFLK

03.02.58

04.02.58 04.02.58 04.02.58 25.02.55

04.02.58 11.08.53 01.08.57

8

GALF

16.04.57

11.08.53 06.04.57

8

03.08.51 11.08.53

7

VVN

10.07.51

27.06.51

27.06.51

28.04.51 15.01.60

02.07.51

10.04.57 06.01.58 28.04.51 03.02.58 25.02.55 01.08.51

08.03.57 01.08.51 25.02.55 20.02.53

WANF

08.05.56

10.04.56 15.03.56 21.03.56 25.02.55

14.03.56 02.04.57

7

NF

08.05.56

10.04.56 15.03.56 21.03.56 25.02.55

14.03.56 11.08.53

7

10.04.56 15.03.56 31.03.53

SDA

08.05.56 15.03.57

ADJ

03.02.58

KEFS

08.05.56

25.02.55

11.08.53

7

04.02.58 04.02.58 25.02.55

11.08.53 03.02.58

6

10.04.56 15.03.56

25.02.55

11.08.53

5

03.03.59

25.02.55

11.08.53 02.04.57

4

28.04.51

11.08.53 02.04.57

3

11.08.53

2

11.08.53

2

DKBD DAK FdKBD

03.03.59

03.03.59

25.02.55

DS

3

25.02.55

FBD

03.03.59

25.02.55

WFK

25.02.55

WFFB

25.02.55

2 1

ADV

11.08.53

1

AGF

11.08.53

1

ARP

25.02.55

BGV

1

03.03.59

1

DGKW

11.08.53

1

DJ

26.10.57

1

EKG

25.02.55

GFW

1

03.03.59

1

IDFF

11.08.53

1

IFFF

11.08.53

1

KEB

02.04.57

1

KPGB

11.08.53

1

TFE

25.02.55

1

WAA Summe

11.08.53 11

5

4

10

16

12

23

3

9

32

Quellen: BArch: B 102/3788. LAV NRW R: NW 180/560. Die Statistik basiert auf Berichten und Zusammenstellungen des Bundes und der Länder, vor allem des Verfassungsschutzes.

1 125

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91

Sowjetische Freundschaft (GDSF), die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und andere auch sehr viel kleinere Vereinigungen. Diese und andere verfügten über entsprechende Dependancen in der Bundesrepublik und waren ein wichtiger Bestandteil der Westarbeit der SED.33 Zur zweiten Gruppe gehörten Vereinigungen, die zu spezifisch westdeutschen Frage- und Problemstellungen in der Bundesrepublik gegründet worden waren. Diese waren zumeist auf Weisung der SED von der KPD oder Instrukteuren der SED gegründet worden und meist sehr viel kurzlebiger und bedeutungsloser als die großen Vereinigungen. Hierzu zählten zum Beispiel der »Einheitsverband der Kriegsgeschädigten«, die »Kommunistische Erwerbslosenbewegung« (Bayern) oder die »Tatgemeinschaft für Frieden und Einheit«. Zu den kommunistisch beeinflussten Vereinigungen gehörten diejenigen, die von prominenten nicht kommunistischen Westdeutschen gegründet worden waren und eine Zusammenarbeit mit der KPD nicht scheuten. Zur dritten Gruppe gehörten Organisationen und Vereinigungen, die der KPD nahestanden, aber nicht von ihr gegründet worden waren. Diese sind von wenigen Ausnahmen abgesehen noch nicht erforscht.34 Ihre Hauptfunktion bestand darin, sich so wahrnehmbar wie möglich in den politischen Tageskampf einzumischen, möglichst viele Nicht-Parteimitglieder aus allen Schichten der Bevölkerung zu erreichen und für die Unterstützung politischer Aktionen und Kampagnen der KPD/SED zu werben, so zum Beispiel für die Wiedervereinigung und einen Abzug der Besatzungsmächte, für eine Volksbefragung und den Abschluss eines Friedensvertrags, gegen eine Wieder­bewaffnung und eine atomare Aufrüstung der Bundesrepublik. Dies waren politische Ziele, die keine originär kommunistischen Ziele waren. Staatsgefährdend war nicht die politische Tat zum Beispiel die Teilnahme an einer Demonstration, sondern die politische Absicht, Überzeugung oder Gesinnung, die der Tat zugrundelag. Die Tabelle bietet erstmals eine Zusammenstellung aller Organisationen, die in den Fünfzigerjahren, dem ersten Jahrzehnt des Kalten Bürgerkriegs in Deutschland, verboten worden sind. Insgesamt wurden 125 Verbote in den Ländern ausgesprochen. Einige Organisationen wurden mehrfach verboten, manche im selben Land sogar zwei Mal. Dies war der Fall, wenn ein Verbot vor einem Gericht erfolgreich angefochten, später jedoch ein zweites Mal ausgesprochen wurde. Deutlich wird, dass die Verbote je nach Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt wurden. Die Summe der Verbote in einem Bundesland lassen sich leicht erfassen, in dem man die Spalten von oben nach unten liest. Die Verbote häufen sich in einigen Ländern, wenn Wahlen anstehen, besonders

33 Amos: Die Westpolitik der SED 1948/49–1961. 34 Niederhut: Frohe Ferien in der DDR . Vgl. Kluth: Die KPD in der Bundesrepublik Deutschland, S. 107–113.

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Die Kriminalisierung

auffallend in Bayern und Rheinland-Pfalz. Der größte Teil der KPD nahen Organisationen war politisch unbedeutend. Insgesamt dürfte das Thema »Tarnorganisationen« in der antikommunistischen Propaganda der Bundesregierung stark übertrieben worden sein. Die Tabelle mag anregen, dieses Gebiet genauer zu erforschen. Nach Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes waren die Gerichte gefordert, die vage formulierten Paragraphen und Generalklauseln des neuen politischen Strafrechts zu präzisieren und zu interpretieren. Die nähere Bestimmung der politischen Straftatbestände war Sache des obersten Zivil- und Strafgerichts, des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe. Eine gleichzeitig beschlossene Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes schuf die gesetzliche Grundlage. Danach erhielt der BGH eine einzigartige Monopolstellung. Zuständig war zunächst der Zweite Senat, vom 1. März 1954 an der eigens für politische Strafsachen neu geschaffene Sechste Senat. Dieser war sowohl erste, als auch letzte Instanz. Der BGH musste jedoch nicht jedes Verfahren selbst entscheiden, sondern konnte dieses auch an ein anderes Gericht delegieren. Fiel die Entscheidung anders aus als erwartet, konnte der zuständige Staatsanwalt Revision einlegen, womit das Verfahren wieder beim BGH als einziger Revisionsinstanz landete. Die Forderung des Deutschen Bundestags, wie in einem rechtsstaatlichen Gerichtswesen üblich, auch für politische Strafverfahren einen zweiten, unabhängigen Rechtsweg für Revisionsverfahren einzurichten, wurde von der Bundesregierung abgelehnt, um den »bundeszentrierten Staatsschutz« (Dehler) nicht zu gefährden. Erst mit Gesetz vom 8. September 1969 wurde auch für politische Strafverfahren ein zweiter Rechtszug eingeführt.35 Alle Fäden des politischen Staatsschutzes liefen somit beim Oberbundes­ anwalt bzw. Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof, wie der offizielle Titel seit 1957 lautete, zusammen. Dieser war nicht nur für alle wichtigen Verfahren zuständig, sondern konnte auch jedes andere Verfahren an sich ziehen, was die erstinstanzliche Zuständigkeit des BGH deutlich erweiterte. Gebunden an die Weisungen der Bundesregierung war der Oberbundesanwalt die Verbindungsstelle zwischen Politik und Justiz, Justiz und Politik. Damit war sichergestellt, dass bei der Verfolgung politischer Delikte, vor welchem Gericht auch immer, nicht nur nach rechtlichen, sondern auch nach politischen Gesichtspunkten entschieden wurde. Immer wieder bekam der Oberbundesanwalt über den ­Bundesjustizminister Order von der Bundesregierung, zum Beispiel unmittelbar nach der Bundestagswahl 1953, als die KPD aus dem Bundestag ausgeschieden war und die ehemaligen Abgeordneten der KPD ihre Immunität verloren hatten. Ausführlich wurde im Bundeskabinett unter politischen Opportunitäts-

35 BGBl: I 1969, S. 1582. Vgl. auch Nedelmann: Die Gewalt des politischen Staatsschutzes und ihre Instanzen, S. 100–122.

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gesichtspunkten beraten, wer von den 14 KPD -Abgeordneten verhaftet werden sollte und wer nicht. Der Oberbundesanwalt handelte entsprechend.36 Die Hauptlast der Verfolgung politischer Straftaten lag bei den Landesgerichten. Nach nationalsozialistischem Vorbild wurde dazu wieder eine »Sondergerichtsbarkeit« geschaffen, obwohl diese von den Besatzungsmächten ausdrücklich abgeschafft worden war. Auch das Grundgesetz übernahm dieses Verbot: »Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.«37 Für den gesetzlichen Richter galt und gilt in einem Rechtsstaat das Wohnortprinzip. Das zuständige Gericht ist das Gericht, in dem der Angeklagte seinen Wohnsitz hat. Das Amtsgericht als erste Instanz, das e­ ntsprechende Landesgericht als Berufungsinstanz und der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz. Zwar dürfen laut Grundgesetz Gerichte für besondere Sachgebiete wie zum Beispiel Jugend, Soziales oder Verwaltung eingerichtet werden. Doch gelten auch für sie das Rechtstaatlichkeits- und damit das Wohnortprinzip. Einzige Ausnahme war und blieb bis 1969 die politische Strafgerichtsbarkeit. Natürlich durften die neu geschaffenen Strafgerichte wegen des zu starken NS -Bezugs nicht mehr »Sondergerichte« heißen. Stattdessen wurden sie jetzt »Sonderstrafkammern« bzw. »74a-Strafkammern«38 genannt. Wie in der NS Zeit waren die Sonderstrafkammern aber wieder an den Landesgerichten unter­ gebracht, in deren Bezirke das jeweilige Oberlandesgericht seinen Sitz hatte. So kam es, wie die folgende Übersicht deutlich macht, dass die Sonderstrafkammern zumeist an den Standorten und auch in den Gebäuden tätig wurden, in denen bis vor wenigen Jahren die NS -Sondergerichte ihre Urteile gegen kommunistische und sonstige politische Straftäter gefällt hatten. Die Sonderstrafkammern waren für alle Staatsschutzdelikte zuständig, die nicht der Oberbundesanwalt als Vertreter der Bundesregierung an sich gezogen hatte und vor dem BGH verhandelt wurden. Der Großteil der politischen Verfahren lag zunächst im Bereich »Staatsgefährdung«, mit Schwerpunkt auf Organisationsdelikten (verfassungsfeindliche Vereinigung, Geheimbündelei, kriminelle Organisation), die insbesondere Mitgliedern politischer Vereinigungen, die der KPD nahestanden, vorgeworfen wurden. Nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD durch das Bundesverfassungsgericht im August 1956 kamen jetzt Verfahren wegen Verstoßes gegen das KPD -Verbot hinzu. Der BGH führte zunächst einen »Musterprozess«. War das höchstrichterliche Urteil gefällt, wurden die weiteren Prozesse nach diesem »Muster« von den Sonderstraf­kam­mern abgewickelt. Gegen die Urteile war, wenn überhaupt,

36 BArch: B 106/200794. 37 GG: Art. 101, Abs. 1. 38 Schiffers: Bürgerfreiheit und Staatsschutz, S. 358 f.

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Grafik 3: Sonderstrafkammern für politische Straftaten in der Bundesrepublik 1951–1968 Flensburg

Oldenburg Bremen Dortmund Düsseldorf Köln Koblenz Frankenthal Saarbrücken Karlsruhe Stuttgart

Hamburg Lüneburg Braunschweig

• 18 Sonderstrafkammern und 1 Sondersenat (BGH, Karlsruhe) für politische Straftaten • BGH: Erst- und Letztinstanz, kein unabhängiger Revisionsweg • Generalbundesanwalt (BGH) kann jedes Verfahren an sich ziehen

• Je 3 LG- und 5 BGH-Richter waren zuständig für 50 Millionen Bürger Bamberg • politische Straftäter schlechter Nürnberg gestellt als gemeine Straftäter (Wohnort nahe, ordentliche Gerichte, unabhängiger Revisionsweg)

Frankfurt

München

• Unterstrichene Standorte von Sonderstrafkammern identisch mit denen von Sondergerichten in der NS-Zeit

Quellen: Gerats: Staat ohne Recht, Übersicht Sonderstrafkammern, S. 273. Fürst: Reformen im politischen Strafrecht in der Zeit des Dritten Reiches, Sondergerichte, S. 81.

nur vor dem BGH eine Revision möglich. Da dieser sich im erstinstanzlichen »Musterprozess« be­reits festgelegt hatte, war eine erfolgreiche Revision eher unwahrscheinlich.39 Die Gerichtsbarkeit in politischen Strafsachen war auf wenige, insgesamt nur 17 Sonderstrafkammern und einen Sondersenat beim BGH konzentriert. Bei fünf Berufsrichtern im Sondersenat des BGH und drei Berufsrichtern in den Sonderstrafkammern an den Landesgerichten lag die politische Strafjustiz in den Händen von 56 Berufsrichtern. Hinzukamen noch je zwei, in Summe 34, Schöffen an den Landesgerichten. Zum Vergleich gab es in der Bundesrepublik allein 891 Amtsgerichte und 92 Landesgerichte sowie 17 Oberlandesgerichte40, die eine wohnortbezogene, rechtsstaatliche Zuständigkeit und Vielfalt der Entscheidungen, Berufungs- und Revisionsverfahren hätten garantieren können. Eine solche Vielfalt war für die politische Justiz seitens der Bundesregierung nicht gewollt. Vielmehr sollten die politischen Strafverfahren über den BGH und den Oberbundesanwalt zentral gesteuert, möglichst einheitlich entschieden und zeitlich zügig abgewickelt werden. Diese Vorgaben wurden auch weitgehend erreicht.41 Dies lag nicht zuletzt an der Auswahl der für eine solche Tätig39 Posser: Anwalt im Kalten Krieg, S. 127 f. 40 Gerats: Staat ohne Recht, S. 272 f. 41 Ebd., S. 193 f.

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keit als besonders geeignet geltenden Richter. Ausgewählt wurden »besonders hochwertige« und »politisch zuverlässige« Richter, die, im Bewusstsein einer exklusiven Gruppe von Richtern anzugehören, relativ rasch einen besonderen »Korpsgeist« entwickelten. Dieser wurde durch die gemeinsame Sozialisation und Karriere während der NS -Zeit zusätzlich gefördert.42 Bekanntlich gehörten die Juristen zu jenen, die die nationalsozialistische Diktatur völlig unbeschadet überstanden haben. Bereits 1947/48 waren »90 % aller Richter und Staatsanwälte in den drei Westzonen solche, die schon im NS -Staat Dienst getan hatten«43. Das erste Strafrechtsänderungsgesetz gehörte zu den am meisten und schärfsten kritisierten Gesetzen der jungen Bundesrepublik. Es wurde insgesamt sieben Mal geändert oder ergänzt, ehe es 1968 mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz grundlegend revidiert wurde. Bei Einbringung des Reformgesetzes in den Bundesrat begründete der Hamburger Justizsenator Heinsen die Liberalisierung des politischen Strafrechts mit der politischen Notwendigkeit und Dringlichkeit, »die erheblichen rechtsstaatlichen und rechtspolitischen Mängel unseres politischen Strafrechts zu beseitigen, die Inflation der Straftatbestände einzuschränken, die einzelnen Tatbestände klarer zu bestimmen, die vorhandenen Ansätze zu einem Gesinnungsstrafrecht auszumerzen und schließlich die menschlichen Beziehungen zwischen den Bürgern beider Teile Deutschlands zu erleichtern und damit allgemein zur Entkrampfung und Entspannung beizutragen«44. Parallel zum Strafrechtsänderungsgesetz wurde 1950 das »Gesetz über das Bundesverfassungsgericht«45 auf den parlamentarischen Weg gebracht. Dem höchsten Gericht wurden darin zwei besondere Befugnisse für den Kampf gegen die »Feinde der Demokratie« übertragen, erstens die Verwirkung von Grundrechten und zweitens die Feststellung der Verfassungswidrigkeit und die Möglichkeit des Verbots einer politischen Partei. Wiederum war es die oppositionelle SPD, die bereits am 14. Dezember 1949 einen ersten Entwurf in den Bundestag einbrachte. Es dauerte zweieinhalb Monate, ehe das Bundesjustizministerium am 28. Februar 1950 einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen konnte. Diesen Entwurf hatte Willi Geiger ausgearbeitet, der nach Erledigung dieser Aufgabe an den Bundesgerichtshof in Karlsruhe wechselte. 1951 wurde er für zehn Jahre zum Senatspräsidenten am BGH und gleichzeitig zum Richter im 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt, eine Position, die er bis 1977 inne hatte. Auch Geiger hatte eine braune Vergangenheit. 1933 war er der SA, 1937 der NSDAP beigetreten. 1938 stieg er zum Rottenführer der SA auf. Von 42 Pauli: Über die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Staatsschutzsachen gegen Kommunisten, S. 98. 43 Diestelkamp: Die Justiz nach 1945 und ihr Umgang mit der eigenen Vergangenheit, S. 145. 44 BArch: B 141, 25425, Bulletin, 28.6.1968. Hege: Recht und Justiz, S. 181–219. 45 BGBl: I 1951, S. 243. Auch in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 430–449.

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1939 an wirkte er als Dezernent für Sondergerichtssachen bei der Staatsanwaltschaft Bamberg an mehreren Todesurteilen für Bagatelldelikte mit.46 Im System der präventiven politischen Strafverfolgung bekam das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Funktion. Neben der Feststellung der Verfassungswidrigkeit politischer Parteien war es gemäß GG Art. 18 auch für die Verwirkung von Grundrechten zuständig. Näheres regelte das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG), das nach langen politischen Auseinandersetzungen am 12. März 1951 in Kraft trat. Weitere sechs Monate vergingen, ehe das Bundesverfassungsgericht am 28. September 1951, zwei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, eröffnet wurde. Von nun an konnten seitens des Bundestages, der Bundesregierung oder einer Landesregierung Anträge auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei oder auf Verwirkung von Grundrechten gestellt werden. In der Öffentlichkeit wurde bereits seit über einem Jahr – angestoßen von Bundesjustizminister Dehler (FDP) – über die Frage eines Verbots der KPD diskutiert. Bereits im Februar 1950 hatte er in mehreren Zeitungsinterviews erklärt, »eine der ersten Aufgaben des geplanten Bundesverfassungsgerichts würde die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der KPD sein«47. Der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei kann vom Bundestag, Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden.48 Erweist sich der Antrag als begründet, stellt das Bundesverfassungsgericht fest, »dass die politische Partei verfassungswidrig ist«49 Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit ist gemäß BVerfGG auch die Auflösung der Partei und das Verbot der Bildung von Ersatzorganisationen verbunden. Außerdem kann das Bundesverfassungsgericht auch die Einziehung des Parteivermögens »zugunsten des Bundes oder Landes zu gemeinnützigen Zwecken aussprechen«50 Große Bedeutung für die präventive politische Strafverfolgung erhielt die Bestimmung, wonach vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, etwa die Schaffung einer Ersatzorganisation, »mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten«51 zu bestrafen war. Neben dem neuen politischen Strafrecht, der Schaffung einer Sondergerichtsbarkeit und den speziellen Befugnissen des Bundesverfassungsgerichts wurde noch eine vierte wichtige Säule geschaffen, ohne die eine auf Verfolgung politischer Gesinnungen zielende strafrechtliche Verfolgung nicht funktionieren konnte: das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Die Frage eines Inlandsgeheimdienstes traf einen wunden Punkt der Deutschland- und Besatzungs­ 46 47 48 49 50 51

Kramer: Dr. Willi Geiger, S. 132–134. Die Neue Zeitung, 45 (1950), 22.2.1950. BVerf GG : § 43, Abs. 1. Ebd., § 46, Abs. 1. Ebd., § 46, Abs. 3. Ebd., § 42.

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politik der Westmächte. Zum einen sollte es nie wieder einen mit weitreichenden exekutiven und polizeilichen Kompetenzen ausgestatteten deutschen Geheimdienst nach dem Muster der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) während der NS Diktatur geben. Andererseits waren die Westmächte zunehmend daran interessiert, professionell arbeitende deutsche Geheimdienste als Partner der alliierten Geheimdienste zu bekommen. Das Ergebnis war ein Spagat, der zu zahlreichen Beschränkungen und Auflagen bei der Gründung des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz führte.52 Das, was die Siegermächte zunächst strikt untersagt hatten53, die Wiederein­ richtung einer politischen Polizei, rückte mit Gründung der Bundesrepublik wieder in den Bereich des Möglichen. Allerdings sollte es keine zentrale Behörde, sondern ein Geflecht von verschiedenen, sich in ihren Aufgaben wechselseitig überschneidenden und von einander abhängigen Bundes- und Landesbehörden geben. Am 14. April 1949 hatten die Militärgouverneure der drei Westmächte dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer, ein ­Schreiben übergeben, das als »Polizei-Brief« in die Geschichte eingegangen ist. Mit diesem Schreiben wurde es einer künftigen Bundesregierung gestattet, unverzüglich verschiedene »Bundespolizeibehörden« und sonstige »Bundesorgane« einzurichten, unter anderem auch »eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten«54. Aufgrund dieser Ermächtigung der Besatzungsmächte wurden gleich zwei Bestimmungen zum »Verfassungsschutz« in das Grundgesetz aufgenommen. GG Art.  87 gestattete es dem Bund, eine Zentralstelle »zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes« einzurichten. GG Art. 73 bestimmte, dass es ausschließlich Sache des Bundes war, die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder »zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz)« gesetzlich zu regeln. Nach Gründung der Bundesrepublik machte sich die Bundesregierung gleich ans Werk, um das, was möglich war, in die Tat umzusetzen. So entstand in hartem Ringen mit den Bundesländern ein diversifiziertes System institutioneller politischer Überwachung und Strafverfolgung, dessen operativen Rechte und Kompetenzen vor allem bei und in den Ländern lagen. Erst nach und nach gelang es dem Bund, auf die »Gerichtshoheit«, »Überwachungshoheit« und »Polizeihoheit« der Länder verstärkten Einfluss zu gewinnen. Nach dem Willen der Besatzungsmächte wurden dabei dem Bund nur koordinierende und keines52 Foschepoth: Überwachtes Deutschland, S. 130 ff. Vgl. auch: Goschler/Wala: »Keine neue Gestapo«. 53 Kontrollratsgesetz Nr.  31, Polizeibüros und -agenturen politischen Charakters: http:// www.verfassungen.de/de/de45-49/kr-gesetz31.htm. 54 »Polizei Brief«, 14.4.1949. http://www.verfassungen.de/de/de49/grundgesetz-schreiben49-3. htm.

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wegs operative Funktionen übertragen. Entsprechend trat am 27.  September 1950 nicht etwa ein Gesetz über den Bundesverfassungsschutz in Kraft, das detailliert dessen Aufgaben und Zuständigkeiten regelte, sondern ein »Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes«55. In diesem Gesetz wurden Bund und Länder zu enger Zusammenarbeit verpflichtet, die eine gegenseitige Unterstützung und Hilfeleistung einschloss. Für die Zusammenarbeit mit den Ländern sollten der Bund ein Bundesamt für Verfassungsschutz gründen und die Länder eine für diesen Zweck zuständige Behörde benennen. Aufgabe des Bundesamtes war »die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über Bestrebungen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land« zum Ziele haben würden. Ausdrücklich wurde betont, dass das Bundesamt keine Polizei- oder Kontrollbefugnisse habe. Nur hinsichtlich der institutionellen Verpflichtung zur Zusammenarbeit, insbesondere bei Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gar eines Angriffs auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes oder eines Landes war die Bundesregierung gegenüber den obersten Landesbehörden weisungsbefugt. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wurde dem Kölner Bundesamt erst 1972 gesetzlich erlaubt, wenngleich der Verfassungsschutz derartige Mittel – offensichtlich gesetzeswidrig – schon von Anfang an eingesetzt hatte. Ein Gesetz, das die Kompetenzen und Zuständigkeiten des Bundesamtes umfassend regelte, wurde erst nach dem Fall der Mauer am 19. Dezember 1990 in Kraft gesetzt.56 Am 7.  November 1950 wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sitz in Köln durch Organisationserlass der Bundesregierung gegründet. Anders als es die strengen Auflagen der Alliierten hätten vermuten lassen, entwickelten sich die Verfassungsschutzämter auf Bundes- und Länderebene sehr schnell über den eng gesetzten Rahmen hinaus. Den Forderungen der Besatzungsmächte »nach weitgehendsten Sicherheiten für die Freiheit der Staatsbürger« versuchte man zunächst formell, etwa durch deutliche Abgrenzung von Polizei und Verfassungsschutz, noch gerecht zu werden. Informell wurde jedoch ein dichtes System »organischer Zusammenarbeit« geschaffen, wie Bundesinnenminister Lehr es ausdrückte, mit dem Ziel, die von den Alliierten aufgestellten Barrieren möglichst geräuschlos zu umgehen.57 Nachrichten über »staatsgefährdende Bestrebungen« bezog das Bundesamt nicht nur über die Landesämter für Verfassungsschutz, sondern auch über eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei, den Staatsanwaltschaften und ­anderen staatlichen Behörden und Einrichtungen. Zugleich verfügte der Verfassungs55 BGBl: I 1950, S. 682. 56 Bundesverfassungsschutzgesetz, 20.12.1990. 57 BArch: B 106/16106, Bund-Länderkonferenz, 7.2.1952.

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schutz über eigene Quellen und V-Leute, eigene Außenstellen entlang der Grenze zur DDR und enge Kontakte zu den Geheimdiensten der Besatzungsmächte. Selbst in der DDR hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits zu Beginn der Fünfzigerjahre eine eigene Organisation aufgebaut.58 Darüber hin­ aus erhielten die Verfassungsschutzämter, insbesondere das Kölner Bundesamt, immer mehr Einwirkungsmöglichkeiten auf die Strafverfolgung. Von der Bereitstellung und Qualität der Beweismittel durch den Verfassungsschutz hing entscheidend der Ausgang politischer Strafverfahren ab. Verfassungsschützer wurden an Beschlagnahmungen, Durchsuchungen und Vernehmungen beteiligt, ohne dass Ihre Namen im Protokoll erwähnt wurden, und wirkten selbst als Zeugen der Anklage indirekt oder direkt mit. Polizeibeamte »verhörten« V-Leute und traten in Prozessen als »Zeugen vom Hörensagen« auf. Selbst beim Bundesgerichtshof war die Anhörung von V-Leuten als Zeugen gängige Praxis.59 Einer Leistungsbilanz des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 1960 ist zu entnehmen, welch enormes Ausmaß die politische Strafverfolgung in den Fünfzigerjahren angenommen hatte und welch dominierende und verfahrensbestimmende Rolle das Bundesamt darin spielte. Innerhalb von sechs Monaten hatte die zentrale Sammelstelle für Beweismaterial in Staatsschutzsachen folgende Sendungen bekommen: 317 Anklageschriften, 156 Anträge auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung, 1.366 Einstellungsverfügungen von Verfahren und 323 Urteile. Aufgrund der Auswertung dieser Materialien entwickelte das Kölner Amt eine umfangreiche Gutachtertätigkeit für alle Gerichte und Staatsanwaltschaften, die in der poltischen Strafjustiz tätig waren. Innerhalb von knapp zwei Jahren (1959/60) waren dies insgesamt 3.427 gutachterliche Stellungnahmen und Mitteilungen an den Bundesgerichtshof und den Generalbundesanwalt und 2.999 gutachterliche Stellungnahmen und Mitteilungen an sonstige Gerichte und Staatsanwaltschaften. So liefen beim Bundesamt für Verfassungsschutz »sämtliche Erkenntnisse, die auf nachrichtendienstlichem Wege wie auch im Zuge der Strafverfolgung gewonnen worden sind«60, zusammen. Über den Weg der Gutachtertätigkeit beeinflussten die Kölner Geheimdienstler wiederum das »bundeszentrierte« System der politischen Strafverfolgung in der Bundesrepublik. Seit Beginn des Kalten Bürgerkriegs war der Inlandsgeheimdienst in kurzer Zeit – ohne gesetzlichen Auftrag – zu einer verfahrensbestimmenden Größe im Justizsystem der Bundesrepublik geworden. Bis heute ist die Rolle der V-Leute im Strafprozess noch nicht gesetzlich geregelt. Auf Länderebene sah es nicht anders aus. Behörden und Dienststellen waren verpflichtet, dem Verfassungsschutz alles mitzuteilen, was ihnen an »verfas58 HStAS: EA 2/301, Bü 71. 59 LAV NRW W: Q 211/6814. 60 BArch: B 106/316369, BfV an BMI, 26.10.1960.

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sungswidrigen Bestrebungen« zur Kenntnis kam. In Bayern hatten sämtliche staatlichen und kommunalen Dienststellen jede Form von Amtshilfe zu l­eisten, »bis zur Bereitstellung von Schreibkräften und Verkehrsmitteln«61. In BadenWürttemberg wurden Oberschulämter und Schulen in die Berichtspflicht gegenüber dem Verfassungsschutz einbezogen. Der Verfassungsschutz bekam sogar direkten Zugang zu den Amtschefs und Schulleitern. »Zwischen den Oberschulämtern und dem Landesamt für Verfassungsschutz sowie den Außenstellen dieses Amts erfolgt in Verfassungsschutzangelegenheiten im Einvernehmen mit den Innenministerium ein unmittelbarer Verkehr.«62 Wenn bei Steuererklärungen oder Betriebsprüfungen Spenden an eine verbotene politische Organisation festgestellt wurden, musste auch dieses mitgeteilt werden. Die Auskunftspflicht hatte laut Anweisung des baden-württembergischen Finanzministers »Vorrang vor den Bestimmungen über die Wahrung des Steuergeheimnisses«63. Auch die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei hielt sich nicht an den gesetzlichen Rahmen. Obwohl es immer wieder Abgrenzungsprobleme und Kompetenzstreitigkeiten gab, arbeiteten Verfassungsschutz und Polizei eng zusammen. Manche »kreative Lösung« wurde gefunden, um die gesetzliche Trennungspflicht zu umgehen. Die Zusammenarbeit bei der Ermittlung strafbarer politischer Handlungen mache es erforderlich, so der baden-württembergische Innenminister Ulrich an das Stuttgarter Staatsministerium, »dass bei dem Landesamt für Verfassungsschutz auch Polizei-(Kriminal-)beamte verwendet werden, die im Bedarfsfall gleichzeitig in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamte und Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft tätig werden können«. Der Grundsatz, dass der Verfassungsschutz keine polizeilichen Befugnisse habe, bleibe zwar bestehen, doch erscheine es zweckmäßig, »bezüglich der polizeilichen Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz keine ausdrückliche Bestimmung mehr zu treffen«64. Die Zusammenarbeit vor Ort wurde vielfach durch »mündliche Vereinba­ rungen zwischen dem Leiter der Außenstelle des Landesamts für Verfassungsschutz und dem Leiter der Kriminalhauptstelle geregelt«65. Noch einfacher war es, wenn Polizei und Verfassungsschutz in einem Gebäude untergebracht wurden, um »sehr eng und planmäßig zusammenzuarbeiten«. So wurde beim ­Landeskriminalamt Baden-Württemberg eine Dienststelle für politische Straftaten (D 5) eingerichtet. »Sie ist räumlich dem Landesamt für Verfassungs61 HStAS: EA 2/301 Bü 76, Amt für Verfassungsschutz will keine Gestapo sein, Süddeutsche Zeitung vom 13.10.1950. 62 HStAS: EA 2/301 Bü 76, Kultusministerium BW an Innenministerium BW, 4.5.1953: 63 HStAS: EA 2/301 Bü 76, Finanzminister Frank an die Oberfinanzdirektionen seines Landes am 22.4.1953. 64 HStAS: EA 2/301 Bü 76, Landesinnenminister Ulrich an das Staatsministerium Stuttgart, 16.10.1952. 65 Ebd., Regierungspräsidium Südbaden an Innenministerium Baden Württemberg, 15.5.1953.

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schutz angegliedert und dadurch in der Lage, jederzeit in dessen Karteien und Unterlagen Einsicht zu nehmen. Damit erübrigt sich gleichzeitig, dass das Landeskriminalamt eigene umfangreiche Karteien und Sammlungen unterhält.«66 Anfang 1958 gingen die Schwaben noch einen Schritt weiter, um sich der gesetzlichen Schranken des Staatsschutzes zu entledigen. Der Leiter der Abteilung 5 des Landeskriminalamts, Erwin Stimpfig, übernahm in Personalunion auch die Leitung der Abteilung 5 des Landesamtes für Verfassungsschutz. Jetzt lagen in Baden-Württemberg nachrichtendienstliche Tätigkeit und politische Strafverfolgung in einer Hand.67 Mit den sogenannten »Unkeler Richtlinien«68, die am 8. Oktober 1954 von einer Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder beschlossen wurden, bekam der Verfassungsschutz weitere exekutive Funktionen, die ihm faktisch das Recht einräumten, der Polizei Anweisungen zu erteilen. Die neuen, geheim gehaltenen Richtlinien stellten nicht nur einen schweren Verstoß gegen die Verfassungsschutzgesetze, sondern auch einen schweren Eingriff in die Strafjustiz, insbesondere in die Strafprozessordnung dar. Nach § 161 StPO ist die Polizei das Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft, handelt selbständig und übermittelt unverzüglich das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft. In den Unkeler Richtlinien heißt es dagegen: »In Fällen von besonderer Bedeutung unterrichtet die Polizei vor Durchführung von Exekutivmaßnahmen den Verfassungsschutz. Solche Maßnahmen werden von der Polizei im Benehmen mit dem Verfassungsschutz durchgeführt.«69 Künftig bestimmte der Verfassungsschutz, gegen wen und gegen wen nicht ermittelt werden konnte. Geschützt wurden dadurch vor allem die V-Leute des Verfassungsschutzes. Diese waren in großer Zahl in der KPD, aber auch in ­anderen, unter Kommunismusverdacht stehenden Organisationen aktiv. Auch »umgedrehte« V-Leute und Spione, die vorher für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR gearbeitet hatten, profitierten von der neuen Regelung. Durch Eingreifen des Verfassungsschutzes in polizeiliche Ermittlungen konnte und sollte die Einleitung von Strafverfahren wegen früher begangener Straf­taten wie zum Beispiel Spionage gegen die Bundesrepublik verhindert werden. Faktisch kam dies einer Strafvereitelung im Amte gleich. An der Vorbereitung der Unkeler Richtlinien war die Justiz nicht beteiligt worden. Bundesanwalt beim BGH Wagner übte daran auf einer Tagung der Oberstaatsanwälte harte Kritik und belegte diese mit Beispielen aus der ­Praxis. Wiederholt hätten Verfassungsschutzstellen bei der Polizei die Entlassung Fest66 Ebd. 67 NACP: RG 59, 762A.52/10-1658. American Consul General Allen B. Moreland to Department of State Washington, 16.10.1958. 68 BArch: B 106/316369, Unkeler Richtlinien, nur für den internen Dienstgebrauch, 8.10.1954. 69 Ebd.

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genommener erwirkt, um die Beschuldigten für eigene Zwecke einsetzen zu können. Die Staatsanwaltschaft sei davon erst verspätet unterrichtet worden, ohne noch etwas ändern zu können. In einem anderen Fall habe die Polizei »unter Überlassung der Vorgänge« das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz unterrichtet, mit dem Ergebnis, »dass die Akten erst nach vier Jahren zur Durchführung von Exekutivmaßnahmen zurückgegeben wurden«. In einem weiteren Fall war der Verfassungsschutz über einen Haftbefehl gegen einen KPD -Funktionär informiert, kannte dessen Aufenthaltsort, unterließ aber »die Bekanntgabe seines Aufenthaltes an die Polizei und vereitelte damit die alsbaldige Vollstreckung des Haftbefehls«. Die Belange der Strafjustiz seien zunehmend außer Acht gelassen worden. Dem Verfassungsschutz und den übrigen Sicherheitsbehörden sei vielmehr »eine Hegemonie über die Polizei und damit mittelbar auch über die Justiz verliehen worden, die mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren«70 sei. Die Wiedereinführung der politischen Justiz 1951 führte nicht nur zu einer Kriminalisierung der KPD, sondern auch zu einer antikommunistischen Politisierung des jungen westdeutschen Staates. Diesem mangelte es in den frühen Jahren der Bundesrepublik an der notwendigen Unterstützung der Bevölkerung und der Treue seiner Beamten. Adenauer selbst verfolgte eine Doppelstrategie, um diesem Missstand abzuhelfen. In einem vertraulichen Gespräch mit dem britischen Außenminister Morrison sagte der Kanzler, »dass sich ein Ausländer von dem Umfang der Tätigkeit der fünften Kolonne in Deutschland kaum ein richtiges Bild mache könne«. Er war überzeugt, »dass in vielen Behörden Leute säßen, die aus Angst und Furcht vor der kommenden Entwicklung sich der Macht Sowjetrusslands willfährig zeigten und jedenfalls den Bestrebungen der fünften Kolonne keinen Widerstand entgegensetzten. Zur Sicherung des Staates sei es außerordentlich wichtig, dass die Menschen, insbesondere die Jugend, das Gefühl der Sicherheit gegenüber dem Osten bekämen.«71 Das Bekenntnis zum neuen Staat wurde mit einer deutlich erkennbaren Ablehnung des Kommunismus in all seinen Facetten verbunden. Bei einer Mitarbeit in der KPD oder in anderen kommunistischen Organisationen, auch wenn die Partei oder die Organisationen nicht verboten waren, drohten harte Maßnahmen bis zur Entfernung aus dem öffentlichen Dienst.72 Die Treuepflicht wurde zur Anzeigepflicht, wenn das Wohl des Staates bedroht war. So wurde 70 BMJ-Archiv Berlin: 4021/1. Bundesanwalt Dr. Wagner, Strafjustiz und Sicherheitsbehörden, S. 11 f. 71 Adenauer: Erinnerungen, 1945–1953, S.  497. Gespräch mit Morrison in Bonn am 19.5.1951. 72 Politische Betätigung von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung, hier: Dienstanweisung Adenauers an Bundesbedienstete. Beschluss der Bundesregierung vom 19.9.1950, in: http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0001/ k/k1950k/kap1_2/kap2_65/para3_5.html.

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der »Beamte verpflichtet, strafbare Handlungen, die sich unmittelbar gegen den Staat richten und dessen Bestand gefährden, zur Anzeige zu bringen«73. Erstaunlich ist, wie willkürlich der neue Staat in seinem Kampf gegen den Kommunismus mit Recht und Gesetz umging. Dies gilt nicht nur für die Strafgerichtsbarkeit, sondern auch für andere Bereiche der Justiz, etwa für die Verwaltungs- und Arbeitsgerichte, wenn diese sich mit Entscheidungen der Exekutive zu befassen hatte. So hatten Arbeitsgerichte immer wieder über ordentliche oder fristlose Kündigungen von Beschäftigten in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst zu entscheiden. Die Meinungen der Gerichte waren zunächst durchaus geteilt. So hieß es in einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Bremen klar und deutlich: »Solange das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der KPD noch nicht festgestellt hat, kann sich niemand darauf berufen, dass diese Partei verfassungswidrig sei.«74 Andere wie das Arbeitsgericht Stuttgart teilten die Auffassung, dass die Zugehörigkeit zur KPD und die Betätigung für diese Partei »nicht staatsfeindlich« sei, schränkten jedoch ein, dass Angehörige im öffentlichen Dienst aufgrund »einer gesteigerten Treue- und Gehorsamspflicht« gewisse Beschränkungen ihrer Grundrechte hinnehmen müssten.75 Ähnlich sah das auch das Landesarbeitsgericht Frankfurt. Danach hatten die Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf gewisse »Grundfreiheiten« wie die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei zu verzichten, auch wenn dies im Widerspruch zum Grundgesetz in einem Arbeitsvertrag des Staates gefordert wurde. »Es kann somit die fristlose Entlassung ohne Verstoß gegen verfassungsmäßige Grundrechte zulässig sein.«76 Die Bayern gingen noch einen Schritt weiter und hebelten nicht nur Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes aus, sondern hoben auch noch die Gleichheit vor dem Gesetz auf. So hieß es in einem Urteil des Landesarbeitsgerichts München: »a) Bloße Zugehörigkeit zur KPD stellt im öffent­ lichen Dienst einen Grund zur fristlosen Entlassung dar. b) Bloße Zugehörigkeit zur KPD in der Privatwirtschaft rechtfertigt grundsätzlich eine fristgemäße Kündigung«77. Das Bundesarbeitsgericht setzte allem noch die Krone auf, als es urteilte, »dass verfassungsfeindliche Tätigkeit eines Staatsbürgers nach den allgemeinen Rechtsvorschriften beurteilt werden kann, und zwar unabhängig von der noch immer ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit der KPD selbst«.78

73 BArch: B 141/3834. Der Bundesminister des Innern an verschiedene Bundesministerien und Behörden, 3.10.1952. 74 HStAS: EA2/203 Bü 843. LArbG Bremen, Urteil vom 6.6.1951. 75 Ebd., LArbG Stuttgart, Urteil vom 22.12.1951. 76 Ebd., LArbG Frankfurt, Urteil vom 11.9.1951. 77 Ebd., LArbG München, Urteil vom 8.5.1952. 78 BArch: B137/1344, BAG Kassel, Urteil vom 29.2.1956.

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Die Kriminalisierung

So setzte sich auch im Arbeitsrecht die Auffassung durch, dass allgemeine Rechtsvorschriften dem Verfassungsgrundsatz vorangingen, wonach eine Partei oder eine Vereinigung nicht verfassungs- oder rechtswidrig sein konnte, solange deren Verfassungs- oder Rechtswidrigkeit nicht vom Bundesverfassungsgericht bzw. der obersten Landesbehörde für das Vereinswesen festgestellt worden war. Ein solches Urteil war ganz nach dem Geschmack der Bundesregierung. In einem Schreiben an den Präsidenten des BAG, Hans C. Nipperdey, bedankte sich Franz Thedick, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, ausdrücklich für das gute Urteil, das die »Entfernung der Störenfriede aus dem Betrieb für gerechtfertigt erklärt«. Und ergänzte: »Unsere freiheitliche demokratische Ordnung in der Bundesrepublik wird auf die Dauer nur gerettet werden können, wenn alle in Frage kommenden Stellen gegen die kommunistische Unterwanderung vorgehen.« Der Präsident bedankte sich für das Lob, dass nun auch das BAG jenseits aller Rechtsnormen die antikommunistische Abwehrfront verstärkt habe. Es entspräche dem Sinne unserer Rechtsordnung und Verfassung, hieß es in seinem Antwortschreiben an den Staatssekretär nicht etwa, dass sich auch die Gerichte an Recht und Gesetz zu halten hätten, sondern »dass sich die Feinde der Demokratie nicht auf deren Rechtswohltaten berufen können«79. Während die Mitglieder der Exekutive in Bund und Ländern glaubten, den Rechtsstaat nur durch immer weitere Eingriffe schützen zu können, wuchs bei anderen die Sorge, den Rechtsstaat dadurch nicht nur zu beschädigen, sondern zu zerstören. So scheute sich der SPD -Abgeordnete Adolf Arndt nicht, bei den Beratungen über ein viertes Strafrechtsänderungsgesetz im Deutschen Bundestag 1957 zu bekennen, dass seine Mitwirkung an der Wiedereinführung der politischen Strafjustiz »heute mein Gewissen drückt«. Das Gebot der Stunde und der Zukunft seien »Revision und Verminderung des politischen Strafrechts, nicht sein weiteres Anwachsen«. Deshalb gehe es auch nicht mehr darum, Einzelheiten eines erneuten Änderungsentwurfs zu kritisieren und aufzuzeigen, »wie man ihn durch ein anderes Wort oder durch einen neuen Halbsatz verbessern könnte«. Vielmehr sei das, was hier zu konstatieren sei, »der klinische Befund einer geistigen Tuberkulose, einer Schwindsucht im rechtsstaatlichen Bewusstsein, weil schlechthin die Denkweise, der solche Entwürfe entstammen, in ihrem Ansatz verfehlt ist und diese Denkweise uns vor die bestürzende Notwendigkeit stellt, Elementarlehren der Rechtsstaatlichkeit für unsere Strafgesetzgebung zu entwickeln und ihr – entschuldigen Sie – Abc wieder buchstabieren zu lernen«80. 79 HStAS: EA2/203 Bü 843. Schreiben Thedick vom 12.3.1956, Antwort Nipperdey vom 27.3.1956. 80 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 2.  WP, Sitzung vom 7.2.1957, S. 10911 und 10911. Vgl. ferner: BArch: B 141/3143, Materialien zum 4. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11 6.1957.

Strafrechtliche Verfolgung politischer Gesinnung

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Auch Oberbundesanwalt Max Güde bekam mehr und mehr Skrupel an der rechtswidrigen Auslegung und Verschärfung des politischen Strafrechts der Bundesrepublik jahrelang mitgewirkt zu haben. Kurz bevor er von seinem Amt als oberster Ankläger beim BGH zurücktrat, um als CDU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag die dringend notwendige Reform des politischen Strafrechts mit anzustoßen, kritisierte er in einem Spiegel-Interview erstaunlich heftig das mangelnde Rechtsstaatsbewusstsein der westdeutschen Richter und lieferte die Diagnose gleich mit: »Die heutige politische Justiz judiziert aus dem gleichen gebrochenen Rückgrat heraus, aus dem das Sondergerichtswesen (Hitlers) zu erklären ist.«81 Selbst die antikommunistische Speerspitze des ersten Kabinetts Adenauer, Thomas Dehler, zeigte eines Tages, wenn auch sehr spät, Reue darüber, was er mit seiner antikommunistischen Gesetzgebung alles angerichtet hatte, nachdem er nicht nur beim Kanzler, sondern auch bei den meisten Parteifreunden in Ungnade gefallen war: »Mein Gewissen schlägt schwer.«82

81 Der Spiegel, 28 (1961), S. 25 82 Posser: Anwalt im Kalten Krieg, S. 257.

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Die Verbotsdebatte Kein Verbot der SRP ohne ein Verbot der KPD

Nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland war es das Ziel aller Siegermächte, von den Sowjets, über die Amerikaner und die Briten bis zu den Franzosen, den Nationalsozialismus mit all seinen politischen, personellen und mentalen, aber auch institutionellen und organisatorischen Relikten ein für alle Mal »auszurotten«.1 Dafür sorgten entsprechende Direktiven auf Viermächtebzw. Kontrollratsebene oder Gesetze, Erlasse und Vorschriften auf Zonen- und Bundesebene. Mit Kontrollratsproklamation Nr. 2 vom 20. September 1945 und Kontrollratsgesetz Nr.  2 vom 10.  Oktober 1945 wurden die NSDAP und alle Naziorganisationen aufgelöst und liquidiert. Die Neubildung einer NS -Organisation, »sei es unter dem gleichen oder unter einem anderen Namen, ist verboten«2. Entsprechendes galt für die Entfernung ehemaliger Parteigänger der NSDAP aus dem staatlichen und öffentlichen Leben.3 1948 wurde die Entna­ zifizierung sogar als überkonstitutionelles Recht in die Verfassung aufgenommen. Seitdem gilt Artikel 139 des Grundgesetzes in folgender Fassung: »Die zur ›Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‹ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.«4 Wenn auch Juristen darüber streiten, ob Artikel 139 heute noch gültig sei, ist unbestritten, dass dieser anti-nationalsozialistische Besatzungsvorbehalt des Grundgesetzes auf jeden Fall bis 1955, dem Jahr der Ablösung des Besatzungsstatuts durch den Generalvertrag über die Neuregelung der Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und der Bundesrepublik Deutschland in Kraft und damit gültig war. Diese Feststellung ist für unsere Fragestellung von besonderer Bedeutung, da 1952 auf Antrag der Bundesregierung die Sozialistische Reichspartei (SRP) vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Ein Zeitpunkt, zu dem das generelle Eingriffsrecht der Besatzungsmächte gemäß

1 Amt des amerikanischen Hochkommissars: 7. Bericht über Deutschland, S. 32. 2 Kontrollratsproklamation Nr.  2: 20.9.1945, Kontrollratsgesetz Nr.  2, Artikel I, Abs.  1–3, 10.10.1945. 3 Kontrollratsdirektive Nr. 24: 12.1.1946. 4 GG: Art. 139.

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Artikel 3 des Besatzungsstatuts uneingeschränkt galt.5 Dies ist vom Bundesverfassungsgericht niemals bestritten, sondern ausdrücklich bestätigt worden. In einer seiner ersten Entscheidungen hatte das höchste Gericht auch und gerade mit Blick auf Artikel 139 festgestellt, »dass die Anwendung aus der in Art. 139 bezeichneten Rechtsvorschriften nicht der Überprüfung durch das Karlsruher Gericht unterliegt, da ihre verfassungsdurchbrechende Wirkung in der Verfassung selbst bestimmt wird«6. Umso erstaunlicher ist, dass das höchste Gericht in seinem Urteil zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP seine Zuständigkeit nicht näher begründet, zumal es dem Antrag der Bundesregierung folgte und die SRP als eine »Nachfolgeorganisation der NSDAP« bezeichnete. Berührte der Kampf gegen den Neonazismus nicht den Besatzungsvorbehalt der Siegermächte? Eine Anerkennung des Vorbehaltsrechts der Amerikaner, Briten und Franzosen hätte nicht nur rechtliche, sondern auch politische Konsequenzen gehabt. Dann wäre die SRP-Frage nicht eine Frage des Bundesverfassungsgerichts, sondern der Bundesregierung und im Verweigerungsfall der Alliierten Hohen Kommission (AHK) gewesen, also keine rechtliche, sondern politische Frage gewesen. Dann hätten die Bundesregierung oder auch die Besatzungsmächte tätig werden müssen, ähnlich wie dies im Falle der »Naumann-Affäre« 1952/53 geschehen ist. Der britische Geheimdienst hatte eine »Verschwörung von rechts« mit engen Verbindungen in die nordrhein-westfälische FDP aufgedeckt. Dies veranlasste die britische Besatzungsmacht zum Einschreiten, nachdem sie, wie Artikel 3 des Besatzungsstatuts es vorsah, die Bundesregierung vorab informiert hatte. ­Adenauer war durchaus froh, dass die Briten »zugeschlagen und die Angelegenheit nicht den Deutschen überlassen«7 hatten. Die Ausrottung des Nationalsozialismus und die Bekämpfung des Neo-­ Nazismus hatten nicht nur für die Besatzungsmächte höchste Priorität, sondern sogar Verfassungsrang. Was bedeutete das für die Bundesregierung? Welche Prioritäten setzte sie? Worin bestanden die Gemeinsamkeiten mit den Besatzungsmächten, worin die Unterschiede? Welche Folgen hatte das für die Bekämpfung des Rechts- und des Linksextremismus? Wie positionierten sich die Besatzungsmächte in der KPD -Frage, wie die Bundesregierung? Gab es einen, wenn ja, welchen Zusammenhang zwischen dem Verbot der SRP und dem Verbot der KPD? Blicken wir zunächst ins Jahr 1945. Grundlage einer entschlossenen antinationalsozialistischen Politik war aus Sicht der Siegermächte der schrittweise und kontrollierte Aufbau eines demokratischen Systems mit konkurrierenden Parteien und freien Wahlen. Um einen politischen Neuanfang zu ermöglichen, soll5 AHK Besatzungsstatut: 21.09.1949. 6 BVerf GE: 1,7. Entscheidung zu GG Art. 139. Hierzu auch: Meier: Parteiverbote. 7 Frei: Vergangenheitspolitik, S. 372 ff.

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ten grundsätzlich alle demokratischen Parteien erlaubt und gefördert werden. Die weitere Ausgestaltung der Demokratie blieb den jeweiligen Besatzungsmächten überlassen. Die Sowjetunion ging mit Meilenstiefeln voran. Bereits mit Befehl vom 10. Juni 1945, also Wochen vor der Konferenz der Siegermächte in Potsdam Ende Juli, erlaubten die Sowjets in ihrer Besatzungszone die Gründung politischer Parteien. Bereits einen Tag später konstituierte sich die KPD. Es folgten in rascher Folge die SPD, die CDU und die LDPD.8 Wie in der sowjetischen Zone wurden auch in den Westzonen die KPD, die SPD, die CDU und die FDP zugelassen. Die Kommunistische Partei Deutschlands galt auch hier nicht nur als eine demokratische Partei, sondern auch als eine für den politischen Neuanfang in besonderer Weise legitimierte Partei. 1933 war sie verboten worden und hatte seitdem einen entschlossenen Kampf gegen die NS -Diktatur geführt. Während die Parteien in der sowjetisch besetzten Zone von oben nach unten gegründet und sofort für die gesamte sowjetische Zone zugelassen wurden, vollzog sich der Wiederaufbau des politischen Lebens im Westen von unten nach oben und in Etappen. Erst ab 1946 durfte gewählt werden, zunächst in den kleinen, dann in den größeren Städten, danach in den Kreisen und schließlich in den Ländern der westlichen Besatzungszonen. Es begann mit Kommunalwahlen in der amerikanischen Zone und endete mit den Landtagswahlen in der französischen Zone im Mai 1947.9 Nationalistische Parteien, darunter fielen nicht nur rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch solche, die sich vor allem für Flüchtlinge und Vertriebene einsetzten, wurden weder im Osten, noch im Westen zugelassen bzw. lizensiert. Erst nach und nach tauchten in den Westzonen, vor allem in der amerikanischen Besatzungszone, derartige Vereinigungen bzw. Parteien auf, die unter den Namen Deutsche Reichspartei, Deutsche Rechtspartei, Nationale Rechte, Deutscher Block oder Vaterländische Union firmierten. Ihre Anhänger suchten und fanden sie unter den ehemaligen Nazis und Soldaten, unter den Flüchtlingen und Vertriebenen, aber auch unter den bürgerlichen Profiteuren des NS -Regimes. Generell boten sie ein eher klägliches Bild. »Ihre Führer sind im Allgemeinen politische Abenteurer, Fanatiker oder Demagogen von geringem Format.«10 Immer wieder kam es zwischen den einzelnen Gruppen zu Streitigkeiten und Übertritten von einer in die andere Gruppe. Keine der neuen Rechtsparteien schaffte es, sich auf der Bundesebene zu organisieren und zu profilieren. Einzige Ausnahme war die Sozialistische Reichspartei (SRP).11 Mit der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag wurde das System der Zulassung bzw. Lizenzierung politischer Parteien durch die Besatzungsmächte 8 9 10 11

Weber: Die DDR , S. 25. Benz: Auftrag Demokratie, S. 119 ff. Amt des amerikanischen Hochkommissars: 7. Bericht über Deutschland, S. 32 ff. Zur Geschichte der SRP: Schmollinger: Die sozialistische Reichspartei. Frei: Vergangenheitspolitik, S. 326–360. Maxwill: Mit Recht gegen rechts.

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wesentlich großzügiger gehandhabt als bisher. Im Herbst 1949 boten die Hohen Kommissare dem Bundeskanzler an, die Zulassung politischer Parteien künftig ganz in deutsche Verantwortung zu übertragen. Adenauer lehnte dankend ab. Er neige nicht dazu, »ein Verbot der Gründung von Parteien zu erlassen«. Er setze eher darauf, diese Frage durch ein neues Wahlrecht zu entscheiden: »Wenn ein Dutzend neuer kleiner Parteien entsteht, tötet eine die andere.«12 Im Kabinett erklärte er gelassen: »Umstürzlerische Bestrebungen solle man ruhig ans Tageslicht kommen lassen. Gegen Splitterparteien gäbe es nur ein wirksames Mittel: das Mehrheitswahlrecht.«13 Am 14. Januar 1950 wurde der Lizenzzwang aufgehoben. Etwa 30 neue Parteien entstanden, die mindestens einmal bei einer Landtagswahl kandidierten. Unter ihnen waren viele rechtsextremistische Parteien, da nationalistische Gruppierungen bislang nicht zugelassen worden waren. Auch für Flüchtlinge und Vertriebene bildete sich erstmals eine politische Interessenvertretung. Der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), seit 1952 Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) erzielte bei den Wahlen auf Anhieb Ergebnisse von bis zu über 30 Prozent.14 Am 2.  Oktober 1949, zweieinhalb Wochen nach der Wahl Konrad Ade­ nauers zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, hatte sich die Sozialistische Reichspartei (SRP) gegründet, als »nationalsozialistische« Abspaltung der eher als »deutschnational« eingestuften DKP/DRP (Deutsche Konservative Partei/Deutsche Rechtspartei).15 Durch das markige Auftreten ihres Vorsitzenden Fritz Dorls und vor allem ihres Mitbegründers Otto Ernst Remer profilierte sich die SRP rasch als Nachfolgepartei der NSDAP. Bei seinen öffentlichen Auftritten stellte Remer sich gern als ehemaliger Kommandeur des Wachregiments »Großdeutschland« in Berlin vor, der vom »Führer« persönlich den Auftrag erhalten habe, den Aufstand vom 20. Juli 1944 gegen Hitler »sofort« niederzuschlagen. Remer übernahm den Vorsitz der »Reichsfront« der SRP, einer Organisation nach Art der SA . »Ich verbiete es mir, mich Nazi zu nennen«, so Remer auf einer Wahlveranstaltung am 15. März 1951. »Ich war, ich bin und bleibe Nationalsozialist.«16 Die öffentliche Inszenierung der neuen Partei zeigte, was in ihr steckte. Uniformierte Saalordner, rote Fahnen, schwarzer Reichsadler, Marschmusik, Heil-Rufe und »deutscher Gruß«. Was früher die »Volksgemeinschaft« war, hieß nun »nationale Gemeinschaft«. Das »Führerprinzip« wurde durch »Führungsprinzip« und »Führungsdemokratie« ersetzt. Begriffe, Formen und Symbole, die Sehnsucht nach dem verlorenen »tausendjährigen 12 13 14 15 16

AAPD: Bd. 1, Adenauer und die Hohen Kommissare, 1949–1951, S. 51 ff.

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1949, 13.12.1949. Kaack: Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, S. 207 ff. Schmollinger: Die sozialistische Reichspartei, S. 2275. BArch: B104/63070, Antrag auf Aberkennung der Grundrechte von Otto Ernst Remer, 28.4.1952, S. 8.

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Reich« zum Ausdruck brachten. Als Ziel der Sozialistischen Reichspartei wurde offen die Fortführung und Vollendung der »nationalsozialistischen Revolution« proklamiert.17 Gegen Ende des Landtagswahlkampfs in Niedersachsen im Frühjahr 1951 erreichten immer bedrohlichere Nachrichten das politische Bonn. Durch die Art und Weise, wie der Wahlkampf in Niedersachsen geführt wurde, so die Meinung des Kabinetts, werde die »Staatsautorität schwersten Schaden erleiden«18. Was Gegenmaßnahmen anbetraf, überwogen jedoch die Skeptiker, die vor zu schnellem Handeln gegenüber der SRP warnten. Hans-Joachim von Merkatz, Fraktionsvorsitzender der DP, und Otto Lenz, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, sprachen sich entschieden gegen eine gleiche Behandlung von KPD und SRP aus, weil es sich bei der SRP »in viel größerem Maße, als es bei den Kommunisten der Fall sei, um irregeleitete, verbitterte Menschen handle, die man nicht zu Märtyrern machen solle«.19 Die nächste Kabinettssitzung, in der erneut die SRP auf der Tagesordnung stand, fand erst am 4. Mai, zwei Tage vor der Landtagswahl in Niedersachsen statt. Der Bundesminister des Innern, Robert Lehr, berichtete zunächst von seiner Reise nach Niedersachsen. Diese habe der Frage gegolten, »ob ein Verbot der Sozialistischen Reichspartei möglich und notwendig« sei. Sein Ministerium sei zu der Auffassung gelangt, dass sich die SRP durch nichts von der NSDAP unterscheide. Es müsse daher sofort zugegriffen werden, »um nicht eine ähnliche Entwicklung aufkommen zu lassen, wie wir sie bereits nach 1932 erlebt hätten.«20 Da das Bundesverfassungsgericht, das für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei zuständig war, seine Tätigkeit noch nicht aufgenommen habe, könne ein Verbotsantrag noch nicht gestellt werden. Möglich sei nur, ein Verbot der Partei nach Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Verbot verfassungswidriger Vereine durch die Exekutive regelte. Der Bundes­ innenminister musste sich jedoch durch Dehler und von Merkatz belehren lassen, dass dies verfassungsrechtlich nicht möglich sei. Eine politische Partei sei kein Verein und könne laut Grundgesetz nur durch das Bundesverfassungs­ gericht verboten werden. Auch andere Mitglieder des Kabinetts unterstützten diese Rechtsauffassung. Als es zur Abstimmung kam, stand der Bundesinnenminister ziemlich allein da, auch wenn er sich auf den Kanzler berief, der seine Initiative unterstützt hatte, aber bei den Beratungen nicht anwesend war. Die Schwergewichte des Kabinetts, Thomas Dehler (FDP), Hans-Christoph Seebohm (DP), Fritz Schäffer (CSU), Otto Lenz (CDU), Franz Blücher (FDP) sowie die Spitzen der Frak17 18 19 20

Schmollinger: Die sozialistische Reichspartei, S. 2281. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1951, 10.4.1951. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1951, 24.4.1951. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1951, 4.5.1951.

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tionen Hans Joachim von Merkatz (DP), Johannes Kunze (CDU) und Hermann S­ chäfer (FDP) stimmten allesamt gegen die Vorlage. Angenommen wurde dagegen ein von Justizminister Dehler abgeänderter Vorschlag, in dem ein Verbot der SRP gestrichen war und stattdessen ein sofortiges Verbot der von Remer geführten »Reichsfront«, einer Organisation der SRP verfügt wurde. Schließlich wurde – viel Lärm um nichts – die von der SPD geführte Landesregierung in Hannover um »schärfste Bekämpfung jeglichen Wahlterrors« für den letzten Tag des Wahlkampfs gebeten. Hinsichtlich eines möglichen Verbots der SRP konnte Innenminister Lehr gegenüber der Presse immerhin erklären, die Bundesregierung werde unverzüglich nach Aufnahme der Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP stellen.21 Nachdem die SRP in den ersten Landtagswahlen, an denen sie teilgenommen hatte, mit 0,2 Prozent der Stimmen in Nordrhein-Westfalen und 1,6 Prozent in Schleswig-Holstein herbe Niederlagen erlitten hatte, sollte sich das Blatt in ihrem Stammland Niedersachsen wenden. In einem Land, in dem schon die Nationalsozialisten große Wahlerfolge erzielt hatten, brach die SRP erstmals auf breiter Front in bürgerliche Wählerschichten ein. Auf Anhieb errang sie 11 Prozent der Stimmen und war künftig mit 16 Sitzen im Niedersächsischen Landtag vertreten. Zum Vergleich: Die KPD kam lediglich auf 1,8 Prozent der Stimmen und erhielt nur zwei Sitze im neuen Landesparlament. Besonders hart trafen die Erfolge der SRP die Bonner Koalition und die sie tragenden Parteien CDU, FDP und DP. Sie hatten mit dem Feuer gespielt und sich ganz schön die Finger verbrannt. Um ihre Wahlchancen zu erhöhen, waren CDU und DP unter dem Namen »Niederdeutsche Union« ein Wahlbündnis eingegangen. Dieses Bündnis sollte gegebenenfalls um die FDP, falls dies nicht reichen sollte, auch noch um die SRP erweitert werden. Ziel war es, Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) abzulösen und Heinrich Hellwege (DP) zum neuen niedersächsischen Ministerpräsidenten zu wählen. Hellwege war kein Unbekannter. Immerhin war er Bundesvorsitzender der Deutschen Partei und Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates im Kabinett Adenauer. Die Bonner Koalitionsparteien scheuten sich nicht, mit der braunen SRP in Niedersachsen anzubandeln, um einen Regierungswechsel zu ermöglichen. Tatsächlich trafen sich nach der Wahl am 6. Mai 1951 Vertreter von CDU, DP und SRP, um über eine gemeinsame Koalition zu verhandeln. Dass dies nicht klappte, war nur dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) zu verdanken, der gemeinsam mit der katholischen Zentrumspartei nicht der CDU, sondern der SPD als Mehrheitsbeschaffer zur Seite sprang.22 21 Frei: Vergangenheitspolitik, S. 337 f. 22 Schmollinger: Die sozialistische Reichspartei, S. 2302.

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Die Verbotsdebatte

Der Druck, der nach der schweren Niederlage der CDU in Niedersachsen auf Bundeskanzler Adenauer lastete, war groß. Die Reaktionen der ausländischen Presse waren »außerordentlich heftig«23. Der Wahlerfolg der ­rechtsradikalen SRP sei eine herbe Niederlage der Regierung Adenauer und ein heftiger Schlag gegen die demokratischen Parteien, so der allgemeine Tenor. Von einer »Führer-­ Dämmerung«, einer »nazistischen Renaissance, die Reminiszenzen an H ­ itler und Mussolini« weckten, war die Rede. Zwar könne von Niedersachsen nicht auf die ganze Bundesrepublik geschlossen werden, doch sei die politische Schieflage der Bundesrepublik angesichts einer schweren Wirtschaftskrise, einer hohen Arbeitslosigkeit und eines anhaltenden Flüchtlingsproblems nicht zu unterschätzen. Offensichtlich habe die Bundesregierung die Lage nicht richtig eingeschätzt und keine vorbeugenden Maßnahmen getroffen. Die Londoner »Times« wies darauf hin, dass die Alliierte Hohe Kommission das Recht habe, »von sich aus einzuschreiten«. Die AHK würde sicher nicht wünschen, »diese Macht auszunutzen, solange die Bundesregierung selbst die Macht hat, die Situation unter Kontrolle zu behalten und den Wunsch, es zu tun«. Wie groß die Sorge war, war der Pariser Zeitung Le Matin zu entnehmen: »Wenn Bonn nicht die Kraft besitzt, die neuen Nazis niederzuschlagen, dann müssen es die Besatzungsmächte tun, bevor es zu spät ist.«24 Drei Tage nach der desaströsen Landtagswahl wurde der Kanzler von der AHK zum Rapport geladen. Erster Tagesordnungspunkt: »Wahlen in Nieder­ sach­sen«.25 Adenauers Schilderung und Einschätzung der Ergebnisse der Landtagswahl war dem Ernst der Lage alles andere als angemessen. Sein Urteil über die SRP lautete: »Diese Bewegung ist zurzeit nicht gefährlich, aber sie verdient die ernsteste Beachtung der Bundesregierung und der gesamten Öffentlichkeit.« Man habe leider nicht mehr tun können, da das Bundesverfassungsgericht seine Arbeit noch nicht aufgenommen habe. Nach Ansicht des Kanzlers hatte vor allem die niedersächsische Landesregierung versagt. »Das Wiederentflammen des nationalistischen Geistes ist leider Gottes – ich beklage das außerordentlich – zum großen Teil auf die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zurückzuführen.«26 Er schwadronierte über dieses und jenes. Zu einer ernsthaften Analyse und kritischen Einschätzung des Wahlergebnisses schien er nicht bereit zu sein. Im Gegensatz dazu unterstrich der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy den Ernst der Lage. Die drei Westmächte seien über den Ausgang der Wahlen in Niedersachsen sehr beunruhigt. Immerhin sei sich auch die Bundes-

23 BArch: B 106/15530, Reaktion der ausländischen Presse auf die Wahlen in Niedersachsen, 21.6.1951, S. 1. 24 Ebd., S. 7. 25 AAPD, Bd. 1: Adenauer und die Hohen Kommissare, 1949–1951, S. 352 ff. 26 Ebd., S. 352–355.

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regierung der Gefahr bewusst. Das sei »natürlich sehr gut«27. Gut sei auch, dass die Gefahr im Augenblick noch klein sei. Die Erfahrung zeige aber, dass man sich mit ihr befassen müsse, auch wenn sie noch klein sei. Dies sei in erster Linie Sache der Bundesregierung und der örtlichen Behörden. Die Besatzungsmächte seien jedoch jederzeit bereit, die Bundesregierung und die deutschen Behörden bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Wörtlich sagte McCloy, was schon fast wie eine Drohung klang, »dass wir Ihnen jederzeit zur Verfügung stehen, um mit Ihnen zusammenzuarbeiten, entweder durch Konsultation oder direkte Hilfe«28. Dann schlug er wieder versöhnliche Töne an. Er sei jedoch überzeugt, so der Hochkommissar der Vereinigten Staaten, dass die Bundesregierung fest entschlossen sei, »dass ein solches Abenteuer wie das alte Nazi-Abenteuer in Westdeutschland nicht wiederholt werden darf«. Der Bundeskanzler habe die SPD »ziemlich scharf kritisiert«. Er, McCloy, habe »mit einigen führenden Mitgliedern dieser Partei gesprochen. Diese Herren haben mir ihre Besorgnis ­darüber ausgedrückt, welch zweideutige Haltung die Parteien [CDU, DP, FDP, J. F.] in Niedersachsen, über die wir gesprochen haben, an den Tag gelegt haben.« Er wolle daher noch einmal klar machen, »dass wir auf keinen Fall die Wiederbelebung eines derartigen nationalistischen Geistes erlauben würden, wenn es jemals dazu käme«29. Die Kritik, die John McCloy im Namen aller drei Hochkommissare vorge­ tragen hatte, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dass Adenauer im Grunde mit der Kritik an den Vorgängen in Niedersachsen übereinstimmte, auch wenn er es gegenüber den Vertretern der drei Westmächte nicht zugeben wollte, hatte er tags zuvor im Kabinett schon deutlich gemacht. Dort hatte er mit seinen Ministern Tacheles geredet und gefordert, »dass mit allen Mitteln versucht werden müsse, das Umsichgreifen derartiger Organisationen zu verhindern. Es dürfe nicht noch einmal dazu kommen, dass die Demokratie wie es 1933 geschehen sei, an den demokratischen Grundsätzen sterbe. Schon jetzt müsse damit begonnen werden, Material zu sammeln, um dieses zu gegebener Zeit dem Bundesverfassungsgerichtshof vorzulegen. Die Bundesregierung habe die Errichtung dieses Gerichtshofes mit allen Mitteln zu beschleunigen. Geklärt werden müsste, wer die Schuld daran trägt, dass der Gerichtshof nicht längst funktionsfähig ist.«30 Damit hatte Adenauer, allen Sympathisanten der SRP im Kabinett zum Trotz, erstmals eine klare Linie vorgegeben: Der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP war so schnell wie möglich vorzubereiten.

27 28 29 30

Ebd., S. 259. Ebd., S. 360. Ebd., S. 360. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 8.5.1951, Wahl in Niedersachsen und SRP.

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Die Bereitschaft im Kabinett, den Worten des Kanzlers Taten folgen zu lassen, war nicht sonderlich groß. So musste Adenauer angesichts des massiven Drucks der Drei Mächte in Sachen SRP den Ernst der Lage wieder und wieder deutlich machen. Gelegentlich waren von ihm im Kabinett ganz ungewohnte Worte zu hören, wenn er von einer allgemeinen und weit verbreiteten Unzufriedenheit der Bevölkerung sprach und dazu aufforderte, die damit verbundene Gefahr einer Radikalisierung sorgfältig zu beobachten. »Es müsse auch eine wesentliche Stärkung und intensive Aufklärung der Bevölkerung über die Untaten und Schattenseiten des vergangenen Systems erweckt und wachgehalten werden.«31 Auch im Bundesvorstand der CDU redete der Parteivorsitzende Adenauer Klartext: »Für das Gefährlichste in Niedersachsen halte er die SRP. Ihr Anwachsen habe das Ansehen im Ausland sehr geschädigt. Die Bundesregierung sei fest entschlossen, diese und andere rechtsradikale Bewegungen mit allen Mitteln, notfalls durch neue Gesetze, zu unterdrücken. Mit den Rechtsradikalen dürfe die niedersächsische Union weder direkt noch indirekt auch nur das Geringste zu tun haben. Wenn DP-Kreise mit der SRP liebäugelten, so sei das ein Vergehen am deutschen Interesse, und das Band mit der DP müsse sofort gelöst werden.«32 Immer wieder klagte der Kanzler darüber, »dass die SRP außerordentlich störend bei allen Verhandlungen wirke«33. Der dadurch angerichtete außenund deutschlandpolitische Schaden lastete wie ein Albtraum auf ihm, dessen dringlichster Wunsch es war, das Besatzungsregime so schnell wie möglich abzuschaffen. Die Bereitschaft der Westmächte, diesen Prozess zu beschleunigen, war durch die Niedersachsenwahl keineswegs gewachsen. In einem Brief an den französischen Außenminister Robert Schuman sprach er dieses Problem deutlich an: »Es gibt wohl manche Stimmen im Auslande, die unter Hinweis auf gewisse rechtsradikale Tendenzen in Deutschland davor warnen, der Bundesrepublik ein zu großes Maß an Souveränität zu geben.« Die Bundesregierung beobachte die Entwicklung »mit größter Aufmerksamkeit und ist – ich darf das mit Nachdruck versichern  – entschlossen, mit aller Schärfe gegen alle Feinde der Republik vorzugehen«34. Hier war sie wieder, die Formel, mit der Adenauer sein innen- und außenpolitisches Problem zu verknüpfen und zu lösen suchte: Die seiner Ansicht nach völlig überschätzte rechte Gefahr sollte mit der völlig unterschätzten linken Gefahr verknüpft werden. Angesichts der weitaus größeren kommunistischen Gefahr dürfe man nicht bei der Bekämpfung der rechten Gefahr stehen bleiben. Die Bundesregierung, so seine Botschaft, sei nicht 31 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 11.9.1951, Gefahren der Radikalisierung. 32 Adenauer: »Es musste alles neu gemacht werden.« Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1950–1953, S. 29 f. 33 Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, S. 158. 34 Adenauer Briefe 1951–1953, S. 115.

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etwa die getriebene, sondern die treibende Kraft im Kampf gegen alle Feinde des Staates, sei es von rechts oder von links. Während die Hohen Kommissare von der Bundesregierung ein konsequentes Vorgehen gegen den zunehmenden Rechtsradikalismus erwarteten und dazu jede Unterstützung anboten, war ein einseitiges Vorgehen gegen den Rechtsradikalismus durch ein Verbot der SRP weder in der Bundesregierung, noch in den sie tragenden Fraktionen von CDU/ CSU, FDP und DP durchsetzbar. Da sich andererseits die Besatzungsmächte bereits mehrfach gegen ein KPD -Verbot ausgesprochen hatten, war eine schwierige politische Lage entstanden, die nur durch einen Kompromiss entschärft werden konnte, indem die Bundesregierung gegen beide Parteien, gegen SRP und KPD gleichzeitig vorgehen würde. Von einer derartigen Lösung waren weder die Amerikaner, noch die Briten und schon gar nicht die Franzosen begeistert. Bei allen Drangsalierungen, mit denen sie die Politik der KPD in der Nachkriegszeit begleitet und behindert hatten, hatten sie sich jedoch niemals für ein Verbot der KPD ausgesprochen. Die unliebsame Politik und Propaganda der Kommunisten konnte man statt mit rechtlichen auch mit administrativen Mitteln bekämpfen. So gehörten Verbote von Versammlungen und Demonstrationen, Zensur und Verbote von Zeitungen, Plakaten und Broschüren zum Alltag alliierter Besatzungspolitik. Hierzu zählten auch Verbote bestimmter politischer Forderungen wie die nach einem sofortigen Friedensvertrag, nach Verhandlungen über eine Wiedervereinigung oder gegen eine Westintegration der Bundesrepublik, ganz abgesehen von Kritik an einer »imperialistischen Politik der USA« und der beiden europäischen Großmächte.35 Hierzu gehörte auch die Beschlagnahme des soeben erst bezogenen neuen Parteigebäudes der KPD in Düsseldorf einschließlich der gesamten Innenausstattung Ende September 1950 durch die britische Besatzungsmacht. Statt einer permanenten Politik der Nadelstiche favorisierte die Bundesregierung einen radikalen Schnitt, der – vom Bundesverfassungsgericht sanktioniert  – die KPD dauerhaft aus dem politischen Leben Westdeutschlands ausschalten sollte. General Lucius D. Clay, Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, hatte schon 1947, ausgerechnet auf einer Pressekonferenz anlässlich des Starts einer großen Propaganda-Offensive der USA gegen den Kommunismus den Gedanken eines Verbots der KPD weit von sich gewiesen. »Ich kann mir kein größeres undemokratisches Verhalten vorstellen, als die Kommunistische Partei an sich abzuschaffen. Ich habe nicht die Absicht, etwas Derartiges zu tun.«36 In einem Bericht des amerikanischen Hohen Kommissars in Bonn aus dem Jahr 1950 an das State Departement in Washington hieß es: Solange sich die KPD wie eine ganz normale politische Partei verhalte, bleibe es ihr

35 Kössler: Abschied von der Revolution, S. 262 ff. 36 The Papers of General Clay, S. 456.

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Die Verbotsdebatte

unbenommen, ihre politischen Ansichten unters Volk zu bringen. Auch gegen alle sonstigen politischen Aktivitäten sei nichts einzuwenden, solange diese nicht gegen irgendwelche Gesetze verstoßen und »Teil des politischen Lebens in einem demokratischen Staat«37 sind. In einem anderen Bericht hieß es ein Jahr später: »Es ist seit jeher amerikanische Politik gewesen, die KPD, statt strafrechtlich zu verfolgen, lieber als verfassungsmäßig zugelassene politische Partei legal agieren zu lassen, deren Aktivitäten leicht beobachtet werden können und deren Kräfte sich bei dem Bemühen erschöpfen dürften, eine dem Kommunismus gegenüber besonders feindlich eingestellte deutsche Bevölkerung beeinflussen zu wollen«38. Entsprechend stellte der Amerikanische Hohe Kommissar in seinem Bericht nüchtern fest: »Generell stellt die KPD eine zu vernachlässigende Sicherheitsbedrohung dar.«39 Auch gegenüber dem Bundeskanzler machten die Amerikaner immer wieder deutlich, dass sie von einem KPD -Verbot nichts hielten. Im Juli 1950, wenige Tage nach Ausbruch des Korea-Krieges, wies John J. McCloy im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) unmissverständlich darauf hin, dass er ein Verbot der KPD ablehne und zwar »so lange den Kommunisten nicht nachgewiesen werden könne, dass sie die Bundesregierung gewaltsam stürzen oder die Bevölkerung zu Revolten aufwiegeln wollen«40. Generalmajor Bishop, britischer Landeskommissar von Nordrhein-Westfalen, betonte wenige Wochen später ebenfalls im NWDR , auch die Briten hätten nicht die Absicht, die KPD zu verbieten. Man müsse allerdings unterscheiden »zwischen dem Verbot einer Partei und dem Verbot bestimmter Tätigkeiten einer Partei«41. Auch die Franzosen machten immer wieder deutlich, dass sie gegen ein Verbot der KPD waren. Als Bundesjustizminister Dehler am 20.  Februar 1950 zum ersten Mal öffentlich erklärt hatte, dass es eine der ersten Aufgaben des geplanten Bundesverfassungsgerichts sein würde, die Verfassungsmäßigkeit der KPD zu überprüfen, reagierte der französische Außenminister Jean François-Poncet heftig. Derartige Äußerungen, wie »die Rede des Herrn Dehler über die Behandlung der Kommunistischen Partei« seien nicht dazu angetan, »das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Besatzungsmächten zu verbessern, sondern eher weiter zu verschlechtern«42.

37 NACP: RG 466, HICOG , Box 2, (KPD), The Communist Party in Western Germany, 25.10.1950. 38 NACP: RG 466, 250/72/8/06, Box 2, Bonn Government to the Planed Prosecution of the SRP and the KPD, 19.10.1951. 39 NACP: RG 466, 250/72/8/06, Box 2, Quaterly Counter Intelligence Survey, 13.2.1951. 40 LAV NRW R: NW 490/42, NWDR 4.7.1950. 41 LAV NRW R: NW 490/42, NWDR 16.8.1950. 42 AAPD, Bd. 1: Adenauer und die Hohen Kommissare, 1949–1951, S. 36.

Kein Verbot der SRP ohne ein Verbot der KPD 

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Die Gelassenheit, die die Besatzungsmächte im Unterschied zur Bundesregierung in der KPD -Frage an den Tag legten, hatte im Wesentlichen vier Gründe. 1. Im Unterschied zum Nationalsozialismus war der Kommunismus eine den Deutschen zutiefst wesensfremde Ideologie. Regelmäßige Umfragen, insbesondere in der amerikanischen Besatzungszone belegten eine große antikommunis­ tische Aversion. Nach Untersuchungen zweier US -Senatoren lehnten »über 95 Prozent der westdeutschen Bevölkerung den Kommunismus grundsätzlich ab«43. 2.  Die KPD war schon zu Beginn der Bundesrepublik eine politisch zu vernachlässigende Größe. Bei allen Wahlen seit 1948 hatte sie kontinuierlich an Stimmen verloren. Die Kommunistische Partei in Westdeutschland erwies sich in einem steigenden, für den amerikanischen Hochkommissar »geradezu ka­ tastrophalen Ausmaß als Versager«44. 3. Eine legale, öffentlich agierende Partei war nach Einschätzung der Besatzungsmächte wesentlich leichter zu kontrollieren als eine verbotene, illegal operierende Partei. Administrative, strafrechtliche oder politische Maßnahmen konnten jeder Zeit ergriffen werden, um ungewollte politische Aktivitäten zu unterbinden oder zu ahnden. 4. Ein Verbot der KPD war weder aus Sicherheitsgründen notwendig, noch aus politischen Gründen zweckmäßig. Sollte sich die KPD doch an einer extrem antikommunistisch eingestellten deutschen Gesellschaft abarbeiten und daran zugrunde gehen. Eine der regelmäßig in der amerikanischen Besatzungszone durchgeführten Umfragen stellte immer wieder die Frage, in welchem System die Westdeutschen lieber leben wollten, in einem kommunistischen oder einem nationalsozialistischen System. Wie die folgende Grafik zeigt entschied sich eine deutliche Mehrheit von über 50 Prozent für ein »weder-noch«, was durchaus als hoffnungsvolle Grundlage für einen demokratischen Neubeginn gedeutet werden konnte. Die zweitwichtigste Erkenntnis: Der Kommunismus hatte in den Augen der Westdeutschen jedwede Attraktivität verloren. Im Gründungsjahr der Bundesrepublik landete er mit 2 Prozent Zustimmung weit abgeschlagen auf Platz vier. Die drittwichtigste Erkenntnis: Im Gegensatz zum Kommunismus stellte der Nationalsozialismus mit steigender Tendenz eine ernste Gefahr für den demokratischen Neuanfang dar. Immerhin wollten 1949, im Gründungsjahr der Bundesrepublik, 43 Prozent der Befragten lieber im Nationalsozialismus als in einem kommunistischen System leben. Die amerikanische Hohe Kommission und mit ihr die amerikanische Deutschland- und Besatzungspolitik folgte offensichtlich nicht irgendwelchen Instinkten, sondern einer kontinuierlichen und systematischen Beobachtung und Auswertung der Meinungen und Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung.

43 HStAS: EA 2/301, Bü 71, Bericht über die Untersuchungen der Senatoren Theodore Green und Henry Lodge, 5.6.1950. 44 Amt des amerikanischen Hochkommissars, 7. Bericht über Deutschland, S. 29.

118

Die Verbotsdebatte

Grafik 4: Kommunismus oder Nationalsozialismus? Umfragen 1945–1949 Frage: Wenn Sie die Wahl zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus hätten, wofür würden Sie sich entscheiden? 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

Nov. 45

Mrz. 46

Nov. 46

Mai. 47

Aug. 47

Jan. 48

Jun. 48

Feb. 49

Kommunismus

35%

13%

8%

7%

5%

3%

4%

2%

Nationalsozialismus

19%

25%

17%

20%

30%

30%

36%

43%

weder - noch

22%

37%

66%

65%

60%

62%

54%

52%

weiß nicht

24%

25%

9%

8%

5%

5%

6%

3%

Quelle: OMGUS , Opinion Surveys. Washington National Records Center 1970. Grafik 5: War der Nationalsozialismus eine gute Idee? Umfragen 1945–1948 Frage: War der Nationalsozialismus eine schlechte Idee oder eine gute Idee, nur schlecht ausgeführt? 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

Nov. 45

Mrz. 46

Okt. 46

Feb. 47

Aug. 47

Jan. 48

Okt. 48

schlechte Idee

42%

38%

38%

36%

36%

38%

28%

gute Idee

53%

54%

48%

53%

54%

54%

57%

keine Antwort

5%

8%

14%

11%

10%

8%

15%

Quelle: Public Opinion in Occupied Germany, S. 33. Jahrbuch der öffentlichen Meinung ­1947–1955, S. 134 (Oktober 1948).

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Kein Verbot der SRP ohne ein Verbot der KPD 

Ihre regelmäßigen Umfragen vom Beginn der Besatzungszeit bis zur Entlassung der Bundesrepublik in eine beschränkte Souveränität 195545 zeigen, wie realistisch und wie berechtigt die Sorge um einen neuen deutschen Nationalismus war.46 Ebenso realistisch waren die geringe Bedeutung und die geringe Gefahr, die sie dem westdeutschen Kommunismus beimaßen. In einer so stark antikommunistisch eingestellten und geprägten Gesellschaft wie der im Westen Deutschlands war an eine Gefährdung des Staates durch die KPD nicht zu denken. Hiermit korreliert, wie zahlreiche Umfragen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren dokumentieren, eine anhaltend positive Einstellung der Westdeutschen gegenüber dem Nationalsozialismus. Hass auf den Kommunismus und positive Einstellungen gegenüber dem Nationalsozialismus korrelierten miteinander. In ihrem Antikommunismus ließen sich die Westdeutschen von keinem anderen Land übertreffen. Auf die Frage »Was halten Sie von der KPD?« antwortete im April 1950 eine kaum noch zu übertreffende Mehrheit von 80 Prozent der Bundesrepublikaner ausschließlich mit negativen Urteilen. Gerade mal acht Prozent der Befragten hatten eine eher positive Meinung von Kommunisten.47 So wundert es nicht, dass sich 1949, im Jahr der Verabschiedung des Grundgesetzes, fast 60 Prozent der Befragten gegen ein Recht auf freie Meinungsäuße­ Grafik 6: Redefreiheit für Kommunisten im Radio? Umfragen 1946–1949 Frage: Sollte es Mitgliedern der KPD erlaubt sein, im Rundfunk zu sprechen? 70% 60% 50% 40%

Ja

30%

Nein keine Meinung

20% 10% 0%

Nov. 46

Mai. 47

Jan. 48

Jun. 48

Feb. 49

Quellen: OMGUS , Opinion Surveys. Washington, National Records Center 1970. Public Opin­ ion in Occupied Germany, S. 145 f. und S. 295.

45 Merritt/Merritt: Public Opinion in Occupied Germany. 46 Buscher: U. S. High Commission and German Nationalism, 1949–52, S. 57–75. 47 Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1947–1955, S. 272.

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Die Verbotsdebatte

rung für Kommunisten im Radio aussprachen, wie Grafik 6 anschaulich zeigt. Vier Jahre nach dem Ende des Krieges, in dem die Rote Armee die deutsche Wehrmacht vernichtend geschlagen hatte, wollte man von Kommunisten, den Vertretern der »Russenpartei«, nichts mehr wissen, schon gar nicht etwas hören. Hierzu passt, dass auf die Frage, »mit welchen Ländern wir nicht besonders eng zusammenarbeiten sollten«48, jene Länder die Rangliste anführten, deren Bevölkerung am meisten unter dem nationalsozialistischen Vernichtungswahn gelitten hatten, nämlich auf Platz eins Russland (61 %), auf Platz zwei Polen (60 %) und auf Platz drei Israel (37 %). Entsprechend fiel das Meinungsbild auf der rechten Seite des politischen Spektrums aus. Wie Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie, aber auch anderer Institute immer wieder zeigten, waren im Oktober 1948 nicht weniger als 57 Prozent der Westdeutschen der Meinung, dass der Nationalsozialismus eine gute Idee sei, die nur schlecht ausgeführt worden sei. (Grafik 5) Auch in anderen Umfragen wird eine hohe positive Zustimmung zum Nationalsozialismus von um die 50 Prozent der Befragten immer wieder bestätigt.49 Auf die Frage, wann es Deutschland am besten gegangen sei, antworteten im Oktober 1951 stolze 45 Prozent im Kaiserreich und immerhin 40 Prozent mit: »Zwischen 1933 und 1938 (Drittes Reich)«50. Im Mai 1955, zeitgleich mit dem Ende des Besatzungsregimes, waren fast die Hälfte der Westdeutschen (48 Prozent) der Meinung, dass »Hitler ohne den Krieg einer der größten Staatsmänner gewesen wäre«51. Eine Auffassung, die bis Anfang der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts von einem Drittel der befragten Westdeutschen immer wieder bestätigt wurde.52 Auch die amerikanische und britische Besatzungsmacht führten bis zum Ende der Besatzungszeit eigene Umfragen zu Art und Ausmaß des Nationalismus und Neonazismus durch, sehr zum Ärger des Bundeskanzlers. Besonders ärgerte Adenauer, dass sich die anhaltend positive Einschätzung des Nationalsozialismus zu Beginn der Fünfzigerjahre sogar noch verstärkte, wie aus einer von den Briten in Auftrag gegebenen EMNID -Umfrage deutlich wurde. Diese war zwar zunächst geheim gehalten worden, gelangte dann aber doch an die Öffentlichkeit.53 Auch diese Umfrage bestätigte die anhaltend positive Einschätzung des Nationalsozialismus. Nach der britischen Umfrage war die Zahl derjenigen, die den Nationalsozialismus für eine gute Idee hielten, von 34 Prozent (1951) auf 44 Prozent (1953) gestiegen. In Hintergrundgesprächen mit aus48 Ebd., Zusammenarbeit, S. 331. 49 Ebd. S.126. 50 Ebd. 51 Ebd., S. 277. 52 Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1968–1973, S.204. 53 FAZ: 20.1.1953

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gewählten Journalisten54 und einer Kanzler-Erklärung im Bundestag55 suchte Adenauer die politische Bedeutung dieser Umfrage herunterzuspielen: »Es besteht keine Gefahr in der Bundesrepublik, dass der Nationalsozialismus, das Hitlertum in irgendeiner abgewandelten Form in dieser Bundesrepublik zur Macht kommt.«56 Dessen ungeachtet bestand zwischen der positiven Erinnerung und Bewertung des Nationalsozialismus und der strikten Ablehnung und äußerst negativen Bewertung des Kommunismus bei den Landsleuten Konrad Adenauers, wie dieser sehr wohl wusste, ein unmittelbarer Zusammenhang. Letztlich waren neuer Antikommunismus und alter Nationalismus zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Politischer Kopf und juristischer Planer der staatlichen Kommunistenverfolgung in der Bundesrepublik war Thomas Dehler, Bundesjustizminister im ersten Kabinett Adenauer. In der Weimarer Republik war er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die sich 1932 in »Deutsche Staatspartei« umbenannte und am 23. März 1933 für das Ermächtigungsgesetz Hitlers stimmte. Nach Eintritt in die Bundesregierung wurde Dehler zunächst ein überzeugter Anhänger der Adenauerschen Politik der Integration Westdeutschlands in den Westen. Er entstammte einem bürgerlichen Milieu. Sein politisches Ziel war es, eben dieses Milieu für den Aufbau eines westdeutschen Teilstaats zu gewinnen. Schon wenige Monate nach Übernahme seines neuen Amtes als Bundesjustizminister entpuppte Dehler sich mehr und mehr als überzeugter Nationalist und strammer Antikommunist. In einer Rede auf dem Hamburger Parteitag der FDP griff er am 22. Januar 1950 die Französische Besatzungsmacht frontal an. Er sei überzeugt, so Dehler, dass Deutschland nicht mehr Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs trage als Frankreich. Für den Aufstieg Hitlers machte er nicht nur den Friedensvertrag von Versailles verantwortlich, sondern zuallererst die Ängstlichkeit der Franzosen während der Dreißigerjahre.57 Eine verärgerte Reaktion der Alliierten Hohen Kommission ließ nicht lange auf sich warten. Der Minister entschuldigte sich zwar, legte jedoch vier Wochen später nach. Jetzt forderte er eine Relativierung der Schuld der Deutschen an der NS -Diktatur und am Zweiten Weltkrieg. »Deutschland müsse als gleichberechtigte Nation in die euro­ päische Gemeinschaft eingeordnet werden.«, erklärte er am 19.  Februar 1950 auf einer FDP-Versammlung in Berlin. »Die Schuld des deutschen Volkes dürfe in der Geschichte nicht ewig verankert werden. Auch andere Nationen hätten Fehler gemacht.«58 54 55 56 57 58

Adenauer Teegespräche 1950–1954, S. 400 ff. Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 1. WP, 21.1.1953, S. 11673 f. Adenauer Teegespräche 1950–1954, S. 401. Buscher: U. S. High Commission and German Nationalism, 1949–52, S. 62. Europa Archiv 5 (1950), S. 2929, 19.2.1950.

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Die Verbotsdebatte

Das Projekt der Westeinbindung der Bundesrepublik sah Dehler vor allem durch den Kommunismus bedroht. Er betrachtete es als »eine geschichtliche Pflicht, die Illegalität der KPD mit allen uns zur Verfügung stehenden legalen Mitteln darzutun«.59 Anderthalb Jahre bevor das Bundesverfassungsgericht überhaupt existierte, sah er »eine der ersten Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts« darin, die »Verfassungsmäßigkeit der Kommunistischen Partei und aller Organisationen, die kommunistische Ziele verfolgten«60, zu überprüfen. Seitdem wurde er nicht müde, sich immer wieder für ein Verbot der KPD stark zu machen, in Reden und Interviews, aber auch als »Strippenzieher« innerhalb der Bundesregierung. Seine Forderung nach einem Verbot der KPD hatte für Dehler »vor allem die Tendenz des Abschreckens, daneben auch der Rebellie­ rung des Bürgertums«61 für den Weststaat Bundesrepublik Deutschland. Für seine »historische Aufgabe« schien der Bundesjustizminister gut gerüstet. Er brachte politischen Willen, juristische Kompetenz und Erfahrung aus den ersten Nachkriegsjahren als Oberstaatsanwalt und danach als Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg mit.62 Als Minister umgab er sich mit erfahrenen Juristen, die sich nicht davor scheuten, aus dem politischen Strafrecht und der Verfolgung der Kommunisten während der NS -Diktatur neues Recht für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat zu schöpfen. Eine politische Lösung für die KPD -Frage, etwa aufgrund eines Gesetzes, wäre rechtlich zwar möglich, politisch aber schwierig gewesen. Hätte eine solche Lösung doch zu einer permanenten Herausforderung und Verantwortung der Exekutive im Kampf gegen den Kommunismus geführt. Politisch bequemer war es, eine solche Aufgabe der Justiz zu übertragen. Dies sollte über ein verfassungsrechtlich gestütztes Parteienverbot geregelt werden, zumal Dehler eine Lösung wollte, die die Bundesrepublik dauerhaft kommunistenfrei machen sollte. So strebte er eine strukturelle, tief im Rechtssystem des neuen Staates verankerte Lösung an, die politisch nie und nimmer umgestoßen werden sollte. Dazu brauchte er ein Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das Willi Geiger passgenau auf das von Dehler schon Anfang 1950 geforderte KPD -Verbot ausrichtete. Nach Erfüllung dieser Aufgabe wurde Geiger 1951 Senatspräsident am BGH. Gleichzeitig wurde er zum Richter am Bundesverfassungsgericht berufen, eine Funktion, die er 26 Jahre lang bis 1977 ausübte und die ihn zur grauen Eminenz am Bundesverfassungsgericht werden ließ. Es war Dehler, der nicht nur rechtlich, sondern auch politisch den Weg für eine systematische Verfolgung der Kommunisten ebnete. Es 59 ADL: NL Dehler, N1-1043, Schreiben an Rechtsanwalt Tag, 8.3.1950. 60 Europa Archiv 5 (1950), S. 2929, 21.2.1950. 61 ADL: NL Dehler, N1-1023, Dehler an Friedrich Middelhauve, Vorsitzender der FDP in NRW, 18.9.1950. 62 Zur Biografie Dehlers in der NS -Diktatur und den ersten Nachkriegsjahren vgl. Wengst: Thomas Dehler, S. 56–130.

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war Dehler, der sich schützend vor die SRP stellte. Es war Dehler, der als Bedingung und Kompensation für ein Verbot der Sozialistischen Reichspartei ein gleichzeitiges Verbot der Kommunistischen Partei forderte. In den grauen Novembertagen des Jahres 1951 tat die Bundesregierung genau das, was Dehler wollte. Zeitgleich stellte sie beim Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit von SRP und KPD.63 Werfen wir zunächst einen Blick auf die SRP. Ende September 1950 wandte sich der Bundesvorsitzende der Sozialistischen Reichspartei, Fritz Dorls, an verschiedene Spitzenpolitiker, unter anderem an den Bundesminister der Justiz. Anlass war der Beschluss der Bundesregierung zur Unvereinbarkeit der Tätigkeit in links- und rechtsradikalen Organisationen mit der Tätigkeit im Öffent­ lichen Dienst vom 19.  September 1950. Dieser »Unvereinbarkeitsbeschluss«, auch »Adenauererlass«64 genannt, enthielt eine Liste mit dreizehn »verfassungsfeindlichen Organisationen«, wovon zehn aus dem kommunistischen und drei aus dem rechtsradikalen Umfeld stammten. An erster Stelle stand die Kom­ munistische Partei Deutschlands, gefolgt von zehn kommunistischen »Tarnorganisationen«. Auf Platz elf folgte die Sozialistische Reichspartei mit zwei weiteren rechten Organisationen. Dorls mokierte sich darüber, dass die SRP auf einer gemeinsamen Liste mit der KPD genannt würde, obwohl die neue »Reichspartei« am entschiedensten den Kommunismus bekämpfte.65 Der Bundesjustizminister bot dem neuen »Reichsführer« an, in sein Bonner Büro zu kommen, um die Angelegenheit persönlich zu besprechen. Dorls nahm dankend an. Im Nachgang zu diesem Gespräch forderte Dehler ihn schriftlich auf, statt allgemeiner Loyalitätsbekundungen gegenüber der Bundesrepublik, nachprüfbare Erkenntnisse zu liefern, »wie viele ehemalige Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen heute Mitglieder der SRP sind und wie viele davon Funktionäre der NSDAP und ihrer Gliederungen waren und heute Funktionäre und Parteiredner der SRP sind«66. Als Dorls das Schreiben von Dehler an die Presse weiterleitete, reagierte der Minister weniger erbost, als persönlich verletzt. »Ich empfinde die Art, in der Sie in der Öffentlichkeit mein Schreiben vom 20. November verwenden, nicht für richtig. Sie müssen aus unserer Unterredung die Überzeugung gewonnen haben, dass ich Ihnen mit bestem Willen entgegengetreten bin. Ich hatte mich bereit erklärt, aufgrund hinreichenden Materials im Kabinett dafür einzutreten, dass Ihre Partei als legal anerkannt wird. Es ging mir bei meinem Brief ausdrücklich darum, die Struktur und den

63 Die Kabinettsprotokolle der Bundessregierung, 16.11.1951. Anträge an das Bundesverfassungsgericht. 64 Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland, S. 84 f. 65 Frei: Vergangnheitspolitik, S. 329. 66 ADL: NL Dehler, N 1-3341, Dehler an Dorls, 20.11.1950.

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Die Verbotsdebatte

Gesamtcharakter Ihrer Partei aufzuklären. Ich bin betroffen darüber, dass Sie meine Bemühungen in der Öffentlichkeit verzerrt darstellen.«67 Was den Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundesregierung vom 19.  September 1950 anbetrifft68, war dieser ein großer Flop. Wie bei vielen Entscheidungen davor und danach, hatten die Juristen im Bundesinnenministerium die Rechtslage wieder einmal völlig falsch eingeschätzt bzw. gar nicht erst geprüft. In einer Reihe von Prozessen wurde die Verfügung der Bundesregierung umgehend als gesetzwidrig verworfen. Fristlose Kündigungen mussten zurückgenommen werden. So hatte zum Beispiel der Bürgermeister von Nürtingen einen städtischen Arbeiter fristlos entlassen, weil dieser außerhalb seiner Dienstzeit Propagandamaterial für die KPD verteilt hatte. Das Arbeitsgericht erklärte die Entlassung für unzulässig. Der entlassene Arbeiter musste wieder eingestellt werden.69 Entlassungen könnten nicht mit einem Kabinettsbeschluss, sondern allenfalls auf der Grundlage eines Gesetzes begründet werden. Der Unvereinbarkeitsbeschluss wurde wenige Wochen später zurückgenommen. Der ohnehin nicht gerade besonders kompetente Bundesminister des Innern, Robert Lehr (CDU), musste dem Kabinett erklären, »dass das Ergebnis der vom Bund, von den Ländern und den Gemeinden aufgrund des Kabinettsbeschlusses vom 19. September 1950 durchgeführten Maßnahmen gleich Null sei«70. Selbst in den Bonner Bundesministerien und deren nachgeordneten Behörden blieb der Unvereinbarkeitsbeschluss so gut wie unbeachtet. Auf die Frage, wie viele Dienststrafverfahren gegen Angehörige des öffentlichen Dienstes eingeleitet worden seien, erstatteten mit zwei Ausnahmen »alle Ministerien Fehlanzeige«71. Nach der Niedersachsenwahl war die Bereitschaft Dehlers, die SRP zu legalisieren, nicht mehr zu realisieren. Jetzt war die eher im Verborgenen wirkende Einflussnahme auf die Vorbereitung eines Verbotsantrags der SRP angesagt. In einem persönlichen Schreiben wandte sich der Justizminister an seinen Kollegen Lehr.72 Detailliert erörterte er die Chancen eines Antrags an das Bundesverfassungsgericht. Es genüge nicht, dass die Bundesregierung von der Verfas­ sungswidrigkeit der SRP überzeugt sei, »sie muss nachweisen, dass die Partei auf die Zerstörung und Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unseres Staates hinarbeitet«. Hier gehe es um Tatsachenbeweis und nicht etwa nur um ausfällige Beschimpfungen der Bundesregierung und ihrer

67 ADL: NL Dehler, N 1-3341, Dehler an Dorls, 15.3.1951. 68 BArch: B137/1549, Unterlagen zum Unvereinbarkeitsbeschluss vom 19.9.1950. 69 BArch: B137/1549, Die Demokratie auf dem Glatteis, in: Neue Württembergische Zeitung, 15.12.1951. 70 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 23.1.1951. Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung. 71 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 23.1.1951, Anmerkung 1. 72 BArch: B106/200800, Dehler an Lehr, 18.7.1951.

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Politik. Prinzipiell schätzte er die Chancen eines Verbotsantrags gegen die SRP eher skeptisch ein. »Ich fürchte also«, so Dehler an Lehr, »dass es recht schwierig sein wird, beim Bundesverfassungsgericht im Augenblick mit unserem Antrag durchzudringen.« Um die Erfolgsaussichten zu verbessern, sah er zwei Möglichkeiten: 1. Statt des geplanten Verbotsantrags gegen die SRP solle zunächst ein Antrag auf Verwirkung der Grundrechte prominenter Funktionäre der SRP gestellt werden. Gegebenenfalls könnte das Verbotsverfahren gegen die SRP »bis zur Erledigung der Verwirkungsverfahren« ausgesetzt werden. 2.  Wenn sich ein Verbotsantrag gegen die SRP schon nicht vermeiden ließe, dann sollte die KPD zumindest gleichzeitig verboten werden, zumal sich die Verfassungswidrigkeit der KPD nach Dehlers Auffassung »erheblich leichter« beweisen ließ als die der SRP. »Es würde deshalb eine weitere psychologische Erleichterung für das Bundesverfassungsgericht sein, wenn es das Verbot gegen die SRP wenigstens gleichzeitig mit dem Verbot der KPD aussprechen könnte.« Deshalb sprach sich der Justizminister dafür aus, »dass mit der Klage gegen die SRP die gegen die KPD eingereicht werden sollte«. Konkret schlug er vor, in einer der nächsten Kabinettssitzungen dies zum Gegenstand der Erörterung zu machen. Da alle Versuche gescheitert seien, das Bundesverfassungsgericht noch vor der Sommerpause »funktionsfähig zu machen« und die Richter erst im September 1951 gewählt werden könnten, habe man genügend Zeit, »um diese Klage mit der erforderlichen Sorgfalt und Gründlichkeit vorzubereiten«.73 Bundesinnenminister Lehr, der für einen Rat seines Kollegen Dehler immer dankbar war, verfügte daraufhin intern, unverzüglich auch eine Klage gegen die KPD vorzubereiten, obwohl es dafür noch keinen Kabinettsbeschluss gab. Der Entwurf sollte binnen einer Woche, bis zum 15. August 1951 gefertigt werden. Dass dieser Termin wieder einmal auf einer Fehleinschätzung der erforder­ lichen Vorarbeiten basierte, sollte der Innenminister erst später erkennen. Aufgrund einer Nachfrage vom 11. Oktober 1951 erfuhr der Bundesjustizminister, dass das Material über die KPD »erst heute« im Bundesministerium des Innern zusammengestellt wurde.74 Dehler nutzte die Zeit, um für seinen Vorschlag für ein gemeinsames Vorgehen gegen SRP und KPD zu werben, mit Erfolg. Auch im Bundeskanzleramt stieß sein Vorschlag, auf uneingeschränkte Zustimmung. Hier überzeugte die Idee vor allem deshalb, weil es einige Schnittmengen zwischen dem Wählerpotential der SRP und dem der Regierungsparteien, nicht zuletzt der CDU gab. Ein einseitiges Vorgehen gegen die SRP müsste, so die Befürchtung, »ungünstige Rückwirkungen auch bei den Rechtskreisen« haben, »die sich nicht speziell zur SRP bekennen«, hieß es in einem Vermerk von Karl Gumbel, Referatsleiter im Bundeskanzleramt. »Die Handlungsweise der Regie-

73 Ebd. 74 BArch: B 141/207, Vermerk 11.10.1951.

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Die Verbotsdebatte

rung würde als ein einseitig gegen national gesinnte Kreise gerichtetes Vorgehen angesehen werden.«75 Was der Kanzler brauchte und schließlich auch bekam, war eine Lösung für die SRP, die sowohl den Forderungen der Besatzungsmächte nach einer wirksamen Bekämpfung des Rechtsradikalismus, als auch den Vorbehalten der »natio­nalen Kreise« in den eigenen Reihen gerecht wurde. Die nationalen Kreise waren nicht nur in den Fraktionen von CDU/CSU, FDP und DP gut vertreten, sondern auch in der Bundesregierung selbst. Die Verbotsfrage hatte somit eine außenpolitische und eine innenpolitische Dimension. Es stand einiges auf dem Spiel, die Abschaffung des Besatzungsregimes ebenso wie der Zusammenhalt der Koalition. Dass ein Antrag auf Verbot der SRP gestellt werden musste, daran gab es seit der Niedersachsenwahl keinen Zweifel mehr. Ein solches Verbot war nach der politischen Gemengelage innerhalb der Regierungskoalition nur möglich, wenn gleichzeitig ein Antrag auf Verbot der KPD gestellt wurde. Wieder und wieder wies Adenauer im Kabinett darauf hin, »dass die SRP außerordentlich störend bei allen Verhandlungen wirke. Es sei deshalb die Durchführung der Klage erforderlich.«76 Prompt folgte auf eine derartige Äußerung die Forderung des rechten Lagers innerhalb der Koalition, etwa von Hans-Joachim von Merkatz (DP), »dass ein Verbot der SRP ohne gleichzeitiges Verbot der KPD nicht möglich wäre«77. Am 9. Oktober 1951 stellte das Kabinett fest, dass die Frage einer gleichzeitigen Verfassungsklage gegen SRP und KPD noch einmal geprüft werden sollte. Der Bundesinnenminister erklärte dazu, dass die Klage gegen die SRP bereits fertiggestellt sei. Für die Klage gegen die KPD reiche das gesammelte Material aus.78 Am 12. Oktober erhielt der Bundesinnenminister den Auftrag, die beiden Klagen fertigzustellen und zu ergänzen. Sobald die endgültige Fassung vorläge, sollte die Entscheidung getroffen werden.79 Der weitere Abstimmungs- und Entscheidungsprozess verlief weitgehend komplikationslos. Die FDP-Fraktion schloss sich der von Dehler vorgegebenen Linie des gleichzeitigen Antrags auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit gegen die SRP und die KPD an. Die Deutsche Partei neigte eher zu einem alleinigen Verbot der KPD. Da dies politisch auf keinen Fall möglich war, war sie bereit, dem vorgeschlagenen Kompromiss des gleichzeitigen Verbots beider Parteien zuzustimmen. Am 29. Oktober ließ Bundeskanzler Adenauer auch in der CDU-Fraktion die Frage stellen, »ob bei der bevorstehenden Klage des Bundeskabinetts gegen die SRP beim Bundesver­ 75 BArch: B 136/3784, Vermerk Karl Gumbel, 11.10.1951. 76 Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, S. 158. 77 Ebd. 78 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 9.10.1951. SRP und KPD. 79 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 12.10.1951. Prüfung der Einbringung der Verfassungsklage.

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fassungsgericht nicht auch gleichzeitig Klage gegen die KPD auf Verfassungswidrigkeit eingereicht werden müsse«. Die Meinung der Fraktion war, wie Heinrich von Brentano, Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, dem Kanzler sagte, »man müsse gegen beide einschreiten«80. Am 16.  November 1951 traf das Kabinett dann endgültig die Entscheidung, dass beide Verbotsanträge gleichzeitig beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestellt werden sollten. Der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP wurde am 19. November 1951, der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD am 22. November 1951 vom Bundesminister des Innern unterzeichnet und beim Verfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht.81 Außen- und deutschlandpolitisch war ein derartiger Kompromiss allerdings nur möglich, wenn die Westmächte ihre Bedenken gegen ein Verbot der KPD nicht mehr geltend machten. In einer gemeinsamen Besprechung Adenauers mit den Alliierten Hohen Kommissaren am 25. Oktober 1951 waren die neuralgischen Punkte noch einmal zur Sprache gekommen. Sir Ivone Kirkpatrick, Britischer Hoher Kommissar in Bonn, wollte als erstes wissen, was aus den gesamtdeutschen Wahlen werde, wenn die KPD verboten würde. »Alle Parteien in der Ostzone hätten nichts mit den Parteien in Westdeutschland zu tun«, antwortete der Kanzler. Bei gesamtdeutschen Wahlen gäbe es eine Liste für Gesamtdeutschland. Für den Kanzler ging es jetzt jedoch erst einmal um die Westintegration Westdeutschlands und nicht etwa um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. »Alles das hat noch so viel Zeit, dass man sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen sollte.« Und was wäre, fragte der Brite weiter, wenn die von Adenauer geforderte UNO -Kommission zur Prüfung der Voraussetzungen gesamtdeutscher Wahlen in der DDR und in der Bundesrepublik »etwa Bedenken gegen das Verbot der KPD erhebt?« Wenn das Bundesverfassungsgericht die KPD für illegal erkläre, gäbe es keinen Grund für Bedenken, antwortete Adenauer. Schließlich wollte Kirkpatrick noch wissen, wann der Verbotsantrag dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werde. »Im Kabinett war man der Ansicht«, so der Bundeskanzler, »dass man nicht gegen die SRP vorgehen könne, ohne gleichzeitig gegen die KPD vorzugehen. Das Ganze ist eine hochpolitische Angelegenheit. Daher sind Fühlungnahmen mit den Parteien im Gange. Die SPD wird wahrscheinlich dagegen sein. Meine Auffassung: die Regierung trägt die Verantwortung und kann keine Rücksicht auf die Parteien nehmen.«82

80 Adenauer: »Es musste alles neu gemacht werden.« Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1950–1953, S. 92 f. 81 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 16.11.1951. Anträge an das Bundesverfassungsgericht. 82 AAPD: Bd 1, Adenauer und die Hohen Kommissare 1949–1951, 25.10.1951, S. 558.

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Die Verbotsdebatte

Die Protokollnotizen über die Besprechung vermerken nicht, ob und wenn ja, wie die Hohen Kommissare auf die Antworten des Kanzlers reagierten. Die Vertreter der Westmächte dürften froh gewesen sein, dass ihr Anliegen von der Bundesregierung endlich ernstgenommen wurde und etwas zur Bekämpfung des erstarkten Rechtsradikalismus getan werde. Wenn dazu ein gleichzeitiges Verbot der KPD notwendig war, dann sollten das die Westdeutschen halt tun. Jedenfalls behandelten die Drei Mächte die KPD -Frage künftig als eine Art innere Angelegenheit der Bonner Regierung und mischten sich weiter nicht ein. Nach dem »Doppelbeschluss« des Bundeskabinetts vom 16.  November 1951, einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit sowohl gegen die SRP als auch gegen die KPD zu stellen, hielten sich die Besatzungsmächte mit öffentlichen Stellungnahmen zurück. Mit dem Antrag auf Verbot der SRP war ihrer Forderung, endlich etwas gegen den Rechtsradikalismus zu tun, zunächst einmal Genüge getan. In Sachen Rechtsradikalismus ließen die Westmächte auch in Zukunft nicht locker. Hier musste der Kanzler erst noch beweisen, dass seine Regierung gegen alle Staatsfeinde von links und von rechts, wie Adenauer es gerne formulierte, mit gleicher Härte vorging. An einem guten Verhältnis zwischen dem Kanzler und den Hohen Kommissaren musste auch in Zukunft kontinuierlich gearbeitet werden. Ein wichtiger Impuls ging von der Außenministerkonferenz der drei Westmächte aus, die vom 10. bis 14. September 1951 in Washington stattfand. Hauptziel der Westmächte, so erklärten die drei Außenminister, sei die Integration der Bundesrepublik in eine europäische Gemeinschaft, die selbst Bestandteil einer übergeordneten atlantischen Gemeinschaft sei. Die angestrebte Integration sei mit der Aufrechterhaltung des Besatzungsstatuts in der Bundesrepublik unvereinbar. Deshalb sei die Alliierte Hohe Kommission beauftragt worden, »mit der Bundesrepublik über entsprechende Abkommen zu verhandeln, die die Beziehungen Westdeutschlands zu den Westmächten regeln sollen«83. Trotz mancher politischen Irritationen über den zunehmenden westdeutschen Nationalismus konnten im Herbst 1951 die ersten Verhandlungen über einen Generalvertrag zur Regelung der deutsch-alliierten Beziehungen nach Beendigung des Besatzungsregimes und der Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) aufgenommen werden. In einem Kommuniqué über die Besprechungen der Außenminister der drei Westmächte mit Bundeskanzler Adenauer am 22. November 1951 in Paris war immerhin von einem »bemerkenswerten Fortschritt der wachsenden Verbundenheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Westen auf der Grundlage gleichberechtigter Partnerschaft«84 die Rede. Zeitgleich mit dem Kommuniqué über die 83 Europa-Archiv 6 (1951), S. 4397 f. 84 Europa-Archiv 6 (1951), S. 4588.

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Pariser Besprechungen ließ die Bundesregierung der Öffentlichkeit mitteilen, dass sie am 22. November 1951 den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht habe. Innenpolitisch hatte es in den letzten Wochen vor dem Doppelbeschluss der Bundesregierung zum gleichzeitigen Verbotsantrag gegen die SRP und gegen die KPD noch einige Überraschungen gegeben. Auch der Ausschuss zum Schutz der Verfassung des Deutschen Bundestags hatte sich intensiv mit der Frage eines Verbots von SRP und KPD beschäftigt. Bezüglich der SRP waren sich die Ausschussmitglieder rasch einig. Die Klage gegen die SRP wurde gebilligt. Nicht so die Klage gegen die KPD. Hier machten »alle Konferenzteilnehmer erhebliche rechtliche und politische Bedenken gegen die Einreichung der Klage gegen die KPD geltend«.85 Die Abgeordneten bezweifelten, dass die Klage mit der vorgelegten Begründung, die sich vor allem auf historische und ideologische Erwägungen stützte, Erfolg haben würde. Die KPD sei nach 1945 nicht nur von den Alliierten, sondern auch von deutschen Stellen ausdrücklich anerkannt worden. In etlichen Landesregierungen sei die KPD jahrelang vertreten gewesen.86 Die KPD habe beim Wiederaufbau Deutschlands tatkräftig mitgeholfen, habe Minister gestellt und Abgeordnete in den verschiedenen Parlamenten gehabt. Ein Parteiverbot würde die Kommunisten in die Illegalität treiben, wo sie sehr viel schwieriger zu beobachten, zu kontrollieren und zu bekämpfen seien. Das eigentliche Problem sei nicht die legale Partei, sondern die illegale Tätigkeit. Die Tätigkeit der legalen Partei wurde für eher »ungefährlich« gehalten. »Bei der nächsten Wahl würde sie mit aller Wahrscheinlichkeit völlig geschlagen werden. Die offizielle KP befinde sich auf einem absteigenden Ast. Dagegen sei ein illegaler Zustand der KP sehr gefährlich.«87 Was fehle, sei ein Gesetz, in dem klar definiert würde, was unter illegaler Arbeit zu verstehen sei. Ähnlich wie die Besatzungsmächte machten auch die Abgeordneten des Bundestags einen deutlichen Unterschied zwischen einer legalen und einer illegalen Tätigkeit der KPD. Im Übrigen betonten die Mitglieder des Verfassungsausschusses, das Verhältnis zur Sowjetunion nicht unnötig zu belasten. Das dringend notwendige Gespräch zwischen Ost und West fordere vielmehr Zurückhaltung in der Verbotsfrage, in der Hoffnung, in der Frage der Wiedervereinigung einen Schritt weiterzukommen.88 Deutliche Kritik an einem Verbot der KPD war auch von einer Seite gekommen, von der man es nicht vermutet hätte, von den Landesämtern für Verfassungsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln hatte kurzfristig zu einer Tagung der Leiter der Landesämter für Verfassungsschutz am 23. Okto­ 85 BArch: B 106/15530. Menzel an Lehr, 22.11.1951 und 11.1.1952. 86 BArch: B 106/200800, Niederschrift des Ausschusses für Verfassungsschutz am 25.10.1951. 87 Ebd. 88 Ebd.

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Die Verbotsdebatte

ber 1951 nach Köln eingeladen, um die Frage der Zweckmäßigkeit einer Verfassungsklage zu diskutieren. »Sämtliche Amtsleiter haben sich  – zum Teil  mit Schärfe  – gegen ein solches Verbot ausgesprochen«, fasste der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, das Ergebnis der Konferenz zusammen. »Von allen wurde das Argument gebraucht, dass mit Rücksicht auf die gegenwärtige gesamtdeutsche Situation der Eindruck entstehen müsse, als solle durch Einreichung einer Verfassungsklage gegen die KP jedes gesamtdeutsche Gespräch torpediert werden. Es wurde ferner hervorgehoben, dass die Durchführung einer Klage gegen die KP nicht dringend sei, weil ein solches Verfahren zum Schutz der Verfassung gegenwärtig nicht für erforderlich gehalten werde. Diese Ansicht wurde damit begründet, dass eine illegale KP gefährlicher sei als die als Partei zugelassene kommunistische Bewegung, die in den Wahlen der letzten Jahre ständig an Stimmen verloren habe.« Wie die Besatzungsmächte und die Abgeordneten wollten auch die Verfassungsschützer die Hände nicht einfach in den Schoß legen, sondern betonten, »dass eine schärfere Bekämpfung aller kommunistischen Einzelaktionen sowie der Tarnorganisationen zu empfehlen sei«89. Die einzige Partei, die sich klar und deutlich gegen ein Verbot der KPD politisch positionierte, war die SPD. »Die SPD wird sich jedem Versuch widersetzen«, rief der stellvertretende SPD -Vorsitzende Erich Ollenhauer 300 SPD Funktionären auf einer Tagung im pfälzischen Neustadt zu, »die KPD in der Bundesrepublik zu verbieten«. Solange die KPD »eine normale politische Partei« sei, sei sie besser zu kontrollieren, als wenn man sie in die Illegalität dränge. »Die SPD würde jedoch alle KPD -Bestrebungen, die Ziele der SED in der Bundesrepublik auf ungesetzlichem Wege durchzuführen, mit allen legalen Mitteln bekämpfen.«90 Anlässlich der Verbotsanträge gegen die SRP und die KPD distanzierte sich der Vorstand der SPD erneut von dem Beschluss der Bundesregierung. Die Behauptung, die SPD trage die Entscheidung mit, sei schlicht falsch. Vielmehr habe die SPD im Verfassungsausschuss sehr deutlich auf die Fragwürdigkeit und Gefährlichkeit dieses Weges hingewiesen. Während die SRP durch ein Verbot getroffen werde, sei die KPD darauf längst vorbereitet. Sie habe den Verbotsantrag eher mit Erleichterung akzeptiert, weil sie dadurch ihre politische Schwäche verdecken könne. Durch ein Verbot werde die Bekämpfung der KPD eher erschwert, als erleichtert. Schon seit langem habe die SPD »gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung ganz bestimmter kommunistischer Aktionen und Methoden verlangt«. Statt einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, habe die Bundesregierung nur mit Verordnungen gearbeitet, »die von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte nicht anerkannt worden sind«. Problematisch sei der Antrag auch, weil er in einem Augenblick erfolge, »in dem 89 BArch: B 106/200817, BfV (John) an BMI, 29.10.1951. 90 LAV NRW R: NW: 490-3, Welt am Sonntag, 24.9.1950.

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das Thema der deutschen Einheit auf der politischen Tagesordnung« stehe. Die Einheit dürfe nicht »durch die Anwendung falscher Mittel in der notwendigen Bekämpfung der Kommunistischen Partei vereitelt oder auch nur erschwert werden«91. Auch die Bundesländer zeigten kein sonderliches Interesse an einem Verbot der KPD. Bereits am 11./12. Mai 1950 hatten die Innenminister des Bundes und der Länder auf einer Tagung in Berlin über die KPD -Frage beraten. »Es besteht Einmütigkeit darüber«, heißt es im Konferenzprotokoll, »dass zur Zeit ein Verbot der KP und ihre Verdrängung in die Illegalität unzweckmäßig ist. Nach den Erfahrungen der Länder wird voraussichtlich der gegenwärtige Mitgliederschwund der KP anhalten.« Für die Überwachung einer illegalen KPD seien nicht genügend Polizeikräfte vorhanden. »Eine bessere Überwachung der getarnten Nebenorganisationen« wurde dagegen »für dringend erforderlich gehalten«92. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, des Landes, in dem die meisten Kommunisten lebten, legte sich bereits am 8. Mai 1950 in der KPD -Frage fest und beschloss einstimmig, »dass das Kabinett des Landes Nordrhein-Westfalen zur Zeit ein Verbot der KPD für untunlich hält«. Über diesen Beschluss sollten der Bundeskanzler und der Bundesinnenminister durch den Landesinnenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Walter Menzel (SPD) umgehend informiert werden. Gleichzeitig wurde Menzel aufgetragen, den Bundeskanzler »in einer persönlichen Unterredung« zu bitten, »dass bei der Entscheidung dieser Frage die Landesregierung Nordrhein-Westfalen vorher gehört wird«93. Offensichtlich spielte die Düsseldorfer Regierung unter Karl Arnold ein doppeltes Spiel. Das Erstaunliche geschah. Bereits einen Tag später wurde das Anliegen der nordrhein-westfälischen Regierung in der Kabinettssitzung der Bundesregierung beraten. Nicht nur die Schnelligkeit überraschte, mit der Menzel seinen Auftrag erledigte, sondern vor allem die Botschaft, die er überbrachte. Sie war das genaue Gegenteil von dem, was die Landesregierung einen Tag vorher beschlossen hatte. Menzel teilte dem Bundeskabinett in Bonn nämlich nicht mit, dass die Landesregierung ein Verbot der KPD »für untunlich« halte, sondern bat die Bundesregierung, das genaue Gegenteil zu tun, nämlich die KPD zu verbieten. Die Bundesregierung wies zu dem Zeitpunkt mit überraschender Klarheit und Entschiedenheit ein derartiges Ansinnen zurück. In den Kabinettsproto­ kollen der Bundesregierung vom 9. Mai 1950 heißt es nämlich: »Menzel verlangt 91 BArch: ZSg 1098/33. 92 BArch: B 106/15487, Protokoll der Tagung der Innenminister in Berlin am 11./12. Mai 1950. 93 Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung von NRW 1946–1950 Teil II, Band Kabinettsakten 1, 8.5.1950, S. 925.

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als Beschluss des NRW-Kabinetts Verbot der KPD. Ist verfassungsmäßig nicht möglich. Geht nur über Verfahren beim Verfassungsgerichtshof. Allgemein, aber grundsätzlich abgelehnt.«94 Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vermutlich waren es kurzfristige wahltaktische Überlegungen. Am 18.  Juni 1950 wurde in NRW ein neuer Landtag gewählt. Dass ausgerechnet Menzel die verdrehte Botschaft überbrachte, ein Mann, der sich als SPD -Abgeordneter im Verfassungsausschuss des Bundestages vehement gegen ein Verbot der KPD aussprach, macht deutlich, wie stark die Haltung in der KPD -Frage stets auch von parteitaktischen bzw. wahltaktischen Motiven geprägt war. Derartige Motive und Überlegungen lassen sich bis weit in die Sechzigerjahre auch bei anderen Parteien, etwa der CDU beobachten. Kaum war die KPD am 17. August 1956 verboten, da trauerte man ihr schon hinterher, als willkommenes Feindbild in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit vor dem Verbot oder als ärgerlicher Stimmenbeschaffer für die SPD nach dem Verbot. »Die SPD ist Nutznießer des KPD -Verbots«, erklärte Ernst Lemmer im Bundesvorstand der CDU mit Blick auf die nächste Bundestagswahl 1957, »das Verbot kann die Wahl entscheiden. Vier Prozent gleich 20 Sitze gehen jetzt an die SPD. Der Antrag hätte nach den Wahlen 1953 zurückgezogen werden müssen, mit dem Argument, die Wähler hätten diese Partei hingerichtet. Inzwischen handle es sich nur noch um eine »Sammlung von Agenten und politischen Sektierern«95. Im Unterschied zu den vielen Kritikern eines KPD -Verbots von den Besatzungsmächten über die Innenminister der Länder und die Chefs der Landesämter für Verfassungsschutz, bis zum Verfassungsausschuss des Deutschen Bundestags, der oppositionellen SPD und den zahlreichen Wahlstrategen in den Parteien war und blieb die Bereitschaft der Bevölkerung, ein KPD -Verbot zu bejahen, von den Vierziger- bis in die Siebzigerjahre hinein auf hohem Niveau stabil, wie verschiedene Meinungsumfragen und die folgende Grafik bestätigen. Welche allgemeinen Erkenntnisse lassen sich nun aus der politischen Debatte über ein mögliches KPD -Verbot Anfang der Fünfzigerjahre gewinnen? War der Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD eine Folge des Kalten Krieges, einer sich gleichsam vor Ort, also auch in der Bundesrepublik durch politische Aktivitäten von Kommunisten ver­ schärfenden internationalen Sicherheitslage? Von Vielen, die es wissen mussten, von den Besatzungsmächten über die Innenminister und Verfassungsschutzämter der Länder bis zum Verfassungsschutzausschuss des Bundestages, gab es hierauf eine klare und eindeutige Antwort: nein. Von der KPD ging keine Bedrohung für Staat und Gesellschaft aus, wie es auch in den folgenden Jahren in nahezu allen Monats-, Jahres- und Mehrjahresberichten des Bundesamtes 94 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 9.5.1950, S. 371. 95 Adenauer: »Wir haben wirklich etwas geschaffen«. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1953–1957, S. 1192.

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Grafik 7: Für oder gegen ein Verbot der KPD/DKP? Umfragen 1950–1973 60% 50% 40%

verbieten

30%

nicht verbieten unentschieden

20% 10% 0%

Okt. 501)

Jan. 521)

Jun. 541)

Dez. 662)

Sep. 733)

1) Frage : Sind Sie dafür, die Kommunistische Partei in Westdeutschland zu verbieten) 2) Frage: Stimmen Sie folgenden Satz voll und ganz zu: »Eine kommunistische Partei darf es bei uns nie wieder geben.« Auf die Frage 2) antworteten 46% der Befragten mit ja. 3) Frage: Sollte die DKP verboeten werden oder nicht?

Quellen: Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947–1955, S. 272 f. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1965–1967, S. 204. The Germans. Public Opinion Polls, 1967–1980, S. 204.

für Verfassungsschutz immer wieder hieß.96 Die Kommunisten waren zudem weder eine gewalttätige, noch eine gewaltbereite politische Vereinigung. Es gab nicht eine Waffe, die bei den zahllosen Durchsuchungen und Beschlagnahmen gefunden worden wäre. Allerdings gehörten sie zu den schärfsten Kritikern des westdeutschen Staates, der Wiederaufrüstung und der Westintegration in das westliche Bündnissystem. Die Hauptgefahr, die von der KPD ausging, wurde darin gesehen, dass die Sowjetunion und mit ihr die SED und die KPD propagandistisch Front machten gegen den Integrationsprozess des Weststaates in den Westen. Da dieser Prozess innenpolitisch stark umstritten war, ergriffen die Kommunisten immer wieder Partei für die Kritiker und zielten auf eine »nationale Sammlungsbewegung« gegen Adenauer. Im Vordergrund der politischen Tätigkeit stand, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz im Februar 1952 berichtete, »der Kampf gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Neben der KPD und ihren Tarnorganisationen beteiligten sich daran verstärkt die der politischen Mitte angehörenden Kräfte um Dr. Dr. Heinemann, Frau Helene Wessel und Pfarrer Nochalski.«97 Die Verhältnisse im rechten Spektrum der westdeutschen Gesellschaft entwickelten sich geradezu umgekehrt proportional zum linken Spektrum. Von den Sieger- und Besatzungsmächte zunächst verboten und unterdrückt, dann mehr oder weniger geduldet, je näher die Gründung eines neuen Weststaates rückte, nahm seit 1948 ein neuer/alter Nationalismus immer vielfältigere Kon96 BArch: B 443/571, Monatsberichte des BfV. 97 BArch: B 443/571, Monatsberichte des BfV, Anfang März 1952, S. 113.

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turen an, ehe er sich über alle demokratischen Parteien ausbreiten und an deren Rändern reorganisieren konnte. Die alten Weimarer und NS -Eliten drängten in alte oder höhere Positionen. Ohne sie sei kein neuer Staat zu machen, begründete Adenauer die schützende Hand, die er über sie hielt. Überall waren sie anzutreffen, in den Gerichten, bei der Polizei und den Geheimdiensten, an den Schulen und Hochschulen, in den Parlamenten und Behörden, in den Bundesministerien, in den Landesregierungen und nicht zuletzt im ersten Kabinett Adenauer. Nachkriegsdeutschland erlebte eine Renaissance des Nationalismus. Entsprechende, den nationalistischen Zeitgeist ermittelnde, Umfragen erreichten Spitzenwerte. Nur antikommunistische Fragestellungen brachten ähnliche Ergebnisse. Jetzt kam zusammen, was zusammengehörte. Antikommunismus und Antisemitismus waren die tragenden Säulen des alten deutschen Natio­ nalismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der neue deutsche Nationalismus nach 1945 durfte sich nicht mehr antisemitisch, sondern nur noch antikommunistisch gerieren. Aber dafür umso heftiger, ging es doch darum, nicht nur die Schmach von Stalingrad und der totalen Niederlage von 1945 zu überwinden, sondern auch darum, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937, von Köln bis Königsberg, wiederherzustellen. Eine Forderung, die nicht nur von rechtsextremen Parteien, sondern auch und insbesondere von der bürgerlichen Mitte vertreten wurde. Der neue deutsche Nationalismus bereitete nicht nur den Besatzungsmächten, sondern auch allen europäischen Staaten im Osten wie im Westen große Sorgen, zielte er doch auf eine Revision des territorialen Status quo in Deutschland und Europa. Adenauer stand also vor dem Problem, sowohl die Erwartungen der Besatzungsmächte nach wirksamen Maßnahmen gegen die SRP zu erfüllen, als auch die »nationalen Kreise« in den eigenen Reihen und darüber hinaus nicht zu verprellen, die sich entschieden gegen ein Verbot der SRP aussprachen. Ein Verbot der SRP war außenpolitisch unerlässlich, innenpolitisch jedoch nur durch ein gleichzeitiges Verbot der KPD möglich. Kein Verbot der SRP ohne ein Verbot der KPD: Mit diesem Kompromiss mussten es die Besatzungsmächte hinnehmen, dass auch gegen die KPD ein Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit gestellt wurde, obwohl sie dieses nicht für notwendig hielten. Vor allem aber mussten es die »nationalen Kreise« in der CDU und darüber hinaus hinnehmen, dass die SRP überhaupt verboten werden sollte, obwohl selbst Mitglieder der Regierungskoalition »eine gleichzeitige parallele Aktion gegen den Rechtsradikalismus nicht für angezeigt« gehalten hatten, »weil es sich hierbei in viel größerem Maße als es bei den Kommunisten der Fall sei, um irregeleitete, verbitterte Menschen handele, die man nicht zu Märtyrern machen solle«98.

98 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 25.4.1951, Innenpolitische Lage und Wahlen.

Abb. 2a, 2b, 2c: Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 – Wahlkampfplakate von CDU (1949), SPD (1949), CDU (1965)

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Die gleichzeitige Antragstellung der Bundesregierung auf ein Verbot von SRP und KPD, auch und gerade in dieser Reihenfolge, war den zeitgleich in Paris begonnenen Verhandlungen über eine Aufhebung des Besatzungsstatuts geschuldet. Am 22. November 1951 informierte Bundeskanzler Adenauer in Paris die Außenminister der drei Westmächte über die getroffene Entscheidung der Bundesregierung gegen den Rechts- und Linksradikalismus. wobei er die Priorisierung gleich wieder zurechtrückte. Während die Gefahr von rechts vor allem vom Ausland überschätzt werde, werde die Gefahr von links unterschätzt.99 In einer Rede im Überseeclub Hamburg äußerte sich Bundesinnenminister Lehr Anfang Dezember 1951 im gleichen Sinne. Die SRP sei »mit viel Lärm und Geschrei ins politische Leben getreten. Die hinter ihr stehenden Kräfte entsprechen keineswegs diesem Lärm«. Auch er betonte: »Weitaus größer ist die Gefahr von links.«100 Mit dem gleichzeitigen Verbotsantrag gegen die SRP und die KPD war der Bundesregierung ein politischer Coup gelungen, der weder gegen die eine, noch gegen die andere Partei allein möglich gewesen wäre. Zu groß wären die politischen Widerstände in dem einen wie dem anderen Fall gewesen. Die angebliche Gleichbehandlung des politischen Radikalismus, die Adenauer schon in seiner ersten Regierungserklärung angesprochen bzw. angedroht hatte, schien zum ersten Mal umgesetzt worden zu sein. Jetzt hatte die Regierung freie Hand, die Bedrohungen von rechts und von links nach ihrem Gusto neu zu gewichtigen. Dies hatte den politischen Charme, dass die bürgerliche Mitte, in der sich die Masse der alten und neuen Nationalisten tummelte, wieder einmal ungeschoren davon kam. Der unerlaubte Nationalismus wurde auf die Unverbesserlichen à la Dorls, Remer und Co., die »mit lautem Getöse« in und mit der SRP aufmarschierten, eingegrenzt, während sich für die Mehrheit der alten und neuen Nationalisten die Türen zum neuen westdeutschen Teilstaat auf allen Ebenen weit öffneten. Sie alle hatten die Zusage des Kanzlers, dass man endlich »mit der Naziriecherei Schluss machen«101 werde. Ein Angebot nicht nur für die »Ewiggestrigen«, sondern auch für die »Rückversicherer«, die nicht zupacken, sondern abwarten wollten, in welche Richtung das politische Pendel letztlich ausschlagen würde, nach Westen oder doch nach Osten, und nicht zuletzt für alle, die als Flüchtlinge, Kriegsgefangene und Kriegsheimkehrer, ehemalige Weimarer und NS -Eliten nach neuer staatlicher und nationaler Orientierung suchten. Indem das KPD -Verbot das SRP-Verbot erst ermöglichte, erhielt es die wichtige politisch-instrumentelle Funktion, den Nationalismus der Mehrheitsgesellschaft einzugrenzen und zu relativieren und dem Antikommunismus als der neuen 99 AAPD: 1.1.1951 bis 31.12.1951, Adenauer informiert die westlichen Außenminister in Paris, 22.11.1951, S. 633. 100 AdsD: PV Fritz Heine/511, Rede Lehr im Überseeclub Hamburg, 3.12.1951, S. 9 u. 11. 101 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 1. WP, 22.10.1952, S. 10735 .

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sinnstiftenden Staatsdoktrin zum Durchbruch zu verhelfen. So wurde das KPD Verbot zu einem entscheidenden Instrument im antikommunistisch begründeten Staatswerdungsprozess der Bundesrepublik und deren Integration in die Bündnisstrukturen des Westens.

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Die Karlsruher Verhältnisse Prozessverzögerung und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht

Am 28. September 1951 wurde in Karlsruhe das neue höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland, das Bundesverfassungsgericht, offiziell eröffnet. Sein erster Präsident wurde Hermann Höpker Aschoff. Die Suche nach einem politisch akzeptablen Kandidaten war sehr schwierig gewesen. Schließlich hatte man sich auf den 68 Jahre alten Bundestagsabgeordneten der FDP, einen Juristen und Spezialisten für Finanzfragen, geeinigt. In der Weimarer Republik war Höpker Aschoff bis zu seinem Rücktritt 1931 Preußischer Finanzminister gewesen. Seine Kandidatur war von Bundespräsident Theodor Heuss und Bundesjustizminister Thomas Dehler, beide langjährige Weggefährten und Mitglieder der FDP, protegiert und gegen starke politische Widerstände, vor allem seitens des Katholischen Büros, der politischen Vertretung der Katholischen Kirche in Bonn, und der CSU durchgesetzt worden.1 Nur zwei Monate nach Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts schrieb der neue Präsident einen sehr persönlichen Brief an seinen Freund und Wohnungsnachbarn aus den gemeinsamen Bonner Jahren, Thomas Dehler. Offen haderte er damit, dass er das neue Amt angenommen hatte und klagte sehr über die schrecklichen Karlsruher Verhältnisse. Die Situation am Bundesverfassungsgericht sei alles andere als erfreulich. Da waren zunächst einmal die schwierigen äußeren Bedingungen. Keiner der Richter hatte bislang eine Wohnung in Karlsruhe gefunden. Viele der neuen Bundesrichter zogen es vor, ihren Wohnsitz in einer angenehmeren Umgebung, etwa in Baden-Baden, zu nehmen oder lieber gleich an ihren bisherigen Wohnorten in Tübingen, Freiburg, München oder Berlin wohnen zu bleiben. Das galt vor allem für die Professoren, die ihre Lehrtätigkeiten weiter führen wollten und konnten. So kam es, dass viele Richter »überhaupt nur sporadisch in Karlsruhe auftauchen«2. Der eigentliche Grund für die Malaise war die ungleiche Verteilung der Arbeitslast. Dies lag wiederum an den im Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1 Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 301–306. 2 ADL: NL Dehler, N1-2902, Höpker Aschoff an Dehler, 26.11.1951, gedruckt in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 456–459.

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Abb. 3: Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe am 28. September 1951. Erste Reihe von rechts nach links: Hinrich Wilhelm Kopf, Ministerpräsident von Niedersachsen und Präsident des Bundesrates; Konrad Adenauer, Bundeskanzler; Hermann Höpker Aschoff, Präsident des Bundesverfassungsgerichts; Theodor Heuss, Bundespräsident; Hermann Ehlers, Bundestagspräsident.

(BVerfGG) geregelten Zuständigkeiten.3 Während der 2. Senat für die zahlenmäßig noch geringen »Organstreitigkeiten« zwischen den Organen des Bundes und der Länder zuständig war, gehörten die »Normenkontrollverfahren«, die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften, und die rasant zunehmenden Verfassungsbeschwerden zu den Aufgaben des 1. Senats. Über 300 Beschwerden waren innerhalb der ersten beiden Monate beim Verfassungsgericht eingegangen. Obwohl die meisten Beschwerden zurückgewiesen wurden, machten sie viel Arbeit, weil »die krausesten Rechtsfälle in völlig ungeordneter Form« vorgetragen wurden. Hinzu kamen die beiden anstehenden Parteiverbotsverfahren gegen SRP und KPD. Eine gesetzliche Änderung der Aufgabenverteilung, wie der Präsident sie schon wenige Wochen nach Eröffnung des Gerichts anstrebte, stieß jedoch innerhalb des Gerichts auf erheblichen Widerstand. Die Richter des 2. Senats waren durchaus bereit, den Kollegen vom 1. Senat bei der – eher als vorübergehend eingestuften – Beschwerdeflut zu helfen. Sie 3 BGBl: I 1951, S. 243, BVerfGG auch in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 430 ff.

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sträubten sich jedoch dagegen, diese Aufgabe dauerhaft zu übernehmen. Dann wollten sie schon lieber die anfallenden Normenkontrollverfahren übernehmen, was jedoch einer »Degradierung« des 1. gegenüber dem 2. Senat gleichkam. »Ich habe die große Sorge«, beschwor Höpker Aschoff Parteifreund Dehler, dass Verfassungsrichter Geiger »dank seiner Beziehungen zu Ihrem Ministerium alle Hebel in Bewegung setzen wird, um die von uns vorgeschlagene Aufteilung der Verfassungsbeschwerden zu verhindern und auch die Normenkontrollverfahren an den 2. Senat zu bringen. Ich beschwöre Sie, solchen Bemühungen von vornherein Widerstand zu leisten.«4 Dann zog er verbittert Bilanz: »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche bitteren Wochen hinter mir liegen, Tage und Nächte des Grolls, dass ich in meinen alten Jahren dazu gezwungen bin, in diesem furchtbaren Karlsruhe zu leben, eine Arbeit zu tun, die mich nicht befriedigen kann. Gewiss, ich hätte mir das selbst sorgfältig überlegen können, und es war vielleicht töricht, dass ich Ihnen gezürnt habe, weil Sie meiner Dummheit kein Licht aufgesteckt haben. Aber Sie haben mich immer wieder beschworen, dieses Amt zu übernehmen, und mich immer wieder darauf hingewiesen, dass meiner hier eine lohnende Arbeit in der Gestaltung unseres unvollkommenen Verfassungsrechts warte. Davon kann überhaupt keine Rede mehr sein, wenn auch die Normenkontrollen an den 2. Senat wandern und der 1. Senat auf die Verfassungsbeschwerden beschränkt wird. Die beiden großen Klagen sind Einzelfälle, die sich nicht wiederholen werden.«5 Nicht nur der Präsident versorgte die Politik mit Interna aus dem Verfassungsgericht. Auch andere Verfassungsrichter standen in regelmäßigem Kontakt mit »ihren Leuten« in Bonn. Hierzu zählten vor allem Gerhard Leibholz und Willi Geiger, Richter am 2.  Senat. Beide reagierten sofort, als sie davon erfuhren, dass ihr Präsident in Bonn für eine gesetzliche Neuverteilung der Aufgaben warb. In einem Brief an Duzfreund Walter Strauß, Staatssekretär im Bundesjustizministerium, bezog der Göttinger Professor Leibholz gegen ein entsprechendes Positionspapier seines Präsidenten klar Position: »Hierdurch möchte ich Dir gern sagen, dass das Plenum des Bundesverfassungsgerichts einen Beschluss gegenteiligen Inhalts gefasst hat.« Wenn Höpker Aschoff sich trotzdem für eine Novellierung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgesetz einsetze, könne er »dies nur persönlich und nicht im Namen des Bundesverfassungsgerichtes tun«. Die Aktion des Präsidenten beruhe auf einer momentanen starken Belastung des 1. Senats und »der persönlichen Abneigung des Präsiden­ ten, sich mit den Verfassungsbeschwerden zu befassen, von denen angeblich 90 % von Querulanten oder Geisteskranken stammen sollen«. Das Bundes­ verfassungsgericht sei keine von oben herab geführte Institution, sondern »ein

4 ADL: NL Dehler, N1-2902, Höpker Aschoff an Dehler, 26.11.1951. 5 Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 459.

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kollegial geformtes Verfassungsorgan, in dem der Präsident nur Primus inter pares ist und an die Beschlüsse dieses Organs gebunden ist«6. Ähnlich reagierte Willi Geiger, der mehr und mehr die Rolle der grauen Eminenz am Bundesverfassungsgericht übernahm. Als ehemaliger Ministerialrat im Bundesjustizministerium hatte er maßgeblich am Bundesverfassungs­ gerichtsgesetz mitgewirkt und war danach Senatspräsident am Bundesgerichtshof und im September 1951 auch Bundesverfassungsrichter am 2.  Senat des Bundesverfassungsgerichts geworden. Auch er warnte davor, aufgrund einer momentanen Überlastung des 1.  Senats ein »Verfassungsgesetz«, das mit den Stimmen der Regierungskoalition und der Opposition angenommen worden war, auf die Schnelle überarbeiten zu wollen. Ein überhastet eingebrachtes »Blitzgesetz« schüre die Gefahr, »dass je nach den politischen Verhältnissen in Zukunft einem Senat, der durch seine Entscheidungen unbequem geworden ist, Verfahren aus politischen Gründen entzogen werden«7. Die Interventionen der Verfassungsrichter gegen den Präsidenten zeigten Wirkung. Eine eigens anberaumte Sitzung mit Vertretern des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesjustizministeriums brachte keine Unterstützung für die Pläne Höpker Aschoffs. Zugesagt wurden immerhin Einzelzimmer für die Richter und elf »Hilfsarbeiter«, um die Arbeitsbedingungen beim Bundesverfassungsgericht zu erleichtern. Mit seiner Aktion hatte sich der Präsident keine Freunde gemacht. Der Versuch, den Justizminister über die persönliche Ebene für sein Anliegen zu gewinnen, hatte nicht zum gewünschten Erfolg geführt. In den internen ­Auseinandersetzungen der Karlsruher Richter bezog nun auch die Spitze des Justizministeriums Position und zwar gegen den Präsidenten. Die allgemeine Frustration von Höpker Aschoff dürfte aufgrund dieser Erfahrung sicher nicht geringer, sondern eher noch größer geworden sein. Eine kurzfristige Verbesserung der Arbeitsbedingungen war nicht zu erwar­ ten. Mit dem Eröffnungsbeschluss vom 24.  Januar 1952 zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit von SRP und KPD kam zusätzliche Arbeit auf den 1. Senat zu. Die Bundesregierung erwartete vom Bundesverfassungsgericht schnelle Verfahren und rasche Entscheidungen, natürlich in ihrem Sinne und möglichst noch im selben Jahr. Die ständigen Kampagnen von SED und KPD gegen die Wiederbewaffnung und Westeinbindung der Bundesrepublik, das Angebot Stalins, die beiden deutschen Staaten auf der Basis einer Neutralisierung des Landes zu vereinen, sowie die schwierigen Verhandlungen mit den drei Westmächten über eine Ablösung des Besatzungsstatuts erhöhten zusätzlich den politischen Druck auf das Gericht.

6 Leibholz an Strauß, 6.12.1951, in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 460–462. 7 Geiger an Dehler, 21.12.1951, in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 464.

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Im Mai 1952 wandte sich Bundesinnenmister Robert Lehr in mehreren Schreiben an das Hohe Gericht, endlich das Hauptverfahren gegen SRP und KPD zu eröffnen. Das erste Schreiben galt dem SRP-Verfahren. Er forderte nicht nur die baldige Anberaumung eines Termins für die mündliche Verhandlung, sondern auch den Antrag der Bundesregierung auf Verwirkung der Grundrechte von Otto Ernst Remer, einem populären Alt-Nazi in der Führungsriege der SRP, vorab zu entscheiden. Die Öffentlichkeit und natürlich die drei Westmächte sollten durch ein zügiges Verfahren erkennen, dass die ­Bundesregierung etwas gegen ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus tat. Der hohen Arbeitsbelastung des 1. Senats war sich Lehr durchaus bewusst. So versprach er als kleine Gegenleistung, sich für eine Unterstützung der Wünsche des Präsidenten hinsichtlich einer besseren »Ausstattung des Bundesverfassungsgerichts in persönlicher und sachlicher Beziehung«8 einzusetzen. Der zweite Brief des Bundesinnenministers galt dem KPD -Verfahren. Die Verhandlungen über die Westintegration der Bundesrepublik hätten, so Lehr, »die Staatsfeinde veranlasst, ihren innenpolitischen Kampf mit allen Mitteln zu verschärfen«. Hierzu zählte er nicht nur »eine Flut von Propagandaaktionen«, »Demonstrationen« und »Hetzreden«, sondern auch die »Anwendung offener Gewalt«. Nach jüngsten Berichten seien »mit Waffen ausgerüstete Terrortruppen aus der Sowjetzone in das Gebiet der Bundesrepublik eingeschleust worden, um jetzt auch mit Gewalt Angriffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik zu führen«. Deshalb wünschte Lehr dringend eine Entscheidung über die eingereichten Verfassungsklagen, insbesondere die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die KPD.9 Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts zögerte nicht lange mit einer Antwort. Er zeigte Verständnis für die Besorgnisse des Ministers. Seine eigenen Sorgen und Probleme schätzte Höpker Aschoff jedoch höher und drängender ein als die Bedrohungsszenarien des Bonner Innenministers. Die Richter des 1. Senats hätten immer noch keine Wohnung in Karlsruhe gefunden. Die räumlichen und personellen Engpässe bestünden weiter, trotz der Zusagen auf Abhilfe. Auch die »wissenschaftlichen Hilfsarbeiter« seien noch nicht gekommen und die vakante Richterstelle immer noch unbesetzt. Zusätzliche Belastungen sah der Präsident auch im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen um die Ratifizierung des Vertrags zur Schaffung einer Europäischen Verteidigungs­ gemeinschaft (EVG) auf das Gericht zukommen. Dennoch wurden zum ersten Mal Termine genannt. Die mündliche Verhandlung im SRP-Prozess werde voraussichtlich am 2. Juli 1952 beginnen. Zwar nicht vorher, aber immerhin im Anschluss an den SRP-Prozess sollte das Verfahren auf Verwirkung der Grundrechte gegen Remer durchgeführt werden, sodass in »beiden Fällen das Urteil 8 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 2, Lehr an Höpker Aschoff, 9.5.1952. 9 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 3, Lehr an Höpker Aschoff, 15.5.1952.

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Ende Juli ergehen könnte. Der Prozess gegen die KPD könne infolgedessen erst im September 1952 beginnen.«10 Der Druck der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht hielt an. Am 27. Mai 1952 kam es zu einem neuen Spitzengespräch in Sachen Verbotsverfahren.11 Daran nahmen teil: der Präsident und Vorsitzende des 1.  Senats, Hermann Höpker Aschoff, und die Berichterstatter für die beiden politischen Prozesse, die Bundesrichter Herbert Scholtissek für den SRP-Prozess und Erwin Stein für den KPD -Prozess. Die Bundesregierung wurde vertreten von Staatssekretär Ritter von Lex, Prozessbeauftragter für den KPD -Prozess. Die rechtsstaatliche Brisanz eines derartigen Treffens, dem noch viele folgen sollten, wird deutlich, wenn man sich vorstellt, das Hohe Gericht hätte sich nicht mit der Klägerin, dem Vertreter und Prozessbeauftragten der Bundesregierung getroffen, sondern mit der Beklagten, den Anwälten und Vertretern des Vorstandes der KPD, ohne die andere Prozesspartei, die Bundesregierung, über Art und Inhalt eines solches Treffens informiert zu haben. Inhaltlich ging es in diesem Gespräch erneut und zuallererst um die Geschäftsbelastung des Gerichts und erst danach um die Termine für die Eröff­ nung der Hauptverfahren gegen die SRP und die KPD. Höpker Aschoff bestand jetzt – deutlicher als in früheren Gesprächen – darauf, dass nur strukturelle Änderungen des erst wenige Wochen alten Bundesverfassungsgerichts die »hoffnungslose Überlastung« des 1. Senats ändern könnten. Dies könne nur auf dem Wege einer Novellierung des BVerfGG geschehen. Dabei wäre zu prüfen, ob nicht »ein einheitliches Gericht zu schaffen wäre«, bei dem die Bildung von ­Senaten und die Geschäftsverteilung »dem Präsidium zu überlassen wäre«. Auch regte er an, die Wahl der Richter neu zu regeln, um die »Blockierung« von Neuwahlen bei frei werdenden Richterstellen künftig zu verhindern. Die bisher vorgeschriebene Dreiviertelmehrheit wurde als zu hoch angesehen. Natürlich wurden auch hier wieder das leidige Wohnungsthema, die unzureichenden Arbeitsräume und die fehlenden »wissenschaftlichen Hilfsarbeiter« erwähnt, was insgesamt »die Arbeitsfähigkeit des Gerichts auf das stärkste beeinträchtige«.12 Die angesprochenen Probleme, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht bereits in den ersten Monaten konfrontiert sah, machen dreierlei deutlich: 1. Akute Probleme gab es vor allem hinsichtlich der räumlichen und personellen Ausstattung des neuen Gerichts. Diese Probleme waren unstreitig und konnten, wenn auch nicht sofort, so doch mittelfristig gelöst werden. 2. Strukturelle Probleme gab es vor allem hinsichtlich der unterschiedlichen Zuständigkeiten und Belastung der beiden Senate. Die teils sehr weit gehenden Überlegungen 10 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 4, Höpker Aschoff an Lehr, 16.5.1952. 11 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 5, Aufzeichnung über die Besprechung in Karlsruhe, 27.5.1952. 12 Ebd.

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des Präsidenten zu einer Neustrukturierung stießen jedoch weder innerhalb des Gerichts, noch im politischen Raum auf Zustimmung. Hier war weiterer Klärungsbedarf nötig. 3. Politische Probleme gab es vor allem hinsichtlich der Frage, ob das neue Gericht ein normales oberstes Gericht oder ein neues, unabhängiges Verfassungsorgan sein sollte. Eine kurzfristige Lösung dieser Frage war nicht zu erwarten. Was Höpker Aschoff vorschwebte, war nichts anderes als eine neue Verfassung für das erst vor einem halben Jahr eröffnete Bundesver­ fassungsgericht. Im Ergebnis konnten die verschiedenen Probleme nur durch eine Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes geregelt werden. Das brauchte Zeit und vor allem den politischen Willen, eine entsprechende Reform auf den parlamentarischen Weg zu bringen. So gab es auch in Zukunft genügend Gründe, weitere Verzögerungen der Parteiverbotsverfahren mit den ungelösten Karlsruher Problemen zu rechtfertigen. Schon bei dem erwähnten Treffen am 27. Mai 1952 machte das Gericht davon reichlich Gebrauch. So sahen sich die Richter mit Blick auf die zahlreichen Probleme und anstehenden Entscheidungen nicht in der Lage, die Terminierung der Verfahren gegen die SRP und die KPD zu präzisieren. Auf Wünsche der Bundesregierung aus politisch-taktischen Überlegungen mal den einen, mal den anderen Prozess vorzuziehen, wollte sich das Gericht erst recht nicht einlassen. So blieb Ritter von Lex nur die Möglichkeit, »dringendst« darum zu bitten, »dass der Senat nunmehr so rasch wie möglich die Termine für die beiden Anträge bindend festsetze und der Öffentlichkeit bekanntgebe. Präsident Höpker Aschoff und die Berichterstatter für die beiden Anträge sagten dies zu.«13 Auch diese Zusage wurde nur zum Teil eingehalten. Während der SRP-Prozess wunschgemäß, zügig und mit dem gewünschten Ergebnis durchgeführt und die neue »Reichspartei« am 23. Oktober 1952 verboten wurde, galt dies nicht für das Verfahren gegen die KPD. Für diesen ungleich aufwändigeren, politisch und rechtlich sehr umstrittenen Prozess hatte das Gericht weder Platz noch Zeit. Längst hatte die immer heftiger werdende Debatte um die Ratifizierung der Westverträge auch das Hohe Gericht erreicht. Bereits am 31. Januar 1952 hatte eine Gruppe von 144 Bundestagsabgeordneten, vertreten durch Adolf Arndt (SPD) und Bernhard Reismann (Zentrum), »eine vorbeugende Normenkon­ trollklage«14 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Geklärt werden sollte, ob die Unterzeichnung des EVG -Vertrages überhaupt ohne eine Änderung des Grundgesetzes verabschiedet werden könne. Sollte dies nicht möglich sein, war eine Zweidrittelmehrheit nötig, über die die Adenauer-Koalition aus CDU/CSU, FDP und DP nicht verfügte. Neben dem Bundestag war jetzt auch das Bundesverfassungsgericht in den Ratifizierungsprozess der Westverträge einbezogen.15 13 Ebd. 14 Wengst: Thomas Dehler, S. 204 f. 15 Vgl. Hoffmann: Das Bundesverfassungsgericht im politischen Kräftefeld.

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Diese Entwicklung löste innerhalb der Bundesregierung erhebliche Besorgnis aus. Zuständig für eine Normenkontrollklage war der 1. Senat. Dieser galt seit Gründung des Bundesverfassungsgerichts als »der rote Senat«. Der 2. Senat galt als »der schwarze Senat«. Wie aus einer vertraulichen Niederschrift im Nachlass Thomas Dehlers hervorgeht, gehörten dem 1. Senat sechs eingeschriebene Mitglieder der SPD und »ein mit ihr absolut sympathisierendes Mitglied« an. Die eingeschriebenen Mitglieder der SPD waren: »Dr. Zweigert, Dr. Heiland, Lehmann, Wessel, Dr. Drath und Ellinghaus; das mit der SPD sympathisierende Mitglied des Senats ist Frau Dr. Scheffler.« Ritterspach habe ein Votum gegen den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verfasst. Von Höpker Aschoff sei bekannt, »dass er von Karlsruhe aus Druck auf die Bildung der Großen Koalition in Bonn auszuüben vorhat«16. Bei einer Gesamtzahl von zwölf Bundesrichtern im Ersten Senat, von denen eine Stelle nicht besetzt war, wäre ein mehrheitliches Votum gegen die Regierung, so das Kalkül des FDP-­ Politikers Dehler, durchaus möglich. Würden die Richter hingegen im Sinne der Regierung für Recht erkennen, dass die Verträge keinen verfassungsändernden Charakter haben, dann wäre das ein derart durchschlagender Erfolg des Bundeskanzlers und seiner Koalition, »dass die SPD an die Wand gespielt sein würde«. Mit all den Konsequenzen, dass die der SPD nahe stehenden Richter mit einer Wiederwahl nicht mehr rechnen könnten. »Daher kämpfen die erwähnten Personen«, so der Bundesjustizminister, »um ihre persönliche Position, und sie zweifeln nicht daran, dass nur die SPD sie zu retten bereit sein wird«17. Getrieben von der Sorge, der 1. Senat könne als verlängerter Arm der SPD die Ratifizierung der Westverträge verhindern, schickte Bundeskanzler Adenauer am 3. März 1952 Thomas Dehler und Otto Lenz, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, nach Karlsruhe, um die Lage zu eruieren. Zur großen Überraschung der beiden Bonner Regierungsvertreter, erklärte Höpker Aschoff, dass die Richter tatsächlich »die Zulässigkeit der Klage nicht ohne weiteres verneinen würden«. In einem weiteren Gespräch mit Willi Geiger, dem Vertrauten des Bundesjustizministers in Karlsruhe, erklärte dieser ebenfalls ohne Rücksicht auf das Bera­ tungsgeheimnis, dass »die überwiegende Meinung des Senats vorläufig dahin gehe, dass es sich um verfassungsändernde Bestimmungen handle«. Dehler war über dieses Ergebnis so erbost, dass er wütete, »er würde den ganzen Ver­ fassungsgerichtshof eigenhändig in die Luft sprengen«18. Der Konflikt zwischen dem Bundesjustizminister und dem Bundesverfassungsgericht nahm an Schärfe weiter zu, als die Richter wenige Tage nach dem Besuch Dehlers in Karlsruhe den sogenannten Statusbericht verabschiedeten. Darin stellten sie fest, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur als Spitze 16 ADL: NL Dehler, N1-2902, 20.4.1953. 17 Ebd. 18 Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, 3.3.1952, S. 267 f.

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der rechtsprechenden Gewalt und in dieser Eigenschaft als Hüter und Garant der Verfassung, sondern zugleich als ein mit höchster Autorität ausgestattetes Verfassungsorgan angesprochen werden muss, das politisch wie verfassungsrechtlich dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten an die Seite gestellt werden muss«19. Deshalb müsse ein eigener Richterstatus vergleichbar dem eines Ministers oder Abgeordneten eingeführt, ein eigener Haushalt für das Verfassungsgericht aufgestellt und die Ressort­ zugehörigkeit zum Bundesjustizministerium aufgehoben werden.20 Die Statusfrage war somit nicht nur eine Frage des Status des Gerichts, sondern auch und nicht zuletzt eine Frage des Status der Richter. Dass die Bundesverfassungsrichter sich gern mit Ministern und Abgeordneten verglichen, bedeutete im Klartext, sie wollten einfach mehr Geld und mehr Privilegien. Viele der Richter waren vorher keine Richter, sondern Minister, Abgeordnete oder Professoren gewesen. Der besondere Status des Gerichts sollte nicht nur mit einer besonderen Robe, sondern auch mit einem besonders hohen Gehalt oberhalb der üblichen Richterbesoldung und mit anderen Privilegien, etwa einer Jahres-Freifahrkarte für die Deutsche Bundesbahn, verbunden sein. Der Streit um den Status der Richter war ein zäher Kampf um Anerkennung, Ansehen und Prestige der neuen Karlsruher Verfassungsrichter. Er sollte bis in die Sechzigerjahre dauern, ehe die gewünschten Statusverbesserungen erfüllt wurden.21 Selbst der Wunsch nach einer Jahres-Freifahrkarte wurde dem Bundes­ kanzler mehrfach vorgelegt. Immer wieder klagten die Richter über mangelnde Achtung und fehlenden Respekt. »Ich bin nochmals darauf hingewiesen worden«, schrieb Otto Lenz, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, seinem Chef persönlich, »dass die Bundesrichter in Karlsruhe sich durch ihre Behandlung in Bezug auf Wohnung und Arbeitsraum sehr vernachlässigt fühlen. Es wurde mir gesagt, dass man ihnen doch wenigstens Freifahrkarten für die Bundesbahn zur Verfügung stellen sollte, damit sie ungehindert von Karlsruhe zu ihren Wohnungen fahren können; sie seien jetzt gezwungen, mit einer Arbeiterrückfahrkarte zu fahren, wenn sie einmal nach Hause wollten. Vielleicht sollte man diese Anregung doch einmal aufgreifen.«22 Wenig später machte sich auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion des Bundestages zum Anwalt der Karlsruher Richter. »Ich halte es für unerträglich«, schrieb Heinrich von Brentano ebenfalls an den Kanzler persönlich, dass ein Bundesrichter  – gemeint war der Berichterstatter im KPD -Prozess Erwin Stein – vom Finanzministerium die Mitteilung bekommen habe, dass die gel19 Wengst: Staatsaufbau und Regierungspraxis, S. 317. 20 Vgl. Lembcke: Das Bundesverfassungsgericht und die Regierung Adenauer, S. 151–162. 21 BGBI: I 1964: S.  133. Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des BVerfG vom 28.2.1964. 22 StBKAH: I/11.02 307, Lenz an Adenauer, 8.10.1952.

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tende Regelung die Erstattung eines höheren Fahrpreises nicht zulasse. »Zu meinem Bedauern kann ich Ihnen daher nur die Fahrtauslagen der 3. Wagen­ klasse unter Berücksichtigung der durch die Arbeiterrückfahrkarte zu erlangenden Fahrpreisermäßigung ersetzen.«23 Bundesverfassungsrichter Anton Alfred Henneka, der engen Kontakt zum Bundeskanzleramt und anderen Regierungsstellen pflegte und immer wieder gern der Exekutive über Interna des Bundesverfassungsgerichts berichtete, erregte sich 1959 über die bis dahin noch ungelöste Fahrkartenfrage sehr. In einem Brief an Ministerialdirigent Mercker im Bundeskanzleramt machte er den Präsidenten der Deutschen Bundesbahn, Prof. Dr. Öftering, »für die unbeugsame Haltung« in dieser Frage verantwortlich. »Wenn es auf mich allein ankäme, würde ich ihm die Fahrkarten vor die Füße werfen. Das entspricht jedoch nicht der Absicht meiner Kollegen und auch nicht der Auffassung des Präsidenten dieses Gerichts.«24 Neuer politischer Streit entstand, als das Bundeskabinett am 6.  Juni 1952 beschloss, den Bundespräsidenten zu bitten, »ein Gutachten des Plenums des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob ein Gesetz, das die Wehrhoheit betrifft, verfassungsändernder Natur ist«25. Nach einigem Hin und Her beschloss das Gericht, nicht wie Adenauer es wollte, erst das Gutachten zu erstellen, sondern zunächst die SPD -Klage zu entscheiden. Am 30. Juli 1952 entschieden die Richter – allen Unkenrufen vom roten Senat zum Trotz – den vorbeugenden Normenkontrollantrag der SPD als unzulässig zu verwerfen. Trotz der raschen und für die Bundesregierung günstigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts blieb die Ungewissheit, wie sich die Richter im Falle des Gutachtens entscheiden würden. Bundesjustizminister Dehler drängte deshalb darauf, zunächst die Verträge in zweiter und dritter Lesung im Bundestag zu beraten und zu verabschieden. Die Zeit war knapp. Gelingen konnte der Schachzug nur, wenn das Bundesverfassungsgericht bereit war, den bereits für den 26. November angesetzten Termin zur Verhandlung des Plenums über das Gutachterersuchen auszusetzen. Dazu war der Präsident des Verfassungsgerichts jedoch nicht bereit. Gleichzeitig signalisierte er dem Bundeskanzler, »dass das Bundesverfassungsgericht zu einem für die Bundesregierung abträglichen Gutachten kommen könnte«26. Eine gutachterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Ratifi­ zierung der Westverträge wäre politisch ein Desaster gewesen. Also musste ­a lles getan werden, um den für den 26. November anberaumten Termin für die Plenumssitzung des Verfassungsgerichts zu verschieben. So schickte Adenauer erneut seinen Emissär Otto Lenz nach Karlsruhe, um das Möglichste zu ver23 BArch: B 136/4436, von Brentano an Adenauer, 7.11.1952. 24 BArch: B136/4437, Fiche 1, Henneka an Mercker, 13.3.1959. Damaliger Präsident war Gebhard Müller. 25 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 6.6.1952. 26 Zit. n. Wengst: Thomas Dehler, S. 208.

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suchen. In seinem Tagebuch hat der Staatssekretär im Bundeskanzleramt die denkwürdige Begegnung mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts folgendermaßen festgehalten: »Als ich nach vielem Suchen das Haus von Höpker Aschoff gefunden hatte, war er zum Arzt gefahren. Er kam aber nach kurzer Zeit wieder, unrasiert, in einem grauen Pullover und sah sehr schlecht aus. Er erklärte, dass die Ärzte ihm geraten hätten, sofort in ein Sanatorium zu gehen.« Behutsam näherte sich Lenz seinem eigentlichen Anliegen und schnitt vorsichtig die Frage der Vertagung an, die aus innen- und außenpolitischen Gründen dringend erforderlich sei. »Es müsse deshalb unter allen Umständen eine negative Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vermieden werden, und wir müssten unter allen Umständen Wert darauf legen, dass die zweite Lesung der Verhandlung vor dem Verfassungsgericht vorangehe, damit man im Ausland sehe, dass der Bundestag zur Ratifikation bereit sei.«27 Wieder einmal konnte Höpker Aschoff  – Beratungsgeheimnis hin, Beratungsgeheimnis her – es nicht lassen, Einzelheiten über den Stand der Beratungen im Plenum des Verfassungsgerichtes auszuplaudern. Er wies darauf hin, dass es mit Sicherheit kein einheitliches Gutachten des Verfassungsgerichts geben werde. Das würde das Ansehen des Verfassungsgerichts völlig erschüttern. Es zeige, dass es seiner Aufgabe nicht gewachsen sei. Er selbst werde am Sonntag ins Sanatorium gehen. Der Vorsitzende des 2.  Senats, Vizepräsident und Mitglied der SPD Rudolf Katz, werde die Sitzung leiten. Lenz erklärte, »dass das eine Katastrophe sei und dass er unbedingt den Termin vorher aufgeben müsse«. Nach langem Hin und Her brachte der Staatssekretär den Präsidenten dazu, »dass er von sich aus ohne Befragung des Plenums den Termin aufheben wollte und mit der Anberaumung eines neuen bis nach der Debatte warten wollte.« Die Indiskretion des Präsidenten über die schwierige Lage des Gerichts und die Aufhebung des Termins ohne Konsultation der Richter führten zu einer grundlegenden Änderung der politischen Taktik der Bundesregierung. Die lautete jetzt: »Verzicht auf schnelle Verabschiedung im Bundestag, Abkehr vom Plenum, Klage vor dem 2. Senat«.28 Otto Lenz war mit sich und dem Ergebnis sehr zufrieden, zumal Dehler und dessen Staatssekretär Walter Strauß ihm erklärt hatten, »dass es aussichtslos erscheine, Höpker Aschoff noch umzustimmen«29. Zeitgleich zu dem Gespräch zwischen Lenz und Höpker Aschoff in Karlsruhe hielt Thomas Dehler auf einem Parteitag der FDP in Bad Ems eine Rede, die sein Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht weiter schwer belasten sollte. »Der Sozialismus ist schlecht, und der Sozialismus macht schlecht!« rief er den De27 Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, 21.11.1952, S. 475. 28 HStAS: Q1/35, Bü 517, o. D. (März 1953, J. F.) Besondere Bemerkungen zur »Verfassungskrise« 1952, S. 2. 29 Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, 21.11.1952, S. 475.

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legierten zu. »Ich möchte hoffen, dass sich dort der Geist des Sozialismus nicht auswirkt. Ich möchte hoffen, dass in dem höchsten deutschen Gericht keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen fallen.«30 Dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts soeben der Bundesregierung sehr zu Diensten gewesen war, in dem er durch die Terminabsage eine Sitzung des Plenums unter dem Vorsitz von Rudolf Katz verhindert hatte, konnte Dehler zum Zeitpunkt seiner Rede in Bad Ems nicht wissen. Die Rede des Justizministers blieb nicht ohne Folgen. Die Karlsruher Richter waren es leid, in den taktischen Spielen der Bundesregierung um die Verabschiedung der Westverträge weiterhin als »politisches Gericht« diskreditiert zu werden. Am 8. Dezember beschloss das Plenum des Bundesverfassungsgerichts, dass Gutachten in ein- und derselben Rechtsfrage künftig für beide Senate rechtlich bindend seien. Damit sollte der Bundesregierung die Möglichkeit genommen werden, durch Zuständigkeitstricks den »roten Senat« gegen den »schwarzen Senat« auszuspielen. Die Entscheidung wurde mit großer Mehrheit von zwanzig zu zwei Stimmen im Plenum gefällt.31 Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde tags drauf den Vertretern der Bundesregierung in der Sitzung mitgeteilt, die für die erste Beratung über das Gutachten für den Bundespräsidenten in Karlsruhe anberaumt worden war. Die Nachricht »schlug in Bonn wie eine Bombe ein«32. Adenauer reagierte empört. In »höchster Erregung« teilte er dem versammelten Bundeskabinett mit, es handele sich um einen »klaren Rechtsbruch«33. Deshalb müsse die Bundesregierung jetzt den Bundespräsidenten drängen, den Antrag auf Erstellung eines Gutachtens, um den die Bundesregierung ihn zunächst gebeten hatte, zurückzuziehen. Nun fühlte sich auch der Bundespräsident von der Bundesregierung düpiert. Nach einigem Zögern war Heuss dennoch dazu bereit. Daraufhin wurde die dritte Lesung des Vertragswerks auf unbestimmte Zeit vertagt. Erst am 19.  März 1953 war es so weit. Der Bundestag verabschiedete mit den Stimmen der Adenauer-Koalition den Generalvertrag zur Ablösung des Besatzungsstatuts und den Vertrag zur Einbindung der Bundesrepublik in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Am 15.  Mai 1953 passierten die Westverträge auch den Bundesrat, die Vertretung der Länder. Die Verträge traten allerdings noch nicht in Kraft, sondern erst, wenn alle Vertragspartner sie ratifiziert hatten. Am 30. August 1954 verweigerte die französische Nationalversammlung die Zustimmung. Das Projekt der Einbindung Westdeutschlands in das westliche Bündnis war damit im ersten Anlauf gescheitert. 30 HStAS: Q1/35, Bü 517, o. D. (März 1953, J. F.) Besondere Bemerkungen zur »Verfassungskrise« 1952, S. 3. 31 Ebd., S. 5. 32 Wengst: Thomas Dehler, S. 213. 33 Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, S. 492.

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Doch noch war es nicht so weit. Auf die öffentliche Kritik an ihrem Verhalten in der »Verfassungskrise«, die sich immer mehr zu einer »Staatskrise« auszuweiten drohte, reagierte die Bundesregierung – wie gewohnt – mit großer Schärfe. Auf ein Protestschreiben angesehener Heidelberger und Mannheimer Anwälte und Juristen zu den ständigen Attacken des Bundesjustizministers auf das Bundesverfassungsgericht antworteten Dehler und sein Staatssekretär Strauß per Telegramm, das gleich veröffentlicht wurde: »Sie verkennen die Lage vollständig«, hieß es darin. »Das Bundesverfassungsgericht ist in einer erschütternden Weise von dem Weg des Rechts abgewichen und hat dadurch eine ernsthafte Krise geschaffen. Ich bitte Sie die Mitunterzeichner Ihres Telegramms zu unterrichten.«34 Parallel dazu war zu einem Pressegespräch geladen worden, an dem der Bundeskanzler und der Bundesjustizminister teilnahmen. Adenauer unterstrich mit großem Nachdruck sein Unbehagen an der Karlsruher Entscheidung. Der Beschluss sei »von einer ungeheuren Tragweite«, da er »weder im Grundgesetz noch in dem Gesetz über den Bundesgerichtshof irgendeine Stütze hat«. Das sei »für unser ganzes Staatswesen ein schwerer Schlag«35. Dehler zögerte nicht lange und setzte noch eins drauf. Erneut attackierte er das Bundesverfassungsgericht und seine Richter auf das heftigste. Er warf ihnen vor, »neben der Verfassung und neben den Gesetzen neues Recht zu setzen«. Dazu habe man bislang geschwiegen, »aber wir können die Grundfesten des Staates doch nicht erschüttern lassen, weil die Herren in Karlsruhe nicht ihr Maß kennen«. Der Karlsruher Beschluss sei ein »Nullum«, den die Bundesregierung niemals anerkennen werde. Dehler weiter: »Die merkwürdige Geistesverfassung der Karlsruher Richter entspreche nicht mehr den Vor­ stellungen des Gesetzgebers, der sie eingesetzt habe.« Der größte Mangel des Gerichts sei »nicht die parteipolitische Zusammensetzung, sondern die fehlende richterliche Qualität«. Laut Baseler Nationalzeitung soll Dehler sogar wörtlich gesagt haben: »Er zweifle an der beruflichen Fähigkeit einzelner Verfassungsrichter.«36 Man werde nicht Richter dadurch, »dass man zum Bundesverfassungsgericht kommt, sondern wird Richter nur dadurch, dass man Jahrzehnte unter der Verantwortung des Richtens steht. Es sind zu wenig Richter im Bundesverfassungsgericht.«37 Die SPD reagierte auf die massive Kritik der Bundesregierung und die öffent­ liche Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts mit Missbilligungsanträgen gegen Kanzler und Justizminister. Als diese im Bundestag am 4. März 1953 debattiert wurden, bemühte sich Dehler keineswegs, die Wogen zu glätten, sondern warf den Karlsruher Richtern erneut vor, eine »Überregierung« und ein 34 HStAS: Q 1/35, Bü 517, o. D. (März 1953, J. F.) Besondere Bemerkungen zur »Verfassungskrise« 1952, S. 4. 35 Adenauer Teegespräche 1950–1954, S. 365 u. S. 383. 36 HStAS: Q 1/35, Bü 517, Stuttgarter Zeitung und Baseler Nationalzeitung, 12.12.1952. 37 Adenauer Teegespräche 1950–1954, S. 388 ff.

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»Überparlament« schaffen und sich zum »Herrn der Verfassung« aufschwingen zu wollen. Das Bundesverfassungsgericht solle »ein echtes Gericht und nur ein Gericht« sein und nichts anderes als »Rechtsentscheidungen« treffen. Wenn das Gericht ein normales Gericht und kein »Verfassungsorgan« war, lag es nahe, so der Bundesjustizminister, dass er es als Aufgabe seines Amtes betrachtete, »die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig zu überwachen«38. Dies war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Auf den erneuten politischen Angriff aus Bonn reagierte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts prompt. Auch er wählte die Form der politischen Rede, die am Abend des 14. März 1953 über den Rundfunk ausgestrahlt wurde. Manuskripte waren zeitgleich an ausgewählte Personen, unter anderem an den Bundeskanzler und den Bundesjustizminister verschickt worden.39 Bestürzt zeigte sich Höpker Aschoff über die erneuten Angriffe des Bundesjustizministers, »mit dem mich eine langjährige Freundschaft verbindet«. Statt zu erklären, »dass es ihm leid tue, das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts durch seine Angriffe gefährdet zu haben«, hielt er seine Vorwürfe »in vollem Umfange« aufrecht. Nicht um den Streit fortzusetzen, melde er sich öffentlich zu Wort, »sondern um sich schützend vor die Unabhängigkeit der Gerichte zu stellen und zu verhindern, dass die Idee des Rechtsstaates Schaden leide«.40 Das Prinzip der Gewaltenteilung verweise alle drei Gewalten, die Legislative, die Judikative, aber auch die Exekutive in die gesetzlich vorgeschriebenen Schranken. Das Bundesverfassungsgericht setze sich keineswegs über die Schranken des Gesetzes hinweg und maße sich nicht an, selbst gesetzgeberisch tätig zu werden. Seine Aufgabe sei es, die Gesetzgebung auf ihre verfassungsrechtlichen Normen hin zu überprüfen. Auch den Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht lasse sich bei seinen Entscheidungen nicht von rechtlichen, sondern von politischen Erwägungen leiten, wies er zurück. Gleichzeitig verwahrte er sich gegen eine überzogene Kritik an Entscheidungen des Verfassungsgerichts »als Fehlentscheidungen«. Er wünschte, dass eine »solche Kritik niemals während eines schwebenden Verfahrens geübt werde und immer in Formen erfolgen möge, welche die Würde des Gerichts nicht beeinträchtigen – nicht um unseretwillen, sondern weil die Idee des Rechtsstaates nur Wurzeln fassen kann, wenn Unabhängigkeit und Würde der Gerichte geachtet werden. Niemals hätte der Bundesjustizminister eine Entscheidung des Verfassungsgerichts als »ein Nichts« bezeichnen dürfen, »denn er steht nicht über dem Gericht«. Umgekehrt sei es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, »in politischen Kämpfen zu entscheiden, sondern darüber zu wachen, dass in solchen 38 Zit. n. Wengst: Thomas Dehler, S. 220. 39 BArch: B 136/4436, Höpker Aschoff an Adenauer, 14.3.1953. ADL: NL Dehler, N 129032903, Höpker Aschoff an Dehler, 14.3.1953. 40 BArch: B 136/4436, Höpker Aschoff, Manuskript der Rundfunkrede, 14.3.1953, S. 2.

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Kämpfen die alle verpflichtenden und die Ordnung des Ganzen gewährleistenden Normen des Grundgesetzes geachtet werden«.41 Der Wunsch, die Situation möge sich nach der Rundfunkrede beruhigen, wie der Präsident in seinem Begleitschreiben an den Bundeskanzler betont, ­erfüllte sich nicht. »Dehler war sichtlich betroffen, aber auch verärgert.« Wider­ strebend willigte er in ein persönliches Gespräch mit seinem alten Freund ­Höpker Aschoff ein. »Er ist ein kranker alter Mann«, so der Justizminister, »der vielleicht bald sterben wird. Ich wollte nicht, dass ich mir später einmal wegen meiner Weigerung, ihn zu empfangen, Vorwürfe machen müsste.«42 Der Konflikt zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht, insbesondere zwischen Dehler und Höpker Aschoff war zwischen den beiden alten Freunden nicht mehr zu lösen. Jede Initiative, die der Eine ergriff, stieß automatisch auf den Widerstand des Anderen. Die Bedrohung aus Bonn, vor allem die Infragestellung des Bundesverfassungsgerichts als eigenständi­ ges Verfassungsorgan, wie es die Karlsruher Richter von Anfang an, zunächst gegen die Auffassung ihres Präsidenten, vertreten hatten, führte innerhalb des ­Gerichts zu einer Deeskalation des Konflikts. Natürlich hatte Dehler auch den internen Konflikt zwischen den Richtern und den beiden Senaten genüsslich nach außen getragen, was immerhin die Verständigung auf eine gemeinsame Linie des Gerichts gegenüber der Exekutive beschleunigte. Der Präsident stellte sich nun hinter die Denkschrift vom 27. Juni 1952, in der die Richter die Forderung erhoben hatten, das Bundesverfassungsgericht als ein eigenständiges Verfassungsorgan anzuerkennen, das »weder einem anderen Bundesorgan noch einer Bundesbehörde unterstellt sein kann«43. Justizminister Dehler verlor nicht zuletzt aufgrund seiner ungezügelten Attacken auf das höchste Gericht zunehmend an politischem Rückhalt in der Regierungskoalition, aber auch in seiner eigenen Partei, der FDP. Als er es nicht lassen konnte, das Bundesverfassungsgericht auch im Bundestagswahlkampf 1953 weiter öffentlich zu kritisieren, wandte sich Höpker Aschoff an seinen anderen Parteifreund aus der Weimarer Zeit, Bundespräsident Theodor Heuss. Ihm erläuterte Höpker Aschoff, dass das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht dringend wegen einiger Schwächen novelliert werden müsse. Dies sei jedoch mit einem Bundesjustizminister Dehler nicht zu machen. Er selbst und einige seiner Kollegen würden zurücktreten, wenn Dehler nach der Bundestagswahl erneut dieses Amt übernähme. Ähnlich äußerte er sich gegenüber Bundes41 Ebd., S. 9. 42 Wengst: Thomas Dehler, S. 221. 43 BArch: B 136/4436 und B 141/85, »Bemerkungen zu dem Rechtsgutachten« verabschiedet vom Plenum des Verfassungsgerichts, 3.6.1953. Wortlaut der Status-Denkschrift des Bundesverfassungsgerichts vom 27.6.1952 in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 473–478.

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kanzler Adenauer.44 Kurz nach der Wahl war auch der Bundespräsident offenbar zum Äußersten bereit, um einen neuen Justizminister Dehler zu verhindern. Notfalls würde er sich weigern, »die Ernennungsurkunde für Dehler zu unterzeichnen, falls die Fraktion der Liberalen und Adenauer auf dessen Ernennung beharren würden«45. Damit war das politische Schicksal Dehlers besiegelt. Aber auch für den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zeichnete sich bald das vorzeitige Ende seiner Amtszeit ab. Bereits im Oktober 1953 wurde er erneut wegen einer infektiösen Erkrankung in die Heidelberger Universitätsklinik eingeliefert. Körperlich und seelisch geschwächt von den politischen Streitigkeiten und Turbulenzen um das von ihm nicht gerade besonders geliebte Amt, sollte er sich von seiner letzten Erkrankung nicht mehr erholen. Am 15. Januar 1954, wenige Tage vor seinem 71. Geburtstag, starb Hermann Höpker Aschoff nach einer nur zwei Jahre und drei Monate dauernden Tätigkeit als erster Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.46 Durch die heftigen Turbulenzen, die die Bundesregierung durch ihre taktischen Spiele um die Ratifizierung der Westverträge ausgelöst hatte, war der Verbotsprozess gegen die KPD fast in Vergessenheit geraten. An diesem Zustand sollte sich auch über das Jahr 1953 hinaus nichts Wesentliches ändern. Wichtige politische Ereignisse und Entwicklungen ließen die Inszenierung eines derart spektakulären Ereignisses als nicht opportun erscheinen. Dies galt sowohl für die Bundesregierung als auch für das Bundesverfassungsgericht. Ein wenig Ruhe nach den heftigen Konflikten zwischen den beiden staatlichen Gewalten konnten beide Seiten gut vertragen. Zumal von der KPD trotz angestrengter Rhetorik von einem »Sturz des Adenauer-Regimes« keinerlei Gefahr für die Bundesrepublik ausging, wie alle nachrichtendienstlichen Erkenntnisse immer wieder belegten. So resümierte das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Monatsbericht Ende März 1953: »Zweifellos steht die Führung der KPD vor der Erkenntnis, trotz stärksten Einsatzes von Funktionären sowie finanzieller und personeller Unterstützung durch die Sowjetzone bei den Massen der Bevölkerung keine nennenswerte Resonanz gefunden zu haben und den sich daraus ergebenden Tatsachen Rechnung tragen zu müssen.«47 An diesem Zustand sollte sich auch 1954 nichts ändern. Unmittelbar vor Beginn des KPD -Prozesses bestätigte Bundesinnenminister Gerhard Schröder dem Verfassungsausschuss des Bundestages: »Weder Links- noch Rechtsradikalismus stellen eine akute Gefährdung der Bundesrepublik dar.«48 44 45 46 47 48

Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann: 1952–1967, S. 113 f. Wengst: Thomas Dehler, S. 231. Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 334. BArch: B 443/571, Monatsberichte des BfV, 31.3.1953, S. 830. BArch: B 136/1737, Schröder im Verfassungsausschuss, 11.11.1954.

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Kaum waren die Westverträge unter Dach und Fach, brach der Bundeskanzler im März 1953 zu einer vierwöchigen Reise in die USA und nach Kanada auf. Die US -Regierung hatte sich nach langem Zögern und mangels Alternative dazu entschlossen, zumindest im Wahljahr 1953 ganz auf den inzwischen 77 Jahre ­a lten Kanzler zu setzen. So wurde Adenauer mit Salutschüssen und allen Ehren in den USA empfangen. Die Zeitungen berichteten täglich: Empfang durch Präsident Eisenhower, Gespräche mit Außenminister John Foster-Dulles, Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Georgetown-University, Pressekonferenz vor dem nationalen Presseclub der USA usw. »Wir wollen die Freiheit.« So fasste Adenauer die Ziele seiner Politik zusammen. »Wir verabscheuen den Kommunismus. Wir wollen daher die Zukunft des deutschen Volkes aufs Engste mit den Demokratien des Westens verbinden.«49 Als hätte es eines Be­ weises für die Richtigkeit dieser Politik bedurft, geschah sechs Wochen nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik das, was der Adenauerschen Politik die unerwartete und nicht mehr zu nehmende Plausibilität und Glaubwürdigkeit gab: der Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR . Jetzt waren Behutsamkeit und Zurückhaltung gefordert, um die politische Entwicklung nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Die Eröffnung der mündlichen Verhandlung im Verbotsverfahren gegen die KPD wäre in dieser Situation sicher das falsche Zeichen gewesen. Dass es dazu wieder nicht kam, war allerdings eher Zufall, letztlich aber auch Folge des anhaltenden Drucks der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht, endlich mit dem Prozess gegen die KPD zu beginnen. So hatte der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts am 24. Februar 1953 tatsächlich einen Termin für die Eröffnung des Feststellungsverfahrens bestimmt und schriftlich dazu die Bundesregierung als Klägerin und die KPD als Beklagte zum 8. Juni 1953 nach Karlsruhe geladen. Als hätte der Bundesinnenminister es geahnt oder auch gewusst, sah er sich vier Wochen vor dem Ladungstermin wieder einmal veranlasst, »auf den Fortgang des Verfahrens zu drängen, für das Sie [das Gericht, J. F.] bereits den 8. Juni 1953 als Termin anberaumt haben«. Inzwischen sei genügend Material gesammelt und eingereicht worden, »das für eine Entscheidung in der Sache ausreichen« dürfe. Natürlich versäumte Lehr nicht, erneut auf die Gefährlichkeit der KPD hinzuweisen. Dieses Mal wurde als Grund angeführt, »dass die illegale Tätigkeit der KPD in der Zwischenzeit nicht ab­ genommen, sondern sich wesentlich verstärkt«50 habe. Einen Tag später, am 8. Mai 1953, beantragte der Vertreter der KPD tatsächlich den auf den 8. Juni 1953 anberaumten Verhandlungstermin wegen der Fülle des zu sichtenden Materials, das vom Bundesverfassungsgericht beschlagnahmt worden war, um drei Monate zu vertagen. Das Gericht folgte nicht dem Drängen 49 Adenauer: Erinnerungen 1945–1953, S. 583. 50 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 6, Lehr an Höpker Aschoff, 7.5.1953.

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der Bundesregierung, den Termin nicht erneut zu verlegen, sondern dem Antrag der Beklagten zumindest insoweit, dass es eine Fristverlängerung bis zum 30. Juni 1953, also um gut drei Wochen, nicht aber um drei Monate gewährte. Der auf den 8.  Juni 1953 angesetzte Termin für die Eröffnung der mündlichen Verhandlung wurde aufgehoben, ein neuer Termin jedoch nicht benannt. »Neuer Termin wird von Amtswegen bestimmt«51, lautete die unbestimmte Verfügung. Diese Vorgehensweise erlaubte es dem Gericht, den Beginn der mündlichen Verhandlung wieder einmal endlos zu verzögern, was tatsächlich auch geschah. Faktisch bekam die KPD nicht nur die vom Gericht eingeräumten drei Wochen und nicht nur die geforderten drei Monate zusätzlich, sondern insgesamt 18 Monate Verlängerung, ehe die mündliche Verhandlung am 23. November 1954 tatsächlich eröffnet werden konnte. Bundesinnenminister Lehr versuchte noch einmal sein Bestes, um das Gericht zum Handeln zu bewegen, vergeblich. Auch »1 600 SED -Agitatoren«, die »auf Anregung des KPD -Vorsitzenden Max Reimann demnächst im Bundesgebiet eingesetzt werden, um den bevorstehenden Wahlkampf zu stören«52, konnten die Karlsruher Richter nicht davon überzeugen, dass sich die Bedrohungslage der Bundesrepublik täglich verschärfte. Am 1.  Juli 1953 versuchte Lehr es ein weiteres, jetzt allerdings letztes Mal. Die der KPD vom Gericht eingeräumte zusätzliche Frist sei nunmehr abgelaufen. Deshalb wäre er »für eine Mitteilung dankbar, wie der Senat den Antrag der Bundesregierung, die Kommunistische Partei Deutschlands gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes für verfassungswidrig zu erklären, weiter zu behandeln beabsichtigt«53. Eine Antwort auf dieses Schreiben konnte in den Akten nicht ermittelt werden. Mit Ablauf der ersten Legislaturperiode im September 1953 schied Lehr im Alter von knapp 70 Jahren aus der aktiven Politik aus. Nicht nur in Karlsruhe, sondern auch in Bonn wurde er immer weniger ernst genommen. Schon im Mai 1952 hatte er sich darüber beschwert, dass er in Sachen KPD -Verfahren »nicht an den BK [Bundeskanzler, J. F.] herankomme, auch nicht in der Kabinettssitzung zum Vortrag komme«54. Sommer und Herbst des Jahres 1953 standen ganz im Zeichen des Bundestagswahlkampfs und der Regierungsbildung. Am 6. September hatte Bundeskanzler Adenauer einen grandiosen Wahlsieg errungen. Die CDU/CSU hatte ihren Stimmenanteil gegenüber der ersten Bundestagswahl von 31 Prozent auf 45,2 Prozent gesteigert. Damit hatten die Unionsparteien die absolute Mehrheit der Mandate im Deutschen Bundestag errungen. Die kleineren Parteien verzeichneten allesamt Verluste, auch die Koalitionspartner FDP und DP. Die 51 52 53 54

KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 66 ff.

Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 7, Lehr an Höpker Aschoff, 11.5.1953. Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 8, Lehr an Höpker Aschoff, 1.7.1953. Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz, S. 337.

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KPD erreichte nur noch 2,2 Prozent der Stimmen und war damit nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten. Die lange und aufwändige Amerikareise des Kanzlers im Frühjahr hatte sich gelohnt. Adenauers häufig zitierter Satz während des Wahlkampfes lautete: »Wir haben wieder Freunde in der Welt.«55 Die Zustimmung zu seiner Politik stieg seitdem sprunghaft an, von 36 Prozent im Januar 1953 auf 57 Prozent im Wahlmonat September.56 Zu Adenauers großem Erfolg hatte nicht nur die Amerikareise, sondern auch der Arbeiteraufstand in der DDR beigetragen. Hatte dieses Ereignis doch drastisch vor Augen geführt, wie groß der Unterschied zwischen einem Leben in »Mitteldeutschland« und einem Leben in Westdeutschland war. Nicht nur für die SED, sondern auch für die westdeutschen Kommunisten war der Aufstand vom 17. Juni 1953 ein Desaster. »Funktionäre und Anhänger«, wusste das Bundesamt für Verfassungsschutz zu berichten, »zeigen sich über den Widerspruch zwischen den jahrelang in der Propaganda als demokratisch hingestellten Zuständen und der so krass in Erscheinung getretenen Wirklichkeit verwirrt und ratlos«57. Die Abwahl der KPD bei der Bundestagswahl tat ein Übriges, so dass viele Politiker auch in der CDU, die Rücknahme des Verbotsantrags gegen die KPD befürworteten. Sogar der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Heinrich von Brentano, gehörte dazu. »Was den KP-Prozess angeht«, schrieb er seinem Parteifreund, dem Berichterstatter im KPD -Prozess Bundesverfassungsrichter Stein, »so war ich schon früher der Meinung, dass er nicht sehr sinnvoll sei. Nach dem Wahlergebnis sollte man ihn stillschweigend liquidieren. Ich will darüber bei nächster Gelegenheit mit unserm Freund Dr. Schröder sprechen.«58 Unabhängig von den schwankenden politischen Einstellungen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit eines KPD -Verbots, gingen die Kontakte zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung zur Vorbereitung des KPD Verfahrens unverändert weiter. Bei einem Arbeitstreffen mussten die Vertreter der Bundesregierung (BMF, BMI, BfV) zur Kenntnis nehmen, dass das Hohe Gericht keinerlei Anstalten machte, den aufgehobenen Verhandlungstermin vom 8. Juni 1953 zeitnah durch einen neuen Termin zu ersetzen. Bundesverfassungsrichter Stein erklärte vielmehr, »dass eine Terminanberaumung nicht vor Ende November in Betracht kommen könne«59. Als Grund wurde eine mög­ liche Klage gegen den EVG -Vertrag angeführt, selbst wenn die nicht eingereicht würde, sei ein früherer Termin nicht möglich. Bei einem erneuten Treffen, dieses Mal beim Oberbundesanwalt Güde in Karlsruhe, erfuhren die Beamten am 55 Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie, S. 776. 56 Jahrbuch der Öffentlichen Meinung, 1947–1955, S. 172 f. 57 BArch: B 443/571, Monatsberichte des BfV, 30.6.1953, S. 1020. 58 HHSt AW: NL Stein 1178/269, von Brentano an Stein, 9.11.1953. 59 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 5,  Gecks, Besprechung in Karlsruhe, 29.9.1953.

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20. November 1953, dass der KPD -Prozess, jetzt wegen einer Erkrankung des Präsidenten, erneut geschoben werden müsse. Zudem habe sich das Bundesverfassungsgericht möglicherweise noch mit zwei größeren Klagen zum Artikel 131 GG (Versorgungsberechtigung von NS -Beamten) und zum Artikel 117 GG (Gleichberechtigung von Mann und Frau) zu befassen.60 Wie immer war alles andere wichtiger als der KPD -Prozess. Eigentlich, so die Botschaft aus Karlsruhe, hatte das Gericht überhaupt keine Zeit, sich mit der Feststellungsklage der Bundesregierung gegen die KPD zu beschäftigen. Gemunkelt wurde, dass im Frühjahr 1954 möglicherweise ein Termin für die Eröffnung des mündlichen Verfahrens angesetzt werden könne. Aber auch dar­ aus sollte wegen des Todes des Präsidenten nichts werden. Als Höpker Aschoff im Januar 1954 starb, waren bereits zwei Jahre vergangen, seit das Bundes­ verfassungsgericht die Klage der Bundesregierung gegen die KPD angenommen hatte. Ein weiteres Jahr sollte vergehen, ehe die mündliche Verhandlung e­ röffnet wurde.61 Das Jahr 1954 brachte die Wende. Wiederum kamen verschiedene Ereignisse, Veränderungen und Entwicklungen zusammen. Nach der Bundestagswahl gab es im 2. Kabinett Adenauer wichtige personelle Veränderungen. Thomas Dehler, Robert Lehr und Otto Lenz hatten aus unterschiedlichen Gründen das Vertrauen des Kanzlers verspielt und kehrten nicht ins Kabinett zurück. Im Amt des Bundesministers der Justiz folgte auf den politisch und juristisch versierten, stark in die Öffentlichkeit wirkenden, cholerischen Vollblutpolitiker Thomas Dehler, der eher leise und unscheinbar agierende und politisch kaum Spuren hinterlassende Fritz Neumayer (FDP). An der Spitze des Bundesministe­ riums des Innern wurde der von immer neuen antikommunistischen Ängsten und Visionen geplagte, politisch eher glücklos agierende Robert Lehr durch den jungen, politischen Aufsteiger Gerhard Schröder abgelöst. Mit ihm bekam die Bundesregierung einen neuen, juristisch und politisch versierten, taktisch geschickt agierenden, antikommunistischen Strategen ins Kabinett, der gleichsam die Rolle von Thomas Dehler übernahm. Die vielleicht wichtigste Personalie war der Wechsel im Amt des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt. Auf den politisch (zu) ambitionierten Otto Lenz folgte Hans Globke, der mit belasteter NS -Vergangenheit, ebenso kompetent wie schweigsam, ein treuer Diener seines Herrn war und rasch zur grauen Eminenz der Bundesregierung avancierte.62 Auch an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts gab es nach dem frühen Tod des ersten Präsidenten Hermann Höpker Aschoff (FDP) eine wichtige personelle Veränderung. Mit Josef Wintrich (CSU) wurde am 19. März 1954 – im 60 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 6,  Gecks, Besprechung in Karlsruhe, 20.11.1953. 61 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Band 1, S. 83. 62 Bevers: Der Mann hinter Adenauer.

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Unterschied zu seinem Vorgänger – ein erfahrener Richter, zuletzt Richter und Vizepräsident am Bayerischen Verfassungsgerichtshof und kurze Zeit noch Präsident des Oberlandesgerichts München, zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzenden des 1. Senats gewählt, der für den KPD Prozess zuständig war.63 Gleichzeitig konnte die seit über zwei Jahren vakante zwölfte Richterstelle im 1. Senat des Bundesverfassungsgerichtes mit Karl Heck, Richter am Bundesgerichtshof, besetzt werden. Mit der von der SPD unterstützten Wahl Hecks, die laut BVerfGG innerhalb von 4 Wochen nach dem Ausscheiden des Vorgängers hätte erfolgen müssen, hatte der Senat nach zweieinhalb Jahren Vakanz seine gesetzlich vorgeschriebene Richterzahl wieder erreicht. Ein mögliches Verfahrenshindernis war somit aus dem Weg geräumt.64 Die personellen Veränderungen bedeuteten nicht, dass es jetzt zügig voran ging. Im Gegenteil: im Frühjahr 1954 tendierte die Bundesregierung dahin, das Verfahren vorerst ruhen zu lassen. »KP-Prozess liegt z. Z. aus gesamtpolitischen Gründen auf Eis«65, notierte Bundesverkehrsminister Hans-Christoph ­Seebohm am 5. Februar 1954 in seinen Aufzeichnungen zu wichtigen Beratungspunkten im Bundeskabinett. Auch im Mai hieß es noch, die Bundesregierung halte ein KPD -Verbot z. Z. »aus politischen Gründen nicht für zweckmäßig«66. Im Vordergrund standen wieder einmal außen- und deutschlandpolitische Überlegungen. Der Deutsche Bundestag hatte zwar die Westverträge, insbesondere den EVG -Vertrag nach langen Debatten ratifiziert, die französische Nationalversammlung allerdings noch nicht. Ob eine französische Regierung überhaupt bereit und in der Lage war, den EVG -Vertrag ratifizieren zu lassen, war durchaus ungewiss. Als am 18. Juni 1954 Pierre Mendés-France eine Regierung aus Sozialisten, Radikalsozialisten und Linksgaullisten bildete, sah der Kanzler seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Umgebung des französischen Premiers bestehe, wie er es formulierte, aus »mehr oder weniger Salonbolschewiken«67. Hatte der neue Regierungschef Frankreichs etwa den französischen Kommunisten versprochen, das Projekt EVG zu verzögern oder gar zum Platzen zu bringen, um die Unterstützung der Kommunisten für andere wichtige Entscheidungen der französischen Außenpolitik zu gewinnen? In einer solchen Situation, auf ein Verbot der KPD zu drängen, schien dem Bundekanzler mehr als ungeschickt zu sein, hätte am Veto Frankreichs doch das gesamte Vertragswerk mit den drei westlichen Mächten scheitern könne. Auch innenpolitisch war zu überlegen, ob eine Beschleunigung des KPD -Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll war, standen doch im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen wich63 BArch: B 136/4436, 19.3.1954. 64 Ebd. 65 BArch: N 1178/7a, NL Seebohm, Kabinettssitzung, 5.2.1954. 66 BArch: B 136/1737, 7.5.1954. 67 Köhler: Adenauer. Eine politische Biografie, S. 833.

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tige Landtagswahlen vor der Tür. Ein Verbot der KPD, so die Überlegungen in der CDU, hätte nur die Wahlarithmetik zugunsten der SPD verändert. Also war auch hier keine Eile geboten. Auf der anderen Seite drohten neue Gefahren, die eine Beschleunigung des KPD -Verfahrens nahe legten. Innerhalb der Justiz, insbesondere im Bereich der politischen Strafverfolgung, zeichnete sich eine schwere Krise ab, deren politische Folgen noch nicht absehbar waren. Da der KPD -Prozess immer wieder auf die lange Bank geschoben wurde, wuchs bei den zuständigen Staatsanwälten und Richtern die Überzeugung, »dass seitens der Regierung kein Interesse mehr an einer Durchführung des Verfahrens bestehe«68. Am 5.  März 1953 wurde Oberstaatsanwalt Topf (Lüneburg) im Bonner ­Justiz- und Innenministerium vorstellig. Innerhalb der Justiz mache sich eine allgemeine Verunsicherung breit, die zu Unlust und Verweigerung führe, politische Strafsachen überhaupt noch zu behandeln, berichtete Topf. Dies zeige sich in einer wachsenden Zunahme von Krankmeldungen insbesondere bei den politischen Dezernenten der Staatsanwaltschaft. Als Ursache hierfür sei die allgemeine Politisierung des Strafrechts in Deutschland seit 1933 anzusehen. Es müsse zur Kenntnis genommen werden, dass »Richter wie Staatsanwälte mehr oder weniger unter dem Eindruck der Ereignisse von 1933 – Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums – und 1945 – Entnazifizierung – stünden und nach diesen Erfahrungen nicht besonders geneigt seien, sich mit Nachdruck in politischen Strafsachen einzusetzen oder überhaupt in solchen zu betätigen«69. Weitere Kritik richtete sich gegen die Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs. Hier würden Revisionsentscheidungen ungebührlich lange, bis zu 15 Monate dauern. Als besonders lähmend auf die Tätigkeit der Ermittlungsrichter habe sich die Aussetzung der Haftvollstreckung gegen die wegen Hochverrats unter Anklage stehenden Kommunistenführer Dickel und Neumann seitens des Bundesgerichtshofes ausgewirkt. Das führe unter anderem dazu, dass »bei Tätern minderen Grades« von dem Erlass eines Haftbefehls generell abgesehen würde. Auch die bekanntgewordene Distanzierung der BGH-Richter von eigenen Entscheidungen wie die vom »Fünf-Broschüren-Urteil« vom 8. April 195270, in dem der hochverräterische Charakter des Kommunismus erstmals gerichtlich festgestellt worden war, missfiel vielen Staatsanwälten und Richtern. Bemängelt wurde ferner die unterschiedliche Urteilspraxis bei der Verfolgung politischer Strafsachen in der Bundesrepublik. So würden zum Beispiel in Bremen und Hamburg überhaupt keine Verfahren in dieser Richtung durchgeführt, während in anderen Regionen die Kommunisten viel intensiver verfolgt und verurteilt würden. Generell sei eine zunehmende Tendenz zu beobachten, 68 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 10, Gecks, Vortrag OStA Topf, 5.3.1954. 69 BArch: B 106/200800, 1. Fassung des Vermerks über den Vortrag Topf, 23.3.1954. 70 Foschepoth: Überwachtes Deutschland, S. 65 ff.

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wonach die Ermittlungsrichter »Scheu vor dem Erlass von Haftbefehlen in politischen Strafsachen« hätten. Wenn, dann schöben die Gerichte »die Termine für die Hauptverhandlung möglichst weit hinaus. Bei der Strafzumessung sei eine mildere Handhabung festzustellen«71. Die geschilderten Missstände und die verbreitete Verunsicherung der politischen Staatsanwälte und Strafrichter wurden im Innen- und Justizministerium sehr ernst genommen. Eine klare Entscheidung der Bundesregierung, aber auch des Bundesverfassungsgerichts, ob und, wenn ja, wann der Prozess gegen die KPD nun zu Ende geführt werden sollte oder nicht, war mehr als überfällig. Staatssekretär Ritter von Lex, für den der Vermerk über den Vortrag von Topf bestimmt war, vermerkte dazu: »Unter den geschilderten Umständen wird bald eine Entscheidung des Kabinetts getroffen werden müssen, ob nunmehr nach ordnungsmäßiger Besetzung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts der KP-Klage Fortgang gegeben werden soll.«72 Wenn es noch eines weiteren Anstoßes bedurfte, um die lavierende Haltung der Bundesregierung in der KPD -Frage zu beenden und den Druck auf Eröffnung des Verfahrens zu verstärken, dann war es der 20. Juli 1954. Am 10. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler fand im Bendlerblock in Berlin eine Gedenkfeier statt, an der auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, teilnahm. Im Anschluss an diese Veranstaltung fuhr John mit einem kommunistischen Freund, der offensichtlich auch für den KGB arbeitete, nach Ost-Berlin und löste damit eine für die Bundesregierung höchst blamable Affäre, die sog. John-Affäre, aus.73 Auch die Westmächte waren entsetzt. Bestätigte der Vorfall doch, wovor die westlichen Geheimdienste immer wieder gewarnt hatten, dass die westdeutschen Geheimdienste stark von Ost-Spionen durchsetzt seien. Ob John nun freiwillig oder nicht nach OstBerlin gefahren war, ist abschließend noch nicht geklärt. Die Antwort darauf ist in diesem Kontext unerheblich, entscheidend ist lediglich, dass diese Affäre zusammen mit den Missständen in der deutschen Strafjustiz innerhalb der Bundesregierung eine neue Entschlossenheit auslöste, Druck auf das Bundesverfassungsgericht auszuüben, damit dieses endlich mit der mündlichen Verhandlung über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD vom November 1951 beginnen sollte. Die Krise der Politischen Justiz und die Johnaffäre reichten aus, um der Beschleunigung des Verfahrens gegen die KPD wieder Priorität einzuräumen. In einem Schreiben vom 5. August 1954, drei Wochen vor dem endgültigen Scheitern des EVG -Vertrags, forderte Bundesinnenminister Schröder den Präsiden-

71 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 10, Gecks, Vortrag OStA Topf, 5.3.1954. 72 Ebd. 73 Vgl. Gieseking: Der Fall Otto John. Stöver: Der Fall Otto John. Neue Dokumente.

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ten des Bundesverfassungsgerichts auf, »einen Termin in dem Verfahren gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes gegen die KPD so frühzeitig anzusetzen, wie es die Geschäftslage des damit befassten Senats des Bundesverfassungsgerichts« erlaube. Inzwischen lägen »zwei Urteile des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gegen KPD -Funktionäre vor, die es angezeigt erscheinen lassen, das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren abzuschließen«74. Die schnellste und einfachste Art, das Verfahren gegen die KPD zu be­ schleunigen, wäre es gewesen, wenn die Bundesregierung Ihren Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD zurückgezogen hätte. Im Unterschied zu Höpker Aschoff, der immer wieder schlechte Rahmenbedingungen und interne Überlastung anführte, um die Verzögerung des KPD -Prozesses zu rechtfertigen, schien der neue Präsident und Vorsitzende des 1. Senats des Bundes­verfassungsgerichts, Josef Wintrich, einen anderen Weg gehen zu wollen. So machte sich der höchste Richter der Bundesrepublik und Vorsitzende des KPD -Verfahrens am 13. Juli 1954 auf den Weg zur Klägerin nach Bonn. Dass dieser Termin tatsächlich stattgefunden hat, geht aus der Besucherliste von Bundeskanzler Adenauer hervor. Dass es bei dem Gespräch auch um den KPD -Prozess ging, zeigt die Zusammensetzung der Teilnehmer an dieser Unterredung. Neben Bundeskanzler Adenauer nahmen Präsident Wintrich, Bundesverfassungsrichter und Berichterstatter für den KPD -Prozess Stein, Bundesinnenminister Schröder und Staatssekretär im Kanzleramt Globke teil.75 Auch Bundesinnenminister Schröder bezieht sich in seinem oben erwähnten Schreiben vom 5.  August 1954 ausdrücklich »auf die Rücksprache, die vor einigen Wochen zwischen Ihnen und Herrn Bundesverfassungsrichter Dr. Stein mit dem Herrn Bundeskanzler und mir stattgefunden hat«76. Über Inhalt und Ergebnis dieses hochrangigen Gesprächs zwischen Gericht und Antragstellerin konnte kein entsprechendes Dokument ermittelt werden.77 Am 19. November 1954 berichtete die Süddeutsche Zeitung von einem weiteren Gespräch zwischen Adenauer und Wintrich, das auf Initiative des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar vor Beginn der für den 23. November bestimmten Eröffnung der mündlichen Verhandlung stattgefunden haben soll. Es ist das einzige Gespräch dieser Art, das bislang in Forschung und Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Ausgerechnet dieses Gespräch lässt sich quellenmäßig nicht belegen. Ein Gesprächstermin mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ist in der Besucherliste des Bundeskanzlers für Oktober/November 1954 nicht vermerkt. Wenn es dennoch stattgefunden haben sollte, könnte der Präsident durchaus erneut versucht haben, den Kanzler zu einer Rück74 75 76 77

Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 11, Schröder an Wintrich, 5.8.1954. Kalendarium des Bundeskanzlers. Eintrag in die Besucherliste am 13.7.1954. Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 11, Schröder an Wintrich, 5.8.1954. Geprüft wurden sämtliche Nachlässe der Beteiligten, die Akten des BMI und des BKAmt.

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nahme des Verbotsantrags zu bewegen. Die Erfolgsaussichten dürften allerdings äußerst gering gewesen sein. Der Zeitpunkt war nach dem politischen Seitenwechsel von Otto John, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, in die DDR und nach dem endgültigen Scheitern der EVG denkbar ungünstig. »So war es denn zwar nicht weise, aber naheliegend für die Regierung, nunmehr den Fortgang des Verfahrens gegen die KPD zu fordern.«78 Eine andere Form der Verzögerung, die der zweite Präsident praktizierte, waren hinhaltende Bedenken hinsichtlich der Aussetzung von Strafverfahren oder möglicher Verfahrenshindernisse, die Wintrich mehrfach gegenüber der Exekutive äußerte. Schon im April hatte er in einem Gespräch mit dem Prozessbevollmächtigten der Bundesregierung, Staatssekretär Ritter von Lex, betont, dass es falsch sei, die laufenden Strafverfahren gegen Kommunisten vom Ausgang des KPD -Prozesses abhängig zu machen. Bei den Strafverfahren ging es um strafrechtliche Tatbestände, beim KPD -Prozess um eine politische Angelegenheit. Die Strafverfahren sollten weiterhin durchgeführt werden, »weil der Nachweis, dass wichtige KP-Funktionäre hochverräterische Handlungen begangen haben, ein richtiges Beweiselement für den KP-Prozess sei«. Auch der Präsident des BGH, Hermann Weinkauff, »sei ursprünglich anderer Auffassung gewesen, habe sich aber nach eingehender Besprechung der Auffassung von Dr. Wintrich angeschlossen«79. Je näher der Beginn der mündlichen Verhandlung rückte, desto mehr Möglichkeiten der persönlichen Begegnung gab es vor Ort. Präsident Wintrich und Ministerialrat Gecks vom Bundesinnenministerium waren zum Beispiel in der gleichen Pension untergebracht, was manches unkomplizierte und zufällige Gespräch ermöglichte. So sprach der Präsident den Ministerialrat darauf an, dass auf jeden Fall geprüft werden müsse, ob ein Rechtsschutzinteresse, also ein öffentliches Interesse an einem derartigen Prozess überhaupt bestehe. Die KPD sei doch bereits tot, und er frage sich, ob man ihr noch den Gnadenstoß versetzen soll. Als von Lex, der auch in Karlsruhe anwesend war, von dem Gespräch erfuhr, griff er gleich zum Telefonhörer und rief den Berichterstatter im KPD -Prozess, Richter Stein, an. Er teilte ihm mit, »dass nach Auffassung der Bundesregierung die Frage des Rechtsschutzinteresses sich in diesem Verfahren gar nicht stellen könne«. Er sei erstaunt, »wie man zu dieser Frage überhaupt kommen könne«. Im Grundgesetz sei die Frage schon entschieden. In Artikel 21 Absatz 2 sei geregelt, dass Parteien, die in bestimmter Weise gegen die Verfassung verstießen, verfassungswidrig seien. »Daraus ergebe sich für das angerufene Gericht die Pflicht, die Konsequenz der Verfassungswidrigkeit fest-

78 Süddeutsche Zeitung, 19.11.1954, zit. n: KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 97. 79 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 7, Gespräch Schröder und von Lex mit Wintrich, 7.4.1954.

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zustellen, wenn der Antragsteller die Unterlagen für die Verfassungswidrigkeit vorlege.«80 Auch im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes sah der Präsident ein Problem für ein mögliches Verbot der KPD, das im Prozess berücksichtigt werden müsse. Die Stalin-Note von 1952 könne möglicherweise Schwierigkeiten machen. Immerhin hatte Stalin unter der Voraussetzung einer Neutralisierung Deutschlands eine Wiedervereinigung in Aussicht gestellt. Schließlich kam Wintrich in dem Gespräch mit von Lex noch »auf die suprakonstitutionellen Bedenken zu sprechen, ob nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung Artikel 21 GG, der dem Gericht eine eigentlich zunächst der Exekutive obliegende Entscheidung auferlege, überhaupt rechtens sei«. Kein Wunder, dass auf Seiten des Bundesministeriums des Innern kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung der Eindruck entstand, »dass im Senat Kräfte am Werke sind, die um eine Entscheidung unter allen Umständen herumkommen wollen«81. Die Ungewissheit, ob das Verfassungsgericht letztlich so entscheiden würde, wie es die Bunderegierung von ihm erwartete, blieb bis zum Schluss bestehen. Gegen Ende des Verfahrens erhöhte die Bundesregierung noch einmal kräftig den politischen Druck. Auch jetzt überraschte die Exekutive, mit welch kreativen Methoden sie die Judikative in den Griff kriegen wollte. Im Sommer 1955, noch während des laufenden Verfahrens gegen die KPD, dessen Urteil erst ein Jahr später am 17. August 1956 verkündet wurde, entschloss sich die Bundesregierung zu einem in der Geschichte eines Rechtsstaates ungewöhnlichen Schritt. Auf Anregung der Prozesspartei des Bundesinnenministeriums stellte das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen Finanzmittel für die Herausgabe und den Druck der Wortprotokolle und Beweismaterialien des KPD Prozesses bereit. Nach Abschluss der Hauptverhandlung im Juli 1955 gab die Bundesregierung eine dreibändige Dokumentation des Verfahrens in Auftrag. Ein solches Projekt konnte nur mit Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts realisiert werden. Jedenfalls wurden alle Prozessunterlagen des Gerichts einer Prozesspartei, nämlich der Bundesregierung, dreizehn Monate vor dem Ende des Verfahrens für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Der erste Band wurde bereits 1955 gedruckt, während der Prozess gegen die KPD noch lief. Das auf drei Bände konzipierte Dokumentarwerk wurde in großer Zahl gedruckt und kostenlos unter das Volk gebracht. Auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages erhielten ein Exemplar, so Walter Menzel (SPD), Vorsitzender des Ausschusses zum Schutz der Verfassung. In einem Begleitschreiben unterstrich Staatssekretär Franz Thedieck vom Gesamtdeutschen Ministerium82, dem Pro80 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 16, v. Lex an Schröder, Gespräch Wintrich mit Gecks, 19.11.1954. 81 Ebd. 82 Creuzberger: Kampf für die Einheit, S. 65 ff.

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Die Karlsruher Verhältnisse

pagandaministerium der Bundesregierung im Kalten Bürgerkrieg, die staatspolitische Bedeutung dieses Dokumentenwerks: In ihren Schlussplädoyers vor dem Bundesverfassungsgericht habe es die Bundesregierung »mit Recht als ein historisches Ergebnis des Prozesses gegen die KPD bezeichnet, dass dem deutschen Volke zum ersten Mal an höchster Gerichtsstelle die Gefährlichkeit und die revolutionäre Zielsetzung der kommunistischen Partei vor Augen geführt worden ist. Zu gleicher Zeit wurde bei dieser Gelegenheit die KPD gezwungen, ihre Vorstellungen von der Wiedervereinigung Deutschlands offenzulegen. Dabei wurde unter Beweis gestellt, dass die Einbeziehung ganz Deutschlands in den kommunistischen Machtbereich ihr letztes und eigentliches Ziel ist.«83 Als neun Monate nach dem Ende der mündlichen Verhandlung im KPD Prozess immer noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sicht war, erhöhte Bundesinnenminister Schröder erneut den Druck und ging an die Öffentlichkeit. Am 23. April 1956 forderte er auf einer Pressekonferenz eine baldige Entscheidung der Karlsruher Richter. Detailliert setzte er sich mit der Verhandlungstaktik der KPD auseinander. Von ihren revolutionären Zielen habe die Partei in keinster Weise Abstand genommen. Das Beweisergebnis der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe sei »unerschüttert«. Wenn das die Richter nicht einsehen und bald zu einer Entscheidung kommen würden, so der Tenor, gefährde das Bundesverfassungsgericht das Ansehen des Staates und seiner Institutionen. Wörtlich sagte Schröder, was einer öffentlichen Schelte des höchsten Gerichts gleichkam: »Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Autorität und die Sicherheit des Staates und das Ansehen seiner rechtsstaatlichen Institutionen eine baldige Schlussentscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangen.«84 Als Innenminister Schröder vier Wochen später immer noch keinen T ­ ermin für die Verkündung des Urteils aus Karlsruhe bekommen hatte, schrieb er einen geharnischten Brief an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Seit Dezember 1955 habe der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung in etlichen Schriftsätzen immer wieder eine Entscheidung im Verfahren gegen die KPD angemahnt und deren »alsbaldige Ausschaltung aus dem politischen Leben« gefordert. Seither sei nichts geschehen. Die drohende Gefahr, die von der KPD ausgehe, sei in den letzten Monaten keineswegs kleiner, sondern eher größer geworden. Mangels eines Verbots könne die KPD ihre verfassungsfeindliche Tätigkeit ungehemmt fortsetzen. Gleiches gelte auch für die zahlreichen kommunistischen »Tarnorganisationen«. Die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssten bei der Abwehr staatsgefährdender Handlungen erlahmen, wenn die KPD weiterhin politisch tätig sein könne. Außerdem müsse er auf die in letzter Zeit wieder stärker werdende »Hetze kommunistischer Organe« aus 83 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 12, Thedieck an Menzel, 27.2.1956. 84 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 13, Pressekonferenz, 23.4.1956.

Prozessverzögerung und Einwirkung der Bundesregierung 

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der DDR hinweisen. Die fortgesetzte Verbreitung von Verleumdungen müsse »zu einer Demoralisierung des Rechts- und Verfassungsbewusstseins unseres Volkes und damit auch zu einer verhängnisvollen Schwächung der Position unseres Staates in der für unser ganzes Volk entscheidenden West-Ost-Ausein­ andersetzung führen«. Und wer war schuld an der Malaise? Das Bundesverfassungsgericht. Die Bundesregierung hielt es daher für ihre Pflicht, »diese Zusammenhänge mit ihren für unser Volk so weittragenden Folgen dem Senat in aller Klarheit darzulegen und ihn zu bitten, über ihren Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD nunmehr alsbald zu entscheiden«85. Als Schröder den Bundeskanzler über sein Schreiben an Präsident Wintrich unterrichtete, war dieser spontan bereit, ebenfalls einen Brief nach Karlsruhe zu schreiben. Auch Adenauer zeigte sich sehr besorgt darüber, dass über die Verfassungswidrigkeit der KPD noch nicht entschieden sei. Der Kampf gegen »die kommunistischen Infiltrationsversuche« sei fühlbar gehemmt. »Die zuständigen Behörden machen gegenüber linksradikalen Organisationen nur zögernd von der Befugnis Gebrauch, die ihnen der Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes86 bietet, weil sie auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichts warten. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden drohen in ihrer Entscheidungsfreudigkeit zu erlahmen, weil sie sich immer wieder der zu Unrecht vorgetragenen Behauptung gegenübersehen, die subversive kommunistische Tätigkeit sei nicht zu beanstanden, da sie der Auffassung einer in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz bestehenden politischen Partei entspreche.« Schließlich wies Adenauer darauf hin, »dass die Bundesregierung aus zwingenden politischen Gründen an einer schnellen Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der KPD interessiert ist. Die Bundesregierung bittet, möglichst bald über ihren Antrag zu befinden.«87 Schröder dankte dem Kanzler, nicht ohne zu erwähnen, dass er dem Bundesjustizminister auch eine Abschrift seines Briefes an das Verfassungsgericht zugeleitet habe, »mit der Bitte zu erwägen, ob er, falls der Senat nicht in naher Zeit über den Antrag der Bundesregierung entscheidet, den Präsidenten nicht seinerseits darauf hinweisen sollte, dass der Senat bei weiterer Verzögerung der Urteilsfällung sich dem Verdacht der Urteilsverweigerung aussetzt«88.

85 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 14, Schröder an Wintrich, 25.5.1956. 86 Art. 9, 2 GG ermöglichte es der Exekutive, verfassungswidrige Organisationen und Vereine zu verbieten. 87 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 16, Adenauer an Wintrich, 30.5.1956. 88 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. A 15, Schröder an Adenauer, 25.5.1956.

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Die belastete Vergangenheit Warum der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts den KPDProzess nicht wollte

Warum der erste Präsident des BVG den KPD-Prozess nicht wollte Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht Hermann Höpker Aschoff, erster Präsident und Vorsitzender des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts, der über den Antrag der Bundesregierung zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD zu entscheiden hatte. Ziel ist es, ein Bild von der Persönlichkeit dieses Mannes zu entwickeln, von seinen politischen Überzeugungen und Entwicklungen, von seiner politischen und beruflichen Karriere, von seinem Handeln und Verhalten in der Zeit der NS -Diktatur und in der Nachkriegszeit. Die hier besonders interessierende Frage lautet: Warum hat der höchste Richter der Bundesrepublik jede sich bietende Gelegenheit genutzt, um den Staatsprozess gegen die KPD immer wieder zu verzögern? Hat Höpker Aschoff diesen Prozess überhaupt gewollt oder nicht? Wenn nein, was waren die Gründe? Dazu muss der Bogen weit gespannt werden: vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS -Diktatur bis in die Besatzungszeit und die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland. Wer war dieser Mann, der 1951 an die Spitze des eben erst gegründeten Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde? Wer war der Vorsitzende des 1. Senats, der den größten politischen Prozess in der Geschichte der Bundesrepublik, den »Staatsprozess« gegen die KPD zu führen hatte und gleichzeitig alles tat, um ihn wieder und wieder hinauszögern? Waren es die widrigen Umstände des Neuanfangs, die schlechten Räumlichkeiten, das fehlende Personal, die Überlastung des 1. Senats aufgrund der politischen Indienstnahme des Gerichts durch die Bundesregierung, wie der Präsident immer wieder betonte? Oder gab es auch Gründe, die im Bereich des Persönlichen, der politischen Überzeugungen, der politischen Biographie von Höpker Aschoff zu suchen sind? Wie ist dieser Mann durch die Zeit der NS -Diktatur gekommen? Hat er möglicherweise eine belastete Vergangenheit, die erklären könnte, warum der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts den KPD -Prozess nicht wollte? Die erste Frage, auf die jeder kommt, der sich mit diesem Prozess beschäftigt, lautet: Warum hat der KPD -Prozess so lange gedauert? Für das Verfahren gegen die SRP benötigten die Verfassungsrichter gerade einmal 9 Monate, für den KPD -Prozess mehr als sechsmal solange, nämlich fast 55 Monate. Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass der Staatsprozess sowohl von dem ersten, als auch von

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dem zweiten Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts verzögert worden ist. Hermann Höpker Aschoff und Josef Wintrich beschritten dabei verschiedene Wege. Während der erste Präsident jede Möglichkeit nutzte, um den Prozess gegen die Kommunisten zu verzögern und auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben, suchte sein Nachfolger immer wieder den Kontakt zur Bundes­ regierung, um eine Einstellung des Verfahrens auf politischem (Rücknahme des Feststellungsantrages durch die Bundesregierung) oder auf rechtlichem Wege (Feststellung von Prozesshindernissen durch das Gericht) auszuloten. Bestand angesichts der Schwäche der KPD überhaupt ein öffentliches Interesse, ein Rechtsschutzinteresse, wie die Juristen zu sagen pflegen, um die Notwendigkeit des Feststellungsverfahrens gegen die KPD rechtlich einwandfrei begründen zu können?1 War mit anderen Worten der KPD -Prozess überhaupt politisch und rechtlich notwendig? Während Wintrich bis zum Ende des Verfahrens um eine einvernehmliche Lösung dieser Fragen gemeinsam mit der Bundesregierung bemüht war, hatte Höpker Aschoff diese Fragen offensichtlich von Anfang an zumindest für sich mit einem klaren »nein« beantwortet. Warum blieb ausgerechnet Höpker Aschoff gerade in Sachen KPD -Prozess so resistent gegenüber dem massiven Druck der Bundesregierung? Warum tat er alles, um diesen Prozess nicht stattfinden zu lassen, während er den Prozess gegen die SRP zügig vorangetrieben hatte? Die Antwort lautet schlicht, weil er den KPD -Prozess nicht wollte. Dass das Verfahren gegen die KPD immer wieder hinausgezögert wurde, lag nicht zuletzt daran, wie der engagierte »Anwalt im Kalten Krieg« und spätere Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Diether Posser, in seinen Erinnerungen schrieb, »dass der leider Anfang 1954 verstorbene erste Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Professor Dr. Höpker Aschoff, ein erklärter Gegner des Verbotsprozesses gegen die KPD war«2. Dass der erste Präsident ein Gegner des Verfahrens gegen die KPD war, wird durch die bislang ausgewerteten Quellen bestätigt. Offen bleibt jedoch die Frage nach dem Warum, nach den Motiven. Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es eines biografischen Blickes auf die Person Höpker Aschoff. Gab es irgendwelche lebensgeschichtlich bedeutsamen Erfahrungen und Entwicklungen, die es ihm schwer oder gar unmöglich machten, einen »Staatsprozess« im Auftrag der Exekutive gegen die deutschen Kommunisten zu führen? Welche politischen Ideen und Ziele verfolgte dieser Mann? Hat er tatsächlich der Weimarer Republik »die Treue« gehalten und die parlamentarische Demokratie verteidigt, als der National­ sozialismus immer mehr Zulauf bekam? Wollte er wirklich mit dem »System des Nationalsozialismus nichts gemein haben«3, wie der Vizepräsident des Bun1 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 16, Gespräch Wintrich (BVerfG) mit von Lex (BMI), 19.11.1954. 2 Posser: Anwalt im Kalten Krieg, S. 179. 3 HSt AS: Q 1/35, Bü 518, Katz, Trauerrede auf Höpker Aschoff, 19.1.1954.

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desverfassungsgerichts Rudolf Katz in seiner Trauerrede auf Höpker Aschoff am 19. Januar 1954 sagte? Warum gab und gibt es dann so viele Leerstellen in der Biografie von Hermann Höpker Aschoff, insbesondere während der NS -Diktatur? Warum wurde gerade diese Zeit von Adenauer und Heuss in ihren Trauerreden ausgespart, obwohl sie genau wussten, wo der Verstorbene seit 1940 beschäftigt war?4 Warum wurden die vorhandenen Lücken immer wieder mit so hübschen Mythen und Legenden garniert, angefangen von der inneren Emigration5, dem Rückzug ins Private bis zum »Schöngeist« und »Privatgelehrten«, der in dunkler Zeit schon intensiv über die helle Zukunft der Demokratie nachdachte.6 Natürlich darf die Gartenarbeit als Synonym für privaten Rückzug, Verweigerung und Widerstand nicht fehlen. Danach soll Höpker Aschoff wie andere »Widerständler« auch »in der Hitlerzeit seinen Herforder Garten zuerst mit Rosen, und dann, den Zeiten entsprechend, mit Kartoffeln bepflanzt und über vieles nachgedacht«7 haben. Der offiziöse Biograf der Adenauerzeit hat dieses Bild noch angereichert. Danach hat Höpker Aschoff nicht nur Rosen gepflanzt, sondern auch gezüchtet und Obstbäume okuliert.8 Offensichtlich hat er die NS -Diktatur gut überstanden. Kein Wunder: »Als es 1945 galt, das von den National­sozialisten hinterlassene Trümmerfeld zu räumen, war er zur Stelle.«9 Wer war Hermann Höpker Aschoff wirklich? Höpker Aschoff gehörte zur Gründergeneration der Bundesrepublik Deutschland. Wie Adenauer, Heuss und andere, hatte er das Pensionsalter längst erreicht, als er sein neues Amt antrat. Am 31. Januar 1883 im ostwestfälischen Herford geboren, wuchs er in einer nationalliberal geprägten preußisch-protestantischen Apotheker- und Beamtenfamilie auf. Als der kleine Hermann ein Jahr alt war, verkaufte der Vater die Apotheke und wurde Standesbeamter der Stadt Herford.10 Am örtlichen Gymnasium machte er später das Abitur und studierte danach Rechtswissenschaften in Jena, München und Bonn. In Jena trat er in die »Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller« ein. Ihr Motto: »Ehre, Freiheit, Vaterland«. Er wurde ein aktiver Burschenschaftler, wie die Schmisse in seinem Gesicht unverkennbar zeigten. »Die ihm eigene, außergewöhnliche Vitalität befähigte Höpker Aschoff, sich als hervorragender Fechter hervorzutun.«11 Die erste Staatsprüfung legte er 1904 in Köln, die zweite Staatsprüfung 1910 4 5 6 7 8 9 10 11

Ebd. Adenauer, Trauerrede auf Höpker Aschoff, 19.1.1954. Heuss: Würdigungen. S. 238–241. Ley: Die Erstbesetzung des Bundesverfassungsgerichtes, S. 532. Ritterspach: Hermann Höpker Aschoff, S. 58 f. HStAS: Q 1/35, Bü 518, Hamburger Abendblatt, 5.9.1951. Henkels: Zeitgenossen. Fünfzig Bonner Köpfe, S. 107. HStAS: Q 1/35, Bü 518, Katz, Trauerrede auf Höpker Aschoff, 19.1.1954. Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 36. Siegmann: Hermann Höpker Aschoff und die Burschenschaft, S. 201.

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in Berlin ab. Zwischendurch (1904/05) diente er als Freiwilliger in der kaiserlichen Armee. Im Feldartillerieregiment 51 in Straßburg wurde er zum Leutnant der Reserve herangezogen. 1907 folgte an der Universität Bonn die Promotion.12 1912 erhielt er am Landgericht Bochum seine erste Anstellung als »Landrichter«13. Der Ausbruch des Krieges im Sommer 1914 unterbrach für viereinhalb Jahre seine berufliche Karriere. Höpker Aschoff gehörte zu den Ersten, die einge­ zogen wurden, und zu den Letzten, die geschlagen in die Heimat zurückkehrten. Seinen Kriegsdienst leistete er in »seinem« Feldartillerieregiment 51 in Straßburg ab, wurde »Batterieführer« und Hauptmann der Reserve. Er wurde einmal verwundet und mit dem Eisernen Kreuz (EK I und EK II) ausgezeichnet.14 Nachdem der Krieg verloren war, führte Höpker Aschoff im Herbst 1918 seine Truppe in der Nähe von Köln »in voller Ordnung« über den Rhein, »eine schwarz-weiß-rote Fahne an jedem Fahrzeug, trotz der schwerbewaffneten Matrosen, die am Wege Posten standen«. Mit großem Stolz erinnerte er Jahre später im Rahmen einer »Verfassungsfeier« in der Berliner Staatsoper an die gro­ ßen Leistungen des kaiserlichen Heeres. Es sei das »beste Heer« gewesen, »das die Welt je gesehen« habe und das »nach tausend Schlachten, in denen Übermenschliches geleistet war, besiegt worden«15 sei. Die Monarchie, die Staatsform, in der Höpker Aschoff aufgewachsen und 35 Jahre alt geworden war, gab es nicht mehr. Jetzt sah er seine Aufgabe darin, nicht die alte Staatsform, sondern den neuen Staat zu retten und wiederaufzubauen. Daran konnte er entweder als Richter oder als Politiker mitwirken. »Für einen rüstigen Mann, der dem Staate dienen will«, schrieb er später, war es »nicht an der Zeit, Urteile abzusetzen, sondern mit festen Händen bei der Wiederherstellung des zusammengebrochenen Staates anzupacken«16. Der Mann mit ausgeprägter nationaler Gesinnung, entschied sich für die Politik und trat Anfang 1919 der als »linksliberal« geltenden Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei.17 Die DDP entwickelte sich rasch zu einem Sammelbecken bürgerlicher Demokraten, die bereit waren, die neue Republik mit zu tragen und mit zu gestalten. Die Anfangserfolge der Partei, die bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 auf 18,5 Prozent der Stimmen und 75 Mandate kam, wieder­ holten sich nicht, weder in Preußen, noch im Reich. Schon bei den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 brach der Anteil der DDP um mehr als die Hälfte ein 12 Höpker Aschoff: Besitzwille und Eigenbesitz, Diss. Jur. Bonn 1907. 13 LAV NRW R: NW PE 152, Personalakte Höpker Aschoff. 14 BArch: R 3001/61160. Reichsjustizministerium Berlin, Bewerbungsunterlagen Höpker Aschoff, 11/1938. 15 Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 43. 16 Höpker Aschoff: Unser Weg durch die Zeit, S. 9. 17 Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 49.

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und nahm kontinuierlich weiter ab. Bei den Reichstags- und Landtagswahlen 1932 errangen die ehemaligen Linksliberalen, die sich seit 1930 nach einem deutlichen Rechtsruck der Partei nicht mehr DDP, sondern Deutsche Staatspartei nannten, nur noch 0,5 bzw. 1,0 Prozent der Stimmen. Bei den Märzwahlen 1933 konnten sie nur noch dank einer Listenverbindung mit der SPD in den preußischen Landtag und in den Reichstag einziehen.18 In dieser Partei, zu deren Gründung zahlreiche illustre Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Hugo Preuss, Alfred Weber und Hjalmar Schacht aufgerufen hatten und zu deren Mitgliedern Friedrich Naumann, Max Weber, T ­ heodor Heuss und zuletzt auch Thomas Dehler gehörten, machte Höpker Aschoff schnell Karriere.19 Bereits 1921 wurde er als Abgeordneter für Südwestfalen in den Preußischen Landtag gewählt, dessen Mitglied er bis 1932 blieb. Als der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) 1925 für das Amt des Reichspräsidenten kandidierte und eine neue stabile Regierung nicht zustande kam, wurde Höpker Aschoff gegen seinen Willen als Kandidat einer parteiübergreifenden Koalition für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen und auch gewählt. Ministerpräsident wollte er jedoch nicht werden und lehnte die Wahl ab. Als dann doch ein neues Kabinett Braun zustande kam, war Höpker Aschoff bereit, das Amt des preußischen Finanzministers, für das er schon in einer Zwischenregierung unter Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum) am 18. Februar 1925 ernannt worden war, wieder zu übernehmen. In dieser Funktion erwarb er sich bald über Preußen hinaus hohe fachliche Anerkennung, die ihn politisch jedoch zunehmend isolierte.20 Höpker Aschoff galt als ein Finanzfachmann, der die immer schwieriger werdende Finanz- und Haushaltslage Preußens, aber auch des Reiches überblickte und sich den politischen Forderungen der Parteien wie der Länder energisch widersetzte. Als eiserner Sparkommissar, Befürworter von Beförderungssperren und Besoldungskürzungen für Beamte zog er in Parlament und Öffentlichkeit und selbst in seiner eigenen Partei wachsenden Unmut auf sich. Als im Herbst 1931 Ministerpräsident Otto Braun krankheitsbedingt für Wochen ausfiel und ausgerechnet in dieser Zeit Reichspräsident von Hindenburg die 3. Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen erließ, weitete sich die Finanzkrise des Reiches und der Länder zu einer ernsten politischen Krise aus. Länder und Kommunen wurden angewiesen, die Beamtengehälter den niedrigeren Gehaltsstufen des Reiches anzupassen. Des Weiteren mussten die Verwaltungsausgaben gesenkt, Besoldungen und Pensionen gekürzt werden.21

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Stang: Die Deutsche Demokratische Partei in Preußen 1918–1933, S. 61–106. Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 45. Ebd., S. 73 f. Ebd., S. 171.

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Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die per Notverordnung erlassene Beförderungssperre für die preußischen Beamten. Bis auf den Finanzminister waren alle Minister der preußischen Staatsregierung der Auffassung, dass diese Bestimmung in der preußischen Notverordnung abgeändert werden müsse. Höpker Aschoff war dagegen. Er war überzeugt, dass die »Staatsautorität Schaden leiden müsse, wenn die Regierung eine Maßnahme einen Monat nach ihrer Verkündung unter dem Druck der Interessenvertreter zurücknehmen würde«22. Als alle Versuche scheiterten, Höpker Aschoff umzustimmen, und die preußische Regierung gegen seine Stimme beschloss, die preußische Notverordnung in der Frage der Beförderungssperre abzuändern, trat Höpker Aschoff am 12. Oktober 1931 vom Amt des preußischen Finanzministers zurück.23 Nicht nur in der Frage der Beförderungssperre, sondern auch in der Frage der mit der Haushaltssanierung des Reiches und der Länder eng zusammenhängenden und heiß diskutierten Frage einer »Reichsreform« hatte der preußische Finanzminister keine politische Mehrheit mehr hinter sich. Unbeirrt hielt er jedoch an der Idee eines zentralisierten Einheitsstaates fest. Die föderale Struktur der Weimarer Republik war alles andere als ausgewogen. Die einen Länder waren zu klein und konnten allein nicht existieren, die anderen waren zu groß und konkurrierten mit dem Reich. Zu den Großen zählte vor allem Preußen, das zwei Drittel des Reichsgebietes umfasste. »Die Stimmen, die den Einheitsstaat fordern, mehren sich«, hatte der sonst so spröde und nüchterne Höpker Aschoff bereits 1928 in einem leidenschaftlichen Plädoyer geschrieben, das als ­Broschüre in hoher Auflage verbreitet wurde. »Man ist der Querelles Allemandes, der Kämpfe zwischen Reich und Ländern und unter den Ländern überdrüssig. Man will die Zusammenfassung der nationalen Kraft in einem geschlossenen Staatswesen, man will die deutsche Nation und Staatsbürger, die sich drinnen und draußen als Deutsche und nicht als Preußen und Bayern fühlen. Man will eine geschlossene, einheitliche Willensbildung für große außen- und innenpolitische Entscheidungen. Man will eine klare und einfache Gliederung der Gesamtverwaltung – und hat damit recht.«24 Höpker Aschoff ging es also nicht mehr nur um eine Steigerung der Effizienz und Rationalisierung der öffentlichen Finanzverwaltung, sondern auch um den politischen Entwurf für einen neuen starken Staat, der nicht mehr vom »Zwist« der Parteien, Länder und Interessengruppen hingehalten und geschwächt wurde. Hier wurde etwas vorgedacht, was von den Nationalsozialisten wenige Jahre später aufgegriffen, radikalisiert und umgesetzt wurde. Es war 22 Zit. n. Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 172. 23 Ebd., S. 174. 24 GStA PK : VI .HA NI Becker, C. H. Nr. 1355. Darin: Höpker Aschoff: Deutscher Einheitsstaat, S. 3.

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Höpker Aschoff, der die Durchführung einer »Flurbereinigung« im Deutschen Reich für notwendig hielt, zunächst in Norddeutschland, danach aber auch in Süddeutschland. Konkret bedeutete dies, Preußen als eigenständiges Land aufzulösen und als »Reichsland Norddeutschland« dem Reich unmittelbar zu unterstellen. Die Gewaltenteilung zwischen Reich und Ländern sollte aufgehoben, das »Reichsland« durch Organe des Reiches regiert werden. Für die Gesetzgebung sollten künftig Reichsrat und Reichstag zuständig sein, auch auf den Gebieten, die den Ländern vorbehalten waren. »Ob damit noch die Grundsätze der parlamentarischen Regierungsweise gewahrt würden«, könne zweifelhaft sein, »aber es wäre nicht von entscheidender Bedeutung«25, stellte Höpker Aschoff nüchtern fest. Als sich im Sommer 1931 – Höpker Aschoff war noch preußischer Finanzminister – die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage weiter verschlechterte, sah der Minister die Zeit zum Handeln gekommen. Die Notsituation erfordere ein Zusammenlegen der Reichsregierung und der preußischen Staatsregierung. In einem ersten Schritt sollten die Ministerien des Innern und der Justiz im Reich und in Preußen zusammengelegt und in Personalunion geführt werden. Auch die Steuerverwaltung sollte zusammengelegt und der Ministerpräsident Preußens als Vizekanzler Mitglied der Reichsregierung werden. Da in der Kürze der Zeit eine derartige Entmachtung Preußens auf parlamentarischem Wege kaum zu bewerkstelligen war, empfahl Höpker Aschoff, die »kleine« Reichsreform nicht per Gesetz, sondern per Notverordnung, also unter Umgehung des Parlaments, auf den Weg zu bringen. »Da das verfassungsändernde Gesetz Monate erfordern würde und ein sofortiges Handeln geboten ist«, erklärte Höpker Aschoff jetzt auch öffentlich, »sind die Voraussetzungen des Artikels 48 für eine vorläufige Regelung bis zur Verabschiedung des verfassungsändernden Reichsgesetzes gegeben«26. Mit diesem Vorschlag nahm Höpker Aschoff gleichsam vorweg, was ein Jahr später mit dem »Preußenschlag« von Reichskanzler Franz von Papen realisiert werden sollte. Am 20. Juli 1932 setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg die preußische Staatsregierung ab und vollzog auf einen Schlag, ganz wie Höpker Aschoff es sich vorstellte, per Notverordnung und damit am Parlament vorbei, die seit langem herbeigewünschte »Reichsreform«. Die Situation war günstig. Seit dem großen Wahlerfolg der NSDAP bei den Landtagswahlen im April 1932 verfügte die preußische Regierungskoalition von SPD, Zentrum und Deutsche Staatspartei, die inzwischen auf 0,5 Prozent der Stimmen geschmolzene neue Partei Höpker Aschoffs, über keine eigene Mehrheit mehr und war nur noch

25 Ebd., S. 13. 26 Höpker Aschoff in: Der Deutsche Volkswirt, 21.8.1931. Zit. n. Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 129.

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geschäftsführend im Amt. Reichskommissar in Preußen wurde Reichskanzler von Papen.27 Höpker Aschoff verfügte offensichtlich über einen starken politischen In­ stinkt, das vorauszudenken, auszusprechen und zu fordern, was andere später umsetzen sollten. Dies galt auch und nicht zuletzt für seine wachsende Überzeugung, dass die Staatsform der parlamentarischen Demokratie längst zu einer Gefahr für einen von ihm als dringend notwendig erachteten starken Staat geworden sei. So rückte »die Notwendigkeit einer Diktatur« immer mehr in den Bereich des Möglichen. Noch-Finanzminister Höpker Aschoff scheute sich nicht, auch diesen Gedanken klar und deutlich auszusprechen. Am 15. August 1931 befasste sich der Gesamtvorstand der Deutschen Staatspartei (DStP) eingehend mit der allgemeinen politischen Lage. Dabei vertrat Höpker Aschoff in aller Deutlichkeit die Ansicht, dass die parlamentarischdemokratische Staatsform keine Zukunft mehr habe. Die Entwicklung sei so, »dass wir uns von der parlamentarisch-demokratischen Regierungsweise losringen. Wir könnten ja daran festhalten, wenn es möglich wäre, eine autoritative Regierung zu schaffen, wie es in Preußen möglich war, weil die großen politischen Aufgaben ja an Preußen nicht herantreten. Aber die Dinge kommen zum Schwur. Es gibt zwei Möglichkeiten: autoritative Regierung auf parlamentarischer Grundlage oder losgelöst von dieser Grundlage. Das gilt für das Reich und Preußen.« Eine autoritative Regierung auf parlamentarischer Grundlage sei nur denkbar, wenn sich der preußische Ministerpräsident Braun und Reichskanzler Brüning einig wären, so könnte die Reichsreform, die Verschmelzung von Preußen und Reich, auf dem Verwaltungsweg umgesetzt werden. Komme ein solcher »Pakt zwischen Brüning und Braun« nicht zustande, »kommen wir zwangsläu­ fig in ein Direktorium hinein. Ich glaube, dass man die Dinge nicht anders sehen kann. Die parlamentarisch-demokratische Regierungsform muss ein Volk und einen Staat in das Unglück hineinführen. Wenn wir nicht eine starke Führung, eine Autorität der Regierung herausarbeiten können, so müssen wir uns mit einer Diktatur abfinden. Wenn sie in Form von Brüning kommt, ist sie tragbar, weil nicht ein Abenteurer diese Diktatur führen würde.«28 Die von Höpker Aschoff vorausgedachte Diktatur sollte schon bald Wirklichkeit werden. Die Entwicklung dahin wurde nicht nur von ihm, sondern auch von den fünf noch übrig gebliebenen Reichstagsabgeordneten der DStP unterstützt. Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt und die NSDAP in der Reichstagswahl vom 5.  März 1933 mit großer, wenn auch nicht absoluter Mehrheit bestätigt worden war, war der Weg zur Diktatur in Deutschland geebnet. Am 23.  März 1933 stimmten die fünf Mitglieder der Deutschen Staatspartei nicht mit der SPD, über deren Liste sie in den 27 Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, S. 712 ff. 28 Linksliberalismus in der Weimarer Republik: DDP-Protokolle, Nr. 180, S. 659 f.

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Reichstag gekommen war, gegen das Ermächtigungsgesetz, sondern dafür. Zu ihnen gehörten der spätere Bundespräsident Theodor Heuss (FDP), der spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Reinhold Maier (FDP) und der spätere Bundesminister Ernst Lemmer (CDU). In einer kurzen Stellungnahme begründete Reinhold Maier, warum sich die kleine Staatspartei »im Interesse von Volk und Vaterland« für die Abschaffung der parlamentarisch-demokratischen Regierungsform entschied. Die generelle Übereinstimmung mit der Politik Adolf Hitlers überwogen die Bedenken. »Wir fühlen uns in den großen nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler hier vorgetragen wurde. Wir leugnen auch keineswegs, dass Notzeiten besondere Maßnahmen erfordern, und haben deswegen wiederholt Ermächtigungsgesetzen und Notverordnungen zugestimmt. Wir verstehen, dass die gegenwärtige Reichsregierung weitgehende Vollmachten verlangt, um ungestört arbeiten zu können.«29 Die weitere Entwicklung der Staatspartei verlief ganz im Sinne Hitlers. Bereits am 28.  Juni 1933, drei Monate nach dem Ermächtigungsgesetz, löste sie sich auf. Seit der katastrophalen Niederlage der Partei bei der Reichstagswahl im Sommer 1932, bei der auch Höpker Aschoff sein Reichstagsmandat verloren hatte, gehörte der preußische Finanzminister a. D. zu den stärksten Befürwortern einer raschen Auflösung der Staatspartei. Die Fusionierung der DDP mit dem rechtslastigen »Jungdeutschen Orden« zur DStP, die bereits 1930 erfolgt und von Höpker Aschoff stark protegiert worden war, hatte den Abwärtstrend nicht aufhalten können, im Gegenteil sogar beschleunigt. Die politischen Ziele, die Höpker Aschoff jenseits seiner Finanzpolitik verfolgte, wie die Schaffung eines deutschen Einheitsstaates, die Auflösung Preußens, die willkürliche Anwendung der Notverordnungen, die Schwächung des Parlaments, die Schaffung einer »autoritativen Regierung« bis hin zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und Errichtung einer Diktatur wurden inzwischen von der NSDAP nicht nur viel überzeugender gefordert, sondern auch viel wirkmächtiger umgesetzt. Wie ist der Niedergang der DDP/DStP mit Blick auf Hermann Höpker Aschoff zu bewerten? Historisch betrachtet, war sein Rücktritt im August 1931 Teil des Selbstauflösungsprozesses der einmal als linksliberal geltenden Partei. Der Mann, der über einen besonderen politischen Instinkt für die tiefgreifenden Veränderungen verfügte, die sich Anfang der Dreißigerjahre in Deutschland vollzogen, und der große Pläne zur Rettung des Staates entwickelte, verfügte weder über die politische Macht, noch über den persönlichen Willen, an vorderster Stelle diesen Prozess mitzugestalten. 1925 hätte er die Möglichkeit gehabt, Ministerpräsident von Preußen zu werden. 1930 bot ihm Reichskanzler Brüning das Amt des Reichsfinanzministers an, um die Reichsreform mit dem Reichs29 http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w8_bsb00000141_00000.html, 23.3.1933, S. 38.

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kanzler gemeinsam voranzubringen. Beide Male lehnte er ab. In der Krise des Sommers 1931 beharrte er darauf, die Notverordnung zur Kürzung der Beamtengehälter eins zu eins umzusetzen. Zu einem Kompromiss war er nicht bereit. Obwohl die anderen Minister der preußischen Staatsregierung ihn drängten, im Amt zu bleiben, trat er zurück. Der Mann, der den Staat retten und tiefgreifend verändern wollte, ging von Bord. Der preußische Landwirtschaftsminister Heinrich Steiger (Zentrum) brachte die persönlichen Defizite von Höpker Aschoff auf den Punkt: Er »wisse sehr genau, dass der Finanzminister oft das für das Allerdümmste hielte, was andere für sehr klug hielten und umgekehrt«. Im Übrigen wisse Höpker Aschoff »wohl ganz genau, dass seine Partei in vielen Dingen in ganz anderer Richtung marschiere als er, und dass sie ihm in vielen Dingen kein Vertrauen entgegenbringen könnte«30. Der Rücktritt vom einflussreichen Amt des preußischen Finanzministers bedeutete für Höpker Aschoff politisch und persönlich einen tiefen Einschnitt. Mit dem »Preußenschlag« verlor er sein Landtagsmandat, mit der Reichstagswahl im Sommer 1932 auch sein erst seit kurzem inne gehabtes Reichstagsmandat. Seine fachlichen Qualitäten wurden überall geschätzt, weniger seine politischen Visionen von einem starken Staat über den Parteien und einer Staatsform jenseits der parlamentarischen Demokratie. Auch sein heftiger und sturer Charakter verursachte manche politischen Konflikte. Kompromisse zu suchen und zu finden, war nicht seine Stärke. Der preußische Ministerpräsident Braun (SPD) wusste, was er an ihm hatte. Dennoch klagte er in seinen Memoiren, dass Höpker Aschoff »in seiner Sturheit nicht immer der bequemste Mitarbeiter«31 gewesen sei. Dies war offensichtlich auch der Grund, ihn nach seinem freiwil­ ligen Rücktritt weder in das Finanzministerium, noch in ein anderes politisches Amt zurückzuholen, wenngleich es etliche Versuche gab, ihn dennoch dazu zu bewegen. Sie alle scheiterten an der »Sturheit« von Hermann Höpker Aschoff. Schon bald sollte er am eigenen Leib erfahren, dass es sein Ideal, den Staat an sich, unabhängig von einer konkreten Staatsform nicht gab. Der Staat, dem Höpker Aschoffs Zuneigung galt, war entweder ein monarchisch-obrigkeitsstaatlicher Staat, ein parlamentarisch-demokratischer Staat oder ein nationalsozialistisch-diktatorischer Staat. Der von ihm so sehr geliebte Staat an sich scheute sich nicht, den Dienern des alten Weimarer Staates die Renten und Pensionen zu kürzen. Von einer kleinen Richterrente, einer großen Ministerpension und Tantiemen als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der 1931 von der Regierung Brüning verstaatlichten Dresdner Bank konnte er sehr gut leben. Dies sollte sich mit dem Antritt der neuen Herren grundlegend ändern. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 ver-

30 Zit. n. Aders: Die Utopie vom Staat über den Parteien, S. 173. 31 Ebd., S. 177.

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loren die verhassten »Systempolitiker«32 der Weimarer Republik nicht nur ihre Ämter und Funktionen, sondern auch einen Großteil ihrer finanziellen Ansprüche. Auch die vielfältigen politischen und persönlichen Verbindungen aus der Weimarer Zeit sollten mit dem Regierungsantritt der nationalsozialistischen Bewegung bald jede Bedeutung verlieren. »Jede öffentliche Tätigkeit wurde mir unmöglich gemacht«, so Höpker Aschoff in einem Lebenslauf aus der Nachkriegszeit, »meine Versuche, eine Tätigkeit in der privaten Wirtschaft zu finden, scheiterten, weil niemand einen früheren demokratischen Minister einstellen wollte. Selbst Versuche, durch schriftstellerische Tätigkeit einen Erwerb zu verschaffen, hatten keinen Erfolg.«33 Trotz einiger Schnittmengen zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und den politischen Überzeugungen des späteren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts war und wurde Hermann Höpker Aschoff kein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus. Im Gegenteil. Am 11.  Juni 1934 fand in Jena eine große Bundesversammlung der Burschenschaft Armenia statt, auf der unter anderem über die Frage diskutiert und entschieden wurde, ob die ­Burschenschaft gleichgeschaltet oder aufgelöst werden sollte. Wie bei der Staatspartei plädierte Höpker Aschoff auch hier entschieden für eine Auflösung der Burschenschaft, um sie vor einer Gleichschaltung zu bewahren, aber auch weil er die neuen Machtverhältnisse realistisch einschätzte. Im Tagebuch eines Beteiligten heißt es: »Ein A. H. [Alter Herr, J. F.], der in der Republik der Weimarer Zeit in Preußen Finanzminister war, sprach sehr eingehend über den Zeitgeist und verdeutlichte uns, dass es nicht damit getan sei, dem Regime immer ein Stück nach dem anderen entgegenzukommen, sondern jetzt Stellung zu beziehen – entweder sich ganz der Idee des Nationalsozialismus zu verschreiben, oder ins ›innere Exil‹ zu gehen.«34 Eintreten oder wegducken? So kategorisch das auch klang, eine Alternative war das nicht. Opposition und Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat kamen für Höpker Aschoff nicht in Betracht. Als Oppositioneller oder Widerständler trat der Ostwestfale öffentlich nicht in Erscheinung, auch wenn sein Buch »Unser Weg durch die Zeit« 1936 der politischen Zensur zum Opfer fiel.35 Das Reichssicherheitshauptamt legte zwar eine Karteikarte über Höpker Aschoff an, vermerkte darin jedoch lediglich: »Über H. [Höpker Aschoff, J. F.] ist nichts Nachteiliges bekannt.«36 Das einzige Manko, das dem ehemaligen Finanzminister Preußens anhaftete, war, ein sog. »Systempolitiker« der Weimarer Republik gewesen zu sein. Das machte ihn in der Wahrnehmung der neuen 32 Nazijargon. Zur NS -Kampagne gegen das »System« von Weimar vgl. Ullrich, Der Weimarkomplex, S. 40–49. 33 LAV NRW R: NW PE 152, Hermann Höpker Aschoff, Lebenslauf, o. D. 34 Resch: Die »betrogene Generation«, S. 70. 35 LAV NRW R: NW PE 152, Hermann Höpker Aschoff, Lebenslauf, o. D. 36 BArch: R 58/9634.

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Machthaber suspekt und versperrte ihm den Zugang zu gut dotierten Positionen, die jetzt den Mitgliedern der »jungen Bewegung« vorbehalten blieben. Ohne Fürsprache eines einflussreichen Nationalsozialisten war ein höheres Amt in Staat oder Wirtschaft kaum zu bekommen. So musste wohl ein dritter Weg zwischen Parteieintritt und innerem Exil beschritten werden, nämlich einflussreiche Nationalsozialisten zu gewinnen, die ihm die verschlossene Tür zum Staat wieder öffneten. Ein erster Kontakt entstand 1935 zu Reichsjustizminister Franz Gürtner. Gürtner war ein deutschnationaler Kollege aus der Weimarer Zeit. Zunächst war er in Bayern Justizminister gewesen, ehe er 1932 bis 1941 Reichsjustizminister und zugleich preußischer Justizminister wurde. Erst 1937 wurde er in die NSDAP aufgenommen. Er galt nicht gerade als entscheidungsfreudig. Wichtige Entscheidungen, zumal in Personalfragen, hatte er ohnehin mit der Parteizentrale, dem »Braunen Haus« in München, abzustimmen. Zunächst ging es um einen Antrag des Herforder Rechtsanwalts Ehrhard Brand an das Reichsjustizministerium, »den Staatsminister a. D. und Oberlandesgerichtsrat a. D. Dr. Höpker Aschoff in Berlin für die Dauer von fünf Wochen zum Generalvertreter zu bestellen«37. Der Antrag wurde abgelehnt. Brand sei, so die Begründung »eine politisch recht bedenkliche Persönlichkeit« und werde »von der Bewegung ungewöhnlich scharf angegriffen«. Der Reichsjustizminister besprach die Angelegenheit mit Höpker Aschoff persönlich. »Ich habe ihn vertraulich auf die Bedenken hingewiesen«, so Gürtner in einem internen Vermerk, »die dagegen bestehen können, dass gerade er den politisch bedenklichen Halbjuden Brand vertrete«. Höpker Aschoff wolle erwägen, »Brand zu bitten, sein Gesuch zurückzuziehen«. Sollte der zuständige Präsident des OLG Hamm anders entscheiden, müsse »dieser angewiesen werden, abzulehnen«38. Im Nachgang zu diesem Gespräch forderte Höpker Aschoff Rechtsanwalt Brand auf, den Antrag zurückzuziehen. Immerhin hatte er auf diesem Wege einen ersten direkten Zugang zum Reichsjustizminister bekommen. Dreierlei hatte die Episode deutlich gemacht. Zum einen kam Höpker Aschoff an diesem Mann nicht vorbei, wenn er sich realistische Hoffnungen auf einen Wiedereinstieg in den Justizbereich machen wollte. Zum andern war eine Unterstützung seines Anliegens durch den Reichsjustizminister ohne Rückendeckung aus der NSDAP nicht zu erwarten. Schließlich musste er sich schon auf die NS -Ideologie (»Halbjude«, »politisch bedenklich«) einlassen, wenn er Zugang zum nationalsozialistischen Staat bekommen wollte. Tatsächlich gelang es Höpker Aschoff über alte Verbindungen neue aufzu­ bauen, um mit seinem Anliegen in das unmittelbare Machtzentrum der NS Diktatur vorzudringen. Der erste Weg führte über Dr. Hans Helferich, Präsident 37 BArch: R 3001/61160, Vermerk für Staatssekretär Schlegelberger, 31.7.1935. 38 Ebd., Vermerk Reichsjustizminister, 2.8.1935.

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der Deutschen Zentralgenossenschaftskasse Berlin. Helferich hatte einen direkten Draht zu Hauptmann Fritz Wiedemann, der zunächst persönlicher Adjutant von Rudolf Heß und anschließend persönlicher Adjutant von Adolf Hitler war. Zu diesem Mann nahm Helferich Kontakt auf, um zu klären, »ob Bedenken gegen eine Wiederbeschäftigung von Hermann Höpker Aschoff bestünden«. In Frage käme »eine Weiterbeschäftigung in einer richterlichen Stellung un­ politischen Charakters«, etwa beim Reichswirtschaftsgericht, oder eine Weiterbeschäftigung in der Leitung eines »unter Reichseinfluss stehenden wirtschaftlichen Unternehmens«. Die Bemühungen Helferichs hatten Erfolg. In einem Schreiben vom 16. November 1936 teilte er Höpker Aschoff mit, Wiedemann habe sich soeben gemeldet und »wörtlich« folgendes gesagt: »Der Führer hat gegen eine beabsichtigte Verwendung, wie Sie sie in Ihrem Schreiben vom 30. September für den früheren preußischen Finanzminister Dr. Höpker Aschoff vorgeschlagen haben, nichts einzuwenden.«39 Der zweite direkte Draht in das Machtzentrum der NS -Diktatur führte, von Höpker Aschoff selbst eingefädelt, über Hauptmann Franz von Pfeffer. Von Pfeffer hatte 1924 gemeinsam mit Joseph Goebbels den »Gau Westfalen« der NSDAP gegründet. Am 1. November 1926 wurde von Pfeffer von Adolf Hitler zum obersten Führer der SA ernannt, sein Sekretär in München wurde Heinrich Himmler. 1930 folgte die Entmachtung. Hitler machte sich selbst zum Führer der SA . Von Pfeffer wurde Mitglied des Reichstags und des Verbindungsstabs des Führers in der Berliner Wilhelmstraße 64.40 Diese Stabsstelle war eine ­Außenstelle der Parteizentrale der NSDAP in München, die vom Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, geleitet wurde. Die Verbindungsstelle sollte Kontakt zu den Ministerien, Behörden und sonstigen Einrichtungen des NS -Staates halten. Mitglied dieses fünfköpfigen Verbindungsstabes war Franz von Pfeffer. Von Pfeffer und Höpker Aschoff begegneten sich zum ersten Mal bei den Verhandlungen der deutsch-amerikanischen Schadenskommission, die nach dem Ersten Weltkrieg zur Regulierung amerikanischer Schadensansprüche eingerichtet worden war und in der zweiten Jahreshälfte 1936 mehrfach tagte.41 Im Herbst 1938, als alle bisherigen Bemühungen um eine neue berufliche Tätigkeit nicht zum Erfolg geführt hatten, nahm Höpker Aschoff Kontakt zu Hauptmann von Pfeffer auf, um ihn um Unterstützung zu bitten. Nach einem gemeinsamen Treffen wandte sich Höpker Aschoff erneut an Reichsjustiz­minis­ ter Gürtner und erinnerte ihn an die bereits 1936 gegebene Zusage, dass eine »Verwendung in der Justiz möglich und ihm auch erwünscht wäre, sofern von Seiten der Partei keine Einwendungen erhoben würden«. In einer Anlage fügte er das Schreiben von Helferich aus dem Jahre 1936 bei, aus dem hervorging, 39 BArch: R 3001/61160, Helferich an Höpker Aschoff, 16.11.1936. 40 Vgl. jetzt Fraschka: Franz Pfeffer von Salomon, Hitlers Oberster SA-Führer. 41 Weinberg: Hitler’s Foreign Policy 1933–1939. The Road to World War II, S. 121 ff.

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dass der Fall Höpker Aschoff bereits Adolf Hitler persönlich vorgetragen worden war und dieser keine Bedenken erhoben hatte. Außerdem verwies Höpker Aschoff darauf, dass er kürzlich mit Hauptmann von Pfeffer persönlich gesprochen habe. »Er bat mich, unverzüglichst Ihnen zu sagen, dass er irgendwelche Hindernisse innerhalb der Partei nach Kräften ausräumen würde. Ich glaube in dieser Hinsicht auch auf die Hilfe einiger westfälischer Herren, die in der Partei großen Einfluss haben, rechnen zu können.« Abschließend bat er erneut um einen persönlichen Gesprächstermin und schloss mit der bei ihm seit 1938 üblich gewordenen Grußformel: »Mit verbindlichem Gruß und Heil Hitler! Ihr Ihnen sehr ergebener Höpker Aschoff.«42 Der gewünschte Termin beim Reichsjustizminister kam nicht zustande. Stattdessen wurde sein Anliegen auf Wiederbeschäftigung auf die lange büro­ kratische Bank geschoben. Ahnenpässe wurden angefordert und geliefert, nach Gründen für den Rücktritt des preußischen Finanzministers 1931 gefragt, fehlende Unterlagen angefordert und nachgereicht. Schließlich wurde ­Höpker Aschoff im Auftrag des Reichsjustizministers mitgeteilt, »dass von einer Anfrage beim StdF [Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, J. F.] wegen seiner Übernahme in den Justizdienst Abstand genommen werden müsse«43. Die dramatischen innen- und außenpolitischen Ereignisse der Jahre 1938/39, von der Annexion Österreichs an das Deutsche Reich, über die Sudetenkrise und die »Zerschlagung der Rest-Tschechei« sowie die Verschärfung der deutschpolnischen Krise bis zum Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes verfehlten offensichtlich auch auf Höpker Aschoff nicht ihre stimulierende nationalistische Wirkung. Als am 1.  September 1939 die deutsche Wehrmacht Polen angriff und die europäischen Mächte Frankreich und Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, griff Höpker Aschoff erneut zum Füller, um folgenden Brief an Reichsjustizminister Gürtner zu schreiben: »Sehr geehrter Herr Minister, ich halte mich hiermit für jede Ihnen gut erscheinende Wiederverwendung zur Verfügung; ich wäre sehr dankbar, wenn man bald über mich verfügen würde, denn es ist beinahe unerträglich, in dieser Zeit nicht auf irgendeine Weise dem Staate dienen zu können. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Höpker Aschoff.«44 Ausgerechnet nach dem Überfall auf Polen hatte der neue Staat für Höpker Aschoff seinen nationalsozialistischen Schrecken verloren. So groß seine bedingungslose »Liebe zum Staat« auch war, die Hüter des NS -Staates öffneten ihm seine Türen nicht. Am 25. September 1939 antwortete Ministerialdirektor Nadler nach Abstimmung des Schreibens mit Justizminister Gürtner und Staatssekretär Roland Freisler, dem späteren Präsidenten des »Volksgerichtshofs«, mit 42 BArch: R 3001/61160, Höpker Aschoff an Gürtner, 13.10.1938. 43 BArch: R 3001/61160, Heute dem H. Minister vorgetragen, Notiz vom 5.1.1939. 44 BArch: R 3001/61160, Höpker Aschoff an Gürtner, 4.9.1939.

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folgenden Worten: »Der Herr Minister, dem ich den Inhalt Ihres Schreibens vor­ getragen habe, begrüßt es, dass Sie Ihre Arbeitskraft der Reichsjustizverwaltung zur Verfügung stellen. Zurzeit ist im Hinblick auf die Änderung der Gerichtsverfassung und der Verfahrensordnungen kein Mangel an Kräften in Rechtsprechung und Justizverwaltung zu verzeichnen. Der Herr Minister wird jedoch Ihr Anerbieten im Auge behalten und im Falle eines Bedürfnisses auf Ihre Bereitwilligkeit zurückgreifen.«45 Obwohl der brennende Wunsch, endlich wieder dem Staate dienen zu können, innerhalb des Justizministeriums nicht weiterverfolgt und somit auch nicht dem Braunen Haus in München vorgelegt worden war, hatte Rudolf Heß  – vielleicht über von Pfeffer  – von einer möglichen Wiedereinstellung Höpker Aschoffs erfahren. Ihm sei berichtet worden, schrieb der Stellvertreter des Führers an den Justizminister, dass »Sie in Erwägung ziehen, den früheren preußischen Finanzminister Höpker Aschoff wieder in der Justizverwaltung zu verwenden. Ich darf Ihnen dazu mitteilen, dass von meiner Seite gegen die Persönlichkeit Höpker Aschoffs an sich Bedenken nicht zu erheben wären. Ich würde es jedoch für richtiger halten, wenn die nicht sehr zahlreichen höheren Beförderungsstellen in der Justizverwaltung solchen Richtern vorbehalten blieben, die ihre Einsatzbereitschaft für den nationalsozialistischen Staat bereits unter Beweis gestellt haben.«46 Aufgrund dieses Schreibens von Heß teilte Gürtner dem Braunen Haus erstmals mit, dass sich der frühere preußische Finanzminister sofort nach Beginn des Krieges zwecks Verwendung im Bereich der Justizverwaltung zur Verfügung gestellt habe. Bisher sei jedoch von seinem Angebot kein Gebrauch gemacht worden. Er erwäge jedoch, ihn im Bedarfsfalle aufgrund der Verordnung über die Wiederverwendung von Ruhestandsbeamten im Kriegsfalle wieder zu beschäftigen.47 Durch das Schreiben Gürtners vom 29. Januar an die NSDAPZentrale in München, hatte Stabsführer Martin Bormann, der starke Mann hinter Rudolf Heß, erstmals von diesem Ansinnen erfahren. In einem ­kurzen Schreiben stellte er klar, dass eine Wiedereinstellung von Höpker Aschoff in den Justizdienst, an welcher Stelle auch immer, nicht infrage komme. »Ich möchte Sie bitten, unter allen Umständen von einer Wiederverwendung Höpker Aschoffs abzusehen. Höpker Aschoff hat sich als preußischer Finanzminister in exponiertester Weise für das frühere System eingesetzt. Er ist deshalb jetzt im Dienste des Staates nicht mehr verwendbar.«48 Was nun? Geschickt nutzte der Reichsjustizminister jetzt die Verordnung über die Wiederverwendung von Ruhestandsbeamten, um das leidige Thema 45 BArch: R 3001/61160, Nadler an Höpker Aschoff, 25.9.1939. 46 BArch: R 3001/61160, Heß an Gürtner, 10.1.1940. 47 RGBl I, S. 160, Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamtenrechts, 31.9.1939. 48 BArch: R 3001/61160, Bormann an Gürtner, 19.3.1940.

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Höpker Aschoff endgültig loszuwerden. Unter Berufung auf diese Verordnung wurde der ehemalige preußische Finanzminister zur Intendantur des stellvertretenden Generalkommandos III in Berlin, einer militärischen Verwaltungsbehörde zur Versorgung der Truppe, einberufen. Trotz seines Angebots an den Minister, für jede ihm gut erscheinende Tätigkeit zur Verfügung zu stehen, empfand Höpker Aschoff diese Stelle doch unter seiner Würde. Sogleich nahm er Kontakt zu verschiedenen Personen auf, unter anderem zu Fritz Landfried, ehemaliger Ministerialbeamter im preußischen Finanzministerium, jetzt Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium und Mitglied im Generalrat für den Vierjahresplan.49 Hier erfuhr er über die Absicht des Reichsministers für den Vierjahresplan, Hermann Göring, zur Verwaltung der Wirtschaft im er­ oberten Polen eine Treuhandstelle einzurichten. Aufgrund des Mangels an ge­ eignetem Personal bekamen nun die »Systembeamten« und »­Systempolitiker« der Weimarer Zeit eine neue Chance. Max Winkler, ein »Parteifreund« von Höpker Aschoff, war als Leiter der Haupttreuhandstelle Ost (HTO) vorgesehen. Als Winkler Höpker Aschoff »um die Mitarbeit bei der HTO bat, nahm Höpker Aschoff die neue Aufgabe unverzüglich an«50. Die HTO wirkte ausgesprochen anziehend auf die »Volkstumspolitiker« der Weimarer Zeit. Man musste nicht Mitglied der NSDAP sein, um die nationalsozialistische Volkstumspolitik in ihren Grundzügen zu bejahen. »Der Führer und sein herrliches Heer«, so Max Winkler, ehemaliges Mitglied der DDP, der Partei Höpker Aschoffs, »haben die deutschen Grenzen von 1918 nicht nur wiederhergestellt und haben unsere Volksdeutschen heimgeholt, sie haben auch den von uns betreuten Balten, Wolhyniern, Buchenländern, Bessarabiern51 und vie­ len anderen notleidenden deutschen Minderheiten ihre Heimat zurückgewonnen«. Dankbar und glücklich sei er, am 19. Oktober 1939 vom »Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches«, Hermann Göring, zum Leiter der Haupttreuhandstelle Ost berufen worden zu sein, d. h. »zum Verwalter des polnischen Vermögens, das durch Raub und Ungerechtigkeit aufgrund der Auswirkungen des Versailler Schandvertrages den Deutschen genommen war«52. Gegründet wurde die HTO durch Verfügung des Beauftragten für den Vierjahresplan Hermann Göring. Am 1. November 1939 wurde die Neugründung öffentlich bekannt gegeben. Ihren Sitz erhielt die Zentrale in Berlin, in der Potsdamer Straße 28.  Die aufgrund des Versailler Friedensvertrags von 1918 an Polen abgetretenen deutschen Ostgebiete wurden nach dem Überfall auf Polen im September 1939 wieder annektiert und in das Reichsgebiet integriert. Die 49 LAV NRW R: NW PE Nr. 132, Innenministerium NRW, Personalakte Höpker Aschoff. 50 Rosenkötter: Treuhandpolitik, S. 90. 51 Deutsche Volksgruppen in Osteuropa. Balten: Estland, Lettland, Litauen. Wolhynier: Ukraine. Buchenländer: Bukovina/Karpaten. Bessarabier: heutiges Moldawien. 52 BArch: R 8043/62710, Winkler, Trauerrede auf den stellvertretenden Leiter der HTO, 4.11.1942.

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HTO bekam im Wesentlichen zwei Aufgaben: 1.  die vollständige Enteignung der Polen innerhalb der neuen Reichsgrenzen und 2.  die »Deutschmachung« der annektierten polnischen Gebiete. Die erste Aufgabe sollte durch einen ­systematischen Besitz- und Vermögenstransfer, die zweite durch einen Bevölkerungstransfer geregelt und langfristig gesichert werden. Beschlagnahme, Verwaltung und Enteignung sämtlicher Geld- und Vermögenswerte dienten dazu, so viel Geld, Kapital und Vermögen wie möglich in den Reichshaushalt zu transferieren. Es ging dem NS -Regime also nicht nur um Geld, sondern auch und vor allem um die »Eindeutschung« der wiedergewonnenen Gebiete. Für die »Eindeutschung«, »Arisierung« und »Entjudung« der annektierten Gebiete war Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, zuständig. In seine Zuständigkeit fielen ferner die Erfassung und Beschlagnahme des landwirtschaftlichen Vermögens. Die Zusammenarbeit zwischen den ehemals liberalen Demokraten der Weimarer Zeit und den Behörden des Reichskommissars für das Volkstum funktionierte ausgesprochen gut. In der praktischen Zusammenarbeit und der Durchführung der jeweiligen Aufgaben, scheinen »kaum nennenswerte Konflikte aufgetreten zu sein«53. Das sogenannte Generalgouvernement, eine Art »Restpolen« mit den Städten Warschau und Krakau, das vor allem als Reservoir für billige Arbeitskräfte und Hauptstandort für die Vernichtung der Juden dienen sollte, erhielt eine eigene Treuhandstelle. Wie das annektierte Polen wurde auch das restliche Polen systematisch ausgeplündert.54 Instrument der Ausplünderungspolitik in den annektierten Gebieten war die HTO. Bereitwillig stellten die in ihr auffallend zahlreich tätigen ehemaligen Weimarer Beamten und Politiker, unter ihnen Hermann Höpker Aschoff, ihr fachliches Wissen in den Dienst der nationalsozialistischen Germanisierungsstrategie. Das völkische Prinzip, das sie nicht nur akzeptierten, sondern mit großer Überzeugung als gut und richtig nach innen und außen vertraten, war gleichsam das Leitbild ihres täglichen Arbeitsprozesses. Schon der Name »Treuhandstelle« war Lug und Trug. Die HTO war keineswegs eine »Treuhand«, der zu »treuen Händen« und auf »Treu und Glauben« ein Rechtsanspruch übertragen wurde, um im Interesse der Geschädigten in einem fairen Verfahren einen Interessenausgleich zu suchen. Nicht die Wiedergutmachung der durch das Handeln des Staates entstandenen Schäden, sondern die rechtliche Sanktionierung widerrechtlichen staatlichen Handelns war die Aufgabe. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, wurde die HTO mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet, die über eine treuhänderische Tätigkeit weit hinausgingen. Sie bestimmte, was beschlagnahmt, wie verwaltet und wann konfisziert 53 Rosenkötter: Treuhandpolitik, S. 290. 54 Allgemein hierzu, Losse: Kredite für NS -Verbrechen.

Generaltreuhänder

Treuhandnebenstelle Litzmannstadt

Stadt- und Landkreis Litzmannstadt (ab 1941 Regierungsbezirk Litzmannstad Hotel- und Gaststättengesellschaft Oberschlesien

Regierungsbezirk Kattowitz (ab 1941 Provinz Oberschlesien) Treuhandstelle Kattowitz

Ostdt. Baustoffwerke

Sonderabteilung Altreich Reetz

Treuhandstelle Zichenau

Regierungsbezirk Zichenau

Ahnenerbe e.V. (Kulturgut)

Handwerksaufbau Ost

Kreisvertrauensmänner bei den Landräten bzw. Oberbürgermeistern

Hotel- und Gaststättengesellschaft Wartheland

Treuhandstelle Posen

Treuhandstelle Gotenhafen

Hotel- und Gaststättengesellschaft Danzig-Wpr.

Reichsgau Wartheland:

Abteilung R Rechtsabteilung Pfennig

Verwaltungs- und Verwertungsgesellschaft

Abteilung IV Öffentl. Vermögen Höpker-Aschoff

Aufbauges. d. ostdeut. Allgemeine Filmtreuhand Landmaschinenhandels GmbH

Reichsgau Danzig – Westpreußen

Landwarenhandelsges. für den deutschen Osten

Abteilung III Industrie Herle

Grundstücksgesellschaft der HTO (GHTO)

Abteilung II Kredit- und Vers. Merten

Handelsaufbau Ost (HAO) 50% RGH

Abteilung I Grundsätzliches Krahmer-Möllenbg.

HTO-Zentrale Berlin

Vierjahresplan Hermann Göring

Quelle: Rosenkötter, Treuhandpolitik. Die »Haupttreuhandstelle Ost«, S. 296. Die Grafik wurde mit freundlicher Unterstützung des Autors nach dessen Vorlage bearbeitet, im »Unterbau« vereinfacht und grau hinterlegt.

Kreis

Gau

Reich

Grafik 8: Organigramm der Haupttreuhandstelle Ost (HTO), Leiter der Abteilung IV: Hermann Höpker Aschoff

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werden sollte. Auf ihr Ersuchen hin musste die örtliche Sicherheitspolizei tätig werden und berichten. Darüber hinaus konnte die HTO und nur sie Strafverfolgungsmaßnahmen einleiten, wie die Verordnung über die Sicherstellung des polnischen Vermögens vom 15.  Januar 1940 bestimmte: »Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag der Haupttreuhandstelle Ost ein.«55 Die HTO war ein Exekutivorgan des nationalsozialistischen Staates und somit Teil  des verbrecherischen NS -Systems. In den annektierten polnischen Gebieten hat sie ganze Arbeit geleistet. »Obwohl bis zum Ende der Okkupationsherrschaft mehr als drei Viertel der Bevölkerung polnischer Nationalität waren, befand sich das gesamte wirtschaftliche Vermögen und der gesamte Wohngrundbesitz der einge­ gliederten Gebiete bis spätestens Ende 1942 in deutscher Hand.«56 Die ehemals polnischen Staatsbürger wurden »ausnahmslos auf den Status von besitzlosen Arbeitskräften zurückgedrängt, sofern sie nicht in die Deutsche Volksliste aufgenommen worden waren«. In fünfjähriger Arbeit hatte die Haupttreuhandstelle Ost »eine in ihrem Umfang wohl einmalige Enteignungsaktion durchgeführt«57. An dieser Erfolgsbilanz der NS -Behörde zur Liquidierung Polens hat Hermann Höpker Aschoff einen großen Anteil gehabt. Er leitete die Abteilung IV bzw. II (seit 1943), die für die Beschlagnahme, Verwaltung und Enteignung des gesamten Öffentlichen Vermögens und die Abwicklung von Schulden und Forderungen zuständig war. Hierzu zählten das Vermögen des polnischen Staates, der Gemeinden, der öffentlich rechtlichen Körperschaften und Vereine, der Stiftungen, der Berufsvereinigungen, der Staatsmonopole sowie das Vermögen der Kirchen, Kongregationen, kirchlichen Vereine und kirchlichen Stiftungen. Hinzukamen die Übernahme öffentlicher Anleihen und die Abwicklung von Schulden und Forderungen.58 Ein dritter Schwerpunkt war die Abwicklung der Staatsbanken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften.59 In einem Beitrag für die Zeitschrift »Bank-Archiv« aus dem Jahr 1941 machte der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hermann Höpker Aschoff klar, dass er fest auf dem Boden des »nationalsozialistischen Rechts« zur Legitimation der deutschen Eroberungs-, Enteignungs- und Germanisierungspolitik gegenüber Polen stand: »In einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten haben die Deutschen das Land zwischen Elbe und Weichsel für das Deutschtum gewonnen. Die Geschichte lehrt uns, dass das Deutschtum sich auf die Dauer nur dort behauptet hat, wo der Grund und Boden und die Verfügung über die übrigen Faktoren der Produktion in deutscher Hand bleiben. Die Wiedereindeutschung der Ostgebiete setzt also voraus, dass der Grund und Boden und 55 56 57 58 59

Broszat: Kompetenzen und Befugnisse der Haupttreuhandstelle Ost, S. 238. Rosenkötter: Treuhandpolitik, S. 275. Ebd., S. 275. BArch: R 144/317, Geschäftsverteilung der HTO, Stand 6.10.1942. BArch: R 144/317, Geschäftsverteilung der HTO, Stand 15.3.1943.

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das sogenannte Realkapital, Wohnhäuser und wirtschaftliche Anlagen, in die deutsche Hand überführt werden. Diese Überführung ist durch die Beschlagnahme des polnischen Vermögens vorbereitet, die durch die Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17.9.1940 (RGBl. I S. 1270) geregelt ist.«60 Detailliert schilderte Höpker Aschoff, wie er sich die entschädigungslose Enteignung und Entrechtung Polens und seiner Bevölkerung vorstellte. Dieses alles werde Zeit gebrauchen, so auch die Abwicklung der Forderungen und Schulden. Die neue Verordnung schaffe jedoch, so der Jurist, der wenige Jahre später auch an westdeutschen Universitäten lehren sollte, »die lang entbehrte Rechtsgrundlage, die eine beschleunigte Abwicklung jedenfalls dort, wo eine Verwertung des polnischen Vermögens durch Verkauf erfolgt, ermöglichen wird«61. Auch die nationalsozialistische Strategie der Verelendung und Ausbeutung polnischer Arbeitskräfte durch Umsiedlung und Verwendung als Zwangsarbeiter in der Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches fand die Zustimmung des ehemaligen preußischen Finanzministers. Auf einer Tagung der Treuhandstellenleiter der HTO machte er sich Gedanken über eine zunehmende Schwächung der Zahlungsbilanz des Generalgouvernements. »Wenn die Zahlungsbilanz des Generalgouvernements nicht in Ordnung ist, muss eben weniger eingeführt und mehr ausgeführt werden. Und da man keine Waren hat, die man ausführen kann, bleibt eben nichts übrig als Arbeitskräfte. Das war auch der ursprüng­ liche Plan, dass das Gouvernement etwa zwei Millionen Arbeitskräfte für das ­Großdeutsche Reich zur Verfügung stellen sollte. Aus diesem Plan ist leider nie etwas geworden, und ob in Zukunft etwas daraus werden wird, weiß niemand. Ob wir letzten Endes die Sache ohne das Gouvernement machen können? Die rechtlichen Möglichkeiten dazu würde wohl die Einsatzverordnung bieten.«62 Auch die hier deutlich erkennbar werdende rechtspositivistische Einstellung teilte Höpker Aschoff mit den NS -Juristen. Recht war Recht, wenn es ein Gesetz oder eine Verordnung gab, auch wenn diese gegen fundamentale Normen des Völkerrechts oder der Menschenrechte verstießen. War der Krieg gegen Polen, die Annektierung, Ausplünderung und »Deutschmachung« der polnischen Gebiete durch den nationalsozialistischen Staat und seiner Institutionen wie der Haupttreuhandstelle Ost gerecht? 28 Jahre später stellte das Gericht, dem Höpker Aschoff als erster Präsident vorstand, in einem Urteil über die unrechtmäßige Ausbürgerung von Juden fest: »Nationalsozialistischen »Rechts«vorschriften kann die Geltung als Recht abgesprochen werden, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, dass 60 Höpker Aschoff: Die Abwicklung der Forderungen und Schulden polnischer Vermögen, S. 359. 61 Ebd., S. 361. 62 BArch: R 144/319, Protokolle der Tagungen der Treuhandstellenleiter, 23./24.7.1940, S. 32.

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der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde.«63 Ende Dezember 1943 war die HTO -Zentrale in Berlin durch Bombenangriffe schwer beschädigt worden. Mit Wirkung zum 1. Mai 1944 wurde die von Höpker Aschoff geleitete Abteilung »Öffentliches Vermögen und Schuldenabwicklung« nach Ratibor in Oberschlesien verlegt. Ein Umzug in die Provinz behagte ihm nicht, nicht zuletzt um seiner eigenen Sicherheit willen. Zwei Wochen nach der Landung der alliierten Truppen in der Normandie und der Errichtung der zweiten Front im Westen, startete die sowjetische Armee am 22. Juli 1944 eine Großoffensive. Innerhalb weniger Tage war die Rote Armee etwa 300 Kilometer nach Westen vorgestoßen. Die Erreichung deutschen Bodens war nur noch eine Frage der Zeit. Höpker Aschoff entfernte sich von der Dienststelle Ratibor, meldete sich krank und kehrte nach Berlin zurück, wo er sich auf die Suche nach einer neuen Beschäftigung begab und fündig wurde. Mit Ablauf des Monats Oktober 1944 schied er aus den Diensten der HTO aus, die kriegsbedingt das Personal ohnehin stark reduzierte.64 Am 1. November 1944 trat Höpker Aschoff seine neue Stelle an, dieses Mal im Rüstungsbereich. Nun lernte er aus eigener Anschauung auch noch das weit verzweigte Imperium von Reichsminister Albert Speer kennen, der als Rüstungsminister für die gesamte Kriegswirtschaft zuständig war. Höpker Aschoff wurde Direktor einer Firma mit dem nichts sagenden Namen »Industriekontor GmbH«, die im Oktober 1944 in Berlin gegründet worden war und kriegsbedingt ab Februar 1945 ihren Sitz nach Wernigerode im Harz verlegte. Aufgabe der Industriekontor GmbH war es, »Produktionsstätten, die auf Kosten des Reiches durch die Organisation Todt oder den SS -Baustab Kammler ausgebaut wurden, zu übernehmen und dann an Rüstungsfirmen, welche ausgebombt oder gefährdet waren, zu verpachten«65. Die Industriekontor GmbH war Teil eines weitverzweigten Systems von »privaten« Gesellschaften, die die Rüstungsproduktion sichern und steigern sollten. Neben dem Ausbau bom­bensicherer Produktionsstätten durch eine zügige Erweiterung des Stollen- und Untertagebaus, gehörte auch die Bereitstellung einsatzfähiger Arbeitskräfte, die durch einen verstärkten Ausbau des Zwangsarbeitersystems im Deutschen Reich sichergestellt werden sollten. Die Finanzierung erfolgte durch das Reichsministe63 BVerfGE 23, 98, AZ: 2 BvR 557/62, (Ausbürgerung) 14.02.1968. 64 LAV NRW R: NW PE Nr. 134, Innenministerium NRW, Personalakte Höpker Aschoff. Zum Ende der HTO: Rosenkötter: Treuhandpolitik, S. 272 ff. 65 BArch: N 1129, NL Höpker Aschoff, Bericht über die Tätigkeit bei der Industriekontor GmbH, 16.6.1945. Die Organisation Todt, genannt nach ihrem Leiter Fritz Todt, führte zumeist im Auftrag von Reichsrüstungsminister Albert Speer Bau- und Rüstungsprojekte durch. Der SS -Baustab Kammler, nach seinem Leiter SS -Gruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler benannt, führte ebenfalls große Bau- und Rüstungsprojekte durch.

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rium für Rüstung und Kriegsproduktion. So trug Reichsrüstungsminister Speer maßgeblich dazu bei, dass das System von Außenlagern der Konzentrationslager ausgebaut wurde.66 Die von Höpker Aschoff geleitete Industriekontor GmbH war Teil des menschenvernichtenden NS -Regimes. Wernigerode lieferte dafür ein anschauliches Beispiel. Die Rautal-Werke waren vor Ort der größte Arbeitgeber. Aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Reichsrüstungsministerium spezia­ lisierten sich die Rautal-Werke seit Kriegsbeginn vor allem auf die Lieferung von Elektro- und Leichtmetallteilen für Motoren von Flugzeugen, Fahrzeugen, Schnell- und Sturmbooten. Im nahe gelegenen Galgenberg war unter dem Kommando der Organisation Todt seit 1941 der Tiefstollen »Werner« entstanden, der 5 000 Quadratmeter Fläche bieten sollte, um die Produktion der kriegswichtigen Rautal-Werke dorthin verlagern zu können.67 Die notwendigen Arbeitskräfte wurden über ein örtliches Zwangsarbeitslager beschafft. Im Frühjahr 1943 wurde das Lager in ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald umgewandelt. Das Lager lag am Rande der Stadt, bestand aus sieben Baracken und einer weiteren für die SS -Wachmannschaft und war durch Stacheldraht und Elektrozäune gesichert. Die Belegung des Lagers erreichte 1944 mit 800 Häftlingen ihren Höchststand. Die Häftlinge mussten unter grauenvollen Bedingungen sowohl im Stollenbau, als auch in der Produktion der RautalWerke Zwangsarbeit leisten. Sie waren auch »für die Raketenproduktion tätig. Sie produzierten Feuerringe und Lagerhalter für V2-Raketen«.68 Nur kurze Zeit verbrachten Höpker Aschoff und seine Frau in Wernigerode vor Ort. Bereits im April marschierten die Amerikaner ein. Die Wohnung am Lindenberg 20 musste geräumt werden. Laut Personalakten blieb Höpker Aschoff jedoch über den Tag der bedingungslosen Kapitulation am 8.  Mai 1945 hinaus bis zum 30. Juni 1945 bei der Industriekontor GmbH beschäftigt. In ­seiner Entnazifizierungsakte befindet sich der Fragebogen, den er selbst ausgefüllt hat. Darin heißt es: »1.11.44–1.7.45 Industriekontor GmbH, Grundstücksverwaltung.«69 Seine leitende Tätigkeit bei der HTO wurde darin ebenso verschwiegen, wie die Direktorentätigkeit in der Industriekontor GmbH. Die Gesellschaft selbst wurde erst Anfang der Sechzigerjahre liquidiert.70 Als Diktatur und Krieg zu Ende waren, war Hermann Höpker Aschoff bald schon wieder gefragt. Zunächst brachte er sich bei den Besatzungsmächten selbst ins Spiel und erklärte seine Bereitschaft, am Aufbau der Verwaltung und 66 Benz/Distel, Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 3, S. 24. 67 Industriekontor GmbH, Englisch-Amerikanischer Bericht, in: Wichert, Decknamen­ verzeichnis deutscher unterirdischer Bauten des Zweiten Weltkrieges, S. 182 f. 68 Jahn: Wernigerode, S. 608. 69 LAV NRW R: NW 1039 H Nr. 68, S. 003, 17.2.1947. 70 BArch: R 121/1426, Gründung, Liquidation, Handelsregisterauszüge, 1944–1965.

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des Staates mitzuwirken. Die Besatzungsmächte zeigten durchaus Interesse. Als sich Rudolf Amelunxen, ein alter Freund und Bekannter aus der Weimarer Zeit meldete, der von der britischen Besatzungsmacht bereits als Oberpräsident der Provinz Westfalen eingesetzt worden war, und ihn fragte, ob er als Finanzreferent in die Provinzialregierung eintreten wolle, sagte Höpker Aschoff sofort ja. Bereits am 9. September 1945 erhielt er in der stark zerstörten Stadt Münster seine Ernennungsurkunde zum Generalreferenten für Finanzen. Die Freude darüber sollte nicht lange währen. Noch im September erhielt der Oberpräsident – offensichtlich vom Alliierten Kontrollrat in Berlin – ein Telegramm mit der Nachricht, dass die polnische Regierung die britische Besatzungsmacht aufgefordert habe, Höpker Aschoff wegen seiner Tätigkeit bei der Haupttreuhandstelle Ost umgehend auszuliefern. Kurze Zeit später wurde öffentlich nach ihm gefahndet. Im Meldeblatt der Kriminalpolizei der Provinz Schleswig Holstein vom 5. Oktober 1945 wurde im Umfeld weiterer Krimineller polizeilich gesucht: »Höpker Aschoff, Hermann, Steuersachverständiger beim Oberpräsidenten in Westfalen.«71 Der Chef der westfälischen Povinzialregierung in Münster, Rudolf Amelunxen, fiel aus allen Wolken. Hermann Höpker Aschoff, schrieb er später in seinen Memoiren, »bereitete mir einige schlaflose Nächte. Er war kaum zwei Wochen Mitglied meiner Regierung, da wurde ich durch ein Telegramm aus Berlin aufgefordert, Höpker Aschoff sofort verhaften zu lassen, der Mann sei ein Verbrecher, er müsse an Polen ausgeliefert werden. Auslieferung an Polen war in jenen Tagen gleichbedeutend mit Tod am Galgen. Ich eröffnete unverzüglich ein Disziplinarverfahren gegen Höpker Aschoff, das nach drei Tagen seine Schuldlosigkeit ergab. Dann ging ich mit dem Berliner Telegramm zu meinem Provinzgouverneur und versicherte ihm, Höpker Aschoff, mein alter Freund, sei ein Ehrenmann. Seine Integrität stehe außer jedem Zweifel. Der Gouverneur zerriss das Telegramm. Höpker Aschoff konnte aus seinem Versteck wieder hervorkommen.«72 Schneller als erwartet, hatte die Vergangenheit Höpker Aschoff eingeholt. Ab jetzt musste er damit rechnen, dass die britische Besatzungsmacht weiterhin ein Auge auf ihn werfen würde. Vorerst war der Schock überstanden. Am 19. Oktober 1945 konnte er seine Tätigkeit als Generalreferent für Finanzen wieder aufnehmen.73 Die Ruhe sollte jedoch nicht lange dauern. Am 19. Juli 1946 gab die britische Militärregierung die Bildung eines neuen Landes Nordrhein-Westfalen bekannt. Bereits am 24. Juli 1946 wurde Oberpräsident Amelunxen von der britischen Besatzungsmacht zum ersten Ministerpräsidenten des neuen 71 LAV NRW R : NW PE Nr. 52, Meldeblatt für die Provinz Schleswig-Holstein, herausgegeben von der Kripo Kiel, 5.10.1945, S. 11. 72 Amelunxen: Ehrenmänner und Hexenmeister, S. 153. 73 LAV NRW R : NW PE Nr. 52, 19.10.1945.

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Landes ernannt. Seine erste Aufgabe bestand darin, so schnell wie möglich eine Landesregierung zu bilden. Diese musste von der britischen Besatzungsmacht genehmigt werden. Am 30.  August 1946 trat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammen. Alle vorgeschlagenen Minister waren erschienen, mit Ausnahme von Hermann Höpker Aschoff, den der Ministerpräsident für das Amt des Finanzministers vorgesehen hatte. Den neuen Landesministern teilte Amelunxen mit, »die Ministerliste habe die Genehmigung der Militärregierung gefunden mit Ausnahme von Dr. Höpker Aschoff«.74 Was war geschehen? In den britischen Akten findet sich die Erklärung. In einem Bericht über die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen ist folgendes vermerkt: »Höpker Aschoff wurde vom Geheimdienst als nicht tragbar eingestuft.« In einer Fußnote wird erklärt, warum: »Mitglied der Haupttreuhandstelle Ost – legalisierte die Plünderung Polens.«75 Wegen seiner belasteten Vergangenheit kam er als Minister nicht in Frage. Die britische Militärregierung beauftragte den Ministerpräsidenten, einen neuen Kandidaten für das Amt des Finanzministers zu benennen.76 Amelunxen schlug daraufhin den Vorsitzenden der FDP, Franz Blücher, vor.77 Dieser Vorschlag wurde von den Briten akzeptiert. Anstelle von Hermann Höpker Aschoff wurde daraufhin Franz ­Blücher zum ersten Finanzminister von Nordrhein-Westfalen ernannt. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Als Finanzminister ­Blücher nichts Eiligeres zu tun hatte, als Höpker Aschoff wenigstens zum »Ministerialdirektor« und damit zum ranghöchsten Beamten des Finanzministeri­ ums zu machen, fühlte sich die britische Militärregierung erneut herausgefordert. Sie reagierte prompt und untersagte dem für Personalangelegenheiten zuständigen Innenminister Walter Menzel (SPD), die leitende Stelle mit Höpker Aschoff zu besetzen. »Der Fall Dr. Höpker Aschoff ist mit Sorgfalt erwogen worden; ich muss Ihnen jedoch leider mitteilen, dass infolge der Bindung Herrn Dr. Höpker Aschoffs an die ›Haupttreuhandstelle Ost‹ während des letzten Krieges, ich meine Genehmigung zu seiner Bestellung für diesen wichtigen Posten nicht geben kann.«78 Der Start in den neuen Staat war für Höpker Aschoff missglückt. Am 1. Januar 1947 befand er sich wieder einmal im Ruhestand. Jetzt wandte er sich der Lehre zu. Mit einer nicht gerade voluminösen Dissertation von 88 Seiten, aber mit langjährigen praktischen Erfahrungen in der Auslegung und Anwendung 74 Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen 1946–1950, S. 144. 75 TNA: FO 1049/422, Westphalia Intelligence Staff, Special Political Report, No. 8, 31.10.1946. »Höpker Aschoff found unsuitable by Intelligence Division«. Fußnote: »Member of Haupttreuhandstelle Ost – legalized looting of Poland« 76 TNA : FO 1013/615, To Secretary, Operation Marriage, 19.8.1946. 77 Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen 1946–1950, S. 144 f. 78 LAV NRW R : NW PE Nr. 152, Menzel an Blücher, 9.10.1946.

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des Rechts in der Weimarer Republik und in der NS -Diktatur war er an den Juristischen Fakultäten der Universitäten Münster und Bonn als Lehrbeauftragter sehr willkommen. Die Verleihung des Professorentitels war da nur eine Frage der Zeit. Der Vorsitzende des »Sichtungsausschusses« der Universität Münster, der bekannte Althistoriker Erich Stier, bescheinigte ihm auf dem Entnazifizierungsbogen: »Dr. Höpker Aschoff ist von jeher ein ausgesprochener Feind des Nazismus gewesen, hat ihn öffentlich bekämpft und ist von ihm gemaßregelt worden. Er ist völlig unbelastet.«79 Großzügig hatten ihm viele Weggefährten aus der HTO -Zeit, ob Mitglieder der NSDAP oder ehemalige Liberale, korrektes Verhalten und deutliche Kritik am nationalsozialistischen System bescheinigt. Höpker Aschoff selbst stilisierte sich jetzt gern als Opfer des Nationalsozialismus, den er von Anfang an bekämpft habe. Die Bekanntschaft mit Personen, die aktiv am Widerstand gegen Hitler teilgenommen hatten, reichte aus, um sich sogar in die Nähe des Widerstandes vom 20. Juli 1944 zu rücken, »als eine Verhaftungswelle uns [sic! J. F.] bedrohte, und Lukaschek, Brebeck und Graf Matuschka tatsächlich verhaftet wurden«80. Dass Höpker Aschoff nach dem Attentat direkt nach Berlin, ins Zentrum der Verfolgung der Attentäter zurückkehrte, um eine neue Tätigkeit zu suchen und sie auch in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft fand, ohne je behelligt zu werden, sagte er nicht.81 Immerhin leitete seine Frau Margarete nach dem Tod ihres Mannes ererbte Ansprüche auf Wiedergutmachung ab, die aufgrund nicht eingehaltener Fristen abgelehnt wurden. Nachdem die Na­ tionalsozialisten ihrem Mann die Position des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Dresdner Bank genommen hätten, habe dieser sich bemüht, »durch alle möglichen Verbindungen seine Laufbahn im Staatsdienst entweder auf dem Gebiet der Justiz oder der Finanz fortsetzen zu können; dies wurde ihm aber durch die Nazi-Regierung, bei der er verhasst war, und von der er verfolgt wurde, unmöglich gemacht«82. Ein berufliches Comeback schien 1945/46 nur über das neu sich herausbildende politisch-parlamentarische System möglich, das er gegen Ende der Weimarer Republik immer deutlicher abgelehnt hatte. So trat er in die FDP ein und wurde Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Über die Partei wurde er in den Parlamentarischen Rat delegiert und 1949 über die Landesliste der FDP in den Bundestag gewählt. Als Höpker Aschoff bei der Vergabe der Ministerposten für 79 LAV NRW R: NW 1039 H Nr. 68, Entnazifizierungsakte Höpker Aschoff, Fragebogen und Auswertung, 17.2.1947. 80 BArch: N 1129/49, Höpker Aschoff an Pfennig, 31.10.1946, S. 2. 81 BArch: N 1129/49 diverse Schreiben, die Höpker Aschoff von ehemaligen Kollegen und Bekannten angefordert hatte, um seine Unschuld zu belegen. Die Schreiben datieren vom 10.9. bis 7.12.1946. 82 LAV NRW R : NW PE Nr. 152, Rechtsanwalt Strauss an den Innenminister des Landes NRW, 13.3.1959.

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die erste Bundesregierung wieder einmal leer ausging, blieb als einziges, ihm den Vorsitz des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags anzutragen. Dem konnte sogar Adenauer »von ganzem Herzen« zustimmen.83 Angesichts der Personalknappheit der FDP, die jetzt überall dabei sein wollte, war es nur eine Frage der Zeit, bis Höpker Aschoff mal wieder für ein höheres Staatsamt ins Gespräch gebracht wurde. Die nächste Gelegenheit bot sich, als das Bundesverfassungsgericht mit reichlicher Verspätung im Herbst 1951 eröffnet werden sollte. Auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten, schlug die FDP, stark protegiert von Thomas Dehler und Theodor Heuss, natürlich einen Liberalen vor: Hermann Höpker Aschoff. Nachdem bereits einige Kandidaten abgesagt hatten, beauftragte das Bundeskabinett in seiner Sitzung am 12. Juni 1951 Justizminister Dehler (FDP) und Finanzminister Schäffer (CSU), ein Gespräch mit Höpker Aschoff zu führen, mit dem Ziel, ihn als Kandidaten für das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu gewinnen. Vizeprä­ sident sollte Carlo Schmid (SPD) werden.84 Als nach zwei Wochen die Kandida­ tenfrage immer noch offen war, beauftragte das Bundeskabinett die Minister Dehler und Schäffer, erneut mit Höpker Aschoff zu sprechen. »Es wird erwartet, dass dann die Wahl Höpker Aschoffs gesichert werden kann.«85 Als in der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass Höpker Aschoff als Kandidat der Bundesregierung gehandelt wurde, formierte sich teils heftiger Widerstand, vor allem in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. Den einen galt Höpker Aschoff als Zentralist, der schon in der Zeit der Weimarer Republik einen starken Staat auf Kosten der Länder gefordert habe. Diese Forderung habe er auch nach 1945 für den Aufbau eines neuen Staates immer wieder gestellt. Vor allem die Bayern machten in diesem Sinne Druck. Ministerpräsident Hans Ehard erklärte in einer Sitzung der bayerischen Staatsregierung: »Er selbst werde nicht der Berufung des Herrn Dr. Höpker Aschoff zustimmen, da er der Auffassung sei, ein Richter habe kein Eiferer zu sein.«86 Den anderen galt Höpker Aschoff als antikirchlich bzw. antiklerikal. Wieder und wieder hatte er gefordert: »Wir müssen die völlige Konfessionalisierung des Schulwesens und des öffentlichen Lebens überhaupt verhindern.«87 Tief besorgt über diese Entwicklung wandte sich Prälat W. Böhler, Domkapitular und Leiter des »Katholischen Büros«, der Interessenvertretung der Katholischen Kirche in Bonn, an Bundeskanzler Adenauer: »In katholischen Kreisen ist eine große Beunruhigung entstanden. Man befürchtet, dass bei der Besetzung des Verfassungsgerichtshofes die Katholiken wieder einmal zurückgesetzt werden.« Falls es richtig sein sollte, »dass einer der beiden Präsidenten aus der Weltanschauung des Liberalismus, der andere aus 83 84 85 86 87

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 24.9.1949 (Wortprotokoll). BArch: B 146/1368. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 26.6.1951, TOP Bundesverfassungsgericht. BayHStA: StK., Ministerratsprotokolle 15, Protokoll Nr. 37, S. 17. LAV NRW R: NW 96/39, NL Blücher, Höpker Aschoff an Blücher, 9.1.1948.

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der Weltanschauung des Sozialismus käme, würde im Präsidium eine absolut einseitige Richtung erkennbar sein.« Um dies zu verhüten, forderte er den Bundeskanzler auf, seinen »großen Einfluss geltend zu machen, dass eine Lösung gefunden wird, die auch vom christlichen Volksteil bejaht werden kann«88. Als der Unmut in den eigenen Reihen und der Wunsch nach einem eigenen Kandidaten immer größer wurden, schaltete sich der Bundeskanzler höchstpersönlich in die Kandidatenkür ein. Heinrich von Brentano, Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion, und Bundeskanzler Adenauer vereinbarten ein abgestimmtes, arbeitsteiliges Vorgehen. Während von Brentano den von ihm vorgeschlagenen Bundestagsabgeordneten Dr. Hermann Josef Pünder (CDU) für eine Kandidatur gewinnen und in der Fraktion durchsetzen wollte bzw. sollte, sollte Adenauer »es übernehmen, Herrn Dr. Höpker Aschoff zu einem Verzicht auf seine Kandidatur zu bewegen«.89 Während von Brentano mit Pünder sprach und ihn in der Fraktion ins Gespräch brachte, lud der Kanzler den Abgeordneten Höpker Aschoff (FDP) zu einem persönlichen Gespräch zu sich ein. Über den Inhalt dieses Gesprächs, das am 12. Juli 1951 stattfand, sind wir gut unterrichtet, da der Bundeskanzler unmittelbar im Anschluss an dieses Gespräch Höpker Aschoff einen Brief schrieb. Darin teilte er dem durch Kabinettsbeschluss vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts kurzerhand mit, er habe die Frage einer möglichen Kandidatur von Höpker Aschoff hin und her überlegt. »Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, Ihnen zu empfehlen, zu erklären, dass Sie eine etwaige Wahl nicht annähmen. Wenn Sie gewählt werden, werden ganz bestimmt über kurz oder lang in der Presse des In- und Auslands Angriffe erhoben werden. Es wird erläutert werden, was die Haupttreuhandstelle Ost für eine Tätigkeit ausgeübt hat, und es wird gesagt werden, dass Sie darin beschäftigt waren, ohne dass gesagt wird, worin Ihre Tätigkeit dort bestanden hat. Die Tatsache, dass Herr Menzel die Frage angeschnitten, dass Herr Amelunxen sie aufgegriffen und vertieft hat, scheint mir ein Beweis dafür zu sein, dass schließlich eine Erörterung entstehen wird, die recht unangenehm sein wird und auch Ihre Stellung beeinträchtigen würde. Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, dass ich absolut davon überzeugt bin, dass Sie immer Ihren Grundsätzen treu gewesen sind.«90 Was für Adenauer ein Befreiungsschlag war, war für Höpker Aschoff ein Tiefschlag ohne gleichen. Die belastete Vergangenheit ließ ihm keine Ruhe. Jetzt machte auch der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland davon Gebrauch, um sich selbstverschuldeter Querelen in den eigenen Reihen zu entledigen. Umgehend schrieb der tief gekränkte Höpker Aschoff an Justizminister Dehler: »Ich 88 StBKAH: I/10.05., Böhler an Adenauer, 12.7.1951. 89 StBKAH: I/10.05., von Brentano an Adenauer, 10.9.1951. 90 Adenauer. Briefe 1951–1953, S. 82.

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habe das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes nicht erstrebt. Ich habe mich bereit erklärt, das Amt im Falle meiner Wahl zu übernehmen, nachdem zwei Bundesminister mir im Auftrage der Bundesregierung mitgeteilt hatten, dass die Bundesregierung einstimmig beschlossen habe, mich für dieses Amt vorzuschlagen und nachdem die beiden Bundesminister mich geradezu beschworen hatten, das Amt anzunehmen.« Die Entscheidung sei ihm damals nicht leichtgefallen. Er sei jedoch davon ausgegangen, »dass gegen meine Wahl keine Bedenken erhoben werden würden und dass mich ein allgemeines Vertrauen tragen würde. Da dieses offenbar nicht der Fall ist, bin ich zu meinem Bedauern gezwungen, Ihnen mitzuteilen, dass ich nicht mehr bereit bin, das Amt anzunehmen.«91 Als SPD und FDP signalisierten, dass sie weiterhin zu Höpker Aschoff standen, waren Pünder und andere Kandidaten, mit denen auch schon gesprochen worden war, nicht mehr bereit, eine Kandidatur in Erwägung zu ziehen. Da inzwischen auch Höpker Aschoff seine Kandidatur zurückgezogen hatte, drohte die Wahl in einem Fiasko zu enden. Mit einer Hauruck-Aktion versuchte der Kanzler das Blatt zu wenden. Obwohl es laut Bundesverfassungsgerichtsgesetz weder das Recht des Kanzlers, noch des Kabinetts, sondern allein Sache des Bundestags und des Bundesrats war92, Kandidaten vorzuschlagen und zu wählen, schlug Adenauer in der Kabinettssitzung am 21.  August 1951 erneut Höpker Aschoff als Kandidaten für das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts vor.93 Nach Erörterung der Lage beschloss das Kabinett, »dass der Wahlausschuss alsbald zusammentreten und dass versucht werden solle, die Kandidatur von Dr. Höpker Aschoff durchzubringen«94. Die Kandidatur von Höpker Aschoff wurde am Ende, wie von Adenauer gewünscht, durchgedrückt. Dass Höpker Aschoff, trotz der tiefen Kränkung durch den Kanzler, dazu bereit war, hat die politische Unabhängigkeit des obersten Richters der neuen Republik nicht gerade gestärkt. Lief er nicht Gefahr, wann und für wen auch immer es politisch opportun erschien, von seiner Mitwirkung an der »Plünderung« und »Deutschmachung« Polens eingeholt zu werden? Während alle übrigen Verfassungsrichter einstimmig gewählt wurden, wurde der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts am 4. September 1951 von nur 10 der 12 Mitglieder im Wahlmännerausschuss des deutschen Bundestages gewählt.95 Durch die politische und gesetzwidrige Einmischung des Kanzlers war eine schwierige Lage entstanden, durch die nicht nur der Kandidat für das Amt 91 92 93 94 95

ADL: N 1-1073, NL Dehler, Höpker Aschoff an Dehler, 13.7.1951.

BGBl: I 1951, S. 243, BVerfG §§ 6–9. Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951–1953, S. 132. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 21.8.1951. BayHStA: StK 13084, Der Älteste der Wahlmänner Laforet an den Bundesminister der Justiz, 5.9.1951.

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des Präsidenten, sondern auch das Bundesverfassungsgericht selbst, schon vor ­seiner Eröffnung, schwer beschädigt wurden. Auch die Überschreitung ­seiner Kompetenzen und die Missachtung der Rechte des Parlaments durch den Kanzler hatten große Verärgerung hervorgerufen. In einem persönlichen Brief an Adenauer machte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Heinrich von Brentano seinem Ärger Luft. Die Entscheidung, die die Konstituierung ­dieses Gerichts erst ermöglichte, habe ihn »mit tiefstem Missbehagen« erfüllt. »Ich hatte Ihnen gegenüber schon in einer früheren Unterredung zum Ausdruck ­gebracht, dass ich den Beschluss des Kabinetts, Herrn Dr. Höpker Aschoff zum Präsidenten vorzuschlagen, bedauert habe: Einmal, weil ich glaube, dass das Kabinett ja nicht berechtigt war, einen solchen Vorschlag zu machen, und zum anderen, weil ich der Meinung war und auch heute noch bin, dass die CDU/ CSU einen unbestreitbaren Anspruch darauf hatte, einen Mann ihres eige­ nen Vertrauens für diesen höchsten richterlichen Posten in Deutschland zu präsentieren.« Mit dem zweiten Beschluss des Kabinetts, »der mir noch unbegreiflicher ist als der erste«, sei Höpker Aschoff wieder auf den Schild gehoben worden. Dies habe dazu geführt, »dass es unseren Mitgliedern im Wahlmännerausschuss praktisch gar nicht mehr möglich war, eine andere Entscheidung herbeizuführen«. Dieser Beschluss habe »den Bestrebungen der SPD und der FDP überhaupt erst die Grundlage gegeben, auf der diese Gruppe sich durchsetzen konnte«96. Kehren wir nun zu unserer Ausgangsfrage zurück. Warum wollte der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts den KPD -Prozess nicht? Warum tat er alles, um ihn zu verzögern, vielleicht sogar zu verhindern? Eine Antwort auf diese Fragen lässt sich nicht aus den Akten oder einem einzelnen Dokument ableiten. Eine Antwort lässt sich nur aus dem Gesamtzusammenhang, aus dem biografischen Zugang, den persönlichen und politischen Prägungen, Ansich­ten und Verhaltensweisen, Leistungen und Fehlleistungen dieses Mannes erschließen. Höpker Aschoff war ein Kind seiner Zeit, geprägt von der dreimaligen Zerstörung und Selbstzerstörung des Staates: 1918, 1933 und 1945. Die Überzeugung, dass nicht die Erhaltung und Sicherung der Staatsform, etwa der par­ lamentarischen Demokratie, sondern die Erhaltung und Sicherung des Staates an sich, des Staates über den Parteien, der durchaus diktatorische Züge annehmen konnte und gelegentlich auch musste, das erstrebenswerte Ideal sei, hat hier seinen Ursprung. Gesetztes Recht war für ihn, wie für viele Juristen seiner Zeit, die alleinige Rechtsquelle, auch wenn es zu offenkundigem Unrecht perver­ tieren konnte, da es über dem Gesetz stehende, »überpositive« Normen wie die Wahrung der Menschenrechte nicht akzeptierte. So schützte positives Rechtsdenken nicht vor einer menschenvernichtenden Volkstumsideologie, sondern 96 St BKAH: I/10.05., von Brentano an Adenauer, 10.9.1951.

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wurde zu deren wichtigstem Durchsetzungsinstrument. Diese Überzeugungen waren keineswegs auf den Nationalsozialismus beschränkt, sondern reichten weit in die liberale, national gesinnte und sich zunehmend nationalistisch radikalisierende bürgerliche Mitte hinein. Höpker Aschoff war ein Protottyp dieser gesellschaftlichen Schicht und Entwicklung. Als »Systempolitiker« von den Nationalsozialisten geächtet, biederte er sich »den neuen Herren« solange an, bis er selbst Teil »des neuen Staates« wurde, weil er nützliche Dienste für den nationalsozialistischen Staat zu leisten bereit war. Das Besondere an der Biografie von Höpker Aschoff ist, dass es ihm, wie den meisten seiner Generation, nach dem Ende der NS -Diktatur nicht vergönnt war, seine belastete Vergangenheit zu verschleiern und auf eine normale Verwaltungstätigkeit, teils in »innerer Emigration«, teils in offenem Widerstand zu den nationalsozialistischen Machthabern zu reduzieren und mit einer derart geschönten Biografie unbehelligt in die Zukunft einer neuen parlamentarischen Demokratie durchzustarten. Im Gegenteil: Nur wenige von denen, die neue politische Ämter anstrebten, wurden so schnell und so hart mit ihrer belasteten Vergangenheit konfrontiert wie Hermann Höpker Aschoff. Eine Demütigung folgte der anderen. Selbst Bundeskanzler Adenauer erkannte die Erpressbarkeit des Kandidaten für das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und zwang ihn mit Verweis auf seine Tätigkeit bei der HTO zum Rücktritt von der Kandidatur. Schlimmer noch, 14 Tage nach dieser Demütigung gelang es dem Kanzler, Höpker Aschoff erneut zur Kandidatur zu bewegen, die der FDP-Politiker bei aller Schmach, die ihm zugefügt worden war, auch noch annahm. Nimmt man das Zerwürfnis mit seinem Parteifreund Thomas Dehler über die Statusfrage des Bundesverfassungsgerichts und die Konflikte mit dem Bundeskanzler über die Behandlung der Westverträge hinzu, wird klar, dass der Start in den demokratischen Rechtsstaat, der ihm sicher auch die ­Genugtuung bringen sollte, sich mit seinem eigenen Leben zu versöhnen, alles andere als ­geglückt war. Die belastete Vergangenheit hing wie ein Damoklesschwert über seiner Tätigkeit als oberster Richter der Bundesrepublik Deutschland. Zweifellos hätte sich der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts manchen Ärger mit der Bundesregierung sparen können, wenn er dem politischen Druck aus Bonn nachgegeben und den KPD -Prozess ebenso zügig durchgezo­ gen und entschieden hätte wie den SRP-Prozess. Warum stellte sich ausgerechnet der Mann immer wieder quer, der in seinem Leben den Staat über alles gestellt hatte, als sich die Bundesrepublik zumindest nach Ansicht der Bundesregierung von der kleinen KPD existentiell herausgefordert und bedroht fühlte? Warum wollte der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts den KPD -Prozess nicht? Hätte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff es wirklich riskieren sollen, dass die Anwälte der KPD, wie bei seinem Nachfolger J­ osef Wintrich geschehen, seine Vergangenheit in aller Öffentlichkeit ausgebreitet

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und zum Gegenstand eines Befangenheitsantrags gemacht hätten? Hätte er es wirklich riskieren sollen, dass die polnische kommunistische Regierung, wie 1945 bereits geschehen, erneut einen Auslieferungsantrag wegen seiner Mitwirkung an der »Ausplünderung und Deutschmachung Polens« stellen würde? Hätte er es wirklich riskieren sollen, sich mit Blick auf seine belastete Vergangenheit auch innerhalb der Bundesrepublik fortgesetzter öffentlicher Schmähungen und Rücktrittsforderungen auszusetzen? Hätte er sich in einem solchen Fall der politischen Unterstützung von Bundeskanzler Adenauer sicher sein können, der ihn schon einmal um eines politisch-taktischen Vorteils willen hatte fallen lassen? Allein seine Krankheit und sein Tod am 15. Januar 1954 verhinderten, dass er sich den politischen Konsequenzen eines von ihm geleiteten KPD -Prozesses eines Tages hätte stellen müssen. Die hypothetischen Fragen finden ihre Antwort in der »Angst«, die viele Richter des Bundesverfassungsgerichts, nicht zuletzt der Präsident und Vorsitzende des 1.  Senats, vor den politischen Verbotsprozessen empfanden. Sie fürchteten, die politische Verantwortung insbesondere für ein Verbot der KPD aufgebürdet zu bekommen. Im Falle Höpker Aschoffs kamen noch die politischen Implikationen hinzu, die dieses Verfahren für ihn persönlich haben würde. Nachdem bekannt geworden war, dass die Bundesregierung am 16. November 1951 über die Anträge auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD und der SRP entscheiden würde, äußerte Höpker Aschoff den Wunsch, vor der Kabinettsentscheidung noch einmal gehört zu werden. »Er habe Mitteilung zu machen, die für die Entschließungen der Bundesregierung von wesentlicher Bedeutung seien.«97 Der Kanzler willigte ein. Neben Adenauer und Höpker Aschoff nahmen zunächst nur Bundesinnenminister Lehr und der Prozessbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Ritter von Lex, anschließend auch alle anwesenden Bundesminister teil.98 Das Gespräch wurde »außerhalb des Kabinetts« geführt und dauerte insgesamt 90 Minuten. Ein Protokoll durfte über die streng geheime Unterredung nicht geführt werden. Andere Aufzeichnungen konnten nicht ermittelt werden, mit einer Ausnahme. Im Nachlass Seebohm99 findet sich eine kurze, aber sehr aufschlussreiche Notiz. Sie lautet: »Besprechung mit HöA [Höpker Aschoff, J. F.]: die 24 Rotrobigen in Karlsruhe haben Angst vor SRP-KP-Prozessen!!«100 Die Seebohm-Notiz ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen spiegelt sich in der Ausdrucksweise »die 24 Rotrobigen in Karlsruhe« eine 97 BArch: B 136/3784, Vermerk Globke für Adenauer, 16.11.1951. 98 StBKAH: Kalendarium, Tageskalender, 16.11.1951, in: www.konrad-adenauer.de. 99 Hans Christoph Seebohm war Mitglied der Deutschen Partei (DP), trat 1960 in die CDU ein und gehörte als Bundesminister für Verkehr allen Kabinetten von Adenauer bis Erhard (1949–1966) an. In Kabinettssitzungen machte er sich regelmäßig Notizen, die in Ergänzung zu den Kabinettsprotokollen eine wichtige Quelle sind. 100 BArch: N1178/7a, NL Seebohm, persönliche Notizen zur Kabinettssitzung am 16.11.1951.

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nicht gerade respektvolle Art, mit der das politische Bonn auf das Bundesver­ fassungsgericht herabschaute. Zum andern wird mit dem Wort »Angst« eine neue handlungsleitende und daher auch politische Kategorie eingeführt, die im historisch-politischen Prozess der Nachkriegszeit viel zu wenig Beachtung und Anwendung findet. Angst hilft, das Leben in seinen persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Antinomien zu deuten, zu verarbeiten oder zu verdrängen. Angst kann lähmen, aber auch aktivieren, kann Mut machen etwas zu tun, aber auch zu lassen. Im Fall des KPD -Prozesses dürfte die Angst der Richter, insbesondere des Präsidenten und Vorsitzenden des zuständigen 1.  Senats, vor den politischen und persönlichen Folgen und Implikationen des politisch höchst umstrittenen Prozesses entscheidend dazu beigetragen haben, dass der Staatsprozess gegen die KPD unter der Präsidentschaft von Hermann Höpker Aschoff immer wieder verzögert, das Hauptverfahren nicht eingeleitet, geschweige denn durchgeführt wurde.

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Die Geheimabsprachen Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht

Die Gewaltenteilung zählt zu den grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein freiheitlicher, demokratischer und föderativer Rechtsstaat. Der Souverän ist das Volk. Von ihm geht alle Staatsgewalt aus. Diese wird durch Wahlen und besondere Organe der Legislative, Exekutive und Judikative ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die ver­ fassungsmäßige Ordnung, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden. So steht es im Grundgesetz.1 Organe der staatlichen Gewalten sind die Parlamente, die Regierungen und die Gerichte des Bundes und der Länder. Diese üben die staatliche Gewalt in einem arbeitsteiligen und »kompetenzregulierten Zusammenwirken«2 gemeinsam aus. Dies geschieht jedoch unabhängig und getrennt voneinander, zur wechselseitigen Kontrolle und Mäßigung staatlicher Macht. Zu den Grundlagen der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung (FDGO) der Bundesrepublik Deutschland gehören die Menschenrechte, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip, die Chancengleichheit der Parteien und das Recht auf Opposition. So hat es der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits in seinem ersten Verbotsurteil gegen die SRP definiert und mit ähnlichen Worten in seinem zweiten Verbotsurteil gegen die KPD wiederholt. Wer eines dieser Prinzipien, etwa die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte außer Kraft setzt oder beseitigen will, »beeinträchtigt« nach herrschender Lehre die FDGO der Bundesrepublik. Genau diesen Vorwurf machten die Karlsruher Richter der SRP und auch der KPD. Beide Parteien wurden deshalb verboten.3 Die Prinzipien und Werte eines freiheitlichen Rechtsstaates sind nicht nur Grundlage und Maßstab jeglichen Handelns der drei Gewalten, sondern auch 1 GG: Art. 20, Abs. 2 u. 3. 2 Sobota: Das Prinzip Rechtsstaat, S. 70. 3 Möllers: Voraussetzungen, Ablauf und Rechtsfolgen von Parteiverbotsverfahren, S. 38 ff.

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jeder historisch-kritischen Analyse und Interpretation staatlichen Handelns. Wie konsequent wurde die Trennung der Gewalten in der Geschichte der Bundesrepublik eingehalten? Gibt es Spielräume, Toleranzen? Wo verläuft die Grenze, die nicht überschritten werden darf? Deshalb lautet auch hier die Frage: Wie weit ging die Zusammenarbeit von Exekutive und Judikative im Verfahren gegen die KPD vor dem Bundesverfassungsgericht? Wurden stets Recht und Gesetz beachtet? Gab es Verstöße? Wenn ja, mit welchen Folgen? Wie war es um das Verhältnis des Gerichts zu den beiden Prozessparteien bestellt? Waren die Karlsruher Richter immer bestrebt, die Unabhängigkeit des Gerichts zu wahren? Gibt es neue historische Quellen und Erkenntnisse, die das Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD in einem neuen Licht erscheinen lassen? Das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht war in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine äußerst konfliktreiche Beziehung. Im Kern ging es um die Frage, ob das neu geschaffene höchste Gericht ein eigenständiges und unabhängiges »Verfassungsorgan« war, wie die Karlsruher Richter meinten, oder ein zwar hohes, ansonsten aber ganz normales Gericht, eingebunden in die allgemeine Gerichtsbarkeit des jungen Staates, wie die Bundesregierung immer wieder betonte. Letztlich ging es um die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht ein Kontrollorgan oder ein Ausführungsorgan der Exekutive sei. Diese Frage wurde auch bei den Parteiverbotsverfahren immer wieder virulent. Während die Bundesregierung den Standpunkt vertrat, die KPD sei verfassungswidrig, woraus sich »für das angerufene Gericht die Pflicht« ergebe, »die Konsequenz der Verfassungswidrigkeit festzustellen, wenn der Antragsteller die Unterlagen für die Verfassungswidrigkeit vorlege«4, waren die Richter des 1. Senats nicht von der politischen Zweckmäßigkeit und daher auch nicht von der rechtlichen Notwendigkeit eines KPD -Verbots überzeugt. Der anhaltende politische Druck, auf den das Gericht mit fortgesetzter Verzögerung des Prozesses reagierte, machte die Lage immer prekärer. Während die Bundesregierung fürchtete, politisch das Gesicht zu verlieren, wenn aus Karlsruhe nicht rasch das geforderte Verbotsurteil käme, fürchtete der 1. ­Senat des Bundesverfassungsgerichts, die Verantwortung für die politischen Folgen einer Verzögerung des Prozesses angelastet zu bekommen.5 Je länger die höchstrichterliche Entscheidung hinausgezögert wurde, umso geringer wurden die Spielräume des Gerichts. Wenn die Bundesregierung nicht selbst den Feststellungsantrag zurückzog, war eine Ablehnung des Antrags durch das Bundes­ 4 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 16, Gespräch Wintrich mit StS von Lex, 19.11.1954. 5 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 7, Besprechung Schröder/von Lex mit Wintrich, 7.4.1954.

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verfassungsgericht faktisch nicht mehr möglich. Nur ein gutes oder, wie der Vorsitzende des 1. Senats Wintrich es einmal formulierte, »ein historisches Urteil«, konnte das Ansehen des Gerichts in dieser Frage noch retten. So gesehen waren beide Seiten, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht auf einan­ der angewiesen, um Schaden von sich selbst abzuwenden. Ein Scheitern des Prozesses wäre für beide Seiten ein politisches Desaster gewesen. Die Spannung von Konflikt und Zusammenarbeit prägte den gesamten KPD Prozess, vom Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD im November 1951 bis zum Urteil des Bundesverfas­sungsgerichts im August 1956. Nachdem der Versuch von Gerichtspräsident Hermann ­Höpker Aschoff gescheitert war, in letzter Minute den Beschluss der Bundesregierung zu verhindern, beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD zu beantragen, war erst einmal Zusammenarbeit angesagt, um das Verfahren auf den Weg zu bringen. Die Bundesregierung bestimmte das Vorgehen, das Gericht vollzog, was die Regierung wünschte. Eine verfahrenstechnisch nicht gerade versierte, sondern eher unsichere R ­ ichterschaft war für jede Anregung der Exekutive dankbar. Unbeirrt ging dagegen die Bundesregierung ihren Weg, um eine zügige Entscheidung des Verfassungsgerichts zu erreichen. Der Antrag gegen die SRP wurde am 19. November, der gegen die KPD am 22. November 1951 gestellt. Am 24. Januar 1952 beschloss der 1. Senat die Anträge anzunehmen und die Verfahren durchzuführen.6 Am selben Tag beschlossen die Verfassungsrichter die »Anregung« der Bundesregierung aufzugreifen, umgehend die Räumlichkeiten von SRP und KPD nach Beweismaterial zu durchsuchen und dieses zu beschlagnahmen. Die Idee stammte von Bundesjustizminister Dehler. Bei Einreichen der Anträge zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit sollte der Bundesinnenminister in einem »Beisatz« erwähnen, dass das Gericht gesetzlich befugt sei, nach Annahme der Feststellungsanträge, Durchsuchungen und Beschlagnahmen anzuordnen. »Ich möchte erreichen«, so Dehler, »dass alles irgendwie greifbare Material sichergestellt wird. Notwendige Voraussetzung ist, dass von unserer Seite die Stellen bezeichnet werden, an denen sich vermutlich einschlägiges Material befindet.«7 Bundesinnenminister Lehr griff den Vorschlag seines Kabinettskollegen auf und reichte am 21. Januar 1952 einen förmlichen Antrag beim Bundesverfassungsgericht ein, den er allerdings nicht als Antrag, sondern als »Anregung« bezeichnete: »Von der Stellung eines förmlichen Antrages habe ich abgesehen, weil es mit dem Ansehen der Bundesregierung nicht vereinbar wäre, in einer Angelegenheit von solcher Bedeutung einen Antrag zu stellen, der der Möglichkeit der Ablehnung unterliegt.«8 6 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, S. 60. 7 ADL: NL Dehler, N1-2204, Dehler an Lehr, 19.11.1951. 8 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 2, Teil 1, Lehr an BVerfG, 21.1.1952.

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Die »Anregung« hatte den Charme, dass weder die KPD, noch die Öffentlichkeit erfahren würden, dass nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern die Bundesregierung der eigentliche Initiator der Durchsuchungsaktion war. Jetzt konnte die Bundesregierung behaupten, nicht Anreger, sondern nur ausführendes Organ eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu sein. Und das tat sie denn auch. Selbst im Bundeskabinett erweckte Lehr den Eindruck, dass es sich bei der Durchsuchungsaktion »nicht etwa um ein Vorgehen der Exekutive aus eigener Initiative gehandelt habe, sondern nur um die Durchführung von zwei Beschlüssen des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherstellung von Beweismaterial für die von ihm zu treffenden Entscheidungen«9. Ebenso äußerte sich Staatssekretär Ritter von Lex vor der Presse. Die Polizeiaktion sei »keine Aktion der Exekutive, sondern der Vollzug einer Anordnung des Bundesverfassungsgerichts« gewesen, die »auf rechtstaatlichem Prinzip« beruhe. Generös fügte er hinzu: »Das Bundesinnenministerium sei mit der Aktion völlig einverstanden.«10 Dieser die Wahrheit verschleiernde Kurs der Prozessführenden Stelle machte Schule. Selbst das Parlament wurde angelogen. In einer Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung, die eigens zur Klärung dieser Frage einberufen worden war, erklärte Ministerialrat Kipp vom Bundesministerium des Innern, »dass das Bundesverfassungsgericht die Maßnahme von sich aus angeordnet habe, die Durchführung entspreche also nicht einem Ersuchen des Bundesministeriums, sondern dem des Gerichts«11. Das, was Lehr als Anlage seinem Anregungsschreiben beigefügt hatte, war nach Form und Inhalt ein Antrag an das Bundesverfassungsgericht. Statt einen Antrag zu stellen, regte er an, »folgende Anordnung zu treffen«: 1.  das Ver­ mögen der KPD zu beschlagnahmen; 2.  die Länderinnenminister zu beauftragen, diese Beschlagnahme durchzuführen; 3.  die Länderinnenminister zu Treuhändern des beschlagnahmten Vermögens zu bestellen, und 4. den Länder­ innenministern zu gestatten, andere Behörden mit der Durchführung der Beschlagnahme beauftragen und das Amt des Treuhänders auf andere Behörden und Personen übertragen zu können12. Durchsucht werden sollten die Geschäftsräume des Parteivorstandes der KPD einschließlich aller Nebenräume in Düsseldorf sowie sämtliche Parteibüros der Landesleitungen. Auch mit dieser Aufgabe sollten die Innenminister der Länder beauftragt werden. Das setze allerdings voraus, dass sie »mindestens drei Tage vor dem Wirksamwerden der

9 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung: 1.2.1952, A. Gestrige »Polizeiaktion«. 10 BArch: BY 1/4295, DPA-Meldungen, 31.1.1952. 11 BArch: B 106/15544, Ausschusses zum Schutz der Verfassung, 28.2.1952. Vermerk Min. Rat Kipp für StS v. Lex, 28.2.1952. 12 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 2, Teil 2, Anregung mit Begründung des BMI .

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etwa ergehenden Anordnung unterrichtet werden, um die erforderlichen Anordnungen wirksam treffen zu können«13. Das Bundesverfassungsgericht folgte weitgehend dem Ansinnen der Bundesregierung, wenn es auch nicht bereit war, mit Annahme des Feststellungs­ antrags auf Verfassungswidrigkeit gleich die gesamte Parteiarbeit der KPD durch Beschlagnahme ihres Vermögens lahm zu legen, wie es die Bundesregierung gern gesehen hätte. Die Durchführung der von den Karlsruher Richtern angeordneten Durchsuchungsaktion folgte hingegen exakt den Vorgaben, die in enger Abstimmung zwischen dem Justiz- und Innenministerium entworfen14 und mit Bundeskanzler Adenauer15 ebenso wie mit dem Bundesverfassungsgericht abgestimmt worden waren. Schon vor Eröffnung des Verbotsverfahrens gegen die KPD arbeiteten Judikative und Exekutive eng zusammen, um das Verfahren gemeinsam im Sinne und Interesse der Antragstellerin zu gestalten. Zuerst ging es darum, das nicht als ausreichend empfundene Beweismaterial für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD durch bundesweite Durchsuchungen und Beschlagnahmen zu ergänzen. Um eine zentral gesteuerte Polizeiaktion durchführen zu können, war einiges an juristischer Phantasie und Kreativität gefordert. In ihrem »Polizeibrief« zum Grundgesetz hatten die Besatzungsmächte die Einrichtung zentral gesteuerter bzw. steuerbarer Sicherheitsorgane und deren enge Zusammenarbeit strikt untersagt.16 Entsprechend bereiteten die auf Dezentralität ausgerichteten Polizeigesetze der Länder, das Verfassungsschutzgesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder und zudem das strikte Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei erhebliche Probleme bei der Planung und Vorbereitung bundesweiter Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Die Polizeihoheit war Ländersache17, wenn sie nicht sogar wie in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone (Bayern, Württemberg-Baden, Hessen und Bremen) bei den Kommunen lag.18 Der gesetzliche Auftrag des Verfassungsschutzes bestand in der Sammlung und Auswertung von Unterlagen über verfassungsfeindliche Bestrebungen.19 Das Bundesamt für Verfassungsschutz war weder gegenüber den Landesämtern für Verfassungsschutz, noch gegenüber der Polizei weisungsbefugt. Es durfte keine 13 Ebd., Begründung. 14 BArch: B 106/15544 und B 141/211, Unterlagen von BMI und BMJ. 15 Das Gespräch Adenauer/Lehr fand laut Kalendarium des Bundeskanzlers am 20.12.1951 statt. www.konrad-adenauer.de/kalendarium/tageskalender. BArch: B 106/15544. Vermerk Kipp für den Minister, 20.12.51, mit den »Anregungen an das Bundesverfassungsgericht – vorläufige Maßnahmen gegen die KPD und SRP gemäß §§ 47, 38 BVGG erlassen – für die Besprechung mit dem Herrn Bundeskanzler weisungsgemäß vorgelegt«. 16 »Polizeibrief«, Schreiben der drei Militärgouverneure zum Grundgesetz, 14.4.1949, in: http://www.verfassungen.de/de/de49/grundgesetz-schreiben49-3.htm 17 GG: Art 70, Abs. 1 und Art. 30. 18 BArch: B 106/15544. Vermerk Weisungsrecht gegenüber der Polizei, 20.12.1951. 19 Goschler/Wala: »Keine neue GESTAPO«, S. 30 f.

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exekutiven Aufgaben übernehmen. Verfassungsschutz und Polizei waren strikt getrennt. »Polizeiliche Befugnisse oder Kontrollbefugnisse stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu.«20 Auch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) baute in den »Besonderen Verfahrensvorschriften« für Parteiverbotsverfahren eine weitere Hürde auf: »Nach Eingang des Antrags kann das Bundesverfassungsgericht eine Beschlagnahme oder Durchsuchung nach den Vorschriften der Strafprozess­ ordnung anordnen.«21 Laut Strafprozessordnung konnten Durchsuchungen jedoch nur durch den gesetzlichen Richter angeordnet werden. Der gesetzliche Richter ist der sachlich und örtlich zuständige Richter, in dessen Amtsbezirk eine entsprechende Beschlagnahme oder Durchsuchung durchgeführt werden soll und die von der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragt werden muss. Jedermann, so will es das Grundgesetz hat Anspruch auf den gesetzlichen Richter. »Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.«22 Dies bedeutet, dass eine bundesweite Beschlagnahme- und Durchsuchungsaktion, wie von den Verfassungsrichtern angeordnet, nach geltendem Recht nur hätte durchgeführt werden können, wenn sie auf dem Wege der Rechts- und Amtshilfe der jeweils zuständigen Richter und Staatsanwälte erfolgt wäre. Auf dieser rechtsstaatlich einwandfreien Rechtsgrundlage wurden schon in der Weimarer Republik Durchsuchungen und Beschlagnahmen gegen Kommunisten angeordnet und durchgeführt. In einem Rundschreiben der KPD an ihre Mitglieder aus dem Jahre 1926 heißt es: »Anordnungen von Beschlagnahmen kann auf Grund der StPO §§ 98 und 105 nur der Richter treffen, jedoch kann die Bestimmung auch auf Staatsanwalt und Polizei bzw. Sicherheitsbeamte ausgedehnt werden, wenn Gefahr im Verzuge ist.«23 Um all diese Hürden umgehen zu können, hatte das Bundesjustizministerium bereits in seinen Entwurf des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes einen Paragraphen 35 eingefügt, der es trotz seiner schlichten Formulierung in sich hatte. Danach wurde dem Gericht eine Generalvollmacht erteilt, die alle rechtlichen Bedenken beiseitezuschieben schien. Nach Auslegung der Exekutive, die die Verfassungsrichter ohne Bedenken übernahmen, war mit »seiner Entscheidung« nicht etwa nur die endgültige Entscheidung, also das Urteil, gemeint, sondern jede diesbezügliche Entscheidung, die das Gericht im Laufe des Verfahrens zu treffen hatte. »Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise 20 BGBl: I 1950, S. 682, Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27.9.1950. 21 BGBl: I 1951, § 47 in Verbindung mit § 38, S. 248 und 247. 22 GG: Art. 101, Abs 1, Satz 2. 23 LAV NRW W: Q 211/2280, Rundschreiben der KPD, Verhalten bei Beschlagnahmen und Durchsuchungen, 2.9.1926.

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der Vollstreckung regeln.«24 So konkurrierten im BVerfGG zwei sich einander ausschließende Verfahrensweisen zur Anordnung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen durch das Bundesverfassungsgericht: auf der einen Seite die verfassungskonforme, weil geltendes Recht der StPO anwendende Variante, auf der anderen Seite die rechtlich höchst problematische Variante des § 35, der die im gleichen Gesetz geforderte Anwendung der StPO ohne jede Einschränkung ersetzen konnte. Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes waren zudem nicht möglich, auch wenn sie gegen geltendes Recht verstießen, etwa gegen die laut StPO notwendige Anordnung von Durchsuchungen durch den zuständigen »gesetzlichen Richter«25 oder gegen das grundgesetzlich garantierte »Beschwerderecht« bei rechtswidrigen Maßnahmen des Staates. »Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.«26 Hatte die allgemeine Ermächtigung des Gerichts nach § 35 tatsächlich Vorrang vor den besonderen Verfahrensvorschriften für Parteiverbotsverfahren? Wie sind die einander ausschließenden Paragraphen mit den Rechtsstaatsprinzipien des »Bestimmtheitsgebots« und der Rechtssicherheit vereinbar? Ist das BVerfGG in seinen widersprüchlichen Bestimmungen nicht selbst verfassungswidrig? Fragen über Fragen, die der weiteren juristischen Klärung bedürfen, zumal § 35 BVerfGG bis heute unverändert gilt.27 Historisch ist dagegen lediglich die Frage zu klären: Warum wurde der § 35 überhaupt in das BVerfGG ein­ gefügt? Weil, so die Antwort, das BVerfGG von Justizminister Dehler schon mit Blick auf ein mögliches Parteiverbot der KPD konzipiert worden war und die rechtlichen Probleme einer Vorgehensweise nach StPO offensichtlich schon im Voraus erkannt worden waren. Die ersten Jahre der Bundesrepublik waren eine Zeit der antikommunistischen Politisierung von Staat und Gesellschaft. An vorderster Front wirkte dabei Bundesjustizminister Dehler mit. In seinem Hause entstand eine Reihe von Gesetzen, die den Kommunismus bekämpfen und ein Verbot der KPD ermöglichen sollten. Am 30. August 1951 trat das erste Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft. Mit ihm wurde das politische Strafrecht mit deutlich antikommunistischer Stoßrichtung wieder eingeführt. Eine Fülle neuer Paragraphen vom Verfassungsverrat, über Staatsgefährdung und Hochverrat bis zum Verbot politischer Kontakte zur DDR sollte eine präventive Bekämpfung und strafrechtliche Verfolgung kommunistischer Überzeugungen und Aktivitäten ermöglichen. Begleitend zu den parlamentarischen Beratungen dieser und anderer Gesetze wie das über das Bundesverfassungsgericht, löste Dehler zu Beginn des Jahres 24 BGBl: I 1951, BVerfGG § 35. 25 GG: Art. 101, Abs. 1 »Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.« 26 GG: Art. 19, Abs. 4. 27 https://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/BJNR002430951.html.

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1950 erstmals eine Debatte über ein Verbot der KPD aus. Am 20. Februar 1950 erklärte er in einem Interview mit einer Berliner Zeitung, »eine der ersten Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts sei die Überprüfung der Verfassungs­ mäßigkeit der Kommunistischen Partei und aller Organisationen, die kom­ munistische Ziele verfolgten«28. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz hatte somit eine zentrale strategische Bedeutung für die Verfolgung von Kommunisten in der Bundesrepublik. Bundesjustizminister Dehler strebte von Anfang an ein verfassungsrechtlich gestütztes Parteiverbot an. Nur ein rechtliches Verbot konnte die KPD unabhängig von politischen Gezeiten dauerhaft verbieten. Die rechtlichen Grundlagen dafür sollten im BVerfGG geschaffen werden. Verfasser des Entwurfs war Willi Geiger, Leiter des Verfassungsreferats im Bundesjustizministerium, von 1951 an Senatspräsident am Bundesgerichtshof und zugleich Richter im 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts. Während der NS -Diktatur erwirkte er als Staats­ anwalt und Dezernent für Sondergerichtssachen in Bamberg mehrere Todesurteile in Bagatelldelikten und mittelschweren Strafverfahren.29 Am 12.  März 1951 trat das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht in Kraft. Sechs Monate später nahm das Gericht seine Arbeit auf. Weitere zwei Monate später beschloss die Bunderegierung, den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD zu stellen. Nach gut einem weiteren Monat, am 24. Januar 1952, griff das Bundesverfassungsgericht die Anregung der Bundesregierung auf, die gewünschten Durchsuchungen und Beschlagnahmen auf der Grundlage von § 35 BVerfGG anzuordnen. Auch diese Entscheidung, wonach § 35 und nicht etwa die Regelungen der StPO Grundlage für die Anordnung von Durchsuchungen sein sollten, war zwischen dem Verfassungsgericht und der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung im Bundesinnenministerium abgestimmt worden. »Da die Art der Vollstreckung und das Organ der Vollstreckung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt werden, wird auch diese Frage noch einer Vorbesprechung mit dem Bundesverfassungsgericht bedürfen, damit in dem Verfahren später sachdienliche Anträge gestellt werden oder Anregungen gegeben werden können.«30 Das zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht abgestimmte und von den Verfassungsrichtern am 24. Januar 1952 verfügte Durchsuchungsverfahren31 verlagerte auf die Exekutive, was in der Strafprozess­ ordnung den an den Durchsuchungsorten jeweils zuständigen Richtern, Staatsanwälten und der Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft vorbehalten 28 Europa Archiv 5 (1950), Die Ereignisse in Europa, S. 2929. 29 Justizministerium des Landes NRW, Zwischen Recht und Unrecht. Lebensläufe deutscher Juristen, S. 132 ff. 30 BArch: B 106/15544, Vermerk Min.Rat Kipp für StS v. Lex, 3.12.1951. 31 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 3, BVerfG, Durchsuchungsbeschluss, 24.1.1952.

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war. Die Verfassungsrichter delegierten ihr Anordnungsrecht auf die Innenminister der Länder. Nicht die Richter, sondern die Politiker bzw. in weiterer Delegation die Polizei und die Verfassungsschutzämter der Länder ­bestimmten jetzt, was durchsucht und beschlagnahmt werden sollte. Ausgestattet mit der Autorität des Bundesverfassungsgerichts, dem Auftrag, genügend Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen, und der Zusage, bei Rechtsverstößen, die fehlende Legitimierung durch Richterbeschluss nachzuholen, räumten die Richter der Exekutive große Spielräume ein, ohne Gefahr zu laufen, dass diese rechtlich überprüft werden könnten. Hiervon profitierten vor allem die Polizeibehörden und die Landesämter für Verfassungsschutz, die gemeinsam [sic!] mit der Durchführung der Durchsuchungen und Beschlagnahmen beauftragt wurden. Die Exekutive erhielt ausdrücklich die Befugnis, »bei Gefahr im Verzug selbständig, vorbehaltlich der Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht, zu handeln«32. Durchsucht werden sollten sämtliche Räumlichkeiten des Parteivorstands in Düsseldorf und der elf Landesleitungen der KPD »nebst den dazu gehörenden Boden-, Keller- und sonstigen Nebenräumen sowie der in diesen Räumen befindlichen Gegenstände«. Hierzu konnten auch Wohnungen gehören, auch wenn sie im Beschluss nicht ausdrücklich genannt wurden. Zu beschlagnahmen waren alle Unterlagen und Gegenstände, die sich auf die politische Tätigkeit der KPD bezogen, »da sie als Beweismittel in dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung, die Kommunistische Partei Deutschlands für verfassungswidrig zu erklären, von Bedeutung sein können«. Hierzu zählten insbesondere die Protokolle und Beschlüsse der Parteitage und sonstiger Gremien und Unterorganisationen der KPD. Ferner sollten je 20 Exemplare aller Programmschriften und Flugblätter, Rundschreiben und Richtlinien, sowie die Korrespondenz der Parteistellen, vor allem die Kassen- und Bankbücher, die Monats- und Jahresabrechnungen der KPD sowie »interne Mitteilungsblätter u. a. m.« des Partei­ vorstandes und der Landesleitungen der KPD beschlagnahmt werden. Die bei den Durchsuchungen sichergestellten Gegenstände waren »von den Polizeibehörden unverzüglich in Verwahrung zu nehmen«, jedoch nicht dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, sondern »unter Beifügung eines Berichts über die Beschlagnahme und Durchsuchung dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln zu übersenden«33. Der Clou der von den Karlsruher Richtern verfügten Durchsuchungen und Beschlagnahmen war, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts auf eine anwaltliche Beschwerde antwortete, dass eine Beschwerde gar nicht zulässig sei, 32 BVerfG-Archiv Karlsruhe: 1 BvB 2/51, S. 126 f. Höpker Aschoff an RA H. Friedrich, Wiesbaden, 28.5.1951. 33 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 3, BVerfG, Durchsuchungsbeschluss, 24.1.1952.

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»da das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen eine Beschlagnahme oder Durchsuchung nicht vorsieht«34. Ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht setzte den ansonsten für alle Durchsuchungen und Beschlagnahmen geltenden Rechtsschutz der Betroffenen außer Kraft. »Die Beschwerde«, so heißt es in der StPO, »ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügung des Vorsitzenden, des Untersuchungsrichters, des Amtsrichters und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht«35. In dem bereits zitierten Schrei­ ben des Bundesverfassungsgerichts an einen Wiesbadener Anwalt wurde das ­grundgesetzlich garantierte Beschwerderecht auf das Recht auf Dienstaufsichts­ beschwerde reduziert. »Soweit die mit der Durchführung der Durchsuchung und Beschlagnahme beauftragten Beamten die ihnen obliegenden Amtspflichten verletzt haben sollten, steht Ihnen das Recht der Dienstaufsichtsbeschwerde an die den Beamten vorgesetzte Dienstbehörde zu.«36 Mit den Beschlüssen zur Eröffnung des Verfahrens gegen die KPD und zur Durchsuchung der KPD -Parteibüros vom 24. Januar 1952 fasste das Hohe Gericht auch den Beschluss, Verfassungsrichter Erwin Stein, ehemaliger Kultusminister von Hessen und weiterhin aktives Mitglied der CDU, zum Berichterstatter für den KPD -Prozess zu benennen. Der Berichterstatter spielt »im Benehmen mit dem Vorsitzenden« eine entscheidende Rolle für ein Verfahren. Er plant, gliedert und fördert ein Verfahren und bereitet ein schriftliches Vo­ tum für die Entscheidung vor.37 Darüber hinaus war Stein der wichtigste Ansprechpartner der Bundesregierung zur Abstimmung des von der Exekutive und Judikative gemeinsam vorbereiteten Staatsprozesses gegen die KPD. Sein Gegenüber war der Chef der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung, Staatssekretär Hans Ritter von Lex. Von Beginn an arbeitete von Lex mit b ­ eiden Berichterstattern des 1. Senats, Scholtissek (SRP-Prozess) und Stein (KPD -Pro­ zess), eng zusammen, wie die gemeinsame Sitzung mit den Innenministern und Polizeireferenten der Länder zur Vorbereitung der bundesweiten Durchsuchungsaktion zeigt. Auch eine gemeinsame Sitzung zur Abstimmung und Durchführung der bundesweiten Polizeiaktion hatte Bundesinnenminister Lehr in seinem Schrei­ ben an das Bundesverfassungsgericht als »dringend notwendig« angeregt. Auch hier kam das Bundesverfassungsgericht dem Wunsch des Ministers gerne nach. Ein Termin wurde kurzfristig abgestimmt. Und wieder war es Lehr, der die Innenminister der Länder persönlich zur »Besprechung einer besonders dringen­ 34 35 36 37

BVerfG-Archiv Karlsruhe: 1 BvB 2/51, S. 126 f. Höpker Aschoff an H. Friedrich, 28.5.1951 StPO: § 304. BVerfG-Archiv Karlsruhe: 1 BvB 2/51, S. 126 f. Höpker Aschoff an H. Friedrich, 28.5.1951. BGBl: I, Geschäftsordnung BVerfG vom 2.9.1975, S. 2515, §§ 20–23.

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den Frage des Staatsschutzes« auf Montag, den 28. Januar 1952, 11 Uhr in die Räume des Bundesministeriums des Innern einlud.38 Gekommen waren allerdings nur drei Minister. Die übrigen ließen sich durch Beamte vertreten. Er­ öffnet wurde die Sitzung nicht von den anwesenden Bundesverfassungsrichtern Stein und Scholtissek, sondern vom Bundesinnenminister, der als zuständiges Mitglied der Bundesregierung zugleich Prozesspartei im KPD -Verfahren war. Über die Brisanz der Sitzung war sich Lehr durchaus bewusst. Gleich mehrfach forderte er die Teilnehmer auf, »die Angelegenheit streng vertraulich«39 zu behandeln. Als erster Redner setzte sich Verfassungsrichter Stein mit der Rechtgrundlage der geplanten bundesweiten Durchsuchungsaktion auseinander. Angesichts zahlreicher verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Barrieren, die das Grund­ gesetz, die Länderverfassungen und einzelne Gesetze, vor allem die unterschiedlichen Polizeigesetze in den Ländern errichtet hätten, sei »eine Beschlagnahme rein als polizeiliche Maßnahme nur sehr schwierig durchzuführen«. Dennoch gebe es »eine einwandfreie rechtliche Grundlage«. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) gebe »dem Gericht ziemlich freie Hand durch § 35«. Diese Bestimmung sehe vor, »dass das Bundesverfassungsgericht die Art und Weise der Vollstreckung im Einzelnen bestimmen kann«. Die besonderen Verfahrensvorschriften des BVerfGG für Parteiverbotsverfahren, die nur eine Beschlagnahme oder Durchsuchung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung erlaubte, erwähnte der Verfassungsrichter nicht. Wie und wodurch waren die zu durchsuchenden Räume zu erkennen? Wie waren Geschäftsräume von Privaträumen zu unterscheiden? Wie waren Wohnungen zu behandeln, in denen sich möglicherweise »staatsfeindliches Material« befinden konnte? Zu den Fragen der Männer aus der Praxis wussten die Herren Verfassungsrichter keinen anderen Rat als den, so viele Räume wie möglich durchsuchen zu lassen. Neben Garagen sollten auch Kellerräume »auf eventuelle Geheimkammern, Gefängniszellen und dergleichen untersucht werden«. Mutmaßungen, die nach der Aktion in keinem Polizeibericht bestätigt wurden. Immer wieder wiesen Scholtissek und Stein darauf hin, dass die Polizei »weiten Spielraum für ihre Aufgabe« habe. Hinsichtlich der Unterscheidung von Geschäfts- und Privaträumen zeigten sich die Verfassungsrichter ebenfalls recht großzügig. »Es ist Sache der Exekutive zu entscheiden, wie weit sie gehen darf. Ein Herrenzimmer in der Wohnung eines Abgeordneten, das gleichzeitig Geschäftsraum der Partei ist, kann selbstverständlich durchsucht werden. 38 BArch: B 106/15544, BMI an Innenminister (Senatoren) der Länder, 24.1.1952. Das Schreiben war »streng geheim« und »verschlüsselt« verschickt worden. 39 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 4, Besprechung am 28.1.1952, Alle folgenden Zitate beziehen sich auf das Protokoll der Besprechung vom 28.1.1952, das in Dokument Nr. B 4, S. 396–410 in voller Länge dokumentiert ist.

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Die Durchsuchung muss jedoch vor den Privaträumen des Abgeordneten Halt machen.« Verfassungsrichter Stein ging noch einen Schritt weiter. Für ihn war die Unverletzlichkeit der Wohnung weniger ein Grundrecht, als eine Auslegungssache. »Wenn Material verlagert ist, dann gibt der Beschluss auch die Ermächtigung, in Nebenräumen zu suchen. Insoweit gelten auch Wohnräume als Nebenräume von Geschäftsräumen. Die Anordnung ist nur entsprechend auszulegen.« Bei so viel Generosität der höchsten Richter war die Aufgabe der Polizei nicht leicht, Recht von Unrecht zu unterscheiden, zumal wenn es sich um Räume von Abgeordneten handelte, wie der Bundesinnenminister bemerkte. Um jedoch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geplanten Maßnahmen aufkommen zu lassen, war es spätestens hier an der Zeit, wieder an die Generalvollmacht von § 35 BVerfGG zu erinnern, mit dem nahezu alles gerechtfertigt werden konnte. Natürlich müsse »mit Takt vorgegangen werden, aber trotzdem muss einem Missbrauch der Immunität dadurch begegnet werden, dass wir auf Grund des § 35 BVGG handeln. Hier ist eine Vollmacht durch die Anordnung des Gerichts gegeben«, so Lehr, »wodurch Sie, meine Herren Kollegen in den Ländern und in den Polizeidienststellen, sowie alle von Ihnen in Bewegung gesetzten Kräfte gedeckt sind. Darauf müssen Sie sich berufen.« Auch hinsichtlich dessen, was denn nun zu beschlagnahmen sei oder nicht, erfuhren die angereisten Vertreter der Innenressorts der Länder40 wenig Konkretes. So vermerkt das Protokoll: »Das Gericht war nicht ohne Weiteres in der Lage, von vornherein die Gegenstände zu bezeichnen, die für die weitere Untersuchung von Bedeutung sein werden. Der Beschluss ist deshalb hier weiter gefasst und gibt dem Ermessen der Exekutive einen weiteren Spielraum.«41 Also war auch hier großzügig zu verfahren. Um die Polizeivertreter mit ihren Fragen nicht ganz im Stich zu lassen, war das Bundesverfassungsgericht der Ansicht, »das Bundesamt für Verfassungsschutz hinzuziehen zu sollen, weil dort genügend Experten vorhanden sind, die schon bei oberflächlicher Durchsicht unverzüglich feststellen können, ob eine Beschlagnahme notwendig ist«. Als ein Teilnehmer darauf hinwies, dass es auch hier Gesetze gäbe, nach denen dem Bundesamt, aber auch den Landesämtern für Verfassungsschutz »Exe­ kutivmaßnahmen ausdrücklich entzogen sind«, waren es wiederum die beiden Verfassungsrichter, die derartige Einwände entkräfteten. Wenn der Verfassungsschutz als »Vollzugsorgan des Bundesverfassungsgerichts« tätig werde, übe er »nur übertragene Befugnisse« aus, erwiderte Bundesverfassungsrichter 40 BArch: B106/15544. Laut Teilnehmerliste waren nur ein Minister, ein Senator und ein Staatssekretär, ansonsten nur höhere Ministerialbeamte der persönlichen Einladung des Bundesinnenministers an die Innenminister der Länder gefolgt. 41 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 4, Besprechung am 28.1.1952, Alle folgenden Zitate beziehen sich auf das Protokoll der Besprechung vom 28.1.1952, das in Dokument Nr. B 4, S. 396–410 in voller Länge dokumentiert ist.

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­Scholtissek. »Landesrechtliche Bedenken würden deswegen nicht entgegenstehen.« Er bleibe dabei: »Bereits von Anfang an können bei der Aktion Sachverständige des Verfassungsschutzamtes hinzugezogen werden. Aber auch die Polizei kann zunächst alles beschlagnahmen und dann dem Landesamt zur Prüfung übermitteln.« Richter Stein ergänzte: Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz sei geregelt, »dass alle Behörden Rechts- und Amtshilfe zu leisten haben. Darauf kann die Tätigkeit des Landesamtes gestützt werden.« Eine bemerkenswerte Rechtsauffassung der Herren Verfassungsrichter! Besagt sie doch, dass die geforderte Amtshilfe auch dann zu leisten ist, wenn diese gegen den ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes verstieß. Obwohl natürlich auch das Bundesverfassungsgericht an Recht und Gesetz gebunden war, glaubten die Richter offensichtlich, sich auch hier aufgrund § 35 BVerfGG über allgemeine gesetzliche Regelungen, insbesondere die Verfassungsschutzgesetze des Bundes und der Länder, hinwegsetzen zu können. Da bei dem Durchsuchungsmodell nach § 35 irgendjemand die Aufgabe übernehmen musste, zu entscheiden, was wert war, konfisziert zu werden oder nicht, kamen dafür nur die Polizei und/oder der Verfassungsschutz in Frage. Nach den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts sollten dies Polizei und Verfassungsschutz sogar gemeinsam tun. Abgesehen davon, dass die Verfassungsschützer überhaupt keine polizeilichen Aufgaben wahrnehmen durften, verstieß die zusätzliche Anordnung, schon mal einen Blick in das als staatsfeindlich geltende Material zu werfen, erneut gegen die StPO, die dies nur dem Richter erlaubte. Hinzu kam, dass das beschlagnahmte Material nicht im Gericht, sondern im Bundesamt für Verfassungsschutz deponiert werden sollte, wo es dem Zugriff der Exekutive und damit der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung jederzeit zur Verfügung stand. »Eine flüchtige Durchsicht muss bereits durch die Exekutivorgane übernommen werden. Die endgültige Durchsicht wird durch das Bundesverfassungsgericht beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommen.« Auf einem weiteren Gebiet übernahm das Bundesamt für Verfassungsschutz eine wichtige, quasi staatsanwaltschaftliche Funktion. Auf die Frage, ob die Polizei nicht von sich aus weitere Durchsuchungen von Räumen oder Nebenräumen vornehmen könnte, antwortete Verfassungsrichter Scholtissek: »Diese Frage ist schwer zu entscheiden, aber wohl zu bejahen.« Derartige M ­ aßnahmen müssten nachträglich richterlich genehmigt werden. Bei Verdacht auf eine strafbare Handlung wie z. B. Staatsgefährdung sei der Bundesgerichtshof, bei Verdacht auf bewusste Verlagerung von Materialien, um sie dem polizeilichen Zugriff zu entziehen, das Bundesverfassungsgericht zuständig. »Wir haben als Gericht die Bitte, dass doch in solchen Fällen entsprechende Anregungen an uns gegeben werden. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, die Beschlüsse zu ergänzen und zu erweitern.« Diese Anregungen sollten beim Bundesamt für Verfassungsschutz [sic!] gesammelt werden, »damit wiederum nur eine ein-

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malige Ergänzung und eine einmalige schlagfeste Aktion stattfinden kann. Eine Ergänzung würde wirkungslos, wenn sie sich wiederholen würde.« Bundesinnenminister Lehr zog daraus den Schluss, dass sich wohl in vielen Fällen die Gelegenheit ergeben würde, auch »gegen Dritte vorzugehen«. Da Polizei und Verfassungsschutz jedoch damit rechnen könnten, dass »das Bundesverfassungsgericht wohl auch das decken wird«, könne man »sowohl in Bezug auf Durchsicht wie in Bezug auf Beschlagnahme bei Dritten mit der nötigen Energie und Zuversicht vorgehen«. Dennoch blieben Zweifel. So forderten Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht die Vertreter der Innenressorts der Länder mehrfach dazu auf, bei den Durchsuchungen und Beschlagnahmen nicht zu zimperlich vorzugehen. »Es kann erst einmal eingeschritten und die Genehmigung dann später ein­ geholt werden.« Allerdings könne eine Durchsuchung erst angeordnet werden, »wenn wir irgendwelche Unterlagen und Verdachtsgründe haben«. Deshalb sei die Mitwirkung der Verfassungsschutzämter auch so wichtig. Den Teil­ nehmern der Durchsuchungsbesprechung im Bonner Innenministerium, deren Verun­sicherung das ausführliche Protokoll sehr gut widerspiegelt, sicherte Verfassungsrichter Scholtissek zu, sich um die rechtliche Legitimierung des ersten, großen, bundesweiten Polizeieinsatzes keine Sorgen machen zu müssen. »Aus unseren Erläuterungen werden Sie wohl entnommen haben, dass das Gericht selbst den Wunsch hat, die Anordnungen weitgehend auszulegen.« Nach dieser höchstrichterlichen Entlastung im Voraus brauchten sich Verfassungsschutz und Polizei keine Sorgen zu machen, gegen irgendwelche gesetzlichen Bestimmungen zu verstoßen. Die Verfassungsrichter würden es schon richten. Man werde »im Großen und Ganzen extensiv interpretieren müssen, um zum Erfolg zu kommen«, resümierte Bundesinnenminister Lehr erleichtert. »Sie müssen immer bedenken: Es handelt sich hier um Staatsfeinde, und bei allzu großer Zaghaftigkeit würden wir die Maulwurfsarbeit dieser Staatsfeinde unterstützen.« Wie von Bundesinnenminister Lehr vorgeschlagen, begann die bislang größte Polizeiaktion in der Bundesrepublik am 31. Januar 1952 pünktlich um 6 Uhr. Ziel waren die Partei- und Geschäftsräume von SRP und KPD. Hundertschaften von Polizei sicherten in den größeren Städten die Gebäude, während kleinere Trupps – in Düsseldorf waren es zum Beispiel »28 Kriminalbeamte«42 – in die Gebäude drangen, um nach Beweismaterial zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit von SRP und KPD zu suchen. Den größeren Aufwand verursachte die KPD, da sie bundesweit vertreten war, während die SRP nur regional einige Büroräume unterhielt. Auch private Räume, Wohnungen und Keller, sowie Büros von Abgeordneten wurden durchsucht und alle möglichen Mate42 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, Bericht und Beschwerde des KPD -Parteivorstands an das BVerfG, 5.2.1952, Anhang S. 4.

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rialien beschlagnahmt. Was die Verfassungsrichter auf Wunsch der prozessführenden Stelle der Bundesregierung detailliert aufgelistet hatten, wurde nirgendwo gefunden. Das hatten die Kommunisten längst woanders hingeschafft. Die bundesweite Polizeiaktion, die am frühen Abend des 31. Januar endete, war insgesamt ein großer Fehlschlag. Das, was auf Vorschlag des Bundesamtes für Verfassungsschutz in den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts hineingeschrieben worden war, wurde nicht gefunden. Hierzu gehörten insbesondere die Protokolle und Beschlüsse der Parteitage, der Delegiertenkonferenzen und ihrer Unterorganisationen, die Berichte und Beschlüsse des Parteivorstandes und ihrer Unterorganisationen, die Korrespondenz der Parteistellen mit Stellen der SED und auswärtigen kommunistischen Parteiorganisationen und nicht zuletzt die Kassen- und Bankbücher sowie die Monats- und Jahresabrechnungen der KPD, einschließlich des Parteivorstandes und der Landesleitungen der KPD.43 Stattdessen wurden tonnenweise bedrucktes und beschriebenes Papier, politische Broschüren, Flugblätter, Zeitungen und Plakate, Pressemitteilungen, Schulungsmaterial, Lehrbücher, Fotos und persönliche Notizen abgeschleppt und im Keller des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln deponiert. All diese Dinge hätte man viel einfacher bei jeder öffentlichen Veranstaltung der KPD mitnehmen und sichern können. Auch Geheimverliese, unterirdische Keller, Waffenlager oder sonstige Beweise für eine Gewaltbereitschaft der KPD wurden nirgendwo gefunden. Im Gegenteil: Selbst dort, wo die Polizei widerrechtlich in Wohnungen oder unter dem Vorwand der »Gefahr im Verzuge« eindrang, protestierten die Betroffenen zwar, leisteten aber keinerlei Widerstand. Überall das gleiche Bild, ob in den Berichten der Polizei über die durchgeführte Durchsuchungsaktion44 oder in den Berichten der Kommunisten aus den Regionen an den Parteivorstand der KPD: Papier, Papier, Papier. Zahllose Broschüren, Flugblätter, Arbeitsblätter und Zeitungen allerorten.45 Obwohl in dem Durchsuchungsbeschluss des Gerichts Wohnungen ausgenommen waren, bewilligte das Bundesverfassungsgericht auf zusätzliche »­ Anregung« der Prozessvertretung der Bundesregierung auch die »Durch­ suchung der Wohnungen der Mitarbeiter der KPD -Landesleitung SchleswigHolstein«46. Es folgten 18 Namen und Adressen, die allesamt das Bundesamt 43 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 3, BVerfG, Durchsuchungsbeschluss, 24.1. 1952. 44 LAV NRW R: NW 490-43, Bericht der Polizeibehörde der Stadt Düsseldorf über die Durchsuchungsaktion in Geschäftsräumen der KPD, 1.2.1952. 45 BArch: BY 1/4295, diverse Berichte über die Polizeiaktion am 31.1.1952. Siehe auch den zusammenfassenden Beschwerdebericht des KPD -Parteivorstandes an das BVerfG: BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 56–57, 5.2.1952. 46 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 6a/7, Anordnung auf Durchsuchung von 18 Wohnungen in Kiel.

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für Verfassungsschutz von seinen V-Leuten bekommen hatte. Auch aus anderen Landesteilen wie Hessen, Baden, Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen wurden entsprechende Anträge nachgereicht und umgehend vom Bundesverfassungsgericht genehmigt. Viele Durchsuchungen wurden allerdings auch ohne jede Vorankündigung durchgeführt und vom Verfassungsgericht erst nachträglich legalisiert. Am 8.  März 1952, knapp sechs Wochen nach der großen Polizeiaktion vom 31.1.1952, wandte sich das Polizeipräsidium Stuttgart an das Bundesverfassungsgericht mit der Bitte um »vorsorgliche und richterliche Bestätigung der Durchsuchungen und Beschlagnahmen, die bei zehn Mitgliedern der KPD und fünf Mitgliedern der SRP durchgeführt worden waren«. Wiederum vergingen drei Wochen, ehe das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 26. März 1952 die Verletzung der Unverletzlichkeit von mindestens 15 Wohnungen nachträglich »wegen Gefahr im Verzuge« bestätigte.47 Rechtlich korrekt war das alles nicht. Laut StPO ist für eine Beschlagnahme ohne richterliche Anordnung binnen drei Tagen die Bestätigung des Richters »nachzusuchen«48. Durch Artikel 35 BVerfGG war die nachträgliche Genehmigung »wilder« Durchsuchungen schon gar nicht gedeckt. Die vom Verfassungsgericht mehrfach praktizierte Großzügigkeit war reine Willkür. Was war der Zweck der nicht enden wollenden zahlreichen Polizeiaktionen? Die bundesweiten Durchsuchungsaktionen gegen SRP und KPD dienten in erster Linie dazu, die Beweislage für die Bundesregierung zu verbessern. Während das Ergebnis im Falle der SRP offensichtlich zufriedenstellend war, waren die dringend benötigten Urkundenbeweise in Sachen KPD mehr als dürftig. Der Verbotsantrag gegen die SRP basierte zunächst nur auf Material des Verfassungsschutzes und musste deshalb »durch Zeugenbeweis erhärtet« werden, wie Staatssekretär von Lex Justizminister Dehler erläuterte. »Die Beschlagnahmeaktion des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 1952 hat dann soviel Urkundenmaterial zutage gefördert, dass sich die Möglichkeit eröffnete, den Beweisantritt weitgehend zusätzlich auf Urkundenmaterial zu stützen.«49 Ganz stimmte das offensichtlich nicht. Zumindest im Fall der KPD mussten noch weitere Durchsuchungen beantragt und vom Verfassungsgericht genehmigt werden, da die erste bundesweite Polizeiaktion nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hatte. Die KPD hatte bereits kurz nach dem Verbotsantrag der Bundesregierung ihre Funktionäre angewiesen, »sämtliche Geschäftsstellen von Aktenmaterial zu säubern« und das in ihren Wohnungen befindliche Material »bei zuverlässigen unbedeutenden Genossen« unterzubringen. Dabei sollte dar-

47 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/S. 107, Antrag Polizeipräsidium Stuttgart an BVerfG, 8.3.1952, Beschluss des BVerfG zu dem Antrag des Polizeipräsidiums Stuttgart, 26.3.1952. 48 StPO § 98. 49 ADL: NL Dehler, N1 3341, von Lex an Dehler, 22.6.1952.

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auf geachtet werden, »dass nur Bruchteile eines Komplexes bei einer Stelle deponiert werden«50. Als Ergebnis der Durchsuchungsaktion stellte Albert Radke, führender Mitarbeiter des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), in einem Bericht an das Bundesinnenministerium nüchtern fest: »Die Aktion ist überall ohne Zwischenfälle verlaufen. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen ist es nicht gekommen. Vereinzelt haben Abgeordnete dagegen protestiert, dass ihre Räume durchsucht und ihnen gehörende Schriftstücke sichergestellt wurden.« Es sei viel Material zusammengetragen worden. Der Umfang sei bedeutend. »Über seinen Inhalt und seine Eignung zur weiteren Begründung der Klage, kann nichts gesagt werden, da das Material, soweit es bisher eingegangen ist, beim BfV in einem verschlossenen Raum verwahrt und zur Verfügung des Bundesverfassungsgerichts gehalten wird.«51 Am 24. Juni 1952 wandte sich der Chef der Prozessführungsstelle der Bundesregierung, Ritter von Lex, erneut an das Bundesverfassungsgericht und beantragte die Durchsuchung der Wohnungen von zwei engen Mitarbeiterinnen des Parteivorstandes in Düsseldorf. Als Begründung führte er an, dass inzwischen klargeworden sei, dass die KPD die im Durchsuchungsbeschluss vom 24.  Januar 1952 aufgelisteten Materialien und Unterlagen »nicht in ihren Geschäftsräumen aufbewahrt«52. Dieser Umstand drohte sowohl die Bundesregierung, als auch das Gericht in Beweisnot zu bringen. Wie sollte die KPD als verfassungswidrig verboten werden, wenn ein entsprechender »Urkundenbeweis« nicht geliefert werden konnte. Eine »vertraulich zugegangene Information« über einen V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz genügte, um die Durchsuchung der privaten Räume der beiden Mitarbeiterinnen des Parteivorstands beantragen zu können. Um einen erneuten Fehlschlag auszuschließen, bat Staatssekretär von Lex in der Antragstellung gleich darum, die Durchsuchungen auf weitere Wohnungen ausweiten zu können, wenn sich in diesen beiden Wohnungen entsprechende Hinweise auf »Auslagerungen an anderen Orten« finden würden. Im Unterschied zu den Anregungen des Ministers auf Durch­ suchung der KPD -Geschäftsräume bezeichnete sein Staatssekretär Ritter von Lex dieses Mal den Antrag auf weitere Durchsuchungen tatsächlich als »Antrag«. Da er den Antrag an das Bundesverfassungsgericht jedoch mit einem roten Stempelaufdruck »Geheim« versah, war sichergestellt, dass auch von diesem Antrag die andere Prozesspartei nichts erfahren würde.53 Das Gericht zögerte nicht, der Bundesregierung auch diesen Wunsch zu erfüllen. Falls sich bei der Durchsuchung der beiden Düsseldorfer Wohnungen 50 AdsD: SPD PV, Sekr. Fritz Heine, 2/PV AJ 0000 508. Bericht eines V-Mannes der SPD zur KPD, o. D. [Ende Dez. 1951/Anfang Jan. 1952, J. F.] 51 BArch: B 443/571, Radke an BMI, 2.2.1952. 52 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 132. 53 Ebd.

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entsprechende Hinweise auf anderen Orts gelagertes Material ergäben, so heißt es in dem Beschluss des 1. Senats des Bundeverfassungsgerichts, sei »die Durchsuchung auch auf diese Örtlichkeiten zu erstrecken und das Material sicher­ zustellen«54. Die Richter beauftragten dieses Mal nicht die örtliche Polizei mit der Durchführung, sondern das dem Bundesinnenministerium direkt unterstellte Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Die Bundesregierung konnte so viel Polizei anfordern, wie sie für nötig hielt. Der Innenminister des Landes NRW hatte genügend Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen. Die sichergestellten Gegenstände waren dieses Mal nicht vom Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern vom »Bundeskriminalamt unverzüglich in Verwahrung zu nehmen und unter Beifügung eines Berichts, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durch Kurier zu übersenden«55. Wie die Akten des BVerfG und des BMI zeigen, verstieß auch diese Aktion wieder gegen geltendes Recht, da das BKA die im Durchsuchungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts gemachten Auflagen gleich in zweifacher Hinsicht missachtete. Zum einen wurden die Durchsuchungen und Beschlagnahmen nicht, wie der Beschluss des Gerichts vorsah, zunächst in den Wohnungen der beiden KPD -Mitarbeiterinnen durchgeführt, sondern von Anfang an in 13 verschiedenen Wohnungen gleichzeitig. In dem Bericht des BKA über die Durchführung der Polizeiaktion heißt es: »Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungs­ gerichts vom 26.6.1952 nahmen Beamte des Bundeskriminalamtes in den frühen Morgenstunden des 12.7.1952 etwa gleichzeitig an folgenden Stellen Durchsuchungen vor …«56. Es folgt die Auflistung von 13 Wohnungen, an deren Ende erst die Namen der beiden Mitarbeiterinnen des Parteivorstands der KPD auftauchen, gegen die die Prozessführende Stelle der Bundesregierung die Durchsuchungen beantragt hatte. Für die gleichzeitige Durchsuchung von 11 weiteren Wohnungen gab es keinen richterlichen Beschluss. Sie war damit rechtswidrig. Nicht nur die Aktion selbst, sondern auch das auf diese Weise beschaffte Material war im juristischen Sinne »unrechtmäßig beschafftes Beweismaterial«. Zum andern lieferte das BKA nicht das gesamte beschlagnahmte Material beim Bundesverfassungsgericht ab, sondern behielt einiges ohne Begründung zurück. »Am 16. Juli 1952 wurde das beschlagnahmte Material an das Bundes­ verfassungsgericht abgeliefert, ausgenommen die unter Ziffer 7 genannten, auf dem Grundstück Düsseldorf, Rotterdamer Straße 327, beschlagnahmten Gegenstände. Diese wurden vom Bundeskriminalamt in Verwahrung genommen und stehen auf Anforderung zur Verfügung.«57 Auch die Auflage, mit 54 55 56 57

KPD -Prozess. Dokumentarwerk, BVerfG, Beschluss vom 26.6.1952, S. 64 f. Ebd., S. 65. BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 164. Ebd., S. 165.

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Ablieferung des beschlagnahmten Materials einen Bericht über die durch­ geführten Maßnahmen »durch Kurier zu übersenden« erfüllte das BKA nicht. Am 6.  Dezember 1954, die mündlichen Verhandlungen im Verfahren gegen die KPD waren bereits in vollem Gange, musste das BKA durch Verfügung des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts mit dem handschriftlichen Zusatz »Eilt sehr!« aufgefordert werden, »einen Bericht über die aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 26. Juni 1952 vorgenommenen Durchsuchungen und Beschlagnahmen vorzulegen«58. Erst am 31. Dezember 1954, zweieinhalb Jahre nach der Düsseldorfer Durchsuchungsaktion, schickte das BKA den längst fälligen Bericht an das Verfassungsgericht.59 Auch dadurch wurde gegen geltendes Recht verstoßen. Wenn eine Beschlagnahme durch die zuständige Staats­ anwaltschaft erfolgt, heißt es in der StPO, »so ist binnen drei Tagen dem Richter von der Beschlagnahme Anzeige zu machen; die beschlagnahmten Gegenstände sind ihm zur Verfügung zu stellen«60. Und wie heißt es in § 42 BVerfGG? »Vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts … werden mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.«61 Eine Bestimmung, wonach eine derartige Regelung nur für Kommunisten und nicht für Kriminalbeamte gilt, ist im Bundeverfassungsgerichtsgesetz nicht zu finden. Von welchem Wert die am 12.  Juli 1952 beschlagnahmten Materialien für die Beweisführung der Bundesregierung waren, ließ sich nicht ermitteln. Nach Durchsicht des langen Verzeichnisses der beschlagnahmten Gegenstände scheint es sich wieder um eher belanglose Dinge gehandelt zu haben. Ein interner Bericht der KPD über die Düsseldorfer Beschlagnahmen vom 12.  Juli 1952 kam allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die Polizeiaktion habe sich ausschließlich »gegen die illegalen Büros und Ablageräume des PV [Parteivorstandes,  J. F.] sowie auch gegen die zentralen Ablagestellen der Massen­ organisationen und Massenbewegungen »gerichtet«. Dabei sei dem Bundesverfassungsgericht »äußerst wichtiges Material in die Hände gefallen«, wodurch »die Durchführung des Prozesses gegen die KPD, mit dem Ziel des Verbotes, wesentlich erleichtert«62 werde. Auch nach diesen Durchsuchungen waren die Geschäftsräume der KPD in Düsseldorf immer wieder Ziel von Polizeiaktionen, so auch am 12.  Oktober 1954, gut einen Monat vor Beginn der mündlichen Verhandlungen im Verfahren gegen die Partei. Die Durchsuchung erfolgte auf Antrag der Oberstaats­ anwaltschaft Düsseldorf, die wiederum auf Weisung des Oberbundesanwalts beim Bundesgerichtshof Karlsruhe handelte. Der zuständige Amtsrichter ge58 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 163, Verfügung BVerfG an BKA , 6.12.1954. 59 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/58, S. 164–177, Bericht BKA an BVerfG, 31.12.1954. 60 StPO: § 98, 3.  61 BGBl: I, 1951, S. 243–253. 62 BArch: BY 1/472, KPD, Bericht über die Durchsuchungen, 13.8.1952.

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nehmigte die Durchsuchung, die am 12. Oktober 1954 in verschiedenen Räumlichkeiten des Parteivorstandes und der Landesleitung einschließlich eines Druckereibetriebes der KPD, durchgeführt wurden. Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen stellte 50 Beamte des 14.K. [Politische Abteilung der Kriminalpolizei, J. F.] und zusätzlich eine Hundertschaft der Polizei zur Sicherung des Gebäudes zur Verfügung. Grund für die Durchsuchung war, dass die KPD dabei war, zwei Broschüren durch Postversand zu verteilen, eine über den »Bundesgerichtshof, 6. Strafsenat, in Sachen Volksbefragung«, eine zweite über »Die neue Lage und die Aufgaben der Partei«. Diese Druckschriften waren nach Ansicht von Innenminister Franz Meyers »ihrem Inhalte nach staatsgefährdend. Sie haben offensichtlich den Zweck und das Ziel, Bestrebungen hervorzurufen und zu unterhalten, die geeignet sind, den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden«. Die Staatsgefährdung bestand darin, dass ein anhängiges Verfahren gegen Neumann und andere Kommunisten vor dem BGH als »Terrorprozess im Auftrage der Bonner Regierung« und Belastungszeugen als »präpariert« bezeichnet worden waren und die Bundesregierung verunglimpft worden sei.63 Nicht nur diese Broschüren, sondern auch eine große Menge weiteren KPD Materials wurden beschlagnahmt. Soweit sie als Beweismaterial für Strafverfahren brauchbar waren, wurde ihre Beschlagnahme »richterlich bestätigt«. Der Rest des Materials wurde nicht den Eigentümern zurückgegeben, sondern dem Bundesverfassungsgericht angeboten, da es »eventuell für die politische Tätigkeit der KP aufschlussreich sei«. Als Rechtsgrundlage für die Zusendung, so der Polizeipräsident von Düsseldorf an das Karlsruher Gericht, diene der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.  Juni 195264. Den zweieinhalb Jahre alten Beschluss als Rechtsgrundlage anzuführen, ging dem Verfassungsgericht nun doch zu weit. Der erwähnte Beschluss »deckt die Beschlagnahme der übersandten Gegenstände nicht«. Es sei auch nicht beabsichtigt, »einen neuen Beschluss über die Beschlagnahme dieser Gegenstände zu fassen«65. Eine Verwendung des angebotenen Düsseldorfer Materials für die Beweisführung im KPD -Prozess wäre demnach rechtswidrig gewesen. Mit der Ablehnung der »Düsseldorfer Materialien« durch das Bundesverfassungsgericht, war die Angelegenheit keineswegs beendet. Zu einer gesetzwidrigen Affäre wurde sie erst, als die Unterlagen vermutlich durch die Oberbundesanwaltschaft auch der prozessführenden Stelle der Bundesregierung zur Einsichtnahme und Auswertung angeboten wurden. Es erscheine möglich, heißt es in einem Vermerk der Prozessvertretung in Karlsruhe, dass das beschlagnahmte Material »zur Ergänzung der Dokumentensammlung« bzw. 63 LAV NRW R: NW 1208 Nr. 16, Landesinnenminister Franz Meyers an Ministerpräsident Karl Arnold, 6.10.1954. 64 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S.  161. Polizeipräsident Düsseldorf an BVerfG Karlsruhe, 15.11.1954. 65 Ebd., S. 162.

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»zum Beweisvorbringen der Bundesregierung« von Wert sein könnte. In diesem Fall wäre eine Beschaffung des fraglichen Materials möglich.«66 In einem handschriftlichen Zusatz entschied Ministerialdirigent Hopf (BMI), Stellvertretender Leiter der Prozessführungsstelle: »Ich bitte, das Material, soweit es für den Prozess wertvoll ist, anzufordern.«67 Da mit »Material«, jetzt das gesamte Material gemeint war, das in Düsseldorf beschlagnahmt, in zahlreiche Pakete verpackt und mit einem Lastwagen zum BGH nach Karlsruhe transportiert worden war, war wieder einmal eine unübersehbare Menge bedruckten Papiers zu sichten und auszuwerten. Angesichts der Fülle des Materials forderte die Prozessvertretung Amtshilfe vom Landeskriminalamt Stuttgart an. Zwei Kriminalbeamte wurden abgeordnet, um an einem Wochenende in den Räumen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die entsprechende Durchsicht und Auswertung der Materialien vorzunehmen. In ihrem Bericht heißt es: »Die Durchführung der Auswertung, die in den Diensträumen der Bundesanwaltschaft stattfand, gestaltete sich dadurch außergewöhnlich zeitraubend, dass neben dem ordnungsgemäßen Öffnen und Verschließen der einzelnen Pakete, diese ungeordnet in größeren Paketen untergebracht waren, die sämtlich geöffnet, durchsucht und wieder verschlossen werden mussten.« Sämtliche »für relevant gehaltenen Einzelvorgänge« mussten fotokopiert werden. »Der Beweisantritt dürfte nur durch Vorlage einer Ablichtung und Angabe der vorbezeichneten Akten des Amtsgerichts Düsseldorf rechtlich unanfechtbar durchzuführen sein.«68 Auch bei diesem Vorgang dürfte es sich wieder um eine schwere Verletzung geltendes Recht gehandelt haben, zumal der zuständige Richter, kein Geringerer als der Präsident des Bundesverfassungsgerichts persönlich, die Annahme des Materials aus rechtlichen Gründen ausdrücklich zurückgewiesen hatte. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Prozessführungsstelle der Bundesregierung unter Beihilfe der Bundesanwaltschaft und des Landeskriminalamts Stuttgart des angebotenen Materials bemächtigt hat, um es als Beweismaterial in den Staatsprozess gegen die KPD einzuführen. Inwieweit dies tatsächlich geschehen ist, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls wurden die Düsseldorfer Materialien als sechste Quellengruppe unter der Bezeichnung »Düsseldorfer Pakete« in die Registratur der Prozessvertretung des Bundesministeriums des Innern aufgenommen.69 Wie dem auch sei, zeigt der Vorgang doch, dass die Exekutive wieder einmal bereit war, bis an die Grenzen des Rechtsstaates und 66 BArch: B 106 I/116, Vermerk Degenhardt an Min.Dirg. Hopf, Min.Rat Gecks, Rechtsanwalt Dr. Kalsbach, 20.1.1955. 67 Ebd., handschriftlicher Zusatz Hopf, 21.1.1955. 68 Ebd., Vermerk Barthold, Prozessvertretung BMI, 7.2.1955. 69 Ebd., Vermerk Barthold, 7.2.1955. Anhang: Verzeichnis der Stichworte und Verteilung der Materialbearbeitung.

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darüber hinaus zu gehen, um an welche Beweismittel auch immer zu gelangen. Offensichtlich wurde die Prozessvertretung der Bundesregierung auch nach Beginn der mündlichen Verhandlungen immer noch von der Furcht geplagt, nicht genügend Material zu haben, um den Urkundenbeweis für die Verfassungswidrigkeit der KPD führen zu können. Nachdem Otto John, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, im Sommer 1954 in die DDR gewechselt war und dadurch die sog. John-­Affäre ausgelöst hatte, erhöhte die Bundesregierung wieder den Druck auf das Bundesverfassungsgericht, den Staatsprozess gegen die KPD durch eine baldige Eröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschleunigen. Am 22.  September 1954 setzte der neue Vorsitzende des 1. Senats, Josef Wintrich, die Eröffnung der mündlichen Verhandlungen auf den 23. November 1954 fest.70 Knapp eine Woche nach Festsetzung des ersten Verhandlungstermins kamen am 29. September 1954 in Karlsruhe der Berichterstatter für den KPD -Prozess, Bundesverfassungsrichter Stein und Regierungsrat Barthold (BMI) zusammen, um die Hauptverhandlung gegen die KPD vorzubereiten und detailliert miteinander abzustimmen. Das Ergebnis dieses Gespräches wurde in einem 16 Seiten umfassenden, »Streng Geheim« klassifizierten protokollarischen Vermerk festgehalten.71 Bei dem Barthold-Vermerk vom 2.  Oktober 1954 über sein Abstimmungsgespräch mit Bundesverfassungsrichter Stein am 28. September 1954 in Karlsruhe handelt es sich um ein Schlüsseldokument für den historischen Beweis der Verfassungswidrigkeit des Staatsprozesses gegen die KPD. Besprochen wurden wichtige Fragen des Verfahrens, von der technischen und organisatorischen Vorbereitung, über die Auswahl von Sachverständigen und Zeugen, die Teilnahme von Mitgliedern des KPD -Vorstands, bis zu Aufträgen des Berichterstatters Stein zur Klärung bestimmter inhaltlicher Fragen wie die Finanzierung der Partei oder prozesstaktische Fragen und Vorgehensweisen. Um eine schnelle, unkomplizierte und regelmäßige Kontaktaufnahme zwischen den Vertretern und Mitarbeitern des Gerichts und der Bundesregierung zu ermöglichen, räumte das Bundesverfassungsgericht in seinem Dienstgebäude der Prozessvertretung der Bundesregierung »als Arbeitsraum die bereits bekannten in einander gehenden großen Zimmer im ersten Stockwerk nach der Karlstrasse ein«72. Aus den Prozessakten geht ferner hervor, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des 1. Senats während des KPD -Prozesses in derselben Pension untergebracht war wie Ministerialrat Gecks, Mitglied der Prozessvertretung der Bundesregierung. Die räumliche Nähe wurde offensichtlich gerne genutzt, um wichtige Dinge zwischen »Tür und Angel« auszutau70 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Band 1, S. 68. 71 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Vermerk Barthold, 28.9.1954. 72 Ebd., Punkt B 10.

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schen, wie der Vermerk über ein als »Streng Geheim« klassifiziertes Gespräch zwischen Wintrich und Gecks in der gemeinsamen Pension zeigt.73 In der Frage der Sachverständigen und Zeugen plädierte Stein dafür, gleich mehrere Sachverständige hinzuzuziehen, die sich in Sachen »Weltkommunismus« auskannten. Barthold reagierte darauf eher zurückhaltend und skeptisch, um den Prozess nicht »über das rechtlich unbedingt Notwendige hinaus auszuweiten«, zumal »in politischen Prozessen erfahrungsgemäß Sachverständigen-Gutachten Beweismittel seien, deren Wert höchst problematisch«74 sei. Genannt wurde eine Reihe bekannter Personen, unter ihnen Richard Löwenthal, Klaus Mehnert, Boris Meissner und Ossip Kurt Flechtheim. Einige stießen von vornherein bei dem Oberregierungsrat auf Ablehnung. Andere wie Richard Löwenthal sollten erst vom Verfassungsschutz überprüft werden, erwiesen sich dann allerdings als zuverlässige und langjährige Mitarbeiter des Inlandgeheimdienstes. Grundsätzlich war die Bundesregierung weniger an Gutachtern als an Zeugen interessiert, vor allem an solchen, die aus der DDR gekommen waren. Als Top-Zeugen galten Georg Wilhelm Jost, führendes Mitglied des Nationalrats der Nationalen Front in der DDR , und Heinz Lippmann, Stellvertreter Erich Honeckers in der Leitung der FDJ. Lippmann werde gerade von einem Untersuchungsrichter des BGH vernommen. Die Vernehmung könne auch einiges für das laufende KPD -Verfahren erbringen. Zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Untersuchungsrichter am BGH Claus sei vereinbart worden, dass bei der Vernehmung auch darauf geachtet werde. Um die für das laufende Verfahren besonders wichtigen Punkte herauszuarbeiten, werde es in Kürze im Bundesamt für Verfassungsschutz ein Arbeitstreffen geben. An dieser Besprechung würden neben Landgerichtsrat Strickert vom Bundesverfassungsgericht, Ministerialrat Gecks und Oberregierungsrat Barthold von der Prozessvertretung der Bundesregierung teilnehmen.75 Hinsichtlich des Ablaufs des Verfahrens gegen die KPD erwartete das Gericht, dass zu Beginn der mündlichen Verhandlungen Staatssekretär von Lex »ein Eröffnungs-Plädoyer allgemeiner Art über die Verfassungswidrigkeit und besondere Gefährlichkeit der KPD für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hält und die Problemkreise kurz umreißt«. Die Einzel­ heiten solle anschließend Rechtsanwalt Dix von der Prozessvertretung der Bundesregierung näher ausführen. Danach werde die KPD zu Wort kommen und ihre Beweisanträge einbringen. An den folgenden Tagen werde über die einzelnen Problemkreise gesprochen werden. Für die Behandlung eines Problemkreises erwarte das Gericht, »dass zunächst Dr. Dix hierzu einen Vortrag hält, worauf die KPD antwortet, die Bundesregierung dann die Beweismittel 73 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 16, 19.11.1954. 74 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Vermerk Barthold, 28.9.1954, Punkt II, 2. 75 Ebd., Punkt IV, 3.

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einführt, z. B. vorschlägt, einen Sachverständigen zu hören. Zum Schluss fasst Dr. Dix die Stellungnahme der Bundesregierung zusammen.«76 Ferner erwartete das Verfassungsgericht, dass die Bundesregierung für die Eröffnung des Verfahrens einen Schriftsatz vorbereite. Dieser solle vorab mit dem Bundesverfassungsgericht abstimmt werden. Außerdem sei es erforderlich, so der weitere Auftrag, den Barthold aus Karlsruhe mitbrachte, »den Entwurf dieses Schriftsatzes, der die Gliederung des Sachvortrages der Bundesregierung, d. h. ihre Beweisführung zu enthalten haben wird, anhand des in Karlsruhe liegenden Materials anzufertigen, weil gleichzeitig geprüft werden muss, ob unsere Akten mit denen des Gerichts übereinstimmen und nur dort Rückfragen bei dem Mitarbeiter des BE [Berichterstatters, J. F.] möglich sind«77. Weitere wichtige Fragen, die zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung verhandelt und abgestimmt wurden, waren die Erledigung von Arbeitsaufträgen des Berichterstatters zur Beschaffung wichtiger Informationen über die KPD, die Mitwirkung der Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht und die Gewährung sicheren Geleits für Mitglieder des Parteivorstands der KPD zur Teilnahme am mündlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Was die Erledigung von Arbeitsaufträgen anbetraf, so hatte Richter Stein bereits 1953 bei verschiedenen geheimen Besprechungen um bestimmte Gefälligkeiten gebeten, um an Informationen über die Gesellschafter kommunistischer Betriebe heranzukommen. Eines dieser Gespräche fand am 29. September 1953 im Bundesverfassungsgericht Karlsruhe statt. Neben Bundesverfassungsrichter Stein und Landgerichtsrat Strickert nahmen je zwei Ministerialbeamte des Bundesfinanzministeriums, Senftleben und Behnke, und des Bundesinnenministeriums, Gecks und Barthold, sowie Günther Nollau vom Bundesamt für Verfassungsschutz teil. Zunächst berichtete Ministerialrat Senftleben über die Erledigung des Auftrags, den er von Verfassungsrichter Stein bekommen hatte. Unter dem Vorwand von Steuerprüfungen sollten Informationen über die Gesellschafter der Hansa-Grundstücksgesellschaft mbH, der Westdruck GmbH und der Rheinisch-Westfälischen Volksdruckerei beschafft werden. Die genannten Firmen seien inzwischen »steuerlich überprüft worden«, so Senftleben. »Die Prüfung habe ergeben, dass die Gesellschafter dieser Firmen vorgeschobene Personen seien. Die bei der Gründung von ihnen gezeichneten Kapitalbeiträge, hätten sie nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können, sie müssten ihnen zur Verfügung gestellt worden sein. Bei der ›Hansa‹ sei dies urkundlich nachweisbar der PV der KPD gewesen.«78 Der Verfassungsrichter betonte, »dass 76 Ebd., Punkt IV, 7. 77 Ebd., zu B I, 7 u. 8.  78 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 5, Vermerk Gecks, 29.9.1953.

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noch weitere im Dienste der KPD stehende Gesellschaften steuerlich zu prüfen seien, die, ebenfalls urkundlich nachgewiesen, vom PV bzw. den zuständigen Landesleitungen der KPD über vorgeschobene Personen finanziert und dirigiert werden.« Er nannte vier Druckereibetriebe in München, Stuttgart, Hamburg und Mainz. Stein bat darum, »diese Prüfungen so beschleunigt durchzuführen, dass sie bis zum 10.11.1953 abgeschlossen seien«. Erneut wies der Verfassungsrichter darauf hin, dass die Steuerprüfung nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck sei. »Die steuerliche Überprüfung der im Dienste der KP stehenden Gesellschaften, hält BR Stein für notwendig, um Aufschluss über die Finanzierung der KP zu gewinnen, und um bereits im Urteil dieses Vermögen einzuziehen«79. In der Folgezeit mussten die von Stein in Auftrag gegebenen »Steuerprüfungen« wiederholt angemahnt werden. Der Verfassungsrichter hatte bezeichnenderweise die gewünschten Informationen nicht in einem offiziellen Schreiben an den Bundesfinanzminister, gleichsam als »Amtshilfe« eingefordert, dafür war die Angelegenheit zu heikel, sondern auf der Beamtenebene mehrfach »angeregt«. In der geheimen Unterredung mit Oberregierungsrat Barthold, ein Jahr später am 29. September 1954, kam er erneut auf das Thema zu sprechen. Inzwischen gehe es nicht mehr darum, Voraussetzungen für eine spätere Einziehung des Vermögens der KPD zu schaffen, sondern darum, »die Gefährlichkeit des kommunistischen Vorgehens auch durch die Darstellung des finanziellen Einsatzes dieser Partei zu dokumentieren«80. Eine weitere wichtige Frage war die nach der Mitwirkung der Bundesanwalt­ schaft im KPD -Verfahren. Auch hier wurde juristisches Neuland betreten, da es einen weisungsgebundenen Bundesanwalt der Bundesregierung am Bundes­ verfassungsgericht natürlich nicht gab und auch nicht geben konnte, weil es dem Grundverständnis des höchsten Gerichts als eines eigenständigen Verfassungsorgans zutiefst widersprochen hätte. Dass die Bundesregierung das anders sah, wurde bereits dargestellt. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass der damalige Bundesjustizminister Dehler schon bei der Vorbereitung des Verbotsantrags dem damaligen Bundesinnenminister Lehr zusicherte, »dass ein Vertreter der Bundesanwaltschaft bei der Vertretung der Bundesregierung im KP-Prozess mitwirken und vor allen Dingen zur Vorbereitung der KP-Klage zur Verfügung gestellt werde«81. Der Oberbundesanwalt bzw. Generalbundesanwalt, wie er seit Anfang der Sechzigerjahre heißt, ist am Bundesgerichtshof in Karlsruhe angesiedelt. Er vertritt die Interessen des Staates am höchsten Zivil- und Strafgericht der Bundesrepublik. Der Oberbundesanwalt ist ein Mann der Exekutive, nicht der Judikative, und untersteht den Weisungen des Justizministers. Dieser ist wiederum 79 Ebd. 80 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Vermerk Barthold, IV. 4, S. 10. 81 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 9, Vermerk Kleinknecht, 29.9.1954.

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eingebunden in die Kabinettsdisziplin. Entscheidungen der Bundesregierung wirken somit über den Oberbundesanwalt mittelbar auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ein. Nach dem Legalitätsprinzip (Verfolgungszwang) muss er schwere Gewaltverbrechen, terroristische Anschläge, aber auch bestimmte politische Straftaten, wie Hochverrat, Landesverrat, Staatsgefährdung etc. verfolgen. Aus Opportunitätsgründen kann er darüber hinaus bestimmte Verfahren an sich ziehen. Der Oberbundesanwalt war und ist der Chefankläger in politischen Strafsachen. Auf seine in politischen Strafprozessen erworbenen Kenntnisse, sein prozessrechtliches und prozesstaktisches Knowhow wollte die Prozessvertretung der Bundesregierung im KPD -Verfahren nicht verzichten. Hinzukam, dass er das Beziehungsgeflecht zwischen BGH und BVerfG, die wechselseitigen Wertschätzungen und Konkurrenzen, Vorbehalte und Animositäten zwischen den Richtern beider Großgerichte aus nächster Nähe kannte. So schien der Oberbundesanwalt bzw. einer seiner Bundesanwälte besonders geeignet zu sein, sowohl als »Chefberater« des Leiters der Prozessführenden Stelle, Staatssekretär Ritter von Lex, als auch als »Chefmoderator« zu fungieren, um die verschiedenen Interessenlagen von Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof auszuloten und auszutarieren. Der Mann, der hierfür am besten geeignet schien, war Bundesanwalt Max Güde. »Dieser kennt den politischen Stoff aus seiner langjährigen Tätigkeit in der politischen Abteilung der Bundesanwaltschaft und verfügt über reiches verfahrensrechtliches und verfahrenstaktisches Können. Außerdem kennt er die Richter des Bundesverfassungsgerichts und erfährt auf diese Weise leichter als ein anderer von den Problemen, die im Senat entstehen, und von Ansichten, mit denen gerechnet werden muss.«82 Da es in wichtigen Personalfragen zwischen den Beteiligten immer gewisse Präferenzen und Animositäten gibt, so auch zwischen Bundesministerien oder innerhalb der Bundesanwaltschaft, war der Weg für Max Güde frei, nachdem sich Ritter von Lex noch einmal sehr klar für Güde ausgesprochen hatte. In einem sprachlich nicht gerade gelungenen, sachlich aber korrekten Vermerk hielt Theodor Kleinknecht, Referatsleiter im Bundesjustizministerium, das soeben erzielte Ergebnis fest: »Ich habe am 25.10.1954 die Frage, ob BA Güde oder BA Wagner Herrn Staatssekretär R. v. Lex für die Verfassungsklage zur Verfügung gestellt werden solle, mit Staatssekr. R. v. L. eingehend besprochen. Er bat mich anschließend, Herrn OB (= OBA, J. F.) zu verständigen, dass es bei der Gestellung von Herrn Güde, die Herr StSekr. Strauß zugesagt hätte, verbleiben möge. Am 26.10. habe ich Herrn OB fernmündlich verständigt.« Als teils offizieller, teils geheimer Diplomat der Bundesregierung an den beiden großen Gerichtshöfen in Karlsruhe sollte Bundesanwalt Güde schon bald Gelegenheit haben, in der Frage des sicheren Geleits sein diplomati-

82 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 12, Vermerk Kleinknecht, 12.10.1954, S. 3.

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Die Geheimabsprachen

sches Geschick unter Beweis zu stellen. Hiermit wurde eine weitere Eskalationsstufe der Geheimabsprachen zwischen der Bundesregierung und der an sich unabhängigen Justiz erreicht. Im Herbst 1954, wenige Wochen vor Eröffnung des mündlichen Verfahrens gegen die KPD, entwickelte sich die Frage eines sicheren Geleits für mit Haftbefehl gesuchte oder bereits inhaftierte Vorstandsmitglieder der KPD zu einer hochbrisanten Frage. Zum Hintergrund: Am 2. November 1952 hatte der Vorstand der KPD auf Weisung der SED, ein »Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« verabschiedet, in dem »zum Sturz des AdenauerRegimes und damit zur Beseitigung der entscheidenden Stütze der Herrschaft der amerikanischen Imperialisten in Westdeutschland« aufgerufen wurde. Am 6. Mai 1954 wurden Horst Reichel und Herbert Beyer, Kreissekretäre der KPD aus Salzgitter, vom BGH wegen der Verbreitung des »Nationalen Programms«, die die Richter des 6. Senats als Vorbereitung zum Hochverrat werteten, zu drei bzw. eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.83 Eine Woche später befasste sich das Bundeskabinett mit der Frage, welche Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen seien. Das Legalitätsprinzip fordere, dass nun auch gegen Mitglieder des Parteivorstands strafrechtlich vorgegangen werden müsse, meinten die einen. Andere, wie Staatssekretär Globke vom Kanzleramt, warnten davor, die Kommunisten kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen zu Märtyrern zu machen. Im Ergebnis hielt das Kabinett es für richtig, »dass der Oberbundesanwalt angewiesen wird, Haftbefehle gegen die Beschuldigten zu beantragen, soweit sie nicht durch Immunität geschützt sind«84. Zu den Mitgliedern der Kommission, die das »Nationale Programm« ausgearbeitet hatten, gehörte auch Max Reimann, der Parteivorsitzende der KPD. Nach der verlorenen Landtags­ wahl am 27.  Juni 1954 in Nordrhein-Westfalen, verloren auch die Abgeord­ neten Max Reimann und Josef Ledwohn ihre Immunität. Gegen beide erließ der Oberbundesanwalt Haftbefehl. Ledwohn wurde verhaftet, Reimann entzog sich der Verhaftung durch Flucht in die DDR .85 Am 22. September 1954 traf sich Bundesverfassungsrichter Stein mit Rechtsanwalt Böhmer von der Prozessvertretung der KPD. Dabei kam die Sprache darauf, »dass für die Prozessbevollmächtigten der KPD die Anwesenheit von Herrn Reimann in der Verhandlung sachdienlich sein könnte«86. In den nachfolgenden Geheimgesprächen des Verfassungsgerichts mit Vertretern der Bundesregierung, wies Stein immer wieder darauf hin, dass eine Teilnahme von Max Reimann »bei Gericht« unerlässlich sei. Neben Reimann sollten weitere Vorstandsmitglieder teilnehmen. Infrage kämen Fritz Rische, der zurzeit in Un83 84 85 86

Hochverrat und Staatsgefährdung: Urteile des Bundesgerichtshofes, Band 1, S. 74–107. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung: 12.5.1954. BArch: B 136/1754, Schreiben OBA Wiechmann, 10.8.1954. KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 91.

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tersuchungshaft saß, und Walter Fisch, gegen den die Untersuchungshaft wegen Krankheit ausgesetzt war. Die Absicht des Verfassungsgerichts stieß in der Bundesregierung sowohl auf rechtliche, als auch auf politische Bedenken. Welches Gericht war für die Gewährung sicheren Geleits überhaupt zuständig? Das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesgerichtshof, der die Inhaftierung Reimanns angeordnet hatte? Wer konnte überhaupt einen Antrag auf freies Geleit stellen? Max Reimann persönlich? Der Oberbundesanwalt am Bundesgerichtshof? Oder gar die Bundesregierung? Nach § 295 StPO konnte freies Geleit gewährt werden und zwar von dem zuständigen Gericht, also dem BGH. Bevor das Bundesverfassungsgericht den Anwälten der KPD irgendeine Zusage machen konnte, musste erst einmal, wie es im Bundesjustizministerium hieß, »in geeigneter Form mit dem Herrn Vorsitzenden des 6. Strafsenats die Frage erörtert werden, ob und vor allen Dingen mit welchen Einschränkungen und unter welchen Bedingungen mit der Gewährung des freien Geleits gerechnet werden kann«87. Einen entsprechenden Antrag konnte nur der Oberbundesanwalt stellen. Da dieser an die Weisung der Bundesregierung gebunden war, war vorher zu klären, ob die Bundesregierung überhaupt bereit war, den Oberbundesanwalt anzuweisen, einen Antrag auf ­sicheres Geleit zu stellen? Würde der BGH sich im Sinne der Bundesregierung oder im Sinne des Bundesverfassungsgerichts entscheiden, wenn der Oberbundesanwalt einen entsprechenden Antrag nicht befürworten würde? Das Bundesverfassungsgericht blieb dabei, Reimann müsse die Gelegen­ heit bekommen, persönlich an dem Verfahren gegen die KPD teilnehmen zu ­können. Die Teilnahme der beiden anderen Mitglieder des Parteivorstandes der KPD, Fisch und Rische, war von deutlich geringerer Bedeutung. »Falls das sichere Geleit für Reimann nicht zugesichert werde«, war laut Stein »zu be­ fürchten, dass der Prozess nicht durchgeführt werden könne«.88 Achtung und Ansehen des höchsten Gerichts stünden auf dem Spiel. »Bei der Bedeutung, die der Prozess nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus hat, soll dem Einwand, die KP hätte sich nicht genügend vertreten können, oder es sei ihr kein genügendes rechtliches Gehör gewährt worden, von vornherein der Boden entzogen werden.« Im Übrigen gelte gleiches Recht für alle. »Im SRP-Prozess vor dem BVerfG waren die Vorstandsmitglieder als Auskunftspersonen ge­ laden und angehört worden. Wegen der Ähnlichkeit der beiden Prozesse sollte im KP-Prozess das gleiche Verfahren angewendet werden. Das BVerfG hält ­daher die Ladung des 1. Vorsitzenden der KP für geboten.« Andernfalls sei damit zu rechnen, dass das Verfahren immer wieder unterbrochen und verzögert werden würde. »Es wäre auch mit dem Antrag zu rechnen, das Verfahren auszusetzen, bis ein neuer Vorstand der KPD eingesetzt ist. Diese zu erwartenden 87 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 9, 29.9.1954. 88 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 11, 8.10.1954.

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­ inwendungen und Anträge würden den Senat wahrscheinlich veranlassen, E das Verfahren auszusetzen.« Die Frage, ob »die Gewährung des freien Geleits für Reimann vom Senat als eine Art Conditio sine qua non«89 für die Durch­ führung des KP-Prozesses betrachtet werde, wurde von Bundesverfassungs­ richter Stein klar und eindeutig bejaht. »Falls das sichere Geleit für Reimann nicht zugesichert werde, sei zu befürchten, dass der Prozess nicht durchgeführt werden könne.«90 Die Richter des 1. Senats waren offenbar gewillt, eine letzte hohe Hürde aufzubauen, um das vielen Richtern Angst einflößende Verfahren aus formalen Gründen doch noch einstellen zu können. Wo lag die Lösung des Konfliktes? Die Verfassungsrichter zeigten sich entschlossen, das Verfahren gegen die KPD platzen zu lassen, wenn Reimann kein sicheres Geleit bekäme. Die Bundesregierung machte dagegen vor allem poli­ tische Gründe geltend, um die »Staatsautorität nicht zu beschädigen«. Der Prä­ sident des 6. Strafsenats des BGH Friedrich-Wilhelm Geier war zur Gewährung sicheren Geleits prinzipiell bereit, jedoch nur, wenn die Bundesregierung einen entsprechenden Antrag des Oberbundesanwalts unterstützte. Der rechtsstaatlich korrekte Weg war den beteiligten Akteuren, wie die Akten zeigen, durchaus bewusst. »Da eine Bundesanwaltschaft beim BVerfG fehlt, wäre es richtig, wenn der Senat im Interesse der Rechtstaatlichkeit seines Verfahrens, den 6.  Strafsenat des BGH um Rechtshilfe nach § 27 BVerfGG ersuchen würde, nämlich um die Gewährung des sicheren Geleits für Reimann. Der 6.  Strafsenat des BGH würde den Antrag der Bundesanwaltschaft zur Stellungnahme zuleiten. Der OBA würde in seiner Stellungnahme die Interessen der Bundesregierung vertreten.«91 Dieser rechtsstaatlich korrekte Weg barg allerdings die Gefahr in sich, dass die politische Verantwortung letztlich beim »Geier-Senat« lag. Deshalb reichte ihm eine alleinige Bitte des Bundesverfassungsgerichts um Rechthilfe nicht aus, wie Güde bei seinen Bemühungen um eine Lösung erfuhr. Am 7. Oktober nahm der Bundesanwalt formlos »Fühlung« mit Senatspräsident Geier auf, »um festzustellen, ob das Gericht rechtliche Bedenken gegen die Anwendung des § 295 StPO hat, und ob es bei entsprechender Stellungnahme des OBA sachliche Bedenken hätte«. Geier stellte dabei eine »informelle Äußerung in Aussicht«. Bereits einen Tag später erhielt Güde die Nachricht, »der 6. Strafsenat werde § 295 StPO anwenden (unter Überwindung gewisser rechtlicher Bedenken). Er würde auch sachlich einem Antrag auf sicheres Geleit entsprechen.« Allerdings baute Geier eine neue Hürde auf, indem er darauf bestand, dass Reimann oder sein 89 »Conditio sine qua non« (lateinisch) bedeutet in diesem Zusammenhang: Die Gewährung sicheren Geleits ist die Bedingung, ohne deren Erfüllung das BVerfG den KPD -Prozess nicht durchführen kann bzw. wird. 90 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 11, Vermerke Kleinknecht, 8.10.1954. 91 Ebd.

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Stellvertreter einen entsprechenden Antrag stellen müsse. »Eine Anregung des Senats des Bundesverfassungsgerichts allein, würde ihm nicht genügen.«92 Mit einer solchen Lösung lief der BGH nicht Gefahr, doch noch die politische Verantwortung für welche Entscheidung auch immer übernehmen zu müssen, da ein Antrag von Max Reimann immer noch abgelehnt werden konnte. Inzwischen hatte auch der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts erkannt, dass von einer Bitte an den BGH die Gefahr drohte, auch dafür noch die politische Verantwortung übernehmen zu müssen. »Dem Senat des BVerfG wäre es am liebsten«, wie jetzt Berichterstatter Stein erklärte, »wenn die Bundesregierung den Antrag an das BVerfG stellen würde.«93 Das wiederum war weder recht­ lich, noch politisch möglich, da es beim Bundesverfassungsgericht eben keinen ­Bundesanwalt gab, der einen solchen Antrag hätte stellen können. Jetzt hing alles am seidenen Faden. Sorge machte sich breit, da die Entscheidung der Bundesregierung auf sich warten ließ. Die Ungewissheit hatte ein Ende, als am 12.  Oktober 1954 die befreiende Nachricht kam: »keine poltischen Bedenken«94, zunächst von Bundesinnenminister Schröder, dann auch vom Kanzleramt. Danach ließ Bundeskanzler Adenauer mitteilen, »dass der Gewährung des freien Geleits nicht widersprochen werden solle«.95 Die Drohung der Verfassungsrichter, den KPD -Prozess gegebenenfalls platzen zu lassen, hatte politisch ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine weitere Woche ging ins Land, bis die schriftliche Anweisung des zuständigen Bundesministers der Justiz Fritz Neumayer bei der Oberbundesanwaltschaft in Karlsruhe eintraf: »Falls R. [Reimann, J. F.] den Antrag auf Gewährung freien Geleits stelle, solle der OBA den Antrag nicht befürworten, aber auch keine Einwendungen erheben.«96 Am 21.  Oktober 1954 konnte Bundesverfassungsrichter Stein den immer wieder aufgeschobenen Brief an die Rechtsanwälte des Parteivorstands der KPD abschicken. Darin forderte er die Anwälte auf, einen Antrag auf freies Geleit für Max Reimann oder für ein anderes, nicht in Haft befindliches Mitglied des Parteivorstands beim Bundesgerichtshof zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht sei bereit, ein solches Begehren zu unterstützen. Die Prozessbevollmächtigten der KPD reagierten auf diese Aufforderung nicht. Damit wurde die Bedingung, die Senatspräsident Geier für seine Zusage gestellt hatte, nicht erfüllt. Da die Bundesregierung jedoch inzwischen eine klare politische Entscheidung getroffen hatte, ließ auch Senatspräsident Geier seine ursprüngliche Forderung, Reimann müsse einen entsprechenden Antrag stellen, wieder fallen. Am 5. Novem92 Ebd. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 13, Vermerk Kleinknecht, 12.10.1954. 96 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 14, Vermerk Kleinknecht, 19.10.1954.

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ber 1954 beschloss der 6. Senat des BGH, den Angeschuldigten Walter Fisch und Max Reimann sicheres Geleit zu erteilen »zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD sowie zur Vorbereitung darauf«.97 Eine unglaubliche Kungelei zwischen den staatlichen Gewalten. Die Beteiligten am Staatsprozess gegen die KPD hatten sich auf ein abgestimmtes Vorgehen geeinigt, das allen Beteiligten erlaubte, politisch das Gesicht wahren zu können. Der Rechtsstaat blieb dabei allerdings wieder mal auf der Strecke. Wie Oberstaatsanwalt Dr. Kleinknecht, zuständiger Referent im Bundesjustizministerium für den KPD -Prozess, einem seiner zahlreichen Vermerke anvertraute, war jedenfalls eines gelungen: »Es muss vermieden werden, dass in der Frage des sicheren Geleits eine politisch ungünstig wirkende Divergenz in der Auffassung der beteiligten Staatsorgane entsteht.«98 Die Folge war die vollständige Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative, eine schwere Beschädigung des Rechtsstaats, die der Oberstaatsanwalt und all die übrigen auf die FDGO vereidigten Juristen bewusst in Kauf nahmen. Wäre das, was heute aus den 60 Jahre lang geheim gehaltenen Akten herausgearbeitet werden konnte, schon damals bekannt geworden, hätte das nicht nur zu einem Abbruch des Verfahrens, sondern auch zu einer schweren Staatskrise des jungen, freiheitlich demokratisch konzipierten Rechtsstaates geführt. So bleibt die Erkenntnis, dass nach all den geheimen Treffen, Absprachen und Rechtsbrüchen der beiden staatlichen Gewalten das mündliche Verfahren gegen die KPD niemals hätte eröffnet werden dürfen und können, wenn dies der Öffentlichkeit bekannt geworden wäre. Der KPD -Prozess war von Anfang an verfassungswidrig, weil dessen staatliche Akteure fortgesetzt gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates verstießen. Der KPD -Prozess war kein Prozess eines unabhängigen Gerichts. Er war ein »Staatsprozess«99, wie der Berichterstatter im KPD -Prozess Bundesverfassungsrichter Stein und nach ihm viele andere ihn treffend nannten, in dem die rechtsstaatliche Teilung der Gewalten aufgehoben war. Es gab keine getrennten Gewalten mehr, sondern nur noch einen Staat, dessen gemeinsames Ziel es war, die KPD und mit ihr alle Kommunisten und solche, die dafür ge­ halten wurden, ein für alle Mal aus dem öffentlichen Leben Westdeutschlands zu verbannen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiteten Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht eng zusammen. Auch wenn den Richtern das ganze Verfahren mehr als unheimlich war, hatten sie nach dem massiven Druck, den die Bundesregierung bis zum Schluss ausübte, keine andere Wahl als das münd97 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, S. 91. 98 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 13, Vermerk Kleinknecht, 12.10.1954. 99 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  B 4, Besprechung der Innenminister, S.  1, 28.1.1952.

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liche Verfahren zu eröffnen und das von der Bundesregierung gewünschte »totale Verbot« jeder kommunistischen Tätigkeit im Westen Deutschlands auszusprechen. Wenn schon das Bundesverfassungsgericht im Staatsprozess gegen die KPD weder die Unabhängigkeit, noch – sagen wir es deutlich – den Mumm besaß, den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD abzulehnen und die KPD nicht zu verbieten, bleibt historisch die Frage zu klären, ob das im November 1954 auf fortgesetzten Druck der Bundesregierung endlich eröffnete mündliche Verfahren wenigstens formal den Mindeststandards eines freiheitlich demokratischen Rechtsstaats entsprach.

Die Staatsdemokratie: Kalter Bürgerkrieg der Bundesrepublik gegen SED, KPD und Kommunismus

Abb. 4: Dr. Konrad Adenauer Bundeskanzler, 1949–1963

Abb. 5: Dr. Robert Lehr BM des Innern, 1949–1953

Abb. 6: Dr. Thomas Dehler BM der Justiz, 1949–1953

Abb. 7: Dr. Gerhard Schröder BM des Innern, 1953–1961

Abb. 8: Hans Ritter von Lex StS im BMI, 1949–1960

Abb. 9: Dr. Max Güde BA/OBA 1950–1961

Abb. 10: Dr. Herm. Höpker Aschhoff. Präsident des BVerfG, 1951–1954

Abb. 11: Dr. Erwin Stein Richter am BVerfG, 1951–1971

Abb. 12: Dr. Josef Wintrich Präsident des BVerfG, 1954–1958

Die Staatsfeinde: Kalter Bürgerkrieg der SED/KPD gegen das »Adenauer-Regime«*

Abb. 13: KPD-Landtagswahlkampf, ­E ssen, 1954

Abb. 14: KPD-Veranstaltung in Dortmund, 1953

Abb. 15: J. Duclos (ZK KPF) bei der KPD in DO, 1955

Abb. 16: Wahlkampf­ mit Fahrrad in Remscheid, 1954

Abb. 17: Flugblattverteilung vor der Schachtanlage Duisburg, Landtagswahlkampf 1954

Abb. 18: Streik in Gronau im Münsterland, Februar 1953

Abb. 19: KPD-Veranstaltung Westfalenhalle DO, 1955

Abb. 20: KPD Straßenaktion im Ruhrgebiet 1953

* Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes mussten einige Gesichter »gepixelt« werden.

Die Staatsfeinde: Kalter Bürgerkrieg der SED/KPD gegen das »Adenauer-Regime«

Abb. 21: KP-Veranstaltung, Westfalenhalle DO, 1955

Abb. 22: Teilnehmer an KP Abb. 23: KPD Solingen Veranstaltung, Musikkapelle Presse­fest, 1953

Abb. 24: Zurück aus der DDR, Funktionärin, Bhf. DO

Abb. 25: FDJ- und KP-Mitglieder aus Duisburg

Abb. 26: Mutter und Kind in einer Arbeiterwohnung

Abb. 27: Oskar Hoffmann, KPD, MdL, Stadtrat, Beerdigung 1953

Abb. 28: Beerdigung Hoffmann, Wuppertal, KPD-Funktionäre

Abb. 29: Beerdigung Hoffmann, NRW-Flagge, Rote Fahne

Der Staatsprozess: Verbot der KPD mit politischen und rechtlichen Mitteln

Abb. 30: Adenauer und Reimann Abb. 31: Walter Ulbricht und Max Reimann auf dem im Parlamen­tarischen Rat, 1949 »Münchener« KPD-Parteitag in Weimar, März 1951

Abb. 32: Prozessvertreter der KPD: Prof. Dr. Herbert Kröger, Walter Fisch (PV), RA Dr. Friedrich Karl Kaul

Abb. 33: Wartende Besucher des KPD-­ Prozesses vor dem Bundesverfassungs­ gericht in Karlsruhe 1955

Abb. 34: Beschlagnahme von Verlag und Druckerei »Freies Volk« im Hof der KPD-Zentrale Düsseldorf

Abb. 35: »Es lebe die KPD« Kundgebungen in der DDR, hier in Halle/Saale am 18. August 1956

8

Der Staatsprozess Rechtsstaatliches oder politisches Verfahren?

Am 23.  November 1954, genau drei Jahre nachdem die Bundesregierung den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD gestellt hatte, wurde das mündliche Verfahren eröffnet. Ort des Geschehens war das Prinz-MaxPalais, ein wuchtiges Gebäude im Zentrum von Karlsruhe in der Karlstraße 10. Als Privatwohnsitz eines reichen Unternehmers im 19. Jahrhundert erbaut, diente das prunkvolle Gebäude Maximilian von Baden, dem letzten Thron­ folger des Großherzogs von Baden, von der Jahrhundertwende bis zu seiner Abdankung 1918 als Residenz. Prinz Max von Baden ist als letzter – von Kaiser Wilhelm II. noch ernannter  – Reichskanzler in die Geschichte eingegangen. Nur 37 Tage war er im Amt, ehe er am 9. November 1918 die Abdankung des Kaisers bekanntgab und den Weg in die erste deutsche Republik freimachte, indem er Friedrich Ebert, dem Vorsitzenden der SPD, der größten im Reichstag vertretenen Partei, das Amt des Reichskanzlers übertrug. In der Karlstraße 10 war von 1951 bis 1969 das neu gegründete Bundesverfassungsgericht untergebracht. Hier fand an 51 Verhandlungstagen der wohl größte politische Prozess der Nachkriegszeit gegen die Epigonen der Revolution von 1918 statt. Erklärtes Ziel der Bundesregierung, der Initiatorin dieses Verfahrens, war es, nach dem misslungenen Versuch, den Kommunismus durch einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion auszurotten, gewissermaßen in einem zweiten Anlauf, dieses Mal mit den Mitteln des Rechtsstaats wenigstens im Westen Deutschlands dem Kommunismus den Garaus zu machen. Mit dem Verbot der KPD schien das Ziel erreicht zu sein. »Das Bundesverfassungsgericht«, so Bundeskanzler Adenauer im Bundesvorstand der CDU, »steht auf dem Standpunkt, dass die KP bis zum Untergang der Welt verboten ist«1. Wie wurde dieses Ziel erreicht? Die dreijährige Vorbereitung des KPD -Prozesses hat gezeigt, dass rechtsstaatliche Bedenken die beteiligten Vertreter des Staates kaum davon abhielten, das angestrebte Ziel eines Verbots der KPD – um welchen Preis auch immer – zu erreichen. Sei es durch massive politische Einwirkung der Bundesregierung auf das Gericht, sei es durch ­Geheimabsprachen zwischen dem Gericht und der Prozesspartei der Bundesregierung, sei es durch fortgesetzte Missachtung von Recht und Gesetz. So stellt sich auch für das 1 Adenauer: »Wir haben wirklich etwas geschaffen.« Sitzung des CDU-Bundesvorstands, 23.11.1956, S. 1163.

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Der Staatsprozess

Hauptverfahren, die Phase der mündlichen Verhandlungen, erneut die Frage, ob wenigstens in dieser Phase alles mit rechten Dingen zuging oder nicht. Wurde die Gewaltenteilung von Regierung und Gericht jetzt beachtet? Oder blieben im Kampf gegen den Kommunismus die Bündelung und Zusammenarbeit aller Kräfte von Bundesregierung, Verfassungsschutz und Verfassungsgericht, kurz ein starker Staat das höherwertige Rechtsgut? Stand die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD von vornherein fest oder gab es noch ein offenes Verfahren? Wurden die verfassungsrechtlichen, gesetzlichen und verfahrensrechtlichen Grundlagen von Grundgesetz, Bundesverfassungsgerichtsgesetz und Strafprozessordnung jetzt beachtet und konsequent angewendet? Ist es angesichts dieser Fragen nicht erstaunlich, dass das Gericht nicht beiden Prozessparteien, sondern nur einer von ihnen, nämlich der Prozessführungsstelle des Bundesinnenministerium, die Nutzung von Räumlichkeiten im Gebäude des Bundesverfassungsgerichts einräumte?2 Ist es nicht verwunderlich, dass den Richtern erst nach dem schwierigen Auftakt der mündlichen Verhandlungen, in denen die Prozessvertreter der KPD mehr als einmal dem Gericht Parteilichkeit gegenüber der Antragstellerin der Bundesregierung vorwarfen, die räumliche Nähe zur Prozessführungsstelle des BMI doch zu groß wurde und deren Bevollmächtigter mit seinem Mitarbeiterstab in andere Räume, zunächst in das Hotel Kaiserhof und später in das Schlosshotel umziehen musste?3 Leiter der Prozessführungsstelle der Bundesregierung war Staatssekretär Hans Ritter von Lex. Der Staatssekretär gehörte zu jener großen Schar von Be­ amten, auf die Bundeskanzler Adenauer aufgrund der Kontinuität ihrer beruflichen Karriere, auch in der NS -Diktatur, beim Aufbau des neuen Staates nicht verzichten zu können glaubte. Hans Lex wurde 1893 in Rosenheim geboren, studierte Jura und trat 1914 als Freiwilliger in die kaiserliche Armee ein. Er machte rasch Karriere, wurde Oberleutnant und Kompanieführer und 1916 in den »Mi­ litär-Max-Joseph-Orden« aufgenommen, die mit der »Erhebung in den persönlichen Adelsstand« verbunden war. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beteiligte er sich an der Niederschlagung der Revolution in München und verlor 1919 bei Schießübungen der »Einwohnerwehr« ein Bein. Beruflich machte er als Verwaltungsjurist Karriere, trat in die Bayerische Volkspartei (BVP) ein und war 1932/33 Mitglied des Reichstags. Als Vertreter des national-konservativen Bürgertums, das sich durch einen antikommunistischen Nationalismus auszeichnete, hatte er die Ehre, am 23.  März 1933 die Zustimmung der Bayernpartei zum Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers zu erklären. Von 1931 bis 1933 war er Landesführer der Bayernwacht, eine zur Sicherheit der BVP gegründete 2 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Vermerk Barthold, 28.9.1954, Punkt B 10. 3 BArch: B 106/I, Prozessführungsstelle des BMI beim KPD -Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht, Einführung in den Bestand.

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Schutzstaffel, die er von München aus über ganz Bayern ausbaute. Im Herbst 1933 wechselte er ins Reichsinnenministerium nach Berlin, wo er unter anderem für die Vorbereitung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin zuständig war. Nach dem Krieg wurde er auf Betreiben seines Parteifreundes Fritz Schäffer (CSU, früher BVP) Staatssekretär im Bundesinnenministerium, eine Funktion, die er bis zu seiner Pensionierung im Oktober 1960 wahrnahm.4 Seit den bayerischen Landtagswahlen im April 1932 hatte die BVP-Führung mehrfach versucht, mit der NSDAP über eine Regierungskoalition zu verhandeln, allerdings ohne Erfolg. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 in Berlin ergriffen die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 die Initiative, um über eine Koalition mit der BVP auch in Bayern die Macht übernehmen zu können. Über persönliche Kontakte zu dem Unterhändler der NSDAP gelang es von Lex, sich in eine Position zu bringen, die ihn, ausgestattet mit dem Vertrauen des Vorstands, zum einzigen Unterhändler Adolf Hitlers machte, ganz wie der neue Reichskanzlers es wünschte. Am 13. und 14. März 1933, als Hitler in München weilte, trafen sich die beiden Politiker gleich dreimal. Bei diesen Unterredungen nahmen weder Hitler noch von Lex ein Blatt vor den Mund. Dies galt insbesondere für die Bekämpfung des Marxismus und Kommunismus. Gleich bei der ersten Unterredung in Hitlers Privatwohnung am Prinzregentenplatz machte der neue Reichskanzler »der nationalen Erhebung« deutlich, was er vorhatte. »Er habe sich die Aufgabe gestellt«, so Hitler, »den Marxismus in Deutschland auszurotten. Er werde diese Aufgabe durchführen, wenn nötig mit allen, auch den letzten Mitteln. Er werde jeden, der bei Erfüllung dieser Aufgabe, sich ihm in den Weg stelle, zerschmettern. Der Kampf gegen die KPD, diese Sammlung von Zuhältern und Verbrechern, werde wohl keinem Widerspruch begegnen; er müsse aber auch gegen die in der SPD vereinigten Kräfte mit aller Schärfe vorgehen, denn es gelte, das Übel an der Wurzel auszurotten.«5 In der zweiten Besprechung erklärte von Lex, inzwischen vom BVP-Vorstand mit allen Vollmachten ausgestattet: »Die Bayerische Volkspartei sei mit der Niederringung des Marxismus einverstanden, aber in Formen, die dem christlichen Sittengesetz entsprechen. Hinsichtlich des Kommunismus, der sich selbst außerhalb des Staates gestellt habe, der die ganze christliche Kultur mit tödlicher Feindschaft bekämpfe, könne die Bayerische Volkspartei in weitest gehendem Maße mitgehen. Dass man das deutsche Volk auch unter Anwendung strengster Methoden, von dieser Verseuchung befreie, sei gemeinsame Forderung aller vaterländisch gesinnten Kreise. Bei der Sozialdemokratie handle es sich um eine Richtung des Marxismus, der gegenüber man weniger die physische Ausrottung als die geistige Überwindung anwenden solle.«6 4 Dierker: »Ich will keine Nullen, sondern Bullen«, S. 112 f. 5 Ebd., S. 137. 6 Ebd., S. 139.

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Der Staatsprozess

Hans Ritter von Lex war ein radikaler Nationalist und Antikommunist, der die Bekämpfung des Kommunismus bis hin zur systematischen Ermordung der Kommunisten durch den nationalsozialistischen Staat in seiner ganzen Radikalität und Brutalität unterstützte. Die Bayerische Volkspartei habe als »Partei der christlich-nationalen Weltanschauung« stets in vorderster Front für die Wiedergewinnung und Festigung nationaler Gesinnung gekämpft, erklärte Ritter von Lex am 23. März 1933 im Reichstag die Zustimmung der auf dem Boden des »christlichen Sittengesetzes« stehenden nationalistischen Bayern zum Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers. Schon 1922 habe die BVP vor aller Welt »die Lüge von der deutschen Kriegsschuld« zurückgewiesen. »Dem Sehnen nach wehrhafter nationaler Betätigung« habe sie »durch Schaffung eines eigenen vaterländischen Wehrverbandes Rechnung getragen«. Es sei selbstverständlich, dass eine Partei, die von solcher Einstellung beseelt war und beseelt ist, auch in der geschichtlichen Wende dieser Tage, zu tatkräftiger Mitarbeit am nationalen Aufbauwerk entschieden bereit ist. Soweit Bedenken bestanden, habe diese Reichskanzler Hitler in seiner zu Beginn der Aussprache abgegebenen Regierungserklärung »gemildert«. »Wir sind daher in der Lage, dem Ermächtigungsgesetz unsere Zustimmung zu erteilen.« Die Verantwortung für die Durchführung des Gesetzes, so fügte von Lex mit nationalem Pathos hinzu, »legen wir vor Gott, dem deutschen Volke und der deutschen Geschichte in die Hände der Reichsregierung«7. Die zweite deutsche Republik bot Ritter von Lex als Staatssekretär des Bundesinnenministeriums eine zweite Chance, bei der Bekämpfung des Kommu­ nismus selbst Hand anzulegen und »das deutsche Volk«, wie er es 1933 formuliert hatte, »von dieser Verseuchung« zu befreien.8 Nicht die geringen Zahlen ihrer Mandate und Mitglieder seien jetzt der Maßstab für ihre Gefährlichkeit, sondern »der Rückhalt und die Reserven«, die »der Parteiapparat der SED und die Machthaber der sowjetischen Besatzungszone« der KPD bieten. »Diese ­Partei ist daher trotz ihrer zahlenmäßigen Geringfügigkeit eine ernste Be­ drohung für unser freiheitliches demokratisches Leben«, erklärte Ritter von Lex am 5. Juli 1955 in seinem Schlussplädoyer vor dem 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts. In einer sich selbst entlarvenden Sprache fügte er hinzu: »Sie ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundes­ republik sendet.«9 Mit welcher Strategie traten nun die Prozessparteien in das mündliche Verfahren ein? Wie aus den bereits erwähnten Absprachen zwischen Bundesverfassungsrichter Stein, dem Berichterstatter im KPD -Prozess, und Oberregierungs7 Reichstagsprotokolle, 8. WP 1933, 2. Sitzung, 23.3.1933, Einbringung und Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, S. 37 f. 8 Dierker: »Ich will keine Nullen, sondern Bullen«, S. 139. 9 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 116.

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rat Barthold, Mitglied der Prozessführungsstelle des Bundesministeriums des Innern hervorgeht, waren beide Seiten, Gericht und Exekutive, an einer zügigen Durchführung der Hauptverhandlung interessiert. Die Bundesregierung setzte primär auf »Dokumentenbeweis«. Zahlreiche Beschlagnahmen hatten etliches Material sichergestellt, das für die Bundesregierung jederzeit im Bundesamt für Verfassungsschutz, verfügbar war, während die andere Prozesspartei, die KPD, bis zum Ende des Prozesses vergeblich darauf gewartet hatte, eine genaue Aufstellung all der beschlagnahmten Unterlagen und Materialien zu bekommen und einsehen zu können.10 Für die Beweisaufnahme hatten Stein und Barthold vereinbart, dass »die klagende Partei, also die Bundesregierung, ihre Beweismittel im Laufe der Verhandlung einführt, sei es durch Vorlegung bzw. Bezugnahme auf Urkunden, sei es durch Benennung bzw. Gestellung von Zeugen und Sachverständigen«.11 Was die Strukturierung des Prozessablaufs anbetrifft, ließ das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung weitgehend freie Hand. Jedoch erwartete es von ihr, dass sie nicht nur die Problemkreise definierte und zur Verhandlung stellte, sondern jeweils einen Schriftsatz erstellte, der mit der Ladung allen Be­ teiligten zur Verfügung gestellt werden sollte. Lediglich die Ordnung des Materials sollte wie in dem gemeinsam abgestimmten Aktenplan beibehalten werden. Als Ausgangspunkt sollte das Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands dienen. Für den Nachweis der Verfassungswidrigkeit sei die enge Verbindung der KPD zur SED und zur KPdSU »als Teil der weltumspannenden kommunistischen Organisation« von grundlegender Bedeutung. Im Einzelnen sollten behandelt werden: 1.  die Nichtvereinbarkeit der inneren Ordnung der KPD mit demokratischen Grundsätzen; 2. die Strategie und Taktik des Kommunismus, insbesondere Aufbau und Entwicklung der sogenannten Volks­ demokratie; 3. die kommunistische Agitation und Propaganda; 4. die Aktivitäten der »Tarnorganisationen«. Von Ritter von Lex erwartete das Gericht, dass er »ein Eröffnungs-Plädoyer allgemeiner Art über die Verfassungswidrigkeit und besondere Gefährlichkeit der KPD für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hält und die Problemkreise kurz umreißt. Die Einzelheiten soll dann Rechtsanwalt Dr. Dix anschließend ausführen. Daraufhin soll die KPD sprechen und ihre Beweisanträge einbringen. An den folgenden Tagen wird über die einzelnen Problemkreise diskutiert werden.«12 Zu den Bevollmächtigten der beiden Prozessparteien gehörten auf Seiten der Bundesregierung: Staatssekretär Ritter von Lex und sein Vertreter, Ministerial­ 10 BKAmt-Archiv Berlin: 102 10 (88), Kritik von RA Kaul, Prozessvertreter der KPD, über die Ungleichbehandlung der beiden Prozessparteien durch das Bundesverfassungsgericht, 5.6.1971, S. 3. 11 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Vermerk Barthold vom 2.10.1954 über sein Gespräch mit Bundesverfassungsrichter Stein am 28.9.1954. 12 Ebd., S. 8.

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Der Staatsprozess

dirigent Hopf, die Rechtsanwälte Dr. Dix (Köln), Henrichs (Hilden), Dr. Kalsbach (Wuppertal), Dr. von Winterfeld (Hannover), der als Verstärkung erst später dazukam, die leitenden Ministerialbeamten Barthold, Dr. Kaminski, Dr. Lechner, Dr. Seifert (alle BMI) und Professor Dr. Kaufmann (AA). Die Kommunistische Partei war durch sieben Rechtsanwälte, einen Hochschullehrer und drei Mitglieder des Parteivorstands vertreten. Hierzu zählten: Böhmer (Düsseldorf), Dr. Hütsch (Essen), Dr. Kaul (Berlin), Prof. Dr. Kröger (Berlin), Balter (Herne), Dr. Gieseking (Sulzbach), Dr. Wessik (Hamburg) und Dr. Stadje (Braunschweig) sowie Walter Fisch, Fritz Rische und Josef Ledwohn vom Vorstand der KPD.13 Für die Bevollmächtigten der KPD war das Verfahren gegen die eigene Partei kein normaler, sondern ein politischer Prozess. Das bedeutete, wie es in einem Vorbereitungspapier hieß, »dass der Prozess nicht formal juristisch zu führen ist, auf der Ebene der Interpretation dieser oder jener Verfassungsbestimmung«. Jede juristische Argumentation sei daher »auf der politischen Grundargumentation aufzubauen, so dass jeweils deutlich zu zeigen ist, was wir mit unseren politischen Maßnahmen wollten (Erhaltung und Festigung des Friedens, nationaler Einheit, Demokratie usw.)«14. Nicht die KPD, sondern das »AdenauerRegime« gehöre auf die Anklagebank.15 Um dieses Ziel zu erreichen, sollte der Prozess in allen Phasen »offensiv« und »kämpferisch« geführt werden. Deshalb sei es notwendig, »dass wir in weitgehendstem Maße den Ablauf bestimmen«. Nicht die Fragen, die die Prozesspartei der Bundesregierung zu behandeln wünsche, »um die wirklichen politischen Ziele, die sie mit dem Prozess verfolgt zu tarnen, solle dem Prozess das Gepräge geben, sondern die politischen Fragen, die wir für politisch notwendig halten«16. Deshalb sollte die Politik der KPD in ihrer ganzen Breite dargestellt werden: »Für die Erhaltung des Friedens, die Erringung der nationalen Selbstbestimmung, die Wiedervereinigung Deutschlands auf demokratischen Grundlagen, Verteidigung und Wahrung der bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten, wie sie u. a. im Grundgesetz niedergelegt sind und gegen die Interventionspolitik des USA-Imperialismus, den nationalen Verrat des Adenauer-Regimes, das Bonner Polizeiregime und die Errichtung der faschistischen Diktatur« in der Bundesrepublik. Diese Position sollte »mit allen prozessualen und außerprozessualen Mitteln« durchgesetzt werden. Ein politischer Prozess sei somit nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Gerichtsgebäudes strategisch zu führen. Ohne die Mobilisierung der Massen, ohne eine gezielte Kampagnenpolitik im In- und Ausland, in der Bundesrepublik und in der DDR sei ein dro13 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 82 f. 14 BArch: DY 30/IV 2/13/567, Direktive des Politbüros der SED (ca. September/Oktober 1952). 15 BArch: DY 30/IV 2/13/567, Über den Stand der Vorbereitung zum Verfahren gegen die KPD, o. D., S. 2. 16 Ebd., Notizen zum Prozess, o. D.

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hendes Verbot der KPD nicht abzuwehren. Auf diesem Gebiet waren SED und KPD, aber auch die von ihnen gesteuerten »Massenorganisationen« in ihrem Element. Ein ganzer Katalog von Maßnahmen wurde vorgeschlagen. Dabei ging es keineswegs nur um das drohende KPD -Verbot, sondern auch um die Verknüpfung dieser Frage mit allen möglichen tagespolitischen Bezügen.17 Eine beliebte Methode sollte auch hier das Briefeschreiben werden. Der Nationalrat und die Massenorganisationen in der DDR waren aufgerufen, an einzelne Mitglieder des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts persönliche Briefe und Entschließungen zu richten. Auf diese Weise sollten die Richter darauf hingewiesen werden, dass diejenigen, die »die KPD verbieten bzw. ihre Verfassungswidrigkeit konstruieren, eine große Schuld auf sich laden«. Sollte das Gericht Beweisanträge der KPD zurückweisen, dann würde dies außerhalb des Gerichts in Pressekonferenzen, auf Massenkundgebungen und im Rundfunk bekanntgemacht werden. Tenor der Aktionen sollte sein, »dass das Gericht eine vorgefasste Meinung und das Urteil gegen die KPD schon in der Schublade«18 habe. Mit Beginn der mündlichen Verhandlung am 23. November 1954 stand das strategische Ziel der KPD -Prozessvertretung fest: Das von der Bundesregierung angestrebte Verbot musste auf jeden Fall verhindert werden. Dieses Ziel konnte nur erreicht werden, wenn es gelang, die Darlegungen im Gerichtssaal so auszusteuern, dass Einfluss und Druck der Öffentlichkeit auf das Gericht von Tag zu Tag verstärkt wurden. Daraus ergab sich für die erste Phase des Verfahrens folgende Taktik, wie Rechtsanwalt Kaul in einem Strategiepapier festhielt, 1. das Verfahren als solches zu »diskriminieren«, 2.  die öffentlichkeitswirksamen Gründe, »die für eine Einstellung des Verfahrens sprachen, so darzustellen, dass der Einfluss der Öffentlichkeit auf das Gericht und seine Meinungsbildung zurückwirkte«. Diese Taktik konnte nur dann erfolgreich sein, »wenn die KPD vom ersten Tag an offensiv vorging«. Dies war nur möglich, wenn Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht »über die Absichten der KPD im Unklaren gelassen wurden«. Aus diesem Grunde hatten es die KPD -Anwälte in den Vorbesprechungen mit Berichterstatter Stein auch abgelehnt, »dem Beispiel der Bundesregierung zu folgen und eine Disposition über den beabsichtigten Verfahrensablauf vorzulegen«19. Die Strategie hatte Erfolg. Das Heft des Handelns lag von der Eröffnung der Hauptverhandlung an auf Seiten der KPD. Ein Antrag folgte dem anderen. Als insbesondere die Befangenheitsanträge gegen einzelne Richter eine Reihe von Rechtsverstößen auf Seiten des Gerichts offenbarten, war das taktische Ziel bereits in den ersten Tagen des Prozesses erreicht, das Gericht unter der 17 BArch: BY 1/513, Direktive vom 24.9.1954 und Ergänzung zur Direktive vom 28.9.1954. 18 BArch: DY 30/IV 2/13/567, Zu einigen Fragen der Taktik unseres Auftretens im Prozess, o. D. 19 BArch: BY 1/1897, Kaul, Strategie und Taktik im Verbots-Prozess, Anfang März 1955.

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Der Staatsprozess

schwachen Führung seines Präsidenten öffentlich zu diskreditieren. Die Medien waren entsetzt. »Das Verfahren hat Ausmaße angenommen«, schrieb der Wiesbadener Kurier am 2. Dezember 1954, »die die schlimmsten Erwartungen übertreffen. Das Gericht ist nicht in der Lage, dieser Ausmaße Herr zu werden. Es bleibt nur noch ein Mittel, den überkochenden politischen Topf vom Herd zu nehmen und abkühlen zu lassen.«20 Insbesondere der Befangenheitsantrag gegen Bundesverfassungsrichter Stein hatte nicht nur das Potential, das Hohe Gericht in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren, sondern den gesamten Prozess platzen zu lassen. Das wäre ­gewiss der Fall gewesen, wenn Richter Stein sich selbst oder der 1.  Senat ihn für befangen erklärt hätte. Nicht nur eine erneute Vertagung des Verfahrens, sondern auch eine erneute Debatte über die Zweckmäßigkeit des Verfahrens überhaupt wären die Folgen gewesen. Und das in politisch turbulenten Zeiten, in denen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den Hauptstädten der drei Westmächte die Ratifizierung des sogenannten »Deutschlandvertrags« zur Ablösung des Besatzungsstatuts und des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO auf der politischen Agenda ganz oben standen. Worum ging es bei dem Befangenheitsantrag gegen Richter Stein? Am 24. Juni 1952 hatte von Lex auf Betreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz den Antrag gestellt, den im März 1952 in die Bundesrepublik gewechselten Georg Wilhelm Jost im Verfahren gegen die KPD als Zeugen zu vernehmen. Jost war in der DDR im Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front für die »Westarbeit« zuständig gewesen. Nach seinem Übertritt von Ost- nach West-Berlin wurde er von den amerikanischen Behörden in Gewahrsam genommen, von den US -Geheimdiensten verhört und nach Frankfurt am Main in das Hauptquartier der CIA gebracht. Im Mai bekam das Bundesamt für Verfassungsschutz erstmals Zugang zu dem ehemaligen DDR-Funktionär, verhörte ihn und ließ ihn am 16. Mai 1952 eine 13 Seiten umfassende persönliche Erklärung über seine politische Tätigkeit unterschreiben. Darin erklärte Jost, er werde sich bei seinen Aussagen, die er »völlig freiwillig mache, streng an die Wahrheit halten und bei jeder Aussage dessen eingedenk sein, dass ich sie mit gutem Gewissen vor Gericht beeidigen kann«21. Das waren natürlich nicht die persönlichen Worte eines ungelernten Landwirts, der Jost war, sondern For­mulierungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das eigentlich gar keine Vernehmungen durchführen, sondern nur Informationen beschaffen durfte. Vergleichbare Formulierungen finden sich in ähnlichen Selbst-Erklärungen, die der Verfassungsschutz auch von anderen Delinquenten forderte und bekam, um sie etwa bei Verfahren gegen Kommunisten als »Urkundenbeweis« vor Gericht vorlegen zu können. So taucht dieses Dokument auch in dem Antrag von Ritter von Lex an das Bundesverfas20 Ebd. 21 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 2.

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sungsgericht auf, um den Richtern zu zeigen, was für ein wichtiger Zeuge Jost ist. »Was er im Einzelnen angeben kann«, so von Lex, »ist aus der in Fotokopie beigefügten Erklärung vom 16.5.1952 zu ersehen«22. Da laut StPO derartige Vernehmungen vor der eigentlichen Hauptverhandlung und schon gar nicht ohne Beteiligung der Anwälte der anderen Prozesspartei durchgeführt werden dürfen, bemühte Ritter von Lex gleich die einzige Ausnahme, nämlich bei Gefahr im Verzuge, etwa bei Gefahr für Leib und ­Leben. Aufgrund geheimdienstlicher Erkenntnisse, wonach sich Organe der KPD bemühten den Aufenthaltsort von Jost heraus zu finden, seien »unzulässige Einwirkungen auf Jost zu besorgen«. Wie dies wohl an dem am stärksten gesicherten Ort der Bundesrepublik, dem Sitz der Europazentrale der US -Streitkräfte und des Hauptquartiers der CIA im ehemaligen Gebäude der IG -Farben in Frankfurt passieren sollte, wo Jost in einer Art Schutzhaft gehalten wurde, erläuterte der Antragsteller nicht. Auch die Richter fragten nicht nach, sondern bewilligten gleich einen Tag später, am 26.  Juni 1952, die von Ritter von Lex gewünschte Vernehmung des Zeugen Jost, nicht ohne die erwähnte »Besorgnis« ausdrücklich in den Beschluss des Gerichts aufzunehmen. Diese bedeutete nichts anderes als der Wunsch der Prozessvertretung der Bundesregierung an das Gericht, den Vorgang als geheim zu behandeln und auf keinen Fall die Anwälte der Gegenseite darüber zu informieren. Auch diesen Wunsch erfüllte das Gericht und beschloss »unzulässige Einwirkungen auf den Zeugen durch Geheimhaltung der Vernehmung zu verhindern«. Soweit der maschinenschriftlich vorgelegte Beschluss, der mit einem mit schwarzer Tinte geschriebenen Zusatz ergänzt wurde, der offensichtlich nach Tinte und Schriftzug von Berichterstatter Stein stammte, wie eine Prüfung des Originals im Bundesarchiv Koblenz ergab. Der handschriftliche Zusatz lautete: »Aus diesen Gründen unterbleibt eine Benachrichtigung der Beteiligten von dem Beweistermin.«23 Wie ist dieser Vernehmungs- und Geheimhaltungsbeschluss des höchsten Gerichts rechtlich zu bewerten? Er verstieß, nicht erst in der historischen Rückschau, sondern auch schon 1952 gegen geltendes Recht. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) regelte klar und eindeutig: »Die Beteiligten werden von allen Beweisterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige Fragen richten. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.«24 Außerdem wurde in dem gleichen Gesetz bestimmt, dass für die Vernehmung von Zeugen in Par­ teiverbotsverfahren die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) gelten.25 Darin ist zum Beispiel geregelt, dass von jeder »Untersuchungshandlung« ein 22 Ebd. 23 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr.  C 3.  Faksimile, Beschluss des BVerfG, 26.6.1952. 24 BVerfGG: § 29. 25 BVerfGG , § 28.

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Protokoll anzufertigen ist. Dieses ist den Beteiligten »zur Genehmigung vor­ zulesen oder zur eigenen Durchlesung vorzulegen«. Die Genehmigung ist zu vermerken, »das Protokoll von den Beteiligten entweder zu unterschreiben oder anzugeben, weshalb die Unterschrift unterblieben ist«26. Ferner ist für die rechtliche Beurteilung der angeordneten und geheim zu haltenden Vernehmung das unbedingte Recht der Verteidigung auf Akteneinsicht von zentraler Bedeutung. So heißt es in der StPO: »Die Einsicht der Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten, der Gutachten der Sachverständigen und der Protokolle über die gerichtlichen Handlungen, denen der Verteidiger beizuwohnen befugt ist, darf ihm keinesfalls verweigert werden.«27 Mit der Durchführung der Vernehmung wurde nicht irgendein Richter des 1. oder 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts oder ein Untersuchungsrichter eines anderen, etwa eines Frankfurter Gerichts beauftragt, sondern der wichtigste Mann des Prozesses, Berichterstatter Stein. Er hatte die eingehende Post der Prozessparteien zu bearbeiten. So gelangte auch der Antrag des Ritters von Lex vom 24. Juni 1952, nebst der als Anlage beigefügten Erklärung des Z ­ eugen Georg Wilhelm Jost, die dieser mit Datum vom 16. Mai 1952 gegenüber dem Verfassungsschutz abgegeben hatte, in die Akten von Stein. Dieser machte sich bereits einen Tag nach dem Senatsbeschluss, am 27. Juni 1952, zusammen mit der Justizangestellten Kapferer als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des BVerfG auf nach Frankfurt, um den »berufslosen« Georg Wilhelm Jost im Hauptquartier der CIA zu vernehmen. Das Gericht hatte Stein in dem von ihm vorbereiteten Beschluss acht Fragen mit auf den Weg gegeben, die er jedoch nicht einzeln beantworten ließ, sondern lediglich als formales Gliederungsprinzip des eher als Monolog abgefassten, insgesamt 24 Schreibmaschinenseiten umfassenden Protokolls nutzte. Laut Protokoll wurde das umfangreiche Dokument vorgelesen und genehmigt. »Der Zeuge wurde dann nach nochmaliger Belehrung beeidigt.«28 Das Vernehmungsprotokoll wurde von Richter Stein und der Urkundsbeamtin Kapferer, nicht jedoch von Jost unterschrieben, wie das Original dieses Dokuments, das sich in den Akten des Bundesverfassungsgerichts befindet, belegt. Auch wurde nicht angegeben, wie von der StPO ge­ fordert, »weshalb die Unterschrift unterblieben ist«29. Fast zweieinhalb Jahre konnte die Vernehmung des Zeugen Jost durch Bundesverfassungsrichter Stein geheim gehalten werden. Umso größer war die Betroffenheit des Gerichts und der Prozessvertretung der Bundesregierung, als die Anwälte der KPD die Angelegenheit bereits am ersten Verhandlungstag zum Gegenstand des Verfahrens machten.30 Rechtsanwalt Böhmer (Düsseldorf) 26 27 28 29 30

StPO: § 188, Abs. 1 und 3. StPO: § 147, Abs. 3 in der Fassung der 3. Auflage von 1954.

Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 4. StPO: § 188, Abs. 3. KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 100 ff.

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stellte im Namen und Auftrag der KPD den Antrag, Richter Stein wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Stein habe am 27.  und 28.  Juni 1952 in Frankfurt einen Beweistermin abgehalten und einen gewissen Georg ­Wilhelm Jost als Zeugen vernommen und sogar beeidigt. Von diesem Termin sei die Antragsgegnerin nicht benachrichtigt worden, obwohl das BVerfGG dies ausdrücklich fordere.31 Wenn ein Richter des Bundesverfassungsgerichts sich über eine derart klar formulierte Gesetzesnorm hinwegsetze, könne er dies nur bewusst getan haben. Hinzu komme, dass auch das Anwesenheits- und Frage­ recht jeder Prozesspartei in Zivil- und Strafprozessen gesetzlich geregelt sei, sodass ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nur wissentlich »gegen eine derartige Norm zum Nachteil einer Prozesspartei« verstoßen haben könne. Schließlich habe Richter Stein auch gegen das Recht auf Akteneinsicht ver­ stoßen. Als im März 1953 Rechtsanwalt Böhmer im Einvernehmen mit dem ­Berichterstatter Einsicht in die Prozessakten gewährt wurde, hätten sich in ­diesen Akten weder der Antrag der anderen Prozesspartei auf Vernehmung des Zeugen Jost, noch das umfassende Protokoll über die Durchführung dieser Aktion befunden, obwohl weder das eine, noch das andere Dokument als geheim eingestuft war. Auch dies sei ein Verstoß gegen das Gesetz gewesen. Auch bei seinen regelmäßigen Nachfragen im Gericht, ob es etwas Neues gäbe, seien ihm die Dokumente über die geheim durchgeführte Vernehmungsaktion nicht vorgelegt worden. Dagegen sei im BVerfGG klar geregelt: »Die Beteiligten haben das Recht der Akteneinsicht.«32 Dass Böhmer dennoch in den Besitz einer Kopie des Vernehmungsprotokolls gekommen sei, sei nur dem Umstand zu verdanken, dass er in einem Hochverratsprozess vor dem Bundesgerichtshof gegen die KPD -Funktionäre Oskar Neumann, Karl Dickel und Emil Bechtle, in dem am 2. August 1954 das Urteil gefällt wurde33, ebenfalls als Verteidiger tätig gewesen sei. Die Ablichtung der Seiten 1 und 24 des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen Jost habe er aus den Akten des BGH im genannten Verfahren entnommen, wie »aus dem unten links verzeichneten Aktenzeichen und der oben rechtsstehenden B ­ lattnummer« zweifelsfrei erkannt werden könne. Zum Erstaunen des Anwalts handelte es sich bei dem Dokument um eine vom Bundesverfassungsgericht beglaubigte Abschrift über die Frankfurter Beweisaufnahme vom 27. Juni 1952, die als Beweismittel in das Verfahren gegen die drei Funktionäre der KPD eingebracht worden sei.34 Wie war die vom Bundesverfassungsgericht beglaubigte Abschrift des Vernehmungsprotokolls in die Akten des Bundesgerichtshofs gelangt? Nach Rechts31 BVerfGG: § 29. 32 BVerfGG: § 20. 33 Hochverrat und Staatsgefährdung, StE 68, 2.8.1954, Bd. 1, S. 19–73. 34 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 101.

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anwalt Böhmer gab es zwei Möglichkeiten. Entweder hatte Richter Stein die beglaubigte Abschrift an die Bundesregierung oder einer ihrer nachgeordneten Behörde, etwa dem Bundesamt für Verfassungsschutz ausgehändigt, so dass diese von dort über den Oberbundesanwalt beim BGH als Beweismittel in den Prozess eingeführt wurde. Denkbar war für Böhmer auch eine zweite Variante. Danach könnte »Bundesrichter Dr. Stein als Berichterstatter in diesem Verfahren es veranlasst oder auch nur zugelassen« haben, dass beglaubigte Dokumente der Beweisaufnahme im KPD -Verfahren in einem anderen Verfahren gegen Mitglieder der KPD als Beweismittel zugänglich gemacht wurden. Sowohl die eine wie die andere Variante wäre ein schwerer Verstoß gegen die Strafprozessordnung. Erschwerend käme hinzu, dass ein Protokoll über die »unter Gesetzesverletzung« durchgeführte Zeugenbefragung niemals als Beweismaterial »den Behörden der Antragstellerin zur Verfügung« hätte gestellt werden dürfen.35 Da Jost auch als Belastungszeuge im BGH-Prozess gegen Neumann, Dickel und Bechtle aufgetreten war, hatte Böhmer als Verteidiger der Beklagten die Möglichkeit, den Zeugen Jost über Art und Umstände seiner Vernehmung durch Verfassungsrichter Stein zu befragen. Wenn sich einer der 24 ranghöchsten Richter der Bundesrepublik von Karlsruhe nach Frankfurt begebe, »um ohne Kenntnis einer am Verfahren beteiligten Partei, einen von den Alliierten festgehaltenen Zeugen in einem alliierten Gebäude zu vernehmen«, so stelle sich die Frage, was den hohen deutschen Richter veranlasst haben könnte, sich in eine derart »peinliche Situation zu begeben«. Der Beweggrund sei »nur in einer feindlichen Einstellung des Herrn BVR Dr. Stein gegenüber der KPD zu erblicken«36. Darüber hinaus ließen die von Böhmer zitierten Äußerungen des Zeugen Jost vor dem BGH erkennen, dass der Befragte von dem Zweck seiner Vernehmung nichts Genaues wusste. »Der Herr BVR Dr. Stein muss es also unterlassen haben, den Zeugen unmissverständlich und nachhaltig zu unterrichten, dass er in dem vor dem BVerfG schwebenden Verfahren der Bundes­ regierung gegen die Kommunistische Partei wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit vernommen werden sollte und sich zu äußern hatte.« Aufgrund der gesetzwidrigen Unterlassung der Benachrichtigung der KPD und der damit verbundenen rechtswidrigen Umgehung des Anwesenheits- und Fragerechts, des Verschweigens der durchgeführten Beweisaufnahme in Frankfurt sowie der Bevorzugung der Bundesregierung durch einseitige Information über das Ergebnis zum Nachteil der KPD forderte Böhmer das Gericht auf, »im Namen des Rechts« zu beschließen: »Die von der KPD erklärte Ablehnung des Richters des BVerfG, Dr. Erwin Stein, wegen Besorgnis der Befangenheit in dem Verfahren wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD ist begründet.«37 35 Ebd., S. 102. 36 Ebd., S. 104 f. 37 Ebd., S. 106.

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Das Gericht zog sich daraufhin zur Beratung zurück. Nach einer drei­ einhalbstündigen Unterbrechung verkündete der Vorsitzende den Beschluss: »Die Ablehnung des BVR Dr. Stein ist unbegründet.« Aus der Vernehmung des Zeugen Jost könne allein schon deshalb die Besorgnis der Befangenheit nicht abgeleitet werden, weil Richter Stein vom Gericht mit der Vernehmung beauftragt worden sei. Er räumte jedoch ein: »Lediglich ein Beamter des ­Bundesamtes für Verfassungsschutz als Hilfsorgan des BVerfG hat eine Abschrift des Pro­ tokolls als Grundlage für weitere Ermittlungen erhalten. Diesem Beamten ist die strenge Geheimhaltung ausdrücklich auferlegt worden. Eine Erlaubnis zur Weitergabe an Anklagebehörden wurde eigens abgelehnt.«38 Die Behauptung des Präsidenten, dass »lediglich« ein Beamter des Verfassungsschutzes eine Abschrift des Vernehmungsprotokolls bekommen habe, entspricht nicht den historischen Tatsachen. Es mag sein, dass ein Beamter des Verfassungsschutzes auch, aber nicht allein (»lediglich«) eine Abschrift des Vernehmungsprotokolls bekommen hat. Richtig ist vielmehr, dass bereits 1952 (!), nicht allzu lange nach der Vernehmung von Jost, mindestens vier Abschriften des Vernehmungsprotokolls in die Akten der Prozessführungsstelle des Bundesinnenministeriums gelangt sind. In der Akte mit der Aufschrift »Schriftwechsel mit dem BVG«39, die ausschließlich Dokumente aus dem Jahr 1952 ­enthält, befinden sich: 1. der Antrag von Staatsekretär Ritter von Lex an den 1. Senat des BVerfG auf Vernehmung von Georg Wilhelm Jost vom 24. Juni 1952; 2. der Beschluss des 1. Senats des BVerfG auf Vernehmung von Georg Wilhelm Jost vom 26. Juni 1952; 3. Abschrift des Protokolls über die Vernehmung von Georg Wilhelm Jost durch Bundesverfassungsrichter Stein vom 27. Juni 1952. Der Vorgang Jost ist also (fast) komplett in der Akte der Prozessführungsstelle der Bundesregierung mit der Aufschrift »Schriftwechsel mit dem BVG« dokumentiert. Es fehlt interessanterweise die Erklärung Jost vom 16. Mai 1952, die von Lex seinem Antrag an den 1. Senat des BVerfG vom 24. Juni 1952 beigefügt hatte. Dieses Dokument konnte nur in den Akten des Bundesverfassungsgerichts in der von Richter Stein bearbeiteten Fassung ermittelt werden.40 Über den Verbleib der drei weiteren Abschriften des Protokolls über die Vernehmung von Jost, die offensichtlich zeitgleich bei der Prozessführungsstelle des Bundesinnenministeriums eingetroffen sind, enthält die Akte »Schriftwechsel mit dem BVG« folgenden handschriftlichen Vermerk: »3 weitere Protokolle Jost s. 38 Ebd., S. 106f 39 BArch: B 106 I/127, Schriftwechsel mit dem BVG , Sämtliche Dokument abgedruckt in: Die Quellen-Dokumentation: Dokumente C 1–4. 40 BArch: B 237/215681, Anlagen zum Sitzungsprotokoll (Vernehmungen Jost).

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Ordner Zeugenaussagen, Sts 27/1«41. Dieser Ordner ist ebenfalls erhalten und archiviert. Der vollständige Titel lautet: »Zeugenaussagen für KPD -Prozess aus dem Jahr 1952 (3 Fotos)«.42 Er enthält allerdings nicht drei, sondern nur zwei weitere Abschriften des besagten Vernehmungsprotokolls. Möglicherweise ist das fehlende dritte Exemplar das Exemplar, was an den Verfassungsschutz weiter gereicht wurde. Wichtiger ist die quellenfundierte Erkenntnis, dass nicht nur ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes eine Abschrift des Vernehmungsprotokolls von Bundesverfassungsrichter Stein erhalten hat, sondern dass die Prozessführende Stelle der Bundesregierung gleich vier Exemplare des Jost-Protokolls bekommen hat und dies nachweislich bereits 1952, wie die Dokumente in der genannten Akte »Schriftwechsel mit dem BVG« belegen. Dies war ein schwerer Verstoß gegen Recht und Gesetz. Ein Verstoß, der selbst gegen den Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Vernehmung des Zeugen Jost verstieß, der »eine Benachrichtigung der Beteiligten von dem Beweistermin« ausdrücklich ausschloss43. Tatsächlich diente dieser Beschluss nicht dazu, alle Beteiligten, sondern nur die KPD von einer Benachrichtigung des Beweis­ termins auszuschließen. Die Aktenlage bestätigt, was die Prozessvertretung der KPD dem Gericht in Begründung des Befangenheitsantrags gegen Richter Stein bereits zu Beginn der mündlichen Verhandlungen vorgeworfen hatte, nämlich die Bundesregierung durch einseitige Informationen zu bevorzugen und mit ihr gemeinsame Sache zu machen, die Prozesspartei der KPD dagegen zu benachteiligen und ihr feindlich gegenüber zu stehen.44 Wäre damals bekannt geworden, wie eng die Zusammenarbeit von Exekutive und Judikative im Staatsprozess gegen die KPD tatsächlich war, hätte dies zweifellos das vorzeitige Ende des Verfahrens bedeutet und eine heftige poltische Krise ausgelöst. Nicht nur das Hohe Gericht, sondern auch der Leiter der Prozessvertretung der Bundesregierung wäre in arge Bedrängnis geraten. Hatte Ritter von Lex doch am 26. November 1954, offensichtlich um den weiterhin stark unter Druck stehenden Bundesverfassungsrichter Stein zu entlasten, in der mündlichen Verhandlung behauptet: »Die Prozessvertretung der Bundesregierung hat von dem Protokoll über die Vernehmung des Jost, ebenso wie die Antragsgegnerin, jetzt erst erfahren.«45 Eine glatte Lüge, anders kann man es nicht bezeichnen, wie die bereits zitierten Akten zeigen. Danach hat die Prozesspartei der Bundesregierung nicht nur von dem Protokoll gewusst, sondern gleich vier »Abschriften« davon durch 41 BArch: B 106 I/127, Schriftwechsel mit dem BVG (=BVerfG). 42 BArch: B 106 I/14, Zeugenaussagen. 43 Die Quellen-Dokumentation: Dokument C 3, BVerfG Beschluss zur Vernehmung des Zeugen Jost, 26.6.1952. 44 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 119. 45 Ebd., S. 121.

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Bundesverfassungsrichter Stein erhalten. Eine davon blieb in der Akte »Schriftwechsel mit dem BVG«. Die weiteren drei Exemplare, von denen im Bestand des Bundesarchivs nur zwei vorhanden sind, wurden auf Weisung bzw. mit ausdrücklicher Genehmigung des Staatssekretärs und Leiters der Prozessführenden Stelle, wie die handschriftliche Paraphe »Sts 27/1« auf dem Dokument oben rechts beweist, im Ordner »Zeugenaussagen für KPD -Prozess aus dem Jahr 1952« abgelegt. Damit ist quellenmäßig bewiesen, dass Ritter von Lex dank der engen Zusammenarbeit mit dem Berichterstatter für den KPD -Prozess über den Vorgang Jost seit 1952 mündlich und schriftlich bestens informiert war und nicht erst im November 1954 von dem Vernehmungsprotokoll erfuhr, wie er am 26. November vor dem Hohen Gericht zu Protokoll gegeben hatte. Gestärkt durch die Unterstützung und Entlastung durch Staatssekretär Ritter von Lex, an dessen Lauterkeit offensichtlich niemand im Gerichtssaal zweifelte, zögerte auch Verfassungsrichter Stein nicht, seine Unschuld zu beteuern, so dass der Vorsitzende des 1.  Senats, Josef Wintrich, erleichtert feststellen konnte: »Dr. Stein hält sich auch selbst nicht für befangen.«46 Die Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen Erwin Stein durch das Verfas­ sungsgericht, löste heftige Reaktionen auf Seiten der Antragsgegnerin aus. Die Ausführungen des Senatsvorsitzenden, mit denen er die Ablehnung des Antrags begründet habe, so Rechtsanwalt Böhmer für die Prozessvertretung der KPD, habe zweierlei deutlich gemacht: Erstens seien durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts »in diesem Verfahren Geheimakten geführt worden, die zumindest einer der Antragstellerin unterstellten Verwaltungsorgane zugänglich gemacht worden sind«. Die Führung von Geheimakten stelle »einen mit der Rechtsordnung unvereinbaren und insofern unerträglichen Zustand« dar. Zweitens stelle die Tatsache, dass »die für dieses Verfahren eindeutig festgelegten Normen durch richterlich geschöpfte Rechtsgedanken ersetzt werden, eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem Zustand dar, der nach dem Glauben der Prozessvertreter, für die zu sprechen ich die Ehre habe, mit dem 8. Mai 1945 in deutschen Landen ein Ende erreicht zu haben schien«. Diese Feststellung zwinge die Kollegen dazu, »in diesem Verfahren neben der Erfüllung der ihnen als Prozessvertretern der KPD auferlegten Verpflichtungen im Interesse der Wahrung des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit, im besonderen Maße für die Verteidigung der Gesetzlichkeit einzutreten, da nunmehr für das gesamte Verfahren keine Verfahrensnormen mehr erkennbar sind«47. Das waren harte Worte. Doch es kam noch schlimmer. Rechtsanwalt Böhmer forderte unter Berufung auf das Bundesverfassungsgerichtsgesetz das Gericht auf, die rechtlichen Normen zu achten und den Prozessvertretern der KPD Ein46 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 107. 47 Ebd., S. 108.

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sicht in sämtliche Schriftstücke zu gewähren, die bezüglich der Vernehmung des Zeugen Jost in die Akten gelangt seien. Wieder zog sich das Gericht zur Beratung zurück und beschloss, die Dokumente, die die Prozessvertretung der Bundesregierung schon seit über zwei Jahren in ihren Akten hatte, »den Prozessbevollmächtigten beider (!) Parteien« zur Einsichtnahme frei zu geben. Hierzu gehörten der Antrag der Bundesregierung vom 24. Juni 1952, der Vernehmungsbeschluss des Gerichts vom 26. Juni 1952 und die Niederschrift über die Vernehmung des Zeugen Jost vom 27./28. Juni 1952.48 Damit war die Frage der Befangenheit keineswegs erledigt, auch wenn Präsident Wintrich zu Beginn des dritten Verhandlungstages am 25. November 1954 einräumte, dass etliche Schriftstücke nicht in die Prozessakten genommen worden seien. »Um jede Gefahr einer Unvollständigkeit der Prozessakten auszuschließen«, so der Vorsitzende, habe der Senat »auch die Handakten des Berichterstatters durchgesehen, die an sich nicht zu den Prozessakten gehören. Aus diesen Handakten ist alles in die Prozessakten übernommen worden, was nach Meinung des Gerichts, des Senats, richtiger dorthin gehört.« Er schloss mit dem Satz: »Es gibt keine Prozessakten, die nicht den Bevollmächtigten beider Seiten zugänglich sind.«49 Die Freude über die scheinbare Großzügigkeit des Präsidenten hielt sich in Grenzen. Nach Einsichtnahme der frei gegebenen Schriftstücke durch die Anwälte der KPD tauchten immer neue Fragen auf. Warum stellte das Gericht zwar den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Bundesregierung auf V ­ ernehmung von Georg W. Jost vom 24. Juni 1952 zur Einsichtnahme zur Verfügung, die in diesem Schreiben erwähnte und beigefügte Anlage jedoch nicht? Erneut beantragte Rechtsanwalt Böhmer »volle Akteneinsicht, einschließlich der Ge­ heimakten«. Der Präsident zögerte nicht lange und rief in den Gerichtssaal: »Herr Rechtsanwalt, Ihr Antrag wird vom Gericht abgelehnt.«50 Was war der Grund, dass sich das Gericht derart hartnäckig weigerte, die Anlage des Antrags von Ritter von Lex mit der Selbsterklärung des Zeugen Jost vom 16. Mai 1952 für die KPD -Anwälte zur Einsicht frei zu geben, selbst auf die Gefahr hin, dass dem Gericht erneut vorgeworfen würde, geltendes Recht zu missachten? Bevor diese Fragen aufgegriffen werden konnten, sorgte jetzt der auch für die KPD -Anwälte frei gegebene Beschluss des Gerichts vom 26. Juni 1952, der die geheime Vernehmung und Beeidigung des Zeugen Jost anordnet hatte51, für neue Aufregung. Am Ende dieses Beschlusses war folgender Satz handschriftlich, mit schwarzer Tinte  – der gleichen Tinte, mit der als einziger Bericht­ erstatter Stein den Beschluss unterschrieben hatte – um folgenden Satz ergänzt worden: »Aus diesen Gründen unterbleibt eine Benachrichtigung der Betei­ 48 49 50 51

Ebd., S. 108 f. Ebd., S. 109. Ebd., S. 111. Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 3, BVerfG Beschluss vom 26.6.1952.

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ligten von dem Beweistermin.«52 Diese Ergänzung weckte erneut die Besorgnis der Befangenheit von Richter Stein, da sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt war. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte dies einen neuen Beschluss erfordert, wie Rechtsanwalt Kaul hervorhob. Ungewöhnlich sei, so Kaul, dass »das Wesentlichste, das Anormale und das Besondere dieses Beschlusses nachträglich mit Tinte hinzugefügt wurde«. Eine Klärung dieser Frage wurde nicht erreicht. Bundesverfassungsrichterin Scheffler betonte: »Solche Zusätze werden selbstverständlich gemacht auf Grund der Beratung im Senat, während der Entwurf gewöhnlich vom Berichterstatter vorgelegt wird.« Die Frage, ob der handschriftliche Zusatz am Tage der Beratung, also am 26. Juni 1952, hinzugefügt wurde, oder erst nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung, also nachdem die Prozessvertretung der KPD die Offenlegung aller Akten zum Verfahren eingefordert hatte, blieb ungeklärt. Auch hier kann der Historiker klärend helfen, dieses Mal zugunsten des Gerichts. Unter den Dokumenten, die das Bundesverfassungsgericht bereits 1952 der Prozessführungsstelle der Bundesregierung überlassen hatte, befindet sich auch eine Kopie des Vernehmungsbeschlusses des 1. Senats vom 26. Juni 1952, inklusive des handschriftlichen Zusatzes von Berichterstatter Stein.53 Also kann der Zusatz im Original, wie die KPD -Anwälte mutmaßten, nicht erst später hinzugefügt worden sein. Was hatte es nun mit der ominösen Anlage aus dem Antrag von Ritter von Lex auf Vernehmung des Zeugen Jost auf sich? Bei diesem Dokument handelt es sich um eine 13 Seiten umfassende Erklärung, die Georg Wilhelm Jost am 16. Mai 1952 gegenüber dem Verfassungsschutz abgegeben und unterschrieben hatte. Da der Verfassungsschutz keinerlei polizeiliche Vollmachten besaß, mithin auch keine Vernehmungen durchführen konnte, sondern lediglich Informationen über »umstürzlerische Tätigkeiten« sammeln durfte54, griff er gern zu der Methode, die Ergebnisse seiner »Befragungen« in persönliche Erklärungen zusammenzufassen und die Bereitschaft des Befragten, seine Aussagen gegebenenfalls auch vor Gericht zu wiederholen, schriftlich festzuhalten und durch Unterschrift bestätigen zu lassen. Mit einem solchen Dokument konnte der Verfassungsschutz seine Delinquenten in entsprechenden Verfahren gegen Kommunisten als Zeugen anbieten wie auch im Prozess gegen Neumann, Dickel und Bechtle vor dem BGH im Sommer 1954 geschehen. Als Jost auch vor dem BGH als Zeuge auftrat, nutzte der Verteidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt Böhmer, die Gelegenheit den Zeugen zu dessen Vernehmung im Sommer 1952 zu befragen. Auf die Frage, wann und von wem er seiner Zeit vernommen worden sei, bestätigte Jost, dass er im Sommer 1952 vom Bundesamt für Verfassungs52 Ebd. 53 BArch: B 106 I/127, Schriftwechsel mit dem BVG , Kopie des BVerfG-Beschlusses vom 26.6.1952, S. 3–5 (paginiert). 54 Foschepoth: Überwachtes Deutschland, S. 130 ff.

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schutz im Gebäude der CIA in Frankfurt vernommen worden sei. »Ich hatte erst eine bundesrichterliche Vernehmung, wenn ich mich recht erinnere, und später erst die Vernehmung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich weiß es nicht mehr genau.«55 Die Anlage, die Richter Stein und mit ihm der 1.  Senat des Bundesverfassungsgerichts der KPD nicht zur Einsichtnahme vorlegen wollte, trägt den Titel: »Erklärung über meine im Auftrage des Büros des Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands und im Auftrage des Politbüros der SED im Hauptausschuss für Volksbefragung ausgeübte Tätigkeit.«56 Das Dokument stammt vom 16. Mai 1952, das Vernehmungsprotokoll von Richter Stein vom 27./28. Juni 1952. Demnach wurde Jost zunächst vom Verfassungsschutz und erst sechs Wochen später von Bundesrichter Stein vernommen. Alle vier hier relevanten Dokumente »Antrag Ritter von Lex«, »Anlage Erklärung Jost«, »Beschluss BVerfG«, »Vernehmungsprotokoll Stein« befinden sich in den Akten des Bundesverfassungsgerichts zum KPD -Prozess unter der Bezeichnung »Anlagen zum Sitzungsprotokoll«. Die zwei- bzw. dreimalige Um-Paginierung der Akten lässt erkennen, dass sich die »Anlage Erklärung Jost« längere Zeit nicht in dieser Akte befunden hat.57 Wegen ihrer großen historischen Bedeutung werden alle vier Dokumente in der Quellen-Dokumentation dieses Buches »Die Geheim-Dokumente« erstmals zugänglich gemacht.58 Warum wurde ausgerechnet diese Anlage mit der Erklärung Jost den Prozessvertretern der KPD vorenthalten? Warum waren die Richter sogar bereit, gegen geltendes Recht zu verstoßen, nur um eine Anlage geheim zu halten, obwohl das Dokument gar nicht vom Verfassungsschutz als »geheim« eingestuft worden war? Die besondere Brisanz dieser Dokumente erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Erst eine vergleichende Betrachtung des Vernehmungsprotokolls mit der Selbsterklärung von Jost lüftet das Geheimnis. Wären alle Dokumente einschließlich der Erklärung des Zeugen Jost gegenüber dem Verfassungsschutz auch der Prozessvertretung der KPD zur Einsichtnahme frei gegeben worden, wären Ansehen, Reputation und Glaubwürdigkeit des Berichterstatters Stein und des ihn stützenden 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts endgültig zerstört worden. So haben es die Verfassungsrichter offensichtlich vorgezogen, erneut gegen Recht und Gesetz zu verstoßen, als ausgerechnet im Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD einen Eklat wegen verfassungswidrigen Verhaltens des Bundesverfassungsgerichts auszulösen. Hinsichtlich der rechtlichen Verpflichtung der höchsten westdeutschen Richter, 55 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 103, Böhmer aus dem Protokoll des BGH-Prozesses gegen Neumann/Dickel zitierend. 56 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 2, Faksimile der Erklärung Jost gegenüber dem BfV, 16.5.1952. 57 BArch: B 237/215681. Hinweis des Archivs: Laufzeit 1952–1953. 58 Die Quellen-Dokumentation: Dokumente Nr. C 1 bis C 4. 

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auch den Anwälten der KPD die gegenüber dem Verfassungsschutz abgegebene Erklärung von Georg Wilhelm Jost zur Einsicht vorzulegen, gibt es keine Zweifel: »Der Verteidiger ist nach dem Schluss der Voruntersuchung und, wenn eine solche nicht stattgefunden hat, nach Einreichung der Anklageschrift zur Einsicht der dem Gericht vorliegenden Akten befugt.«59 Die Brisanz der beiden Dokumente lag und liegt nicht in ihren Inhalten, sondern darin, dass Bundesverfassungsrichter Stein die vom Verfassungsschutz gefertigte Jost-Erklärung vom 16. Mai 195260 als Vorlage für die Abfassung seines Protokolls über die Vernehmung des Jost am 27./28. Juni 195261 benutzt und in einem Umfang von etwa 10 Seiten abgeschrieben hat. Wie ein Vergleich der grau hinterlegten Textbausteine des Vernehmungsprotokolls mit den ebenfalls grau hinterlegten identischen Textteilen der Faksimile-Wiedergabe der Jost-­ Erklärung zeigt62, hat Stein die vom Verfassungsschutz erstellte Vorlage persönlich bearbeitet, an einigen Stellen gekürzt, zum größten Teil  jedoch wortwörtlich übernommen. Der so redigierte Text ist dann bausteinartig in das von ihm verfasste Vernehmungsprotokoll eingearbeitet worden. Nimmt man aus beiden Dokumenten die einleitende Erklärung und die Angaben zur Person heraus, bleiben zwei inhaltliche Texte zur Sache im Umfang von ca. 12 Seiten (Jost-Erklärung) und ca. 20 Seiten (Jost-Vernehmung) übrig. Die aus der JostErklärung in das Jost-Vernehmungsprotokoll übernommenen Textteile haben einen Umfang von etwa 10 Seiten. Die Jost-Erklärung des Verfassungsschutzes ist somit fast vollständig in das offizielle Vernehmungsprotokoll eingearbeitet worden. Das bedeutet, dass etwa 50 Prozent des Protokolls bereits geschrieben waren, ehe die Vernehmung überhaupt durchgeführt wurde. Hinzukommt, dass das Protokoll lediglich von Richter Stein und der Urkundsbeamtin Kapfe­ rer von der Geschäftsstelle des Bundesverfassungsgerichts unterschrieben worden ist63, nicht jedoch – wie die StPO ausdrücklich vorsieht64 – auch von dem vernommenen Jost. Es kann daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob das von Verfassungsrichter Stein aus zwei verschiedenen Texten zusammengebastelte Vernehmungsprotokoll dem Zeugen in Gänze vorgelesen und von ihm genehmigt worden ist, wie es die Schlussformel nahelegt: »Vorgelesen und genehmigt.« Zweifel sind wegen der fehlenden Unterschrift angebracht. Sollte Jost jedoch tatsächlich »nach nochmaliger Belehrung beeidigt«65 worden sein, wie die Schlussformel nahelegt, dann wäre Jost auf ein Protokoll vereidigt worden, 59 60 61 62 63

StPO § 147, Abs. 1.

Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 2. Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 4. Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 2 und Dokument C 4. Das Original des Vernehmungsprotokolls Jost befindet sich in den Akten des BVerfG: BArch: B 237/215681. 64 StPO: § 188, Abs. 3. 65 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 4.

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dessen Inhalt zu 50 Prozent aus dem Hause des Bundesamtes für Verfassungsschutz stammte und daher gar nicht Gegenstand der von Stein durchgeführten Vernehmung gewesen sein konnte. Hinzukommt, dass dieses rechtswidrig entstandene, durch Unterschrift von Bundesverfassungsrichter Stein als echt erklärte, tatsächlich jedoch eigenhändig gefälschte Vernehmungsprotokoll bereits im Sommer 1954 in einer vom Bundesverfassungsgericht beglaubigten Abschrift66 in einem BGH-Prozess gegen drei leitende Kommunisten als Beweismittel eingeführt worden war. Die Affäre Stein macht wieder einmal, in geradezu exemplarischer Weise, den verfahrensbestimmenden Einfluss des Verfassungsschutzes auf die Gerichtsbarkeit im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg deutlich. Immer wieder trifft man in den Akten auf Belege, in denen das Bundesamt für Verfassungsschutz den Gerichten sagt, was zu tun ist. Vielfach setzten sich die Verfassungsschutzleute mit den Vertretern der Gerichte, dem Bundesverfassungsgericht, dem BGH oder auch anderen Gerichten an einen Tisch, um wichtige Verfahrensfragen in Prozessen gegen Kommunisten zu besprechen und miteinander abzustimmen. Eine wichtige Dienstleistung des Kölner Bundesamts bestand in der Beschaffung von Zeugen. Besonderes Interesse galt Überläufern aus der DDR . Diese wurden vom BfV gern als Zeugen in Gerichtsverfahren platziert. Erst wurden die Überläufer aus der DDR von den Besatzungsmächten verhört, dann dem Verfassungsschutz zum Verhör frei gegeben. Persönliche, gerichtsverwertbare Erklärungen wurden vorbereitet und von den Delinquenten unterschrieben. Persönliche Dokumente wurden beschafft und notwendiges Kleingeld bereitgestellt. Da unter den Überläufern viele KPD - und SED -Mitglieder waren, die bereits zuvor in der Bundesrepublik politisch aktiv gewesen waren und dadurch gegen politische Strafgesetze verstoßen hatten, war das Bundesamt für Verfassungsschutz sehr bemüht, diese Leute in der Bunderepublik vor Strafverfolgung zu schützen, auch wenn das einer Strafvereitelung im Amte gleichkam. Erst gegen Ende seiner Amtszeit 1960/61 ging Oberbundesanwalt Max Güde gegen diese Verletzungen des Rechtsstaates durch den Verfassungsschutz vor.67 Ein gutes Beispiel ist der Fall Lippmann. Heinz Lippmann war seit 1951 an der Seite Erich Honeckers stellvertretender Leiter der FDJ. 1953 wechselte er in die Bundesrepublik. Im KPD -Prozess trat er als Zeuge auf. Auch er sollte zunächst im Verfahren gegen Neumann, Dickel und Bechtle vor dem BGH als Zeuge aussagen. Eine erste Vernehmung sollte Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Dr. Claus beim BGH durchführen. Diese Vernehmung könne, wie der Verfassungsschutz notierte, »auch wichtige Sachverhalte für das vorliegende Verfahren (KPD -Prozess, J. F.) erbringen«. So vereinbarten die Geheimdienst66 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 103. 67 BMJ-Archiv, Berlin: 4021/1-1, »Strafjustiz und Sicherheitsbehörden«, Referat Bundesanwalt Wagner auf der Tagung der Generalstaatsanwälte, 31.5.1960.

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leute mit dem Untersuchungsrichter, »dass auch auf derartige Sachverhalte bei der Vernehmung Lippmanns geachtet wird«. Um die für das KPD -Verfahren bedeutsamen Gesichtspunkte herauszuarbeiten, traf man sich am 4. Oktober 1954 im Bundesamt für Verfassungsschutz zu einer Besprechung, »an der Landgerichtsrat Strickert vom BVG und MinRat Gecks und ORR Barthold teilnehmen werden. Bei dieser Gelegenheit sollen auch noch etwa auftauchende Fragen und die Verwendbarkeit des früheren KPD -Funktionärs Prinz, früher Hamburg, als Zeugen erörtert werden.«68 Eile war geboten, wenn Staatsanwälte aufgrund des gesetzlichen Legalitätsbzw. Verfolgungszwangs bei politischen Straftaten glaubten, gegen Überläufer Ermittlungsverfahren einleiten zu müssen. Als die Verfassungsschützer in einem Verfahren vor dem Landgericht Koblenz gegen A. Wölfel, auch Jost als Zeugen angeboten hatten, kam es statt zu der gewünschten Zeugen­vernehmung zu einigem Ärger mit der Justiz. Der zuständige Oberstaatsanwalt Buch hatte herausgefunden, dass Jost vor seinem Übertritt in den Westen bereits in Rheinland-Pfalz für die Nationale Front tätig gewesen war. Daraufhin teilte er dem Verfassungsschutz mit, dass er verpflichtet sei, ein Strafverfahren gegen Georg Wilhelm Jost und Georg Wieber einzuleiten. Da beide auch im KPD -Prozess als Zeugen auftreten sollten, hielten die – eigentlich die Verfassung schützenden – Geheimdienstler es für »unzweckmäßig, ein solches Strafverfahren gegen die Zeugen mit Rücksicht auf ihr in Aussicht genommenes Auftreten vor dem Bundesverfassungsgericht durchzuführen«. Überhaupt schien ein Strafverfahren gegen die genannten Personen nicht erforderlich, »weil beide durch frühzeitige und rückhaltlose Offenbarung ihrer gesamten umfassenden und wichtigen Erkenntnisse das BfV und die Justizbehörden der Bundesrepublik in die Lage versetzt haben, kommunistische Organisationen im Bundesgebiet wirksam zu bekämpfen. Dadurch ist von beiden Zeugen ein erheblicher Teil des Unrechts wiedergutgemacht worden, das sie in Ausübung ihrer politischen Tätigkeit für westliche Organisationen begangen haben.« Zweifellos, ein recht pragmatisches Rechtsverständnis, das mit Rechtsstaatlichkeit allerdings nicht mehr viel zu tun hatte. Trotzdem regte Albert Radke, Vizepräsident des BfV, bei Innenminister Schröder an, »mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz in Verbindung zu treten, damit sie auf die Staatsanwaltschaft Koblenz dahin einwirkt, dass von der Einleitung eines derartigen Strafverfahrens Abstand genommen wird«.69 Schröder wiegelte ab und wollte die Sache erst einmal zurückstellen, »um später auf sie zurückzukommen«. Die gewonnene Zeit nutzend, wandte sich Ministerialrat Gecks, Mitglied der Pro­ zessführenden Stelle des BMI, an das Bundesministerium der Justiz. Dieses 68 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 8, Absprachen zwischen Stein und Barthold, 28.9.1954, S. 9. 69 BArch: B 106/200800, Radke (BfV), Minister Schröder (BMI).

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sagte Prüfung zu und teilte tags darauf mit, dass dem Oberbundesanwalt bislang nichts davon bekannt sei, dass gegen die Zeugen Jost und Wieber irgendein Verfahren eingeleitet worden sei. Das BfV wurde gebeten, umgehend Mitteilung zu machen, wenn ihnen bekannt würde, dass irgendwo in der Bundesrepublik gegen die Zeugen Georg Jost und Wieber ermittelt werden sollte. »Sollte gegebenenfalls bekannt werden, dass eine Staatsanwaltschaft sich veranlasst sieht, gegen die Zeugen ein Ermittlungsverfahren aus dem genannten Grunde einzuleiten, bitte ich um unverzügliche Mitteilung, damit der Oberbundesanwalt von hier (BMJ, J. F.) aus verständigt werden kann und in die Lage versetzt wird, das Strafverfahren an sich zu ziehen.«70 Will sagen: zu verhindern. Die »Strafvereitelung im Amt« hatte auch ohne Zustimmung des Herrn Ministers durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der Prozessführungsstelle des BMI wieder einmal funktioniert. Die Eröffnung des Hauptverfahrens im Prozess gegen die KPD hätte turbulenter nicht verlaufen können. »Das Monstre-Schauspiel in Karlsruhe«, wie die Süddeutsche Zeitung titelte71, blieb natürlich auch der Öffentlichkeit nicht verborgen. Etwa 50 Berichterstatter von Zeitungen und Rundfunkstationen aus der Bundesrepublik und dem Ausland verfolgten gebannt die Eröffnung des Verfahrens. Unter ihnen auch viele Vertreter kommunistischer Zeitungen aus Ostund West-Europa.72 Schien das Gericht zunächst durchaus Herr der Lage zu sein, so änderte sich dieser Eindruck schnell. Wollten die Prozessbevollmächtigten der KPD mit ihren zahlreichen Anträgen das Gericht herausfordern, um den Prozess zu verzögern? Je dramatischer sich die Verhandlungen entwickel­ ten, desto deutlicher wurde auch die öffentliche Kritik. »Mit einem juristischen Feuerwerk« versuche die KPD, »das Verfassungsgericht in Verwirrung zu bringen.« Andere Zeitungen schrieben, schon in den ersten Tagen sei klargeworden, dass der Vorsitzende des Gerichts, Josef Wintrich, das Verfahren kaum noch im Griff habe. »Kurze Sitzungen und stundenlange Beratungspausen«, über drei Stunden habe das Gericht überlegt, wie es sich bei dem Befangenheitsantrag gegen Stein »aus der Affäre ziehen sollte«, nachdem es bereits fünf Stunden über die Ablehnung von Verfassungsrichter Stein beraten hatte. Am zweiten Verhandlungstag habe die Sitzung »nur sechs Minuten« gedauert, bevor sich das Gericht auf den dritten Verhandlungstag vertagte. »Peinlich«, dass es sich so viel »Zeit nehmen musste, um nach etwa neuen Dokumenten zu suchen«. Den Beobachtern war klar: »Wenn es den Rechtsanwälten der KPD gelingt, den Dr. Stein herauszuschießen, den ersten Berichterstatter des Gerichts, dann ist dieses Verfahren von Anbeginn zur Diskreditierung verdammt.«73 Die einzige 70 BArch: B 106/200800, BMJ an BfV, beabsichtigtes Strafverfahren gegen Jost und Wieber, 24.2.1954. 71 Süddeutsche Zeitung, 26.11.1954. 72 FAZ: Die Kommunistische Partei vor Gericht, 24.11.1954. 73 Süddeutsche Zeitung: Das Monstre-Schauspiel in Karlsruhe, 26.11.1954.

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Möglichkeit sich aus der Affäre zu ziehen, wäre gewesen, so der Spiegel, »das Verfahren gar nicht stattfinden zu lassen«. Das Verfassungsgericht sei schlicht überfordert. Man könne eben »zweckbestimmte politische Entscheidungen nicht mit juristischen Formeln begründen«74. Die nicht öffentliche Kritik stand der öffentlichen Kritik in nichts nach. Auch hier ging die Sorge um, das Verfahren könne ohne Beweisaufnahme eingestellt werden. In einem Bericht an Staatssekretär Globke vom Bundeskanzleramt nahm der Stellvertretende Leiter des Bundespresseamtes, Edmund Forschbach, kein Blatt vor den Mund: »Wir stehen immer noch am Anfang der Präliminarien, die von der Gegenseite mit höchster forensischer Kunst breit ausgewalzt werden.« Der KPD sei es gelungen, das Karlsruher Gericht »mit Erfolg zu einer Propagandaplattform« auszubauen. »Die Verhandlungsführung durch den neuen Präsidenten ist zögernd, unsicher und begünstigt durch das gelegentlich geradezu rührende Bemühen, der Antragsgegnerin rechtliches Gehör zu verschaffen, die Taktik der Kommunisten. Aus den langen Beratungspausen nach Anträgen der KPD kann auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Senats geschlossen werden.«75 Das Verfahren sei von Regierungsseite durchaus gründlich vorbereitet worden. Doch habe man offensichtlich nicht mit dieser raffinierten Taktik des »Anwaltskollektivs« der KPD gerechnet. »Die Unterstützung des Prozessbevollmächtigten der Bundesregierung durch lediglich einen Anwalt, der überdies bisher wenig gute Momente hatte, reicht nicht entfernt dazu aus, so etwas wie ein forensisches Gleichgewicht herzustellen.« Die Anwälte der KPD seien alle »vorzügliche Dialektiker«, die sich »unablässig in der Argumentierung und im Stellen von Anträgen« ablösen. Forschbach kam zu dem Schluss: »Das Prestige des Gerichts ist nach den ersten drei Verhandlungstagen ohne Zweifel beträchtlich angeschlagen. Ungeachtet dessen, dass die Prozessvertreter der Bundes­ regierung bisher wenig in Erscheinung traten und die eigentliche Verhandlung noch gar nicht begonnen hat, ist die Bundesregierung von dieser Prestigeeinbuße mit betroffen.«76 In einem Bericht vor dem Bundestagsausschuss zum Schutz der Verfassung über die Klage gegen die KPD blieb Ritter von Lex nichts anderes übrig, als die juristische Überlegenheit der Gegenseite anzuerkennen: »In 13 Sitzungstagen sind wir infolge des hartnäckigen, alle dialektischen Künste ausspielenden Fechtens der Prozessvertretung der KPD über diesen ersten Abschnitt nicht hinausgekommen.«77 Der Ausschuss, der sich bereits 1951 kritisch mit den Anträgen der Bundesregierung zum Verbot der SRP und der KPD auseinander74 Der Spiegel, KPD -Prozess. Der Zweck und die Mittel, 1.12.1954. S. 4. 75 BArch: B 136/3785, Forschbach an Globke, Karlsruher Prozess gegen die KPD, 26.11.1954, S. 1. 76 Ebd., S. 3. 77 PA-DBT: 3102, 2. WP., Protokoll 12, 12.1.1955.

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gesetzt hatte, sah sich in seiner damaligen Kritik bestätigt, die KPD lieber in »offener Feldschlacht« zu besiegen als innerhalb der Schranken des Gerichts. Selbst CDU-Abgeordnete wie Ferdinand Friedensburg empfahlen: »Wenn die Möglichkeit bestehe, sollte man danach trachten, den Prozess in erträglicher Weise abzubiegen.« Der Abgeordnete Erwin Feller (GB/BHE) hielt »eine Beendigung des Prozesses für wünschenswert«.78 Innerhalb von nur drei Verhandlungstagen war es den KPD -Anwälten ge­ lungen, dem Verfassungsgericht zahlreiche Verfahrensfehler, Rechts- und Gesetzesverstöße nachzuweisen, die große Zweifel aufkommen ließen, ob die Richter hinreichend juristisch versiert und taktisch durchsetzungsfähig seien, um das Mammutverfahren gegen die KPD erfolgreich zu bestehen. Trotz des Punktsieges der KPD war es dennoch nicht gelungen, mit der nachgewiesenen Befangenheit des Berichterstatters Stein die Geschlossenheit des Gerichts auf­ zubrechen und den Prozess frühzeitig zum Scheitern zu bringen. Nachdem die prozessrechtlichen Fragen zwar nicht geklärt, aber entschieden worden waren, ging es bis zur Weihnachtspause um die Rechtsgrundlagen des Verfahrens. Die Bundesregierung hatte ihren Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD auf Artikel 21 Abs.  2 GG gestützt: »Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.« Schon in der Stellungnahme zum Antrag der Bundesregierung hatte die KPD bestritten, dass dieser Artikel des Grundgesetzes alleinige und vor allem bestimmende Rechtsgrundlage für das Verbotsverfahren sein könne. In den Potsdamer Vereinbarungen der drei Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg, dem sogenannten »Potsdamer Abkommen«, sei vielmehr höheres »präjudizielles Recht« geschaffen worden. Das Verbot einer den Forderungen des »Potsdamer Abkommens« entsprechenden Partei beeinträchtige daher die freiheitliche demokratische Grundordnung. Entsprechendes galt nach Ansicht der KPD -Anwälte auch für die Frage der »Lizensierung« der Parteien nach dem Ende der NS -Diktatur. Grundsätzlich seien von den Besatzungsmächten nur Parteien zugelassen worden, die den Prinzipien des Potsdamer Abkommens entsprochen hätten. Bis zur Wiedervereinigung dürfe daher im Geltungsbereich des Potsdamer Abkommens nicht an den von den Besatzungsmächten erteilten Lizenzen gerüttelt werden.79 Zum umstrittensten Problem des gesamten Prozesses entwickelte sich die Frage, ob die vom Grundgesetz geforderte Wiedervereinigung Deutschlands 78 Ebd. 79 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd.  1, Potsdamer Abkommen und Lizensierung der Parteien, S. 188 ff.

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nicht grundsätzlich einem Verbot der KPD entgegenstehe. Da ein Verbot der einzigen, noch gesamtdeutsch agierenden Partei die Wiedervereinigung Deutschlands erschwere, wenn nicht unmöglich mache, sei ein Verbotsverfahren gegen die KPD, unabhängig vom Potsdamer Abkommen, allein schon nach dem Grundgesetz verfassungswidrig. Für die KPD -Anwälte war das grundgesetz­ liche Gebot der Wiedervereinigung die »Grundlage, auf der alle anderen Bestimmungen des Grundgesetzes basieren«. Von Lex betonte dagegen, die Pflicht, alles zu tun, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen, könne »die Pflicht, die Freiheit zu erhalten, nicht ausschließen«. Andernfalls wäre es rechtlich möglich, »die die Freiheit schützende deutsche Rechtsordnung aufzulösen, ja sogar den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden«. Die Pflicht zur Wiedervereinigung könne somit »gegenüber allen Vorschriften, die die innere Freiheit schützen, nicht die höhere Norm sein«80. Schutz und Erhaltung der Bundesre­ publik waren somit nach Auffassung der Bundesregierung »das höhere Rechtsgut«, höherrangig als die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Das, was deutschlandpolitisch Priorität hatte, war natürlich keine rechtliche, sondern eine politische Frage, eben die zentrale Frage des deutsch-deutschen Kalten Bürgerkriegs. Im Kern ging es darum: Wer war der bessere, national legitimierbare deutsche Teilstaat, die DDR oder die Bundesrepublik? Entsprechend warfen sich beide Seiten öffentlich, aber auch vor Gericht immer wieder vor, die Wiedervereinigungsfrage lediglich als »Mittel zum Zweck« zu benutzen, um den jeweils anderen deutschen Staat bekämpfen und letztlich zerstören zu können. Politisch betrachtet, gab es zweierlei Wiedervereinigungen, eine schlechte, von der DDR auf der Grundlage der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gewollte Wiedervereinigung, und eine gute, von der Bundesrepublik auf der Grundlage der Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 gewollte Wiedervereinigung. Damit war klar: »Nicht die Wiedervereinigung also, sondern der Missbrauch der Wiedervereinigung zum Zwecke der Ausdehnung des kommunistischen Staats- und Gesellschaftssystems ist die konkrete wirkliche Zielsetzung der KPD -SED in Deutschland.«81 So konnte es gar nicht anders sein, dass auch und gerade die Wiedervereinigungsfrage als Rechtsgrundlage des KPD -Prozesses vor den Schranken des Gerichtes streitig blieb. Über die Rechtsgrundlagen sei allein an »9 Sitzungstagen durchschnittlich 3–4, manchmal auch 5 Stunden verhandelt worden. Das Verhandlungsprotokoll umfasst jetzt schon über 700 Schreibmaschinenseiten«82, stöhnte Ritter von Lex im Verfassungsausschuss des Bundestags. Erst in der letzten Sitzung vor der Weihnachtspause deutete sich eine Wende im Prozess 80 PA-DBT: 3102, 2. WP., Protokoll 12, 12.1.1955, Bericht von Lex vor dem Verfassungsausschuss, S. 20. 81 BArch: B 137/2305, Zum Stand des Verfahrens im KP-Prozess, 21.3.1955. 82 Ebd., S. 2.

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gegen die KPD an. Präsident Wintrich erklärte, die Verhandlungen würden erneut für 6 Wochen bis Ende Januar 1955 unterbrochen. In Anbetracht der vielfältigen und bedeutsamen, bisher aufgeworfenen rechtlichen Probleme halte es der Senat für notwendig, zu prüfen, »ob die bisher erörterten Fragen etwa eine besondere Entscheidung erforderlich machen. Er wird sich darüber im Laufe des Januars schlüssig werden und in einem noch zu bestimmenden und noch anzuberaumenden Termin die Entscheidung hierüber bekannt geben.« Würde das Gericht das Verfahren wegen unzureichender Rechtsgrundlagen einstellen? Nein, das Verfahren sollte und musste weitergehen. Nach der verlängerten Weihnachtspause wollte das Gericht auf jeden Fall in die Beweisaufnahme eintreten. Ohne der »besonderen Entscheidung« des Gerichts vorgreifen zu wollen, kündigte Wintrich für Anfang Januar einen »Aufklärungsbeschluss« an, mit dem die Beweisaufnahme vorbereitet werden sollte. Danach würden die beiden Prozessparteien gebeten, »die Beweisthemen genau festzulegen und die hierfür erforderlichen Beweismittel dem Gericht bekanntzumachen«83. Am 31. Januar 1955 verkündete das Gericht, den für alle Seiten überraschenden Beschluss, wonach die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, die Lizensierung der KPD und der Verfassungsauftrag der Wiedervereinigung keine Prozesshindernisse darstellten. Das Gericht habe sich, so Wintrich, mit all den vorgebrachten Fragen und Problemstellungen eingehend befasst. Es sei zu dem Ergebnis gekommen, »dass es sich hierbei nicht um prozessuale Vorfragen handelt, die den Fortgang des Verfahrens unzulässig machen könnten und die daher einer besonderen Entscheidung bedürftig wären. Diese Einwendungen sind daher nicht geeignet, den Fortgang des Verfahrens und insbesondere den Eintritt in die Beweisaufnahme aufzuhalten.« Das beziehe sich auch, wie er ausdrücklich betonte, »auf den Verfassungsgrundsatz der Wiedervereinigung«84. Das Gericht hatte offensichtlich gut daran getan, dem Verfahren eine längere Pause zu verordnen, um so die überhitzte Atmosphäre der Eröffnungsphase der mündlichen Verhandlungen abzukühlen, die wenig erfolgreiche Führung des Prozesses zu überdenken und der anstehenden Beweisaufnahme eine neue, ordnende Struktur zu geben. Schon bei seinem ersten Auftritt schien der Präsident wie verwandelt. Er hörte kurz zu, unterbrach die Wortmeldungen und entzog den KPD -Anwälten sofort das Wort, wenn es ihm nicht sachdienlich zu sein schien. Möglicherweise hatte der »prozessual überaus gewandte Bundesanwalt Güde«, der erst kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung der Prozess­ partei der Bundesregierung als Verstärkung beigegeben worden war, im Hintergrund gewirkt, wie Rechtsanwalt Kaul vermutete85, den Richtern und Ritter von Lex Mut gemacht und zu einer strikteren Prozessführung geraten, in der 83 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 400. 84 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 426. 85 BArch: BY 1/1897, Kaul, Strategie und Taktik im Verbotsprozess, S. 2.

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die Prozess­führungsstelle der Bundesregierung die Beweisthemen setzen und begründen müsse. Exakt in diesem Sinne hatte das Hohe Gericht am 18. ­Januar 1955 »den Beweisbeschluss« mitgeteilt und vorgegeben, wie die Beweisaufnahme in der kommenden Phase des Verfahrens ablaufen sollte. »Der Antragstellerin wurde aufgegeben, die von ihr im Eingangsplädoyer vorgebrachten Behauptungen zu spezifizieren.« In einer ausführlichen Disposition sollten die einzelnen Beweisthemen unter Angabe aller Beweismittel benannt werden. Der Antragsgegnerin wurde aufgegeben, kurz zu erklären, »inwieweit sie die Behauptungen der Antragstellerin anerkennt oder bestreitet, alle Gegenbeweise anzubieten und etwaige Beweismittel« anzugeben. Zur Erledigung der Auflagen wurde »der Antragsgegnerin jeweils eine Frist von 10 Tagen nach Zugang der Äußerungen der Antragstellerin gesetzt«86. Natürlich wusste die Bundesregierung im Unterschied zur KPD auch dieses Mal, bevor der »Beweisbeschluss« des Bundesverfassungsgerichts den Beteiligten offiziell zugestellt wurde, was auf sie zukam. In einem Telefonat mit der Prozessvertretung der Bundesregierung erkundigte sich Hans-Georg Strickert, Oberregierungsrat am Bundesverfassungsgericht, ob die Kollegen von der Exekutive mit den Terminen zurechtkämen. Gegebenenfalls würde das Gericht »auch gewisse Verschiebungen bewilligen«. Da die Beweisthemen mit allen Beweismaterialien spätestens innerhalb eines Monats benannt und vorgelegt werden müssten, seien der Termin zwar eng und das Beweismaterial umfangreich, so die Antwort. Doch werde man das schon schaffen, da die Bundesregierung »an einem zügigen Fortgang interessiert«87 sei. Die Informationen reichten aus, um auf Seiten der Prozessvertretung wieder eine ungewöhnliche Aktion auszulösen, die weder von der Strafprozessordnung, noch vom Bundesverfassungsgerichtsgesetz gedeckt war. Staatssekretär Ritter von Lex wandte sich umgehend an die Justizminister von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen und bat um Amtshilfe. Gebraucht wurden sechs, in Verfahren gegen Kommunisten erfahrene Staats- bzw. Oberstaatsanwälte, um die im Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gelagerten, »vom Bundesverfassungsgericht beschlagnahmten, zahlenmäßig sehr umfangreichen Dokumente durchzuarbeiten, um Material für die Beweisführung in dem Verfahren gegen die KPD vor dem Bundesverfassungsgericht vorzubereiten«. Die Zeit dränge, da das Bundesverfassungsgericht angeordnet habe, »dass das Beweismaterial für die in Frage kommenden Themen bereits zum 5. und 12. Februar 1955 durch die Prozessvertretung des Bundesministeriums des Innern vorgelegt wird«88. Die Landesjustizminister verweigerten sich diesem Ersuchen natürlich nicht. So wurden zum Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz aus Niedersachsen 86 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Beschluss vom 18.1.1955, Bd. 3, S. 500. 87 BArch: B106 I/127, Henrichs/Gecks, Telefonvermerk vom 18.1.1955. 88 BArch: B106 I/114, von Lex an Justizminister NRW

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abgeordnet: die Oberstaatsanwälte Dr. Topf und Dr. Liebau sowie die Staatsanwälte Gerken und Buback. Aus Nordrhein-Westfalen kamen als Verstärkung Oberstaatsanwalt Dr. Schneider und Staatsanwalt Dr. Sielow hinzu.89 Selbstverständlich übernahm die eine Prozesspartei (BMI) die im Kampf gegen die andere Prozesspartei (KPD) anfallenden Kosten für die Herren Staatsanwälte wie Reisekosten, Tagegelder, Übernachtungsgelder, Ministerialzulagen und Gehälter. Wieder einmal arbeiteten Bundesverfassungsgericht, Bundesregierung und Bundesverfassungsschutz Hand in Hand. So ist das in einer gut funktionierenden Staatsdemokratie, die keine Trennung der Gewalten mehr kennt. Der Beschluss vom 18. Januar 1955 war, wie der Vorsitzende des 1. Senats, J­ osef Wintrich, in der Sitzung am 31.  Januar 1955 erläuterte, »eine prozessleitende Verfügung«90, die weder diskutiert noch infrage gestellt werden konnte, »wollte man die Würde des Gerichts nicht verletzen«.91 Damit war die »Offensiv-Kraft der KPD« gebrochen. Die Antragsgegnerin war in die Defensive gedrängt worden. Künftig setzte die Antragstellerin die Themen, worauf die Antragsgegnerin lediglich antworten bzw. reagieren konnte. Gegen die Verfügung des Gerichts konnte jedenfalls »mit prozessualen Mitteln nicht mehr vorgegangen werden«. Wie die ersten drei Verhandlungstage der Beweisaufnahme zeigten, folgte das Gericht präzise den Beweisthemen der Regierung. Die Beweisthesen der KPD wurden dagegen gestrichen: »Teilweise wurden sie als unerheblich abgelehnt, teilweise als Selbstbewertungen für nicht beweisbar erklärt, zum Geringsten als wahr unterstellt.« Durch die konsequente Umsetzung der prozessleitenden Verfügung, war die KPD voll und ganz der Initiative der Regierung ausgeliefert. Von der Bindung an die Beweisthemen der Antragstellerin war die Antragsgegnerin nur befreit, räsonierte Kaul, »wenn wir die prozessleitende Verfügung nicht erfüllen«. Auf jeden Fall sollten die Anwälte der KPD auf die Beweis­ themen der Bundesregierung nicht mehr schriftlich antworten, sondern nur noch mündlich reagieren, aber dann in der Weise, »dass wir das Verhalten der Adenauer-Regierung in Westdeutschland diesen Beschuldigungen gegenüberstellen«. Da inzwischen wieder eine 14-tägige Pause verfügt worden war, sollte zu Beginn des vierten Verhandlungstages der Beweisaufnahme am 1. März eine Erklärung abgegeben werden, »dass wir den Auflagen der sogenannten pro­ zessleitenden Verfügung nicht nachkommen, weil, abgesehen von der damit erfolgenden Beseitigung des Prinzips der Mündlichkeit, das Gericht die Verwirklichung dieser prozessleitenden Anordnung dazu benutzt hat, um die Regierung als Prozesspartei in Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen zu begünstigen und die KPD als Prozesspartei zu benachteiligen«92. 89 Ebd., diverse Schreiben in der Sache, auch an den Niedersächsischen Minister der Justiz. 90 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 428. 91 BArch: BY 1/1897, Kaul, Strategie und Taktik im Verbotsprozess, S. 2. 92 Ebd., S. 4.

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In der Sitzung vom 1. März 1955 kam es zum Showdown zwischen ­Wintrich und Kaul, als der Rechtsanwalt für die KPD folgende Erklärung abgab: »Die ersten drei Verhandlungstage der Beweisaufnahme haben ergeben, dass die ­Bundesregierung, obwohl sie in diesem Verfahren nichts anderes als eine von zwei Prozessparteien ist, das von ihr von Anfang an erstrebte Ziel erreicht hat, nämlich das Gesicht des Verfahrens allein zu bestimmen.« Der Präsident erwiderte: »Herr RA Dr. Kaul, ich lehne ab, eine solche Erklärung entgegen­zunehmen, die eine Kritik des Gerichts enthält. RA Dr. Kaul: Das ist keine ­Kritik des Gerichtes. Und wenn es eine Kritik des Gerichtes ist, ist es zunächst nur eine Feststellung, warum wir genötigt sind … Präsident: Ich entziehe Ihnen das Wort. RA Dr. Kaul: Aber Herr Präsident, das können Sie doch gar nicht, prozessual. Präsident: Wollen Sie an das Gericht appellieren? RA Dr. Kaul: Ich appelliere an das Gericht. Präsident (nach Verständigung mit den Richtern): Abgelehnt.«93 Eruptive Reaktionen dieser Art blieben auch in Zukunft nicht ausgeschlossen, zumal Rechtsanwalt Kaul, Spezialist für Verfahrensfragen, keine Gelegenheit ungenutzt ließ, um den Ablauf des Verfahrens durch Wiederholungsanträge, Unterbrechungs- und Einstellungsanträge zu behindern. Je mehr es jedoch der Prozessvertretung der Bundesregierung mit Unterstützung des Gerichts gelang, ihre Themen zu setzen, desto ermüdender wurde der Prozess mit seinen endlosen Ideologie-Traktaten und den zahllosen Dokumentenbeweisen aus Texten von Marx, Lenin oder Stalin. Die Beweisaufnahme war in vier Teile gegliedert: 1. Theorie des Marxismus-Leninismus; 2. Verbindlichkeit der kommunistischen Lehre; 3. Organisation der KPD; 4. Zielsetzung und Betätigung der KPD. Zeugen sollten befragt, Gutachter angehört werden. Interne Schätzungen gingen davon aus, dass etwa 500 Dokumente verlesen, bewertet und debattiert würden. Außerdem waren über 200 Entscheidungen anderer Gerichte zu behandeln. Die Beweisaufnahme sollte bis Mitte Juli abgeschlossen werden. Bis Ende Juli waren die Schlussplädoyers zu halten. Angesichts der Vielzahl der Themen und Fragestellungen, der Masse des Materials, der Unwägbarkeiten des Verlaufs, war dies ein ehrgeiziges Programm. Der politische Druck, diesen Zeitrahmen auch wirklich einzuhalten, nahm weiter zu, als nach Inkrafttreten der Westverträge prompt im Bonner Kanzleramt eine Einladung nach Moskau eintraf. Da eine Wiedervereinigung vom Westen nicht mehr gewollt sei, wollte die neue sowjetische Führung nunmehr reinen Tisch machen und den Status quo in Deutschland und Europa durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Seiten von Bundeskanzler Adenauer offiziell anerkannt wissen. Was den Herren im Kreml mit der Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen auch tatsächlich gelang.94 Angesichts dieser politischen Großwetterlage war es politisch mehr als opportun, die Hauptverhandlung im Staatsprozess gegen die KPD 93 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 541. 94 Foschepoth: Adenauers Moskaureise.

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spätestens im Juli zu beenden. Ein Wunsch, den das Hohe Gericht dem Kanzler auch tatsächlich erfüllte. Mit einer abschließenden Entscheidung war nicht vor Oktober/November 1955, wenn nicht noch später, zu rechnen. Parallel zu dem sich auch während der mündlichen Verhandlungen weiter steigernden politischen Druck der Bundesregierung auf das Karlsruher Verfassungsorgan, nahm ein alter Konflikt neue Konturen an. Das Bundesverfassungsgericht hatte in den ersten vier Jahren nur wenige Freunde gefunden. Kritik gab es von allen Seiten. Eine grundlegende Reform des Bundesverfassungsgerichts schien ein dringendes Desiderat zu sein. Erste, sehr weit gehende Vorschläge hatte bereits der erste Präsident, Hermann Höpker Aschoff, zu Beginn seiner Amtszeit gemacht und eine gesetzlich geregelte Strukturreform des Bundesverfassungsgerichts gefordert. Seitdem wurde im Bundesjustizministerium darüber nachgedacht, ob, und wenn ja, wie und wann man die »Geburtsfehler« des neuen Gerichts beseitigen könnte bzw. sollte.95 Angesichts des Zerwürfnisses zwischen den ehemaligen politischen Freunden Dehler und Höpker Aschoff verliefen in der ersten Legislaturperiode alle Reformüberlegungen im Sande. Anfang 1954 forderte Bundeskanzler Adenauer seinen neuen Justiz­ minister Fritz Neumayer (FDP) auf, die Reform des Bundesverfassungsgerichts weiterzuverfolgen und einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Dieser dürfe sich allerdings nicht auf die Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen dem 1.  und 2.  Senat beschränken: »Es werde vielmehr die Berechtigung der Struktur des Bundesverfassungsgerichts als Zwillingsgericht (zwei Senate, J. F.), das Richterwahlverfahren, der Zuständigkeitskatalog und gewisse Verfahrensvorschriften zu überprüfen sein, um nur die Hauptpunkte anzuführen.«96 Im April 1955 befasste sich das Bundeskabinett erstmals mit einem Gesetzentwurf des Justizministers, der allerdings nur »eine kleine Reform« vorsah. Hierzu zählten die Änderung der Geschäftsverteilung zur Entlastung des 1. Senats, die Reduzierung von Verfassungsbeschwerden und die Beschränkung der Anforderung von Rechtsgutachten des Verfassungsgerichts. Die »kleine Reform« basierte weitgehend auf einem Entwurf, den der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Josef Wintrich, nach Beschlussfassung durch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts, dem Justizminister Anfang 1955 vor­ gelegt hatte. Der Vorschlag sah jedoch genau das vor, was Adenauer nicht wollte. Er beschränkte sich weitgehend auf die Änderung der Geschäftsverteilung, um vor allem die Überlastung des 1. Senats zu reduzieren.97 Prompt wurde der Gesetzentwurf abgelehnt und der Justizminister aufgefordert, dem Kabinett »in kürzester Frist« einen neuen Vorschlag vorzulegen.98 95 BArch: B 136/4434, Vorschläge Gumbel, 9.9.1953; Dehler an Adenauer, 9.10.1953. 96 BArch: B 136/4434, Adenauer an Neumayer, 20.1.1954. 97 Kabinettsprotokolle der Bundesregierung: 79. Sitzung, 20.4.1955, TOP 3 Bundesverfassungsgericht, BMJ. 98 BArch: B 136/4434, Adenauer an Neumayer, 5.5.1955.

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Hintergrund für diese harsche Aufforderung Adenauers war der wachsende Unmut innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion über die unzureichende Professionalität und geringe politische Sensibilität der Richter, wie sie gerade im Prozess gegen die KPD zutage getreten seien. So mokierte sich Heinrich von Brentano, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, bei Staatssekretär Globke vom Bundeskanzleramt darüber, »dass der Senat sich ernstlich mit Beweisanträgen beschäftigt, über die ein mittelmäßig begabter Amtsrichter meiner Überzeugung nach lachen würde«. So diskutiere man »ernstlich darüber, wie der Beweis dafür erbracht werden könne, dass in den totalitären Staaten die demokratischen Parteien unterdrückt werden!« Es sei höchste Zeit, »das Gesetz über das Verfassungsgericht so rasch wie möglich ganz entscheidend zu ändern«. Der von den Verfassungsrichtern vorgelegte Entwurf sei »keine geeignete Grundlage«. Eine kleine Reform reiche nicht aus. Das Verfassungsgericht dürfe nicht nur entlastet, sondern müsse auch deutlich verkleinert werden. Bei der Auswahl der Richter müsse man mehr als bisher »auf die politische Eignung« achten. Im Übrigen müsse dringend die Sonderstellung der Professoren abgeschafft werden, da mit Rücksicht auf deren sonstige Tätigkeit »immer wieder Sitzungen und Beratungen verschoben werden müssen«. In seinem Antwortschreiben betonte Globke, das Justizministerium sei bislang nur für eine kleine Reform ­eingetreten. »Der Bundeskanzler tritt entschieden für eine große Reform ein.«99 Auftragsgemäß stellte Neumayer bereits am 18. Mai 1955 im Kabinett einen überarbeiteten Gesetzentwurf vor. Der Entwurf entsprach jedoch wieder nicht den Vorstellungen des Kanzlers und des Kabinetts. Ein dritter Entwurf wurde gefordert, der nicht nur zwischen den zuständigen Ressorts abgestimmt, sondern auch mit Vertretern der Koalitionsfraktionen vorab beraten werden sollte. Über das Bundesjustizministerium hatte Präsident Wintrich erfahren, welche politischen Schwierigkeiten der ursprüngliche Entwurf der Karlsruher Richter bereitete. So wandte er sich direkt an Bundeskanzler Adenauer. Die Bundesregierung, so Wintrich, plane gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts umfangreiche Änderungen an der Novellierung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vorzunehmen. Auf die Frage, ob er das Plenum des Gerichts über die beabsichtigten Änderungen informieren könne, habe ihm der Justizminister »als Stellungnahme des Kabinetts« mitteilen lassen, »dass diese Information erst nach Beschlussfassung des Kabinetts erfolgen solle«. Er halte es jedoch »aus sachlichen Gründen und mit Rücksicht auf die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan für erforderlich, dass dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit gegeben wird, zu der Gesetzesvorlage Stellung zu nehmen, bevor sie dem Bundesrat zugeleitet wird.« Der Präsident bat den Kanzler, das Kabinett möge bei der weiteren Beratung »diesem Gesichtspunkt Rechnung tragen«100. 99 Ebd., Globke an von Brentano, 12.2.1955. 100 StBkAH: I/10.09, Wintrich an Adenauer, Änderung des BVerfGG, 20.5.1955.

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Am 2.  Juni 1955 beschäftigte sich das Kabinett außerhalb der Tagesordnung mit der Bitte des ranghöchsten Richters der Bundesrepublik. Während ­Adenauer zunächst durchaus bereit war, den Gerichtspräsidenten vor der nächsten Kabinettssitzung zu empfangen, sprach sich das Kabinett dagegen aus. Man dürfe keine Präzedenzfälle schaffen, so die Begründung. Daraufhin verabschiedete das Kabinett den vorgelegten Gesetzentwurf und beschloss, diesen umge­ hend an den Bundesrat weiterzuleiten, damit er noch vor der Sommerpause vom Bundestag in erster Lesung behandelt werden könne. »Man müsse leider«, so hielt das Protokoll ausdrücklich fest, »eine eventuelle Verstimmung des Bundesverfassungsgerichts in Kauf nehmen, da der Entwurf möglichst schnell von den gesetzgebenden Körperschaften behandelt werden müsse«101. Zwei Wochen später stand die Gesetzesnovelle auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses des Bundesrats. Zu den Beratungen wurde auch der Prä­ sident des Bundesverfassungsgerichts hinzugezogen. Dabei erklärte Wintrich, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen hätten, in den Gesetzentwurf auch die Neuverteilung der Geschäfte zwischen den beiden Senaten aufzunehmen. Das Gesetz sei aber ohne Berücksichtigung dieses Wunsches verabschiedet worden.102 Der Bundesrat machte sich daraufhin die Position des Gerichtspräsidenten zu eigen und äußerte in seinen Änderungsvorschlägen den Wunsch, »alle Reformmaßnahmen zurückzustellen mit Ausnahme der Neu­ regelung der Geschäftsverteilung zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts und der Einschränkung der Verfassungsbeschwerde.« Die Bundesregierung reagierte prompt und erklärte, auf »eine so bescheidene Reform« könne sie sich »nicht einlassen«103. Das, was als »Blitzgesetz« geplant war, wurde zu einem Marathonlauf. Die parlamentarischen Gremien beschäftigten sich noch ein Jahr lang mit dem Thema. Am 20. Juni 1956 war es dann so weit. In namentlicher Abstimmung verabschiedete der Bundestag mit der Regierungsmehrheit von 205 zu 167 Stimmen die Novelle zum BVerfGG. Die Abschaffung des »Zwillingsgerichts«, die der Kanzler vehement gefordert und das Gericht ebenso vehement abgelehnt hatte, war vom Tisch. Die Geschäftsverteilung wurde neu geregelt, ganz wie die Richter dies gewünscht hatten. Darüber hinaus wurden die Zahl der Richter mittelfristig von zwölf auf acht je Senat reduziert, der Vorrang der Richter­ tätigkeit vor Nebentätigkeiten festgeschrieben, zahlreiche Verfahrens- und Pensionsfragen und nicht zuletzt die Richterwahl neu geregelt, die den politischen Einfluss der Bundesregierung auf das Gericht stärken sollte. Das hohe Quorum einer Dreiviertel- bzw. Zweidrittel-Mehrheit der Wahlmänner wurde auf den ersten Wahlgang beschränkt. Ab dem zweiten Wahlgang galt künftig die ein101 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Gesetz zur Änderung des BVerfGG, 2.6.1955. 102 BArch: B 141/76, Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrats, 16.6.1955. 103 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Sondersitzung, Gesetz zur Änderung des BVerfGG, 27.7.1955.

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fache Mehrheit.104 Die öffentliche Kritik zu diesem Punkt war besonders heftig. Die Stuttgarter Nachrichten sprachen von einem »bösen Gesetz«, das die Gefahr mit sich bringe, »dass künftig auch ›willfährige Schranzen‹ der Partei die roten Roben in Karlsruhe anziehen«. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einem »Henkersdienst, der dem Bundesverfassungsgericht erwiesen werde«. Die Stuttgarter Zeitung wies darauf hin, dass das Gesetz von namhaften Verfassungsrechtlern, die selbst der CDU nahestanden, als »nicht verfassungsgemäß« abgelehnt werde, da »die Gefahr einer Politisierung des höchsten deutschen Gerichts zu befürchten stehe«105. Der Präsident der Bundesverfassungsgerichts, der sich »als Verfassungsorgan« auf seine Weise in den Gesetzgebungsprozess eingebracht hatte, konnte zufrieden sein. Doch jeder politische Erfolg hat seinen politischen Preis. In den verklausulierten Formulierungen, Quer- und Rückverweisen, Paragrafen und Artikeln der Gesetzesnovelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz gut versteckt war eine politisch wie rechtlich hochbrisante, weil den Gegenstand nicht konkret benennende »Fallregelung« zum KPD -Prozess enthalten, die dessen baldiges Ende endgültig besiegeln sollte. Es war der berühmt berüchtigte, von Juristen später vielfach kritisierte, aber niemals als »verfassungswidrig« qualifizierte Artikel 4 des Änderungsgesetzes des BVerfGG.106 In diesem Artikel wurde dem 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Wirkung zum 1. September 1956 die Zuständigkeit für den über fünf Jahre dauernden KPD -Prozess entzogen, sofern das Gericht bis zum 31. August 1956 keine Entscheidung getroffen habe. »Anhängige Verfahren gehen mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in der Lage, in der sie sich befinden, auf den nunmehr zuständigen Senat über. In der Zeit bis zum 31. August 1956 verbleiben jedoch Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung oder eine Beratung der Entscheidung stattgefunden hat, in der Zuständigkeit des bisher zuständigen Senats.«107 Die neue gesetzliche Bestimmung war das genaue Gegenteil von dem, was die Verfassungsrichter in ihren Entwurf eines Änderungsgesetzes zum BVerfGG am 23. Dezember 1954 hineingeschrieben hatten.108 Dieser sah vor, dass nur die Verfahren in die Zuständigkeit des anderen Senats übergingen, die sich noch in einem Frühstadium befanden, nicht jedoch die, in denen bereits »ein Termin zur mündlichen Verhandlung oder zur Beratung der Entscheidung« stattgefunden hatte. Solche Verfahren sollten in der Zuständigkeit des entsprechenden 104 ADL: Bestand Thomas Dehler, N 1-3118, Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, FDP-BT-Fraktion Informationsbrief, 22.6.1956. 105 BArch: B136/4434. Quellennachweise in: Adolf Arndt, Kritik an der Gleichschaltung des BVerfG. 3.7.1956. 106 BGBl: I 1956: Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, 21.7.1956, S. 662–665. 107 Ebd., S. 665. 108 BArch: B 141/74, Präsident Wintrich an Bundesjustizminister Neumayer, 25.1.1955.

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Senats verbleiben. Auch in den ersten Entwürfen des Bundesjustizministeriums war eine solche Formulierung enthalten. Sie lautete: »Anhängige Verfahren, in denen Termin zur mündlichen Verhandlung oder zur Beratung der Entscheidung noch nicht anberaumt war, gehen mit der Beschlussfassung/dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in der Lage, in der sie sich befinden, auf den nunmehr zuständigen Senat über.«109 Das, was in Artikel 4 der Gesetzesnovelle allgemein formuliert wurde, als träfe es für etliche Verfahren zu, traf de facto allein für den KPD -Prozess zu. Es gab kein zweites Verfahren vor dem 1. Senat, das unter den in Artikel 4 ge­ nannten Voraussetzungen und Bestimmungen auf den 2. Senat hätte übergehen können. Es handelte sich somit um eine klare »Einzelfallregelung«, ein »Fall­ gesetz«, eine »Lex KPD«, die lediglich den rechtsstaatlichen Schein eines allgemeinen Gesetzes wahrte. Gesetze, die nur einen Einzelfall regeln, widersprechen den Normen der Rechtsstaatlichkeit und sind somit verfassungswidrig. Zu offensichtlich ist die in eine gesetzliche Regelung gefasste politische Absicht der Bundesregierung, den Druck auf das Bundesverfassungsgericht in einer Weise zu erhöhen, dass das Verfassungsgericht keine andere Möglichkeit mehr hatte, als den KPD -Prozess innerhalb der von der Bundesregierung in das Änderungsgesetz hinein geschriebenen Frist bis zum 31. August 1956 zu beenden. Die Prozessvertretung der KPD suchte das Blatt noch einmal zu wenden und beantragte in einer Verfassungsbeschwerde, das Änderungsgesetz für verfassungswidrig zu erklären und aufzuheben.110 Die Gesetzesnovelle sei ein verfassungswidriges »Fallgesetz«, da es keine weiteren Verbotsverfahren gebe. Einem Gericht mitten in einem Verfahren, die Zuständigkeit zu entziehen und ein anderes Gericht ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage entscheiden zu lassen, widerspreche allen rechtsstaatlichen Prinzipien und verletze das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter.111 Durch das Änderungsgesetz werde auch die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit der Justiz verletzt.112 Wenn der 1. Senat länger als ein Jahr nicht in der Lage gewesen sei, einen Verkündungstermin für die Entscheidung anzusetzen, dieses aber nun nach Inkrafttreten des Gesetzes tue, so geschehe dieses unter der Einwirkung der Änderung des BVerfGG. »Das stellt eine unzulässige und grundgesetzwidrige Einwirkung außergerichtlicher Instanzen insbesondere der Bundesregierung, die überdies selbst Prozesspartei in diesem Verfahren ist, auf das Bundesverfassungsgericht dar.« Deshalb regte die KPD die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht gegen das Änderungsgesetz an. Gleichzeitig stellte sie »den dringenden Antrag, über diese Fragen zu ent109 BArch: B 136/4434. Wintrich, Entwurf eines Änderungsgesetzes (Art. 2, Abs), 23.12.1954; BMJ, Entwurf eines Änderungsgesetzes, 5.4.1954. 110 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 578 ff. 111 GG: Art. 101, 2. 112 GG: Art. 20, 2 u. 3 sowie Art. 97, 1.

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scheiden, bevor irgendwelche weiteren prozessualen Handlungen des 1. Senats im Verbotsverfahren gegen die KPD ergehen, da andernfalls jede dieser Handlungen des Senats angesichts des von ihnen ausgehenden Odiums einer unzulässigen Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Senats als rechtswidrig angesehen werden müsste.«113 So berechtigt die Kritik des KPD -Anwalts Kaul war, so wenig war das Hohe Gericht bereit, den Einwendungen zu folgen. Die Verfassungsbeschwerde wurde wie die meisten anderen Anträge, die die KPD -Anwälte im Laufe des Staatsprozesses gegen die KPD gestellt hatten, vom 1.  Senat des Bundesverfassungsgerichts abgelehnt. Das, was Hans-Peter Schwarz einmal als »Feinsteuerung« des KPD -Prozesses durch die Bundesregierung bezeichnet hat, um politisch »unerwünschte Implikationen«114 zu vermeiden, war nichts anderes als die fortgesetzte, die Unabhängigkeit des Gerichts und damit die Gewaltenteilung missachtende Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Verabschiedung des Änderungsgesetzes zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das am 21. Juli 1956 in Kraft trat. Aus politischem Druck war gesetzlicher Zwang geworden, den Prozess bis zum 31. August 1956 zu beenden und die KPD zu verbieten. Angesichts des nunmehr bestehenden gesetzlichen Zwangs, den die Bundesregierung durch die kurzfristige Änderung von Artikel 4 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes auf das höchste deutsche Gericht ausübte, blieb den Richtern keine andere Wahl, als das Urteil im Staatsprozess gegen die KPD innerhalb der gesetzten Frist zu verkünden. Tatsächlich wurde am 17. August 1956 das von der Bundesregierung seit Jahren geforderte Urteil endlich verkündet. Es lautete: »1. Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig. 2. Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst. 3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen. 4. Das Vermögen der Kommunistischen Partei Deutschlands wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen.« Die Innenminister der Länder wurden mit der Durchführung der Entscheidung beauftragt. Dem Bundesminister des Innern wurde die Einziehung des Vermögens übertragen. Zuwiderhandlungen gegen die Entscheidung des Gerichts wurden »mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten bestraft«.115 Vergleicht man den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD von 1951 mit dem Urteil von 1956, fällt auf, dass die Richter die Wünsche der Bundesregierung zu hundert Prozent erfüllten.116 Auffallend ist auch, dass sich das Urteil stark an anderen höchstrichterlichen 113 114 115 116

KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 580.

Schwarz: Die Ära Adenauer 1949–1957, S. 132.

KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 582.

Meier: Parteiverbote, S. 53.

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Entscheidungen des Bundesgerichtshofes oder des Bundesverwaltungsgerichts orientierte.117 Das Gericht erklärte die KPD allein deswegen für verfassungswidrig, weil die Partei bestimmte politische Inhalte »planvoll« propagiere. Die Kommunistische Partei wurde »nach ihren Zielen«, nicht etwa »nach dem Verhalten ihrer Anhänger« und schon gar nicht dafür verboten, dass sie nachweislich »den Bestand der Bundesrepublik Deutschland« gefährdeten, wie es im Grundgesetz heißt118. Zu Recht stellt daher Horst Meier fest: »Handfeste, materielle Tathandlungen im Sinne der Vorbereitung eines revolutionären Umsturzes spielten dabei ausdrücklich keine Rolle.«119 So bewegt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit seiner präventiven Gefahrenabwehr ganz im Dunstkreis des politischen Strafrechts der Fünfzigerjahre. Schon 1957 hat Oberbundesanwalt Max Güde in einem Vortrag vor Juristen kritisiert, dass im politischen Strafrecht »eine sichere Identifikation des Strafbaren« nicht möglich sei. Deshalb sprach er sich sehr deutlich gegen das Präventivstrafrecht aus, das »mit dem modernen Schuldstrafrecht« nicht vereinbar sei.120 Das, was für das Strafrecht galt, galt für das Verfassungsrecht erst recht. Dennoch kamen die Karlsruher Richter zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass eine Partei auch dann verfassungswidrig sein und präventiv verboten werden kann, »wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können«121. Für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei genügte demnach die Feststellung einer verfassungswidrigen Absicht, auch wenn deren Realisierung, wenn überhaupt, in weiter Ferne lag. Um dennoch eine unmittelbare Bedrohung konstruieren zu können, lehnten die Richter eine Unterscheidung »zwischen erheblichen Nah- und unerheblichen Fernzielen« als verfassungsrechtlich irrelevant ab. Stattdessen griffen sie das von der Bundesregierung eingebrachte Konstrukt des »Gesamtplans« auf, der die politischen Fern- und Nahziele miteinander verbinde. Es genüge für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit die Absicht, ein bestimmtes Fernziel wie die Errichtung der Diktatur des Proletariats, den Sturz des Adenauerregimes oder die Schaffung eines wiedervereinigten (kommunistischen) Deutschlands eines Tages verwirklichen zu wollen. So dienten nach Auffassung der Verfassungsrichter politische Ziele, auch wenn sie überhaupt keine Chance hatten, jemals verwirklicht zu werden, schon heute dazu, die Freiheitlich Demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen bzw. »zu zersetzen«122. 117 Von Brüneck: Politische Justiz, S. 126. 118 GG: Art. 21, Abs. 2. 119 Meier: Als die Demokratie streiten lernte, S. 462. 120 Güde: Probleme des politischen Strafrechts, S. 13. 121 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 613. 122 Ebd., S.  656 ff. Ausführlich hierzu Meier: Parteiverbote und demokratische Republik, bes. S. 47–115.

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Mehr als 60 Jahre sollten vergehen, ehe »materielle Tathandlungen« als wichtige Voraussetzung für eine tatsächliche Gefährdung des Staates Eingang in ein Feststellungsverfahren fanden. So verkündete das Bundesverfassungsgericht am 17. Januar 2017 im Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD folgende Entscheidung: Die NPD sei eine verfassungswidrige Partei. Der Antrag der Bundesländer auf ein Verbot der Partei werde jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Es fehle »an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht« so die Begründung, »die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt«123. Ausdrücklich distanzierten sich die Karlsruher Richter von der 1956 im Verfahren gegen die KPD gegebenen Urteilsbegründung: »An der abweichenden Definition im KPD -Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (BVerfG 5, 85 ), hält der Senat nicht fest.«124 Vor der Presse fügte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hinzu, ein Parteiverbot sei »kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot«, sondern ein »Organisationsverbot«125. Diese rechtliche Klarstellung bedeutet, dass eine verfassungswidrige Partei auch künftig nicht mehr lediglich aufgrund verfassungswidriger Absichten, Ziele oder Propaganda verboten werden kann, wenn sie gleichzeitig nicht auch die Kraft und die Macht hat, ihre verfassungswidrigen Absichten in die Tat umzusetzen. Für ein Verbot müssen somit reale Realisierungschancen der verfassungswidrigen Ziele gegeben sein. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei habe keineswegs automatisch ihr Verbot zur Folge. Nicht alles, was politisch als verfassungswidrig eingeschätzt werde, müsse verfassungsrechtlich gleich verboten werden. Damit dürfte die Gesinnungsjustiz der Fünfzigerjahre endgültig der Vergangenheit angehören. Wer jedoch ein präventives Verbot verfassungswidriger Absichten »ohne reale Realisierungschancen« als Verbotsgrund ablehnt, bringt auch das juristische Kartenhaus des KPD -Verbots zum Einsturz, auch wenn das Parteiverbot aufgrund der Entscheidung von 1956 rechtlich weiter gültig bleibt. Einer ausführlichen Darstellung der Urteilsgründe schickte Präsident Wintrich eine bemerkenswerte, eher politische Erklärung voraus, um einige »Irrtümer und Missverständnisse« über das Verfahren gegen die KPD klarzustellen, die in der Öffentlichkeit entstanden seien. Zum einen wies er darauf hin, dass die politische Verantwortung für den Prozess allein die Bundesregierung trage. Das Gericht habe lediglich über deren Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD zu entscheiden gehabt. Wenn ein solcher Antrag gestellt sei, habe das Gericht »seine Entscheidung nach rein rechtlichen Gesichtspunkten zu 123 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE /2017/ bvg17-004.html. 124 Ebd. 125 zeit online: Ein Urteil, das Spielraum lässt, 17.1.2017.

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treffen; daher sind ihm politische Zweckmäßigkeitserwägungen versagt.« Zum andern betonte er, dass von außen erheblicher Druck auf das Gericht ausgeübt worden sei. So seien viele Zuschriften eingegangen, in denen das Gericht, aber auch einzelne Richter »vielfach mit äußerst massiven Drohungen« aufgefordert worden seien, »das Verfahren einzustellen oder die Mitwirkung bei einem Verbotsurteil zu verweigern«. Solche Einwirkungen könnten »möglicherweise anderwärts wirksam sein«, nicht jedoch bei dem höchsten Gericht in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht lasse sich »in seiner richterlichen Entscheidung durch keinerlei Einwirkung von außen – von wem auch immer sie kommen möge – beeinflussen. Das Bundesverfassungsgericht ist lediglich dem Gesetz unterworfen und entscheidet nur nach Gesetz und Recht.«126 Waren das nicht Selbstverständlichkeiten, die man von einem Verfassungsgericht erwarten konnte? Dass ein Verfassungsgericht nach Recht und Gesetz entscheidet, keine politischen »Zweckmäßigkeitserwägungen« anstellt und sich auch nicht durch Einwirkungen von außen in seinen Entscheidungen beeinflussen lässt? Was der Präsident nicht sagte, war, dass nicht nur von kommunistischer Seite Druck auf das Bundesverfassungsgericht ausgeübt wurde, sondern auch von der Bundesregierung, öffentlich in Reden, Pressekonferenzen und Hintergrundgesprächen, intern in geheimen Gesprächen, Beratungen, Absprachen und Vereinbarungen zwischen der Prozesspartei der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht, von denen die andere Prozesspartei der KPD nichts erfuhr. Dass der Präsident dieses in seiner Einlassung bei Verkündung des Urteils gegen die KPD nicht erwähnte, ist nachvollziehbar. Die versammelte Presse sollte erfahren, wie groß die Herausforderungen für das Gericht gewesen waren und wie gut der 1. Senat den Prozess gegen die KPD gemeistert hatte. Aber auch, dass das Verfassungsgericht seine Unabhängigkeit gewahrt und nur nach Gesetz und Recht entschieden habe. Das Verfahren gegen die KPD sei ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren gewesen, so die Botschaft. Heute wissen wir, dass die historische Wirklichkeit anders aussah. Der KPD Prozess war in erster Linie ein politischer Prozess. Dies gilt für alle Beteiligten. Die Prozessvertreter der KPD formulierten in ihrer Strategie, der Prozess gegen die eigene Partei sei kein normaler Prozess, der »formal juristisch« geführt werden konnte. Vielmehr müsse stets die große politische Linie herausgearbeitet werden. Nicht die KPD, sondern das »Adenauerregime« gehöre auf die Anklagebank.127 Auch für die Bundesregierung war der KPD -Prozess ein politischer Prozess, der als Kompensation für das eigentlich nicht gewollte SRP-Verbot »die nationalen Kreise« (Adenauer) nicht vergraulen, sondern für die Westintegration des Weststaates gewinnen sollte. Den Richtern war es zwischen den Frontlinien des Kalten Bürgerkrieges nicht recht wohl. Sie fürchteten um ihre Unab126 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 583. 127 BArch: DY 30/IV 2/13/567, Stand der Vorbereitung zum Verfahren gegen die KPD, S. 2.

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hängigkeit und eine Politisierung des Gerichts. So nutzten sie jede Möglichkeit, das Verfahren zu verzögern, und dem Bundeskanzler nahezulegen, den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit zurückzunehmen. Nur zu gern wären sie das Verfahren auf politischem Wege wieder los geworden. »Man ist stets der Auffassung gewesen«, heißt es in einem Vermerk des Bundesministerium der Justiz über die Haltung der Karlsruher Richter, »dass der Senat zwar innerlich dazu neige, einer Entscheidung aus dem Wege zu gehen, sich aber zu einer Verurteilung gezwungen sehen werde, falls sich ihm keine Möglichkeit biete, mit formalen Gründen einem Urteil auszuweichen«.128 Die Bundesregierung blieb dabei. Zu einem Verbot der KPD gab es keine Alternative. Es war politisch dringend notwendig, um einen von Kommunisten befreiten antikommunistischen Weststaat als Legitimation der Beibehaltung der Teilung Deutschlands aufzubauen. Dazu musste eine rechtliche Lösung her, um jeden Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Integration der Bundesrepublik in den Westen zu beseitigen. Nur ein verfassungsrechtlich sanktioniertes KPD Verbot konnte die Kommunistische Partei »bis ans Ende der Welt« (Adenauer) verbieten. Nach Auffassung der Bundesregierung und letztlich auch des Bundesverfassungsgerichts war es nunmehr Sache der Verfassungsrichter, rechtlich zu ermöglichen, was politisch gefordert wurde. Entsprechend hoch war und blieb bis zum Ende des Verfahrens der poltische Druck auf das Gericht, eine Partei zu verbieten, »die bereits tot« war, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Josef Wintrich, gegenüber der Bundesregierung argumentierte.129 Wenn schon ein materieller Tatsachenbeweis für eine akute Bedrohung und Gefährdung der Bundesrepublik durch die KPD nicht zu erbringen war, musste wenigstens ein umfangreicher Dokumentenbeweis für die ideologische Gefährlichkeit der KPD aufgebaut werden, um den Richtern einen formalrechtlich sauberen »historischen Prozess« (Wintrich) zu ermöglichen. Eine derartige Aufgabe konnte weder von der Judikative, noch von der Exekutive allein bewältigt werden. Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht saßen vielmehr in einem Boot. Da lag eine enge Zusammenarbeit beider Gewalten nahe. In Zeiten eines Kalten Bürgerkriegs in Deutschland sollten nach außen möglichst keine Differenzen zwischen den Staatsorganen in der Bundesrepublik erkennbar werden. Der Prozess gegen die KPD war auch für die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht kein normaler Prozess, sondern ein »Staatsprozess«130, wie Verfassungsrichter Stein ihn bezeichnete. Daher führten sie den Prozess gegen die KPD gemeinsam. Gemeinsam hafteten sie für eine ordnungsgemäße Durchführung. Gemeinsam trugen sie die Verantwortung für die politischen und rechtsstaatlichen Folgen. Trotz aller Zusammenarbeit, vielleicht 128 BMJ-Archiv: 1054 E 1, Vermerk für den Minister, 11.2.1955. 129 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 16. Gespräch Wintrich mit Gecks, 19.11.1954. 130 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 4. Protokoll der Besprechung am 28.1.1952, S. 397

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auch gerade deshalb, war das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht von heftigen Spannungen gekennzeichnet. Diese waren Folge wechselseitiger Beeinflussung und Indienstnahme, politischer Divergenzen und persönlicher Ängste, politischen Drucks und institutioneller Schwäche, eines gewollten und nicht gewollten KPD -Verbots. Um den rechtlichen Beweis für ein Verbot der KPD zu erleichtern, unterschrieben die Richter willig, was ihnen an Anregungen und Anträgen von der Exekutive vorgelegt wurde. So türmten sich Tonnen von beschlagnahmtem Büro-, Propaganda- und Werbematerial in den Kellern des Kölner Amtes für Verfassungsschutz. So wurde vermeintlich Beweis auf Beweis getürmt, um das Verfahren formaljuristisch korrekt zu führen. So wurden Polizisten angewiesen, bei Beschlagnahmen erst einmal alles an sich zu nehmen, in der Gewissheit, das Verfassungsgericht würde ihr Vorgehen schon nachträglich legalisieren. So wurden Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung über Bord geworfen, wenn es dem Zweck diente, die KPD der Verfassungswidrigkeit überführen zu können. So wurde ein Vernehmungsprotokoll von Richter Stein gefälscht und als Beweismittel in den KPD -Prozess eingeführt. So wurde das gesamte Verfahren zwischen dem Berichterstatter und der Prozessvertretung der Bundesregierung abgestimmt. Geheimakten wurden geführt und Recht gebeugt. So wurden die Richter von der Exekutive immer wieder gedrängt und zuletzt sogar per Gesetz gezwungen, bis zum 31. August 1956 ein Urteil zu fällen. Bei der Feststellung und Bekämpfung der Verfassungswidrigkeit der KPD, waren die verfassungswidrigen Kollateralschäden, die die nicht mehr getrennten staatlichen Gewalten anrichteten, beträchtlich. In den frühen Morgenstunden des 17. August 1956 wurde in der gesamten Bundesrepublik die Aktion »Holzwurm« ausgelöst. Für die Kriminalpolizei galt Vollalarm, für die Schutzpolizei Teilalarm. Ziel des Großeinsatzes war, die Parteibüros der KPD, die Wohnungen der Spitzenfunktionäre und Kreissekretäre zu durchsuchen, notfalls gewaltsam zu öffnen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, zu beschlagnahmen: technische Geräte, Karteien, Namenslisten, Geschäftsbücher, Druck- und Presseerzeugnisse, Kraftfahrzeuge und natürlich alle Vermögenswerte. Parteibüros, Geschäfts- und Lagerräume, Schulungsräume oder Druckereien waren zu versiegeln. Grundstücke und Liegenschaften waren zu erfassen. Personen sollten nur festgenommen werden, wenn dringender Verdacht auf strafbare Handlungen vorlag. Mögliche Demonstrationen, Versammlungen, Stör- und Protestaktionen jeder Art sowie Sabotageakte sollten mit geeigneten Mitteln unterbunden werden. Die Polizei konnte alle Aktionen vor Ort »in eigener Zuständigkeit« vollziehen. Ein ausführlicher Bericht über die Durchsuchungen war zeitnah zu erstellen.131 131 LAV NRW R: NW 374/28, Erlass Innenminister NRW an Regierungspräsidien NRW, 14.8.1956.

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Grafik 9: Aktion »Holzwurm«. Maßnahmen zur Umsetzung des KPD-Verbots am 17.8.1956 Durchsuchung: 338 Wohnungen 1 Druckerei Beschlagnahme: 22 Büroausstattungen 4 Fahrzeuge 500 DM Bargeld 7 Rundfunkgeräte Schließung: 7 Parteibüros 1 Verlag Festnahme: keine

Durchsuchung: keine Beschlagnahme: 2 Fahrzeuge Schließung: 9 Parteibüros, 3 Geschäftsräume Festnahme: keine SchleswigHolstein

Durchsuchung: 39 Wohnungen Beschlagnahme: 1 Grundstück 1 Fahrzeug 1 Kopiergerät Schließung: 3 Parteibüros 1 Redaktion 5 weitere Büros Festnahme: keine Durchsuchung: 771 Büros und Wohnungen Beschlagnahme: 7 Grundstücke 21 Maschinen 1 Druckereieinrichtung 18 Fahrzeuge 18 Büroausstattungen 3459,22 DM Bargeld 5 Film-, Rundfunkgeräte Schließung: 110 Parteibüros 13 Geschäftsräume Festnahme: 7 Funktionäre

Durchsuchung: 599 Wohnungen Beschlagnahme: 8 Fahrzeuge 295 DM Bargeld 3 Rundfunkgeräte 10 Büroausstattungen Schließung: 18 Parteibüros 3 Geschäftsräume 2 weitere Büros Festnahme: 48 Funktionäre

Hamburg Bremen Niedersachsen

NordrheinWestfalen

Durchsuchung: 18 Wohnungen Beschlagnahme: 3 Fahrzeuge, 6 Büroausstattungen Schließungen: alle Parteibüros, 1 Verlag Festnahme: keine

Hessen RheinlandPfalz Saarland BadenWürttemberg

Durchsuchung: keine Beschlagnahme: 1 Grundstück 6 Fahrzeuge 1 Abziehapparat Schließung: 10 Parteibüros 2 Redaktionen 1 Rundfunkgerät Festnahme: keine

Bayern

Durchsuchung: 662 Wohnungen 1 Druckerei Beschlagnahme: 12 Fahrzeuge 22 Büroausstattungen 11 Film-, Rundfunkgeräte Schließung: 25 Parteibüros 4 Verlage, Druckereien Festnahme: keine

Durchsuchung: 308 Wohnungen Beschlagnahme: 1 Bibliothek 18 Druckereimaschinen 6 Fahrzeuge 14 Büroausstattungen 5 Film-,Rundfunkgeräte Schließung: 33 Parteibüros 6 Geschäftsräume Festnahme: keine

Ergebnis der Aktion Holzwurm insgesamt: Durchsuchung: 3035 Büros und Wohnungen, 2 Druckereien Beschlagnahme: 146 Büroausstattungen, 60 Fahrzeuge, 32 Film- und Rundfunkgeräte, 1 Bibliothek, 4.864 DM Bargeld, 9 Grundstücke Schließung: 215 Parteibüros, 34 Geschäftsräume, zzgl. alle Parteibüros u. 1 Verlag in Hessen sowie 12 weitere Räume von KPD nahen Organisationen Festnahme: 55 Personen (vorübergehend)

Quellen: BArch: B141/30786, BfV, Vollzug KPD -Verbot, Berichte v. 18.u. 24.8.1956. BArch: B106/15924, BfV, Vollzug KPD -Verbot in Bayern, Bericht v. 25.1.1957. Das Saarland gehörte 1956 noch nicht zur Bundesrepublik, sondern zu Frankreich.

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Der Aufwand der Aktion »Holzwurm« war groß, der Ertrag gering. »Schlag gegen KPD ging ins Leere«, titelte die Presse. »Die Polizei fand lediglich leere ausgeräumte Geschäftsstellen.«132 Ganz so war es nicht. Immerhin häuften sich Berge von Bürosperrmüll an, der in den Polizeistationen gelagert werden musste. Was tun mit den vielen Marx-, Lenin- und Stalin-Plakaten, den zigtausenden Broschüren über die Politik der SED und der KPD, den Umdruckmaschinen, Filmen und Rundfunkgeräten und dem wenigen Bargeld, das noch gefunden wurde? Die Kommunisten waren, wie so oft zuvor, auch dieses Mal gut informiert und präpariert gewesen, so dass sie die Aktion ohne größeren Schaden überstanden. Dort wo Privatwohnungen durchsucht wurden, erwarteten die Polizei keine Kommunisten in Kampfanzügen mit der roten Fahne in der Hand, sondern Männer und Frauen im Schlafanzug, die ohne Widerstand zu leisten, bereit waren, ihre Wohnung nach staatsfeindlichem Material durchsuchen zu lassen. Alle Berichte betonten, wie ruhig und friedlich die Aktion verlief. Selbst Passanten nahmen nur vorübergehend Notiz von dem großen Polizeieinsatz. »Nur wenige Menschen stehen herum, durch einen Zufall festgehalten«, schrieb die Frankfurter Allgemein Zeitung: »Ob die Menschen wissen, dass heute eine schwere Entscheidung gefallen ist? Ob sie wissen, dass man versucht hat, sie gegen die Gegner der freiheitlichen Grundordnung zu schützen, in der sie leben? Und wenn sie es wissen, ob sie wohl der Überzeugung sind, dass dies der richtige Weg war?«133 Was die politischen Reaktionen anbetraf, ging in der Bundesrepublik so gut wie niemand auf die Straße, um gegen das KPD -Verbot zu protestieren. In einem Bericht des Arbeitsbüros der KPD über die Reaktionen auf das Parteiverbot in Westdeutschland hieß es, dass weder die Arbeiterklasse, noch die Partei, weder die Belegschaften großer Betriebe, noch die Gewerkschafts- und SPD Funktionäre, geschweige denn die Bevölkerung, ja nicht einmal die Mitglieder der KPD selbst zu irgendwelchen Protestaktionen bereit waren. So ging »die Durchführung der Polizeimaßnahmen am Tage des Verbots ohne Protestaktion der Arbeiterklasse und im Wesentlichen ohne Aktionen der Partei vor sich«. Dass auch die Mehrheit der Bevölkerung den Ernst der Lage nicht erkannt habe, läge wohl daran, wie selbstkritisch bemerkt wurde, »dass man die KPD nicht als nennenswerte Kraft betrachtet. Darum war auch die Ablehnung des Verbots nicht von aktiven Protesten begleitet.«134 Ganz anders sah das Bild in der DDR aus. Hier berichtete schon am Tag des Verbots das SED -Organ Neues Deutschland in einem Extrablatt: »Adenauer geht den Weg Hitlers. Bonn verbietet die Kommunistische Partei.« Für Samstag, den 18. August 1956, wurde in allen größeren Städten zu Massenkundgebungen aufgerufen. Wie aus den Akten des Politbüros hervorgeht, hatte die SED für 132 LAV NRW R: NW 22/1619. Presseausschnitte zum KPD -Verbot. 133 FAZ: Kurzes Ende eines langen Prozesses, 18.8.1956. 134 BArch: DY 30/J IV 2/2J/249, Arbeitsbüro, Reaktionen auf das KPD -Verbot, 27.8.1956.

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den Fall eines Verbots der KPD bereits am 14. August 1956 umfangreiche Maßnahmen beschlossen. In allen größeren Städten sollten Protestkundgebungen und Demonstrationen durchgeführt werden. »In allen Betrieben, MTS135 sind Protestentschließungen in kurzen Versammlungen anzunehmen.« Als Ausrichter sollte die Nationale Front auftreten. Eine bekannte Persönlichkeit der Nationalen Front und je ein Vertreter der SED und der Blockparteien sollten das Wort ergreifen. »Die KPD beruft Sonnabendmittag eine Pressekonferenz in Berlin ein, um ihre politische Antwort auf das Verbot der KPD der Öffentlichkeit zu übergeben.«136 Im Unterschied zur Bundesrepublik gingen in der DDR zwar Massen von Menschen auf die Straße. Allerdings kann von einer »aktiv kämpferischen Begeisterung«, wenigstens durch lautstarke Kampfparolen, den bedrängten Genossen im Westen beizustehen, keine Rede sein, wie Fotos von den Massenkundgebungen zeigen.137 Selbst Bundesinnenminister Schröder war überrascht und auch ein wenig enttäuscht über die Geräuschlosigkeit, mit der die Aktion »Holzwurm« über die Bühne ging. Die Auflösung der KPD bezeichnete er »als die geräuschloseste Aktion dieser Art in einer Demokratie und als einen rechtsstaatlichen Bereinigungsvorgang, der unumgänglich gewesen sei. Die Aktion sei von den Sicherheitsorganen nach einem genau vorbereiteten Plan vollzogen worden. Die lange Dauer des Prozesses und sein vorauszusehender Ausgang hätten auch den Kommunisten ermöglicht, sich auf Verbot und Auflösung einzustellen, umso mehr als ihre Ausweichmöglichkeit in dem geteilten Deutschland sehr groß sei.«138 Ganz in Siegerpose verkündete Schröder in einer Pressekonferenz, »es sei an keine Hexenjagd oder Menschenverfolgung gedacht. Die kleinen bisherigen Gefolgsleute der Partei hätten nichts zu befürchten.«139 Mit der »Aktion Holzwurm« war der Kalte Bürgerkrieg in Deutschland keineswegs zu Ende. Was immer der Herr Minister unter »Hexenjagd« und »Menschenverfolgung« verstanden haben mag, jetzt gab es unterhalb dieser Schwelle künftig genügend Möglichkeiten, mit dem Verbotsurteil im Rücken rechtsstaatlich ganz korrekt, gelegentlich auch nicht, Kommunisten und solche, die man dafür hielt, weiter zu verfolgen. Eine Auswertung des bislang vorliegenden statistischen Materials ergibt, dass zwischen 1957 und 1967 über 3.000 rechtskräftige Urteile gegen »Kommunisten« gefällt worden sind.140 Da die meisten Verfahren sich gegen mehrere Personen richteten, dürfte die Zahl der tatsächlich Verurteilten etwa doppelt so hoch, wenn nicht mehr, gewesen sein und bei 5 bis 135 MTS bedeutet: »Maschinen-Traktoren-Stationen«. 136 BArch: DY 30/J IV 2/2/495, Protokoll der Politbüro-Sitzung vom 14.8.1956, TOP 5 Verbot der KPD. 137 Vgl. Abb. 35, S. 234. 138 FAZ: Fast alle verhafteten Kommunisten freigelassen, 21.8.1956. 139 Europa Archiv 11 (1956), S. 9195. 140 S. Kapitel 9, Grafik 10, S. 284.

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Der Staatsprozess

6 000 Personen gelegen haben. Wie schon Alexander von Brünneck gezeigt hat, war die Zahl der Ermittlungsverfahren bei politischen Strafsachen etwa zwanzigmal so hoch wie die Zahl der Gerichtsverfahren, die zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt haben. Das heißt, für das Jahrzehnt vor der Reform des poltischen Strafrechts im Jahre 1968 müssen wir von mindestens 60 000 Ermittlungsverfahren und mehr gegen politisch unliebsame Personen in der antikommunistischen Staatsdemokratie der Bundesrepublik ausgehen.141 Ein weiteres Kuckucksei hatten die Richter der Exekutive mit ihrer von der Bundesregierung empfohlenen Entscheidung ins Nest gelegt, wonach das Vermögen der KPD zugunsten der Bundesrepublik Deutschland zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen werden sollte.142 So einfach, wie sich dieser Satz las, war das nicht. Tausende (!) Prozesse mussten geführt werden, um halbwegs rechtsstaatlich korrekt aus Miet-, Besitz- und Geschäftsverhältnissen, die von heute auf morgen endeten, herauszukommen. Allein 800 Arbeitsgerichtsprozesse wurden geführt.143 Die mehrfach angetroffene Begründung antikommunistischer Richter lautete: Wer sich auf – von der Bundesregierung schon früher als »verfassungsfeindlich« eingestufte – Kommunisten einließ, musste damit rechnen, dass er eines Tages Besitz, Vermögen oder Arbeitsplatz verlieren würde. Selbstverständlich wurde innerhalb des Bundesministeriums des Innern die Stelle eines Beauftragten zur Auflösung des KPD -Vermögens eingerichtet. Viele Berater und Gutachter standen bereit, um die als Leiter aktivierten Pensionäre zu beraten, aber auch, um von dem Kuchen, den die »Staatsfeinde« hinterlassen hatten, etwas abzubekommen. Hohe Personalkosten und überhöhte Honorare waren die Folge. Der Rechnungshof intervenierte und verordnete jährliche Überprüfungen. Unterdessen schmolz das sich durch das Handeln des Staates selbst verzehrende kommunistische Vermögen weiter dahin. Und dies, obwohl die Bundesregierung nicht wie die NS -Regierung 1933, als die KPD schon einmal verboten wurde, den Gläubigerschutz garantierte. So musste selbst das Bundespostministerium auf 75 000 DM »für rückständige Telefongebühren« der KPD verzichten, da die Bundesregierung nicht für Verbindlichkeiten der KPD haften wollte.144 Während der KPD -Prozess immerhin in knapp fünf Jahren über die Bühne ging, brauchte das Bundesinnenministerium unglaubliche 20 Jahre, ehe das noch vorhandene Restvermögen zweckgebunden überwiesen werden konnte. Erst 1976/​1977, in der Amtszeit von Bundesinnenminister Werner M ­ aihofer (FDP), konnte der übriggebliebene Rest in Höhe von 4 807 920,89 DM in zwei Tranchen an die Contergan-Stiftung für behinderte Menschen in Bonn überwiesen werden.145 141 Brünneck: Politische Justiz gegen Kommunisten, S. 236 ff. 142 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 582. 143 BArch: B106/151328. Der Beauftragte des BMI für die Einziehung des KPD -Vermögens, Statistik der Arbeitsgerichtsprozesse, 19.2.1957. 144 BArch: B106/151516, Einigung zwischen BMI und BMPF, 24.9.1974. 145 BArch: B106/151516. Schreiben des BMI und Bestätigung des Eingangs der Überweisungen durch die Stiftung »Hilfswerk für behinderte Kinder« vom 15.12.1976 und 5.12.1977.

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Die verweigerte Amnestie Initiativen zur Freilassung politischer Häftlinge in der DDR und in der Bundesrepublik

Die Bundesrepublik der frühen Adenauerzeit war ein amnestiefreudiges Land. Allgemein wurde erwartet, dass der neue Staat den kleinen wie den großen Kriegs- und Nachkriegstätern großzügig Amnestie gewähren würde. Im Bundestag wetteiferten die Parteien um die Gunst der Belasteten aus der NS -Diktatur. Bereits am 8. September 1949 forderte die rechtsnationale Deutsche Partei (DP) ein Gesetz zum sofortigen Abschluss der Entnazifizierung sowie eine Amnestie »für die Minderbelasteten und Mitläufer«. Wenige Tage später sprach sich das Zentrum, die Partei der Katholiken, für eine Amnestie bestimmter Straftaten aus der Besatzungszeit aus. Die bayerische Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) verlangte sogar eine Generalamnestie.1 Die Bundesregierung griff die Anregungen der kleinen Parteien auf und befasste sich bereits auf ihrer 7. Kabinettssitzung am 26. September ausführlich mit dem Thema. Justizminis­ ter Dehler (FDP) wurde beauftragt, umgehend einen Entwurf für ein Am­ne­ stiegesetz vorzulegen. Bundeskanzler Adenauer, ganz Populist in dieser Frage, gab die Richtung vor: »Wir haben so verwirrte Zeitverhältnisse hinter uns, dass es sich empfiehlt, generell tabula rasa zu machen.«2 Bereits am 7.  Oktober lag dem Kabinett ein erster Entwurf vor. Der Vorschlag, so Dehler, »Strafen bis zu einem Jahr Gefängnis zu amnestieren, gehe sehr weit, aber sei wohl erforderlich, um den mit der Konstituierung der Bundesrepublik gegebenen Neubeginn zu markieren«3. Nach erneuter Beratung verständigte man sich darauf, die Amnestie nicht zu üppig ausfallen zu lassen, reduzierte den Zeitrahmen für strafbare Handlungen von zwölf auf sechs Monate, ließ den Strafrahmen für eine Amnestie von Wirtschaftskriminellen jedoch bei 12 Monaten. Neu aufgenommen wurde ein spezieller Illegalen-Paragraph, der all jenen Straffreiheit zusicherte, die zur Verschleierung ihrer Identität den Namen oder sonstige Daten zum Personenstand geändert hatten, um »ungescho­ ren« davon zu kommen. Trotz erheblicher Bedenken der Alliierten Hohen Kom1 Frei: Amnestiepolitik in den Anfangsjahren der Bundesrepublik, S. 125. 2 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd.  1 (1949), 26.9.1949, Wortprotokoll, S. 339. 3 Ebd., 7.10.1949, 6. Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit, S. 107.

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mission (AHK) verzichteten die Besatzungsmächte darauf, ein Veto einzulegen und ließen das Gesetz passieren, nachdem es vom Bundestag bereits einstimmig verabschiedet worden war. Zu Silvester 1949 trat die erste Amnestie in Kraft. Die Zahl derjenigen, die von den Strafbefreiungen profitierten, wurden vom Bundesministerium der Justiz mit stolzen »792 176 Personen«4 angegeben. Das Straffreiheitsgesetz vom 31.  Dezember 1949 war erst der Anfang. Die Amnestiefrage blieb auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags. Die nächste Bastion, die es zu schleifen galt, war die von den Besatzungsmächten verordnete Entnazifizierung der Deutschen, von der mehrere Millionen betroffen waren. Zwar waren die Länder und nicht der Bund dafür zuständig, auch hatten viele von ihnen bereits entsprechende Abschlussgesetze vorgelegt. Doch wollten wiederum die kleinen Parteien, jetzt verstärkt durch die rechtsliberale FDP-Fraktion, auf ein bundesweites Fanal zur »Befreiung vom Befreiungsgesetz«, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte, nicht verzichten. Gelegenheit dazu bot ein Antrag der FDP zur »Liquidation« der Entnazifizierung, der am 23. Februar 1950 im Bundestag debattiert wurde. Dieses Mal wagten sich die Liberalen mit ihrer Forderung, auch die Hauptschuldigen der NS -Diktatur zu amnestieren, am weitesten vor. Mit dem staatlichen Neuanfang war die ersehnte »Selbstbestimmung in Sachen NS -Vergangenheit« Wirklichkeit geworden. Mit den Anti-Entnazifizierungsdebatten im Bundestag und den in den Ländern getroffenen gesetzlichen Maßnahmen zur Beendigung der Entnazifizierung hatte das »seit Jahren herangereifte Schlussstrich-Denken seine politische Legitimierung«5 gefunden. Die politisch folgenreichste Amnestie war die Rehabilitierung, Wiedereingliederung und Versorgung der Beamten, die nach 1945 von den Besatzungsmächten als politisch unzuverlässig und belastet aus dem Staatsdienst entfernt worden waren. Diese Beamten sind als sogenannte »131er« in die Geschichte eingegangen. Die Bezeichnung geht auf Artikel 131 des Grundgesetzes zurück, der allen Personen eine gesetzliche Regelung ihrer Ansprüche in Aussicht stellt, die aufgrund von Flucht, Vertreibung oder Entnazifizierung als Arbeiter, Angestellte oder Beamte aus dem Staatsdienst entlassen worden waren. Die Zahl der Betroffenen wird auf 300 000, einschließlich der zu versorgenden Familienangehörigen sogar auf 1,3 Millionen geschätzt. Neben der materiellen Wiedergutmachung ging es den Staatsbediensteten der NS -Diktatur vor allem um die Wiederherstellung ihrer »Ehre«.6 Erst vor kurzem sei ein Amnestiegesetz (1949) beschlossen worden, das deutlich gemacht habe, wie der Vorsitzende des ­Deutschen Beamtenbundes, Hans Schäfer, in einem Vortrag vor dem Ausschuss für Beamtenrecht des Bundestages betonte, »dass selbst straffälligen Staats­ 4 BArch: B 141/4286, Statistische Übersicht zum Straffreiheitsgesetz 1949, o. D. 5 Frei: Amnestiepolitik, S. 230. 6 Frei: Vergangenheitspolitik, S. 70 f.

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bürgern in gewissem Umfang ihre Sünden aus der Vergangenheit vergessen sein sollen«. Die Abgeordneten könnten jedoch »auf die Dauer nicht mit zweierlei Maß messen und den politisch Irrenden, den Genötigten und Getäuschten härter beurteilen als einen wirklich schuldigen kriminellen Rechtsbrecher«7. Wie die Mehrheit der Deutschen sahen sich auch die 131er eher als Opfer denn als Täter oder Mittäter. Schließlich habe man durch Kriegsfolgen und Entnazifizierung schon genügend Opfer- und Sühneleistung erbracht.8 Niemand im Bundestag wollte es sich mit dieser mächtigen Gruppe verderben. So hatten die 131er leichtes Spiel, um den Gesetzentwurf zu Artikel 131 GG während der Beratungen gleich mehrfach zu ihren Gunsten zu verbessern. Angesichts der großen Bedeutung des Gesetzesvorhabens gab auch hier der Kanzler die Richtung vor. Zu Beginn der zweiten Lesung im April 1951, richtete Adenauer zunächst das Wort an die Angehörigen der früheren Wehrmacht. »Niemand darf die Berufssoldaten wegen ihrer früheren Tätigkeit tadeln und sie, soweit sie im öffentlichen Dienst unterzubringen sind, bei gleicher persönlicher und fachlicher Eignung hinter anderen Bewerbern zurücksetzen. Das Kapitel der Kollektivschuld der Militaristen neben den Aktivisten und Nutznießern des nationalsozialistischen Regimes muss ein für alle Mal beendet sein.«9 Zur großen Gruppe der Nutznießer und Begünstigten des Gesetzes ge­ hörten neben den Flüchtlingen und Vertriebenen auch die Ehemaligen von Gestapo und Sicherheitsdienst (SD), unter denen mancher »Massenmörder« oder »Mordgehilfe« war, der erst Jahre später enttarnt und angeklagt wurde. Materiell wurden die Herren für ihren Dienst am Vaterland gut ausgestattet. Jeder dienstfähige Anspruchsberechtigte durfte seine frühere Amtsbezeichnung weiterführen und galt jetzt als »Beamter zur Wiederverwendung«. Wer zehn Dienstjahre nachweisen konnte, bekam ein Übergangsgehalt, eine gesetzlich geregelte Unterbringungs- und Pensionszusage. Des Weiteren wurden zwei Beförderungen aus der Zeit der NS -Diktatur anerkannt. Bei urkundlich nachgewiesener »persönlicher Tapferkeit vor dem Feinde« wurden auch schon mal mehrere Beförderungen zusätzlich anerkannt. In Summe belasteten die 131er den Bundeshaushalt mit jährlich 750 Millionen D-Mark. Zum Vergleich: Die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik an den Staat Israel, auf die sich beide Seiten im Luxemburger Vertrag vom 10. September 1952 verständigten, belasteten den Bundeshaushalt jährlich mit 250 Millionen DM.10 Am 10. April 7 BArch: B 106/31802, Hans Schäfer, Vortrag vor dem Ausschuss für Beamtenrecht, 15.3.1950. 8 Thamer: Die westdeutsche Erinnerung an die NS -Diktatur, S. 59. Foschepoth: Zur deutschen Reaktion auf Niederlage und Besatzung. 9 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 1. WP, 5.4.1951, S. 4984. 10 Die Deutsch-israelische Vereinbarung vom September 1952 sah eine Globalleistung im Wert von insgesamt 3,5 Mrd. DM auf 14 Jahre vor. Daraus ergibt sich eine jährliche Belastung des Bundeshaushalts in Höhe von 250 Mio. jährlich. Zum Luxemburger Abkommen vom 10.9.1952 Goschler: Luxemburger Abkommen, S. 576–583.

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1951 wurde das »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen« einstimmig, bei zwei Enthaltungen, vom Bundestag verabschiedet.11 Wer aus den Führungsetagen der ehemaligen Reichsministerien und -behörden kam, und bis dahin noch keinen neuen Job gefunden hatte, konnte sich nun getrost bei den Nachfolgebehörden des »Dritten Reiches« in Bonn bewerben. Bereits im Sommer 1951, wenige Monate nach Verabschiedung des 131er-Gesetzes, waren von 45 221 Planstellen in der Bundesverwaltung 10 738 mit Beamten besetzt, die von den Bestimmungen des Gesetzes profitierten. Das entsprach 23,7 Prozent. Zwei Jahre später lag diese Quote bereits bei 28,3 Prozent. In 11 von 21 obersten Bundesbehörden lag im Jahre 1953 die Quote bei über 50 Prozent. Im Bundesministerium der Justiz lag sie mit 53 Prozent noch darüber.12 Auf der Leitungsebene des Bundes war der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder, die zwischen August 1950 und Februar 1953 ernannt worden waren, noch einmal höher und lag bei 60 Prozent.13 Spitzenreiter war das Auswärtige Amt. Hier erreichte die Quote zwei Drittel aller Leitungskräfte. Adenauer hatte mit all dem kein Problem. »Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens zunächst an den leitenden Stellen Leute hat, die von der Geschichte von früher etwas verstehen«, erklärte er im Bundestag. »Ich meine, wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei Schluss machen.«14 Noch einmal stand die Frage der Amnestie von Straftätern aus den Zeiten der NS -Diktatur und des »Zusammenbruchs« ganz oben auf der politischen Agenda. Nach dem großen Wahlsieg bei der zweiten Bundestagswahl am 6. September 1953, bei der Konrad Adenauer nur knapp die absolute Mehrheit für seine Partei verfehlte, lag die Notwendigkeit eines »SchlussstrichGesetzes« gleichsam in der Luft. Bei Einbringung des Gesetzes betonte der neu ins Amt gekommene Bundesjustizminister Fritz Neumayer (FDP), worum es bei dem Gesetz mit dem unsäglichen Titel15 ging. Neben der Regelung einiger »Sonderamnestien« ging es dem 2.  Amnestiegesetz vor allem darum, »einen Schlussstrich zu ziehen unter eine chaotische Zeit, für die niemand von uns verantwortlich war und die Menschen zu Straftaten oder Gesetzesübertretungen geführt hat, die sie sonst niemals begangen hätten«16. Im Unterschied zum 1. Amnestiegesetz von 1949 wurde im 2. Amnestiegesetz von 1954 der Straffreiheitsrahmen für Straftaten, die mit Freiheitsentzug bedroht waren, von sechs Monate auf drei Jahre angehoben. Dies galt für alle »Taten während des Zusam11 12 13 14 15

Frei: Vergangenheitspolitik, S. 79 f. Görtemaker/Safferling: Die Akte Rosenburg, S. 166. Wengst: Staatsaufbau und Regierungspraxis, S. 180. Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 1. WP, 22.10.1952, S. 10735. BGBl: I 1954, Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren, 17.7.1954, S. 203–209. 16 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 2. WP, 26.2.1954, S. 587.

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menbruchs« in der Zeit zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945, »die in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere aufgrund eines Befehls, begangen worden sind«.17 Wie aus Statistiken der Landesjustizverwaltungen hervorgeht, haben von der Anwendung dieses Gesetzes etwa 400 000 Personen profitiert, ohne allerdings zu sagen, um welche Straftaten es sich im Einzelnen handelte.18 Auch das 2. Amnestiegesetz wurde wieder mit überwältigender Mehrheit des Deutschen Bundestages am 15. Juli 1954 verabschiedet. Die Bilanz der gesetzlichen, aber auch der »kalten« Amnestien war beträchtlich. 3,6 Millionen Entnazifizierte hatten keine sichtbaren Flecken mehr auf ihren Westen. Sämtliche Strafregistervermerke über Verurteilungen durch Spruchgerichte wurden gelöscht. Die Mehrzahl der Gestapo-Leute kehrte in den Dienst am Staat zurück, bei der Polizei, in den Kriminalämtern oder in den neuen Geheimdiensten. Sämtliche Berufsoffiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS hatten ihre Pensionsansprüche gesichert. Die zur damaligen Zeit noch als »Militärberater« Adenauers tätigen späteren Bundeswehrgeneräle Speidel und Heusinger hatten in der »Himmeroder Denkschrift« längst klargestellt, dass ein »Wehrbeitrag« der Bundesrepublik ohne die Freilassung sämtlicher Kameraden nicht möglich sei. Die Freilassung aller »Kriegsverurteilten«, wie diese Kameraden jetzt hießen, war längst zu einer »Frage der nationalen Ehre«19 geworden. In einer Zusatzvereinbarung zu den Westverträgen gelang es dem Kanzler unter »Aufbietung sämtlicher Kräfte«, die letzten von den drei Westmächten verurteilten und noch einsitzenden NS -Verbrecher bis zum Jahre 1958 freizu­ bekommen. Aber auch die kollegiale kalte Amnestierung von Kollegen in Wissenschaft und Verwaltung funktionierte. Ministerialbeamte der ehemaligen Reichsministerien, Richter und Staatsanwälte bei Sonder- und Kriegsgerichten kehrten nach Gründung des neuen, dieses Mal westlichen Werten verpflichteten Staates zurück. Sollte sich der eine oder andere noch als Opfer der Justiz im Netz des neuen Rechtsstaates verfangen, dann sorgten verschiedene »Begnadigungswellen« dafür, dass auch diese »Opfer« noch amnestiert werden konnten. Grundlage hierfür war die »Gnadenordnung des Führers«20 vom 6. Februar 1935. Das Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1935 wies ausdrücklich »dem Führer und Reichskanzler« dieses Gnadenrecht zu. Ohne jeden verfassungsrechtlichen Skrupel wurde das NS -Gnadenrecht 1949 »in die Rechtsordnung der Bundesrepublik übernommen« und bestand »bis in die 1990er Jahre als Bundesrecht fort«21. Fast alle waren jetzt entlastet und entschuldigt. So bilanziert Norbert Frei das Ergebnis seiner Forschungen zur Amnestiepolitik der Adenauerzeit. »Gegen 17 18 19 20 21

BGBl: I 1954, § 6, S. 204. BArch: B 141/4357. Frei: Vergangenheitspolitik, S. 127. Frei: Amnestiepolitik, S. 135. Görtemaker/Safferling: Die Akte Rosenburg, S. 190. Ebd., S. 191 f.

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Mitte der Fünfzigerjahre musste in der Bundesrepublik fast niemand mehr ­befürchten, ob seiner NS -Vergangenheit von Staat und Justiz behelligt zu werden.«22 Ein weiteres kommt hinzu. Die Profiteure der verschiedenen Amnestien kamen aus nationalen kleinbürgerlichen und bürgerlichen Kreisen. Nicht von den Rändern der Gesellschaft, wie es ein lange gepflegter Mythos glauben machen will, sondern aus der Mitte der Gesellschaft ist die erste deutsche Republik 1933 zerstört worden. Mit jedem neuen Gnadenakt und jeder neuen, in breitem politischen und gesellschaftlichen Konsens verabschiedeten Amnestie, nahm nicht nur die Zahl der Amnestierten, sondern auch die Unwilligkeit der Staatsanwälte zu, in Sachen NS -Verbrechen überhaupt noch tätig zu werden. Die Folge war, dass die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen NS -Täter deutlich sank und mit ihr die der durchgeführten Strafverfahren, gefällten Gerichtsentscheidungen und Verurteilungen.23 Grafik 10: Verurteilte NS-Täter und verurteilte Kommunisten im Vergleich, 1951–1967 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0

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KP-Täter: 6900

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Quellen: Brünneck: Politische Justiz, S. 276. BArch: B 106/101858, ergänzend hier die Zahl für 1967. Eichmüller: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen, S. 621 ff. Die bei von ­Brünneck zitierten Zahlen des Statistischen Jahrbuchs decken sich mit denen in den Akten der Bundesregierung.

Ein numerischer Vergleich der Strafverfahren gegen NS -Täter mit denen gegen Kommunisten zeigt eindrucksvoll, wie lax die westdeutsche Justiz in den Fünfziger-und Sechzigerjahren mit der Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen umging und wie energisch sie die propagandistischen Attacken der Kommu­ 22 Frei: Amnestiepolitik, S. 133. 23 Frei: Vergangenheitspolitik, S. 128.

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nisten als Hochverrat, Staatsgefährdung und Organisationsvergehen verfolgte. 6 900  Kommunisten und solche, die ihnen nahestanden oder dafür gehalten wurden, wurden verurteilt. Auf einen verurteilten NS -Täter kamen  – statis­ tisch gesehen – 7,18 verurteilte Kommunisten. Jeder Verurteilung eines Kom­ munisten gingen etwa 20 Ermittlungsverfahren voraus. Die Zahl dieser Verfahren insgesamt dürfte somit bei ca. 150 000 gelegen haben. Die Strafen waren in der Regel eher gering. Vielfach dauerte die Untersuchungshaft länger als die Abbüßung der eigentlichen Haftstrafe. Besonders hart waren die zahlreich ­ausgesprochenen Bewährungsauflagen und verhängten Nebenstrafen wie Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, Aberkennung von Entschädigungen für den Widerstand gegen die NS -Diktatur, Entzug des Reisepasses, polizeiliche Meldepflicht etc.24 Das KPD -Verbot vom 17. August 1956 erleichterte – wie die steigenden Verurteilungszahlen zeigen  – die politische Verfolgung von Kommunisten und deren Gesinnungsgenossen. Jeder, der »die gesetzwidrige Wirksamkeit der verbotenen Partei« förderte, machte sich der Zuwiderhandlung gegen das KPD Verbot strafbar.25 Darunter fielen das Verteilen kommunistischer Zeitungen, Broschüren, Flugblätter ebenso wie das Mitmachen in angeblichen oder tatsäch­ lichen kommunistischen Vereinigungen wie zum Beispiel »Frohe Ferien für alle Kinder«26. Darunter fielen aber auch alle Straftatbestände der »Staatsgefährdung«27. Gerne griffen die Richter auf diese Möglichkeit zurück, da das Strafmaß für Zuwiderhandlungen gegen das KPD -Verbot von mindestens 6 Monaten Gefängnis vielfach höher war als das für Staatsgefährdungsdelikte. Die Justizvergessenheit gegenüber alten und neuen Nationalsozialisten auf der einen, die Justizversessenheit gegenüber alten und neuen Kommunisten auf der anderen Seite prägten den jungen Rechtsstaat in all seinen Irrungen und Wirrungen in der Zeit des deutsch-deutschen Kalten Bürgerkriegs. Vieles wurde missachtet und verletzt: der Verfolgungszwang von NS -Verbrechen, die Grundrechte, die Rechtsgleichheit und die Verhältnismäßigkeit, um einige Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zu nennen. Beides, Justizvergessenheit und Justizversessenheit, diente dem gleichen Zweck. Es gab dem Einzelnen wie der Gesamtheit der Deutschen und deren Einsatz für das ­nationalsozialistische Deutschland einen legitimierenden Sinn. Dabei ging es zum einen darum, den Deutschen die Schuld, zumindest den Vorwurf zu nehmen, an einem der größten Verbrechen der Menschheit aktiv mitgewirkt zu haben. Zum andern ging es darum, dem Vernichtungskrieg gegen die bolschewistische Sowjetunion einen gewissen Sinn zu geben, da man schon damals gegen den richtigen Feind 24 25 26 27

Foschepoth: Rolle und Bedeutung der KPD, S. 902. BVerf GG: §§ 42,47. Niederhut: Frohe Ferien in der DDR . Brünneck: Politische Justiz gegen Kommunisten, S. 135.

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gekämpft habe. Dieser Feind stand heute im eigenen Land. Die Angst vor einer Revanche der »Russen« war groß, so dass die »Russenpartei« mit allen Mitteln bekämpft werden musste. Ein zweites »Stalingrad«, wenn auch nur im politischen Sinne, durfte es nicht geben. Deshalb sollte der Kommunismus mit aller Kraft und mit allen Mitteln bekämpft werden. Langsam dämmerte es auch der SPD, zumindest einigen innerhalb der Partei, die allen Amnestien bereitwillig zugestimmt hatten, dass die Entwicklung des Staates auf keinem guten Weg war. Angesichts maßloser Urteile gegenüber Kommunisten und gleichzeitig größter Langmut gegenüber Rechtsradikalen und alten Nationalsozialisten äußerte Walter Menzel (SPD) – Vorsitzender des Bundestagsausschusses zum Schutz der Verfassung – während der Haushaltsdebatte des Bundestages 1955 erstmals in aller Öffentlichkeit erhebliche ­Zweifel daran, ob das 2.  Amnestiegesetz richtig gewesen sei: »Durch diese Amnestie wurden alle jene, die sich vor 1945 an hilflosen und wehrlosen Menschen so mörderisch und viehisch vergangen hatten, begnadigt, wenn nicht mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten waren. Das ist es, was unser Rechtsgefühl auf das Tiefste verletzt: Dass Menschen vor dem Richterstuhl so verschieden und nicht gleich behandelt werden.«28 Wie stand es nun um die Kommunisten? Hatten sie eine vergleichbare Milde zu erwarten wie die Leistungsträger der NS -Diktatur und des neuen freiheitlich demokratischen Rechtsstaats, obwohl sie sich keiner auch nur im Ansatz vergleichbaren Straftat schuldig gemacht hatten? Nein, der deutsch-deutsche Kalte Bürgerkrieg war noch längst nicht zu Ende. Die Kommunisten – so gering deren Zahl und tatsächliches Bedrohungspotential auch sein mochte – wurden für die Aufrechterhaltung eines Feindbildes benötigt, um die politische Unterstützung der eigenen Parteigänger und Anhänger in der Bevölkerung auf dem Weg nach Westen zu garantieren. Nach innen und außen wurde es nicht leichter, den Konfrontationskurs gegen den imaginären Feind aufrecht zu erhalten, sondern eher schwieriger, zumal in Zeiten innerer und äußerer Entspannung. 1955/56 war eine solche, wenn auch nur kurze Zeit, in der ein Hauch von Entspannung durch die internationale Politik des Kalten Krieges und die deutschdeutsche Politik des Kalten Bürgerkriegs ging. Der Status quo in Deutschland und Europa war mit der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einbindung der Bundesrepublik in den Westen und der entsprechenden Einbindung der DDR in den Osten garantiert, die Sicherheit der einen vor der anderen Seite gesichert. Politische Forderungen nach Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates hatten nur noch deklamatorische Bedeutung, da keine Seite an einer Veränderung des Status quo mehr interessiert war. Das sah auch Konrad Adenauer so. Nachdem er mit der Sowjetunion im September 1955 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart hatte, um die letzten deutschen 28 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 2. WP, 23.6.1955, S. 5138.

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Kriegsgefangenen frei zu bekommen, ließ er die britische Regierung in geheimer Mission wissen, dass er der Meinung sei, »dass die Integration Westdeutschlands in den Westen wichtiger als die Wiedervereinigung Deutschlands sei«29. Selbst wenn bei gleichzeitigem Abschluss eines europäischen Sicherheitsvertrags mit der Sowjetunion eine Wiedervereinigung möglich und die Abhaltung freier Wahlen sowie die völlige Handlungsfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung nach innen und außen gesichert wäre, sei er – Konrad Adenauer – gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands.30 Die größte öffentliche Aufmerksamkeit von Adenauers Moskaureise erreichte die »Befreiung« der deutschen Kriegsgefangenen. Bis heute gilt dies als die größte Leistung des ersten Bundeskanzlers, obwohl er selbst sich schon mit der Einrichtung einer entsprechenden Kommission zufrieden gegeben hätte. Die von Stalin und auch von seinen Nachfolgern noch einige Zeit angestrebte Herstellung eines einheitlichen deutschen Staates machte angesichts der erfolgreich abgeschlossenen Westintegration der Bundesrepublik keinen Sinn mehr. Die Neuausrichtung der sowjetischen Außenpolitik erforderte jetzt die Anerkennung des Status quo in Deutschland und Europa auf der Basis der Grenzen von 1945 und der Existenz zweier deutscher Staaten (Zweistaatentheorie). Darüber wollten die Sowjets auch gar nicht mehr lange reden. Beide Seiten sollten hier und jetzt die Realitäten anerkennen und auf dieser Basis die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik vereinbaren. Aus Sicht der Bundesregierung bedeutete dies den deutschlandpolitischen GAU. Keine diplomatischen Beziehungen zu einem Land, das mit der DDR diplomatische Beziehungen aufnimmt oder unterhält, lautete daher die »Hallstein-Doktrin«, die noch auf dem Rückflug nach Bonn entworfen wurde. Als Gegenleistung für diesen deutschlandpolitischen Sündenfall boten die Sowjets, wie sie es nannten, die Freilassung von »9 626 Kriegsverbrechern«31 an. Tatsächlich frei gelassen wurden 9 536 ehemalige deutsche Soldaten. Davon kehrten  – nach dem Prinzip des letzten Wohnorts  – knapp ein Drittel in die DDR (3 104), etwas mehr als zwei Drittel in die Bundesrepublik (6 432) zurück.32 Wäre Adenauer auf das sowjetische Angebot nicht eingegangen, hätte die DDR-Regierung, mit der die Sowjets im Laufe des Sommers schon über die Ge­ fangenenfrage verhandelt hatten, den Zuschlag bekommen. Um von dem eigenen Misserfolg abzulenken, machte das Politbüro der SED erst einmal durch eigene Aktivitäten wieder auf sich aufmerksam und beschloss, »2 591 Kriegsverurteilte vorzeitig aus der Haft zu entlassen«33. Der Beschluss des Politbüros war erst der Beginn einer großen Charme-Offensive der DDR , in der sie mehrfach 29 Foschepoth: Adenauer und die deutsche Frage, S. 55. 30 Ebd. Das Dokument »German Unity« ist in Englisch abgedruckt: S. 289 f. 31 Foschepoth: Adenauers Moskaureise 1955. Wettig: Die Entlassung der Kriegsgefangenen. 32 Wunschik: Politische Gefangene als Spielball der Politik, S. 379. 33 BArch: DY 30, Beschluss des SED -Politbüros vom 18.10.1955.

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die Freilassung weiterer politischer Gefangener in der DDR ankündigte und gleichzeitig die Freilassung sämtlicher politischen Gefangenen in der Bundesrepublik forderte. Fast ein Jahr lang standen Spitzenpolitiker der ostdeutschen liberalen Partei und Fraktion, Hans Loch, Vorsitzender der LDPD und des Ausschusses für deutsche Einheit sowie stellvertretender Ministerpräsident der DDR , und Rudolf Agsten, Vorsitzender der Fraktion der LDPD, in brieflichem Kontakt mit Thomas Dehler, dem Vorsitzenden der FDP in der Bundesrepublik. Den Vorschlag, sich wechselseitig zur Teilnahme an Parteitagen der Liberalen in Deutschland West und Deutschland Ost einzuladen, lehnte Dehler jedoch entrüstet ab, da Loch die kommunistische Terrorherrschaft seit Jahren unterstützt habe und »bei der Verhaftung zahlreicher aufrechter Liberaldemokraten stets behilflich gewesen«34 sei. Im Laufe der nächsten Wochen wandte sich Loch auch an den Bundeskanzler persönlich, der jedoch nicht reagierte. In einem weiteren Schreiben an Paul Löbe, Präsident des Kuratoriums Unteilbares Deutschland, deutete Loch mögliche »Gnadenakte« in der DDR an und bezeichnete weitere »an sich rechtmäßige« Verurteilungen als durchaus verhandelbar.35 Wenige Tage später erhielt Bundespräsident Theodor Heuss Post von Staatspräsident Wilhelm Pieck. Darin sprach der ranghöchste Politiker der DDR , dessen Brief zeitgleich im Parteiorgan der SED veröffentlicht wurde36, von 10 000 Ermittlungsverfahren in Westdeutschland und forderte, alle politischen Gefangenen der Bundesrepublik umgehend freizulassen.37 Vier Wochen später ließ Ministerpräsident Grotewohl die Öffentlichkeit wissen, dass »691 Personen, die früher oder jetzt der SPD angehörten, bis zum 19. Juni 1956 aus den Haftanstalten entlassen« worden seien. Darüber hinaus hätten Präsident und Re­ gierung der DDR beschlossen, 11 896 Personen »durch Begnadigung oder durch bedingte Strafaussetzung« freizulassen. Bei weiteren 3 169 Personen, die wegen geringfügiger Vergehen verurteilt worden waren, sei die Strafhaft ausgesetzt worden. Darüber hinaus hatte sich die Zahl der freigelassenen »Kriegsverurteilten« inzwischen auf 3 308 erhöht. Insgesamt wurden nach DDR-Angaben in den nächsten Wochen ca. 19 000 Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen.38 All diese Maßnahmen seien ein »Beitrag zur Entspannung der Lage in Deutschland und zur Verbreiterung der Verständigungsmöglichkeit zwischen den beiden deutschen Staaten«39. Natürlich wurden diese Zahlen im Westen nicht für bare Münze genommen, sondern zumindest herunter gerechnet. So sollten sich unter den Freigelassenen 34 35 36 37 38 39

ADL: NL Thomas Dehler, N1-3118, Dehler an Loch, 13.4.1956. Wunschik: Politische Gefangene als Spielball der Politik, S. 380. Neues Deutschland, 20.5.1956. Lemke: Einheit oder Sozialismus?, S. 384. BArch: B 137/1746, Vermerk BMG , 10.7.1956. ADL: NL Thomas Dehler, N1-3118, Mitteilung des Presseamtes bei Ministerpräsident Grotewohl, 20.6.1956.

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höchstens 5 000 politische Gefangene befinden. Unbestritten war jedoch, dass eine große Anzahl von ehemaligen Sozialdemokraten, die vielfach für das O ­ stbüro der SPD in West-Berlin, einer vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen mit finanzierten »Spionageeinrichtung der Partei«, tätig w ­ aren, entlassen worden war.40 Natürlich entließ die DDR ihre Gefangenen nicht aus Altruismus, sondern aus politischen Gründen, u. a. um damit auf die Situation der Kommunisten in der Bundesrepublik vor und auch nach dem KPD -­ Urteil hinzuweisen und diese politisch zu nutzen. Sicher brauchte sie auch einfach mehr Platz in den Gefängnissen, nicht nur um die neu hinzukommenden »Kriegsverbrecher« aus der Sowjetunion, sondern auch die Gegner eines wei­ teren Aufbaus des Sozialismus und die Propagandisten des Kalten Bürgerkriegs unterbringen zu können. Die Signale und Maßnahmen der SED wurden im Westen durchaus ernst­ genommen und gewürdigt. Bereits Ende Oktober 1955 hatte sich der Fraktionsvorstand der SPD in einer vertraulichen Sitzung mit der Frage befasst, ob die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik nicht ein geeigneter Anlass sein könnte, »von einem Verbot der KP abzusehen und das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht ruhen zu lassen«. Bei dieser Gelegenheit berichtete Carlo Schmid, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und Mitglied des Parteivorstands der SPD, »dass das Thema zwischen ihm und dem Herrn Bundeskanzler beim gemeinsamen Moskau-Flug erörtert worden sei«. Adenauer habe dazu gemeint, »ein solcher Gedanke sei erwägenswert«, jedoch rechtlich wohl schwer umzusetzen. »Dem Vernehmen nach soll der Kanzler hier wegen eine Aussprache mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts geplant haben, doch sei es infolge seiner plötzlichen Erkrankung nicht mehr dazu gekommen.«41 Walter Menzel, Vorsitzender des Ausschusses zum Schutz der Verfassung, wurde vom Fraktionsvorstand der SPD beauftragt, in der KPD -Frage mit Bundesinnenminister Schröder Kontakt aufzunehmen und darüber hinaus die Möglichkeit »einer Amnestie für bestrafte KP-Anhänger« zu eruieren. »Die Sowjetzonenregierung habe eine Amnestie für politische Strafverfahren er­ lassen«, so Menzel gegenüber Schröder. Für den Umfang einer Amnestie könne es von großer Bedeutung sein, wenn sich auch die Bundesrepublik zu einem »Gnadenerweis gegenüber politischen Häftlingen« entschließen würde. Deshalb bat er den Minister zu überlegen, »ob für den Fall eines KP-Verbotes nicht eine Amnestie vorbereitet werden solle, um auch aus den Sowjetzonen-Gefängnissen Leute herauszubekommen«.42

40 Buschfort: Parteien im Kalten Krieg, S. 51 ff. 41 BArch: B 136/3785. Walter Bargatzky (BMI), Vermerk, 3.11.1955. 42 Ebd.

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Nach dem Gespräch zwischen Menzel und Schröder wurde auch die Bundesregierung aktiv. Das Bundesministerium der Justiz setzte eine Unterkommission ein, um unter Beteiligung des Bundeskanzleramts, des Bundesministeriums des Innern und des Bundesamts für Verfassungsschutz die Frage einer Amnestie prüfen zu lassen. Nachrichtlich wurden auch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und die Bundesanwaltschaft beteiligt, die beide bereits bei einer Vorbesprechung eine Amnestie für Kommunisten abgelehnt hatten. Die Beratungen der Unterkommission fanden am 19. Dezember 1955 im Justiz­ ministerium statt. Das Ergebnis lautete: »Der Bundesregierung wird empfohlen, im Falle eines Verbots der KPD durch das Bundesverfassungsgericht keine Amnestie für politische Straftaten ins Auge zu fassen und, falls der Vorschlag zu einer solchen Amnestie von anderer Seite gemacht wird, diesem entgegenzutreten.«43 Als Vorlage für die Sitzung diente ein Papier, das aus der Feder von Mi­ nisterialrat Kleinknecht stammte. Kleinknecht war Referent der Strafrechtsabteilung des Justizministeriums. Er war wie viele seiner Kollegen ehemaliges Mitglied der NSDAP und auch schon bei der SA dabei gewesen. Bereits in den frühen Fünfzigerjahren waren 62,8 Prozent der Führungskräfte dieser Abteilung ehemalige Mitglieder der NSDAP. Sechs von ihnen waren auch in der SA mit marschiert. Gegen Mitte der Fünfzigerjahre stieg der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder in der Strafrechtsabteilung sogar auf über 70 Prozent an und erreichte 1957, als Konrad Adenauer die absolute Mehrheit errang, den Höchstwert von 76,9 Prozent der Abteilungs- bzw. Referatsleiter.44 Jetzt hatte der Kanzler seine »Fachleute« bald alle wieder an Bord. Zu den wichtigsten Aufgaben der Abteilung II gehörten die »Entnazifizierung« des Strafrechts, die strafrechtliche Aufarbeitung der NS -Gewaltverbrechen und die Wiedereinführung und Verschärfung des politischen Strafrechts vor allem gegen Kommunisten.45 Im Unterschied zu den verschiedenen Amnestien für Belastete aus der NS Diktatur lehnte die Unterkommission eine allgemeine Amnestie für politische Straftaten, die vor allem von kommunistischer Seite immer wieder gefordert wurde, kategorisch ab. Aber auch für eine »Amnestie zu Gunsten von Mitläufern und unbedeutenden Funktionären« bestand »keinerlei Anlass«. Das Argument, eine derartige Amnestie sei Voraussetzung für eine politische Entspannung im Verhältnis zu den Ostblockstaaten treffe nicht zu. Eine noch so umfassende politische Amnestie könne das West-Ost-Verhältnis keineswegs nachhaltig verbessern. »Eine politische Amnestie ist nur sinnvoll, wenn ein Schlussstrich unter eine Periode des politischen Kampfes gezogen werden kann. Davon kann im Verhältnis zur KPD keine Rede sein.« Ein etwaiges Verbot der KPD sei keine Zäsur im Kampf gegen den Kommunismus, der eine Amnestie rechtfertigen 43 BKAmt-Archiv: 10210 (1), BMJ an die Beteiligten der Unterkommission, 21.12.1955. 44 Görtemaker/Safferling: Die Akte Rosenburg, S. 318. 45 Ebd., S. 316.

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würde. Das KPD -Verbot, so die Vertreter der wichtigsten Ministerien und Behörden zur Bekämpfung des Kommunismus weiter, sei »nur die Schaffung einer weiteren Voraussetzung für den wirksamen Kampf gegen den Kommunismus«. Tatsächlich werde der Kommunismus seinen Kampf gegen die Bundesrepublik und ihre Verfassung »taktisch zwar anders, aber nach seiner Vorstellung nicht schwächer führen. Auch der Abwehrkampf der Bundesrepublik wird zwar taktisch teilweise anders, aber ebenfalls nicht schwächer als bisher weitergeführt werden müssen. Auf keiner Seite ist ein Gesinnungswandel eingetreten.«46 Ein weiterer Grund, warum eine Amnestie für politische Straftaten nicht in Frage kam, war die befürchtete Schwächung des Staates. Eine Amnestie könnte das Verhalten des Staates gegenüber der KPD »als widerspruchsvoll erscheinen lassen und den Kampf gegen den Kommunismus psychologisch und faktisch schwächen«. Die Bundesregierung habe damit, »dass sie trotz heftiger Angriffe den KP-Prozess durchführen ließ, ihre Entschlossenheit bekundet, den Kampf gegen die kommunistische Gefahr mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu führen. Würde sie eine Amnestie befürworten, so könnte dies als ein wankend werden und als innerer Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten gedeutet werden.« So könnte eine Amnestie »die Abwehr des Kommunismus auf dem Gebiete der geistigen Beeinflussung schwächen, die Initiative der zur Abwehr berufenen Organe beeinträchtigen und den Widerstandswillen in der SBZ schwächen«. Schließlich würde eine Amnestie »das Vorgehen gegen Parteien, die künftig verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, von vornherein beeinträchtigen«. Lange vor dem Verbot einer solchen Partei müssten wiederum die Verwaltungsbehörden und insbesondere die Strafverfolgungsorgane tätig werden. »Die Initiative dieser Staatsorgane würde aber zweifellos beeinträchtigt sein, wenn sie im Hinblick auf eine Kommunistenamnestie wiederum mit einem politischen Straffreiheitsgesetz nach dem Verbot der Partei rechnen müsste.«47 Die Debatte um eine mögliche deutsch-deutsche »Gefangenenbefreiung« kam erst richtig in Schwung, als der Bundestag am 30. Mai 1956 eine von allen Fraktionen des Parlaments eingebrachte große Anfrage über die »Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindung zwischen den ­beiden Teilen Deutschlands« diskutierte. Auf Antrag von SPD, FDP, Gesamtdeutschem Block und Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) wurde der Ausschuss für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen beauftragt, die Auf­ gaben, die sich aus der großen Anfrage ergaben, weiterzuverfolgen und darüber im Bundestag zu berichten. Außerdem nahm der Bundestag einen Antrag der SPD an, wonach die Bundesregierung beauftragt wurde, in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages die Gründe für und gegen eine Amnestie für ­politische Straftaten in der Bundesrepublik vorzutragen und zu erläutern. Fer46 BKAmt-Archiv: 10210 (1), Protokoll der Tagung der Unterkommission, 21.12.1955. 47 Ebd.

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ner wurde die Bundesregierung am 6. Juli 1956 von einem Unterausschuss des Gesamtdeutschen Ausschusses gebeten, »den Umfang einer Amnestie für politische Straftaten zu prüfen«48. Nun lag der Ball, gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, wieder im Spielfeld der Bundesregierung. Zwar verfügte die CDU/CSU über eine ausreichende Mehrheit, doch gewann 1956 die Opposition mit dem Ausscheiden des GB/BHE und der FDP aus der Regierungskoalition 53 Sitze dazu. Darüber hinaus gab es bei einer so sensiblen Frage, bei der es für viele weniger um die Freilassung westdeutscher Kommunisten als um die Freilassung politischer Strafgefangener in der DDR ging, auch innerhalb der Regierungskoalition einige unsichere Kantonisten. Hierzu zählten die üblichen Verdächtigen und jetzigen Bundesminister Jakob Kaiser (CDU) und Ernst Lemmer (CDU). Sie blieben dieses Mal jedoch nicht allein. Das Lager der Befürworter einer Amnestie wuchs stetig. Bundesaußenminister von Brentano, aber auch der neue Bundesjustizminister Hans-Joachim von Merkatz (DP), der Nachfolger von Neumayer (FDP), gesellten sich hinzu, nachdem auch Oberbundesanwalt Güde und alle Präsidenten der westdeutschen Oberlandesgerichte eine Amnestie für Kommunisten gefordert hatten. Selbst die Mitglieder des Auswärtigen-, des Gesamtdeutschen- und des Rechtsausschusses im Bundestag wollten in Vorleistung treten, um eine größere Zahl politischer Gefangener in der DDR frei zu bekommen.49 Hinzu kam, dass sämtliche großen Zeitungen die Befürworter einer Amnestie publizistisch unterstützten. Auch die Mehrheit der Bundesländer sprach sich für eine Amnestie aus. Nur Bayern, Hamburg und Niedersachsen waren dagegen. Die Landesregierung NRW hielt es in ihrem Beschluss »für erforderlich, Maßnahmen zu treffen, die zu einer Befriedung Gesamtdeutschlands und zur Erleichterung des Loses der in Gefängnissen der Sowjetzone in Haft gehaltenen politischen Gefangenen beitragen können. Sie tritt daher für den beschleunigten Erlass einer Bundesamnestie für solche politischen Straftaten ein, die vor dem 17. August 1956 begangen worden sind.«50 Angesichts des politischen Tauwetters zwischen Ost und West und der innenpolitischen Reformdebatten in der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten, aber auch der DDR51 seit dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 machte sich innerhalb der Bundesregierung Sorge breit, ob mit Blick auf die offensichtliche Gesprächsbereitschaft der DDR auf Dauer ein harter Kurs aufrecht erhalten werden könne. Dennoch änderte die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung nicht: keine Amnestie für Kommunisten! Dieser stramme Kurs 48 BArch: B 106/1580 und B 137/1746. 49 Der Spiegel, 45 (1956), Amnestie. Schröders Kunstfehler. 7.11.1956. 50 Beschluss der Landesregierung NRW vom 29.1.1957: TOP 6 Amnestie für politische Straf­ taten. http://www.archive.nrw.de/LAV_NRW/jsp/edition.jsp?expandId=1002&id=1&archiv Nr=185&naviId=3534&y=0. 51 Malycha: Reformdebatten in der DDR?

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war vor allem einem Politiker zu verdanken, der sich als besonders »schneidiger« antikommunistischer Steuermann in entspannungsfreudiger Zeit erwies: Gerhard Schröder (CDU). In Sachen Härte gegen den Kommunismus ließ er sich von niemandem übertreffen. Immer wieder vergatterte er die eigenen Leute, nicht vom Ziel einer kommunistenfreien Bundesrepublik abzuweichen. So warnte er im Fraktionsvorstand der CDU »vor irgendwelchen Milderungen der bestehenden Strafandrohungen (z. B. durch eine generelle Amnestie). Die nächste Etappe sei die Feststellung und das Ausräumen kommunistischer Tarnorganisationen.«52 Am 17. Oktober 1956 wandte Schröder sich an die Öffentlichkeit. In einem Vortrag im Bayerischen Rundfunk warnte er erneut vor einer Amnestie für Kommunisten. Einleitend betonte er die völlige Unvergleichbarkeit der SBZ mit der Bundesrepublik. Während drüben »Tausende politischer Häftlinge« fest gehalten würden, befänden sich bei uns »insgesamt nur 36 Verurteilte in Strafhaft«. Überhaupt erfolgten die Verurteilungen in der SBZ »unter den fadenscheinigsten Vorwänden, unter Verhängung von zum Teil unmenschlichen Strafen«. Da dränge sich die Frage auf, ob wir die Entscheidungen unserer Gerichte überhaupt »mit solcher Terrorjustiz« vergleichen dürften. »Wir können und wollen nicht mit der SED -Terrorjustiz konkurrieren!« Bei uns könnten in Härtefällen und Bagatellsachen »Regierung, Gerichte und Staatsanwaltschaften durch Begnadigung oder Einstellung auf Grund der bestehenden Vorschriften helfen, ohne dass es eines besonderen Amnestiegesetzes« bedürfe. »Jede Amnestie bedeutet einen Verzicht auf die Durchsetzung der Staatsautorität, sie ist eine Art nachträglicher Belohnung des Rechtsbruchs, sie lässt die Staatsfeinde immer von neuem auf einen Stimmungsumschwung in Parlament oder Regierung hoffen.« Durch ständiges Schwanken zwischen Härte und Milde untergrabe eine Amnestie »den Schutz des anständigen Bürgers, der dem Staate in erster Linie obliegt«53. In der Hoffnung auf Amnestie kehrten bereits einige kommunistische Funktionäre, die in die DDR gegangen waren, in die Bundesrepublik zurück. Schon witterten sie in einem solchen Gesetz einen Freibrief für eine Fortsetzung ihrer illegalen Tätigkeit. Aus den Gefängnissen entlassen, machten sich die Kommunisten erneut ans Werk, um ihren schwer angeschlagenen Parteiapparat zu retten und für neue illegale Aktionen zu reaktivieren. Die Zeche zahle der Bürger, der auf die Regierung vertraut habe, so Gerhard Schröder im Bayerischen Rundfunk. Was sei schon menschlich, was unmenschlich. In der Sache fest bleiben, sei jedenfalls »nicht minder ein Gebot der Menschlichkeit«. Schwäche gegenüber den Staatsfeinden könne eines Tages mehr Opfer fordern »als eine 52 Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1953–1957, 2. Halbband, S. 1180. 53 BArch: B 106/15803, Manuskript der Rundfunkrede Schröders, 17.10.1956.

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entschlossene Gerechtigkeit«. Bevor die Bundesrepublik weitere Vorleistung erbringe, »brauchen wir endlich die Erfüllung des Versprechens, dass die Grenzen der SBZ für alle Deutschen geöffnet werden, hüben wie drüben«. Das wäre ein wirklicher Schritt in Richtung auf ein ungeteiltes Deutschland. Dann ließe sich auch über ein Amnestiegesetz für Kommunisten reden. »Wir haben Zeichen des guten Willens genug gegeben, jetzt obliegt es der anderen Seite, einen Schritt zu tun. Darum nochmals: Öffnet jetzt endlich die Grenzen!«54 Dass der Minister selbst kaum an seine Einheitsrhetorik glaubte, machte er im zweiten Teil seiner Rede deutlich. Hier ging es um die »Wiederauffüllung« des Bundesgrenzschutzes, nachdem ein großer Teil des Personals für die 1955 gegründete Bundeswehr abgezogen worden war. Jetzt ging es nicht mehr um die moralische Überlegenheit, sondern um die polizeiliche Unterlegenheit der Bundesrepublik gegenüber der DDR , die allein im Grenzgebiet über 30 000 kasernierte Volkspolizisten verfügte. Dann folgte erneut ein rhetorischer Schlenker, der wiederum nationale Wünsche und Ängste zugleich wecken sollte. »Eine Wiedervereinigung jedenfalls, bei der die Bundesrepublik dank ihrer Schwäche an Exekutivkräften von vornherein polizeilich ins Hintertreffen geriete, würde vielleicht in Frieden und Freiheit beginnen, aber sie würde in Unfreiheit und da­ mit auch in Unfrieden enden.«55 Damit war der Innenminister bei seinem letzten Punkt angekommen. Die Bundesregierung habe dem Parlament ein Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vorgelegt. »Damit soll vor allem den früheren Kriegsteilnehmern gestattet werden, ihre alten Tapferkeitsauszeichnungen zu tragen. Nur das Hakenkreuz wird durch das ältere Symbol des Eichenblattes ersetzt.« Wer wollte leugnen, so die rhetorische Frage des Ministers, dass der Zweite Weltkrieg ein nationalsozialistisches Verbrechen war? Doch was hat »die Tapferkeit des Einzelnen, der ohne, ja vielleicht gegen seinen Willen in diesen Krieg hineingezogen worden ist, mit diesem Verbrechen zu tun?« Es sei ein Rückfall in die überwundene Vorstellung von der Kollektivschuld der Deutschen, »wenn wir die Tat des Einzelnen mit der des Staates verquicken, wenn wir davor zurückscheuen würden, seine Tapferkeit, sein Heldentum öffentlich anzuerkennen, nur weil es von der obersten Führung für eine schlechte Sache missbraucht worden ist«. Ohne die Erinnerung an Treue, Tapferkeit und Pflichterfüllung unserer alten Soldaten, der toten wie der lebenden, könne man keine neue Bundeswehr aufbauen. Deshalb könnten und dürften wir »nicht die Flucht vor der Geschichte antreten – ohne Tradition, ohne Symbole, ohne Gemeinschaftswerte gibt es keine Zukunft«.56 Die Rede Schröders spannte – teils ausgesprochen, teils unausgesprochen – den Bogen von den zahlreichen Amnestien ehemaliger Nationalsozialisten, 54 Ebd., S. 4. 55 Ebd., S. 6. 56 Ebd., S. 7.

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der Verweigerung einer Amnestie für Kommunisten, der Sicherung und Ver­ teidigung der Bundesrepublik gegenüber der DDR bis zur Wiederherstellung »der nationalen Werte« durch die Achtung deutschen Soldatentums. Die rechtsnational gestimmte Rede versuchte zu erklären, warum die Amnestierung und Rehabilitierung von Millionen Belasteten und Straftätern aus der Zeit der NS -Diktatur und danach möglich und nötig, eine Amnestie für 36 Kommunis­ ten jedoch eine »Beschädigung der Staatsautorität« und »eine Art ­nachträglicher Belohnung des Rechtsbruchs« war. Der Kampf gegen den Bolschewismus der Vergangenheit verlor aufgrund der Tapferkeit der deutschen Soldaten seine Unmoral und seinen Schrecken. Hier fand der Kampf gegen den Kommunismus der Gegenwart seine nationale und moralische Rechtfertigung. Nationalismus und Antikommunismus erscheinen in der Rede Schröders als zwei Seiten einer Medaille, die dank eines positiven Rückbezugs auf den Nationalsozialismus den Deutschen wieder Sinn und nationale Werte vermitteln sollte. Aus diesem moralisch überlegenen, nationalistischen Impetus zog der Innenminister wie Millionen Deutsche auch seine antikommunistische Energie. Immer wieder gelang es ihm, seine Beteiligung an der Erstellung von Vorlagen für das Kabinett einzufordern und das Kabinett auf seine Linie zu bringen. Am 5. September 1956 wies er mit Nachdruck im Kabinett darauf hin, dass eine allgemeine Amnestie »keineswegs wünschenswert« sei. Die Bundesregierung billigte »diese Auffassung nach weiterer Erörterung«.57 Einen Monat später stand die Amnestiefrage erneut auf der Tagesordnung. »Eine Amnestie in Staatsschutzsachen würde«, so Schröder jetzt, »das KPD -Verbot lächerlich machen«. Deshalb lehne er die Amnestie grundsätzlich ab. Allerdings »bestünden keine Bedenken, im Einzelfall großzügig zu sein«. Wieder lehnte »das Kabinett eine Amnestie in Staatsschutzsachen aus Anlass des KPD -Verbots ab«58. Am 16. Oktober 1956 ging es noch einmal um die Amnestiefrage. Erneut sprach sich das Kabinett gegen eine Amnestie für Kommunisten aus. Entsprechend wurde ein Amnestiegesetz abgelehnt, dieses Mal sogar »gegen die Stimmen der Bundesminister der Justiz und für Gesamtdeutsche Fragen«59. Wiederum war es der harten Linie Schröders zuzuschreiben, dass die Bundesregierung Ende Oktober auch die einstimmig beschlossenen Empfehlungen des Gesamtdeutschen und des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zurückwies, »dem Bundestag baldigst einen Gesetzentwurf über Straffreiheit für Straftaten aus politischen Motiven vorzulegen, soweit diese Straftaten vor dem Verbot der Kommunistischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht liegen«.60 57 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 150. Sitzung, TOP H Politische Straftaten, 5.9.1956. 58 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 155. Sitzung, TOP 3, 5.10.1956. 59 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 158. Sitzung, TOP 4, 24.10.1956. 60 Der Spiegel, 45 (1956), 7.11.1956.

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Hatte sich Justizminister Thomas Dehler im 1.  Kabinett Adenauer als der wichtigste und einflussreichste antikommunistische Stratege im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg positioniert, so übernahm im 2.  und 3.  Kabinett ­Adenauer Innenminister Schröder diese Rolle. Beider Ziel war es, einen starken Staat auf- und auszubauen, den dauerhaften Kampf gegen den Kommunismus der Justiz zu übertragen und diese in die Lage zu versetzen, aber auch anzuhalten, die Kommunisten im Sinne der Bundesregierung konsequent zu verfolgen. Ferner ging es beiden darum, durch eine stramme Konfrontationspolitik die eigenen Reihen fest zu schließen und keine Schwächeleien zuzulassen. Wenige Wochen nach dem Verbot der KPD brachte Schröder seine Position in einem persönlichen Brief an den Bundeskanzler folgendermaßen auf den Punkt: »Ich fürchte, dass der Bequemlichkeitsdruck, der gerade in politischen Strafsachen groß ist, in Richtung Amnestie drängt. Eine Amnestie aber würde die Wirkung des Verbots der KPD außerordentlich abschwächen und die Bekämpfung der von draußen gesteuerten, illegalen KP-Tätigkeit sehr beträchtlich erschweren. Ich bin daher der Meinung, dass die Bundesregierung sich klipp und klar gegen eine Amnestie wenden sollte. Tut sie das nicht, wird es schwer halten, unsere politischen Freunde von populären Bequemlichkeitsakten zurückzuhalten, deren Folgen unabsehbar wären.«61 Deutlich wird in diesem Schreiben, dass nach den großen Amnestien für Belastete und Straftäter der NS -Diktatur die konstante Weigerung der Bundesregierung, selbst eine kleine Amnestie für Kommunisten folgen zu lassen, auf politischen Widerstand aus verschiedenen Richtungen stieß. Die Kampagne für die Freilassung politischer Häftlinge war von der DDR ausgegangen und hatte in der Bundesrepublik  – unter fortgesetztem öffentlichem Druck der DDR  – wachsende Unterstützung bekommen. Wenn schon die SED -Diktatur zu einem derart humanen Vorgehen fähig war, um wie viel mehr musste es dann eine frei gewählte Bundesregierung sein? In der Legislative, im Deutschen Bundestag, aber auch in den Parlamenten und Regierungen der Länder nahm die Zustimmung für eine Amnestie bis in die Reihen der CDU/CSU zu. »Durch diese Amnestie könnte ein Beitrag zur Entspannung der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zu einander geleistet werden«62, hieß es in einem Antrag der SPD, der an die zuständigen Ausschüsse des Bundestags verwiesen wurde. Im Gesamtdeutschen und im Auswärtigen Ausschuss kamen daraufhin Mehrheiten jenseits der Regierungsmehrheit zustande. Die Judikative, die Oberlandesgerichte und sogar der Bundesgerichtshof63, reagierten ebenfalls positiv, kam

61 ACDP: 01-483-288/1, Schreiben Schröder an Adenauer, 5.10.1956. 62 BArch: B 106/15803, Antrag der SPD -Fraktion, Beratung im Rechtsausschuss, 28.11.1956. 63 FAZ , 23.10.1956: »In Karlsruhe wird eine Amnestie für die kleinen Kommunisten befürwortet.«

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doch eine Fülle unerledigter und neuer Verfahren auf sie zu. Auch die Medien bezogen deutlich Position für eine Amnestie.64 Im Vergleich zu den Tausenden politischen Häftlingen in der DDR hatte Schröder in seiner Rundfunkansprache von nur 36 verurteilten politischen Straftätern gesprochen, die zurzeit in bundesdeutschen Gefängnissen säßen. Die Zahl der Verurteilten war nicht falsch, erweckte aber einen falschen Eindruck. Entsprechend wurde umgehend der Vorwurf erhoben, die Öffentlichkeit irrezuführen. Es gehe nämlich nicht so sehr um die 36 bereits Verurteilten, schrieb Freiherr Max Riederer von Paar (CSU) an den Bundesinnenminister, als vielmehr um die anhängigen Verfahren. Nach dem Material des Justizministeriums, das den Abgeordneten in den Ausschüssen vorgelegt worden war, seien nämlich aktuell »in Hochverrats- und verwandten Sachen 303 Verfahren gerichtlich anhängig, während bei den Staatsanwaltschaften nicht weniger als 3 314 Ermittlungsverfahren schweben«. Dazu kämen noch die bisher zurück­ gestellten »Verfahren nach § 90a StGB, deren Zahl, wie ich höre, auch zwischen 3 und 4 000 liegt«. Wenn sich auch viele Sachen im Wege des § 153 StPO erledigen ließen, wäre es doch »ein Missbrauch des Bagatell-Paragraphen, wollte man versuchen, damit politisch reinen Tisch zu machen«. So kam der Abgeordnete aus den eigenen Reihen zu dem Schluss, der von anderen Experten, die in den zuständigen Ausschüssen vorgetragen hatten, durchaus geteilt wurde: »Ohne eine Amnestie wird es also unvermeidlich sein, dass etwa 2–3 000 gerichtliche Verfahren, bei denen die Straftaten teilweise auf 1952 und 1953 zurückgehen, tatsächlich durchgeführt werden müssen.«65 Die Strafverfolgung ist Sache der Bundesländer. Sie ist nur zum geringen Teil Sache des Bundes, des BGH in Karlsruhe. Entsprechend sind für individuelle Begnadigungen und allgemeine Amnestien in erster Linie die Länder zuständig, der Bund nur, insoweit die Begnadigungen Entscheidungen des BGH betreffen. Darüber hinaus gab und gibt es nur eine bundeseinheitlich geregelte, allerdings nur für den Einzelfall anzuwendende und nur für Bagatelldelikte geltende Möglichkeit der Verfahrenseinstellung und Strafaussetzung: § 153 StPO. Die innerhalb der Exekutive und der Legislative geführte Diskussion machte bald deutlich, dass dieser Paragraph für eine amnestieähnliche Aktion nicht anwendbar war. Voraussetzung war, dass die Schuld des Täters gering, die Folgen der Tat unbedeutend waren und kein öffentliches Interesse an der Durchführung des Verfahrens bestand. Dies alles war mit den Bestimmungen des politischen Strafrechts nicht vereinbar, das erst im August 1951 mit großer parlamentarischer Mehrheit für den Kampf gegen den Kommunismus beschlossen worden war. Staatsgefährdung, Hochverrat und Organisationsdelikte wie Rädels­ 64 FAZ , 31.12.1956: »Vieles spricht für eine Amnestie.« Süddeutsche Zeitung, 9.2.1957: »Recht und Vernunft sprechen für eine politische Amnestie.« 65 ACDP: NL Schröder, 01-483/2, Riederer von Paar an Schröder, 23.10.1956.

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führerschaft in der KPD oder sonstigen kommunistischen Organisationen waren alles andere als Bagatelldelikte. Sie waren seit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 als »Verbrechen« eingestuft, die nach dem Legalitätsprinzip wie »Mord und Totschlag« strafrechtlich verfolgt werden mussten. Mit Blick auf mögliche Begnadigungen wurde darauf verwiesen, dass in jedem Fall von dem zuständigen Gericht die Voraussetzung für eine Strafaussetzung hätte geprüft werden müssen. Das war angesichts der hohen Zahlen der noch ausstehenden und neu hinzukommenden Verfahren nicht möglich, ohne massiv gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit zu verstoßen. Eine andere Möglichkeit, wonach die Exekutive Einfluss auf die Judikative hätte nehmen sollen, hätte als Eingriff in die Gewaltenteilung erhebliche verfassungsrechtliche Probleme bereitet. Da es sich überwiegend um große und seit langem anhängige Verfahren handelte, die wegen des immer wieder hinausgezögerten KPD -Prozesses auf die lange Bank geschoben worden waren, war für eine Einstellung nach § 153 StPO nur »in verhältnismäßig wenigen Fällen Raum«66. Dennoch ist es in der Praxis zu einer deutlichen »Überbeanspruchung« des Paragraphen 153 gekommen. Die Bereitschaft der Exekutive, die Verfassung im Kampf gegen den Kommunismus kräftig zu dehnen, war jedenfalls vorhanden. Das geht unverkennbar aus einem Brief hervor, den der Vordenker der Strategie der »psychologischen Kriegführung«67 der Bundesregierung gegen den Kommunismus, Ministerialrat Dr. Freiherr Ewert von Dellinghausen aus dem Gesamtdeutschen Ministerium an seinen Freund Hans-Joachim von Merkatz (DP) geschrieben hatte, als dieser soeben neu ins Amt des Bundesjustizministers gekommen war. Die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn durch die Rote Armee im Oktober 1956 sei hinsichtlich der Amnestiefrage, so von Dellinghausen, »doch ein Grund, dass ich persönlich von einer irgendwie gearteten Generallösung absehen möchte«. Das war nichts Neues. Die Bundesregierung war schon immer gegen eine »irgendwie geartete Generallösung« gewesen, auch in der kurzen Phase der Entspannung. So gesehen hatte die Ablehnung der Amnestie ebenso wenig mit dem Ungarnaufstand zu tun wie die Wiedereinführung der politischen Strafjustiz 1951 mit dem Koreakrieg, auch wenn dies der Kanzler immer wieder gern behauptete. Aus den Kämpfen in Ungarn zog er laut Kabinettsprotokoll den Schluss, »dass eine gesetzliche Amnestie auf Grund einer Re­ gierungsvorlage politisch untunlich sei. Sie könne in der freien Welt, aber auch in der sowjetisch besetzten Zone und in den Satellitenstaaten als Verrat an der Freiheit angesehen werden«68. Naheliegender war bei derartigen Ereignissen im kommunistischen Machtbereich die politisch-moralische Selbstermächtigung 66 BArch: B 141/4250, Kleinknecht, Ministervorlage für den Gesamtdeutschen Ausschuss, 10.9.1956. 67 BArch: B 137/16428, BMG (von Dellinghausen), Stellungnahme zu Fragen der psychologischen Kriegführung und zur Strategie des Kalten Krieges, 3.12.1952. 68 Die Kabinettsprototokolle der Bundesregierung, 158. Sitzung, TOP 4, 24.10.1956.

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der Kämpfer gegen den Kommunismus, die Grenzen des eigenen Rechtsstaats erneut auszutesten und gegebenenfalls zu verletzen. So nahm der Freiherr aus dem Gesamtdeutschen Ministerium kein Blatt vor den Mund, als er dem neuen Justizminister frank und frei schrieb: »Mir scheint es in der augenblicklichen Situation besser, den § 153, ›bis zu den weitesten Grenzen des rechtsstaatlichen Denkens‹, also ganz in der Nähe von beinahe totalitären Entscheidungen an­ zuwenden, um auf diese Weise aus der schwierigen Situation herauszukommen, dass heute in der Zone eine Amnestie oder Generallösung, die bekannt wird, genauso deprimierend wirken muss wie jegliches Unvermögen des Westens, dem Freiheitskampf im Osten zu helfen. Mein Rat wäre also, dass Du über die Generalstaatsanwälte eine entsprechende geheime Anweisung an alle Strafverfolgungsbehörden gibst, der sicherlich auch die Innenminister im Hinblick auf die Erklärungen des Bundesinnenministers zustimmen werden.«69 Neben § 153 StPO gab es noch einen zweiten Paragraphen, der manchem ­Abgeordneten, unter ihnen Adolf Arndt (SPD), der 1951 beherzt für die uferlose Ausweitung der politischen Straftatbestände im 1. Strafrechtsänderungsgesetz gestimmt hatte, große Probleme bereitete: § 90a StGB. Danach wird mit Gefängnis oder Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft, wer eine Vereinigung gründet, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, oder wer die Bestrebungen einer solchen Vereinigung »als Rädelsführer oder Hintermann fördert«. Besondere rechtsstaatliche Schwierigkeiten bereitete Absatz 3. Er lautete: »Ist die Vereinigung eine politische Partei im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so darf die Tat erst verfolgt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Partei verfassungswidrig ist.«70 Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Sommer 1956 die KPD mit all ihren Unter- und Nebenorganisationen verboten hatte, war genau der im Strafgesetzbuch beschriebene Fall eingetreten. Nach dem Legalitätsprinzip, dem Verfolgungszwang von politischen Straftaten, mussten die Strafverfolgungsbehörden jetzt tätig werden. ­Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte hatten ruhende Verfahren wieder aufzunehmen und neue Verfahren gegen den genannten Personenkreis ein­ zuleiten. Sämtliche KPD -Funktionäre, von den Kreisvorständen bis zum Parteivorstand auf Bundesebene, aber auch einfache Mitglieder der Partei, die als sog. »Rädelsführer und Hintermänner« in sonstigen kommunistischen Organisa­ tionen und Vereinigungen tätig waren, fielen darunter. Höchst umstritten war, ob es sich bei Absatz 3 lediglich um ein »Prozess­ hindernis«, das mit dem Verbotsurteil entfallen war, handelte, oder um eine verfassungswidrige »rückwirkende Verfolgung« von Straftaten, die begangen worden waren, als die Partei noch nicht verboten war. Selbst das Bundesver­ 69 ACDP: NL Schröder, 01-148-045/03, von Dellinghausen an von Merkatz, 5.11.1956. 70 1. Strafrechtsänderungsgesetz, Art. 90a, Abs. 3. http://www.documentarchiv.de/brd/1951/ strafrechtsaenderungsgesetz.html.

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fassungsgericht mochte sich weder für das eine, noch für das andere entscheiden. Tatsächlich erklärte das Bundesverfassungsgericht – wiederum erst nach Jahren – in einer Entscheidung vom 21. März 1961, § 90a Absatz 3 StGB für verfassungswidrig.71 Allerdings nicht wegen rückwirkender Anwendung des Paragraphen auf parlamentarische Mandatsträger der KPD, sondern wegen Verletzung des Parteienprivilegs, wie dieses in Artikel 21 GG formuliert ist. Danach können die Parteien an einer politischen Willensbildung des Volkes mitwirken bis zu dem Zeitpunkt, wo das Bundesverfassungsgericht eine eventuelle Ver­ fassungswidrigkeit feststellt und entscheidet.72 Eine rechtsstaatlich einwandfreie Form der Amnestie für Kommunisten war – so das Fazit – nur über ein von Bundesrat und Bundestag gemeinsam verabschiedetes allgemeines Amnestiegesetz möglich. Dies sah auch Max Güde so. Seit er im April 1956 das Amt des Oberbundesanwaltes übernommen hatte, ­änderte sich die Haltung der Bundesanwaltschaft in Sachen Amnestie. Hatte diese sich unter seinem Vorgänger Wiechmann im Dezember 1955 noch gegen eine Amnestie ausgesprochen, kam Güde knapp zehn Monate später zu dem gegenteiligen Ergebnis. Vom »Standpunkt der Rechtsprechung« lehnte er Einzelbegnadigungen, auf die sich das Bundeskabinett mehrfach verständigt hatte73, ab. Stattdessen sprach er sich mit klaren Worten, auch vor dem Bundestagsausschuss für Gesamtdeutsche Fragen, sehr zum Ärger von Bundesinnenminister Schröder und Bundeskanzler Adenauer74, für ein Amnestiegesetz aus. »Die Frage der Strafverfolgung der KP-Funktionäre«, so Güde, »wegen ihrer Parteitätigkeit in der Vergangenheit bedarf einer Regelung. Die gleichzeitige Berei­ nigung überalterter Verfahren wäre zu begrüßen. Die Bereinigung des einen wie des anderen Komplexes ist in sicherer und gleichmäßiger Weise nur möglich auf der Grundlage einer Amnestie, die zeitlich und nach Strafhöhe zu begrenzen und auf die abgeurteilten Taten zu erstrecken wäre.«75 Die erste Partei, die mit einem eigenen Gesetzentwurf für eine Amnestie von Kommunisten auftrumpfte, war die FDP. Seitdem Thomas Dehler nicht mehr am gemeinsamen Kabinettstisch mit dem Kanzler saß, sondern als Vorsitzender von Partei und Fraktion der FDP im Bundestag die Oppositionsbank drückte, war ihm jede Gelegenheit recht, dem Kanzler zu zeigen, was noch in ihm steckte, vor allem auf deutschland- und außenpolitischem Gebiet. Hierzu gehörte auch ein erster Amnestieentwurf, den die Bundestagsfraktion der FDP noch nicht in den Bundestag einbrachte, sondern erst einmal öffentlichkeits71 72 73 74

Leibholz: Bundesverfassungsgericht und Parteienfreiheit, S. 174–180. GG , Art. 21. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 155. Sitzung, TOP 3, 5.10.1956. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 157. Sitzung, Ausführungen des OBA , 17.10.1956. 75 BArch: B 106/15803, OBA Güde an den BMJ Neumayer (Justizminister bis zum 16.10.1956, danach von Merkatz).

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wirksam präsentierte. »Wir zweifeln nicht«, so heißt es in einer Pressemitteilung der FDP vom 22. Juni 1956, »dass der Bundestag in Hinblick auf seine gesamtdeutsche Debatte vom 30.  Mai 1956 ein derartiges Gesetz verabschieden würde, falls sich die Volkskammer entsprechend unserer Aufforderung zu einer gleichen Maßnahme« entschlösse. Der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei (LDPD) in der Volkskammer der DDR , Rudolf Agsten, antwortete umgehend. In der DDR seien bereits an die 20 000 Häftlinge entlassen worden. Auch die wenigen restlichen Fälle würden »im Sinne und Geiste der nationalen und internationalen Entspannung behandelt werden«. Daher sei jetzt die Bundesrepublik erst einmal am Zuge. Erst kürzlich habe Ministerpräsident Grotewohl auf »die erschreckend hohe Zahl« politisch Verfolgter in der Bundesrepublik hingewiesen. »Die Einstellung solcher Strafverfolgungen und die Freilassung aller dieser nur wegen ihrer Gesinnung verfolgten Deutschen, ist eine gesamtdeutsche nationale Forderung geworden.«76 Die konstante Weigerung der Bundesregierung, dem Bundestag den Entwurf eines Amnestiegesetzes vorzulegen, veranlasste auch die SPD, einen entsprechenden Gesetz-Entwurf zu erarbeiten. Die FDP war schneller und brachte ihren überarbeiteten »Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit« am 23. Oktober 1956 in den Bundestag ein. Die SPD verzichtete daraufhin auf einen eigenen Entwurf und schloss sich dem der FDP an. Thomas Dehler, der als Bundesjustizminister das KPD -Verbot vorbereitet und als ­Kompensation für ein Verbot der rechtsradikalen SRP durchgeboxt hatte, sprach jetzt davon, dass das KPD -Verbot zwar »rechtlich nicht anzuzweifeln«, politisch jedoch »längst überholt« sei. »Eine andere Waffe, mit der die Stalinisten operierten«, sei »der Hinweis darauf, dass bei uns Menschen ihrer politischen Überzeugung wegen im Kerker schmachten«. Deshalb werde die FDP-Fraktion einen Gesetzentwurf für die Gewährung von Straffreiheit für politische Straftaten einbringen. Dabei gehe es vor allem darum, im Rahmen einer großen Aktion, die das Ziel habe, »den Eisernen Vorhang zu durchstoßen«, einen ersten politischen Schritt zu tun, auch wenn »unser Vorschlag, im Bundestag und in der Volkskammer gleichzeitig ein solches Gesetz einzubringen, nicht auf Gegenliebe stieß«. Mit dem ihm eigenen Pathos schloss der Partei- und Fraktionsvorsitzende der FDP: »Das Schicksal der Deutschen, die drüben in Haft sitzen, lastet schwer auf uns.« Auf jeden Fall wüssten die Freien Demokraten, »dass die 36 Menschen, die in der Bundesrepublik, aus politischen Gründen verurteilt, in Haft sitzen, unseren Bemühungen, allen politischen Häftlingen in der Zone die Freiheit zu geben, nur schaden, sicher nicht helfen könne.« Auch hier gelte: »Worte sind schal, die Tat ist alles.«77

76 ADL: NL Dehler, N1-318, Agsten an Dehler, 26.6.1956. 77 ADL: NL Thomas Dehler, N1-3118, Redemanuskript (o. D., um den 23.10.1956).

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Die Hoffnungen Dehlers, mit dem Amnestiegesetz einen großen deutschlandpolitischen Erfolg zu erzielen, erfüllten sich nicht, auch wenn die Kontakte zwischen der FDP und der LDPD vorerst aufrechterhalten blieben. Die nächste Bundestagswahl stand vor der Tür, im Herbst 1957. Ganz gleich, wie die Entscheidung des Bundestags in der Amnestiefrage ausginge, solle man »in dieser Frage nicht lockerlassen«, schrieb Hans-Dietrich Genscher (FDP) seinem Parteifreund Thomas Dehler. »Das Ringen um die politischen Häftlinge wird von allen Menschen verstanden.« Bei einem Scheitern der deutsch-deutschen Initiative könne man immer noch »der LDP die Verantwortung zuschieben« und im Übrigen auch noch »eine Veröffentlichung des Briefwechsels in Erwägung ziehen«78. Die beginnenden parlamentarischen Beratungen des FDP-Gesetzentwurfs ließen schon bald erkennen, dass trotz allem deutschlandpolitischen Pathos, mit dem die Amnestiefrage diskutiert wurde, die Regierungskoalition stand. So beschloss der Rechts- und Verfassungsausschuss am 30. Januar 1957 mit 13 zu 12 Stimmen die Ablehnung des FDP-Gesetzentwurfes.79 Am 27. März 1957 befasste sich das Kabinett noch einmal mit der Frage und bekräftigte erneut seine Ablehnung.80 Am 11. April 1957 lehnte auch der Deutsche Bundestag den FDPEntwurf eines Amnestiegesetzes für Kommunisten ab.81 Zum Schluss der parlamentarischen Beratungen kam es in dieser Sitzung noch zu einem Eklat, als Bundesinnenminister Schröder besonders betonte, dass die Amnestiebewegung in erster Linie eine kommunistische Bewegung sei. Seit Herbst 1955 sei sie mit allen Kräften darum bemüht, eine Amnestie für kommunistische Funktionäre in der Bundesrepublik zu erreichen. Diese Bemühungen seien in verschiedenen kommunistisch inspirierten Organisationen, aber auch in der breiten Öffentlichkeit auf fruchtbaren Boden gefallen. Es liege im Interesse von SED und KPD, mit der Forderung nach Freilassung politischer Gefangener in der Bundesrepublik die Öffentlichkeit weltweit darauf hinzuweisen, »dass es auch im Bundes­ gebiet politische Gefangene gäbe«. Dadurch solle der Staat in Misskredit gebracht und die Frage aufgeworfen werden, »ob die Bundesrepublik wirklich ein Rechtsstaat« sei. Somit solle mit der Amnestie-Kampagne »der moralische Vorsprung der Bundesrepublik gegenüber Sowjetzone gemindert werden«82. Eine Amnestie, so Innenminister Schröder weiter, würde das weiterhin dringend notwendige Vorgehen gegen die KPD und die kommunistischen »Tarnorganisationen« erschweren. Eine Amnestie, sagte er zum wiederholten Male, 78 Ebd., Schreiben Genscher an Dehler, Abschrift, 15.3.1957. 79 BArch: B 106/15803, Protokoll der 181. Sitzung des Rechtsausschusses, 30.1.1957, S. 18. 80 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, G. Amnestiegesetz, Beratung außerhalb der TO, 27.3.1957. 81 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 2. WP, 11.4.1957, S. 11433. 82 Verhandlungen des DBT. Stenografische Berichte, 2. WP, 4.4.1957, S. 11433.

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schwäche die Staatsautorität und den Staatsschutz. Sie beeinträchtige alle Organe des Staatsschutzes, von der Polizei über die Nachrichtendienste, die Staatsanwaltschaften bis zu den Gerichten. »Die Arbeitswilligkeit aller Organe des Staatsschutzes auf diesem schwierigen und gefährlichen Gebiet, würde aufs Schwerste beeinträchtigt, wenn ihre Arbeit von hoher Hand bagatellisiert wird. Ein falsches Verhalten an den obersten Führungsstellen hat leicht eine verheerende Wirkung auf die Pflichttreue des kleinen Mannes ›an der Front‹. Was für die untersten Organe der Staatssicherheit gilt, kann entsprechend auch von den Staatsanwälten und Gerichten gesagt werden. Der Ernst des strafrecht­ lichen Staatsschutzes darf nicht relativiert werden.«83 Entsprechend sei der von der Bundesregierung vorgeschlagene Weg der einzig mögliche: »eine rechtsstaatliche Staatsschutzpraxis, die Würdigung des einzelnen Täters und die Anwendung aller Strafmilderungs- und Begnadigungsmaßnahmen, soweit sie vertretbar sind«84. Für die SPD erklärte ihr Abgeordneter Wittrock, die Fraktion sei überzeugt, »dass die Bundesrepublik als ein auf moralischen Grundsätzen beruhender Rechtsstaat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, durch einen Akt der menschlichen und politischen Großzügigkeit eine Ausstrahlung der Gerechtigkeit nach Osten hin zu ermöglichen«. Neben der Sorge für die politischen Gefangenen jenseits der Zonengrenze treibe die SPD -Fraktion die Sorge für den Rechtsstaat um. »Es sei mit dem Wesen eines Rechtsstaates nicht ver­einbar, dass das Verbot der Kommunistischen Partei jetzt Strafverfahren wegen Taten ermögliche, die vor dem Verbot nicht hätten verfolgt werden dürfen.« Diese rechtliche Problematik könne nicht per Gnadenerweis im Einzelfall, sondern nur durch die Gewährung von Straffreiheit durch ein entsprechendes Amne­ stiegesetz bewältigt werden. Deshalb trete die SPD gemeinsam mit der FDP für ein Amnestiegesetz ein, weil nur dadurch »die anhängigen oder einzuleitenden Verfahren auch ihre Erledigung finden würden«85. Unruhe kam auf, die sich zu tumultartigen Szenen steigerte, als Herbert Wehner (SPD) auf die von Innenminister Schröder angedeuteten »kommunistischen Hintergründe« der Amnestiebewegung zu sprechen kam und diese mit den »Konstruktionen« des früheren sowjetischen Generalstaatsanwalts Andrei J. Wyschinski verglich. Die CDU/CSU-Fraktion verließ daraufhin unter Protest den Saal. Als Schröder ans Rednerpult trat, um Wehner zu antworten, kehrten die Abgeordneten unter demonstrativem Beifall für den Minister in den Saal zurück. Dieser verwahrte sich gegen die Angriffe Wehners und betonte in Anspielung auf dessen kommunistische Vergangenheit, er glaube nicht, dass Weh-

83 Ebd. 84 Ebd. 85 FAZ , Begnadigungen möglich, 4.4.1957.

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ner »in so gespenstischer Beschwörung die Schatten seiner Vergangenheit beschwören sollte«86. Wegen des Tumults wurden die Fortsetzung der Debatte und die Beschlussfassung auf den 11. April verschoben. An diesem Tag mussten die Abgeordneten in Sachen Amnestie gleich zweimal abstimmen, einmal über den Gesetzentwurf der FDP und einmal über einen Entschließungsantrag, den die Regierungs­ fraktionen der CDU/CSU, DP und der Freien Volkspartei (FVP), einer kurz­ lebigen Abspaltung der FDP, eingebracht hatten. Der Gesetzentwurf wurde mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt, der Entschließungsantrag dagegen angenommen.87 Der Antrag lobte in höchsten Tönen die Praxis der politischen Strafjustiz in der Bundesrepublik als maßvoll, milde, rechtsstaatlich und »von humanem Geist« getragen. Die Mehrheit des Bundestags nahm das »mit Befriedigung« zur Kenntnis und begrüßte es, »dass in der weit überwiegenden Zahl der Fälle von der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung und der bedingten Entlassung Gebrauch gemacht worden ist und darüber hinaus durch Einzelbegnadigungen eine weitere Milderung herbeigeführt worden ist«. Er wünschte, »dass die bisherige maßvolle Praxis in Zukunft fortgesetzt« werde, und forderte die Bundesregierung auf, »bei den zuständigen Bundes- und Landesinstanzen darauf hinzuwirken, dass die gerichtlichen Maßnahmen in hierfür geeigneten Fällen durch eine weitherzige Anwendung des Begnadigungsrechts ergänzt werden«. Außerdem brachte er die Hoffnung zum Ausdruck, »dass eine solche, rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende, andererseits aber groß­ zügige und von humanem Geiste getragene Handhabung der strafrechtlichen Vorschriften bei politischen Straftaten zu einer Entspannung führen und so dazu beitragen wird, dass das harte Schicksal der zahlreichen Opfer der sowjetzonalen Strafjustiz durch entsprechende Maßnahmen gemildert wird«88. Warum lobte der Entschließungsantrag der Regierungskoalition die Praxis der Strafvollzugsorgane in einer Weise, die keinerlei Kritik mehr zuließ? Warum wurde die Rechtsprechung in politischen Strafsachen so dargestellt, als gehe es nur darum, von den Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung, über die bedingte Entlassung bis hin zum Begnadigungsrecht so viel Gebrauch wie möglich zu machen? Warum wurde die Bundesregierung geradezu gedrängt, auf die zuständigen Bundes- und Landesinstanzen einzuwirken, damit die Gerichte auch wirklich weitherzige, großzügige und von humanem Geiste getragene Entscheidungen treffen würden? Warum wurde der rechtsstaatliche Charakter der gewünschten milden Rechtsprechung so stark betont? Nicht weil Vergangenes gelobt, sondern Künftiges als rechtsstaatlich legitimiert werden 86 FAZ , Amnestie-Debatte im Tumult abgebrochen, 5.4.1957. 87 Verhandlungen des DBT, Stenografische Berichte, 11.4.1957, S. 11605–11609. 88 Verhandlungen des DBT, Stenografische Berichte, 11.4.1957, Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP/FVP, Umdruck 1001, 4.4.1957, Text: S. 11673. Abstimmung: S. 11609.

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sollte, was ohne ein soeben abgelehntes Amnestiegesetz gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats verstieß. Die Bundesregierung ließ sich mit ­anderen Worten durch ihre parlamentarische Mehrheit vorab einen Rechtsstaatlichkeitsscheck ausstellen. War in den Jahren zuvor ein besonders hartes Durchgreifen gegen Kommunisten politisch gewollt, so waren in Zukunft besonders milde Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte politisch ­gewünscht. Mal so, mal so, ganz nach dem jeweiligen politischen Interesse. Wie hatte das der Fachmann für psychologische Kriegsführung der Bundes­ regierung, Ewart von Dellinghausen, noch formuliert? Man müsse eben die rechtlichen Möglichkeiten »bis zu den weitesten Grenzen des rechtsstaatlichen Denkens, also ganz in der Nähe von beinahe totalitären Entscheidungen«89 auslegen und anwenden. In der Tat ging es nicht darum, Vergangenes zu loben. Dafür gab es selbst in der Bundesregierung, insbesondere bei dem nicht für die Justiz, sondern den Staatsschutz zuständigen Innenminister Schröder, viel zu viel Kritik an den Gerichten und deren Entscheidungen. Den Hardlinern griff der Oberbundesanwalt in seinen milden Strafanträgen viel zu kurz, die regelmäßig vom »GeierSenat«, dem politischen Strafsenat des BGH, in der Bemessung des Strafmaßes immer wieder verschärft wurden. Die Kritik bezog sich auch auf die Weigerung der Sonderstrafkammern für politische Justiz an den Landgerichten, Verfahren gegen Kommunisten nicht zu entscheiden, sondern Berge von antiquierten Fällen vor sich herzuschieben, in der Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht in Sachen KPD -Verbot doch noch eine Entscheidung treffen würde, nach der dann alles in einem Rutsch entschieden werden könnte. Der entscheidende Grund für und gegen eine Amnestie war die am antikommunistischen Verfolgungswahn fast erstickende politische Strafjustiz. Wie war das zu bewerkstelligen, ohne dass die Justiz durch eine allzu heftige öffentliche Kritik beschädigt wurde? Oberbundesanwalt Güde war einer der wenigen staatlichen Juristen, die für eine konsequente rechtsstaatliche Lösung all dieser Probleme plädierte. Diese war allein durch ein Amnestiegesetz zu erreichen. »Vom Standpunkt der Rechtsprechung ist nicht zu leugnen«, so Güde, »dass eine Entlastung um die überalterten Fälle zu begrüßen wäre und dadurch auch die Schlagkräftigkeit des justiziellen Staatsschutzes erhöht würde«. Wenn man die Strafverfolgung der KPD -Funktionäre, die laut § 93a StGB erst nach dem KPD -Verbot möglich sei, vermeiden wolle, so der Oberbundesanwalt weiter, »dann scheint mir der Weg der Amnestie geboten, wenn man eine sichere und gleichmäßige Praxis erzielen will«90. Mit der Ablehnung des Amnestiegesetzes hat sich nicht dieser, rechtstaatlich korrekte Weg durchgesetzt, sondern der von Bundesinnenminister Schröder 89 ACDP: NL Schröder, 01-148-045/03, von Dellinghausen an von Merkatz, 15.11.1956. 90 BArch: B 106/15803, OBA an BMJ, 10.9.1956.

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favorisierte politische Weg. zur Stärkung der »Staatsautorität«. Dabei ging es vor allem darum, die vom System der politischen Strafjustiz selbst verursachten Kollateralschäden zu beseitigen. Eine Amnestie, hieß es in einem Positionspapier des Bundesinnenministeriums, »würde den Justizapparat nicht wesentlich entlasten, da in jedem Falle gerichtlich festgestellt werden müsste, ob die Sache wegen der zu erwartenden Strafhöhe unter die Amnestie fällt oder nicht. Im Übrigen könnte eine erstrebte ›Arbeitsentlastung‹ der Justiz keinesfalls eine Amnestie rechtfertigen!«91 Die Bereinigung der Justiz sollte auch hier möglichst ohne großes öffentliches Aufsehen erfolgen. Der Weg dahin sollte jedoch nicht über ein allgemeines Gesetz, sondern über die Anwendung und Neuinterpretation bestehender Gesetze erfolgen. Angesichts der vom Bundestag bescheinigten und gewünschten Milde, Weitherzigkeit und »von humanem Geist« getragenen Handhabung der strafrechtlichen Vorschriften konnte dies nur über eine »weitherzige« Dehnung und Überdehnung bestehenden Rechts geschehen. Wie war das Legalitätsprinzip, das seit Wiedereinführung des politischen Strafrechts 1951 Staatsanwälte und Richter verpflichtete, jede auch noch so kleine politische Straftat zu verfolgen, mit der gewünschten Milde und Weitherzigkeit zu vereinbaren? Das grundsätzliche Problem bestand darin, dass die Strafverfolgung in erster Linie Sache der Länder und nicht des Bundes war. Entsprechend hatte man in den Bonner Ministerien kaum eine Vorstellung, um welche Zahlen es sich dabei handelte. Wie viele Ermittlungsverfahren waren noch unerledigt? Wie viele anhängige Verfahren gab es bei den Gerichten? Wie viele Betroffene wurden jährlich verurteilt, wie viele begnadigt, wie viele freigelassen? Alle diese Daten mussten erst einmal von den Ländern beschafft werden. Dies geschah seit Herbst 1956. Ferner musste geklärt werden, welche gesetzlichen Möglichkeiten es überhaupt gab, um Ermittlungsverfahren einzustellen, anhängige Verfahren vorzeitig zu beenden, Verurteilte zu entlassen oder die Haft erst gar nicht antreten zu lassen. Wie konnte bei all den gewünschten Maßnahmen die rechtsstaatlich garantierte Gleichheit vor dem Gesetz gewahrt werden? Wie sahen nun die Zahlen aus? Am 1. August 1956, also wenige Tage vor dem KPD -Verbot, gab es in der Bundesrepublik 3 314 offene Ermittlungsverfahren in Staatsschutzsachen. Nach dem 17. August, also nach der Urteilsverkündung im KPD -Verfahren, kamen 1 107 sogenannte 90a-Verfahren (Funktionäre, Rädelsführer etc.) hinzu. Somit belief sich im Sommer 1956 der Stand alter und neuer Ermittlungsverfahren auf insgesamt auf 4 421 Verfahren. Zum 1.  Januar 1957 kamen weitere 2 358 neue Verfahren mit insgesamt 3 506 Beschuldigten hinzu. In vielen Verfahren wurden mehrere Personen gleichzeitig angeklagt. Von den 4 421 »antiquierten« Verfahren waren ein Jahr später, am 31. August 1957, nur

91 BArch: B 106/15803, Amnestie für »politische« Straftaten, 3.11.1956, S. 2.

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noch 440 übergeblieben, das heißt, 90 Prozent aller Ermittlungsverfahren waren eingestellt. Von den am 1. Januar 1957 vorhandenen 583 rechtskräftig Verurteilten, deren Strafe noch nicht verbüßt oder erlassen war, befanden sich nur 27, das heißt fünf Prozent, der Verurteilten in Strafhaft. Ähnliches galt für die 1 107 Verfahren gemäß § 90a Absatz 3 StGB. Von diesen über 1 000 Verfahren kamen »überhaupt nur 20 zur Verurteilung, d. h. zwei Prozent«.92 Als Rechtsgrundlagen für diese und andere Maßnahmen, um die Masse der unerledigten Verfahren gegen Kommunisten zu reduzieren, wurden folgende Bestimmungen angewendet: 1. Möglichkeiten nach Verurteilung: Strafaussetzung zur Bewährung und Be­ gnadigung. Nach § 23 StGB konnte das Gericht die Vollstreckung einer Gefängnisstrafe von nicht mehr als 9 Monaten zur Bewährung unter Auflagen aussetzen. Nach der »Gnadenordnung des Führers«93 vom 6. Februar 1935, die sowohl auf ­Länder- wie auf Bundesebene in deutsches Nachkriegsrecht übernommen wurden, konnten rechtskräftige Strafen erlassen, ermäßigt, umgewandelt oder ausgesetzt werden. In Nordrhein-Westfalen waren wie in anderen Bundesländern auch sog. Gnadenstellen »bei jedem Landgericht eingerichtet. Ihnen obliegt die Entscheidung in all den Fällen, in denen sich das Recht der Begnadigung nicht der Herr Ministerpräsident oder der Herr Justizminister vorbehalten haben«94. 2. Möglichkeiten der Einstellung schwebender Verfahren: leichte Delikte, schwere Delikte und umgekehrter Verfolgungszwang. Nach § 153 StPO hatte die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, »Übertretungen«, sog. Bagatelldelikte nicht zu verfolgen. Mit Zustimmung des Amtsrichters konnte der Staatsanwalt auch von einer Anklage ganz absehen. Nach § 153a konnte die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts von einer Klage absehen, wenn auch das Gericht von Strafe absehen könnte. Diese Möglichkeit war im StGB in Fällen »tätiger Reue« bereits vorgesehen u. a. bei Hochverrat, Staatgefährdung und sog. Organisationsdelikten wie Mitgliedschaft in einer verfassungswidrigen Organisation.95 Nach § 152, Abs. 2 StPO musste die Staatsanwaltschaft wegen allen gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen tätig werden, »sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen«96. Hieraus leiteten die Staatsanwaltschaf­ ten im Umkehrschluss bei nicht hinreichenden Beweisen die Verpflichtung

92 BArch: B 106/15803, Vermerk Amnestie für Staatsschutzdelikte, 11.3.1958. 93 Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen: LAV NRW R: NW 308/285, Möglichkeiten zur Einstellung schwebender Strafverfahren, 31.10.1956, S. 3. Zur Bundesebene vgl. Görtemaker/Safferling: Die Akte Rosenburg, S. 190. 94 LAV NRW R: NW 308/285, Einstellung schwebender Strafverfahren, 3.11.1956. 95 StGB: §§ 82; 89,3; 90,5; 129,3; 129a,3. 96 StPO: § 152, Abs. 2.

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zur Einstellung des Verfahrens ab, wenn z. B. ein subjektives Schuldbewusstsein (subjektiver Tatbestand)  fehlte. Dies wurde mit einem Mal ein beliebter Einstellungsgrund. Hochverrat, Staatsgefährdung und Organisationsvergehen waren die Straftaten, die den Kommunisten am häufigsten vorgeworfen wurden. Hierzu z­ ählten die Verbreitung hochverräterischer Schriften wie des »Programms der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« ebenso wie alle staatsgefährdenden Delikte, die den Bestand der Bundesrepublik bedrohten, und Organisationsdelikte, wie die Gründung und Mitarbeit in sog. kommunistischen »Tarnorganisationen«. Hierzu zählten zum Beispiel Friedensbewegung, Volksbefragungsaktionen, Jugend- und Gewerkschaftsorganisationen oder auch politische Kontakte zur DDR . Die Zahl der nach dem KPD -Verbot den Staatsanwaltschaften von der Polizei gemeldeten Fälle stieg zunächst deutlich an und zwar auf 12 bis 14 000 Fälle.97 Mit dem »Milde-Beschluss« des Bundestags im Rücken leisteten die Staatsanwälte nun ganze Arbeit. So weist die interne Statistik des Bundesjustizministeriums aus, dass im zweiten Jahr nach dem KPD -Verbot in fünf Bundesländern (Bremen, Hamburg, Hessen, Schleswig Holstein und Saarland) sowie in einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken der übrigen Länder (Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) zwischen, sage und schreibe, 92 und 99 Prozent der Ermittlungsverfahren eingestellt wurden.98 Grafik 11: Politische Straftaten: Verurteilungen, Strafaussetzung, Strafhaft, 1956–1959 Verurteilungen

Strafhaft

Strafaussetzung 236

166

172

159 130

128

64 38

01.09.56–31.08.57

29

01.09.57–31.08.58

01.09.58–31.08.59

Quellen: BArch: B141/30787 und 30788, BMJ an Landesjustizverwaltungen, Statistiken zu Hochverrat, Staatsgefährdung, Organisationsvergehen, 1.9.1956–31.8.1959. 97 Brünneck: Politische Justiz, S. 237. 98 BArch: B 141/30788, Statische Entwicklung der Staatsschutzverfahren, 22.10.1958.

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Hinsichtlich der Verurteilungen im Bereich der »Kern-Kriminalität« (Hochverrat, Staatsgefährdung, Organisationsvergehen) der Kommunisten weisen die Statistiken eine ähnliche Entwicklung auf. So ging die Zahl der Verurteilten im ersten und zweiten Jahr nach dem KPD -Verbot gegenüber den Vor­ jahren nicht sonderlich zurück, sondern stieg sogar im dritten Jahr deutlich wieder an. Dagegen schnellten die Zahlen für Strafaussetzungen deutlich nach oben. Im Durchschnitt der drei ersten Jahre nach dem KPD -Urteil brauchten 77,3 Prozent, also mehr als Dreiviertel der Verurteilten ihre Haftstrafen nicht anzutreten. Von der Strafaussetzung abgesehen brachte die Haftverschonung für die Betroffenen etwa im Unterschied zu den amnestierten NS -Belasteten und Nachkriegstätern keine zusätzlichen Vorteile. Im Gegenteil: Die Verurteilten blieben weiterhin vorbestraft, hatten erhebliche berufliche Nachteile bei Wiedereingliederung und Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, mussten die Prozesskosten selber tragen und verloren aufgrund des Kampfes gegen die Freiheitliche Demokratische Grundordnung etwaige Wiedergutmachungsansprüche aufgrund ihres Widerstands gegen die NS -Diktatur. Viele verloren das aktive und passive Wahlrecht für eine Zeit von fünf Jahren oder sogar mehr. Ferner unterlagen sie der polizeilichen Überwachung und Meldepflicht.99 Bewährungs- und Ein­ zelbegnadigungsaktionen ohne Rechtsanspruch, so hieß es im Bundesjustiz­ ministerium, seien »besser geeignet, Strafwürdige von weniger Strafwürdigen zu trennen«. Einzelbegnadigungsaktionen hatten zudem einen erheblichen Disziplinierungseffekt. Sie boten »die Möglichkeit, bedingte Strafaussetzung zu ­gewähren und so eine bessere Garantie künftigen Wohlverhaltens zu haben«100. Die einzige Möglichkeit, aus der Einstellung eines individuellen Verfahrens eine bundesweite Einstellungsaktion, aus einer bedingten Strafaussetzung eine bedingte Strafaussetzungsaktion, aus einer Freilassung auf Bewährung eine Freilassungsaktion auf Bewährung, aus einer Begnadigung eine Begnadigungsaktion zu machen, war nur gegeben, wenn die Landesjustizministerien der Länder von der Exekutive des Bundes, insbesondere durch das Bundesjustizministeriums zentral koordiniert und gesteuert wurden. Dies widersprach jedoch der grundgesetzlich garantierten Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und der föderalen Zuständigkeiten der Länder für die Rechtsprechung.101 Die Herren Juristen, die dies alles auf den Weg brachten, waren sich ihres unrechtmäßigen Handelns durchaus bewusst. Vor der entscheidenden Kabinettsitzung am 5.  Oktober 1956, in der die Bundesregierung den politischen Weg gegen ein Amnestiegesetz und damit für einen erneuten eklatanten Rechtsbruch frei machte, hatte es in einem Vermerk des Bundesjustizministeriums für das Bun99 BArch: B 106/15803, Protokoll des Rechtsausschusses, Beitrag Arndt, 30.1.1957, S. 6. 100 BArch: B 106/15803, Amnestie für »politische« Straftaten, 3.11.1956, S. 2. 101 GG, Art. 92 u. 97, Abs. 1.

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deskanzleramt geheißen: »Würde eine Einstellungs- und Begnadigungsaktion empfohlen, so wäre ein völlig uneinheitliches Vorgehen zu befürchten, das dem Staatsschutz und insbesondere dem Ansehen der Justiz mehr schaden als nützen würde. Wenn man dazu die negative Haltung mehrerer Länder berücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Bundesregierung eine solche Aktion nicht empfehlen sollte«.102 Im Ergebnis wiesen die Strafaussetzungen zur Bewährung in den einzelnen Ländern »sehr erhebliche Unterschiede« auf. Generell übertraf der durchschnittliche Prozentsatz von über 90 Prozent »der Verfahrenseinstellungen in Staatsschutzsachen erheblich den bei der übrigen Kriminalität erfahrungsgemäß mit etwa 75–80 % anzusetzenden Prozentsatz der Verfahrenseinstellungen«. Ferner bereiteten »die regional voneinander abweichende G ­ nadenpraxis« und die »großen regionalen Unterschiede« hinsichtlich »der von den Gerichten bewilligten Strafaussetzungen zur Bewährung und der bedingten Entlassungen« mit Blick auf das Prinzip der »Rechtsgleichheit« erhebliche rechtsstaatliche Probleme. Im Kampf gegen den Kommunismus war bei der großen justiziellen Aufräumaktion das Prinzip der »Rechtsgleichheit« völlig abhandengekommen. Als hätte der Berichterstatter des Bundesjustizministeriums auf der Konferenz der Justizminister im Oktober 1957 in Berlin noch einmal die politische Gängelei der Justiz auf den Punkt bringen müssen, forderte er die anwesenden J­ uristen auf: »Es wäre wünschenswert, auf einen baldigen Abschluss der noch wegen ­einer Betätigung vor dem KPD -Verbot anhängigen Strafverfahren mit Nachdruck hinzuwirken und damit der Entschließung des 2. Deutschen Bundestags vom 11. April 1957 auch insoweit Rechnung zu tragen.«103 Auch in den eigenen Reihen war man sich der rechtsstaatlichen Problema­ tik sehr bewusst. Manche Länder gingen deshalb lieber einen eigenen Weg und beschlossen – wie NRW – ein eigenes Amnestiegesetz. In der Kabinettsvorlage begründete Landesjustizminister Amelunxen das so: Eine Amnestie könne »nur im Wege des Gesetzes erlassen werden. Ohne einen solchen Gesetzgebungsakt ist die Niederschlagung von Verfahren überhaupt nicht und der Erlass und die Aussetzung rechtskräftig erkannter Strafen nur durch Einzelbegnadigung möglich.«104 Auch Bundesjustizminister Neumayer hatte wenige Wochen vor seinem Ausscheiden aus dem Kabinett große Bedenken geäußert und vor der Gefahr des Abgleitens in DDR-Verhältnisse gewarnt. »Der Gedanke einer Erweiterung des § 153 StPO sei im Justizministerium entstanden. Er könne ihn jedoch nach reiflicher Prüfung nicht billigen, weil die Staatsanwaltschaften und Gerichte mit dieser Aufgabe überfordert wären, das ganze Verfahren auch nicht 102 BArch: B 141/4250, Vermerk Kleinknecht, Frage einer Amnestie, 2.10.1956, 103 BArch: B 141/30787, 26. Justizministerkonferenz Berlin, 23.–26.10.1957, Vortrag Kleinknecht. 104 LAV NRW R: NW308/285.

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rechtstaatlich wäre und auch in der ganzen ausländischen Gesetzgebung sich nicht vorfinde. Wir würden damit in die Praxis der SBZ abgleiten.«105 Trotz großer rechtsstaatlicher Bedenken also machten alle mit: die Justiz­ minister in Bund und Ländern, die Richter und Staatsanwälte aller Landes-, Oberlandes- und Bundesgerichte. Was waren die Gründe? Alle hatten ein gemeinsames Interesse, den großen Ballast der aufgeschobenen Altverfahren so schnell wie möglich loszuwerden; die politische Strafjustiz neu aufzustellen und für die erwarteten, zahlenmäßig wieder zunehmenden Verfahren nach dem KPD -Verbot zu rüsten; den Staatsfeind Nr. 1 weiterhin mit aller Härte zu bekämpfen und die »Staatsautorität« der Bundesrepublik im deutschen-deutschen Kalten Bürgerkrieg zu stärken. Die Folge war, dass nach weitgehender Beendigung der justiziellen Aufräumaktion die politische Verfolgung von Kommunisten durch strafrechtliche und administrative Maßnahmen neuen Schwung bekam, wie an den steigenden Zahlen der Verurteilungen ab 1958 sichtbar wird.106 Parallel zur Amnestiediskussion war Bundesinnenminister Schröder bemüht, sich einen weiteren Kampfplatz im Umfeld der seit Jahren dahinsiechenden Kommunistischen Partei zu erschließen: die sog. »Tarnorganisationen« der KPD. Hierbei handelte es sich zum einen um Ableger kommunistischer Organisationen in der DDR zum Beispiel FDJ, FDGB, VVN, zum andern um Neugründungen, die vielfach auf Anweisung der SED von der KPD initiiert wurden. Hierzu gehörten etwa die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD), die Nationale Front (NF), die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft (GDSF). Zum andern galten auch etliche Vereine und Initiativen als »kommunistisch infiltriert«, in denen keine oder nur einzelne Kommunisten mitmachten, die vielfach ähnliche politische Auffassungen wie die KPD vertraten, zum Beispiel Friedenskomitees, Verbände für Soldaten, Kriegsgeschädigte, Flüchtlinge oder »Frohe Ferien für alle Kinder«, die sehr erfolgreich Ferienfreizeiten für westdeutsche Kinder in der DDR organisierte und durchführte.107 Gegen diese und weitere Gruppen, Initiativen und Vereinigungen, aber auch gegen Freie Wählervereinigungen, versprengte Kommunisten im öffentlichen Dienst und anderes mehr wollte Schröder als nächstes vorgehen. Dazu hatte der Bund wiederum keine Kompetenzen. Ein Verbot von Vereinen war Sache der Länder, sofern es sich nicht um bundesweit tätige Organisationen handelte. Also schlug er ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Ländern vor. Auf einer ­eigens einberufenen Konferenz der Innenminister der Länder wurde beschlossen, unter dem Vorsitz des Bundesinnenministers eine ständige Kommission einzurichten, die »die notwendige Koordinierung der Maßnahmen in die Wege 105 BArch: B 106/15803, Vermerk über Kabinettssitzung von Lex an Schröder, 1.9.1956. 106 Vgl. Grafik 10: Vergleich NS -Täter und Kommunisten. 107 Niederhut: Frohe Ferien in der DDR .

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leiten soll«108. Der Bundesinnenminister wollte nämlich nicht, wie S­ taatssekretär von Lex in einem Vermerk festhielt, »dass wir diesen Stoff der Konferenz der Innenminister der Länder, die ja eine Länderveranstaltung ist, überlassen, sondern möchte die Angelegenheit federführend durch den Bundesinnenminister behandelt sehen«109. Als Rechtsgrundlage diente jetzt das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Darin war nicht nur die KPD verboten worden, sondern auch die Schaffung von Ersatzorganisationen. »Als Ersatzorganisationen der KPD seien alle Vereinigungen anzusehen, welche die Ziele die verbotenen KPD an deren Stelle weiter verfolgen«, meinte der Bundesinnenminister. »Dabei dürfe man die Beweisanforderungen nicht überspitzen.« Auch bei der Kandidatur von ehe­ maligen Kommunisten auf »freien Wählerlisten« riet Schröder nicht zimperlich zu sein. Diese wären doch nur »eine neue Plattform zur Betätigung im kommunistischen Sinne«. Der Jurist und gelernte Rechtsanwalt ergänzte: »Von den Verwaltungsgerichten könne erwartet werden, dass sie unter Würdigung dieser Zusammenhänge richtige Entscheidungen träfen.«110 Der Kalte Bürgerkrieg war noch nicht zu Ende. Die kurze Phase der Entspannung und ersehnten Befriedung der Gesellschaft 1955/56 im Kalten Krieg wurde genutzt, um in Zukunft noch härter und entschlossener gegen Kom­ munisten vorzugehen. Das KPD -Verbot, die verweigerte Amnestie für Kommunisten und der vom Bundestag mit Regierungsmehrheit verabschiedete Entschließungsantrag machten es möglich. Von Vorleistungen der Bundesrepublik, um das Los der politischen Gefangenen in beiden deutschen Staaten zu verbessern, war schon bald nichts mehr zu hören. Auch was unter »Milde« zu verstehen war, entschied immer noch das Gericht. Das sah in der Praxis oft ganz anders aus, als allgemein unter diesem Wort zu verstehen war, zumal in der Rechtsprechung des obersten Strafgerichts, des BGH in Karlsruhe.111 Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Am 15.  Juni 1957, zwei Monate nach dem Scheitern des Amnestiegesetzes im Bundestag, schrieb Friedel Ledwohn, Ehefrau des langjährigen Vorsitzenden der KPD und Mitglieds des Landtags in Nordrhein-Westfalen, an den Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, und bat um Unterstützung, um die Freilassung ihres Mannes, Josef Ledwohn, aus dem Gefängnis zu erwirken. Der KPD -Funktionär war aufgrund der rückwirkenden Bestimmungen des § 93a StGB nach zweijähriger Untersuchungshaft zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Da ein 108 BArch: B 106/15956, Besprechung der Innenminister der Länder und des Bundes, 13.12.1956. 109 BArch: B 106/15956, Vermerk StS von Lex, 18.11.1957. 110 BArch: B 106/15956, Besprechung der Innenminister der Länder und des Bundes, 13.12.1956. 111 Pauli: Über die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Staatsschutzsachen gegen Kommunisten.

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halbes Jahr U-Haft nicht angerechnet wurde, »müsste er vier Jahre hinter Gefängnismauern verbringen«. Eines Verbrechens habe er nicht überführt werden können. »Seine politische Überzeugung war der Grund seiner Verurteilung.« Viele empörten sich über die Härte des Urteils, »das umso mehr abgelehnt wurde, als führende Nationalsozialisten, die des Mordes und anderer Grausamkeiten überführt wurden, nur lächerlich geringe Strafen erhielten«. »Am 12. März 1957«, schrieb Friedel Ledwohn weiter, »wurden auf Veranlassung des Bundesgerichtshofes in meiner Wohnung Möbel im Werte von 7 000 D-Mark für Prozess- und Haftkosten gepfändet.« Wiederholt sei sie durch die Polizei belästigt worden, »in deren Verlauf ich mich einmal sogar völlig entkleidet einer Leibesvisitation unterziehen musste. Was sagen Sie zu solch einer menschenunwürdigen Behandlung? Das hat nichts mehr mit der Freiheit der Persönlichkeit zu tun!« Während Kriminelle nach Verbüßung von Zweidrittel der Strafe wieder frei gelassen würden, habe der BGH im Falle ihres Mannes eine vorzeitige Haftentlassung abgelehnt. »Diese Entscheidung ist umso unverständlicher, als die CDU-Mehrheit des Bundestages Anfang April d. J. nach Ablehnung einer politischen Amnestie eine Entschließung annahm, in der eine großzügige Anwendung des § 26 [StGB, J. F.] empfohlen wurde. Wo bleibt die Großzügigkeit, wenn der Bundesgerichtshof behauptet, dass im Falle meines Mannes, die ›gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Maßnahme nicht gegeben sind‹«.112

112 BArch: B 137/1342, Schreiben Friedel Ledwohn an Jakob Kaiser, 15.6.1957.

10 Die deutsch-deutsche Verständigung

Beibehaltung des KPD-Verbots und Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)

Wie ging nun die Geschichte des KPD -Verbots weiter? Blieb es nach der ver­ weigerten Amnestie für Kommunisten beim Verbot der Partei oder gab es ernsthafte Ansätze für dessen Aufhebung? Wie gingen Bundesregierung und Justiz, wie KPD und SED mit der neuen Lage um? War nach dem Spruch von ­Karlsruhe der Rechtsfriede wieder hergestellt? Atmete die bundesdeutsche Gesellschaft auf, weil der Staat endlich »die große Gefahr«, die von der kleinen KPD aus­ gegangen war, gebannt hatte? Oder ging die politische Verfolgung weiter? Blühten Demokratie und Rechtsstaat auf? Welche Rolle spielte die SPD in diesem Prozess? Wie wirkte es sich aus, dass mit der Großen Koalition viele Kritiker der politischen Justiz in einflussreiche Positionen kamen? War das Parteiverbot eher hinderlich oder förderlich für eine neue Politik nach innen und nach außen? Welche Konsequenzen ergaben sich daraus für den Kalten Bürgerkrieg? Der 17. August 1956 war ein tiefer Einschnitt in der Geschichte der KPD. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht, das Verbot der Partei und aller Unter- und Nebenorganisationen, die Beschlagnahme des Vermögens der Partei und die Weisung der Karlsruher Richter an die Behörden des Bundes und der Länder, das KPD -Verbot konsequent umzuset­ zen, bedeuteten keineswegs das Ende der KPD. Mehr als 10 Jahre sollten vergehen, ehe die beiden Bürgerkriegsparteien in Deutschland-Ost und Deutschland-West das Kriegsbeil begruben und sich auf eine Lösung verständigten, mit der beide Seiten leben konnten. Das KPD -Verbot wurde nicht aufgehoben. Es blieb und bleibt »bis in alle Ewigkeit« (Adenauer) bestehen. Stattdessen konnte, durfte, sollte eine neue kommunistische Partei, die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) gegründet werden.1 Bis dahin behielt die KPD ihre bisherige Funktion im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg unverändert bei. Für die Bundesrepublik war und blieb sie der Staatsfeind Nummer eins. Für die DDR war sie zwar nicht mehr das 1 Mensing: Nehmen oder Annehmen. Mensing: Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben. Wilke/Müller/Brabant: Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Roik: Die DKP.

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Megaphon, das im Auftrag der SED die Arbeitermassen im Kampf gegen das verhasste »Adenauer-Regime« anführen sollte, wohl aber der Lautsprecher der offiziellen Politik der DDR nach Westdeutschland. Und dies im wörtlichen Sinne: Am 17. August 1956, dem Tag, an dem die Partei verboten wurde, meldete sich um 20 Uhr zum ersten Mal »die Stimme der KPD« aus dem Äther. Der »Deutsche Freiheitssender 904« (DFS 904), der in der Nähe von Magdeburg eingerichtet worden war, ging zum ersten Mal auf Sendung und erklärte dem deutschen Volk, was tags darauf in allen Zeitungen der DDR zu lesen war: »Das Ungeheuerliche ist geschehen. Auf Druck der Adenauer-Regierung hat das Bundesverfassungsgericht die KPD verboten und ihre Auflösung mit Polizeigewalt angeordnet. Die KPD ist da, und die KPD bleibt da.« Die zentrale Botschaft war: »Die KPD lebt und sie wird in der ersten Reihe der Arbeiterklasse und des Volkes stehen, wenn die Ära Adenauer längst dahin ist. Die KPD ist noch immer im Kampf gewachsen. Sie wird sich auch in diesem Kampf stärken.« Mit einer derart optimistischen Botschaft konnte die Losung nur lauten: »Und nun, Genossen und Freunde, vorwärts zu neuem Kampf! … Vorwärts mit der KPD gegen Militarismus und Reaktion, für Demokratie und Sozialismus! Mit uns das Volk, mit uns der Sieg!«2 Mit der Mobilisierung der Volkmassen gegen das KPD -Verbot war es nicht weit her, in der Bundesrepublik schon gar nicht. In der DDR schaffte es die SED zwei Tage nach der Verkündigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die großen Plätze in den Innenstädten der DDR mit ihren Volksmassen zu füllen. Damit hatte es dann auch schon sein Bewenden. Danach ging das SED -Politbüro wieder schnell zur Tagesordnung über und vergab bereits wenige Tage später, so als wäre nichts gewesen, neue Aufträge an den 1.  Sekretär des ZK der KPD, wie der Parteivorsitzende Max Reimann jetzt hieß. Neben einer Einschätzung der Lage in Westdeutschland wünschte das Politbüro etliche Ausarbeitungen zu zentralen politischen Fragen, so zur ­Sicherung des Friedens und der Aufgabe der westdeutschen Friedenskräfte, zur aktuellen Bonner Wiedervereinigungspolitik und zur sozialen Frage in Westdeutschland, schließlich eine Stellungnahme der KPD zur Vorbereitung der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Zudem sollte »eine Tagung deutscher und ausländischer Juristen« vorbereitet und in Berlin durchgeführt werden. Zur Erledigung all dieser Aufgaben wurde der KPD -Führung eine Frist von einem Monat gesetzt. Ständig mussten die Exilanten neue Vorlagen produzieren, um den Beratungsbedarf der SED zufrieden zu stellen. »Die KPD sollte jeden Anlass, der die westdeutsche Bevölkerung erregt und empört, aufgreifen, sich einschalten und beharrlich danach streben, besonders unter Einbeziehung der Arbeiter und auf gewerkschaftlicher Basis Aktionen auslösen und sie in der 2 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 2, Erklärung des PV der KPD zum Parteiverbot, 17.8.1956, S. 155.

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Richtung des Kampfes für die Verteidigung des Kampfes der demokratischen Rechte (gegen Neofaschismus, Revanchismus, Militarismus) und gegen die Notstandsgesetze weiter zu entwickeln.«3 Die Partei selbst war ein Phantom geworden, das nur noch aus der Parteiführung im Ost-Berliner Exil und den im Westen in der Illegalität operierenden Funktionären bestand. Natürlich gab es noch Kommunisten, die sich hier und da in Betrieben, Gewerkschaften oder auch anderen gesellschaftlichen Organisationen engagierten, denen allerdings die Direktiven aus Ost-Berlin längst egal waren. Dass die illegale KPD überhaupt noch existierte, verdankte sie der Finanzierung durch die SED. Diese betrug in den Sechzigerjahren mal mehr, mal weniger als 12 Millionen D-Mark, wie aus Schreiben von Walter Ulbricht an das ZK der KPdSU in Moskau hervorgeht.4 Außerdem ermöglichte das OstBerliner Exil den führenden Repräsentanten der KPD ein monatliches Einkommen, Kranken- und Kuraufenthalte in der Sowjetunion und die Teilnahme an internationalen Tagungen und Veranstaltungen der kommunistischen Bruderparteien. So genossen die Genossen immerhin im Osten eine gewisse Bewegungsfreiheit. Bei einer Reise in die Bundesrepublik mussten sie dagegen mit sofortiger Festnahme, Anklage und rückwirkender Verurteilung wegen Rädelsführerschaft rechnen.5 Von den westdeutschen Genossen erwartete die SED, dass sie jeder Zeit die Politik des Politbüros der SED aktiv unterstützten. Immer wieder wurde »eine klare Haltung zur deutschen Arbeiter- und Bauern-Macht und um ihre bedingungslose Verteidigung« gefordert. Hier lag das eigentliche Problem, das das Verhältnis zwischen dem ZK der KPD und dem ZK der SED, speziell zwischen Max Reimann und Walter Ulbricht im Laufe der Sechzigerjahre zunehmend belastete. Das Politbüro der KPD, so heißt es in einem Lage-Papier, das mit ­heftiger Kritik an Reimann und der KPD nicht sparte, sei »kein Kollektiv in der Herausarbeitung der Grundfragen der Politik und Taktik, der Apparat und die Kommission werden nicht ständig politisch angeleitet und informiert, um eine richtige Arbeit zu leisten. Deshalb sind die Vorlagen in der Regel nicht genügend qualifiziert und haben meistens formalen Inhalt. Die feindliche Hetze gegen die DDR , die SED und ihre Führung beeinflusst auch führende Genossen. Die Stellung des Genossen Reimann zu den Fragen der DDR und den ­Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus und die Auffassung, dass dadurch die Arbeit der KPD erschwert wird, ist unter anderem ein Ausdruck dafür.«6 Nicht nur die Führungskader, sondern die Partei insgesamt und darüber hinaus alle Werk­ tätigen in der Bundesrepublik, wie es in den Thesen des Parteitags der KPD von 3 BArch: DY 30/IV 2/10.03/3, Vorschläge für die Verbesserung der Arbeit der KPD, 20.2.1963. 4 BArch: DY 30/3538, Ulbricht an Ponomarjow, Belege für die Jahre 1962, 63, 64, 66, 67. 5 StGB: § 90, Abs. 3. 6 BArch: DY 30/IV 2/10.03/226. Vorlage: Über die Lage in der KPD, 7.2.1963, S. 20.

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1957 hieß, waren von der geschichtlichen Bedeutung des ersten Arbeiter- und Bauernstaates und des Aufbaus des Sozialismus in der DDR zu überzeugen. Erst dann würden auch die Arbeiterklasse und die Werktätigen in der Bundesrepu­ blik, so die Annahme der SED, »die Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik als ihre eigene Sache erkennen und bereit sein, an der Seite der Kommunisten im Falle etwaiger Provokationen gegen die DDR aktiven Widerstand zu leisten«7. Eine derartige Fehleinschätzung der deutsch-deutschen Wirklichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Papiere. Wenn das gewünschte Ziel wieder einmal nicht erreicht wurde, dann war natürlich die KPD und nicht etwa die SED schuld, die jedes Papier kontrollierte, redigierte und verabschiedete. Dreimal erarbeiteten die Funktionäre ein Wahlprogramm für die Bundestagswahlen 1957, 1961 und 1965, obwohl die KPD seit dem Verbot an Wahlen gar nicht mehr teilnehmen durfte. Zweimal führten sie einen Parteitag durch, 1957 und 1963, an dem nur handverlesene Funktionäre teilnehmen durften. Mal hießen die verabschiedeten Dokumente Thesen des Parteitags, Programmatische Erklärung oder Entwurf eines Parteiprogramms. Alles stammte aus der Feder des ZK der KPD, mit ausdrücklicher Genehmigung des Politbüros der SED. Wenn es etwas gab, wofür Max Reimann und einige wenige treue Vasallen mit voller Überzeugung und großer Leidenschaft eintraten, dann war es die Forderung nach einer Aufhebung des Parteiverbots von 1956. Hier schuf er sich über Jahre hinweg einen politischen Freiraum, den er weidlich zu nutzen verstand. In zahlreichen Kampagnen, Aufrufen, persönlichen und offenen Briefen an die Bundeskanzler Adenauer, Erhard, Kiesinger und später auch Brandt, die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen, den Bundesrat und einzelne Ministerpräsidenten und viele andere mehr hieß es immer wieder: »Das KPD -Verbot muss wieder aufgehoben werden!«8 Das Ziel war, der Öffentlichkeit und den wenigen getreuen Mitstreitern in der Bundesrepublik immer wieder zu zeigen: Die KPD lebt und kämpft trotz Verbots weiter. Jede Kampagne sollte die Handlungsspielräume des illegal operierenden Funktionärsapparats und das Engagement Einzelner und kleiner Gruppen zugunsten einer schrittweisen »Relegalisierung« der Parteiarbeit stärken. Die Kommunisten müssten darum kämpfen, »sich weitere Möglichkeiten des legalen Auftretens zu verschaffen, um den Rahmen der Illegalität zu sprengen«9. Niemandem, auch nicht einem Kommunisten oder früheren Mitglied der KPD, konnte es untersagt werden, sich privat oder öffentlich als Kommunist zu bekennen und für kommunistische Auffassungen, Forderungen und Ziele 7 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 2, S. 181. 8 BArch: B 136/3792. Darin finden sich viele Beispiele, u. a. der Brief an Adenauer vom 10.5.1959. 9 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd. 2, S. 226.

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­einzutreten. Strafbar wurde dies erst, wenn damit die verbotswidrig weiterbestehende KPD oder eine ihrer verbotenen Ersatzorganisationen gefördert werden sollten. So konnten ehemalige KPD -Mitglieder durchaus kommunistische Zeitungen herausgeben und verteilen, bei Versammlungen, Podiumsdiskussionen oder ähnlichen Veranstaltungen kommunistische Positionen vertreten oder auch als »unabhängige Kandidaten« bei Wahlen auftreten, sofern ihnen dieses nicht als Verstoß gegen das KPD -Verbot ausgelegt werden konnte.10 Diese Form der offenen Arbeit sollte durch öffentliche Aktionen oder Propaganda seitens der Mitglieder des Zentralkomitees der KPD nachhaltig unterstützt und gefördert werden. Wann immer es einen politischen Anlass gab, meldeten sich diese, allen voran der 1. Sekretär, Max Reimann, öffentlich zu Wort. Einen ersten Anlass nach dem Abflauen der zweiten Berlin-Krise von 1958/59 bot die Genfer Konferenz der vier Außenminister, bei der wieder einmal über einen Friedensvertrag mit Deutschland gesprochen und verhandelt werden sollte. Zu den vielen Hindernissen, die einer Verständigung und Wiedervereinigung Deutschlands entgegenstünden, so Reimann in einem Brief vom 10. Mai 1959 an Bundeskanzler Adenauer, gehöre auch das Verbot der KPD. Wenn die Bundesregierung tatsächlich an einer Entspannung interessiert sei, dann müsse auch darüber geredet werden, »auf welchem Weg die Legalität der KPD wiederherzustellen« sei. Die Parteiführung sei bereit, »eine Delegation unter Leitung des 1. Sekretärs des Zentralkomitees zu bevollmächtigen, um diese Frage mit der Bundesregierung bzw. den von ihr bevollmächtigten Vertretern zu verhandeln«11. Ein Vierteljahr später wandten sich ehemalige KPD -Abgeordnete in einem offenen Brief an Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung mit der Forderung, an der Aufhebung des KPD -Verbots mitzuwirken. Dies sei keine juristische, sondern »eine rein politische Frage«. Wenn die Angesprochenen wirklich an einer Entspannung als Voraussetzung für eine Wiedervereinigung Deutschlands interessiert seien, »dann müssen sie das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands aus der Welt schaffen«12. Zahlreiche weitere Initiativen folgten. Im Mai 1960 tagte in Paris zum Thema KPD -Verbot eine »internationale Juristenkommission«, die in einer Schluss­ erklärung dazu aufforderte, das KPD -Verbot aufzuheben. Im Wahljahr 1961 wartete die Partei mit einem neuen Wahlprogramm auf. Dieses enthielt nicht nur die Forderung, die KPD endlich wieder zu legalisieren, sondern auch die Ankündigung, dass Kommunisten als unabhängige Kandidaten für den Bundestag kandidieren würden. Es sei an der Zeit, so Reimann, den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben und sämtliche Repressalien einzustellen. Die intensive 10 BArch: B 136/3713, BfA, Verstöße gegen das KPD -Verbot. Formen offener kommunistischer Arbeit, 15.11.1965 11 BArch: B 136/3792, Reimann an Adenauer, 10.5.1959. 12 Ebd., Offener Brief von ehemaligen Abgeordneten der KPD -Fraktion an den Bundestag, die Bundestagsfraktionen, an den Bundesrat und die Bundesregierung, 11.9.1959.

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Ö ­ ffentlichkeitsarbeit der KPD -Führung blieb nicht ohne Wirkung. Intern forderte das Bundeskanzleramt juristische Auskunft an, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen das KPD -Verbot aufgehoben werden könne. Die Antwort von Bundesinnenminister Schröder lautete, eine Wiederzulassung der KPD sei im Geltungsbereich des Grundgesetzes »sicher nicht und im Wege einfacher Gesetzesänderung wohl kaum möglich«. Die einzige Möglichkeit, die KPD wieder zuzulassen, gab es nur, wie das Bundesverfassungsgericht 1956 in seine Entscheidung hineingeschrieben hatte, »bei einer unmittelbar bevor­ stehenden Wiedervereinigung Deutschlands«.13 Erste propagandistische Erfolge wurden am 13.  August 1961 mit dem Bau der Mauer in Berlin jäh zunichte gemacht. Nun musste die Partei, die sich in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 1961 gerade noch als eine Partei des Friedens, der Demokratie und des Glücks für unser Volk präsentiert hatte14, rasch umdenken und der in die Enge getriebenen SED zu Seite springen. Die von der DDR auf Empfehlung aller Warschauer Pakt-Staaten »durchgeführten Maßnahmen zur Sicherung des Friedens« fänden »die volle Zustimmung der Millionen friedliebenden Menschen in der Bundesrepublik«. Die westdeutschen »Militaristen« verwandelten dagegen »die Bundesrepublik in ein Land der schlimmsten Unfreiheit«. Bei so viel diagnostizierter Unfreiheit im Westen beschwor das ZK der KPD die Arbeiter in der Bundesrepublik: »Nicht der Bonner Staat der Militaristen ist Euer Staat, sondern Euer Staat, westdeutsche Arbeiter, das ist die Deutsche Demokratische Republik, in der die Arbeiterklasse, das gesamte friedliebende Volk die Macht ausübt; der Staat, der den Militaristen den Weg versperrt und der auch für Euch auf Friedenswacht steht.«15 Nach dem Schock folgte die Ernüchterung. Allen Hoffnungen und Illusionen auf eine Wiedervereinigung zum Trotz war weder die Sowjetunion bereit, die DDR durch Auszehrung zugrunde gehen zu lassen, noch waren die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich bereit, gegen die Einmauerung der DDR etwas zu unternehmen. Die Bewahrung des Status quo hatte sich wieder einmal als der von allen Seiten hingenommene und akzeptierte Grundsatz des Kalten Krieges erwiesen. Die Bundesregierung beharrte dagegen weiterhin auf einer Revision des territorialen Zuschnitts Deutschlands in den Grenzen von 1937, von Köln bis Königsberg, von Saarbrücken bis Breslau. Wofür sie wiederum von SED und KPD als »Militaristen« und »Revanchisten« heftig beschimpft wurden. Nach dem 13. August 1961 war es erst einmal stillgeworden um die deutschdeutsche Debatte über eine Aufhebung des KPD -Verbots. Während die SED mit 13 BArch: B 136/3792, BMI an BKAmt, Verbot der KPD, 12.1.1960. 14 KPD 1945–1968. Dokumente, Bundestagswahlprogramm der KPD 1961, April 1961, S. 287–298. 15 Ebd., Erklärung des ZK der KPD zum 13.8.1961, S. 299–304.

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der Sicherung ihres eigenen Staates beschäftigt war, drohte die Bundesrepublik unter den Altlasten der Adenauerzeit zu erodieren. Dies betraf nicht nur die notwendige Anpassung gesamtdeutscher Illusionen an eine auf Entspannung zielende Politik der Drei Mächte, sondern auch die Notwendigkeit von Reformen für einen durch politische Indienstnahme immer stärker ramponierten Rechtsstaat. Spiegelaffäre (1962), Abhöraffäre (1963/64) und eine als unverhältnismäßig empfundene politische Strafjustiz machten dies deutlich. Eine an den Normen des Grundgesetzes orientierte Liberalisierung der Gesellschaft breitete sich aus16, von der jetzt auch die Frage nach einer Aufhebung des KPD -Verbots profitierte. Während sich in der DDR in den ersten Jahren nach dem Mauerbau die Gefängnisse  – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt  – mit politischen Häftlingen wieder füllten17, geriet auch in der Bundesrepublik das System der politischen Justiz mehr und mehr in die öffentliche Kritik. Die erste kritische Darstellung über die politische Justiz erschien am 5. Juli 1961 im Spiegel.18 Kein Geringerer als der scheidende Generalbundesanwalt Max Güde, der 1961 für die CDU in den Bundestag wechselte, scheute sich nicht, öffentlich zu kritisieren, was er als Chefankläger in politischen Strafverfahren erlebt hatte und als Politiker gewillt war zu reformieren. Die Zeit und weitere große Zeitungen griffen die Thematik auf und boten Kritikern und Befürwortern erstmals ein öffent­ liches Forum.19 Am 9.  November 1964 hatte das Thema auch das Deutsche Fernsehen erreicht. In der Sendung Panorama berichtete Lutz Lehmann erstmals über die hohen Zahlen an Ermittlungsverfahren in politischen Strafsachen. Allein 1963 sollten es 10 222 Verfahren gewesen sein. Da in einem Verfahren stets gegen mehrere Personen ermittelt wurde, summierte sich die Zahl der Betroffenen schnell auf das Drei- bis Fünffache. Am 4.  Januar 1964 griff Panorama das Thema erneut auf. Jetzt kamen auch öffentlich bekannte Personen und Politiker zu Wort. Der spätere Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) sprach angesichts des Missverhältnisses von Ermittlungsverfahren zu Verurteilungen (20 : 1) von »Zahlen, die einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehre machten«. Gäben sie doch eine Vorstellung »von der absoluten Hypertrophie der derzeitigen politischen Polizei und Justiz, deren tiefes Eingreifen in das persönliche und berufliche Schicksal von Hunderttausenden ganz offenkundig außer jedem Verhältnis zu den tatsächlichen Gefährdungen unseres Staates von innen und von außen steht. Sie wird so statt einer vermeintlichen Sicherung selbst zu einer ernsthaften Gefährdung unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie.«20 16 17 18 19 20

Herbert: Liberalisierung als Lernprozess, S. 7–49. Werkentin: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht. Der Spiegel, Güde. Gebrochenes Rückgrat, 28 (1961), 5.7.1961. Die Zeit vom 29.12.1961 und 19.1.1962, Zur politischen Justiz. Lehmann: Legal und Opportun. Politische Justiz in der Bundesrepublik, S. 108.

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Wieder war es Max Güde, der die öffentliche Diskussion über eine mögliche Aufhebung des KPD -Verbots durch einen klugen und mutigen Beitrag bereicherte. Die »absolute Starrheit« des KPD -Verbots habe ihm noch nie gefallen, so der ehemalige Generalbundesanwalt in der zweiten Panoramasendung. »Wir bräuchten ein elastischeres System, was der Gefahr und dem Bedürfnis der Stunde mehr Rechnung tragen könnte.« Deshalb wehre er sich nicht gegen die grundsätzliche Überlegung, ob das KPD -Verbot beibehalten werden solle oder nicht. Die Unabänderlichkeit des Spruchs des Bundesverfassungsgerichts liege »nicht im Grundgesetz, sondern im Bundesverfassungsgerichtsgesetz, also in einem einfachen Gesetz. Man müsste prüfen ob eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes möglich ist, die auch eine Lockerung oder Aufhebung des KP-Verbotes möglich machen würde.«21 Jetzt griff auch die Politik das Thema auf, freilich nicht aus altruistischen Motiven, sondern aus politischem Kalkül. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Franz Meyers (CDU) regte eine Überprüfung des KPD -Verbots an, in der Hoffnung, dadurch der SPD auf Dauer einige Prozente abzujagen.22 Der SPD -Vorstand reagierte prompt und sprach sich gegen eine Aufhebung des KPD -Verbots aus. Die SPD glaube nicht, dass die Sowjetunion eine Wiederzulassung der KPD honorieren werde. Seitdem beherrschte die politische Debatte weniger das Verbot an sich, als vielmehr die Frage: Was können wir dafür als Gegenleistung vom Osten bekommen? Am beliebtesten wurde die Forderung nach Zugeständnissen in der Wiedervereinigungsfrage. Da konnte man jedenfalls sicher sein, das weder das eine, noch das andere kommen würde. Das Parteiverbot als Verhandlungsmasse? Nicht nur im Westen, sondern auch in »Mitteldeutschland«, wie damals die DDR offiziell noch hieß, wurde diese Idee mehr und mehr populär. Nach dem Rücktritt von Konrad Adenauer am 15. Oktober 1963 wurde einen Tag später Ludwig Erhard zum neuen Bundeskanzler gewählt. Wiederholt wandte sich Max Reimann an den neuen Kanzler und forderte ihn auf, »eine Amnestie zu erlassen, die Verfolgungsmaßnahmen einzustellen, den Kommunisten die freie politische Betätigung und das Wahlrecht zu sichern und schließlich die Legalität der Kommunistischen Partei Deutschlands wiederherzustellen«. Gleichzeitig erklärte er sich bereit, jederzeit mit dem Bundeskanzler oder dessen Beauftragten »über die Herstellung der Legalität der KPD und allen damit zusammenhängenden Problemen zu verhandeln«. Um den Druck zu erhöhen, stellte Reimann seinen Brief an Erhard noch am selben Tag, an dem er abgeschickt wurde, auf einer internationalen Pressekonferenz in Berlin vor. Ende 1965 reagierte das Bundeskanzleramt erstmals öffentlich. Bundeskanzler Erhard erklärte, das KPD -Verbot bleibe bestehen, »weil es das erklärte Ziel der 21 Ebd., S. 107. 22 BArch: B 136/3792, Der Tagesspiegel, 15.3.1964.

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Kommunisten bleibt, unsere freiheitliche Verfassung zu vernichten. Angesichts der Spaltung Deutschlands ist dies eine besondere Gefahr, solange ein Teil unseres Landes den Kommunisten, den ideologischen und militärischen Agenten einer ausländischen Macht als Operationsbasis dient«23. Mit einigem Missbehagen dürfte Ulbricht die öffentliche Aufmerksamkeit betrachtet haben, die Reimann mit seinen diversen Initiativen bei aller Ablehnung seiner Vorschläge immer wieder erzielen konnte. Am 9. Juni 1964 beschloss das Politbüro des ZK der SED, den »Kampf um die Legalisierung der KPD« nicht mehr nur Reimann und seinen Genossen allein zu überlassen. »Die Arbeiterklasse und die ganze Bevölkerung der DDR sind im höchsten Maße daran interessiert, dass die KPD ihren politischen Kampf in voller Freiheit führen kann, und unterstützen diese Bestrebungen der KPD auf jede nur mögliche Weise.« Dann wurde das gesamte Kampagnen-Potential der SED von der Westkommission, der Agitationskommission, der Abteilung Staat und Rechtsfragen über das Präsidium der Nationalen Front, das Institut für Marxismus-Leninismus bis zu dem Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer und den Bezirksleitungen aufgerufen und verpflichtet, den Kampf der KPD zu unterstützen. Zentrales Ziel der Legalisierungskampagne sollte es sein, die »Scharfmacher der CDU/CSU« zurückzudrängen und die sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bestrebungen zu unterstützen, eine von der Sozialdemokratie geführte Regierung mit größerem Einfluss der Arbeiterbewegung zu bilden. Mit einer legalen KPD werde »der Kampf um die Aktionseinheit, die Annäherung und das Zusammenwirken der Arbeiterbewegung in ganz Deutschland zur Lösung der nationalen Lebensfrage entscheidend gefördert«24. Ein neuer Akzent kam in die öffentliche Debatte, als Ende 1965 Robert Havemann, ein Jahr zuvor aus der SED ausgeschlossener und mit Berufsverbot belegter Naturwissenschaftler und Philosoph, im Spiegel25 für die Gründung einer neuen, gewandelten Kommunistischen Partei in der Bundesrepublik plädierte. Prompt meldete sich aus dem Ost-Berliner Exil Reimann zu Wort und wies ein derartiges Ansinnen entschieden zurück. Eine neue kommunistische Partei werde es nicht geben, zumal eine solche nicht, »die ihrem Programm und ihren Zielen abschwört, die ihre Geschichte verleugnet, die zur Drehachse ihrer gesamten Politik die Kritik und den Kampf gegen die DDR und die Sowjetunion macht«26. Der Vorschlag, eine neue kommunistische Partei zu gründen, traf bei Reimann einen neuralgischen Punkt. Der Grund war, dass die SED selbst schon seit dem Verbot der Partei über die Möglichkeit einer neuen kommunistischen 23 Ebd., Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 195, 15.12.1965. 24 BArch: DY 30/J IV 2/2/934, Protokoll des Politbüro des ZK der SED, Anlage Nr. 7 vom 9.6.1964. 25 Der Spiegel, 22.12.1965, S. 30–32. 26 Mensing: Nehmen oder Annehmen, S. 20.

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Partei in der Bundesrepublik nachdachte. Die alte KPD funktionierte einfach nicht so, wie Walter Ulbricht das wollte. Die Genossen aus dem Westen konnten tun, was sie wollten, dem starken Mann der SED konnten sie es nicht recht machen. Hinzu kam eine tiefsitzende gegenseitige Abneigung, die beide verband. Zahlreiche Kritik-Papiere des SED -Politbüros an Max Reimann, seinem Führungsstil, seiner mangelnden ideologischen Klarheit und Unterstützung der DDR und vor allem an seiner Unfähigkeit, den ständig wechselnden Wünschen Ulbrichts zu folgen und diese auch noch zu erfüllen, führten immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden Kommunistenführern aus Deutschland-West und Deutschland-Ost. Aus einer vertraulichen »Mitteilung« über ein Gespräch, das Hermann Matern27 und Max Reimann bereits im Herbst 1962 miteinander geführt hatten, geht hervor, wie schwierig das Verhältnis Reimanns zu Ulbricht und Teilen des ZK der SED, wie groß der Dissens in zentralen politischen Fragen und wie isoliert Reimann in seinem Ost-Berliner Exil inzwischen war. In dieser Mitteilung, die Matern zusammen mit einem umfangreichen kritischen Dossier über die Lage in der KPD an Walter Ulbricht weiterreichte, heißt es: »Genosse Reimann äußerte sich sehr erregt über Meinungsverschiedenheiten mit der SED. Dabei fiel unter anderem die Bemerkung, es komme der Punkt, an dem es überkoche, und er werde sich gewisse Dinge nicht länger gefallen lassen.«28 Im Einzelnen übte Reimann deutliche Kritik am Alleinvertretungsanspruch der DDR , am Führungsanspruch der SED gegenüber der Arbeiterklasse in ganz Deutschland und an den Überlegungen der SED zur Änderung des Partei­ namens der KPD, ohne ihn dabei einzubeziehen. Genosse Reimann habe starke Einwände gegen die Formulierung erhoben, »dass die DDR der einzig legitime, rechtmäßige deutsche Staat sei und meinte, wenn man ein längeres Neben­ einanderleben zweier Staaten in Deutschland in Betracht ziehe, wenn man die Normalisierung der Beziehungen und eine deutsche Konföderation sowie die Mitgliedschaft beider deutscher Staaten in der UNO ins Auge fasse, dann sei die These von der DDR als dem allein rechtmäßigen, legitimen deutschen Staat nicht länger haltbar«. Zum Führungsanspruch der SED gegenüber der Arbeiterklasse in ganz Deutschland wird Reimann mit den Worten zitiert, dass er bei einem längeren Nebeneinander zweier deutscher Staaten in Deutschland »gegen die Charakterisierung der SED als der führenden Partei der ganzen deutschen Arbeiterklasse« sei. »Damit würde die selbständige Verantwortung der KPD für die Entwicklung des Kampfes der Arbeiterklasse in Westdeutschland und ihre führende Rolle dabei abgewertet, was sich für die Autorität, den Einfluss und 27 Hermann Matern war von 1948 bis 1971 Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK), die eng mit staatlichen Stellen, auch dem Ministerium für Staatssicherheit zusammenarbeitete. 28 BArch: DY 30/IV 2/10.03/226, Matern an Ulbricht, Über die Lage der KPD, 7.2.1963. Anlage 4: Mitteilung über Bemerkungen des Genossen Max Reimann zu Meinungsverschiedenheiten mit der SED, November 1962.

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die selbständige politische Aktivität der KPD nachteilig auswirken müsse.« Er habe angedroht, den Machtanspruch der SED gegenüber der KPD offen herauszufordern: »Er werde bei der Beratung über den Entwurf der programmatischen Erklärung im Politbüro des ZK der KPD gegen diese Formulierung auftreten und eine Stellungnahme der Politbüro-Mitglieder dazu herbeiführen.« Schließlich habe Reimann kritisiert, »dass die KPD in den letzten Dokumenten der SED kaum noch erwähnt werde, sondern dass lediglich von westdeutschen Kommunisten die Rede sei; aber mit ihm werde nicht darüber gesprochen, was die Genossen der SED dazu veranlasse. Gleichfalls habe er gehört, dass von Genossen der SED Überlegungen angestellt werden, ob nicht die KPD in Anbetracht eines längeren Nebeneinanderbestehens zweier Staaten in Deutschland, ihren Parteinamen in Kommunistische Partei Westdeutschlands bzw. Kommunistische Partei der Deutschen Bundesrepublik ändern sollte. Aber niemand habe es bisher für nötig gehalten, mit ihm, den das doch zuerst angehe, darüber zu sprechen.«29 Was die Frage der Umbenennung, Neukonstituierung oder Neugründung der KPD anbetrifft, war diese keineswegs neu, wenn sie auch nicht mit Reimann offen besprochen wurde. So wurde der 1. Sekretär des ZK der KPD schon bei ­seinem ersten Besuch nach dem KPD -Verbot in Moskau von einflussreichen Mitgliedern des Politbüros der KPdSU mit der Frage der Gründung »einer neuen sozialistischen Partei« der Bundesrepublik konfrontiert. Die Genossen Michail A. Suslow, Sekretär des ZK der KPdSU, Dmitri T. Schepilow, Außenminister der Sowjetunion, und Boris N. Ponomarjew, ZK-Sekretär für interna­ tionale Angelegenheiten wollten hinsichtlich einer solchen Partei Genaueres wissen »und zwar bezüglich der ideologischen Grundlagen, ihrer Beziehungen zur KPD, ob die neue Partei von uns im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation oder für die Perspektive beabsichtigt sei, welche reale Möglichkeit bestehe und mit welchen Elementen, unter anderem aus der SPD man jetzt rechnen könne, ob es mehr oder weniger bekannte Funktionäre, auch aus der SPD gäbe, die den Kern der Partei bilden können«30. Reimann wusste nichts anderes zu antworten als, »dass es sich um ein Problem der Perspektive handle, das im Prozess der Entwicklung des Klassenkampfes entschieden werde«. Ob diese Frage, wie Suslow angeregt hatte, bei der noch folgenden Unterredung der KPD -Delegation mit dem Generalsekretär der KPdSU Nikita Chruschtschow thematisiert wurde, ist in den verfügbaren Quellen nicht nachweisbar. Auf jeden Fall wird deutlich, dass seit dem Verbot der KPD sowohl in Moskau als auch in Ost-Berlin ernsthaft darüber nachgedacht wurde, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten es gäbe, die verbotene Partei 29 Ebd. 30 BArch: BY 1/43561/4356, Aussprache mit den Genossen Suslow, Schepilow, Ponomarjew, 6.5.1957, S. 1.

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durch eine gemäßigte Linkspartei mit größerer Öffnung zur Sozialdemokratie hin, durch eine Relegalisierung der KPD unter neuem Namen oder auch durch die Gründung einer neuen kommunistischen Partei wieder zu beleben oder zu ersetzen. Alle diese Möglichkeiten tauchten wieder auf, als im Zuge der Bildung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Dezember 1966 neue Bewegung in die öffentliche Debatte über die KPD -Frage kam. Je intensiver und offener die Diskussion über die von Max Reimann geforderte Aufhebung des KPD Verbots wurde, desto geringer wurden deren Chancen. Dies wäre durch eine zeitliche Befristung von Parteiverboten, zum Beispiel auf zehn Jahre, durch eine Änderung des Grundgesetzes von Artikel 21 Absatz 2 oder durch eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, wie Max Güde schon angedeutet hatte, durchaus möglich gewesen. Aber auch das wäre noch keine Garantie für eine Relegalisierung gewesen. Selbst eine Neugründung stand also in der Gefahr, als »Ersatz­organisation« der KPD zu gelten, wenn deren Ziele, Inhalte und Personen weitgehend identisch mit der verbotenen Partei waren. Nach § 90a StGB war es den Staatsanwälten möglich, eine Parteineugründung als Ersatzorganisation anzusehen und die an der Gründung beteiligten Personen wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen anzuklagen. So gab es rechtlich nur den einen Weg, die Neugründung einer kommunistischen Partei zu versuchen, die allerdings mit den geschilderten Risiken behaftet war. Diese konnten durch gesetzliche Regelungen zwar verringert, aber nicht beseitigt werden.31 In einem vielbeachteten Beitrag für die Juristenzeitung äußerte sich am 21. Juli 1967 der neue Bundesminister der Justiz, Gustav Heinemann, zur Frage einer Wiederzulassung der KPD. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1956 habe Gesetzeskraft. Die Exekutive sei verpflichtet, jede Fortführung der KPD und alle Organisationen zu unterbinden, die die KPD ersetzen sollen. Die Justiz habe derartige Unternehmungen nach Maßgabe der besonderen Straf­ bestimmungen zu ahnden. Aus dieser Rechtslage folge, dass es in niemandes Ermessen stehe, weder der Bundesregierung, noch des Bundesverfassungsgerichts, das Urteil von 1956 wieder aufzuheben. Nur eine Gesetzesänderung könnte die­ ses ändern. Die Frage war nur, ob das gewollt war. Für den neuen Justizminister stellte sich somit die Alternative: Entweder werde die KPD nicht mehr die alte, auf die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats zielende marxistisch-leninistische Partei, sondern eine neue, auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Partei sein. In diesem Fall bedürfe die KPD keiner besonderen Zulassung, sondern könne sich völlig frei selbst gründen. Wäre die neue KPD jedoch »im Kern die alte Partei, dann kann sie nur zugelassen werden, wenn zuvor Artikel 21 Absatz 2 GG in der Weise geändert wird, dass wir zu einer Demokra31 AdsD, SPD BT-Fraktion, 5.  WP/1390, Vermerk für Helmut Schmidt, Wiederzulassung KPD, 13.6.1967.

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tie Weimarer Art zurückkehren und jegliche politische Zielsetzung bis hin zur Umwandlung der Demokratie in eine Diktatur freigeben«32. Mit Gustav Heinemann hatte am Kabinettstisch ein Minister Platz genommen, der selbst und zusammen mit seinem Freund und Sozius Diether Posser, dem späteren Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Kommunisten verteidigt hatte. 1949 wurde Heinemann im ersten Kabinett Adenauer Bundesminis­ ter des Innern, trat jedoch schon nach wenigen Monaten wegen des autoritären Führungsstils des Kanzlers und des politischen Dissenses über eine militärische Wiederaufrüstung der Bundesrepublik zurück. 1952 trat er aus der CDU aus und gründete gemeinsam mit Helene Wessel die Gesamtdeutsche Volkspartei, die für eine Neutralisierung Deutschlands eintrat, jedoch schon bald scheiterte. 1957 wurde er Mitglied der SPD und erneut Mitglied des Bundestages. Er entwickelte sich zum entschiedenen Gegner der Adenauerschen Deutschland- und Außenpolitik. 1959 verfasste er zusammen mit Diether Posser einen vielbeachteten kritischen Beitrag zum politischen Strafrecht in der Bundesrepublik.33 In der großen Koalition 1966 wurde er Bundesjustizminister und setzte sich engagiert und erfolgreich für die große Strafrechtsreform und insbesondere die Reform des politischen Strafrechts ein. Mit ihm entwickelte sich eine neue Offenheit innerhalb der Bundesregierung gegenüber Kommunisten. Er war offen­sichtlich der erste Bundesminister, der sich während seiner Amtszeit nicht scheute, sich mehrfach  – teils unter konspirativen Bedingungen  – mit Kom­ munisten zum Gespräch zu treffen. Ein erstes Gespräch dieser Art fand im »Saal der Botschaft der UdSSR in Rolandseck« südlich von Bad Godesberg statt. Gesprächspartner war Ludwig Landwehr, ehemaliger Sekretär des Sekretariats des Parteivorstandes der KPD, der sich nur mit seinem Tarnnamen »Hans« zu erkennen gab. Dieser forderte den Minister auf, »im Kabinett für die volle Aufhebung des KPD -Verbots einzutreten«. Für eine Wiederzulassung der KPD gäbe es keine Mehrheit, antwortete der Minister. Die notwendigen Änderungen des Bundesverfas­ sungsgerichtsgesetzes seien in diesem Kabinett und diesem Bundestag nicht durchzusetzen. Heinemann sah daher »keinen juristischen Weg zur Wieder­ zulassung«. Er hatte jedoch eine andere Möglichkeit im Auge. »Warum erörtern Sie nicht eine Neugründung?« Landwehr schloss dies kategorisch aus. Als er behauptete, »die KPD stehe auf dem Boden des Grundgesetzes«, meinte Heinemann, das sei wohl »ein Witz« und »brach in schallendes Gelächter aus«. Dennoch bat Heinemann darum, dass ihm die Dokumente, die beweisen würden, dass die Partei sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege, zugestellt

32 Heinemann: Wiederzulassung der KPD?, S. 425 f. 33 Heinemann/Posser: Kritische Bemerkungen zum politischen Strafrecht, S. 121.

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würden. »Schicken Sie mir das nicht in mein Ministerium, sondern an meinen Freund Posser, der mir das dann übermitteln wird.«34 Ende Mai 1968, parallel zu den Beratungen über die Reform des politischen Strafrechts, fand ein weiteres Gespräch statt. Dieses Mal hatte »ein Staatssekretär« der Bundesregierung darum ersucht. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfte es sich um den Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Horst Ehmke, gehandelt haben, der auch an einem weiteren, dritten Gespräch mit Vertretern der KPD teilnehmen sollte. Gesprächspartner war »Kilian«, alias Otto Niebergall, Mitglied der KPD und ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Der Staatssekretär wies ausdrücklich darauf hin, »dass dies ein Wink einer einflussreichen Gruppe im Bund und der Länder sei«. Der hochrangige Informant nahm kein Blatt vor den Mund und wartete mit einigen politischen Interna auf: »Für eine Aufhebung des KPD -Verbots sei keine Basis vorhanden; keine Voraussetzung für eine Änderung des Grundgesetzes oder des Verfassungsgerichtsgesetzes. Weder die Regierung, noch das Bundesverfassungsgericht könnten ihr Gesicht verlieren.« Auf der jüngsten Konferenz der Innenminister der Länder im April 1968 in Ulm sei Bundesinnenminister Paul Lücke von »seiner starren Haltung« abgewichen. Der KPD sei »eine Eselsbrücke gebaut« worden. »Lücke und einige Scharfmacher der Innenminister der Länder mussten in Ulm Folgendem zustimmen: Es gibt keine Einwände gegen Wiedergründung, Neugründung mit altem Namen, alten Mitgliedern, wobei es darauf ankäme, aus formalen Gründen das Grundgesetz anzuerkennen.« Der Staatssekretär erklärte weiter, »es sei uns ein Wink gegeben worden, die KPD sollte handeln, da sich die Lage schnell verschärfen könnte. Von Kräften der KPD in der Bundesrepublik sollte ein Programm ausgearbeitet werden, ähnlich wie die Programme der KP Italiens und der KP Frankreichs, angewandt auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik. Ausdrücklich sollte verzichtet werden, dass Organe der illegalen Partei oder Mitglieder führender Organe der KPD, die namentlich bekannt sind, ein solches Programm vorlegen.« Diese Taktik sei notwendig, »um in aller Deutlichkeit den Scharfmachern, Ewiggestrigen, jegliche Möglichkeit zu nehmen, das Verbotsurteil von Karlsruhe den Beschlüssen von Ulm entgegenzustellen«35. Am 4.  Juli 1968 fand ein drittes, dieses Mal offizielles Gespräch zwischen Vertretern der Bundesregierung und der KPD im Bundesjustizministerium statt. Grete Thiele, ehemalige Bundestagsabgeordnete der KPD, und Max ­Schäfer, beide Mitglieder des ZK der KPD, hatten sich im Herbst 1967 an Helmut Schmidt, den Vorsitzenden der SPD -Bundestagsfraktion gewandt, einen Brief von Max Reimann zur Frage der »Wiederzulassung der KPD« übermittelt und 34 BArch: BY1/4356, Gespräch mit Justizminister Heinemann, 21.4.1967. 35 BArch: BY 1/4350, Information Ende Mai 1968, betrifft: Aufhebung des KPD -Verbots. Verteiler: Max Reimann, Willi Mohn, Otto Niebergall, Günther Weiss, sämtlich Mitglie­ der des ZK des KPD, 29.5.1968.

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gleichzeitig um ein Gespräch zu diesem Thema gebeten. Helmut Schmidt verwies Thiele an den Bundesminister der Justiz und informierte gleichzeitig die Vorsitzenden der beiden anderen Bundestagsfraktionen und den Bundesminis­ ter des Innern, Paul Lücke. Neben dem Minister nahmen an diesem Gespräch auch Staatssekretär Ehmke und ein Protokollant teil. Im Zentrum des Gesprächs stand erneut die Frage einer »Wiederzulassung der KPD«. Heinemann klärte seine Gesprächspartner darüber auf, dass es in der Bundesrepublik eine Zulassung von Parteien nicht gäbe. Die Gründung von Parteien sei frei. Insofern bedürfe es auch keiner Genehmigung, von w ­ elcher Stelle auch immer. Für die KPD erklärte Max Schäfer, man wolle sich legal und auf dem Boden des Grundgesetzes als Kommunisten in der B ­ undesrepublik betätigen können. Allerdings müssten Kontakte der neuen Partei mit ihren Schwesterparteien möglich sein. Um dieses zu gewährleisten, wäre es das Beste, wenn das Bundesverfassungsgerichtsgesetz entsprechend geändert würde. Ein Parteiverbot sollte automatisch nach zehn Jahren erlöschen. Heinemann und Ehmke äußerten Bedenken, ob eine solche Gesetzesinitiative Erfolg haben würde. Stattdessen empfahlen sie, der Bundesregierung mitzuteilen, »man habe vor, am Tage X am Orte X eine neue KP zu gründen und bitte die Bundesregierung um Mitteilung, ob sie diese Gründung passieren lassen würde. Beizufügen wären eine Namensliste über die voraussichtlichen Teilnehmer der Gründungsversammlung, das künftige Organisationsstatut und der Entwurf eines neuen Parteiprogramms. Der Minister sagte wohlwollende Prüfung zu, ob den Kommunisten ein internes Gutachten über die Verfassungsmäßigkeit der KPD zur Verfügung gestellt werden könnte. Auf jeden Fall sollten Frau Thiele und ihre Freunde »im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten fair behandelt werden«36. »Über diese Bemerkung«, so hielt das Protokoll ausdrücklich fest, »zeigten sich Frau Thiele und Herr Schäfer besonders erfreut.« Da eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes wohl nicht möglich sei, schien ihnen »der von Herrn Minister und Herrn Staatssekretär aufgewiesene Weg einer Voranfrage bei der Bundesregierung für passabel und annehmbar. Sie würden zunächst aber noch mit diesem Schritt etwas zuwarten, bis Klarheit darüber bestehe, ob ihnen die in unserem Hause noch zu überarbeitende und mit dem Bundesminister des Innern abzustimmende Analyse zugänglich gemacht werden könne.«37 Nicht nur auf nationalem Weg suchte die SPD Kontakt zu Kommunisten, sondern auch auf internationalem Weg, galt es doch das Terrain für eine neue Außen- und Deutschlandpolitik zu erkunden und die wachsende Bereitschaft 36 BKAmt-Archiv: 10210 (88), StS Ehmke an Chef BKAmt Karl Carstens, 10.12.1968. Anhang: Notiz über das Gespräch zur Neugründung einer kommunistischen Partei, 9.7.1968. Protokoll der KPD -Seite über dieses Gespräch in BArch: BY 1/3753, 10.7.1968. 37 Ebd.

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zur Entspannung auf internationaler Ebene auch für eine Beendigung des Kalten Bürgerkriegs in Deutschland zu nutzen. Als entscheidendes Hindernis, um überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen, erwies sich das Verbot der KPD. Dies galt nicht nur für Moskau und die DDR , sondern auch für die kommunistischen Staaten Osteuropas und nicht zuletzt für die kommunistischen und sozialistischen Parteien Nord-, West- und Südeuropas. Bei einer Unterre­ dung mit der Führungsspitze der KPD in Moskau, betonte der damalige Ge­ neralsekretär der KPdSU, Leonid I. Breschnew, man werde, was die SPD angehe, erst einmal eine abwartende Haltung einnehmen. Als Willy Brandt noch Re­ gierender Bürgermeister in Berlin gewesen sei, habe der sowjetische Botschafter mit ihm wertvolle Gespräche geführt. »Brandt sagte, er möchte nach Moskau. Wir haben das im Auge gehabt. Aber jetzt, wo er der Regierung angehört, wo damit die CDU gestärkt wurde, haben wir unsere Einstellung gegenüber Brandt geändert. Eine Einladung Brandts nach Moskau liegt jetzt weder in unse­ rem, noch in Ihrem Interesse.«38 Als Außenminister Brandt im Sommer 1967, nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien, zum ersten Mal in ein osteuropäisches Land reiste, bekam er von Staats- und Parteichef Nicolae Ceaușescu den Rat, etwas gegen das Parteiverbot der KPD zu unternehmen: »Eine Zulassung der KPD würde international vorteilhafte Wirkungen haben und anderen die Möglichkeit nehmen, die Bundesregierung zu diffamieren.«39 Im November 1967 kam es zu einem ersten Meinungsaustausch mit einer westeuropäischen kommunistischen Partei, der »Partito Comunista Italiano« (PCI) in Rom. Der Kontakt war von Leo Bauer, einem ehemaligen KPD -Mitglied, inzwischen Vertrauten und Freund von Willy Brandt, vermittelt worden. Geleitet wurde die Delegation von Egon Franke, Präsidiumsmitglied der SPD. Die Gesprächspartner auf italienischer Seite waren Enrico Berlinguer, Mitglied des Politbüros der PCI, und zwei weitere hochrangige Funktionäre. Bei einem Abendessen war auch Generalsekretär Luigi Longo anwesend. Die italienischen Kommunisten machten deutlich, dass sie die Aufhebung des KPD -Verbots für »sehr wesentlich« hielten. Auch die PCI, so Longo mit selbstironischem Unterton, »schlachte das KPD -Verbot gegen die Deutschen« aus. »Wir wissen, wie sehr das die Bundesrepublik auch in der bürgerlichen Welt belastet.« Franke erwiderte, die PCI könne »ein Modell für die KPD sein«. Einig war man sich darüber, »dass die italienische KP ihre Stärke aus dem nationalen Programm bezogen habe und dass eine KPD, um politisch konkurrenzfähig zu sein, ein nationales Programm vorlegen müsse, wodurch sie in Gegensatz zu Ulbricht geriete«. Deshalb habe Ost-Berlin derzeit kein Interesse an einer Neubelebung der Partei in der Bundesrepublik. Die italienischen Kommunisten zeigten durch38 BArch: DY 30/IV 2/10.03/227, Begegnung von Delegationen der KPdSU und KPD in Moskau, 22.5.1967, S. 15 f. 39 AAPD, 1967, Brandt über sein Gespräch mit Nicolae Ceaușescu, 5.8.1967, S. 1170.

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aus Verständnis dafür, dass ein Verbot des Bundesverfassungsgerichts nicht einfach aufgehoben werden könne. Gegen eine Neugründung der KPD »im Rahmen und auf der Grundlage des Grundgesetzes« gebe es ihrerseits nichts einzuwenden.40 Obwohl Vertraulichkeit vereinbart worden war, nutzten die italienischen Kommunisten einen Aufenthalt in der Bundesrepublik, um einen Abstecher nach Ost-Berlin zu machen und Hermann Axen, zuständiges Mitglied im SED Politbüro für internationale Angelegenheiten, über das PCI-SPD -Gespräch zu informieren. Während der SED -Genosse ziemlich entrüstet reagierte und meinte, Brandt würde der imperialistischen Politik der Bundesrepublik »lediglich ein linkes Mäntelchen« umhängen, reagierte Reimann sehr viel besonnener, als er in einem separaten Gespräch ebenfalls über das Gespräch informiert wurde. Er suchte ohnehin das Gespräch mit den kommunistischen Parteien Westeuropas. 1966/67 nahm er an verschiedenen Parteitagen, Konferenzen und Beratungen mit den kommunistischen Parteien Dänemarks, der Niederlande, Belgiens, Österreichs, Frankreichs und Italiens teil.41 Gegenüber italienischen Genossen sagte Reimann, »seine Partei versuche immer mehr, von der SED unabhängig zu werden. Er beabsichtige, ein neues, für Brandt akzeptables Parteiprogramm aufzustellen.«42 Die Gespräche zwischen deutschen und italie­ nischen Kommunisten sollten auf jeden Fall fortgesetzt werden. Ende Februar 1968 fand bereits der Gegenbesuch einer hochrangigen SED Delegation in Rom statt. In einem gemeinsamen Kommuniqué erklärten beide Seiten »ihre volle Solidarität mit der Kommunistischen Partei Deutschlands und deren Kampf für die Durchsetzung ihres Rechts auf Legalität«. Nicht erwähnt wurde, dass die SED offensichtlich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal gegenüber Dritten einräumte, dass die Neugründung einer Kommunistischen Partei der einzig gangbare Weg zu einer »Legalisierung der offenen Parteiarbeit in der Bundesrepublik« sei.43 Etwa drei Wochen später, am 18. März 1968, reiste eine Delegation führender KPD -Funktionäre unter der Leitung des späteren DKP-Vorsitzenden Herbert Mies ebenfalls nach Rom. Reimann war nicht dabei. Entsprechend fehlte die Forderung nach Aufhebung des KPD -Verbots in den Dokumenten über diese Besprechung. Jetzt war nur noch vom »Recht auf Legalität« die Rede. Nach Lage der Dinge gab es dazu zwei Optionen: entweder die Wiederbelebung der KPD oder die Gründung einer neuen kommunistischen Partei. Welche Option sich letztlich durchsetzen würde, war zu Beginn des Jahres 1968 noch nicht erkennbar. 40 AdsD: Leo Bauer 10, KPI-SPD -Gespräch, 28.–30. Nov. 1967 in Rom, S. 4, 7, 16. 41 PA AA : B130/5669, AA an BMI, 28.1.1966; BMI an AA , 26.1.1967; AA an Deutsche Botschaften, 2.3.1967. 42 Mensing: Nehmen oder Annehmen, S. 61 ff. 43 Mensing: Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben, S. 82 f.

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Wie lange konnte der seit Anfang 1967 stetig steigende Druck auf die große Koalition aufrechterhalten werden? Bereits im Frühjahr 1967 gaben die westdeutschen Kommunisten der neuen Bewegung einen ersten organisatorischen Rahmen. Am 15. Februar benannte Max Reimann, eine »Kommission für Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Aufhebung des KPD -Verbots«. Neben dem Chef der KPD gehörten ihr Max Schäfer und Ludwig Landwehr an, beide Mitglieder des ZK der KPD. Einen Monat später, am 14. März 1967, trat auf einer Pressekonferenz in Frankfurt ein weiteres Gremium öffentlich in Erscheinung: der »Initiativausschuss für die Wiederzulassung der KPD«. Der Ausschuss bestand aus fünf KPD -Funktionären: Karl Schabrod (Düsseldorf), Kurt Erlebach (Hamburg), Franz Ahrens (Hamburg), Richard Scheringer (Ingolstadt), Manfred Kapluck (Essen).44 Die Kommission sah ihre Aufgabe vor allem in der direkten Ansprache hochrangiger Persönlichkeiten. Hierzu gehörten der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder, einzelne Minister und Abgeordnete, die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und andere Persönlichkeiten und Institutionen des öffentlichen Lebens. Auch zwischen Willy Brandt und Max Reimann sollte ein Gespräch vereinbart werden. Der Außenminister und Parteivorsitzende der SPD hatte seine prinzipielle Bereitschaft dazu bereits in einem Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Pjotr A. Abrassimow durchblicken lassen. Auch Reimann hatte dazu bereits seinen Segen aus Moskau bekommen: »Einer Begegnung Reimann-Brandt würde das ZK der KPdSU positiv gegenüberstehen.«45 Letztlich kam das Gespräch jedoch nicht zustande, obwohl Reimann Brandt mehrfach daran erinnerte. Eine letzte Aufforderung Reimanns datiert vom 23.  September 1970.46 Bereits am 14.  September hatte der Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Ehmke, Bundesinnenminister Hans Dietrich G ­ enscher (FDP), der weiterhin eine gesetzliche Regelung zur Aufhebung des KPD -Verbots durch eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes anstrebte, mitgeteilt: Die Diskussion um »die Wiederzulassung der KPD scheint mir vorerst durch die Gründung der DKP entschärft. Eigene Initiativen der Bundesregierung sollten  – auch nach Auffassung des Herr Bundeskanzlers  – sehr sorgfältig abgewogen werden. In der jetzigen innenpolitischen Situation halte ich weitergehende Schritte nicht für ratsam.«47 Keine der zahlreichen, von der KPD ausgelösten politischen Kampagnen hat eine derartige, anhaltend positive Resonanz in der Öffentlichkeit gehabt, wie die Kampagne für die Aufhebung des KPD -Verbots. In einer Bilanz für das Jahr 1967 sprach der Initiativausschuss für die Aufhebung des KPD -Verbots von 44 DKP: Chronik der 60er Jahre – Kommunistische Aktivität, S. 8. 45 BArch: BY 1/3748, Beratung von Delegationen des ZK der KPdSU und der KPD in Moskau, 11.7.1968. 46 BArch: B 136/3793, Kopie des Schreibens Reimann an Brandt, 23.9.1970. 47 BArch: B 3713, Ehmke an Genscher, 14.9.1970.

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82 Veranstaltungen mit ca. 20 000 Teilnehmern.48 Neben dem zentral agierenden Initiativausschuss waren zahlreiche regionale Ausschüsse gebildet worden. Die Aktivitäten gingen deutlich über das bisherige Maß der illegalen Arbeit hinaus. Die Funktionäre betonten in aller Öffentlichkeit, dass sie Kommunisten seien und auf dem Boden des Grundgesetzes und im Rahmen geltenden Rechts für die Zulassung der KPD agierten. Man tat einfach so, als würde das KPD -Verbot nicht mehr existieren. So gelang es, das Parteiverbot immer fragwürdiger erscheinen zu lassen.49 Die Aktivitäten der KPD stießen in der Öffentlichkeit durchaus auf eine positive Resonanz. Nicht, weil man plötzlich die Kommunisten liebte, sondern weil man ein Verbot der Partei mit den Grundwerten eines freiheitlich demokratischen Rechtsstaates nicht für vereinbar hielt. So war die Kampagne für die Aufhebung des KPD -Verbots schon bald zu einer Bewegung geworden, die auch in der Mitte der Gesellschaft politische Unterstützung fand. Renommierte Juristen wie Helmut R. Külz, Senatspräsident am Bundesverwaltungsgericht50, oder auch Richter, die selbst am Verbot der KPD mitgewirkt hatten, kritisierten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Konrad Zweigert51, inzwischen Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, setzte sich für die Möglichkeit einer Revision von Parteiverbotsverfahren ein. Herbert Scholtissek52, scheidender Richter am Bundesverfassungsgericht, räumte in einer Sendung des ZDF am 17. August 1967 ein, dass der Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD »gar nicht so schlüssig begründet gewesen sei und unter heutigen Verhältnissen keinerlei Aussicht mehr auf Erfolg hätte«. Auch Martin Drath, ehemaliger Richter am 1.  Senat des Bundesverfassungs­ gerichts, beklagte die fehlende Überprüfungsmöglichkeit des KPD -Verbots und wirkte als Gutachter an einem öffentlichen Hearing zur Aufhebung des KPD Verbots mit.53 Selbst Erwin Stein, Berichterstatter im KPD -Prozess und noch amtierender Richter am höchsten westdeutschen Gericht, war zu einem persönlichen Gespräch mit Fritz Rische, führendes Mitglied des ZK der KPD, bereit. Er bat allerdings »um absolute Vertraulichkeit«. Sein Gesprächspartner akzeptierte dies, wies jedoch darauf hin, dass er diese Fragen mit den Prozessvertretern der KPD im Karlsruher Prozess besprechen werde. Stein war einverstanden und bat sogar, ihn über deren Auffassungen zu informieren. Zur Sache erklärte Stein, das Bundesverfassungsgericht könne nur auf Antrag tätig werden, nicht von sich 48 49 50 51

DKP: Chronik der 60er Jahre – Kommunistische Aktivität, S. 15 Mensing: Nehmen oder Annehmen, S. 34 f. BArch: B 136/3792, Külz für Aufhebung des KPD -Verbots, 1.12.1966. BArch: B 136/379, Bernstein/Zweigert, Gutachten: Rehabilitierung einer aufgelösten politischen Partei, S. 34. 52 DKP: Chronik der 60er Jahre – Kommunistische Aktivität, S. 12. 53 Drath: Stellungnahme zu Problemen der Fortdauer des KPD -Verbots, S. 57.

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aus. Eine Revisionsinstanz gebe es nicht. Das Hohe Gericht entscheide in erster und letzter Instanz. Rechtlich gebe es zwei Möglichkeiten, um ein Parteiverbot aufzuheben: entweder das Grundgesetz zu ändern und im Falle eines Parteiverbots eine Revisionsmöglichkeit vorzusehen, oder das Bundesverfassungsgerichtsgesetz dahingehend zu ändern, dass künftig eine Revisionsinstanz beim Verfassungsgericht vorgesehen würde. Die Aufhebung eines bestehenden Verbots sei jedoch nach geltendem Recht nicht möglich. Das Gespräch zwischen dem »Richter« und dem »Angeklagtem« von einst verlief »in einem durchaus freundlichen Ton«, wie Rische notierte. Immerhin war der KPD -Funktionär seinerzeit in Handschellen zur Teilnahme an dem Verfahren gegen die KPD in den Gerichtssaal geführt worden. Dies wirft die Frage auf, wie es möglich war, dass ein Bundesverfassungsrichter, der als Berichterstatter im KPD -Prozess an führender Stelle mitwirkte und maßgeblich die Verfassungswidrigkeit des Verfahrens zu verantworten hatte, sich gut zehn Jahre später zu einer vertraulichen Unterredung mit einem ehemals als »Rädelsführer« angeklagten KPD -Funktionär traf, um diesen über gesetzliche Möglichkeiten einer Aufhebung des KPD -Verbots zu beraten. Es waren offensichtlich private Gründe, wie aus dem Rische-Protokoll hervorgeht. So erwähnte Stein, der noch bis zum 8. Dezember 1971 als Richter am Bundesverfassungsgericht tätig war, gegen Ende des Gesprächs, »dass seine Frau im vergangenen Jahr in der Sowjetunion war und er selbst gerne dahin fahren möchte, nur wisse er nicht, wie er das bewerkstelligen solle«. Auf jeden Fall wollte der Bundesverfassungsrichter gern Kontakt zur KPD halten. So lud er Rische »zu einem Besuch in seine Wohnung (Baden-Baden) ein«. Rische sagte den gewünschten Besuch für März 1967 zu und ergänzte, wie aus seinem Vermerk über das Gespräch mit Verfassungsrichter Stein hervorgeht, »wo ich ihm auch die Auffassung der ›Anwälte‹ mitteilen möchte«54. Ob der Wunsch von Richter Stein in Erfüllung ging, mit Hilfe der »Russenpartei« vielleicht eine Einladung von der Akademie der Wissenschaften zu einem Vortrag in Moskau zu bekommen, hat in den Akten, soweit ersichtlich, keinen Niederschlag gefunden. Was die Akten allerdings zeigen, ist, dass es sich bei Stein keineswegs um einen Einzelfall gehandelt hat. Möglicherweise war ihm sein Kollege Martin Drath ein nachahmenswertes Beispiel. Bundesver­ fassungsrichter Drath war es nämlich vergönnt, eine Einladung nach Moskau zu bekommen. Ob dies auf eigene Initiative oder Initiative der Kommunisten gelang, kann anhand der Akten nicht eindeutig geklärt werden. In einem Brief von Max Reimann an das ZK der KPdSU heißt es, dass mit den »Genossen Kiatkin und Mourganow« gesprochen worden sei, »ob eine Möglichkeit bestände, Professor Dr. Martin Drath aus der Bundesrepublik, zu einem Vortrag vor der Akademie der Wissenschaften in Moskau einzuladen. Sie waren seinerzeit mit 54 BArch: BY 1/4356, Besprechung mit Bundesverfassungsrichter Stein, 13.1.1967.

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diesem Plan einverstanden und wir von uns aus haben nun über einen geeigneten Weg Herrn Professor Drath dieses mitgeteilt.« Das ZK der KPdSU gab grünes Licht. Drath reagierte hoch erfreut auf die Einladung. Das Arrangement der Reise für ihn und seine Frau (!) wurde dann – ein halbes Jahr nach dem Mauerbau in Berlin über die illegale KPD in Ost-Berlin geregelt.55 Wie kam es, dass Drath zu entsprechenden Kreisen in Berlin offensichtlich noch in den Sechzigerjahren persönliche Kontakte hatte? Drath galt als linker Jurist, der selbst für die wirren Nachkriegsverhältnisse über eine abenteuerliche Karriere verfügte, für die viel Politik und wenig Zeit für wissenschaftliche Arbeiten kennzeichnend war.56 Auf der Suche nach einer möglichst schnellen Habilitationsmöglichkeit gelangte das SPD -Mitglied an die Universität Jena und wurde dort nach der Vereinigung von KPD und SPD im April 1946 SED -Mitglied57. Im Frühjahr 1947 wurde er Mitglied im rechtspolitischen Ausschuss des ZK der SED. Der Versuch, im SPD geführten Hessen einen Lehrstuhl für öffentliches Recht zu bekommen, misslang trotz massiver politischer Patronage. Über den Vorsitzenden des Gründungsausschusses der Freien Universität Berlin (FU), Ernst Reuter (SPD), gelang schließlich zum 1. November 1949 die Berufung auf eine entsprechende Professur an der neu gegründeten West-Berliner Universität. Der Berliner Senat, »dem Reuter mittlerweile als Regierender Bürgermeister vorstand, entsandte Drath 1951 zu den ersten 24 Richtern des Bundesverfassungsgerichts«58. Als Bundesverfassungsrichter verfügte er über das Privileg, auch nach seiner Wahl in das Kollegium des Karlsruher Hohen Gerichts weiter an der FU lehren und alte Berliner Freundschaften und Kontakte pflegen zu können.59 Parallel zu all den Bemühungen und Aktivitäten zur Aufhebung des KPD Verbots verschärfte sich innerhalb des Politbüros des ZK der KPD, aber auch zwischen der KPD und der SED der Konflikt um den künftigen Kurs. Seit Herbst 1966 stritten die Genossen über die Frage, ob nicht in nächster Zeit ein Parteitag abgehalten und ein neues Programm verabschiedet werden sollte. Während die einen meinten, dies sei dringend erforderlich, um den politischen Kurs der Partei auch nach außen wahrnehmbar zu bestimmen, war Reimann strikt dagegen. Man brauche jetzt weder ein Programm noch eine programma­ tische Erklärung. Notwendig sei vielmehr eine politische Richtlinie, die vor allem einen Gedanken herausstellen sollte: »Ohne legale KPD geht es in der 55 BArch: BY 1/3561, Reimann an ZK der KPdSU, 14.2.1962. 56 Otto: Martin Drath (1902–1976), S. 334–345. 57 BMJ-Archiv: P 21-D1, Personal Akte Drath, Bd. I, Drath an den Präsidenten des BVerfG, S. 2. 58 Otto: Martin Drath (1902–1976), S. 343. 59 BArch: BY 1/3561, 7.2.1962. Die Antwort des noch amtierenden Bundesverfassungsrichters Drath auf seine, über die KPD zustande gekommene Einladung zu einem Vortrag nach Moskau ist gerichtet an: »Lieber Freund Henselmann«.

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Bundesrepublik nicht.« Die Mehrheit des Politbüros der KPD sah das anders und sprach sich für ein neues KPD -Programm aus. Reimann reagierte ver­ ärgert. »Was soll ein Programm jetzt, wo wir nicht wissen, wann, wie und w ­ ohin es weitergeht; damit legen wir uns nur selbst Fesseln an. Hinzu kommt, dass wir uns angesichts des Zustandes der Spaltung Deutschlands in den Fragen der Wiedervereinigung mit einem Programm bloß ›die Jalousien runterlassen würden‹; wie sollen wir denn die Frage beantworten, wann die Wiedervereinigung Deutschlands kommt? Ein Programm mit einem ausgebauten Weg zum Sozialismus, würde uns außerdem nur von den Menschen isolieren.«60 Als auch die SED auf der Herausarbeitung einer neuen programmatischen Linie der KPD bestand und dazu auch noch die Unterstützung des ZK der KPdSU bekam, wurde bei der nächsten Besprechung der KPD in Moskau der klare Auftrag erteilt: »Sie sollten den Parteitag und ein Programm vorbereiten.«61 Mit Hochdruck wurde nun an dem Entwurf eines neuen Programms gearbeitet, der erst nach etlichen Verzögerungen, Auseinandersetzungen mit der SED Anfang des Jahres 1968 verabschiedet werden konnte. Dieses war das letzte Dokument dieser Art, das den Namen der KPD trug. Zuvor sollte es noch Geschichte schreiben, als es Anfang Februar 1968 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte. Offen luden die westdeutschen Kommunisten zu einer breiten Diskussion ihres neuen Programms ein. »Die KPD unterbreitet dieses Programm der Bevölkerung der Bundesrepublik zur Diskussion. Wir wollen mit allen, besonders mit den sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeitern darüber Meinungen austauschen. Wir sind bereit, auf Einwände und neue Vorschläge zu hören.«62 Ludwig Landwehr, Mitglied des ZK der KPD und der Kommission für Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Aufhebung des KPD -Verbots, hatte für den 8. Februar 1968 zu einer Pressekonferenz nach Frankfurt eingeladen, auf der es wichtige Informationen zu dem neuen Programmentwurf der KPD geben sollte. Die KPD -Funktionäre Grete Thiele, Max Schäfer und Herbert Mies würden den Programmentwurf präsentieren. Es kam jedoch anders als geplant. Die Pressekonferenz wurde »auf Anregung« von Bundesinnenministers Paul Lücke (CDU) und auf Anordnung des hessischen Innenministers von der Frankfurter Polizei untersagt und aufgehoben. Die Bundesminister des Innern und der Justiz, Paul Lücke und Gustav Heinemann, stimmten überein, dass der Auftritt kommunistischer Funktionäre strafbar sei, wenn sie als Vertreter der KPD aufträten. Dasselbe galt für Veranstalter und Teilnehmer der Versammlung, 60 BArch: DY 30/IV 2/10.03/227, Nachtrag aus der Diskussion in der Vollsitzung des Politbüro des ZK der KPD vom 14.9.1966, 1.10.1966. 61 Ebd., Begegnung von Delegationen der KPdSU und der KPD in Moskau, 22.–23.5.1967, S. 17. 62 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd.  2, Programm der KPD  – Entwurf, Februar 1968, S. 395–441, hier S. 440.

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die aus dem Programm zitieren oder das Programm verbreiten würden. Die Bundesanwaltschaft wurde eingeschaltet und um Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gebeten. Am 13. Februar ließ der Ermittlungsrichter des BGH alle bislang hergestellten oder im Druck befindlichen Programmbroschüren, 62 000 Exemplare an der Zahl beschlagnahmen. Schäfer und Mies wurden vorübergehend festgenommen, am Tag darauf jedoch wieder freigelassen.63 In den folgenden Tagen wurden an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik ähnliche Veranstaltungen durchgeführt. In Köln lud ein »Ring der politischen Hochschulgruppen« zu einem Diskussionsabend über den neuen Programmentwurf ein. An ihm nahmen auch zwei der drei KPD -Funktionäre teil, die schon in Frankfurt den Programmentwurf hatten vorstellen sollen. Die Kölner Veranstaltung wurde anders als in Hessen vom nordrhein-westfälischen Innenminister ausdrücklich toleriert. Dies galt auch für die am folgenden Tag »mit mehr als 100 Medienvertretern« durchgeführte Pressekonferenz in Bonn, die vom Initiativausschuss für die Wiederzulassung der KPD durchgeführt wurde. Weitere Veranstaltungen folgten und die KPD konnte sich wieder einmal über ein großes öffentliches Interesse freuen.64 Bundesinnenminister Lücke (CDU) war besorgt. Das noch geltende alte politische Strafrecht zwang ihn zum Handeln. In einer Kabinettsvorlage schrieb er, die KPD -Führung sei überzeugt, dass es zwischen den Parteien und Politikern der Bundesrepublik Uneinigkeit in der Frage der Behandlung des KPD Verbots gäbe und daher die Zeit »für einen Angriff reif« sei: »die Staatsmacht weicht zurück«. Das Verbot der KPD solle »in den nächsten Monaten durch offene Zuwiderhandlung überrollt werden«. Er warnte vor einem Kollaps des ­Staates: »Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und bestehende Gesetze werden durch Resignation der staatlichen Organe kaum mehr vollzogen. Bei der zu erwartenden massiven Steigerung der kommunistischen Überrollungstaktik, droht in wenigen Wochen ein Zustand, der einer Kapitulation des Staates gleichkommt.«65 Im Einvernehmen mit dem Bundesjustizminister schlug Lücke vor, die Innenminister der Länder zu ersuchen: »1. alle öffentlichen Versammlungen, die dazu dienen, die Ziele der KPD zu fördern, in jedem Fall präventiv zu verbieten; 2. alle öffentlichen Versammlungen, in deren Verlauf die Ziele der KPD gefördert werden, aufzulösen; 3. Gruppen, die für die Wiederzulassung der KPD einzutreten vorgeben, dann aufzulösen und ihre Tätigkeit zu unterbinden, wenn sie in Wahrheit die illegale KPD fortsetzen oder eine Ersatzorganisation für sie bilden. Dies kann gegebenenfalls auch für Initiativausschüsse zutreffen; 4. alle 63 BKAmt-Archiv: 10210 (1), BfV an BMI u. a., Die neuen kommunistischen Aktionen, 23.2.1968. 64 DKP: Chronik der 60er Jahre – Kommunistische Aktivität, S. 18. 65 BArch: B 106/203123, BMI an BKamt, Kabinettssache: Vollzug des KPD -Verbots, 19.3.1968.

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sonstigen, zur Vollstreckung des KPD -Verbots zulässigen und geeigneten Maßnahmen – wie zum Beispiel die Beschlagnahme des neuen KPD -Programms – anzuordnen.«66 Das Kabinett stimmte diesen Vorschlägen weitgehend zu, allerdings mit einem wichtigen Unterschied. Während das Kanzleramt die Position vertrat, es sei erforderlich, »dass das Kabinett mit seiner vollen Autorität für einen Vollzug des KPD -Verbots eintritt«67, hieß es in dem Beschluss des Kabinetts: Das an die Innenminister der Länder »zu richtende Ersuchen, soll dabei deutlich die Grenze aufzeigen zwischen der verbotenen Weiterführung der KPD und einer nicht zu verbietenden Gründung einer neuen KPD, damit die Exekutiven klare Grundlagen für ihr Handeln haben«68. Das, was sich das Kabinett wünschte, eine klare Trennung zwischen alter KPD und einer neuen kommunistischen Partei zu ziehen, war praktisch nicht möglich. Das, was Recht und das, was Unrecht war, waren kaum noch zu un­ terscheiden. Wann musste eine neue kommunistische Partei damit rechnen, als Fortsetzung, wann als verbotene Ersatzorganisation der illegalen KPD zu gelten? Wann war der Entwurf eines neuen Programms verfassungswidrig, wann nicht? Wenn die Antwort nur davon abhing, in welchem Bundesland welche politische Veranstaltung stattfand, dann war die Rechtssicherheit – ein Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit – in der Bundesrepublik nicht mehr gewährleistet. Die Verwirrung war perfekt, als am 24. Juli 1968 die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitens des Programmentwurfs der KPD mit der Begründung einstellte: »Der Inhalt der Broschüre ist nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet.«69 Am 30.  Mai 1969 entschied auch das Landgericht Flensburg, die Beschlagnahme der in Neumünster gedruckten 62 000 Exemplare des neuen Programms der KPD, die auf Anweisung der Bundesanwaltschaft erfolgt war, sei rechtswidrig. Die Broschüren müssten daher zurückgegeben werden. Der BGH in Karlsruhe hob jedoch die Entscheidung wieder auf. Die Beschlagnahme sei rechtens gewesen. Für die aufgelöste Partei gebe es »keinen Raum politischer Handlungsfreiheit mehr. Sie ist deshalb auch nicht legitimiert, in irgendeiner Form staatsbürgerliche Aufklärung zu leisten«70. Wie ging nun die Entwicklung in der DDR in Sachen Neugründung oder Aufhebung des KPD -Verbots weiter? Am 29.  Mai 1968 trafen sich Mitglieder der Politbüros der SED und der KPD zu einer gemeinsamen Beratung. Während von Seiten der SED nur die zweite Garde ohne Ulbricht, Honecker und Mattern 66 Ebd., S. 7. 67 BKAmt-Archiv Berlin: Kabinettsvermerk, Vollzug des KPD -Verbots, 25.3.1968. 68 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Vollzug des Verbots der KPD, BMI, 27.3.1968. 69 DKP: Chronik der 60er Jahre – Kommunistische Aktivität, S. 22. 70 Der Spiegel, KPD -Programm, 12.10.1970.

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vertreten war, hatte die KPD ihre erste Garnitur aufgeboten: Reimann, Mohn, Ledwohn, Niebergall, Mies und Kapluck. Grundlage des Meinungsaustausches war ein Brief, den Reimann an Ulbricht geschrieben hatte. Der Kampf um die Legalisierung der KPD gewinne in der Bevölkerung inzwischen breite Unterstützung, hieß es darin. Der Gegner versuche dieser Bewegung mit dem Angebot einer Neugründung der Partei entgegenzuwirken. Er möchte eine Partei mit einem Programm, das sich deutlich abgrenze von der SED, von der Sowjetunion, vom Marxismus-Leninismus. »Darauf könne und werde die Partei unter keinen Umständen« eingehen, so Reimann.71 Was die Namensänderung der Partei anbetraf, gab es im Politbüro »scharf gegenüberstehende Fronten«. Nach Ansicht Reimanns waren die Gründe dafür »nicht stichhaltig genug«. Er stimme deshalb »einer Änderung nicht zu«. Die KPD stehe weiterhin für eine gesamtdeutsche Orientierung. Dies sei umso wich­ tiger, als ihr immer vorgeworfen werde, »sie sei keine deutsche Partei«. Außer­ dem sprächen klassenmäßige Gründe für die Beibehaltung des Namens, »denn die Arbeiterklasse fühle sich mehr oder weniger mit der KPD verbunden, während das bei einer Partei anderen Namens nicht so sehr der Fall wäre«. Es traf ihn schwer, dass es Genossen waren, die zu einer Namensänderung rieten. Wenn es schon im Politbüro »gegensätzliche Frontstellungen« gebe, »dann dürfte das erst recht im Zentralkomitee und in der Partei insgesamt der Fall sein«. Der Gegner warte nur darauf, eine solche Spaltung der Partei ausnutzen zu können. »Die Namensänderung würde auch die vom Gegner verfolgte gefährliche Taktik einer Neugründung der Partei unterstützen.«72 Während Reimann unbeirrt an seiner Forderung nach einer Aufhebung des KPD -Verbots festhielt, die Genossen in den Politbüros von SED und KPD fruchtlose Diskussionen über die Sinnhaftigkeit eines neuen Namens für eine alte oder neue kommunistische Partei Westdeutschlands führten und sich darüber mehr und mehr zerstritten, verabschiedete der Bundestag einstimmig das 8.  Strafrechtsänderungsgesetz und die von den Kommunisten immer wieder geforderte Generalamnestie für politische Straftäter in der Bundesrepublik. Die Reform des politischen Strafrechts, die am 1. August 1968 in Kraft trat, entzog der bislang praktizierten politischen Strafverfolgung von Kommunisten den Boden. Politische Gesinnungs-, Meinungs- und Kontaktdelikte insbesondere zu Menschen in und aus der DDR wurden gestrichen. Selbst der freie Bezug von Zeitungen, Broschüren und Büchern war jetzt möglich. Die Betätigung für eine rechtskräftig verbotene Partei war zwar weiterhin strafbar, die Betätigung in und für Ersatzorganisationen in Zukunft aber nur noch, wenn der verfassungs71 BArch: BY 1/4350, Information über die gemeinsame Beratung von Mitgliedern des ­Politbüros des ZK der SED mit einer Delegation des Politbüros des ZK der KPD am 29. Mai 1968. 72 Ebd.

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widrige Charakter einer Ersatzorganisation vorher rechtskräftig festgestellt worden war.73 Von entscheidender Bedeutung war die Abschaffung des 1951 in das politische Strafrecht eingeführten Verfolgungszwanges für politische Straftaten. Das »Legalitätsprinzip« wurde durch das »Opportunitätsprinzip« ersetzt. War bislang der Bundesgerichtshof in Karlsruhe Erst- und Letztinstanz politischer Strafverfahren, so wurde jetzt, wie bei der Verfolgung anderer Straftaten auch, ein zweiter, unabhängiger Rechtsweg eingeführt, der die Überprüfung und Revision gefällter Entscheidungen vom Amtsgericht bis zum BGH zuließ. Die große, politische und historische Bedeutung der Reform des politischen Strafrechts von 1968 hat niemand besser auf den Punkt gebracht als der H ­ amburger Justizsenator Ernst Heinsen (SPD) bei Einbringung des 8.  Strafrechtsänderungsgesetzes in den Bundesrat am 14. Juni 1968. Deshalb sei die Begründung auch hier noch einmal zitiert. Die Reform des politischen Strafrechts sei der erste und vordringlichste Teil der geplanten großen Strafrechtsreform, »um die erheblichen rechtsstaatlichen und rechtspolitischen Mängel unseres politischen Strafrechts zu beseitigen, die Inflation der Straftatbestände einzuschränken, die einzelnen Tatbestände klarer zu bestimmen, die vorhandenen Ansätze zu einem Gesinnungsstrafrecht auszumerzen und schließlich die menschlichen Beziehungen zwischen den Bürgern beider Teile Deutschlands zu erleichtern und damit allgemein zur Entkrampfung und Entspannung beizutragen«74. Am 29.  Mai 1968 verabschiedete der Bundestag fast einstimmig bei nur 10 Gegenstimmen das Reformgesetz. Nur einen Monat später, am 28. Juni 1968, verabschiedete der Bundestag, jetzt einstimmig, eine Amnestie für alle bis zum 1.  Juli 1968 begangenen politischen Straftaten. Bei diesem Gesetz handelte es sich um ein wirkliches »Blitzgesetz«, das innerhalb weniger Tage von der SPD Fraktion in den Bundestag eingebracht, beraten und verabschiedet worden war. Die drei Bundestagsfraktionen hatten sich nach einigen, teils heftigen Debatten bereiterklärt, ein derartiges Schnellverfahren zu akzeptieren. »Der Termin zur Verabschiedung eines solchen Gesetzes dränge«, begründete Bundesjustiz­ minister Heinemann die Eile, »da sonst praktisch ein Stillstand der Rechtspflege eintrete, denn die Gerichte warteten nunmehr auf eine Amnestie. Es sei daher gut, wenn noch in dieser Woche die erste, zweite und dritte Lesung stattfinden könne. Der Bundesrat könne dann auch auf seiner Sitzung im Juli dieses Gesetz verabschieden.«75 Unter die Amnestie fielen alle ­Ermittlungsverfahren, alle anhängigen Verfahren und Urteile und alle politischen Straftaten, die nach neuem, politischem Strafrecht nicht mehr oder wesentlich milder bestraft 73 BGBl: I, Nr. 43, 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29.6.1968, S. 741–755. 74 BArch: B 141/25425, Bulletin vom 28. Juni 1966. Zum Kontext Hege: Recht und Justiz, S. 181–219. 75 AdsD: SPD BT-Fraktion, 5. WP, 18.6.1968.

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wurden. Über die genaue Zahl der Amnestierten konnte selbst das Justizminis­ terium keine genauen Angaben machen. In einer Pressemitteilung der SPD Bundestagsfraktion heißt es: »Knapp 1 000 Verfahren, die unter die Amnestie fallen, standen bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten zur Erledigung an.«76 Als sich in der CDU-Fraktion kurz vor dem Ziel noch Widerstand regte, tat der Abgeordnete und ehemalige Oberbundesanwalt Max Güde (CDU) alles, um die Verabschiedung der Amnestie nicht noch zu gefährden. So machte die bis dahin einmalige politische Konstellation einer Großen Koalition und einer besonderen personellen Konstellation von sachkundigen Gegnern der politischen Strafjustiz in allen Parteien möglich, was bis dahin am Widerstand der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien gescheitert war. Am 1. Oktober 1968 trat das Straffreiheitsgesetz in Kraft trat77. Für die SPD war die Amnestie für Kommunisten, »nicht nur ein Akt der Gnade, sondern im Grunde auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Die Reform des politischen Strafrechts hat die Strafbarkeit von Handlungen beseitigt, die in einer freiheitlichen Demokratie eigentlich nicht bestraft werden sollten. In einem solchen Fall würde es niemand verstehen, wenn gegen Personen noch Strafen aus einem Gesetz vollstreckt würden, das politisch verfehlt und rechtsstaatlich teilweise angreifbar war, und das jetzt – spät genug – reformiert worden ist.«78 Im Zuge der Reform des politischen Strafrechts und der Amnestie für Kommunisten, hatte sich in der DDR die politische Lage für die SED von heute auf morgen dramatisch verändert. Die Bundesrepublik war auf dem Weg, die in­ neren und äußeren Verhältnisse in Deutschland und Europa anzuerkennen und neu zu gestalten. Alte Feindbilder verloren ihre Gültigkeit. Wie sollte die SED darauf reagieren? War die Reimann-Partei noch das richtige Instrument, um nicht nur über einen illegalen kommunistischen Apparat, sondern auch über eine legale kommunistische Partei wieder Einfluss in der Bundesrepublik auszuüben? Stellte sich angesichts der beharrlichen Weigerung der Bundesregierung, das KPD -Verbot aufzuheben, überhaupt noch die Frage, ob diese Partei jemals ihre Legalität zurückgewinnen würde? Sollte man nicht die ausgestreckte Hand der Bundesregierung ergreifen und eine neue kommunistische Partei in der Bundesrepublik ins Leben rufen? War das nicht ein günstiger Moment, um Reimann und seine Altkommunisten aus Weimarer Zeit endlich loszuwerden? Brauchte man nicht eine Partei, die williger und unterwürfiger den Kurs der SED gutheißen und unterstützen würde als die KPD, die sich deutlicher denn je von der SED emanzipieren wollte? Gleichsam über Nacht entschied sich das Politbüro des ZK der SED dafür, mit jüngeren und verlässlicheren Genossen aus der KPD eine neue Partei in 76 Ebd., Amnestiegesetz für politische Straftaten, 28.6.1968. 77 BGBl: I, S. 773 ff. Gesetz über Straffreiheit (Straffreiheitsgesetz 1968) vom 9.7.1968. 78 AdsD: SPD BT-Fraktion, 5. WP, Gesetz über Straffreiheit, 20.6.1968.

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der Bundesrepublik zu gründen. Ende Juni 1968 legte das Arbeitsbüro, die im Politbüro für die Steuerung der KPD zuständige Abteilung, erstmals ein Papier vor, in dem von der »Konstituierung« einer neuen kommunistischen Partei die Rede war. Die Gründung sollte und könnte zügig über eine Art »Gründungskonferenz« erfolgen und den Anforderungen des Grundgesetzes und des Parteiengesetzes entsprechen. Auf diesem Weg könnten »alle Organisationen der bisherigen illegalen KPD sofort als Organisationen der auf der Konferenz kon­ stituierten kommunistischen Partei der Bundesrepublik legal zusammentreten und in der Öffentlichkeit aktiv werden. Der auf der Konferenz gewählte Vorstand kann dann ganz normal als zentrale Leitung der Partei in vollem Umfang tätig werden.«79 Parallel zur Verabschiedung und Inkraftsetzung der Reformgesetze in der Bundesrepublik arbeitete die SED mit Hochdruck an der Neukonstituierung der Partei. Der ab jetzt gebräuchliche Ausdruck signalisierte bereits, dass es sich keineswegs um eine Neugründung, sondern eben um eine Neukonstituierung handelte, bei der vieles beim Alten blieb und die sich lediglich neu konstituierte. Ein »Bundesausschuss zur Neukonstituierung einer kommunistischen Partei« wurde ins Leben gerufen, dem ausgewählte Genossen, zumeist KPD -­Mitglieder, angehörten. Einfache Arbeiter bzw. »Proletarier« suchte man unter ihnen vergeblich. Die Mitglieder des Bundesausschusses waren Facharbeiter, E ­ lektriker, Maler, Verlagsangestellte, Journalisten und Kaufleute. Sie kamen aus ganz Deutschland von Wedel bis München, von Saarbücken bis Hildesheim. Auffallend war, dass niemand aus der obersten Führungsebene der KPD vertreten war. Der neue führende Mann, Kurt Bachmann, war eine unscheinbare Person und bis zum Verbot der KPD die rechte Hand von Max Reimann. Er arbeitete jetzt als Journalist der kommunistischen Zeitung Die Tat, lebte in Bonn und nahm das Amt des Vorsitzenden der neuen Partei nur vier Jahre wahr, eher er seinem Nachfolger, Herbert Mies Platz machte, der bis 1990 die DKP führen sollte.80 Bereits am 22. September 1968 trat der Bundesausschuss mit einer ersten Erklärung an die Öffentlichkeit. Darin berief sich die neue kommunistische Partei auf die Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, ohne Namen wie Lenin oder Stalin oder auch jene problematischen Begriffe wie »proletarische Revolution« oder »Diktatur des Proletariats« zu verwenden, die dem Bundesverfassungsgericht schon einmal als Begründung für das Verbot der KPD gedient hatten. Dagegen wurde deutlich herausgestellt, dass es sich bei der neuen kommunistischen Partei um eine Partei der Bundesrepublik handelte. Um das zu verdeutlichen, wurden ganz neue, fast lyrische Töne angeschlagen: »Dieses Land ist unsere Heimat, mit ihrer Bevölkerung teilen wir Freuden, 79 BArch: DY 30/IV 2/10.03-223, Bemerkungen zur Durchführung der Beschlüsse vom 18./19.6.68, 28.6.1968. 80 Vgl. Mensing, Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben, S. 36 ff.

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Sorgen und Hoffnungen.« Und weiter: »Wir achten das Grundgesetz, wir verteidigen die darin verkündeten demokratischen Grundrechte und Grundsätze.« Schließlich: »Auf der Basis der im Grundgesetz proklamierten demokrati­ schen Prinzipien ringen wir um die demokratische Erneuerung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.«81 Ziel sei »die sozialistische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft«. Eine »schematische Nachahmung des in der DDR beschrittenen Weges« komme jedoch nicht infrage. Was das KPD -Verbot anbetraf, hieß es nichtssagend, es sei »an der Zeit, dass es überwunden wird; denn es hat schon 12 Jahre zu lange gedauert«. Entsprechend forderte der Bundesausschuss, dieses Verbot aufzuheben. Die Festlegung der politischen Ziele, die Verabschiedung eines Programms und die Wahl der Leitungsorgane, sei Sache des einzuberufenden Parteitages. Dieser werde »die Willensbildung von unten nach oben und die demokratische Wahl der Leitungen auf allen Ebenen sichern«. Als vorläufigen Namen empfahl der Bundesausschuss: »Deutsche Kommunistische Partei« (DKP). Was war Schein, was Wirklichkeit? Die schönen Worte dürfen den Blick nicht verstellen. Auch die DKP war und blieb, wie ein Blick in die Akten der SED zeigt, eine kommunistische Kader­partei, die den gesamten Gründungsprozess der DKP geplant, kontrolliert und bis ins Kleinste hinein gesteuert hat. Auch den jüngeren Kommunisten der zweiten und dritten Reihe waren der Glaube und die Hoffnung auf eine proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats nicht verloren gegangen. Kamen doch die neuen DKP-Mitglieder zumeist aus der KPD. Auch die neuen Funktionäre hatten die Kaderschule der SED durchlaufen. Wie für die KPD war das Arbeitsbüro des Politbüros der SED ab sofort auch für die DKP zuständig. Natürlich bestand die SED -Führung dar­ auf, dass Parteidisziplin und demokratischer Zentralismus auch bei der DKP konsequent eingehalten wurden. Im Grunde lief alles ähnlich ab wie in den frühen Fünfzigerjahren, als die westdeutsche KPD auf SED -Kurs getrimmt wurde. Die Probleme waren zwar andere, aber keineswegs geringer. Schließlich gab es auf einmal nicht nur zwei, sondern sogar drei kommunistische Parteien in Deutschland. »Die legale Formierung einer kommunistischen Partei in der Bundesrepublik ist ein Ereignis von großer Tragweite«, hieß es in einer Vorlage für die SED Führung. »Es stellt die Marxisten-Leninisten in beiden deutschen Staaten vor Probleme, wie es sie zu keinem Zeitpunkt der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung gegeben hat.« Dennoch sei dieser Schritt richtig gewesen, da »die Legalisierung der illegalen KPD gegenwärtig und in absehbarer Zeit nicht real sein wird«. Allerdings werde es eine Reihe von Problemen geben, die rechtzeitig erkannt und gelöst werden müssten. Dazu zähle der Versuch der »imperialisti81 BArch: DY 30/IV 2/10.03/4, Erklärung zur Neukonstituierung einer Kommunistischen Partei, 22.9.1968.

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schen Kräfte« in der Bundesrepublik, »die Partei in eine Situation zu drängen, sich von der SED und anderen Bruderparteien abzugrenzen«. Ferner werde der »Gegner« nichts unversucht lassen, »um die Partei von innen her aufzurollen, den demokratischen Zentralismus zu zerbröckeln, unter dem Deckmantel der innerparteilichen Demokratie, der ›Willensbildung von unten‹ u. a. einen Liberalisierungsprozess einzuleiten«. Schließlich dürfe nicht übersehen werden, »dass die Neukonstituierung auch in den eigenen Reihen, in der Partei selbst, wie auch bei den Bruderparteien, Probleme und Fragen aufwirft, die vor allem in der praktischen Politik beantwortet werden müssen«.82 Das vielleicht größte Problem war die Frage, wie sich das Verhältnis der j­ ungen legalen DKP zur alten illegalen KPD entwickeln würde. Deshalb musste eindeutig klargestellt werden: »Die DKP ist die legale marxistisch-leninistische Kampfpartei der westdeutschen Arbeiterklasse, und daneben besteht die KPD als illegale marxistisch-leninistische Kampfpartei.« Das bedeutete, auch in Zukunft musste es eine legale und eine illegale Partei geben. »Die KPD muss bestehen bleiben, denn sie darf sich nicht selbst durch ihre Auflösung – wie das von einigen Genossen der KPD beabsichtigt war – zum Vollstrecker des Karlsruher Urteils machen. Der Kampf gegen das KPD -Verbot als Teil des Kampfes gegen die reaktionäre Bonner Innen- und Außenpolitik verlangt das Weiterbestehen der KPD.«83 Der Kalte Bürgerkrieg sollte zumindest in den Köpfen der SED Genossen wie bislang weitergehen. Die Frage war nur, wie schnell derartige Wunschvorstellungen von der Wirklichkeit eingeholt würden. Unterdessen ging der Liberalisierungsprozess in der Bundesrepublik weiter, so dass im Laufe des Jahres 1968 mehr und mehr KPD -Funktionäre aus der DDR in den Westen zurückkehrten. Dies war auch Teil der »­Legalisierungsstrategie« der KPD. Die Genossen sollten in der Bundesrepublik einen festen Wohnsitz nehmen und sich polizeilich anmelden, um ihre Tätigkeit für die KPD »­legal« fortzusetzen. Die zurückkehrenden Kommunisten nahmen dabei in Kauf, dass gegen sie wegen Verstoßes gegen das KPD -Verbot ermittelt und Strafverfahren eingeleitet würden. Sie hofften jedoch, dass die Gerichte mit Rücksicht auf die sich wandelnden politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik keine Freiheitsstrafen verhängen würden.84 Nachdem am 1. Oktober die Generalamnestie für Kommunisten in Kraft getreten war, berichteten am 10. Oktober die Medien, der Generalbundesanwalt werde in den nächsten Tagen beim Bundesgerichtshof die Aufhebung des Haftbefehls gegen den Vorsitzenden der KPD, Max Reimann, beantragen. Tags darauf bestätigte das Bundesjustizministerium, dass Reimann eine Verhaftung nicht mehr befürchten müsse, da der 1953 82 BArch: DY 30/IV2/10.03/4, Arbeitsbüro, Neukonstituierung einer kommunistischen Partei, 30.9.1968, S. 3. 83 Ebd., S. 5. 84 LAV NRW R: NW 614/1155. LfV Düsseldorf, Zurückkehrende KPD -Funktionäre, 1.8.1968.

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gegen ihn verhängte Haftbefehl wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens inzwischen verjährt sei. Am 18. Oktober teilte das Gericht mit, dass der Haftbefehl gegen Reimann aufgehoben worden sei.85 Die Rückkehr des 1. Sekretärs der illegalen KPD war nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für die DDR ein politisch schwieriges Ereignis. So verwundert es nicht, dass die SED zögerte, den prominenten Kommunisten überhaupt in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen. Zwar konnte aufgrund von SED internen Überlegungen, einige unerfüllbare Zusagen von der Bundesregierung zu verlangen, der Zeitpunkt für Reimanns Rückkehr in den Westen um vierzehn Tage hinausgezögert werden. Hierzu gehörte etwa die Forderung, »dass ein Betreten der Bundesrepublik durch den Genossen Reimann verbunden sein muss mit Garantien und mit Sicherheit dafür, dass das Verbot der KPD aufgehoben wird«86. Verhindern ließe sich damit eine Rückkehr Reimanns in die westdeutsche Heimat aber nicht. Alles andere hätte der SED mehr geschadet als genutzt. Außerdem dürfte Reimann angesichts der großen Resonanz, die er und seine Initiative für eine Aufhebung des KPD -Verbots seit fast zwei Jahren in der Bundesrepublik hatten, nicht lange gezögert haben, sein innerdeutsches Exil so schnell wie möglich zu verlassen. Sein neues Zuhause fand er in einem bescheidenen Bungalow in Rheinhausen, das vorher von Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz von innen und außen bis in alle Rohre hinein, inspiziert worden war.87 Ordentlich wie auch deutsche Kommunisten nun einmal sind, galt sein erster Weg in der Freiheit dem Einwohnermeldeamt in Düsseldorf, wo er sich am 15. November 1968 amtlich anmeldete, einen Personalausweis und einen Reisepass beantragte.88 Am 19. November gab Reimann seine erste Pressekonferenz.89 Das Echo war groß. Zirka 80 Journalisten nahmen teil. Alle Medien (Fernsehen, Rundfunk, große Zeitungen) waren vertreten. Zur Person erklärte Reimann, er sei »Vorsitzender der KPD seit 1948« und »Leiter der Kommission für Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Wiederzulassung der KPD«. Dass er in der Bundesrepublik wieder öffentlich auftreten und eine legale kommunistische Partei, die DKP, wieder offen wirken könne, sei »ein Erfolg der demokratischen Kräfte des In- und Auslandes«. Mit der Neukonstituierung der DKP sei das Problem des KPD -Verbots nicht gelöst. Eine kommunistische Partei, die auf den Mar­ 85 LAV NRW R: NW 614/1156, Innenminister NRW, Rückkehr Reimanns in die Bundes­ republik, 5.12.1968. 86 BArch: DY 30/IV 2/10.03/5, Spangenberg (Arbeitsbüro) an Erich Glückauf ZK der KPD). Vgl. auch Müller: Gründung und Frühgeschichte der DKP, S. 267. 87 LAV NRW R: NW 614/1157, diverse Berichte. 88 LAV NRW R: NW 614/1156, Innenminister NRW, Rückkehr Max Reimanns in die Bundesrepublik, 5.12.1968. 89 LAV NRW R: NW 614/1155, Polizeipräsident Düsseldorf an Innenminister Kirn NRW, PK Reimann, 22.11.1968.

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xismus-Leninismus verzichte, sei »unannehmbar, da eine solche Partei aufhöre, eine kommunistische Partei zu sein«. Er habe die Bildung der DKP begrüßt, sei jedoch kein Mitglied dieser Partei. Er glaube auch nicht, »dass nach einer ›Wiederzulassung‹ der KPD die DKP weiterbestehen werde«. Seine Aufgabe sehe er vor allen Dingen darin, weiter für die Aufhebung des KPD -Verbots zu kämpfen. Er werde bei seinen öffentlichen Auftritten, wo auch immer, darauf hinweisen, »dass das Verbot fallen müsse«. Der Kampf um eine Aufhebung des KPD -Verbots sei »Teil des Ringens um eine neue Politik«. Er werde auch künftig seine Vorstellungen von einer fortschrittlichen und demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik darlegen. Dazu gehöre, »die Macht des Großkapitals zurück­ zudrängen, den Einfluss der Arbeiterschaft auf das politische Leben zu stärken, die ›Revancheforderungen‹ und den Alleinvertretungsanspruch zu bekämpfen, die DDR und die bestehenden Grenzen in Deutschland und Europa anzuerkennen«. Ferner wandte er sich gegen die Notstandsgesetze und sprach sich gegen eine verstärkte, vor allem atomare Aufrüstung der Bundeswehr aus. Schließlich wies Reimann darauf hin, dass Bundeskanzler Kiesinger und zahlreiche andere hochrangige Personen des Staates »ehemalige Angehörige der NSDAP« seien oder »der Hitler-Diktatur an maßgeblicher Stelle gedient«90 hätten. Eine erste Kundgebung mit Max Reimann fand am 23.  November 1968 in der Dortmunder Westfalenhalle statt. Derartige Veranstaltungen wurden jetzt von einem Kuratorium »Max-Reimann-Kundgebungen« durchgeführt, das aus ehemaligen Funktionären der KPD bestand. Laut Observationsbericht des Verfassungsschutzes verließ Reimann am 26. November 1968 über den Grenzkontrollpunkt Helmstedt wieder die Bundesrepublik.91 In Ostberlin wartete neue Arbeit auf ihn. Dort beriet und beschloss in den nächsten Tagen nicht etwa das vorläufige Leitungsgremium der DKP, sondern das ZK der KPD in engster Abstimmung mit dem ZK der SED, »sämtliche entscheidenden Weichenstellungen für den Gründungsprozess der DKP«92. Die Diskussionen über die »Neukonstituierung« der DKP verliefen alles andere als konfliktfrei, zumal die Mehrheit im Politbüro der KPD bereits zu den Unterstützern der Neugründungsidee gehörte. Hinzu kam, dass sämtliche Vorlagen und Beschlüsse vom Politbüro des ZK der SED bestätigt werden mussten. Schließlich musste das Ganze auch noch dem Sekretariat des ZK der KPdSU in Moskau vorgelegt, erläutert und von diesem genehmigt werden. So gestaltete sich die Neu-Konstituierung der kommunistischen Partei als »ein quälend langsamer Entscheidungsprozess«93, der erst Ende 1971 zum Abschluss kam. Während Reimann durch einen nicht enden wollenden Kampf um die Aufhebung 90 91 92 93

LAV NRW R: NW 614/1156, Innenminister NRW, Kurzinformationen, 5.12.1968. Ebd., S. 3. Müller: Gründung und Frühgeschichte der DKP, S. 271. Ebd., S. 276.

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des KPD -Verbots der alten Partei wieder neues Leben einhauchen wollte, wollte Ulbricht genau das Gegenteil. »Die geringe Massenwirksamkeit der DKP« hing für ihn direkt »mit dem zu starken Einfluss der alten Kommunisten« zusammen. »Man muss also den Einfluss alter Kommunisten in den Leitungen vermindern. Es geht nicht so, dass die KPD erst bei jedem politischen Schritt der DKP den politischen Stempel geben muss.«94 Der Hauptgrund für den besonders mühsamen Prozess der Neu-Konstituierung lag in der sich zunehmend verschärfenden Machtrivalität zwischen Walter Ulbricht und Max Reimann. Nur zu gern wäre der Generalsekretär der SED den 1. Sekretär der KPD auf einen Schlag losgeworden. Doch mit wem sollte dann die neue Partei aufgebaut werden? Das konnte nur mit erfahrenen ­Funktionären der KPD geschehen. Auch hatte Reimann mit seiner Kampagne zur Aufhebung des Parteiverbots enorm an Statur, Einfluss und Popularität gewonnen, so dass er nicht von heute auf morgen beseitigt werden konnte. Während Ulbricht die gute alte KPD auf einen illegalen Apparat zur Aufhebung des KPD -Verbots ­reduzieren wollte, wollte Reimann das genaue Gegenteil erreichen, nämlich die KPD zu neuem Leben erwecken. Was ihm vorschwebte war eine von der SED unabhängige, sozial fortschrittliche, national gesinnte, gesamtdeutsch operierende Partei auf dem Boden des Grundgesetzes. Sein Vorbild schien mehr und mehr der Reformkommunismus west- und südeuropäischer Prägung zu werden. Reimann träumte von einer Partei, die Mittlerdienste für eine neue Ostpolitik, für die Anerkennung der DDR und Freundschaft mit der Sowjetunion leisten könnte. Sie sollte für ein friedliches und demokratisches Deutschland eintreten und natürlich die Arbeiterklasse vertreten und gleichzeitig interessant für Sozialdemokraten und bürgerliche Schichten werden. Voraussetzung dafür war ein erfolgreicher Kampf zur Aufhebung des KPD -Verbots. Was Ulbricht suchte und brauchte waren nationale Anerkennung und Legitimation seiner Herrschaft, der Herrschaft der SED. Dazu brauchte er von Beginn an eine legale Partei und einen illegalen Apparat, um in der Bundesrepublik ein positives Umfeld für das Wachsen und Gedeihen der DDR zu schaffen. Das hatte aus seiner Sicht die KPD nicht geschafft. Seit dem Verbot der Partei gab es nur noch den illegalen Apparat. Was Ulbricht brauchte, war eine neue legale Partei, eine Relegalisierung der KPD war nach allem, was aus der Bundesrepublik herübertönte, pure Illusion. Deshalb wollte die SED im Grunde genau das, was der »Gegner« anbot, die Gründung einer neuen kommunistischen Partei. Eine Idee, die die SED schon seit dem Verbot der KPD hatte und die anfangs auch von der großen Bruderpartei, der KPdSU, unterstützt worden war. Die von Max Reimann engagiert betriebene Kampagne hatte für die SED wie für die KPdSU nur taktische Bedeutung. Das wurde bei einer Besprechung der KPD 94 BArch: DY 30/IV2/10.03/77, Fragen der revolutionären Arbeiterbewegung in Westdeutschland, 16.1.1969.

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Führung mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Leonid I. Breschnew, sehr deutlich, als dieser betonte: »Wir werden weiterhin für die Anerkennung der DDR , für die Legalität der KPD eintreten. In Artikeln und mit anderen Mitteln, so dass mit dem Kampf um Legalität der KPD der Politik der Regierung Schläge zugefügt werden. Wir werden zeigen, dass in Westdeutschland keine Demokratie herrscht. Wir werden gegen die nazistische Gefahr auftreten. So ist unsere Linie.«95 Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis der verkorkste Neustart der DKP in halbwegs geordnete Bahnen gelenkt werden konnte. Am 12. März 1971 – in Bonn regierte inzwischen die Regierung Brandt/Scheel – traten die Spitzen der drei kommunistischen Parteien in Deutschland, der Staatspartei der SED, der legalen DKP und der illegalen KPD zusammen, um einen Ausweg aus der Dauerkrise zu finden. Das Ergebnis wurde in einem streng vertraulichen Papier festgehalten, das nur mit »März 1971« datiert ist. Insgesamt acht Exemplare wurden davon gefertigt, eins davon befindet sich in den Akten des »Büros Walter ­Ulbricht«. Im Mittelpunkt stand die Frage, »wie der Kampf um die Aufhebung des Verbots der KPD fortgesetzt und die Führungstätigkeit der DKP politischideologisch und auch personell verstärkt wird«96. Im Einzelnen wurde beschlossen: »Der Kampf um die Aufhebung des KPD Verbots wird weiterhin als eine dringende Aufgabe betrachtet.« Die SPD-­geführte Bundesregierung denke nicht daran, »dieses widerrechtliche Verbot aufzuheben, um gestützt auf das alte, gegen die KPD gerichtete Urteil das Instrument zu haben, die Tätigkeit der DKP einzuschränken, zu erschweren und gegebenenfalls auch administrativ gegen sie sowie gegen andere demokratische Kräfte vorgehen zu können«. Hieraus ergäbe sich die Notwendigkeit, »den Kampf um die Aufhebung des Verbots im Innern des Landes wie auch international zu verstärken«. Einigkeit wurde darüber erzielt, »dass die DKP die Forderung nach Aufhebung des KPD -Verbots forciert, die Anleitung der vorhandenen Gremien übernimmt, mit dem Ziel, diese Gremien zu erweitern und ihnen behilflich zu sein, mit neuen Initiativen hervorzutreten. Die DKP wird auch in dieser Richtung international tätig werden.« Mit der Übertragung dieser Aufgabe an die DKP war das Schicksal der KPD besiegelt, wie aus dem Einigungspapier hervorgeht. »Weiter haben wir uns darüber verständigt, dass die DKP zur alleinigen kommunistischen Partei der Bundesrepublik wird, dabei gehen wir aber davon aus, dass die KPD sich nicht auflöst und dass auch nicht der Eindruck einer Verschmelzung von KPD und DKP entsteht. »Da wir wollen, dass alle Kommunisten der DKP beitreten und 95 BArch: DY 30/IV 2/10.03/227, Gedächtnisprotokoll, Begegnung von Delegationen der KPdSU und der KPD in Moskau, 22.–23.5.1967. 96 BArch: DY 30/3548, Protokoll über die Einigung von SED, DKP und KPD, vom 12.3.1971, ohne Überschrift, ohne Verfasser und ohne Namen der Teilnehmer.

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in der DKP tätig werden, müssen wir sowohl bei unserer Taktik gegenüber dem Gegner, wie auch zur weiteren Entfaltung des Kampfes für die Aufhebung des KPD -Verbots die weitere Existenz der KPD in geeigneter Weise und je nach Situation sichtbar machen.« Die Zuständigkeit für den »Freiheitssender 904« ging ebenfalls von der KPD auf die DKP über. Die Steuerung der Westpartei durch die SED blieb auch im Fall der DKP in den wichtigsten Bereichen erhalten. Erich Glückauf und Erich Jungmann wechselten vom ZK der KPD zum ZK der SED über und wurden zu Kontrolleuren der DKP oder wie es verklausuliert im Einigungspapier heißt: »zu bevollmächtigten Beauftragten des Präsidiums der DKP« ernannt. Die SED Genossen übernahmen »im Rahmen der Tätigkeit des Präsidiums ­Aufgaben, die im Zusammenhang mit der weiteren Ausarbeitung ideologischer, politischer, perspektivischer Aufgaben stehen«. Schließlich wurde Otto Niebergall, langjähriger Chef der Parteikontrollkommission der KPD in dieser Funktion auch für die DKP tätig. Blieb nur noch die Frage, was mit Max Reimann geschehen sollte? »Wir haben uns darauf geeinigt«, so die Antwort, »dass Genosse Max Reimann auf dem Parteitag [der DKP im November 1971, J. F.] zum Ehrenvorsitzenden gewählt wird, zum Vorsitzenden Genosse Kurt Bachmann und zu seinem Stellvertreter Genosse Herbert Mies. Offensichtlich hatte Reimann darauf bestanden, nicht nur Ehrenvorsitzender, sondern auch tatsächlich verantwortlicher V ­ orsitzender der DKP zu werden. Jedenfalls lautete der Beschluss im Einigungsprotokoll: »Genosse Max Reimann wird in seiner Eigenschaft als Mitglied des Partei­ vorstandes und als Ehrenvorsitzender voll verantwortlich Leiter des Präsidiums sein.«97 Mit diesen Beschlüssen, zumal dem letzten, der den KPD -Vorsitzenden fak­ tisch reaktivierte, war die Metamorphose der KPD zur DKP keineswegs abge­ schlossen. Reimann machte noch einige Sperenzien, bevor er sich mit dem Schicksal, nicht mehr 1.  Sekretär des Politbüros der KPD zu sein, abfinden konnte. Ausgerechnet auf einer Fahrt nach Moskau, an der Reimann auf ausdrücklichen Wunsch des ZK der KPdSU teilnahm, kam es zum Eklat. Als Herbert Mies im Auftrag des Präsidiums der DKP Reimann aufforderte, »freiwillig auf jeden Führungsanspruch zu verzichten«, reagierte dieser verletzt und drohte, persönliche Konsequenzen zu ziehen. »Er wertete den Vorstoß als Vertrauensentzug durch die Parteigremien, lehnte die Ehrenpräsidentschaft nun von sich aus ab und kündigte an, ins Exil in die DDR zurückzugehen.«98 Heftige persönliche Auseinandersetzungen waren die Folge. Selbst die KPdSU musste sich vermittelnd einschalten. Das Ergebnis war: Reimann erhielt zwar den Ehrenvorsitz, durfte jedoch die Leitung des Präsidiums und damit die 97 Ebd., S. 3. 98 Müller: Gründung und Frühgeschichte der DKP, S. 282.

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F ­ ührung der DKP nicht übernehmen. Die sowjetischen Genossen Ponomarjow, Suslow und Sagladin stimmten dieser Lösung ausdrücklich zu. Dem Spruch aus Moskau hatte Reimann sich zu beugen und tat dies auch.99 Was für eine Partei war nun die DKP? War sie eine neue, unabhängige und eigenständige Partei? Oder war sie im Kern nichts anderes als die frühere KPD? Schon ein Jahr zuvor hatte Moskau in einer Unterredung mit der DKP-­ Führung am 6. Januar 1970, der intensive Beratungen mit Walter Ulbricht und Erich Honecker vorausgegangen waren, den Kurs der SED in Sachen »Neukon­ stituierung« erneut bestätigt. Die Vertreter des ZK der KPdSU waren mit der Schaffung einer legalen kommunistischen Partei einverstanden. Besonders erfreut zeigte sich Ponomarjow darüber, dass die marxistisch-leninistische Ausrichtung der DKP nicht infrage gestellt werde: »Die DKP ist eine marxistischleninistische Partei. Uns sind auch die taktischen Überlegungen bekannt, die maßgeblich dafür sind, dass solche Begriffe wie Diktatur des Proletariats, pro­ letarischer Internationalismus-Leninismus in den Dokumenten nicht angewandt werden.« Ferner hob er hervor, dass der Kampf um die Aufhebung des KPD -Verbots unbedingt weitergeführt werden müsse. »Dazu möchten wir alle Hilfe geben.« Daran, dass die neue DKP die alte KPD in neuem Gewande war, bestand in Moskau kein Zweifel, wie Suslow abschließend formulierte: »De facto seien die Kommunisten der Bundesrepublik in die DKP eingegangen.«100 Schließlich sollte die DKP auch für die DDR die gleiche politische Funktion übernehmen, wie sie schon die KPD wahrgenommen hatte, nämlich die Politik der DDR in jeder Hinsicht loyal und beflissen zu unterstützen. Nach dem Ende des deutsch-deutschen Kalten Bürgerkriegs ging es nicht mehr um die ­Propagierung einer »Politik der nationalen Wiedervereinigung« zur Schaffung einer Deutschen Demokratischen Republik in ganz Deutschland, sondern um die Entwicklung der sozialistischen Nation und die Abgrenzung der beiden deutschen Staaten voneinander. So wurde der DKP von der SED ins Stammbuch geschrieben: »Die DDR ist der sozialistische deutsche Nationalstaat, in dem die Arbeiterklasse die Macht ausübt und sich die sozialistische Nation entwickelt. Der Prozess der weiteren und völligen Abgrenzung beider Systeme und der sie repräsentierenden Staaten ist objektiv bedingt. Die Stärkung der ­sozialistischen DDR sowie die vollständige Durchkreuzung aller revanchistischen Pläne der Imperialisten der BRD gegen die DDR dienen den Interessen der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Kräfte der BRD.« Deshalb sei es die Aufgabe der Kommunisten in der Bunderepublik, »die Arbeiterklasse der BRD – besonders die Arbeiterjugend – zur Klassensolidarität und zur Freundschaft mit der DDR zu gewinnen umso mehr, als der Imperialismus der BRD, der Feind der 99 Ebd., S. 283. 100 BArch: DY 30 J IV 2/202-122, Spangenberg an Matern, Gespräch der Delegation der DKP mit den Genossen der KPdSU, 6.1.1970.

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Arbeiterklasse der BRD, seinen Hauptstoß nach außen gegen die sozialistische DDR richtet.«101 Die DDR ließ sich eine derartige Klassensolidarität mit der SED wie zu KPD Zeiten auch künftig etwas kosten. Im letzten Finanzplan der DDR aus dem Jahr 1989 waren in einem Sonderfonds der SED 48 Millionen DM für die DKP, Jugendorganisationen und sonstige befreundete Organisationen ausgewiesen. Für die Finanzierung von Wahlkämpfen und Friedensaktivitäten standen zusätzliche Mittel in Höhe von 4,9 Millionen DM zur Verfügung. Außerdem verfügte Staatssekretär Alexander Schalck-Golodkowski in seinem Arbeitsbereich »Kommerzielle Koordinierung« (KoKo) über zusätzliche Beträge von 10,3 Millionen DM für die Finanzierung des DKP-Organs Unsere Zeit (UZ ) und weitere 1,5 Millionen DM für Druckaufträge aus der DDR an eine Neusser Druckerei. Als die SED -Quellen 1990 nach der erfolgreichen Revolution in der DDR versiegten, wurden 570 Parteimitarbeiter »betriebsbedingt« entlassen. Weitere 900 Partei-Rentner standen buchstäblich vor dem Nichts, da ihre Parteirenten nicht mehr bezahlt werden konnten.102 Keine Frage: Die DKP war personell, ideologisch, organisatorisch, finanziell und was die instrumentelle Funktion der Abhängigkeit von der SED betrifft die legale Fortsetzung der illegalen KPD. Dies war auch den politischen Akteuren der Großen Koalition unter Kiesinger und Brandt (1966 bis 1969) bewusst. Möglicherweise hätte ein Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der DKP eine größere Chance gehabt als der Antrag der Bundesregierung vom 21. November 1951 gegen die KPD. Im Unterschied zu den Anfängen des Kalten Bürgerkriegs hatte dieses Mal die SPD als Koalitionspartner der CDU/CSU die Chance, einen solchen Antrag zu verhindern. Während 1951 nur ein Verbot der KPD ein von den Besatzungsmächten gefordertes Einschreiten gegen die rechtsradikale SRP politisch möglich machte, war es 1968 geradezu umgekehrt. Nur ein Verzicht auf einen erneuten Verbotsantrag gegen eine linksradikale Partei, dieses Mal die DKP, machte einen Verzicht auf ein erneutes Verbot gegen eine rechtsradikale Partei, dieses Mal die NPD, politisch möglich. So stand im Unterschied zum Anfang das Ende des deutsch-deutschen Kalten Bürgerkriegs ganz im Zeichen eines »historischen Kompromisses«, statt wie 1951 beide Parteien zu verbieten, 1969 weder die NPD, noch die DKP zu verbieten. Am 2.  April 1968, mitten in politisch bewegten Zeiten, übernahm Ernst Benda (CDU) von Paul Lücke das Amt des Bundesinnenministers. Schon bald profilierte er sich als Verfechter eines NPD -Verbots, das in konservativen Kreisen wie seiner Zeit 1951 sofort den Wunsch weckte, dann auch gleich die DKP mit verbieten zu lassen. Gegen Ende des Jahres erhielt Benda vom Kabinett den Auftrag, neben Erwägungen über Maßnahmen »gegen rechtsradikale 101 BArch: DY 30/3548, Besprechung mit Genossen der DKP, 25.1.1971, S. 6. 102 Roik: Die DKP und die demokratischen Parteien, S. 109 und S. 114.

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Bestrebungen« auch »Überlegungen über ein evtl. Einschreiten gegen den Linksradikalismus anzustellen«103. In einer umfangreichen Kabinettsvorlage kam er zu dem Ergebnis, dass die DKP die Fortsetzung der KPD sei. Entsprechend lautete der Beschlussvorschlag: »Das Kabinett nimmt zustimmend davon Kenntnis, dass der BMI beabsichtigt, nach Maßgabe der bestehenden recht­ lichen Möglichkeiten zu gegebener Zeit gegen die DKP einzuschreiten.«104 Bundesjustizminister Heinemann wandte sich entschieden gegen die ­Vorlage seines neuen Kollegen Benda (CDU), der Ende 1971 Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden sollte. Eine abschließende rechtliche Beurteilung, ob gegen die DKP als Fortsetzung oder als Ersatzorganisation der KPD vorgegangen werden könne oder nur ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfas­ sungsgericht infrage komme, sei zurzeit kaum möglich. Die Konstituierung der Partei sei erst vor kurzem erfolgt, ein Programm liege noch nicht vor. Die weitere Entwicklung der Partei sollte aufmerksam beobachtet werden, ehe irgend­ welche Maßnahmen eingeleitet würden. Ferner dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die DKP auch auf Empfehlungen offizieller Stellen in der Bundesrepublik, wie z. B. der Innenminister der Länder, als eine neue kommunistische Partei gegründet worden sei. Mit derartigen Empfehlungen staatlicher Organe sei es kaum zu vereinbaren, »jetzt die neugegründete Partei als eine Fortsetzung der KPD zu deklarieren«. Im Ergebnis kam Heinemann zu dem Schluss: »Ich kann mich daher im Augenblick Ihrem Votum nicht anschließen. Insbesondere kann ich nicht der Absicht beitreten, zu gegebener Zeit gegen die DKP einzuschreiten.« Vielmehr bat er den Bundesinnenminister zu erwägen, ob es politisch ratsam sei, »das Thema DKP zurzeit überhaupt im Kabinett zu behandeln.«105 Benda blieb bei seiner Vorlage, ergänzte die abweichende Meinung des Justizministers und nahm den Beschlussvorschlag heraus, der ihn ermächtigen sollte, zu gegebener Zeit entsprechende Schritte gegen die DKP einzuleiten. Am 23.  April 1969 befasste sich das Bundeskabinett ausführlich mit Maßnahmen gegen den politischen Radikalismus. Benda sprach sich dafür aus, »einheitlich gegen rechts und links vorzugehen«. Er wurde darin von den CDU-Mitgliedern unterstützt. Wie Bundeskanzler Adenauer 1951, hielt Bundeskanzler Kiesinger 1969 es »politisch nicht für möglich, nur gegen eine Seite vorzugehen«. In seiner Partei sei »die überwiegende Mehrheit dagegen, jetzt beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD zu beantragen. Nach Abwägung des Für und Wider sprach er sich »im gegenwärtigen Zeitpunkt gegen einen solchen Antrag aus«. Während die CDU/CSU-Minister die Position des Bundeskanzlers unterstützten, sprachen sich die SPD -Minister gegen eine Gleichsetzung von 103 BMJ-Archiv: 1050 E (3), BMI an BMJ, Maßnahmen gegen die DKP, 7.2.1969. 104 Ebd., S. 17. 105 Ebd.

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rechts und links aus. Bundesaußenminister Willy Brandt (SPD) bezweifelte, »ob es notwendig und angebracht ist, gegen rechts und links gleichmäßig vorzugehen. Im Falle der DKP sei von Anfang an nichts anderes als die Wiederholung alter kommunistischer Parolen zu erwarten gewesen. Trotzdem seien die Kommunisten öffentlich aufgefordert worden, eine Partei zu gründen. Dies sei schon deshalb besser, weil man sie dann besser beobachten und kontrollieren könne. Wenn man dagegen nichts gegen die NPD unternähme, »seien außenpolitische Schwierigkeiten zu erwarten«. Angesichts unterschiedlicher Positionen und der anstehenden Bundestagswahl, verzichtete die Bundesregierung darauf, irgendwelche Maßnahmen gegen die NPD, die DKP oder auch den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) zu beschließen. Stattdessen verständigte sich die Bundesregierung – aus der Not eine Tugend machend  – auf folgende Erklärung für die Presse: »Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die extremen Strömungen und radikalen Parteien in der Bundesrepublik, abgesehen von den rechtlichen Möglichkeiten, in offener Auseinandersetzung politisch bekämpft werden müssen. Sie geht dabei von der ­Gewissheit aus, dass die radikalen Gruppen Randerscheinungen der deutschen Demokratie sind und auch bleiben werden, weil die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den Radikalismus in jeder Form ablehnt.«106 Mit dieser Erklärung des Kabinetts war der Mechanismus von rechts gleich links von 1951 aufgehoben und das Ende des Kalten Bürgerkriegs in Deutschland besiegelt. Ob tatsächlich der Kalte Bürgerkrieg zu Ende war, wenn eine Seite die Waffen streckte, konnte nur die Zukunft zeigen. Die Bundesrepublik hatte jedenfalls mit der Reform des politischen Strafrechts, der Amnestie für Kommunisten und der Bereitschaft, die Gründung einer neuen kommunistischen Partei zu akzeptieren, einen enormen Sprung auf dem Weg nach mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Liberalität und mehr Demokratie getan. Die DDR nahm eine entgegengesetzte Entwicklung. Das ebenfalls 1968 eingeführte neue Strafgesetzbuch der DDR sah ein verschärftes politisches Strafrecht vor. Es diente, wie es in der Präambel hieß, »im Besonderen dem entschiedenen Kampf gegen die verbrecherischen Anschläge auf den Frieden und die Deutsche Demokratische Republik, die vom westdeutschen Imperialismus und seinen Verbündeten ausgehen und die Lebensgrundlagen unseres Volkes bedrohen«107. Und was geschah mit Max Reimann, dem Anführer der westdeutschen Arbeiterklasse und Kämpfer zwischen den Fronten im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg? Im September 1971 trat er in die DKP ein. Nach seinem Eintritt entwickelte er eine lebhafte Vortragstätigkeit. Im Mittelpunkt stand die Forderung nach Aufhebung des KPD -Verbots. Auf dem 2. Parteitag der DKP 106 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Maßnahmen gegen den politischen Radikalismus, 23.4.1969. 107 Das Strafgesetzbuch der DDR , S. 16.

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im November 1971 wurde er zum Ehrenpräsidenten der DKP gewählt. Bei der Bundestagswahl im November 1972 kandidierte er im einstmals roten Solingen für die DKP. Auf Reimann entfielen 1,1 % der Erststimmen, auf die DKP 0,8 % der Zweitstimmen. Zu seinem 75. Geburtstag am 31. Oktober 1973 überbrachte Albert Norden die Glückwünsche des ZK der SED und zeichnete ihn im Auftrag von Partei-und Staatschef Erich Honecker mit dem Orden ›Stern der Völker­ freundschaft in Gold« aus. Am 18. Januar 1977 starb Max Reimann 78 jährig in Düsseldorf.108

108 LAV NRW R: NW 614/1161, Max Reimann, Biografische Angaben, 14.2.1974.

11 Schlussbetrachtung

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»Verfassungswidrig!« ist eine neue Erzählung zur Nachkriegsgeschichte der Deutschen in der Epoche des Kalten Kriegs und des Kalten Bürgerkriegs. Im Mittelpunkt steht die KPD, die – gesteuert von der SED und verfolgt von der Bundesrepublik – ein wichtiges Instrument beider Seiten im Kalten Bürgerkrieg war. Dieser datiert von der Gründung der beiden deutschen Staaten und deren kurzer Vorgeschichte (1948/9) bis zur Anerkennung des Status quo im Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (1972). Der Kalte Bürgerkrieg war ein Sonderkonflikt im Kalten Krieg. Gemeinsam war der Kampf gegen den Kommunismus bzw. den Imperialismus der jeweils anderen Seite. Deutlich unterschieden sich jedoch die langfristigen Ziele und Strategien im internationalen Kalten Krieg und im nationalen Kalten Bürgerkrieg. Während es im Kalten Krieg um die Stabilisierung und Sicherung der neu hinzu gewonnenen Macht- und Einflusssphären auf der Basis der Teilung Deutschlands ging, ging es im Kalten Bürgerkrieg um die nationale Legitimation der doppelten Staatswerdung in Deutschland. Ein neuer deutscher Nationalismus entstand, ein »antikommunistischer Nationalismus« in der Bundesrepublik, ein »antiimperialistischer Nationalismus« in der DDR . Beide zielten auf die Überwindung des Status quo. Im Westen: ein »Dreigeteilt niemals!«, von Bonn bis Königsberg. Im Osten: ein sozialistischer Staat von der Oder bis zum Rhein. Beides blieb Illusion. Was ist neu an diesem Buch? Neu ist die Fülle der erstmals ausgewerteten Quellen. Im Rahmen der wissenschaftlichen Recherchen gelang ein großer Fund. In den Kellern des Bundeskanzleramts, der Bundesministerien und deren nachgeordneten Behörden, aber auch in den Tresoren der Bundes- und Landesarchive schlummerten unentdeckt Millionen bis dahin geheim gehaltener Akten zur Geschichte der frühen Bundesrepublik.1 Die erstmals erschlossenen Akten sind staatliche Akten. Sie dokumentieren eindrucksvoll die Entwicklung eines Staates, der bereits dreimal in einem Jahrhundert zerstört worden ist bzw. sich selbst zerstört hatte: 1918, 1933 und 1945. Eine systematische, quellenbasierte Erforschung des neuen Staates kommt nur langsam in Gang. Wirtschafts-, gesellschafts- und kultur­geschichtliche Ansätze prägen weiterhin das 1 Foschepoth: Geheimes Deutschland. Rückblickend jetzt: Foschepoth/Deiseroth: »Der Staat mauert sich ein«.

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Bild von der »Erfolgsgeschichte«2 der Bundesrepublik. Welche Rolle spielte der Staat im Prozess der Modernisierung und Liberalisierung?3 Wie demokratisch und rechtsstaatlich war die Bundesrepublik in ihren verschiedenen Phasen? Was sagen die Akten? Sie offenbaren ein autoritäres Staatsverständnis, stellen den Staat über die Verfassung, erklären den Staatsschutz zu einem höherwertigen Rechtsgut, das über den Grundrechten steht. Die Treuepflicht der Beamten wurde die tragende Säule der Staatsdemokratie.4 Wie weit trägt die liberale Fortschrittserzählung? Je mehr Akten frei gegeben wurden, desto mehr antiliberale und rechtswidrige Praktiken kamen an das Licht des Tages, wie die beiden Bücher »Überwachtes Deutschland« und »Verfassungswidrig!« deutlich machen. Neu ist die methodische Herangehensweise an die Geschichte des KPD -Verbots im Kalten Bürgerkrieg. Auch hier konnten zahlreiche neue Bestände der SED und der KPD im Berliner Bundesarchiv eingesehen und ausgewertet werden. Methodisch folgt die Darstellung erstmals einem vergleichenden und beziehungsgeschichtlichen Ansatz. Die »doppelte Zeitgeschichte« der Deutschen ist nicht nur durch Abgrenzung und Teilung, sondern auch durch wechselseitige Verflechtung und Durchdringung geprägt. Christoph Kleßmann hat hierfür den Begriff von der »asymmetrisch verflochtenen Parallel- und Kontrast­ geschichte«5 gewählt. Angewendet wurde dieser Ansatz bis jetzt jedoch kaum. Die KPD im Kalten Bürgerkrieg bot sich für eine vergleichende Betrachtung geradezu an. Erst die beziehungsgeschichtliche Analyse zeigt, wie schwach und abhängig die KPD schon bei Gründung der DDR war. Die zunehmende Abhängigkeit der Westpartei von der Ostpartei hat die KPD keineswegs gestärkt oder gar gefährlicher gemacht. Im Gegenteil, eine wirkliche Gefahr ging von dieser Partei -wie die Quellen zeigen – nicht aus. Wenn eine Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt, jedoch nicht in der Lage ist, diese auch zu verwirklichen, kann sie in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat nicht verboten werden, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Januar 2017 in einem Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD. In seinem Urteil distanzierte sich der 2. Senat ausdrücklich von der anders lautenden Begründung für das Verbot der KPD im Jahre 19566, wonach eine Partei auch dann verboten werden kann, »wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass

2 Wolfrum: Die geglückte Demokratie. 3 Schildt/Sywottek: Modernisierung im Wiederaufbau. Schildt u. a.: Dynamische Zeiten. 4 Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Zur »Staatsdemokratie«, S. 17.. Günther: Denken vom Staat her. 5 Kleßmann/Misselwitz/Wichert: Deutsche Vergangenheiten -eine gemeinsame Herausforderung. 6 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/ DE /2017/ bvg17-004.html

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Schlussbetrachtung

sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können.«7 Neu ist auch die Begrifflichkeit, die durch die Unterscheidung von »Kaltem Krieg« und »Kaltem Bürgerkrieg« einen neuen theoretischen Zugriff auf den historischen Kontext ermöglicht. Kalter Krieg und Kalter Bürgerkrieg sind keine historischen Kategorien im engeren Sinne, sondern Metaphern, die gleichsam bildhaft zum Ausdruck bringen, was nur mit vielen Worten umschrieben werden könnte. Was haben beide Kriege gemeinsam, was unterscheidet sie? Worin liegt der heuristische Gewinn der Unterscheidung zwischen Kaltem Krieg und Kaltem Bürgerkrieg? Der Kalte Krieg war ein internationaler Konflikt, bei dem es um die Neuverteilung, Sicherung und Stabilisierung von Macht- und Einflusssphären zwischen den beiden Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkriegs ging. Hier die von den USA beherrschte Macht- und Einflusssphäre des Westens, Westeuropa und Westdeutschland, dort die von der Sowjetunion beherrschte Macht- und Einflusssphäre des Ostens, Osteuropa und die DDR . Um den Konflikt zwischen beiden Machtblöcken nicht zu einem »heißen« Krieg eskalieren zu lassen, waren beide Seiten an der Sicherung des Status quo interessiert. Bis hierher und nicht weiter, lautete der Grundkonsens zwischen den USA und der UdSSR. Die Grenzlinie, die weder in die eine noch in die andere Richtung verändert werden durfte, verlief mitten durch Deutschland. Sie diente aus Sicht der USA der doppelten territorialen Eindämmung8, der Sowjetunion in Richtung Westen, Deutschlands in Richtung Osten. Je weiter der Begriff des Kalten Kriegs gefasst wird, umso unschärfer wird er. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kalte Krieg nicht auf den internationalen Konflikt begrenzt, sondern auch auf nationale, regionale und lokale Konflikte angewendet wird. Ein neuer Begriff ist nötig, um den Unterschied, aber auch die Interdependenz zwischen internationalem und nationalem Konflikt analytisch schärfer fassen zu können. In der historischen Literatur taucht gelegentlich der Begriff des Kalten Bürgerkriegs auf, um die Innenseite bzw. die gesellschaftliche Seite des Kalten Kriegs zu beschreiben. Dieser Begriff wird jedoch bislang eher beiläufig verwendet9, ohne sein analytisches Potential für einen neuen Blick auf die Geschichte des Kalten Kriegs und des Kalten Bürgerkriegs in Deutschland zu prüfen. Einer der wichtigsten Unterschiede besteht darin, dass der Kalte Krieg gleichsam über die Köpfe der Deutschen hinweg geschah, der Kalte Bürgerkrieg dagegen ein Krieg von Deutschen gegen Deutsche war, der kein Thema von nationalem Interesse ausließ, um darüber mit harten Bandagen zu streiten. 7 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 613 8 Foschepoth: Überwachtes Deutschland, S. 21 ff. 9 Major: The Death of the KPD, S. 301. Stöver: Der Kalte Krieg 1947–1991, S.227 ff. Grigoleit: Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage, S. 241 ff.

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Spezifisches Merkmal des Kalten Bürgerkriegs in Deutschland war, dass er von den Machtzentren der beiden deutschen Staaten, der Bundesregierung im Westen und dem Politbüro des ZK der SED im Osten geführt wurde. Die antikommunistische Mobilisierung erfolgte durch ein Geflecht von Institutionen, Organisationen, Vereinen und Parteien, gesteuert und finanziert über das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen in Bonn und entsprechenden Dependancen in Westberlin.10 Auf der anderen Seite hatte die SED für ihre »Westarbeit« einen noch größeren Apparat unter dem Dach des Nationalrats der Nationalen Front in Ost-Berlin aufgebaut.11 Wie die KPD hatten auch die übrigen Organisationen direkt im feindlichen antikommunistischen Umfeld Westdeutschlands als Sprachrohr der SED zu fungieren. Beide Seiten setzten auf die Errichtung eines starken Staates, bei dem der Rechtsstaat nicht selten auf der Strecke blieb. Für die SED war die KPD ein wichtiges Instrument im Kalten Bürgerkrieg. Dabei ging es ihr weniger um eine politische oder gar revolutionäre Veränderung der Bundesrepublik, als darum, die KPD als Kampfinstrument gegen die Politik der Bundesregierung in Stellung zu bringen und die Genossen im Westen zur Propagierung und Unterstützung der eigenen Politik einzusetzen. Dazu nutzte sie vor allem das Instrument der Kampagnenpolitik. Sinn und Zweck der ununterbrochenen Propagandaaktivitäten waren die Stabilisierung des eigenen Systems und die Schaffung eines positiven Umfelds für die weitere Entwicklung der DDR . Nicht zuletzt diente der Kampf gegen den anderen deutschen Staat dazu, die Opferrolle der verfolgten KPD zu nutzen, die DDR als den besseren, demokratischen und friedliebenden deutschen Staat darzustellen, um die Identifizierung der eigenen Bevölkerung mit dem antifaschistischen deutschen Teilstaat zu fördern. Für die Bundesregierung hatte vor dem Hintergrund einer möglichst baldigen Integration des Weststaates in den Westen die nationale Frage hohe Priorität. Dabei ging es vor allem darum, die Ängste und Bedrohungsgefühle der eigenen Bevölkerung vor dem Kommunismus auf einem hohen Niveau zu halten, um – wie Thomas Dehler es formuliert hatte – das Bürgertum für den Weststaat zu mobilisieren. Eine Strategie »für psychologische Kriegführung« wurde entwickelt, mit alten und mit neuen Zielen. Die »Vernichtung des sowjetisch-kommunistischen Regimes«, so Hans Thedieck, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen in einem großen Strategiepapier, sei nicht mehr Sache der Deutschen, sondern »jetzt Sache der Amerikaner«. Die Bundesrepublik habe »in Ausnutzung dieser Strategie für ihre eigenen nationalen Interessen« nunmehr »das besondere Ziel, die Befreiung der SBZ durch Räumung dieses Gebiets von der sowjetischen Besatzungsmacht zu erreichen« und »eine

10 Creuzberger: Kampf für die Einheit. 11 Amos: Die Westpolitik der SED 1948/49–1961.

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Schlussbetrachtung

günstige Entscheidung über die künftige Grenzziehung im Osten jenseits der Oder-Neiße vorzubereiten«12. Für die Wiederherstellung der Einheit wurde also die große Lösung avisiert, in den Grenzen des Deutschen Reichs von 1937. Das war allerdings reine Illusion. Warum? Weil ernsthaft niemand ein wiedervereintes Deutschland wollte. Ein hoher Beamter des britischen Außenministeriums brachte dies in einem Schreiben an Premierminister Churchill auf den Punkt: »Deutschland ist der Schlüssel zum Frieden in Europa. Ein geteiltes Europa bedeutet ein geteiltes Deutschland. Deutschland wieder zu vereinigen, solange Europa geteilt ist, ist – selbst wenn dies machbar wäre – gefahrvoll für uns alle. Deshalb fühlen alle – Dr. Adenauer, die Russen, die Amerikaner, die Franzosen und wir selbst – im Grunde ihres Herzens, dass ein geteiltes Deutschland zurzeit die sichere Lösung ist. Aber keiner von uns wagt dies wegen seiner Auswirkungen auf die öffentliche Meinung auch offen zuzugeben. Deshalb unterstützen wir alle öffentlich ein vereintes Deutschland, jeder allerdings aufgrund seiner eigenen Bedingungen.«13 Die Nennung Adenauers in einer Reihe mit den großen Wiedervereinigungsgegnern in West und Ost mag überraschen, entspricht jedoch den historischen Tatsachen. In einem bereits 1986 entdeckten und veröffentlichten Dokument vom 16. Dezember 1955 bestätigt der Kanzler in einer streng vertraulichen Botschaft an die britische Regierung, dass er selbst, wenn die Sowjetunion alle Forderungen des Westens erfüllen würde, gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands sei. »Der entscheidende Grund sei, dass Dr. Adenauer kein Vertrauen in das deutsche Volk habe. Er sei äußerst besorgt, dass sich eine künftige deutsche Regierung, wenn er von der politischen Bühne abgetreten sei, zu Lasten Deutschlands mit Russland verständigen könnte. Folglich sei er der Meinung, dass die Integration Westdeutschlands in den Westen wichtiger als die Wiedervereinigung sei.« Der Kanzler legte Wert auf die Feststellung, dass es natürlich »katastrophale Folgen für seine politische Position haben würde, wenn seine Ansichten, die er mir14 in solcher Offenheit mitgeteilt habe, jemals in Deutschland bekannt würden.«15 Dieses Dokument belegt wie kein zweites in großer Klarheit und Offenheit, dass der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland trotz aller gegenteiligen politischen Erklärungen nichts für eine Wiedervereinigung Deutschlands übrig hatte. Klar ist, dass die amerikanische Politik der doppelten Eindämmung nur gelingen konnte, wenn die Deutschen zu einer Politik der 12 BArch: B 137/16428, StS Thedieck (BMG) an StS Lenz (BKAmt), Fragen der psychologischen Kriegführung. 13 TNA , PREM 11/449, Staatsminister Lloyd an Premierminister Churchill. Zum historischen Kontext: Foschepoth: Churchill, Adenauer und die Neutralisierung Deutschlands, S. 1300. 14 Gemeint ist Staatsminister Sir Ivone Kirkpatrick, der Verfasser dieses Dokuments. 15 Foschepoth: Westintegration statt Wiedervereinigung, S. 55.

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Selbsteindämmung fähig waren. Bundeskanzler Adenauer war dazu bereit, trotz der Sehnsucht der Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung nach Wiederherstellung der gehabten Größe. Natürlich blieb die wahre Haltung des Kanzlers der Öffentlichkeit nicht ganz verborgen, wie die heftigen Debatten innerhalb und außerhalb des Deutschen Bundestags immer wieder zeigten. Auch von der SED und – in deren Auftrag – von der KPD wurde der Kanzler heftig attackiert und des »nationalen Verrats« bezichtigt. Schon vor Gründung der beiden deutschen Staaten wurde »das »werktätige Volk zum nationalen Widerstand gegen die Spaltung Deutschlands, gegen die nationale und soziale Unterdrückung, gegen die Kolonialisierung Westdeutschlands«16 aufgerufen. Ein Aufruf, der 1952 im »Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« in der Forderung nach einem revolutionären Sturz des »Adenauerregimes« kulminierte.17 Das, was die KPD im Auftrag der SED vollmundig verkündete, war die Partei nicht im Ansatz in der Lage, auch umzusetzen. Vielmehr unterschied sich der Kalte Bürgerkrieg wie der Kalte Krieg von »heißen« Kriegen durch einen weitgehenden Verzicht auf offene Gewaltanwendung. So löste das nationale Programm statt einer Revolution eine neue Welle politischer und justizieller Verfolgung in der Bundesrepublik aus. Die politischen Forderungen der Bürgerkriegsparteien zielten in der Regel weit über das politisch Mögliche hinaus, nicht nur bei der SED/KPD, sondern auch bei den Kämpfern für eine Wiederherstellung des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937. Die Anerkennung der anderen Seite, die Respektierung des Status quo oder die Bereitschaft, durch Verhandlungen eine Art Burgfrieden zu erreichen, kannte der Kalte Bürgerkrieg nicht. Ein Waffenstillstand, eine Beendigung des Kalten Kriegs und des Kalten Bürgerkriegs gar, waren erst möglich, als der Wille der die Bürgerkriegsparteien stützenden Mächte dies ermöglichte und beide Seiten das Interesse und die Fähigkeit zur Fortführung des Kalten Bürgerkriegs verloren. Dieser Zeitpunkt rückte seit Mitte der Sechzigerjahre außen- und innenpolitisch immer näher. Das Interesse an Deeskalation und Entspannung nahm auf internationaler Ebene zu. Zeichen eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels wurden immer deutlicher. Die Angst vor der Sowjetunion ging kontinuierlich zurück, auch wenn sie durch den Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei und die Niederschlagung des »Prager Frühlings« vorübergehend noch einmal stärker wurde. Fühlten sich 1952 noch zwei Drittel (66 %) der westdeutschen Bevölkerung von Moskau bedroht, ging der Anteil 1969 auf ein Drittel (32 %) zurück. Ähnliche Veränderungen vollzogen sich in der nationalen Frage, der Grenzfrage im Osten und der Frage einer Wiedervereinigung Deutschlands. Auf 16 BArch: BY1/110/301/1, 2. Sitzung des PV KPD, Juni 1948. 17 KPD 1945–1968. Dokumente, Bd.1, Programm zur nationalen Wiedervereinigung, 2.11.1952, S. 404.

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Schlussbetrachtung

Grafik 12: Bedrohung durch die Sowjetunion, 1952–1971 Frage: Haben Sie das Gefühl, dass wir durch Russland bedroht oder nicht bedroht sind? 70 60

Prozente

50 40 30 20 10 0 bedroht nicht bedroht unentschieden

52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 66 64 45 51 39 50 38 54 32 28 15 21 27 27 37 27 37 32 55 46 19 15 28 22 24 23 25 14 13 26

Quelle: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bde. 1956, S. 352; 1957, S. 371; 1965, S. 559; 1967, S. 456; 1974, S. 575. Für einige Jahre liegen keine Erhebungen vor. An den entsprechenden Stellen wurden die Kurven linear ergänzt.

die Frage, ob man sich mit der von den Siegermächten als deutsche-polnische Grenze vorgesehene Oder-Neiße-Linie abfinden solle oder nicht, stieg die Zahl der derjenigen, die sich damit abfanden, von 8 % (1951) auf 61 % (1972) an. Die Zahl derjenigen, die sich mit der Oder-Neiße-Grenze nicht abfinden wollten, ging von 80 % (1951) auf 18 % (1972) zurück. Auch die Wiedervereinigungsfrage erreichte 1972 Extremwerte. So hielten nur 12 % der Befragten eine Wiedervereinigung noch für realistisch, 81 % jedoch nicht. Alle drei Grafiken machen einen starken Wandel in den politischen Einstellungen der großen Mehrheit der bundesrepublikanischen Gesellschaft deutlich. Eine Zeitenwende, die das Ende des Kalten Bürgerkriegs und mit ihm das Ende des doppelten Staatswerdungsprozesses in Deutschland markierte. Damit hatte auch die KPD ihre Funktion als Täter und Opfer im Kalten Bürgerkrieg erfüllt. Eine Doppelrolle, an der sie letztlich zerbrach. Bereits 1968 ließen beide Bürgerkriegsparteien die KPD endgültig fallen. Sie wurde nicht mehr gebraucht. Über eine erste informelle deutsch-deutsche Verständigung wurde vereinbart: 1. Das KPD -Verbot bleibt erhalten. 2. Als Nachfolgepartei wird eine neue Partei namens DKP gegründet. 3. Die DKP wird weiterhin von der SED gesteuert, von der Bundesrepublik jedoch geduldet und nicht verboten. Die »Berufsverbote« der Siebziger- und Achtzigerjahre waren die administrative Antwort auf den von der SPD zugesagten Verzicht auf ein verfassungsrechtliches Verbot der DKP, was die CDU wiederum im Doppelpack mit der NPD 1968 im Kabinett gefordert hatte, aber gegen die SPD nicht durchsetzen konnte.

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Grafik 13: Abfindung mit der Oder-Neiße-Linie, 1951–1972 Frage: Sollten wir uns mit der jetzigen deutsch-polnischen Grenze, der Oder-Neiße-Linie, abfinden oder nicht? 90 80

in Prozent

70 60 50 40 30 20 10 0 ’51 ’52 ’53 ’54 ’55 ’56 ’57 ’58 ’59 ’60 ’61 ’62 ’63 ’64 ’65 ’66 ’67 ’68 ’69 ’70 ’71 ’72 abfinden 8 9 12 26 22 27 46 42 58 61 73 67 50 59 54 35 38 25 18 nicht abfinden 80 unentschieden, 12 18 21 24 19 19 19 20 17 21 kein Urteil

Quellen: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bd. 1968–1973, S. 525. Für einige Jahre liegen keine Erhebungen vor. An den entsprechenden Stellen wurden die Kurven linear ergänzt.

Herauskam ein bemerkenswerter Beschluss des Bundeskabinetts, eine Art Friedensschluss an der westdeutschen Front des Kalten Bürgerkriegs, der wegen seiner Bedeutung durchaus noch einmal zitiert werden sollte »Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die extremen Strömungen und radikalen Parteien in der Bundesrepublik, abgesehen von den rechtlichen Möglichkeiten, in offener Auseinandersetzung politisch bekämpft werden müssen. Sie geht dabei von der Gewissheit aus, dass die radikalen Gruppen Randerscheinungen der deutschen Demokratie sind und auch bleiben werden, weil die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den Radikalismus in jeder Form ablehnt.«18 Damit war der Kalte Bürgerkrieg um die heiß umkämpfte Staatswerdung zweier Staaten auf deutschem Boden beendet. Beide Seiten waren jetzt bereit, den Status quo in Deutschland zu akzeptieren. Die Deutschen vollzogen nach, was die internationalen Konfliktpartner des Kalten Kriegs in Ost und West schon seit dem Ende des 2. Weltkriegs gefordert hatten, die Anerkennung des Status quo in Deutschland und in Europa, mithin die Anerkennung der Exis18 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Maßnahmen gegen den politischen Radikalismus, 23.4.1969.

362

Schlussbetrachtung

Grafik 14: Einschätzung der Wiedervereinigung Deutschlands. Frage: Wie realistisch ist eine Wiedervereinigung Deutschlands? Erfolgt sie oder erfolgt sie nicht? 90

Angaben in Prozent

80 70 60 50 40 30 20 10 0

’51 ’52 ’53 ’54 ’55 ’56 ’57 ’58 ’59 ’60 ’61 ’62 ’63 ’64 ’65 ’66 ’67 ’68 ’69 ’70 ’71 ’72

Wiedervereinigung 39 51 61 56 64 66 60 44 36 58 48 erfolgt

58 47 31 13

18 11 12

Wiedervereinigung 41 44 28 35 21 23 29 40 61 32 45 erfolgt nicht

37 35 50 86

72 77 81

Quelle: Jansen: Meinungsbilder zur deutschen Frage, S.95.

tenz zweier deutscher Staaten. Der deutsch-deutsche Kalte Bürgerkrieg löste sich gleichsam in den internationalen Strukturen des Kalten Kriegs auf, die 1975 in eine neue, multilaterale Sicherheitsstruktur der »Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« (KSZE) transformiert wurden. Der Kalte Bürgerkrieg hatte die Funktion, die eigene Bevölkerung für den West- bzw. Ostkurs der jeweiligen Regierung zu mobilisieren, den eigenen Staat mit nationalistischen Parolen als besseren Kernstaat eines vereinten Deutschlands zu legitimieren, alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder und NS -Täter so geräuschlos wie möglich in den neuen Staat zu integrieren und dessen Gegner gnadenlos zu verfolgen und aus der Gesellschaft zu verdrängen. Zu diesen Zwecken, die jeweils von der anderen Seite in Frage gestellt wurden, brauchten beide Bürgerkriegsparteien einen starken und wehrhaften Staat, dem die Werte und Normen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats je nach politischen Notwendigkeiten unterzuordnen waren. Die ungeklärte nationale Frage, die beschränkte Souveränität und die andauernde Vier-Mächte-Präsenz in Deutschland, die offene Grenzfrage jenseits von Oder und Neiße und die ungelöste Frage einer möglichen Wiedervereinigung

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Deutschlands waren seit Gründung der beiden deutschen Staaten ein fruchtbarer Boden für einen neuen Nationalismus.19 Der deutsche Nationalismus des 20. Jahrhunderts basierte auf zwei Säulen, auf der des Antikommunismus und der des Antisemitismus. Beide Ideologien wiesen enge Bezüge zu einander auf. Während der NS -Zeit gingen sie in einander auf. Nach dem Ende der NS -Diktatur wurden Antikommunismus und Antisemitismus politisch neu gewichtet. Jede Form von Antisemitismus wurde im Westen geächtet und verboten. Dies begünstigte die Entwicklung des Antikommunismus zur dominanten Form des neuen westdeutschen Nationalismus. In seiner radikalen Form nahm er durchaus rassistische Züge an. Erinnert sei an die Erklärung von Staatssekretär Ritter von Lex während des KPD -Prozesses, wonach die KPD trotz ihrer politischen Bedeutungslosigkeit verboten werden müsse, weil sie »ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes« sei, »der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet«20. Der neue Nationalismus21 nach 1945 war entscheidend geprägt vom völkischen und rassistischen Antikommunismus und Antisemitismus der NS -Zeit. Die gescheiterte Hoffnung auf Vernichtung des Bolschewismus im Zweiten Weltkrieg und die Erfahrung der schmachvollen Niederlage gegen den »minderwertigen Feind« prägten den westdeutschen Antikommunismus in besonderer Weise. Die siegreiche Rote Armee war nicht, wie gehofft, von der deutschen Wehrmacht vernichtet worden, sondern stand jetzt mitten in Deutschland. Der neue antikommunistische Nationalismus war Ausdruck einer großen Angst, der Angst vor der »roten Gefahr«, vor einem Sieg des Kommunismus in ganz Deutschland. Diese Angst förderte den Wunsch nach einem starken Staat. Die Antwort darauf war ein staatlicher Antikommunismus, der die aktive Steuerung im Kampf gegen den Kommunismus übernahm. Er diente der Ausgrenzung und Verfolgung der Kommu­nisten, der Sammlung, Integration und Mobilisierung der bürgerlichen Schichten. Der Antikommunismus amalgamierte individuelle und gesellschaftliche Ängste gegen vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungen durch die Sowjetunion, das »Marionettenregime« der SED und die »fünfte Kolonne Moskaus«, die KPD. Der Antikommunismus war der Kern der neuen nationalistischen Ideologie, die dem Prozess der Staatswerdung der Bundesrepublik Richtung, Dauer und Legitimität verlieh. Wenn die Angst nachließ, musste sie wieder befördert werden. Wenn Wachsamkeit, Abwehrbereitschaft und Widerstandsfähigkeit nachlassen, so Bundesinnenminister Schröder, »müssen sie unablässig wachgerüttelt, wiederbelebt, gestärkt werden. Das ist eine Aufgabe, die unend19 Echterkamp: »Verwirrung im Vaterländischen«? Nationalismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft 1945–1960, S. 228 ff. Foschepoth: German Reaction to Defeat and Occu­pation, S.  73–89. 20 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 116. 21 Creuzberger/Hoffmann: »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«.

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Schlussbetrachtung

lich schwierig und zugleich in hohem Grade unpopulär ist. Sie ist in erster Linie den Politikern gestellt, uns allen, die wir in der Bundesrepublik, im unmittelbaren Vorfeld des weltrevolutionären Kommunismus zu wirken haben.«22 Der deutsche Antikommunismus war keineswegs nur ein Reflex des Kalten Kriegs oder des Kalten Bürgerkriegs. Er war und blieb neben dem Antisemitismus ein prägender Bestandteil des deutschen Nationalismus des 20. Jahrhunderts, von der Weimarer Republik über die NS-Diktatur bis zur Bundesrepublik. Getragen und gestützt wurde der staatliche Antikommunismus durch einen tiefsitzenden gesellschaftlichen Antikommunismus. Die Bundesrepublik hatte  – so gesehen  – weniger ein Kommunismus- als ein Nationalismus-Problem. Für die in ihrer Identität durch die Umbrüche von 1918, 1933 und 1945 verunsicherten Deutschen bildete der Antikommunismus eine »ungebrochene Konstante deutscher Geschichte und damit einen Bereich, der ihnen eine positive Bezugnahme auf ihre nationalsozialistische Vergangenheit erlaubte«23. Der neue Nationalismus der DDR, von Stalin persönlich verordnet, war zum Teil ein nationales Identifikationsangebot an die eigenen Genossen, zum Teil ein Angebot an alle »fortschrittlichen Kräfte«, um im nationalen Wettbewerb mit der Bundesrepublik bestehen zu können. Die Kommunisten, so die Begründung, seien schon immer gegen die imperialistische Rüstungs- und Kriegspolitik aufgetreten, vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zur NS-Diktatur. Folgerichtig kämpften sie auch jetzt mit allen fortschrittlichen Kräften gegen die neuen imperialistischen Kräfte der USA und der Bunderepublik. So gesehen waren die Kommunisten die eigentlichen Patrioten. Der Widerstand gegen das »Adenauer-Regime« und dessen Sturz lagen somit im nationalen Interesse nicht nur der DDR, sondern ganz Deutschlands. »Nur der unversöhnliche und revolutionäre Kampf aller deutschen Patrioten kann und wird zum Sturz des Adenauer-Regimes und damit zur Beseitigung der entscheidenden Stütze der Herrschaft der amerikanischen Imperialisten in Westdeutschland führen.«24 Wie der antikommunistische Nationalismus der Bundesrepublik hatte auch der antiimperialistische Nationalismus der DDR eine wichtige politisch-instrumentelle Funktion. Beide Seiten gaben vor, im Unterschied zum Nationalsozialismus einen guten und wahren Nationalismus zu vertreten, der die Anwendung von Gewalt zur Erreichung nationaler Ziele ausschloss. Beide Ideologien dienten dazu, durch scharfe Abgrenzung gegenüber dem anderen deutschen Staat die eigenen Reihen fest zu schließen und darüber hinaus »alle patriotischen, fortschrittlichen oder friedliebenden Kräfte« im Osten bzw. alle bürgerlichen Kräfte im Westen für den Aufbau des antiimperialistischen bzw. des antikommunisti22 ACDP: BMI Schröder, Sicherheit für Bürger und Staat, Referat, 10. Bundesparteitag der CDU, Köln, 25.4.1961. 23 Garbe: Äußerliche Abkehr, S.712. 24 KPD 1945–1968. Dokumente, Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands, Bd. 1, S. 404.

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schen Staates zu gewinnen. Gleichzeitig zielten beide Seiten darauf ab, für ihren Staat auch die ehemaligen Nationalsozialisten, die Stützen und Mitläufer der NS-Diktatur und nicht zuletzt die vielen deutschen Soldaten zu gewinnen, die am Aufbau einer neuen »Wehrmacht« im Westen und einer Nationalen Volksarmee im Osten mitarbeiten sollten. So verabschiedete der 4. Parteitag der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD), einer Blockpartei in der DDR, 1952 einen »Ruf an die Deutsche Frontgeneration des Zweiten Weltkriegs«, in dem es hieß: »Wir sehen in der Frontgeneration des Zweiten Weltkriegs eine große nationale Kraft, die, wenn es um Deutschland geht, sich nicht ausschließen kann, noch übergangen werden darf.«25 Nicht anders sah das Bundesinnenminister Schröder. In einer Rundfunkrede, in deren erstem Teil er die Ablehnung einer Amnestie für Kommunisten erläutert hatte, stellte er einen Gesetzentwurf der Bundesregierung über »Titel, Orden und Ehrenzeichen« vor. Mit diesem Gesetz sollte es »den früheren Kriegsteilnehmern gestattet werden, ihre alten Tapferkeitsauszeichnungen zu tragen. Nur das Hakenkreuz wird durch das ältere Symbol des Eichenblattes ersetzt.« Ohne die Erinnerung an Treue, Tapferkeit und Pflichterfüllung unserer Soldaten könne keine neue Bundeswehr aufgebaut werden. Deshalb dürfe man »nicht die Flucht vor der Geschichte antreten – ohne Tradition, ohne Symbole, ohne Gemeinschaftswerte gibt es keine Zukunft«.26 Wie reagierten die Sieger- und Besatzungsmächte auf den neuen deutschdeutschen Nationalismus? Während die drei Westmächte gegen den radikalen, in der Tradition des Nationalsozialismus stehenden Nationalismus in der Bundesrepublik entschlossen vorgingen, nahmen sie den antikommunistischen Nationalismus der Mehrheitsgesellschaft hin, obwohl die Grenzen fließend waren. Dagegen verfolgte die Sowjetunion eine andere Politik, die darauf hinauslief, dass man den Deutschen ihren Nationalismus nicht nehmen, sondern nutzen sollte. So wurde Stalin persönlich zur treibenden Kraft, indem er die SED immer wieder aufforderte, die Tür zur Herstellung der Einheit nicht zuzuschlagen und alles zu tun, um das national gesinnte Bürgertum der Bunderepublik für eine nationale Politik der DDR zu gewinnen. Während sich der Westen eine militärische Einbindung der Bundesrepublik zunächst nur in einer supranationalen, europäischen Lösung vorstellen konnte, bot Stalin in seinen berühmten Noten von 1952 den Deutschen die Bildung einer Nationalarmee und den dafür notwendigen Aufbau einer nationalen Rüstungsindustrie an.27 Schon vor Gründung der DDR war aus Moskau die Aufforderung gekommen, eine Nationale Front zu bilden und »den wahren Nationalismus« stärker als bisher zur Geltung

25 BArch: B 443/571, 4. NDPD Parteitag, Anlage 6, 1.–19.6.1952, 26 BArch: B 106/15803, Manuskript der Rundfunkrede Schröders, 17.10.1956. 27 Loth: Stalins ungeliebtes Kind, S. 179.

366

Schlussbetrachtung

zu bringen. Hierzu sollte es auch gehören, »ehemalige Nazis« und »ehemalige Militärs« anzusprechen und für die Nationale Front zu gewinnen.28 Im Unterschied zu Moskau war die Herstellung der Einheit Deutschlands für die SED ähnlich wie für Adenauer kein vorrangiges Ziel. Alle Kraft sollte sich vielmehr auf die Gründung eines eigenen Staates und so schnell wie möglich auf den Aufbau des Sozialismus in der DDR konzentrieren. Mit Hilfe der KPD gelang es der SED, die Ziele Moskaus in der Bundesrepublik zu propagieren, gleichzeitig jedoch durch eine Radikalisierung der nationalen Politik in ihrer Glaubwürdigkeit zu konterkarieren. Eine Politik, die der Einheitspartei im Rahmen der sowjetischen Gesamtstrategie gegenüber Deutschland zumindest vorübergehend eigene Handlungsspielräume eröffnete. Ähnliches gelang Adenauer gegenüber den Westmächten, indem er den radikalen Nationalismus nationalsozialistischer Prägung à la SRP verbieten ließ, den antikommunistischen Nationalismus kultivierte und den Kommunismus zur größeren Gefahr erklärte. Deshalb sollte und musste auch die KPD verboten werden. Die Grenzen wurden weit gesteckt, um, ganz wie Stalin es auch für die DDR empfahl, ehemalige Nazis, ehemalige Militärs und die vielen belasteten Polizisten, Staatsanwälte, Richter und Ministerialbeamte anzusprechen und für den Aufbau des neuen Staates zu gewinnen. Nicht eine »antitotalitäre Äquidistanz«29 gegenüber rechtem und linkem Extremismus, sondern eine Mischung aus altem und neuem antikommunistischem Nationalismus, der keine größere Gefahr kannte als den Kommunismus, war, wenn es so etwas überhaupt gegeben hat, der Gründungskonsens der Bundesrepublik. Wie reale Bürgerkriege zeichnen sich auch kalte Bürgerkriege durch hohe Kollateralschäden und viele Opfer aus. In der Bundesrepublik traf dies vor allem Mitglieder, Anhänger und Sympathisanten der KPD. Hunderte, Tausende, Zehntausende waren ständigen Drangsalierungen, Verhören, Ermittlungen, Prozessen und Verurteilungen ausgesetzt. Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt. Die rückwärtige Verfolgung von Parteifunktionären forderte zahlreiche Opfer und wurde erst 1963 als verfassungswidrig außer Kraft gesetzt. Eine Amnestie wurde verweigert. Die Staatsautorität durfte nicht beschädigt werden. Die aus Arbeitsüberlastung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte von der Exekutive angeregten und durchgesetzten Begnadigungs- und Strafaussetzungsaktionen waren ebenfalls rechtswidrig, weil sie gegen das Rechtsstaatsprinzip der Rechtsgleichheit verstießen. Die Bilanz der staatlichen Rechts- und Gesetzesverstöße im Kalten Bürgerkrieg ist und bleibt über den KPD -Prozess hinaus erschreckend.30

28 Amos: Die Westpolitik der SED, S. 21. 29 Backes/Jesse: Vergleichende Extremismusforschung, S. 187. 30 Vgl. Foschepoth: Überwachtes Deutschland.

12 Die Quellen-Dokumentation Neue historische Dokumente zum KPD-Prozess

A. Druck und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht Dokument Nr. A 1 26. November 1951: Hermann Höpker Aschoff, seit zwei Monaten Präsident des Bundesverfassungsgerichts, an Bundesjustizminister Thomas Dehler.1 Der Präsident klagt in einem persönlichen Schreiben an seinen Parteifreund über die schwierigen Wohnverhältnisse, die schlechten Arbeitsbedingungen, den fehlenden Korps­geist, die unzureichende Präsenz der Richter, nicht zuletzt über die große Belastung des 1. Senats, die dringend eine Neuverteilung der Geschäfte erfordert.

»Die Verhältnisse am Bundesverfassungsgericht sind nicht gerade erfreulich. Wer an die Spitze eines neuen Gerichts gestellt wird hat die Aufgabe, 24 Richter, die bisher nichts Gemeinschaftliches verbunden hat, in einer Körperschaft zusammenzuschließen, die in gemeinsamer und kameradschaftlicher Arbeit eine Tradition entwickelt. Dies wird dadurch außerordentlich erschwert, dass bisher niemand eine Wohnung in Karlsruhe gefunden hat und daher alle Richter zum Wochenende d. h. spätestens am Freitag verschwinden und erst am Dienstag wieder auftauchen und die Richter des 2. Senats, nachdem sie ihren Südweststaatstreit erledigt haben, überhaupt nur sporadisch in Karlsruhe auftauchen. Im 1. Senat werden sich die Dinge folgendermaßen entwickeln: Ich selber werde, wenn es gut geht, am 1. Juni eine neu zu erbauende Wohnung beziehen können und in der Zwischenzeit in der Hagenerstrasse unterkommen. Die Professoren Drath und Zweigert II werden ihre Lehrtätigkeit weiter ausüben; das bedeutet, dass Drath, wenn er am Dienstag von Berlin nach Frankfurt und am Freitag von Frankfurt nach Berlin fliegt und seine Lehrtätigkeit ernst nimmt, hier nahezu völlig ausfällt. ­Zweigert  II wird die doppelte Arbeit bewältigen, die Entfernung ist nicht allzu groß. Stein, Scholtissek und Frau Scheffler gehen mit dem Gedanken um, sich in Baden-Baden

1 ADL: NL Dehler, N1-2902, Höpker Aschoff an Dehler, 26.11.1951. Erstmals gedruckt in: Grundlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 456–459.

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anzusiedeln2 und dann zu den Sitzungen mit eigenem Wagen herzufahren. Heiland, Lehmann, Wessel, Zweigert I, Ellinghaus und Ritterspach werden hier in Karlsruhe bis zum Frühjahr eine Wohnung finden. Im 2. Senat werden sich die Dinge wohl folgendermaßen entwickeln: Katz gedenkt sich in Baden-Baden niederzulassen. Fröhlich, Leibholz und Roediger werden ihre Lehrtätigkeit an ihren Universitäten weiter ausüben und hin-und herfahren. Da der 2. Senat vorläufig keine Arbeit hat, geht dies ganz gut. Rupp (Tübingen) und Federer (Freiburg) werden mit eigenem Wagen hin- und herfahren, ebenso Leusser (München). Wolff, Fröhlich, Henneka, Geiger und Klaas werden bis zum Frühjahr hier eine Wohnung finden. Wie steht es um die Residenzpflicht? Die Professoren werden sich darauf berufen, dass ihnen das Recht eingeräumt ist, ihre Lehrtätigkeit weiter auszuüben. Es scheint mir notwendig zu sein, klar auszusprechen, dass es dann ihre eigene Sorge sein muss, wie sie ihre Arbeit in Karlsruhe möglich machen. Sie dürfen also keine Trennungsentschädigung erhalten und müssen ihre Reise nach Karlsruhe aus eigener Tasche bezahlen. Damit wird ihnen nichts Unbilliges zugemutet, da sie eine hohe Bezahlung erhalten, obwohl sie nur einen Teil ihrer Arbeitskraft ihrem Richteramt widmen. Außerdem werden sie als Professoren verdienen. Ob die Landesfinanzminister ihnen neben dem Kolleggeld auch das Professorengeld bezahlen, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Ansicht Geigers, dass die Professoren zwei Berufe haben, zweimal Gehalt verlangen können und außerdem Anspruch auf Reisekosten nach den Grundsätzen für Dienstreisen haben, halte ich für völlig falsch. Auch für die übrigen Richter besteht eine Residenzpflicht im alten Sinne nicht mehr. Sie können außerhalb wohnen, wenn ihre dienstliche Tätigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Sie müssen dann natürlich auf eigene Kosten nach Karlsruhe fahren. Die meisten werden dies mit eigenem Wagen tun. Bei Rupp (Tübingen), Federer (Freiburg), Stein, Scholtissek und Scheffler (vermutlich alle drei in Baden-Baden) wird das keine Schwierigkeiten machen. Das Gleiche gilt für Katz, der allerdings mit einem Dienstwagen auf Staatskosten fährt. Bei Leusser wird die Sache schon schwieriger werden. Es wäre wohl notwendig, die von mir in unserer Unterredung aufgeworfenen Fragen einmal zur Entscheidung zu bringen. Die Dinge werden sich im 1. Senat einspielen, da wir wöchentlich drei Sitzungen halten. Die Herren des 2. Senats werden bei der Geschäftsverteilung nur an wenigen Tagen des Jahres in Karlsruhe zu erscheinen brauchen, wenn sie nicht wie Geiger und Henneka eine Nebentätigkeit am Bundesgerichtshof ausüben wollen. Wäre der Südweststaatstreit an den 1. Senat gekommen (auch Sie halten die Entscheidung des Plenums für eine Fehlentscheidung, das Plenum selbst hat sich durch seine zweite Zuständigkeitsentscheidung in Sachen des Antrages Württemberg-Baden selbst desavouiert), so würde der 2. Senat seine Tätigkeit überhaupt noch nicht aufgenommen haben, da die drei sozialdemokratischen Anträge frühestens im Januar verhandelt werden sollen und die Herren des 2. Senats wären nur durch die von mir anberaumten Plenarsitzungen gezwungen worden, nach Karlsruhe zu kommen.

2 Im Original heißt es: »anzubauen«.

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Eine andere Verteilung der Geschäfte ist also aus drei Gründen erforderlich: 1. um den Senat zu entlasten, 2. um den 2. Senat zu regelmäßigen Sitzungen zu zwingen und 3. um dadurch, dass beide Senate regelmäßig tagen, eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit aller 24 Richter zu schaffen. Dass ich, sobald ich eine Wohnung habe, das Meinige tun werde, um die 24 Richter auch auf dem Wege der Geselligkeit zusammenzuführen, brauche ich nicht erst zu versichern. Aus der anliegenden Übersicht bitte ich zu entnehmen, wie stark der 1. Senat belastet ist. Die beiden großen Klagen gegen die Parteien, die langsam zunehmenden Fälle der Normenkontrollen erfordern mündliche Verhandlungen und sorgfältige Vorbereitungen. Die Richter meines Senats sind zu dieser Arbeit einfach nicht mehr in der Lage, wenn sie in der täglichen Bearbeitung der Verfassungsbeschwerden versinken. Wir werden nach den bisherigen Erfahrungen damit rechnen dürfen, dass wir den größten Teil der Verfassungsbeschwerden gemäß § 24 als unzulässig oder offensichtlich unbegründet verwerfen, gleichwohl erfordert die Vorbereitung der Beratungen sehr viel Zeit, weil ja die krausesten Rechtsfälle in völlig ungeordneter Form (kein Anwaltszwang) vorgetragen werden. Ich rechne nach den bisherigen Erfahrungen damit, dass wir in jeder Woche in drei Sitzungen Verfassungsbeschwerden beraten müssen, wenn wir nicht in der Flut der Verfassungsbeschwerden allmählich versinken wollen. Wir haben die Dinge sehr eingehend beraten und wollen vorschlagen, die Geschäftsverteilung dahin abzuändern, dass die Verfassungsbeschwerden nach Buchstaben auf die beiden Senate verteilt werden, dem Plenum aber das Recht eingeräumt wird, nach den jährlichen Erfahrungen gewisse Änderungen von sich aus vorzunehmen. Katz meint, eine Änderung des Gesetzes sei überhaupt bedenklich, und hat den völlig unmöglichen Vorschlag gemacht, die Herren des 2. Senats den Richtern des 1. Senats als Hilfsarbeiter zur Verfügung zu stellen. Bei anderen Herren des 2. Senats (ich brauche die Namen nicht zu nennen) besteht der Wunsch, dann lieber die Normenkontrollen auf den 2. Senat zu übertragen. Dies würde dann bedeuten, dass die Arbeit an der Fortbildung unseres Verfassungsrechts voll und ganz bei dem 2.  Senat liegt und der 1.  Senat im Wesentlichen auf die Verfassungsbeschwerden beschränkt würde. Das würde eine Degradierung des 1. Senats sein, gegen die sich alle 12 Richter des 1. Senats mit Entschiedenheit zur Wehr setzen. Was es für die Entwicklung unseres Verfassungsrechts bedeuten würde, brauche ich Ihnen nicht auseinanderzusetzen. Sie wissen, dass schon heute der 2. Senat als der schwarze, der 1. Senat als der rote bezeichnet wird. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche bitteren Wochen hinter mir liegen, Tage und Nächte des Grolls, dass ich in meinen alten Jahren dazu gezwungen bin, in diesem furchtbaren Karlsruhe zu leben und eine Arbeit zu tun, die mich nicht befriedigen kann. Gewiss, ich hätte mir das selbst sorgfältig überlegen können, und es war vielleicht töricht, dass ich Ihnen gezürnt habe, weil Sie meiner Dummheit kein Licht aufgesteckt haben. Aber Sie haben mich immer wieder beschworen, dieses Amt zu übernehmen, und mich immer wieder darauf hingewiesen, dass meiner hier eine lohnende Arbeit in der Gestaltung unseres unvollkommenen Verfassungsrechts warte. Davon kann überhaupt keine Rede mehr sein, wenn auch die Normenkontrollen an den 2. Senat wandern und der 1. Senat auf die Verfassungsbeschwerden beschränkt wird. Die beiden großen Klagen sind Einzelfälle, die sich nicht wiederholen werden.

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Die Quellen-Dokumentation

Ich habe die große Sorge, dass Geiger dank seiner Beziehungen zum Ministerium alle Hebel in Bewegung setzen wird, um die von uns vorgeschlagene Aufteilung der Verfassungsbeschwerden zu verhindern und auch die Normenkontrollen an den 2. Senat zu bringen. Ich beschwöre Sie, solchen Bemühungen von vornherein Widerstand zu leisten. Sie können mir und den 11 anderen Richtern des 1. Senats nicht zumuten, nur Verfassungsbeschwerden zu bearbeiten und die Fortentwicklung unseres Verfassungsrechts dem 2. Senat zu überlassen, auch deshalb nicht, weil in diesem Senat Kräfte lebendig sind, die eine vernünftige Entwicklung unseres Verfassungsrechts nicht gewährleisten. Ich bin überzeugt, dass die Professoren in unserem Senat sich dann auf ihre Professuren und die Bundesrichter auf ihre Tätigkeit am Bundesgerichtshof zurückziehen würden. Mir selbst bliebe nichts anderes übrig, als mich ganz der wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Friesenhahn sieht übrigens ein, dass ich recht habe, er hält die Aufteilung der Verfassungsbeschwerden für richtig. Auch Fröhlich und Henneka denken so und ich hoffe, dass es mir gelingen wird, auch andere Mitglieder des 2.  Senats zu überzeugen. Katz und Geiger werde ich nicht überzeugen, der eine wünscht den Glanz des 2. Senats, der andere wünscht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach seinen Ideen zu gestalten. Ich hoffe, dass ich Ende der Woche wieder nach Bonn kommen kann und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir dann die Dinge einmal ausführlich besprechen könnten. Ich gebe diesen Brief meiner Frau mit, damit er Ihnen persönlich ausgehändigt wird und nicht in den Geschäftsgang Ihres Ministeriums kommt.« gez. Höpker Aschoff

Dokument Nr. A 2 9. Mai 1952: Bundesinnenminister Lehr an den Präsidenten des Bundesverfassungsge­ richts Höpker Aschoff.3 Die Eröffnung des Verfahrens gegen die SRP ist politisch dringend geboten. Lehr bittet, den Antrag gegen Remer auf Verwirkung der Grundrechte aus politischen Überlegungen vorzuziehen. Im Gegenzug ist er jederzeit bereit, die Wünsche des Präsidenten nach besserer personeller und räumlicher Ausstattung des Bundesverfassungsgerichts zu unterstützen.

»Den Antrag, die SRP gemäß Art. 21 Abs.  GG für verfassungswidrig zu erklären, habe ich unter dem 19.11.1951 dem Verfassungsgericht vorgelegt, ohne dass bisher ein Termin zur Verhandlung der Angelegenheit anberaumt werden konnte. Ich verkenne nicht die große Arbeitsbelastung, die auf Grund der gesetzlichen Regelung dem zuständigen Senat zugefallen ist. Dennoch muss ich Ihnen die Bitte unterbreiten, in der Sache alsbald einen Termin bestimmen zu wollen.

3 BArch: B 106/15531, Lehr an Höpker Aschoff, 9.5.1952.

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Die letzten Nachwahlen zum Bundestag und zum Teil auch die Kommunalwahlen geben zu politischen Besorgnissen Anlass, weil die SRP in einigen Bezirken rd. 10 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Neben diesen Wahlergebnissen zwingt auch die Wahlpropaganda der SRP zu einer Stellungnahme, denn die SRP verbreitete Wahlparolen, nach denen der Antrag gegen die SRP beim Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg haben werde. In diesen Propagandareden wird zum Ausdruck gebracht, dass die Herren in Karlsruhe gar nicht daran dächten, dem Antrag der Bundesregierung zu entsprechen; es sei daher nötig, durch rege Beteiligung an den Wahlen das Bundesverfassungsgericht in seiner Auffassung zu bestärken und ihm zu zeigen, dass die Wähler die Politik der SRP billigen. Dieser plumpen Wahlpropaganda wirksam entgegenzutreten, bestehen zurzeit nur geringe Möglichkeiten. Ich bitte Sie daher, Herr Präsident, zu verstehen, dass ich die alsbaldige Anberaumung eines Termins zur Verhandlung über den Antrag gegen die SRP sehr begrüßen würde. Unter den Propagandisten der SRP nimmt Remer nach wie vor eine maßgebende Stelle ein. Er vertritt in besonderem Maße die umstehend angeführten Wahlparolen. Ich halte daher eine Entscheidung über den von mir eingebrachten Antrag gemäß Art. 18 Abs. 2 GG gegen Remer für sehr dringend. Würde es sich ermöglichen lassen, die Entscheidung in diesem Verfahren als vordringlich zu behandeln, so dass die Klage gegen die SRP erst im Anschluss daran zur Verhandlung käme? Mir wäre diese Planung für die Durchführung der Verfahren aus politischen Gründen sehr erwünscht. Da mir bekannt ist, mit welchen Schwierigkeiten der Ablauf des Geschäftsbetriebes beim Bundesverfassungsgericht derzeit noch belastet ist, bin ich jederzeit gerne bereit, mich für eine Unterstützung Ihrer Wünsche und Anregungen einzusetzen, die die bessere und vollständigere Ausstattung des Bundesverfassungsgerichts in persönlicher und sachlicher Beziehung anstreben.« gez. Lehr

Dokument Nr. A 3 15. Mai 1952: Bundesinnenminister Lehr an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff.4 Laut Lehr verschärfen »die Staatsfeinde« den innenpolitischen Kampf mit allen Mitteln. Mit Waffen ausgerüstete Terrorgruppen werden in die Bundesrepublik eingeschleust. FDJ greift Staatsorgane tätlich an, schießt auf Polizeibeamte. Zur erfolgreichen Abwehr wird eine baldige Entscheidung in der Klage gegen die KPD benötigt. Festsetzung eines Termin für die mündliche Verhandlung dringend nötig.

»Die bevorstehenden Entscheidungen über grundlegende Frage der deutschen Außenund Innenpolitik haben die Staatsfeinde veranlasst, den innerpolitischen Kampf mit allen Mitteln zu verschärfen. Eine Flut von Propaganda-Aktionen, Demonstrationen, 4 BArch: B 136/4436, Fiche 8, Lehr an Höpker Aschoff, 15.5.1952.

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Hetzreden sowie Angriffen gegen die verfassungsmäßigen Organe und ihre Vertreter ergießt sich zurzeit über die Bundesrepublik. Insbesondere versuchen die offen oder getarnt kommunistischen Organisationen mit allen Mitteln, die politische Arbeit der Bundesregierung und des Bundestags zu stören sowie allgemein Unruhe in der Bundesbevölkerung zu erregen. Nach den mir erstatteten Berichten sind in den letzten Tagen auch mit Waffen ausgerüstete Terrorgruppen aus der Sowjetzone in das Gebiet der Bundesrepublik eingeschleust worden, um jetzt auch mit Gewalt Angriffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik zu führen. Die Vorfälle am vergangenen Sonntag in Essen, wo Angehörige der »Freien Deutschen Jugend« (FDJ) gegen die eingesetzten Polizeibeamten Schüsse abgegeben haben, zeigen, dass die verfassungsfeindlichen Kräfte vor tätlichen Angriffen auf die Organe des Staates nicht mehr zurückschrecken. In diesem Zusammenhang sei auf das in Abschrift beigefügte Hetztelegramm von Pieck an den Zentralrat der FDJ hingewiesen. Weiter füge ich die Ablichtung eines Artikels der »Täglichen Rundschau« Berlin (SED) vom 8. Mai 1952 bei, der mich persönlich verunglimpft und am Schluss zu meiner »Beseitigung« auffordert. Für die gegenwärtige Tonart der KP-Presse ist die beiliegende Ausgabe der »Neuen Volkszeitung«, Dortmund, vom 12.5.1952 beispielhaft. Ich verweise schließlich auf zwei mir dieser Tage zugegangene, in Abschrift beiliegende Schreiben kommunistischer Stellen in der Bundesrepublik, die eine in Form und Inhalt bisher nicht festgestellte Hetze gegen die demokratische Ordnung enthalten. Um für die erfolgreiche Abwehr der Angriffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung eine sichere Rechtsgrundlage zu haben, bedarf ich dringend der Entscheidung über die beim Bundesverfassungsgericht schwebenden Verfassungsklagen nach Art. 21 Abs. 2 GG . Ich bitte daher insbesondere um eine möglichst baldige Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung über die Klage gegen die Kommunistische Partei. Die beantragte Entscheidung gegen die KP würde auch für den Kampf gegen die offen oder getarnt kommunistischen Organisationen von ausschlaggebender Bedeutung sein.« gez. Lehr

Dokument Nr. A 4 16. Mai 1952: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff an Bundesinnenminister Lehr.5 Die Arbeitsfähigkeit des Gerichts ist durch äußere Umstände stark beeinträchtigt. Die Hauptverhandlung gegen die SRP soll am 2. Juli 1952 beginnen. Das Verfahren gegen die KPD soll erst im September 1952 eröffnet werden.

»Die in Ihrem Brief vom 9.5. ausgesprochenen Besorgnisse sind mir durchaus verständlich. Ich bitte aber zu berücksichtigen, dass die Belastung des 1. Senates die Gren5 BArch: B 136/4436, Fiche 8, Höpker Aschoff an Lehr, 16.5.1952.

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zen des Erträglichen längst überschritten hat (vgl. die anliegende Übersicht über die Geschäftslage am 30.4.). Die Arbeitsfähigkeit wird dabei noch dadurch beeinträchtigt, dass außer mir keiner der Richter des 1. Senates bisher eine Wohnung in Karlsruhe gefunden hat, dass die erbetenen wissenschaftlichen Hilfsarbeiter nicht kommen und dass ausreichende Arbeitsräume fehlen, weil der immer wieder versprochene Ausbau des Gebäudes stockt. Die Lage wird weiter dadurch verschärft, dass ein Nachmann für Zweigert 16 immer noch nicht gewählt ist, dass Ellinghaus zurzeit eine Kur in Kissingen genießt und Drath (der im Hinblick auf seine Professur jede Woche zwischen hier und Berlin hin und her fliegt) höchstens als eine Viertelkraft gewertet werden kann. Wir haben in den beiden politischen Prozessen das Eröffnungsverfahren gem. § 45 B.Verf.G.G. (= BVerfGG, J. F.) ungesäumt durchgeführt und dann durch Beschlagnahme und Durchsuchung das erforderliche Belastungsmaterial herangeschafft. Die Sichtung dieses Materials ist in vollem Gange. Ohne vorherige Sichtung können die Hauptverhandlungen nicht durchgeführt werden, wenn sie nicht durch Anträge der Verteidiger zu Schauprozessen ausgeweitet werden sollen. Die Rechtsfragen, die Art.  21 aufwirft, müssen sorgfältig geprüft und durch Voten geklärt werden; denn wir betreten hier Neuland. Unser Plan geht dahin, die mündliche Verhandlung gegen die SRP am 2.7. zu beginnen und im Anschluss daran auch den Prozess gegen Remer durchzuführen, sodass in beiden Fällen das Urteil Ende Juli ergehen könnte. Im August werden keine Verhandlungen stattfinden, da alle Richter des 1. Senates eines Urlaubs dringend bedürfen und ein Urlaub mit Rücksicht auf das Quorum von neun Richtern nur möglich ist, wenn wir einen Monat lang mündliche Verhandlungen überhaupt ausfallen lassen. Der Prozess gegen die KPD kann infolgedessen erst im September durchgeführt werden. Zurzeit wird außerdem der Senat (abgesehen von einer Reihe anderer wichtiger Sachen, unter denen ich nur wegen ihrer politischen Bedeutung die Verfassungsbeschwerden Lüth – Veit Harlan und Auerbach und eine Verfassungsbeschwerde gegen das die Polizeiverordnung Remilitarisierung bestätigende Urteil des Oberlandesgerichtes Neustadt erwähnen) durch den gegen den Vertrag über die Verteidigungsgemeinschaft gerichteten Antrag der SPD in Anspruch genommen. Den Antrag, eine einstweilige Anordnung zu erlassen, haben wir gestern zurückgewiesen. Es bleibt abzuwarten, ob Widerspruch nach § 33 erhoben wird; dann würde eine mündliche Verhandlung erforderlich werden. Außerdem müssen wir in absehbarer Zeit über die Zulässigkeit des Hauptantrages in mündlicher Verhandlung entscheiden, wenn diese Verhandlung nicht dadurch überflüssig werden sollte, dass die gesetzgebenden Körperschaften den Vertrag inzwischen genehmigen. An sich soll die Verhandlung über die Zulässigkeit Mitte Juni erfolgen. Sollte der Vertrag inzwischen genehmigt werden, so wird der Antrag der SPD sich gegen den abgeschlossenen Vertrag richten und damit das Bundesverfassungsgericht zu einer Entscheidung aufgerufen, deren Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden kann und die daher mit der allergrößten Sorgfalt vorbereitet werden muss. 6 BayHStA: StK 13084, Ergebnis der Richter-Wahlen für das BVerfG. Kurt Zweigert, Senats­präsident beim OVG Berlin, wurde am 4.9.1951 vom Wahlmännerausschuss des Deutschen Bundestags zum Bundesverfassungsrichter gewählt, schied jedoch schon weniger Monate später wieder aus. Die vakante Stelle konnte erst im März 1954 mit Dr. Karl Heck, Richter am BGH, wieder besetzt werden. BArch: B136/4436, Fiche 3, Der Älteste der Wahlmänner an Bundeskanzler Adenauer, 2.3.1954.

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Ich möchte schließlich Ihre Aufmerksamkeit noch darauf richten, dass die in § 5 vorgeschriebene Frist für die Wahl des Nachmannes von Zweigert 1 längst abgelaufen ist. Was dies im Hinblick auf die Zusammensetzung des Senates bedeuten kann, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich habe Dehler in mehreren persönlichen Schreiben hierauf aufmerksam gemacht. Ob Sabotage geübt wird, kann ich nicht beurteilen, aber ich bitte Sie, auch den Herrn Bundeskanzler einmal auf die Bedeutung der Nachwahl hinzuweisen.« gez. Höpker Aschoff

Dokument Nr. A 5 27. Mai 1952: Besprechung in Karlsruhe, Teilnehmer: Präsident des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff, Bundesrichter Stein (Berichterstatter für den KPD-Prozess), Bundesrichter Scholtissek (Berichterstatter für den SRP-Prozess) und Ritter von Lex, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern.7 Gegenstand des Gespräches waren die Geschäftsbelastung des Bundesverfassungsge­ richts und die Festsetzung der Termine für die Verfassungsklagen gegen die SRP und die KPD. Dringende Bitte von Ritter von Lex, die Termine für die beiden Verfahren so schnell wie möglich bindend festzusetzen und der Öffentlichkeit dies mitzuteilen. Der Präsident und die beiden Berichterstatter »sagten dies zu«.

»Die Aussprache wurde im ersten Teil (Überlastung des Gerichts) zwischen dem Präsidenten und dem Unterzeichneten allein geführt. In ihrem zweiten Teil (Termine für die Verfassungsklagen) wurde sie unter Beiziehung der Bundesverfassungsrichter Dr. Stein und Scholtissek sowie der mit den Anträgen der Bundesregierung befassten Referenten des Bundesministeriums des Innern abgehalten. Die Besprechung hatte folgendes Ergebnis: I. Geschäftsbelastung des Bundesverfassungsgerichts 1.) Der hoffnungslosen Überlastung des I. Senats kann nur noch durch eine Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht wirksam begegnet werden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Gesetz s. Zt. mit den Stimmen aller Parteien außer der KP angenommen worden ist. Änderungswünsche müssten daher an sich von allen Parteien getragen werden, wenn man sich nicht dem Vorwurf einer ad hoc-Gesetzgebung aussetzen will. Andererseits konnte die das Gericht geradezu lähmende Überlastung des I. Senats nicht vorausgesehen werden. Es bestand daher Übereinstimmung darüber, dass die Änderung des Gesetzes unumgänglich sei und, falls die SPD sich einer solchen Änderung versage, nötigenfalls auch gegen ihren Willen herbeigeführt werden müsse. 2.) Das Bundesverfassungsgericht besteht nach der jetzigen Regelung eigentlich aus zwei selbständigen Gerichten, deren Zuständigkeit durch das Gesetz selbst in starrer Weise festgelegt ist. Abhilfe kann in erster Linie dadurch geschaffen werden, 7 ADL: NL Dehler, N1-2902, 27.5.1952. Vermerk über die Besprechung, datiert vom 4.6.1952.

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dass bisherige Zuständigkeiten des I. Senats durch eine Änderung des Katalogs in § 14 des Gesetzes auf den II. Senat überführt werden. Der Präsident bezweifelt, ob es ausreicht, die Verfassungsbeschwerden dem II. Senat zu übertragen oder ob nicht noch weitere Zuständigkeiten auf den II. Senat überführt werden müssen. Er verweist aber auch darauf, dass es nicht unbedenklich sei, die Normenkontrolle von der Verbescheidung der Verfassungsbeschwerden zu trennen. 3.) Es wäre auch zu prüfen, ob nicht, wie dies bei den oberen Bundesgerichten der Fall ist, ein einheitliches Gericht zu schaffen wäre, bei dem die Bildung von Senaten und die Geschäftsverteilung unter diesen entsprechend der Regelung nach dem Gerichtsverfassungsgesetz dem Präsidium zu überlassen wäre. Präsident Höpker Aschoff verweist darauf, dass die Bildung des Präsidiums nicht einfach sein werde. Der naheliegende Weg, das Präsidium aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und den beiden dienstältesten Richtern zu bilden, sei bei dem der Natur der Sache nach politischen Charakter des Gerichts wohl nicht ohne weiteres zu beschreiten. Gestreift wurde auch das Prinzip des sogen. roulierenden Senats, nämlich die ­periodische Auswechslung eines Teils der Richter, etwa aufgrund einer Auslosung. Dadurch würde die Zusammensetzung des jeweils erkennenden Senats sich ständig verändern und daher eine bestimmte politische Haltung eines Senats vom Persönlichen her sich viel schwerer entwickeln können. 4.) Der Gedanke, der Bundesregierung das Recht zu verleihen, eine Plenarsitzung der Senate zu fordern, begegnet bei dem Präsidenten dem Bedenken, dass das gleiche Recht dann allen Antragsberechtigen, also insbesondere auch dem Bundestag und dem Bundesrat eingeräumt werden müsste. 5.) Als unbedingt vordringlich erklärt wurde dagegen eine Änderung des Gesetzes, um der Blockierung der Neuwahl wegfallender Richter entgegenzutreten. Es wird darauf verwiesen, dass die SRP schon angedroht habe, gegen das Gericht den Einwand der fehlenden Legitimation wegen ungesetzlicher Richterzahl zu erheben. Vorgeschlagen wird eine Änderung des Gesetzes dahin, dass für die Wahl eines Richters wenn diese innerhalb der vorgeschriebenen Monatsfrist nicht zustande komme, die einfache Mehrheit (7 Stimmen) ausreiche. Statt der bisher vorgeschriebenen 3/4 eine 2/3-Mehrheit vorzusehen, wird als nicht genügend angesehen, da auch dann bei der jetzigen Zusammensetzung des Wahlausschusses noch eine Blockierung möglich sei. Diese Änderung des Gesetzes muss nach Auffassung aller Beteiligten sofort in Angriff genommen werden. 6.) Der Präsident und die beiden oben erwähnten Bundesverfassungsrichter weisen mit Nachdruck darauf hin, dass das Fehlen ausreichender Arbeitsräume, die viel zu spät und unzureichend durchgeführte Zuteilung der wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und die fehlende Zuteilung von Wohnungen an die Bundesverfassungsrichter die Arbeitsfähigkeit des Gerichts auf das stärkste beeinträchtige. II. Termine für die Anträge auf Verbot der SRP und KP

1. Präsident Höpker Aschoff verweist darauf, dass am 10.  Juni über die Vereinbarung eines deutschen Verteidigungsbeitrages mit dem Grundgesetz zu entscheiden sei. Wenn auch die Entscheidung vermutlich dahin falle, dass die von der SPD und FU gestellten Anträge als unzulässig zurückgewiesen würden, sei der I. Senat

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vor diesem Termin für andere Aufgaben nicht frei. Die beiden von der Bundesregierung gestellten Anträge auf Verbot der SRP und KP im Juli zu verhandeln und das Urteil zu verkünden, sei völlig unmöglich. Er verweise darauf, dass vor der Verkündung die Urteilsbegründung fertiggestellt sein müsse. Zu der Frage, ob der KP-Antrag vorzuziehen sei, müsse er bemerken, dass die Bundesregierung früher selbst betont habe, die Entscheidung über den SRP-Antrag sei aus außenpolitischen Gründen vordringlich. Er erkenne an, dass die scharfe Opposition der KPD und des Ostens gegen die großen Verträge die Situation nunmehr anders erscheinen ließen. Das Gericht könne aber nunmehr nicht mehr umdisponieren. Er müsse außerdem zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Richter darauf bestehen, dass der August sitzungsfrei bleibe. 2. Bundesverfassungsrichter Scholtissek erklärte, der SRP-Antrag könne zu dem vorgesehenen Termin (2.7.) behandelt und die Urteilsbegründung während des Monats Juli abgesetzt werden. 3. Bundesverfassungsrichter Dr. Stein erklärt, dass es vielleicht möglich gewesen wäre über den KP-Antrag noch während des Monats Juli zu verhandeln, wenn die wissenschaftlichen Hilfskräfte früher zugeteilt worden wären. Eine Abfassung der Urteilsgründe und damit eine Verkündung des Urteils vor Mitte September sei jedoch ausgeschlossen. Der Senat habe sich entsprechend dem eigenen bisherigen Begehren der Bundesregierung darauf eingestellt, zuerst die SRP-Klage zu behandeln. Er müsse aus psychologischen Gründen dringend davor warnen, das Steuer nunmehr wieder herumzuwerfen. 4. Der Unterzeichnete erklärt, er müsse bei dieser Sachlage Verständnis dafür haben, dass das Bundesverfassungsgericht für eine Änderung der Termine vor den Gerichtsferien nicht mehr zu gewinnen sei. Er bitte jedoch dringendst darum, dass der Senat nunmehr so rasch wie möglich die Termine für die beiden Anträge bindend festsetze und der Öffentlichkeit bekanntgebe. Präsident Höpker Aschoff und die Berichterstatter für die beiden Anträge sagten dies zu.«

gez. von Lex

Dokument Nr. A 6 7. Mai 1953: Bundesinnenminister Lehr an den 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts.8 Lehr hält das eingereichte Beweismaterial für ausreichend und drängt auf eine zeitnahe Eröffnung der Hauptverhandlung, die das Gericht schon für den 8. Juni 1953 anberaumt habe.

»Am 22. November 1951 reichte ich bei dem Bundesverfassungsgericht, Erster Senat, den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands ein. 8 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 239, Lehr an den Ersten Senat des BVerfG, 7.5.1953.

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Inzwischen habe ich mehrfach umfangreiches Beweismaterial zur weiteren Begründung meines Antrages eingereicht. Die dem Gericht eingereichten Gesamtunterlagen dürften nach meiner Überzeugung für eine Entscheidung in der Sache ausreichen. Ich füge ergänzend hinzu, dass die illegale Tätigkeit der KPD in der Zwischenzeit nicht abgenommen, sondern sich wesentlich verstärkt hat. Ich sehe mich deshalb veranlasst, auf den Fortgang des Verfahrens zu drängen, für das Sie bereits den 8. Juni 1953 als Termin anberaumt haben.« gez. Lehr

Dokument Nr. A 7 11. Mai 1953: Bundesinnenminister Lehr an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff.9 Die Vertagung des ersten Verhandlungstermins um drei Monate wird zur Kenntnis genommen. Die politische Lage verschärft sich täglich. Störungen des Bundestagswahlkampfs werden erwartet. Bundesregierung soll »mit Gewalt« beseitigt werden. Verschiebung des Prozesses gilt als Erfolg der kommunistischen Propaganda.

»Ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens vom 8.5.1953, mit dem mir der Antrag der KPD auf Vertagung des für den 8. Juni 1953 anberaumten Verhandlungstermins um 3 Monate mitgeteilt wurde. Bereits in meinem Schreiben vom 7. Mai 1953 an den Ersten Senat des Bundesverfas­ sungsgerichts habe ich darauf hingewiesen, dass sich die illegale Tätigkeit der KPD in der letzten Zeit wesentlich verstärkt hat. Täglich tritt eine Verschärfung der Lage ein, wie sich aus der Meldung der »Neuen Zeitung« vom 11. Mai 1953 ergibt, nach der 1 600 SED -Agitatoren auf Anregung des KPD -Vorsitzenden Max Reimann demnächst im Bundesgebiet eingesetzt werden, um den bevorstehenden Wahlkampf zu stören. Ich verweise ferner auf die beiliegende Schrift von Sanders: »Aktuelle Probleme der Betriebsund Gewerkschaftspolitik«, die besonders schwere Angriffe gegen die demokratische Grundordnung und die Beseitigung der Bundesregierung mit Gewalt erstrebt. Außerdem füge ich 3 Presseausschnitte bzw. Meldungen bei, die zeigen, dass versucht wird, jede Verschiebung des Prozesses als Erfolg der Propaganda zu verzeichnen. Die Prozessbevollmächtigten der KPD haben im Übrigen ausreichend Zeit gehabt, um das dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Material kennenzulernen, zumal es sich um Material handelt, das von der KPD seit langem selbst verbreitet worden ist.« gez. Lehr

9 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, S. 241, Lehr an Höpker Aschoff, 11.5.1953.

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Dokument Nr. A 8 1. Juli 1953: Bundesinnenminister Lehr an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff.10 Wann und wie wird das eingeleitete Verfahren gegen die KPD fortgeführt?

»Durch Beschluss vom 13. Mai 1953 hat der Erste Senat der Kommunistischen Partei Deutschlands für die Einsicht in die beschlagnahmten Urkunden und Geschäftsbücher eine Frist bis zum 30. Juni 1953 gesetzt; zugleich hat er ihr anheimgegeben, innerhalb der Frist etwaige Beweisanträge zu stellen und etwaiges Beweismaterial vorzulegen. Die Frist ist abgelaufen. Ich wäre für eine Mitteilung dankbar, wie der Senat den Antrag der Bundesregierung, die Kommunistische Partei Deutschlands gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes für verfassungswidrig zu erklären, weiter zu behandeln beabsichtigt.« gez. Dr. Lehr

Dokument Nr. A 9 13. Juli 1953: Präsident des Bundesverfassungsgerichts Höpker Aschoff an Bundesinnenminister Lehr.11 Die Hauptverhandlung im KPD-Prozess kann nicht vor November/Dezember 1953 eröffnet werden.

»Die Durchführung der Normenkontrolle Vertragsgesetze verzögert sich weiter dadurch, dass der Bundesregierung für ihre Gegenerklärung zu den umfangreichen Schriftsätzen der Antragsteller eine Fristverlängerung bis zum 15. August 1953 gewährt werden musste. Ich rechne nunmehr damit, dass die Verhandlung frühestens in der zweiten Hälfte des Monats September durchgeführt werden kann. Da die Absetzung des Urteils wiederum Wochen in Anspruch nehmen wird, wird der Prozess gegen die kommunistische Partei frühestens im November und Dezember ds. Js. durchgeführt werden können. Ich bitte aus der beigefügten Übersicht zu entnehmen, in welchem Umfange der Erste Senat mit anderen Sachen belastet ist, von denen mehrere noch zwischendurch erledigt werden müssen.« gez. Höpker Aschoff

10 BVerfG-Archiv: 1BvB 2/51, S. 259. Lehr an Höpker Aschoff, 1.7.1953. 11 BArch: B237/215681, Höpker Aschoff an Lehr, 13.7.1953.

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Dokument Nr. A 10 5. März 1954: OStA Dr. Topf (Lüneburg) berichtet dem BMI über Auswirkungen der Verzögerung des KPD-Verfahrens auf Staatsanwaltschaften und Gerichte.12 Kritik und Verdruss in der Justiz: Wachsende Zweifel an der Rechtmäßigkeit politischer Prozesse. Abnehmende Bereitschaft, derartige Verfahren überhaupt noch durchzuführen.



»Geheim« »Am 5. März 1954 hatte der Oberstaatsanwalt Dr. Topf aus Lüneburg eine längere Aussprache mit Referat VI A 4, der ein Vortrag bei Herrn Abteilungsleiter VI in Gegenwart des Herrn Unterabteilungsleiter VI A folgte. Oberstaatsanwalt Dr. Topf trug vor, dass sich die Bearbeitung politischer Strafsachen in seinem Bezirk und in den Bereichen der angrenzenden Oberstaatsanwälte von Lüneburg, Braunschweig und Oldenburg zurzeit immer schwieriger gestalte. Die sie bearbeitenden Staatsanwälte und die mit ihnen befassten Richter in den Kammern der Landgerichte seien in letzter Zeit kaum noch geneigt, politische Straftaten, insbesondere solche gegen die in Niedersachsen besonders aktive FDJ, mit dem für die Staatssicherheit notwendigen Nachdruck zu verfolgen. Die Gründe hierfür seien nach seiner Auffassung folgende: 1.) Da der Antrag der Bundesregierung gegen die KPD beim Bundesverfassungsgericht bisher nicht zur Verhandlung gekommen sei, bestehe die Auffassung bei den Richtern und Staatsanwälten, dass seitens der Regierung kein Interesse mehr an einer Durchführung des Verfahrens bestehe. Es würde von ihnen nicht gewürdigt, dass die Bundesregierung bei der Durchführung des KP-Prozesses auf die außenpolitische Lage Rücksicht zu nehmen habe. 2.) Revisionen gegen Urteile der Strafkammern in politischen Strafsachen würden beim Bundesgerichtshof ebenfalls mit auffälliger Verzögerung behandelt, und seine z. T. schon 15 Monaten anhängig, obwohl die Angeklagten in Untersuchungshaft säßen. 3.) Der Antrag der Bundesregierung gegen die FDJ wirke sich ebenfalls hemmend aus. Entgegen der ihm im Hinblick auf § 129a StGB völlig klaren Rechtslage sei auch hier anderwärts die Überzeugung verbreitet, die Bundesregierung sei in der Frage der Rechtsgültigkeit ihres Verbots der FDJ unsicher geworden. 4.) Als besonders lähmend auf die Tätigkeit der Ermittlungsrichter habe sich die Aussetzung der Haftvollstreckung gegen die wegen Hochverrats unter Anklage stehenden Kommunistenführer Dickel und Neumann seitens des Bundesgerichtshofs ausgewirkt. Wenn es in ihren Beschlüssen auch nicht zum Ausdruck komme, so sei jedoch klar zu erkennen, dass sie die Aussetzung dieser Haftbefehle veranlasse, bei Tätern minderen Grades von dem Erlass eines Haftbefehls abzusehen. 5.) Besonders nachteilig habe sich schließlich die Veröffentlichung der Äußerung eines Richters des Strafsenats des Bundesgerichtshofs in einem öffentlichen Haft12 BArch: B106/200808, Vermerk Gecks über Bericht Topf am 5.3.1954 im BMI datiert vom 25.3.1954.

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prüfungstermin ausgewirkt, der zufolge der Senat heute nicht mehr zu seinem sogenannten 5-Broschüren-Urteil13 stehen soll. Dieses Urteil habe in der Rechtsprechung eine besondere Bedeutung gehabt, da der Bundesgerichtshof in ihm die Verfassungswidrigkeit der Bestrebungen der KPD festgestellt habe. Die oben erwähnte Äußerung sei tatsächlich gemacht worden, wodurch eine weitere starke Unsicherheit in den Richterkreisen entstanden sei. Der Rückgang des Interesses an der Strafverfolgung politischer Verbrechen und Vergehen zeige sich äußerlich in auffällig häufigen Krankmeldungen der sie bearbeitenden Staatsanwälte. Die Ermittlungsrichter hätten, wie erwähnt, Scheu vor dem Erlass von Haftbefehlen in politischen Strafsachen. Die Gerichte setzten die Termine für die Hauptverhandlung möglichst weit hinaus. Bei der Strafzumessung sei eine mildere Handhabung festzustellen. Ein psychologisches Moment dürfe hierbei nicht außer Acht gelassen werden. Auf Grund der beamtenrechtlichen Ereignisse in den Jahren 1933 ff. und 1945 ff. bestehe bei den Richtern und Staatsanwälten eine starke Antipathie gegen die Bearbeitung politischer Strafsachen. Infolge des nachlassenden Interesses an der Strafverfolgung erhielten die kommunistischen Elemente innerhalb und außerhalb der Gefängnisse einen erheblichen Auftrieb. Aus den Gefängnissen sei zu berichten, dass die Häftlinge, von denen eine Reihe ausschließlich infolge der Nichtbearbeitung ihrer Revisionen in Untersuchungshaft säßen, dort für künftige Aufgaben regelrecht geschult würden, indem sie laufend Propaganda- und Ausbildungsmaterial der KP erhielten, das von den Haftrichtern nicht beanstandet werden könnte. Eine Verständigung dieser Häftlinge untereinander sei keineswegs auszuschließen und vielfach beobachtet worden. Eine Verständigung unter den Gefangenen habe in erster Linie den Zweck, wankelmütige oder solche Angeklagte, die bereit sind, durch ein Geständnis von der Untersuchungshaft befreit zu werden, zu beeinflussen. Er, Oberstaatsanwalt Dr. Topf, habe sich deshalb gezwungen gesehen, die Häftlinge auf verschiedene Amtsgerichtsgefängnisse zu verteilen. Da eine nicht unerhebliche Anzahl von Häftlingen monatelang in Untersuchungshaft gehalten werde, weil die Revisionsinstanz zu keiner Entscheidung kommt, habe er und seine Kollegen im niedersächsischen Raum sich daher gezwungen gesehen, in vielen Fällen die Aufhebung von Haftbefehlen zu beantragen, in der Erwartung, dass bei der Zurückweisung der Revisionen wenigstens ein Teil der Strafe noch in Strafhaft verbüßt werden könne. Ergänzend zu seinen Ausführungen über den eigenen Bezirk und die Bereiche der angrenzenden Staatsanwaltschaften berichtete Oberstaatsanwalt Dr. Topf, dass er auch mit den Strafverfolgungsbehörden in Bremen und Hamburg Fühlung genommen habe. In Bremen sei in politischen Strafsachen noch niemals etwas veranlasst, sondern sämtliche Verfahren seien eingestellt worden. In Hamburg habe bis vor einem Vierteljahr dieselbe Praxis vorgeherrscht. Erst auf energische Vorstellungen der niedersächsischen Justiz sei man auch in Hamburg dazu übergegangen, die politische Untergrundtätigkeit der Kommunisten strafrechtlich zu verfolgen. Nach Ansicht von Oberstaatsanwalt Dr. Topf sei vom Standpunkt der Strafverfolgungsbehörden aus gesehen der Durchführung des Antrags gegen die KPD unbedingt der Vorrang zu geben. Oberstaatsanwalt Dr. Topf ist sich jedoch darüber im Klaren, dass 13 Ausführlich hierzu: Foschepoth: Überwachtes Deutschland, S. 65–75.

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außenpolitische Gründe gegen eine alsbaldige Verhandlung dieses Antrages sprechen könnten. In der Aussprache wurde OStA Dr. Topf dahin unterrichtet, dass sich an der Auffassung der Bundesregierung über die Verfassungswidrigkeit der KP nichts geändert habe. Zunächst müsse aber die gesetzmäßige Besetzung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet und auf politischer Ebene entschieden werden, ob unabhängig von der gesamten politischen Lage der KP-Prozess schon jetzt durchgeführt werden soll. Das Verfahren gegen die FDJ werde seinen Fortgang nehmen und die Rechtslage klarstellen. Durch die Errichtung des 6. Strafsenats sei zu hoffen, dass die eingetretene Stockung in der Erledigung der politischen Strafsachen beim Bundesgerichtshof demnächst behoben sei. Der 6. Senat habe bereits eine Reihe von erstinstanzlichen Landesverratssachen verhandelt und weitere Hauptverhandlungstermine angesetzt. Nach Einarbeitung des Senats sei auch mit Verhandlungen von Revisionen in Hochverratssachen zu rechnen. Der Senat werde dann zwangsläufig zu der im 5-Broschüren-Urteil vertretenen Rechtsauffassung Stellung nehmen müssen. OStA Dr. Topf hat bei seinem Besuch in Bonn auch das Bundesjustizministerium aufgesucht und dort seine oben wiedergegebenen Wahrnehmungen hinsichtlich der Behandlung politischer Strafsachen vorgebracht. Wie inzwischen vom BMJ zu erfahren war, ist nachgeprüft worden, ob tatsächlich von einem Richter des Bundesgerichtshofs erklärt worden ist, dass der Senat nicht mehr zu dem sogenannten 5-Broschüren-Urteil stehe.14 Eine solche Äußerung sei in Wirklichkeit niemals gemacht worden, was inzwischen den Generalstaatsanwälten der Länder bekanntgegeben worden sei.« gez. Gecks

Dokument Nr. A 11 5. August 1954: Bundesinnenminister Schröder an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Wintrich.15 Bezug auf ein Gespräch zwischen Bundesverfassungsrichter Stein und Bundeskanzler Adenauer vor einigen Wochen. Termin für die Hauptverhandlung sollte so früh wie möglich angesetzt werden. Zwei BGH-Entscheidungen legen nahe, das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt abzuschließen.

»Geheim« »Unter Bezugnahme auf die Rücksprache, die vor einigen Wochen zwischen Ihnen und Herrn Bundesverfassungsrichter Dr. Stein mit dem Herrn Bundeskanzler und mir stattgefunden hat, möchte ich Ihnen von dem Wunsch der Bundesregierung Kenntnis 14 In seiner Entscheidung gegen die Kommunisten Dickel und Neumann vom 2.  August 1954 revidierte der BGH das »Fünf-Broschüren Urteil« vom April 1952. Vgl. Hochverrat und Staatsgefährdung, hier Bd. 1, S. 19–73. 15 BArch: B 106/200800, Schröder an Wintrich, 5.8.1954.

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Die Quellen-Dokumentation

geben, einen Termin in dem Verfahren gemäß Art. 21 des Grundgesetzes gegen die KPD so frühzeitig anzusetzen, wie es die Geschäftslage des damit befassten Senats des Bundesverfassungsgerichts erlaubt. Inzwischen liegen zwei Urteile des 6.  Strafsenats des Bundesgerichtshofs gegen KPD -Funktionäre vor, die es angezeigt erscheinen lassen, das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren abzuschließen.« gez. Schröder

Dokument Nr. A 12 27. Februar 1956: StS Franz Thedieck (BMG) an Walter Menzel (SPD), Vorsitzender des Ausschusses zum Schutz der Verfassung (MdB).16 Auf Anregung des BMI stellt das BMG Finanzmittel für Herausgabe und Druck der Wortprotokolle und Beweismaterialien des KPD-Prozesses bereit. Nach Abschluss der Hauptverhandlung im Juli 1955 gab die Bundesregierung (Prozesspartei im KPD-Prozess) eine dreibändige Dokumentation des Verfahrens in Auftrag. Offensichtlich wurden alle Prozessunterlagen des Gerichts einer Prozesspartei, nämlich der Bundesregierung, 13 Monate vor dem Ende des Verfahrens für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Der erste Band erschien im Februar 1956, sechs Monate vor Verkündigung des Urteils.

»Sehr geehrter Herr Abgeordneter, in den Schlußplädoyers der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht wurde es mit Recht als ein historisches Ergebnis des Prozesses gegen die KPD bezeichnet, dass dem deutschen Volke zum ersten Mal an höchster Gerichtsstelle die Gefährlichkeit und die revolutionäre Zielsetzung der kommunistischen Partei vor Augen geführt worden ist. Zu gleicher Zeit wurde bei dieser Gelegenheit die KPD gezwungen, ihre Vorstellungen von der Wiedervereinigung Deutschlands offenzulegen. Dabei wurde unter Beweis gestellt, dass die Einbeziehung ganz Deutschlands in den kommunistischen Machtbereich ihr letztes und eigentliches Ziel ist. Aus diesem Grunde erschien es angebracht, den Verhandlungsbericht des Prozesses mit der Fülle des in ihm vorgetragenen Beweismaterials der Öffentlichkeit in vollem Umfang zugänglich zu machen. Ich habe daher auf Anregung des Herrn Bundesministers des Innern Mittel bereitgestellt, um diese Publikation zu ermöglichen. Das Werk erscheint in drei Bänden, von denen die beiden ersten das Wortprotokoll der mündlichen Verhandlung enthalten, während der dritte Band die Schlussplädoyers, die nach der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge der Parteien, die abschließende Entscheidung des Gerichts und die Register bringen wird. Der erste Band ist soeben erschienen, und ich erlaube mir, Ihnen in der Anlage ein Exemplar zu überreichen.« gez. Thedieck 16 PA-DBT: 3102/A015, Thedieck an Menzel, 27.2.1956.

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Dokument Nr. A 13 23. April 1956: Im Vorgriff auf die Entscheidung des BVerfG erhöht Bundesinnenminister Schröder den öffentlichen Druck und fordert auf einer Pressekonferenz eine baldige Entscheidung im KPD-Verfahren.17 Die Verfassungswidrigkeit der KPD steht außer Frage. Autorität, Sicherheit und Ansehen des Staates erfordern »eine baldige Schlussentscheidung des Bundesverfassungsgerichts«.

»I. Die mündliche Verhandlung im Prozess über die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD ist am 14. Juli v. J. geschlossen worden. Nachdem etwa 5 Monate vergangen waren, ohne dass ein Termin zur Urteilsverkündung anberaumt war, ist die KPD seit November v. J. wieder aktiv geworden. Sie hat seitdem in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Anträge auf Einstellung des Verfahrens bzw. neuerdings auf Wieder­eröffnung der mündlichen Verhandlung gestellt. Nachdem 1. die Prozessvertretung der KPD sich in einer Pressekonferenz am 6.4.1956 in Karlsruhe an die Öffentlichkeit gewandt und dabei irreführende Erklärungen abgegeben hat und 2. einige unserer Presseorgane völlig verfehlte Kombinationen über die Haltung der Bundesregierung zum KPD -Prozess angestellt haben und 3. Bitten um Aufklärung an uns herangetragen worden sind, möchte ich die Öffentlichkeit über den Stand der Sache und die Auffassung der Bundesregierung unterrichten. II. Die KPD hat zunächst am 11. November 1955 die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung beantragt, dass es dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes widerspreche. Sie hat dabei politische Erklärungen der KPD selbst und politische Ereignisse, vor allem die 2. Genfer Konferenz, angeführt. Am 16.1.1956 hat die KPD mit ähnlicher politischer Begründung die Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung beantragt.

Z. Z. beschäftigen das Gericht und die Prozessparteien zwei neue Anträge der KPD: 1. Ein Antrag vom 26.3.1956 auf Erlass einer einstwilligen Anordnung nach § 32 BVerfGG, 2. Ein Antrag vom 14.3. und 5.4.1956 auf Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung mit Rücksicht auf inzwischen bekannt gewordene »Ereignisse« und »Dokumente«. Zu 1: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird mit angeblichen Absichten der Bundesregierung begründet, am 28. und 29. März polizeiliche Aktionen gegen die KPD durchführen zu lassen. Diese Behauptungen waren völlig aus der Luft gegriffen. Die Bundesregierung denkt nicht daran, irgendwelche Maßnahmen gegen die KPD zu 17 ACDP: 01-483-034/3, Schröder, Manuskript, verlesen auf der Pressekonferenz am 23.4.1956.

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veranlassen, die vor einem Verbotsurteil unzulässig wären. Das Verhalten der KPD -Vertretung in dieser Sache ist also eine grobe Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht. Der Antrag ist nur ein Manöver, mit dem die KPD versucht, zu einer neuen mündlichen Verhandlung zu kommen, um den ganzen Prozessstoff neu aufzurollen. Zu 2: Der zweite Antrag auf Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung in der Sache selbst war zunächst mit diffamierenden Behauptungen über die Politik der Bundesregierung begründet worden. Von ihm konnte sich die KPD offensichtlich keinen Erfolg versprechen. In ihrem letzten Schriftsatz vom 5.4.1956 endlich hat sie nun die Behauptung aufgestellt, dass seit der mündlichen Verhandlung wichtige »Ereignisse« und »Dokumente« bekannt geworden seien. Als solche führt sie an: a) Parteiamtliche Erklärungen der KPD selbst, wonach sie gewisse revolutionäre Losungen wie »Sturz des Adenauer-Regimes«, die vor allem im »Programm der nationalen Wiedervereinigung« enthalten sind, als nicht der Lage und den Bedingungen entsprechend, für falsch erklärt, b)  Gewisse Erklärungen auf dem XX . Parteitag der KPdSU, wonach die staatliche Machtergreifung durch die Kommunisten nicht in allen Staaten die Notwendigkeit von Gewalt und Bürgerkrieg einschließe, sondern u. U. auch unter Ausnutzung parlamentarischer Einrichtungen erfolgen könne. Die Bundesregierung hat Ende der vergangenen Woche hierauf geantwortet. Dieser Schriftsatz wird Ihnen ausgehändigt. III. Was ist von diesem Versuch der KPD zu halten, die Moskauer Aufweichungs­ offensive in den Karlsruher Gerichtssaal zu tragen?

Die Abschwächung gewisser revolutionärer Losungen, wie »Sturz des AdenauerRegimes«, (worunter die KPD unsere ganze staatliche Ordnung versteht) hat nur eine vorübergehende, taktische Bedeutung. Das eigentliche Ziel der KPD, die revolutionäre Machtergreifung, die Zertrümmerung der demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung und Errichtung der von der Kommunistischen Partei ausgeübten Klassendiktatur, bleibt unverändert. Insoweit ist man nicht auf Vermutungen angewiesen. Das geht vielmehr aus der Formulierung der parteiamtlichen Erklärungen selbst hervor. Das Ziel des »Programms der nationalen Wiedervereinigung« wird ausdrücklich aufrechterhalten. Nur weil die »Lage« und »Bedingungen« z. Z. nicht gegeben sind, nur weil die revolutionären Parolen der erstrebten Aktionseinheit mit gewissen nichtkommunistischen Kräften hinderlich sind, werden diese vorrübergehend preisgegeben. Es geht also nur darum, die Situation im Interesse des angestrebten Erfolgs besser zu berücksichtigen. (Aus dem Schriftsatz der Bundesregierung: »Wenn sich »Lage« und »Bedingungen« entsprechend gestalten, wird die KPD jederzeit, auch noch während der Geltungsdauer des Grundgesetzes, wieder auf die revolutionären Parolen zurückgreifen. Bis dahin aber bleibt ihre ganze politische Arbeit weiter darauf gerichtet, eben diese »Lage« und diese »Bedingungen« für die Entfachung der Revolution herbeizuführen. Ihre gesamte Tätigkeit ist deshalb, unabhängig von teilweise wechselnden Parolen, immer und jederzeit revolutionär orientiert. Unabhängig von

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allem Wechsel der politischen Situationen bleibt für die KPD das Prinzip, dass sie als revolutionäre Vorhut einer Klasse gewillt ist, die Macht im Staate auch mit Gewalt an sich zu reißen. Mit Recht bezeichnet sie sich daher als revolutionäre Partei.«) Von revolutionären Zielen selbst hat also die KPD nicht die mindesten Abstriche gemacht. Sie konnte es auch nicht, weil die Partei, von der die KPD gesteuert wird, nämlich die KPdSU, ebenfalls nur gewisse taktische Änderungen der kommunistischen Politik unter strenger Aufrechterhaltung ihrer Ziele und Prinzipien proklamiert hat. Auf dem Parteitag der KPdSU sind Äußerungen gemacht worden, dass die kommunistische Machtergreifung und Diktatur nicht unbedingt in allen Ländern auf dem Wege der Gewalt und des Bürgerkriegs erfolgen müsse und man auch parlamentarische Einrichtungen – wie es wörtlich hieß – »ausnutzen« könne, um an die Macht zu kommen. Damit möchte sich die KPD nunmehr als demokratisch legitimieren. Sie verschweigt dabei bewusst, dass nach den zitierten Äußerungen die sog. »friedliche Machtergreifung« nur dort in Betracht kommt, wo sich der Klassengegner widerstandslos ergibt. Wo dies nicht der Fall ist, wird am Prinzip der Gewalt einschränkungslos und ausdrücklich festgehalten. Das ganze »Abschwören der revolutionären Parolen« durch die KPD ist ein reines Lippenbekenntnis mit der Mentalreservation, die revolutionären Parolen jederzeit wieder zu entzünden, wenn es die KPD für richtig hält. Es wird in bewährter Weise auf die Leichtgläubigkeit und die Vergesslichkeit der freien Welt spekuliert. Prozessual ist folgendes zu sagen: Alle Themen, die die KPD anschneidet, sind bereits Gegenstand tagelanger Beweisaufnahmen und Plädoyers gewesen. Die KPD hatte trotz erdrückenden Beweismaterials immer wieder behauptet, dass sie keineswegs an einen gewaltsamen Sturz des »AdenauerRegimes« denke. Herr Fisch am 17. Verhandlungstage in Karlsruhe wörtlich: dass »wir nicht im Rahmen der Bundesrepublik die sozialistische Gesellschaftsordnung als jetzt zu erstrebendes Ziel auf die Tagesordnung gesetzt haben« und dass die angeblich nur für später beabsichtigte Revolution gewaltlos abgehen könne, wenn die legitimen verfassungsmäßigen Kräfte unseres Staates keinen Widerstand leisten würden. Alle früheren Ausflüchte sind jetzt zu formellen Parteierklärungen erhoben worden. Kein einziger Gesichtspunkt, kein Gedanke, kein Argument sind neu. Neu ist nur, dass das frühere Vorbringen jetzt zum Gegenstand von Parteierklärungen der Kommunisten gemacht worden ist. Bisher hatte sich die KPD in Karlsruhe gegen jede Erörterung von Ereignissen und Verhältnissen in anderen Staaten der kommunistischen Welt gewandt. Jetzt möchte sie den XX . Parteitag der KPdSU in den Prozess einführen. Sie verstößt damit nicht nur gegen die Verhandlungsprinzipien des Senats, der den Prozessstoff auf die deutschen Verhältnisse beschränkt hat, sondern straft auch ihre eigene Behauptung in Karlsruhe Lügen, dass sie eine von ausländischen Einflüssen völlig unabhängige Partei sei. Nach Auffassung der Bundesregierung ist das Beweisergebnis der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe unerschüttert. Die Abschwächung einiger besonders aufreizender Parolen und konstruierte Widersprüche in einer theoretischen Spezialfrage des Marxismus-Leninismus sind belanglos. Es wäre widersinnig, sollte das einfache Selbstzeugnis einer Prozesspartei, sie verfolge keine verfassungswidrigen Bestrebungen, ein neues grundlegendes Ereignis darstellen, das die Wiederaufnahme der ganzen

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Verhandlung geboten erscheinen lasse. Dann hätte es jede verfassungswidrige Partei in der Hand, auf die billigste Weise ein Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG ins Endlose zu verschleppen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Autorität und die Sicherheit des Staates und das Ansehen seiner rechtsstaatlichen Institutionen eine baldige Schlussentscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangen.«

Dokument Nr. A 14 25. Mai 1956: Bundesinnenminister Schröder drängt erneut, dieses Mal in einem Schrei­ ben an Präsident Wintrich auf eine baldige Entscheidung im KPD-Prozess.18 Wiederholt habe der Prozessvertreter der Bundesregierung zu einer raschen Entscheidung aufgefordert. Nach öffentlicher Kritik verstärkt der Bundesinnenminister erneut den Druck auf das Bundesverfassungsgericht. Es sei für die zunehmende Demoralisierung des Rechts- und Verfassungsbewusstseins des Volkes und eine verhängnisvolle Schwächung des Staates verantwortlich, sofern nicht bald der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD entschieden werde.

»Schon mit Schriftsatz vom 17.12.1955 an den 1. Senat hat der Prozessvertreter der Bundesregierung ausgeführt, dass die KPD evident darauf hinarbeite, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu zerstören und dass deshalb ihre alsbaldige Ausschaltung aus dem politischen Leben in der verfassungsmäßigen Form des Art. 21. Abs. 2 GG dringend geboten sei. Mit Schriftsatz vom 2.2.1956 hat der Prozessvertreter der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass seit Schluss der mündlichen Verhandlung am 14.7.1955 ein halbes Jahr verflossen sei und die KPD seitdem ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen mit voller Kraft weiter betreibe. Die Bundesregierung lege daher größten Wert darauf, dass über ihren Antrag nunmehr entschieden werde. Der Prozessvertreter bat namens der Bundesregierung um Mitteilung, wann mit dem Verkündungstermin gerechnet werden könne. Am 16.2.1956 haben Sie geantwortet, dass vor Ende März mit einem solchen Termin nicht gerechnet werden könne. Im Schriftsatz vom 3.4.1956 hat der Prozessvertreter der Bundesregierung deren Bitte um baldmögliche Anberaumung eines Termins zur Verkündung der Sachentscheidung wiederholt. In dem Schriftsatz vom 18.4.1956 hat die Prozessvertretung der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass die KPD durch offensichtlich unbegründete Anträge die Sachentscheidung zu verzögern und das schwebende Verfahren für Propagandazwecke auszunutzen suche. Angesichts des fortgesetzten gröblichen Missbrauchs der rechtsstaatlichen Einrichtungen der Bundesrepublik durch die KPD sehe sich die Bundesregierung veranlasst, im Interesse des Ansehens unseres Staates nochmals dringend auf die Notwendigkeit einer alsbaldigen Schlussentscheidung hinzuweisen.

18 BArch: B 136/3785, Schröder an Wintrich, 25.5.1956.

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Leider ist der Bundesregierung bis heute keine Mitteilung über die Anberaumung dieses Termins zugegangen. Die Bundesregierung erlaubt sich daher die Aufmerksamkeit des Senats darauf hinzulenken, dass sich die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seitens der kommunistischen Partei drohende Gefahr in den letzten Monaten in keiner Weise gemindert hat, sondern dass sie im Gegenteil in steigendem Maße zunimmt. Infolge des Ausbleibens des Urteils über die Verfassungswidrigkeit der KPD ist zunächst diese Partei selbst in der Lage, ihre verfassungsfeindliche Tätigkeit ungehemmt fortzusetzen. Auch die zahlreichen kommunistischen Tarnorganisationen können ihre zersetzende Tätigkeit in den verschiedensten Kreisen unserer Bevölkerung weiter betreiben, ohne dass diesen wegen der verfassungsrechtlichen Unklarheit über das wahre Wesen der KPD in wirklich überzeugender Weise die Augen darüber geöffnet werden können, wie sehr sie für verfassungsfeindliche Zwecke missbraucht werden sollen. Diese Unklarheit lähmt auch die Initiative der Polizeibehörden bei der Anwendung des Art. 9 GG gegen die kommunistischen Tarnorganisationen und erschwert es den Verwaltungsgerichten, über die von kommunistischer Seite völlig unbegründet erhobenen Anfechtungsklagen zügig zu entscheiden. Die Bundesregierung muss auch auf die staatspolitisch nicht ernst genug zu bewertende Gefahr hinweisen, die darin liegt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Strafgerichte in ihrer Initiative bei der Abwehr staatsgefährdender Handlungen erlahmen müssen, wenn sie gegen Einzelpersonen wegen strafbarer Handlungen auf diesem Gebiete vorgehen sollen, während die wahre Urheberin dieser Delikte, die kommunistische Partei, unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 21 GG weiterhin tätig sein kann. Die Bundesregierung muss schließlich die Aufmerksamkeit des Senats besonders auch darauf lenken, welch vergiftende Hetze von den kommunistischen Organen in der sog. DDR und in der Bundesrepublik gegen unseren freiheitlichen Rechtsstaat gerade in den letzten Wochen wieder getrieben wird. Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Brief des Präsidenten der sog. DDR an den Herrn Bundespräsidenten (Neues Deutschland v. 20.5.1956) hinweisen. Dort wird gegen unser Staatswesen der unerhörte Vorwurf der Verletzung der demokratischen Grundrechte, der widerrechtlichen, langjährigen Inhafthaltung politisch Andersdenkender, der staatlich geförderten Wiederbelebung des Militarismus, Nazismus und Antisemitismus, sowie der Vorwurf einer beispiellosen Hetze gegen friedliebende Völker erhoben. Dort wird ferner gefordert, dass die wegen krimineller Handlungen auf Grund ordentlicher Rechtsverfahren in der Bundesrepublik Verurteilten begnadigt werden sollen. Man erklärt sich »großmütig« bereit, gegenüber den in der sog. DDR auf Grund polizeilicher Willkür oder von Terrorurteilen seit Jahren der Freiheit Beraubten, angeblich von unverantwortlichen Elementen in der Bundesrepublik und West-Berlin Angestifteten, Gnade zu üben mit der verlogenen Behauptung, die »Verständigung zwischen den beiden Staaten« auch durch die »Begnadigung dieser Rechtsbrecher« fördern zu wollen. Die fortgesetzte Verbreitung dieser Verleumdungen und heuchlerischen Angebote durch die Presse einer Partei, wegen derer Verfassungsfeindlichkeit bisher noch keine letzte, d. h. verfassungsgerichtliche Klärung geschaffen ist, muss zu einer Demoralisierung des Rechts- und Verfassungsbewusstseins unserer Volkes und damit auch zu einer verhängnisvollen Schwächung der Position unseres Staates in der für unser ganzes Volk entscheidenden West-Ost-Auseinandersetzung führen.

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Die Quellen-Dokumentation

Die Bundesregierung hält es für ihre Pflicht, diese Zusammenhänge mit ihren für unser Volk so weittragenden Folgen dem Senat in aller Klarheit darzulegen und ihn zu bitten, über ihren Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD nunmehr alsbald zu entscheiden.« gez. Schröder

Dokument Nr. A 15 25. Mai 1956: Bundesinnenminister Schröder an Bundeskanzler Adenauer.19 Schröder dankt dem Bundeskanzler, dass er die Forderung des Bundesinnenministers nach baldiger Entscheidung im KPD-Verfahren unterstützt. Bei weiterer Verzögerung setze sich das Gericht »dem Verdacht der Urteilsverweigerung« aus.

»Anbei übersende ich Ihnen Abschrift des Briefes, den ich wegen der Notwendigkeit, dass nunmehr alsbald über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD entschieden wird, an den Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gerichtet habe. Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie auch Ihrerseits an Herrn Präsidenten Dr. Wintrich schreiben wollen. Dem Herrn Bundesminister der Justiz habe ich eine Abschrift meines Briefes zugeleitet mit der Bitte, zu erwägen, ob er, falls der Senat nicht in naher Zeit über den Antrag der Bundesregierung entscheidet, den Präsidenten nicht seinerseits drauf hinweisen sollte, dass der Senat bei weiterer Verzögerung der Urteilsfällung sich dem Verdacht der Urteilsverweigerung aussetzt.« gez. Schröder

Dokument Nr. A 16 30. Mai 1956: Bundeskanzler Adenauer an den Präsidenten des Bundesverfassungs­ gerichts Wintrich.20 Die Gefahr des Kommunismus hat sich nicht verringert. Die Bundesregierung ist aus ­zwingenden politischen Gründen an einer schnellen Entscheidung interessiert.

»Es bereitet mir ernste Sorge, dass über die Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands noch nicht entschieden ist. Die Bundesregierung muss heute mehr denn je ihre Entschlossenheit bekunden, den Angriffen des Kommunismus entgegenzutreten. Die von der KPD und allgemein vom Kommunismus drohende Gefahr für unsere Freiheit hat sich in keiner Weise vermindert.

19 BArch: B 136/3785, Schröder an Adenauer, 25.5.1956. 20 BArch: B 136/3785, Adenauer an Wintrich, 30.5.1956.

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Der Kampf gegen die kommunistischen Infiltrationsversuche in der Bundesrepublik ist fühlbar gehemmt, solange die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren gegen die KPD aussteht. Die zuständigen Behörden machen gegenüber linksradikalen Organisationen nur zögernd von der Befugnis Gebrauch, die ihnen der Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes bietet, weil sie auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichts warten. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden drohen in ihrer Entscheidungsfreudigkeit zu erlahmen, weil sie sich immer wieder der zu Unrecht vorgetragenen Behauptung gegenübersehen, die subversive kommunistische Tätigkeit sei nicht zu beanstanden, da sie der Auffassung einer in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz bestehenden politischen Partei entspreche. Auch in der Öffentlichkeit wird mit diesem Argument eine Propaganda betrieben, deren Wirkung sich nicht auf den Kreis der entschiedenen Kommunisten beschränkt. Zusammenfassend möchte ich betonen, dass die Bundesregierung aus zwingenden politischen Gründen an einer schnellen Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der KPD interessiert ist. Die Bundesregierung bittet, möglichst bald über ihren Antrag zu befinden.« gez. Adenauer

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Die Quellen-Dokumentation

B. Geheime Beratungen und Absprachen zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht Dokument Nr. B 1 16. November 1951: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hermann Höpker Aschoff bittet kurzfristig darum, noch vor der heutigen Entscheidung des Bundeskabinetts über die Anträge auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit von SRP und KPD beim Bundesverfassungsgericht gehört zu werden.1 Der Bundeskanzler entspricht dem Wunsch des Präsidenten. Die Kabinettssitzung wird von 9.30 bis 11 Uhr unterbrochen.2 Ein Protokoll über die Besprechung außerhalb des ­Kabinetts, an der zunächst nur Adenauer, Lehr und von Lex, ab 10.10 das gesamte Kabinett teilnehmen, gibt es nicht. In den privaten Aufzeichnungen von Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm findet sich eine kurze, aber inhaltsreiche Notiz.

1. Vermerk Globke: »Herr Minister Lehr bittet, ihn zusammen mit Präsidenten Dr. Höpker Aschoff noch vor der Kabinettssitzung zu empfangen. Dr. Höpker Aschoff sei wegen der beabsichtigten Klagen auf Verfassungswidrigkeit der SRP und KPD nach Bonn gekommen. Er habe Mitteilungen zu machen, die für die Entschließungen der Bundesregierung von wesentlicher Bedeutung seien. Minister Lehr bittet, im Anschluss an die Besprechungen in der Kabinettssitzung die Lagen außerhalb der Tagesordnung zu behandeln. Je ein Stück der Klageschrift ist beigefügt. Die Begründung ist schlüssig. gez. Dr. Globke« 2. Notiz Seebohm: »Besprechung mit HöA [Höpker Aschoff, J. F.]: die 24 Rotrobigen in Karlsruhe haben Angst vor SRP KP Prozessen!!«3

1 BArch: B 136/3784, Globke, Vermerk für Bundeskanzler Adenauer, 16.11.1951. Hans Globke war zu diesem Zeitpunkt Abteilungsleiter und Stellvertreter von Staatssekretär Otto Lenz im Bundeskanzleramt. 2 St BKAH: Kalendarium, Tageskalender des Bundeskanzlers, 16.11.1951, in: www.konradadenauer.de. 3 BArch: N1178/7a, NL Sebohm. Notizen Seeboms zur Besprechung mit Höpker Aschoff am 16.11.1951.

Geheime Beratungen und Absprachen

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Dokument Nr. B 2 21. Januar 1952: Bundesinnenminister Lehr »regt« in einem Schreiben an das Bundesverfassungsgericht an, das Vermögen der KPD zu beschlagnahmen und die Geschäftsräume der KPD bundesweit zu durchsuchen.4 Auf Anraten von Bundesjustizminister Dehler stellt Bundesinnenminister Lehr keinen »­Antrag«, sondern »regt« nur an, das BVerfG möge parallel zur Eröffnung des Verfahrens gegen die KPD gleichzeitig Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Geschäftsräumen der KPD anordnen. Das Gericht fasste daraufhin am 24.1.1952 den Eröffnungsbeschluss und ordnete am gleichen Tag entsprechende Durchsuchungen und Beschlagnahmen an.5

1. Schreiben des Bundesinnenministers an den 1. Senat: »Als Anlage übersende ich eine Anregung, gegen die KPD Maßnahmen nach §§ 47, 38 BVGG [=BVerfGG, J. F.] anzuordnen. Von der Stellung eines förmlichen Antrages habe ich abgesehen, weil es mit dem Ansehen der Bundesregierung nicht vereinbar wäre, in einer Angelegenheit von solcher Bedeutung einen Antrag zu stellen, der der Möglichkeit der Ablehnung unterliegt.« gez. Lehr »Geheim« 2. »Anregung« des Bundesinnenministers an den 1. Senat: »Für die weitere Bearbeitung des Verfahrens gegen die ›Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)‹ auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit rege ich an, nach §§ 47, 38, 35 BVGG folgende Anordnung zu treffen: I. 1)  Das Vermögen der KPD wird unter Einschluss etwa später zufallender Vermögensteile entsprechend § 433 Abs. 1 StPO zur Sicherstellung der beantragten Einziehung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens mit Beschlag belegt. Mit dem Zeitpunkt der Bekanntmachung der Beschlagnahme verliert die KPD das Recht, über das in Beschlag genommene Vermögen zu verfügen. 2)  Die Minister (Senatoren) des Innern in den Ländern werden ersucht, die angeordnete Beschlagnahme durchzuführen. 3)  Die Minister (Senatoren) des Innern in den Ländern werden für die in ihrem Dienstbereich belegenen und beschlagnahmten Vermögenswerte der KPD zu Treuhändern bestellt und in den Besitz an den beschlagnahmten Vermögen eingewiesen. Sie handeln rechtlich in eigenem Namen mit Wirkung für und gegen den Vermögensträger. Ansprüche und Klagen, die sich auf das unter Beschlagnahme stehende Vermögen beziehen, können nur gegen die Treuhänder erhoben werden. 4)  Die Minister (Senatoren) des Innern können andere Behörden mit der Durchführung der Beschlagnahme beauftragen und das Amt des Treuhänders auf andere Behörden und Personen übertragen. 4 BArch: B 106/15544, Durchschlag in: BArch: B 106/200800. 5 BVerfG-Archiv: 1 BvB 2/51, 24.1.1952, abgedruckt, in: KPD -Prozess. Dokumentarwerk, S. 61 ff.

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Die Quellen-Dokumentation

II.  Es sind zu durchsuchen die Geschäftsräume6: 1)  des Partei-Vorstandes der KPD in Düsseldorf, Ackerstrasse 144,

sowie deren Abteilungen: a) Org. Instr. Abt., Düsseldorf, Düselkämpchen 2 b) Abt. Massenagitation, Düsseldorf-Oberkassel, Ghansonstrasse c) Abt. Arbeit und Soziales und d) Abt. Presse, Düsseldorf, Klosterstrasse 132 2) der Landesleitung Hamburg, Hamburg Nagelsallee 3–5 3) ” ” Niedersachsen, Hannover-Linden, Hohestr. 7 4) ” ” Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Klosterstr. 144 5) ” ” Schleswig-Holstein, Kiel, Lerchenstr. 4 6) ” ” Baden, Freiburg, Vaubanstr. 12 7) ” ” Bayern, München, Wiedemeyerstr. 25 8) ” ” Bremen, Bremen, Lindenhofstr. 13 9) ” ” Württemberg-Baden, Stuttgart, Charlottenplatz 17 10) ” ” Hessen, Frankfurt/Main, Gutleutstraße 12 11) ” ” Rheinland-Pfalz, Mainz, In der Boppstr. 20 12) ” ” Württemberg-Hohenzollern, Reutlingen

III.  Die Minister (Senatoren) des Innern werden ersucht, die unter II aufgeführten Durchsuchungen durchzuführen. IV.  Der Beschluss zu I wird im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Er wird mit der Bekanntmachung wirksam.

Begründung: Nach vorliegenden Nachrichten hat die KPD seit Wochen mit Rücksicht auf das angekündigte Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG vornehmlich im Land Niedersachsen erhebliche Vermögenswerte an ihre Angestellten und Arbeiter zur Deckung angeblicher Gehaltsforderungen und Lohnansprüche übertragen. Diese Vermögensübertragungen werden m. E. in der Absicht vorgenommen, eine etwa bevorstehende Einziehung des Vermögens der Partei im Rahmen dieses Verfahrens unmöglich zu machen. Es ist hier zuverlässig bekannt geworden, dass die KPD die von ihr benutzten Vermögensgegenstände an ihr vertrauenswürdig erscheinende Einzelpersonen als Fiduziare überträgt, um so als vermögenslos zu erscheinen. Die Liegenschaften befinden sich in Treuhandeigentum der » Hansa«-Grundstücksverkehrsgesellschaft m.b.H. – deren Gesellschafter besonders zuverlässige Kommunisten sein sollen. Mit der Beschlagnahme des Vermögens der KPD würden jedoch die Ansprüche der KPD auf Herausgabe bzw. Besitzeinräumung gegen die Fiduziare an die gerichtlichen Treuhänder übergehen, so dass diese auf dem Wege des Anspruchüberganges in der Lage sind, die angeordnete Vermögensbeschlagnahme durchzuführen.

6 In Bezeichnung und Schreibweise der Straßennamen finden sich einige Fehler, die allesamt auch in der Vorlage des BMI auftauchen, die teils wörtlich vom BVerfG übernommen wurde. Vgl. KPD -Prozess. Dokumentarwerk, S. 61 ff. Die Fehler z. B. Düselkämpchen statt Düsselkämpchen wurden auch hier bewusst nicht korrigiert.

Geheime Beratungen und Absprachen

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Die angeregten einstweiligen Anordnungen haben auch praktischen Wert, denn es sind bei dem Parteivorstand in Düsseldorf und auf den Geschäftsstellen der Landesleitungen Einrichtungsgegenstände, Akten und sonstige Vermögenswerte vorhanden, mit denen der Parteiapparat aufrecht erhalten wird. Die Durchführung der Beschlagnahme und der Durchsuchung kann in der im Antrag näher angegebenen Weise auch praktisch gewährleistet werden. Allerdings müssten die Länderministerien mindestens drei Tage vor dem Wirksamwerden der etwa ergehenden Anordnung unterrichtet werden, um die erforderlichen Anordnungen wirksam treffen zu können. Die eingangs dargelegte Anordnung kann auf §§ 13 Nr.  2, 47, 38 BVGG gestützt werden. Danach ist bei beantragtem Parteiverbot das Bundesverfassungsgericht gemäß § 38 dieses Gesetzes ermächtigt, alle Bestimmungen der StPO anzuwenden, die die Anordnung einer Beschlagnahme zulassen. Beschlagnahmen und Durchsuchungen können somit nicht nur auf die §§ 94–101 StPO, sondern auch auf § 433 I gestützt werden; der Erhebung der öffentlichen Klage ist die Einreichung des Antrages nach § 13 Nr. 2 BVGG gleichzusetzen. Mit dem Amt des Treuhänders und der Durchführung der Beschlagnahmeanordnung bitte ich die Ministerien des Innern zu betrauen, da diese Stellen allein die erforderlichen Exekutivorgane zur Verfügung haben. Die Bestellung der Treuhänder kann auf § 35 BVGG gestützt werden. Die Einsetzung der Treuhänder stellt sich als eine Maßnahme der Vollstreckung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dar. Politische, insbesondere außenpolitische Bedenken und solche, die die Wiedervereinigung Deutschlands als gefährdet erscheinen lassen könnten, dürften wohl nicht in Frage kommen, nachdem der Herr Bundeskanzler auch in seiner Eigenschaft als Außenminister und der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen dem Verbotsantrag zugestimmt haben.«

Dokument Nr. B 3 24. Januar 1952: Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Geschäftsräumen der KPD. Beteiligte Richter: H ­ ermann Höpker Aschoff (Vorsitzender), Wilhelm Ellinghaus, Erna Scheffler, Gerhard Heiland, Herbert Scholtissek, Martin Drath, Erwin Stein, Franz Wessel, Theodor Ritterspach, J­ oachim Lehmann, Konrad Zweigert.7 Der Durchsuchungsbeschluss erfolgte auf »Anregung« der Bundesregierung, wurde jedoch gegenüber der Öffentlichkeit, den Prozessbeteiligten der KPD, den Bundestags­ abgeordneten und selbst im Kabinett als eigenständige Entscheidung des BVerfG dargestellt.8 Die Maßnahme, so der Prozessbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Ritter von Lex, sei »keine Aktion der Exekutive, sondern der Vollzug einer Anordnung des Bundesverfassungsgerichts«9.

7 BArch: B 106 I/127, Durchsuchungsbeschluss des BVerfG, 24.1.1952. Leicht gekürzt auch in: KPD -Prozess. Dokumentarwerk, S. 61 ff. 8 Ohne Bezug auf die Anregung der Prozesspartei der Bundesregierung auch die offizielle Dokumentation: KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 61. 9 BArch: BY 1/4295, DPA-Meldungen, 31.1.1952.

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Die Quellen-Dokumentation

»I. Gemäß §§ 47, 38 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) und § 94 der Strafprozessordnung (StPO) werden folgende Gegenstände der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) beschlagnahmt, die sich in Gewahrsam des Parteivorstandes der KPD in Düsseldorf sowie dessen Abteilungen: a) Org.Instr.Abt. Düsseldorf, Düsel-Kämpchen 2, b) Abt. Massen-Agitation, Düsseldorf-Oberkassel, Chansonstr., c) Abt. Arbeit und Soziales und d) Abt. Presse, Düsseldorf, Klosterstr. 132 und der Landesleitungen der Kommunistischen Partei Deutschlands Hamburg in Hamburg, Niedersachsen in Hannover-Linden, Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Schleswig-Holstein in Kiel, Baden in Freiburg, Bayern in München, Bremen in Bremen, Württemberg-Baden in Stuttgart, Hessen in Frankfurt/Main, Rheinland-Pfalz in Mainz, Württemberg-Hohenzollern in Reutlingen befinden: 1.) die Protokolle und die Beschlüsse der Parteitage und der Delegiertenkonferenzen der KPD und ihrer Unterorganisationen, 2.) die Berichte und Beschlüsse des Parteivorstandes und des Sekretariats des Parteivorstandes der KPD und ihrer Unterorganisationen, 3.) die Akten der Partei-Kontrollkommission und der Zentralen Revisionskommission der KPD, 4.) je 20 Exemplare aller Programmschriften und Flugblätter der KPD und ihrer Unterorganisationen, 5.) die Rundschreiben und Richtlinien für die Parteiarbeit der KPD und ihrer Unterorganisationen, insbesondere Satzungen, Anweisungen an Redner, und Propagandisten und interne Mitteilungsblätter u. a. m., 6.) die Korrespondenz der Parteistellen mit Stellen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und auswärtigen kommunistischen (bolschewistischen) Parteiorganisationen, 7.) die Kassen und Bankbücher sowie die Monats- und die Jahresabrechnungen der Kommunistischen Partei Deutschlands einschließlich des Parteivorstandes und der Landesleitungen der KPD. Die Beschlagnahme dieser auf die politische Tätigkeit der KPD sich beziehenden Gegenstände wird angeordnet, da sie als Beweismittel in den Verfahren über den Antrag der Bundesregierung, die Kommunistische Partei Deutschlands für verfassungswidrig zu erklären, von Bedeutung sein können. II. Gemäß §§ 47,38 BVerfGG, § 102 StPO wird die Durchsuchung der folgenden Geschäftsräume nebst den dazu gehörenden Boden-, Keller- und sonstigen Nebenräumen sowie der in diesen Räumen befindlichen Gegenstände angeordnet: 1) des Parteivorstandes der KPD in Düsseldorf, Ackerstr. 144 sowie dessen Abteilungen: a) Org. Instr.Abt. Düsseldorf, Düsel-Kämpchen 2, b) Abt. Massen-Agitation, Düsseldorf-Oberkassel, Chansonstr. c) Abt. Arbeit und Soziales und d) Abt. Presse, Düsseldorf, Klosterstr. 132; 2) der Landesleitung der KPD Hamburg, Hamburg, Hagelsallee 3–5, 3) der Landesleitung der KPD Niedersachsen, Hannover-Linden, Hohestr. 7, 4) der Landesleitung der KPD Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Klosterstr. 144,

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5) der Landesleitung der KPD Schleswig-Holstein, Kiel, Lerchenstr. 4, 6) der Landesleitung der KPD Baden, Freiburg, Vaubanstr. 12, 7) der Landesleitung der KPD Bayern, München, Wiedemeyerstr. 25, 8) der Landesleitung der KPD Bremen, Bremen, Lindehofstr. 13, 9) der Landesleitung der KPD Württemberg-Baden, Stuttgart, Charlottenplatz, 10) der Landesleitung der KPD Hessen, Frankfurt/Main, Gutleutstr. 12, 11) der Landesleitung der KPD Rheinland-Pfalz, Mainz, Boppstr. 20, 12) der Landesleitung der KPD Württemberg-Hohenzollern, Reutlingen. Es ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung der unter Ziff. I genannten Gegenstände sowie sonstiger Beweismittel führen wird, die in dem vorbezeichneten Verfahren von Bedeutung sein können. III. Gemäß § 35 BVerfGG werden mit der Durchführung der Beschlagnahme und Durchsuchung beauftragt hinsichtlich der Geschäftsräume:

des Parteivorstandes der KPD in Düsseldorf sowie der in Ziff.  II, 1 genannten 4 Abteilungen und der Landesleitung der KPD Nordrhein-Westfalen die Polizeibehörde in Düsseldorf und das Amt für Verfassungsschutz in Düsseldorf, der Landesleitung der KPD Hamburg die Polizeibehörde in Hamburg und das Amt für Verfassungsschutz in Hamburg, der Landesleitung der KPD Niedersachsen die Polizeibehörde in Hannover und das Amt für Verfassungsschutz in Hannover, der Landesleitung der KPD Schleswig-Holstein die Polizeibehörde in Kiel und das Amt für Verfassungsschutz in Kiel, der Landesleitung der KPD Baden die Polizeibehörde in Freiburg und das Amt für Verfassungsschutz in Freiburg, der Landesleitung der KPD Bremen die Polizeibehörde in Bremen und das Amt für Verfassungsschutz in Bremen, der Landesleitung der KPD Württemberg-Baden die Polizeibehörde in Stuttgart und das Amt für Verfassungsschutz in Stuttgart, der Landesleitung der KPD Hessen die Polizeibehörde in Frankfurt/Main und das Amt für Verfassungsschutz in Wiesbaden, der Landesleitung der KPD in Rheinland-Pfalz die Polizeibehörde in Mainz und das Amt für Verfassungsschutz in Mainz, der Landesleitung der KPD in Württemberg-Hohenzollern die Polizeibehörde in Reutlingen und das Amt für Verfassungsschutz in Tübingen. Die Innenminister und Senatoren für Inneres innerhalb der Länder der Bundesrepublik Deutschland haben auf Anfordern die genügende Anzahl von polizeilichen Vollzugsorganen zur Verfügung zu stellen.

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Die Quellen-Dokumentation

IV. Mit der Beschlagnahme und Durchsuchung ist überall gleichzeitig am 31. Januar 1952, 6 Uhr zu beginnen. Unmittelbar vor dem Beginn der Durchsuchung sind die tatsächlichen, etwa anwesenden Inhaber der zu durchsuchenden Räume und Gegenstände auf § 42 BVerfGG hinzuweisen. § 42 BVerfGG hat folgenden Wortlaut: »Vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder gegen die im Vollzug der Entscheidung getroffenen Maßnahmen werden mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten bestraft.« Bis zum Abschluss der Durchsuchung sind die Geschäftsräume polizeilich zu sichern. Im Übrigen sind die §§ 104, 106 bis 109 StPO entsprechend anzuwenden.

V. Die bei der Durchsuchung und Beschlagnahme aufgefundenen Gegenstände sind von den Polizeibehörden unverzüglich in Verwahrung zu nehmen und unter Beifügung eines Berichts über die Beschlagnahme und Durchsuchung dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln zu übersenden. Dr. Höpker Aschoff, Ellinghaus, Dr. Scheffler, Dr. Heiland, Dr. Scholtissek, Dr. Drath, Dr. Stein, Wessel, Ritterspach, Lehmann, Dr. Zweigert«

Dokument Nr. B 4 28. Januar 1952: Besprechung zur Durchführung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Gebäude des Bundesinnenministeriums in Bonn. Teilnehmer: Bundesinnenminister Lehr, Staatssekretär Ritter von Lex und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz John, die Bundesverfassungsrichter Stein und Scholtissek sowie die Innenminister und Polizeireferenten der Länder.10 Gegenstand der Besprechung: Vorbereitung und Abstimmung der von der Bundesregierung »angeregten« und vom Bundesverfassungsgericht beschlossenen bundesweiten Durchsuchung der Geschäftsräume der SRP und der KPD, anlässlich der Einleitung der Verfahren auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit beider Parteien.

»Geheim« »Nach Begrüßung der Herren Bundesverfassungsrichter Minister Dr. Stein und Dr. Scholtissek eröffnete Minister Dr. Lehr die Besprechung und wies darauf hin, dass die Angelegenheit streng vertraulich ist. Er bittet daher, die Verschwiegenheit in dieser Sache unbedingt zu wahren. Es hänge viel davon ab, dass die Verschwiegenheit beachtet wird. Es ergriff alsdann Minister Dr. Stein das Wort und legte dar, dass es bekannt ist, dass die Bundesregierung einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei und einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Sozialistischen Reichspartei Ende November vorigen Jahres beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Anträge den Antragsgegnern zur Äußerung übersandt. Die Äußerungen sind inzwischen eingegangen. Das Bundesverfassungsgericht war nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Errichtung des Bundesverfassungsgerichtes gehalten, die Frage zu prüfen, ob vorläufige Maßnahmen getroffen werden sollen oder nicht. Das Bundesverfassungsgericht musste 10 BArch: B 106/15544. Protokoll der Besprechung am 28.1.1952.

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davon ausgehen, dass die Angelegenheit durch den Antrag der Bundesregierung aus dem Stadium der politischen Zweckmäßigkeitserwägungen übergegangen war in das Stadium des rechtlichen Verfahrens, des Staatsprozesses. Für das Bundesverfassungsgericht kommt es nur darauf an, die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen und aus dem Ergebnis dieser Prüfung die rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Herr Min. Dr. Stein erklärte ferner, das Bundesverfassungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, vorläufige Maßnahmen anordnen zu sollen. Gegen beide Parteien sind zwei Maßnahmen von grundsätzlicher Bedeutung ausgesprochen: 1. Die Beschlagnahme bestimmten Materials, das im Beschluss vom 24. Januar ds. Jrs. im Einzelnen aufgeführt ist. 2. Die Durchsuchung der Geschäftsräume der beiden Parteien. Die Maßnahmen sind gestützt auf § 38 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht in Verbindung mit § 47 des gleichen Gesetzes und § 94 der Strafprozessordnung, soweit es sich um die Beschlagnahme handelt, auf die §§ 47 und 38 des BVGG und § 102 Strafprozessordnung, soweit es sich um die Durchsuchung handelt. Für die Durchführung der Maßnahmen gibt das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht dem Gericht ziemlich freie Hand durch § 35. Diese Bestimmung sieht vor, dass das Bundesverfassungsgericht die Art und Weise der Vollstreckung im Einzelnen bestimmen kann. Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss so präzise gefasst, dass die Exekutive in der Lage ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das Bundesverfassungsgericht ging auch davon aus, dass es heute mehr denn je notwendig sei, eine einwandfreie rechtliche Grundlage zu schaffen. Zu bedenken war, dass heute wegen der verschiedenen Landesverfassungen und des Grundgesetzes eine Beschlagnahme rein als polizeiliche Maßnahme nur sehr schwierig durchzuführen ist. Die Beschlüsse unterscheiden sich wegen der verschiedenen Voraussetzungen bei der SRP und der KPD. Die KPD ist straff zentralistisch organisiert. Diese straffe und zentrale Organisation fehlt bei der SRP. Aus diesem Grunde muss die Durchsuchung bei der SRP an andere Voraussetzungen geknüpft und weiter ausgeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Absicht in den Beschlüssen bis jetzt den Beginn der Untersuchung noch nicht festgesetzt, sondern die erschienenen Bundesverfassungsrichter ermächtigt, den Beginn der Vollstreckungsmaßnahmen in dieser Sitzung zu bestimmen. Beide Bundesverfassungsrichter sind ermächtigt, diesen Termin noch nachträglich in die Ausfertigung des Beschlusses einzusetzen. Die Durchführung der Durchsuchung und der Beschlagnahme soll überall – in allen Ländern – zum gleichen Termin erfolgen. Es müsste daher eine Absprache unter den Herrn Innenministern über den Termin und über die Art und Weise der Durchführung erfolgen. Ferner ist zu beachten, dass diese Durchsuchung und Beschlagnahme durch die Kriminalpolizei unter Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane durchgeführt werden soll. Um jede Schwierigkeit wegen der Verschiedenartigkeit des Polizeirechts in den verschiedenen Ländern auszuschließen, ist in dem Beschluss ausdrücklich angeordnet, dass die Minister (Senatoren) für Inneres innerhalb der Bundesrepublik auf Anforderung der Polizeibehörden genügende polizeiliche Vollzugsorgane zur Verfügung zu stellen haben. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet § 35 des BVGG, so dass die Bestimmungen des Grundgesetzes über den Behördenaufbau und alle landesgesetzlichen

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Die Quellen-Dokumentation

diesbezüglichen Bestimmungen hier nicht zur Anwendung kommen. Weiterhin ist vorgesehen, dass bis zum Abschluss der Durchsuchung die Geschäftsräume polizeilich zu sichern sind. Es müssen also genügend starke Polizeikräfte um die Gebäude herum aufgestellt werden. Mit der Untersuchung ist etwa um 6.00 Uhr morgens zu beginnen. (Beschlagnahmen während der Nachtzeit dürfen nach der Strafprozessordnung nicht stattfinden). Weiterhin ist im Beschluss festgelegt, dass die §§ 104, 106, 109 StPO entsprechend anzuwenden sind. Es empfiehlt sich, dass der Text dieser Paragraphen den Polizeibehörden angegeben wird. (Eventuell Verlesung der Paragraphen). Die Beschlüsse brauchen nicht zugestellt zu werden. Es sind nur Mitteilungen an die von der Beschlagnahme und Durchsuchung Betroffenen erforderlich, die die Polizeiexekutivorgane ausstellen. Im Allgemeinen genügt es hierin anzugeben, dass die Durchsuchung auf Grund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 24.1.1952 erfolgt ist, nachdem ein Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der betreffenden Partei beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sei. Auf Straftatbestände kann hier nicht hingewiesen werden, weil die Bestimmungen nur entsprechend anwendbar sind. Sehr wichtig ist § 108 der Strafprozessordnung. Im Einzelfall kann natürlich auch ein Einschreiten der Polizei auf Grund eines vorliegenden Straftatbestandes in Betracht kommen. Es könnte sich insbesondere handeln um Straftatbestände, wie sie im Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951, § 90 a, 91, 92, 93, insbesondere auch § 89 (Verfassungsverrat) normiert sind. Es wäre daher wichtig, auch sonstiges Material, das auf diese Straftatbestände hinweist, vorläufig in Verwahrung zu nehmen. Wenn die Durchsuchung beendet ist, sind sämtliche Gegenstände, die als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung sind, in Verwahrung zu nehmen und unter Beifügung eines Berichts über die Durchsuchung und Beschlagnahme dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln zu übersenden. Dort erfolgt die Auslese des Materials. Das Durchlesen der Papiere darf nur vom Bundesverfassungsrichter durchgeführt werden. Es werden dafür zwei Richter ermächtigt werden, die das Material in Köln sichten. Es ist wichtig, dass das Material so schnell wie möglich nach Köln kommt. Den Polizeiorganen selbst steht eine Durchsicht der Papiere nicht zu. Nach Verlesung des Beschlusses11 betreffend KPD wurden folgende Erläuterungen gegeben:



Zu I.1.): Es kommen nicht nur Protokolle und Beschlüsse aus letzter Zeit in Frage, sondern auch solche aus weiter zurückliegender Zeit. Erwünscht ist auch Material aus der Zeit von 1920 bis 1933. Unter Unterorganisationen können nur Organisationen der KPD verstanden werden, also nicht die Nebenorganisationen, wie VVN, FDJ usw. 3.): Hier kommt wohl nur Düsseldorf in Betracht. 4.): Die Anzahl ist auf 20 beschränkt, damit die beiden Parteien nicht behaupten können, dass sie in ihrer Propaganda irgendwie beeinträchtigt worden wären. 5.): Durch den Zusatz »u. a. m.« soll ein gewisser Spielraum gegeben werden. Die Polizei muss hier selbst entscheiden, ob sie irgendetwas für wichtig hält.

11 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. B 3.

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Zu II.1.)–12.): Hier sind die gleichen Organisationen aufgeführt, wie unter I. Zur Einleitung des Abs. II. ist noch zu sagen, dass die Durchsuchung auf alle Räume, vor allem auch Garagen, ausgedehnt werden soll. Auch die Kellerräume sollen auf eventuelle Geheimkammern, Gefängniszellen und dergleichen untersucht werden. Die Polizei hat weiten Spielraum für ihre Aufgabe. Zu III. Das Bundesverfassungsgericht war der Ansicht, das Bundesamt für Verfassungsschutz hinzuziehen zu sollen, weil dort genügend Experten vorhanden sind, die schon bei oberflächlicher Durchsicht unverzüglich feststellen können, ob eine Beschlagnahme des Materials notwendig ist. Dr. Scholtissek gibt den Beschluss für die SRP bekannt und kommentiert: Er beschränkte sich auf das, was den besonderen Komplex der SRP anbetrifft, und bezieht sich im Übrigen auf das, was Dr. Stein bezüglich der KP ausgeführt hat. Beide Beschlüsse sind in der Tenorierung und der äußeren Form sehr ähnlich. Es ist zweckmäßig, Maßnahmen gegen beide Parteien zu ergreifen. Aus der Verschiedenartigkeit beider Organisationen ergeben sich gewisse Unterscheidungen. Zunächst liegt dem Gericht ein Rundschreiben der SRP vor, aus dem man entnehmen kann, dass von Seiten der SRP dem Gericht die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird. Es enthält ganz bestimmte Weisungen an Dienststellen der SRP und ist bereits vor Einreichen des Antrags der Bundesregierung ergangen. Aus den Weisungen an die Dienststellen der SRP lässt sich ein solcher Schluss ohne weiteres ziehen. Auch der Prozessbevollmächtigte der SRP hat in der Gegenäußerung Angaben gemacht, die sich jetzt bereits als unzutreffend erweisen. Deshalb mussten Maßnahmen zur Sicherung von Beweismitteln ergriffen werden. Die SRP ist eine verhältnismäßig junge Organisation, die nicht ein so festes Gefüge hat, wie die KP. Sie hat noch nicht den entsprechenden Stab von Mitarbeitern und auch nicht die notwendigen Einrichtungen der Parteibüros. In vielen Fällen befinden sich die Parteibüros in Wohnungen maßgebender Funktionäre. Z. B. bereits beim Vorstand in Hannover in der Wohnung des Bundestagsabgeordneten Dr. Dorls. Auf der anderen Seite ist anzunehmen, dass jetzt bereits viel Material von der Zentrale ausgelagert und an Funktionäre abgegeben ist. Deshalb ist die Ausdehnung der Aktion auch auf Funktionäre notwendig. Ein Teil der Funktionäre genießt Immunität (Dr. Dorls, Dr. Richter, Landtagsabgeordnete in Niedersachsen). Das Gericht ist nicht in der Lage, in diesem Zusammenhang die weittragende Entscheidung zu treffen, inwieweit der Immunitätsbegriff nach neueren Verfassungen anders ist als bei der Weimarer Verfassung. Unser Grundgesetz hat eine besondere Immunität im Zusammenhang mit Verfahren wegen Entziehung gewisser Grundrechte geschaffen. Es ist hier notwendig, dass bei einem solchen Antrag die Zustimmung der Parlamente eingeholt wird. Das bedeutet eine Erweiterung der Immunität. Diese sich hieraus ergebenden Fragen wollte das Gericht in diesem Zusammenhang nicht entscheiden. Deshalb beschränkt sich der Antrag auf Funktionäre, die kein Abgeordnetenmandat in den Ländern ausüben. Es ergibt sich eine schwierige Situation, da sich vielfach Parteibüros mit Wohnungen von Abgeordneten überkreuzen.

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Die Quellen-Dokumentation

Der Beschluss nimmt auf S. 3 hinter II., 28 in einem besonderen Absatz darauf Bezug. Es ist Sache der Exekutive zu entscheiden, wie weit sie gehen darf. Ein Herrenzimmer in der Wohnung eines Abgeordneten, das gleichzeitig Geschäftsraum der Partei ist, kann selbstverständlich durchsucht werden. Die Durchsuchung muss jedoch vor den Privaträumen des Abgeordneten Halt machen. Die lockere Organisation der SRP hat zur Folge, dass die Aktion auf eine Reihe von Funktionären ausgedehnt werden muss, die nicht unmittelbar in die Parteiorganisation eingebaut sind. Infolgedessen sind unter I außer den Geschäftsräumen des Parteivorstandes in Hannover und denen der Landesleitungen der SRP die Mitglieder des Parteivorstandes (Dr. Gerhard Krüger, Otto Ernst Remer und Fritz Heller) sowie die Mitglieder des Parteirates zwei Funktionäre (Werner Baensch, Frau Elfriede Bahlke)  aufgeführt. Gerade Krüger ist die Persönlichkeit, in deren Händen, wie dem Gericht bekannt geworden ist, die Hauptorganisation liegt. Frau Bahlke hat seit kurzem die Geschäftsführung des Landesverbandes Schleswig-Holstein in Rendsburg. Die Anschriften der genannten Personen stimmen teilweise überein mit den Anschriften der Geschäftsräume. Wenn die Funktionäre hier besonders genannt sind, erstreckt sich die Aktion selbstverständlich auch auf die Privatwohnungen, die von der Polizei zu ermitteln sind. Der Beschluss ist entsprechend auszulegen. Das Gericht war nicht ohne weiteres in der Lage, von vorneherein die Gegenstände zu bezeichnen, die für die weitere Untersuchung von Bedeutung sein werden. Der Beschluss ist deshalb hier weiter gefasst und gibt dem Ermessen der Exekutive einen weiteren Spielraum. Die unter I, 1–5 aufgeführten Gegenstände sind nur exemplativ genannt. Die Aktion soll sich erstrecken in erster Linie auf die Zentrale in Hannover, in zweiter Linie auf die Landesleitungen. Sie soll absichtlich nicht auf die Bezirksleitungen ausgedehnt werden, da dort nur wenig Material vorhanden ist. Die Protokolle von Vorstandssitzungen (der Bezirksleitungen) sind ja ohnehin an die Landesleitungen weiterzugeben und werden dort gefunden werden können. Besonderes Augenmerk ist zu richten auf interne Mitteilungsblätter, die unter »streng vertraulich« nur an einen kleinen Personenkreis ausgegeben werden und daher eine besondere Fundgrube für Beweismaterial darstellen. Zu I.3) Auch hier ist der Beschluss weiter gefasst als bei der KPD. Hier ist das Material (schon wegen der Kürze des Bestehens der Partei) weniger umfangreich als das gesamte Material der KPD. Inwieweit das gesamte Korrespondenzmaterial dem Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt wird, bleibt den Exekutiven überlassen. Eine flüchtige Durchsicht muss bereits durch die Exekutivorgane übernommen werden. Eine endgültige Durchsicht wird durch das Bundesverfassungsgericht beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommen. Zu I.5) Wahrscheinlich operiert auch die SRP sehr stark mit geheimen Geldmitteln. Es kann von großer Bedeutung sein festzustellen, wie sie finanziert wird. Nach Art. 21 Abs. 1 GG sind Parteien verpflichtet, ihre Finanzen offenzulegen. Näheres wird demnächst das Parteiengesetz bestimmen. Jetzt besteht aber wohl die Notwendigkeit für das Gericht zu prüfen, inwieweit diese Parteien ordnungsmäßig aus Beiträgen, Spenden usw. oder aus

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geheimen Mitteln finanziert werden. Gerade zu diesem Nachweis könnte es von Bedeutung sein, die Mitgliederlisten der Parteiorgane mit den Eintragungen in den Kassen­ büchern zu vergleichen, um die Richtigkeit der Angaben in den Kassenbüchern zu überprüfen. Es ist also hier dem Ermessen der Exekutivorgane sehr viel weiterer Spielraum gegeben. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz wurde zwischenzeitlich gebeten, die Adresse des Werner Körper sofort mitzuteilen. Herr Min. Zimmer sagt dies zu. Herr Minister Dr. Lehr fasst das vorgetragene Ergebnis zusammen und weist darauf hin, dass ein sehr wichtiger Beschluss in Bezug auf die beiden Organisationen, die hier im Hause von Anfang an als verfassungswidrig angesehen wurden, bekanntgegeben worden ist. Ich darf den Dank dafür aussprechen, dass mit solcher Ausführlichkeit hier die nötigen Anordnungen getroffen worden sind. Es ist keine leichte Aufgabe für die Herren Innenminister der Länder und die Exekutive, und das Erste und Wichtigste, was allgemein zu bemerken wäre, ist die unbedingte Vertraulichkeit. Ich glaube, dass die Herren Kollegen aus den Ländern und die Leiter der zuständigen Polizeidienststellen sich klar werden müssen, dass hier sehr rasch gehandelt werden muss. Diese Sache kann nicht lange in der Schwebe bleiben. Es besteht immer die Gefahr des Durchsickerns. Wir müssen uns also zunächst vielleicht auf einen sehr raschen Termin einigen. Ich schlage dafür den nächsten Donnerstag vor. Die Vorbereitungen müssten auch in Ihren eigenen Behörden unter Tarnziffer (etwa x) geführt werden und erst im letzten Augenblick den bereitgestellten Exekutivkräften gesagt werden, wohin sie sich zu begeben haben. Ich schlage vor, beide Beschlüsse getrennt voneinander durchzusprechen, um Ge­ legenheit zu geben, Fragen zu stellen, damit wir gleichmäßig vorgehen, und dass wir abschließend die Beschlüsse zurückgeben, um den Herren Bundesrichtern die Möglichkeit der Vervollständigung zu geben. Herr Minister Dr. Lehr schlägt als Termin Donnerstag, den 31. Januar 1952, morgens 6 Uhr vor. Es wird Einigkeit über das Datum erzielt. Herr Dr. Scholtissek fragt, ob 6 Uhr nicht zu früh sei wegen der Verbindung von Privatwohnungen und Geschäftsräumen bei der SRP. Minister Dr. Lehr: Ich glaube, die Morgenstunde ist am erfolgreichsten, weil das Überraschungsmoment dann umso größer ist. Bei der SRP besteht eine starke Überschneidung zwischen Privat- und Geschäftsräumen und man muss sich das Haus sehr genau ansehen. Sache des Wohnungsinhabers ist es nachzuweisen, welche Räume privat sind. Ich würde empfehlen, auch bei den SRP-Leuten die frühe Morgenstunde zu nehmen. In taktvoller Weise darf man hier die wirklich privaten Räume, wie Schlafräume und andere für die private Benutzung benötigten Räume nicht stören. Dr. John stelle die Frage, ob es nicht notwendig ist, die Chefs der alliierten Nachrichtendiente zu unterrichten. Bei einer ähnlichen Aktion im letzten Sommer seien sie nicht unterrichtet worden und hätten sich nachher beschwert. Sie hätten Interesse daran, weil ihre eigenen Organisationen gewisse Leute in bestimmten Gruppen hätten, die durch die Aktion nicht gefährdet werden sollten. Minister Dr. Lehr: Dem würde ich nicht das Wort reden. Es handelt sich um eine Angelegenheit innerdeutscher Art in der unser oberstes Verfassungsgericht gesprochen hat.

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Die Quellen-Dokumentation

Hier befassen wir die Alliierten grundsätzlich nicht. Es würde auch eine gewisse Gefahr darin liegen. Soweit wir diesen Beschluss aus diesem Kreise hinausgehen lassen, habe wir es nicht mehr in der Hand, wohin Veröffentlichungen kommen. Dagegen würde ich keine Bedenken haben, wenn Vorsorge getroffen ist, dass unmittelbar nach Beginn der Aktion dies sofort den Alliierten bekanntgegeben wird. Minister Dr. Stein: schließt sich dieser Ansicht an unter Hinweis darauf, dass im vergangenen Sommer das Bundesverfassungsgericht noch nicht bestanden hat. Nun bestehe wohl keine Veranlassung mehr, die Aktion vorher den Alliierten bekanntzugeben. Wohl könne man sie unmittelbar nach Beginn der Aktion unterrichten, wie auch im Laufe des Donnerstag von den Ländern aus die Presse unterrichtet werden könne. Minister Dr. Lehr: Ich besorge keine Störungen mit den Alliierten, wenn bekanntgegeben wird, dass das Bundesverfassungsgericht gesprochen hat. Damit ist eine richterliche Handlung ergangen, zu deren Durchführung wir verpflichtet sind, wobei sich jeder Eingriff der Alliierten erübrigt. Es muss eine schlagartige Benachrichtigung an die Alliierten erfolgen. Dr. John schlägt vor, Donnerstag zu früher Stunde die drei Chefs der Alliierten Nachrichtendienste von hier aus zu informieren. Es wäre gut, wenn gleichzeitig die Landesinnenminister die Verbindungsoffiziere bei den Zonenvertretern unterrichten würden. Die Bundesverfassungsrichter stimmen dem zu. Minister Dr. Lehr: Ich habe früher viele Jahre schon Polizei geführt. Ich gebe offen zu, dass die Aufgabe der Polizei nicht leicht ist, namentlich soweit es sich um die Persönlichkeiten handelt, die gleichzeitig Abgeordnete sind. Es muss mit Takt vorgegangen werden, aber trotzdem muss einem Missbrauch der Immunität dadurch begegnet werden, dass wir auf Grund des § 35 BVGG handeln. Hier ist eine Vollmacht durch die Anordnung des Gerichts gegeben, wodurch Sie, meine Herren Kollegen in den Ländern und in Polizeidienststellen, sowie alle von Ihnen in Bewegung gesetzten Kräfte gedeckt sind. Darauf müssen Sie sich berufen. Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt noch Einzelfragen erörtern. Es muss genügend abgeriegelt werden, u. U. nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze Blocks, um Störungen fernzuhalten. Ich würde empfehlen, in weitgehendem Umfang Kriminalpolizei einzusetzen, die geschult und vertraut ist mit Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und vorläufigen Festnahmen, wenn Widerstand geleistet werden sollte. Es wird auch nötig sein, dass Sie höhere Befehlsstellen mit einschalten, damit man nicht die Sorge um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens und Zwischenfälle, die sich ereignen könnten abwälzt auf kleine Exekutivbeamte, sondern dass Leute da sind, die Verantwortung übernehmen und bestimmte Anweisungen geben können. Besonders bitte ich im Anschluss an diese Anordnung des Gerichts, bei vorläufiger Überprüfung und kurzer Durchsicht der Dokumente Sorgfalt auf geheime Geldmittel zu wenden. Nach unseren Eindrücken seit der Vorbereitung der beiden Klagen besteht der Verdacht, dass in gewissem Umfang Zusammenarbeit der beiden Parteien in den oberen Regionen erfolgt, dass vielleicht beide durchaus nicht so feindliche Brüder sind. Es wäre sehr wünschenswert festzustellen, ob tatsächlich in Karlshorst Besuche aus SRP-Kreisen stattgefunden haben und dort Gelder ausgehändigt worden sind. Endlich wäre es sehr erwünscht – das klang schon aus den Ausführungen von Herrn Dr. Scholtissek hervor – zu erfahren, ob die Mitgliederlisten sich mit den Eintragungen in den Kassenbüchern decken. Wir möchten sehr gern auf diesem Umwege an die Herrn Rückversicherer herankommen, die die SRP namentlich in Bayern finanziert haben. Die Herren Kollegen

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aus Bayern haben mir früher schon Mitteilung gemacht über die der SRP in großem Notstand zugeleiteten ca. DM 60 000.–. Ich möchte vorschlagen, dass die Herren weitere Fragen stellen. Minister Zimmer, Rheinland Pfalz: macht darauf aufmerksam, dass die Erfassung des Materials besonders schwierig sei, weil sich die SRP bereits auf diese Aktion eingestellt habe. Er führt als Beispiel einen Fall in Rheinland-Pfalz an, in dem ein ziemlich selbständiger Betriebsleiter schon 14 Tage vor seiner streng geheim betriebenen Verhaftung sein gesamtes Aktenmaterial in Sicherheit gebracht hat. Erst vor einigen Tagen habe er sich bereit erklärt, den Aufbewahrungsort zu nennen. Die Akten lagen bei einem Rechtsanwalt in Koblenz, der zwar schon als Mitglied bekannt war, von dem man aber nicht wusste, dass er besonderer Vertrauensmann der SRP war; es ist auch bekannt, dass er seit 1931 Mitglied der NSDAP gewesen ist. Unter dem Material befinden sich sehr wichtige Original-Dokumente. Die ausdrücklich in dem Beschluss bezeichneten Stellen, wo Durchsuchungen stattfinden können, reichen bei der SRP, jedenfalls in RheinlandPfalz, nicht aus. Wir werden vermutlich bei Werner Körper, der sich erst vor kurzem bei uns niedergelassen hat, nichts finden. Wir sind aber nach dem Beschluss nicht berechtigt, bei prominenten Mitgliedern, die auf Grund ihrer sozialen Stellung ein Depot von Akten haben, Durchsuchungen anzuordnen. Falls nach diesem Beschluss eine Durch­ suchung nicht möglich ist, bitte ich zu erwägen, ob nicht eine Ermächtigungsklausel dazu hineingenommen werden kann. Wenn wir nichts finden, möchte ich wissen, ob das Amt für Verfassungsschutz oder ich als Innenminister anordnen kann, dass bei diesen oder jenen prominenten Leuten der SRP Durchsuchungen stattfinden können. Ich halte das für dringend nötig. Es ist in diesem Verfahren für uns schon klar, dass permanentes Zusammenarbeiten zwischen der SRP und Organen des französischen Sicherheitsdienstes stattgefunden hat. Diese Organe werden wahrscheinlich nicht von der Leitung gebilligt oder man hat sich formell davon distanziert. Es würde aber unter allen Umständen gefährlich sein, wenn vorher die Sureté etwas davon erfahren würde. Die Sureté ist aus ganz verschiedenen Lagern zusammengesetzt. Es stellt sich daher die Frage: Wie kommen wir an besondere Vertrauensleute heran? Dr. Scholtissek gibt zu, dass es nicht möglich ist, gegen andere Personen vorzugehen, die nicht ausdrücklich in dem Beschluss genannt sind. Soweit der Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt, insbesondere der Verdacht der Staatsgefährdung nach § 88  f des Strafrechtsänderungsgesetzes vom 30.  August 1951, besteht die Möglichkeit, dass die Polizei selbständig vorgeht und Durchsuchungen vornimmt und sich hinterher die Genehmigung des zuständigen Gerichts einholt. Die Genehmigung würde hinterher zu erteilen sein vom Bundesgerichtshof als Strafverfolgungsbehörde. Die Frage ist, ob man nicht parallel dazu polizeiliche Beschlagnahmungen und Durchsuchungen bei anderen vornehmen kann unter dem Vorbehalt, die nachträg­liche Genehmigung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das wäre gegeben, wenn der Verdacht einer strafbaren Handlung nicht vorliegt. Diese Frage ist schwer zu entscheiden, aber wohl zu bejahen. Man könnte sich vorstellen, dass der eine oder andere der Herren Kenntnis über Urkunden hat, die im Beschluss aufgeführt sind. Er kann sie beschlagnahmen lassen und nachträglich die Genehmigung des Bundesverfassungs­ gerichts einholen. Wir haben als Gericht die Bitte, dass doch in solchen Fällen entspre-

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chende Anregungen an uns gegeben werden. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, die Beschlüsse zu ergänzen und zu erweitern. Diese Anregungen wären bei einer Stelle zu sammeln, etwa beim Bundesamt für Verfassungsschutz, damit wiederum nur eine einmalige Ergänzung und eine einmalige, schlagfeste Aktion stattfinden kann. Eine Ergänzung würde wirkungslos, wenn sie sich wiederholen würde. Bisher hat die SRP, soweit uns bekannt, keine Organisation in Bayern, Süd-Württemberg und Süd-Baden. In diesen Ländern sind weder Geschäftsstellen noch Funktionäre angegeben. Für den Fall, dass auch dort die SRP sich entfaltet, würde auch hier die Notwendigkeit bestehen, den Beschluss zu ergänzen. Speziell für Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen möchte ich noch auf folgendes hinweisen: Es erschien dem Gericht zweckmäßig, nicht die Polizeiorgane der Orte, an denen die Durchsuchung stattfinden soll, zu beauftragen, sofern diese Orte verhältnismäßig klein sind. Deshalb sind in solchen Fällen immer die nächstgrößeren Orte gewählt worden, z. B. Wanne-Eickel und Oberhausen in Nordrhein-Westfalen, Lüneburg in Niedersachsen. Es erschien zweckmäßig, einen möglichst kleinen Kreis von Polizeibehörden zu beauftragen. Die Regelung des Einsatzes im Einzelnen bleibt den Herren selbst überlassen. Minister Dr. Lehr: Ich möchte meiner Meinung dahingehend Ausdruck geben, dass sehr wohl in vielen Fällen sich die Gelegenheit ergeben wird, gegen Dritte vorzugehen, weil sich aus dem angetroffenen Material der Verdacht strafbarer Handlungen von Seiten Dritter ergeben wird. Da Sie ja hier damit rechnen können, dass im Sinne dieser Anordnung das Bundesverfassungsgericht wohl auch das decken wird, was sinngemäß zu ihrer vollen Durchführung notwendig ist, so glaube ich, kann man sowohl in Bezug auf Durchsicht wie in Bezug auf Beschlagnahme bei Dritten mit der nötigen Energie und Zuversicht vorgehen. Senator Danner, Hamburg gibt zu bedenken, dass die Angaben im SRP-Beschluss in Bezug auf Personalien bei zwei Personen überholt zu sein scheinen, es sei denn, dass die Betreffenden doppelten Wohnsitz haben. Hamburg gehört zu seinem Bedauern zur Exekutive überhaupt nicht, weil ein gemeinsamer Vorstand der SRP für Hamburg und Schleswig-Holstein in Rendsburg bestehen soll. Das war bisher in Hamburg nicht bekannt. Ein irgendwo genannter Dr. Gerhard Krüger ist jetzt in Hamburg zusammen mit einem anderen prominenten Mitglied der Partei als Verlagsleiter eines Gutenberg-Verlages tätig. Die Herren wohnen teilweise in Vororten. Dasselbe trifft bei dem unter 19.) genannten Fritz Heller zu. Können wir den Gutenberg-Verlag auch durch­suchen und nachträglich von Ihnen (Anrede an Dr. Scholtissek) dafür die Zustimmung einholen? In Hamburg besteht eine Organisation der SRP, die unter Führung des Bruders von Remer steht und sehr lebhaft tätig ist. Ich bin enttäuscht, dass wir nicht zu denen durch das Gesetz Befugten gehören. Können wir nicht gegen Krüger vorgehen? Dr. Scholtissek hegt keine Bedenken, die Aktion gegen die im Beschluss genannten Personen auch an einem neuen Wohnsitz durchzuführen und notfalls hierfür die Zustimmung nachzuholen. Der Beschluss richtet sich gegen die Persönlichkeiten selbst. In einem solchen Falle wäre es praktisch, wenn Senator Danner sich mit Innenminister ­Borowski von Niedersachsen in Verbindung setzen würde. Dr. Krüger war nach bisherigen Informationen nur in Bisberode bei Hameln wohnhaft. Inwieweit die Aktion auf den Verlag ausgedehnt wird, muss dem Ermessen des Senators überlassen bleiben. Überhaupt sollen die Minister aus eigener Verantwortung fest-

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stellen, ob der Verdacht strafbarer Handlungen vorliegt oder ob belastendes Material für dieses Verfahren irgendwo gefunden werden kann. Es kann erst einmal eingeschritten werden und die Genehmigung dann später eingeholt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat insofern etwa die Stellung eines Amtsrichters bei Strafverfahren, der grundsätzlich nur eine Beschlagnahme anordnen darf. Die Polizei kann zunächst einmal eingreifen und nachher vom Bundesverfassungsgericht die Genehmigung einholen, soweit sich eine strafbare Handlung nicht erkennen lässt. Wenn es sich um eine strafbare Handlung gemäß § 88 ff des Strafrechtsänderungsgesetzes handelt, ist der Bundesgerichtshof zuständig. Dr. Schäfer, Tübingen: Die Landesleitung bei uns ist jetzt im Umzug und befindet sich in Reutlingen und in Schwenningen. Ist es möglich, an beiden Orten die Durch­ suchung durchzuführen? (Dr. Scholtissek: ohne weiteres). Bei der KPD -Anordnung sind nur die Dienststellen genannt. Wenn dringender Verdacht besteht, dass der Landesleiter die Sachen in seine Wohnung genommen hat, könnte man dann die Wohnungsdurchsuchung durch den Amtsrichter anordnen lassen? Das Gesetz über die Errichtung des Bundesverfassungsgerichtes kennt einen eigenen Tatbestand. (Bezugnahme auf § 42 des Gesetzes). Darauf ist im Beschluss hingewiesen. Wenn der Verdacht besteht, dass dieser strafbare Sondertatbestand vorliegt, kann der örtliche Amtsrichter eine solche Anordnung treffen. Aber auch sonst besteht die Möglichkeit zu nachträglicher Zustimmung des Bundesverfassungsgerichtes. Dr. Sauer weist auf § 90  a Abs.  3 des Strafrechtsänderungsgesetzes hin, nach dem auch Rädelsführer und Hintermänner zu verfolgen sind. Unter Verfolgung wird gerichtliche Aburteilung zu verstehen sein. Gleiches müsste bei § 129  a des Gesetzes gelten. Polizei­liche Sicherungsmaßnahmen sind durch Abs. 3 a. a. O. meiner Ansicht nach nicht ausgeschlossen. Schon unter dem Gesichtspunkt einer strafbaren Handlung könnte deshalb weitgehend polizeilich eingeschritten werden. Weiter möchte ich noch bemerken, dass der Beschluss, auch wenn er nicht veröffentlicht wird, sich sehr schnell herumsprechen wird. (Die Bundesverfassungsrichter stellen fest, dass der Beschluss nicht veröffentlicht werden soll). Dadurch werden sich andere Personen in Sicherheit wiegen. Schon insofern ist eine spätere Ergänzung durchaus erfolgversprechend. Minister Dr. Stein stimmt den Ausführungen zu. Einmal kann man Gebrauch machen von § 42 BVGG. Man kann dann vom Amtsrichter eine entsprechende Verfügung erwirken. Zweitens können die Polizeibehörden vorläufige Maßnahmen treffen und dann die Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht nachholen. Er würde vorschlagen, vorläufige Maßnahmen zu treffen und möglichst eine telegrafische Ergänzung dieses Beschlusses zu erwirken. Selbstverständlich könne, wenn die Landesleitung umgezogen ist oder an verschiedenen Plätzen Geschäftsräume hat, an allen Plätzen durchsucht werden, weil sich diese Maßnahme gegen die Landesleitung der Kommunistischen Partei Deutschlands richtet. Die Schwierigkeiten, die Min. Zimmer anführte, ergeben sich aus den gesetzlichen Bestimmungen. In § 102 der StPO ist gesagt, dass eine Untersuchung nur vorgenommen werden darf, wenn die betreffenden Personen als Täter, Begünstiger oder Hehler einer strafbaren Handlung verdächtig sind. Wir können nur dann eine Untersuchung anordnen, wenn wir irgendwelche Unterlagen und Verdachtsgründe haben. Auch hier empfehlen sich vorläufige Maßnahmen und nachträgliche Bestätigungen durch das Bundesverfassungsgericht.

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Der Beschluss darf in den Kanzleien nicht vervielfältigt werden. Eine entsprechende Anzahl von Beschlüssen stehen zur Verfügung, so dass die Beschlagnahme und Durchsuchung ohne weiteres durchgeführt werden können. Der Beschluss braucht nicht zugestellt zu werden. Es ist dem Betreffenden nur nachher eine allgemeine Mitteilung über die Anordnung zu geben. Zu Schriftverkehr und Propagandamaterial sind selbstverständlich auch Schallaufnahmen, Abbildungen, Tonbänder usw. zu rechnen. Sie können auch jegliche Gewalt brechen, insbesondere Geldschränke durch Schlosser öffnen lassen. Das ist nach dem Beschluss ohne weiteres gestattet. In § 108 der Strafprozessordnung ist ausdrücklich erwähnt, dass bei Verdacht sonstiger strafbarer Handlungen ohne weiteres durchsucht und beschlagnahmt werden kann. Staatssekretär Danehl, Niedersachsen nimmt das Einverständnis dazu an, dass bei Remer sowohl die Wohnung als auch die Gefängniszelle durchsucht wird. Wegen der vielen Briefe, die er bekommt, wird auch das Material in der Gefängniszelle nicht un­ interessant sein. (Die Herren Bundesverfassungsrichter bejahen die Frage.) ORR . Loeber, Bremen gibt zu bedenken, dass die Aktion nur von Erfolg begleitet sein wird, wenn auch Maßnahmen gegen Dritte angewendet werden. Das wird in jedem Land fast das Gleiche sein. Z. B. ist bei uns bekannt, dass sich die Leitung der SRP in einer Privat­wohnung befindet, die Kassenbücher aber an anderen Stellen und anderes Material bei Dritten und Vierten untergebracht ist. Die KPD hat sich bereits weitgehend auf die Illegalität vorbereitet, so dass in den offiziellen Geschäftsstellen kaum noch nütz­ liches Material gefunden werden wird. Deshalb wären in beschränktem Umfange Maßnahmen gegen Dritte zu überlegen. Weiter ist zu fragen: wieweit soll eine vorherige Benachrichtigung der Länder­ kabinette stattfinden? Die ganze Angelegenheit sie wohl als reine Exekutivmaßnahme zu betrachten, die über den Rahmen der Zuständigkeit des Innenministers nicht hinausgeht. Minister Dr. Lehr: Ja, es handelt sich um eine Maßnahme der Exekutive, angeordnet durch das Bundesverfassungsgericht; auch beim Bund wird kein Kabinettsbeschluss veranlasst. Ebenfalls ist eine Informierung der Kabinette nicht notwendig. Staatsrat Eschenburg, Tübingen führt an, dass die Parteien auch durch Dienst- und Sachleistungen subventioniert werden. Irgendwelche Unterlagen darüber würden wohl interessant sein. (Z. B. Schreibmaschinen, Freifahrtscheine, Autos, Drucksachen usw.; Leute werden beschäftigt gegenüber den Lohnbüchern irgendeiner Firma). Es ergibt sich daher die Frage, ob diese Art von Unterlagen auch unter I. Ziff. 7, fällt? An sich ist die Ziffer 7 so eng gefasst, dass diese Unterlagen nicht darunter fallen. Minister Dr. Stein legt dar, dass zu Abrechnungen usw. auch alle Unterlagen über Sach- und Dienstleistungen gehören. Die Begriffe sind nicht eng auszulegen, sondern weit. Es sind auch Unterlagen darunter zu verstehen, die zur Verständlichmachung der Buchungseintragungen notwendig sind. Zu der Frage, ob eine Unterrichtung der Kabinette notwendig sei, ist zu bedenken, dass die Innenminister und Senatoren nicht als Mitglieder eines Kabinetts handeln, sondern als Ausführungsorgan des Bundesverfassungsgerichts. Sie dürfen aus diesem Grunde vorher dem Kabinett keinerlei Kenntnis geben. Min.Rat Kääb, München gibt zu bedenken, dass im Beschluss betreffend die KPD unter I und II, 7 die Landesleitung der KP in München erwähnt ist; in Abs.III ist Bayern

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jedoch nicht genannt. Es wird wohl dem Herrn Bayerischen Staatsminister des Inneren überlassen sein, hier Anordnungen zu treffen. Minister Dr. Stein bejaht diese Frage. Min.Rat Dr. Kääb führt weiter aus, dass bei dem SRP-Beschluss Bayern nirgends erwähnt wird, weil eine feste Organisation in Bayern nicht besteht. Es gibt nur Stützpunkte, z. B. Nürnberg, Kissingen, München, so dass sein Vorgehen des Bayerischen Staatsministers des Inneren unter Gesichtspunkt »Vorgehen gegen Dritte«, wie vorher besprochen, in Betrachte kommt. – Min. Dr. Stein bejaht dies. – In Bayern wird es bei der Unzulänglichkeit des Polizeirechts darauf ankommen, den Verdacht strafbarer Handlungen anzunehmen. In anderen Fällen würde die entsprechende landesrechtliche Grundlage fehlen. Es wäre zu überlegen, ob man im Einzelnen vorgeht unter Vorbehalt der Genehmigung des Bundesverfassungsgerichtes. Ich persönlich würde es für zulässig halten. Landesdir. Wormit, Kiel bittet zu bedenken, dass nach dem schleswig-holsteinischen Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz diesem Exekutivmaßnahmen ausdrücklich entzogen sind. Frage: Bestehen aus diesem Grunde keine Bedenken gegen die Beschlüsse? Dr. Scholtissek erklärt, dass auch in diesem Falle das Landesamt für Verfassungsschutz als Vollzugsorgan des Bundesverfassungsgerichts wirkt und daher nur übertra­gene Befugnisse ausübt. Landesrechtliche Bedenken würden deswegen nicht entgegenstehen. Die andere Frage ist, wie sich die praktische Zusammenarbeit von Vollzugsorganen und Verfassungsschutzamt zu vollziehen hat. Bereits von Anfang an können bei der Aktion Sachverständige des Verfassungsschutzamtes hinzugezogen werden. Aber auch die Polizei kann zunächst alles beschlagnahmen und dann dem Landesamt zur Prüfung übermitteln. Landesdir. Wormit, Kiel: Für die Exekutivmaßnahmen wollen wir die Polizei einsetzen. Wir sind an sich daran interessiert, nach außen hin das Verfassungsschutzamt möglichst auszuschalten. Ich bin der Meinung, dass bei der KP Material in einem solchen Umfang ausgelagert worden ist, dass bei einer Überprüfung der Zentrale wenig Material in unserem Bereich zutage gefördert werden kann. Man hat sich schon seit langem darauf vorbereitet und Auslagerungen schon zum großen Teil  bei Hilfs- und Tarnorganisationen durchgeführt, auf die sich die Aktion nicht beziehen darf. Aus den allerletzten Wochen liegen konkrete Nachrichten darüber vor, dass man solchen Schritt schon als unmittelbar bevorstehend annahm. Minister Dr. Lehr: Deshalb ist große Eile geboten, damit nicht noch größere Sicherstellungen von anderer Seite erfolgen. Aber ich hoffe doch, dass sich jetzt so viele Fährten ergeben, dass wir weiter aufrollen können, auch bei Stellen, bei denen sich das Material im Verborgenen sammelt. Ein Gutes dabei ist: Wenn sich das Material so verzettelt, ist das Arbeiten bei diesen Parteien sehr erschwert. Darauf kommt es uns ja auch an. Minister Dr. Stein bemerkt zu dem Gesichtspunkt von Dr. Scholtissek ergänzend: Im BVGG ist gesagt, dass alle Behörden Rechts- und Amtshilfe zu leisten haben. Darauf kann die Tätigkeit des Landesamtes gestützt werden. Wenn Material verlagert ist, dann gibt der Beschluss auch die Ermächtigung, in Nebenräumen zu suchen. Insoweit gelten auch Wohnräume als Nebenräume von Geschäftsräumen. Die Anordnung ist nur entsprechend auszulegen!

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Landesdir. Wormit, Kiel: Es muss aber doch ein bestimmter räumlicher Zusammenhang gegeben sein (Siehe S. 22 oben). Dr. Scholtissek führt aus, dass das Bundesverfassungsgericht lediglich zuständig für Parteien und Teilorganisationen ist. Tarnorganisationen werden im Allgemeinen keine Teilorganisationen der Parteien sein, sondern tatsächliche Selbständigkeit haben. Wenn diese Tarnorganisationen tatsächlich selbständig sind, dann würde ggf. Artikel 9 Abs.2 GG in Verbindung mit § 90 a Strafrechtsänderungsgesetz angewendet werden können. Sie würden dann automatisch verboten sein und man kann unter diesen Gesichtspunkten vorgehen. ORR . Barthold gibt bekannt, dass für Schleswig Holstein 17 Namen von Personen benannt worden sind, von denen das Landesamt für Verfassungsschutz annimmt, das dort Material verlagert ist. Das Telegramm ist verschlüsselt gekommen. Bei der Entschlüsselung haben sich Fehler herausgestellt. Rückfragen waren notwendig. Wir sind nicht in der Lage, Namen und Anschriften dem Bundesverfassungsgericht noch rechtzeitig mitzuteilen. Darf bei diesen Personen auch schon etwas erfolgen? Minister Dr. Stein weist auf die Gleichartigkeit der Fälle hin. Es können auch in diesem Fall vorläufige Maßnahmen getroffen werden. Staatssekretär Danehl, Niedersachsen fragt, ob es zulässig sei, auch gegen Tarn­ organisationen vorzugehen, wenn sich dort Material der KPD und SRP befindet? Dr. Scholtissek gibt zu bedenken, dass evtl. das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig ist, wenn es sich nicht um Teile der Partei handelt. Dann ist aber durch den Richter einen andere Zuständigkeit gegeben. Aus unseren Erläuterungen werden Sie wohl entnommen haben, dass das Gericht selbst den Wunsch hat, die Anordnungen weitgehend auszulegen. Aber irgendwie müssen Sie, wenn Sie auf Grund des Beschlusses vorgehen, immer noch die Fundierung im Beschluss selbst suchen. Präs. Dr. John bemerkt, dass die Namensliste für Schleswig-Holstein keine Besonderheit ist. Es gibt für alle Länder Namensangaben über Auslagerer. Es sei nicht zweckmäßig, sie in den Beschluss namentlich aufzunehmen. Es genügt, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass Material zwecks Verhinderung des Auffindens bei einer bestimmten Person ausgelagert ist. Die Landesverfassungsschutzämter müssen bei der Durchführung der Maßnahmen zugezogen werden. Minister Dr. Lehr stimmt dem zu und bemerkt: Deshalb möchte ich bitten, dass die Landesämter für Verfassungsschutz im einzelnen Fall sagen, wo die Exekutivorgane angesetzt werden sollen, wenn bei den aufgeführten Stellen nichts gefunden wird. ORR . Dr. Schäfer, Tübingen macht darauf aufmerksam, dass für Württemberg-­ Hohenzollern bei der SRP weder Dienststellen noch Personen aufgezeichnet sind. Wir haben andere einzelne Angaben. Ist es notwendig, die Anordnungen des BVG ergänzen zu lassen, oder können wir ohne das vorgehen? Dr. Scholtissek hält ein Vorgehen für geboten. Bis Mittwoch ist eine Ergänzung technisch nicht möglich. Gerade die drei südlichen Länder müssen eventuell das Material sammeln und mit der Anregung an das BVG weitergeben, den Beschluss nachträglich zu ergänzen. ORR . Loeber, Bremen fragt noch einmal wegen der Abgeordneten. Dr. Scholtissek: Leider ist bei uns in Karlsruhe keine Liste der Parlamentsmitglieder in den Ländern vorhanden. Es besteht die Verpflichtung, die Immunität zu respektieren.

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Wenn sich die Büros in der Wohnung von Abgeordneten befinden, muss sich die Untersuchung auf das als Büro dienende Zimmer beschränken. (Herr Minister Dr. Lehr bittet Herrn Dr. John, dem Bundeverfassungsgericht ein vollständiges Verzeichnis aller Abgeordneten in Bund und Ländern zu übermitteln.) Senator Danner, Hamburg berichtet von einem Fall bei der FDJ, bei dem innerhalb der Geschäftsstelle an einer Tür gestanden habe: »Büro des Abgeordneten… .«. Man habe auch diesen Raum durchsucht und später Schwierigkeiten gehabt. Frage: Steht nun ein solcher Raum unter dem Schutz der Immunität? Dr. Scholtissek hält die Frage für eine Auslegungssache. In erster Linie müssen jetzt die Herren unter eigener Verantwortung die Sache entscheiden. Vielfach wird das eine Tatfrage sein. Wenn eine solche Bezeichnung nicht erst gemeint und lediglich Manöver ist, würde sich der Polizeibeamte auf den Standpunkt stellen können, dass es ein allgemeines Büro ist. Aber solche Fragen könne nicht das Gericht entscheiden. Minister Dr. Lehr: Die Aufgabe ist nicht leicht. Man wird im Großen und Ganzen extensiv interpretieren müssen, um zum Erfolg zu kommen. Wenn sich aus der ganzen Einrichtung der Geschäftsstelle ergibt, dass doch die Zentrale dieses als Privatbüro eines Abgeordneten bezeichnete Zimmer ist, so würde ich mich nicht scheuen, die Aktion durchzuführen. Sie müssen immer bedenken: Es handelt sich hier um Staatsfeinde und bei allzu großer Zaghaftigkeit würden wir die Maulwurfsarbeit dieser Staatsfeinde unterstützen. Vielleicht kennen die Herren die bekannte Zeitschrift »Reader’s Digest«, die oft Auszüge aus Artikeln über Leute wie Remer bringt. In einer der letzten Nummern stand ein Artikel über Remer. Es ist wichtig zu lesen, was die Amerikaner über Remer publizieren. Bitte lesen Sie einmal, mit welche Unverfrorenheit und Anmaßung dieser Remer bereits im Aus- und Inland Behörden und namentlich Gerichten gegenübertritt. Nehmen Sie daraus den Anlass, dass man solchen Kreaturen nicht allzu zaghaft gegenüber treten sollte. Wenn wir diesen Radikalismus nicht von der richtigen Seite anfassen, wird er gröbere Formen annehmen. Er ist inzwischen reichlich groß genug geworden. Dr. Littmann, Hessen stellt noch einmal die Frage, ob bei Nebenräumen ein räumlicher Zusammenhang bestehen müsse. Minister Dr. Stein verneint die Frage ausdrücklich. Dr. Scholtissek pflichtet dem bei. In einem solchen Falle sind eben zwei Büros vorhanden. Ich durchsuche einfach beide Büros. Landesdir. Wormit, Kiel fragt: Es läuft ja in den einzelnen Ländern noch der Kampf gegen die Volksbefragungsaktion, wenn auch nicht mehr mit der akuten Bedeutung. Die Stellungnahmen der Gerichte in diesen einzelnen Fällen haben außerordentlich dazu beigetragen, in der Öffentlichkeit Zweifel zu erwecken, ob dieser entschlossene Kampf wirklich von den staatlichen Instanzen und den Organen der Rechtsprechung voll und ganz gedeckt wird. Ich befürchte, dass bei extensiver Auslegung dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts hier auch wieder Bedenken auftreten könnten und man darauf hinweist, dass ja heute immer noch keine Entscheidung über die Maßnahmen der Landesregierungen in Bezug auf die Volksbefragungsaktion ergangen sei. Dürfen wir damit rechnen, dass diese Frage bald beim BVG entschieden wird? Das hat gerade bei den kleinen Polizeibeamten zu einer Unsicherheit geführt, die lähmend wirkt. Wir wären sehr daran interessiert, dass diese Angelegenheit recht bald geklärt wird. Minister Dr. Stein: Voraussichtlich wird am 20. Februar über die Volksbefragungsaktion verhandelt werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen: Die

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Normkontrolle nach Artikel 100  GG findet ja nur statt bei entsprechendem Antrag eines Gerichts. Ein Gericht muss ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung für verfassungswidrig halten und es muss außerdem eine gerichtliche Entscheidung von dem Gesetz oder der Rechtsverordnung abhängig sein. In diesem Falle ist eine Streitfrage aufgetaucht, über die noch nicht entschieden ist. Es könnte möglich sein, dass das Gericht die Akte vorgelegt hat, ohne zu prüfen, ob die Verordnung oder das Gesetz nicht schon aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Dann entsteht die Frage, ob das BVG überhaupt noch über die Verfassungswidrigkeit zu entscheiden hat. Das BVG wäre u. U. genötigt, die Akte an das vorlegende Gericht wieder zurückzuschicken mit der Bitte, erst einmal zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Um das Verfahren nicht zu verzögern, bietet sich den Landesregierungen eine Möglichkeit sich hier einzuschalten. (Hinweis auf § 67 Ziff. 2 BVGG) Ich würde vorschlagen, dass in all den Fällen, die bis jetzt schon anhängig sind, die Landesregierungen prüfen, ob sie sich nicht in dieser Weise einschalten können. Dr. Scholtissek ergänzt die Frage für Schleswig-Holstein: Es erscheint zweckmäßig, dass das Kabinett vorerst prüft, ob diese Verordnung nicht unter anderen Gesichtspunkten ungültig ist; z. B. in der Sache Evert (?): Falls diese Verordnung unter anderen Gesichtspunkten als gesetzwidrig anzusehen ist, würde das BVG nicht in der Lage sein zu entschieden. Gerade der Fall Schleswig-Holstein erscheint für das von Dr. Stein empfohlene Verfahren ungeeignet. In allen anderen Fällen ist es dringend notwendig vorzugehen, wenn eine untergeordnete Stelle ein solches Gesetz für verfassungswidrig erklärt hat. Senator Danner, Hamburg: Wann ist eine Organisation eine Partei, so dass sie in den erhöhten Schutz des Grundgesetzes kommt. Genügt es, wenn die Leute erklären, dass sie beabsichtigen, bei der nächsten Wahl Kandidaten aufzustellen. Sind sie dann eine Partei? Minister Dr. Stein: Restlose Klarheit darüber wird erst das Parteiengesetz bringen. Es ist anzunehmen, dass das BVG in den beiden Entscheidungen sich mit der Frage beschäftigt und versucht, den Begriff der Partei zu definieren. Die Urkunden werden zur Vervollständigung eingesammelt. Herr Minister Dr. Lehr macht darauf aufmerksam, dass die SRP sich besonders gern der Ohren von Fahrern und Kellnern bediene und bittet um besondere Vorsicht. Ende der Sitzung.«

Dokument Nr. B 5 29. September 1953: Besprechung beim BVerfG Karlsruhe, Fragen zum KPD-Prozess, Teilnehmer: Vertreter des BVerfG, BMI, BMF und BfV.12 Bundesverfassungsrichter Stein fordert vom Bundesfinanzministerium Steuerprüfungen kommunistischer Betriebe, um Informationen über die Finanzierung der KPD zu erhalten. Weitere Fragen: Terminierung, Sachverständige und Lebensläufe vom KPD-Vorstand.

12 BArch: B 106/200808, Sitzung in Karlsruhe am 29.9.1953. Protokoll vom 22.10.1953, Gecks an von Lex.

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»Geheim« »Am 29.9.1953 fand beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Besprechung über Verfahrensfragen im KP-Prozess statt, an der teilgenommen haben: 1. Bundesrichter Min. a.D. Stein, Bundesverfassungsgericht 2. Landgerichtsrat Strickert, Bundesverfassungsgericht 3. Min.Rat Senftleben, Bundesminister der Finanzen 4. Amtsrat Behnke, Bundesminister der Finanzen 5. Verw.Ger.Dir. Gecks, Bundesministerium des Innern 6. Oberreg.Rat Barthold, Bundesministerium des Innern 7. Oberreg.Rat Dr. Nollau, Bundesamt für Verfassungsschutz I. Min.Rat Senftleben gab einleitend bekannt, dass drei von der KPD gesteuerte Wirtschaftsunternehmen und zwar: HANSA-Grundstücksgesellschaft mbH, WESTDRUCK GmbH und Rheinisch-Westfälische Volksdruckerei steuerlich überprüft worden seien. Die Prüfung habe ergeben, dass die Gesellschafter dieser Firmen vorgeschobene Personen seien. Die bei der Gründung von ihnen gezeichneten Kapitalbeträge hätten sie nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können; sie müssten ihnen zur Verfügung gestellt worden sein. Bei der »HANSA« sei dies urkundlich nachweisbar der PV der KPD gewesen. Bundesrichter Stein bezeichnete es als erforderlich, dass noch weitere im Dienste der KPD stehenden Gesellschaften steuerlich zu prüfen seien, die, ebenfalls urkundlich nachgewiesen, vom PV bzw. den zuständigen Landesleitungen der KPD über vorgeschobene Personen finanziert und dirigiert werden. Er nannte folgende Firmen: ISARDRUCK GmbH, München Stuttgarter Rotationsdruck GmbH, Stuttgart ALSTERDRUCK AG , Hamburg Rhein-Main-Druck GmbH, Mainz Er ersuchte, diese Prüfungen so beschleunigt durchzuführen, dass sie bis zum 10.11.1953 abgeschlossen seien. Min.Rat Senftleben hielt es für fraglich, ob dieser Termin innegehalten werden könne. Er sicherte zu, seine Bemühungen in dieser Richtung fortsetzen zu wollen. Die steuerliche Überprüfung der im Dienste der KP stehenden Gesellschaften hält BR . Stein für notwendig, um Aufschluss über die Finanzierung der KP zu gewinnen, und um bereits im Urteil dieses Vermögen einzuziehen. Die Frage, ob die persönliche Anhörung der als Gesellschafter fungierenden Personen im Verfahren, sei es als Beteiligte oder als Zeugen, notwendig wird, ließ BR . Stein offen. Auf Grund des vorliegenden Urkundenmaterials hält er es für möglich, dass von einer Anhörung dieser Personen Abstand genommen werden könne. Hierüber werde letzten Endes der Senat zu befinden haben. II. – Die weitere Besprechung fand ohne Beteiligung der beiden Herren des Bundes­ finanzministeriums statt. – a) Was den Zeitpunkt der Terminanberaumung anlangt, so wirken sich auf ihn mehrere Umstände aus. Zunächst muss feststehen, ob die EVG -Klage zur Verhandlung kommt oder

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nicht. Wenn sich die Meinung durchsetzt, dass dem Antrag an das Bundesverfassungsgericht nur dann ein Rechtsschutzbedürfnis13 zukomme, wenn noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts der Antrag von einem Drittel der Mitglieder des Bundestags gestellt sei, was infolge des Ausgangs der Bundestagswahl nicht mehr der Fall ist, so wird die EVG -Klage sich bald erledigen. Aber auch in diesem Falle glaubt BR . Stein, dass eine Terminanberaumung nicht vor Ende November in Betracht kommen könne. Sodann wird die allgemeine Geschäftslage des Senats und die voraussichtliche Verhandlungsdauer für die Terminanberaumung bedeutsam ein. b) Was die Dauer des Prozesses anlangt, so schätzt BR . Stein die Verhandlungsdauer auf drei Wochen. Er geht hierbei davon aus, dass, wie im SRP-Prozess, am Montagnachmittag und an den übrigen Wochentagen – ohne Samstag – von 8–13 Uhr verhandelt werden kann. c) Die Hinzuziehung eines Sachverständigen über ideologische Fragen seitens der Bundesregierung hält BR . Stein nicht für unbedingt erforderlich. Der Senat werde sich darüber schlüssig werden müssen, ob von Seiten des Gerichtes ein oder mehrere Sachverständige herbeizuziehen seien. Möglicherweise werde hierdurch eine Verzögerung eintreten, da den Sachverständigen Gelegenheit zur Einsichtnahme des Materials und gegebenenfalls zur schriftlichen Äußerung gegeben werden müsse. d) Von einer nochmaligen schriftsätzlichen Stellungnahme zu den von der KPD in ihrer Klage-Beantwortung aufgeworfenen Fragen rät BR . Stein dringend ab. Verhandelt werde auf Grund des gesamten, dem Gericht vorliegenden Materials. Dieses sei der KP zugänglich gemacht worden; es sei ihr damit die Möglichkeit zur Äußerung gegeben worden. In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gelte die Offizialmaxime14. Es könnten deshalb auch Tatsachen vom BVG verwertet werden, die nicht schriftsätzlich vorgetragen seien. e) Auf meinen nochmaligen Hinweis, dass sich durch die Erhebungen über das Vermögen der KPD der Prozess hinziehen und auch die Verhandlungen verlängern werde, glaubte BR . Stein von diesen Feststellungen nicht Abstand nehmen zu können. Es werde durch sie erreicht, dass die wichtigsten Vermögenswerte der KPD erfasst und gegebenenfalls im Urteil eingezogen werden könnten, wodurch zahlreiche Einzelklagen vermieden würden. f) Verhandelt werde voraussichtlich in der Reihenfolge der im sog. Aktenplan zusammengestellten Gesichtspunkte. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Senat von dieser Reihenfolge abweiche. Außer den Eingangs- und den Schlussplädoyers solle während der als Beweisaufnahme zu betrachtenden Verhandlung nicht plädiert werden. g) BR . Stein ersuchte sodann, ihm die Lebensläufe der führenden Funktionäre der KPD zu beschaffen, ihm alle Mitglieder des Parteivorstandes nach dem jetzigen Stand bekanntzugeben und das vorliegende Material (vergl. Aktenplan) zu ergänzen durch das seit seiner Zusammenstellung im Januar 1953 angefallene weitere Material. BR . Stein sprach dann noch den Wunsch aus, dass Ende Oktober/Anfang November abermals bei 13 Rechtsschutzinteresse liegt vor, wenn ein allgemeines, öffentliches oder auch privates Interesse vorliegt, das die Durchführung eines entsprechenden Verfahrens, etwa zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit, aus Gründen des Rechtsschutzes begründet. 14 Grundsatz, wonach die Verfolgung von Straftaten, Rechtsbrüchen etc. grundsätzlich Sache des Staates ist.

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ihm vorgesprochen werden möchte, weil sich alsdann die Geschäftslage des Senats eher überblicken ließe. h) Dr. Nollau wies darauf hin, dass der Parteivorstand der KP sich ständig ändere. Er werde die Lebensläufe der führenden Mitglieder des PV der KP zusammen und mit Abschriften für die Parteien dem Gericht zur Verfügung stellen. Was die Ergänzung des dem Gericht vorliegenden Materials auf den neuesten Stand anlangt, so ist das Erforderliche inzwischen veranlasst.« gez. Gecks

Dokument Nr. B 6 20. November 1953: Besprechung von Min.Rat Gecks (BMI) mit LGR Strickert (BVerfG).15 Termin und Verfahrensfragen: Prozessverzögerung wegen Krankheit des Präsidenten. Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die KPD? Steuerliche Überprüfung kommunistischer Druckereien? Lebensläufe der Mitglieder des KPD-Vorstands. Aktualisierung des Beweismaterials.

»Geheim« »Anlässlich einer Besprechung am 20.11.53 bei dem Herrn Oberbundesanwalt in Karlsruhe habe ich Gelegenheit genommen, beim Bundesverfassungsgericht wegen der KP-Klage vorzusprechen. Bundesrichter Minister a. D. Stein war nicht anwesend. Ich konnte nur seinen Mitarbeiter LGR Strickert erreichen. Das Ergebnis der Besprechung ist folgendes: 1. Die KP-Klage wird nicht Ende Januar 1954 verhandelt werden können. Als ich meine Befremdung hierüber zum Ausdruck brachte, erklärte mir LGR Strickert, der Präsident des Bundesverfassungsgerichtshofs sei erkrankt, er läge zur Zeit in Heidelberg in einer Klinik. Mit seinem Erscheinen vor dem 7.1.1954 werde nicht gerechnet. Sein Vertreter Bundesrichter Dr. Ellinghaus sei wegen seines Alters nicht in der Lage, den Vorsitz im KP-Prozess zu führen. Das Bundesverfassungsgericht habe sich noch mit den drei Klagen wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zu Art. 131 GG zu befassen. Falls nicht eine gesetzliche Regelung erfolge, wäre auch noch über Art. 117 GG (Gleichberechtigung von Mann und Frau) zu entscheiden. Er habe in letzter Zeit nur gehört, dass der KP-Prozess im Frühjahr 1954 stattfinden werde. 2. Von mir wurde sodann zur Sprache gebracht, ob es sich mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg empfehle, bei dem Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstwei­ ligen Anordnung anzuregen, durch die der KP untersagt wird, die Aktion des Umtausches von Mitgliedsbüchern durchzuführen. LGR Strickert erwiderte, dass diese Frage von Herrn BR Stein erwogen worden wäre. BR Stein halte es nicht für zweckmäßig, dieserhalb gegen die KP einzuschreiten. Von einer entsprechenden Anordnung, deren Durchführung so gut wie nicht zu kontrollieren sei, verspreche er sich nichts. Der Senat selbst dürfte in dieser Frage nicht anders denken. 15 BArch: B 106/200800, Vermerk Min.Rat Gecks für StS Ritter von Lex, 24.11.1953.

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Die Quellen-Dokumentation

Mir sei der Hinweis gestattet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Bericht vom 11.11.1953 davon abriet, eine solche Anordnung bei dem Bundesverfassungsgericht anzuregen. 3. Bei der gemeinsamen Besprechung am 29.9.1953 vor dem Bundesverfassungsgericht war von BR Stein Min.Rat Senftleben (BMd Finanzen) gebeten worden, vier im Einzelnen bezeichnete kommunistische Druckereien steuerlich überprüfen zu lassen und die steuerlichen Überprüfungen möglichst bis zum 10.11.1953 zum Abschluss zu bringen. Auf meine Rückfrage erfuhr ich, dass die Ergebnisse dieser Überprüfungen noch nicht vorliegen. Min.Rat Senftleben ist bereits von mir ersucht worden auf schnellsten Abschluss der Überprüfungen, die von den Landesfinanzverwaltungen durchgeführt werden, zu drängen. 4. LGR Strickert erklärte, dass BR Stein nicht darauf bestehe, ihm jetzt schon die Mitglieder des Parteivorstandes der KP mitzuteilen, da diese ständig wechselten. Es genügt, wenn ihm die Zusammensetzung des Parteivorstandes der KP im Zeitpunkt des Prozessbeginnes durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vorgelegt werde. Zu diesem Zeitpunkt brauchten auch erst die Lebensläufe der führenden Mitglieder des PV vorgelegt zu werden. Mit dem BfV (Dr. Nollau) sei eine entsprechende Abrede getroffen worden. 5. Erforderlich ist, dass das Material des KP-Prozesses weiterhin auf den laufenden Stand gebracht wird. Entsprechende Weisungen sind von mir an Oberreg.Rat Barthold und Dr. Gräf. Strachwitz ergangen. Die Arbeiten werde ich überwachen.« gez. Gecks

Dokument Nr. B 7 7. April 1954: Besprechung Bundesinnenminister Schröder, Staatssekretär Ritter von Lex mit dem Präsidenten des BVerfG Wintrich.16 Entscheidungen des BGH in politischen Strafverfahren liefern wichtiges Beweismaterial für den KPD-Prozess. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ist nicht Voraussetzung, sondern Konsequenz höchstrichterlicher Strafverfahren. Wintrich fordert, nicht auf eine Entscheidung des BVerfG in Sachen KPD zu warten, sondern weitere BGH-Prozesse zu führen.

»Geheim« »Die Frage des KP-Prozesses wurde von dem Herrn Minister und mir am 7.4. mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Dr. Wintrich besprochen. Herr Dr. Wintrich vertrat die Auffassung, dass es falsch sei, die Weiterführung der laufenden Strafverfahren von der Austragung des KPD Prozesses abhängig zu machen. Bei dem Strafverfahren handle es sich um fest umrissene strafrechtliche Tatbestände. Bei dem

16 BArch: B106/200800, Vermerk v. Lex, Gespräch Schröder und von Lex mit Wintrich, 9.4.1954.

Geheime Beratungen und Absprachen

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KP-Prozess handle es sich um eine politische Angelegenheit. Er sei der Auffassung, dass die Strafverfahren vorweg durchzuführen seien, weil der Nachweis, dass wichtige KP-

Funktionäre hochverräterische Handlungen begangen haben, ein richtiges Beweiselement für den KP-Prozess sei. Der Präsident des Bundesgerichtshofs sei ursprünglich anderer Auffassung gewesen, habe sich aber nach eingehender Besprechung der Auffassung von Dr. Wintrich angeschlossen. Herr Dr. Wintrich erklärte, die Angelegenheit in diesem Sinne bereits mit den Richtern des I. Senats besprochen zu haben. Diese hätten die Befürchtung, die politische Verantwortung für die Verzögerung des KP-Prozesses auferlegt zu erhalten. Er werde nochmals mit seinen Richtern sprechen und behalte sich vor, notfalls um ein Schreiben des Ministeriums zu bitten, in dem auf die völlige Unabhängigkeit der laufenden Strafverfahren von dem Strafprozess gegen die KP hingewiesen wird. gez. L.(ex) Handschriftliche Anmerkung: Die Angelegenheit wurde am 28.4.54 mit dem BfV besprochen. Das BfV wird seine Stellungnahme formlos niederlegen und bekannt geben. Z. Mappe BfV.«

Dokument Nr. B 8 28. September 1954: Abstimmung der Hauptverhandlung im Verfahren gegen die KPD zwischen Bundesverfassungsrichter Stein, Berichterstatter im KPD-Prozess, und ORR Barthold, Prozessführende Stelle im BMI.17 Detaillierter Bericht über die Abstimmung des Verfahrens gegen die KPD zwischen BVerfG und BMI für StS Ritter von Lex, Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung für den KPD-Prozess.

»Streng geheim« »Meine Dienstreise am 28.9.1954 nach Karlsruhe hatte folgende Ergebnisse (A + B), zu denen anschließend Stellung genommen werden darf (C). A. Technische Vorbereitung. I. Unsere räumlichen und zeitlichen Wünsche für die Unterbringung in Karlsruhe habe ich mit Bürgermeister Dr. Gutenkunst und Mag. Direktor Schwall besprochen. Die genannten Herren werden dafür sorgen, dass uns in den nächsten Tagen ge­ eignete Angebote vorgelegt werden können. Die Frage der Sicherheit wird bei der Einholung der Angebote besonders berücksichtigt werden.

17 BArch: 106/200800. Abstimmung Stein-Barthold am 28.9.1954, Ergebnis-Vermerk vom 2.10.1954. Die im Text unterstrichenen Wörter sind im Original gesperrt gedruckt.

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Die Quellen-Dokumentation

II. Die Herstellung von Ablichtungen, die während der Hauptverhandlung oder auch

schon vorher gebraucht werden, kann von der Geschäftsstelle des Bundesverfassungsgerichts gegen Kostenerstattung mit eigenem Gerät erfolgen. III. Die Einrichtung der notwendigen Fernmeldeanlagen (direkte Leitungen nach Bonn und Köln)18 konnte am 28.9. aus zeitlichen Gründen nicht mehr bearbeitet werden.

B. Vorbereitung des Verfahrens. Folgende Zweifelsfragen wurden erörtert: I. Zur Art und Weise des Verfahrens 1. Aus den Besprechungen habe ich den bestimmten Eindruck gewonnen, dass es notwendig ist, für die sachkundige Beratung der Bundesregierung in den Fragen der Ideologie und der Strategie und Taktik der kommunistischen Weltorganisation einen oder mehrere Sachverständige hinzuzuziehen. Ohne dass dafür eine nähere Begründung gegeben wurde, erscheint Dr. Löwenthal in Karlsruhe weniger geeignet. Besonders hervorgehoben wurden neben Borkenau und Boris Meissner der Dozent an der Hochschule für Politik, Berlin, Gurland. Der BE19 wird voraussichtlich heute aus anderer Veranlassung mit Herrn Gurland zusammenkommen und unverbindlich mit ihm Fühlung nehmen. Zur Abhaltung der Pressekonferenzen des Herrn Staatssekretärs, aber auch als Berater, wird es für angezeigt gehalten, Claus Mehnert, Herausgeber von »Christ und Welt«, Stuttgart zu verpflichten. Die Bestellung einer solchen geeigneten Persönlichkeit als »Pressereferenten« für den Prozess wird in Karlsruhe für dringend erforderlich gehalten. 2. Zur Frage des »sicheren Geleits« (§ 295 StPO) wurde mir mitgeteilt, dass dieses für drei Vorstandsmitglieder beabsichtigt sei. Ich wurde gebeten, in dieser Angelegenheit mit dem Bundesministerium der Justiz Fühlung zu nehmen. 3. Die Beweisaufnahme soll in der Weise geführt werden, dass wie im angelsächsischen Verfahren die klagende Partei, also die Bundesregierung, ihre Beweismittel im Laufe der Verhandlung einführt, sei es durch Vorlegung bzw. Bezugnahme auf Urkunden, sei es durch Benennung bzw. Gestellung von Zeugen und Sachverständigen. 4. Die Abhaltung der Termine wird an den Wochentagen von Dienstag bis Freitag jeweils am Vormittag erfolgen. Die Verhandlungen werden auf Band aufgenommen und sofort übertragen, sodass das Protokoll jeweils am Abend eines Verhandlungs­tages vorliegt.

18 Eingerichtet wurden direkte Telefonverbindungen von Karlsruhe (Prozessbegleitung Ritter von Lex) zum Bundesministerium des Innern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. 19 BE , Abkürzung für Berichterstatter. Diese Funktion nahm für den KPD -Prozess Bundesverfassungsrichter Dr. Erwin Stein wahr. Vom Vorsitzenden des Senats, Dr. Hermann Höpker Aschoff, ernannt, war der BE der wichtigste Mann des Verfahrens, zuständig u. a. für die Planung, Vorbereitung und Durchführung des Prozesses. Er bereitete nicht nur die Sitzungen des Gerichts, sondern auch dessen Entscheidungen vor. Hierzu gehörte auch die Abfassung des Urteilsentwurfs.

Geheime Beratungen und Absprachen

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5. Es wird gewünscht, dass Beweisurkunden oder Beweisanträge jeweils am Vortage in dreifacher Ausfertigung vorgelegt werden, soweit sie nicht schon bei Gericht vorliegen. Jedenfalls muss für die Gegenpartei eine Ablichtung der Beweisurkunden eingereicht werden. Für die technische Erledigung steht die Ablichtungsstelle des Bundesverfassungsgerichts zur Verfügung (vgl. A II). Die einzureichenden Beweisurkunden sind zu beziffern. Wie diese Bezifferung erfolgen soll, wird noch geklärt werden. In Aussicht genommen sind für die Bundesregierung die Ziffern 1 bis 19 999 und die KPD die Ziffern 20 000 bis 39 999. 6. Über die Schauwandbilder (2 mtr. hoch und 1 mtr. breit) für (1) KPD (2) SED (3) KPdSU (4) Tarnorganisationen im Weltmaßstab wurde nur kurz gesprochen. Ich hatte den Eindruck, dass sich die Herstellung dieser Bilder nicht vermeiden lassen wird. 7. Bei der Ankündigung von Zeugen genügt es, diese nur mit Nummern zu bezeichnen. Namen und ladungsfähige Anschrift soll erst im Termin mitgeteilt werden. 8. Verwertung von Beweismitteln, die sich in den einschlägige Verfahren des BGH ergeben haben. Hier wird zu prüfen sein, ob dort vernommene Zeugen in dem hier anhängigen Verfahren zu benennen bzw. zu hören sind. 9. Mit einer Verwertung des Materials aus der SBZ ist wahrscheinlich nicht zu rechnen. 10. Das Bundesverfassungsgericht räumt uns als Arbeitsraum die bereits bekannten ineinander gehenden großen Zimmer im ersten Stockwerk nach der Karlstraße ein. 11. Die Frage einer Bannmeile für die Dauer des Verfahrens habe ich nur mit dem Hilfsarbeiter Landgerichtsrat Strickert besprechen können und hierbei die Auffassung vertreten, dass ein entsprechendes Gesetz keine Aussicht auf rechtzeitige Verabschiedung und Verkündung haben dürfte. Es wäre daher ratsam, dass das Bundesverfassungsgericht von sich aus die ortszuständigen Behörden veranlasst, entsprechende Maßnahmen im Verwaltungswege zu treffen. Hierin stimmte mir Landesgerichtsrat Strickert zu. 12. Die Sicherung der Wohnung des BE in Offenbach/Main wird dieser selbst bei dem Hessischen Innenminister Zinnkann veranlassen. Eine Einschaltung des Herrn Staatssekretärs soll nur erfolgen, wenn die persönlichen Bemühungen des BE nicht ausreichen. II. Gegenstand der Verhandlung

Nachdem seitens des Gerichts von dem ursprünglichen Vorhaben Abstand genommen worden ist, die Problemkreise und deren Reihenfolge für die Verhandlung selbst zu bestimmen, erwartet das Gericht jetzt von der Bundesregierung, dass diese künftig die Problemkreise selbst zur Verhandlung stellen wird. Diesem Grundsatz des Verfahrens soll der in der Ladung erbetene Schriftsatz dienen. Der BE hat lediglich die Bitte, dass die Ordnung des Materials, wie sie in dem sog. Aktenplan seit geraumer Zeit vorliegt, weiterhin bestehen bleibt. Er erklärte mir jedoch wörtlich: »Wie Sie das jetzt ordnen, ist alles Ihre Sache«. Ich habe angedeutet, dass es uns

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Die Quellen-Dokumentation

zweckmäßiger erscheint, die Problemkreise nicht von der Peripherie her zu ent­ wickeln z. B. die Erörterung der Ziele der KPD nicht über den Weltkommunismus herzuleiten, sondern vom Zentrum auszugehen, d. h. bestimmte Kristallisationspunkte als Ausgang der Erörterung zu nehmen. Ich führte als Beispiel die Präambel des Statuts der KPD an, aus der sich die gesamte Ideologie entwickeln lassen würde. Hierin gab mir der BE Recht und erklärte nochmals, dass er uns völlig freie Hand lasse, wie wir unsere Ausführungen aufbauen. Hinsichtlich des »Verhaltens« regte ich an, als Ausgangspunkt des Problemkreises das Programm der nationalen Wiedervereinigung zu wählen. Auch damit war der BE durchaus einverstanden. 1. Rechtsgrundlagen des Verfahrens (Art. 21 GG). Hier wünscht der BE eine Auseinandersetzung mit der Schrift Gerarts: »Der BGH im Dienste der aggressiven Politik in der Vorbereitung des Krieges«. 2. Verfassungswidrigkeit der KPD auf Grund ihrer Verbindung mit der SED und KPdSU und als Teil  der weltumspannenden kommunistischen Organisation (KPD als Werkzeug fremden Willens und nicht ein Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie die freiheitlichen anderen Parteien). a) Statuten und Parteiprogramm der KPD, SED und KPdSU in synoptischer Darstellung. Der Vergleich der KPD mit SED und KPdSU ist von Wichtigkeit für das allgemeine Verständnis des Zusammenspiels der kommunistischen Partei überhaupt. b) Die besondere Verbindung KPD und SED im Einzelnen: Wechsel der Mitglieder von hüben nach drüben, Schulung, Propaganda, allgemeiner Schrift­ wechsel. c) Die KPD als Teil einer Weltorganisation. Sachverständige: Mehnert und Borkenau. Zeugen: Jost und Wollenberg. Während zu den Punkten a und b keine Erörterungen stattgefunden haben, habe ich zu Punkt c darauf hingewiesen, dass die Benennung von Sachverständigen vorbehalten bleiben solle, da es einerseits nicht angezeigt erscheine, den Prozess in dieser Richtung über das rechtlich unbedingt Notwendige hinaus auszuweiten, andererseits in politischen Prozessen erfahrungsgemäß Sachverständigen-Gutachten Beweismittel seien, deren Wert höchst problematisch ist. Auch könne die Auseinandersetzung zwischen Sachverständigen  – denn die Gegenseite würde es begrüßen, auch ihrerseits Sachverständigen-Gutachten als Beweismittel einzuführen – zu einer nicht nur überflüssigen und zeitraubenden, sondern auch zu verwirrenden und damit schädlichen Ausweitungen des eigentlichen Prozessstoffes führen. Gegen Wollenberg habe ich das Bedenken geäußert, dass dieser seit mehr als 20 Jahren außerhalb der kommunistischen Sphäre stehe und überdies eine zweifelhafte Persönlichkeit sei. III. Verfassungswidrigkeit der KPD im Einzelnen

a) Nichtvereinbarkeit der inneren Ordnung der KPD mit demokratischen Grundsätzen (1) Problem der inneren Parteidemokratie, (2) Problem des demokratischen Zentralismus, (3) Partei neuen Typus.

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Zeugen: Wollenberg, Ruth Fischer Unter Wiederholung meiner Bedenken gegen Wollenberg habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht ratsam erscheint, eine politisch so umstrittene Persönlichkeit wie Ruth Fischer als Zeugin der Bundesregierung zu präsentieren. Sachverständige: Boris Meissner evtl. Flechtheim und Kofler. Zu der Frage der Sachverständigen hatte ich bereits Stellung genommen und an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass Professor Flechtheim sich während des Prozesses in Amerika befindet, während Kofler nach Erstattung eines kostspieligen Gutachtens nicht als geeignet erscheint. Urkundenbeweis für den inneren Aufbau. b) Strategie und Taktik des Kommunismus. Entwicklung der sog. Volksdemokratie Sachverständige: Borkenau und Mehnert Hier habe ich wiederum auf die grundsätzlichen Bedenken gegen einen Sachverständigen-Beweis in einem Verfahren wie dem vorliegenden hingewiesen. c) Agitation und Propaganda Zeugen: Wollenberg und Wehner Gegen Wollenberg habe ich die bereits erwähnten Bedenken geltend gemacht. Die Einführung des MdB Wehner als Zeugen dürfte nach meiner zum Ausdruck gebrachten Auffassung einen so starken politischen Akzent haben, dass ich hierzu keine Stellung nehmen möchte. d) Schilderung der Tarnorganisationen. Zeuge: Jost e) Gang der Verhandlung Es wird erwartet, dass Herr Staatssekretär ein Eröffnungs-Plädoyer allgemeiner Art über die Verfassungswidrigkeit und besondere Gefährlichkeit der KPD für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hält und die Problemkreise kurz umreißt. Die Einzelheiten soll dann Rechtsanwalt Dr. Dix anschließend ausführen. Daraufhin soll die KPD sprechen und ihre Beweisanträge einbringen. An den folgenden Tagen wird über die einzelnen Problemkreise diskutiert werden. IV. Sonstiges

Anlässlich meiner Besprechung am 28.9.1954 ergab sich noch folgendes: 1. Es erscheint angezeigt, die Mithilfe der Bundesanwaltschaft bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung in Anspruch zu nehmen. Hierbei handelt es sich um das Problem, aus den rechtskräftigen Feststellungen des BGH diejenigen Tatbestände herauszuziehen, in denen die Handlungen der Verurteilten neben den Straftatbeständen auch – im Hinblick auf ihre Stellung als Funktionäre der im vorliegenden Verfahren angegriffenen Partei oder der von ihr kontrollierten Organisationen – gleichzeitig tatbestandsmäßig im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG gewesen sind, d. h. das Verhalten dieser Anhänger der KPD zugleich darauf ausging, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. 2. Bei der Entwicklung, die das Verfahren genommen hat und in der Hauptverhandlung nehmen wird, erscheint es nicht mehr notwendig, für die Verhandlung

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Die Quellen-Dokumentation

die Unterstützung eines hohen Justizbeamten, etwa eines Generalstaatsanwalts, in Erwägung zu ziehen. 3. Das frühere Mitglied des Zentralkomitees der SED und Leiter der FDJ Lippmann, der inzwischen in der Bundesrepublik aufgetaucht ist, wird durch den Untersuchungsrichter beim BGH, Landgerichtsrat Dr. Claus, vernommen. Diese Vernehmung kann auch wichtige Sachverhalte für das vorliegende Verfahren erbringen. Es ist vom Bundesamt für Verfassungsschutz daher mit dem Untersuchungsrichter vereinbart worden, dass auch auf derartige Sachverhalte bei der Vernehmung Lippmanns geachtet wird. Um die für das vorliegende Verfahren bedeutsamen Gesichtspunkte herauszuarbeiten, ist für Montag, den 4. Oktober 1954, 11.00 Uhr, im Bundesamt für Verfassungsschutz eine Besprechung vereinbart worden, an der Landgerichtsrat Strickert vom BVG und Min.Rat Gecks und ORR Barthold teilnehmen werden. Bei dieser Gelegenheit sollen auch noch etwa auftauchenden anderen Fragen und die Verwendbarkeit des früheren KPD -Funktionärs Prinz, früher Hamburg, als Zeugen erörtert werden. 4. Seit der letzten Fühlungnahme im Herbst vergangenen Jahres hat eine Verbindung zum Bundesministerium der Finanzen, Min.Rat Senftleben, nicht mehr stattgefunden. Es wurde angeregt, dass ich alsbald auch mit ihm erneut in Verbindung treten soll, um festzustellen, welche Ergebnisse bei der Ermittlung des KPD -Vermögens seitens des Bundesministeriums der Finanzen getroffen wurden und im vorliegenden Verfahren zu verwerten sind. Hierbei liegt der Schwerpunkt der Erörterung des Vermögensgebarens der KPD nicht mehr in der Richtung Unterlagen für eine spätere evtl. Einziehung zu schaffen, sondern in dem Anliegen, die Gefährlichkeit des kommunistischen Vorgehens auch durch die Darstellung des finanziellen Einsatzes dieser Partei zu dokumentieren 5. Es wird erwartet, dass sich die Bundesregierung insbesondere auch mit der Frage der Zulassung der KPD als demokratische Partei durch den Kontrollrat befasst. Hierbei wird seitens der Bundesregierung im Wesentlichen zu klären sein, dass das BVG selbständig zu prüfen hat, ob die KPD eine demokratische Partei im Sinne des GG im gegenwärtigen Zeitpunkt ist. (In diesem Zusammenhang wird der Artikel von Gerards – vgl. II.1 – zu beachten sein.) 6. Die Geschichte der KPD wird in dem einleitenden Vortrag des BE dargestellt werden, so dass von unserer Seite eine besondere Vorbereitung dieses Punktes nicht erforderlich ist. 7. Als Beispiel für die Behandlung eines Problemkreises wird erwartet, dass zunächst Dr. Dix hierzu einen Vortrag hält, worauf die KPD antwortet, die Bundesregierung dann die Beweismittel einführt, z. B. vorschlägt, einen Sachverständigen zu hören. Zum Schluss fasst Dr. Dix die Stellungnahme der Bundesregierung zusammen. 8. Einzelheiten über die Einreichung des zum 25.10.1954 erforderlichen Schriftsatzes bitte ich mündlich vortragen zu dürfen. Die Nummerierung der Beweisurkunden braucht erst etwa zwei Wochen vor dem Termin zu erfolgen. 9. Als Schrifttum kommen insbesondere in Frage: Lenin: Staat und Revolution;

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Stalin: Fragen des Leninismus; ders.: Begriff der innerparteilichen Demokratie und des demokratischen Zentralismus; ohne Schriftsteller: Geschichte der KPdSU (B). Der BE erbittet auch alsbald das Plädoyer der KP im australischen Kommunistenprozess und die Lebensläufe der Vorstandsmitglieder der KPD. C. Zu A III Zu B II



Zu 2.

Einrichtung von Fernmeldeanlagen, werde ich in Karlsruhe das Notwendige veranlassen. Nach eingehender Rücksprache mit Dr. Nollau20 und auf Grund meines persönlichen Eindrucks von den Veröffentlichungen Dr. Loewenthals dürften keine ernsthaften Bedenken gegen seine Berufung als sachverständiger Berater bestehen. Dr. Nollau wird veranlassen, dass Dr. Loewenthal, der in Bad Godesberg wohnt, am Montag, den 4.10.1954 nachmittags, zu einer unverbindlichen Besprechung in unserem Hause zur Verfügung steht. Dr. Löwenthal ist nicht mehr für die Amerikanische Hohe Kommission tätig. Seine heutige Haltung ist, wie mir Dr. Nollau versicherte, in unserem Sinne völlig einwandfrei. Er ist vor seiner Einstellung bei HICOG eingehend abwehrmäßig überprüft worden. Obwohl er eine hervorgehobene Stellung eingenommen hat, sind keine Bedenken gegen ihn aufgetreten. Seine jahrelange Zusammenarbeit mit dem BfV hat die positive Einstellung bestätigt. Von ihm sind keinerlei Überraschungen zu gewärtigen, was von anderen Sachverständigen nicht unbedingt feststeht. Außerdem ist Dr. Loewenthal Volljurist – früherer Anwalt – und auch aus diesem Grunde als Berater im Prozess geeigneter als ein Sachverständiger, der zwar sein Gebiet beherrscht, aber die juristische Bedeutung dessen, was er ausführt, nicht oder nur unvollständig übersehen kann. In der Frage der Abhaltung von Pressekonferenzen bin ich mit Dr. Nollau darin völlig einig, dass es ungewöhnlich und unzweckmäßig wäre, anlässlich der Verhandlung Pressekonferenzen abzuhalten. Die Presse ist im Verhandlungsraum anwesend und kann sich ein eigenes Bild vom Gang des Verfahrens machen. Wenn die KPD beabsichtigt, ihrerseits Pressekonferenzen abzuhalten, so besteht die Gefahr, dass die Abhaltung von Pressekonferenzen durch die Bundesregierung einen journalistischen Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Der Bitte des BE folgend, habe ich mit dem Urlaubsvertreter des zuständigen Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Justiz, Oberstaatsanwalt Dr. Kleinknecht, Fühlung genommen. Von ihm wurde mir heute fernmündlich mitgeteilt, dass in der Frage des sicheren Geleits keine Neigung besteht, den Oberbundesanwalt zu Anträgen im Sinne

20 Günther Nollau war Mitarbeiter des BfV, Schwerpunkt Abwehr kommunistischer »Unterwanderung«.

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Die Quellen-Dokumentation

des § 295 StPO zu veranlassen. Dies sei die übereinstimmende Ansicht des Ministers, des Staatssekretärs und des Abteilungsleiters. Zu 3. bis 5. keine Bemerkung Zu 6. Die Anfertigung der gewünschten Schauwandbilder werde ich am Montag, den 4.10.1954, anlässlich einer Besprechung beim Bundesamt für Verfassungsschutz, veranlassen. Insbesondere werde ich darauf hinweisen, dass außer dem offiziellen Schema der Parteiorganisation der KPD, ein weiteres Schaubild gefertigt wird, dass die Betriebsgruppen-, Wohngruppen- und Zehnergruppenorganisationen deutlich macht, um dadurch dem unzutreffenden Eindruck einer auf demokratische Prinzipien aufgebauten Parteiorganisation entgegenzutreten, der sich aus dem Schaubild der offiziellen Organisation ergeben könnte. Zu 7. keine Bemerkung Zu 8. Hierzu bitte ich meine nachfolgenden Ausführungen unter C IV 1 zu vergleichen. Zu 9. keine Bemerkung Zu 10. Den Zeitpunkt der Übernahme und die Einrichtung der Arbeitsräume in Karlsruhe werde ich vereinbaren bzw. zunächst am Ort, unter Mithilfe des Magistrats der Stadt Karlsruhe, beschaffen. Zu 11. und 12. keine Bemerkung Zu II. Ich bitte, zu diesem Punkt die nachfolgenden Ausführungen unter C. IV. 8 zu vergleichen. Zu 1. Die Schrift von Gerats werde ich ebenfalls am Montag, den 4.10.1954 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beschaffen lassen. Zu 2. Die hier erwähnten Punkte werden in der noch aufzustellenden Gliederung des Sachvortrages der Bundesregierung berücksichtigt werden. Meine Stellungnahme zu der Hinzuziehung von Sachverständigen allgemein und des Zeugen Wollenberg im Besonderen, ist die gleiche, wie ich sie, unter B II. 2 oben, in Karlsruhe zum Ausdruck gebracht habe. Zu III. a bis e. Die hier erwähnten Problemkreise werden in der Gliederung des Sachvortrages der Bundesregierung Beachtung finden. Zu der Verwertung von Zeugen und Sachverständigen, darf ich auf das bisher Gesagte Bezug nehmen. Wegen der Unterstützung durch die Bundesanwaltschaft in dem hier erZu IV. 1. örterten Sinne, der Feststellung solcher Handlungen kommunistischer Funktionäre, die zu dem Tatbestand des Art. 21 Abs.2 GG in Idealkonkurrenz stehen, habe ich mit dem Bundesministerium der Justiz, Oberstaatsanwalt Dr. Kleinknecht, Fühlung genommen. Er hat mir heute daraufhin mitgeteilt, dass der Herr Minister der Justiz seine volle Unterstützung zusage und dass der Oberstaatsanwalt Dr. Kleinknecht beauftragt sei, am Mittwoch, den 6.10.1954, in Karlsruhe mit dem Herrn Oberbundesanwalt dieserhalb zu sprechen und sich dort mit mir zur Beratung der Einzelheiten zu treffen. Zu 2. Keine Bemerkung Zu 3. Die Vernehmung des Lippmann ist von besonderer Bedeutung für die Verflechtung der KPD und der SED und der FDJ. Vom Bundesamt

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Zu 4. Zu 5. Zu 6. Zu 7. und 8.

Zu 9.

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für Verfassungsschutz werden in dieser Richtung positive Aussagen erwartet. Keine Bemerkung Dieser Punkt ist bereits unter II.1 angesprochen worden. Die Beschaffung der Schrift wird durch das Bundesamt für Verfassungsschutz veranlasst. keine Bemerkung Zwecks Vorbereitung des einzureichenden Schriftsatzes, habe ich mich zu einer ersten Rücksprache mit Rechtsanwalt Dr. Dix für Sonnabend, den 2. Oktober 1954, um 12.00 Uhr verabredet. Außerdem ist es erforderlich, den Entwurf dieses Schriftsatzes, der die Gliederung des Sachvortrages der Bundesregierung, d. h. ihre Beweisführung zu enthalten haben wird, an Hand des in Karlsruhe liegenden Materials anzufertigen, weil gleichzeitig geprüft werden muss, ob unsere Akten mit denen des Gerichts übereinstimmen und nur dort Rückfragen bei dem Mitarbeiter des BE möglich sind. Die Beschaffung des Schrifttums ist veranlasst. Auf die beschleunigte Beschaffung der Lebensläufe der Vorstandsmitglieder der KPD werde ich am Montag erneut hinweisen. Das Plädoyer der KP im australischen Kommunistenprozess liegt vor und wird von mir am 5. Okober 1954 nach Karlsruhe mitgenommen werden und dort überreicht werden.« gez. Barthold

Dokument Nr. B 9 29. September 1954: Interne Abstimmung zwischen ORR Barthold (BMI) als Vertreter des Prozessbevollmächtigten StS Ritter von Lex und OStA Kleinknecht (BMJ)21 OBA soll bei Vorbereitung des KPD-Prozesses unterstützend mitwirken. Wichtig ist die Verfahrensweise des BVerfG zu kennen. Sicheres Geleit für Vorstandsmitglieder der KP. BGH soll dabei mitwirken. Rechtliche und politische Bedenken in Sachen »Freies Geleit«.

1. Vermerk »Geheim« »Herr ORR Barthold erschien nicht als Vertreter des BMI sondern als Vertreter des Herrn Staatssekretärs Ritter von Lex, der im KP-Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung vertritt. Herr Barthold erklärt: Herr Bundesjustizminister a.D. Dr. Dehler habe dem Herrn Bundesinnenminister a. D. Dr. Lehr bei der Erhebung der KP-Klage seinerzeit zugesichert, dass ein Vertreter der Bundesanwaltschaft bei der Vertretung der Bundesregierung im KP-Prozess mitwirken und vor allen Dingen zur Vorbereitung der KP-Klage zur Verfügung gestellt werde. 21 BMJ-Archiv: 1054 E1 (Geh. 190/1/54), Vermerk Kleinknecht über StS an Justizminister Neumayer.

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Die Bitte um Einlösung dieses Versprechens brauche nicht gestellt zu werden, wenn das BMJ den Prozessvertreter der Bundesregierung Herrn Staatssekretär Ritter von Lex, in folgender Weise unterstützt: a) Das BMJ bittet den Herrn Oberbundesanwalt, bei der Vorbereitung des KP-Prozesses unterstützend mitzuwirken. Dabei ist daran gedacht, dass die Bundesanwaltschaft die in Betracht kommenden BGH-Urteile (hauptsächlich die erstinstanzlichen) auswertet. Es sollen dabei die Feststellungen des BGH exzerpiert werden, die zeigen dass sich das Verhalten und die Ziele der KP – repräsentiert durch ihre Funktionäre – gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten; mit anderen Worten: Es sollen die Handlungen der KP-Funktionäre zusammengestellt werden, die gewissermaßen in »Tateinheit« (Ausdruck der ORR Barthold) gegen ein die verfassungsmäßige Ordnung schützendes Strafgesetz verstoßen haben und gleichzeitig unter Art. 21 Abs. 2 GG zu subsumieren sind. Bei jeder historischen Tatsache soll die Fundstelle, also das BGH-Urteil, angegeben werden. Dadurch soll erreicht werden, dass der Vertreter der Bundesregierung im Prozess für jede Tatsache sofort den Urkundenbeweis anbieten kann. Zu den einzelnen Tatsachen (oder Gruppen von ihnen) soll auch eine Wertung getroffen werden. Dabei soll  – der Prozessplanung entsprechend  – nicht an den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung nach § 88 Abs. 2 StGB angeknüpft werden; als Maßstab soll vielmehr der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung verwertet werden, den das Bundesverfassungsgericht in dem SRP-Urteil entwickelt hat (BVerfGE 2, 15 bis 17). Das ergiebigste Urteil wird wohl das Urteil gegen Neumann, Dickel und Bechtle sein, das in Kürze abgesetzt sein soll. Sachbearbeiter der Bundesanwaltschaft war in diesem Verfahren Bundesanwalt Dr. Wagner. Die Stoffsammlung der Bundesanwaltschaft soll nur der Prozessvorbereitung dienen und wird als solche nicht dem Bundesverfassungsgericht übergeben. b) Für die Art der Verwertung ist es von Interesse die beabsichtigte Verfahrensweise des Bundesverfassungsgerichts zu kennen. Zunächst wird Staatssekretär Ritter von Lex ein Eröffnungsplädoyer halten. Diesem folgt die Eröffnungsantwort des Vertreters der KPD. In der weiteren Verhandlung wird der Vertreter der Bundesregierung eine Tatsache nach der anderen vorbringen und jeweils die einschlägigen Urkunden oder den sonst in Betracht kommenden Beweis anbieten. c) Die Frage des freien Geleits für die KPD -Vorstandsmitglieder Das Bundesverfassungsgericht beabsichtigt, bei der KPD -Vertretung anzufragen, wer von den Vorstandsmitgliedern erscheinen will. Soweit die KPD Vorstandsmitglieder auftreten lassen will, die sich z.Zt. in der SBZ aufhalten, sich aber durch einen bestehenden Haftbefehl des Bundesgerichtshofs am Erscheinen gehindert fühlen (gedacht ist insbesondere an Reimann), soll erklärt werden, dass gegebenenfalls die Frage des freien Geleits geprüft würde. Die rechtliche Möglichkeit für die Gewährung des freien Geleits an Vorstandsmitglieder der KPD, gegen die Haftbefehl besteht, ergibt § 295 StPO. Erforderlich ist hierfür ein Beschluss des Gerichts, d. h. in diesem Fall ein Beschluss des 6. Strafsenats des BGH. Eine andere bisher nicht erörterte Frage wäre folgende:

Geheime Beratungen und Absprachen

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Falls die KPD ein rechtskräftig verurteiltes Vorstandsmitglied zum Prozess entsenden wollte – zu denken ist insbesondere an Neumann und Dickel – so käme die Gewährung des freien Geleites wohl nicht in Betracht. Zuständig wäre in diesem Fall nicht das Gericht, sondern die Vollstreckungsbehörde d. h. hier der OBA . d) Vorschlag: Der OBA wird bereits jetzt in einem vorsichtig geführten Ferngespräch um Sammlung des für den KP-Prozess geeigneten Materials gebeten. Einzelheiten über die Art der Zusammenstellung sollen in der kommenden Woche in Karlsruhe besprochen werden. Die Frage des freien Geleits kann fernmündlich nicht erörtert werden. Es muss vor allem erst von der politischen Seite geprüft werden, ob die Gewährung des freien Geleits ins Auge gefasst werden soll. Wird diese Frage bejaht, so ist die Angelegenheit mit Herrn Oberbundesanwalt zu erörtern, der gegebenenfalls wohl die geeignete Stelle wäre, den Antrag nach § 295 StPO auf entsprechende Anregung der Bundesregierung oder des BVerfG zu stellen und die gewünschten Einschränkungen oder Bedingungen darzulegen. Bevor das Bundesverfassungsgericht der KP-Vertretung das Angebot des freien Geleits machen kann, sollte in geeigneter Form mit dem Herrn Vorsitzenden des 6. Strafsenats die Frage erörtert werden, ob und vor allen Dingen mit welchen Einschränkungen und unter welchen Bedingungen mit der Gewährung des freien Geleites gerechnet werden kann. Herr ORR Barthold hielt es für zweckmäßig, diese Besprechung in der kommenden Woche, am Dienstag oder Mittwoch zu führen. In der Sache halte ich für richtig: a) die gewünschte Materialsammlung zu veranlassen, b)  einigen Vorstandsmitgliedern der KPD, nämlich Reimann, evtl. auch Fisch, die sich gegenwärtig in der SBZ oder in Ostberlin aufhalten, aber infolge Haftbefehls am Erscheinen gehindert fühlen, auf Antrag des KPD -Prozessvertreters, freies Geleit zuzusichern. Dadurch würde erreicht, dass dem ungemein bedeutungsvollen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht das Odium erspart bleibt, es sei durchgeführt worden, kurz nachdem der KPD -Vorstand durch Haftbefehle und Strafurteile jeder Aktionsmöglichkeit im Gebiet der Bundesrepublik beraubt worden war.« gez. Kl(einknecht), 30.9. 2. Vermerk vom 1.10.1954, Ergänzung zum obigen Vermerk vom 29.9.1954 »Am 1.10.54 ist Herrn Minister in Anwesenheit des Herrn Staatssekretärs und des Herrn AL II Vortrag gehalten worden. Die erbetene Unterstützung zur Vorbereitung des KP-Prozesses wird gewährt. In der Frage des freien Geleites äußerten Herr Staatssekretär und Herr Ministerialdirektor Dr. Schafheutele rechtliche Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 295 StPO für den vorliegenden Fall, da das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kein Strafverfahren sei. Im Übrigen wurde festgestellt, dass gegen die Gewährung freien Geleits politische Bedenken bestehen. Die KPD könne sich durch Renner oder andere Leute und vor allen Dingen durch Rechtsanwälte genügend vertreten lassen. Es würde in der Öffentlichkeit wenig Verständnis erwartet werden können, wenn den Vorstandsmitgliedern der KP, gegen die Haftbefehl besteht, freies Geleit zugesichert würde.

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Die Quellen-Dokumentation

Ich erhielt den Auftrag, das Problem in Karlsruhe mit der Bundesanwaltschaft zu erörtern und in etwaigen Gesprächen mit Herren des BMI oder des Bundesverfassungsgerichts die Bedenken geltend zu machen.« gez. Kl(einknecht), 1.10.

Dokument Nr. B 10 5. Oktober 1954: Schreiben BMI an Bundesamt für Verfassungsschutz, Weitergabe von geheimen Informationen über die Absprachen zwischen BVerfG und Bundesregierung im Verfahren gegen die KPD.22 BfV erhält Liste und Beurteilung möglicher Sachverständiger für den KPD-Prozess und Bericht über die am 28.9.1954 mit Bundesverfassungsrichter Stein getroffenen Absprachen zur Vorbereitung der Hauptverhandlung gegen die KPD.23 Anfertigung einer Kopie für RA Dix, Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung.

»Streng Geheim« »Betr.: KP Prozess; hier: Anfertigung von Ablichtungen. Bezug: Ferngespräch des Unterzeichneten mit ROAmtm. Gerch. Unter Bezugnahme auf das Ferngespräch leite ich als Anlagen zu: 1. Beurteilung der als Sachverständige in Betracht kommenden Persönlichkeiten, 2. einen Vermerk über die Vorbereitungen der Hauptverhandlungen im KP-Prozess vom 2.10.1954. Auf Weisung des Herrn Staatssekretär von Lex sind unter Wahrung der Geheimschutzbestimmungen 2 Ablichtungen von den Anlagen herzustellen. Eine der Ablichtungen ist spätestens morgen Nachmittag Herrn Rechtsanwalt Dix, dem Prozessbevollmächtigten der Bundesregierung im KP-Prozess persönlich gegen Quittung auszuhändigen. Rechtsanwalt Dix fährt am Donnerstag, den 7.10. nach Karlsruhe und benötigt für diese Reise die Ablichtung der beiden Anlagen. Die Originale nebst der 2. Ablichtung und der Empfangsbestätigung von Rechtsanwalt Dr. Dix bitte ich unverzüglich wieder zurückzusenden.« gez. Gecks

22 BArch: B 106/200800. Gecks an BfV, 5.10.1954. 23 Die Quellen-Dokumentation; Dokument Nr. C 6, 28.9.1954.

Geheime Beratungen und Absprachen

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Dokument Nr. B 11 6./8. Oktober 1954: Sicheres Geleit für Mitglieder des KPD-Vorstands. Abstimmung des Vorgehens. Beteiligte: Berichterstatter Stein (BVerfG) und LGR Strickert (BVerfG), BA Güde und Wagner (BGH), sowie ORR Barthold (BMI) und OStA Kleinknecht (BMJ).24 BVerfG: Gewährung sicheren Geleits für Max Reimann »conditio sine qua non« für die Durchführung des Verfahrens gegen die KPD. Politische Bedenken der Bundesregierung. Suche nach einer Lösung. Einigkeit der Beteiligten: In der Frage sicheren Geleits darf keine »politisch ungünstig wirkende Divergenz in der Auffassung der beteiligten Staatsorgane entstehen«.

Vermerk »Geheim »a) Besprechung am 6. Okt. 1954 mit Bundesanwalt Güde und Bundesanwalt Dr. Wagner.





Materialsammlung für KP-Verfahren vor dem BVerfG Um zu verhindern, dass Strafurteile in dem Verfahren vor dem BVerfG von Seiten der KP als verfassungswidrig angegriffen werden können und um vor allem dem BVerfG selbst nicht die Möglichkeit zu geben, auf diese Frage einzugehen, bestand Einigkeit darüber, dass man Gerichtsurteile am besten nicht als Beweismittel in das KP-Verfahren einführen sollte. Bundesanwalt Güde erklärte, er habe den Eindruck, das BVerfG könnte möglicherweise in den bisherigen Strafverfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat gegen KP-Funktionäre ein Vorgreifen in die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der KP sehen. In dieser Richtung fühlte ich im Übrigen später in einer Besprechung mit dem LGRat. Dr. Strickert, einem Mitarbeiter des Bundesverfassungsrichters Minister Stein, vor, und zwar in dem Verfahren wegen Verfassungsbeschwerde des KP-Parteivorstands-mitglieds Fisch. Hierbei bestätigte sich der Eindruck, den Bundesanwalt Güde schon durch andere Gespräche gewonnen hatte. Frage des sicheren Geleits Ich habe das Problem erörtert und den Standpunkt des Herrn Ministers vorgetragen. Während dieser Besprechung erschien ORR Barthold des BMI. Nachdem dieser keine sichere Auskunft darüber geben konnte, ob RA Böhmer als Vertreter der KP den Antrag auf Gewährung sicheren Geleits an Reimann stellen werde und welche Konsequenzen das BVerfG aus einer etwaigen Ablehnung des sicheren Geleits ziehen würde, begab ich mich zu Herrn Bundesverfassungsrichter Minister Stein.

b) Besprechung mit Bundesverfassungsrichter Minister Stein und Landesgerichtsrat Dr. Strickert in Anwesenheit des ORR Barthold, BMI.

24 BMJ-Archiv: 1054/E1, Geh.190/54. Das Gespräch fand am 6.8.1954 in Karlsruhe statt. Vermerk Kleinknecht datiert vom 8.10.1954.

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Die Quellen-Dokumentation

Aus dem Gespräch ergab sich folgendes: Die KP wird in dem Prozess vertreten durch RA Böhmer aus Düsseldorf (gelegentlich eines Ferngesprächs mit ORR Barthold vom 8.10.54 habe ich erfahren, dass inzwischen RA Kaul aus Ostberlin zum Vertreter der KP bestellt worden ist; ob anstelle des RA Böhmer oder neben diesem ist hier nicht bekannt.). Die Vorstandsmitglieder der KP können nur als Auskunftspersonen geladen werden. So sind im SRPProzess neben dem Rechtsanwalt die Vorstandmitglieder als Auskunftspersonen geladen und gehört worden. Im KP-Prozess kommen in Betracht: Reimann, der 1. Vorsitzende. Dieser hat auch den Hauptschriftsatz, der durch die KPD dem BVerfG vorgelegt worden ist, unterzeichnet. Von ihm sind für die Vertretung der KP im KP-Verfahren bevollmächtigt: Renner, Fisch und Rische. Renner wird durch die KPD nicht voll anerkannt; Fisch ist krank und befindet sich in der Ostzone; Rische ist in Untersuchungshaft und kann nur vorgeführt werden. Da gegen Reimann Haftbefehl besteht, würde der Vorstand der KP nur vertreten durch Renner und den in Untersuchungshaft befindlichen Rische. Diese Vertretung hält das BVerfG nicht für genügend. Es strebt an, dass für Reimann sicheres Geleit zum Prozess gewährt wird. Die Frage, ob Rische vom Vollzug der Untersuchungshaft für die Dauer des Prozesses verschont werden könnte, habe ich entschieden verneint. Dabei habe ich darauf hingewiesen, dass ein Verschonen vor dem Vollzug der Untersuchungshaft nur in Betracht käme, wenn der Fluchtverdacht irgendwie so sehr vermindert würde, dass der Beschuldigte – etwa unter Auflagen – aus der Haft entlassen werden könnte, ohne dass Flucht befürchtet werden muss. Die Voraussetzungen hierfür fehlen zweifellos. Es handelt sich demnach praktisch nur noch um die Frage, ob für Reimann sicheres Geleit gewährt werden soll. Das BVerfG macht für die Gewährung des sicheren Geleits folgende Gründe geltend: (I) Rücksicht auf die Weltöffentlichkeit Bei der Bedeutung, die der Prozess nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus hat, soll dem Einwand, die KP hätte sich nicht genügend vertreten können oder es sei ihr kein genügendes rechtliches Gehör gewährt worden, von vornherein der Boden entzogen werden. (II) Vergleiche mit SRP-Verfahren Im SRP-Prozess vor dem BVerfG waren die Vorstandsmitglieder als Auskunftspersonen geladen und angehört worden. Wegen der Ähnlichkeit der beiden Prozesse sollte im KP-Prozess das gleiche Verfahren angewendet werden. Das BVerfG hält daher die Ladung des 1. Vorsitzenden der KP für geboten. (III) Voraussetzungen für die Durchführung des Verfahrens Bundesverfassungsrichter Stein erklärte dem Sinne nach: Falls das sichere Geleit für Reimann nicht zugesichert werde, sei zu befürchten, dass der Prozess nicht durch-

Geheime Beratungen und Absprachen

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geführt werden könne. Auf meine Frage erklärte er ausdrücklich, dass er in diesem Punkt für den Senat spreche.



Im Einzelnen führte er zu diesem Punkte noch aus: Aus der gesamten KP-Presse und aus den Reden der Politiker sei die Parole zu erkennen, den Prozess zu verhindern. Schon deshalb sei zu erwarten, dass der Rechtsanwalt der KP immer wieder erklären werde, er könne sich zu diesem oder jenem Punkt nicht äußern, da der erst Fühlung mit Reimann nehmen müsse. Es müsse damit gerechnet werden, dass immer wieder vorgebracht wird, die KP sei in der Führung des Prozesses behindert. Es wäre auch mit dem Antrag zu rechnen, das Verfahren auszusetzen, bis ein neuer Vorstand der KP eingesetzt ist. Diese zu erwartenden Einwendungen und Anträge würden den Senat wahrscheinlich veranlassen, das Verfahren auszusetzen. Die Frage, ob damit gesagt werden solle, dass die Gewährung des freien Geleits für Reimann vom Senat als eine Art conditio sine qua non für die Durchführung des KP-Prozesses betrachtet werde, hat Bundesverfassungsminister Stein bejaht.

Im Übrigen bestand schließlich Einigkeit in folgenden Punkten: (1) Es muss vermieden werden, dass in der Frage des sicheren Geleits eine politisch ungünstig wirkende Divergenz in der Auffassung der beteiligten Staatsorgane entsteht. Vor allem muss verhindert werden, dass der BGH um das sichere Geleit für Reimann angegangen wird, wenn nicht feststeht, dass er es auch gewähren wird. (2) Zu der von Herrn Stein berührten Frage, ob das BVerfG das sichere Geleit von sich aus geben könne, nahm ich folgendermaßen Stellung: Es ist zwar richtig, dass das BVerfG sein Verfahren weitgehend selbst gestalten kann. Aber der Grundgedanke des § 295 StPO müsste dabei wohl berücksichtigt werden. Aus § 295 StPO ergibt sich m. E., dass das sichere Geleit nur von dem Gericht gewährt werden kann, das den Haftbefehl erlassen hat. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass nur das Haftgericht selbst Dispositionen über seinen Haftbefehl treffen kann. Ein anderes Gericht soll nicht die Möglichkeit haben, einen von ihm nicht erlassenen Haftbefehl auszuhöhlen. Diese Auffassung blieb unwidersprochen. Ich bemerkte noch, dass die Möglichkeit der Gewährung des sicheren Geleits durch das BVerfG nur dann in Erwägung gezogen werden könne, wenn der BGH die Anwendung des § 295 aus rechtlichen Gründen ablehnen sollte. Nur in diesem Fall könnte von einer Gesetzeslücke die Rede sein, die durch das BVerfG ausgefüllt wird. (3) Da die Frage des sicheren Geleits wesentlich politischen Charakter hat, wird es wohl notwendig sein, sie dem Herrn Bundeskanzler und gegebenenfalls auch dem Bundeskabinett zu unterbreiten, freilich erst dann, wenn durch formlose Fühlungnahme mit dem 6. Strafsenat des BGH festgestellt ist, dass das Gericht die Anwendung des § 295 StPO nicht aus rechtlichen Gründen verneint. Ich persönlich nehme an, dass der Senat keine wesentlichen formellen Bedenken haben wird. (4) Der OBA nimmt zunächst formlos Fühlung mit dem 6. Senat, um festzustellen, ob das Gericht rechtliche Bedenken gegen die Anwendung des § 295 StPO hat und ob es bei entsprechender Stellungnahme des OBA sachliche Bedenken hätte (Bundesanwalt Güde hatte am 7.10. eine Unterredung mit Senatspräsident Dr. Geier, der in-

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Die Quellen-Dokumentation

formelle Äußerung in Aussicht stellte.). Es wurde auch die Frage besprochen, welche Bedingungen an die Gewährung des sicheren Geleits etwa geknüpft werden sollten. In Betracht kommen im Wesentlichen wohl folgende Auflagen: Beginn des freien Geleits: 3 oder 7 Tage vor Beginn der Hauptverhandlung; Bestimmung des Reiseweges; Örtliche Beschränkung des Aufenthalts, Verbot, Karlsruhe zu verlassen; Verbot des Besuches von Versammlungen oder der Teilnahme an Aufzügen oder Demonstrationen; Verbot öffentlicher Reden außerhalb des Gerichtssaales; Verbot von Presseerklärungen; Ende des freien Geleits: 3 Tage nach Ende der Verhandlung oder bei Verstoß gegen eine Bedingung. (5) Frage der Antragstellung Bundesverfassungsrichter Stein hat dem RA Böhmer nahegelegt, einen Antrag zu stellen. Es erscheint zweifelhaft, ob ein solcher Antrag überhaupt vor der Verhandlung gestellt wird, da man ja den Prozess verhindern will. Dem Senat des BVerfG wäre es am liebsten, wenn die Bundesregierung den Antrag an das BVerfG stellen würde. Ich habe mich zu dieser Frage folgendermaßen geäußert (dabei betonte ich, dass ich nur meine eigene Meinung äußern könne, noch nicht aber die des Herrn Ministers): Die Bundesregierung ist in dem Verfahren eine Art »Prozesspartei«, da sie die Klage gegen die KP erhoben hat. Da eine Bundesanwaltschaft beim BVerfG fehlt, wäre es richtig, wenn der Senat im Interesse der Rechtsstaatlichkeit seines Verfahrens den 6. Strafsenat des BGH um Rechtshilfe nach § 27 BVerfGG ersuchen würde, nämlich um die Gewährung des sicheren Geleits für Reimann. Der 6. Strafsenat des BGH würde den Antrag der Bundesanwaltschaft zur Stellungnahme zuleiten. Der OBA würde in seiner Stellungnahme die Interessen der Bundesregierung vertreten. 8.10.54

Fortsetzung des Vermerks

c) Die Stellungnahme des 6. Strafsenats des BGH Bundesanwalt Güde teilte soeben fernmündlich mit, Herr Senatspräsident Dr. Geier des 6. Senats habe ihm folgendes zur Kenntnis gegeben: »Der Senat wird § 295 StPO anwenden (unter Überwindung gewisser rechtlicher Bedenken). Er würde auch sachlich einem Antrag auf sicheres Geleit entsprechen. Der Senat hält es jedoch für angebracht, das sichere Geleit von einem Antrag des Reimann oder seines Vertreters abhängig zu machen. Eine Anregung des Senats des Bundesverfassungsgerichts allein würde ihm nicht genügen.

Herr Bundesverfassungsrichter Minister Stein beabsichtigt, nochmals an RA Böhmer zu schreiben, etwa in folgendem Sinne: »Kürzlich wurde die Möglichkeit erörtert, ob für Reimann freies Geleit gewährt werden könne. Ich gebe ihnen nochmals anheim, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Falls binnen 2 Wochen kein Antrag eingeht, wird der Senat davon ausgehen, das auf die Anwesenheit Reimanns kein Wert gelegt wird.«

Geheime Beratungen und Absprachen

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Der etwa eingehende Antrag würde vom BVerfG dem 6. Senat des BGH zugeleitet werden. Ich habe die Frage gestellt, ob Herr Stein dieses Schreiben alsbald absenden oder selbst noch die Bonner Stellungnahme abwarten wolle. Herr Güde erklärte, dass er aus dem Gespräch mit Herrn ORR Barthold den Eindruck gewonnen habe, dass Herr Stein dieses Schreiben baldmöglichst absenden wolle, ohne auf die Bonner Stellungnahme zu warten. Ich bat Herrn Güde, auf Herrn Stein einzuwirken, dass er das Schreiben noch etwas verzögere. Ich verpflichtete mich, die Bonner Stellungnahme möglichst bald mitzuteilen. Sachlich ist diese Anregung wohl durch folgende Erwägung gerechtfertigt: Der BGH ging offensichtlich davon aus, dass die Bundesregierung ein erheb­liches Interesse an der Gewährung des sicheren Geleits habe. Sollte dies nicht der Fall sein, so müsste der OBA eine negative Stellung einnehmen. Ich stellte in Aussicht, bis Mitte der nächsten Woche die Bonner Stellungnahme übermitteln zu können. Durch Rückfrage bei Herrn ORR Barthold stellte ich fest, dass RA Kaul von der KPD bevollmächtigt ist, ohne dass die Vollmacht des RA Böhmer zurückgenommen wurde.« gez. Kleinknecht 8/10

Dokument Nr. B 12 9. Oktober 1954: Sicheres Geleit. Besprechung StS Ritter von Lex (BMI) mit OStA Kleinknecht (BMJ), im Beisein von Min.Rat Gecks (BMI).25 Notwendigkeit des sicheren Geleits. Bundesinnenminister und Bundeskanzler müssen davon überzeugt werden. Andernfalls wird BGH kein sicheres Geleit gewähren. BA Güde soll Prozessvertretung der Bundesregierung unterstützen und als Verbindungsmann zu BGH und BVerfG fungieren. Anruf StS: Bundesinnenminister stimmt zu, spricht mit Bundeskanzler.

»Geheim« »I. Besprechung mit Herrn Staatsekretär Ritter von Lex des BMI am 9. Okt. 1954 in Anwesenheit des Herrn Min.Rats Gecks »a)  Vorauszuschicken ist, dass Bundesanwalt Güde das Problem des sicheren Geleits nach meiner Abrede in Karlsruhe Herrn Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann vorgetragen hat, mit dem zu sprechen ich bei meinem Besuch in Karlsruhe keine Gelegenheit hatte, weil er sich in Urlaub befand. Herr Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann sprach sich für die Gewährung des sicheren Geleits an Reimann aus. In dem gleichen Sinne äußerte er sich auch fernmündlich Herr Staatssekretär Ritter von Lex gegenüber, wie ich von diesem erfuhr. Herr Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann äußerte im Gespräch mit Staatssekretär Ritter von Lex, er hielte es für besser, den Vollzug des Haftbefehls gegen Reimann auszu25 BMJ-Archiv: 1054/E1, Geh.190/54, Vermerk Kleinknecht, datiert vom 12.10.1954.

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Die Quellen-Dokumentation

setzen, anstatt ihm das sichere Geleit zu gewähren. Ob er dabei an eine Anwendung des § 117 StPO (dessen Voraussetzungen m. E. kaum angenommen werden können) oder an eine Anwendung des § 295 StPO mit einer vom Gesetzestext abweichenden, sinngemäß aber gleichen Formulierung dachte, ist mir nicht bekannt. Das politische Problem bleibt in beiden Fällen das gleiche. b) Im Auftrage des Herrn Staatssekretär trug ich das Problem Herrn Staatssekretär Ritter von Lex vor. Dabei hob ich insbesondere hervor: praktisch handele es sich nach dem gegenwärtigen Stand der Besprechungen nur noch um die Frage des sicheren Geleits für den 1. Vorsitzenden der KPD Max Reimann. Es sei fraglich, ob der Antrag von ihm oder für ihn gestellt werde. Denn es sei keinesfalls sicher, ob die KP Reimann in diesem bedeutungsvollen Prozess herausstellen wolle. Es gehe im Ergebnis darum, etwaige Einwendungen gegen die Prozessführung abzuschneiden und eventuellen Vertagungsanträgen und Verschleppungsversuchen von vornherein den Boden zu entziehen. Die Frage müsse vor allem unter dem neuen Gesichtspunkt geprüft werden, dass nach Mitteilung des Bundesverfassungsrichters Minister a.D. Stein die Gewährung des sicheren Geleits, falls es beantragt werde, nach der Einstellung des Senats faktisch eine Voraussetzung für die Durchführung des Verfahrens am 23.11.54 sei. c) Die Frage, ob politische Bedenken gegen die Gewährung des sicheren Geleits beständen, sollte aus folgenden Gründen schon jetzt geklärt werden: Es sollte das Hervortreten irgendeiner Divergenz in den politischen Auffassungen der beteiligten Staatsorganen vermieden werden. Wenn das Bundesverfassungsgericht einen Antrag Reimanns anrege, sollte von vornherein feststehen, dass ihm auch entsprochen werde. Der 6. Strafsenat habe zwar schon erklärt, wie seine Entscheidung sein würde. Er sei dabei jedoch davon ausgegangen, dass der Oberbundesanwalt den Antrag befürworte. Der Oberbundesanwalt selbst wolle zu dem Antrag auch positiv Stellung nehmen. Falls aber in Bonn überwiegende politische Bedenken beständen, müsste der Oberbundesanwalt angewiesen werden, gegen den Antrag Stellung zu nehmen. In diesem Fall würde wohl der Senat den Antrag ablehnen (was auch die Meinung des Bundesanwalts Güde ist). Auf Grund dieser Überlegung habe ich Herrn Bundesverfassungsrichter Minister Stein in meinem Gespräch vom 6.10.54 zugesichert, dass ich ihn  – falls möglich  – die Stellungnahme Bonns schnellstens wissen lasse. d) Am Ende der Besprechung erklärte Herr Staatssekretär Ritter von Lex, er befürworte, dass der Herr Bundesminister des Innern mindestens keine Bedenken gegen die etwaige Gewährung des sicheren Geleits erhebe; er werde die Angelegenheit am Montag, den 11.10.54, mit Herrn Bundesminister des Innern Dr. Schröder besprechen. Wegen der politischen Bedeutung der Frage werde er empfehlen, den Herrn Bundeskanzler zu unterrichten. e)  Herr Staatssekretär Ritter von Lex erwähnte im Übrigen während des Gesprächs, dass Herr Minister möglicherweise doch noch gebeten werde, einen Herrn der Bundesanwaltschaft oder des BMJ zur Unterstützung der Klagevertretung abzustellen. Aus meinen Besprechungen in Karlsruhe weiß ich, dass bei der durch Herrn Bundesjustizminister a.D. Dr. Dehler früher gegebenen Zusage, an eine Unterstützung durch Bun-

Geheime Beratungen und Absprachen

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desanwalt Güde gedacht war. Dieser kennt den politischen Stoff aus seiner langjährigen Tätigkeit in der politischen Abteilung der Bundesanwaltschaft und verfügt über reiches verfahrensrechtliches und verfahrenstaktisches Können. Außerdem kennt er die Richter des Bundesverfassungsgerichtes und erfährt auf diese Weise leichter als anderer von den Problemen, die im Senat entstehen, und von den Ansichten, mit denen gerechnet werden muss. In keinem Fall hielte ich es für zweckmäßig, den Vertreter der Justiz im Prozess auftreten zu lasse; es sollte m. E. nur eine interne Beratertätigkeit in Betracht gezogen werden. II. Anruf des Herrn Staatssekretärs Ritter von Lex am 12. Oktober 1954 gegen 10 Uhr Herr Bundesminister des Innern Dr. Schröder hat sich der Auffassung angeschlossen, dass gegen die Gewährung des sicheren Geleits keine politischen Bedenken erhoben werden sollen. Er will die Angelegenheit sofort mit Herrn Bundeskanzler besprechen (als Vertreter der Bundesregierung in dem KP-Verfahren). In dem Vermerk, den Herr Staatssekretär Ritter von Lex zu diesem Zweck gefertigt hat, ist darauf hingewiesen, dass Herr Minister und Herr Staatssekretär augenblicklich durch die Tagung der großen Strafrechtskommission in Anspruch genommen und nicht ortsanwesend seien, ferner dass Herr Minister und Herr Staatssekretär in Übereinstimmung mit Herrn Staatssekretär Ritter von Lex zunächst Bedenken gegen die Gewährung des sicheren Geleits gehabt hätten, dass aber dabei noch nicht die Gefahr einer weiteren Verschiebung oder erheblichen Verschleppung des Verfahrens bekannt gewesen sei.«

gez. Kl(einknecht) 12/10

Dokument Nr. B 13 12. Oktober 1954: Sicheres Geleit. Die Entscheidung des Bundeskanzlers: sicherem Geleit soll nicht widersprochen werden.26 Bundesverfassungsrichter Stein möge mit einem Brief an den KPD-Vertreter bis zu einer endgültigen Klärung der Haltung der Bundesregierung noch warten.

»Geheim« 1. »Soeben rief der persönliche Referent des Herrn Bundesministers des Innern (ORR Krause) an und teilte mit, der Herr Bundeskanzler habe erklärt, dass der Gewährung des freien Geleits nicht widersprochen werden solle. Der Herr Bundesminister des Innern hat den Herrn Bundeskanzler offenbar im Anschluss an eine CDU-Vorstandssitzung gesprochen. Ob die Erörterung der Frage im Kabinett vorgesehen ist, ist mir nicht bekannt.« 2. »Die Bundesanwaltschaft und Bundesverfassungsrichter Stein haben keine Kenntnis von dem Ergebnis der bisherigen Besprechungen in Bonn. Durch Herrn Bundesanwalt Güde ließ ich vor einigen Tagen nochmals Herrn Bundesverfassungsrichter Stein aus26 BMJ-Archiv: 1054/E1, Geh.190/54, Vermerk Kleinknecht, datiert vom 12.10.1954.

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Die Quellen-Dokumentation

richten, dass der Brief an den KP-Vertreter doch nach Möglichkeit aufgeschoben werden möchte, bis feststehe, welche Stellung die Bundesanwaltschaft, die den Standpunkt der Bundesregierung zu vertreten habe, zu einem etwaigen Antrag einnehmen werde.« gez. Kl(einknecht) 12/10

Dokument Nr. B 14 19. Oktober 1954: Sicheres Geleit. Entscheidung der Bundesregierung: Gewährung sicheren Geleits soll seitens des OBA weder befürwortet, noch widersprochen werden.27 Bundesverfassungsrichter Stein wird über BA Güde über den Sachstand informiert. BA Güde kann Berater der Prozessvertretung werden, »falls der Herr BMI darum bitten sollte«.

Vermerk»Geheim« »a) Nachdem ich die in der Zeit vom 29. 9. bis 12.10.54 gefertigten Vermerke nach Fischbachau geschickt hatte, wo die große Strafrechtskommission tagte, teilte mir Herr ORR Dr. Maassen fernmündlich am 14.10.54 die Entscheidung des Herrn Ministers mit: Falls R. den Antrag auf Gewährung freien Geleits stelle, soll der OBA den Antrag nicht befürworten, aber auch keine Einwendungen erheben. b)  Ich habe Herrn Bundesanwalt Güde (in unverfänglicher Form) am 15.10.54 fernmündlich gebeten, den Bundesverfassungsrichter Minister a.D. Stein persönlich oder über dessen Mitarbeiter davon zu verständigen, welche Stellung der OBA im Falle des Antrages im Einvernehmen mit Bonn nehmen werde. c) Ebenfalls am 15.10.54 habe ich den Herrn OBA Dr. Wiechmann persönlich bei einer Besprechung in meinem Dienstzimmer von der Entscheidung des Herrn Minister verständigt; dabei habe ich auch angekündigt, dass möglicherweise Herr Güde als interner Berater für verfahrungsrechtliche und verfahrenstaktische Fragen in Betracht gezogen würde, falls der Herr BMI darum bitte sollte.« gez. Kl(einknecht) 19/10

27 BMJ-Archiv: 1054/E1, Geh. 190/54, Vermerk Kleinknecht, datiert vom 19.10.1954.

Geheime Beratungen und Absprachen

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Dokument Nr. B 15 22. Oktober 1954: Max Güde, BA am BGH, wird persönlicher Berater von StS Ritter von Lex, Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung »in prozessrechtlichen und prozesstaktischen Fragen« des KPD-Prozesses. (1. u. 2. Vermerk). 5. November 1954: BGH gewährt dem Vorsitzenden der KPD Max Reimann und dem ­ehemaligen Vorstandsmitglied Walter Fisch sicheres Geleit.28 (3. Vermerk)

»Geheim« 1. Vermerk: »Herr Staatssekretär teilte mir am 21.10.1954 mit, Herr Staatssekretär Ritter von Lex habe sich nunmehr an ihn gewandt mit der Bitte, dass ihm ein Herr der Bundesanwaltschaft zur Beratung beigegeben werde. Herr Staatssekretär war wohl der Meinung gewesen, ich hätte bereits eine solche Vereinbarung mit seinem Einverständnis und mit Einwilligung des Herrn Ministers getroffen. Er gab mir bekannt, er habe Herrn Staatssekretär Ritter von Lex erklärt, dass ihm Bundesanwalt Güde für seine persönliche Beratung in den prozessrechtlichen und prozesstaktischen Fragen zur Verfügung stehe. Ich erklärte hierauf, dass ich Herrn Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann und Herrn Bundesanwalt Güde verständigen werden. Da ich diese beiden Herren telefonisch nicht erreichte, ließ ich ihnen die Entschließung des Herrn Staatssekretärs durch Herrn Bundesanwalt Dr. Wagner übermitteln. Aus einem Gespräch mit Herrn ORR Barthold des BMI vom 22.10.54 war zu entnehmen, dass Herr Staatssekretär Ritter von Lex auch damit einverstanden wäre, wenn Herr Bundesanwalt Dr. Wagner zum Berater bestellt würde, falls die sonstige dienstliche Beanspruchung des Herrn Bundesanwalts Güde eine solche Änderung angebracht erscheinen lasse. Herr Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann rief mich in dieser Sache am 21.10.54 an und ließ sich die vorher durchgegebene Meldung bestätigen. Ich gewann dabei den Eindruck, dass er möglicherweise an Herrn Staatssekretär die Bitte richten würde, anstatt des Bundesanwalts Güde Herrn Bundesanwalt Dr. Wagner als Berater für Herrn Staatssekretär Ritter von Lex zur Verfügung zu stellen.« gez. Kl(einknecht) 2. Vermerk: »Ich habe am 25.10.1954 die Frage, ob BA Güde oder BA Wagner Herrn Staatssekretär R. v. Lex für die Verfassungsklage zur Verfügung gestellt werden solle, mit Staatssekr. R. v. L. eingehend besprochen. Er bat mich anschließend, Herrn OB (OBA , J. F.) zu verständigen, dass es bei der Gestellung von Herrn Güde, die Herr StSekr. (StS, J. F.) Strauss zugesagt hätte, verbleiben möge. Am 26.10. habe ich Herrn OB fernmündlich verständigt.« gez. Kl(einknecht)

28 BMJ-Archiv: 1054/E1, Geh.190/54, Vermerk Kleinknecht, 22.10.1954.

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Die Quellen-Dokumentation

3. Vermerk: »Das sichere Geleit ist durch Beschluss des 6. Strafs(enats, J. F.). des BGH v. 5.11.54 für Reimann und Fisch gewährt worden.« gez. Kl(einknecht 19/11

Dokument Nr. B 16 19. November 1954: Gespräch Präsident Wintrich mit StS Ritter von Lex, Vermerk für B ­ undesinnenminister Schröder.29 Laut Wintrich (BVerfG) müsse geprüft werden, ob in Sachen KPD, die »doch bereits tot« sei, überhaupt ein »Rechtsschutzinteresse« bestehe. Von Lex (BMI) wandte sich aufgrund dieser Bemerkung telefonisch an Bundesverfassungsrichter Stein. Eine derartige Prüfung sei nach Auffassung der Bundesregierung nicht notwendig. Das BVerfG müsse laut GG die Verfassungswidrigkeit feststellen, wenn entsprechende Beweise vorgelegt würden.

»Streng Geheim« »Herrn Minister Herr Präsident Wintrich hat sich Min.Rat Gecks gegenüber, mit dem er in der gleichen Pension untergebracht ist, dahin geäußert, dass bei dem Prozess auch zu prüfen sei, ob ein Rechtsschutzinteresse vorliege. Es sei doch bei jedem Prozess zu prüfen, ob ein Rechtsschutzinteresse gegeben sei. Die KPD sei doch bereits tot und er frage sich, ob man ihr noch den Gnadenstoß verstoßen soll. Er bat in diesem Zusammenhang um Angaben darüber, welche Stärke die Partei seit 1946 in den Landtagen und im Bundestag aufweise. Der Präsident nimmt an, dass wir im Plädoyer auf die Frage des Rechtsschutzes eingehen. Ich habe heute dem Berichterstatter fernmündlich mitgeteilt, dass nach Auffassung der Bundesregierung die Frage des Rechtsschutzinteresses sich in diesem Verfahren gar nicht stellen könne und dass ich erstaunt sei, wie man zu dieser Frage überhaupt kommen könne. Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz sei die Frage des Rechtsschutzinteresses bei den einzelnen Klagearten ausdrücklich erwähnt, in dem hier einschlägigen Verfahren befinde sich aber keine Feststellung darüber. Dies sei auch selbstverständlich, weil das Grundgesetz selbst diese Frage bereits dadurch entschieden habe, dass Parteien, die sich in einer bestimmten Weise verhielten, nach dem Grundgesetz selbst bereits verboten seien. Daraus ergebe sich für das angerufene Gericht die Pflicht, die Konsequenz der Verfassungswidrigkeit festzustellen, wenn der Antragsteller die Unterlagen für die Verfassungswidrigkeit vorlege. Interessant ist, dass Herr Präsident Wintrich Herrn Gecks gegenüber erneut betonte, der Hinweis auf das Wiedervereinigungsproblem sei durchaus ernst zu nehmen, auch die russische Note30 sei geeignet Schwierigkeiten zu bereiten. Er kam auch nochmals auf die suprakonstitutionellen Bedenken zu sprechen, ob nach dem Grundsatz der Ge29 BArch: B 1363785. »Fernspruch« von Lex an Schröder, 19.11.1954. 30 Gemeint sind die sog. »Stalin-Noten« von 1952, in der der sowjetische Diktator anbot, die beiden deutschen Staaten auf der Grundlage einer Neutralisierung Deutschlands zu vereinen. Loth: Stalins ungeliebtes Kind. bes. S. 175–184.

Geheime Beratungen und Absprachen

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waltenteilung Art. 21 GG, der dem Gericht eine eigentlich zunächst der Exekutive obliegende Entscheidung auferlege, überhaupt rechtens sei. Ich habe den Eindruck, dass im Senat Kräfte am Werke sind, die um eine Entscheidung unter allen Umständen herumkommen wollen. Ich halte es nunmehr doch für erforderlich, dass der Herr Bundeskanzler über die aus den Worten des Präsidenten klingende Einstellung informiert wird. Für den Fall, dass Sie den Herrn Bundeskanzler nicht selbst in der allernächsten Zeit sprechen können, lege ich einen Abdruck dieser Unterrichtung für Herrn Staatssekretär Dr. Globke bei. Bemerkenswert ist, dass die KPD inzwischen acht Rechtsanwälte, darunter einen Professor der sogenannten Humboldt-Universität und einen Rechtsanwalt aus dem Saar-Gebiet bestellt hat. Sie will es offenbar darauf ankommen lassen, ob der Anwalt aus dem Saar-Gebiet abgelehnt und damit das Saar-Problem angeschnitten wird. M. E. sollte man den Kommunisten diesen Gefallen nicht tun. Dagegen wird zu prüfen sein, ob wir den Professor der ostzonalen Universität als »Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule« im Sinne des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes anerkennen sollen. Ich bin hierwegen mit unserer Kulturabteilung und dem gesamtdeutschen Ministerium in Fühlung getreten.« gez. Fischler

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Die Quellen-Dokumentation

C. Die geheime Vernehmung des Zeugen Jost durch Bundesverfassungsrichter Stein Die geheime Vernehmung von Jost Dokument Nr. C 1: 24. Juni 1952: Antrag Ritter von Lex an das Bundesverfassungsgericht auf Vernehmung von Georg Wilhelm Jost als Zeugen für die Hauptverhandlung im KPD-Prozess1 Im Frühjahr 1952 wechselte der SED-Funktionär Jost in die Bundesrepublik über. Nach ­Verhören durch die CIA und das Bundesamt für Verfassungsschutz empfahl das BfV, Jost als möglichen Zeugen für den KPD-Prozess durch einen Richter vernehmen zu lassen. Der Leiter der Prozessführungsstelle der Bundesregierung, StS von Lex, stellte daraufhin einen entsprechenden Antrag an das BVerfG. Seinem Schreiben fügte er eine vom BfV erstellte und von Jost unterschriebene Erklärung vom 16. Mai 1952 als Anlage bei.

»In dem Verfahren wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands wird beantragt, den von mir gestellten zur Zeit berufslosen Georg Wilhelm Jost als Zeugen durch einen beauftragten Richter vernehmen zu lassen. Der Zeuge Georg Wilhelm Jost war bis Anfang März 1952 im Nationalrat der Nationalen Front der Sowjetzone tätig und hatte dort eine hervorgehobene Position im Büro des Präsidiums inne. Er war für die Arbeit der Westabteilung des Nationalrats der Nationalen Front verantwortlich. Was er im Einzelnen angeben kann, ist aus der in Fotokopie beigefügten Erklärung vom 16.5.1952 zu ersehen. Es wird gebeten, eine Vernehmung Jost’s durch einen beauftragten Richter anzuordnen. Die Vernehmung vor Durchführung der Hauptverhandlung erscheint deswegen erforderlich, weil mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage des Zeugen Jost seine Erklärungen in einer Form festgehalten werden sollten, die in einer späteren Hauptverhandlung vollen Beweiswert hat. Da Nachrichten vorliegen, aus denen sich ergibt, dass Organe der Kommunistischen Partei sich darum bemühen, den Aufenthaltsort von Jost festzustellen, sind unzulässige Einwirkungen auf Jost zu besorgen. Unter diesen Umständen besteht Gefahr im Verzuge; deshalb erscheint in entsprechender Anwendung der Vorschriften der §§ 165, 66 StPO und § 26 des Gesetzes über die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts die Vernehmung des Zeugen Jost vor der Hauptverhandlung erforderlich.« von Lex (Unterschrift)

1 BArch: B 237/215681, Schreiben Ritter von Lex an das BVerfG, 1. Senat, 24.6.1952.

Die geheime Vernehmung von Jost

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Dokument Nr. C 2: 16. Mai 1952: Erklärung des ehemaligen SED-Funktionärs Georg Wilhelm Jost. Anlage zum Schreiben von StS von Lex an das BVerfG vom 24. Juni 1952. (Faksimile) Am 16.5.1952 wurde Jost im Gebäude des amerikanischen Geheimdienstes in Frankfurt vom Bundesamt für Verfassung vernommen. Da der Verfassungsschutz keine polizeilichen Kompetenzen hat und daher keine Vernehmungen durchführen darf, wurde das Ergebnis nicht in einem Vernehmungsprotokoll, sondern in Form einer Selbsterklärung festgehalten, die vom Verfassungsschutz erstellt und zum Zweck der weiteren Verwendung vor Gericht von Jost unterschrieben wurde. Diese Erklärung war dem Antrag von Ritter von Lex vom 24.6.1952 beigefügt. So geriet das Dokument in die Hände von Bundesverfassungsrichter Stein, der es an einigen Stellen korrigierte und überarbeitete und in weiten Teilen in sein Protokoll über seine Vernehmung von Jost am 27./28.6.1952 übernahm. Die grau hinterlegten Textteile markieren die Stellen der Erklärung Jost vom 16.5.1952, die von einzelnen Wörtern abgesehen wörtlich mit dem Vernehmungsprotokoll von Richter Stein vom 27./28.6.1952 übereinstimmen.2 Die Identität der Textbausteine erschließt sich am besten über die Lektüre des Vernehmungsprootokolls. Die gleichlautenden Textstellen der Erklärung von Jost werden über die Fußnoten in Dokument C4 erschlossen.

2 Die Quellen-Dokumentation: Dokument Nr. C 4.

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Die Quellen-Dokumentation

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Dokument Nr. C 3: 26. Juni 1952: Beschluss des BVerfG auf Vernehmung und Beeidigung von Georg Wilhelm Jost als Zeuge im KPD-Prozess durch Bundesverfassungsrichter Stein.3 (Faksimile)  Die maschinenschriftlich erstellte Beschlussvorlage wurde handschriftlich – augenschein­ lich von BE Stein (schwarze Tinte und Schriftzug) – ergänzt. Der Satz lautet: »Aus diesen Gründen unterbleibt eine Benachrichtigung der Beteiligten von dem Beweistermin.« Faktisch wurde nur die KPD von einer Benachrichtigung ausgeschlossen, da die Prozessvertretung der Bundesregierung voll im Bilde war. Der Ausschluss der Prozessvertreter der KPD von der Benachrichtigung und von der Teilnahme an der Vernehmung verstieß gegen das BVerfGG4 und führte in der Hauptverhandlung des KPD-Prozesses zu einem ­Befangenheitsantrag gegen Richter Stein, der vom 1.  Senat des BVerfG jedoch zurückgewiesen wurde.5

3 BArch: B 237/215681. BVerfG – 1 BvB 2/51 – Beschluss vom 26.6.1952. 4 BVerfGG: § 29.  »Die Beteiligten werden von allen Beweisterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen.« 5 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 1, S. 100–107.

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Die Quellen-Dokumentation

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Die Quellen-Dokumentation

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Die geheime Vernehmung von Jost

Dokument Nr. C 4: 27. Juni 1952: Protokoll der Vernehmung des Zeugen Jost durch Bundesverfassungsrichter Stein. Anwesende: Dr. Erwin Stein als beauftragter Richter, Justizangestellte E. Kapferer als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle und Georg Wilhelm Jost als Zeuge.6 Da es im Folgenden weniger um den Inhalt der Vernehmung an sich, sondern nur um mögliche inhaltliche Übereinstimmungen zwischen dem Vernehmungsprotokoll Jost (Dokument Nr. C 4) und der Erklärung Jost (Dokument Nr. C 4) geht, konnte nach den Präliminarien auf die Wiedergabe der Seiten 1 bis 10 verzichtet werden, da sie keine wesentlichen Übereinstimmungen zwischen beiden Texten enthalten. Das Protokoll umfasst insgesamt 25 DIN-A4-Seiten. Die grau hinterlegten Stellen kennzeichnen somit nur die Textteile des Vernehmungsprotokolls, die ab S. 11 mit der vom Bundesamt für Verfassungsschutz erstellten und von Jost unterschriebenen Erklärung vom 16.5.1952 zum größten Teil wörtlich übereinstimmen.

»Bundesverfassungsgericht Karlsruhe Der beauftragte Richter – 1 BvB 2/51 –

Frankfurt a. M., den 27. Juni 1952

Betrifft: Verfahren wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands. Gegenwärtig: Dr. Erwin Stein, Richter am Bundesverfassungsgericht, als beauftragter Richter, Justizangestellte E. Kapferer als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. In dem zur Beweisaufnahme in Frankfurt a. M. bestimmten Termin erschien der nachgenannte Zeuge Jost. Er wies sich aus durch die Vorlage des Deutschen Personalausweises Nr.  184093/49, ausgestellt von dem Kreispolizeiamt Teltow in Mahlow am 27. Januar 1949. Nachdem der Zeuge mit dem Gegenstand seiner Vernehmung bekannt gemacht und auf die Bedeutung des Eides hingewiesen war, wurde er wie folgt vernommen: Ich heiße Georg-Wilhelm Jost, bin am 23. September 1911 in Berlin geboren, verheiratet, von Beruf Landwirt, zurzeit ohne Beruf, gegenwärtig wohnhaft in Berlin-Karlshorst, Cäsarstraße 10. ….  Frankfurt a. M., den 28. Juni 1952 Die Beweisaufnahme wird fortgesetzt; anwesend sind die im gestrigen Protokoll genannten Personen. Der Zeuge Jost erklärt weiter: …. 6 BArch: B 237/215681. BVerfG, Der beauftragte Richter. Abschrift des Originals.

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Die Quellen-Dokumentation

Die neben der KPD bzw. der SED bestehenden Organisationen, wie z. B. Freie Deutsche Jugend, Demokratischer Frauenbund Deutschlands, Kulturbund, Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die Helmut von Gerlach-Gesellschaft  – sie entspricht in der Sowjetzone der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft  – sind selbstständige Personenvereinigungen. Ihre Mitglieder erhalten Mitgliedsbücher oder Mitgliedskarten und zahlen Beiträge. Die Zugehörigkeit zur KPD oder SED ist nicht Voraussetzung für die Mitgliedschaft bei den vorgenannten Organisationen; häufig sind aber diese Mitglieder auch Funktionäre der KPD. Das gilt insbesondere für die Spitzenfunktionäre; gerade hierdurch wird die Verbindung zwischen den einzelnen Organisationen und der KPD bzw. der SED hergestellt. Diese Personalunionen dienen gleichzeitig dazu, die Generallinie auf der Grundlage der Beschlüsse des Politbüros zu sichern. Von diesen Organisationen zu unterscheiden sind die Nationale Front des Demokratischen Deutschland und folgende von ihr unabhängigen Organisationen: Das Deutsche Friedenskomitee, der Hauptausschuss für Volksbefragung und der Gesamtdeutsche Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft. Diese Organisationen – diese Aufzählung ist nicht vollständig  – sind im Gegensatz zu den vorgenannten selbstständigen Organisationen nur politische Zweckverbindungen mit der Aufgabe, bestimmte politische Ziele durchzuführen. Sie verfügen nicht über einen bestimmten Mitgliederbestand. Ihr Schwerpunkt liegt in Ausschüssen. Die Schlüsselpositionen dieser Ausschüsse sind von linientreuen kommunistischen Funktionären besetzt, die der SED -KPD für die Generallinie und die Durchführung der Beschlüsse des Politbüros verantwortlich sind. Ihnen zur Seite stehen Personen, die in der bürgerlichen Welt über einen gewissen Einfluss verfügen, andererseits aber nicht der KPD oder der SED angehören. Diese werden zwar herausgestellt, sind nach außen hin für Veranstaltungen verantwortlich, können aber nur handeln, wenn sie sich vorher der ausdrücklichen Zustimmung der vorgenannten kommunistischen Funktionäre versichert und diese ihnen finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt haben. An Hand eines Beispiels möchte ich die Arbeitsweise dieser Organisationen verdeutlichen. Zur offiziellen Leitung des Arbeitskreises für Deutsche Verständigung gehört der aus der CDU ausgeschlossene frühere Oberbürgermeister Wilhelm Elfes in Mönchen-Gladbach. Elfes beruft  – neben anderen nicht der KPD offiziell angehörenden Personen – Sitzungen des Arbeitskreises für Deutsche Verständigung ein oder organisiert Veranstaltungen. Das kann er jedoch nur dann tun, wenn er sich zuvor der Zustimmung der kommunistischen Bundestagsabgeordneten Grete Thiele versichert und von ihr für die Sitzung oder Veranstaltung Geldmittel zur Verfügung gestellt worden sind. Elfes gehört meines Wissens zu den Wenigen, die für ihre Tätigkeit keine Vergütung bekommen. Es ist mir aber bekannt, dass u. a. alle Mitglieder in der geschäftsführenden Leitung des Hauptausschusses für Volksbefragung bestimmte Zuwendungen von monatlich ca. 600,– bis 700,– DM-West für ihre persönlichen Bedürfnisse außerhalb der Spesen erhalten. Es ist mir auch bekannt, dass Frau Katharina von Kardorff-Oheimb, die neben Elfes den Arbeitskreis für Deutsche Verständigung leitet, seit Anfang 1951 auf persönliche Anweisung Grotewohls damals monatliche Zuwendungen von 300,- DM-West für ihre persönliche n Bedürfnisse erhalten hat.

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Im Einzelnen will ich die Arbeitsweise präzise wie folgt darstellen: a) wenn der Arbeitskreis für deutsche Verständigung eine politische Aktion (Kongress, Propagandawelle) durchzuführen beabsichtigt, so muss er einen Vorschlag dessen, was er vor hat, beim »Westdeutschen Arbeitsausschuss der Nationalen Front«, deren Sekretärin die kommunistische Bundestagsabgeordnete Grete Thiele ist, einreichen. Billigt dieser Westdeutsche Arbeitsausschuss den Plan, dann legt er ihn dem Sekretariat des Parteivorstandes vor. Das Sekretariat des Parteivorstandes entscheidet über die Planung entweder selbst oder legt sie, was bei wichtigen Aktionen stets geschieht, dem Zentralkomitee der SED vor. Von dort aus ergeht dann die Entscheidung, die über die KPD und den Ostdeutschen Arbeitsausschuss an die Organisation selbst zurückgelangt. Die Organisation erhält in der Regel den Beschluss der SED oder KPD nicht selbst. Sie wird nur durch den Westdeutschen Arbeitsausschuss von dem Ergebnis der Entscheidung verständigt. Damit will ich nicht sagen, dass in allen Fällen die führenden Persönlichkeiten der Organisationen selbst wüssten, dass die Entscheidung letzten Endes bei der KPD -SED gefallen ist. b) Geht eine Planung von dem Westdeutsche Arbeitsausschuss aus, dann wird sie von diesem bei der KPD -SED wie ich eben dargelegt habe, vorgeschlagen und erst wenn diese Stellen die Planung gebilligt haben, den Organisationen zur Durchführung übertragen. Die Durchführung dieser Planungen wird dadurch sichergestellt, dass in der Leitung der Organisation solche Personen in der Mehrheit sind, die entweder von der KPD finanziell abhängig oder ihr aus Gründen der Parteidisziplin gehorsam sind. c) Beabsichtigen die KPD -SED, politische Aktionen irgendwelcher Art im Rahmen dieser Organisationen durchzuführen, dann gelangen, nachdem im Sekretariat des Parteivorstandes der KPD oder im Zentralkomitee der SED entsprechende Beschlüsse gefasst sind, Weisungen auf dem eingangs dargestellten Wege an die Organisation selbst, die sie durchführen und dazu mit den nötigen Mitteln versehen werden.7 V Wenn ich nach den Aufgaben der Nationen Front gefragt werde, dann will ich hierzu folgendes erklären: Die Nationale Front hat die Sammlung aller politischen Kräfte zum Ziel, die auf eine Vereinigung Gesamtdeutschlands im Sinne der sowjetischen Machthaber hinarbeiten. Die Nationale Front erstreckt sich auf Gesamtdeutschland. Die offizielle Leitung der Nationalen Front in der Bundesrepublik Deutschland liegt in den Händen des 1950 gebildeten Westdeutschen Arbeitsausschusses, der in den Ländern der Bundesrepublik entsprechende Landesausschüsse mit verschiedenen Bezeichnungen, wie »Landesausschuss für gesamtdeutsche Fragen« in Hamburg oder »Landesausschuss für ein einiges Deutschland« in Württemberg-Baden hat. Der Westdeutsche Arbeitsausschuss setzte sich zunächst grundsätzlich aus westdeutschen Teilnehmern am Nationalkongress zusammen, der im August 1950 in Ost-Berlin der Nationalrat der Nationalen Front ins Leben rief. Später wechselte die Zusammenset7 Markierter Text identisch mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 6 u. 7. 

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Die Quellen-Dokumentation

zung des Westdeutschen Arbeitsausschusses ständig. Er hatte anfangs keine feste Organisation. Die maßgebende Person des Westdeutschen Arbeitsausschusses ist die kommunistische Bundestagsabgeordnete Grete Thiele, die als Sekretär des Westdeutschen Arbeitsausschusses für die Arbeit dieses Ausschusses der KPD verantwortlich ist. Diese Position hat Grete Thiele seit Frühjahr 1951 inne, nachdem der frühere Sekretär, Oskar Neumann (KPD), auf Beschluss des Politbüros der SED Sekretär des Hauptausschusses für Volksbefragung geworden war. Der Westdeutsche Arbeitsausschuss arbeitet nach Weisungen, die er vom Parteivorstand der KPD oder vom Zentralkomitee der SED über den Parteivorstand der KPD erhält.8 Die Nationale Front und ihre Organisationen sind in ihrer Arbeit von den Weisungen der KPD/SED abhängig. Richtlinien und Beschlüsse der KPD/SED sind für sie bindend. Ohne Zustimmung der KPD/SED können die nationale Front und ihre Organisationen schon deshalb keine größeren politischen Aktionen durchführen, weil diese Stelle die finanziellen Mittel erst zur Verfügung stellen, wenn sie die betreffenden Pläne gebilligt haben9, wie ich oben in einzelnen ausgeführt habe. Da sehr bald erkannt wurde, dass es sich bei der Nationalen Front um eine kommunistische Bewegung handelt, wurden außerdem Organisationen gebildet, die gegenüber der Nationalen Front formell, insbesondere nach außen hin, selbstständig sind, in Wahrheit aber die Ziele der nationalen Front verfolgen. Sie suchen die nichtkommunistischen Bevölkerungsteile besonders dadurch zu gewinnen, dass sie ihnen gegenüber lediglich den Nahzielen, nicht aber von den Fernzielen sprechen, mit anderen Worten, sie über den wirklichen Charakter ihrer Aufgaben täuschen. Deshalb wird auch darauf geachtet, dass den einzelnen neuen Organisationen nur bestimmte Aufgaben übertragen werden und von den Angehörigen dieser bestimmten Organisationen nur die Anerkennung dieser bestimmten Zielen, nicht aber auch andere, in der Richtung der National Front liegende Ziele verlangt werden. Sie handeln nach der Devise: »Getrennt marschieren, vereint schlagen«. In den Schlüsselpositionen dieser neuen, nach außen hin mit der Nationalen Front nicht verbundenen, aber von ihr abhängigen Organisationen befinden sich linientreue kommunistische Funktionäre. Durch sie wird die Einheitlichkeit in der Arbeit hergestellt. Zu diesen Organisationen gehören u.a: 1. Der Arbeitskreis für Deutsche Verständigung, mit dem Sitz in Düsseldorf. An führenden westdeutschen Personen gehören ihm u. a. an: Oberbürgermeister a.D. Elfes, Notar Maase in Düsseldorf, Katharina von Kardorff-Oheimb in Düsseldorf. 2. Der erste Westdeutsche Flüchtlingskongress. Er wurde im Herbst 1951 in Karlsruhe gebildet. Maßgebende Personen sind Georg Herde (KPD), Walter Horny. 3. Bewegung zum Schutz demokratischer Rechte und zur Verteidigung deutscher Patrioten, deren Sekretär Karl Hartmann (KPD) in Düsseldorf ist.

8 Markierter Text identisch mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 4. 9 Markierter Text identisch mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 6.

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4. Vereinigung demokratischer Juristen, bei der der früher in einem Ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen tätige Dr. Marcel Frenkel (KPD) in Düsseldorf eine Hauptrolle spielt. 5. Deutsche Bewegung Helgoland, die dann den Namen »Knechtssandbewegung« führte – die jetzige Bezeichnung ist mir nicht bekannt – deren Leitung in Händen des Rechtsanwalts Dr. Häberlein in Kiel liegt. 6. Interessengemeinschaft für Ost-West-Handel, insbesondere Interessengemeinschaft der Fischindustrie in Hamburg, Bremen und Kiel, dies sich meines Wissens von den anderen genannten Organisationen dadurch unterscheiden, dass sie von der SED nicht finanziert werden. 7. Gesamtdeutsche Gespräche der Schriftsteller (Starnberger Kreis) und der bildenden Künstler.10 In dem von mir genannten Westdeutschen Arbeitsausschuss, der, wie ich bereits sagte, die westdeutsche Leitung der Nationalen Front darstellt, sind die maßgebenden Persönlichkeiten der vorgenannten Organisationen, soweit sie politisch als genügend zuverlässig gelten, vertreten. Dadurch wird die Einheitlichkeit der Arbeit in den einzelnen Organisationen gewährleistet. Die Arbeitsweise dieser Organisationen mag ein Beispiel veranschaulichen: Der erste Westdeutsche Flüchtlingskongress wendet sich nur an die Flüchtlinge und hat nur die Aufgabe, die Flüchtlinge zu sammeln. Der Flüchtlingskongress gliedert sich in Landesausschüsse, deren Hauptaufgabe darin besteht, durch ihre Anhänger in den bestehenden Flüchtlings- und Heimatvertriebenen-Organisationen mittelbar im Sinne der Ziele der SED/KPD zu arbeiten. Der Westdeutsche Flüchtlingskongress gibt auch eine Zeitung heraus. Als etwa im November 1951 darin eine Formulierung erschien, die von der KPD nicht gebilligt wurde – es war von Heimatvertriebenen anstatt von Flüchtlingen die Rede – wurde auf Veranlassung von KPD -Funktionären die gesamte Auflage nicht in den Verkehr gebracht, sondern eingestampft. Die Kassenführung des Ersten Westdeutschen Flüchtlingskongresses lag in den Händen des kommunistischen Funktionärs Georg Herde. Herr Horny hat mir einmal gesagt, dass er über die finanzielle Lage dieses Kongresses nicht unterrichtet werde. VI

Über die Aufgaben des Nationalrats der Nationalen Front in der Westabteilung im Besonderen weiß ich folgendes zu sagen: Das Büro des Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland – so lautet der volle Name – enthält eine Westabteilung. Diese Abteilung hatte folgende Aufgaben: 1. Versand von Propagandamaterial nach Westdeutschland. 10 Markierter Text identisch mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 5.

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Die Quellen-Dokumentation

2. Unterstützung der westdeutschen KPD bei der Bildung und Entwicklung des westdeutschen Teiles der Nationalen Front, einschließlich der Nebenorganisationen. 3. Schulung der Funktionäre des westdeutschen Teiles der Nationalen Front. Zur Erreichung dieses letzten Zieles dienen regelmäßige Lehrgänge in der Zentralschule des Nationalrats Bantikow (Brandenburg).11 In allen grundsätzlichen Fragen und wichtigen Einzelfällen ist die Arbeit der Westabteilung von der Zustimmung oder den Weisungen des Zentralkomitees der SED abhängig. Ich möchte diesen Umstand am folgenden Beispiel erläutern: Im Januar 1952 wurde in der Westabteilung geplant, eine Tagung (Kongress) des Arbeitskreises für deutsche Verständigung mit dem Sitz in Düsseldorf durchzuführen. Dieser Vorschlag wurde dem damals zuständigen Mitglied des Zentralkomitees der SED, Franz Dahlem, vorgetragen. Nachdem Dahlem den Plan im Grundsatz gebilligt hatte, arbeitete die Westabteilung im einzelnen die Durchführung des Kongresses aus und legte sie sodann über Franz Dahlem dem Politbüro der SED zur Genehmigung vor. Nach Erteilung der Genehmigung wurde der Kongress am 30. März 1952 in MönchenGladbach unter Leitung des früheren Oberbürgermeisters Elfes durchgeführt.12 Der Nationalrat der Nationalen Front und sein Präsidium hatten weder auf die Arbeit der Westabteilung, noch auf andere Abteilungen praktisch nennenswerten Einfluss. Die Arbeit der Abteilungen des Nationalrats wurde vom Zentralkomitee der SED und seinen Abteilungen gesteuert. So wurden Agitationsfragen nach den Weisungen der Abteilung Massenagitation des Zentralkomitees der SED und Kaderfragen (Fragen der Auswahl, Ausbildung und Verwendung von ostdeutschen Funktionären) entsprechend den Weisungen der Abteilung Kader des Zentralkomitees der SED behandelt.13 Die Westabteilung des Nationalrates der Nationalen Front hatte dann die Aufgabe, den Westdeutschen Arbeitsausschuss durch politische Beratung zu unterstützen, Instrukteure nach Westdeutschland zu entsenden und auch aus Westdeutschland stammende Funktionäre zu schulen. Diesen Aufgaben ist die Westabteilung ständig nachgekommen. VII

Zu der Frage, wer die Arbeit der nationalen Front und der besonderen Organisationen finanziert, kann ich folgendes aus eigener Kenntnis der Dinge berichten: Der Nationalrat hat einen Etat in Ostmark und einen Etat in Westmark. Der Ostmark-Etat dient zur Finanzierung der in der Sowjetzone zu bewältigenden Aufgaben und der für Westdeutschland bestimmten Propaganda. Der Westmark-Etat soll die eigene Arbeit der Westabteilung in Westdeutschland ermöglichen. Aus diesem Etat werden insbesondere bestritten Reisen von Instrukteuren der Westabteilung des Nationalrats nach der Bundesrepublik oder Reisen von westdeutschen Funktionären, die an Konferenzen, Besprechungen, Lehrgängen und ähnlichem in der Ostzone teilnehmen. 11 Markierter Text stimmt sinngemäß mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 2, überein. 12 Markierter Text stimmt sinngemäß mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 3, überein. 13 Markierter Text stimmt sinngemäß mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 3, überein.

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Genaue Zahlenangaben über die Höhe dieser beiden Etats kann ich nicht machen, da ich, wie bereits erwähnt, mit finanziellen Dingen unmittelbar nicht zu tun hatte. Für die politische Arbeit im Westen waren aber die benötigten Mittel stets vorhanden. Das für diese Zwecke erforderliche Westgeld wurde anfangs von der Notenbank in Ostberlin angefordert, später – nach Auflösung des ursprünglich bestehenden Westgeldkontos – vom Zentralkomitee der SED auf Anforderung zur Verfügung gestellt. Ich selbst bin in Angelegenheiten der Nationalen Front verschiedene Male in der Bundesrepublik gewesen. Die dazu benötigten Mittel erhielt ich von Fritz Otto, dem Leiter der Abteilung Kader und Verwaltung im Büro des Präsidiums der Nationalen Front. Otto seinerseits hatte für diese Zwecke einen Betrag zur Verfügung, der von dem Funktionär Raab, welcher der Finanzabteilung des Zentralkomitees der SED angehört, für solche Zwecke bereitgestellt war.14 Für die Arbeit des Westdeutschen Arbeitsausschusses und der von ihr abhängigen Organisation war von dessen Sekretariat in Zusammenarbeit mit der Westabteilung der Nationalen Front ein eigener Etat aufgestellt worden. Dieser Etat wurde über den Parteivorstand der KPD dem Zentralkomitee der SED zur Genehmigung vorgelegt. Die Westabteilung des Nationalrats bemühte sich, beim Zentralkomitee der SED diesen Etat beschleunigt durchzubringen. Die zur Durchführung der Arbeit in der Bundesrepublik erforderlichen Beträge wurden monatlich vom Zentralkomitee der SED dem Parteivorstand der KPD zur Weiterleitung an den Westdeutschen Arbeitsausschuss übersandt. Im Westdeutschen Arbeitsausschuss verfügte die kommunistische Abgeordnete Grete Thiele über die Mittel und leitete sie an die in den westdeutschen Organisationen der Nationalen Front hierfür zuständigen Funktionäre weiter. Nach meiner Kenntnis der Verhältnisse wurde das Geld aus Berlin in Banknoten dem Parteivorstand der KPD zugeschickt. Dass die Geldscheine selbst aus Berlin kamen, zeigte sich auch immer wieder dadurch, dass bei Tagungen die Entschädigungen an die Teilnehmer für Fahrtkosten und Verdienstausfall in Noten ausgezahlt wurden, die mit dem für das aus Berlin stammende Geld kennzeichnenden B-Stempel versehen waren. Gelegentlich wurde auch das aus Ost-Berlin gekommene Geld auf irgendeine Weise (z. B. durch Zigarettenkauf) umgetauscht, um die Herkunft aus Berlin nicht in Erscheinung treten zu lassen. Ich selbst habe mehrmals beobachtet, dass vom Büro des Westdeutschen Arbeitsausschusses derartige Aufträge zum Geldtausch an Funktionäre gegeben worden sind.15 Das Geld wurde vom Zentralkomitee der SED zum Vorstand der KPD durch Kuriere transportiert. Wie das im Einzelnen geschah, ist mir unbekannt, da dieser Weg von allen, die nicht unmittelbar mit dem Transport befasst waren, geheim gehalten wurde. VIII Zur Volksbefragungsaktion will ich mich wie folgt äußern: Unabhängig von der Arbeit der Nationalen Front wurde auf Beschluss des Politbüros der SED von etwas Anfang 1951 an die Agitation gegen eine als bevorstehend angesehene »Remilitarisierung« Westdeutschlands verstärkt aufgenommen. Sie führte im Frühjahr 1951 in Essen zur Gründung des Hauptausschusses für Volksbefragung. Im März 1951 14 Satzbau teilweise leicht geändert, inhaltlich jedoch identisch mit Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 7 f. 15 Markierter Text identisch mit handschriftlich korrigierter Fassung der Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 8.

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Die Quellen-Dokumentation

wurde ich mit noch anderen Funktionären durch das Politbüro der SED beauftragt, an der Arbeit des Hauptausschusses für Volksbefragung leitend teilzunehmen. Es war das ein direkter Parteiauftrag, der mir seinerzeit durch Hermann Axen, Leiter der Abteilung Massenagitation im Zentralkomitee der SED, übermittelt wurde. Bei dieser Gelegenheit wies Axen auf die Aufgabe des Hauptausschusses für Volksbefragung hin. Sie bestand im Wesentlichen darin, die Einbeziehung Westdeutschlands in die Europäische Verteidigung zu verhindern. Diese Aufgabe sollte in Westdeutschland durch die Entfaltung einer breiten Volksbewegung aus allen denjenigen Kreisen der Bevölkerung erfüllt werden, die – ganz gleich aus welchen Gründen – gegen jede Art von Wiederbewaffnung eingestellt waren. In dieser Bewegung wurden von der sowjetzonalen Seite her die größten Hoffnungen gesetzt, weil man sich darüber klar war, dass ihre Ziele, insbesondere angesichts der Art der Durchführung und der Folgen des letzten Krieges, breite Volkskreise ansprechen mussten.16 Zum Zwecke der geheimen und ständigen Leitung der Volksbefragungsaktion wurde eine in Westdeutschland arbeitende Kommission gebildet, die aus folgenden Personen bestand: Walter Poth Mitglied des Sekretariats des Parteivorstandes der KPD, Vorsitzender der Kommission; Erwin Eckert, KPD, Vorsitzender des Westdeutschen Friedenskomitees; Oskar Neumann, KPD, Sekretär des Hauptausschusses für Volksbefragung; Grete Thiele, KPD, Sekretär des Westdeutschen Arbeitsausschusses der Nationalen Front; Max Spangenberg, SED, Mitglied des Büros des Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front und Chefredakteur der Zeitung »Deutschlands Stimme«; seine Aufgabe innerhalb der Kommission war, deren Beratung in Fragen von Propaganda und Agitation; Georg Becker, SED Stellvertreter des Generalsekretärs des Deutschen Friedenskomitees in Ost-Berlin; seine Aufgabe innerhalb der Kommission war insbesondere die Gewinnung neuer Persönlichkeiten für die Volksbefragungsaktion; Georg Jost, SED meine Aufgabe war, die Kommission in organisatorischen Fragen zu beraten.

16 Markierter Text identisch mit handschriftlich korrigierter Fassung der Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 9.

Die geheime Vernehmung von Jost

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An den Sitzungen der Kommission hat mehrfach auch der kommunistische Bundestagsabgeordnete Fritz Rische, Mitglied des Sekretariats des Parteivorstandes der KPD, als Vorsitzender teilgenommen. Rische hat als stellvertretender Vorsitzender der KPD in der damaligen Zeit (Sommer 1951) infolge ständigen Aufenthalts Max Reimanns in der Sowjetzone praktisch die KPD geleitet. Ich selbst bin in Ausführung des mir gegebenen Parteiauftrages mit geringen, zu Erneuerung des Interzonenpasses erforderlichen Unterbrechungen in der Zeit von März bis August 1951 im Gebiet der Bundesrepublik ständig tätig gewesen.17 Die Tätigkeit des Hauptausschusses für Volksbefragung und der von ihm gebildeten Landesausschüsse ist allgemein bekannt. Hervorheben möchte ich, dass im Auftrage des Hauptausschusses in sehr großem Umfange Durchschriften in Auftrag gegeben und verteilt worden sind, die ausnahmslos in Westdeutschland hergestellt worden sind. Für Herstellung und Druck der Propagandaschriften war Karl Dickel (KPD), der zu diesem Zweck einen Parteiauftrag vom Parteivorstand der KPD erhalten hatte, verantwortlich. Dickel hat sowohl die Herstellung wie den Druck der Propagandaschriften organisiert. Wie in der Kommission besprochen worden ist und wie mir Dickel auch selbst erklärt hat, musste für den Druck der Propagandaschriften oft das Doppelte bis Dreifache des Normalpreises aufgewendet werden, weil die Druckereien wegen des in der Sache liegenden Risikos nicht gewillt waren, zu Normalpreisen zu arbeiten. Die in München erscheinende Zeitung »Deutsche Woche« (Chefredakteur C. A. W ­ eber) wurde unter Leitung von Oskar Neumann durch den Hauptausschuss gesteuert und finanziert. Ich bin des öfteren bei Besprechungen zwischen Neumann und Weber beteiligt gewesen. Entsprechend der umfangreichen Tätigkeit des Hauptausschusses bei Durchführung der Volksbefragung selbst und der Propagierung der Volksbefragungsaktion durch Druckschriften war der Finanzbedarf des Hauptausschusses außerordentlich groß. Der Hauptausschuss hatte einen Etat, der vom Parteivorstand der KPD entsprechend den Bedürfnissen des Hauptausschusses aufgestellt wurde. Im Gegensatz zu meiner Beobachtung, dass andere Organisationen finanzielle Schwierigkeiten hatten, war für den Hauptausschuss in der Regel immer Geld da und zwar reichlich.18 Was den Finanzbedarf der Volksbefragungsaktion betrifft, so hat mit einmal Fritz Otto, der Kaderchef des Nationalrats, erklärt, dass der monatliche Etat des Hauptausschusses weiter über ½ Million D-Mark läge. Otto erwähnte bei dieser Gelegenheit, dass ihm die SED -Funktionäre Raab als Finanzbeauftragter des Zentralkomitees der SED in den Etat Einblick gewährt habe. Im Vergleich dazu entwickelte sich der Finanzbedarf des Westdeutschen Arbeitsausschusses der Nationalen Front einschließlich der von ihr abhängigen Organisationen etwa folgendermaßen:

17 Markierter Text identisch mit handschriftlich korrigierter Fassung der Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 10 f. 18 Markierter Text identisch mit handschriftlich korrigierter Fassung der Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 11 f.

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Die Quellen-Dokumentation

Anfang 1951 wurden über die KPD/SED – Nationalrat – monatlich etwa 35 000 DM angefordert und auch bezahlt. Im Herbst 1951 stieg der Finanzbedarf infolge des Hinzutretens neuer Organisationen (Bewegung Helgoland, Erster Westdeutscher Flüchtlingskongress, Vereinigung zum Schutz Demokratischer Rechte) auf etwa 80 000 DM, wobei Grete Thiele bereits mitteilte, dass diese Summe alsbald verdoppelt werden müsse.19 IX . Auf die Frage nach den Verbindungen zur Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) möchte ich folgendes bemerken: Sowohl während meiner Arbeit im Büro des Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front wie während meiner Tätigkeit für den Hauptausschuss für Volksbefragung habe ich zum Teil schriftliche, zum Teil mündliche Berichte über meine Tätigkeit und die der genannten Organisationen an die Informationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission in Karlshorst erstattet. Diese Berichte wurden von den Beamten der SKK von mir gefordert. Zum Teil  erschienen diese Beamten an meiner Arbeitsstätte, zum Teil wurde ich in die Räume der SKK nach Karlshorst bestellt. Auch dann, wenn ich während meines Aufenthaltes in Westdeutschland nur vorübergehend in Berlin war, sind solche Berichte von mir verlangt worden. Auch die Bundestagsabgeordnete Grete Thiele berichtete des Öfteren der SKK , wenn sie in Berlin war. Gelegentlich habe ich derartige Bestellungen auch auf Wunsch der russischen Beamten selbst übermittelt«.20

»Vorgelesen und genehmigt. Der Zeuge wurde dann nach nochmaliger Belehrung beeidigt.« Gez. Dr. Stein

gez. Kapferer

19 Markierter Text identisch mit handschriftlich korrigierter Fassung der Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 12 f. 20 Markierter Text identisch mit handschriftlich korrigierter Fassung der Jost-Erklärung, Dokument. C 2, Faksimile S. 13.

Nachwort Parteiverbote werden gern als »Schwert der wehrhaften Demokratie« bezeichnet. Waren sie das wirklich? In der über 70jährigen Geschichte der Bundesrepublik hat sich das Bundesverfassungsgericht lediglich sechsmal mit Verbotsanträgen beschäftigt. Davon wurden nur zwei angenommen, alle weiteren abgelehnt. Nur die beiden ersten Verfahren gegen die rechtsextreme SRP und gegen die linksextreme KPD endeten mit einem Verbot. Die SRP hatte sich allerdings sechs Wochen vor der Entscheidung des Gerichts bereits selbst aufgelöst. So steht die KPD ziemlich allein in der »Erfolgsgeschichte« der Parteiverbote dar. Umso größer war die politische Wucht, mit der das Verbot der KPD in einem 55 Monate dauernden Prozess durchgedrückt wurde. Verboten wurde eine Partei, die zu Beginn der Weimarer Republik gleich zweimal, zu Beginn der NS Diktatur erneut und zu Beginn der Bundesrepublik ein viertes Mal verboten wurde. Jetzt sollte es für immer sein. Und dies, obwohl von der KPD nachgewiesenermaßen keine Gefahr für die politische und verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik ausging. Dafür waren die Gerichte und Verwaltungen in weit über eintausend Folgeverfahren bis Mitte der 1970er Jahre damit beschäftigt, die Durchsetzung und Folgen des KPD -Verbots zu bewältigen. Die Kommunistenverfolgung war die größte politische Verfolgung, die der wehrhafte Staat der Bundesrepublik jemals initiierte. Angesichts ihres überdimensionierten Ausmaßes entzieht sie sich jedem Links-Rechts-Schema und antitotalitärem Äquidistanz-Denken. Ein solches brauchte jedoch der wehrhafte Staat, um die über acht Millionen ehemaligen NSDAP-Mitglieder nach dem Ende der NS -Diktatur in der Mitte der Gesellschaft zu integrieren und für den Weststaat zu mobilisieren. Das Diktum von Konrad Adenauer, wonach die rechte Gefahr überschätzt, die linke jedoch unterschätzt werde, reicht mit seiner fatalen Unterschätzung des Rechtsradikalismus bis in die Gegenwart. Der deutsche Nationalismus des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus bezieht seine zerstörerische Kraft aus zwei Quellen, der des rassistischen Antikommunismus und der des rassistischen Antisemitismus. Es waren die Kommunisten, die Reichskanzler Adolf Hitler schon Anfang 1933 als erste vernichten wollte. Bei Gesprächen über eine mögliche Koalition der NSDAP mit der Bayerischen Volkspartei erklärte der spätere Staatssekretär und Leiter der Prozessführenden Stelle der Bundesregierung im KPD -Prozess Ritter von Lex, seine Partei sei »mit der Niederringung des Marxismus einverstanden«. Bei der KPD »könne die Bayerische Volkpartei in weitest gehendem Maße mitgehen«. Bei der SPD »handle es sich um eine Richtung des Marxismus, der gegenüber man weniger die physische Ausrottung als die geistige Überwin-

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Nachwort

dung anwenden sollte«1. Im Verfahren gegen die KPD forderte von Lex 22 Jahre später, die Partei »trotz ihrer zahlenmäßigen Geringfügigkeit« zu verbieten: »Sie ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet.«2 »Verfassungswidrig« ist der dritte Teil eines großen Forschungsprojekts zur »KPD im Kalten Krieg«, das dank der Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf den Weg gebracht wurde und durch die Entdeckung und Freigabe von Millionen bislang unter Verschluss gehaltenen staatlichen Akten über sich hinausgewachsen ist. Im Ergebnis ist eine Trilogie entstanden, mit folgenden Schwerpunkten: 1. Freigabe von Verschlusssachen für die historische Forschung. Zahlreiche Vorträge, Aufsätze, Interviews, Radio- und Fernsehsendungen dokumentieren diese Phase liberaler Aktenfreigabe. 2. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Das erste Buch mit dem Titel »Überwachtes Deutschland« erschien im November 2012, ein halbes Jahr vor Beginn der NSA-Affäre und fand große öffentliche Beachtung. 3. Das KPD -Verbot im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg. Das zweite Buch »Verfassungswidrig!« erschien 2017, im selben Jahr, in dem sich das Bundesverfassungsgericht von den Entscheidungsgründen für das KPD -Verbot distanzierte. Nach der juristischen Revision folgte mit »Verfassungswidrig!« im Herbst 2017 die historiografische Revision, wonach nicht nur die Entscheidungsgründe, sondern das gesamte Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD verfassungswidrig waren. Die hier vorgelegte 2. Auflage ist eine detailliert durchgearbeitete, korrigierte und ergänzte, mit einer neuen Einleitung und Schlussbetrachtung versehene Version der 1. Auflage. Einleitung und Schluss sind deutlicher auf einander abgestimmt. Während in der Einleitung die Hauptthese von der Verfassungswidrigkeit des Verfahrens im Mittelpunkt der Erörterung steht, geht es in der Schlussbetrachtung um die historische Einordnung des KPD -Verbots in die Geschichte des deutsch-deutschen Kalten Bürgerkriegs im Kalten Krieg. Dankbar bin ich meinen Rezensenten, meinen Leserinnen und Lesern, meinen Kolleginnen und Kollegen für jede Anregung und Kritik, die ich so weit wie möglich bei meiner Überarbeitung berücksichtigt habe. Mein besonderer Dank gilt dem Forum Justizgeschichte e. V. für die Verleihung des Richard-Schmid-Preises 2018 am 15. September 2018 in Münster. Dieser Preis wurde »für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Juristischen Zeitgeschichte« verliehen, die der Preisträger »mit seiner Studie Verfassungswidrig! Das KPD -Verbot im Kalten Bürgerkrieg erbracht hat«. In der Begründung der Jury heißt es weiter: »Die Preisverleihung gilt darüber hinaus 1 Dierker: »Ich will keine Nullen, sondern Bullen«, S. 112 f. 2 KPD -Prozess. Dokumentarwerk, Bd. 3, S. 116, 5.7.1955.

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Nachwort

einem Autor, der sich wie kaum ein anderer Historiker für die Abgabe und Offenlegung wichtiger justizgeschichtlicher Unterlagen verdient gemacht hat. ­Foschepoth hat damit archivische Grundlagen geschaffen …, von denen künftige Forschergenerationen profitieren werden.«3 Münster im September 2020

Josef Foschepoth

3 https://www.forumjustizgeschichte.de/verleihung-des-richard-schmid-preises/

Abkürzungen AA AAPD

Auswärtiges Amt Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Abb. Abbildung Abs. Absatz ACDP Archiv für Christlich-Demokratische Politik ADL Archiv des Liberalismus ADJ Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen AdsD Archiv der sozialen Demokratie ADV Arbeitskreis für deutsche Verständigung AG Aktiengesellschaft AGF Arbeitskreis für gesamtdeutsche Fragen AHK Alliierte Hohe Kommission APUZ Aus Politik und Zeitgeschichte ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland ARP Ausschuss zur Rettung der Pfalz Art. Artikel BA Bundesanwalt BArch Bundesarchiv BAG Bundesarbeitsgericht BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv Bde. Bände BE Berichterstatter Benelux Belgien, Niederlande, Luxemburg BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BGBI Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGV Bewegung für gesamtdeutsche Verständigung BHE Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten BKA Bundeskriminalamt BKAmt Bundeskanzleramt BKAmt-Archiv Archiv des Bundeskanzleramts Berlin BM Bundesminister/Bundesministerium BMF Bundesminister/-ium der Finanzen BMG Bundesminister/-ium für Gesamtdeutsche Fragen BMI Bundesminister/-ium des Innern BMJ-Archiv Archiv des Bundesministeriums der Justiz Berlin BMJ Bundesminister/-ium der Justiz BPA Presse- und Informationsamt der Bundesregierung BpB Bundeszentrale für politische Bildung BR Bundesrichter BRD Bundesrepublik Deutschland BT-Fraktion Bundestagsfraktion BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfG-Archiv Archiv des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe

Abkürzungen

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BVerfGE Entscheidung(en) des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVG BVerfG BVGG BVerfGG BVP Bayerische Volkspartei BVR Bundesverfassungsrichter BW Baden-Württemberg BY Bayern CDU Christlich Demokratische Union CIA Central Intelligence Agency CSU Christlich Soziale Union DA Deutschland Archiv DAK Deutsches Arbeiterkomitee gegen Remilitarisierung DBMdI BMI DBT Deutscher Bundestag DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik DFD Demokratischer Frauenbund Deutschlands DFS 904 Deutscher Freiheitssender 904 DGKW Deutsche Gesellschaft für Kultur- und Wirtschaftsaustausch mit Polen DJ Deutscher Jugendring DKBD Demokratischer Kulturbund Deutschlands DKP Deutsche Kommunistische Partei DKPV Deutscher Kampfpanzer Verband DKW Deutsche Wirtschaftskommission DNVP Deutschnationale Volkspartei DO Dortmund DP Deutsche Partei DRP Deutsche Reichspartei DS Deutsche Sammlung ds.Js. dieses Jahres DStP Deutsche Staatspartei EKG Einheitsverband der Kriegsgeschädigten Emnid Markt-und Meinungsforschungsinstitut EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FAP Freiheitliche Arbeiterpartei FBD Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FDP Freie Demokratische Partei FKdBD Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland FVP Freie Volkspartei GALF Gesamtdeutscher Arbeitskreis der Land- und Forstwirtschaft GB Gesamtdeutscher Block GDSF Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft GESTAPO Geheime Staatspolizei GFW Gemeinschaftshilfe e. V. GG Geschichte und Gesellschaft GG Grundgesetz GHTO Grundstücksgesellschaft der HTO

472 GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz GVSS Generalreferent für die Festigung deutschen Volkstums HAO Handelsaufbau Ost HB Hansestadt Bremen HE Hessen HH Hansestadt Hamburg HHStAW Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden HICOG High Commissioner for Germany HPM Historisch Politische Mitteilungen HStAS Hauptstaatsarchiv Stuttgart HTO Haupttreuhandstelle Ost HZ Historische Zeitschrift IDFF Internationale Demokratische Frauenföderation IFFF Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit IG Farben Interessengemeinschaft Farben KEB Kommunistische Erwerbslosenbewegung (Bayern) KEFS Komitee für Einheit und Freiheit im deutschen Sport KGB Komitee für Staatssicherheit (deutsch) Kominform Kommunistisches Informationsbüro Komintern Kommunistische Internationale KP Kommunistische Partei KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPF Kommunistische Partei Frankreich KPGB Kommission zur Pflege gesamtdeutscher Beziehungen KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit KZ Konzentrationslager LAV NRW R Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland LAV NRW W Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen LDP Liberaldemokratische Partei LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands LGR /LGRat. Landesgerichtsrat MdB Mitglied des deutschen Bundestages MdL Mitglied des Landtages MfS Ministerium für Staatssicherheit MinRat/Min.Rat Ministerialrat MTS Maschinen-Traktoren-Stationen NACP National Archives at College Park (USA) NATO North Atlantic Treaty Organization NDPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NF Nationale Front NI Niedersachsen NJW Neue Juristische Wochenzeitschrift NKFD Nationalkomitee Freies Deutschland NL Nachlass NL Nationale Liste (rechte Vereinigung) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NRW Nordrhein-Westfalen NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

Abkürzungen

473

Abkürzungen NS -Täter NW NWDR

Nationalsozialistische(r) Täter

NRW

Nordwestdeutscher Rundfunk o. D. ohne Datum OB Oberbürgermeister OBA Oberbundesanwalt o. J. ohne Jahr OLG Oberlandesgericht OMGUS Office of Military Government for Germany (US) Org./Instr.-Abt. Organisations-/Instrukteur-Abteilung der SED ORR Oberregierungsrat OStA Oberstaatsanwalt OVG Oberverwaltungsgericht PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes PA DBT Politisches Archiv des Deutschen Bundestags PCI Partito Comunista Italiano PK Pressekonferenz PV Parteivorstand RA Rechtsanwalt RFSSuChDtPol. Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei RG Record Group RGBI Reichsgesetzblatt RMEuL. Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft ROAmtm. Regierungsoberamtmann RP Rheinland-Pfalz RVG Reichsvereinsgesetz s.Zt. seinerzeit SA Sturmabteilung SBZ Sowjetische Besatzungszone SD Sicherheitsdienst SDA Sozialdemokratische Aktion SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SH Schleswig-Holstein SKK Sowjetische Kontrollkommission SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPP Sozialpolitische Partei SRP Sozialistische Reichspartei SS Schutzstaffel StA Staatsanwalt Staatssekr. StS StBKAH Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Rhöndorf StdF Stellvertreter des Führers StGB Strafgesetzbuch StK Staatskanzlei StPO Strafprozessordnung StS Staatssekretär StSekr. StS SVD Sozialistische Volkspartei Deutschlands

474 SZ

Abkürzungen

Süddeutsche Zeitung die tageszeitung TFE Tatgemeinschaft für Frieden und Einheit TNA The National Archives Kew (London) UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken U-Haft Untersuchungshaft UNO United Nations Organization US/A United States/of America USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands UZ Unsere Zeit Verw.Ger.Dir. Verwaltungsgerichtsdirektor VFF Volksbund für Frieden und Freiheit V-Leute/-Mann Vertrauens-Leute/-Mann VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VZG Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte WAA Westdeutscher Arbeitslosenausschuss WANF Westdeutscher Arbeitsausschuss der Nationalen Front WAV Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung WFFB Westdeutsche Frauenfriedensbewegung WFK Westdeutsches Friedenskomitee WFLK Westdeutscher Flüchtlingskongress ZDF Zweites Deutsches Fernsehen ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zit.n. Zitiert nach ZK Zentralkomitee ZPKK Zentrale Parteikontrollkommission ZS Zentralsekretariat ZSDR Zentralrat zum Schutz demokratischer Rechte und zur Verteidigung deutscher Patrioten ZSg Zeitgeschichtliche Sammlung taz

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Bildnachweis Abb. 1: KPD -Veranstaltung zur »Lage der westdeutschen Jugend« München, Februar 1953. © BArch: Bild 183-18491-0002 / Fotograf: Ferdl Miedaner Abb. 2a: Wahlkampfplakat der CDU (1949). © ACDP: Plakatsammlung 10-001:14 Abb. 2b: Wahlkampfplakat der SPD (1949). © SPD/AdsD: 6/PLKA017709 Abb. 2c: Wahlkampfplakat der CDU (1965). © BArch: Plak 005-008-002 Abb. 3: Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe am 28. September 1951. © BPA : B 145 Bild-00005526 Abb. 4: Dr. Konrad Adenauer. © Süddeutsche Zeitung Photo: Bild-ID 00208560 Abb. 5: Dr. Robert Lehr. © BArch: B 145 Bild-P004377/CC -BY-SA-3.0 Abb. 6: Dr. Thomas Dehler. © ADL: N1-703/8 Abb. 7: Dr. Gerhard Schröder. © BArch: B 145 Bild-F008145-0002 Abb. 8: Hans Ritter von Lex. © picture-alliance/dpa: Bild Nr. 2319106 / Fotograf Willi Antonowitz Abb. 9: Dr. Max Güde. © StA Karlsruhe: 8/BA Schlesiger 1956/A 423/2/23 Abb. 10: Dr. Hermann Höpker Aschhoff. © BPA : B 145 Bild-00005527 Abb. 11: Dr. Erwin Stein. © Erwin Stein Stiftung. Abb. 12: Dr. Josef Wintrich. © BPA : B145 Bild-F050216-0037 Abb. 13: KPD -Landtagswahlkampf, Saalbau Essen, 1954. © LAV NRW R, NW_0490_00320_ 0002_02 Abb. 14: KPD -Veranstaltung in Dortmund, 1953. © LAV NRW R, NW_0490_00322_0099_05 Abb. 15: J. Duclos (ZK KPF) bei der KPD in DO, 1955. © LAV NRW R, NW_0490_003 21_0024_04 Abb. 16: Wahlkampf mit Fahrrad in Remscheid, 1954. © LAV NRW R, NW_0490_00321_ 0037_06 Abb. 17: Flugblattverteilung vor der Schachtanlage Duisburg, Landtagswahlkampf 1954. © LAV NRW R, NW_0490_00321_0028_05 Abb. 18: Streik in Gronau im Münsterland, Februar 1953. © LAV NRW R, NW_0490_ 00320_0054_03 Abb. 19: KPD -Veranstaltung Westfalenhalle Dortmund, 1955. © LAV NRW R, NW_0490_ 00322_0071_06 Abb. 20: KPD Straßenaktion im Ruhrgebiet 1953. © LAV NRW R, NW_0490_00322_0097_05 Abb. 21: KP-Veranstaltung, Westfalenhalle Dortmund, 1955. © LAV NRW R, NW_0490_ 00321_0013_02 Abb. 22: Teilnehmer an KP Veranstaltung, Musikkapelle. © LAV NRW R, NW_0490_00 322_0080_05 Abb. 23: KPD Solingen Pressefest, 1953. © LAV NRW R, NW_0490_00322_0093_03 Abb. 24: Zurück aus der DDR , Funktionärin am Bahnhof Dortmund. ©  LAV NRW R, NW_04 90_00322_0083_04 Abb. 25: FDJ- und KP-Mitglieder aus Duisburg. © LAV NRW R, NW_0490_00321_0018_04 Abb. 26: Mutter und Kind in einer Arbeiterwohnung. © LAV NRW R, NW_0490_00322_ 0068_01 Abb. 27: Oskar Hoffmann, KPD, MdL, Stadtrat, Beerdigung 1953. © LAV NRW R, NW_ 0490_00322_0055_01 Abb. 28: Beerdigung Hoffmann, Wuppertal, KPD -Funktionäre. © LAV NRW R, NW_0490_ 00322_0053_050

Bildnachweis

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Abb. 29: Beerdigung Hoffmann, NRW-Flagge, Rote Fahne. © LAV NRW R, NW_0490_ 00322_0055_06 Abb. 30: Adenauer und Reimann im Parlamentarischen Rat, 1949. © Süddeutsche Zeitung Photo: Bild-ID 00203435 Abb. 31: Walter Ulbricht und Max Reimann auf dem »Münchener« KPD -Parteitag in Weimar, März 1951. © BArch: Bild 183-10087-0001 Abb. 32: Prozessvertreter der KPD: RA Prof. Dr. Herbert Kröger, Walter Fisch (PV), RA Dr. Karl Friedrich Kaul. © BArch: Bild 183-28810-0001 / Fotograf: Hubert Berg Abb. 33: Wartende Besucher des KPD -Prozesses vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe 1955. © BArch: Bild 183–31317-0001 / Fotograf: Robert Abb. 34: Beschlagnahme von Verlag und Druckerei »Freies Volk« im Hof der KPD -Zentrale Düsseldorf. © picture-alliance/dpa: Bild 82743098 / Fotograf: Fritz Fischer Abb. 35: »Es lebe die KPD« Kundgebungen in der DDR , hier in Halle/Saale am 18. August 1956. © BArch: Bild 183-40899-0001 / Fotograf: G. Hoffmann

Personenregister Abrassimow, Pjotr A.  331 Ackermann, Anton 69 Adenauer, Konrad  8, 46, 49, 59, 60, 66, 68, 70-75, 77-82, 83 f., 97, 102, 105, 107, 109, 111–114, 116, 120 f., 126–128, 132–134, 136, 139, 145–147, 149–151, 153–158, 161, 165, 168, 191–196, 202, 224, 227, 231, 234–236, 263–266, 269, 272 f., 276, 279, 281–283, 286 f., 289, 290, 296, 300, 314 f., 317 f., 321, 326, 351, 358 f., 364, 366, 373, 381, 388–390 Agsten, Rudolf  288, 301 Ahrens, Franz  331 Amelunxen, Rudolf  188 f., 192, 310 Ammann, Walter  20 Angenfort, Josef  82 Arndt, Adolf  104, 144, 267, 299, 309 Arnold, Karl 131 Auerbach, Walter  373 Axen, Hermann  330, 464 Bachmann, Kurt  341, 348 Baden, Maximilian von  235 Baensch, Werner  400 Bahlke, Elfriede  400 Barthold, Werner  16 f., 218–222, 236, 239 f., 255, 408, 411, 414 f., 420, 423–425, 427, 428, 431, 435 Bauer, Leo  329 f. Bebel, August  21 Bechtle, Emil  245 f., 251, 254, 424 Becker, Ernst 27 Becker, Karl Albin 27 Becker, Linna M. 27 f. Behnke, Kurt  221, 411 Benda, Ernst  350 f. Berija, Lawrentij P.  79 f. Berlinguer, Enrico  329 Bernstein, Eduard  21, 332 Beyer, Herbert  224 Bishop, William Henry 116 Blücher, Franz  110, 189, 191 Böhler, Wilhelm J.  191 f. Böhmer, Werner  224, 240, 244–247, ­249–252, 427 f., 430 f.

Borkenau, Franz  416, 418 f. Bormann, Martin  180 Brand, Ehrhard  177 Brandler, Heinrich 44 Brandt, Willy  317, 329–331, 347, 350 Braun, Otto  170, 173, 175 Brebeck, Friedhelm  190 Brentano, Heinrich von  127, 146 f., 156, 192, 194, 265, 292 Breschnew, Leonid I.  329, 347 Brüning, Heinrich  173–175 Buback, Siegfried  262 Buch, OStA  255 Ceauşescu, Nicolae  329 Chruschtschow, Nikita S.  324 Churchill, Winston 358 Claus, Landgerichtsrat  220, 254, 420 Clay, Lucius D.  115 f. Dahlem, Franz  24, 65, 462 Danner, Lothar  404, 409 f. Degenhardt 218 Dehler, Thomas  8, 15 f., 84–86, 92, 96, 105, 110 f., 116, 121–126, 138, 140 f., 144 f., 147–153, 157, 170, 191–193, 195, 200, 204 f., 213, 222, 231, 264, 267, 279, 288, 296, 300–302, 357, 367, 374, 391, 423, 432 Dellinghausen, Ewert Freiherr von  298 f., 305 Dertinger, Georg  70 Dickel, Karl  159, 245 f., 251 f., 254, 379, 381, 424 f., 465 Dix, Rudolf  220 f., 239 f., 419 f., 423, 426 Dorls, Fritz  123 f., 136, 399 Drath, Martin H.  10, 145, 332–334, 367, 373, 393, 396, 478, 483 Duclos, J. 232 Ehlers, Hermann  139 Ehmke, Horst  327 f., 331 Einstein, Albert  170 Eisenhower, Dwight D.  154 Ellinghaus, Wilhelm  145, 368, 373, 393, 396, 413

Personenregister

Engels, Friedrich  42 Erhard, Ludwig  196, 317, 321 Erlebach, Kurt  331 Eschenburg, Theodor  406 Federer, Georg  368 Feller, Erwin  258 Fischer, Ruth  419 Fischler, Ludwig  18, 437 Fisch, Walter  64, 225, 228, 234, 240, 385, 425, 427 f., 435, 436 Flechtheim, Ossip K.  220, 419 Forschbach, Edmund  257 Foster-Dulles, John  154 François-Poncet, Jean  116 Frank, Karl 100 Franke, Egon  329 Freisler, Roland  179 Friedensburg, Ferdinand  258 Friedrich, H. 206 f. Friesenhahn, Ernst  370 Fröhlich, Georg  368, 370 Gecks, Karl  15, 156 f., 159 f., 162 f., 2­ 18–221, 255, 261, 273, 379, 381, 410, 411, 413 f., 420, 426, 431, 436 Geier, Friedrich-Wilhelm  226 f., 429 f. Geiger, Willi  95 f., 122, 140 f., 145, 205, 368, 370 Genscher, Hans-Dietrich  302, 331 Gerken, StA  262 Gieseking, Erwin  160, 240 Globke, Hans  157, 161, 196, 224, 257, 265, 390, 437 Glückauf, Erich  344, 348 Goebbels, Joseph  178 Göring, Hermann  181, 183 Green, Theodore 117 Grotewohl, Otto  38, 66–68, 71, 74, 288, 301, 458 Güde, Max  17, 105, 156, 223, 226, 231, 254, 260, 270, 292, 300, 305, 320, 321, 325, 340, 427, 429–435 Gumbel, Karl  126, 264 Gurland, Gottfried  416 Gürtner, Franz  177–180 Gutenkunst, Emil  415 Havemann, Robert  322 Heck, Karl  158, 373 Hedler, Wolfgang  84

491 Heiland, Gerhard R.  145, 368, 393, 396 Heine, Fritz 49, 214 Heinemann, Gustav W.  133, 325–328, 335, 339, 351 Heinsen, Ernst  95, 339 Helferich, Hans  177 f. Heller, Fritz  400, 404 Hellwege, Heinrich  111 Henneka, Anton A.  147, 368, 370 Henrichs, RA Hilden  240, 261 Herrnstadt, Rudolf  69, 75 f. Heß, Rudolf  178–180 Heuss, Theodor  138 f., 149, 152, 168, 170, 174, 191, 288 Himmler, Heinrich  178, 182 f. Hindenburg, Paul von  170, 172 f. Hitler, Adolf  25, 53, 69, 105, 109, 112, 119, 121, 160, 173 f., 178 f., 190, 236–238, 276 Hoffmann, Oskar 233 Honecker, Erich  220, 254, 337, 349, 353 Hopf, Volkmar  218, 240 Höpker Aschoff, Hermann  15, 138–145, 148, 151–155, 157, 161, 166–197, 200, 206 f., 231, 264, 272, 367, 370–372, 374– 378, 390, 393, 396, 416 Hütsch 240 John, Otto  16, 130, 160, 162, 219, 396, 401 f., 408 f. Jost, Georg Wilhelm 18, 220, 242–253, 255 f., 418, 419, 438 f., 453, 457, 464 Jungmann, Erich  348 Kahler, Gerda  19 f. Kaiser, Jakob  292, 312 f. Kalsbach 218, 240 Kapferer, BVerfG  244, 253, 457, 466 Kapluck, Manfred  331, 338 Katz, Rudolf  148 f., 167 f., 368–370 Kaufmann, Erich  240 Kaul, Friedrich Karl  234, 239–241, 251, 260, 262 f., 269, 428, 431 Kautsky, Karl  21 Kiesinger, Kurt G.  317, 345, 350 f. Kipp, Karl A. oder Georg?  201 f., 205 Kirkpatrick, Sir Ivone A.  127, 358 Klaas, Walter  368 Kleinknecht, Theodor  17, 222 f., 2­ 26–228, 290, 298, 310, 421–423, 427, 431, ­433–435 Kofler, Leo  419 Kopf, Hinrich W.  111, 139

492 Kröger, Herbert  13, 234, 240 Krüger, Gerhard  400, 404 Külz, Helmut R.  332 Kunze, Johannes  111 Landfried, Fritz  181 Landwehr, Ludwig  326, 331, 335 Ledwohn, Friedel  312 f. Ledwohn, Josef  82, 224, 240, 338 Lehmann, Joachim  145, 368, 393, 396 Lehmann, Lutz  320 Lehr, Robert  15 f., 74, 98, 110, 111, 124 f., 129, 136, 142 f., 154 f., 157, 196, ­200–202, ­207–209, 211, 222, 231, 370–372, ­376–378, 390 f., 396, 401 f., 404, 406–410, 423 Leibholz, Gerhard  140 f., 300, 368 Lemke, Michael  53, 80, 288 Lemmer, Ernst  70, 132, 174, 292 Lenin, Wladimir I.  40, 42, 263, 276, 341, 420 Lenz, Otto  110, 114, 126, 145–149, 155, 157, 193, 358, 390 Leusser, Claus  368 Lex, Hans Ritter von  11, 15, 143 f., 160, 162 f., 167, 196, 199, 201, 205, 207, 213 f., 220, 223, 231, 236–240, 242–244, ­247–252, 257, 259–261, 268, 311 f., 363, 374, 376, 390, 393, 396, 410, 413–416, 423 f., 426, 431–433, 435, 436, 438 f., 467 f. Liebau, Johannes  262 Liebknecht, Karl  22 Limbach, Jutta  10 f. Lippmann, Heinz  220, 254 f., 420, 422 Lloyd, Selwyn 358 Löbe, Paul  288 Loch, Hans  288 Lodge, Henry 117 Löwenthal, Richard  220, 416, 421 Longo, Luigi  329 Lücke, Paul  327, 328, 335 f., 350 Lukaschek, Hans  190 Lüth, Erich  373 Luxemburg, Rosa  21 f., 75 Maassen, Hermann  434 Maier, Reinhold  174 Maihofer, Werner  278, 320 Marx, Karl  42, 263, 276 Marx, Wilhelm  170 Matern, Hermann  323, 349

Personenregister

Matuschka, Michael Graf von  190 McCloy, John  112 f., 116 Mehnert, Klaus  220, 416, 418 f. Mehring, Franz  21 Meissner, Boris  220, 416, 419 Mendés-France, Pierre  158 Menzel, Walter  129, 131 f., 163, 164, 189, 192, 286, 289 f., 382 Mercker, Reinhold  147 Merkatz, Hans-Joachim von  110 f., 126, 292, 298–300, 305 Meyers, Franz  217, 321 Middelhauve, Friedrich  122 Mies, Herbert  330, 335 f., 338, 341, 348 Mohn, Willi  327, 338 Moritz, Martha 27 f. Morrison, Herbert S.  102 Mourganow, KPDSU 333 Müller, Gebhard  147 Mussolini, Benito 112 Nadler, Max  179 f. Naumann, Friedrich  170 Nenni, Pietro  73 Neumann, Oskar  159, 217, 245 f., 251 f., 254, 379, 381, 424 f., 460, 464 f. Neumayer, Fritz  157, 227, 264 f., 267, 282, 292, 300, 310, 423 Niebergall, Otto  327, 338, 348 Nipperdey, Hans C.  104 Nochalski 133 Nollau, Günther  221, 411, 413 f., 421 Norden, Albert  353 Öftering, Heinz M.  147 Ollenhauer, Erich  130 Papen, Franz von  172 f. Pfeffer, Franz von  178–180 Pieck, Wilhelm  24, 38, 52, 54, 56 f., 62, 67, 74, 288, 372 Ponomarjow, Boris N.  316, 324, 349 Posser, Diether  87, 94, 105, 167, 326, 327 Prinz, KPD  255, 420 Pünder, Hermann J.  192 f. Radke, Albert  214, 255 Reichel, Horst  224 Reimann, Max  40, 43, 46 f., 50, 54 f., 62, 68 f., 73 f., 76, 81 f., 155, 224–228, 234, 315–318, 321–325, 327, 330 f., 333–335,

493

Personenregister

338, 340 f., 343–346, 348 f., 352 f., 377, 424 f., 427–432, 435 f., 465 Reismann, Bernhard  144 Remer, Otto E.  109, 111, 136, 142, 370 f., 373, 400, 404, 406, 409 Renner, Heinz  50, 425, 428 Reuter, Ernst  334 Richter, (Willi oder Viktor)  399 Riederer von Paar, Max Freiherr  297 Rische, Fritz  10, 82, 224 f., 240, 273, 332 f., 428, 465 Ritterspach, Theodor  145, 168, 368, 393, 396 Rupp, Hans G.  368 Sagladin, Wadim W.  349 Sauer, Friedrich  405 Schabrod, Karl  331 Schacht, Hjalmar  170 Schäfer, Friedrich  405, 408 Schäfer, Hans 280 f. Schäfer, Hermann  111 Schäfer, Max  327 f., 331, 335 f. Schäffer, Fritz  110, 191, 237 Schafheutle, Josef  85 Schalck-Golodkowski, Alexander  350 Scheffler, Erna  145, 251, 367 f., 393, 396 Schepilow, Dimitri T.  324 Scheringer, Richard  82, 331 Schirdewan, Kurt 47 Schmid, Carlo  191, 289 Schmidt, Helmut  89, 325, 327 f. Schneider, OstA  262 Scholtissek, Herbert  10, 16, 143, 207 f., 210 f., 332, 367 f., 374, 376, 393, 396, 399, ­401–405, 407–410 Schröder, Gerhard  18, 153, 156 f., ­160–165, 199, 227, 231, 255, 276 f., 289 f., 2­ 92–297, 299 f., 302 f., 305, 311 f., 319, 364 f., ­381–383, 386, 388, 414, 432 f., 436 Schumacher, Kurt 50 Schuman, Robert  16, 114 Seebohm, Hans-Christoph  110, 158, 196, 390 Seifert, MR BMI 240 Seiffert, Wolfgang  82 Semjonow, Wladimir S.  56, 58, 61, 70 f., 74 Senftleben, Herbert  221, 411, 414, 420 Sielow, OStA  262 Sokolowski, Wassili D.  53 Speer, Albert  186 f.

Sperling, Fritz 50 Stalin, Josef W.  24 f., 36, 41 f., 52 f., 55 f., 58–62, 65–67, 70–75, 77, 79, 81, 141, 163, 263, 276, 287, 341, 364f., 421, 436 Stein, Erwin  10, 16-18, 143, 146, 156, 161 f., ­207–210, 219–222, 224–228, 231, 239, 241–256, 258, 273, 332 f., 364 f., 367 f., 374, 376, 381, 393, 396 f., 399, 402, ­405–416, ­426–434, 436, 438 f., 453, 457, 466 Stier, Erich  190 Stimpfig, Erwin  101 Strachwitz 414 Strauß, Walter  140 f., 148, 150, 223 Strickert, Hans-Georg  220 f., 255, 261, 411, 413 f., 417, 420, 427 Suslow, Michail A.  324, 349 Thedieck, Franz  104, 163 f., 357 f., 382 Thiele, Grete  327 f., 335, 458–460, 463 f., 466 Tito, Josip Broz 42, 44 Topf, Erich G.  159 f., 262, 379–381 Truman, Harry S. 53 Tschuikow, Wassilij  61 Tulpanow, Sergej J.  55 f., 58, 61 Ulbricht, Walter  24, 38, 42 f., 49, 52, 55 f., 58, 67, 69, 73–77, 80 f., 234, 316, 320, 322 f., 329, 337 f., 346 f., 349 Unfried, Emil 27 Verner, Paul  75 Voßkuhle, Andreas 10, 271 Wagner, Kurt  101 f., 223, 254, 424, 427, 435 Weber, Alfred  170 Weber, C. A.  465 Weber, Max  170 Wehner, Herbert  84, 303, 419 Weinkauff, Hermann  162 Wessel, Franz  133, 145, 326, 368, 393, 396 Wessel, Helene  326 Wessik, Hamburg  240 Wieber, Georg  255 f. Wiechmann, Carlo  224, 300, 431, 434, 435 Wiedemann, Fritz  178 Wilhelm II, Kaiser  235 Winkler, Max 181 Winterfeld, Achim von  240

494 Wintrich, Josef  10, 15, 18, 157, 161–163, 165, 167, 195, 199 f., 219 f., 231, 249 f., 256, 260, ­262–268, 271-273, 381, 386, 388, 414 f., 436 Wittrock, Karl  303 Wölfel, A.  255 Wolff, Ernst  368

Personenregister

Wollenberg, Erich  418 f., 422 Wyschinski, Andrei J.  303 Zetkin, Clara 21 Zweigert, Konrad 10, 145, 332, 367, 393, 396 Zweigert, Kurt  368, 373 f.