Das Ringen um Berlin im Kalten Krieg: Die Geschichte von Live Oak 9783110537864, 9783110535617

Live Oak diente im Kalten Krieg zur Bewältigung von Krisen im Zusammenhang mit Berlin. Die geteilte Stadt war in vielerl

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Das Ringen um Berlin im Kalten Krieg: Die Geschichte von Live Oak
 9783110537864, 9783110535617

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van Nes • Das Ringen um Berlin im Kalten Krieg

Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 12

Das Ringen um Berlin im Kalten Krieg Die Geschichte von Live Oak

Von Harald van Nes

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Control Number: 2020937832 © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston www.degruyter.com Redaktion und Projektkoordination: ZMSBw, Potsdam, Fachbereich Publikationen (0783-01) Koordination, Lektorat, Bildrechte: Michael Thomae Korrektorat: Björn Mielbrandt Satz, Bildbearbeitung, Projektassistenz: Carola Klinke Karten, Grafiken, Tabellen: Frank Schemmerling Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN 978-3-11-053561-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-053786-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-053570-9 ISSN 2190-1414

Inhalt

Vorwort................................................................................................................ IX Vorbemerkung des Autors und Danksagung......................................................... XI

*** I. Einleitung....................................................................................................... 1 II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen........................................................ 7 1. Kriegsende und Nachkriegszeit 1943 bis 1958........................................... 7 2. Die strategische Bedrohung....................................................................... 12 3. Berlin im Interessenkonflikt zwischen Ost und West................................. 17 4. Die rechtliche Lage Berlins........................................................................ 25 5. Geografische und verkehrstechnische Rahmenbedingungen....................... 31 6. Die Gegner: Sowjetunion und DDR......................................................... 34 III. Die Geschichte von Live Oak: Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement.................................................................................. 47 1. Das Chruščev-Ultimatum und seine Auswirkungen................................... 47 2. Die Aufstellung von Live Oak als Antwort auf östliche Erpressungsversuche..................................................................... 51 3. Grundsatzweisung für Live Oak: Das »Basic Paper«................................... 59 4. Zwischen Krise und Stabilität: Live Oak und der Kalte Krieg 1958 bis 1990........................................................................................... 66 a) Die zweite große Berlin-Krise 1958 bis 1963....................................... 66 b) Die Zeit des Übergangs: Von der Konfrontation zur Koexistenz 1964 bis 1972.................................................................... 86 c) Die Sicherung des Status quo oder die vielversprechende »Sicherheit durch Verträge« 1972 bis 1979............................................................. 93 d) Die Phase der Verunsicherung und der Konfrontation auf niedrigem Niveau 1980 bis 1989......................................................... 99 e) Zusammenbruch des Warschauer Pakts und friedlicher Übergang 1989/90.............................................................. 109 5. Das Zusammenwirken von Live Oak und NATO..................................... 114

VI Inhalt

6. Die deutsche Beteiligung an Live Oak....................................................... 166 7. Das Verhalten der Vier Mächte als Partner: Einheitliche Ziele – unterschiedliche Interessen?........................................ 189 IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme............................................ 201 1. Organisation und Führungsstruktur von Live Oak.................................... 201 2. Quiet, Preparatory and Precautionary Military Measures........................... 221 3. More Elaborate Military Measures............................................................. 224 4. Die Sicherung des Landzugangs................................................................. 237 Exkurs: Der deutsche Zugang zu Lande in der Operationsplanung »Allied Aegis«....................................................... 296 5. Der Zugang auf dem Luftweg.................................................................... 298 Exkurs: Die Große Luftbrückenoperation.................................................. 343 6. Die Suche nach dem längeren Hebel: Maritime Gegenmaßnahmen.......... 348 7. Die Kommandanten der Drei Mächte in Berlin und ihre Einbindung in Live Oak..................................................................... 382 8. Das Delegieren von Verantwortung........................................................... 394 9. »Pyramiden der Krisenbeherrschung«........................................................ 397 10. Kommunikationsinstrumente im »Einsatz«................................................ 406 a) Fernmeldewesen................................................................................... 406 b) Nachrichtenwesen, Aufklärung und Erkenntnisgewinnung.................. 414 c) Das Einbeziehen der Öffentlichkeit und der Medien............................ 427 d) Ausbildung und Übungen.................................................................... 443 11. Budget und Kostenteilung......................................................................... 458 V. Fazit................................................................................................................ 461 1. Die Zweckmäßigkeit von Live Oak bei der politischen Bewältigung einer Krise............................................................................. 462 2. Optionen und Pläne.................................................................................. 470 3. Das Zusammenwirken der Kräfte und Mittel............................................ 471 4. Das militärische Führungspersonal............................................................ 478 5. Die Bedeutung von Ausbildung und Übungen.......................................... 481 6. Koordinierung mit der NATO: Abgrenzung und Zusammenarbeit........... 482 7. Öffentlichkeit und Geheimhaltung............................................................ 486 8. Stärken und Schwächen des Systems.......................................................... 488 9. Die Perspektive der Gegenseite.................................................................. 493 10. Erfolg oder Bluff: Live Oak als Beispiel für westliches Krisenmanagement?.................................................................. 495

Inhalt VII

Anhang Bildteil................................................................................................................. 503 Glossar................................................................................................................. 513 Militärisches Schlüsselpersonal bei Live Oak........................................................ 517 Decknamen für Operationspläne und Übungen................................................... 521 Abkürzungen........................................................................................................ 525 Quellen und Literatur.......................................................................................... 537 Personenregister................................................................................................... 565

VIII Inhalt

Verzeichnis der Karten und Grafiken Möglichkeiten der elektronischen und optischen Aufklärung durch den Gegner (Schema aus der Sicht der Nationalen Volksarmee)......................................... 43 Live-Oak-Anfangsorganisation 1959‑1961......................................................... 64 Live-Oak-Führungsstruktur und Zusammenarbeit ab 1963‑1968....................... 82 NATO-BERCON-/MARCON- und Live-Oak-Pläne 1959‑1962...................... 145 Zusammenwirken von Live Oak und NATO 1962.............................................. 148 Washington Ambassadorial Group....................................................................... 203 Die Gliederung des Stabes Live Oak 1959............................................................ 205 Lageplan von SHAPE in Rocquencourt/Frankreich mit Live Oak, 1961‑1967.................................................................................................... 209 Aufgabenorientierte Live-Oak-Stabsorganisation ab 1961.................................... 210 Die Organisation des Stabes Live Oak 1963‑1990.............................................. 213 Die militärische Struktur von Live Oak ab 1963.................................................. 214 Lageplan von SHAPE in Casteau/Belgien mit Live Oak, ab 1967........................ 216 Führungsstruktur Live Oak ab 1986.................................................................... 219 »Probes« zu Lande................................................................................................ 250 Operationen um den Landzugang: Der Befehlsweg ab 1961................................ 274 Die Kampfgruppen der Drei Mächte von und nach Berlin................................... 276 Divisionsgruppe »June Ball« 1966‑1982 (nur Versammlung).............................. 286 Anflughilfen für die Flugplätze Tempelhof und Tegel (mit Warteräumen, je nach Windrichtung), 1980.......................................................................... 302 Operationen der Luftstreitkräfte der Drei Mächte: Die Befehlswege 1960............ 306 Unmittelbarer Begleitschutz durch Jäger in großen Höhen................................... 327 Flugformationen bei Überwachung aus der Distanz bei angepasster Geschwindigkeit........................................................................... 328 »Operationen zur Sicherung des Luftzugangs, Warteräume mit Navigationsanlagen vor den Korridoren (zur Zusammenführung von Jagdund Transportflugzeugen), Stand 1973«.......................................................... 330 Quadripartite Berlin Airlift (QBAL) 1978............................................................ 345 Berlin Airlift Committee, 1988............................................................................ 346 Organisationsstruktur der Maritimen Gegenmaßnahmen.................................... 350 Geografische Verantwortungsbereiche der NAVCORCENT [Teil1 West]............ 368 Geografische Verantwortungsbereiche der NAVCORCENT [Teil 2 Ost]............. 369 Bevorzugte Operationsgebiete von »Sea Spray« ab 1978....................................... 376 Bevorzugte Operationsgebiete der Nationen von Live Oak................................... 378 Die doppelte Pyramide der Krisenbewältigung von Live Oak............................... 404 Informationslieferanten für Live Oak................................................................... 421 Live Oak Public Information 1985 (nach Aktivierung in einer Krise)................... 433 Vier-Mächte-Konsultationen (vereinfachte Übersicht).......................................... 477

Vorwort

Berlin war seit der Blockade der Stadt 1948/49 durch die Sowjetunion eine der zentralen Nahtstellen, aber auch das Symbol der Konfrontation zwischen Ost und West während des Kalten Krieges. An kaum einem anderen Ort der Welt wurde tagtäglich deutlich, wo der »Eiserne Vorhang« verlief und was es bedeuten würde, wenn eine der beiden Seiten – die USA und die mit ihr verbündeten Mächte des Westens oder die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten im Osten – versuchte, das fragile Gleichgewicht in Deutschland, Europa und der Welt durch einseitige Aktionen zu stören. Strategisch war die ehemalige Reichshauptstadt unwichtig. Politisch war Berlin jedoch ein Symbol von Freiheit und Demokratie in einem Teil der Welt, in dem das Streben danach notfalls durch den Einsatz von Panzern brutal unterdrückt wurde. Der 17. Juni 1953 hatte dies ebenso gezeigt wie der Bau der Mauer am 13. August 1961 und der Befehl, auf Menschen zu schießen, die in die Freiheit gelangen wollten. Seit 1948/49 setzte die Sowjetunion alles daran, diesen »Stachel im eigenen Fleisch« loszuwerden. Mit immer neuen Ultimaten versuchte sie die Westmächte aus diesem Vorposten der Freiheit zu vertreiben – vergeblich. Durch ihre militärische Präsenz, so gering diese auch war, machten die Westmächte jedoch ummissverständlich klar, dass sie jederzeit bereit waren, die Freiheit Berlins ebenso zu verteidigen wie die Freiheit des gesamten Westens. Um dieses Ziel zu erreichen, bauten die Alliierten mehrere Organisationen auf. Eine von ihnen war »Live Oak«. Diese streng geheime Organisation, über die bis zum Fall der Mauer fast nichts bekannt war, bestand aus militärischen Verbänden, beinhaltete aber auch politische Mittel. Konvois und Luftpatrouillen etwa sollten eine Sperrung der Transitwege verhindern; politisch ging es darum, den Verantwortlichen in der Sowjetunion den starken westlichen Zusammenhalt aufzuzeigen. Live Oak war kein Bestandteil des Nordatlantischen Bündnisses, arbeitete aber eng mit ihm zusammen; die Planungen der Organisation hatte am Ende die NATO mit ihrer Kommandostruktur umzusetzen. Live Oak existierte von 1959 bis 1990. Es trug in diesen Jahren dazu bei, Krisen frühzeitig zu entschärfen und weiteren Eskalationen vorzubeugen. Die Organisation kann somit durchaus als historisches Vorbild für das Krisenmanagement der NATO heute gelten. Manchmal ist es von Vorteil, wenn »Insider« Geschichte schreiben. Das gilt auch im Falle dieser Studie. Ihr Autor, Oberst a.D. Harald van Nes, war in den 1970er Jahren selbst Angehöriger von Live Oak. Er schöpfte beim Verfassen dieses Buches aus seinen reichhaltigen Erfahrungen als Berufssoldat der Bundeswehr, aus seinem intensiv geführten Tagebuch wie auch aus etlichen Kontakten zu ehemaligen Mitarbeitern der Orga-

X Vorwort

nisation. Als weitere Grundlage kam ein umfangreicher Quellenkorpus hinzu. All das ermöglichte eine eingehende Analyse der Hintergründe, der Ziele und der Probleme von Live Oak. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr erweitert und ergänzt mit dieser Studie die bereits bestehenden Forschungsarbeiten zum westlichen Bündnis. Sie ist gleichzeitig ein wichtiger weiterer Baustein zur Geschichte des Kalten Krieges. Ich danke Oberst a.D. van Nes für seinen Blick in die Geschichte, der auch zum Verständnis heutigen Krisen­managements beitragen kann. Mein Dank gilt des Weiteren dem Fachbereich Publikationen unter Leitung von Herrn Dr. Christian Adam für die professionelle Umsetzung dieses Buches, dem ich eine weite Verbreitung wünsche. Dr. Jörg Hillmann Kapitän zur See und Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Vorbemerkung des Autors und Danksagung

Schon mit Beginn meiner Dienstzeit bei Live Oak in der ersten Hälfte der siebziger Jahre hat diese politisch-militärische Organisation mein besonderes Interesse gefunden. Durch meine vierjährige Tätigkeit als Planungsstabsoffizier im International Military Staff (IMS) der NATO gewann ich dann neue Einsichten in das wichtige Thema der Krisenvorsorge und -bewältigung allgemein und zu Berlin im Besonderen. Während meiner aktiven Dienstzeit habe ich mich dann intensiv mit Fragen der Sicherheit Berlins und mit dem Freien Zugang zur Stadt befasst. Allerdings gab es insbesondere hinsichtlich der »Berlin Contingencies« – der Eventualfallplanungen im Zusammenhang mit Berlin – noch sehr wenig ergiebiges Material. Das hatte mit der großen Sensitivität des Themas und der hohen Geheimhaltungsstufe zu tun. Gegen Ende des Kalten Krieges erschienen vermehrt Arbeiten über die verschiedenen Berlin-Krisen. Die meisten dieser Publikationen litten allerdings darunter, dass die wichtigsten Dokumente in der Regel noch nicht freigegeben waren. Sehr früh schon begann ich auch ein persönliches Tagebuch zu führen, woraus ich für diese Arbeit immer wieder schöpfen konnte. Nach meinem Abschied aus dem aktiven Dienst im Jahre 1994 erhielt ich Kenntnis, dass die Akten des Stabes Live Oak durch gemeinsamen Beschluss der Vier Mächte im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv (BArch) in Freiburg im Breisgau als Bestand BW 71 gelagert worden waren. Im Herbst 2005 wurden die Unterlagen dann mit wenigen Ausnahmen automatisch offengelegt. Die folgende Arbeit basiert in erheblichem Maße auf diesem Material. Die Arbeit soll die Bedeutung von Live Oak als Organisation der politischen Krisenvorsorge und -bewältigung untersuchen und sie einer kritischen Analyse unterziehen. Schwerpunkt der Studie ist die militärische Krisenvorsorge. Die politische Krisenbewältigung1 wurde nur insoweit behandelt, als es für die Arbeit notwendig und mit Blick auf die Quellenlage möglich war. Ohne Zweifel wäre diese Aufgabe lohnend, besonders dann, wenn die Bestände im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (AA), im Bundeskanzleramt (BKA), im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und in anderen Dienststellen genutzt würden, sofern offengelegt. Dadurch könnten sich Korrekturen, Ergänzungen und neue Erkenntnisse auch für diese Arbeit ergeben. Es ist klar, dass die Vorteile, die meine berufliche Beschäftigung in Kombination mit dem mir zugänglichen Aktenmaterial und den daraus erwachsenden Synergieeffekten

1

Dazu gibt es inzwischen eine Anzahl an Studien, die allerdings den militärischen Anteil meist eher kursorisch behandeln. Eine Auswahl der hier verwendeten Literatur findet sich im Literaturverzeichnis.

XII

Vorbemerkung und Danksagung

bringen, durch fortdauernde Reflexion über den Status als historisch Handelnder erkauft werden müssen. Zeitzeugen sind in der Forschung – zu Recht – immer Quellen, die besonders kritisch betrachtet werden. Für mich, der ich über ein historisches Thema berichte, in dem ich selbst tätig war, bedeutet dies besondere Vorsicht im Umgang mit den Akten und den persönlichen Erinnerungen. Die Leser möchte ich bereits jetzt um Nachsicht dafür bitten, dass die Vielzahl der im Folgenden immer wieder angesprochenen Dienststellen, Behörden, Organisationen usw. zwangsläufig zur ausgedehnten Verwendung von Abkürzungen aus mehreren Sprachen führt. Es ist meine Hoffnung, dass sie im Laufe der Lektüre dem Leser geläufig werden; wenn nicht, möge das umfangreiche Abkürzungsverzeichnis weiterhelfen. Die schriftlichen Quellen dieser Untersuchung sind überwiegend in englischer Sprache verfasst. Für manche englische Fachbegriffe existieren gängige deutsche Entsprechungen, für einige andere habe ich deutsche Übersetzungen eingeführt. Nicht immer wollen sich aber befriedigende deutsche Begriffe finden lassen, weswegen es gelegentlich auch zu Missverständnissen kommen kann. Das trifft vor allem auf das unscheinbare, aber in unserem Zusammenhang wichtige englische Wörtchen »probe« zu. Wird es im Satzzusammenhang groß geschrieben, ist seine englischsprachige Herkunft und Verwendung nicht ohne Weiteres erkennbar und der Leser wundert sich vielleicht über Ausdrücke wie Autobahn-»Probe«. Gemeint sind Sondierungsfahrten zur Auslotung der Reaktion von DDR bzw. Sowjetunion auf westalliierte Transporte auf dem Landweg nach oder von West-Berlin. Noch weitere deutsch-englische Sprachmischungen werden dem Leser begegnen – manchmal vielleicht durch Nachlässigkeit begünstigt, gewiss aber auch ein Nachklang jener intensiven historischen Verflechtung von westalliierten und deutschen Bemühungen im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Verbindungswege nach Berlin – das große Thema der vorliegenden Arbeit. In Quellenzitaten taucht die ehemalige ostdeutsche Republik gelegentlich in Anführungsstrichen auf: »DDR«. In diesen Fällen handelt es sich nicht um Sonderheiten des Autors, sondern um sprachliche Relikte aus dem Kalten Krieg. Sprachliche Zwangskorsette rund um die Schreibweisen der geteilten Stadt – Ost-Berlin, Ostberlin oder Berlin (Ost), adäquat West-Berlin, Westberlin oder Berlin (West) – und ähnliches mehr scheinen mir überholt, sodass ich um Verständnis für einen möglicherweise generösen Umgang mit ehemals erbittert gehandhabten Sprachregelungen und das Nebeneinander verschiedener Formen in Darstellung und Quellen bitte. Ein Glossar im Anhang bietet dem Leser Definitionen von vorwiegend in diesem Zusammenhang gebrauchten Fachtermini. Im Anhang findet sich auch eine Übersicht der im Text häufig verwendeten Decknamen für Operationspläne und Übungen. Zahlreiche Karten und Grafiken helfen zudem, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen. Ein Personenregister beschließt den Band. *** Das vorliegende Buch über die Geschichte von Live Oak hat sich im Verlauf der Arbeit als ein Großprojekt erwiesen. Am Ende waren es – mit Unterbrechungen – zehn Jahre der Recherche, der Akteneinsicht, der fachlichen Auseinandersetzung mit Historikern und Zeitzeugen und schließlich des Schreibens. Hinzu kamen noch die Monate der



Vorbemerkung und Danksagung

XIII

»Veredelung“ des Manuskriptes: das Zeichnen der Karten, das Lektorat und das Setzen des Buches. Es gehört zu den schönen Arbeiten am Ende eines Projektes, nunmehr jenen Menschen Dank auszusprechen, die am Entstehen dieses Werkes beteiligt waren oder »Mitschuld« an seinem Zustandekommen tragen. Zunächst habe ich Frau Prof. Dr. Beatrice Heuser zu danken, die als damalige Leiterin der Abteilung Forschung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) meinem Antrag, eine Studie über Krisenmanagement im Kalten Krieg am Beispiel von Live Oak zu schreiben, sofortige Unterstützung zusagte. Ungemein wertvolle und fast tägliche Hilfe erhielt ich im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, in Freiburg im Breisgau. Dafür sorgten vor allem die zuständigen Referatsleiter, Dr. Volker Gießler und Dr. Andreas Kunz. Besonders hervorzuheben gilt es hier natürlich die Mitarbeiter des Magazindienstes. Die für die Offenlegung vieler Korrespondenz- und Gegenüberlieferungen zuständige Gruppe, zunächst unter Major Dr. Klaus Storkmann (heute Oberstleutnant), dann unter Oberstleutnant Michael Peter, ermöglichte vergleichende Recherchen. Ihnen allen bin ich für ihre Arbeit von Herzen dankbar. Dass mein Tun dann positiv gewürdigt wurde, dafür danke ich Herrn Oberst i.G. Dr. Burkhard Köster (damals MGFA/ZMSBw) und Oberst a.D. Dr. Norbert Wiggershaus (†). Durch seine Entscheidung, das Ergebnis meiner Recherchen im ZMSBw zu publizieren, erkannte Prof. Dr. Michael Epkenhans mein Werk als wichtig an, wofür ich ihm sehr verbunden bin. Dem ehemaligen Botschafter der Bundesrepublik und dann Präsidenten des BND, Dr. Hans-Georg Wieck, bin ich zu besonderem Dank verpflichtet, weil er, auch als Zeitzeuge und Diplomat, wiederholt schriftlich und mündlich zu allgemein politischen und zu speziellen, die Berlinproblematik betreffenden Fragen Stellung nahm, was die Arbeit wesentlich befruchtete. Auch zu einem ausführlichen Interview stand er mir als exzellenter Kenner der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung. Meinen beiden Kameraden der »Air Section« und des NAVCORCENT bei Live Oak, Oberst a.D. Christian Hartig und Fregattenkapitän a.D. Bernd Basche, danke ich für die kritische Durchsicht der ihre jeweilige Teilstreitkraft behandelnden Kapitel. Bernd Basche leistete auch als geborener und kenntnisreicher »Berliner Jung’« unverzichtbare Dienste bei meinen Ausführungen zur problembelasteten Lage der geteilten Stadt Berlin. Der langjährige SHAPE-Historian Dr. Gregory Pedlow hat dankenswerterweise durch seine intime Kenntnis der Akten der NATO, von SHAPE und Live Oak viele Fragen ausführlich beantwortet, oft weit über die Aktenlage hinausreichend. Dass aus dem Text schließlich ein Buch wurde, ist dem Team des Fachbereichs Publikationen im ZMSBw unter Leitung von Dr. Christian Adam geschuldet. Carola Klinke war zuständig für den Satz des Buches und für die technische Aufbereitung der Abbildungen. Frank Schemmerling hat die aufwändigen, eindrucksvollen Karten und Grafiken erstellt, und Michael Thomae schließlich hat das arbeitsreiche Lektorat übernommen. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Danken möchte ich in diesem Zusammenhang auch Dr. Arnim Lang (ehemals Forschungsbereich »Militärgeschichte nach 1945« am ZMSBw) für seinen »neutralen Blick« auf alles. In zwei weiteren Archiven fand ich gute Aufnahme und Unterstützung in der Suche nach relevantem Material. So danke ich Dr. Philipp von Boeselager und Herrn Knud Pillich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) sowie Frau Irene Schaarschmidt bei der Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen (BStU), beide in Berlin.

XIV

Vorbemerkung und Danksagung

Im Deutschen Historischen Institut Moskau hat mir Dr. Mathias Uhl durch aktuelle Hinweise die Augen für leider nur wenige, aber doch wichtige Quellen aus sowjetischen und russischen Archiven geöffnet, wofür ich ihm zu Dank verpflichtet bin. Herrn Oberstleutnant Nils Windhäuser, damals in SHAPE, danke ich für das Herstellen einer Verbindung zum dortigen Fotoarchiv. Durch den Kontakt zur Familie des ersten deutschen Verbindungsoffiziers bei Live Oak, Brigadegeneral Wilhelm Thomas, war es dankenswerterweise möglich, an seltenes Fotomaterial aus Privatbesitz zu gelangen, das zum Teil auch für dieses Buch genutzt wurde. Unentwegte Unterstützung fand ich in der Außenstelle des ZMSBw im 9. Stockwerk des Bundesarchiv-Militärarchivs durch den ›guten Geist‹ Frau Cynthia Flohr, einer Kennerin aller Wege und Möglichkeiten des Hauses; durch Herrn Albrecht Kästner zu allen Fragen die NVA betreffend, sowie bei meinem Schreibtisch gegenüber, Herrn Dr. Alexander Jaser, nicht zu vergessen die Herren Ulf Balke und Dr. Jürgen Förster, die meine Arbeit über viele Jahre fruchtbar begleiteten. Schließlich bin ich meiner Frau für ihre unendliche Geduld – mehr als ein Jahrzehnt! – und ihre nie versiegende, feste Hoffnung auf einen guten Schluss unendlich dankbar. Harald van Nes

I. Einleitung

Die Teilung Deutschlands und Berlins war bereits vor Kriegsende 1945 beschlossene Sache.1 Einige Monate zuvor hatten sich die Gegner des Deutschen Reiches auf die Aufteilung des besiegten Landes in zunächst drei Besatzungszonen, je eine amerikanische, britische und sowjetische, geeinigt. Die Reichshauptstadt Berlin sollte gemeinsam besetzt und regiert werden. Als vierte Macht erhielt im Mai 1945 auch Frankreich eine eigene Besatzungszone im Südwesten Deutschlands und in Berlin einen Sektor zugesprochen.2 Die prekäre Lage Berlins war von Anfang an offenkundig. Der von den drei westlichen Alliierten besetzte Teil lag seit der Aufteilung der ehemaligen Reichshauptstadt im Sommer 1945 wie eine »feindliche Insel im Roten Imperium« des sowjetischen Machtbereichs.3 Der amerikanische Präsident John F. Kennedy sollte Berlin am 25. Juli 1961 eine »Freiheitsinsel im kommunistischen Meer«4 nennen. Für die sowjetische Führung wurde Berlin rasch zum ständigen Ärgernis.5 Die Stadt war ein Vorposten, auch im wörtlichen Sinne, des kapitalistischen Feindes, der dadurch die Gelegenheit erhielt, insbesondere der Bevölkerung der DDR seinen gesellschaftlichen Gegenentwurf aufzuzeigen. Daher musste es zumindest mittelfristig das Ziel der sowjetischen Politik sein, diese »Insel« vollständig in den eigenen Machtbereich zu übernehmen.6 Die vom Kreml eingesetzte kommunistische Führung des sich entwickelnden zweiten deutschen Staatswesens, der späteren Deutschen Demokratischen Republik, sah das auch als ihr Ziel an.7 Für die drei westlichen Besatzungsmächte Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika, seit 1948 »gefühlte« und seit 1955 auch vertragliche Schutzmächte des westlichen Teils der geteilten Stadt, bedeutete diese Insellage eine per Siehe dazu Loth, Die deutsche Frage, S. 201‑288; zu den Folgen des Zweiten Weltkrieges allgemein auch Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 15‑28, bes. S. 19‑24. 2 Die hier relevante internationale rechtliche Lage ist in Kapitel II.4 dargestellt. Siehe auch die Grafik »Zugangswege« auf dem vorderen Vorsatzblatt. 3 PA AA, B 130/3.256, Ausarbeitung VLR I Dr. Hartlieb/200 vom 10.3.1959, Die gegenwärtige Krise, B.1, S. 10, Zit. ebd. 4 Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 14. 5 Chruščevs Aussagen sind deutlich: »Pfahl im Fleisch« usw. Siehe z.B. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 288 f.; sowie Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 241‑257. 6 Siehe hierzu Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 40‑49; auch Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 77‑84; Clay, Entscheidung, S. 406. Chruščevs Rede siehe in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 236, S. 296‑299, und Dok. 241, S. 301‑319. 7 Vgl. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 77‑84, v.a. S. 79. Aus Sicht der DDR z.B. BStU, MfS-HA IX 9098 vom 14.9.1977; und BArch, DVW 1/8758, Bestand von 1961/62. 1

2

I. Einleitung

manente, latente Gefahr.8 »Berlin war die schwächste Position des Westens«, so urteilte der Politologe Peter Graf von Kielmansegg.9 Solange sich die Siegermächte einträchtig gaben und korrekt miteinander umgingen, war diese Gefahr weniger spürbar. Sobald sich das Verhältnis aber trübte, sich gar Misstrauen und Feindseligkeit ausbreiteten, zeigte es sich, dass die lebenswichtigen Verbindungen gefährdet waren und jederzeit behindert und sogar unterbrochen werden konnten.10 Diese Lage war, nach einer längeren Phase zunehmend gegensätzlicher Entwicklungen, spätestens mit dem 20. März 1948 eingetreten, als die Sowjetunion den Alliierten Kontrollrat verließ und wenig später aus der Berliner Kommandantur auszog. Die dann folgende erste Berlin-Krise mit der Blockade aller Landverbindungen durch die Sowjetunion konnte 1948/49 nur unter großen Anstrengungen und erheblichen Opfern durch die Luftbrücke erfolgreich bewältigt werden.11 West-Berlin lag rund 160 km Luftlinie von Westdeutschland entfernt in einer nicht zu verteidigenden Position in einem gegnerischen, möglicherweise feindlichen Umfeld.12 Um die Stadt herum und im Raum zwischen Berlin und der Zonengrenze/innerdeutschen Grenze waren so starke sowjetische und seit Anfang der fünfziger Jahre zunehmend auch ostdeutsche Land- und Luftstreitkräfte konzentriert, dass sie alle Verbindungswege, auch die in der Luft, zu jeder Zeit schließen und jeden Versuch der gewaltsamen Öffnung unterbinden konnten.13 Die konventionellen Streitkräfte der Westalliierten und der NATO insgesamt waren zwar nach dem Schock des Koreakrieges und der Verschärfung des Ost-West-Gegensatzes verstärkt und die Verteidigungskraft in vielen Bereichen verbessert worden. Für einen entsetzenden Stoß nach Berlin wurden die verfügbaren Kräfte jedoch als zu schwach eingeschätzt.14 Die nukleare Überlegenheit Amerikas mochte zunächst beruhigen. Bereits in den fünfziger Jahren war indes einerseits bereits abzusehen, dass die Sowjetunion hier aufholen würde;15 andererseits befürworteten selbst nachhaltige Vertreter der gültigen NATO-Strategie der »Massisve Retaliation« nicht für jegliche aggressive Akte des Ostens einen Nuklearschlag. Insbesondere bei kleineren Provokationen konnte man nicht einen umfassenden Atomkrieg beginnen.16 Angesichts dieser Lage dürfte es den Sicherheitspolitikern und den militärischen Führern der Allianz, vor allem der drei Schutzmächte Berlins, beim Blick auf die Landkarte rasch unwohl geworden sein: In jeder neuen Berlin-Krise würde die Sowjetunion am we

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Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 38‑61; ebenso Grosser, Deutschlandbilanz, S. 459‑466. Kielmansegg, Nach der Katastrophe, S. 169. Beispiele dafür in: BArch, BW 71/127, Nr. 9: Chronology of Some Significant Soviet Attempts to Block or to Harass Allied Access to Berlin, 1.2.1968, beginnend März 1948. Siehe u.a. Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 38‑49; auch Clay, Entscheidung, S. 397‑459; sowie Ricklin, Das Berlinproblem, S.  229. Zur Luftbrücke siehe u.a. Davison, Die Blockade von Berlin. Neuer: Lemke, Die Berlinkrisen, S. 217‑222. Besonders wichtig Avoiding War, darin v.a. Fish, The Berlin Blockade. Vgl. auch Harrington, Berlin on the Brink. Vgl. hierzu Thoß, NATO-Strategie, S. 291. Siehe Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 50‑53; auch Thoß, NATO-Strategie, S. 294‑301; Wiggershaus, Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen; oder Lemke, Die Berlinkrisen. Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 67‑72, bes. S. 68‑70. Auch Eisenhower, Wagnis, S. 310 f. Wiggershaus, Elements of NATO’s Nuclear War Scenario, S. 77‑100. Auch Thoß, NATO-Strategie, S. 295 f. Siehe Greiner/Maier/Rebhan, Die NATO.



I. Einleitung

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sentlich längeren Hebel sitzen. Die Westmächte würden wenig Wirkungsvolles dagegen setzen können.17 »Der mögliche Verlust West-Berlins [würde] unkalkulierbare Risiken für die Glaubwürdigkeit der USA in Deutschland und der Welt nach sich ziehen.«18 Die Luftbrücke wurde als Option zwar weiter gepflegt. Es gab aber begründete Zweifel, ob ihre Nutzung allein die Versorgung Berlins sichern könnte und ob sie kräftemäßig überhaupt noch durchführbar wäre.19 Weitere Optionen, außer einigen älteren und umstrittenen amerikanischen Überlegungen, gab es nicht.20 Diese Lage änderte sich in den fünfziger Jahren nicht wesentlich und bestand auch noch, als der sowjetische Parteichef Nikita S. Chruščev am 10. November 1958 in einer Rede in Moskau forderte, das Besatzungsregime in Berlin zu beenden »und damit die Möglichkeit [zu] geben, eine normale Lage in der Hauptstadt der DDR zu schaffen«.21 Um dieser Verlautbarung Nachdruck zu verleihen, kam es am 14. November zur Blockade eines US-Konvois am Checkpoint Sierra Bravo in Babelsberg, einem Ortsteil Potsdams. In gleichlautenden Noten an die drei Westmächte vom 27. November 1958 wurde Chruščevs Forderung dann auch »amtlich«. Zunächst wurde erklärt, dass die Regierung in Moskau das Protokoll des Londoner Abkommens vom 12. September 1944 und die damit verbundenen Zusatzabkommen einschließlich des Abkommens über den Kontrollmechanismus in Deutschland zwischen den Regierungen der Vier Mächte vom 1. Mai 1945 »als nicht mehr in Kraft befindlich betrachtet«.22 Gleichzeitig machte der Kreml den Vorschlag, Berlin (West) zur »Freien Stadt« zu erklären. Er verband dies mit dem Vorwurf, die westliche Seite habe ihre Pflichten aus dem Potsdamer Abkommen nicht erfüllt.23 Damit hatte der sowjetische Parteichef das gesamte System der Nachkriegsregelung in Mitteleuropa in Frage gestellt und – durchaus bewusst – eine neue, schwere Berlin-Krise eingeleitet.24 Die Politiker der drei Westmächte fragten sich sorgenvoll: Welche Absichten hatte Chruščev? Wollte er Berlin nur als Hebel benutzen, um weiterreichende Ziele durchzu-

Zu den möglichen sowjetischen Absichten damals auch Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 67‑79 und S. 241‑259. 18 Thoß, NATO-Strategie, S. 297, nach NSC 5803 vom 7.2.1958. In grundsätzlichen Arbeiten spielt dieses Problem eine wichtige Rolle: z.B. Boin/Hart/Stern/Sundelius, The Politics of Crisis Management, in Kap. 4.2. »The battle for credibility«, S. 78‑81; oder immer wieder in dem Sammelband: Avoiding War. Mit politisch-militärischem Krisenmanagement beschäftigt sich auch Lemke, Die Allied Mobile Force, v.a. Kap. II. 19 So P.H. Nitze, Prospects of German Settlement, abgedr. in U.S. Congressional Record, vol. 105, part 4, S. 5370, Washington, 6.3.1959. Siehe auch Strauß, Die Erinnerungen, S. 384; und Thoß, NATO-Strategie, S. 297 und S. 307 f. 20 Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 296 f.; auch Burr, U.S. Policy, S. 11‑16, berichtet darüber. 21 Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 236, S. 296‑299 (Auszug der Rede), Zit. S. 298. Siehe auch Lemke, Die Berlinkrisen, v.a. S. 213‑217; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 26‑29. 22 Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 241, S. 313. 23 Wortlaut nach Documents on Germany, S. 552‑559; sowie Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 241, S. 301‑319, hier S. 316. 24 Siehe Speier, Die Bedrohung Berlins, S.  39; Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S.  47; Wetzlaugk, Die Alliierten, S.  62‑67; Adomeit, Die Sowjetmacht, Kap.  D, S.  259‑292. Zu Chruščevs Beweggründen gibt es interessante Hinweise in Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste. 17

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I. Einleitung

setzen? Welche Ziele konnten es sein?25 Oder wollte er die Stadt selbst gewinnen und in seinen Machtbereich eingliedern? Was konnten die Drei Mächte tun, um die wirklichen sowjetischen Absichten herauszufinden? Und was konnten sie tun, um einen Erfolg der angenommenen oder wahrscheinlichen Absichten und Ziele Chruščevs zu verhindern? Wie konnten »the Soviets be deterred from taking a risky course of action?«26 Welche Ziele verfolgten die westlichen Regierungen hinsichtlich Berlins und des ungehinderten freien Zugangs? Dieser, wenn man so will, unmittelbare Fragenkatalog führte ins Zentrum des OstWest-Konfliktes bis 1989 und berührte zugleich mit Berlin einen der neuralgischen Punkte im bipolaren System. Berlin besaß dabei auch den Status einer global herausragenden Konfliktzone. Aufbauend auf diesem Konfliktfeld soll die nachfolgende Studie die Reaktion des westlichen Bündnisses anhand des Fallbeispieles Live Oak auf breiter Basis beleuchten. Dabei wird es unter anderem darum gehen, wie die drei Westmächte, später ergänzt durch die Bundesrepublik, Gegenmaßnahmen entwickelten, um einerseits den sowjetischen Erpressungsversuchen nicht nachzugeben, andererseits aber eine Eskalation zu verhindern. Es entstanden allerlei weitere Fragen, hier etwa nach Einbeziehung der NATO, die nicht automatisch in die Besatzungsverwaltung integriert werden konnte, oder nach der politischen Kontrolle der militärischen Instrumente. Dabei soll es keineswegs nur um Detailprobleme gehen, sondern eine historische Folie für das Funktionieren der Vier Mächte und der NATO sowie deren Krisenma­nagement in aller Breite und Tiefe am historischen Beispiel geboten werden.27 Ansatzweise wird ferner eine blockübergreifende, diachrone Perspektive gewählt. Diese wird sich an einem zusätzlichen Fragenkatalog orientieren: Welche Rolle spielte die DDR angesichts der Anstrengungen zu ihrer gerade vom Kreml als nötig erachteten Stabilisierung?28 Welches waren aus heutiger Sicht die Absichten der sowjetischen und der DDR-Führung über den gesamten Zeitraum bis 1990? Welche Risiken waren sie bereit einzugehen? Hatten sie die westlichen Absichten und Maßnahmen gegen die von der sowjetischen Regierung vorgebrachten Forderungen in Bezug auf Berlin erkannt? Welche Konsequenzen zogen sie? Mit diesem Buch soll sowohl ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges geleistet werden als auch historisch-politische Orientierung für das heutige Krisenmanagement der NATO. Die Allianz hat den Kalten Krieg nicht nur überlebt, sondern sie hat ihre inneren Prinzipien beibehalten, trotz aller – teils erheblich – gewandelten Rahmenbedingungen. Der Kalte Krieg ist insofern keine verstaubte Geschichte, sondern unverzichtbarer Bestandteil für die Betrachtung heutiger Krisen, von denen es, auch in geografischer Nähe der Allianz, genügend gibt. Zu den vermuteten Absichten siehe auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  33‑45, v.a. S. 37 f. 26 Burr, U.S. Policy, S. 10. Siehe hierzu auch George, The Tension. 27 Zum politischen Krisenmanagement allgemein und während des Kalten Krieges siehe insbesondere die Sammelbände: Avoiding War; International Crisis; sowie Boin/Hart/Stern/Sundelius, The Politics of Crisis Management; und Lemke, Die Allied Mobile Force. 28 Zu den Reaktionen siehe u.a. Eisenhower, Wagnis, S.  296‑303; und Adenauer, Erinnerungen 1955‑1959, S. 454‑468. 25



I. Einleitung

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Zur Quellenlage ist Folgendes anzumerken: Die Akten des Bestandes BW  71 im Bundesarchiv konnten nach Beendigung der Erschließung im Jahr 2007 vollständig genutzt werden. Die Masse der Dokumente ist in englischer Sprache verfasst, viele auch in Französisch und Deutsch. Es handelt sich um Originalmaterial, das allerdings teils schlecht lesbar ist, da die damaligen Beschreibstoffe (Durchschlag- und Faxpapier) vergilbt sind oder sonstigen Schaden genommen haben. Der Bestand setzt sich im Grunde aus zwei Teilen zusammen: dem Teil »Deutscher Verbindungsoffizier« (German Liaison Officer, GLNO) und dem Teil »Operationszentrale« (Operation Centre). Im zweiten Teil sind vor allem die offiziellen Dokumente und Vorgänge enthalten, die Live Oak als Vier-Mächte-Stab betrafen. Die Gegenakten der NATO, der nationalen Außen- und Verteidigungsministerien sowie der nationalen militärischen Dienststellen sind nicht ohne Weiteres zugänglich. Die einzelnen Nationen verfuhren bzw. verfahren unterschiedlich. Die USA stellten früh mindestens politische Dokumente zu diesem Thema ins Netz und in den Archiven zur Verfügung. Die Briten waren ebenfalls verhältnismäßig großzügig, die Deutschen und Franzosen jedoch deutlich weniger. Da viele Dokumente aus den frühen Jahren nach Inkrafttreten neuer Fassungen vernichtet werden mussten, klaffen in den sechziger und siebziger Jahren größere Lücken in der Überlieferung. Manches konnte aus zumindest teilweise offengelegten Beständen beteiligter Ministerien erschlossen werden. Während relevante Bestände des BMVg, FüS III 2 (BW 2) und der Luftwaffe (BL 2) sowie im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes offengelegt und eingesehen werden konnten, musste, nicht zuletzt aus Zeit- und Finanzgründen, auf Reisen zu den relevanten Archiven in London, Paris und Washington verzichtet werden. Dort ist in Bezug auf Live Oak ohnehin vieles bis heute noch nicht einsehbar oder nicht nutzbar. Immerhin konnten online publizierte Quellenwerke, insbesondere die Aktenserie des State Department »Foreign Relations of the United States« (FRUS) zu den Jahren 1958 bis 1960 (Band VII, VIII und IX zu Western Europe bzw. zur Berlin-Krise) und 1961 bis 1963 (Band XIV und XV zur Berlin-Krise) verwendet werden. Der zentrale Quellenwert ist aber der Bestand BW 71 im Bundesarchiv. Als wirkliche Hilfe erwies sich, dass die NATO in Brüssel im Sommer 2011 eine große Anzahl relevanter Dokumente zur zweiten Berlin-Krise herabgestuft, offen gelegt und sogar ins Internet gestellt hat.29 Die Akten der Sowjetunion sind, mit wenigen, aber wichtigen Ausnahmen, für dieses Thema nach wie vor nicht zugänglich. Einen gewissen Ersatz bieten offene, offizielle und offiziöse Quellen. In geringerem Maße konnten auch Informationen des Bundesnachrichtendienstes (BND) genutzt werden. Die Aktenbestände der DDR, besonders der Ministerien für Staatssicherheit (MfS) und für Nationale Verteidigung (MfNV), sind inzwischen fast vollständig nutzbar. Einiges aus diesen Beständen wurde herangezogen.

Military Planning for Berlin Emergency, 6 vols. Hinsichtlich der im Politischen Archiv offengelegten Akten ist folgendes zu bemerken: Diese sind Teil der Aktenpublikation Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, deren Bände für die Jahre 1958 bis 1962 noch ausstanden. Inzwischen sind die Bände für 1961 erschienen. Aus Zeitgründen (Redaktionsschluss) werden die in der vorliegenden Arbeit zitierten Akten des PA für das Jahr 1961 noch unter der jeweiligen Archivsignatur aufgeführt; sie können in der Regel aber bereits in den drei Bänden der ADAP zu 1961 eingesehen werden.

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I. Einleitung

Zum Forschungsstand zu Live Oak braucht nicht viel angemerkt zu werden, denn dieser ist bis auf eine Publikation von Gregory Pedlow nicht existent. Insofern leistet diese Arbeit Grundlagenforschung.

II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

1. Kriegsende und Nachkriegszeit 1943 bis 1958 Die Mitglieder der Koalition gegen das Deutsche Reich einte vor allem ein gemeinsames Ziel: den Krieg zu gewinnen. Im Übrigen waren Interessen, Absichten und Ziele des atlantischen Teils dieses Bündnisses – des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten – auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite sehr unterschiedlich, teils sogar gegensätzlich.1 Auch das jeweils gewünschte Ergebnis des zunächst erhofften, dann sicher erwarteten Sieges war eher antagonistisch: Während die Sowjetunion hoffte, durch die Niederwerfung des Deutschen Reiches die Voraussetzungen für die Einbeziehung Europas in den kommunistisch-sozialistischen Machtbereich zu schaffen und gleichzeitig auch eine geografische Sicherheitszone zu errichten, um zu verhindern, dass jemals wieder ein Krieg auf sowjetischen Boden stattfand, wollten Briten und Amerikaner genau das verhindern und mindestens wesentliche Teile Mitteleuropas für den eigenen Macht- und Einflussbereich gewinnen.2 So traten die Mitglieder der Koalition als Konkurrenten in einer Art Wettlauf an: Wer würde nach dem Krieg in der besseren Ausgangslage sein, die Entwicklung in Europa zu beeinflussen?3 Die entsprechenden Planungen nahmen bereits in der ersten Kriegshälfte Gestalt an. Den ersten Schritt auf diesem Weg taten die Briten bereits im Spätjahr 1941, wenige Monate nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion und dem dadurch provozierten Eintritt Stalins in die Koalition gegen Deutschland: Vom 16. bis 28. Dezember 1941 besuchte der britische Außenminister Anthony Eden Moskau, um dort mit Stalin über Nachkriegseuropa und Nachkriegsdeutschland zu sprechen.4 Nach der Kriegswende im Winter 1942/43 suchten die Verbündeten in der Moskauer Konferenz vom 19. bis 30. Oktober 1943 Wege in diese Zukunft. Die drei Außenminister, Eden, Cordell Hull

Die Literatur dazu ist sehr umfangreich: siehe z.B. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd 10/2, darin besonders Loth, Die deutsche Frage. 2 Siehe u.a. Heller/Nekrich, Geschichte der Sowjetunion, Bd 2, 2. Teil, Kap. 16: Bilanz, S. 103‑125; für die Verifizierung der wirklichen sowjetischen Absichten fehlen leider noch die Originalquellen aus Moskau. Siehe auch Gilbert, Winston S. Churchill, vol. 7, S. 1047‑1350; sowie Loth, Die deutsche Frage. 3 Gilbert, Winston S. Churchill, vol.  7, S.  1176‑1218, bes. S.  1265; Loth, Die deutsche Frage, S. 202‑378. Zu gewissen Aspekten auch Schunck, Charles de Gaulle, v.a. S. 283‑361. Zu den Konsequenzen für den Westen AWS, Bd 1. Auch Thoß, NATO-Strategie, S. 1‑10. 4 Broad, Sir Anthony Eden, S. 160 f. Zu den britischen Überlegungen Loth, Die deutsche Frage, S. 202‑212 und v.a. S. 248 f. 1

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II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

und Vjačeslav M. Molotov, kamen überein, in London eine europäische beratende Kommission (European Advisory Commission, EAC) einzusetzen, »um die engstmögliche Zusammenarbeit zwischen den Regierungen bei der Prüfung der europäischen Fragen sicherzustellen, die sich während des weiteren Kriegsverlaufs ergeben.«5 Diese Kommission hat tatsächlich große Bedeutung erlangt: Ein britisches Memorandum zur Einteilung, zum Zuschnitt der Besatzungszonen in Deutschland und in Berlin sowie zum Kontrollsystem bildete die Grundlage für ihre weitere Arbeit, die dann in den beiden Londoner Protokollen vom 12. September und 14. November 1944 vorläufig abgeschlossen wurde.6 Auf der Konferenz der Großen Drei in Jalta auf der Krim im Januar 1945 wurden diese Vorschläge gebilligt und der Einrichtung einer vierten, der französischen Zone, grundsätzlich zugestimmt.7 In einem Zusatz wurden diese Protokolle am 1. Mai 1945 dann formell ergänzt.8 Bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 war Berlin ausschließlich von der Roten Armee erobert und besetzt worden. Die westlichen Alliierten hingegen standen weit in der künftigen sowjetischen Besatzungszone. Daher mussten in der Folge Gebiete geräumt, Demarkationslinien geklärt und andere, zugewiesene Räume besetzt werden. Da diese und andere Fragen vorab nicht ausreichend geklärt worden waren, holte man Entsprechendes nun nach. Am 5. Juni erklärten die Alliierten in der 1. Sitzung des Alliierten Kontrollrates ausdrücklich die Übernahme der Obersten Regierungsgewalt in Deutschland und die tatsächliche Einrichtung der Vier-Mächte-Verwaltung Berlins. In Briefen zwischen Stalin und dem neuen US-Präsidenten Truman wurden die Modalitäten der Übergabe bzw. Übernahme der zunächst von den Amerikanern und Briten besetzten Teile des damaligen Mitteldeutschlands und der Sektoren West-Berlins geregelt.9 Einzelabsprachen für die Zoneneinteilung in Berlin trafen die Generale Lucius D. Clay, Georgij K. Žukov und Sir Ronald Weeks am 29. Juni 1945.10 In den ersten Julitagen trafen die britischen und amerikanischen Besatzungstruppen in Berlin ein. Am 11. Juli hielt die Alliierte Kommandantur ihre erste Sitzung ab. Vereinbart wurde u.a. die unbegrenzte Bewegungsfreiheit zwischen den Sektoren in Berlin.11 Frankreich war den Londoner Protokollen von Herbst 1944 mit der ergänzenden Vereinbarung vom 1. Mai 1945 dann am 26. Juli 1945 beigetreten. Dadurch wurde aus der Drei-Mächte- eine Vier-Mächte-Verwaltung Deutschlands und Berlins.12 Am 12.  August übernahmen französische Truppen die Verantwortung für ihren Sektor in der Stadt. Die Rechtslage der Stadt Berlin gründete sich ab dem 8. Mai 1945 auf zwei Rechtsquellen: auf den (völkerrechtlichen) Besatzungsrechten, die das Verhältnis zwischen Besatzungsmacht und der Bevölkerung des besetzten Gebietes herstellten und regelten, sowie den besonderen Vereinbarungen, die das Rechtsverhältnis zwischen den einzelnen Chronik der Ereignisse, S. 5; und Loth, Die deutsche Frage, S. 263‑274. Vgl. Documents on Germany, S. 1, 3 und S. 6‑9. Ebd., S. 10 f. Ebd., S. 12 f.; siehe auch Loth, Die deutsche Frage, S. 245‑321. Documents on Germany, S. 39 f. 10 Ebd., S. 42. 11 Vgl. Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 31‑34. Über diese Sitzung steht im Zusammenhang mit dieser Studie nur wenig in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 18, S. 16. 12 Documents on Germany, S. 44‑48. 7 8 9 5 6



II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

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Besatzungsmächten untereinander bestimmten sowie die Rechte und Pflichten in Bezug auf die Art der Ausübung der Besatzungsrechte hervorhoben.13 Die Konferenz der Siegermächte in Potsdam vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 versuchte, die politische Entwicklung Europas nach der Kapitulation Deutschlands zu regeln oder zumindest vorzubereiten.14 Da die Differenzen zwischen den Siegern rasch deutlich wurden, gelang dies nur in Ansätzen. Man konzentrierte sich in erster Linie auf das kurzfristig Notwendige. Zu den wichtigsten Punkten, die auch für Berlin früh hätten erhebliche Bedeutung erlangen können, zählte vor allem die Einrichtung eines »Rates der Außenminister« (EAC), der u.a. den Auftrag erhielt, ein »peace settlement for Germany« vorzubereiten.15 Der politisch entscheidende Passus der Potsdamer Vereinbarungen betraf die Hoheitsgewalt über Deutschland und wurde wie folgt festgelegt: »supreme authority on Germany is exercised, on instructions from their respective Governments, by the Commander-in-Chief [...] each in his own zone of occupation, and also jointly, in matters affecting Germany as a whole, in their capacity as members of the Control Council.«16 Dieser Bestimmung kam bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 zentrale Bedeutung zu, da sie die gemeinsame Verantwortung der vier Siegermächte für »Deutschland als Ganzes« begründete.17 Im Laufe des Herbstes 1945 und des folgenden Winters wurde versucht, den ungehinderten Zugang der westlichen Besatzungsmächte von und nach Berlin vertraglich zu regeln, was jedoch nur für den Luftweg befriedigend gelang. Zwischen 1945 und 1949 verschlechterten sich die Beziehungen der drei Westalliierten zur Sowjetunion dann rasch und grundlegend.18 Die drei Westmächte rückten trotz einiger Rückschläge und Krisen immer mehr zusammen.19 Während die drei westlichen Besatzungsmächte wegen des besonderen Status der Stadt vor Ort recht vorsichtig handelten, traten die Besatzungsmacht und die SED in der Ostzone und vor allem in Berlin mit dem Ziel an, in ganz Berlin die Macht zu übernehmen und die Westmächte aus der Stadt zu drängen. Die Position des Westens sollte durch Druck aller Art auf Berlin geschwächt und die westlichen Integrationsanstrengungen ausgehebelt werden.20 In den Jahren 1946 und 1947 entfernten sich nicht nur die politischen, sondern auch die wirtschaftlichen Vorstellungen der Sowjetunion und die der Westmächte immer weiter voneinander.21 Eine Rolle spielten hier insbesondere der 15 16 17 13 14



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Siehe die detaillierte Darstellung dazu in Kap. II.4. Siehe das Protokoll der Konferenz in Documents on Germany, S. 54‑65 (Auszüge). Ebd., Abschn. I.A (1) und (3), S. 54 f. Siehe Abschnitt II.1, ebd., S. 56. Hervorhebung des Verf. Ebd., S. 56‑65; siehe auch Ricklin, Das Berlinproblem, S. 324 und v.a. S. 326. Zur Bedeutung dieses Paragrafen Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, v.a. S. 9‑16 und S. 345‑385; und Loth, Die deutsche Frage. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S.  40‑46; sowie Müller, Der Zusammenbruch des Wirtschaftslebens, S. 130‑189. Siehe u.a. Nolte, Deutschland und der Kalte Krieg, v.a. S.  218‑235; aktueller: Weltpolitik der USA, Teil I: Genese des Kalten Krieges, S. 23‑63; Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 53‑80; Deutschland unter alliierter Besatzung, S. 21‑89. Vgl. dazu Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 97‑142 und v.a. S. 143‑238. Siehe z.B. die Berichte von U.S. Secretary of State James F. Byrnes vor den Außenministern am 20.5.1946, Documents on Germany, S. 85‑87, und am 15.7.1946, ebd., S. 88‑90.

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II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

Entschluss der drei Westmächte im März 1948, ihre Besatzungszonen zusammenzulegen (Trizone), und die Einführung der Deutschen Mark im Juni 1948. Als der sowjetische Oberbefehlshaber, Marschall Vasilij D. Sokolovskij, am 20. März 1948 den alliierten Kontrollrat verließ,22 war die gemeinsame Verwaltung Deutschlands durch die Vier Mächte de facto beendet. Die vierte Macht kehrte nicht zurück. Drei Monate später, am 16. Juni 1948, komplettierte der Auszug der sowjetischen Delegierten aus der Alliierten Kommandantur in Berlin diese Entwicklung. Um den Schaden wenigstens symbolisch und psychologisch in Grenzen zu halten, stellten die drei westlichen Stadtkommandanten in einer Erklärung vom 21. Dezember 1948 fest, dass die Alliierte Kommandantur nicht aufgehört habe zu bestehen, obwohl sie wegen der Weigerung des sowjetischen Vertreters, an den Sitzungen teilzunehmen, ihre Arbeit vorübergehend eingestellt habe. Die drei westlichen Kommandanten würden die Aufgaben weiter ausüben, beschränkt auf ihre Sektoren.23 Der Vier-Mächte-Status der Stadt wurde formal auch nicht beendet, sondern gegen Ende der Berlin-Blockade und als Voraussetzung für die Lösung im sogenannten Jessup-Malik-Abkommen vom 4. Mai 1949 noch einmal bestätigt.24 Auf den Auszug der sowjetischen Delegierten aus der Alliierten Kommandantur folgten, eingebettet in den schärfer werdenden Ost-West-Gegensatz, viele kleine und zwei große Krisen um Berlin und auf den Zugangswegen.25 Die erste große Berlin-Krise 1948/49, die Blockierung sämtlicher Zugänge Berlins auf dem Landwege durch sowjetische Kräfte, setzte im Grunde die Parameter für alle folgenden Krisen und letztlich auch für die westlichen Ansätze für das Krisenmanagement. Dabei zeigte das sowjetische Verhalten und Vorgehen gewisse Muster, die auch in späteren krisenhaften Entwicklungen zu beobachten waren: Auf der einen Seite betrachtete die sowjetische Führung »Die Insel«26 Berlin tief in der SBZ/DDR als überaus störend; sie war ein »schmerzender Dorn« im Fleische der Sowjetunion.27 Andererseits bot gerade deswegen Berlin der Sowjetunion große Möglichkeiten. Denn die exponierte Lage der Stadt erlaubte es immer wieder und ohne langen Vorlauf, Druck auf die westlichen Schutzmächte und die deutsche Bevölkerung auszuüben, wo es diese besonders schmerzte, also auf den Zugangswegen. Weil die Wirkung dort schnell und unter geringem Risiko zu erreichen war, bot es sich an, hier anzusetzen, um den Westen zu erpressen und zu Zugeständnissen zu veranlassen.28

Seine Erklärung ebd., S. 142. Ebd., S. 194. 24 Ebd., S. 221. Das Abkommen von 1949 ist benannt nach dem amerikanischen Juristen und Diplomaten Philip C. Jessup und dem stellvertretenden sowjetischen Außenminister Jakov A. Malik, damals beide Botschafter bei den Vereinten Nationen. 25 In gebotener Kürze recht gut dargestellt z.B. im Sonderheft »Berlin« der vom BMVg herausgegebenen Schriftenreihe »Innere Führung« von 1961, Heft 16 der Reihe »Bundesrepublik«. Umfassender in Herzfeld, Berlin in der Weltpolitik, 4. Kap., S. 212‑286. 26 So der Titel des Buches über »Eine Geschichte West-Berlins« von Wilfried Rott. 27 Wie Chruščev gegenüber US-Senator Hubert Humphrey zugab. Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 34. Zu den Gründen siehe u.a. Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 230. 28 BArch, BW 2/17641, Heft 11; siehe hierzu die interessante Aufzeichnung »Vier Jahre Berlinkrise«, PA AA, AB.84.20/1419/62 III, 13.11.1962, bes. S. 4. 22 23



II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

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Der sowjetischen Führung kam die prekäre Lage Berlins letztlich sehr entgegen. Die Stadt lag mit ihren zwei Millionen Einwohnern nur in den Westsektoren tief im Hinterland der DDR, umgeben und eingeschlossen von starken, massierten Land- und Luftstreitkräften des Warschauer Paktes, politisch und wirtschaftlich fast vollständig abhängig von wenigen, langen, dazu stets gefährdeten Versorgungs- und Transportwegen zu Lande und in der Luft.29 Aufgrund dieser Bedingungen war es ein Leichtes, nicht nur physischen, sondern auch psychischen Druck auf die Westmächte und die Bundesrepublik auszuüben. Man bediente sich dabei der Bevölkerung Berlins, die, stets unter dem Eindruck von Not und Gefahr stehend, während der Blockade Schikanen befürchtete und sehr sensibel reagierte.30 Aus westlicher Sicht war es äußerst schwierig, die wahren Hintergründe zu erkennen und dann die angemessenen, auch psychologischen Gegenmaßnahmen in diesem Poker zu ergreifen. Die militärischen Kräfte der drei Alliierten waren schon 1945 verringert und bis Ende der vierziger Jahre weiter abgebaut worden, sodass sie, vor allem zu Lande, kaum noch über operative Fähigkeiten verfügten. Diese Tatsache verringerte für die Sowjetunion die Risiken, wenn sie die Landverbindungen störte oder zeitweise unterband. Meist blieben die sowjetischen Absichten verschwommen. Es war unklar, ob es sich bei einer Blockademaßnahme um eine lokale, zeitlich begrenzte Störung, um einen veritablen Bluff oder aber doch um den ersten Schritt in eine gewollte, politisch-militärische Eskalation handelte. Allerdings spielten Überlegungen, Atomwaffen (A-Waffen) zu nutzen, zunächst noch keine Rolle. Die Krise der Blockade 1948/49 wurde aus westlicher Sicht durch die Luftbrückenoperation bewältigt – eine enorme politische Kraftanstrengung und großartige logistische Leistung mit erheblichem Symbolcharakter (gewissermaßen als »Antwort« auf Ernst Reuters dramatischen Appell an die »Völker der Welt«), am 9.  September 1948, die auch für die kommenden Dekaden große Bedeutung behalten sollte. Daraus erwuchs der Ansporn, die Pläne für die Wiederholung einer solchen Krise vorzubereiten und laufend zu überprüfen. Man wollte nicht wieder unvorbereitet getroffen werden.31 In den folgenden Monaten und Jahren erschütterten zahlreiche Krisen und Konflikte Europa und die Welt, etwa der Bruch Jugoslawiens mit der UdSSR 1948, der Koreakrieg 1951‑1953, der 17. Juni 1953 in der DDR, die Unruhen in Polen, die Suez-Krise, der

»Der Osten ist nah und der Westen ist fern« sangen die ›Insulaner‹ während der Blockade, siehe Rott, Die Insel, S. 86. 30 Siehe die Darstellung bei Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 220 f. sowie S. 226‑239. Auch bei Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 13‑24; und Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 287 f. Die Verwundbarkeit Berlins wird unterstrichen durch eine Chruščev zugeschriebene Aussage: »Berlin is the testicle of the West. When I want the West to scream, I squeeze on Berlin«, 24.8.1963. Gelb, The Berlin Wall, S. 1. Vgl. dazu auch AlliiertenMuseum Berlin museumsmagazin vom 3.1.2012: »Brennpunkt Showdown am Checkpoint Carlie«. Einer quelle zufolge file das Zitat in einer Rede in Jugoslawien am 24.8.1963: http//izquotes.com/quote/243832. Wie bei allen Zitaten ist Vorsicht hinsichtlich der Authentizität geboten. 31 Zur Blockade und zur Luftbrücke siehe Davison, Die Blockade von Berlin; sowie Morris, Blockade. Neuere Literatur: Lemke, Die Berlinkrisen, S. 221 f. Aus Sicht der Krisenbewältigung damals siehe Fish, The Berlin Blockade. 29

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II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

Ungarnaufstand und der Sechstagekrieg 1956. All dies zeitigte auch direkte oder indirekte Auswirkungen auf Berlin. Einige wenige, für den Zugang nach Berlin markante Ereignisse in den Korridoren seien hier genannt. Im Frühjahr 1950 wurde der alliierte Militärverkehr über die Autobahn mehrmals verzögert.32 Am 29. April 1952 griffen sowjetische Jagdflugzeuge ein Flugzeug der »Air France« in einem Korridor an. Die sowjetische Seite verweigerte im Mai 1952 eine Woche lang die Abfertigung von Fahrzeugen der Amerikaner und Briten auf der Autobahn Berlin–Helmstedt. Im Herbst des Jahres behinderten und beschossen sowjetische Flugzeuge ein US-Lazarettflugzeug im Luftkorridor. Eine gefährliche Steigerung bedeutete schließlich der Abschuss eines britischen Bombers durch sowjetische Jagdflugzeuge am 12. März 1953. Im Jahr 1955, am 20. September, vereinbarten die Außenminister der Sowjetunion und der DDR durch einen Briefwechsel, dass die DDR die Kontrolle über alle ihre Grenzen übernahm. Die Kontrolle über die Verbindungswege der Westmächte solle aber bei der Sowjetunion bleiben, bis ein Abkommen anderes bestimme. Der Transport von Militärpersonal und Material der drei Westmächte blieb geregelt wie bisher.33 Eine Woche später folgte die Reaktion des Westens: Die Note der drei Westmächte vom 28. September stellte u.a. fest, dass die Sowjetunion in keiner Weise von bisherigen Verpflichtungen gegenüber Deutschland freigestellt sei und im Besonderen auch nicht von der Verantwortung für den Verkehr von und nach Berlin.34 Dieses bestätigten die Sowjets zwar in ihrer Antwort einen Monat später, es könne aber nur noch zeitlich begrenzt so weiter gelten.35 Damit hatte sich eine Art Status quo etabliert, der dann drei Jahre später durch die harsche Rede Chruščevs am 10. November und die anschließenden gleichlautenden Noten der Sowjetunion an die drei Westmächte vom 27. November 1958 beendet wurde. Daraus folgte die zweite große Berlin-Krise, die mehrere Jahre andauerte.

2. Die strategische Bedrohung36 Die Sowjetunion konsolidierte bis Mitte der fünfziger Jahre ihren Machtbereich in Europa und baute ihren Einfluss trotz erheblicher Widerstände, wie etwa den Arbeiteraufstand in der DDR 1953, aus. Im Westen wurde spätestens mit der Doppelkrise um Ungarn und den Suez-Kanal 1956 klar, dass die Sowjetunion nicht so leicht einzudämmen Quelle für die Informationen in diesem Absatz: »Chronology of Events 1941‑1962« zu und von Live Oak, ohne weitere Bezeichnung, im Besitz des Verfassers. 33 Das »Bolz-Zorin-Abkommen«, nach den Namen der beiden beteiligten Außenminister, Lothar Bolz und Vladimir A. Zorin, siehe Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 199, S. 240 f. 34 Ebd., Dok. 203, S. 243. 35 Ebd., Dok. 204, Note der UdSSR vom 18.10.1955, S. 243 f. 36 Hauptsächliche Literatur: Thoß, NATO-Strategie, S. 304; auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 172‑194; Weltpolitik der USA, bes. Bedrohungsanalyse, S. 73‑79 und S. 235‑239; neuer: Krisen im Kalten Krieg, S. 7‑23; auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 25‑68; und Uhl, Krieg um Berlin?, S. 87‑89 und S. 152‑182. 32



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war, wie dies in den vierziger Jahren zumindest als Möglichkeit noch ventiliert worden war (Marshallplan, »Containment«). Im Gegenteil, die militärischen Stäbe der Westmächte hatten schon vor 1950 erhebliche Befürchtungen in Bezug auf die Schlagkraft der Roten Armee gehegt und entsprechende Verteidigungspläne entwickelt. Diese sahen anfangs kaum Abwehrchancen gegen einen Angriff aus dem Osten – eventuell sogar einen Rückzug vom europäischen Kontinent bis auf die Azoren. Nach einem Einsatz von Atomwaffen sollte dann eine Wiederoberung gemäß dem Vorgehen nach der Landung in der Normandie 1944 erfolgen. Die Einsetzung eines kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei im Frühjahr 1948, die Berlin-Blockade 1948/49, die Erprobung der ersten sowjetischen Atombombe sowie der Erfolg der kommunistischen Revolution unter Mao in China veranlassten die Staaten des Westens schließlich dazu, sich im April 1949 zum Nordatlantikpakt, zur NATO, zusammenzuschließen. Dieser sollte jedoch, unter amerikanischer Führung, zunächst nur der politischen Koordinierung und Abschreckung dienen. Teils aus innenpolitischen, teils aus wirtschaftlichen Gründen und auch, weil die Bedrohung Europas durch die sowjetische Machtentfaltung anfangs unterschiedlich beurteilt wurde,37 verzichtete man auf eine gemeinsame Verteidigungsorganisation und auf eine forcierte Aufrüstung. Der Überfall des kommunistischen Nordens auf Südkorea im Sommer 1950 war ein Schock für die westliche Welt. Der Koreakrieg (1950‑1953) brachte ein Umdenken in der NATO. Man befürchtete, dass Ähnliches auch in Europa geschehen könnte. Die Frage lautete jetzt: Wie kann das Bündnisgebiet gegen einen vergleichbaren Aggressor wie in Korea verteidigt werden? Die Allianz entschied, eine Strategie der Vorneverteidigung so weit östlich wie möglich mit dazu befähigten Kräften zu beginnen. Das machte den Aufbau wesentlich stärkerer Streitkräfte als vorhanden und bis dahin vorgesehen notwendig. Der Nordatlantikrat forderte daher den damals zuständigen Verteidigungsausschuss auf, die dafür angezeigten Maßnahmen zu ergreifen. Zur Abschreckung eines Angreifers waren angemessene integrierte Streitkräfte unter einheitlicher Führung aufzubauen, d.h. unter einem von der NATO ernannten Obersten Befehlshaber.38 Die erste strategische Weisung des Bündnisses für die Verteidigung des Bündnisgebietes, niedergelegt im Military Committee Paper MC 14/1 »Strategy Guidance« vom 9. Dezember 1952, war ein noch sehr unvollkommener Versuch, Ziele und Mittel in Einklang zu bringen. Es wurde schnell klar, dass es unmöglich war, den hier festgelegten Streitkräfteumfang zu erreichen.39 Auch der Aufbau der dann eventuell vorzusehenden deutschen Kontingente würde erst in Jahren wirksam werden können, zunächst also keine Abhilfe bringen.40 Da bot es sich für die Abschreckung an, überlegene, permanent einsatzbereite Nuklearstreitkräfte aufzustellen, welche die USA unter Beteiligung der beiden anderen entstehenden Atommächte Frankreich und Großbritannien bereitstellen sollten. Diese Idee fand große Unterstützung, besonders bei den Briten, weil dadurch sowieso vorge Vgl. Wiggershaus, Der Weg der Bundesrepublik, S. 37 f.; und Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, S. 478, 497‑502. 38 Siehe hierzu Bechtol, Paradigmenwechsel des Kalten Krieges. 39 Siehe hierzu Thoß, NATO-Strategie, S. 39, 47 f. und S. 332‑354. 40 SHAPE History, vol. 3, S. 35‑38; MC 14/1 in NATO Strategy Documents, S. 193‑229; hierzu auch Thoß, NATO-Strategie, S. 49 mit Anm. 22. 37

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sehene Reduzierungen bei den konventionellen Streitkräften, mit dem Ziel, kräftig zu sparen, leichter zu begründen waren. Unter diesem neuen, nuklearen Schirm konnten schwächere Kräfte wieder eine Vorneverteidigung mit Aussicht auf Erfolg wagen. Diese Überlegungen wurden nun auch für die Sicherung Berlins bedeutsam, weil dadurch die Offenhaltung der Zugangswege durch konventionelle Streitkräfte zumindest theoretisch wieder denkbar wurde. Dass Atomwaffen ein verheerendes Zerstörungspotenzial aufwiesen, das den Sinn jeglicher Verteidigung in Frage stellte, wurde erst später und vor allem nach der atomaren Aufrüstung der Gegenseite deutlich. Die potenziell desaströsen Konsequenzen dieser neuen Strategischen Weisung MC 14/2, der Massive Retaliation von 1957,41 machte erstmals die Luftübung der NATO »Carte Blanche« im Juni 1955 deutlich sichtbar.42 Hatte sich also im militärischen Bereich mit der analog zur Abrüstung entwickelten Strategie, der Massive Retaliation, zumindest eine – wenn auch für Deutschland wenig erbauliche – Möglichkeit auf realistische Abwehr eines massiven Schlages aus dem Osten ergeben, so blieben die politischen Auspizien weiter düster bzw. sie verschlechterten sich noch. Ende der fünfziger Jahre ging man im Westen davon aus, dass die Sowjetunion sich als Fernziel die Erringung der Weltherrschaft gesetzt habe. Zwischenziele sollten den Weg bereiten, etwa die volle Anerkennung der DDR und die Bewahrung des Status quo in Europa, vor allem zur Sicherung der Sowjetunion vor möglichen westlichen Angriffen, die Verhinderung der nuklearen Bewaffnung der Bundeswehr, der Abzug der US-Streitkräfte aus Europa und darauf folgend der Zerfall der NATO, schließlich die Einbeziehung ganz Deutschlands in den sowjetischen Machtbereich.43 Die Sowjetunion verstärkte ihre militärische Macht kontinuierlich und schuf durch die Bildung des Warschauer Paktes 1955 ein Gegengewicht zur NATO. In Mitteleuropa, vor allem in der DDR, hatte sie auf engem Raum starke Land- und Luftstreitkräfte stationiert. Diese wiesen einen hohen Präsenzgrad auf, befanden sich in einer günstigen geografischen Lage, waren weit nach Westen vorgeschoben und profitierten von einem Raum mit leistungsfähiger Infrastruktur.44 Sie waren so – auf der »Inneren Linie« stehend45 – gut geeignet, jede Politik der Sowjetunion in Europa eindrucksvoll zu un-

MC 14/2, Overall Strategy Concept for the Defense of the NATO Area, 23.5.1957, in NATO Strategy Documents, S. 277‑314; siehe auch die Übersicht bei Thoß, NATO-Strategie, S. 397. Dort ist das Datum falsch; es muss natürlich 1955 lauten, nicht 1975. 42 Thoß, NATO-Strategie, S. 102‑108 und S. 340. 43 Diese Ziele werden in einem Zusatzdokument zum Bericht der Vier-Mächte-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Antwort auf die sowjetische Note vom 10.1.1959, datiert 21.3.1959, genannt: PA AA, B 130/3.578, AA 115-25/59, str.geh., S. 1. Handschriftlich wurde auf diesem Exemplar hinzugefügt: »Separater Friedensvertrag«, gemeint offensichtlich der Sowjetunion mit der DDR. 44 Siehe hierzu v.a. Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 72‑79, 320‑332 und S. 333‑348. Auch Thoß, NATO-Strategie, S. 32 und S. 249‑258, bes. S. 252 f. Aus heutiger Sicht: Uhl, Krieg um Berlin?, S. 87‑89; sowie Wettig, Aufrüstung, S. 101‑103 . 45 Die »Innere Linie« gewährt strategisch die Fähigkeit, den Gegner auf kürzestem Wege in allen Richtungen zu stellen. Sie begünstigt v.a. den Verteidiger. Siehe z.B. Clausewitz, Vom Kriege, S. 181. Auf der »Äußeren Linie« haben eigentlich nur der weit Überlegene und die Seemacht Vorteile. Vgl. auch Palaschewski, Wehrgeographische Faktoren, S. 71; und den Streitkräftevergleich USA – UdSSR, Stand 1960, in Weltpolitik der USA, Dok. D 41, S. 268, und Veränderungen 1963‑1973, ebd., Dok. D 42, S. 270. 41



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terstreichen. Die rasche Aufstellung der Nationalen Volksarmee der DDR verstärkte die Position der Sowjetunion Ende der fünfziger Jahre. Der Westen dagegen befand sich strategisch in einer wesentlich ungünstigeren Lage: Die NATO-Verteidigung erstreckte sich auf die »Äußere Linie«, verfügte über nur wenig geografische Tiefe und hatte mit weit unterlegenen konventionellen Kräften auszukommen.46 Die NATO hatte zwar Fortschritte in der Aufstellung und Zuführung moderner Kräfte gemacht, aber diese reichten nicht einmal für eine erfolgversprechende Verteidigung nahe des »Eisernen Vorhangs«, erst recht nicht für Angriffshandlungen danach und schon gar nicht zum Entsatz von Berlin. Die Aufstellung der Bundeswehr ließ sich, entgegen der ursprünglich sehr ehrgeizigen Ziele, nicht in wenigen Jahren bewerkstelligen und kam erst Mitte der sechziger Jahre wirklich zum Tragen.47 In der Luft war die Lage für den Westen nicht ganz so dramatisch wie zu Lande. Der nukleare Vorsprung der USA und damit die Möglichkeit, die massive Überlegenheit der Sowjetunion insbesondere bei den Landstreitkräften im Ernstfall zunichte zu machen, erwies sich rasch als unsichere, umstrittene Option, weil sich bereits Mitte der fünfziger Jahre abzeichnete, dass die Sowjetunion bei den Atomwaffen aufzuholen begann. Mit der Zeit wurde daher »die Option eines regional begrenzten Angriffs auf Westeuropa unterhalb der Schwelle zum globalen Krieg«48 immer wahrscheinlicher. Diese Erkenntnis führte bereits ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu einem langsamen Paradigmenwechsel, der schließlich in eine neue Strategie mündete. Nur auf hoher See war der Westen in einer günstigeren Position: Er verfügte über eine deutliche Überlegenheit zur See,49 was sich aber für eine schwere Krise in Europa, schon wegen der weiten Wege, nur indirekt und erst mit Verzögerung positiv auswirken konnte.50 Berlin kam in mehrerlei Hinsicht eine herausragende Bedeutung zu. Die Stadt bildete einen der exponiertesten strategischen Schlüsselräume des Westens, hatte bereits eine massive Krise ausgelöst und stand auch politisch im Fokus des Ost-West-Konflikts. Militärisch war die Lage nicht nur im strategischen Gesamtbild, sondern auch bis hinein in die taktischen Details ziemlich düster. Die Teilstadt West-Berlin war gegen die starken sowjetischen und ostdeutschen Kräfte um Berlin herum kaum und nur für kurze Zeit zu verteidigen.51 Die westlichen Besatzungstruppen, ca. 12 000 Mann mit wenig schweren Waffen, hatten gegen eine derartige Übermacht keine realistische Chance, län-

Vgl. Palaschewski, Wehrgeographische Faktoren, bes. S. 55 f., und Skizze S. 71. Siehe auch AWS, Bd 3 (Beitrag Thoß). 47 Thoß, NATO-Strategie, S. 574‑583. 48 Vgl. ebd., S. 33 f., Zit. S. 33. 49 »Pronounced Allied naval superiority«, wie es im »U.S. National Security Memorandum Nr. 109« vom 23.10.1961 hieß, erneuert mit SM-317-81 vom 19.5.1981, BArch, BW 71/133, Nr. 1. 50 Palaschewski, Wehrgeographische Faktoren, S. 75. 51 Siehe auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, Teil  II.3, S.  172‑194, v.a. S.  177 und S. 194. 46

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ger als nur einige wenige Tage standzuhalten.52 Ein Entsatz war ohne massiven Einsatz und ohne nukleare Drohung undenkbar.53 Die neuralgischen Punkte waren die in den Abkommen am Ende des Zweiten Weltkriegs festgelegten alliierten Zugangswege zu Lande und in der Luft. Insbesondere der Zugang über Land konnte allein mit konventionellen militärischen Mitteln und ohne Rückgriff auf das nukleare Drohpotenzial nicht erzwungen werden.54 In der Luft waren die Voraussetzungen und Möglichkeiten etwas besser; sie gaben vor dem Hintergrund der Luftbrücke von 1948/49 Anlass zur Hoffnung. Zudem war die rechtliche Lage hier weitgehend geregelt. Indes ließ sich mit einer Luftbrücke ein direkter Angriff gegen Berlin nicht verhindern. Auch ist zu berücksichtigen, dass die sowjetische Seite seit 1949 große technische Anstrengungen unternommen hatte, ihre Fähigkeiten der Luftraumkontrolle mittels Aufklärung, Flugleitung, Beeinflussung/Störung (Electronic Countermeasures, ECM/Electronic Counter-Countermeasures, ECCM) und Allwetterfähigkeit zu verbessern und dabei gute Fortschritte erzielt hatte. Damit war auch in der Luft ein Erfolg fraglich, wenn die Gegenseite den Luftverkehr wirklich und mit vollem Risiko unterbinden wollte.55 Auf westlicher Seite war man sich der gesamten Breite der Gefahren, inklusive einer Eskalation, bewusst. So resümierten die Verfasser der entsprechenden Operationspläne: »On the basis of past performance, it is probable the Soviets will take a number of actions designed to erode the Allied position in West Berlin. These will no doubt vary in severity depending on the outcome of further negotiations, from minor interference with access to Berlin to the threat of armed intervention.«56

Zur Frage, wie Moskau die Bedrohung durch den Westen, sein Risiko also im Falle einer Berlin-Krise, einschätzen könnte, urteilte die Military Subgroup der Washington Ambassadorial Group (WAG) im Juni 1962 in folgender Reihung: »(1) Ein nuklearer Krieg mit daraus resultierender militärischer Niederlage als schärfste Bedrohung, (2) Verlust der politischen Kontrolle über die SBZ und Westeuropa, (3) eine örtliche militärische Niederlage [... und] (4) Prestigeverlust.«57 Auch für die östliche Seite stand viel auf dem Spiel – eine Tatsache, die die Lage insgesamt nicht unbedingt einfacher machte.

Die Sowjetunion verlangte übrigens die Einnahme West-Berlins durch die NVA in 6 bis 8 Stunden! Diese Frist ist der Auswertung eines Kriegsspiels des Warschauer Paktes im Sommer 1966 zu entnehmen: BArch, DVW 1/8758, A/00711: VS-A49127 vom Aug. 1966, v.a. Bl. 4 und Bl. 15. 53 Siehe auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 172‑194; sowie Thoß, NATO-Strategie, S. 258 und S. 291‑329. Quellen dazu: BArch, BW 71/8, Nr. 26: ASBINT-32, 17.7.1977: »The Threat to Westberlin«, SHLOIN 77/1819. 54 BArch, BW 71/132, Nr. 1: App. B to Memo on »Berlin Contingency Planning: More Elaborate Military Measures«, 26.6.1959, LO-TS-59-1005. 55 Thoß, NATO-Strategie, hat hierzu wenig gesagt; siehe aber BArch, BW 71/132, Nr. 2, S. 3, ECLO 300/20 »Berlin Contingency Planning: More Elaborate Military Measures« Rev., 24.7.1959, LOTS-59-1021. 56 BArch, BW 71/116, Nr. 46: Annex »D. Intelligence« in JACK PINE OPLAN, 12.5.1960, LOTS-60-2010. 57 So die Aussage des Vorsitzenden der Gruppe, Nitze, nach einem Bericht der Botschaft Washington, BArch, BW 71/1, NMR GE/LO, Tgb.Nr. 246/62 str.geh., Nr. 11: cito 1747 vom 12.6.1962, S. 2. Die WAG und ihre Funktion wird in den folgenden Kapiteln näher erläutert. 52



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Diese Problemlage blieb im Grunde in den folgenden Jahrzehnten bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 weitgehend gleich.58 Politisch ergab sich mit der Änderung der Strategie der NATO zur Flexible Response (MC 14/3), dem Abschluss der Vier-Mächte- und Innerdeutschen Verträge und der Ingangsetzung des KSZE-Prozesses in den siebziger Jahren eine gewisse Entspannung. Die militärische Gefährdung aber blieb und wurde durch Krisen wie etwa dem Doppelbeschluss der NATO zur Nachrüstung mit Intermediate Range Nuclear Forces (INF) im Jahre 1979, die Ereignisse im Iran und in Afghanistan sowie die Verschärfung der Gesamtlage durch neue Konfrontationen nach dem Amtsantritt von Ronald Reagan (»Zweiter Kalter Krieg«) noch verschärft.

3. Berlin im Interessenkonflikt zwischen Ost und West Seit dem Frühjahr 1955, vor allem als Folge des Zusammentreffens der »Großen Vier« in Genf, der Folgekonferenz zu Potsdam 1945, hatte sich das Ost-West-Verhältnis zunächst entspannt, die befürchtete Verschärfung des Kalten Krieges war ausgeblieben.59 In der Sache hatte sich allerdings nichts verändert. »Das Ergebnis [...] war [...] ein weltpolitischer ›Modus vivendi‹. Beide Seiten nahmen den ›Status quo‹ in Europa hin und machten gleichzeitig deutlich, dass sie nicht an eine gewaltsame Einmischung in die inneren Angelegenheiten jenseits der Demarkationslinien ihrer Interessensphären dachten.«60 Auch wenn in den Ost-West-Beziehungen nach dem XX. Parteitag der KPdSU mit der Aufgabe der Doktrin von der Unvermeidbarkeit von Kriegen und der Neuformulierung der Doktrin der »Friedlichen Koexistenz« ein gewisses politisches Tauwetter eingesetzt hatte, blieben die Probleme ungelöst. Nur die Intensität der Spannungen war für eine kurze Zeitspanne reduziert. Die Unsicherheit und innere Rivalitäten der neuen sowjetischen Führung nach Stalins Tod blieben bestehen.61 In Europa hatten sich Mitte der fünfziger Jahre die Fronten mehr oder weniger geklärt, die Grenzen zwischen Ost und West gefestigt, die Staaten waren bis auf wenige Ausnahmen in die jeweiligen Bündnisse integriert. Die politische und ideologische Spaltung der Welt und Europas war damit auch militärisch institutionell vollzogen. Während die Sowjetunion im Sommer 1958 mit der Konsolidierung ihres Herrschaftsbereichs beschäftigt schien, wollte der neue starke Mann Chruščev die angenommene technische Überlegenheit des kommunistischen Systems nutzen, um außenpolitisch aus

Zur politischen und militärischen Geschichte des Kalten Krieges bis 1989/90 vgl. allgemein Wege zur Wiedervereinigung; Duffield, Power Rules; Kugler, Commitment to Purpose; Mey, ­NATO-Strategie vor der Wende; Daalder, The Nature and Practice of Flexible Response; Facer, Conventional Forces and the NATO Strategy; Walsh, The Military Balance in the Cold War; Tomes, US Defense Strategy, Kaplan, NATO Divided; Lundestad, The United States and Western Europe; Gaddis, Der Kalte Krieg. 59 Grundlegende Literatur: Herzfeld, Berlin in der Weltpolitik. Auch Lemke, Die Berlinkrisen; sowie Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 52‑59. 60 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 52. 61 Herzfeld, Berlin in der Weltpolitik, S. 370‑373. Vgl. auch Umbach, Das rote Bündnis, Teil B.I. 58

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der Defensive nach Stalins Tod herauszukommen.62 Der Start des sowjetischen »Sputnik« hatte gezeigt, dass die USA zumindest den Nimbus des technischen Vorsprunges verloren hatten, auf den sich auch die europäischen Verbündeten verlassen hatten.63 Im Westen begannen sich Zweifel an einigen wichtigen Besitzständen, die Bestandteil des eigenen Selbstbewusstseins waren, breitzumachen. Die Vereinigten Staaten hielten unter Präsident Eisenhower und seinem Außenminister Dulles weiter daran fest, dass nur eine Politik der Stärke den sowjetischen Einfluss in der Welt eindämmen könne. Dennoch begann sich abzuzeichnen, dass die USA ihre geostrategische Sonderstellung verloren hatten. Diese Entwicklung stellte eine Herausforderung der amerikanischen Rolle in der Welt dar.64 Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als man die neue Strategie, die Massive Retaliation, in der NATO verankert hatte: mit der MC 14/2 und der MC 70.65 Die Briten hatten mit dem Desaster von Suez 1956 einen schweren Rückschlag erlitten und sie hatten zu gewärtigen, dass nun auch die letzten Reste des Empire unter Druck gerieten. Die damit verbundenen Probleme banden erhebliche politisch-diplomatische wie auch militärische Ressourcen.66 Im Übrigen verloren die westlichen Mächte durch die immer stärker in Gang kommende Dekolonisierung eine spürbare Anzahl globaler Stützpunkte. In einer schweren inneren Krise befand sich die französische Vierte Republik: Vor allem der Krieg in Algerien band immer mehr finanzielle, wirtschaftliche und militärische Kräfte und erforderte den Einsatz eines großen Teils der aktiven Armee. Trotz großen Aufwandes stiegen die Verluste, die Unzufriedenheit wuchs. Diese Entwicklung führte dazu, dass der »Retter des Vaterlandes« im Zweiten Weltkrieg und frühere Staatschef, General Charles de Gaulle, erneut gerufen wurde: Am 1. Juli 1958 übernahm er nach einem Putsch von Offizieren in Algerien die Regierungsgewalt. Es war zu erwarten, dass der neue Führer Frankreichs sich aktiv und mit Selbstbewusstsein in der europäischen Politik einbringen werde, nicht ohne Folgen für die NATO.67 Die Bundesrepublik Deutschland war 1955 zuerst in die Westeuropäische Union (WEU) und dann in die NATO aufgenommen worden. Der Aufbau der Bundeswehr erfüllte indes die weitgesteckten Erwartungen zunächst nicht. Es sollten noch Jahre vergehen, bis die Bundesrepublik ein bedeutender militärischer Machtfaktor wurde, der dann auch das politische Gewicht der westlichen Staatengemeinschaft stärken konnte.

Adomeit, Die Sowjetmacht, bes. S. 241‑259 und S. 417‑473; auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 7‑18; sowie Herzfeld, Berlin in der Weltpolitik, S. 408‑410. Aus heutiger Sicht siehe Uhl, Krieg um Berlin?, S. 87‑89. 63 Herzfeld, Berlin in der Weltpolitik, S. 420‑425. 64 Eisenhower, Wagnis, S. 296‑318; Burr, U.S. Policy, S. 10‑18. Zur nuklearen Dimension siehe u.a. Wiggershaus, Elements of NATO’s Nuclear War Scenario, S. 77‑101. 65 Zu den unterschiedlichen Facetten des Strategiewechsels, dann zur MC 14/3, der Flexiblen Antwort, fällt Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S.  171, ein sehr kritisches Urteil. Siehe auch Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 49‑101. Wichtig auch Thoß, NATO-Strategie, S. 66‑108, v.a. S. 186‑190. 66 Vgl. Herzfeld, Berlin in der Weltpolitik, S. 360‑367. 67 Vgl. dazu u.a. Thoß, NATO-Strategie, S. 723‑740; auch Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 638‑757; und Soutou, Frankreich und das atlantische Bündnis; sowie Schunck, Charles de Gaulle, S. 513, 516‑535. 62



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Immerhin machte die wirtschaftliche Einbindung Westdeutschlands mit der EWG große Fortschritte; ein nicht zu unterschätzender Stabiliätsfaktor. Umgekehrt hatte man einzusehen, dass der Osten sich konsolidierte. Der Warschauer Vertrag, das östliche Gegenstück zum NATO-Vertrag, war zwar erst am 14. Mai 1955 unterzeichnet worden, hatte in der Realität aber seit den späten vierziger Jahren als Geflecht von Beistandsverträgen bereits bestanden. Er war auch kein freiwilliger Zusammenschluss souveräner Staaten, sondern von der Sowjetunion dominiert.68 Auf dem Boden der DDR unterhielt die Sowjetarmee schon damals die stärkste Truppenpräsenz außerhalb der Sowjetunion, die Gruppe Sowjetischer Truppen in Deutschland (GSTD) mit starken Land- und Luftstreitkräften. Die DDR war seit ihrer Gründung in dieses System fest eingebunden. Sie sollte »die stabile Bastion des sowjetischen Lagers im Kampf gegen den Westen« bilden. Ausdruck dessen war der massive Aufbau der ostdeutschen Streitkräfte bereits ab 1950 in Form der dann ab 1952 sogenannten Kasernierten Volkspolizei, die im Januar 1956 schließlich in Nationale Volksarmee (NVA) umbenannt wurde. Teil der NVA waren auch die Grenztruppen, welche die Grenzen zur Bundesrepublik und gegen West-Berlin abzuriegeln hatten. Die Aufstellung der NVA war 1958 weitgehend abgeschlossen. GSTD und NVA zusammen bildeten die bei Weitem stärkste Massierung militärischer Kräfte in Europa.69 Alles in allem bot der Westen und insbesondere die Bundesrepublik ein sehr durchwachsenes Bild. Zwar stand nicht zu befürchten, dass die NATO und ihre Partnerländer unter dem östlichen Druck schnell zusammenbrechen würden. Doch, und dies galt vor allem für die Amerikaner, hatte man sich von der liebgewonnen Vorstellung zu verabschieden, dass man unangefochten agieren konnte. Zudem begann der Ostblock, die dem Westen durch die zunehmenden Unabhängigkeitsbestrebungen verlorengegangenen globalen Stützpunkte teilweise zumindest indirekt zu übernehmen. Es zeichnete sich ab, dass die Welt von zwei mehr oder weniger machtpolitisch gleichwertigen Blöcken gestaltet würde. Für die Europäer gewann die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes immer bedrohlichere Dimensionen. Trotz der Teilung Europas und Deutschlands in zwei sich feindlich gegenüberstehende Blocksysteme wurde die Verantwortung der vier Siegermächte aus den Potsdamer Verträgen für »Deutschland als Ganzes« nicht bestritten. Die Stalin-Note von 1952 sowie die verschiedenen Konferenzen zur Deutschlandfrage in den fünfziger Jahren legen dafür Zeugnis ab.70 Selbst in Berlin hielt die Sowjetunion daran fest, obwohl sie den Alliierten Kontrollrat und die Alliierte Kommandantur verlassen und der DDR vertragswidrig viele Befugnisse übergeben hatte. Immerhin behielt Moskau einige Verantwortlichkeiten weiterhin bei. Dazu gehörte u.a. der Umgang und die Kommunikation mit den drei westlichen Besatzungsmächten. Siehe hierzu Umbach, Das rote Bündnis, Teil B.I; Buchbender, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S. 95. Vgl. auch Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 333‑348. Zur sowjetischen Militärstrategie damals siehe Rühle, Sowjetische Militärstrategie. 69 Vgl. Wettig, Aufrüstung, S. 101‑103, Zit. S. 101; Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 115‑124. Auch Wiggershaus, Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen, S. 30‑37. 70 »... die volle Macht eines souveränen Staates ...«, S. 11‑15; sowie Langguth, Die politischen Möglichkeiten Berlins, S. 15‑20; auch Puchalla, The German Question, S. 103‑112; und v.a. Uschakow, Die Vorbehaltsrechte, S. 113‑120. 68

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Die näheren Interessenlagen in Bezug auf Berlin und die Zugangsrechte im Zusammenhang mit der Berlin-Krise lassen sich wegen der Quellenlage insbesondere für den Ostblock einstweilen nur mit Einschränkungen analysieren:71 Die Sowjetunion als Hegemonialmacht wollte das bis dato Erreichte halten, durch weitere Maßnahmen sichern und auf keinen Fall gefährden. Militärstrategisch stand dahinter auch die zentrale und bis zum Ende des Kalten Krieges sowie darüber hinaus gültige Maxime, dass das russische Heimatland nie wieder Schauplatz einer militärischen Aggression sein dürfe. Nach dem niedergeschlagenen Aufstand im Juni 1953 hatte man auch die DDR wieder stabilisiert und wollte an diesem Konsolidierungskurs festhalten. Dazu gehörte insbesondere das Streben nach politischer Anerkennung außerhalb des eigenen Lagers. Auch die Versuche zur Anerkennung (Ost-)Berlins als Hauptstadt der DDR dienten diesem Ziel. Nachdem sich die sowjetische Führung unter Chruščev im Inneren fest im Sattel fühlte und außenpolitisch die Überzeugung gewonnen hatte, mit den USA strategisch auf gleicher Höhe zu stehen,72 hielt sie den Augenblick für günstig, aus der strategischen Defensive in die politische Offensive überzugehen.73 Chruščev glaubte, beides am besten über die Berlin-Problematik erreichen zu können, da die Sowjetunion hier über einen starken »Hebel«74 verfügte. Die nah- bis mittelfristigen Bedrohungen für den Westen setzten sich fort.75 Es bestand die Gefahr, dass die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik erst behindert, dann gekappt,76 nachfolgend die Westmächte aus Berlin hinausgedrängt,77 schließlich ganz Berlin zum Bestandteil und zur Hauptstadt der DDR gemacht wurde. Gelang Letzteres nicht, dann sollte zumindest der Westteil in eine »selbstständige politische Einheit« oder in eine »Freie Stadt«78 umgewandelt und Deutschland aus dem westlichen Bündnis gelöst, neutralisiert und möglichst für den Osten gewonnen werden. Letztlich stand damit die Erosion der westlichen Bündnissolidarität und nachfolgend der »Zerfall der NATO« auf der Agenda.79 Allerdings wollte Chruščev offensichtlich die Vier-

Ausgezeichnete Arbeiten hierzu: v.a. Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 67‑79 (über die westlichen Hypothesen und Perzeptionen) sowie S.  308‑319 (über die Sicherheits- und andere Staatsinteressen). Auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  33‑39; Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 97‑104; Wettig, Aufrüstung, S. 87‑91; und Wiggershaus, Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen. 72 Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 32‑35. 73 Das wird vielfach bestätigt: z.B. Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 16‑20 und S. 26‑29; Uhl, Krieg um Berlin?, S. 233‑237, v.a. S. 236 f.; und Uhl, Storming on to Paris, S. 47 f. 74 Zit. aus Bericht Nr. 7874, abgedr. in Weltpolitik der USA, S. 164. Vgl. auch Wettig, Chrusch­ tschows Berlin-Krise, S. 7‑53; und Henke, Die Berliner Mauer. Vom ›Hebel‹ sprechen viele Beobachter, dieser Begriff benennt die Lage zutreffend. 75 Siehe Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 103 f. 76 Vgl. dazu Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 35 f., mit Anm. 15‑22; sowie Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 245‑249; und Speier, Die Bedrohung Berlins, bes. S. 33‑46. 77 Siehe Bericht Nr. 7874, abgedr. in Weltpolitik der USA, S. 164; Wettig, Chruschtschows BerlinKrise, S. 35‑39; sowie Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 245‑255. 78 Siehe die Note der UdSSR vom 27.11.1958, in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. Nr. 241, S. 301‑319, zit. S. 316. 79 Zit. Gromyko, mitgeteilt von Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 35, auch Anm. 15. 71



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Mächte-Verantwortung für »Deutschland als Ganzes« erst einmal behalten und nutzen,80 solange die genannten Ziele nicht erreicht waren oder eine realistische Chance darauf bestand. Die DDR unterstützte dies alles, denn es diente ihrer Stabilisierung und Aufwertung; außerdem hatte sie nur geringen politischen Spielraum. Immerhin wünschte sich die DDR mehr Druck gegenüber den Westmächten und die rasche Übergabe mancher Besatzungsrechte, wie z.B. die Kontrolle der Zugänge, besonders im Luftraum. Sie wollte das Leben der »kapitalistischen Laus im sozialistischen Pelz«, wie es landläufig hieß, und damit die anhaltende Fluchtbewegung aus ihrem Bereich beenden. Das Hauptziel bestand darin, Groß-Berlin nicht zuletzt auch als Hauptstadt der DDR zu etablieren.81 »Es erschien den ostdeutschen Machthabern verlockend und möglich, in Berlin das Brecheisen zur Aushebelung des Bonner Alleinvertretungsanspruchs und der Hallsteindoktrin anzusetzen [...] Das Berlin-Problem [...] besaß für die SED-Führung existenzielle Bedeutung.«82 Das war ihr durchaus bewusst. Über die Haltung des Warschauer Paktes zu diesen Fragen ist nicht viel bekannt ge­ worden. Er war zu dieser Zeit politisch noch wenig entwickelt.83 Erstmals wurden vor dem Bau der Mauer in Berlin Anfang August 1961 die Mitglieder des Bündnisses in den Ent­scheidungsgang einbezogen, ohne dass es allerdings im Rat eine Diskussion dazu gegeben hatte. Die Entscheidung des Präsidiums des ZK der KPdSU wurde mitgeteilt und von den anderen Mitgliedern nur zur Kenntnis genommen. Auf westlicher Seite galt Ende der fünfziger Jahre ein allgemeiner Grundsatz der Sicherheitspolitik, d.h. Friedenssicherung durch »die Schutzgarantie der nuklearen Abschreckung« und Glaubwürdigkeit der NATO auf Basis der Bündnissolidarität mit Verpflichtung zum Schutz Berlins.84 Insbesondere die deutsche Seite betonte diesen Aspekt: »Das [...] Bekenntnis zur Verteidigung Westberlins unter jedem Risiko entspricht der deutschen Notwendigkeit, aber auch dem lebenswichtigen Interesse der gesamten Allianz«, so die Auffassung des Auswärtigen Amtes.85 Aber auch die anderen Akteure waren mit den Grundzügen der Politik weitgehend einverstanden: »Über den Grundsatz, in Berlin fest zu bleiben und – falls notwendig – eher einen Krieg zu riskieren, als aus Berlin

Zit. aus Art. 1 des Abkommens über Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14.11.1944, nach Ricklin, Das Berlinproblem, Dok. Nr. 20, Anhang, S. 312. Das geht z.B. aus dem Verhalten der Sowjetunion gerade auch der DDR gegenüber hervor, siehe hierzu Scholtyseck, Die Außenpolitik der DDR, S. 14; Hacker, Die DDR im Warschauer Pakt; und Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 308‑348, v.a. S. 329. Zur Frage des politischen Spielraums der DDR Wettig, Aufrüstung, S. 102 f. 81 Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 109‑112; vgl. auch Scholtyseck, Die Außenpolitik der DDR, S. 10‑21; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 7‑18; und Hacker, Die DDR, S. 575‑577; des Weiteren Lemke, Die Berlinkrisen, S. 204, 213‑217 und S. 234‑241. 82 Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963, S. 36 und S. 41. 83 Vgl. Umbach, Das rote Bündnis, S. 134‑148; sowie Uhl, Krieg um Berlin?, S. 134‑138. 84 Siehe Protokoll D 35b mit zwei Protokollen über Besprechungen mit Eisenhower über die Lage in Berlin am 6.3. 1959, in Weltpolitik der USA, S. 219‑227; vgl. auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 97 f. Sehr gut stellt auch Münger die Interessenlagen der Vier Mächte heraus, besonders in Kap. 1.c die der drei westeuropäischen Mächte: Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 47‑66. 85 BArch, BW 71/1, Nr. 16, hier zit. aus I. in Plurex AA Nr. 2.454, str.geh. vom 16.7.1962. Es handelte sich hierbei um die deutsche Stellungnahme zu BQD-M-26, die aber auch schon vorher galt. 80

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verdrängt zu werden, darüber besteht völlige Übereinstimmung.86« In Einzelfragen und auch in der Frage des Umgangs mit der Sowjetunion gab es indes Unterschiede.87 Die USA sahen (West-)Berlin als den »isolierten Vorposten«88 der Freien Welt, der auf jeden Fall gehalten werden musste. Die westlichen, vor allem amerikanischen Garantien für das Überleben des freien Berlin waren Ausdruck der Garantien für die Sicherheit des freien Europa. Berlin wurde so zum »Prüfstein amerikanischer Glaubwürdigkeit«.89 Aus dieser Perspektive waren die Rechte der Alliierten in Berlin unbedingt aufrechtzuerhalten und mit Entschlossenheit zu verteidigen. Dazu gehörte, dass die Bindungen WestBerlins und seine Eingliederung in das westliche System gefestigt und vertieft wurden.90 Damit war jedoch eine Gratwanderung verbunden. Der Sowjetunion durfte einerseits keinerlei Handhabe geboten werden, die Westmächte der Schwächung oder Aushöhlung der Besatzungsrechte zu beschuldigen. Andererseits durften auch keine Rechte leichtfertig oder absichtlich aufgegeben werden, da dies das Recht auf die Anwesenheit der westlichen Besatzungsmächte in Berlin gefährden konnte.91 Die Briten sahen das im Grundsatz ebenso. Sie fürchteten allerdings, dass die betont feste Haltung der Amerikaner die Lage unnötigerweise verschärfen, vielleicht die Gefahr eines Krieges, mit nuklearen Aussichten sogar, provozieren konnte. Daher »begann London, die westliche Bündnisdisziplin [...] infrage zu stellen.«92 Es versuchte, eher weicher, konzilianter vorzugehen,93 ohne in der Sache nachzugeben.94 Die Franzosen schwankten anfangs gelegentlich zwischen amerikanischer Härte und britischer Konzilianz. Mit de Gaulle kam in dieser Frage eine deutlich härtere Haltung

So US-Außenminister Dulles am 28.1.1959 wörtlich im Repräsentantenhaus, zit. in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe 4, Bd 1/1: 1958/59, S. 733. 87 Eisenhower, Wagnis, S. 301‑303; Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 116‑132; und Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 52‑61. Auch Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963, S. 40‑42. 88 Kennedy am 25.7.1961 in seiner Rundfunk-und Fernsehansprache, zit. in Documents on Germany, S. 763. 89 Thoß, NATO-Strategie, S. 292. Vgl. hierzu auch Burr, U.S. Policy, S. 7. 90 Siehe hierzu wieder Weltpolitik der USA, Dok.  35a und 35b, S.  212‑219, und Dok.  38, S. 235‑239. 91 Siehe die Pressekonferenz von Präsident Eisenhower am 6.3.1959: Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe 4, Bd 1/2, S. 1188‑1193, v.a. S. 1192; und die Rede von Präsident Kennedy an das amerikanische Volk am 25.7.1961, ebd., Bd 6/2, S. 1348‑1356, v.a. S. 1349. NSAM 109 vom 23.10.1961 war Konsequenz dieser Haltung: BArch, BW 71/133, Nr. 1. Vgl. auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 95‑102. 92 Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963, S.  33  f. Vgl. auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 69‑76, und ebd. S. 76‑83, zu Macmillans Reise nach Moskau im Februar/März 1959. Siehe auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 45 und S. 48. 93 Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 309. Zu den Vorgängen und Diskussionen im Zusammenhang mit einer Reise des britischen Premiers Harold Macmillan in die Sowjetunion vom 21.2. bis 3.3.1959 vgl. Eisenhower, Wagnis, S. 301, 306 und S. 308‑310. 94 Vgl. Eisenhower, Wagnis, S. 296‑310; sowie Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 98 f.; und nochmals Thoß, NATO-Strategie, S. 305‑310, bes. S. 306. Siehe auch die Erklärung des Premier­ ministers Macmillan vom 20.1.1959 in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe  4, Bd  1/1, S. 660‑663, bes. S. 661 unten. Auch Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 60‑66. 86



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ins Spiel.95 Frankreich werde mit den beiden anderen Mächten »der sowjetischen Aktion mit klarem Blick und festem Herzen begegnen«96 sowie »aufrecht und fest bleiben«.97 Die Franzosen hatten immer wieder den Verdacht, dass die USA und die UdSSR sich über ihren Kopf hinweg einigen könnten.98 In Bezug auf Mitteleuropa und Berlin konnte dies aus Sicht von Paris die Sicherheit der Republik gefährden, weil dadurch das »Glacis« Deutschland möglicherweise aufgeweicht oder gar aufgegeben würde.99 Dies hieß nicht, dass die Westalliierten in Bezug auf die deutsche Frage und die deutsche Teilung politisch grundsätzlich immer einig waren. Neuere Forschungen haben ergeben, dass die Briten durchaus eher geneigt waren, die deutsche Teilung zu akzeptieren und mit Chruščev zu verhandeln, während die Franzosen inzwischen erkannt hatten, wie sehr auch die Berlin-Frage für die europäische Einigung von Bedeutung war.100 Dies hieß nicht, dass die Westalliierten hinsichtlich der deutschen Frage und der deutschen Teilung politisch grundsätzlich immer einig waren. Neuere Forschungen haben ergeben, dass die Briten, vor allem Macmillan, geneigt waren, die deutsche Teilung zu akzeptieren und mit Chruščev zu verhandeln, während die Franzosen und insbesondere de Gaulle inzwischen erkannt hatten, wie sehr die Berlin-Frage für die europäische Einigung von Bedeutung war.101 Die Bundesrepublik Deutschland ihrerseits hatte ein vitales Interesse daran, dass West-Berlin fest im westlichen System verankert und durch die Westmächte als Besatzungsmächte gesichert blieb. Die Stadt sollte außerdem für die Landsleute in der DDR ein Zeichen der Zusammengehörigkeit sein, ein »Leuchtfeuer der Hoffnung«.102 Daher bestärkte die Regierung Adenauer die Westmächte darin, fest zu bleiben. Die Überlebensfähigkeit der Stadt wollte sie dadurch stärken, dass sie die Bindungen an die Bundesrepublik laufend, manchmal auch im Konflikt mit den Schutzmächten, aber gemeinsam mit dem Berliner Senat auszubauen versuchte.103 Wie bei den Franzosen hegte man in Bonn Befürchtungen, dass sich, vor allem in Verhandlungen, an denen die Deutschen nicht teilnehmen durften, die Großen auf deutsche Kosten einigten. Die Forderung, Vgl. Schunck, Charles de Gaulle, S. 517‑519; Thoß, NATO-Strategie, S. 298‑301; und Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963, S. 38. 96 So de Gaulle in einer Pressekonferenz am 5.9.1961, in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe 4, Bd 7/1, S. 315‑317, Zit. S. 316. 97 Ebd., S. 317. 98 Delmas, Naissance et développement, S. 263‑272. Auch Soutou, Frankreich und das atlantische Bündnis. 99 Siehe Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 99, Zit. ebd.; auch Frankreichs Verteidigungspolitik, S. 32‑35; Ehrhart, Die deutsche Frage, S. 102‑174, v.a. S. 105 f. und S. 173 f.; Eisenhower, Wagnis, S. 306; Thoß, NATO-Strategie, S. 305‑310, bes. S. 306; und Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 51‑55. 100 Gloriant, To Adapt to the Cold War Bipolar Order?, S. 467 f. Vgl. auch Ratti, A Not-So-Special Relationship, S. 74‑87. 101 Gloriant, To adapt to the Cold War bipolar order?, S. 467 f. 102 So Kennedy in seiner Rede am 25.7.1961, zit. in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe 4, Bd 6/2, S. 1349 (»a beacon of hope«). 103 Siehe hierzu Thoß, NATO-Strategie, S. 307‑310; Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963, S. 36‑48, v.a. S. 38; und Schwarz, Adenauer, Bd 2, S. 467‑502, v.a. S. 470‑484. Vgl. auch die Beiträge von Dieter Baumeister und Ernst Zivier in der FAZ vom 3.1.1974, S. 6; und Jürgen Engert in: Deutsche Zeitung vom 19.4.1974, S. 5. Ebenso Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kuba­ krise, S. 56‑60. 95

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dass Berlin nach erfolgreicher, aber friedlicher Wiedervereinigung deutsche Hauptstadt werden müsse, unterstrich die deutsche Unterstützung der alliierten Haltung zu Berlin.104 Für Bonn stellte Berlin das Symbol der Bündnissolidarität und insbesondere der strategischen und politischen Garantie seitens der NATO-Partner für die Sicherheit der Bundesrepublik dar. Die Regierung von Berlin, der Senat mit dem Regierenden Bürgermeister, und die Bürgerschaft suchten festen Schulterschluss mit den Schutzmächten. Ebenso suchten und fanden sie die Unterstützung der Bundesregierung, denn ohne sie konnte die Stadt nicht leben. Die Art der Einbindung der Stadt in das politische Gefüge der Bundesrepublik, unter Wahrung der Vorbehaltsrechte der Alliierten, erleichterte dies. Die Zusammenarbeit funktionierte gut und machte auch die notwendige sachliche und finanzielle Unterstützung möglich, trotz mancher Animositäten, gelegentlicher Verunsicherungen und auch Zweifel.105 Die NATO und ihre Mitgliedsstaaten unterstützten die Haltung der Westmächte in dieser Frage generell in vergleichbarer Weise, da die Allianz eine Beistandsgarantie für Berlin abgab. Dadurch betraf das Schicksal der Stadt offiziell jeden einzelnen Mitgliedsstaat. Die Gefahr, dadurch in einen Konflikt hineingezogen zu werden, zu dessen Vermeidung oder Verstärkung man selbst wenig beitragen konnte, drang jedoch nur langsam in das Bewusstsein der Mitglieder des Bündnisses.106 Dies zeigte sich deutlich in den Sitzungen des NATO-Rats während der Krise im Zuge des Mauerbaus und danach, als die Eventualfallplanungen von Live Oak und NATO vorgestellt und diskutiert wurden, um die Unterstützung des Rates zu gewinnen.107 Unmittelbar betroffen von allen Angelegenheiten und Problemen um Berlin waren zunächst einmal allein die vier Besatzungsmächte Berlins. Die anderen interessierten Mächte konnten nur versuchen, ihren Einfluss indirekt bzw. über die Bündnisse zu wahren.108 »Die politisch-militärische Sicherheit West-Berlins beruhte indes letztlich auf dem westlichen Engagement insgesamt und nicht zuletzt auf der ganz Europa schützenden Strategie der nuklearen Abschreckung.«109 Dabei blieb jegliches Engagement rechtlich begründet durch das originäre Besatzungsrecht der Siegermächte. Politisch wurde es abgesichert durch das große Interesse sowie das damit verbundene Prestige der westlichen Schutzmächte sowie die Bedeutung der Stadt für diese und die Bundesrepublik Deutschland. Obwohl die Alliierten immer wieder Vorbehalte gegen die formale Eingliederung Siehe die Verlautbarung der Bundesregierung vom 28.11.1956, in Berlin-Chronik der Jahre 1955‑1956, S. 665. Auch Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 52‑56; Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 97‑102; und Hacke, Weltmacht wider Willen, S. 75 und S. 86‑106; ebenso BArch, BW 71/1, Nr. 16 in Teil II, v.a. S. 2 zu BQD-M-24, in FS BMVg, Tgb.Nr. 293/62 TS vom 16.7.1962. 105 Siehe Rott, Die Insel, S.  134‑139; auch Lemke, Die Berlin-Krise 1958‑1963, S.  32‑45; des Weiteren Brandt in seiner Rede vor dem Bundestag am 18.8.1961, in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe 4, Bd 7/1, S. 81‑86. 106 Siehe dazu Thoß, NATO-Strategie, S. 306‑308, 321‑329. 107 Siehe Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S. 588. 108 Deutlich auch aus den Prozessen im Zuge der Wiedervereinigung zu erkennen, z.B. in den Zweiplus-Vier-Verhandlungen und -Verträgen; siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  288  f.; sowie Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 370‑385. 109 So Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 133; und Schmidt, Strategie des Gleichgewichts, S. 51‑56 und S. 170 f. 104



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West-Berlins in die staatliche Organisation der Bundesrepublik Deutschland anmeldeten, wurden in der Praxis doch beide als Einheit betrachtet. Die Schutzgarantie für die Bundesrepublik und für West-Berlin war daher nicht teilbar. Dokumentiert und sichtbar war dieses Engagement durch die Präsenz der drei Westmächte sowohl in Berlin wie auch in Westdeutschland. Wiederholt ist Berlin in die Sicherheitsgarantien des westlichen Bündnisses einbezogen worden: Die grundlegende Bestimmung wurde per Deklaration vom 17. Oktober 1951 in Artikel 6 des Nordatlantikvertrages aufgenommen, der dann ausdrücklich besagte, dass im Sinne von Artikel 5 die drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland und die drei Westsektoren Berlins zum NATO-Bündnisgebiet gehörten. So haben die drei Westmächte zum Abschluss der Neun-Mächte-Konferenz am 3. Oktober 1954 etwa festgestellt, dass »die Sicherheit und das Wohl Berlins und die Aufrechterhaltung ihrer dortigen Stellung von ihnen als wesentliche Elemente des Friedens der freien Welt in der gegenwärtigen internationalen Lage betrachtet werden und sie dementsprechend in Berlin solange Streitkräfte unterhalten, wie dies ihre Verantwortlichkeiten erfordern. Sie bekräftigen daher erneut, jeden Angriff gegen Berlin, von welcher Seite er auch kommen mag, als einen Angriff auf ihre Streitkräfte und sich selbst zu behandeln.«110 Dieser Erklärung schlossen sich die übrigen Mitgliedsstaaten der NATO am 22. Oktober 1954 an, sodass alle NATO-Partner, zumindest formal, verpflichtet waren, »jeden Angriff gegen Berlin [...] als einen Angriff auf ihre Streitkräfte und sich selbst« zu betrachten.111 Diese Erklärung ging damit weiter als der Wortlaut des Atlantikvertrages.112 Daraus wurde für jede Macht der Welt, also gerade auch für die Sowjetunion und die DDR, klar ersichtlich, dass jeder Versuch, Berlin aus dem Verband der freien Welt und der NATO zu lösen und die Westmächte aus Berlin zu vertreiben, auf den entschlossenen Widerstand der Drei Mächte, aber auch des Bündnisses stoßen würde. Diese Bestandsgarantie hatte sich in der Realität allerdings noch zu bewähren.

4. Die rechtliche Lage Berlins Die völkerrechtliche Lage ist für diese Untersuchung in zwei Bereichen von besonderem Interesse: hinsichtlich der Rechte, welche die Anwesenheit der Alliierten in Berlin begründeten, und der Rechte, die den Zugang der Alliierten nach Berlin betrafen. Die drei Westmächte Frankreich, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie die Vereinigten Staaten von Amerika waren, ebenso wie die Sowjet­ union, berechtigt, als Besatzungsmächte in Berlin zu bleiben, bis die Deutsche Frage gelöst und darüber von allen Beteiligten ein entsprechender Vertrag – damals wurde meist von einem »Friedensvertrag« gesprochen – unterschrieben und auch in Kraft ge-

Berlin-Chronik 1945‑1954, S. 1175, Punkt 5 der Erklärung. Vgl. den Wortlaut der Entschließung des Atlantikrates, Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok. 170, S. 216 f., Para. 5. 112 Vgl. auch Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 53‑56, bes. S. 54. 110 111

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treten war.113 Festgehalten wurde dieses Recht in den beiden Londoner Protokollen von 1944 mit ihren Ergänzungen und die sie ebenfalls ergänzenden und umsetzenden Feststellungen von Juni 1945,114 die in dieser Hinsicht eindeutig und unbestritten sind. Im sogenannten Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945115 wird übrigens nichts zu den Beziehungen der Besatzungsmächte zueinander gesagt. Es ist hier also nicht relevant. Die Besatzungsrechte ergaben sich letztlich als originäre Rechte aus der »Occupatio Bellica« »als ein durch die Normen des Kriegsvölkerrechts beschränktes Coimperium der Vier Mächte über deutsches Staatsgebiet.«116 Sie waren nicht von einem Abkommen abhängig und konnten nur durch die Besatzungsmächte selbst beendet werden.117 Sie endeten auch nicht, wenn eine der Besatzungsmächte auf ihre Rechte ganz oder teilweise verzichtete oder sie übertrug.118 Die Londoner Protokolle und ihre Ergänzungen regelten nicht die Beziehungen der Besatzungsmächte zu den Besetzten, sondern die Beziehungen der Besatzungsmächte untereinander.119 Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang war die Tatsache, dass die alliierte Kommandatura auch in Bezug auf die DDR und Ost-Berlin nicht dem sowjetischen Oberbefehlshaber, sondern dem Kontrollrat unterstand.120 Die Londoner Protokolle und ihre Ergänzungen regelten allerdings nicht den Zugang der drei westlichen Besatzungsmächte nach Berlin, mussten sie doch durch die sowjetisch besetzte Ostzone hindurch ihre Sektoren erreichen, ihre Truppen versorgen und ihre Verbindungen sichern. Das Zugangsrecht war originär verbunden mit dem Besatzungsrecht. Es konnte daher nicht angefochten werden, was die sowjetische Seite dennoch immer wieder versuchte.121 Die Briten und Amerikaner hatten am 1. Februar 1945 in Malta verabredet, diese Frage in Jalta lösen zu wollen. Sie kam dort auch auf den Tisch, wurde aber nicht entschieden.122 Zunächst war dies wohl nicht als wesentlich, schon gar nicht als problematisch erkannt worden. Ein Grund war u.a. möglicherweise gewesen, dass nach der Kapitulation zahlreiche Truppenbewegungen, in gegenseitiger Abstimmung, durchgeführt wurden, die weitgehend reibungslos abgelaufen waren. Vgl. hierzu Ricklin, Das Berlinproblem, S. 229‑244, 288‑290, hier bes. S. 290, Para. 12; und Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 33‑39. 114 Siehe die englischsprachige Fassung in Documents on Germany, S. 1‑9 und S. 38‑40. 115 Vgl. Ricklin, Das Berlinproblem, S. 37‑39, dann S. 325‑379 sowie Anl. 3.a und 3.b. 116 Ebd., S. 230‑243, v.a. S. 237. 117 Die Sowjetunion leitete die Besatzungsrechte ursprünglich »in erster Linie« vom Potsdamer Abkommen ab; ihr Bestand wäre demnach von der Erfüllung dieses Abkommens abhängig gewesen. Siehe ebd., S. 238; auch Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 35 und Anm. 11. 118 Ricklin, Das Berlinproblem, S. 238‑243; und Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 36. 119 Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 36 f. 120 Vgl. das Londoner Abkommen vom 14.11.1944, Art.  7.c., nach Ricklin, Das Berlinproblem, S. 314. 121 Siehe hierzu die US-Argumentation in den Noten von 1948 (Note vom 6.7.1948, Documents on Germany, S. 156‑158; und Ricklin, Das Berlinproblem, S. 127) und 1958 (Note vom 31.12.1958, Documents on Germany, S. 573‑576; Ricklin, Das Berlinproblem, S. 274 f.; und Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 182‑186). 122 BArch, BW 71/55, Nr. 33: Live Oak Papier 71/68, Origins of Allied Access to Berlin, vermutlich 1971. Siehe auch Clay, Entscheidung, S. 41 f.; sowie Clay, The Papers of General Lucius D. Clay, vol. 1, S. 31‑33. 113



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Bald jedoch stellte sich die Zugangsfrage in den Bereichen, in denen Verkehrsbewegungen technisch koordiniert und mit Vorlauf geplant werden mussten: in der Luft und auf der Schiene. In einem Telegramm an Stalin vom 14. Juni 1945 hatte Truman erklärt, dass er bereit sei, die amerikanischen Truppen ab 21. Juni aus der künftigen sowjetisch besetzten Zone zurückzuziehen. Er bestand aber auf vertraglichen Regelungen für den freien Zugang seiner Truppen zur Stadt Berlin – in der Luft, auf der Straße und auf der Schiene.123 Die Antwort Stalins vom 16. Juni enthielt zwar die Bitte, den Beginn der Bewegungen auf den 1. Juli zu verschieben, jedoch keine Äußerung zur Frage des freien Zugangs. Daraus wurde auf westlicher Seite die sowjetische Zustimmung abgeleitet.124 Wenige Tage später, am 29. Juni, trafen sich die militärischen Oberbefehlshaber bzw. ihre Vertreter, um die Einzelheiten der Truppenverlegungen zu regeln. Dabei bestanden die westlichen Vertreter, US-General Lucius D. Clay und der britische General Sir Ronald Weeks, zwar auf unbeschränktem Zugang für die bevorstehenden Truppenbewegungen auf drei Eisenbahnlinien, zwei Landstraßen und dem erforderlichen Luftraum,125 doch es gelang Marschall Georgij K. Žukov, sie unter Hinweis auf Verkehrsschwierigkeiten in der sowjetischen Zone auf nur je eine Fernverkehrsstraße (Hannover–Magdeburg–Berlin) und eine Eisenbahnlinie (Braunschweig–Magdeburg–Berlin) sowie auf zwei Luftkorridore festzulegen. Clay und Weeks betonten, dass dieses Ergebnis keineswegs die Akzeptanz irgendwelcher Zugangseinschränkungen einschließe. Sie behielten sich vor, diese Frage wieder im Kontrollrat aufzunehmen.126 Es existiert leider kein Protokoll der Besprechung vom 29. Juni 1945. Clay diktierte eine Ergebnisnotiz, nach der »aller Verkehr – Luft, Straße, Schiene – frei sein sollte von Grenzkontrollen oder der Kontrolle durch Zollbeamte oder militärische Behörden.«127 Eine formelle, schriftliche Absprache gab es hierzu nicht. Das Treffen wurde die »most crucial Four Power discussion« genannt, die zu diesem Problem jemals geführt worden sei.128 Als Fazit bleibt festzuhalten, dass für die Zugangswege keine eindeutige Abmachung getroffen werden konnte.129 Rückblickend ist es bemerkenswert, dass die Westmächte keine diesbezügliche Abmachung forderten. Wie viele damals Beteiligte annehmen, hätten sie diese wohl ohne Schwierigkeiten bekommen.130 Sie gingen vermutlich davon aus, dass die Zusammenarbeit auch weiter in gutem Einvernehmen fortgeführt werden könne. Offensichtlich wollte man dies nicht gefährden, indem man Misstrauen an den Tag legte.131 Wie Dieter Mahncke aber am Beispiel Wiens zeigt, sahen die sowjetischen Behörden sehr wohl den Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 15, S. 15; ähnl. Churchill in seinem Brief vom 15.6.1945, zit. in Documents on Germany, S.  40  f. Vgl. auch Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 183; und BArch, BW 71/55, Nr. 33: Live Oak Papier 71/68, Origins of Allied Access to Berlin. 124 Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 184; sowie Documents on Germany, S. 41. 125 Clay, Entscheidung, S. 40a; auch Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 184; und BArch, BW 71/55, Nr. 33: Live Oak Papier 71/68, Origins of Allied Access to Berlin, S. 3. 126 Nach Clay, Entscheidung, S.  41. Ähnlich auch in Clay, The Papers of General Lucius D. Clay, vol. 1, S. 31‑33. Vgl. auch Documents on Germany, S. 42 f. 127 Clay, Entscheidung, S. 41. In den beiden o.g. anderen Quellen steht dazu nichts. 128 So in BArch, BW 71/55, Nr. 33: Live Oak Papier 71/68, Origins of Allied Access to Berlin. 129 Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 184. 130 So urteilte auch Mahncke, ebd. 131 Dies kann auch aus den Erinnerungen von Clay, Entscheidung, S. 40 f., geschlossen werden. 123

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Zusammenhang zwischen Besatzungs- und Zugangsrecht – und sie erkennen dies auch an. Schließlich gingen die Westmächte wohl davon aus, dass nach der Jalta-Konferenz, auf welcher die Zerschlagung Deutschlands in Einzelteile abgelehnt worden war, die gemeinsame Kontrolle über ganz Deutschland und die Einrichtung zentraler Organe bald die Freizügigkeit in Deutschland zur Folge haben würde. Daher wurden Vereinbarungen in dieser zunächst so technisch anmutenden Frage nicht für notwendig gehalten.132 Es stellte sich dann aber rasch heraus, dass zumindest der Luftverkehr im Raum Berlin und in den Korridoren schriftlich, also vertraglich, geregelt werden musste. Es war zu einer Reihe von Beschwerden, Unzulänglichkeiten und gefährlichen Situationen gekommen. Auf amerikanischen Vorschlag mit vorbereitetem Entwurf empfahl das Committee for Aviation dem Air Directorate des Kontrollrates am 26. September 1945 zweierlei133: die dringende Einrichtung einer Vier-Mächte-Flugkontrollzentrale für den Flugverkehr über Berlin, der Ostzone und in den Korridoren sowie die Beauftragung einer Arbeitsgruppe von Spezialisten – Flugkontrolleure, Fernmelder, Meteorologen usw. – mit der Vorbereitung im Detail. Das Luftverkehrsdirektorium stimmte dem Vorschlag zu und legte dem Coordinating Committee am 18. Oktober 1945 einen Text vor mit dem Titel »Report [...] on the need for a Committee for Flying Safety in the Greater Berlin Area«.134 Darin wurden neben statistischen Angaben, die die Dringlichkeit untermauern sollten, auch Grundsätze für die Flugsicherheit in diesem Raum genannt. Schließlich wurde beantragt, die Bildung eines Komitees für Flugsicherheit im Raum von Groß-Berlin zu genehmigen und die Voraussetzungen für die Arbeit dieses Gremiums zu schaffen. Nach wohl hektischer und intensiver Arbeit im Air Directorate beschloss der Kontrollrat in seiner Sitzung am 30. November 1945 die Einrichtung von drei genau definierten Luftkorridoren zwischen Berlin und Frankfurt  a.M., Bückeburg (Hannover) und Hamburg. Jeder Korridor sollte 20 Englische Meilen (rund 32 km) breit sein. Die Regeln für die Nutzung sollten vom Luftverkehrskomitee vorgeschlagen werden.135 Die Einrichtung des dringend notwendigen Kontrollzentrums dauerte allerdings länger als erwartet. Es bestanden sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Aufgaben und die Art der Auftragserfüllung dieser neuen Behörde. Ebenso schwierig waren die Diskussionen in Bezug auf die Flugregeln, die über Groß-Berlin und in den Korridoren beachtet werden sollten. Erst am 22. Oktober 1946 gelang es, ein auch von den sowjetischen Vertretern anerkanntes Papier über alle diese Fragen zu verabschieden: »Flight Rules for Air Craft Flying in Air Corridors in Germany and the Berlin Control Zone«.136 Darin sind fast alle wichtigen Fragen des Luftverkehrs über Berlin sowie zwischen Berlin und den Westzonen dauerhaft geregelt worden. Auch die Einrichtung des Kontrollzentrums, nun Berlin Air Safety Center (BASC) genannt, und der Berlin Control Zone (BCZ) fanden Eingang. Die sowjetische Seite hatte versucht, die Nutzung der Luftkorridore ausschließlich dem militärischen Verkehr zu reservieren, ließ dieses Bestreben nach westlichem Einspruch jedoch fallen. Die Westmächte wiederum hatten vier weitere Korridore einrichten Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 185 f. BArch, BW 71/50, Nr. 13: DAIR/P(45)10, »History of the Berlin Air Safety Centre and the Associated Air Corridors and Control Zone«, App. A, LO 71/234/C, Okt. 1963. 134 Ebd., DAIR/P(45)26, App. B. 135 Ebd., CONL/P(45)63 und CONL/P(45)13, App. F. 136 Ebd., DAIR/P(45)71, 2nd Rev., History, App. N; ebenso in BArch, BW 71/42, Nr. 3. 132 133



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wollen, jeweils einen von Berlin nach Warschau, Prag, Kopenhagen und einen von Bückeburg direkt nach Prag. Darüber konnte keine Einigung erzielt werden. Als Sitz der Berliner Luftsicherheitszentrale wurde das Gebäude des Alliierten Kontrollrates in Berlin-Schöneberg im amerikanischen Sektor bestimmt. In dieser Behörde behielten die sowjetischen Vertreter ihren Sitz bis zu deren Auflösung nach der deutschen Wiedervereinigung.137 Die Zentrale hatte alle Flüge in ihrem Bereich zu kontrollieren und abzufertigen, um die Flugsicherheit zu garantieren. Ein Genehmigungsrecht für Flüge hatte sie nicht, obwohl dieses sowjetischerseits immer wieder postuliert wurde. Der freie Zugang durch die Luft für den zivilen und den militärischen Verkehr der Siegermächte war damit abschließend geregelt.138 Die politische Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Während also der Zugang durch die Luft gut geregelt schien, blieb der Zugang auf dem Landweg weitgehend ohne vertragliche Absicherung. Schon bei der 2. Konferenz über die gemeinsame Besetzung Berlins am 2. Juli 1945 hatte der sowjetische Oberbefehlshaber, Marschall Žukov, seine westlichen Gesprächspartner darauf festlegen können, dass die Versorgung der Westsektoren mit Kohle und Lebensmitteln Aufgabe der westlichen Besatzungszonen sei. Er versuchte auch, für den Transport dieser Güter in der Regel auf den Luftweg zu verweisen. Nach Žukovs Auffassung sollte man nur im Winter bei schlechten Witterungsverhältnissen auf die Schiene ausweichen dürfen. Immerhin einigte man sich für den harten Winter 1945/46 darauf, täglich 16 Züge auf zwei Linien, hin von West nach Ost über Helmstedt–Magdeburg–Berlin und zurück über Stendal–Hannover einzusetzen, beides waren damals eingleisige Strecken.139 Diese Regelung blieb dann wohl im Grundsatz dauerhaft gültig. Sie wurde in mündlicher Absprache unter den Alliierten im Jahre 1947 nach den Erfordernissen modifiziert und mit gewissen Änderungen – täglich 19 Züge jetzt und ausschließlich auf der Strecke Helmstedt–Berlin – nach Ende der Berlin-Blockade am 13. Juni 1949 bestätigt. Bezüglich der Art der Züge, Güter-, Personen- oder Spezialzüge, zeigte der sowjetische Partner bei einer Besprechung im Winter 1945 offenkundiges Desinteresse.140 In dem Dokument vom 13. Juni 1949 gibt es auch einen Abschnitt, der sich mit dem Verkehr auf Binnenwasserstraßen befasst. Darin wird festgestellt, dass die sowjetische Militärverwaltung diesen Verkehr ohne Verzögerung wieder zulassen und die entsprechenden Zertifikate zustellen werde. Über den Zugang auf der Straße ist jedoch nur ein einziger Satz enthalten, wonach der Straßenverkehr in Übereinstimmung mit den Rege Ebd., Nr. 13: DAIR/P(45)71, Rev., 11.1.1946. Der Inhalt, die o.g. Flugvorschrift, ist hier nicht überliefert. Wegen des dringenden Bedarfs hat das BASC schon im Februar 1946 seine Arbeit aufgenommen, obwohl die Grundlagendokumente noch nicht alle verabschiedet waren. Die 2. Revision vom 22.10.1946 ist überliefert in BArch, BW 71/42, Nr. 1. Dieses ist »the only document recognized by the Soviets as a working basis for flights into and out of Berlin« (Zit. aus BArch, BW 71/50, Nr. 13, ›History of the BASC‹, verm. Okt. 1962, Para. 15, S. 4). 138 Ruge, Das Zugangsrecht der Westmächte, S. 105. 139 BArch, BW 71/42, Nr. 2: CONL/P(45)27 vom 7.9.1945, »Coal and Food Supplies to Berlin«. 140 Diese Vorgänge sind u.a. in einem Papier ohne Kopf, aber mit Eingangsstempel des Allied Staff Berlin (ASB) mit der nachfolgenden Überschrift enthalten: »Report by the Representatives of the Authorities of the Western Occupation Powers on the Discussions held in Berlin on the Subject of Transport and Trade reflecting their Opinion on the Conclusion of the Berlin Negotiations on June 13, 1949«, BArch, BW 71/42, Nr.  7. 137

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lungen erlaubt sei, die seit dem 1. März 1948 in Kraft waren.141 Alle diese Regelungen wurden in Besprechungen zwischen britischer und sowjetischer Seite im Frühjahr 1951 bestätigt.142 In den folgenden Jahrzehnten gab es zwei politische Ereignisse, die auch Bedeutung für die Rechtslage in der Frage des freien Zugangs der Drei Mächte nach Berlin hatten. Das erste Ergebnis war die »Berlin-Blockade«, die Sperrung aller Zugangswege der Alliierten zu Lande und auf dem Wasser vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949. Ziel dieser drastischen Maßnahme war es, die Westmächte aus Berlin hinauszudrängen sowie die Integration der drei Westzonen zu verhindern und die Integration Westdeutschlands in die westliche Staatengemeinschaft zu unterbinden.143 Als die Blockade wegen der erfolgreichen Luftbrückenoperation scheiterte und schließlich abgebrochen wurde, garantierte die Sowjetunion die gleichen Zugangsrechte, wie sie am 1. März 1948 bestanden hatten.144 Durch den sogenannten Bolz-Zorin-Briefwechsel vom 20.  September 1955 wurden diese Regelungen jedoch nur »temporarily« bestätigt.145 Das andere wichtige Ereignis war das Zustandekommen des Vier-Mächte-Abkommens (Berlin Quadripartite Agreement, BQA ) vom 3. September 1971 »als besatzungsrechtlicher Staatsvertrag«,146 wodurch das Territorium von Berlin einen neuen Status verliehen bekam. Der völkerrechtlich verbindliche Vertrag erwies sich für die Zugangsrechte insofern als wichtig, als dass die etablierte Situation fortan nicht einseitig verändert werden durfte. »Diese rechtliche Festschreibung der bestehenden Lage hat, um es paradox zu formulieren, eine neue Lage geschaffen.«147 Das betraf vor allem die Interpretation mancher Regelungen, besonders zum Status von West-Berlin, aber nicht die alliierten Zugangsrechte. Für die Bürger West-Berlins und für Reisende vor allem der Bundesrepublik brachte das Abkommen entscheidende Verbesserungen. Die Alliierten profitierten immerhin indirekt, da es die Lage in und um Berlin doch beruhigte, obwohl die Meinungsunterschiede, Probleme und Risiken fortbestanden.

Ebd., Para. 5.c. BArch, BW 71/68, Nr. 8: »Minutes of Discussions between the Soviet and British Representatives of Interzonal Navigation, which took place on 22 March, 20 April and 4 May 1951«, SHLOIN I 84/0210/C. 143 Siehe u.a. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 43‑45. Neuere Literatur hierzu v.a. Krisen im Kalten Krieg, darin: Lemke, Die Berlinkrisen, S. 210‑213. Auch Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 83‑103; und Fish, The Berlin Blockade, S. 195‑215, bes. S. 196 f. 144 Im Jessup-Malik-Abkommen von 1949 (siehe oben). Wortlaut der Vereinbarung und die entsprechenden Dokumente abgedr. in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, S. 107‑111. 145 Lothar Bolz war damals Außenminister der DDR, Valerian A. Zorin Stellvertretender Außenminister der UdSSR; Inhalt und Zitat siehe BArch, BW 71/45, Nr. 54, Annex A, Para. 2, BQD-62, Rev., 2.12.1961. 146 So Ress, Der Vier-Mächte-Status von Berlin, S. 17. Siehe zur allg. Einordnung auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S.  195‑200; sowie Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 112‑123. 147 Ress, Der Vier-Mächte-Status von Berlin, S. 22. 141 142



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5. Geografische und verkehrstechnische Rahmenbedingungen148 Die nach der Kapitulation 1945 in Berlin eingerichteten vier Besatzungszonen umfassten ein Gebiet von insgesamt 883 qkm mit rund drei Millionen Menschen. Die zwölf westlichen Stadtbezirke (»Westsektoren« oder »Berlin-West«)149 deckten eine Fläche von 479 qkm ab, auf denen 1958 etwa zwei Millionen Menschen lebten. Eine bewachte, ab 1961 fest durch die »Mauer« als »antifaschistischer Schutzwall«150 geschlossene Grenze von 155 km Länge trennte Berlin-West von der Umgebung: 43 km maß die Sektorengrenze innerhalb der Stadt und 112 km die Grenze zur DDR.151 Zum Westteil gehörten noch 13 Exklaven, von denen allerdings nur Steinstücken, im Süden Berlins gelegen, von West-Berlinern bewohnt war. Unabhängig von den Vereinbarungen für den offiziellen Verkehr von Besatzungsmächten gab es drei verschiedene Reise- und vier Transportmöglichkeiten für den Zivilverkehr nach West-Berlin. Den Reisenden standen die Benutzung der Eisenbahn und der Straße offen, die alle streng kontrolliert wurden, sowie der unkontrollierte Luftweg. Für den Transport von Gütern war auch der Binnenwasserweg möglich und geeignet. Auf dem Straßen- und Schienenweg konnte man zwischen je vier Übergängen wählen und in der Luft zwischen drei Korridoren. Dem zivilen Verkehr standen die folgenden Landverbindungen zur Verfügung.152 Die Fernstraße B5 von Hamburg über die Übergangsstelle Lauenburg/Horst nach BerlinSpandau war 290 km lang, davon 220 km durch die DDR, und endete vor Berlin am Kontrollpunkt Staaken. Ab 1982 wurde dann die neue Autobahn A24 mit ebenfalls 220 km durch die DDR zur Interzonenverbindung anstatt der B5. Die Kontrollpunkte wurden nach Gudow-Zarrentin und Heiligensee vor Berlin verlegt. Die Fahrt dauerte etwa drei Stunden. Die Autobahn A2 von Hannover über Helmstedt mit dem Kontrollpunkt Helmstedt/Marienborn nach Berlin führte über eine Strecke von 166 km durch die DDR bis zum Kontrollpunkt Drewitz/Dreilinden vor Berlin. Hier dauerte die Fahrt durch die DDR zwei Stunden. Die Autobahn A5 von Frankfurt a.M. bzw. die A4 führte über den Kontrollpunkt Herleshausen/Wartha und dann Eisenach bis zum Hermsdorfer Kreuz. Dort wurde auf Vgl. hierzu die sehr gute Darstellung in Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 81‑107. Zu den Verkehrsverbindungen gibt BQD-CC.17, 25.7.1969, detailliert Auskunft; deutsche Fassung: BArch, BW 71/6, Nr. 4: AB-BQD-CC-17-1454/69 geh., »Verkehr und Verbindungen [...] Berlin (West)«. 149 Siehe das Londoner Protokoll vom 12.9.1944 i.d.F. vom 14.11.1944 mit der Änderung vom 26.7.1945. Vgl. auch Wetzlaugk, Die Alliierten, S.  24‑28; und Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 187‑189. 150 Detjen, Die Mauer als politische Metapher, S. 432. 151 Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S.  100 (Zahlen gerundet durch Verf.). Vgl. auch Heinemann/Schmidt/Wilke, Bilder der »Mauer«, S. 12, die 113 km Grenzverlauf zur DDR und 45 km zu Ost-Berlin angeben. Zu Details siehe Schmidt, Architektur und Botschaft der ›Mauer‹, S. 54‑69. 152 Die Entfernungen und Reisezeiten gem. ADAC-Motorwelt, Nr. 5/1984, S. 58; sowie anhand zahlreicher Karten und Angaben vom Verfasser selbst nachgerechnet oder bestätigt. 148

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die Autobahn A9 über Leipzig nach Berlin gewechselt. Die gesamte Strecke führte auf insgesamt 344 km durch die DDR und endete für den Übergang nach Berlin ebenfalls am Kontrollpunkt Drewitz/Dreilinden. Hier betrug die Reisezeit vier Stunden. Die Autobahn A9 von München verlief nach Hof über den Kontrollpunkt Hirschberg/Rudolfstein via Hermsdorfer Kreuz und weiter über Leipzig nach Berlin und nach 270 km durch die DDR wieder über den Kontrollpunkt Drewitz/Dreilinden nach Berlin, dies bei 3,5 Stunden Fahrzeit. Alle diese Strecken konnten im Personenwagen, mit Lastwagen und im Bus befahren werden. Seit 1951 musste eine Straßenbenutzungsgebühr in DM-West entrichtet werden. An den Kontrollpunkten wurden jedes Fahrzeug und jeder Insasse sehr genau überprüft. Auch auf der Strecke konnte man jederzeit kontrolliert werden und hatte ggf. Schwierigkeiten zu erwarten. Die Verkehrsregeln mussten genau eingehalten werden, wenn man weitere Verzögerungen vermeiden wollte. Dies alles konnte den Reiseverlauf in unberechenbarer Weise verlängern. Für den zivilen Verkehr auf der Schiene waren folgende Strecken nutzbar: – die Linie von Hamburg über den Kontrollpunkt Büchen/Schwanheide nach Berlin, ca. 230 km durch die DDR verlaufend; – die Linie von Hannover über den Kontrollpunkt Helmstedt/Marienborn, knapp 200 km durch das Gebiet der DDR verlaufend; – die Strecke von Frankfurt  a.M. über den Kontrollpunkt Bebra/Gerstungen, etwa 320 km auf dem Gebiet der DDR verlaufend; und schließlich – die Strecke von München über den Kontrollpunkt Ludwigstadt/Probstzella, rund 300 km lang ab Ludwigstadt. Alle Züge endeten auf dem einzigen Fernbahnhof im westlichen Teil der Stadt, Bahnhof Zoologischer Garten. Während der Fahrt durch die DDR gab es keinen planmäßigen Halt. Güterzüge konnten auch andere Strecken zugewiesen bekommen. Für den Massengüterverkehr wurden folgende Binnenwasserstraßen genutzt: – der Weg über die Elbe mit dem Kontrollpunkt Schnakenburg/Kumlose, dann über die Havel nach Berlin, ca. 200 km lang; – der Weg über den Mittellandkanal, von Wolfsburg über den Kontrollpunkt Rühen/ Buchhorst nach Magdeburg, dann über das Hebewerk Rotensee in die Elbe, weiter über die Havel nach Berlin. Diese Strecke führte über eine Distanz von ebenfalls ca. 200 km. Bei normalen Wasserständen waren beide Wege recht leistungsfähig. Drei Luftkorridore verbanden West-Berlin mit der Bundesrepublik: – Der nördliche Korridor von Hamburg nach Berlin war im Luftraum der DDR zwischen 120 km (südlich der Elbe) und 220 km lang (nördlich der Elbe). Er verlief etwa parallel zur Transitstraße B5, später der A24 und der Eisenbahnlinie Hamburg– Berlin. – Der mittlere Korridor von Frankfurt a.M., Köln und Hannover nach Berlin führte ca. 160 km über DDR-Gebiet. Er war nur am Ende teilweise parallel zur Autobahn Hannover–Berlin und zur entsprechenden Eisenbahnlinie. – Der südliche Korridor von Frankfurt a.M., Stuttgart, München und Nürnberg nach Berlin führte ca. 307 km über das Gebiet der DDR. Er verlief nur kurz vor Berlin über die oder parallel zu den Landverbindungen.



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Es war also für die Westalliierten teilweise möglich, den Landverkehr von und nach Berlin aus der Luft zu beobachten; eine Tatsache, die für die Live-Oak-Organisation einige Bedeutung gewinnen sollte. Die Korridore waren je 32 km breit. Die Flughöhe war nicht begrenzt, eine Grenze von 10 000 Fuß wurde im Allgemeinen aber beachtet. In Berlin-West gab es drei Flugplätze, davon waren zwei für den zivilen Verkehr vorgesehen, der Zentralflugplatz Tempelhof im amerikanischen Sektor und der während der Luftbrücke erbaute Flugplatz Tegel im französischen Sektor. Der Militärflugplatz Gatow lag im britischen Sektor. Deutsche Luftverkehrsgesellschaften durften auf den Berlinrouten nicht fliegen. Zugelassen waren nur Fluggesellschaften der drei Westmächte und die polnische LOT. Der Verkehr über Berlin und im Umfeld, der Berlin Control Zone (BCZ), sowie in den Korridoren wurde durch die Berliner Luftverkehrszentrale (Berlin Air Safety Centre, BASC) geregelt. Für den alliierten militärischen und zivilen Verkehr standen nur eine Straßenverbindung, die Autobahn Helmstedt–Berlin, und die Eisenbahnlinie Helmstedt–Berlin sowie die drei Luftkorridore zur Verfügung. Auf der Straße waren die Alliierten verpflichtet, die Kontrollpassierpunkte (KPP) Alpha (West) und Sierra Alpha153 in Helmstedt bzw. Marienborn sowie Bravo und Sierra Bravo in Dreilinden bzw. Drewitz154 anzufahren. Dort wurden sie stets von sowjetischem Personal abgefertigt. Die Landwege waren leicht zu kontrollieren, zu behindern und zu sperren. Die Luftwege waren verlässlicher, da vom Osten nicht direkt kontrollierbar, jedoch blieben auch sie gefährdet. Auch andere Kommunikationswege waren nicht sicher bzw. unzuverlässig. Die Fernmeldeverbindungen waren alle für atmosphärische Störungen, aber besonders für Behinderungen und Manipulationen durch den Gegner anfällig. Ersatzsysteme und doppelte oder alternative Ausstattung oder etwa Funkwege waren hilfreich, boten aber keine Garantie für sichere Übermittlung. Jegliche Kommunikation, auch die der Alliierten, wurde abgehört und aufgeklärt. Die Energieversorgung der Stadt konnte zumindest teilweise unterbrochen werden. Die Vorräte in der Stadt waren seit 1949 zwar wesentlich aufgestockt worden, reichten aber, je nach Art, nur für wenige Monate. Während der Verkehr zwischen Ost- und West-Berlin in den ersten Jahren nach Kriegsende in beiden Richtungen relativ einfach zu bewerkstelligen war, kam es im Zuge der politischen Abgrenzung zunehmend zu Schwierigkeiten.155 Für die West-Berliner Bevölkerung gab es Ende der fünfziger Jahre noch Besuchsmöglichkeiten im Osten, die auch für westdeutsche Besucher offenstanden. Für den Übergang in den jeweils anderen Teil der Stadt existierten 1958 13 Übergänge, davon einer mit der S-Bahn (Bahnhof Friedrichstraße). Diese wurden am 13. August 1961 geschlossen, später teilweise allmählich wieder für bestimmte Personengruppen geöffnet. Der Warenverkehr war vertraglich geregelt, aber stark eingeschränkt und floss von West nach Ost tendenziell besser. Die vom Ostteil der Stadt betriebenen Verkehrsbetriebe versorgten teilweise noch den Westteil mit: Die S-Bahn wurde bis in die achtziger Jahre auch im Westen durch die Deutsche Das »S« in Sierra Alpha stand für »Sowjet«. Der KPP in Potsdam-Babelsberg trug in den ersten Jahren seines Bestehens die Bezeichnung KPP Nowawes (bis Oktober 1950). 1968 wurde er neu gebaut und hieß dann Drewitz 155 Zum Folgenden vgl. grundsätzlich auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 116‑120. 153 154

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Reichsbahn betrieben, zeitweilig aber von der West-Berliner Bevölkerung boykottiert (»Kommunistenhusche«).156 Die U‑Bahn-Netze wurden getrennt, die Straßenbahn fuhr nur noch im Ostteil, im Westen wurde der Verkehr mit dem Bus ausgebaut. Die Alliierten hatten freien Zugang zum jeweils anderen Teil, also die Westalliierten zum Ostsektor, die Sowjets zu den Westsektoren. Sie nahmen diese Rechte auch ostentativ wahr. Die sowjetische Seite beteiligte sich außerdem am Betrieb des Kriegsverbrechergefängnisses in Spandau und der BASC, die beide im britischen Sektor untergebracht waren. Schließlich stellte die Rote Armee eine ständige Wacheinheit mit Ehrenposten am Sowjetischen Ehrenmal im Bezirk Tiergarten. Auch dieses lag im britischen Sektor.

6. Die Gegner: Sowjetunion und DDR157 Die beiden Gegner der westlichen Präsenz in Berlin, die Sowjetunion als Sieger und vierte Besatzungsmacht sowie die SBZ bzw. die Deutsche Demokratische Republik, hatten im Allgemeinen gleiche oder weitgehend übereinstimmende Interessen und Ziele in ihrer Berlinpolitik. Im Detail gab es, trotz der Abhängigkeit der DDR vom »Großen Bruder«, Unterschiede und Divergenzen, die sich vor allem aus dem unterschiedlichen politischen und militärischen Gewicht und der geografischen Lage ergaben. Daraus folgten manchmal auch Konflikte, die die Sowjetunion oft einfach negierte. Forderungen der DDR, etwa ihr endlich die vollständige Verantwortung für den Luftraum der DDR zu übertragen,158 wurden in der Regel zurückgewiesen, gelegentlich aber doch aufgenommen, wenn es erforderlich war und die DDR auf ihre exponierte Lage, ihren Status als Frontstaat und ihre besondere Loyalität hinwies. Ein gutes Beispiel für das letztere Verhalten war der »Mauerbau«. Der Warschauer Pakt spielte dabei in der Regel nur eine geringe Rolle; er durfte in solchen Fällen nur selten wirklich mitbestimmen.159 Für beide Mächte war die NATO der Hauptfeind, besonders aber deren Führungsmacht, die Vereinigten Staaten, an der die Sowjetunion sich messen wollte und musste. Auch für die Interessenwahrung in der Deutschlandpolitik und für die Beurteilung der Lage in und um Berlin war es sowohl für die Sowjetunion wie für die DDR entscheidend, gute, aktuelle und zutreffende Erkenntnisse über die Drei Mächte in Berlin und in Deutschland, über die Bundesrepublik und über die NATO als Bündnis, über ihre Potenziale und vor allem ihre Absichten zu gewinnen. Zu diesem Zweck wurde, wie Phoenix, 22.8.2017, 19.15‑20.00 Uhr: Berlin, Berlin. Eine Stadt schreibt Geschichte (D 2015), Folge 6: Die Stadt auf Schienen. 157 Wesentlichste allgemeine Literatur: Heller/Nekrich, Geschichte der Sowjetunion; Wettig, Chrusch­ tschows Berlin-Krise; Militärstrategie; Douglass, Sowjetische Militärstrategie; Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland; Gorbatschow, Perestroika; Soviet Military Space Doctrine; Die sow­ jetische Militärdoktrin; Schumacher, Rüstungskontrolle; Uhl, Krieg um Berlin?; Scholty­seck, Die Außenpolitik der DDR. 158 Siehe hierzu Scholtyseck, Die Außenpolitik der DDR, S. 22. Zur Frage des Luftverkehrs ist auch der Schriftverkehr in BStU, A 32116, aus den Jahren 1988/89 erhellend. Wichtig auch die Darstellung zur Frage der Souveränität der DDR in Mußgnug, Alliierte Militärmissionen, S. 49‑80. 159 Vgl. Umbach, Das rote Bündnis, bes. S. 134‑141; auch Wettig, Aufrüstung. 156



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auch in allen anderen Staaten üblich, damit begonnen, die Gegenseite auszukundschaften. Die entsprechenden Aktivitäten konnten über einen längeren Zeitraum reichen (über Monate oder gar Jahre) oder aktuelle, kurzfristige Informationsbedürfnisse erfüllen. Alle westlichen Organisationen, die einen Bezug zur Sicherung der Freiheit Berlins hatten, wurden ebenfalls bevorzugte Objekte der Aufklärung. Da West-Berlin auch ein äußerst wichtiger nachrichtendienstlicher Vorposten des Westens tief im Machtbereich des Ostens war, wurden die entsprechenden Einrichtungen dort vorrangige Ziele der östlichen Aufklärung.160 Sowjetunion und DDR konnten dafür eine große Bandbreite von Organisationen, Kräften und Mitteln einsetzen und nutzen.161 Über die praktische Zusammenarbeit der verschiedenen Dienste im Warschauer Pakt, insbesondere der sow­ jetischen und der ostdeutschen, ist bis 1989 kaum etwas und danach nur wenig Substanzielles bekannt geworden.162 Im Warschauer Pakt gab es eine Koordinierungsstelle, genannt »Apparat der Koordinierung«, in dem bis 1975 der Militärische Nachrichtendienst der NVA und dann das Ministerium für Staatssicherheit, Bereich  III, die DDR vertrat. Hier wurden die wichtigen Aufträge definiert, verteilt und koordiniert. Über die Zusammenarbeit der sowjetischen mit den ostdeutschen Diensten speziell in Berlin-Fragen gibt es ebenfalls wenig belastbare Information. Mit Sicherheit haben die sowjetischen Geheimdienste die im Laufe der Jahre immer besseren Ergebnisse der Dienste der DDR genutzt.163 Inwieweit das umgekehrt der Fall war, kann hier nicht beurteilt werden. Aus den in den Archiven inzwischen zugänglichen Geheimdienstberichten über West-Berlin, die NATO und ihre Struktur und über die großen, inhaltlich streng geheim gehaltenen Übungen der WINTEX- oder HILEX-Reihen ist ersichtlich, dass vor allem die Sowjetunion und die DDR erhebliches Wissen über die Verteidigungspolitik der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten sowie die militärische Umsetzung besaßen. Dies gilt gleichermaßen für Live Oak, obwohl hier der Kreis der Mitwisser bei den Vier Mächten extrem klein gehalten wurde und zusätzlich höchste Sicherheitsregeln galten.164 Gegen Live Oak wurden alle Mittel zur Nachrichtengewinnung eingesetzt, die der gegnerischen Seite zur Verfügung standen. Allerdings war aus den Ergebnissen in der Regel nicht erkennbar, wie, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen diese gewonnen worden waren. Ein Verräter oder Spion innerhalb des Stabes Live Oak selbst ist bisher nicht bekannt geworden.

Über die Bedeutung dieses Vorpostens und über die Art und Zahl der entsprechenden Einrichtungen dort siehe Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S.  230‑248. Siehe auch BArch, BW 71/90, Nr. 22: ASBG2, 309-4534, »Military Intelligence«, 6.4.1990, SHLOIN S/I 90/221. 161 Für die Sowjetunion besonders der KGB, die Militärische Abwehr in der GSTD und der Baltischen Flotte sowie die GRU, siehe Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 126‑132. Für die DDR siehe allgemein Richter, Der Militärische Nachrichtendienst; und v.a. Wegmann, Die Militäraufklärung der NVA, S. 175‑394 und S. 504‑574. 162 Siehe hierzu Umbach, Das rote Bündnis, S. 575‑597; und Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 126‑132. 163 Umbach, Das rote Bündnis, S. 321‑384. 164 Zur Frage der Sicherheit siehe BArch, BW  71/16, Nr.  91, NMR/Live Oak-Bericht Nr.  1 vom 18.8.1961, Tgb.Nr. 65/61 geh., Ziff. 4.; sowie BArch, BW 71/11-01: »Live Oak-Operations Instruction«, 5.1.1981, SHLO 81/21505/POS, Para. 33. 160

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II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

Die Organisation für die Sicherung West-Berlins samt ihrer Pläne wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den französischen Diplomaten Georges Pâques an die Sowjet­ union verraten. Pâques, damals Stellvertretender Leiter der Informations- und PresseAbteilung der NATO in Paris, wurde am 10. August 1963, anscheinend »in flagranti«, verhaftet.165 Live Oak wurde durch die Franzosen über diesen Verratsfall unterrichtet. Demnach war Pâques bis Sommer 1962 Mitglied des Krisenstabes der französischen Regierung zu Berlin gewesen.166 Er hatte daher mit Gewissheit Kenntnis von den wesentlichen politischen Planungen.167 Ein wichtiges Dokument, das er wohl an die Gegenseite übergeben hatte, enthielt die grundlegende Weisung für die militärischen Maßnahmen der NATO in Ergänzung zu denen der Vier Mächte in einer Berlin-Krise.168 Dazu kam eine Reihe anderer Dokumente und Vorgänge, die zumindest indirekt der Gegenseite bekannt gemacht wurden. Hierzu hatte Live Oak eine Bewertung und eine Anzahl von Empfehlungen erarbeitet. Man ging davon aus, dass das grundlegende Konzept der alliierten Reaktion auf die Blockierung des Zugangs nach Berlin in der Luft und zu Lande dem politischen Gegner übermittelt worden und dadurch vor allem Schaden für den Landzugang entstanden war. Aktuelle Operationspläne schienen nicht übergeben worden zu sein. Die grundsätzlichen Überlegungen und Planungen benötigten keine Änderungen, »because the plans should accomplish their political objective whether or not the concepts have been compromised.«169 Sicherheitshalber sollten die Decknamen und Codewörter aber geändert werden. Da eine Reihe von Planungen und Operationsplänen seit Sommer 1962 verändert, andere völlig neu erarbeitet worden waren, konnten diese von Pâques nicht verraten worden sein.170 Pâques war dennoch eine wertvolle Quelle für die Sowjetunion, auch was Live Oak betraf. Ein weiterer Verräter mit Bezug zu Live Oak war anscheinend der Amerikaner Colonel William H. Whalen gewesen, der zur Zeit der zweiten Berlin-Krise im Stab der Joint Chiefs of Staff (JCS) im Pentagon eingesetzt gewesen war.171 Über ihn waren aber keine weiteren Details zu finden. Ob die gut platzierten Spione der Sowjetunion und der DDR im Hauptquartier der NATO, zum Beispiel Ursel Lorenzen (Deckname »Michele«)172 und Rainer Rupp173 (»Mosel«, ab 1979 »Topas«) in den siebziger und achtziger Jahren auch über Live Oak berichtet haben, lässt sich nicht sagen. Da Live Oak damals im NATO-Hauptquartier in Brüssel nicht sichtlich vertreten war, die Planungen zu diesem späten Zeitpunkt dort Bericht der Botschaft Lissabon, BArch, BW  2/6062: Vatt, Az. POR-06-05 vom 2.10.1963, Tgb.Nr. 804/63 VS-NfD. Auch das ASBw, Abt. II 1, berichtete darüber an das BMVg, BArch, BW 2/6062: Fü B II 6, Tgb.Nr. 1854 III/63 am 7.10.1963. 166 Wörtlich: »Alert Governmental Group regarding Berlin«, BArch, BW  71/58, Nr.  33, Annex  A, Para. 2.b(2) des Berichts des CLO, General Lemnitzer, an die WAG usw. vom 20.2.1964, SHLO 900/3, LO-TS-64-1023. 167 Vgl. auch Uhl, Krieg um Berlin?, S. 224‑226. 168 BArch, BW  71/125, Nr.  6: CM(61)104 CTS, »Instructions to NATO Military Authorities«, 25.10.1961, LO(IN)-CTS-62-2057. 169 BArch, BW 71/58, Nr. 33: CLO-Bericht, Para. 9.a‑d. Allerdings war Chruščev im Juli 1961 ein Operationsplan für die Offenhaltung der Luftkorridore vorgelegt worden. 170 Siehe die Liste in Appendix  A to Annex  A des Dokuments SHLO 900/3, 20.2.1964, BArch, BW 71/58, Nr. 33. 171 Diese Information wurde aus Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 395, Anm. 397, entnommen. 172 Stiller, Der Agent, S. 167, Nr. 18. 173 Ebd., S. 170; auch Knabe, Die unterwanderte Republik, S. 359. 165



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kaum mehr bekannt waren und auch nicht verhandelt wurden, erscheint ein Verrat von dieser Seite eher unwahrscheinlich. Zufällig erworbene Kenntnisse zu Randthemen waren aber niemals auszuschließen. So hatte der deutsche Koordinator im Naval Countermeasures Coordinating Centre (NAVCORCENT) Live Oak Mitte der siebziger Jahre festgestellt, dass belgische Arbeiter an den Fernmeldeeinrichtungen von Live Oak offensichtlich polnisch miteinander sprachen. Er veranlasste die sofortige Einstellung der Arbeiten und die Überprüfung der Firma und ihrer Mitarbeiter.174 Das Ehepaar Lothar (Deckname »Charly«) und Renate (»Nana«) Lutze175 im BMVg in Bonn, überführt 1975, hatte vermutlich Kenntnisse, vor allem Dokumente zu Live Oak und den Berlin Contingencies (BERCON), an den Auftraggeber DDR weitergegeben. Die Rolle der sehr wertvollen sowjetischen Quellen »Murat« und »Giselle«176 ist im Einzelnen bisher nicht bekannt geworden. Beide konnten auch noch nicht enttarnt werden. Ob auch auf dem Wege der »Abschöpfung« von kundigen, aber unvorsichtigen Gesprächspartnern an Informationen zu gelangen war, kann nur erahnt werden. Eine Reihe von Berichten der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) lässt auf Erfolge etwa bei internationalen Konferenzen oder in Zirkeln aller Art schließen.177 Nachdem Pâques und vermutlich auch andere die richtigen Hinweise auf das Ziel Live Oak geliefert hatten, konnten weitere Nachrichten mittels technischer Mittel aufgefangen und zu Erkenntnissen kondensiert werden. Das ist aller Wahrscheinlichkeit nach in großem Stile über die teilweise leichtsinnige Nutzung der offenen Fernmeldemittel, Telefon, Richtfunk und Sprechfunk, durch Mitarbeiter von Live Oak und der anderen beteiligten Dienststellen gelungen. Aber auch durch das Herstellen von Beziehungsnetzen bei Übungen, Konferenzen und Besprechungen und deren Vorbereitung konnten Teilnehmer, Unterstellungsverhältnisse, Kapazitäten und Aufgaben festgestellt, dann überprüft und besonders überwacht werden. Dies lässt sich aus der sehr detaillierten und weitgehend vollständigen Erkenntnislage über die Übungen, auch die von Live Oak, spätestens seit Anfang der siebziger Jahre in guter Qualität herauslesen.178 Später dürfte ein Großteil der Informationen durch technische Mittel erzielt worden sein, also durch elektronische, fernmeldetechnische und funkmeßtechnische, gelegentlich auch optische Aufklärung. Insbesondere die Verbindungen der westlichen Botschaften, anderer Behörden und der militärischen Hauptquartiere zu den Dienststellen in Berlin, die Stadtkom Zahlreiche Polen arbeiteten damals als Gastarbeiter in Belgien; die Überprüfung ergab wohl keinen klaren Hinweis. Dieser Bericht von Fregattenkapitän Bernd Basche mündlich an den Verfasser. 175 Schwan/Heindrichs, Das Spinnennetz, dort Anlage S. 313, lfd. Nr. 36. 176 Victor Lyubimov, The Role of Military Intelligence in Settling the [1961] Berlin Crisis. In: Top Secret, Issue 31, Jan/Feb. 1999, . 177 Ein gutes Beispiel hierfür könnte der Monatsbericht Nr. 3/59, Stand 10.3.1959, sein: GVS-Tgb. Nr. U 366/59, BArch, DVW 1-25867/h. Unter Punkt I.A »NATO-Pläne im Zusammenhang mit der Westberlin-Frage«, S. 5‑7, sind eine Fülle von Überlegungen und Planungen behandelt, die sehr aktuell und oft, wenn auch nur zeitlich begrenzt, zutreffend waren. Sie scheinen von amerikanischen und/oder deutschen Quellen zu stammen. Es handelt sich hier wohl um die in Kap. III.1 behandelten Gespräche, Überlegungen und Verhandlungen unter den Drei Mächten in den ersten Monaten 1959 nach dem Ultimatum von Chruščev. 178 Vgl. z.B. den »Aufklärungs-Sammelbericht Nr. 04/1971« des MfNV für den Monat April 1971, bes. die Anlagen  1 »Aufgeklärte Übungen« und 2 »Aufklärungshandlungen 14./15.4.71«: GVSNr.  A  175  981, BArch, DVW  1-25722/a. Vgl. auch die Ausarbeitung BStU, MfS-HA  III., Nr. 7808, o.D., wohl 1988. 174

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II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

mandanten von Berlin (Commandants of Berlin Sectors, COBs) und der Allied Staff Berlin (ASB) waren Ziele der östlichen Aufklärung mit hohem Ertrag. Hierfür sind nur aus der Spätzeit der DDR Dokumente überliefert, die Zeugnis von der Dichte und Zuverlässigkeit der so gewonnenen Erkenntnisse geben können.179 Abhöranlagen, wie die vom KGB seit 1952 in der Botschaft der USA in Moskau eingerichteten, mögen ebenfalls wesentlich den sowjetischen Kenntnisstand in Berlin-Fragen verbessert haben.180 Offene Quellen und Publikationen aller Art, Zeitungen, Zeitschriften, Berichte in Rundfunk und Fernsehen konnten über Live Oak vermutlich wenig konkrete Informationen liefern – einige Ausnahmen gab es jedoch.181 Inwieweit die sowjetischen Militärmissionen bei den westlichen Oberkommandierenden der Landstreitkräfte in der Bundesrepublik zu Spionageerfolgen in Bezug auf Live Oak beigetragen haben, ist angesichts der mageren Quellenlage nicht abzuschätzen.182 Aktuelle Informationen zu West-Berlin, den dort eingesetzten Stäben, den Stadtkommandanten und der ASB, den Truppen, ihren Übungen und auch ihren Absichten und Planungen für die Verteidigung Berlins wurden den Führungen der GSTD und der NVA rasch bekannt. Die Gewinnung dieser Erkenntnisse fiel den östlichen Diensten und ihren Auftraggebern leicht, eine große Palette an Quellen und Aufklärungsmitteln war permanent im Einsatz. So konnte ein hervorragendes und aktuelles Lagebild über die Stadt und ihre Schutzmächte gewonnen werden.183 Welche Ergebnisse konnte die gegnerische Aufklärung daraus ableiten? Anfang der siebziger Jahre, wohl im Herbst 1972, kehrte der damalige Chef des Stabes Live Oak und frühere Leiter der British Commanders’-in-Chief Mission to the Soviet Forces in Germany (BRIXMIS), Generalmajor George W.D. Crookenden, verunsichert von einem Besuch in Berlin zurück. Er berichtete in der wöchentlichen Stabsbesprechung, dass ihn während eines gesellschaftlichen Ereignisses in der Stadt der ebenfalls anwesende sowjetische Botschafter, Pëtr A. Abrasimov, mit der plötzlichen, aber freundlichen Frage Frühere Dokumente waren vermutlich vernichtet worden, denn vor der Ausstattung der Hauptquartiere mit Sprachschlüsselgeräten ab der Mitte der 1970er Jahre muss die Ausbeute noch viel größer gewesen sein. Vgl. auch hier BStU, MfS-HA III, Nr. 7808. Zur Auswertung von offenen Sprachinhalten siehe z.B. BStU, MfS-HA III, Nr. 6741. 180 Vgl. Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 395, Anm. 397. 181 Beispiele: New York Herald Tribune vom 22.1.1959 und Manchester Guardian vom 22.1.1959, durch die Botschaft London an das AA übermittelt, Bo. London Nr. 59, 114-4, Tgb.Nr. 1264/59 VSV, PA AA, B 130/3578. Auch die New York Times International vom 16.11.1962, »West’s Reaction to Berlin Pressure«, durch deutschen Vertreter bei der NATO, Paris, an AA geschickt, BArch, BW 2/17638, Heft 3. 182 Über diese Militärmissionen gibt Auskunft Mußgnug, Alliierte Militärmissionen; zu den drei sowjetischen Missionen vgl. v.a. S. 81‑95. 183 Vgl. z.B. das »Handbuch der Garnison Westberlin« von 1962 in mehreren Bänden, VVS-Tgb. Nr. U 1219/62, BArch, DVW 1-25768/h; den Aufklärungssammelbericht (ASB) Nr. 22/66, Stand 21.10.1966, über die Lage in Westberlin; VVS-Nr. A 51 493, BArch, DVW 1-18822, für die frühere Zeit; und das akribische »Taschenbuch Westberlin« vom März 1987, BArch, DVW 1/42676, aus den letzten Jahren. Eine eher ideologische Aufgabe hatte wohl die Studie der HV Aufklärung des MfNV: »Die Rolle und der Platz Westberlins in der militärstrategischen Konzeption der NATOHauptmächte, insbesondere des westdeutschen Imperialismus. Die Einbeziehung Westberlins in die Aggressionsvorbereitungen und die Möglichkeiten seines weiteren Ausbaus zum Spannungszentrum in den 70-er Jahren« vom März 1974, GVS-Nr. A 177 543, BArch, DVW 1-25735/s. 179



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überrascht hatte: »Was macht Live Oak?«184 Crookenden richtete an alle die Frage: »Was weiß Abrasimov, was weiß der Gegner wirklich?« Was die Sowjetunion tatsächlich über Live Oak, seine Planungen und über die Berlin Contingencies der NATO wusste, können wir auch heute nur annähernd ermessen, verlässliche Quellen oder wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es nur im Ausnahmefall. Eine befriedigende Antwort erhielt Crookenden übrigens nicht. In vielen militärischen Berichten der NVA wurde seit 1959 das Thema West-Berlin behandelt. Recht allgemein kamen dabei auch Eventualfallplanungen, teilweise der NATO, zur Sprache.185 Die Berichterstattung über die Besatzungstruppen in West-Berlin war detailliert und weitgehend zutreffend. Anders verhielt es sich diesbezüglich mit Live Oak und den Eventualfallplanungen der Vier Mächte, worüber die Berichte zunächst nur wenig Konkretes enthielten. Erst 1964 wurde eine »Information über die militärpolitischen und militärischen Maßnahmen der NATO-Staaten für den Fall einer Zuspitzung der Lage in der Westberlinfrage« vorgelegt.186 Hierbei handelt es sich um ein breit angelegtes Dokument, das die Entwicklung dieser »Notfallplanung« seit 1954 schildert und dann die aktuelle Lage und die Gesamtheit der Planungen darstellt. Darin wird u.a. die Washington Ambassadorial Group als »Botschafter-Lenkungsgruppe«, später auch als »Vier-Mächte-Arbeitsgruppe« bezeichnet, ihre Funktion auch recht zutreffend beschrieben. Die Trennung der Drei- bzw. Vier-Mächte-Organisation von der NATO wurde anscheinend aber nicht erkannt oder nicht zur Kenntnis genommen. Der Name Live Oak tauchte hierin auch noch nicht auf. Der Zeitpunkt der Erstellung und der Inhalt lassen vermuten, dass dieser Bericht ein Ergebnis der Tätigkeit des »Kundschafters«187 Pâques gewesen war. Trotz einiger Ungenauigkeiten und Fehleinschätzungen gibt das Papier die wesentlichen Aufgaben und ihre Verteilung, die verschiedenen Teile der Organisation, die beteiligten Kräfte sowie das Spektrum der Eventualfallplanungen recht gut wieder. Im Dokument wird mit dem 13. August 1961, dem Bau der »Mauer«, eine entscheidende Zäsur verbunden. Dies entspricht im Wesentlichen den Tatsachen. Die Einschätzung der Situation vor dem Mauerbau wurde von der Hypothese bestimmt, dass die Sowjetunion ihre »Kontrollfunktionen bezüglich des Verkehrs zwischen Westdeutschland und Westberlin an die Behörden der DDR übergeben«188 würde; eine einstweilen irrige Annahme. Hinsichtlich des Verhaltens des Westens wurden »drei Varianten für die geplante Provokation« angenommen, nämlich zunächst die Entsendung eines gemischten »unbewaffneten Transports [...] Lastkraftwagen von der Westzone nach Westberlin« aller drei Mächte, mit gemeinsamer Dokumentation, um einen »Präzedenzfall« gegenüber der DDR zu schaffen. Sollten »die Kontrollorgane der DDR« zusätzliche Kontrollen, z.B. der Ladung, verlangen, würde der Konvoi umkehren. Die Sache sollte dann vor den Abrasimov kannte den General persönlich, da dieser bis Sommer 1972 Leiter der britischen Militärmission (BRIXMIS) gewesen war; die Geschichte aus der Erinnerung des Verf., der bei Live Oak Zeuge gewesen war. 185 BArch, Bestand DVW 1. 186 GVS, Stand 31.3.1964, BArch, DVW 1-25740/n, 39 Seiten umfassend, ein Schlüsseldokument zum Thema. 187 So die Bezeichnung des Spions in der DDR, siehe Göpel, Aufklärung, S. 234. 188 BArch, DVW 1-25740/n, S. 4 in Teil I.1. »Allgemeine Entwicklung der ›Notfallplanung‹ bis zum 13.8.1961«. 184

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II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebracht werden, um »die Sowjetunion sowie die DDR der Verletzung der Kriegs- und Nachkriegsabkommen über den freien Zugang der Westmächte nach Westberlin« zu beschuldigen. Schließlich folge die »Entsendung eines bewaffneten Konvois nach Westberlin, der die Durchfahrt unter allen Umständen, auch unter Waffengewalt, erzwingen« sollte. Diese Varianten beschreiben die »ProbeOperationen« von Live Oak, die hier mit der Einschaltung der UN verbunden wurden; Letzteres traf so nicht zu. Richtig erkannt wurde, dass die Briten eine abweichende Meinung vertraten, indem sie den Operationen zu Lande die Luftbrücke vorzogen. Über die einzelnen Planungsbestandteile und Vorbereitungsstufen für den Ernstfall wurde nichts gesagt, ebenso wenig über die besondere Organisation und Verbindung der politischen Führung mit der militärischen: Aus der Verlautbarung des US-Heeresministers Elvis Jacob Stahr jr. im Juni 1961, dass »die NATO im Rahmen ihrer Notfallplanung für Westberlin auf jede militärische Herausforderung – von Unruhen bis zum militärischen Angriff – antworten könne«, und seiner Feststellung, dass die Garnisonen in Berlin stark genug seien, um »so lange standzuhalten, bis der Präsident entschieden habe, ob Kernwaffen eingesetzt werden sollen«, wurde hier die Schlussfolgerung gezogen, dass »bereits vor dem 13. August bestimmte NATO-Einheiten konkrete Aufgaben für [...] eine Verstärkung der Westberliner Garnison bzw. als sogenannte ›Test-Konvois‹ [...] hatten«. Die Regierungen der drei Westmächte hätten aber bis dahin »keine einheitliche Auffassung über die Notfallplanung« erzielen können.189 Über eventuelle Notfallplanungen für den Zugang durch die Luft gibt es keinen Hinweis in diesem Teil.190 Offensichtlich waren die entscheidenden direkten Planungsdokumente von Live Oak in der NVA noch nicht bekannt. Die Entwicklung von Live Oak nach dem 13. August 1961 konnten die Spionagedienste genauer durchblicken, so etwa in Bezug auf die wichtige Rolle der WAG, hier u.a. auf Basis eines von der WAG ausgearbeiteten Grundsatzdokuments über die »Even­ tuali­täts­planung«.191 Die Gegenseite hatte damit etliche Informationen erhalten, etwa über maritime und wirtschaftliche Gegenmaßnahmen. Als Endstufe sah man den »Versuch einer gewaltsamer Öffnung des Landweges nach Westberlin« an, wobei »die eingesetzten NATO-Kontingente« Befehl hätten, »nicht den ersten Schuss abzugeben«192. Spätestens seit Anfang 1964 verfügte die militärische Führung der NVA über ein in weiten Teilen der Wirklichkeit nahekommendes Bild von der Eventualfallplanung für West-Berlin und die Zugangswege. In den folgenden Jahren wurde dieses Bild laufend verbessert und ergänzt. Der Name »Live Oak« taucht, soweit ersichtlich, in den Spionageakten erstmals als Teil eines Organigramms der neuen Gliederung von SHAPE vom Januar 1974 in Verbindung mit einer Stabsabteilung mit der Bezeichnung »Angelegenheiten ›Westberlin‹

Ebd., S. 6. Diese Aussage war nicht ganz falsch, trifft aber nicht den Kern; die Pläne für die Probes auf der Autobahn, das TBG und für »Jackpine« waren genehmigt worden. 190 Die Sowjetunion allerdings musste damals schon Kenntnis davon gehabt haben. Siehe Uhl, Krieg um Berlin?, S. 209. 191 BArch, DVW 1-25740/n, Zit. S. 9, Überschrift von e) »Contingency planning«. 192 BArch, DVW 1-25740/n, S. 10 f., Zit. S. 11. 189



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(Live Oak)« auf. Sie sei dem Chef des Stabes von SHAPE unterstellt.193 Aus der Lage im Hauptquartier SHAPE sei zu schließen, dass Live Oak als weitgehend normale Stabsabteilung angesehen werde, als integraler Bestandteil der NATO-Struktur, die eben einen besonderen geografischen, politischen und militärischen Aufgabenbereich innerhalb des Stabes SHAPE bearbeitete.194 Die besondere politische Struktur von Live Oak als militärischer Arm der westlichen Drei Mächte für Berlin und eben nicht als Teil des Atlantischen Bündnisses wurde nicht wahrgenommen. Der Stab Live Oak wurde als »eine ›besondere Arbeitsgruppe‹ in der NATO« bezeichnet, »die sich ›mit der Aufrechterhaltung des freien Zugangs‹ nach Westberlin beschäftigt«.195 Teilweise wird allerdings von »Live-Oak-Operationen« gesprochen, womit u.a. Sondierungsfahrten der Streitkräfte der drei Westmächte auf den Zugangswegen nach Berlin gemeint waren.196 An dieser Bezeichnung und ihrer Beurteilung änderte sich bis 1990 nichts mehr. Die einzelnen Teile von Live Oak, insbesondere die Führungselemente, wurden erkannt, ihre Verantwortung und Aufgaben im Wesentlichen richtig zugeordnet, aber ebenfalls nicht als von der NATO getrennte politische Organisation gewürdigt.197 Über die Führungsstruktur von Live Oak gab es keine eigene, getrennte Darstellung, denn sie existierte nach Auffassung der HVA nicht. Ebenso waren keine Hinweise über die Delegierung besonderer Befugnisse an den Commander Live Oak (CLO), der ja in Personalunion mit SACEUR verbunden war, zu finden gewesen. Die konkreten Planungen für die Live-Oak-Operationen zu Lande und in der Luft waren nur teilweise erfasst. Wahrscheinlich bildete hier die Aufklärung der tatsächlich stattgefundenen Operationen der Jahre 1961 bis 1965 die Basis. Detailkenntnisse waren anscheinend vor allem durch die praktischen Erfahrungen bei den nationalen »Sondierungen«, im Vorfeld der »Probes«, die eben noch nicht gemischte und gemeinsame Operationen waren, auf der Autobahn und für die Eisenbahn, vorhanden. Über die Planungen der Maritime Countermeasures (MARCON) von Live Oak, sie begannen erst im Spätherbst 1961, wurde erstmals im Jahr 1978 berichtet.198 Erst zu diesem Zeitpunkt war das Spektrum der militärischen Planungen von Live Oak vollständig erkannt worden. Übungen der Berliner Garnisonen waren von Anfang an, seit 1959 also, gut und bis in die Einzelheiten der Planung und Durchführung aufgeklärt worden.199 Dies war wegen der ausgezeichneten Möglichkeiten der Informationsgewinnung in West-Berlin gewiss nicht überraschend. Es ist aber nicht klar, wann die Übungen von Live Oak, BArch, DVW 1-25746/f, »Bericht über die Entwicklung der militärischen und militärpolitischen Lage in der NATO, der BRD und Westberlin [...] 1973«, Stand Januar 1974, GVS-Nr. 177 992, Anlagenband, Anl. 32. 194 BArch, DVW 1-25746/g, S. 25 f. Im Textband dazu ist Live Oak nicht erwähnt: GVS-Nr. 177 992, Stand Januar 1974. 195 Zit. ebd., Bl. 6. 196 BArch, DVW  1-32661, Bl.  4, »Auskunftsmaterial [...] zu Westberlin«, Stand September 1977, GVS-Nr. A 215 640. 197 BArch, DVW 1-25763/l, S. 108, Anm. 1, »Bericht über die Entwicklung der [...] Lage [...] im Jahre 1971«, Stand Jan. 1972, VVS-Nr. A 175 792; auch BArch, DVW 1-25861, »Information über [...] Besatzungstruppen in Westberlin«, Stand 1.10.1961, S. 30, mit Stellenbesetzung. 198 Allerdings als »Handlungen der NATO-Seestreitkräfte«, an denen sich auch die BRD beteilige: BArch, DVW 1-32678, Sonderbericht Nr. 5/78 vom 13.3.1978, GVS-Nr. A 482 066, Bl. 2 f. 199 Ein gutes Beispiel in »Information über den Zustand und den Stand der Kampfvorbereitung der Besatzungstruppen in Westberlin«, Stand 1.10.1961, BArch, DVW 1/25861, S. 12‑27. 193

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insbesondere die großen, darunter die jährliche Rahmenübung, die seit 1963 durchgeführt wurde, durch die Sowjetunion und die DDR als solche erkannt wurden. Derlei konnte nicht unbemerkt bleiben, denn der Fernmeldeverkehr war lebhaft; er ging auch über die oberen und obersten politischen Ebenen und über mehrere militärische Führungsebenen, die hohe Aufmerksamkeit seitens der gegnerischen Aufklärung bekommen haben mussten. Die ersten Meldungen mit näheren Informationen wie Decknamen, Zuor­dnung und Übungsinhalten stammten indes erst, soweit erkennbar, aus dem Jahre 1978. Es handelte sich um die Live-Oak-Rahmenübung »Steadfast 78«, die als »NATOÜbung ›Steadfast 78‹« gemeldet wurde: »unter der Tarnbezeichnung ›Live Oak‹« lief eine Übung ab, die »das Training von Handlungen der NATO in Krisenlagen, einschließlich ihrer Presse­politik, zum Hauptinhalt« hatte.200 Die besondere Rolle der »Öffentlichkeitsarbeit« wurde offensichtlich ebenso festgestellt wie auch die Tatsache, dass es sich um eine Übung der »Krisenlenkung« im Zusammenhang mit West-Berlin handle.201 Nur waren »Zeitraum, Umfang und Teilnehmerkreis noch nicht bekannt«.202 In den achtziger Jahren wurden die Rahmenübungen der »Steadfast«-Serie und die Übungen der »Treaty«-Serie von Live Oak dann allerdings so gut aufgeklärt, dass sie mit Zeit, Raum, Art und Umfang in der Vorschau und in der Auswertung regelmäßig behandelt werden konnten.203 Ob die verschiedenen Lösungen in Bezug auf die Gestaltung der speziellen Kommandostruktur204 aufgeklärt worden waren, geht aus den Berichten nicht hervor. Wie stand es um die Aktualität und die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse? Sie waren v.a. in den achtziger Jahren teilweise beeindruckend hoch: Offensichtlich kamen die Informationen aus innersten Zirkeln, und sie gelangten äußerst schnell an die Auftraggeber. So wurde etwa ein Vortrag von General Bernard W. Rogers vor den Ständigen Vertretern im North Atlantic Council (NAC) Mitte Februar 1986 in Brüssel, in dem er auch »zu Fragen im Zusammenhang mit Westberlin« Stellung nahm205 und u.a. beklagt hatte, dass die Planungen für Berlin von 1961 völlig überholt seien, bereits im März zu einem Bericht verarbeitet. Inwieweit die politische Führung in die Erkenntnisse eingeweiht worden war, geht aus einem Bericht des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, an den Staats- und Parteichef, Walter Ulbricht, von 1969 hervor.206 Er trägt den Untertitel »Zur militärischen ›Krisenplanung‹ für Westberlin« und war für den Nationalen Verteidigungsrat der DDR (NVR) bestimmt, wurde dann aber nur von Ulbricht gelesen. Dennoch ist davon auszugehen, dass neben dem Staats- und Parteichef und dem Minister für die Staatssi-

202 203

BArch, DVW 1-32678, Bl. 2 des S.B-.Nr. 15/78 vom 13.3.1978, GVS-Nr. A 482 066, Zit. ebd. Ebd., Bl. 3. Ebd., Bl. 2. BArch, DVW 1-32676/c: Als Beispiele siehe Anlage 1 »Übungen der NATO-Landstreitkräfte im Monat November 1984« und Anlage 2 »Bisher aufgeklärte wichtige Übungen im Monat Dezember 1984« zu ASB, Nov. 1984, GVS-Nr. A 485 324. 204 Single Commander Berlin, Norstad-Agreement, und ACAB, Rogers-Agreement. 205 Vgl. BArch, DVW 1-42714, Sonderinformation Nr. 9 der VA vom 20.3.1986, GVS-A 532 342, Bl. 2, Zit. ebd. 206 Siehe BStU, 1381, MfS Nr. 665/69 str.geh. vom 1.7.1969, S. 21 f. 200 201



II. Vorgeschichte und Rahmenbedingungen

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Möglichkeiten der elektronischen und optischen Aufklärung durch den Gegner (Schema aus der Sicht der Nationalen Volksarmee) DÄNEMARK Flensburg

OSTSEE

Rödby

Husum

UKW Kiel Rostock

Neumünster Wismar

Lübeck

UKW

Stade

Schwerin

Hamburg Szczecin

Neustrelitz Lüneburg

BUNDESREPUB LI K DEUTSCHLAND POLEN

UKW

Celle

West-Berlin

Stendal

Hannover

UKW

Brandenburg

UKW

OSTBERLIN

Potsdam

Frankfurt/Oder

Magdeburg

Cottbus UKW

DDR

Göttingen

Halle Leipzig

Funkaufklärung (UKW) und Dresden Funkmessaufklärung:

Fritzlar UKW

Erfurt Karl-Marx-Stadt

Karlsbad (Karlovy Vary)

Hof

UKW

UKW

ČSSR

Eger (Cheb) Bamberg

Bayreuth

Quelle: BArch, DVW 1-25710/b, MfNV, Verw. Aufklärung, GVS-Nr. A177902 vom 8.8.1973, Schema 2, Bl. 21.

stationär seegestützt Auflärungsflugzeuge Flugzeuge in den Berlin-Korridoren Funktechnische Aufklärung Funkaufklärung (UKW) In den Berlin-Korridoren PRAG und der BCZ ist zusätzlich optische Aufklärung durch Luftfahrzeuge aus bis zu 3000 m Höhe möglich.

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cherheit gewiss auch die Spitzen des Ministeriums für Nationale Verteidigung und die oberste Etage der Partei, mindestens in groben Zügen, eingeweiht waren.207 Über Planungen für Vorkehrungen gegen Operationen von Live Oak ist bisher kaum etwas bekannt geworden. Die Quellen der NVA geben dazu – wenn überhaupt – zumeist nur spärliche Hinweise, denn Maßnahmen gegen Handlungen der Drei Mächte waren zunächst eindeutig Aufgabe der Sowjetunion. Diese achtete auch darauf, dass das verstanden wurde und so blieb.208 Bis heute hat Moskau nur wenige Dokumente oder Informationen dazu freigegeben. Einzelne Quellen haben eher zufällig den Weg in die Wissenschaft gefunden, wo die Bearbeitung wieder Rückschlüsse auf etwaige Planungen erlauben mag.209 Dass Chruščev es im November 1958 wagte, den Drei Mächten sein Ultimatum zu Berlin zu stellen, hing nicht zuletzt mit dem Glauben an die Erfolge der Sowjetunion in der beginnenden Raumfahrt, in der Rüstungsindustrie und vor allem bei den Atomwaffen zusammen. Er war wohl zu der festen Überzeugung gelangt, dass die Sowjetunion nun die USA technisch überflügelt und dadurch die Überlegenheit über den wichtigsten Gegner erreicht hätte. Eine Ursache für diese Fehleinschätzung lag wohl darin, dass die vorzüglichen Informationen, welche die Sowjetunion durch ihre Dienste erhielt, nicht kritisch analysiert, zentral und kompetent zusammengefasst und professionell ausgewertet wurden. Chruščev verlangte und erhielt daher zunächst auch keine Berichte zu gewissen Themen oder Vorträgen von erfahrenen Kennern der Materie, z.B. der Politik der USA. So wurde er von der Reaktion der USA und des Westens überrascht.210 Diese negativen Erfahrungen führten rasch dazu, dass die Arbeit der Dienste wesentlich verbessert und die Aufklärung sowie die Auswertung der Ergebnisse zu Erkenntnissen systematisiert und wirkungsvoll organisiert wurden. Ab 1959 schon konnten die Dienste weitere vorzügliche Ergebnisse für die Außenpolitik der Sowjetunion gerade auch in der Berlin-Frage liefern. Besonders Dokumente der Bundesregierung dazu, die Planungen zu einer erneuten Luftbrückenoperation und Papiere der Arbeitsgruppe der Vier Mächte über den »Modus Vivendi« sowie über die amerikanischen Rüstungsanstrengungen gelangten 1959/60 nach Moskau, wurden analysiert und konnten dadurch für die eigene Politik der Sowjetunion genutzt werden.211 In der Krise um den Mauerbau sorgten dann die verbesserten Erkenntnisse über die faktisch immer noch bestehende Überlegenheit der Amerikaner, vor allem auf nuklearem Gebiet, dafür, dass Chruščev von zu großen Abenteuern absehen musste.212 Er entschloss sich, das Problem Berlin

Vgl. Wenzel, Kriegsbereit, S. 209 f. Hierzu bisher keine weiteren Quellen. Vgl. auch die Aussage von GenO Markus Wolf vom 29.5.1994, zit. in ebd., S. 209: »Er sei stets über die Tätigkeit der NATO-Verbindungsgruppe ›Live Oak‹ im Bilde gewesen«. 208 Ebd., S. 199 f. Auch Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 104‑123; und Koop, Zwischen Recht und Willkür. 209 Vgl. besonders in jüngster Zeit Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 29; und Uhl, Krieg um Berlin?, S. 6 f. und S. 209‑232. 210 Siehe hierzu den spannenden Beitrag von Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, bes. S. 32‑41. Auch Uhl, Krieg um Berlin?, S. 85. 211 Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 35 f. 212 Vgl. Uhl, Krieg um Berlin?, S. 209; und Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 38‑41, v.a. S. 40. 207



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»zunächst durch eine Abriegelung des Westteils der Stadt zu regeln«.213 Die Meldungen hochkarätiger Quellen wie Pâques, »Murat« und die ausgezeichneten Berichte der Dienste daraus sorgten dafür, dass in dieser Krise »die Maßnahmen des Westens in einem hohen Maße transparent waren«. Auch in der Kuba-Krise trugen sie zur Mäßigung bei, unterstrichen den Ernst der Lage und die amerikanische Entschlossenheit.214 Die Sowjetunion hat sehr früh allgemeine und im weiteren Verlauf auch recht detaillierte und weitgehend zutreffende Kenntnisse von den westlichen Planungen zur Gewährleistung eines ungehinderten Zugangs nach Berlin erlangt. Welche Folgerungen sie daraus gezogen hat, ist weniger deutlich. Die Sowjetunion und die DDR fühlten sich grundsätzlich wohl in ihrer politischen Absicht bestärkt, den »Pfahl im Fleische«, also West-Berlin, zu entfernen, d.h. die Stadt einzunehmen und in den eigenen Machtbereich zu integrieren.215 Inwieweit direkte Planungen zur unmittelbaren Einnahme Berlins existierten, bleibt einstweilen unklar. Sicherlich aber gab es ausgearbeitete Pläne für den Fall eines Krieges mit der NATO. Die Rahmenübung »Buria« des Warschauer Pakts im Herbst 1961, parallel zur Krise um den Mauerbau in Berlin, hatte genau diesen Übungszweck und als Teilziel die Einnahme West-Berlins.216 Ähnlich waren wohl auch die Ziele späterer Übungen, z.B. im Frühjahr 1965 der gemeinsamen sowjetischen und ostdeutschen Übung »Westlich von Berlin«217 sowie die der Warschauer-Pakt-Übung »Oktobersturm« im Oktober des gleichen Jahres.218 »Buria« hatte im Herbst 1961 zusätzlich auch den Zweck gehabt, im »Nervenkrieg« einen »bedeutenden und ebenso wirkungsvollen militärischen Druck gegen den Westen auf dem Höhepunkt der BerlinKrise« aufzubauen.219 Sowjetische Operationspläne, konkret gegen einzelne Live-Oak-Operationen gerichtet, konnten dagegen bisher nicht erkannt werden. Zumindest in den kleinen Krisen auf der Autobahn und in den Korridoren von 1962 bis 1964 wären spezielle Optionslisten hilfreich gewesen.220 Da solche Reaktionen zunächst nur den Einsatz geringer Kräfte und Mittel verlangten, diese und auch stärkere Kräfte aber überall einsatznah disloziert waren, könnte hier auf aufwendige Planungen verzichtet worden sein. In den achtziger Jahren erhielt die NVA schließlich die Genehmigung, die Einnahme von West-Berlin mit eigenen Kräften zu üben. Eine sowjetische Gruppierung in Brigadestärke sollte beteiligt werden. Ein besonderer Stab, die »Berliner Gruppierung«, hatte die Operation zu planen und zu führen. Seit 1983 wurde dafür am Operationsplan »Stoß«, ab 1988 »Zentrum« genannt, gearbeitet. Voraussetzung für die Auslösung von »Stoß« war bereits die Zuführung von Verstärkungen der NATO aus Übersee, für 215 216 217

Siehe Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 40. Ebd., S. 44. Vgl. Heinemann/Wilke, Kein Krieg um Berlin; sowie Göpel, Die Berlin-Operation, S. 286‑300. Vgl. Uhl, Storming on to Paris, S. 46‑71. Name in deutscher Fassung gem. Keiderling/Stulz, Berlin 1945‑1968, S. 536 f. Vgl. die Diskussion dazu in der Bonn Group, BArch, BW 71/5, Nr. 35: »Informal Record«, A-2097, 16.6.1965, LO(IN)-S-68-3108. 218 BArch, BW 2/17638, Heft 1, SG II, Nr. 48, Vermerk des Fü S III 1 LO für den CdS Fü S, vom 14.1.1966, Tgb.Nr. 1/66 str.geh. 219 Siehe Uhl, Storming on to Paris, S. 64. 220 Die Darstellung der Ereignisse in BArch, DVW  1-25740, Stand 31.3.1964, S.  30‑36, könnte darauf hindeuten, dass solche Listen existierten. 213 214

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»Zentrum« erst das Überschreiten der Staatsgrenze der DDR durch die NATO. Diese Operation wurde in den Rahmenübungen und Kriegsspielen der »Bordkante«-Serie221 geübt, in denen die Eroberung der Stadt vorbereitet wurde. Da in Berlin nicht geübt werden konnte, wurden andere Großstädte, z.B. Magdeburg, als Übungsterrain genutzt. Für diese Operationsplanung hatte es anscheinend auch eine rein sowjetische Variante gegeben.222 Insgesamt besteht kein Zweifel, dass die Sowjetunion und die DDR die Organisation der Drei, dann der Vier Mächte zur Sicherung des Status der Teilstadt West-Berlin und ihres Zugangs schon sehr früh aufgeklärt hatten. Im Laufe der Zeit ergab sich für die Spionage der Sowjetunion in der DDR ein zusammenhängendes Bild, auch wenn wichtige Elemente, wie z.B. die operativen Planungen, wohl unbekannt blieben. Man wusste jedenfalls, worauf man sich einzustellen hatte, und plante in gewissem Umfang auch Gegenmaßnahmen. Dieses Wissen der Gegenseite stellte nicht unbedingt einen Nachteil für die politische und militärische Führung von Live Oak dar. Schon früh hatte man ja die Idee gehabt, dass gewisse Maßnahmen der Drei Mächte zwar der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollten, um »keine öffentliche Unruhe zu erzeugen«, aber »für die sowjetische Auf­klä­rung erkennbar« sein mussten, um die Sowjetunion zu warnen.223 Schon der Commander Live Oak General Lyman L. Lemnitzer hatte bei der Aufarbeitung des Verratsfalles Pâques 1964 diese Auffassung vertreten224 – wohl nicht zu Unrecht, wenn man Chruščevs Vorstellungen und Pläne von 1961 betrachtet. Danach hatte der sowjetische Staats- und Parteichef im Sommer 1961 vorgehabt, den Zugang nach Berlin durch die Luft zu unterbinden. Selbst der »Abschuss westalliierter Flugzeuge über dem Territorium der DDR«225 sollte freigegeben werden. Nachdem ihn der KGB aber am 20. Juli schrift­lich über die dagegen vorgesehenen Maßnahmen der Westalliierten unterrichtet hatte, nahm er Abstand und genehmigte wenige Tage später die Abriegelung der DDR durch die »Mauer«. Damit ist zumindest ein Teil der Hintergründe des Mauerbaus klarer ersichtlich. Welche Elemente und Fakten eine größere oder kleinere Rolle gespielt haben, bleibt weiterhin diskutabel. Jedenfalls aber hat das Wissen, dass die Garantien der USA und der NATO für die Freiheit West-Berlins und für den ungehinderten Zugang in die Stadt sehr ernst gemeint waren und, durch die nukleare Ultima Ratio bestärkt, gültig blieben, die Sowjetmacht von allzu gefährlichen Abenteuern abgehalten.226

Siehe dazu die Darstellung in Göpel, Die Berlin-Operation, S. 286‑300; die Darstellung bei Wenzel, Kriegsbereit, S. 59 und S. 70‑74; und die Dokumentation im BArch, DVH 1-7/44646 u.a. 222 Siehe Wenzel, Kriegsbereit, S. 71 f. mit Anm. 63. 223 BArch, BW 71/49, Nr. 3: LO Basic Paper, 4.4.1959, LO(IN)-S-59-1006, Para. 1.a, Zit. ebd. 224 BArch, BW 71/58, Nr. 33: SHLO 900/3, 20.2.1964, LO-S-64-1023, Para. 3. 225 Uhl, Krieg um Berlin?, S. 2 f. und S. 209 (hier das Zit.). 226 Vgl. hierzu Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 289‑291; sowie Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 459‑463. 221

III. Die Geschichte von Live Oak: Das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

Die Geschichte von Live Oak ist ein Paradebeispiel sowohl für die Auswirkungen der besonderen Bedingungen und Konflikte des Kalten Krieges auf die westliche Position innerhalb und außerhalb der NATO als auch für westliches Krisenmanagement überhaupt. Diese Organisation hat über 31 Jahre lang, bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, die ihr gestellten Aufgaben wahrgenommen.

1. Das Chruščev-Ultimatum und seine Auswirkungen Nach einer relativ ruhigen Phase der Ost-West-Beziehungen begann die zweite große Berlin-Krise mit einer zunächst in der Öffentlichkeit wenig beachteten Rede des sowjetischen Parteichefs Chruščev am 10. November 1958 in Moskau.1 Darin warf er den Vereinigten Staaten und ihren Alliierten vor, die Vier-Mächte-Vereinbarungen über die Kontrolle Deutschlands und Berlins verletzt zu haben. Diese Verstöße, er nannte u.a. die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, machten es notwendig, die Besetzung Berlins zu beenden. Die Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin bezeichnete er als einen Teil des Potsdamer Abkommens.2 Die Regierungen der drei Westmächte und auch in Bonn reagierten alarmiert. Wenige Tage später aber, am 27. November, überreichte die Sowjetunion den drei Westmächten gleichlautende Noten, in denen sie wissen ließ, dass sie die Londoner Vereinbarungen über Berlin als »nicht mehr in Kraft befindlich betrachte«3 und dass die Berlin-Frage einer »selbstständigen Lösung« zugeführt werden müsse.4 Ferner teilte Moskau mit, dass man eine radikale Änderung des Vier-Mächte-Status der Stadt BerText der Rede (Auszüge) auf Deutsch in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 236, S. 296‑299. Grundlegend hierzu: Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise; zu den Resonanzen ebd., S.  45‑49; und de Gaulle in seinen »Memoiren der Hoffnung«, zit. aus Frankreichs Verteidigungspolitik, S. 34; oder Eisenhower, Wagnis, S. 296: »mit dieser Ankündigung verwandelte er Berlin [...] in ein Pulverfass«. 2 Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 236, S. 297 f.; auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 26‑29. 3 Text der Note an die US-Regierung siehe Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 241, S. 301‑319, Zit. S. 313. 4 Zit. ebd., S.  314. Die Bundesregierung hatte mit gleichem Datum eine eigene Note zur Lage Berlins überreicht bekommen. Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok. 242, S.  319‑328; auf

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lin vorschlage. Die Internationalen Abkommen vom 12.  September 1944 und vom 1. Mai 1945 über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von GroßBerlin seien nicht mehr gültig.5 Die Note sprach von der »rechtswidrigen Besetzung Westberlins«6 und rügte den Missbrauch der Besatzungsrechte durch die Westmächte mit dem Ziel, der Sowjetunion, der DDR und den anderen sozialistischen Ländern Schaden zuzufügen.7 Es wurde vorgeschlagen, West-Berlin zu »demilitarisieren«, also alle Streitkräfte aus der Stadt abzuziehen, und West-Berlin in eine »selbstständige politische Einheit, in eine Freie Stadt« umzuwandeln. Dieser neue Status könne entweder allein durch die Vier Mächte oder gemeinsam mit den Vereinten Nationen garantiert werden. Die Sowjetunion habe außerdem beschlossen, »ihrerseits Maßnahmen zur Aufhebung des Besatzungsregimes in Berlin vorzubereiten«. Dadurch wolle sie die Sache des Friedens fördern und die Lage in Berlin im Interesse einer friedlichen und unabhängigen Entwicklung Deutschlands normalisieren.8 Die Sowjetunion erklärte sich bereit, über ihren Vorschlag mit den Westmächten zu verhandeln. Hierfür allerdings stellte sie drei Bedingungen: Erstens wurde eine Frist von einem halben Jahr – sie endete am 27. Mai 1959 – für eine Einigung der Vier Mächte gesetzt und gleichzeitig implizit angedroht, dass nach deren Ablauf der Zugang für militärische Transporte der drei Westmächte gesperrt werden konnte. Zweitens wurde der eigene Vorschlag im Wesentlichen als alternativlos deklariert. Für den Fall einer Nichteinigung wurde, drittens, ein gesondertes Abkommen zwischen Moskau und der DDR-Regierung angekündigt, worin Letzterer die volle Kontrolle »zu Lande, zu Wasser und in der Luft«, d.h. auch über die Zugangswege nach Berlin, übertragen werden sollte.9 Diese Noten der Sowjetunion lösten bei den weitgehend überraschten Adressaten wegen ihrer politischen Aggressivität zunächst einen richtiggehenden Schock aus.10 Die nähere Analyse der Noten durch die Westmächte zeigte aber, dass es Möglichkeiten für flexibles Verhandeln und Taktieren gab. Die Erklärungen selbst waren, ebenso wie Chruščevs Kommentare in der Öffentlichkeit, absichtlich zweideutig formuliert worden; dies galt besonders für die Fristsetzung.11 Die Noten enthielten insgesamt abgestufte Forderungen, die taktisches Kalkül und eine gewisse Flexibilität zu zeigen schienen. Sie sollten den Gegenspieler wohl über die letztgültigen Absichten im Unklaren lassen. Her­ auslesen ließen sich eine Minimalforderung, die besagte, dass die internationalen Verhandlungen über die Zukunft Berlins vor dem 27. Mai 1959 beginnen sollten; dann die weiterreichende Forderung, dass ein internationales Abkommen bis zu diesem Zeitpunkt

Englisch: Documents on Germany, S. 552‑559 (Auszüge); Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 31‑53. 5 Siehe Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 241, S. 313 (Auszüge). 6 Ebd., S. 314. 7 Ebd., S. 309‑311. 8 Ebd., S. 316 f. 9 Ebd., S. 317 f., Zit. S. 318. 10 Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 45; Eisenhower, Wagnis, S. 297‑299; und Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 21. 11 Zum Beispiel Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 45‑49.



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erreicht sein müsse; und schließlich die Maximalforderung, dass West-Berlin bis zum 27. Mai 1959 eine »entmilitarisierte Freie Stadt« sein müsse.12 Nach intensiven Gesprächen fiel die alliierte Reaktion maßvoll, aber deutlich aus:13 In einer ersten Erklärung der drei Westmächte und der Bundesregierung wurde am 14. Dezember 1958 in Paris darauf hingewiesen, dass »eine einseitige Aufhebung der gegenüber den Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten mit Bezug auf deren Anwesenheit in Berlin und die Freiheit des Zugangs dorthin bestehenden Verpflichtungen durch die Sowjetunion [...] unannehmbar« sei.14 Der NATO-Rat machte zwei Tage später klar, dass die Anwesenheit der westlichen Truppen in Berlin auf Vereinbarungen mit der Sowjetunion beruhe, die nicht einseitig widerrufen werden können. Der Rat unterstützte dadurch die Haltung der Drei Mächte.15 Hinter den Kulissen herrschte indes Uneinigkeit, auch wenn es nach außen anders transportiert wurde: Die Alliierten waren zerstritten hinsichtlich der besten Vorgehensweise, falls die Sowjetunion beginnen würde, den Zugang nach Berlin zu sperren.16 Die drei Westmächte wollten, insofern bestand Einvernehmen, zunächst nichts tun, was die Krise verschärfte. Weder sollten Verhandlungen mit der Sowjetunion verweigert, noch die eigenen Streitkräfte alarmiert oder andere militärische Maßnahmen ergriffen werden. Man entschloss sich vielmehr, dem sowjetischen Angriff auf die eigenen Rechte und Interessen mit diplomatischen Mitteln entgegenzutreten. Dabei sollte es möglich sein, dass alle Beteiligten das Gesicht wahrten.17 In ihren ähnlich lautenden, koordinierten Antworten vom 31.  Dezember 1958 auf weitere sowjetische Noten vom 27.  November 1958 protestierten die Westmächte zunächst scharf gegen die Absicht, sie durch ein Ultimatum an den Verhandlungstisch zu zwingen. Man wies weiter darauf hin, dass die Berlin-Frage »nur ein Aspekt und nicht der entscheidende des deutschen Problems« sei. Man erklärte sich ferner grundsätzlich bereit, mit der sowjetischen Regierung über die deutsche Wiedervereinigung, die europäische Sicherheit sowie einen Friedensvertrag zu verhandeln.18 Die Westmächte hatten gehofft, die Berlin-Krise mit diesem Vorgehen diplomatisch einzuhegen. Die sowjetische Antwort kam schnell und erhöhte nochmals den Druck. Chruščev schlug ein Treffen auf hoher Ebene vor, auf dem ein Friedensvertrag mit Deutschland und eine Reihe von anderen Streitfragen zwischen Ost und West zu behandeln wären. Die sowjetische Regierung beharrte darauf, dass ein Friedensvertrag mit beiden deutschen Regierungen  – nicht aber die Wiedervereinigung  – Gegenstand In dieser Auswertung folge ich der überzeugenden Darstellung bei Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 17 f. 13 Vgl. Eisenhower, Wagnis, S.  299  f.; Burr, U.S. Policy, S.  10‑18; Schunck, Charles de Gaulle, S. 554. Das Kommuniqué des Treffens von Adenauer mit de Gaulle am 26.11.1958 in Bad Kreuznach, Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok.  240, S.  301. Siehe auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 98 f. 14 Siehe »Kommuniqué zur Berlinfrage« vom 14.12.1958, Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok. 247, S. 337. 15 Siehe Erklärung des NATO-Rates vom 16.12.1958, Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 248, S. 338. 16 Siehe Pedlow, Allied Crisis Management, S. 88. 17 Siehe hierzu Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 45‑51. 18 Zit. nach der US-Note vom 31.12.1958, Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 249, S. 339‑343. 12

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von Vier-Mächte-Verhandlungen sein sollte. Der beigefügte Entwurf für einen Friedensvertrag enthielt für den Westen unzumutbare Bedingungen und zeigte klar, dass die Gegenseite in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands zu keinem Kompromiss bereit war. Letztlich handelte es sich hier um einen sehr ernst zu nehmenden, weiteren Versuch, die Westmächte zur Anerkennung der DDR zu zwingen.19 Mitte Februar legte Chruščev noch einmal nach, indem er erstmals persönlich damit drohte, einen separaten Friedensvertrag mit der DDR abzuschließen.20 In verschiedenen Reden und Noten in den Folgemonaten wiederholte er seine Auffassungen und hielt so den Druck aufrecht.21 Dieses Muster von Erpressung und Drohung, um politische und strategische Vorteile zu gewinnen, sollte sich zu einer Art Standardverhalten entwickeln, das später noch durch die Drohung mit der atomaren Stärke und den Raketenwaffen ergänzt wurde.22 Die Westmächte hatten viele Gründe, sich in dieser Krise höchst unbehaglich zu fühlen: Die geografische Lage Berlins war exponiert. Das Risiko wurde als sehr hoch angesehen, dass auch ein örtlich begrenzter Krieg infolge der Unterlegenheit des Westens im konventionellen Bereich rasch zur atomaren Eskalation führen konnte. Die scheinbar eng begrenzte Streitfrage Berlin konnte sich vor diesem Hintergrund rasch auf die Glaubwürdigkeit westlicher Abschreckung im globalen Rahmen auswirken.23 Außerdem fehlte ein wirksames Instrumentarium zur Krisenbewältigung.24 In diesem Zusammenhang waren zwei Fragen besonders interessant: Welche Beweggründe hatte die sowjetische Führung? Und wie beurteilte die Sowjetunion, wie Chruščev die Risiken dieses Vorgehens? Die Quellen dazu sind aus den bekannten Gründen spärlich. Eine Aussage Chruščevs vom Dezember 1958 gegenüber dem Senator von Minnesota, Hubert H. Humphrey, bringt seine Sorgen zum Ausdruck: Berlin sei »a bone in my throat«.25 Amerikanische Politiker und Diplomaten kamen zu folgenden Schlüssen: Solange Berlin das Schlupfloch für die Fluchtbewegung aus der DDR blieb, konnte die DDR von Moskau nicht stabilisiert werden. Die Westmächte konnten außerdem von WestBerlin aus Aufklärung bis in die Tiefe des sowjetischen Machtbereichs betreiben und über die Medien von dort aus Einfluss ausüben. Daher musste die Sowjetunion darauf Text der Note vom 10.1.1959 auszugsweise in Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok.  255, S. 373‑375. 20 Auf einer Veranstaltung in der sowjetischen Stadt Tula am 17.2.1959, in: Berlin. Chronik der Jahre 1945 bis 1960, S. 66 f. Diese Drohung hat er danach oft wiederholt, u.a. auch gegenüber Kennedy am 4.6.1961 in Wien, Wortlaut des ›Aide-Mémoire‹ in Documents on Germany, S.  729‑732; siehe auch Speier, Die Bedrohung Berlins, S.  21‑30, der von dieser Äußerung vom 17.2.1959 auf S. 24 berichtet, ohne Ort und Anlass zu nennen; und Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 37‑45. 21 Siehe hierzu Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 37‑45 und S. 51 f. 22 Zum Beispiel der Oberbefehlshaber der GSTD, Marschall Matvej V. Zacharov, am 19.12.1958, und Chruščev selbst eine Woche davor, usw., einige genannt von Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 31 f. Siehe auch die neuere Literatur dazu, z.B. Greiner, Krisen im Kalten Krieg, S. 18‑23; auch Lemke, Die Berlinkrisen; und Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 25‑67, v.a. S. 25‑31. 23 Ein ganz entscheidender Punkt, siehe Thoß, NATO-Strategie, S. 291‑329. Vgl. auch Gavin, Nuclear Statecraft, Kap. 3. 24 Siehe hierzu Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 147 f.; sowie Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 62‑67; auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 97‑102; und Thoß, NATO-Strategie, S. 258. 25 Vgl. Burr, U.S. Policy, S. 8; auch berichtet in Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 34; sowie Rott, Die Insel, S. 139. Ähnlich Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 44. 19



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drängen, die Anerkennung der DDR zu erzwingen und damit auch Berlin vollständig in den eigenen Machtbereich zu integrieren und die eigene Position zu sichern.26 Die möglichen Risiken schätzte Chruščev wohl als beherrschbar ein. Hierzu sind in den letzten Jahren einige Dokumente zugänglich gemacht worden.27 Generell sah die Sowjetunion Risiken nicht nur als hinnehmbar an, wenn sie gering erschienen, sondern auch dann, wenn sie kontrollierbar waren. In diesem Fall ging die sowjetische Führung vorsichtig ans Werk. Sie kalkulierte die westlichen Reaktionen zumeist treffend und konnte ihre Annahmen durch ihre wirkungsvollen Nachrichtendienste auch recht früh verifizieren.28 Sie antwortete daher entsprechend: Die Mittel der Drohung waren sichtbar, wurden aber nicht öffentlich und demonstrativ gezeigt. Dass der Westen mit militärischen Mitteln antworten würde, wurde wohl als wenig wahrscheinlich angenommen: »Als die Krise voranschritt, konnte Chruščev die Reaktionen des Westens beobachten und die tatsächlichen Risiken ausloten. Diese Risiken erwiesen sich als nicht sehr groß. Chruščev war mit psychologischem Geschick und Beharrlichkeit ans Werk gegangen.«29 Chruščevs Ultimatum erwies sich dennoch als eine höchst gefährliche Herausforderung der Westmächte, insbesondere was ihre Position in Berlin und ihr Krisenmanagement in Europa betraf. Hier waren neue Lösungsansätze gefordert, um die Krise, möglichst ohne einen Krieg zu riskieren, bewältigen zu können.

2. Die Aufstellung von Live Oak als Antwort auf östliche Erpressungsversuche In den Tagen, Wochen und Monaten nach dem 10.  November 1958 plagten den NATO-Oberbefehlshaber Europa, General Lauris Norstad, schwere Sorgen.30 Als Oberbefehlshaber des US-European Command (USCINCEUR) war er auch militärischer Vorgesetzter des Kommandanten des Amerikanischen Sektors von Berlin und der dortigen Garnison. Die amerikanische Präsenz in Berlin und die US-Garnison, zusammen mit zivilem Gefolge und Familienangehörigen etwa 18 000 Personen,31 schien durch die Ankündigungen des sowjetischen Parteichefs und vor allem durch das Ultimatum vom 27. November in höchster Gefahr zu sein. Die Drohung der Gegenseite bekam noch eine besonders aktuelle Note dadurch, dass am 14. November ein amerikanischer Militärkonvoi auf der Fahrt von Berlin nach Helmstedt am Kontrollpunkt in Babelsberg mehr als acht Stunden von sowjetischen Kräften angehalten worden war und seine Weiterfahrt anscheinend für längere Zeit un Siehe Burr, U.S. Policy, S. 7‑10. Vgl. Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S.  29‑45; neu auch Uhl, Krieg um Berlin?, S. 87‑107; sowie Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 31‑39. 28 Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 34; und Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 143‑240, v.a. S. 211‑223. 29 So Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 46. 30 Sehr informativ ist die Schilderung dieser Phase durch Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 1‑6. Siehe auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 43‑60. 31 Geschätzt nach Angaben aus anderen Perioden, die Größenordnung dürfte stimmen; genaue Zahlen zu diesem Zeitraum liegen dem Verf. nicht vor. 26 27

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terbunden werden sollte, worauf er zurückbefohlen wurde. Die Sowjetunion bestritt offensichtlich das Recht auf freien Zugang. Man stand möglicherweise kurz vor einer Blockade, wie sie vor zehn Jahren, 1948/49, schon einmal stattgefunden hatte. In seinen Erinnerungen schildert der damalige amerikanische Präsident Eisenhower, dass Norstad »in Ermangelung anderer Instruktionen« vorgeschlagen habe, einen weiteren Konvoi loszuschicken, um die sowjetischen Absichten zu prüfen. Wenn auch dieser Konvoi an der Durchfahrt gehindert werden würde, wolle er »mit einem Minimum von Gewaltanwendung den Konvoi frei bekommen«.32 Norstads Vorschläge gingen dem Präsidenten zu weit, weswegen er darüber zuerst mit den Alliierten sprechen wollte. Um Zeit für Konsultationen zu gewinnen, befahl er, zunächst keine weiteren Konvois mehr in Marsch zu setzen.33 Nun begann in Washington das Planen: Wie sollte man diesem sowjetischen Handeln begegnen? Nach dem Ultimatum vom 27. November wurden die Vorbereitungen für eine adäquate Reaktion intensiviert und die Arbeiten fanden unter noch stärkerem politischem Druck statt.34 Dabei erinnerte man sich eines Dokuments vom Januar 1954, in dem die EisenhowerAdministration nach Konvoi-Zwischenfällen spezielle militärische Vorbereitungen und Planungen für den Fall einer neuen »Großen Berlin-Krise« vorgesehen hatte. Man wollte nicht sofort eine – sehr aufwendige – Luftbrücke einleiten müssen, sondern durch vor Ort, in Berlin, in großen Depots eingelagerte Vorräte an Lebensmitteln und Kraftstoffen Zeit gewinnen. Das würde auch politisch Raum schaffen für die Festigung der eigenen Position und schließlich die Vorbereitung der Wiederherstellung ungehinderten Zugangs.35 Ein Teil des späteren Berlin Contingency Planning war hier offensichtlich schon vorbedacht. Die aktive, offensive Stoßrichtung dieses Papiers hatte aber noch aus einem Gefühl amerikanischer Überlegenheit und aus einem Denken in Kategorien der Massiven Vergeltung geschöpft. Es war daher nicht mehr im Einklang mit der sich ändernden strategischen Lage.36 Während die Politiker und Diplomaten mit den Überlegungen zu den Antworten auf das Sowjet-Ultimatum intensiv beschäftigt waren, hatten vor allem Norstad und die Vereinigten Stabschefs (JCS) das Gefühl, dass nun dringend gemeinsam mit den Alliierten über militärische Eventualpläne befunden werden sollte. Allerdings gab es dazu recht unterschiedliche Vorstellungen.37 Teils herrschte auch nuklearer Fatalismus vor. Im Vorfeld der Ministerratssitzung der NATO im Dezember hatte der Vorsitzende der JCS, General Nathan F. Twining, am 13. Dezember 1958 argumentiert, »We certainly have to stop this somewhere. We must ignore the fear of general war. It is coming anyway. Therefore we should force the issue on a point we think is right and stand on it.«38 Dem britischen Premierminister Harold Macmillan gegenüber unterstrich auch Norstad am 26. November 1958 seine Auffassung, dass die Alliierten einerseits »an absoSiehe hierzu Eisenhower, Wagnis, S. 296‑299, Zit. S. 297. Siehe die Schilderung nach ebd. Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 1‑3. Siehe NSC 5404/1, gebilligt am 25.1.1954, nach Burr, U.S. Policy, S. 10; siehe auch Thoß, NATOStrategie, der diese Planungen auf S. 294 erwähnt. 36 So auch das Urteil in Burr, U.S. Policy, S. 12 f. 37 Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 1; und Burr, U.S. Policy, S. 10‑22. 38 Pedlow, General Lauris Norstad, S. 6 f. 34 35 32 33



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lutely tough line« verfolgen sollten, was ihre Rechte betraf, auf der anderen Seite aber eine Konferenz vorschlagen sollten, um das deutsche Problem zu diskutieren. Norstad nannte diese Haltung den »stick and carrot approach«.39 Am 14. Dezember wiesen die Außenminister der drei Westmächte die sowjetischen Vorwürfe erstmals in einem Kommuniqué zurück. Am 16. Dezember stärkten die Außenminister der NATO den Westmächten den Rücken. Drei Wochen waren nun schon vergangen, seit Chruščev das Ultimatum gestellt hatte. Der US-Außenminister, John Foster Dulles, hatte dabei vorgeschlagen, General Norstad den Auftrag zu erteilen, »draw up a series of graduated steps which might be taken purely on the military side, in response to further pression from the Soviets, for the purpose of demonstrating that we intend at all costs to stand firm.«40 Dieser Vorschlag fand die Zustimmung des Präsidenten.41 Die Planer beschäftigten sich daraufhin mit der Frage des Einsatzes militärischer Gewalt und überprüften die Überlegungen von 1954 noch einmal. Man versuchte, die Briten und die Franzosen für die Heranziehung der ursprünglichen Pläne zu gewinnen. Da zunächst niemand wusste, ob die sowjetische Seite schon bald die alliierten Zugangsrechte mit physischem Zwang in Frage stellen würde, wollten der Präsident und die Joint Chiefs of Staff, dass die Alliierten schon im Voraus dem »limited use of force«42 zustimmten, um blockierte Landzugänge zu öffnen und so die alliierte Entschlossenheit öffentlich zu zeigen. Die beiden Alliierten aber wollten dem nicht folgen. Trotz alledem übergaben die drei Westmächte am 31. Dezember die abgestimmten Noten an die Gegenseite;43 mit ihrer Antwort auf das Ultimatum vom 27. November wiesen sie Chruščevs Forderungen zurück. Gleichzeitig erarbeiteten die Vereinigten Stabschefs weitergehende Eventualpläne, die sogar den Einsatz einer Division vorsahen, um den Zugang notfalls mit Gewalt zu öffnen. Als primäres Mittel sah man hier erstmals explizit einen bewaffneten alliierten Konvoi als »Probe« vor, wenn man auf Schwierigkeiten stieß.44 Das amerikanische militärische Denken in dieser Phase wurzelte noch in der Strategie der Massiven Vergeltung der frühen fünfziger Jahre.45 Eisenhower und seine Umgebung verwarfen alle Überlegungen, einen konventionellen Krieg um Berlin zu führen. Man glaubte zwar, die Kräfte der Nationalen Volksarmee überwinden zu können, hatte aber wenig Hoffnung für einen entsprechenden Waffengang mit den sowjetischen Streitkräften. Daher befürchtete das Pentagon, dass eine Konfrontation am Kontrollpunkt auf der Autobahn schnell zum General War eskalieren würde, was zugleich einen nuklearen Ebd. Dieses Bild nutzt übrigens auch Alexander L. George in seinem Kap. 3 »The Tension« unter »The Need for Political-Military Strategy in C.M.« in Avoiding War, S. 17. Zu den britischen Vorstellungen damals siehe u.a. Newman, Macmillan, Khrushchev and the Berlin-Crisis. 40 Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 5, Msg Norstad an JSC, vom 23.12.1958. 41 Eisenhower, Wagnis, S. 304 f. 42 Burr, U.S. Policy, S. 12 f. 43 Text der US-Note in Documents on Germany, S. 573‑585; oder auf Deutsch in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 249, S. 339‑343. 44 Dieser Begriff tauchte hier erstmals auf, siehe Anlage »Glossar«. Siehe Burr, U.S. Policy, S. 12; und auch Thoß, NATO-Strategie, S. 302. 45 Siehe hierzu Greiner/Maier/Rebhan, Die NATO, v.a. den Beitrag Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 19‑174. 39

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Angriff auf den Warschauer Pakt umfasste. Die USA, so Eisenhower, würden »all its chips in the pot« werfen, also aufs Ganze gehen. Die Amerikaner könnten die Sowjetunion abhalten, die alliierten Rechte zu schmälern, in dem sie mit dem Risiko des General War drohten. Die europäischen Alliierten allerdings teilten diese Meinung nicht, sondern verlangten von Eisenhower und Dulles, »to develop a program that was more moderate.« Die Briten wollten jede Behinderung des Landverkehrs mit einer neuerlichen Luftbrücke erwidern und so der Konfrontation auf der Straße ausweichen.46 Norstad antwortete darauf, dass die Luftbrücke zwar handhabbar (»manageable«) sei, aber keine dauerhafte Lösung biete.47 Nach einer Besprechung der Vertreter der Drei Mächte am 5. Januar 1959 in Washington unter dem Vorsitz von Robert D. Murphy, State Departement, wurden die nationalen Positionen wie folgt konkretisiert:48 Die Vereinigten Staaten nahmen an, dass die Sowjetunion Berlins wegen keinen Krieg riskieren wolle. Sie würde sich mit der Zusage von Verhandlungen zufrieden geben, wenn der Westen ihr deutlich zeigte: »we are prepared [to] maintain our position, including right of access, by force«. Die Amerikaner wollten in dieser Besprechung unter den Verbündeten grundsätzliche Einigkeit über das weitere Vorgehen herstellen und auch die nötigen Beschlüsse dafür fassen. Dann könnten die Militärs die Detailplanung beginnen. Die Option, mit einer Luftbrückenoperation zu antworten, hätte aus amerikanischer Sicht den Nachteil, dass sie sowjetischerseits als Ausweichen interpretiert werden konnte. Deswegen müsse eine Bedrohung des Landzugangs auch auf dem Landweg ausgefochten werden. Da komme es darauf an, dass die Alliierten der Sowjetunion gegenüber schon beim ersten Versuch, den westlichen Zugang zu verhindern, deutlich ihre Entschlossenheit zeigten.49 Die französische Position war noch nicht endgültig, da die nähere Weisung aus Paris abzuwarten war; die Franzosen hegten zumindest eine gewisse Sympathie für die amerikanische Haltung.50 Die Briten hatten dagegen eine differenziertere Sicht vorgetragen: Sie wollten zunächst mehr über die amerikanischen Vorstellungen zum Einsatz von Gewalt wissen. Sie mahnten im Übrigen an, dass ein Vorgehen, welches das Risiko eines General War einschließe, die Öffentlichkeit der drei Westmächte und der NATO-Mitglieder nicht aus dem Blick verlieren dürfe. Es müsse deutlich werden, dass westliches Handeln hier nicht leichtfertig provoziere, sondern auf sowjetische Blockademaßnahmen antworte. Außerdem erfordere ein solches Handeln militärische Vorbereitungen, möglicherweise auch die Alarmmaßnahmen der gesamten NATO, bevor der Westen entsprechende Mittel einsetzen könne, um die sowjetischen Absichten zu testen. Bei einer Blockade des Landverkehrs könnte zumindest der militärische Lufttransport der Drei Mächte helfen, den Zugang zu Berlin zumindest in der Luft quasi noch im Normalbetrieb aufrechtzuerhal-

Burr, U.S. Policy, S. 13, Zit. ebd. Vgl. auch Pedlow, General Lauris Norstad, S. 6. So Norstad gegenüber MacMillan am 27.11.1958, zit. aus Pedlow, General Lauris Norstad, S. 6. 48 BArch, BW 71/43, Nr. 20: S. 1 f. von Wash. Nr. 2364, 7.1.1959. Vgl. auch Murphy, Diplomat unter Kriegern. 49 BArch, BW 71/43, Nr. 20, S. 1, 2. Abs., daraus auch die Zitate. 50 Ebd., 3. Abs., S. 1. 46 47



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ten, dadurch Zeit zu gewinnen, auch um die Unterstützung der NATO und der Öffentlichkeit für ein Vorgehen abzuwarten, dass die Gefahr eines General War in sich trage.51 Die amerikanischen Vertreter fanden diesen britischen Ansatz jedoch nicht hilfreich, denn er würde, so wörtlich, »the cart before horse« setzen. Zuerst müssten die Drei Mächte entscheiden, was sie tun wollten, dann die dafür notwendigen Mittel bestimmen. Weitere Diskussionen sollten erst dann folgen, wenn die französische Weisung eingegangen sei.52 Am 10. Januar 1959 übergab der Kreml seine Antwort auf die westlichen Noten vom Jahresende und fügte einen Entwurf für einen Friedensvertrag bei. Dadurch verstärkte er den Druck auf die Westalliierten,53 die in gewisser Weise wieder am Anfang angelangt waren. Die Spitzen der Eisenhower-Administration rechneten offensichtlich fest mit der eigenen nuklearen Überlegenheit. Dulles jedenfalls glaubte unbeirrt daran, dass die Sowjetunion wegen der Schwäche ihrer strategischen Kräfte zurückweichen würde und dass die Alliierten im Streit um die Zugangsrechte Sieger blieben.54 Die europäischen Alliierten waren mit diesen amerikanischen Überlegungen und Planungen weiterhin nicht einverstanden. Die Briten beharrten auf ihrem Vorschlag für eine Luftbrücke, ohne jede Gegenmaßnahme auf dem Boden. Die Vereinigten Stabschefs mutmaßten, dass Großbritannien sich nicht dem Risiko des Untergangs wegen der Berlin-Frage aussetzen wolle.55 Die Franzosen stellten sich schließlich ebenfalls quer und unterstützten die Briten in ihrer Ablehnung, sich allzu schnell im Voraus auf einen eventuellen Einsatz von Gewalt festzulegen, auch deshalb, weil sie die Freiheit der Entscheidung behalten wollten.56 Dies hatte nichts mit Nachgiebigkeit zu tun. Im Allgemeinen zeigten sich die Franzosen hart, wenn es um ihre Rechte in Berlin ging.57 Die deutsche Seite verfolgte die politische Entwicklung mit höchstem Interesse und in großer Sorge. Sie war in verschiedenen Arbeitsgruppen als gleichberechtigtes Mitglied eingebunden, aber nicht in der besonderen Botschaftergruppe in Washington und auch nicht in die militärischen Überlegungen der Drei Mächte. Mit diplomatischen und politischen Mitteln versuchte sie, Informationen zu gewinnen und Einfluss zu nehmen. Dabei erzielte man durchaus gewisse Erfolge.58 Ein Bericht der »New York Herald Tribune« vom 21.  Januar 1959, der am Tag darauf von vielen Zeitungen übernommen wurde, sorgte für höchste Unruhe in den westlichen Ländern, besonders aber in Deutschland. Ebd., S. 1, letzter Abs., und 1. Abs. auf S. 2. Ebd., S. 2. 53 Siehe Documents on Germany, S. 585‑607; Version auf Deutsch: Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok.Nr. 254 und Nr. 255, S. 372. 54 Siehe Burr, U.S. Policy, S. 13; sowie Eisenhower, Wagnis, S. 303‑305. 55 Burr, U.S. Policy, S. 13; siehe auch Thoß, NATO-Strategie, S. 302‑305. 56 Burr, U.S. Policy, S. 13; siehe auch Schunck, Charles de Gaulle, S. 554. 57 Siehe Paris, Berlin – Symbole et enjeu stratégique; vgl. auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 68, zum Verhalten des französischen Außenministers Maurice Couve de Murville während der Genfer Außenministerkonferenz im Sommer 1959, allerdings aus sowjetischer Sicht dort; Text der Rede selbst in Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 266, S. 385‑388. 58 Siehe dazu PA AA, B 130/3256; der Bestand ist allerdings für diesen Bereich noch nicht allgemein zugänglich. Die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland standen bislang noch aus. Inzwischen ist der Band für das Jahr 1961 erschienen. Vgl. dazu auch die kurze Bemerkung in der Einleitung, Anm. 29. 51 52

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Darin wurde behauptet, die Bundesregierung hätte westlichen Plänen zugestimmt, den Zugang nach Berlin notfalls mit Gewalt zu erzwingen. Die Dementis kamen schnell und wirkten wohl auch überzeugend.59 Fast zwei Monate waren nun seit dem Ultimatum verronnen, ein Drittel der Frist von sechs Monaten, die Chruščev gegeben hatte. Da auch in Washington in dieser Frage keine ungeteilte Meinung herrschte, verabschiedeten sich Eisenhower und Dulles Ende Januar 1959 von ihren Vorstellungen, die auf der Annahme uneingeschränkter nuklearer Überlegenheit basierten. Sie suchten nun die Zustimmung zu dem Vorschlag eines zunächst kleinen, aber bewaffneten »Probe«Konvois. Dieser sollte über die Autobahn gesandt werden, um herauszufinden, ob die sowjetische Seite bereit war, den alliierten Zugang nach Berlin durch den Einsatz von Gewalt zu verhindern. Wenn sich dann diplomatische Pressionen, eine Propagandakampagne und militärische Vorbereitungen als erfolglos erwiesen, sollten die Alliierten entscheiden, ob sie Gewalt anwenden wollten, um den Zugang wieder zu öffnen.60 Diese Idee eines Probekonvois wurde in das neue Konzept zusammen mit anderen, weitergehenden Maßnahmen eingebracht und vom Präsidenten am 29. Januar 1959 genehmigt, aber mit der einschränkenden Maßgabe, »the application of additional military force was reserved for governmental decision in the event that an initial probe followed by other measures would be unsuccessful.«61 Nachdem die Amerikaner ihre Auffassung, sich im Voraus auf Gewaltanwendung festzulegen, aufgegeben hatten, akzeptierten die Briten und Franzosen die neuen Überlegungen. Die alliierten Außenminister beauftragten nun, als Teil eines Übereinkommens zum Krisenmanagement, die in Washington arbeitende »Ad hoc Tripartite Ambassadorial Group«, den Vorgänger der WAG, die weitere Eventualfallplanung zu koordinieren. Dazu gehörten auch der Land- und Luftzugang sowie wirtschaftliche Gegenmaßnahmen.62 Ein weiterer Zwischenfall machte offenbar, dass dringend gehandelt werden musste, vor allem aber dass eine enge Koordination der drei Alliierten zwingend erforderlich war: Am 2. Februar 1959 stoppten sowjetische Wachen erneut einen US-Konvoi, weil dessen Führer sich geweigert hatte, die Ladung inspizieren zu lassen. Dieses Mal wurde der Konvoi jedoch nicht zurückgerufen, sondern er blieb mehr als 50 Stunden blockiert an Ort und Stelle liegen. Derweil überlegten die Amerikaner, ob sie Truppen einsetzen sollten, um die Fahrzeuge zu befreien. Schließlich aber gab die Gegenseite am 4. Februar nach und erlaubte die Weiterfahrt, nachdem die Vereinigten Staaten eine geharnischte Protestnote63 überreicht hatten und Präsident Eisenhower in einer Pressekonferenz das sowjetische Vorgehen öffentlich gemacht hatte.64 Am Tag des Vorfalls mit dem USKonvoi war noch ein britischer Lastwagen angehalten worden. Auch hier wurde eine Prüfung der Ladung verlangt – und dieses Mal zugelassen, worauf er die Genehmigung zur Weiterfahrt erhielt. Dieses unterschiedliche Vorgehen der Westmächte zeigte die Ge Siehe u.a. die Berichterstattung der Bo. London vom 22.1.1959, Nr. 59, 104-4, Tgb.Nr. 1264/59 VS-V, zu 700-003/59 str.geh.; und der Bo. Wash. vom 23.1.1959, Nr. 2, 114-4, Tgb.Nr. 1293/59 str.geh; beide in PA AA, B 130/3578. Die deutschen Besorgnisse treten hier deutlich zutage. 60 Burr, U.S. Policy, S. 13. 61 Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 2, Zit. ebd. 62 Burr, U.S. Policy, S. 13; auch Thoß, NATO-Strategie, S. 306‑310. 63 Siehe Documents on Germany, S. 607. 64 Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 3; Pedlow, General Lauris Norstad, S. 8. 59



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fahren auf: schleichendes Aufweichen bzw. Preisgabe von Rechten, Erpressung einzelner Mächte, weil sie unkoordiniert handelten, und damit die Möglichkeit für die sowjetische Seite, nicht legitime Ansprüche durchzusetzen.65 Am 4. Februar 1959, also just am Ende des Zwischenfalls, landete Norstad in Washington, um mit den Vereinigten Stabschefs über die Lage zu beraten. Er drängte sie, die Aufstellung einer besonderen Organisation der Drei Mächte zu genehmigen, welche die alliierten Planungen koordinieren sollte. Norstad erhielt die grundsätzliche Zustimmung des Gremiums. Auf die Frage, welche militärischen Kräfte sofort für eine BerlinOperation verfügbar seien, konnte er angeben: zwei leichte Kampfgruppen – die eine aus fünf leichten Panzern bestehend, die andere ein verstärktes Infanteriebataillon.66 Zehn Wochen waren nun schon ohne konkrete Entscheidungen verstrichen. Am 16.  Februar beantworteten die drei Westmächte die Sowjetnoten vom 10.  Januar. Sie schlugen eine Konferenz der vier Außenminister vor, um das Problem in allen seinen Aspekten zu diskutieren.67 Am 17.  Februar erhöhte Chruščev den politischen Druck, indem er mit dem Abschluss eines separaten Friedensvertrages mit der DDR drohte.68 Am Tag darauf, sofort nach seiner Rückkehr nach Paris, befahl Norstad, beim Oberkommando der US-Streitkräfte in Europa (USEUCOM) eine kleine, verdeckte, ausschließlich aus US-Angehörigen bestehende Gruppe zu bilden.69 Diese sollte als Kern für einen Stab aus Mitarbeitern der drei Mächte dienen,70 den er aufzustellen hätte. Deren Auftrag bestand zunächst darin, militärische Probleme im Zusammenhang mit dem Zugang nach Berlin zu untersuchen.71 Am folgenden Tag schon traf er Sir Frank Roberts, den britischen Botschafter bei der NATO, und sprach mit ihm über die vorgeschlagene Drei-Mächte-Organisation. Er bat ihn, diese Information an seinen Minister, Selwyn Lloyd, zu übermitteln, zusammen mit seinem Wunsch, einen oder mehrere britische Offiziere in der Gruppe zu haben, die gerade bei USEUCOM entstand. Norstad entschied sich, die britische Antwort abzuwarten, bevor er die französische Regierung in dieser Frage kontaktierte. Er drängte weiter darauf, aus seinem amerikanischen Planungsstab einen Dreimächtestab zu machen. Am 2. März 1959 gingen dann neue sowjetische Noten bei den drei Westmächten ein, die die Antwort auf die westlichen Vorschläge vom 16. Februar enthielten.72 Die Antwort der Briten auf die Anfrage, einen gemeinsamen Stab der Drei Mächte aufzustellen, erging am 3. März und fiel positiv aus. Danach sprach Norstad den französischen Chief of Defence (CHOD), General Paul-Henri Ely, an und erhielt sofort dessen per-

Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 7 f. Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 3. 67 Documents on Germany, S.  607; auf Deutsch: Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok.  256, S. 375. 68 Siehe Speier, Die Bedrohung Berlins, S. 24. Während einer Veranstaltung in Tula, Berlin. Chronik der Jahre 1959‑1960, S. 66 f. 69 Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 3. 70 Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 8 und Anm. 2. 71 Msg EC 9-10240 TS, USCINCEUR to JCS, 23.2.1959, nicht selbst in BW 71, aber genannt in After Action Report, 1.3.1961, lfd.Nr. 6, BArch, BW 71/43, Nr. 55. 72 Documents on Germany, S. 609; Inhalt u.a.: Die sowjetische Zustimmung zur Deutschland-Konferenz in Genf im späten Frühling. 65 66

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sönliche Unterstützung – und sechs Tage später dann auch die Zustimmung der Regierung in Paris zu seinem Vorhaben. Nachdem die Verbündeten einverstanden waren, ließ nur noch die endgültige Entscheidung der JCS auf sich warten.73 Am 16. März nutzte Eisenhower eine Ansprache über Rundfunk und Fernsehen, um sein Volk und die Welt über die Lage in und um Berlin sowie in der Freien Welt zu informieren. Im entscheidenden Satz betonte er: »We shall continue to exercise our right of peaceful passage to and from Berlin«.74 Fast vier Monate nach dem Ultimatum hinterließ dieser Satz einen großen Eindruck in der globalen Öffentlichkeit. Da General Norstad weiter auf die endgültige Entscheidung der Joint Chiefs of Staff warten musste, schrieb er am 17. März seine drängenden Sorgen in eine Meldung an seinen nationalen Vorgesetzten, den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Twining. Norstad forderte die sofortige Aufstellung des Stabes als unverzichtbar und schlug als Namen »Live Oak« vor.75 Damit war die prägende Bezeichnung für die nächsten Dekaden gefunden. Die Meldung Norstads brachte endlich den Erfolg: Bereits einen Tag darauf, am 18.  März, erhielt er die gewünschte Zustimmung der Vereinigten Stabschefs. Gleichzeitig wurde vorgeschlagen, die entsprechenden Vorstellungen mit dem amerikanischen Botschafter in Bonn, David Bruce, zu besprechen, der sich gerade in Paris aufhielt. Das State Department würde dann den britischen und den französischen Botschafter in Washington ansprechen, wenn Bruce einverstanden sei.76 Nun ging alles sehr schnell. Innerhalb von zwei Wochen hatten alle drei Mächte ihre Zustimmung gegeben, eine Drei-Mächte-Organisation zur Planung von Eventualfällen aufzubauen. Am 1. April 1959 trafen sich die westlichen Außenminister erneut in Washington. In einer Erklärung drückten sie ihre Entschlossenheit aus, ihre Rechte in Berlin zu bewahren.77 Am gleichen Tag forderte die sowjetische Botschaft in Ost-Berlin, dass die westlichen Flugzeuge in den Korridoren die Obergrenze von 10 000 Fuß einhielten, und bezog damit auch den Zugang durch die Luft in die aktuelle Krise ein. Die amerikanische Botschaft wies in einer Note am 4. April diese Forderung zurück.78 An diesem 4. April verabschiedeten die Drei Mächte ein Dokument, das die Ergebnisse der Beratungen der vergangenen drei Monate zur Berlin-Frage zusammenfasste. Es erlaubte Norstad offiziell, für das Berlin Contingency Planning einen militärischen Drei-Mächte-Stab aufzustellen. Dieses Grundsatzpapier der neuen Organisation erhielt im Jargon kurz die Bezeichnung »Basic Paper«.79 Vier Monate nach Chruščevs ultimatiPedlow, Allied Crisis Management, S. 87‑92, bes. S. 89. Siehe Documents on Germany, S. 611‑615, Zit. S. 615. BArch, BW 71/43, Nr. 6: Msg ALO 284, 17.3.1959, Norstads Vorschlag in Para. 6. Msg JCS 956537, JCS to USCINCEUR, 18.3.1959, US Top Secret; nicht in BW 71, nur im After Action Report, 1.3.1961, BArch, BW 71/43, Nr. 55; siehe auch die Schilderung bei Pedlow, Allied Crisis Management, S. 89 f. Bisher war anscheinend der zuständige Botschafter in Bonn, Bruce, weder informiert noch gefragt worden. 77 Siehe das Kommuniqué vom 1.4.1959, Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe, Bd 1/2, S. 1297. Auch Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 261, S. 380 f. Vgl. das folgende NATOKommuniqué vom 4.4.1959, Documents on Germany, S. 617. 78 Documents on Germany, S. 619 f. 79 BArch, BW 71/49 , Nr. 3: LO(IN)-S-59-1006, 4.4.1959. 75 76 73 74



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ver Forderung waren damit die Voraussetzungen für ein gemeinsames Handeln, auch mit militärischen Mitteln, geschaffen worden. Mitte April war das militärische Personal der drei Westmächte, das den neuen Stab bilden sollte, in einem kleinen Kasernengebäude innerhalb des USEUCOM-Komplexes, dem Camp des Loges in St. Germain-en-Laye, etwa 20 km westlich von Paris, zusammengeführt und begann seine Arbeit. Um die vereinbarte strikte Geheimhaltung zu erleichtern, erhielt der Stab den Namen »Live Oak«, entsprechend der Bezeichnung von EUCOM für die im März projektierte Kerngruppe. Als offizieller Auftrag des Stabes wurde die Planung der gemeinsamen Nutzung von militärischen Einrichtungen durch die Drei Mächte angegeben. Der wahre Auftrag unterlag strengster Geheimhaltung.80 Dieser Stab Live Oak, der bald als Teil einer politisch-militärischen Organisation gleichen Namens aufwuchs, war eine Organisation »sui generis«, deren Führer einen »third hat« trug, neben denen des CINCUSEUCOM und des SACEUR.81 Zu diesem Zeitpunkt waren die Aufgaben und die Führungsstrukturen noch alles andere als eindeutig. War der neue Stab ein integriertes Instrument und Norstad unterstellt oder ein Organismus mit drei nationalen Stäben, die auf Weisung ihrer jeweiligen Führungen handelten und Norstad nur berichteten? Oder waren es gar drei nationale Stäbe, die nur ihren übergeordneten Hauptquartieren verantwortlich waren? Welchen Einfluss würden diese nationalen Vorgesetzten haben? Ein Vertreter der WAG stellte fest, dass die drei nationalen Teams das Recht hatten, von ihren eigenen nationalen vorgesetzten Stellen Weisungen zu erhalten und diesen zu berichten.82 Welche Befugnisse würde Norstad erhalten? Und was würden die Drei Mächte gemeinsam vorbereiten und erreichen können?

3. Grundsatzweisung für Live Oak: Das »Basic Paper« Nach intensiven, zwei Monate dauernden Vorarbeiten und Beratungen verabschiedeten die Drei Mächte am 4. April 1959 in Washington, DC ihre grundlegende Weisung für den Umgang mit dem Ultimatum des sowjetischen Staats- und Parteichefs Chruščev vom 27. November 1958 und die daraus ableitbare Bedrohung ihrer Rechte um und in

Siehe u.a. Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 9 f.; auch BArch, BW 71/16, Nr. 91: Bericht Nr. 1 des GLNO vom 18.8.1961, Tgb.Nr. 69/61 str.geh. 81 Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 3; und Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 10. Mit Live Oak hatte man nunmehr ein militärisch-politisches Instrument als Antwort auf die krisenhafte Situation geschaffen. Das bedeutete nicht, dass die teils unterschiedlichen Interessen in Bezug auf Berlin und Deutschland zwischen den Westalliierten zu existieren aufgehört hätten. Aus dieser Perspektive stellte Live Oak eher eine Art Kleinster Gemeinsamer Nenner dar als einen wichtigen politischen Faktor. Allein, hier zeigt sich wiederum, dass westliches Krisenmanagement auch trotz politischer Meinungsverschiedenheiten aufgebaut werden kann. Auf einem anderen Blatt steht, dass etwa MacMillan nicht gerade schmeichelhaft von den Erfolgsaussichten von Live Oak in einer realen Krise sprach. Vgl. Gloriant, To Adapt to the Cold War Bipolar Order?, S. 467 f. 82 Siehe Pedlow, Allied Crisis Management, S. 91, Zit. ebd. 80

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Berlin.83 In diesem sogenannten Live Oak Basic Paper84 umrissen die Drei Mächte alle Maßnahmen, mit denen sie gemeinsam der Bedrohung ihrer Rechte, besonders ihres Rechts auf jederzeit freien Zugang nach Berlin, begegnen wollten.85 Zweierlei sollte verhindert werden: erstens der angedrohte Abzug der sowjetischen Vertreter, Soldaten und Beamten aus den gemeinsam vereinbarten Dienststellen und Organen im alliierten Interzonenverkehr, also aus dem Berlin Air Safety Center oder von den Kontrollpunkten, den Checkpoints, und die mögliche Übergabe der Aufgaben an ostdeutsches Personal; sowie zweitens die Behinderung und Gefährdung, gar Unterbrechung oder Unterbindung des Zugangs durch sowjetische oder ostdeutsche Kräfte. Es ging hier also nicht um die Verteidigung der Stadt Berlin, sondern ausschließlich um die Sicherung des Zugangs. Da dieses Ziel vorrangig durch politisch-diplomatische und, nur falls notwendig, durch militärische Mittel erreicht werden sollte, waren Befugnisse und Verantwortlichkeiten zu klären sowie Zusammenarbeit und Koordinierung zu regeln. Die Weisung sollte Wege zur angemessenen Behandlung und möglichst friedlichen und baldigen Beilegung einer Berlin-Krise aufzeigen. Das Dokument wurde unter großem Zeitdruck und Abstimmungsbedarf sowie nach teils kontroversen Diskussionen verfasst.86 Die für den Zweck entscheidenden politischen Absichten und Ziele der Drei Mächte wurden in sechs Punkten zusammengefasst: Die Drei Mächte gingen davon aus, dass die Sowjetunion weiter voll verantwortlich für die Einhaltung der Verträge und Vereinbarungen der Vier Mächte bezüglich Berlins war. Auch im Falle eines Rückzuges der Sowjet­union aus den verbliebenen gemeinsamen Gremien gälte für die Westmächte: Ihr Recht auf einen ungehinderten Zugang nach Berlin würde durch einen solchen sowjetischen Rückzug unbeeinflusst bleiben. Ferner würde man keinen Versuch der DDR hinnehmen, irgendeine Form von Kontrolle über den alliierten Verkehr von und nach Berlin auf den gemeinsam vereinbarten Wegen auszuüben oder diesen Verkehr zu stören. Im Gegenteil würde man in diesem Zusammenhang alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, die eigenen Rechte zu schützen. Man erwarte, dass man sich nach und von Berlin frei und unbehindert bewegen könne, und gehe davon aus, dass die Sowjetunion eine allumfassende Sicherheitsgarantie für alle Flugzeuge der Drei Mächte in den Korridoren und in der Berliner Kontrollzone gegeben habe.87 Den Hauptteil des Dokuments bildeten Weisungen zu den einzelnen Aufgaben für den Fall, dass die Sowjetunion ihre Drohungen in die Tat umsetzen sollte. Außerdem wurde die Organisation in Umrissen beschrieben, welche die dagegen zu ergreifenden Die Vorbereitung wird aus dem Vorblatt des eigentlichen Dokuments erkennbar: die benutzten Dokumente, die vier Besprechungen der Botschaftergruppe und das abschließende Treffen der Minister am 31.3.1959. 84 BArch, BW 71/49, Nr. 3, Enclosure to LO(IN)-S-59-1006, 4.4.1959. Auf Deutsch ist es wohl als »Grundlagenpapier« oder »Grundsatzweisung« zu übersetzen. Es ist im engl. Original in Anlage 8 beigefügt. In dieser Studie wird es stets als Basic Paper bezeichnet. 85 Siehe Karte »Operationsgebiet ›Zugangswege nach Berlin‹ in Mitteleuropa 1958« auf dem hinteren Vorsatzblatt. 86 Siehe u.a. Eisenhower, Wagnis, S. 300‑321; und Pedlow, Allied Crisis Management, S. 88‑92. 87 In der »Mitteilung an die sowjetische Regierung« gem. Para.  2, S.  2  f. des Basic Paper, BArch, BW  71/49, Nr.  3. Der Inhalt stimmte mit den westlichen Noten an die Sowjetunion vom 31.12.1958 überein, d.h. den Inhalt würden die Sowjets schon kennen. 83



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Maßnahmen planen, entscheiden, und ausführen sollte. Die Weisungen waren in zwei Kategorien aufgeteilt: erstens allgemeine Bestimmungen für den stufenweisen Aufbau von Gegenmaßnahmen in Form von Optionen und zweitens detaillierte Vorgaben für den Land- und den Luftzugang. Die erste Gruppe ist unter »Preparatory Military Meas­ ures« behandelt und nennt zwei sehr unterschiedliche Maßnahmenbündel: zunächst die Quiet Preparatory and Precautionary Military Measures.88 Mit diesen wollten die Drei Mächte gegenüber der Sowjetunion und der DDR ihre Entschlossenheit auf der niedrigsten Eskalationsstufe demonstrieren. Sie sollten »quiet«, also unauffällig sein, das heißt in der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar, und folglich keine Beunruhigung in den Medien und bei der Bevölkerung hervorrufen. Sie sollten aber für die sowjetische Aufklärung durchaus erkennbar sein, dort also Wirkung zeigen, und ausgeführt werden, sobald Einigkeit über sie erzielt sei. Dieses Ziel verlangte rasches militärisches Planen und ebenso schnelle Abstimmung in den militärischen und politischen Gremien der Koordinierung, damit sie noch vor Ablauf des Ultimatums wirksam werden konnten. Als Steigerung dazu sollten die militärischen Stäbe der Drei Mächte More Elaborate Military Measures ausarbeiten. Diese sollten »generally observable« sein, also die Öffentlichkeit ins Spiel bringen, und solche Maßnahmen einschließen, die umzusetzen waren, nachdem die Sowjetunion ihre Aufgaben an die DDR übergeben hatte oder wenn der alliierte Verkehr unter Einsatz von Gewalt gestört oder verhindert würde.89 In diesen beiden Kategorien würde, so war abzusehen, viel Phantasie walten müssen, um eine möglichst große Zahl sinn- und wirkungsvoller Optionen anbieten zu können. Auszuarbeiten waren die Pläne dann gemeinsam von den Drei Mächten unter Leitung von General Norstad in seiner Aufgabe als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa (CINCUSEUCOM), also nicht im Rahmen der NATO. Die genauen Verfahren der Zusammenarbeit sollten und mussten durch die militärischen Spitzen der Drei Mächte koordiniert werden, die zusätzlich unterstützende, rein nationale Pläne auszuarbeiten hätten. Anschließend wurden Einzelaspekte erörtert, denen Weisungscharakter zukam. Sie wurden für den Zugang auf dem Landweg recht detailliert festgelegt: Durch die politische Ebene war ein »Public Statement«90 vorzubereiten für den Fall, dass die Sowjetunion ankündigte, die Kontrollpunkte an die DDR zu übergeben. Es handelte sich um eine Art »Vorratsbeschluss in der Schublade«, der im Ernstfall fertigzustellen und gemeinsam zu beschließen sein würde. Bereits früher, seit 1954,91 war die Frage diskutiert worden, ob man Personal der DDR in Kontrollfunktionen akzeptieren könne, wenn es als Beauftragte (»agents«) des Kreml eingesetzt werde. Auf jeden Fall würde man alles tun, um den normalen Verkehr auf der Autobahn und der Eisenbahn aufrechtzuerhalten, übrigens auch, um die Entschlossenheit zur Beibehaltung des freien Zugangs zu demonstrieren.92 Dazu gehörten auch die Abfertigungsmodalitäten.93 In der Konsequenz sollten die drei BArch, BW 71/49, Nr. 3, Para. 1.a. Ebd., Para. 1.b, Zit. ebd. Für diesen Begriff »More Elaborate Military Measures« gibt es weder eine offizielle noch eine offiziöse Definition, auch keine amtliche Übersetzung ins Deutsche. 90 Ebd., Para. 3‑12 des Basic Paper, zum Public Statement Para. 3. 91 Burr, U.S. Policy, S. 11 und Anm. 31, S. 30. 92 BArch, BW 71/124, Nr. 1, Para. 7, S. 2 in Norstads Brief vom 26.6.1959, LO-TS-59-1012. 93 BArch, BW 71/49, Nr. 3, Para. 6. 88 89

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Botschaften in Bonn den Auftrag erhalten, mit den zuständigen militärischen Stäben diese für die Drei Mächte gleichermaßen notwendigen Verfahren gemeinsam zu entwickeln. Die Führer von Einzelfahrzeugen, Konvois und Eisenbahnzügen sollten genaue Regeln an die Hand bekommen, auf die sie sich einheitlich stützen konnten. Diese Regeln sollten durchgängig und ausnahmslos für den ganzen Live-Oak-Apparat gelten und damit verhindern, dass sich die Drei Mächte gegeneinander ausspielen ließen.94 Schließlich wurde noch die Möglichkeit ins Auge gefasst, eigenes Kontrollpersonal anstelle des abgezogenen Sowjetpersonals an den Kontrollpunkten Drewitz und Marienborn einzusetzen.95 Daran anschließend wurden Maßnahmen und Vorgehensweisen für den Fall behandelt, dass der Landzugang durch DDR-Personal unterbrochen würde mit dem Ziel, Kontrollen und Verfahren zu erzwingen, die über das hinausgingen, was die Alliierten anerkannt hatten. Entscheidenden Charakter erhielten die Passagen, die die Maßnahmen und Verfahren für den Fall einer Blockade regelten. Dann würden die Drei Mächte eine oder mehrere Sondierungsoperationen mittels Testkonvois (»Initial Probes«)96 einsetzen. Sie dienten dazu festzustellen, ob die Gegenseite zur Anwendung von Gewalt bereit sei, um die Weiterfahrt einer alliierten Marschgruppe zu verhindern. Kontrollen durch DDR-Personal seien zulässig, wenn dies explizit im direkten Auftrag der Sowjetunion geschehe. Die Kolonne würde ihren Marsch fortsetzen, bis ihre Durchfahrt physisch blockiert würde. Sie würde selbst erst feuern, wenn man das Feuer auf sie eröffnete, würde sich dann aber wehren, soweit es notwendig sei.97 Wenn eine »Initial Probe« tatsächlich an der Weiterfahrt gehindert würde, sollten parallel dazu Anstrengungen folgen, um den Druck auf die Sowjetunion und die DDR zu erhöhen: Man würde versuchen, die Weltmeinung gegen die UdSSR zu mobilisieren, ihr also etwa Vertragsverletzung, Gewaltanwendung und friedenstörendes Verhalten vorwerfen. Möglich sei es auch, die Sache vor den Sicherheitsrat und eventuell vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu bringen. Ebenso würde diplomatischer Druck bis zum Abziehen der Botschafter zu prüfen sein. Vorgesehen war auch die Steigerung militärischer Vorbereitungen einschließlich solcher, die für die Gegenseite erkennbar waren.98 Dramatischen Charakter hatte die folgende Frage: Was soll und was darf geschehen, wenn all dies nicht zum Erfolg geführt hat? Bei der Anwendung auch nur sehr begrenzter Gewalt bestand bereits die Gefahr des Einstiegs in die Eskalation bis zum Atomkrieg. Die Antwort blieb hier zunächst vorsichtig und zurückhaltend, was wohl der noch nicht erzielten Einigkeit geschuldet war: Die Drei Mächte würden gemeinsam Entscheidungen treffen, um die Freiheit des Zugangs wieder herzustellen. Die dazu notwendigen Maßnahmen sollten Thema einer Studie des neu zu bildenden Drei-Mächte-Stabes in Paris sein. Schließlich zog das Basic Paper noch wirtschaftliche Maßnahmen in Betracht,

96 97 98 94 95

Ebd., Para. 7. Ebd., Para. 8. Siehe die Definition für »Probe« im Glossar. BArch, BW 71/49, Nr. 3, LO Basic Paper, Para. 9. Ebd., Para. 10.



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die einzige Erwähnung von Gegenmaßnahmen, die nicht diplomatisch-politischer oder militärischer Art waren.99 Der Zugang durch die Luft wurde eher knapp und unter Beifügung einzelner Detailaufträge behandelt.100 Zunächst wurde festgestellt, dass die Drei Mächte, parallel zum Landzugang, auch Schritte unternehmen sollten, den uneingeschränkten Luftzugang nach Berlin zu sichern. Dieser sei unerlässlich, um den Status und die Sicherheit der Stadt aufrechtzuerhalten. Die drei Botschaften in Bonn, zusammen mit dem DreiMächte-Stab in Paris und anderen geeigneten militärischen Stäben, wurden beauftragt, die Eventualfallplanung in sieben Bereichen des Luftzugangs zu überprüfen oder zu vollenden: – Abzug der sowjetischen Kräfte aus dem Berlin Air Safety Centre (Task 1) – mögliche sowjetische oder ostdeutsche Bedrohung der Flugsicherheit in den Berliner Luftkorridoren und Kontrollzonen (Task 2) – Maßnahmen zur Fortsetzung der zivilen Flugdienste so lange wie möglich, wenn sich die augenblickliche Situation ändern sollte (Task 3) – die Einrichtung einer Garnisonsluftbrücke, um Personal und Material der Alliierten zu transportieren (Garrison Airlift), wenn der Verkehr auf dem Landweg unterbrochen würde (Task 4) – den möglichen Ersatz von zivilen Luftfahrzeugen durch militärische, um regelmäßige Flugdienste nach Berlin aufrechtzuerhalten, wenn die zivilen Fluglinien den Betrieb einstellten (Task 5) – Reaktionen auf direkte sowjetische Störmaßnahmen oder der Ostdeutschen gegen Flüge in den Korridoren oder in der Kontrollzone (Task 6) – Flüge in einer Höhe von über 10 000 Fuß in den Berliner Korridoren zur Demons­ tration der eignen Handlungsfreiheit (Task 7). An dieser Stelle fällt vor allem auf, dass zwar die entscheidende Rolle des freien Zugangs durch die Luft für die Lebensfähigkeit Berlins anerkannt wurde, sich aber die Aufgaben im unteren Spektrum der Krisenbewältigung bewegten. Die Frage der Anwendung von Gewalt und Gegengewalt wurde überhaupt noch nicht gestellt. Alle im Basic Paper ergangenen Weisungen und Aufträge mussten daher noch in Untersuchungen, Studien, Empfehlungen und Plänen nicht zuletzt auch im Hinblick auf diese Frage geprüft und ausgearbeitet werden. Am Ende regelte der Text die Verantwortung für Planung und Koordinierung,101 ohne jedoch Aussagen zur Frage der Führung zu machen. Sechs zentrale Akteure in der neuen Organisation wurden angesprochen und ihre Aufgaben genannt:102 An oberster Stelle stand die »Tripartite Ambassadorial Group«, die in Washington tagte. Ihr wurde die übergeordnete Koordination der Eventualfallplanungen für Berlin sowie die Erstellung eines Entwurfs für die »Öffentliche Erklärung« aufgetragen.103 Das zweite politisch-diplomatische Gremium, bestehend aus den drei Botschaften in Bonn (später Bonn Goup), erhielt vordringlich drei Aufgaben: Ebd., Para. 11. Hier und im Folgenden ebd., Para. 12. 101 Ebd., Para. 13. 102 Siehe die Grafik »Live-Oak-Anfangsorganisation 1959‑1961«. 103 BArch, BW 71/49, Nr. 3, Para. 3 oben und Para. 13.a, Zit. ebd. 99

100

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Live-Oak-Anfangsorganisation 1959 – 1961 ? V

A

V

A

V

REGIERUNG

A

WAG

Politische Koordination

Washingtoner Botschaftergruppe

Bonn Group

Vierer-Gruppe Bonn

General Norstad

Militärische Spitzen

(CLO) LIVE OAK FR FR FFA

Französische Streitkräfte in Deutschland

FR COB

Französischer Kommandant von Berlin

UK BAOR/RAFG

Britische Rheinarmee/ Britische Luftwaffe in Deutschland

UK COB

Britischer Kommandant von Berlin

Militärischer Befehlsweg Koordinierte Weisung der Drei Mächte Frankreich Großbritannien USA Live Oak (inkl. Koordinierung und Planung)

UK

US US

Mil. Koord. u. Planung

USEUCOM

US-Oberkommando in Europa

US COB

Kommandant Berlin

USKommandant von Berlin

Politischer Weisungsstrang Frankreich Großbritannien USA

Quelle: Autor, entwickelt aus dem Live Oak Basic Paper, BArch, BW 71/43, Nr. 8, LO(IN)-S-59-1006.

© ZMSBw

07865-07

– Empfehlungen für die »identification of Allied movements« zu koordinieren, – die Ausarbeitung von »instructions regarding detailed procedures at the checkpoints« und – die Beschleunigung der Planungen für den Zugang über die Luftwege.104 Dieses Gremium war deutlich untergeordnet und eher für die Detailplanung zuständig.105 An dritter Stelle folgte der »Tripartite Staff« in Paris, der bald »Live Oak« genannt wurde und dessen Name später für die ganze Organisation stand. Er sollte »unter der Dienstaufsicht« von General Norstad arbeiten, der als einziger namentlich beauftragt wurde. Norstad sollte auch für die Koordinierung »Vorbereitender Militärischer Maß-

Ebd., Para. 2, Zit. aus Para. 13. Ebd., Para. 13.b.

104 105



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nahmen«, deren Planung,106 die Untersuchung und Prüfung weiterer Maßnahmen, um den freien Zugang zu garantieren, Verantwortung tragen und die politisch-diplomatischen Gremien in ihren oben beschriebenen Aufgaben unterstützen. Hier ist bemerkenswert, dass diesem offensichtlich militärischen Stab keine weiteren originären Aufgaben als die der Koordinierung, Untersuchung und Planung übertragen wurden: keine Bearbeitung der Feindlage, keine Führungsaufgabe, keine Sammlung und Weitergabe von Informationen.107 Die Botschafter der Drei Mächte bei den Vereinten Nationen wurden insbesondere beauftragt, ihren Regierungen Empfehlungen zu geben, welche die Grundlage und zeitliche Abstimmung eines möglichen Vorstoßes der Vereinten Nationen betrafen.108 Der fünfte Teil wurde durch die drei alliierten Hauptquartiere in Berlin gebildet. Sie sollten ihren Drei Botschaften in Bonn jede mögliche Unterstützung geben, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten.109 Es war wichtig, dass diese Stäbe einbezogen wurden, da sie viel Erfahrung, Sachverstand und fast täglichen Kontakt zum »Feind« hatten. Als sechstes und letztes wurden die militärischen Kommandobehörden (»military authorities«) jeder der Drei Mächte genannt, also die Gesamtheit aller nationalen militärischen Führungsstäbe und Hauptquartiere. Sie zeichneten verantwortlich für die Planung aller Maßnahmen auf rein nationaler Grundlage; ein Prinzip, das schon am Anfang des Basic Paper110 genannt worden war. Diesen nationalen Führungsstäben sollte nachfolgend große Bedeutung zukommen, weil nur sie die Kräfte und Mittel zur Erfüllung aller Pläne bereitstellen konnten. Außerdem wurden sie zur Führung der Operationen benötigt.111 Die durch diese Weisung geschaffene und beschriebene Organisation sollte einem klaren Ziel dienen: der Bewältigung einer aktuellen Krise. Für die krisenhafte Situation im Frühjahr 1959 war sie jedoch noch kaum nutzbar. Als die Weisung erlassen wurde, waren zwei Drittel der Zeit bis zum Ablauf des Ultimatums verstrichen. Es blieb also nur noch wenig Spielraum, um die vorgesehenen Maßnahmen umzusetzen, eventuell weitere Optionen zu entwickeln und die gewiss nicht leichtfüßige Organisation in Bewegung zu bringen. Die Begriffe der »Krisenbeherrschung« oder des »Crisis Management« fehlten noch, deren Inhalt wurde auch nicht als Ziel oder Aufgabe genannt. Ungeklärt war auch, wann und wie die militärischen Machtmittel ggf. eingesetzt und wie derlei koordiniert werden sollte. Klar war nur, dass die eigentliche Entscheidungsgewalt bei den Regierungen der Drei Mächte lag. Auch in der geplanten Organisationsstruktur kommen Lücken und Ungereimtheiten in den Blick: Wie soll General Norstad ohne geeigneten Führungsstab führen? Soll er überhaupt? Die Möglichkeiten und Potenziale der NATO fanden ebenfalls keine Berücksichtigung. So blieb bei rasch verrinnender Zeit vieles unklar und ungeregelt. Dennoch sollte das Basic Paper mit einigen Ergänzungen als wesentlichste Grundlage des Handelns für Live Oak bis 1990 gültig bleiben. 108 109 110 111 106 107

Ebd., Para. 1. Ebd., Para. 13.c. Ebd., Para. 10.a oben und Para. 13.d. Ebd., Para. 13.e. Ebd., Para. 1. Ebd., Para. 13 f.

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4. Zwischen Krise und Stabilität: Live Oak und der Kalte Krieg 1958 bis 1990 Mit seinem Ultimatum vom November 1958 hatte der sowjetische Partei- und Staatschef Nikita Chruščev die Drei Westmächte herausgefordert und damit unbeabsichtigt die Schaffung von Live Oak initiiert. Live Oak existierte dann mehr als einunddreißig Jahre bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Diese Zeitspanne lässt sich in fünf Abschnitte einteilen, die im Folgenden beschrieben werden. Dabei sollen die politischen Rahmenbedingungen und die Deutschlandfrage eher summarisch dargestellt, die Lage um Berlin und die Folgerungen und Entwicklungen bei Live Oak aber detaillierter behandelt werden. Sicherheits- und Verteidigungspolitik stehen im Mittelpunkt. a) Die zweite große Berlin-Krise 1958 bis 1963112 Die Ost-West-Verhandlungen über die Deutsche Frage, vor allem in Genf im Sommer 1959, hielten die Konfrontation über Berlin in den folgenden Monaten, trotz manchem Auf und Ab, auf niedrigem Niveau. Man sprach miteinander und belauerte sich. Chruščev besuchte die USA im September 1959, hielt sich zusammen mit Eisenhower in Camp David auf und propagierte dabei die friedliche Koexistenz, was als positives Signal gewertet wurde.113 Die geplatzte Gipfelkonferenz in Paris im Mai 1960 nach dem Abschuss eines amerikanischen U-2-Aufklärungsflugzeugs114 machte dann manche, auch überhöhte Erwartungen zunichte. Im Frühjahr 1961, nach der Wahl John F. Kennedys zum amerikanischen Präsidenten, wurde der Ton Chruščevs wieder schärfer. Er unterschätzte den jungen Präsidenten, hielt ihn für schwach, besonders wegen des Debakels in der Schweinebucht auf Kuba. Andererseits überschätzte Chruščev seine eigene Position.115 Das Treffen der beiden Staatschefs in Wien Anfang Juni 1961 brachte keine Annäherung, sondern eine neue Konfrontation. In Wien gab es eine Reihe von Fragen, die kontrovers verhandelt wurden, »die düstersten Gespräche bezogen sich aber auf das Berlin-Problem«.116 Der Misserfolg in Wien und Chruščevs Reaktion darauf, insbesondere die damit verbundene Kriegsdrohung, alarmierten den Westen.117

So nannte Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, den Zeitabschnitt. Vgl. Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 261. 114 Vgl. hierzu v.a. die Schilderung in Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 71‑85; auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 135‑163. 115 Vgl. hierzu Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, bes. S. 129‑153. 116 Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 272, zitiert hier aus Kennedys ›Bericht an das amerikanische Volk‹ vom 6.6.1961; Text in Documents on Germany, S. 732. 117 So Lemke, Die Berlinkrisen, S.  235; siehe auch Thoß, NATO-Strategie, S.  320‑329; ebenso Adomeit, Die Sowjetmacht, S.  272‑292; und Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  157  f.; Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 74‑80. 112 113



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Es bestand wohl eine wechselseitige Fehleinschätzung.118 Kennedy konnte die westliche Position zu Berlin nicht opfern, was er in den am 25. Juli 1961 auch über Rundfunk und Fernsehen verbreiteten »Three Essentials« bekräftigte, die klarmachten, dass sich die westlichen Garantien nur mehr auf die drei Westsektoren erstreckten.119 Nun verschärfte Chruščev die Krise rasch und entschlossen, wodurch die Welt am Rand eines militärischen Konfliktes zu stehen schien.120 Zunächst hatte er den Westen durch die Unterbrechung des Zugangs durch die Luft herausfordern wollen, dies aber aufgegeben, nachdem ihm die sowjetische Aufklärung im Juli 1961 neue Erkenntnisse von operativen Planungen der Westmächte hiergegen vorgelegt hatte.121 Daher befürwortete er eine weniger gefährliche Operation: die Abriegelung der DDR durch die Schließung der Grenzen nach Westen; ein Projekt, das die DDR-Führung unter Walter Ulbricht seit geraumer Zeit forderte, das bislang aber von Moskau immer abgelehnt worden war.122 In einer Reihe von Verlautbarungen wurden die darauf folgenden Maßnahmen, vor allem zum Bau der Berliner Mauer, politisch und publizistisch vorbereitet. Ulbricht wirkte hier mit, indem »er die Existenz diesbezüglicher Pläne abstritt«.123 Während des Treffens der Ersten Sekretäre der Staaten des Warschauer Vertrages über das Deutschland-Problem vom 3. bis 5. August in Moskau124 gaben auch die Mitgliedsstaaten der Warschauer Vertragsorganisation ihre Zustimmung, dass die DDR durch den Bau der »Mauer« ihre Grenzen nach Westen, vor allem in Berlin, hermetisch schließen durfte. Diese Rückendeckung führte dazu, dass die endgültige Entscheidung wohl erst zu diesem Zeitpunkt fiel,125 obwohl Chruščev selbst den Entschluss vermutlich bereits um den 24. Juli 1961 gefasst hatte.126 Der Bau der Mauer hatte zum Hauptziel, den Exodus der Bevölkerung aus der DDR über »das offene Berlin als Fluchttor«127 zu beenden, da dies den Bestand des westlichsten Verbündeten und des Vorpostens der Sowjetunion in Europa ernsthaft gefährdete. Gleichzeitig sollte die DDR dadurch dauerhaft stabilisiert werden. Für den alliierten Zugang selbst war diese Maßnahme unmittelbar ohne Bedeutung, solange dieser dadurch eben nicht beeinträchtigt wurde. Aber der Status der Besatzungsmacht in Groß-Berlin war wesentlich betroffen, obwohl Kennedy durch die Beschränkung der »Essentials« auf

Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 148‑156. Text in Documents on Germany, S. 762‑765. Siehe auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 99 f. 120 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S.  100. Siehe auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 197‑248. 121 Siehe Uhl, Krieg um Berlin?, S. 2, 87‑-89 und S. 209‑218. 122 Mauerbau und Mauerfall, v.a. die Beiträge Lemke, Harrison, Maier, Wettig und Wagner. 123 Siehe Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 273, Zit. ebd.; vgl. auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 226‑231. 124 Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Dok. 286, S. 431‑433; siehe auch Umbach, Das Rote Bündnis, S. 75‑148, hier v.a. S. 146‑148, sowie S. 575‑580; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 179. 125 Siehe Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 277. 126 Vgl. die sehr gut nachvollziehbare Darstellung von Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, besonders S. 168‑172; siehe auch Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, S. 40 f. 127 Lemke, Die Berlinkrisen, S. 235, Zit. ebd. 118 119

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den Westen der Stadt frühere Positionen geräumt und dadurch den Druck gemildert hatte.128 Die Informationen über die sowjetischen und ostdeutschen Absichten waren zunächst sehr widersprüchlich. Nachdem Chruščev mit seinem Aide-Mémoire vom 4. Juni 1961129 erneut ein Ultimatum gestellt und weitere Drohungen, auch gegen die alliierte Stellung in Berlin, gerichtet hatte, beantragte Norstad den Ausbau von Live Oak zu einem »operativen Stab« und dessen personelle Verstärkung einschließlich eines Verbindungselements der Bundesrepublik Deutschland.130 Dies alles wurde auch sofort genehmigt. Inzwischen war die Bundesrepublik bei Live Oak an Bord, und so wurden von den jetzt Vier Mächten neue Weisungen für die militärischen Führer der Drei Mächte erarbeitet. Ein wichtiges, allgemeines Ziel war es demnach, militärischen Druck gegenüber den Kommunisten über eine gewisse Zeit durchzuhalten, um jeglichen Zweifel über die Entschlossenheit der Vier Mächte zum Eingreifen trotz der drohenden nuklearen Eskalation zu zerstreuen.131 Auch die NATO nahm den sich entwickelnden Konflikt sehr ernst. Der Generalsekretär forderte Unterrichtung über die Bedrohung und über die vorbereiteten Maßnahmen der Vier Mächte.132 Auch eine Weisung des NATO-Rats an die militärischen Oberbefehlshaber des Bündnisses wurde vorbereitet, denn die Beurteilungen über die Absichten der Gegenseite waren sehr uneinheitlich: Waren nur lokale Maßnahmen in Berlin und auf den Zugangswegen zu erwarten oder war eine Eskalation zu befürchten, eventuell mit einem weit und tief reichenden Ansatz durch den Warschauer Pakt, z.B. bis zum Atlantik?133 Die Maßnahmen der DDR mit der rigiden Absperrung an den Sektorengrenzen und dem Beginn der Errichtung der Mauer am 13.  August führten auch zu Beeinträchtigungen des alliierten Rechts auf freien, unbeschränkten Verkehr innerhalb Groß-Berlins und verletzten aus Sicht der Westmächte den Status der von den vier Besatzungsmächten gemeinsam regierten Stadt. »All this is a flagrant and particularly serious violation of the quadripartite status of Berlin«, stellten die Drei Mächte in ihrer Protestnote vom 15. August 1961 fest.134 Die WAG und ihre Military Subgroup hatten seit Mitte Juli die Beratungen über die Politik und die notwendigen unterstützenden, auch militärischen Maßnahmen in dieser Lage intensiviert.135 Die amerikanischen Überlegungen zu scharfen Reaktionen ging den anderen immer noch zu weit oder sie empfanden sie als Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 58; vgl. auch Adomeit, Die Sow­ jetmacht, S. 274‑283. 129 Text siehe Documents on Germany, S. 729‑732. 130 BArch, BW 71/132, Nr. 28: ECLO 600/97, 27.6.1961, LO-TS-61-77. 131 BArch, BW 71/124, Nr. 34: Draft der Weisung, o.D., vermutl. 3.8.1961, S. 6 f. 132 Vgl. die Darstellung bei Nünlist, Die NATO und die Berlinkrise, S. 244‑273. 133 Vgl. hierzu die sowjetische Angriffsplanung für die WP-Übung »Buria« im August/September 1961, in Uhl, Storming on to Paris, S. 52‑58. 134 Zit. aus Telegramm des US-Außenministeriums Nr.  884, 8.8.1961, S.  1, BArch, BW  71/44, Nr. 48. Zu diesem Problemkreis gab es eine Reihe politischer Papiere, deren Inhalt nicht unmittelbar zum Aufgabengebiet von Live Oak gehörte, sondern in das der COBs. Siehe z.B. BQD-12 Rev., 20.9.1961, »Retaliation for Restrictions on Allied Access to East-Berlin«, BArch, BW 71/59, Nr. 1. 135 Einen Eindruck davon gibt das Msg C-333/190153 Z Aug über die Beratungen in der Military Subgroup vom 18.8.1961, zu finden in BArch, BW 71/124, Nr. 22. 128



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zu schnell.136 Auch die deutsche Seite war alarmiert und fürchtete einen bewaffneten Konflikt in Deutschland mit hoher Eskalationsgefahr.137 Zwei unilaterale Reaktionen der USA waren sehr deutlich, bargen aber auch hohes Eskalationspotenzial in sich: Der US-Präsident hatte in der Woche nach dem 13. August angeordnet, die Garnison in Berlin durch eine Kampfgruppe, etwa 1500  Mann, zu verstärken,138 die über die Autobahn Berlin erreichen sollte. Washington erwartete, dass der Marsch am 20. August gewaltsam aufgehalten würde, und hatte deshalb weitere Truppen in Bereitschaft versetzt: Ein Fallschirmjägerbataillon stand zur Verfügung, um gegebenenfalls die Garnison aus der Luft zu verstärken, neben dem notwendigen Lufttransportraum gab es Jagd- und Jagdbomberkräfte als Begleitschutz. Sie sollten eventuell auch der unmittelbaren Unterstützung der Kampfgruppe dienen, falls diese auf der Autobahn blockiert oder angegriffen worden wäre. Weitere amerikanische Kräfte, darunter auch eine U.S. Atomic Task Force, waren nach Niedersachsen auf Truppenübungsplätze verlegt worden.139 Ihr Einsatz erwies sich dann als nicht erforderlich, weil der Verband über die Autobahn unangefochten und ohne Aufenthalt Berlin erreichen konnte. Am 24. August wurden dann drei Busse der Amerikaner bei der Rückkehr aus dem Osten in den Westen Berlins durch Volkspolizei an der Durchfahrt durch den Kontrollpunkt Friedrichstraße gehindert. Die Amerikaner waren bereit, durch Infanterie, von Panzern unterstützt, die freie Fahrt zu erzwingen. Die entsprechende Weisung Norstads an den USCOB war offen über Telefon übermittelt worden, um die Russen mithören zu lassen. Das war offensichtlich das richtige Mittel, denn die Blockade wurde nicht fortgesetzt, als die Busse dann anfuhren.140 Weitere Friktionen konnten nicht ausgeschlossen werden. Norstad hatte Brigade­ general Peter von Butler, dem deutschen militärischen Vertreter (National Military Representative, NMR), gegenüber geäußert, dass die sowjetische Seite nach ihren erneuten Drohungen gegen den ungehinderten Luftzugang der Alliierten im August sich nun verstärkt gegen diesen wenden könnte. Daher habe er als US-Befehlshaber einige Bereitschaftsmaßnahmen angeordnet. Außerdem ließ er als SACEUR operative, aber begrenzte Möglichkeiten der NATO für eine Unterstützung Berlins oder der Offenhaltung der Zugangswege untersuchen.141 Diese Vorfälle zeigten, dass entsprechende deutsche Befürchtungen nicht unberechtigt waren. Der deutsche Alptraum war, dass ein Vorstoß der Alliierten auf der Autobahn in Richtung Berlin rasch eskalieren und zu einem – auch selektiven – Nukleareinsatz, Siehe die Darstellung auch bei Nünlist, Die NATO und die Berlinkrise, S. 244‑279. Vgl. hierzu u.a. Strauß, Die Erinnerungen, S.  380‑391; Adenauer, Erinnerungen 1959‑1963, S.  91‑100 und S.  119‑135; Schwarz, Adenauer, Bd 2, S.  653‑671; Lemke, Die Berlinkrisen, S. 228 f., S. 240 f.; und Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 97 f., 102 f. 138 Die verstärkte 1. Kampfgruppe des 18. Infanterieregiments der 8. US-Infanteriedivision aus Mannheim, siehe BArch, DVW 1-25861, S. 4, Information [...] in Westberlin, Stand 1.10.1961. 139 Münger Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 367. Siehe auch Norstads Vorsichtsmaßnahmen im April/Mai 1958. 140 Diese Darstellung stützt sich auf die Meldung des deutschen NMR, Brigadegeneral Peter von Butler, an den Fü S  III im NMR/LO-Bericht Nr.  6 vom 26.8.1961, Tgb.Nr.  183/61 geh., BArch, BW 71/16, Nr. 93. 141 Zu dieser Zeit gab es dafür im Bündnis noch keine ernsthaften Überlegungen; die Berlin Contingencies (BERCON) der NATO wurden erst danach entwickelt. 136 137

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III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

z.B. auf sowjetische Truppen in der DDR, also auf deutschem Boden und vor allem gegen Deutsche, führen könnte: »Das wäre der dritte Weltkrieg gewesen«, urteilte der damalige Verteidigungsminister Strauß,142 der noch dazu vor allem in Europa, gerade in Deutschland, geführt worden wäre. Als Alternative unterstützte Strauß den Vorschlag, Gegenmaßnahmen, wenn nötig, weit entfernt von der Krisenregion anzuwenden, wo die Sowjetunion verwundbar sei, beispielsweise zur See.143 Die Bundesrepublik legte daraufhin schon am 24. August, in der heißen Phase der Krise, der WAG ein »Arbeitspapier zu einer Blockade« auf den Tisch,144 in dem die deutschen Interessen gut herausgearbeitet und der Gedanke globaler, etwa maritimer Gegenmaßnahmen in sehr allgemeiner Form, aber als eine gut geeignete Option eingebracht wurden. Er fand zwar Interesse, aber die Reaktionen waren zunächst eher verhalten. Mittelfristig wurde diese Idee von allen Vier Mächten angenommen und als eine Art Katalog »Maritime Gegenmaßnahmen« in die Liste der Optionen aufgenommen. Wie ernst die Lage um Berlin damals war und als wie gefährlich sie beurteilt wurde, kann auch aus der großen Zahl von Konferenzen und Besprechungen der verschiedenen politischen und militärischen Arbeitsgruppen und Stäbe, von Live Oak und NATO, abgeleitet werden.145 Die Zahl der erarbeiteten Dokumente stieg sprunghaft an.146 So wurden bei der notwendigen Überprüfung der Live-Oak-Pläne Lücken erkannt, weitere Eventualpläne vorgeschlagen, genehmigt und erarbeitet. Dies betraf insbesondere die »Probes« auf der Autobahn von Berlin aus und auf der Schiene, Testoperationen in den Luftkorridoren sowie weitere Optionen in der Luft. Live Oak hatte wohl schon Anfang August noch in St. Germain-en-Laye die neue Gliederung als operativer Stab mit einer Informationszentrale zu allen Berlin-Fragen eingenommen. Dringend benötigtes Verstärkungspersonal für die Krise wurde aber erst Ende August angefordert.147 Am 11.  August war der erste ständige deutsche Verbindungsoffizier eingetroffen. Zeitgleich beschloss man den Umzug von Live Oak in den Bereich von SHAPE in Rocquencourt, da die technische Unterstützung von SHAPE dringend erforderlich war und Norstad beide Stäbe führen sollte, was durch eine gemeinsame Unterbringung erleichtert werden konnte. Die Verlegung wurde am 4.  September 1961 abgeschlossen, sodass Live Oak zu diesem Zeitpunkt voll arbeitsfähig gewesen sein dürfte.148 Der neue Chef des Stabes, Generalmajor Geoffrey H. Baker, hatte die

Siehe Strauß, Die Erinnerungen, S. 388, Zit. ebd. Die Entstehungsgeschichte ist nicht ganz klar, aber nach seinen Erinnerungen hat Strauß diesen Vorschlag gedanklich und in Gesprächen vorbereitet. Vgl. z.B. das Gespräch mit Nitze Anfang August in Paris: PA AA, B 130/3.585: Diplogerma Paris, 114-1, VS-V Nr. 108/61 str.geh., DB Nr. 857, wo es S. 4, Ziff. 8, wie folgt heißt: dass »die amerikanische Regierung bereit sei, zur Verteidigung Berlins den vollen Einsatz ihrer strategischen A-Waffen zu wagen«. Strauß hat dann auch Adenauers Zustimmung erhalten; siehe Strauß, Die Erinnerungen, S.  380‑391, v.a. S.  387; in Adenauers Erinnerungen steht dazu nichts. Siehe hierzu auch Schwarz, Adenauer, Bd 2, S. 655 f. 144 Siehe das »Working Paper on Blockade« vom 24.8.1961, LO(IN)-TS-61-2085, BArch, BW 71/124, Nr. 14. 145 Im BArch, BW 71, sind viele überliefert, mindestens in Notizen, aber bei Weitem nicht alle. 146 Siehe z.B. die Dokumente der neuen BQD-Reihe »Berlin Quadripartite Document« der WAG. 147 BArch, BW 71/44, Nr. 7: Msg USCINCEUR ECLO 9-92134, 26.8.1961, LO(IN)-S-61-3096. 148 Eine Meldung dazu findet sich nicht in BArch, BW 71. 142 143



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Führung rasch und tatkräftig übernommen.149 Seit dem 13. August arbeitete der Stab ununterbrochen.150 Eine sowjetische Note vom 23. August 1961151 und eine weitere vom 2. September als Antwort auf die alliierte »Reaktion« vom 26.  August152 schienen erneut besonders den Luftzugang nach Berlin und damit entscheidende Rechte der drei Westmächte zu bedrohen. In ihrer Antwort wenige Tage später wiesen diese daher die sowjetischen Vorstellungen und Forderungen zurück und behielten sich Gegenmaßnahmen vor.153 Diese aktuelle Bedrohung des wichtigsten Zugangsweges veranlasste Norstad, erste Vorsichtsmaßnahmen nicht mehr unilateral als US-Reaktion, sondern im Rahmen der Drei Mächte vorzubereiten. Er beantragte daher bei der WAG die Genehmigung, Maßnahmen für »Probe«-Operationen in der Luft vorbereiten zu dürfen. Dies sollte insbesondere die Einrichtung eines entsprechenden Kommandopostens beinhalten, der sich später unter der Bezeichnung Jackpine Command Post (JPCP) etablierte. Ferner sollten die dafür notwendigen Fernmeldeverbindungen hergestellt sowie Transport- und Jagdfliegerkräfte für die Durchführung von Luftoperationen in erhöhte Bereitschaft gesetzt werden dürfen, wenn die Situation es nach Norstads Ansicht rechtfertigte.154 Zugleich wies Norstad auch seine unterstellten Befehlshaber in der NATO an, erste grundsätzliche Überlegungen zu Eventualfallplänen in einer Berlin-Krise anzustellen.155 Ebenso übermittelte er der WAG über das Department of State einige Ausführungen, wie sich seine Zusammenarbeit mit den Regierungen und Gremien in Live Oak und NATO möglichst einfach und praktisch gestalten ließe.156 Für seine Anträge vom 5. September und weitere vom 7. September157 bei der WAG erhielt Norstad rasch die Zustimmung, was zeigte, dass die Vier Mächte seine Beurteilung und Besorgnisse teilten. Außerdem waren insbesondere bei den Plänen zur Sicherung des Luftzugangs Lücken erkennbar geworden, die schnelle Abhilfe verlangten.158 Um außerdem seine Möglichkeiten für die ersten Reaktionen auf gegnerische Behinde-

Das ist aus der schriftlichen Überlieferung deutlich erkennbar und wird durch Maj. Humphreys in seinen Erinnerungen geschildert, siehe BArch, BW 71/58, Nr. 1, »Memories of Live Oak 1959 to 1961«, S. 3. 150 Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 24. 151 Siehe Documents on Germany, S. 783 f. Der Text findet sich nicht in BArch, BW 71. 152 Ebd., S.  785  f. Die engl. Übersetzung der sowjetischen Note vom 2.9. findet sich in BQD-11, BArch, BW 71/44, Nr. 40. Text auch in Documents on Germany, S. 788 f. 153 Siehe die amerikanische Antwort in »Draft Reply to Soviet Note of September  2, 1961«, v.a. Para. 9, BQD-14, o.D., BArch, BW 71/59, Nr. 8. Engl. Text vom 8.9.1961 auch in Documents on Germany, S. 789‑793. 154 BArch, BW 71/132, Nr. 33, Para. 3.c, SHLO 9-0001, 5.9.1961, LO-TS-61-3004, S. 2. Die Nummer 1 des SHLO zeigt übrigens, dass Norstad ab jetzt Live Oak führte. 155 Ein Beispiel dafür ist der Entwurf einer Weisung an CINCENT, BArch, BW 71/124, Nr. 10: o.D., LO-TS-61-180. 156 BArch, BW 71/117, Nr. 65, SHLO 9-0002, 5.9.1961; diese waren Teil seiner Antwort auf den Entwurf der Weisung von Anfang August an ihn. 157 Betreffend den Einsatz militärischer Transportflugzeuge anstelle ziviler Maschinen; BArch, BW 71/53, Nr. 33, JCS-1439, 9.9.1961. 158 BArch, BW 71/132, Nr. 24: Studie »Expansion of Jackpine II«, SHLO 300/478, 6.9.1961, LOTS-61-178. 149

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rungen auf der Autobahn Berlin–Helmstedt zu erweitern, stellte Norstad bei der WAG den Antrag, Probe-Operationen auch von Berlin aus vorzusehen.159 Die Vier Mächte suchten in der Folge dringend die Unterstützung der NATO und ihrer Mitgliedsländer. Das erwies sich auch als notwendig, denn sowohl der erst im April in sein Amt eingeführte, daher noch wenig erfahrene Generalsekretär der NATO, Dirk Stikker, als auch die Vertreter der nicht unmittelbar betroffenen NATO-Partner hatten Fragen, Bedenken und Sorgen. Besonders befürchtete man, in einen schweren und gefährlichen, möglicherweise nuklearen Konflikt verwickelt zu werden, ohne ausreichende Informationen zu haben und ohne über Mitsprache zu verfügen.160 In mehreren geheimen Sitzungen, teilweise in Sitzungen der nationalen Vertreter ohne Begleitung – »in private session« –, wurden die Mitgliedsländer über die Lage, die Rolle und Aufgaben von Live Oak, die entsprechenden Planungen und das Verhältnis der Vier Mächte zum Bündnis in dieser Hinsicht informiert. So wurde versucht, die Fragen zu beantworten, die Befürchtungen abzubauen und die Sorgen zu zerstreuen. Das Vorhaben gelang offensichtlich,161 denn schließlich stimmten die Regierungen aller Mitglieder am 25. Oktober einem Grundsatzpapier der NATO zu, das die Unterstützung der Vier Mächte in dieser Frage erlaubte und die militärischen Spitzen des Bündnisses, die Major NATO Commands (MNCs), anwies, entsprechende eigene Pläne zu entwickeln, die späteren ­BERCONs und MARCONs.162 Damit war auch die unbedingt notwendige Unterstützung der zentralen militärischen Maßnahmen der Vier Mächte in Live Oak durch das Bündnis, etwa im Rahmen der Alarmmaßnahmen, gesichert worden. Die Konfrontation von amerikanischen Panzern mit sowjetischen am Kontrollpunkt Charlie in der Friedrichstraße vom 22. bis 28. Oktober 1961 mag diese Entscheidung unterstützt haben.163 Norstad führte Anfang Oktober in Washington zahlreiche Gespräche mit Kennedy, seinen Beratern, den JCS und Verteidigungsminister McNamara. Darin ging es um die richtigen Reaktionen auf die sowjetische Bedrohung und einzelne Maßnahmen, also um die politische Richtung und die notwendigen Kräfte. Sie sollten auch der Vorbereitung eines amerikanischen Dokumentes dienen, das dann »Preferred Sequence of Military Action in a Berlin Conflict« heißen sollte.164 In diesem Papier waren vier Phasen eines Konflikts definiert worden, vom Umgang mit Behinderungen auf den Zugangswegen in der ersten Phase bis zum eventuellen Einsatz nuklearer Waffen in der vierten, der letzten Phase. Dieser Ansatz fand dann in einer überarbeiteten Fassung auch Aufnahme

BArch, BW 71/132, Nr. 35: SHLO 9-0010, 12.9.1961. Er gab gleichzeitig eine Weisung an die COBs, diese Operationen gemeinsam vorzubereiten. Diese Pläne wurden schnell fertiggestellt, analog zu denen der BAOR von Helmstedt aus. 160 Siehe z.B. das »Stikker Statement«, o.D., wohl Anfang September: BQD-13, BArch, BW 71/59, Nr. 2. Vgl. hierzu auch die Protokolle der Sitzungen des NR aus dieser Zeit, die mit wenigen Ausnahmen nicht in BArch, BW 71 liegen, aber in »NATO Military Planning for Berlin 1961‑1968« zugänglich sind. Interessant auch die Msg SGNREP, 22.9.1961, an SGN, Subj. Council Discussions of Four Power Ambassadorial Working Group in Washington, BArch, BW 71/124, Nr. 26. 161 Vgl. Nünlist, Die NATO und die Berlinkrise, S. 267‑273. 162 BArch, BW 71/125, Nr. 6: C-M(61)104-CTS, 4.10.1961, LO(IN)-CTS-62-2057. 163 Siehe die Darstellung der Konfrontation in Die Berliner Mauer, S. 44. 164 Siehe hierzu Pedlow, General Lauris Norstad, S. 19‑30. 159



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in einem Live-Oak-Dokument gleichen Titels.165 Das Memorandum definierte die amerikanische Politik in einem Berlin-Konflikt neu, welche das westliche Verhalten wesentlich mitbestimmen würde. Diese Linie blieb, nachdem sie 1981 noch einmal bestätigt worden war,166 bis 1990 gültig. Damit trug Live Oak bis zum Ende des Kalten Krieges die Handschrift der Kennedy-Administration. In diesen Wochen kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Norstad und seinen nationalen Vorgesetzten.167 Sein Einfluss in Washington begann zu schwinden. Dies hatte indes nur sehr bedingt mit Live Oak zu tun, sondern vielmehr mit einer grundlegenden Neuausrichtung auch von Politik und Militärstrategie unter Kennedy. Der Luftwaffenmann und Befürworter der Massive Retaliation Norstad hatte in der neuen Konzeption keinen rechten Platz mehr.168 Parallel zu diesen Diskussionen, Verhandlungen und Maßnahmen auf westlicher Seite wurde die politisch-militärische Lage durch »Buria«, eine großangelegte Rahmenübung des Warschauer Pakts in Osteuropa, in der DDR, gerade auch im Raum um Berlin, erschwert: Sie fand vom 28. September bis 10. Oktober 1961 statt.169 Ziel der Übung war es darzustellen, dass der Warschauer Pakt die NATO-Truppen in Westeuropa in einem allgemeinen nuklearen Krieg in kurzer Zeit vernichtend schlagen könne, wodurch die neue sowjetische Militärstrategie des unbeschränkten Atomkrieges (»AllOut-Nuclear War«) bestätigt werden sollte. Das Ziel sollte »in 10‑15 Tagen durch den massiven Einsatz nuklearer Waffen« erreicht werden.170 Als Anlass des Krieges wurde eine Verschärfung der Berlin-Krise durchgespielt171 und im Verlauf der erfolgreichen Operationen die Stadt »erobert«.172 Chruščev hatte die Übung bewusst in das politischpsychologische Spiel eingeführt, sie sollte »als eine militärisch-politische Warnung« an den Westen und als »wichtiges Instrument des Druckes im politischen Poker zwischen Sowjetunion und dem Westen um Berlin« dienen.173 Sie hatte zusätzlich die Aufgabe, die Einsatzbereitschaft der Truppen des Paktes in dieser Zeit zu erhöhen. Als Reaktion auf die Bedrohung insgesamt hatte Norstad als verantwortlicher Oberbefehlshaber schon am 13. August amerikanische Verstärkungen für Europa beantragt, zunächst 38 000 Mann für USAREUR.174 Kennedy und seine Berater aber hatten vorerst nur politische Maßnahmen beraten und am 17. August entschieden, Vizepräsident BArch, BW  71/1, Nr.  61: BQD-M-30, Rev., »The Preferred Sequence of Military Actions in a Berlin Conflict«, 12.9.1962. Vgl. auch BArch, DVW 1-25740/n, Stand 31.3.1964. 166 Siehe National Security Memorandum (NSM) SM-317-81, 23.10.1961, Rev. 19.5.1981, BArch, BW 71/133, Nr. 1, S. 1. Vergleichbare Dokumente der drei anderen Mächte liegen nicht vor. 167 Siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 27. Die Darstellung bei Pedlow über diese Entwicklungen ist sehr erhellend, kann hier aber nicht detailliert behandelt werden. Siehe auch Burr, U.S. Policy, S. 20‑25. 168 Jordan, Norstad, Kap. 8 und 9. 169 Siehe auch die Darstellung in Schwarz, Adenauer, Bd 2, S. 669 f. 170 Siehe Uhl, Storming on to Paris, S. 46‑71, Zit. S. 46; siehe auch Militärstrategie, hier v.a. die Einleitung von O.i.G. Dr. Gerber, S. 7‑28, sowie ebd., Kap. I.: Allgemeine Grundsätze, S. 55‑108. 171 Ebd., S. 54‑58. 172 Ebd., S. 62. Es ist sicher, dass die Sowjetunion zu dieser Zeit schon Kenntnis von Live Oak, seinen Aufgaben und Planungen erhalten hatte; vgl. auch Uhl, Krieg um Berlin?, S. 2. 173 So Uhl, Storming on to Paris, S. 47. 174 Siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 19 f. Vgl. auch die Info. Nr. 9/61 der Verwaltung Aufklärung der NVA, Stand 20.9.1961, BArch, DVW 1-25853/d, S. 7. 165

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Lyndon B. Johnson und den früheren Kommandanten von Berlin, General Lucius D. Clay, nach Berlin zu schicken und gleichzeitig eine Kampfgruppe auf dem Landweg in die bedrohte Stadt marschieren zu lassen. Norstad war dazu nicht befragt worden und hätte wohl auch widersprochen.175 Kennedys Entscheidungen waren vor allem politisch motiviert, weil die Bonner Regierung und die Berliner Bevölkerung über die anfängliche amerikanische Passivität tief enttäuscht und verunsichert waren.176 Kennedy verzichtete dann auf eskalierende Maßnahmen wie die Einberufung von Reservisten und die Mobilisierung von Divisionen, etwa auch der Nationalgarde, um den Vorteil der positiven Meinung der Öffentlichkeit für die westliche Staatengemeinschaft als freie Welt nicht zu gefährden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Krise langsam an Schärfe verlor. In der Folge wurde Live Oak in den Rahmen der neuen Strategie, der Flexible Response, eingepasst, die die konventionelle Kompetenz betonte und gleichzeitig das Krisenma­ nagement in den Mittelpunkt stellte.177 Da die Krise nunmehr weitgehend politisch behandelt werden konnte und nicht militärisch gelöst werden musste, blieb die eigentliche Bewährungsprobe für den militärischen Anteil, d.h. gerade auch für den Stab Live Oak, aus. Sie bereitete aber den Weg für eine Erweiterung der Optionen und die Modernisierung der Pläne. Die NATO wurde nun verstärkt in die Krisenbewältigung um Berlin eingebunden, was vorher kaum Thema, nun aber dringend erforderlich war. Durch die Krise hatte Norstad von den Regierungen der Vier Mächte neue Befugnisse beantragt und teilweise auch erhalten, welche dem Commander Live Oak in künftigen Krisen rasche, sogar sofortige Reaktionen ermöglichten.178 Es handelte sich hierbei insbesondere um – die Aktivierung von Jackpine Command Post, – die Alarmierung von begrenzten Jagdflieger- und Lufttransportkräften, – das Kreisen von Jagdflugzeugen vor den westlichen Eingängen der Luftkorridore, – das Einrichten des militärischen Anteils für die Military Sponsored Air Probe (MSAP) im Luftverkehr nach Berlin als Ersatz von Flugzeugen der zivilen Gesellschaften, – den Einsatz der Military Air Transport Probe (MATP), – die Koordinierung des alliierten zivilen und militärischen Luftverkehrs in und durch die Korridore, – die Anordnung von Flügen zur Beantwortung von Störmaßnahmen aller Art in den Korridoren, das sogenannte Counter-Harrassment, – unter bestimmten Bedingungen den Einsatz eines »Single Commander Berlin«, – die Versammlung der Probes zu Lande für die Ausbildung, – die Versammlung der Probes auf der Autobahn und auf der Schiene für den Einsatz, McNamara und Lemnitzer hatten aber widersprochen; siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 21. 176 Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 191 f. 177 Siehe den »Plan of Action« in NATO Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-1, Section 04 und 06. Vgl. hierzu auch Thoß, NATO-Strategie, S. 323‑329; sowie die Vorschläge »Noncombat Military Options for Crisis Management« in George, The Tension, S. 13‑15. Zur Funktion von Live Oak im Rahmen des Strategiewechsels der Allianz und überhaupt als Manifestation der Anpassungsfähigkeit der NATO vgl. Johnson, How NATO Adapts, S. 91. 178 Die im Folgenden aufgeführten Elemente werden in Kap.  IV.8 näher erläutert. Allgemein siehe BArch, BW 71/131, Nr. 1-15, erstmals zusammengestellt Nr. 1: SHLO 9-00013, 25.10.1961,TS. 175



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– die Versammlung einer größeren Kampfgruppe, Tripartite Battle Group (TBG), für die Ausbildung. Weitergehende Prädelegierungen wurden Norstad verwehrt. Zwei Maßnahmen aber wurden ihm in dieser Krise auf Antrag anheim gestellt: die Aktivierung von JPCP und die Alarmierung und Bereithaltung bestimmter Lufttransport- und Jagdfliegerkräfte, beides am 11. September 1961.179 Wenn die Zeit nicht drängte, war aber auch in diesen Fällen die vorherige politische Konsultation gefordert. Ab Mitte September 1961 zeigten sich erste Anzeichen, dass Chruščev sein Ultimatum möglicherweise abschwächen würde. Trotz der Konfrontation am Checkpoint Charlie gab er am 17. Oktober in seiner Rede zur Eröffnung des XXII. Parteitages der KPdSU in Moskau endgültig den Verzicht auf einen festen Zeitrahmen bekannt, beharrte aber weiterhin »auf der raschesten Lösung der deutschen Frage«.180 Damit war die politische Spannung deutlich gemindert worden. Nachdem die Panzer am Kon­ trollpunkt abgezogen worden waren, konnten die Kontrahenten wieder miteinander in ein Gespräch eintreten. Die Krise war damit allerdings nicht vorbei. Auch bei Live Oak dürfte daher wohl der Stand der Bereitschaft gesenkt worden sein.181 Die Arbeit an den zahlreichen neuen Planungen bei Live Oak, NATO und in den nationalen Stäben ging aber energisch voran.182 Zu dieser Zeit jedoch hatte die NATO im Bereich Europa bereits die folgenden Maßnahmen genehmigt und ausgeführt: – Das Personal der Hauptquartiere SHAPE und AFCENT und von deren unterstellten Stäben war verstärkt worden. – Die Kapazitäten der Nachrichtengewinnung waren verbessert, die tägliche Vorlage der »Zusammenfassenden G2-Meldung«, des Intelligence Summary (INTSUM), war befohlen worden. – Eine Übung niederländischer Truppen in Frankreich und CINCENTs wesentlichste Übung, »Lion Orange«, waren abgesagt worden. Zwei Maßnahmen befanden sich noch in der Prüfungsphase: – die Absage der Übung »First Try« der ACE Mobile Force (AMF/L) im Oktober auf Sardinien und – die Stationierung der 121. Leichten Brigade der Niederlande ab 15. Oktober für drei Monate in der Bundesrepublik. Eine Reihe anderer Maßnahmen dieser Kategorie konnten noch notwendig werden:183 – Absage aller Übungen in Garnisonsnähe, – Rückruf des gesamten abgestellten oder kommandierten Personals zum Stammtruppenteil, – Urlaubssperre und Ausgangsverbot in verschiedenen Abstufungen, – Überprüfung, wo notwendig, Übergabe des Einsatzgeräts, Beladung der Fahrzeuge, – Vorbereitung der Mobilmachung im zeitaufwendigen Munitionsbereich, Das ist der französischen Zustimmung zu entnehmen: BArch, BW 71/117, Nr. 53: No. 431/FRLO, 11.9.1961, LO(IN)-TS-61-2094. 180 Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 206, Zit. ebd. 181 Darüber gibt es allerdings keine Quellen. 182 Das ist aus dem Schriftgut aus dieser Zeit ablesbar. 183 BArch, BW 71/44, Nr. 28: »Preliminary Preparatory Measures«, SHAPE P&P 1210/20, 21.9.1961, LO-S-61-3130, Para. 3. 179

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die Entsendung von Vorkommandos in die Kriegshauptquartiere, Aktivierung des mobilen Hauptquartiers von SHAPE, schrittweise Ausführung des Fernmeldeplanes für den Notfall, diskrete Vorbereitungen für die mögliche Ausrufung der Alarmstufe »Simple Alert« oder, bei einem überfallartigen Angriff, von »State Orange« bzw. »State Scarlet«. Dieser Maßnahmenkatalog stellte gewissermaßen die militärische Seite des NATO-Krisenmanagements dar, welche die Bedeutung der Alarmplanung dafür erahnen lässt. Ein Katalog aller möglichen und, wenn nötig, auch vorbereiteten Maßnahmen militärischer Art wurde für den Bereich Live Oak von den Vier Mächten vorgelegt, innerhalb weniger Wochen überarbeitet und für das Krisenmanagement um Berlin für nützlich befunden. Er bot eine große Auswahl Optionen, eine »shopping list«, die ein breites Spektrum an Eventualfällen abdeckte.184 In einer Anlage waren auch die bis dahin entwickelten oder in Vorbereitung befindlichen Eventualfallpläne von Live Oak wie auch die der NATO, also BERCON und MARCON, gelistet.185 Parallel zu diesem wichtigen Papier, das die Koordinierung in der Krise verbessern sollte, wurde ein Gesamtkompendium erstellt, das alle Maßnahmen aufnehmen sollte, auch die politisch-diplomatischen und die wirtschaftlichen. So entstand das Dokument »Status of Berlin Contingency ­Planning«, gewissermaßen das Handbuch des Krisenmanagements um Berlin.186 Erste amerikanisch-sowjetische Gespräche bis zum Jahresende brachten eine weitere Beruhigung, aber keine Fortschritte.187 Anfang Januar 1962 wurden neue Gespräche mit der amerikanischen Regierung begonnen, nachdem Chruščev, befriedigt über seinen Erfolg bei der Konsolidierung der DDR, ein »Aktionsprogramm« genehmigt hatte. Er rechnete sich gute Chancen aus, seine 1958 gesetzten Ziele nun endlich zu erreichen.188 Dieser Ansatz führte schnell in eine Sackgasse, denn Kennedy reagierte nicht so, wie sein Gegenspieler gehofft hatte. Daher wollte Chruščev den Druck wieder verstärken, »ohne freilich ein Konfrontationsrisiko einzugehen«.189 Dieses Mal sollten Handlungen gegen den Zugang durch die Luft, der bisher noch nie ernsthaft und wirklich bedroht worden war, den Westen weich machen.190 Während die US-Regierung die Gefahr eher herunterspielte, waren die Botschafter in Bonn, die Kommandanten in Berlin und auch Norstad sehr besorgt. Der sowjetische Vertreter im Berlin Air Safety Center erklärte, am 8., 9. und 12. Februar 1962 ließe sich wegen »Übungsflügen« für einige Stunden die Sicherheit für Flüge der Westmächte in den Korridoren nicht garantieren. Die Sowjetunion störte dann auch an den angegebenen Tagen westliche Flugzeuge im Linienverkehr durch Flüge großer Transportma BArch, BW  71/125, Nr.  7: BQD-M-20 Rev., 15.1.1962, Military Countermeasures, LO(IN)TS-62-2075, S. 1. 185 Ebd., Annex B. 186 Verwaltungstechnische Bezeichnung: BQD-CC-1. Es ist nicht sicher, wann die erste Fassung fertiggestellt war; hier: BArch, BW 71/2, Nr. 3, 6., überarb. Fassung vom 15.3.1971, (SHLO) 72/37, GLNO Tgb.Nr. 1/72 TS. 187 Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 209‑211. 188 Ebd., S. 216‑218. Vgl. auch Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 143‑145. 189 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 220, Zit. ebd. 190 Den politischen Ablauf schildert ebd., S. 220‑255, sehr klar und eindrucksvoll. Zum Ablauf und zur politischen Entwicklung siehe auch Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 146‑153. 184



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schinen in den Korridoren. Sie gefährdete dadurch das Recht auf freien, ungehinderten Zugang und den einzigen unkontrollierten Zugang nach Berlin. Bei Live Oak wurden entsprechende Maßnahmen ergriffen: Zunächst wurden die westlichen Flugpläne nicht geändert, sondern bewusst aufrechterhalten. Am 8. Februar gab es dann keine besonderen Ereignisse, am 9. Februar gleichfalls. An diesem Tage hatten allerdings Amerikaner und Briten zur angegebenen Zeit zusätzlich je drei Militärmaschinen in den betroffenen Korridoren eingesetzt. Norstad meldete daraufhin der WAG, dass die sowjetische Seite weder ihre Aktion abgeblasen noch westliche Flugzeuge behindert hätte. Da das eventuell aber nur das Vorspiel sei, komme es darauf an, auf die echte Einschränkung der Zugangsrechte vorbereitet zu sein, besonders für den zivilen Flugverkehr. In diesem Fall sei es entscheidend, dass die Pläne es erlaubten, schnell und effektiv entgegenzuwirken.191 Norstad schlug daher für den Fall definierter sowjetischer Aktionen eine Reihe von Maßnahmen vor: Militärflugzeuge zu den kritischen Zeiten und in den gefährdeten Korridoren fliegen zu lassen, dafür auch Military Sponsored Air Probes (MSAP) einzusetzen; planmäßige zivile Flüge in Höhen zwischen 10 000 und 25 000 Fuß ausweichen zu lassen, anfangs mit militärischen Besatzungen und ohne Passagiere; und schließlich auch Militärmaschinen für Flüge über 10 000 Fuß bereitzuhalten.192 Außerdem wollte er eine Anzahl von Jägern am Boden einsatzbereit halten. Alle Maßnahmen sollten durch den zuständigen Gefechtsstand »Jackpine« (JPCP) geführt werden. Den ersten beiden Anträgen ist die WAG im Wesentlichen gefolgt, den anderen beiden nicht, da die Briten Vorbehalte hatten.193 Das nicht ungefährliche Spiel der Gegenseite ging bis zum 9. März so weiter.194 Dann griffen die sowjetischen Kräfte zu massiven elektronischen Störmaßnahmen. Während dieser Tage und Wochen gab die westliche Seite die der Situation angemessenen Antworten,195 was zur Beendigung der Krise beigetragen haben dürfte. So protestierten am 11. März die Außenminister der USA, Dean Rusk, und Großbritanniens, Alec Douglas-Home, bei ihrem sowjetischen Kollegen Andrej A. Gromyko. Die Drei Mächte ließen ihren Flugverkehr durch die sowjetischen Maßnahmen nicht beeinträchtigen. Die Sowjetunion aber stellte ohne Erklärung und ohne jede Begründung ihre »Flugübungen« am 30. März 1962 ein. In den Wochen seit dem 8. Februar waren 131 »Air Probes«, 124 MATP und sieben MSAP, geflogen worden. Seit Anfang März hatte JPCP alle Flugbewegungen in den Korridoren koordiniert.196 Weitere, inzwischen delegierte Befugnisse, wie Flüge über 10 000 Fuß anzuordnen oder Jäger unter gewissen Bedingungen in den Korrido-

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BArch, BW 71/118, Nr. 39: Msg SHLO 9-00061, 9.2.1962, Para. 3. Ebd., Para. 4. BArch, BW 71/118, Nr. 40: Msg SHLO 9-00067, 11.2.1962. Es gab durchaus gefährliche Situationen, etwa durch »Buzzing«, und sogar Versuche, Flugzeuge zur Landung zu zwingen, z.B. am 15.2: siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 33. Siehe auch BArch, BW 71/132, Nr. 40: Msg SHLO 9-00082, 9.3.1962. 195 Siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 33, auch Anm. 2. 196 Diese Angaben nach einer Meldung des GLNO, BArch, BW 71/14, Nr. 52: Tgb.Nr. 215/83 geh. vom 14.4.1983. Allerdings zeigt die Anmerkung, dass die »Aktenlage unvollständig« sei, eine berechtigte Zurückhaltung. Die Koordinierung durch JPCP hat auch Pedlow, General Lauris Norstad, S. 33, bestätigt. 191 192

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ren einzusetzen,197 nutzte Norstad nicht. Ein beteiligter Amerikaner charakterisierte dies später mit einem Ausdruck aus der Pokersprache als »matching but never raising Soviet bets«.198 Diese Periode in der Krise des Spätwinters 1962 war die erste Gelegenheit, die Eventualfallplanungen für den Luftzugang einzusetzen und in der Realität zu prüfen. Die gezeigte Entschiedenheit der Drei Mächte mag die sowjetische Führung beeindruckt haben, auch wenn Letztere eine weitere Steigerung nicht im Sinne hatte und nichts riskieren wollte.199 Der Sommer sah intensive Arbeit bei der WAG, im neu eingerichteten Marinekomitee »Deep Sea« und bei Live Oak, insbesondere an den maritimen Aspekten und an den Grundlagen der Maritimen Gegenmaßnahmen. Aber auch die NATO, hier vor allem der Kommandobereich Europa (ACE), bearbeitete ihre Eventualfallpläne maßgeblich.200 Die Krise schwelte vor sich hin. Obwohl man diplomatisch in der Sackgasse saß, gingen die hochrangigen Verhandlungen weiter.201 Im August 1962 meinte Chruščev, dass die Amerikaner die Verhandlungen nur dazu nutzten, um ihn hinzuhalten. Rusk wiederum fürchtete, dass der Kreml nun einen Friedensvertrag mit der DDR, Schritt für Schritt vorgehend, unterschreiben würde. Nach einem Zwischenfall an der Mauer mit dem Einsatz von Schusswaffen gegen einen Flüchtling – der Bauarbeiter Peter Fechter, das erste Todesopfer an der Mauer am 17. August 1962 – verschlechterte sich die Lage wieder, und die Gespräche kamen ins Stocken. Das amerikanische Außenministerium nahm an, dass die Sowjetunion gegen Ende des Jahres bei den Vereinten Nationen in New York eine größere Initiative Berlin betreffend starten könnte. Und der Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, Paul Nitze, fand die Situation um Berlin noch gefahrvoller als im Jahr zuvor (Nitze war zu dieser Zeit auch Vorsitzender der Military Subgroup der WAG).202 Die folgende Krise drehte sich dann nicht um Berlin, sondern um Kuba. Chruščev hatte die Entscheidung, Raketen mit atomaren Sprengköpfen auf der Insel zu stationieren, wohl am 24. Mai 1962 getroffen.203 Zwei Monate später wurden schon die ersten Systeme angelandet. Es war abzusehen, dass sich die Sowjetunion durch diese und andere Maßnahmen im späten Herbst in einer wesentlich günstigeren Lage befinden würde als bisher: Sie würde mit ihren Mittelstreckenraketen »die nahen USA massiv bedrohen« können.204 Gedachte der sowjetische Führer gar, die Berlin-Frage über Kuba zu lösen? So Siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 33. Danach hatte General Clay schärfere Maßnahmen verlangt, ohne Erfolg allerdings. 198 Gemäß John C. Ausland in »Six Berlin Incidents, 1961‑1964«, ein Papier, das Pedlow, General Lauris Norstad, S. 33, Anm. 3, als Quelle benennt. 199 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 224 f.; vgl. auch Pedlow, General Lauris Norstad, S. 34; und Pedlow, Allied Crisis Management, S. 105 f. 200 Das ist auch aus den Protokollen von Sitzungen der Military Subgroup zu erkennen, die in BArch, BW 71, leider nur lückenhaft überliefert sind: BQD-M-25 bis BQD-M-40. 201 Burr, U.S. Policy, S. 25. Zur Lage innerhalb der NATO siehe wieder Military Planning for Berlin Emergency; auch Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, S. 146‑153. 202 Burr, U.S. Policy, S. 25. 203 Diese Operation hatte den Namen »Anadyr« erhalten; vgl. Andy, Operation »Anadyr«; und Sigurd Hess, In bester Schußposition, FAZ vom 26.10.2002, S. 8. 204 Zit. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 243. In diesem Abschnitt folge ich weitgehend Wettig. Auch Dobbs, The End Was Near, S. 25‑33. 197



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wurde mancherorts vermutet, doch gibt es dafür bisher keine eindeutigen Belege.205Auf jeden Fall hätte sich ein Erfolg in der Karibik auch in Berlin nutzen lassen, wie aus Andeutungen Gromykos hervorgeht206. Er und Chruščev selbst hätten Washington wissen lassen, dass sie dann einen aktiven Dialog beginnen wollten.207 Kennedy verstand seinerseits diese Konfrontation im »Hinterhof Amerikas« als eine Verschärfung der seit Jahren schwelenden Berlin-Krise.208 Zu dem ins Auge gefassten Zeitpunkt, im November zur Zeit der Kongresswahlen, wäre die Raketenaufstellung beendet, die Waffen wären also einsatzbereit gewesen. Damit hätte Moskau an mehreren Stellen gleichzeitig Druck ausüben können. Chruščev unterbreitete nun Ende September der amerikanischen Regierung neue Vorschläge über Rüstungskontrolle und Berlin. In deren Rahmen betonte er, dass WestBerlin die wechselseitigen Beziehungen »fiebrig« mache, solange dort keine »vernünftige Lösung« erreicht sei.209 Dieser Vorstoß mag durchaus als Ablenkung wegen der Vorgänge auf Kuba gedacht gewesen sein. Insgesamt gab es in der Berlin-Frage weiterhin unüberbrückbare Standpunkte: zum Status der Stadt, zu der westlichen Präsenz und zu den Zugangsrechten. Vage Vorschläge zu einer eventuell einzurichtenden unabhängigen Zugangsbehörde oder einer neuen Übereinkunft als Rechtsgrundlage für die westliche Präsenz in der Stadt belebten die Gespräche, brachten sie aber einer Lösung nicht wirklich näher.210 Vorfälle auf der Auto­ bahn mit massiven Behinderungen des zivilen Verkehrs – beispielsweise eine Sperrung für mehrere Stunden am 21. September – und neue Forderungen gegenüber Soldaten der Westmächte beim Übertritt nach Ost-Berlin zeigten den Ernst der Lage. Als sich der Zorn der Berliner nach der Ermordung Peter Fechters auch gegen sowjetische Soldaten und Einheiten im Westen der Stadt richtete, setzte der sowjetische Oberbefehlshaber, General Ivan I. Jakubovskij, mit Moskaus Billigung gepanzerte Mannschaftstransportwagen in West-Berlin ein.211 Am 16. Oktober 1962 bekam Kennedy erstmals Beweise (Fotografien) für den Bau sowjetischer Raketenstellungen auf Kuba vorgelegt.212 Nach der Bestätigung, dass es sich Anklänge dazu in der Diskussion der MSG der WAG am 22.10.62: BArch, BW 71/125, Nr. 12: BQD-M-35, I-26143/62, LO(IN)-TS-62-2118, S. 4 f. Siehe auch Sigurd Hess, In bester Schussposition, FAZ vom 26.10.2002, S. 8. Auch Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 248. 206 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 243; auch Andy, Operation »Anadyr«, S. 339. 207 Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  244: »Er und sein Herr ließen [...] Washington ausdrücklich wissen, dass sie dann einen ›aktiven Dialog‹ beginnen wollten.« Der Ausdruck ›aktiver Dialog‹ ist als Zitat aus einem sowjetischen Memorandum gekennzeichnet. 208 Siehe Sigurd Hess, In bester Schussposition, FAZ vom 26.10.2002. 209 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 245. 210 Vgl. ebd., S.  245  f.; ebenso die Vorstellungen des Generalsekretärs der NATO, ausgedrückt in »Berlin Negotiations«, PO/61/804, 16.10.1961, BArch, BW 71/124, Nr. 32. 211 Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 248 mit Anm. 121. Diese wurden zum Transport der sowjetischen Ehrenwache am Denkmal oder der Wachkompanie im Gefängnis in Spandau eingesetzt. Wettig beruft sich dabei auf J.C. Ausland. 212 Am 22.10. unterrichtete Nitze in einer Sitzung der MSG die Teilnehmer über die Lage und die Maßnahmen der USA. Danach hatte es Anfang September erste Hinweise durch Flüchtlinge gegeben, dass Raketenstellungen im Bau waren, die man aber für FlaRak-Stellungen gehalten habe. Seit dem 16.10. hätten die USA große Anstrengungen unternommen, diese Informationen zu verifizieren. Die Delegationen erhielten in der Sitzung je eine Kopie des Berichts. Siehe das Protokoll der Sitzung, BQD-M-35, 22.10.1962, LO(IN)-TS-62-2118, BArch, BW 71/125, Nr. 12. 205

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um Offensivsysteme handelte, verhängte der Präsident zur Abwehr dieser neuen Bedrohung am 22.  Oktober213 eine Seeblockade gegen Kuba, was er zuerst Chruščev, dann dem amerikanischen Volk und der Welt mitteilte. Chruščev war anscheinend überrascht. Er berief eilends eine Nachtsitzung des Präsidiums des Zentralkomitees (ZK) ein und ließ Kuba und Berlin auf die Tagesordnung setzen.214 Der sowjetische Partei- und Staatschef erkannte, spätestens nach der ultimativen Drohung des Bruders des Präsidenten, Robert Kennedy, gegenüber dem sowjetischen Botschafter Anatolij F. Dobrynin, den Ernst der Lage215 und beendete die Operation am 28. Oktober. Die sowjetischen Schiffe mit den Raketen an Bord drehten ab und kehrten in ihre Heimathäfen zurück.216 Die sowjetische Aktion war »als Bluff entlarvt«.217 Als der sowjetische Versuch, Nuklearwaffen auf Kuba zu stationieren, erkennbar wurde, war Live Oak schon alarmiert worden.218 Auch die USA hatten offensichtlich die Gefahr gesehen, dass Chruščev beide Krisengebiete im Zusammenhang sehen und entsprechend handeln könnte.219 In der Sitzung der Military Subgroup am 22. Oktober wurde wegen einer möglichen Verschärfung der Lage auch die Möglichkeit diskutiert, ob und inwieweit Vorsichtsmaßnahmen in und für Berlin ergriffen werden sollten. Die Amerikaner hielten derlei für angemessen. Denn sie gingen davon aus, dass sowjetische Maßnahmen in Berlin als »eine mögliche Reaktion« auf die Blockade gegenüber Kuba angesehen werden könnten.220 Diese Fragen wurden nicht abschließend diskutiert. Insbesondere der deutsche Vertreter, Swidbert Schlippenkoetter, hatte Fragen zur Bedeutung der ausgeweiteten Kuba-Krise für Berlin gestellt, die zunächst wohl keine zufriedenstellenden Antworten brachten.221 Immerhin hatten die Amerikaner schon am 19. Oktober eine Reihe von Verbesserungen für Live Oak vorgeschlagen222, die eine Aufwertung der Bonn Group und eine Intensivierung der Vorbereitungen der NATO vorsahen. Ein Aspekt der Krisenbehandlung durch die USA war auch für Live Oak von Bedeutung gewesen: Washington hatte die gerade im Entwurf fertiggestellten Maritimen

Genau am 23.10.1962 um 1.00 Uhr MEZ, über Rundfunk und Fernsehen; vgl. Sigurd Hess, In bester Schußposition, FAZ vom 26.10.2002. 214 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  248. Als Grundlage diente Wettig das Protokoll dieser Sitzung (ebd., Anm. 125). Siehe auch Spenser, Die Kubakrise, S. 302 f. 215 Siehe Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 433. 216 Heller/Nekrich, Geschichte der Sowjetunion, Bd 2, S. 265‑268. 217 So Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 440; und Dobbs, The End Was Near. Für die sowjetische Seite siehe auch Andy, Operation »Anadyr«, S. 338 f. 218 Zu den diversen Vorfällen auf den Zugangswegen siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 247. Es gibt dazu anscheinend keine Aufzeichnungen in der Überlieferung, vgl. aber Chruščev Andeutungen, ebd., S. 247‑249. 219 BArch, BW 71/125, Nr. 12: BQD-M-35, 22.10.1962, S. 4. 220 Vgl. die Äußerung von Martin Hillenbrand in BArch, BW 71/125, Nr. 12: BQD-M-35, »Meeting of the Sub-Group«, LO(IN)-TS-62-2118, 22.10.1962, S. 4‑6. Es wurden keine Empfehlungen für Maßnahmen um Berlin erwogen, zum Schluss wurde gemeinsam die Rede des Präsidenten angehört, ebd., S. 6. 221 BArch, BW 71/125, Nr. 12, S. 6. Siehe auch Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kuba­ krise, S. 202‑210. Münger sieht hier die Verknüpfung der Kuba-Krise mit der Berlin-Frage als eine »Fehlwahrnehmung« (S. 210), was es vielleicht doch nicht war. 222 BArch, BW 71/45, Nr. 31: BQD-99, 19.10.1962, Dept – Bonn 1039. 213



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Gegenmaßnahmen von Live Oak223 als Vorlage für ihre Vorkehrungen im Rahmen der »Quarantäne« gegen Kuba und die Sowjetunion genutzt und entsprechend zugeschnitten, da sie national nichts Geeignetes sofort verfügbar hatten. So konnten sie hier quasi »erprobt« werden.224 Dieser Härtetest hatte zur Folge, dass das überarbeitete Konzept der Maritimen Gegenmaßnahmen nun rasch die grundsätzliche Zustimmung der Vier Mächte für Live Oak bekam,225 wenn sich auch die Detailplanungen noch geraume Zeit hinzogen. Nach den Erfahrungen mit dieser Machtprobe in der Kuba-Krise suchte Chruščev nicht mehr die große Konfrontation, sondern stellte neue Überlegungen an. Sein wesentlicher Angriffspunkt war ab Anfang 1963 nicht mehr die Präsenz der Alliierten in Berlin, sondern die »westdeutsche Einmischung« in die »inneren Angelegenheiten WestBerlins«, also die immer wieder beschworenen engen Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik.226 Er wollte daher die Berlin-Krise auf niedriger Krisenstufe halten227 und hoffte, über diesen neuen Hebel Druck ausüben zu können, ohne eine militärische Konfrontation zu riskieren. Im Januar 1963 übergab General Norstad die Aufgabe des CLO an seinen Nachfolger, General Lyman L. Lemnitzer, den bisherigen Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff. In diesen ersten Monaten des Jahres 1963 nahm dann das Marinekomitee »Deep Sea« in Washington seine Arbeit auf. Auch spezielle Koordinierungsstäbe für Marineeinsätze (NAVCORCENTs) wurden bereits aufgestellt und die ersten grundlegenden Überlegungen für die Planung und Durchführung von Maritimen Gegenmaßnahmen zu Papier gebracht. Auch die NATO hatte ihrerseits Ende Oktober 1962 die grundsätzlichen Diskussionen über die alliierten Eventualfallplanungen zu Berlin beendet und die Planungen im NATO-Rat entweder gutgeheißen oder nur »zur Kenntnis genommen«.228 Die operative Konzeptionierung für die Eventuallfallplanung der NATO für Berlin auf der obersten Ebene (BERCON- und MARCON-Pläne), den Major NATO Commands (MNC), wurde nun abgeschlossen. In der Folge erhielten die unterstellten Führer, die Major Subordinate Commands (MSC), ihre konkreten Aufträge. Diese Arbeiten waren wohl 1963 im Großen und Ganzen beendet, zogen sich mit Überarbeitungen 1967 und mit Folge-

First Draft of BQD-M-24, »Report on Naval Countermeasures«, 28.2.1962, nicht in BW  71; in Verbindung mit den Diskussionen um die Koordinierung der NAVCONs, wie sie aus dem Drahtbericht der Botschaft Washington Nr. 2524 vom 31.8.1962 hervorgehen: BArch, BW 71/1, Nr. 37. 224 Diese Information stammt von Dr. Hans-Georg Wieck, damals Mitarbeiter der deutschen Botschaft Washington und in der Military Subgroup; siehe S. 2 seiner Notiz dazu an den Verf. vom 18.11.2008. 225 Am 13.12.1962 in der Military Subgroup, BQD-M-37, ebenfalls nicht in BW 71, aber festgehalten in WP SEA SPRAY History Chronology, o.D., BArch, BW 71/133, Nr. 5, S. 4. 226 Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 258‑260, Zit. S. 259; die Zitate dort teilweise aus Chruščevs Ansprache an Vertreter der Bevölkerung West-Berlins, gemäß Neues Deutschland vom 23.1.1963. 227 Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, Kap. 12, S. 251‑278. 228 NATO-Rat am 31.10.1962, BArch, BW  71/1, Nr.  39: NATO-Germa Paris Nr.  1059 vom 31.10.1962, NMR GE, Tgb.Nr. 498/62 TS. 223

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Live-Oak-Führungsstruktur und Zusammenarbeit 1963 – 1986

Die Regierungen

WAG

Washingtoner Botschaftergruppe

»Deep Sea« Bonn Group

Vierer-Gruppe Bonn

Commander Live Oak

NATO

Oberbefehlshaber

Planung/ Operationen Luft Boden

Single Commander Berlin

NAVCOR CENT Marine Koordinationszentrum Europa

SHAPE

Oberstes Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa

»Sea Spray« CINC Atlantic

Oberbefehlshaber Oberbefehlshaber Atlantik Pazifik

CINC BAOR

CINC USAREUR Oberbefehlshaber US-Landstreitkräfte in Europa

Oberbefehlshaber US-Luftstreitkräfte in Europa

Einsatzpläne: »Freestyle« »Tradewind« »June Ball«

Einsatzplan: »First Haul«

Einsatzplan: »Jackpine«

Oberbefehlshaber Britische Rheinarmee

»Free Flow« CINC Pacific

CINC USAFE

Marine Befehlshaber Europa

ASB

Allierter Stab Berlin

FR COB

Französischer Kommandant von Berlin

UK COB

Britischer Kommandant von Berlin

US COB

USKommandant von Berlin

Legende: Politische Führung Strategische Führung Militärische Befehlskette Koordinierung mit SHAPE Zusammenarbeit mit Berlin Zusammenarbeit mit nationalen Marinen Zusammenarbeit der NAVCORCENTS

Quelle: »Live Oak Command and Relation Structure«, SHLO 700/7, LO-TS-63-39, 27.4.1963, BArch, Bw 71/119, Nr. 14.

© ZMSBw

07871-07

arbeiten bis in die Anfänge der siebziger Jahre hin.229 Dabei verlangten gewisse Aspekte der Operationsplanung, etwa der Übergang der Führung von Live Oak zur NATO, eine enge Koordinierung zwischen Live Oak und SHAPE. Im Jahr 1963 näherten sich die Westmächte und die Sowjetunion wieder an. Es gab eine Reihe von Begegnungen; nur zu Berlin verzeichnete man keine Fortschritte. Chruščev urteilte, dass die Stadt »nicht länger eine Quelle irgendeiner Sorge sei«; er wolle

BArch, BW  71/16, Nr.  89: GLNO-Bericht Nr.  32 vom 30.9.1967, Tgb.Nr.  487/84 geh., Anl. 19‑24. Dazu eigene Erinnerungen an den CENTAG-OPlan von 1971 mit Aufträgen an die 10. (GE) Pz.Div., Sigmaringen; der Verf. war damals G4 dieser Div.

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nur daran mitwirken, Spannungen abzubauen.230 Dagegen waren andere Entwicklungen hoffnungsvoll: Am 25. August 1963 wurde bilateral von den USA und der UdSSR das Moskauer Atomteststoppabkommen (Partial Test Ban Treaty, PTBT) geschlossen und am 30. August der »heiße Draht« zwischen Moskau und Washington eingerichtet, der eine schnelle Kommunikation zwischen den beiden Weltmächten in einer Krise ermöglichen sollte und so Missverständnissen vorbeugen konnte. Dennoch hatte Chruščev seine Absichten hinsichtlich Berlins nicht aufgegeben. Bestärkt wurde er darin von der DDR, die ihn drängte, endlich die Kontrolle des militärischen Verkehrs zwischen Berlin und der Bundesrepublik, im Luftraum und am Boden, an sie zu übergeben. Im Frühjahr und Sommer 1963 versuchte der Kreml immer wieder, den Verkehr auf der Autobahn und in den Korridoren zu behindern oder zu stören. Auch die Bindungen Berlins an die Bundesrepublik waren wieder Thema von Protesten der östlichen Seite.231 Im Mai des Jahres wurde sogar eine geplante Sitzung des Bundestages in Berlin durch die drei Kommandanten verhindert,232 was die Sowjetunion als Erfolg verbuchte.233 Im Herbst 1963 verstärkte Chruščev wieder den Druck, indem er bei der Abfertigung des militärischen Berlinverkehrs auf der Autobahn Schwierigkeiten machen ließ. Es ging um Zählappelle, zu denen die Besatzungen, ohne Fahrer und Beifahrer, absitzen sollten. Die Amerikaner akzeptierten derlei nur für größere Konvois, nicht aber für solche unter 30 »Passagieren«.234 Die Abfertigung sämtlicher Fahrzeuge hätte den Verkehr unnötig verzögert und dem Gegner zusätzlich die Möglichkeit einer versteckten Blockade eröffnet. Am 10. Oktober, morgens um 9 Uhr, verlangte nun der sowjetische Offizier am Kontrollpunkt Marienborn bei der Einreise des Konvoi US-27 das Absitzen der Besatzungen zum Zählen, was der Führer zurückwies.235 Der Konvoi bestand aus 16 Fahrzeugen mit insgesamt 32 Fahrern und Beifahrern, dazu aus 26 »Passagieren«, war also nicht »dismountable«; und er war ebenso wie die noch folgenden am Vortag korrekt angemeldet worden. Er wurde nun nicht abgefertigt, sondern musste auf der Autobahn warten. Etwa zwei Stunden später kamen kurz nacheinander zwei weitere amerikanische Konvois, Nr. 24 und 25 – letzterer verpflichtet, zum Zählen absitzen zu lassen – in Marienborn an, die bei der Einreise in Babelsberg problemlos abgefertigt worden waren. Der erste amerikanische Protest wurde durch die Militärmission in Potsdam um 17.00 Uhr eingelegt. Konvoi Nr. 25 wurde darauf an Nr. 24 vorbei nach vorne gezogen, saß ab und konnte nach Erledigung der Formalitäten den Marsch fortsetzen. Die beiden anderen mussten an Ort und Stelle bleiben. Nun lief das ganze Programm so ab, wie es in den Plänen für Live Oak bei Behinderungen auf der Autobahn vorgesehen war: zunächst Protest des amerikanischen Führers am Kontrollpunkt, amerikanische Fristsetzung für die sowjetische Abfertigung, Meldun Gegenüber W. Averell Harriman, zit. aus Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 269 (Zit. ebd.), Anm. 70. 231 Vgl. auch die sowjetischen Noten vom 5.2., 14.3. und 2.7.1963, alle in Documents on Germany, S. 838‑841 und S. 850‑852. 232 Am 24.4.1963 für den Mai, »zum gegenwärtigen Zeitpunkt [...] nicht angebracht«, Zit. aus Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 9/1963, 1. Halbbd, S. XXVII. 233 Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 269 f. 234 »Passengers« wurden die Mitfahrer genannt, die nicht Fahrer oder Beifahrer waren, siehe z.B. in WAGTO-21, 28.10.1963, BArch, BW 71/58, Nr. 27. 235 Vgl. Bericht G(Int) HQ BAOR, 16.10.1963, Annex A to B 14877 Int., BArch, BW 71/4, Nr. 29. 230

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gen an die vorgesetzten Kommandobehörden und Krisenzentren. Live Oak wurde um 12.00 Uhr eingeschaltet, Präsident Kennedy gegen 20.30 Uhr unterrichtet, gefolgt von einer Besprechung der Drei Mächte in Berlin. Die US-Konvois blockierten nun den zivilen Verkehr, nachdem die sowjetischen Kräfte sich geweigert hatten, die Truppe versorgen zu lassen, und erhöhten so ihrerseits den Druck. In der Nacht entspannte sich die Lage ein wenig. Die Amerikaner machten die Straße frei, nachdem ihnen zugesagt worden war, dass nachfolgend die Konvois abgefertigt werden würden. Nach Mitternacht kam der zivile Verkehr wieder in Bewegung, die beiden Konvois wurden tatsächlich, ohne abzusitzen, durchgelassen. Aber vor der Ausreise in Babelsberg schließlich, am 11. Oktober um 4 Uhr morgens, wurde Konvoi 27 erneut zum Absitzen aufgefordert. Dieses Mal war ein namentlich genannter, also bekannter höherer sowjetischer Offizier, Oberst Vasilij A. Sergin, anwesend. Das Spiel begann von vorne, mit Steigerungen allerdings: Die sowjetischen Soldaten stellten Sperren vor und hinter den Konvoi, später fuhren Schützenpanzer236 auf. Der sowjetische Offizier erklärte den Amerikanern das angeblich von den Briten praktizierte Verfahren,237 nämlich immer absitzen zu lassen, wenn es verlangt werde. Um 9 Uhr wurde begonnen, den neuen Konvoi US-29 in Babelsberg auf dem Weg von Berlin nach Helmstedt abzufertigen. Die sowjetischen Schützenpanzer blockierten die Fahrbahn nach Osten, die Waffen waren abgedeckt und geladen, die Besatzungen trugen den Stahlhelm auf dem Kopf. Amerikanische Hubschrauber überflogen daraufhin zweimal die Sektorengrenzen, was Proteste der Gegenseite provozierte, die wiederum zurückgewiesen wurden. Die Briten verboten nun Fahrten von britischen Reisenden über die Autobahn. Die Fahrbahn Richtung Osten blieb blockiert, der zivile Verkehr wurde über die Gegenfahrbahn geleitet. Nach weiteren Maßnahmen und Protesten der jeweils anderen Seite wurde von Live Oak am 11. Oktober gegen 17 Uhr die Autobahn-Probe »Free Style« alarmiert und in Vier-Stunden-Bereitschaft gesetzt. Die Bonn Group hatte inzwischen den Text einer militärischen Protestnote entworfen, der von BAOR überprüft und verändert nach Bonn zurückgereicht wurde. Um 21 Uhr wurde der Text der Protestnote schließlich genehmigt, die die Oberbefehlshaber der Drei Mächte dem sowjetischen Oberbefehlshaber, General Jakubovskij, über die bei ihnen akkredidierten sowjetischen Militärmissionen übermitteln ließen. Bald darauf wurde auch die Autobahn-Probe von Berlin aus (»Back Stroke«) in Vier-Stunden-Bereitschaft versetzt. Am 12. Oktober morgens um 4 Uhr erhielt »Free Style« den Auftrag, ab 8 Uhr in einen Versammlungsraum zu marschieren, der von Live Oak auf Weisung der WAG rechtzeitig benannt werde. Nach verschiedenen Maßnahmen und Gesprächen auf unterster Ebene wurde mittags der blockierte Konvoi US-27 abgefertigt. Der sowjetische Offizier am Platz gab den Weg frei mit den Worten: »Wir haben genug von den Spielchen.«238 Um 16  Uhr waren alle Konvois am Ziel angekommen, das sowjetische Personal hatte sich zurückgezogen. Um 19.35 Uhr gab Live Oak schließlich Befehl an Engl. armored personnel carrier (APC), daher wurde dieser Vorfall »APC-Incident« genannt; siehe auch den Bericht »Besorgen Sie sich einen größeren Russen – die Geschichte des US-Konvois 27«, Der Spiegel vom 8.1.1964. 237 BArch, BW 71/4, Nr. 29, Ziff. 18, Annex A, S. 2, Spalte (e). Hierbei handelt es sich um den detaillierten britischen Bericht »Berlin Autobahn Incident 10‑12 Oct. 1963«, 16.10.1963. 238 BArch, BW 71/4, Nr. 29, Zit. Nr. 48. Spalte (d) auf S. 4 des Annex des Berichts. 236



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den ­CINCBAOR, die »Free-Style«-Probe ab 8 Uhr des folgenden Tages aufzulösen und in die Heimatstandorte zu entlassen.239 Diese Zugangskrise auf der Autobahn hatte also drei volle Tage gedauert.240 Nur eine Woche später gab es eine weitere Konfrontation auf der Autobahn am Kontrollpunkt Sierra Bravo in Babelsberg. Dieses Mal betraf es den britischen Konvoi BR‑15, dessen Führer sich weigerte, die Besatzungen absitzen zu lassen, weil er dazu nicht verpflichtet war. Dieses Ereignis dauerte nur etwa 14 Stunden. »Free Style« wurde hier bereits nach acht Stunden in Vier-Stunden-Bereitschaft versetzt. Die Briten gaben nicht nach, und ca. um 15.30 Uhr lenkte die Gegenseite ein, möglicherweise nach einem Gespräch des britischen Außenministers mit dem sowjetischen Gesandten an der Botschaft London.241 Wegen der unterschiedlichen Verfahren, die die Drei Mächte für den Verkehr über die Autobahn bisher angewendet hatten, war es für die sowjetischen Organe leicht gewesen, sie gegeneinander auszuspielen. Daher harmonisierten die Drei Mächte nun ihre Verfahren. Über das Ergebnis wurde der Oberbefehlshaber der Sowjetischen Truppen in Deutschland am 29. Oktober inoffiziell informiert.242 Anfang November folgte der dritte und letzte sowjetische Versuch, die Autobahn im Rahmen der zweiten Berlin-Krise zu blockieren. Dieses Mal waren wieder nur Konvois der USA Ziel der sowjetischen Behinderungen. Anlass war von Neuem die Forderung, zum Zählappell abzusitzen oder mindestens die hinteren Ladeklappen zu öffnen, was der Führer von Konvoi US-2 unter den vereinbarten Regeln als nicht zulässig ablehnte.243 Auch dieses Mal wurde Live Oak rasch aktiviert, »Free Style« früh in Bereitschaft versetzt und am zweiten Tag der Krise bereits zur Versammlung im Raum Wolfenbüttel in Marsch gesetzt.244 Die Sowjetunion setzte wieder Schützenpanzer mit schussbereiten Waffen ein. Sofort in Marsch gesetzte Konvois der Briten und Franzosen in identischer Gliederung wie der blockierte Konvoi der Amerikaner wurden ohne größere Schwierigkeiten abgefertigt. Dieser Vorfall zielte also eindeutig auf die USA. Kurz nach Mitternacht am 6. November wurde schließlich die Behinderung des US-2 beendet, ab 7 Uhr lief alles wieder normal. Live Oak und auch der German Liaison Officer waren der Auffassung, dass diese Maßnahmen nur von hohen Regierungsstellen veranlasst worden sein konnten, und zwar mit dem Ziel, die neue vereinbarte Koordinierung des Abfertigungsverfahrens durch die Drei Mächte zu sabotieren.245 Eine eindeutige Antwort auf die Frage, warum die sowjetische Seite ihre Maßnahmen nur gegen die USA gerichtet Die Probe würde erst gegen 23 Uhr vollständig in Wolfenbüttel versammelt sein. Die Abfolge aller relevanten Ereignisse und Maßnahmen ist in Enclosure (1) »Chronology« enthalten: LO-S-63-1113, BArch, BW 71/4, Nr. 32, o.D., unklar, zu welchem Papier gehörend. 241 Siehe hierzu GOC/37, 16.10.1963, »Autobahn Incident«, NMR/LO, Tgb.Nr. 1251/63, BArch, BW 71/4, Nr. 30, die diplomatische Intervention auf S. 2 oben. Auch hier war übrigens Oberst Sergin vor Ort. Vgl. auch die Darstellung der NVA in BArch, DVW 1-25740, S. 30 ff., MfNV der DDR, »Information [...] Westberlinfrage«, Stand: 31.3.1964. 242 WAGTO-21 (Auszug) 28.10.1963, BArch, BW 71/58, Nr. 27. 243 Vgl. »Brief of Principal Events, Detention of US-Convoy Nr. 2«, 4.11.‑6.11., BArch, BW 71/4, Nr. 31; Anlage 1 zu NMR/LO, Tgb.Nr. 1424/63 geh., 12.11.1963, BArch, BW 71/4, Nr. 33. 244 BArch, BW 71/4, Nr. 31, Anlage 1, S. 2. 245 BArch, BW 71/4, Nr. 33: Ziff. 2 des Berichts GLNO, Tgb.Nr. 1424/63 geh. vom 12.11.1963. Dieses besondere Dokument war das erwähnte WAGTO-21, 28.10.1963, BArch, BW 71/58, Nr. 27. 239 240

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hatte, konnte offensichtlich nicht gegeben werden. Es könnte aber ein Zusammenhang mit den laufenden sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen über die Berlin- und Deutschlandfrage bestanden haben.246 Chruščev hatte erhebliche Anstrengungen unternommen, die Drei Mächte, besonders die USA, so unter Druck zu setzen, dass sie Berlin aufgaben, jedoch ohne einen entscheidenden Erfolg zu erzielen. So gab er schließlich zum Ende des Jahres 1963 sein Vorhaben, zumindest vorläufig, auf. Der Kremlchef hatte erkennen müssen, dass er mit seiner Politik der Androhungen, die er nicht wahrmachen wollte und konnte, ein höchst gefährliches Spiel trieb.247 Der Bau der Mauer war jedoch für die Sowjetunion und die DDR ein politischer Erfolg gewesen. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass Chruščev und Ulbricht auch in der Frage der Zugänge zurücksteckten und erst einmal eine Politik der »Friedlichen Koexistenz« verfolgten.248 In dieser Phase der Bedrohungen unterschiedlicher Intensität konnten die Drei Mächte und Live Oak ihre Planungen vervollständigen und teilweise auch erproben. Die Organisation stand; die Mittel zur Ausführung waren vorbereitet. Man stellte fest, dass die Bandbreite der in Betracht gezogenen Eventualfallplanungen umfassend und erschöpfend sei.249 Für die NATO galt das zu diesem Augenblick nur mit erheblichen Einschränkungen. Die grundsätzlichen Planungen waren insbesondere in den ausführenden Ebenen noch nicht abgeschlossen und die Nützlichkeit der Optionen war weiterhin mit großen Fragezeichen versehen.250 Auch die Konzepte bei Live Oak waren noch lange nicht etabliert und bis in Letzte ausgearbeitet. Damit war die zweite Berlin-Krise und dieser erste Abschnitt in der Existenz von Live Oak beendet. Die Ermordung Präsident Kennedys am 22. November 1963 in Dallas hatte keinen Einfluss mehr auf die Lage um Berlin, vor allem auch weil sofort der Vizepräsident, Lyndon B. Johnson, das Amt übernahm. b) Die Zeit des Übergangs: Von der Konfrontation zur Koexistenz 1964 bis 1972251 Dieser Zeitabschnitt war trotz des Ausbleibens einer größeren Krise um Deutschland und Berlin recht frostig in der Grundstimmung. Zudem ergaben sich neue Aspekte für das transatlantische Verhältnis, das seit Bestehen der NATO nie vollkommen konfliktfrei 248 249

BArch, BW 71/4, Nr. 33, Ziff. 4 des o.g. Berichts. Nach Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 291. Vgl. hierzu Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 153‑155. BArch, BW 71/58, Nr. 45: Para. 5, SHLO 200/38, 7.9.1965, Memo for General Lemnitzer, »Review of Berlin Access Contingency Plans«. 250 Siehe hierzu Thoß, NATO-Strategie. S. 320 f. Zu den politischen Reaktionen der NATO siehe auch Nünlist, Die NATO und die Berlinkrise, S. 244‑273, hier bes. S. 271‑273. Vgl. auch Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 410‑414. 251 Vgl. Weltpolitik der USA, Teil IV, Überschrift S. 243. Deren Herausgeber lassen diese Periode allerdings schon 1961 beginnen. Siehe auch Heller/Nekrich, Geschichte der Sowjetunion; Haftendorn, Deutsche Außenpolitik; und Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Zu den Verhandlungen 1970‑1972 v.a. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland; Bark, Agreement on Berlin; und Wege zur Wiedervereinigung; daraus besonders Niedhart, Ost-West-Konflikt. 246 247



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gewesen war. Die USA nutzten zunehmend das bilaterale Verhältnis zur Sowjetunion als Basis ihrer Sicherheitspolitik. Sie engagierten sich zudem stärker in Asien, vor allem in Vietnam, wo es darum ging, die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern (»containment«).252 Die Franzosen strebten nach dem Ende des Algerienkrieges zurück nach Europa und versuchten, mehr Unabhängigkeit von den USA und mehr Eigenständigkeit in der Außenpolitik zu gewinnen. Dem sollte dann auch der Aufbau der nationalen nuklearen Streitmacht – kurz »Force de Frappe« genannt – und 1966 das Ausscheiden aus der militärischen Integration der NATO dienen. Sie suchten in Konkurrenz zu ihren Verbündeten mit ihrer Politik der Entspannung, Verständigung und Zusammenarbeit (»Détente, Entente et Coopération«) selbst eine Annäherung an Sowjetrussland.253 Auch die Briten, die sich erst langsam an ihre junge Rolle als europäische Mittelmacht gewöhnten, hatten sich den neuen Realitäten zu stellen. Sie wickelten ihr Kolonialreich schließlich ab und bauten, ihre Sonderbeziehungen mit den USA ausnutzend, ihre nuklearen Kapazitäten aus.254 Das westliche Bündnis verlor vor diesem Hintergrund an Einfluss. Es hatte die Verbannung aus Frankreich 1966/67 zu verdauen und den von den Amerikanern unter den Bedingungen des atomaren Patts initiierten Strategiewechsel vorzunehmen.255 Für die Bundesrepublik, die zunehmend mit Zweifeln an der nuklearen Schutzgarantie der Amerikaner konfrontiert wurde, stellte sich die Frage der nuklearen Teilhabe. Diese wurde erst mit Einrichtung der nuklearen Planungsprozesse 1966 gelöst. Den neuen Anforderungen an Strategie und Sicherheitspolitik versuchte die NATO mit einer zweigleisigen Methode gerecht zu werden. Der Harmel-Bericht über »Zukünftige Aufgaben der Allianz« vom 14.  Dezember 1967 gab die neue Richtung vor: die Suche nach Entspannung auf der Basis gesicherter Verteidigungsfähigkeit.256 Das Genfer Abkommen vom 1. Juli 1968 über das Verbot der Weitergabe von Kernwaffen257 war der Anfang der ost-westlichen Rüstungskontrolle in diesem Kontext.258 Die Sowjetunion wollte nach der Entmachtung Chruščevs im Oktober 1964259 und unter Erhaltung der nuklearen Parität mit den USA den politischen Status quo auch mittels der Abrüstungsabkommen mit den USA sichern und wirtschaftlich gleichziehen.260 Es gelang ihr, den Warschauer Pakt militärisch schlagkräftig zu machen; politisch konnte dieses Bündnis jedoch nur wenig Profil gewinnen.261 Die ostmitteleuropäischen Siehe v.a. Ermath, Die globale Projizierbarkeit, S. 109‑141. Zum »Containment« in Kap. 4, Die Einhegung sowjetischer Macht. 253 Vgl. hier Lundestad, The United States and Western Europe, Kap. 4. 254 Vgl. Jones, The Official History of the UK Strategic Nuclear Deterrent, v.a. Kap. 12 und 13; Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 41‑78 sowie Teil I; und Stoddart, Losing an Empire and Finding a Role, v.a. Kap. 5, 7 und 8. 255 Vgl. Niedhart, Ost-West-Konflikt; sowie Lemke, Die Allied Mobile Force, Kap. II. 256 Den Text des Berichts siehe u.a. in NATO-Tatsachen und Dokumente, Anhang 6, S. 379‑383. 257 Nichtverbreitungsvertrag, auch Atomwaffensperrvertrag, engl. »Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons«, kurz Non-Proliferation Treaty (NPT), vgl. Buchbender, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S. 59. 258 Vgl. besonders Holst, Rüstungskontrolle. 259 Die neue Führung stand zuerst auf vier Beinen: Alexej Kossygin als Regierungschef und Leonid Brežnev als Erster Sekretär, also Parteiführer. 260 Bialer, Das sowjetische System. 261 Zum folgenden vgl. Umbach, Das Rote Bündnis, Kap. B.II. 252

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Paktstaaten begannen, vorsichtig eigene Wege zu ertasten, was die Sowjetunion unterband: Mit gewaltsamen Mitteln wurde 1968 der »Prager Frühling« in der Tschechoslowakei niedergeschlagen. Das sollte auch die übrigen Paktstaaten einschüchtern. Die »Brežnev-Doktrin«, die eine nur eingeschränkte Souveränität der Warschauer-Pakt-Staaten postulierte und insbesondere die militärische Intervention als politisches Mittel zur Disziplinierung der Partner festlegte, sollte dem gleichen Ziel dienen. Die Deutschlandfrage blieb ungelöst. Die Bundesrepublik versuchte, über die »Hallstein-Doktrin« die Anerkennung der DDR als souveräner Staat zu verhindern, was ihr nur zeitweise gelang.262 Sie stärkte die Bindungen Berlins zur Bundesrepublik durch massive, auch finanzielle Unterstützung und durch den Ausbau der Präsenz des Bundes in Berlin, was immer zu Protesten der DDR und manchmal zu einschränkenden Maßnahmen der westlichen Schutzmächte führte. Schon früh hatte es aber auch Versuche gegeben, durch kleine Gesten zu einer gewissen Entspannung im deutsch-deutschen Verhältnis zu kommen.263 Die Zeit hierfür war bislang noch nicht wirklich reif dafür gewesen. Nach weiteren Versuchen unter Bundeskanzler Ludwig Erhardt brachte der Regierungswechsel zur Großen Koalition 1966 neue, hoffnungsvollere Ansätze.264 Zunächst allerdings wurden die Bindungen Berlins an die Bundesrepublik mehrmals Ziel von politischen Angriffen seitens der DDR – mit deutlicher Billigung durch die Sowjetunion. Erneut spielte der zivile Zugangsverkehr nach Berlin auf der Straße und der Verkehr zwischen West-Berlin und Ost-Berlin eine Hauptrolle.265 Die DDR versuchte, ihren Einfluss auf die Kontrolle der Zugangswege auszuweiten und weltweite diplomatische Anerkennung zu erreichen, was ihr bis 1969 weitgehend gelang.266 Beide deutsche Staaten streckten dennoch vorsichtig ihre Fühler aus, um geregelte Beziehungen zu beginnen und eine politische Entspannung in die Wege zu leiten.267 Die massiven Behinderungen des freien Zugangs veranlassten die Bundesregierung, nach neuen Wegen für eine »Détente« zu suchen. Bundesaußenminister Willy Brandt machte daher seinen drei westlichen Amtskollegen bei ihrem traditionellen Treffen am Vorabend der NATO-Ratssitzung am 22. Juni 1968 in Reykjavik erste Vorschläge für einen Politikwechsel.268 Das Schlusskommuniqué enthielt dann neben dem »Signal von Reykjavik«, der Einladung zu Gesprächen über ausgewogene Truppenreduzierungen in Europa, einen Passus, dass Berlin aus einer Entwicklung der Entspannung nicht ausgeschlossen werden dürfe. Dies war der Beginn eines politischen Prozesses, der mit der

Benannt nach dem Staatssekretär im AA, Walter Hallstein: Sie drohte damit, die Beziehungen zu einem Staat abzubrechen, wenn dieser die DDR anerkannte. Vgl. Staadt, Deutsch-deutsche Beziehungen. 263 Zum Beispiel Adenauer 1958, vgl. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 16; und Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 55 f. 264 Siehe Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 14‑16; auch Hacke, Die Deutschlandpolitik, S. 539‑541. 265 BArch, BW 71/55, Nr. 4, Para. 4.b »Civilian Accesss« und Para. 6 im Memo für General Lemnitzer, Subj. »Access to Berlin 1948 to 1968«, SHLO 200/213, LO-S-68-97, 1.10.1968. 266 Siehe Niedhart, Ost-West-Konflikt, S. 39‑44. 267 Siehe Hacke, Die Deutschlandpolitik, S. 540‑544. 268 Vgl. die Darstellung bei Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 19‑32. 262



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Unterzeichnung des Deutsch-Sowjetischen Vertrages am 12.  August 1970 Schwung bekam.269 Seit Oktober 1969 war die neue Regierung der sozialliberalen Koalition Brandt– Scheel im Amt, die die Entspannungspolitik auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Die Gegenseite konnte u.a. durch die Aufweichung der Hallstein-Doktrin und die Anerkennung des Status Quo in Europa für eine Annäherung gewonnen werden. Dies galt auch für die zunächst misstrauische DDR-Führung. Bis zur Unterzeichnung des Schlussprotokolls der Vier Mächte am 3. Juni 1972 wurde ein Rahmenabkommen zwischen beiden deutschen Staaten verabschiedet.270 Das Ergebnis war erfreulich: Das Berlin-Problem sei zwar nicht gelöst, aber die Lage habe sich stark verbessert, lautete das Fazit.271 Für die Alliierten hatte sich nichts geändert, aber ihre Position war bestätigt worden. Einige Probleme blieben: Unterschiedliche Interpretationen sorgten in manchen Bereichen immer wieder zu Irritationen.272 Der Luftzugang war ferner auf westlichen Wunsch von den Verhandlungen ausgeschlossen worden.273 Für die kommenden zwei Jahrzehnte bot das Abkommen jedoch eine alles in allem sichere Grundlage für das Weiterbestehen von Berlin und den Zugang zur Stadt. Die militärische Bedrohung durch die Sowjetunion und ihre Verbündeten im Warschauer Pakt blieb über die gesamte Periode dennoch hoch. Deutschland war immer noch das Land mit der höchsten Konzentration an konventionellen Streitkräften in Europa. Die DDR ragte wie ein Balkon oder besser wie eine Bastion mit Sturmausgangs­ stel­lung in den Westen hinein. Die Streitkräfte des Warschauer Paktes waren sehr modern und für den Angriff optimal ausgerüstet und disloziert, den damaligen Vorgaben und Planungen der sowjetischen Militärstrategie entsprechend.274 Die DDR war ein wichtiger Teil des strategischen Systems der Sowjetunion in Europa, ein Vorposten gegen den Westen. Seit 1964 waren die Grenzen der DDR zum »antifaschistischen Schutzwall«275 ausgebaut worden, d.h. hermetisch nach außen und gegen die eigene Bevölkerung abgeriegelt. Das galt übrigens auch, mit Abstrichen allerdings, im Verhältnis zu den Nachbarn im Osten. Die Krise des Warschauer Pakts um die Tschechoslowakei und der Einmarsch der Truppen des Paktes in dieses Land im August 1968 hatten beiderseits des »Eisernen Vorhangs« ein Gefühl der Desillusionierung hinterlassen. Die NATO hatte zwar einige Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die Lage letztlich aber Vgl. Hacke, Die Deutschlandpolitik, S. 542‑544. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S.  24‑29; Text des Abkommens in der Anlage, S.  267‑277. Siehe auch Bark, Agreement on Berlin; hier der englische Text in Appendix, S. 117‑131. 271 So z.B. Bark, Agreement on Berlin, S. 116; auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 195‑200. 272 Zum Beispiel war im Vier-Mächt-Abkommen (BQA), Abschnitt II, Para. B, S. 3, in »Berlinregelung«, Seminarmaterial des Gesamtdeutschen Instituts, Bonn 1979, in der deutschen Fassung der Begriff »Bindungen« benutzt worden; derselbe Begriff hatte aber in den drei ursprüglichen Fassungen auf Russisch, Englisch und Französisch teils engere, teils weiter gefasste Inhalte. Daher blieb dieser Absatz umstritten und wurde unterschiedlich ausgelegt (nach der Erinnerung des Verfassers aus den Jahren 1972‑1975). Siehe hierzu auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 198 f. 273 BArch, BW  1/94, Nr.  3: LO-Studie »Air Access to Berlin«, 27.3.1972, SHLO 72/0300, bes. Para. 4.j und Para. 5. 274 Militärstrategie; Umbach, Das Rote Bündnis, Kap. B.II, S. 149‑212; und Douglass, Sowjetische Militärstrategie, Kap. 7, S. 181‑212. 275 Siehe Kubina, Gesundheitsgürtel um Frontstadtsumpf, S. 31. 269 270

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zutreffend beurteilt, dass die Operationen nur der Disziplinierung der Tschechoslowakei dienten, daher keine unmittelbare Gefahr für sie selbst bedeuteten.276 Die DDR war zwar mit einigen Großverbänden in Richtung Erzgebirge aufmarschiert, aber nicht an der Operation im Nachbarland selbst unmittelbar beteiligt worden. Vor diesem Hintergrund baute die NATO ihre Instrumente für das Krisenmanagement weiter aus und konsolidierte sie. So konnte man die BERCON- und MARCONPlanungen abschließen. Wegen der Notwendigkeit strenger Geheimhaltung durften sie allerdings nicht geübt werden. Auch blieb die Zahl der eingeweihten Führer und Sachbearbeiter sehr klein.277 Nach der Aufforderung durch die Franzosen 1966 musste das Oberste Hauptquartier Europa ebenso wie alle anderen Dienststellen der NATO und der Verbündeten Frankreich verlassen. Das neue Hauptquartier von SHAPE wurde im April 1967 in Belgien, in Casteau südwestlich von Brüssel, bezogen. Live Oak musste infolgedessen ebenfalls umziehen. Auch Live Oak hatte seit den frühen sechziger Jahren und auf der Grundlage der Erfahrungen aus der zweiten Berlin-Krise seine Planungen verbessert und vervollkommnet. Nicht zuletzt war die Planung an den Maritimen Gegenmaßnahmen, an denen sich auch die Bundesmarine beteiligen sollte, weitgehend abgeschlossen.278 Die Ausbildung wurde durch ein System von Übungen intensiviert, an denen zum Teil auch Mitglieder aus dem politisch-diplomatischen Teil der Organisation, der WAG, der Bonn Group und der vier Außenministerien teilnahmen.279 Seit Mitte der sechziger Jahre waren die Rahmenübungen und die Übungen mit Volltruppe fester Bestandteil des Jahresausbildungskalenders.280 Ein großes Manöver der Sowjetarmee und der NVA in der DDR zwischen 5. und 9. April 1965281 deutete nach Einschätzung von Live Oak in manchen Aspekten darauf hin, dass die Gegenseite eine allgemeine Vorstellung vom Konzept der alliierten Eventualplanungen hatte.282 Diese Übung war von der Sowjetunion und der DDR gezielt gegen

Dazu Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 89‑102; zu den konkreten Aktivitäten von NVA und Bundeswehr in dieser Krise siehe neuerdings Wenzke, Wo stehen unsere Truppen? 277 BArch, BW 71/16, Nr. 89, GLNO-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Anlage 19. 278 Siehe hierzu als Grundlage den sehr eingehenden Bericht des GLNO Nr. 32 vom 30.9.1967, Tgb. Nr. 487/84 geh., BArch, BW 71/16, Nr. 89. 279 Es gibt einen Hinweis, dass die Bonn Group im Juni 1963 einen entsprechenden Vorschlag für den Oktober des Jahres vorgelegt hatte; siehe dazu Msg AMEMB Bonn Nr. 4948, 29.6.1963, BOWAG (Nr. unklar), PA AA, B 130/3.586, Ref. SHLO 0039, o.D.; nicht in BW 71. Die erste Rahmenübung der gesamten Organisation scheint die Übung »Falling Leaves I« im Jahre 1964 gewesen zu sein, »Falling Leaves II« hat 1965 stattgefunden; siehe LO-Critique Meeting on Ex. F.L.II am 3.12.1965, Encl., S. 1, BArch, BW 71/47, Nr. 51. Ab der Übung »Autumn Run« im November 1966 sind die Übungen dieser Art jährlich dokumentiert. 280 Die erste Liste ist für 1966 im GLNO-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967 überliefert, siehe Anlage 29, S. 1, NMR/LO Tgb.Nr. 487/84 geh., BArch, BW 71/16, Nr. 89. 281 Siehe Encl. 1, Para. A. to Bonn Group A-2097, 16.6.1965, LO(IN)-S-68-3108, BArch, BW 71/5, Nr. 35. Der Codename des Manövers lautete übersetzt »Westlich von Berlin«. 282 Para. A. des Dok., BArch, BW 71/5, Nr. 35. Ähnliche Beobachtungen auch für die Übung »Oktobersturm« im Herbst des Jahres. Siehe Vermerk über »Oktobersturm« gem. BMVg, SIII, SIII 1 LO, Tgb.Nr. 1/66 str.geh. vom 14.1.1966, BArch, BW 2/17.638, Heft 1, SG II, Nr. 49. 276



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eine Bundestagssitzung in Berlin in jenen Tagen angesetzt worden,283 um diese massiv zu stören und die Abgeordneten so unter Druck zu setzen, dass sie derlei Sitzungen künftig nicht mehr planten. Das Manöver hatte Erfolg, denn es wurden bis nach der Wiedervereinigung keine Plenarsitzungen mehr in Berlin angesetzt.284 In diesen Jahren unternahm die Gegenseite keine großangelegten Anstrengungen mehr, um Berlin abzuschnüren, sie versuchte aber immer wieder, den Zugang der Drei Mächte zu beschränken, gerade auch im Zuge der Übung Anfang April 1965. Der sowjetische Offizier im Berlin Air Safety Center verlangte von den Drei Mächten die Einhaltung einschränkender Flughöhen in der Zeit vom 5. bis 11. April, welche die Alliierten aber nicht anerkennen wollten. Die Amerikaner und Briten initiierten daraufhin unter Live Oak eine Reihe von Luftoperationen, um die Freiheit des Zugangs zu demonstrieren. Dazu gehörten die Aktivierung des JPCP, die Schaltung von Fernmeldeverbindungen, die Alarmierung und Bereithaltung von Transport- und Jagdfliegerkräften auf vorgeschobenen Einsatzplätzen und der Einsatz von »45 air probes und ›normalen‹ Flügen«.285 Viele dieser Flüge wurden durch sowjetische Maßnahmen massiv behindert.286 Paris konnte offensichtlich nicht zustimmen, legte aber auch kein Veto ein.287 So flogen Amerikaner und Briten ohne französische Mitwirkung, was von Jackpine als eine Schwächung der politischen Position der Drei Mächte beurteilt wurde.288 Leider konnten die Maßnahmen der beiden Mächte die Sowjetunion nicht dazu bringen, die Beschränkungsforderungen noch während des Manövers aufzugeben. Die Öffentlichkeitsarbeit in diesem besonderen Fall wurde als unbefriedigend empfunden, da sie die Lage auf den Zugängen über die Autobahn in die Mitte der Berichterstattung gestellt hätte289 und nicht die Behinderungen des Zugangs durch die Luft. Die zahlreichen kleinen Vorfälle auf den Zugangswegen und innerhalb Berlins, die durch Organe der DDR provoziert worden waren, hatten oft wohl nicht die Billigung der sowjetischen Führung. Aus dem Gesamtverhalten der Sowjets konnte jedenfalls nicht

Siehe den Bericht des DDR-Verteidigungsminsiters Heinz Hoffmann, abgedr. in Kowalczuk/ Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 120 f. 284 Diese letzte Plenarsitzung am 7.4.1965 hatte sogar abgebrochen werden müssen. Vgl. hierzu: Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 11/1, S. XIX, Synopse. Aus Sicht der DDR siehe Keiderling/Stulz, Berlin 1945‑1968, S. 536 f. 285 Zit. aus Ziff. 2. des Berichts des GLNO Tgb.Nr. 215/83 geh. vom 14.4.1983, BArch, BW 71/14, Nr. 52. 286 Über die Art der Behinderungen gibt es nur allgemeine Schilderungen, z.B. im zusammenfassenden Bericht des HQ USAFE, OPLC TS, 8.6.1965, NMR/LO Tgb.Nr. 83/65 geh., z.B. S. 5, Para. 6.b, Ereignisse am 6.4.1965, BArch, BW 71/1, Nr. 73. 287 Siehe S.  4 des Berichts USAFE OPLC, 8.6.1965, Narrative Summary Report of Tripartite Air Operations, 5.4.‑10.4. 1965, BArch, BW 71/1, Nr. 73. Dieser Bericht gibt eine gute Schilderung der Operationen, die Zahlen aber sind nicht eindeutig. Laut »Summary Sheet« am Schluss des Berichtes waren es 45 Flüge, davon 24 US, 20 UK und sogar 1 FR; dabei seien 3 Flüge der US nicht von JPCP geführt worden. Für das französische Zaudern wurde keine Begründung genannt. 288 BArch, BW 71/1, Nr. 73, Para. 7.c des Berichts USAFE, 8.6.1965. 289 Ebd., Para. 7.d. Zur gleichen Zeit war der zivile Zugang nach Berlin zu Lande stark behindert, ja zeitweise völlig blockiert worden. Grund war ebenfalls die schon erwähnte Plenarsitzung des Bundestags in Berlin. 283

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unbedingt geschlossen werden, dass die Absicht bestand, »eine von innen auszulösende Berlin-Krise politisch auszunutzen«.290 Zwischen 1964 und 1968 behinderten die sowjetischen Kräfte indes insbesondere den alliierten Zugang auf der Schiene; sie suchten dazu wiederholt Anlässe.291 Zur Versammlung oder gar zum Einsatz der seit 1964 bestehenden Rail Probe292 kam es jedoch nicht. Für den Zugang auf der Autobahn und im Luftraum waren diese Jahre ruhiger, obwohl die Schikanen nicht vollständig verschwanden.293 Am 1. Juli 1969 übernahm General Andrew J. Goodpaster die Aufgabe des CLO von General Lemnitzer. Danach, 1969 und 1970, kam es weiterhin zu ärgerlichen Störungen gegen den Landzugang, aber der Schwerpunkt lag in der Luft. Besonders im September 1970 kam es zu Behinderungen durch sowjetische Jäger, die dicht an zivile Passagiermaschinen heran oder parallel oder den Flugweg kreuzend flogen und dadurch gefährliche Situationen erzeugten. Am 30. September wurden Teile aller drei Korridore geschlossen, angeblich ein Missverständnis.294 In Wirklichkeit waren die Beschränkungen notwendig gewesen, um die Gefahrenbereiche während des scharfen Abschusses einer sowjetischen Rakete des Typs FROG (Free Rocket Over Ground) einzuhalten.295 Zwei LufttransportProbes (MATP) wurden geflogen.296 1971 und 1972 hörten die Behinderungen trotz der laufenden Verhandlungen über das Vier-Mächte-Abkommen und den Grundlagenvertrag nicht auf. Auf der Straße richteten sie sich besonders gegen deutsche Reisende, in der Luft gab es gelegentlich FastZusammenstöße (»near-misses«) in den Korridoren. Der schwerste Zwischenfall war ein Feuerüberfall auf einen britischen Zug nahe Magdeburg am 26. Mai 1971, der aber ungeklärt blieb.297 Dieser zweite Zeitabschnitt endete mit dem erfolgreichen Abschluss der Vier-Mächte-Vereinbarungen zu Berlin und dem dazugehörenden deutsch-deutschen Abkommen, die alle zusammen bessere Zeiten versprachen.298

BArch, BW 71/16, Nr. 89, in Anl. 3, S. 1 des GLNO-Berichts Nr. 32. Vom Sinn her hätte es wohl heißen müssen »ausgelöste« anstatt »auszulösende« Krise. 291 Siehe die Darstellung im »Press Kit«, BArch, BW 71/62, Nr. 38: Encl. 1 to SHLO 80/21322/PID, LOPIGIUDE, 1.12.1980, S. 8. 292 Vgl. den USAREUR Oplan AE 4256, 24.11.1972, BArch, BW 71/7, Nr. 9; frühere Pläne nicht verfügbar. 293 LOPIGUIDE, BArch, BW 71/62, Nr. 38. Siehe z.B. die Konvoi- und Verkehrskrise vom 1.3. bis 10.3.1969, ACD/S/1, 12.3.1969, LO(IN)-S-69-3211, BArch, BW 71/49, Nr. 13. Anlass hier: die Bundesversammlung in Berlin am 5.3.1969 zur Wahl von Dr. Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten. Vgl. dazu Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, Kap. 5, S. 132‑143. 294 BArch, BW 71/49, Nr. 13: LOPIGUIDE, S. 9. 295 BArch, BW 71/55, Nr. 30: Skizze, Encl. 1 to SHLO 200/035, 1.10.1970, Bericht an CLO, Anlage: Skizze. 296 BArch, BW 71/14, Nr. 52: Bericht GLNO, Tgb.Nr. 215/83 geh. vom 14.4.1983. 297 Diese Information war nur im »Press Kit« des LOPIGUIDE 1980 enthalten. BArch, BW 71/62, Nr. 38, Para. 7, S. 9. 298 So Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 114. 290



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c) Die Sicherung des Status quo oder die vielversprechende »Sicherheit durch Verträge« 1972 bis 1979299 In den siebziger Jahren setzte sich die eingeleitete Entwicklung der Entspannung zwischen den verfeindeten Lagern weiter fort. Neben der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hatten vor allem die Initiativen, Verhandlungen und Abkommen der Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung daran großen Anteil, besonders diejenigen, die sich mit den nuklearen Potenzialen befassten.300 Auch die deutsche Ostpolitik, vor allem der Regierung Brandt–Scheel trug ihren Teil dazu bei; sie schien »vom Mitmacher zum Schrittmacher« geworden zu sein,301 wie ein Beobachter etwas euphorisch urteilte. Diese Politik wurde durch die Annäherung der beiden Weltmächte USA und Sowjet­ union begünstigt, die auf der Basis des atomaren Patts302 und der Fähigkeit zur gegen­ seitigen Vernichtung höchst interessiert waren, die bestehenden Konfliktlinien möglichst abzubauen oder zumindest in ihrer Bedeutung zu mindern. Die europäischen Verbündeten trugen diese Ziele mit.303 Das Vier-Mächte-Abkommen war eine wesentliche Voraussetzung für die Ostverträge der Bundesrepublik und den Abschluss des Grundlagenvertrages mit der DDR.304 Mit diesen beiden Abkommen wurden die Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten auf eine neue Basis gestellt und der Status Berlins konsolidiert. Die Fortsetzung und Erweiterung dieser Arbeit wurde auf Anregung der Sowjetunion der KSZE übertragen, die 1973 in Helsinki zusammentrat. Alle europäischen Staaten, außer Albanien, nahmen teil, darüber hinaus auch Kanada und die USA. West und Ost hatten gewiss in weiten Teilen unterschiedliche Ziele, aber das ambitionierte Vorhaben gelang. Die Schlussakte wurde am 1. August 1975 unterzeichnet. Der Westen und der Osten hatten Zugeständnisse machen müssen, aber mit Blick auf das Ergebnis und die Folgewirkungen kann die Konferenz als Erfolg betrachtet werden.305 Die Sowjetunion unter Leonid I. Brežnev ging daher Anfang der siebziger Jahre davon aus, dass »die Entspannung mit den Vereinigten Staaten – trotz [...] Schwankungen in deren Politik – unumkehrbar« sein werde. »Die Rivalität« zwischen beiden Staaten »werde kontrollierbar« bleiben, wenn sie auch keineswegs beendet sei. Moskau wollte die neue Stärke insbesondere in Gebieten nutzen, die außerhalb der festen Einflusszonen la Vgl. Weltpolitik der USA; Deutschland-Handbuch; Das Atlantische Bündnis; Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland; Haftendorn, Deutsche Außenpolitik; jüngst: Wege zur Wiedervereinigung; Rott, Die Insel, Überschrift »Sicherheit durch Verträge« auf S. 273. 300 Vgl. v.a. Martin, Die nuklearen Kräfteverhältnisse in Europa; Holst, Rüstungskontrolle; Geiger, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO; und Wege zur Wiedervereinigung. 301 Siehe Hacke, Die Deutschlandpolitik, S. 543, Zit. ebd. 302 Vgl. Buchbender, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S. 66. 303 Siehe Windsor, Der politische Zweck. 304 Ress, Der Vier-Mächte-Status von Berlin, S. 38. 305 Siehe Bange, Der KSZE-Prozess. Aus Platzgründen seien hier zum Thema KSZE und Entspannungspolitik exemplarisch nur zwei neuere Publikationen genannt: Morgan, The Final Act; und zur Sicht aus deutscher und osteuropäischer Perspektive: Journal of Cold War History, 18 (2016), Nr. 3 (Themenheft »CSCE, the German Question, and the Warsaw Pact«). Vgl. auch Kieninger, Dynamic Détente; und Kieninger, The Diplomacy of Détente. 299

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gen, daher bei Konflikten weniger Risiken beinhalteten. Gedacht war dabei nicht zuletzt an die Ausnutzung von Unruhen in Dritte-Welt-Ländern. Für Europa ging die sowjetische Führung davon aus, dass die politischen und sozialen Verhältnisse auf beiden Seiten stabil blieben, daher auch keine Gefahren für ihren Machtbereich bildeten. Sie könne daher für alle Zeit ihre Rolle als expandierende Weltmacht bewahren, ohne ihre Binnenwirtschaft zu überlasten und ihre politische Stabilität zu gefährden. Schließlich werde das alles weder die wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen noch den technischen und finanziellen Transfer aus dem Westen ausschließen.306 Brežnev glaubte offensichtlich an die Attraktivität des kommunistischen Modells und fühlte sich daher stark genug, um in einen Dialog und einen Wettbewerb mit dem Westen zu treten. Die Sowjetunion untermauerte ihr neues Selbstbewusstsein auch durch große Rüstungsanstrengungen auf allen Gebieten. Die Truppen des Warschauer Paktes übten regelmäßig den raschen Aufmarsch nach sehr kurzer Vorbereitung, Dabei spielte zunehmend der konventionelle Angriff in die Tiefe des Gegners eine Rolle.307 Das Ziel bestand darin, das militärische Potenzial der NATO und die Atomwaffen in Mitteleuropa rasch auszuschalten und eine Eskalation zu vermeiden.308 Westliche Militärexperten interpretieren dies als modernen »Blitzkrieg«.309 So wurde die Bedrohung aufrechterhalten, die in der westlichen Öffentlichkeit aber wegen Verlagerung der Prioritäten hin zur Entspannung wohl nicht recht wahrgenommen wurde.310 Ab Mitte der siebziger Jahre verstärkte die Sowjetunion ihre Kräfte in zwei Bereichen: bei der hochseefähigen Kriegsmarine und den Raketentruppen. Für Letztere waren weltweite Übungen sowie die Konstruktion, Einführung und Dislozierung der SS-20311 kennzeichnend, die vom Westen als eine neue, äußerst gefährliche Bedrohung gesehen wurde.312 Diese Entwicklung verfolgten einige Politiker und strategische Denker in den USA, vor allem aufseiten der Republikaner und aus dem Umfeld Henry Kissingers, mit großer Sorge. Sie fürchteten, dass die USA den technologischen Vorsprung verlieren und strategische Flexibilität einbüßen könnten. »Wir sind [heute] wirklich verwundbar«, resümierte Kissinger.313 Diese Politiker sahen die Entspannung als Quelle der Gefahr und fürchteten eine zunehmende »Finnlandisierung« westeuropäischer Staaten.314 Vergleichbare Befürchtungen gab es auch in Europa vor allem bei Kritikern der Entspannungspolitik.315 Vgl. Bialer, Das sowjetische System, Zitate S. 16 f.; auch Legvold, Der politische Nutzen; sowie Wege zur Wiedervereinigung, Einleitung, v.a. S. 10‑12, und Teil I: Der Weg in die Ost- und Entspannungspolitik ab 1970, S. 47‑104. 307 Siehe Farwick, Militärstrategie. 308 Umbach, Das rote Bündnis, 168‑174. 309 Lemke, Die Allied Mobile Force, S.104. 310 So Rühl, Die militärische Macht, S. 275‑298. 311 Siehe Farwick, Militärstrategie, bes. S. 138 f. 312 Siehe z.B. die Darstellung in Vigeveno, The Bomb; sowie die Studien des NATO Information Service: »NATO and the Warsaw Pact – Force Comparisons«, z.B. Brüssel 1984, Kapitel »Nuclear Deterrence and the Nuclear Equation«, S. 25‑43. 313 Siehe beispielsweise Kissingers Rede »Die Zukunft der NATO« am 1.9.1979 in Brüssel, in Kissinger, Die weltpolitische Lage, S. 202‑204, Zit. S. 202. 314 Vgl. Bange, Der KSZE-Prozess, S. 97‑99. Zum Begriff der »Finnlandisierung« siehe z.B. Kesselring, The Nordic Balance, S. 25 f. 315 Siehe Lemke, Die Allied Mobile Force, Kap. II.1 und II.2. 306



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Aus dieser Perspektive schien der Westen im Niedergang begriffen zu sein. Die USA begannen, sich ab 1969 aus Vietnam zurückzuziehen und erlitten einen erheblichen Prestigeverlust, als das südvietnamesische Regime im Jahre 1975 vor den anrückenden Vietcong kapitulierte. Abgesehen von dem bis heute thematisierten »Trauma« verlor die westliche Führungsmacht deutlich an Glaubwürdigkeit, was sich auch auf Europa auswirkte. Dort wurden bereits bestehende Zweifel in Bezug auf die politische und militärische Stärke und Verlässlichkeit genährt. Der Rücktritt Präsident Nixons nach der »Watergate«-Affäre verstärkte derlei und untergrub zusätzlich die moralisch-ethische Position des Westens. Die Präsidentschaft Gerald Fords, der mit Kissinger als Außenminister im Jahr 1974 antrat, konnte deren weitere Erosion verhindern, gleichzeitig aber keinen Boden gutmachen. Die Präsidentschaft Jimmy Carters litt trotz grundsätzlicher Bereitschaft zu globaler Standhaftigkeit und entsprechenden Planungen und Vorhaben an einem Prestige- und Imageproblem. Der stringente, ethische Werte vertretende Carter galt als vergleichsweise »weich« und konnte nicht zuletzt auch außenpolitisch die Zweifel an der Verlässlichkeit der USA nicht wirklich ausräumen. Positiv wirkte sich indes aus, dass die Außenpolitik Nixons und Kissingers entscheidende Erfolge im Verhältnis zu China und etlichen Staaten im Nahen Osten, darunter vor allem Ägypten, erzielt hatte. Die Sowjetunion konnte lediglich in Staaten der Dritten Welt, hier besonders in Afrika, erheblichen Zuwachs an Macht und Einfluss gewinnen.316 Die Briten hatten ihren Abzug »östlich von Suez« beendet und ihre Streitkräfte reduziert; sie begannen nun mit der Modernisierung ihrer strategischen nuklearen Komponente.317 Damit wurde für die nächsten zwei Dekaden eine deutliche Ausrichtung nach Europa eingeleitet.318 Aber auch im eigenen Nahbereich wurde London nicht von Konflikten verschont: Die Ausweitung der religiösen und sozialen Gegensätze zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland führte 1969 zu einem Ausbruch der Gewalt, was für Jahrzehnte eine Bindung starker Kräfte des Heeres erforderlich machte,319 und es kam zum »Fischereikrieg« mit Island im Nordatlantik, ein teilweise auch mit der Anwendung von Gewalt gegen einen Verbündeten ausgetragener Wirtschaftskonflikt, der die Solidarität im Bündnis zeitweise zu gefährden drohte. Die Modernisierung der britischen Streitkräfte in Deutschland machte demgegenüber nur langsame Fortschritte, weil die Mittel dafür zu knapp waren.320 Die Republik Frankreich hatte unter ihren Präsidenten Charles de Gaulle und George Pompidou an Sicherheit und Selbstbewusstsein gewonnen. Die inzwischen auch strategisch nutzbare »Force de Frappe« war einsatzbereit und etabliert. Das verunsicherte die Vgl. hierzu umfassend: Westad, The Global Cold War; sowie Burt, Verteidigungsfähigkeit, Kap. 12, S. 345‑374; auch Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 23 f. und S. 105 f.; zu Carter siehe Welt­ politik der USA, S. 310‑313, sowie D60‑D62, S. 368­‑381. 317 Stoddart, The Sword and the Shield, Kap. 5‑7. Das Projekt »Chevaline« zur Modernisierung der Polaris-Raketen sollte sich in der Folge als finanzielle Belastung erweisen. Zur Perspektive der Royal Navy vgl. Hennessy/Links, The Silent Deep, Kap. 8. 318 Siehe Lemke, Die Allied Mobile Force, Kap. II, bes. S. 39‑48 und S. 260 f. Auch grundsätzlich zum Folgenden. 319 Mangels genügend anderer Kräfte waren diese überwiegend von der BAOR zu stellen, was die Vorneverteidigung in Norddeutschland schwächte. 320 Zum teils defizitären Ausrüstungsstand der Britisch Army Anfang der siebziger Jahre vgl. French, Army, Empire, and Cold War, Kap. 10 und 12 sowie S. 301‑308. 316

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Bundesrepublik, weil sie bei einem Angriff auf Frankreich zum Schutz des französischen Staatsgebietes, des »Sanktuariums«,321 nur jenseits der Grenzen Frankreichs eingesetzt würde, das hieß de facto auch auf dem Territorium Deutschlands. Dennoch war die deutsch-französische Zusammenarbeit inzwischen sehr erfolgreich. Auch die Mitarbeit Frankreichs im Bündnis war durch das »Lemnitzer-Ailleret-Abkommen« von 1967 sinnvoll und zuverlässig geregelt.322 Sinnfällig wurde dies durch die offen zur Schau gestellte Freundschaft von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt demonstriert. Nachdem Bundeskanzler Brandt 1974 wegen der »Guillaume-Affäre« zurückgetreten war, wurde Schmidt neuer Kanzler, ein ausgewiesener Sicherheitspolitiker, der internationales Ansehen genoss und eine aktivere Politik gegenüber dem Warschauer Pakt für gut befand. Die Bundeswehr hatte Anfang der siebziger Jahre ihre Aufstellung weitgehend beendet und stellte nun in Mitteleuropa den größten Teil der konventionellen Streitkräfte sowie in Europa-Mitte ihre Infrastruktur zur Verfügung. In den nuklearen Einsatzplanungen war das Gewicht Deutschlands gestiegen, was sich in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO zeigte,323 in der die Bundesrepublik, anders als etwa Italien, prominent vertreten war. Dennoch blieben spürbare Schwächen bestehen, gerade im Bereich der konventionellen Streitkräfte.324 Niemand konnte voraussehen, ob es nicht doch wieder zu gefährlichen Konfrontationen kommen würde, die ein fähiges Krisenmanagement erforderlich machten. Die NATO hatte die Turbulenzen um den Austritt Frankreichs aus der militärischen Integration inzwischen verarbeitet. Sie hatte die neue strategische Ausrichtung auf die »Flexible Reaktion« als Ergebnis des Harmel-Berichts von 1967, »Militärische Sicherheit durch Abschreckung und Entspannung«,325 mit dem Dokument MC  14/3 vollzogen und politisch verinnerlicht.326 Dennoch blieb die Allianz von neuen Krisen nicht verschont. Diese ereigneten sich vor allem an der Südflanke, etwa im Zuge des Jom-KippurKrieges von 1973 oder des griechisch-türkischen Konflikts ab 1974. Die Anlandung und Besetzung des Nordteils der Insel Zypern durch den NATO-Partner Türkei schwächte das Bündnis gerade an der gefährdeten Südflanke.327 Die neue strategische Ausrichtung der NATO war mit den Planungen der Vier Mächte zu Berlin kompatibel und erleichterte die politische Zusammenarbeit entscheidend. Live Oak blieb weiter einsatzfähig, arbeitete aber nun in sehr viel ruhigeren Zeiten als in den rauen sechziger Jahren.328 Es gab keine wirkliche Krise, auch war der Stab nie, außer zu Übungen, operativ gefragt. In diesem Zeitabschnitt trat die WAG, soweit erkennbar, auch niemals zu einer Sitzung zusammen. Man erledigte die Dinge auf unterer 323 324 325

Franz. »Sanctuaire« = Heiliger Raum; siehe hierzu Prasuhn, Strategisches Denken, S. 44. Siehe Frankreichs Verteidigungspolitik, S. 11 und S. 45. Zur NPG u.a. Das Atlantische Bündnis, S. 168‑170; Schwartz, NATO’s Nuclear Dilemmas. Dazu deutlich Lemke, Die Allied Mobile Force, Kap. II.2. Siehe Gravenstein, Militärstrategisches und operatives Konzept; auch Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 95. 326 Definition von »Flexible Response«, siehe Buchbender, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S. 82 f. 327 Vgl. hierzu Periphery or Contact Zone?; hier v.a. Özkan, Turkey, the United States and the NATO; auch Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 158‑195 sowie S. 305; und zuletzt Brenner, Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt. 328 Das zeigen auch die Dokumente in BArch, BW  71; die Überlieferung ist jedoch zeitweise sehr dünn. 321 322



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Ebene oder schriftlich. Die Bonn Group allerdings war gut beschäftigt, da sie auch die Tagesprobleme behandeln musste.329 Zu Anfang dieser Periode stellte sich für Live Oak die grundsätzliche Frage, ob das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin das Ende des Stabes bedeuten könnte, weil es vielleicht keine Aufgaben mehr für ihn gab. Der COS, Generalmajor John M. Strawson, ordnete hierzu eine Studie an. Dadurch sollte zunächst geklärt werden, inwieweit das Vier-Mächte-Abkommen die Aufgaben von Live Oak tangiere. Später sollten die möglichen Konsequenzen für Live Oak untersucht werden, wenn die Verhandlungen zu den Abkommen abgeschlossen seien.330 Vorläufig schätzte man, dass die Hauptaufgaben des Stabes, nämlich den Zugang der Alliierten zu Lande und besonders den in der Luft zu sichern, durch das Abkommen nicht berührt würden, da sie nicht dessen Gegenstand waren, was sich später bestätigte.331 Der Auftrag für Live Oak blieb daher unverändert.332 Die allgemeine politische Entspannung brachte für den britisch geführten Krisenmanagementstab Live Oak vergleichsweise ruhige Zeiten. Routine wurde mit Gelassenheit erledigt, um in der Krise ausgeruht und schnell handeln und reagieren zu können. Höhepunkte des Dienstes waren die wöchentliche »Lage«, hochrangige Besuche, die LiveOak-Übungen und die Reisen zu den nationalen Ministerien und Hauptquartieren. Aus diesen ergaben sich meist Folgearbeiten, die in den anschließenden Tagen und Wochen in gemeinsamen Arbeitsgruppen zu erfüllen waren. Auf allen Zugangswegen lief der Verkehr nun tatsächlich reibungsloser als zuvor. Insbesondere der zivile Verkehr auf Straße und Schiene war wenig beeinträchtigt, mit Ausnahme der Abfertigungsbürokratie und durch den sich rasch steigernden Andrang an Reisenden und Waren. Auch der Luftverkehr nahm zunächst noch zu, dann aber stagnierte er eher und nahm zeitweise sogar ab, weil der Landweg nun offen stand.333 Für den alliierten Verkehr gab es keine ernsten Krisen mehr. Dennoch kam es immer wieder zu Vorfällen auf allen Wegen. In den Jahren 1975/76 gab es zahlreiche Zwischenfälle auf der Schiene, wohl weil das Eisenbahnsystem der DDR marode war. So wurde der wöchentlich einmal verkehrende französische Zug zwischen dem 1. September 1975 und dem 14. August 1976 allein 28-mal verzögert, um Zeiten von 15 bis 135 Minuten. Als Begründung wurde meistens angegeben, dass in Potsdam keine Lokomotive zur Verfügung stünde.334 Das Jahr 1977 brachte zahlreiche Ereignisse vom Typ »small actions« vonseiten der DDR, aber auch der Sowjetunion. So wurden die bisherigen Polizeiposten zwischen Ost-Berlin und der DDR abgezogen, um zu zeigen, dass der Ostteil Berlins nicht mehr von der DDR getrennt, sondern Hauptstadt der DDR sei und nicht mehr von sowjetischen Truppen besetzt wie der Westen von den Westmächten. Die Ost-Berliner Grenz BArch, BW 71/15, Nr. 45: »Farewell Address« des COS, General Sinnatt, GLNO, Tgb.Nr. 572/83, 13.10.1983. 330 Vgl. BArch, BW 71/50, Nr. 25, SHLO 71/667, 2.9.1971: »Study Group on Berlin Quadripartite Agreement«, Encl. 2 to SHLO 71/782. 331 Ebd., Encl. 3. 332 BArch, BW 71/93, Nr. 2: SHLO 73/084, 25.1.1973, Subj.: »Live Oak Phase II Committee Report«, Para. 1.b(3). 333 Vgl. hierzu die Darstellung in den Jahresberichten des GLNO in BArch, BW 71. 334 BArch, BW 71/62, Nr. 38: Para. 9, S. 9, Part D. in Press Kit des LOPIGUIDE, 1.12.1980. 329

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wachen wurden auch, äußerlich erkennbar, in die allgemeinen Grenztruppen überführt. Diese Maßnahmen und andere schienen für sich betrachtet eher unbedeutend zu sein, aber zusammengenommen waren sie als ein entschiedener Wechsel des Status quo anzusehen.335 Dagegen protestierten die Drei Mächte in ihrer »Londoner Erklärung« vom Mai des Jahres. Im Juni gab es eine gefährliche Behinderung einer PanAm-Maschine im Anflug auf Tegel. Im Juli vermehrten die sowjetischen Kräfte deutlich ihre Bemühungen, im Westen der Stadt Flagge zu zeigen, und zwar in Form von »Flag Tours«, dienstlichen Fahrten in Uniform durch die anderen Sektoren. Im November 1977 nahm eine neue amerikanische Fluggesellschaft, »Berlinair«, ihren Dienst auf, was sofort heftige Proteste hinter dem »Eisernen Vorhang« provozierte. Im Dezember wurden Berlinair-Flüge als »nicht erlaubt« von den sowjetischen Verantwortlichen im BASC gestempelt. Andererseits wurde, trotz dieser »Nadelstiche«, im laufenden Monat auch ein neues Abkommen über höhere Tarife für die alliierten Güterzüge abgeschlossen. Die Verhandlungen über Tarife für die Personenzüge dagegen konnten anscheinend nie erfolgreich beendet werden.336 Ende der siebziger Jahre begann die Sowjetunion, kurzfristig bestimmte Luftkorridore oder Teile davon zu reservieren oder zu sperren. Der erste Versuch ereignete sich Anfang Juli 1978, als ohne Vorwarnung der mittlere Korridor geschlossen wurde.337 Als Grund wurde eine »Übung im scharfen Schuss« angegeben, was offensichtlich zutraf. Die Hintergründe blieben zunächst aber unklar. Immerhin konnten die alliierten Flugzeuge in Höhen über 10 000 Fuß umgeleitet werden. Außerdem war eine britische Pembroke-Maschine auf Drei-Stunden-Bereitschaft versetzt worden, um gegebenenfalls als »Probe« (MATP) genutzt zu werden. Dieser Konflikt ging auf wohl mangelhafte Koordinierung zwischen der Sowjetunion und der DDR zurück.338 Der zweite Versuch wurde im Juni 1979 ebenfalls im mittleren Korridor für drei Tage unternommen, der dritte dann im Juli 1980. Dieser wurde von den Alliierten akzeptiert. Dem folgten aber Forderungen auf Reservierungen an 14 von 21 Tagen zwischen dem 22. August und dem 11. September dieses Jahres. Dieses Problem sollte in den achtziger Jahren zur fast täglichen Aufgabe werden. Die Ursachen vieler Vorfälle waren und blieben unklar. War Über­ eifer unterer Organe anzunehmen oder Schlamperei, technisches Versagen oder Unvermögen? Manchmal war die von oben gesteuerte Absicht offensichtlich, dann nämlich, wenn politische Ziele erkennbar waren, wie in der Frage der Nutzung Ost-Berlins als »Hauptstadt der DDR« und damit der Verletzung des Status Berlins als »demilitarisierte Stadt«.339 Zusammenfassend kann diese Periode als relativ entspannt angesehen werden. Das politische Umfeld durch die Berlin-Verträge von 1970/72, den KSZE-Prozess und seine Folgevereinbarungen sowie die laufenden Rüstungskontrollverhandlungen wirkte günstig und mäßigend.

Ebd., auch das Zitat. Vgl. BArch, BW 71/12, Nr. 22: »Background Information on Rail Tariffs«, Working Paper, GLNO Tgb.Nr. 141/82 vom 15.3.1982. 337 BArch, BW 71/54, Nr. 39: Memo for General Haig, Live Oak Stuation Report 128/78, 6.7.1978. 338 BArch, BW 71/9, Nr. 21: Anlage 3, S. 4 zu GLNO Jahresbericht 1978, Tgb.Nr. 165/78 geh. vom 13.3.1979. 339 BArch, BW 71/62, Nr. 38: Para. 10, S. 9, Part D. des Press Kit, LOPIGUIDE. 335 336



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d) Die Phase der Verunsicherung und der Konfrontation auf niedrigem Niveau 1980 bis 1989340 Seit Ende der siebziger Jahre wurde das politische Klima zwischen Ost und West wieder rauher, und trotz vieler Verhandlungen und Gespräche gab es beunruhigende Entwicklungen politischer, wirtschaftlicher und militärischer Art. Die Entspannungspolitik geriet in eine Krise, und es begann sich das anzubahnen, was dann von manchen als »Zweiter Kalter Krieg« bezeichnet wurde.341 Der jugoslawische Führer Josip Broz Tito starb am 4. Mai 1980 nach langem Siechtum. Der von vielen politischen Beobachtern erwartete Zusammenbruch des Vielvölkerstaates mit der Konsequenz großer Erschütterungen auf dem Balkan und darüber hinaus blieb aber zunächst aus. Die politische Stabilität in Europa schien daher vorerst nicht bedroht zu sein. Dennoch begann sich, zumindest in Europa, schon seit dem Ende der siebziger Jahre ein schleichendes Gefühl steigender Unsicherheit über die künftige Entwicklung breitzumachen.342 Die Gründe lagen zunächst bei der zunehmenden Erstarrung der Moskauer Führungsriege. Verbunden war dies mit einer steigenden Bedrohung durch große Anstrengungen auf allen Gebieten der Rüstung. Die krisenhafte Entwicklung nahm schließlich globale Dimensionen an: Der Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan im Dezember 1979 schien eine grundlegende Änderung ihrer Außenpolitik anzudeuten, nämlich die Ausweitung des Machtbereichs in Richtung Südostasien und zum Persischen Golf.343 Die Geiselnahme amerikanischer Diplomaten in Teheran am 4. November 1979, ein Dreivierteljahr nach dem Sturz des Schahs, alarmierte insbesondere den Westen, da anfangs keineswegs klar war, ob das neue iranische Regime eigene, vor allem auch religiöse Ziele verfolgte und nicht durch sowjetische Einflussnahme an die Macht gelangt war.344 In der Sowjetunion war das Regime der Greise – unter Leonid I. Brežnev bis 1982 – noch intakt, es zeigte sich indessen zu nennenswerten politischen Impulsen nicht mehr in der Lage. Es war nach der anfänglichen Phase der inneren Konsolidierung mit einer gewissen Verbesserung der Lebensverhältnisse in einen Zustand der zunehmenden bürokratischen Erstarrung und Stagnation geführt worden, die zusammen mit den Folgen eines außenpolitischen Überengagements in einer Sackgasse geendet hatte.345 »Die Stagnation ist offensichtlich dem sowjetischen System inhärent«, erläuterte Kissinger.346 Neben der Aufrüstung in Europa zielten die Ambitionen Moskaus zur Beunruhigung der NATO offensichtlich auf globalen Machtzuwachs. Besondere Bedeutung gewann der sowjetische Versuch, durch den Aufbau einer großen Flotte mit Flugzeugträgern Vgl. Weltpolitik der USA, bes. Teil VI, S. 383‑441; Die Einhegung sowjetischer Macht; Deutschland-Handbuch, bes. Kap. I und VI‑VIII; auch Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 150‑181; Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, bes. S. 264‑307; Wege zur Wiedervereinigung. 341 Vgl. Bange, Der KSZE-Prozess. 342 Viele Hinweise dazu bietet Die Einhegung sowjetischer Macht, bes. S. 13‑216. 343 Vgl. die Antwort Carters, in Weltpolitik der USA, Dok. 62, S. 377‑381. 344 Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 105‑109. Zum globalen Zusammenhang vgl. das Standardwerk von Westad, The Global Cold War, v.a. Kap. 8. 345 Siehe hierzu u.a. Meissner, Bilanz der Breschnew-Ära. 346 Am 10.4.1980, zit. in Kissinger, Die weltpolitische Lage, S. 259. 340

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als Kern auch auf den Meeren mit den USA gleichzuziehen.347 Während derlei nicht durchzuhalten war und am Ende scheiterte, wurde die Debatte um die Einführung neuer INF-Systeme durch die Sowjetunion und die darauf folgende »Nachrüstung« zu einer großen politischen Herausforderung für den Westen und sein Bündnis, die NATO.348 Allerdings, und das wurde im Westen sehr wohl rezipiert, begannen sich im Inneren des Ostblocks Krisen abzuzeichnen: In verschiedenen Paktstaaten entstanden zumeist kleine Bürgerinitiativen, die sich auf die Schlussakte von Helsinki beriefen und die Einhaltung der Menschenrechte einforderten. In Polen kam es im Sommer 1980 zu Unruhen vor allem in der Arbeiterschaft, die erstmals im Ostblock zur Bildung einer unabhängigen Gewerkschaft, der »Solidarność«, führte, die derartigen Zulauf erhielt, dass die kommunistische Herrschaft dort ernstlich in Gefahr geriet. Die Sowjetunion griff zwar nicht direkt militärisch ein, wie befürchtet worden war, baute aber eine Drohkulisse auf und veranlasste die polnische Regierung, das Kriegsrecht zu verhängen.349 Diese Maßnahme vermochte das Problem nicht zu lösen. Insgesamt verstärkten sich die zentrifugalen Kräfte innerhalb des Ostblocks und läuteten damit sein Ende ein, auch wenn dies zu der Zeit beileibe noch nicht abzusehen war. Vom KSZE-Prozess hatte die Sowjetunion vor allem eine wirtschaftliche und politische Dividende erhofft. Die Volkswirtschaften der Paktstaaten konnten jedoch im Wettlauf mit dem Westen trotz teilweise hervorragender technischer Leistungen langfristig nicht mithalten. Im Westen wurde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Länder des Warschauer Paktes, gerade auch der Sowjetunion und der DDR, aber erheblich überschätzt. In Moskau hatte man auf die Überlegenheit des eigenen Gesellschaftssystems gesetzt. Die sowjetische Führungsriege konnte dabei auf die gesellschaftlichen Krisen im Westen verweisen. Dieser Optimismus im Kreml sollte sich als eine schwere Fehlkalkulation erweisen.350 Danach kam es zu einem reformerischen Neuansatz: Die Übernahme der Macht in der Sowjetunion im März 1985 durch Michail Gorbačev. Er war ein neuer, »junger, selbstsicherer, dynamischer«351 Generalsekretär und weckte große Hoffnungen auch im Westen, die durch sein »neues politisches Denken«, symbolisiert durch die Schlagworte »Perestroika«352 und »Glasnost«353, ausgelöst wurden. Wie sah es nun bei den wichtigsten westlichen Verbündeten aus? Die USA durchschritten nach dem Rücktritt ihres Präsidenten Richard M. Nixon 1974 und der Beendigung des erfolglosen Engagements in Vietnam eine längere Schwächephase, die auch das Bündnis schwer beeinträchtigte. Nixons Nachfolger, Präsident Gerald Ford, wurde nicht Ausdruck dieses Strebens waren die weltweiten Übungen der »OKEAN-Serie«; vgl. z.B. Poser, Militärmacht Sowjetunion, u.a. S. 45‑48. Auch Vigeveno, The Bomb, S. 41. Die jährliche Publikation des Londoner IISS, The Military Balance, zeigt diese Entwicklung deutlich. Zu den Hintergründen vgl. The Military History of the Soviet Union, S. 244‑251. 348 Vgl. Martin, Die nuklearen Kräfteverhältnisse in Europa. Neuerdings auch Möllers, Sicherheits­ politik in der Krise; sowie Jarzabek, Konsequenzen der polnischen Krise. 349 Umbach, Das Rote Bündnis, v.a. S. 288‑314; auch Jarzabek, Konsequenzen der polnischen Krise. 350 Zu den Folgen des KSZE-Prozesses für die Sowjetunion bis zu deren Untergang vgl. die sehr gute, insbesondere die innen- und außenpolitischen Aspekte verknüpfende Studie von Saal, KSZE-Prozess und Perestroika, v.a. Kap. II und III. 351 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 306. 352 Etwa »gesellschaftlicher Umbau« oder »Umgestaltung«, so bei Gorbatschow, Perestroika, S. 17. 353 »Offenheit«, wohl auch »Öffentlichkeit«. 347



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wiedergewählt. Der neue Präsident, Jimmy Carter, sah sich mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, die Verbündeten hinter sich zu versammeln; er galt nach anfänglicher Euphorie schließlich als schwacher Präsident. Ab 1978 wandelte sich die Politik Carters gegenüber der Sowjetunion, die ihn durch ihre massive Rüstung, die Entsendung kubanischer Truppen nach Afrika sowie den Einmarsch in Afghanistan ernüchtert hatte: Er schlug einen schärferen Kurs ein. Carters vorrangige Ziele wurden nun die Eindämmung der Sowjetunion und der Aufbau der dazu notwendigen militärischen Stärke,354 gerade auch in der Golfregion (»Carter-Doktrin«),355 denn »unser Land [hat sich] in neuerer Zeit noch nie in so großer Gefahr befunden [...] wie heute.«356 Der Kurswechsel konnte die Carter-Administration nicht vor der politischen Niederlage bewahren, da die amerikanische Wählerschaft dem neuen, charismatischen Kandidaten der Konservativen, Ronald Reagan, zuneigte. Dieser hatte mit offensiven Parolen ein Wiedererstarken Amerikas versprochen und dabei gleichzeitig eine massive Propagandakampagne gegen die Sowjetunion in Gang gesetzt. Die europäischen Partnerstaaten setzten trotz dieser Entwicklungen einstweilen noch mehrheitlich auf Entspannungspolitik und versuchten zu einem Ausgleich zu kommen. Dies weckte in amerikanischen Sicherheitskreisen Misstrauen, gespeist von der Furcht einer langsamen und schleichenden Auflösung der NATO. Immer wieder wurde dies mit dem Schlagwort von der schleichenden »Finnlandisierung« Europas, d.h. der sukzessiven Neutralisierung, zum Ausdruck gebracht.357 Das wohl größte Konfliktpotenzial entstand durch den NATO-Doppelbeschluss, der in den siebziger Jahren gefasst wurde, seine größten Auswirkungen aber in den Achtzigern entfaltete. Vor allem die Europäer in der NATO fühlten sich durch die neuen, modernen sowjetischen nuklearen Mittelstreckensysteme SS-20 bedroht, welche für die Verbündeten jenseits des Atlantiks deutlich weniger gefährlich erschienen.358 In dieser Stimmung brachte Bundeskanzler Schmidt einen wichtigen Punkt auf die Agenda, als er in einer Rede vor dem International Institute for Stategic Studies (IISS) in London am 28.  Oktober 1977 auf die Frage einging, welche Auswirkungen das durch SALT festgeschriebene nuklearstrategische Gleichgewicht zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten auf die westliche Sicherheitspolitik habe. Schmidt sah wegen der Disparitäten zwischen Ost und West auf nuklearstrategischem und konventionellem Gebiet neue Gefahren insbesondere für die Sicherheit Europas voraus und forderte neben Maßnahmen für die Wiederherstellung des konventionellen Gleichgewichts auch Parität bei den taktisch-nuklearen Waffensystemen in Europa.359 Die politischen Konsequenzen dieser Beurteilung waren weitreichend und führten zu erheblichen Turbulenzen. Die SoWeltpolitik der USA, S. 319‑321. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 106. So Kissinger am 10.4.1980, zit. in Kissinger, Die weltpolitische Lage, S. 242. Dazu Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 19‑26, Begriff S. 19 und S. 23, auch S. 29; und Kesselring, The Nordic Balance, S. 25. 358 Umfassend dazu Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung, v.a. Kap, I, II und V. Auch grundsätzlich zum Folgendem, wo nicht anders belegt. 359 Vgl. Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 272. Der Begriff »taktisch-nuklear« ist hier nicht zutreffend, denn es handelte sich, jedenfalls für Europa, um strategische Potenziale. Siehe Sicherheit und Frieden, S. 305 f., 309‑316; auch Möllers, Sicherheitspolitik in der Krise. Zur Rolle der Europäer zwischen Nachrüstungsbeschluss und globalstrategischen Entwicklungen vgl. The Euromissile 356 357 354 355

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wjetunion setzte die Einführung der neuen SS‑20360 dennoch zügig fort. In einer großen politischen und psychologischen Anstrengung wurde am 12.  Dezember 1979 daraufhin der NATO-Doppelbeschluss361 gefasst, der die Modernisierung der entsprechenden westlichen Systeme – Pershing II und Marschflugkörper, also Ground Launched Cruise Missiles (GLCM) – und deren Stationierung in Westeuropa vorsah, vor allem in der Bundesrepublik. Parallel sollte der Sowjetunion ein lukratives Angebot zur Rüstungskontrolle gemacht werden. Die dafür eingerichteten INF-Verhandlungen begannen am 30. November 1981 und wurden zwei Jahre später von der Sowjetunion abgebrochen, ohne dass ein Ergebnis erzielt worden war. Die westlichen Systeme wurden ab 1983 nach dem Scheitern der Verhandlungen eingeführt und vor allem in der Bundesrepublik stationiert. Die sogenannte Nachrüstung führte in der Folge über Jahre zu zahlreichen eindrucksvollen Massenprotesten.362 Der NATO-Doppelbeschluss und seine Durchsetzung in der Bundesrepublik kann gleichwohl als ein großer Erfolg im Kampf um die Erhaltung des Friedens in Europa und um die Unabhängigkeit der politischen Entscheidung in Sicherheitsfragen in Deutschland beurteilt werden.363 Insgesamt war diese Phase von großen Rüstungsanstrengungen in beiden Lagern geprägt, die kostspielige Modernisierungsprogramme beinhalteten.364 Die Sowjetunion erweiterte ständig ihre Fähigkeiten. Allerdings bestanden in den westlichen Stäben große Unsicherheiten über deren Ausmaß. Das Wissen über das sowjetische Potenzial basierte auf öffentlich zugänglichen Informationen und auf den Ergebnissen der strategischen Aufklärung der NATO-Partner und deren Geheimdiensten, was zu unterschiedlichen Erkenntnissen führte.365 Die USA und die NATO antworteten auf diese Bedrohungen mit eigenen Überlegungen und Programmen. Insbesondere die massiven Anstrengungen der Reagan-Administration stießen in der westlichen Öffentlichkeit teilweise auf politischen Widerstand Crisis and the End of the Cold War; Dietl, Beyond Parity; sowie European Integration and the Atlantic Community in the 1980s. Vgl. zudem Schors, Doppelter Boden. 360 Sie gehörte zu den nuklearen Mittelstreckensystemen größerer Reichweite (5400 km), siehe Buchbender, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik, S.  43 und S.  80. Vgl. auch Sicherheit und Frieden, Teil B, Kap. VIII.6, S. 305‑316; sowie Aspekte der Friedenspolitik. 361 Vgl. dazu auch Buch, Nukleare Rüstungskontrolle, S. 309‑316. 362 Vgl. die eingehende und doch knappe Darstellung in Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 264‑307; ferner Möllers, Sicherheitspolitik in der Krise; sowie die entsprechenden Abschnitte in Wege zur Wiedervereinigung. Zur Rolle der Friedensbewegung in den 1980er Jahren und überhaupt zum Verhältnis Innen- und Außenpolitik angesichts der nuklearen Bedrohung gibt es schon eine Reihe von Publikationen, die an dieser Stelle nicht in extenso aufgeführt werden können. Exemplarisch seien genannt: Nuclear Threats, hier die Einleitung und v.a. Sektion 4, die auch die relevante Literatur mit kurzen Bemerkungen zum Forschungsstand enthält. Vgl. ferner The Nuclear Crisis. 363 Vgl. z.B. Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S.  160, 169; Meier, Deutsch-amerikanische Sicherheitsbeziehungen; Nehring, Für eine andere Art von Sicherheit. 364 Für die Sowjetunion und den Warschauer Pakt vgl. Umbach, Das rote Bündnis, Kap. B.III. und C.I., auch grundsätzlich zum Folgenden. 365 Als wichtige offene Quellen hierzu galten die jährlichen Publikationen der »Military Balance«Serie des IISS, London, sowie ähnliche Versuche der NATO ab 1982, siehe beispielsweise NIS, Force Comparison Studies, Brüssel 1984. Dazu Umbach, Das Rote Bündnis; und Strategie für den Frieden. Die Beurteilungen der NATO wurden nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes weitgehend bestätigt.



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oder auf schlichtes Unverständnis, auch weil sie allzu optimistische technische Lösungen für strategische und politische Probleme suggerierten.366 Trotz dieser Rüstungsmaßnahmen bemühten sich die Kontrahenten weiterhin um Fortschritte bei der Entspannung. Im Bereich der Rüstungskontrollverhandlungen wurden die in den siebziger Jahren begonnenen Sondierungen in verschiedenen Foren und Zusammensetzungen fortgesetzt:367 So wurde SALT  II bis 1979 zwar nicht ratifiziert, aber von der Sowjetunion und den USA eingehalten. Die Mutual Balanced Force Reduction Talks (MBFR), die seit 1973 von den Blöcken geführt wurden und die konventionellen Streitkräfte betrafen, wurden kontinuierlich fortgesetzt, blieben aber bis 1989 ohne Ergebnis. Sondierungen über Vertrauensbildende Maßnahmen (VBM, 1975 in Helsinki beschlossen) sowie Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM, ab 1980 im Rahmen der KSZE) dagegen wurden multinational in einer eigenen Konferenz zur Abrüstung in Europa (KAE) seit 1984 in Stockholm geführt und 1989 in Wien erfolgreich abgeschlossen. Das alles erbrachte im Laufe der achtziger Jahre durch Manöveranmeldung und -beobachtung sowie über die Verifikation doch erweiterte Kenntnisse über die jeweils andere Seite und ein besseres Verständnis, wodurch sich tatsächlich ein gewisses Vertrauen zu bilden begann.368 Bis Ende der achtziger Jahre gab es keinen wirklichen Durchbruch bei der Abrüstung. Die Spannungen blieben infolge massiver globaler Konflikte (Naher Osten, Mittel- und Südamerika, Angola) bestehen. Die sicherheitspolitische Lage in Europa erwies sich als recht diffus. Neben hoffnungmachenden Entwicklungen gab es durchaus sorgenvolle Bereiche, die schwer einzuschätzen waren.369 Bei seinem Besuch in Berlin am 12. Juni 1987 hatte der amerikanische Präsident Ronald Reagan den neuen sowjetischen Führer mit den Worten »Mr Gorbachev, tear down this wall!«370 aufgefordert, neue Wege zu suchen. Dieser Appell war damals im Westen weitgehend als unangebracht, naiv oder gar lächerlich empfunden wurden; im Osten war er zwar eher auf »offene Ohren« gestoßen,371 aber dort teilweise nicht als hilfreich angesehen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die beiden Lager in der signifikanten Frage der Mittelstreckenrakten schon angenähert. Der INF-Vertrag wurde dann am 8. Dezember 1987 unterzeichnet. An Live Oak gingen diese Entwicklungen nicht spurlos vorüber. Nach den doch als sehr ruhig zu bezeichnenden siebziger Jahren wurde das letzte Jahrzehnt für Live Oak Als Stichworte seien genannt: Die Strategic Defence Initiative (SDI), Follow-On-Forces-Attack (FOFA), Mobilizable Forces, Chemical Defence. Ein erster vertiefender Beitrag zu SDI und FOFA im Fokus der öffentlichen Debatte gerade auch aus den Reihen der Friedensbewegung ist Herrmann, Sicherheitspolitik als Res Publica? 367 Vgl. Sicherheit und Frieden, Teil B, S. 271‑326. 368 Vgl. Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 170‑181; siehe auch Bange, Der KSZE-Prozess, S. 87‑105. 369 Einen guten Eindruck davon gab ein Workshop der NATO am 6./7.11.1986 »On National Security Issues after the 27th Party Congress of the USSR«, Bericht im Besitz des Verf., der an dem Workshop teilgenommen hat. 370 Text deutsch in der FAZ vom 13.6.1987. 371 So Frankenberger in seinem Artikel in der FAZ vom 12.6.2007. In dem Dokumentenband Weltpolitik der USA z.B. ist diese Rede nicht einmal erwähnt worden. Bei den Bürgerbewegungen im Osten hat Reagan wohl auch keine positive Resonanz gefunden. Zu diesen Bewegungen siehe Eckert, Auf dem Weg zur friedlichen Revolution. 366

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zu einer spannungs- und arbeitsreicheren Periode. Nicht eine neue Berlin-Krise war der Grund. Die neuen Bedrohungen durch die Sowjetunion und die DDR seit den siebziger Jahren v.a. im Bereich konventioneller Kriegführung sowie die aktuelle, beunruhigende Entwicklung in den Luftkorridoren erzeugten im Stab Live Oak, aber auch in den militärischen Hauptquartieren der Vier Mächte und der NATO den sich immer mehr verstärkenden Eindruck, dass die Eventualfallplanungen für Berlin nicht mehr bedrohungsgerecht waren und daher dringend der Überarbeitung bedurften. Dies galt in noch weit größerem Maße für die Pläne der NATO – BERCON und MARCON –, die nicht vollständig kompatibel mit der gültigen Strategie der NATO und mit den militärischen Realitäten seien.372 Dieser Probleme nahm sich der CLO, General Bernard Rogers, an.373 Anlass war wohl die Rahmenübung »Steadfast 82« im Januar 1982 gewesen,374 in der diese unbefriedigende Grundlage deutlich wurde.375 Die Planungen waren über 20 Jahre alt und nicht überarbeitet worden. So gab es die Befürchtung, dass die Arbeit von der Entwicklung überholt sei, weil sie die aktuelle politische, wirtschaftliche und militärische Situation nicht korrekt widerspiegele. Die Frustration bei Live Oak war groß. Der COS, General M.H. Sinnatt, kam daher zu dem Schluss, dass ein größerer Teil der Planungen die Krise nicht überleben würde, für die sie gedacht seien.376 Die Veränderungen seit den sechziger Jahren waren tatsächlich schwerwiegend: Eine amerikanische Überlegenheit im Bereich der Nuklearwaffen gab es schon lange nicht mehr. Die NATO-Strategie hatte 1967/69 gewechselt. Der Vorsprung in der technischen Entwicklung war immer kleiner geworden. Die Lage in der Luft veränderte sich dramatisch zuungunsten des Westens. Die östliche Luftverteidigung im Luftraum der DDR war jetzt dicht, tief gestaffelt und, selbst zeitlich und örtlich begrenzt, nur schwer zu überwinden. Die Franzosen hatten 1966 die militärische Integration der NATO verlassen und wirkten nicht mehr an der Vorneverteidigung des Bündnisses mit, ihre Streitkräfte waren nicht mehr Teil der Streitkräfte von SACEUR.377 General Rogers setzte sich im Gespräch und schriftlich bei vielen Gelegenheiten dafür ein, die hier maßgebliche WAG über die notwendigen Änderungen bei Live Oak zu unterrichten und so zur Diskussion darüber und zum Erlass einer neuen Weisung

So formulierte es General Bernard Rogers diplomatisch. BArch, BW 71/128, Nr. 5A: LoI, Para. 4.e, S. 3, SHAPE/CTS/072/87, 21.4.1987. 373 Die aus den Problemen resultierende Frustration kam recht deutlich in der Abschiedsansprache des Ende November 1983 scheidenden COS, General M.H. Sinnatt, zum Ausdruck; Kopie bei GLNO Tgb.Nr. 572/83 geh., BArch, BW 71/15, Nr. 45. Rogers hatte im Juni 1979 General Alexander Haig abgelöst. 374 So der CLO im Brief an Richard R. Burt, den amerikanischen Vertreter in der WAG, SHLO O 83/378/COMD, 28.4.1983, BArch, BW 71/66, Nr. 21. Siehe auch den Text der Msg CLO vom 9.5.1983 in NMR/GE/LO, Tgb.Nr. 285/83 geh. vom 20.5.1983, BArch, BW 71/14, Nr. 78. 375 Die Manöverkritik fand am 23./24.3.1982 statt. Der CLO besuchte dazu Live Oak; siehe auch die Meldung des GLNO: BArch, BW 71/12, Nr. 70, NMR/GE, G3, Tgb.Nr. 1651/82 geh. vom 8.7.1982, »Berlin Contingency Planning«. 376 Vgl. BArch, BW  71/15, Nr.  45: : »Sinnatts Farewell Adress«, Nov. 1983, Tgb.Nr.  572/83 vom 23.11.1983, S. 1. 377 Ebd., S. 2. Siehe auch »Live Oak Inventory of Plans«, 27.9.1984, SHLOIN O  84/1228/OPS, BArch, BW 71/130, Nr. 1. Auch Karber, Die konventionellen Kräfteverhältnisse. 372



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anzuregen. Diese Bemühungen brachten indes keinen Erfolg.378 Die WAG lehnte eine Sitzung auf Botschafterebene de facto ab, gab jedoch schließlich das schriftliche Plazet für die allgemeine »Review«. Der wesentliche Grund, warum sich die politische Seite hier verweigerte, war die harte Nachrüstungsdebatte in Europa und vor allem in Deutschland. Nicht zuletzt die deutsche Auffassung war klar: Man habe kein Interesse daran, dass Sitzungen der WAG und der NATO-Gremien zu Berlin in dieser schwierigen Periode auf dem Höhepunkt der öffentlichen Diskussionen über die Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses stattfänden und gar bekannt würden. »Größte Diskretion« sei besonders wichtig. Gegen eine interne Bearbeitung der Live-Oak-Planungen gab es jedoch keine Bedenken.379 Entscheidend war hier die Sorge, durch einen Fehler oder eine Indiskretion könnte bekannt werden, dass die Vier Mächte, und dann möglicherweise auch die NATO, neue Operationspläne für den Entsatz von Berlin erarbeiten ließen: »There is too great a danger, that news of it might leak, and, in view of the tense East/West situation this autumn, might lead to a disturbance of the current calm in and around Berlin.«380 Die genehmigte »Review« wurde auf der Grundlage einer 1984 gemachten Bestandsaufnahme eingeleitet, in der alle Planungen von Live Oak mit aktuellem Bearbeitungsstand detailliert zusammengestellt waren.381 Schon Ende 1984 hatte Rogers die Einberufung des »Live Oak Review Committee«382 angeordnet und dabei die politische Weisung aufgenommen. In den Folgejahren wurde Live Oak einer umfassenden und harten Revision unterzogen: Alle Planungen kamen auf den Prüfstand. Die Argumente der Außen- und Verteidigungsminister, der militärischen Spitzen der Vier Mächte, der ausführenden Oberbefehlshaber und manchmal auch der unteren Führer, der Berliner Garnisonen und des Alliierten Stabes Berlin wurden schließlich in gemeinsame Vorschläge gegossen; ein manchmal langsamer und mühsamer Prozess. Auch SHAPE wurde, wenn nötig, einbezogen. Gelegentlich wurden auch die MNCs beteiligt, besonders natürlich das regional zuständige AFCENT. Die politisch relevanten Fragen wurden mit der Bonn Group abgeklärt, bevor sie dann zur Genehmigung an die WAG gingen, die dann meist keine Notwendigkeit für ein Eingreifen mehr sah.383 Um die Arbeit zu erleichtern, waren alle Themen in vier Gruppen, »Packages« genannt, eingeteilt worden, die im Grunde das Rückgrat des westlichen Krisenmanagements für Berlin bildeten. Package Nr. 1 enthielt die Planungen für das niedrige Niveau einer Krise, dann aufsteigend bis zu den machtvolleren, aber auch sensibleren Optionen Das geht aus seinem FS an den Vorsitzenden der WAG, Burt, vom 28.4. 1983 hervor: SHLO O 83/376/COMD, BArch, BW  71/66, Nr.  21. Vgl. auch die Äußerung des GLNO mit FS vom 20.5. an BMVg Fü SIII 2 LO, Tgb.Nr. 285/83 geh., BArch, BW 71/14, Nr. 78; und SHLO O 83/398/COMD, 9.3.1983, BArch, BW 71/66, Nr. 24; Rogers’ Antwortbrief an Burt, Msg SHLO O 83/951/COMD, 10.10.1983, BArch, BW 71/67, Nr. 1. 379 Siehe Weisung StS Rühl, FS BMVg FüS III 2 LO, Tgb.Nr. 140/83 geh. vom 4.10.1983, BArch, BW 2/17.641, Heft 11, Zit. ebd. 380 Brief von Burt an Rogers, S. 1, State 285339, 5.10.1983, BArch, BW 71/67, Nr. 20. Zur Frage der BERCON/MARCON der NATO steht hier allerdings nichts. 381 BArch, BW 71/130, Nr. 1: »Live Oak Inventory of Plans and Activities«, SHLOIN O 84/1228, 27.9.1984. 382 BArch, BW 71/15, Nr. 47: ToR, Annex B to SHLO O 83/1154/OPS, 25.11.1983. 383 Das ist aus den zahlreichen Dokumenten zu diesem Thema in BW 71 zu entnehmen. 378

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im letzten Paket 4, hier z.B. die Versammlung einer kompletten mechanisierten Division zum Vorstoß in einen blockierten Korridor (»June Ball«-Plan) und die operativen Optionen der Luftstreitkräfte in den Korridoren. Bis Ende 1989 waren die Packages 1 bis 3 abschließend behandelt und genehmigt worden, die Umsetzung in den Operationsplänen war weit fortgeschritten. Nur bei Package 4 gab es große Verzögerungen, dann auch wichtige Änderungen. Ende 1989 hatte man dann wohl die nötigen Kompromisse und Ergebnisse erzielt. Die Wucht der Ereignisse ab November hat die weitere Behandlung und Vollendung nicht mehr erlaubt. Noch wichtiger und auch schwieriger war in diesem Zusammenhang eigentlich die komplette Neubearbeitung der BERCON/MARCON der NATO. Diese waren wirklich schon lange nicht mehr nutzbar. »Die vor 25 Jahren erarbeiteten Planungen seien nicht mehr zeitgerecht, und man dürfe keine Vogel-Strauß-Politik treiben«.384 Eine Neubearbeitung war seit Lemnitzer von allen SACEURs für dringend notwendig erachtet worden, hatte aber nie die nötige Zustimmung erhalten. Es war politisch zu »sensitiv«385 gewesen, weil die Mitgliedsländer der Allianz sich nicht an ihre Verpflichtungen Berlin betreffend erinnern lassen wollten. Rogers wollte ebenfalls Anfang der achtziger Jahre, auch wegen der sich offensichtlich wieder verhärtenden sowjetischen Haltung, deren grundlegende Überarbeitung durchsetzen. Aber nach mehreren Anläufen seit 1983 blockierte der damalige Generalsekretär der NATO, Lord Peter Carrington, mit Unterstützung der Vier Mächte 1986 den Versuch von Rogers’ endgültig, den NATO-Rat damit zu befassen.386 Man entschied schließlich, die alten Pläne liegen zu lassen und durch einen einfachen Befehl von Rogers neue, realistische und zeitgemäße Planungen in die Wege zu leiten.387 Dieser Weg wurde dann auch beschritten, konnte aber bis 1990 nicht mehr beendet werden. Rogers versuchte des Weiteren, das Problem der einheitlichen Führung in Berlin neu und klarer zu regeln und insbesondere die Führungsstruktur oberhalb der Kommandanten anzugehen. Das Projekt »Allied Command Arrangements, Berlin« sollte das lösen. Es brachte gewisse Fortschritte, auch wenn schließlich, französischem Wunsche folgend, das C für »Command« durch den schwächeren Begriff »Coordinating Authority« ersetzt wurde, also nur die Fähigkeit zur Koordinierung der Verteidigung Berlins brachte. Immerhin erlaubte dieses nun eine ständige, unmittelbare Verbindung des CLO und seines Stabes mit den Berliner Kommandanten, den COBs, und dem ASB. Dadurch wurde das unbefriedigende Norstad-Agreement von 1962388 durch das nun Rogers-Agreement genannte, verbesserte Abkommen ersetzt.389 Parallel zu diesen grundsätzlichen Arbeiten beschäftigte sich Live Oak in dieser Phase intensiv mit den Aktionen der Gegenseite, insbesondere mit dem aktuellen und an So zit. aus FS Bo. Nils Hansen von Sitzung des NR am 17.2.1986, B-362.02, 496’86 geh., BArch, BW 71/20, Nr. 49. 385 Zit. »in order to avoid expected sensitivities regarding NATO’s obligation/commitment to the defense of Berlin«, aus Para. 2.b des LoI/SHAPE/CTS/072/87, 1222.1/SHOOP/87, 21.4.1987, BArch, BW 71/128, Nr. 5A. 386 Dazu gibt es anscheinend keinen Schriftverkehr, jedenfalls keinen zugänglichen. Als Bestätigung mag das persönliche Tagebuch des Verfassers vom 23.7.1986 bis 16.12.1987 dienen. 387 BArch, BW 71/128, Nr. 5A: Lol SACEUR, 1222.1/SHOOP/S057/87, 21.4.1987. 388 BArch, BW 71/2, Nr. 10: SHLO 9-00052, 13.1.1962. Dazu auch Kap. IV.7. 389 BArch, BW 71/72, Nr. 16: SHLO O 86/899-S, 22.8.1986. 384



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dauernden Problem, das schon mit seinen Anfängen seit dem Ende der siebziger Jahre beobachtet worden war: den Jahr für Jahr zunehmenden Reservierungen des Luftraumes über der DDR, besonders auch in den Korridoren. Diese hatten sich bis 1983 so stark vermehrt, dass eine detaillierte, auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln unterstützte Überprüfung durchgeführt wurde.390 Die Untersuchung sollte Aufschluss darüber bringen, welche wirklichen Gründe es dafür gab, und ob weitergehende politische Absichten, z.B. die allmähliche, schleichende Einschränkung der westlichen Zugangsrechte, dahinter erkennbar seien. Die sowjetische Seite begründete die Reservierungen und Schließungen gewöhnlich mit »exercise activity«, also Manövertätigkeit.391 Die Überprüfung durch das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ANBw)392 ergab für die Jahre 1980 bis 1982, dass sich tatsächlich fast allen untersuchten Zeiträumen Übungen der Sowjetarmee und ihrer Verbündeten zuordnen ließen.393 Dennoch blieb manches ungeklärt. Unbestritten hatten die »Übungen im Zeitraum 1980 bis 1982, sowohl der Land- als auch der Luft-SK [Streitkräfte], von der Anzahl her zugenommen«, meldete das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr. Als Gründe für die Zunahme wurden eine Dezentralisierung des Übungsgeschehens erkannt, »vom Umfang her kleiner, räumlich enger begrenzt«.394 Dadurch hätten sich die Gesamtzahlen erhöht. Außerdem sei die Erfassung des Übungsgeschehens durch die westliche Aufklärung jetzt präziser und umfassender als früher. Zusammenfassend kam das Amt zu dem Schluss, dass, obwohl »eine präzise Korrelation nicht immer möglich« sei, der Eindruck vorherrsche, dass »Reservierungswünsche [...] großzügig zugesprochen« würden, sodass es zwar Übungsgeschehen im Großraum, aber nicht immer auch in den reservierten Korridoren gebe. Dieses scheine »vor allem dem sehr ausgesprochenen Sicherheitsempfinden der Sowjets zu entsprechen«. Es könne jedoch »eine politische Zielsetzung nicht gänzlich ausgeschlossen werden«.395 Diesem Urteil schlossen sich anscheinend die anderen Dienststellen, auch Live Oak, weitgehend an.396 Gleichzeitig war das BMVg nach Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt zu dem Urteil gekommen, dass »Anzeichen für die politische Absicht, das alliierte Recht auf freien Zugang nach Berlin auszuhöhlen, [...] nicht erkennbar« sind.397 Auch in den folgenden Jahren wurde die sowjetische Praxis der Reservierung von Luftraum in den Korridoren kritisch beobachtet, ohne dass grundlegend neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten.398 Da diese sowjetische Praxis den alliierten Zugang von und nach Die Steigerung ist in einer Skizze zu erkennen, die dem Bericht des GLNO an den BMVg vom 14.4.1983, Anlage 1, beigefügt ist, Tgb.Nr. 218/83 VS-V, BArch, BW 71/14, Nr. 54. 391 Zit. aus Para. 4.a in Trend-Assessment 1983, 7.5.1984, SHLO O 84/723/OPS, BArch, BW 71/68, Nr. 15. 392 Siehe ANBw, Abt. IV Luftwaffe, 17.3.1983, BArch, BW 71/14, Nr. 65. 393 Auch die hauseigene Untersuchung in der Operationszentrale Live Oak war allgemein zu diesem Ergebnis gekommen, wie den handschriftlichen Anmerkungen auf einer bis April ergänzten Aufstellung des GLNO vom 13.1.1983 zu entnehmen ist: BArch, BW 71/14, Nr. 58. 394 BArch, BW 71/14, Nr. 65: Bericht ANBw, S. 3, Anm. 3. 395 Zit. aus ebd., S. 4, Anm. 4. 396 Dies kann aus den handschriftlichen Bemerkungen auf dem Schreiben des ANBw geschlossen werden: BArch, BW 71/14, Nr. 65. 397 BArch, BW 71/14, Nr. 57: Schreiben BMVg, FüS III 2, Tgb.Nr. 64/83 geh., 13.4.1983, Ziff. 1.a. 398 Vgl. z.B. die Auswertung des GLNO, Tgb.Nr. 248/84 vom 18.4.1984, BArch, BW 71/16, Nr. 47. 390

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Berlin »zur Zeit nicht« beeinträchtige und auch keine politischen Absichten erkennbar seien, sah man keinen Anlass für aktive Maßnahmen seitens Live Oak.399 Bei Live Oak beurteilte man im Rahmen einer jährlichen Einschätzung die Lage um Berlin ein wenig vorsichtiger. Man ging davon aus, dass dieses sowjetische Verhalten den vereinbarten ungehinderten Zugang der Alliierten sehr wohl beeinflusse. Der Luftweg nach Berlin wurde zwar nicht verwehrt, aber die Bedingungen schienen einem ständigen Wechsel unterworfen zu sein.400 Insofern spiegelte die Situation in den Korridoren, also quasi an vorderster Front, die Gesamtlage wieder. Man hatte zur Kenntnis zu nehmen, dass die militärischen Anstrengungen und Tätigkeiten des Warschauer Paktes zumindest im direkten Umfeld der Korridore stetig anstiegen. Gleichzeitig ergab sich aber nicht wirklich eine vergleichbare Krise wie in den fünfziger und sechziger Jahren. Alle Seiten waren offensichtlich bemüht, die Situation ruhig zu halten. Wenn man so will, bestand in dieser Hinsicht ein langanhaltendes, ständiges Krisenmanagement mit dauernder Stabilitätswirkung. Dass Live Oak mit seinen Ressourcen vorgehalten, dann aber nicht eingesetzt wurde, ist hierfür ein genauso wichtiger Indikator wie die Ansätze zur Reformierung von Live Oak und deren Ergebnisse. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Luftraumreservierungen war dem CLO durch die WAG die Befugnis genommen worden, selbstständig Probe-Operationen in den Korridoren mit militärischen Transportflugzeugen, den MATPs, einsetzen zu dürfen, um auf eine Störung des Luftverkehrs in den Korridoren sofort und ohne auf eine politische Zustimmung warten zu müssen reagieren zu können.401 Anlass war anscheinend die komplette Schließung des Mittelkorridors am 2.  April 1983 gewesen, deretwegen Rogers beim nächsten Anlass eine MATP fliegen lassen wollte.402 In der gegebenen Lage war der WAG diese Überlegung wohl übereilt erschienen; die Briten hatten zusätzlich argumentiert, dass der CLO über diese Befugnis schon seit Langem nicht mehr verfügen könne.403 Rogers war natürlich nicht erfreut über diese Entscheidung und nutzte diesen Vorgang erneut dazu, eine Sitzung der WAG auf Botschafterebene vorzuschlagen,404 doch wiederum erfolglos. Ein weiteres Thema schlug, zumindest intern, zeitweise größere Wellen: der Konflikt um die eingeschränkte Nutzung des NATO-Truppenübungsplatzes Bergen während der jährlichen Volltruppenübung »Treaty« von Live Oak. Diese Übung der Tripartite Battle Group fand auf dem britisch geführten Übungsplatz Senne bei Paderborn statt. BArch, BW 71/21, Nr. 16, S. 3, Ziff. 3 der Anlage zum »Lagebericht« des GLNO, Tgb.Nr. 35/88 geh. vom 2.8.1988. 400 BArch, BW  71/68, Nr.  15, »Trend-Assessment [...] 1983«, Para.  5, SHLO O 84/723/OPS, 7.5.1984. Es gab jedoch Hinweise, dass die sowjetische Führung auch politische Ziele verfolgt haben könnte, z.B. um das Thema der Souveränität im Luftraum der DDR wieder auf die Tagesordnung zu bringen: BND 94170/84 NfD vom 9.5.1984, BArch, BW 2, Nr. 17.641, Heft 11. 401 Diskussion in der WAG siehe FS BMVg Fü S III 2 LO, GLNO Tgb.Nr. 282/83 geh. vom 17.5.1983 mit Bericht der Bo. Wash. Nr. 1735 vom 19.4.1983, BArch, BW 71/14, Nr. 76. 402 Siehe Letter COS to CLO, SHLO O 83/323/COS-5, 14.4.1983, BArch, BW  71/14, Nr.  50; und Anlage zu BMVg Fü S III 2 LO vom 17.5.1983: Bo. Wash. Nr. 1735 vom 19.4.1983, Tgb. Nr. NMR/LO 282/83 geh., Anlage Ziff. 1, BArch, BW 71/14, Nr. 76. 403 BArch, BW 71/14, Nr. 76, Para. 1 des FS. 404 BArch, BW 71/66, Nr. 34: Brief COS an die WAG, SHLO O 83/585/AIR, 30.6.1983. 399



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Die Luftunterstützung dafür wurde vom deutschen Fliegerhorst Faßberg aus geflogen,405 der am nächsten zum echten Einsatzraum, dem mittleren Korridor und der Autobahn Helmstedt–Berlin gelegen war. Wenn Faßberg für Live Oak belegt war, konnte aus Sicherheitsgründen auf dem nahe gelegenen Übungsplatz Bergen nicht geschossen werden. Die Truppen der NATO waren aber auf diesen Übungsplatz, seiner Möglichkeiten und Kapazitäten wegen, in hohem Maße angewiesen. Die Sperrung des Platzes für ca. zehn Tage schränkte die ohnehin schon knappe Kapazität weiter ein. Zusätzlich begrenzten Verträge über Großübungen den Spielraum (sie betrafen etwa gemäß »NATOTruppenvertrag« Kosten, Wetterbedingungen, Lärmbelästigung, Urlaubsperioden usw.). Trotz zahlreicher Verhandlungen und Lösungsversuche, die schließlich Entscheidungen auf höchster militärischer Ebene verlangten – so mussten AFCENT, die Drei Mächte und für die Bundesrepublik das BMVg damit befasst werden – konnte bis 1989 keine längerfristige Lösung mehr gefunden werden.406 Im Juli 1987 löste schließlich General John R. Galvin »Bernie« Rogers ab und wurde damit sechster und letzter CLO. Als Live Oak am 4. April 1989 in Casteau festlich sein 30-jähriges Jubiläum beging, konnte es viel Anerkennung und Lob entgegennehmen. Obwohl die Sicherheitsvorschriften seit einigen Jahren gelockert worden waren, gab es keine Pressekonferenz und keine Parade. Aber dank der internen Zeitung von SHAPE ist doch ein kleiner Bericht überliefert.407 Alle vier Außenminister gratulierten schriftlich, indessen enthielt keines der Schreiben Hinweise auf neue politische Entwicklungen. Der Schlusssatz im Brief des britischen Außenministers, Geoffrey Howe, war kennzeichnend: »It is important that we maintain in all areas the readiness enshrined in Live Oak’s Motto: ›Toujours sur le Qui Vive‹ [Immer auf der Hut sein].« Nur James A. Baker III., der US-Außenminister, fügte an, dass alle dem Tag entgegensähen, an dem die Berliner Mauer fallen und freier Zugang zur Stadt Normalität sein würde.408 So schien wenige Monate vor umwälzenden Veränderungen doch noch alles auf ein längeres, wenn nicht gar richtig langes Leben von Live Oak hinzudeuten. e) Zusammenbruch des Warschauer Pakts und friedlicher Übergang 1989/90409 Im Laufe der achtziger Jahre kam es zu einer immer rascheren Erosion des sowjetischen Zwangs- und Gewaltsystems, verbunden mit wirtschaftlichem Niedergang. In vielen zeitgenössischen Quellen ist zunächst wenig davon zu erkennen. Die beiden deutschen Staaten konnten 1989 jeweils auf 40 Jahre Staatlichkeit zurückblicken, was besonders 407 408

Encl. 1 to SHLO O 86/?/AIR, 2.7.1986, BArch, BW 71/71, Nr. 36. Siehe Riecke, Rechtliche und politische Rahmenbedingungen. »SHAPE Community Life«, 28.4.1989, BArch, BW 71/96, Nr. 17. BArch, BW 71/96, Nr. 15: Brief London SW1A 2AH, 17.3.1989, Zit. ebd., sowie Secretary of State, Washington, 4.4.1989. 409 Hauptsächlich verwendete Literatur: Weltpolitik der USA; Hutchings, American Diplomacy; Deutschland-Handbuch, bes. S.  699‑718; Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S.  308‑385; Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 182‑210; Wege zur Wiedervereinigung. Engel, When the World Seemed New; Europa und die deutsche Einheit; Transcending the Cold War. 405 406

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ausgiebig in der DDR gefeiert wurde. Man stellte viele »Veränderungen im internationalen Umfeld« fest, aber unter den »Herausforderungen an beide deutsche Staaten«410 schienen weder die wirtschaftliche Krise des Ostblocks, geschweige der DDR, noch der drohende Zusammenbruch des Sowjetreiches eine besondere Aufmerksamkeit zu finden. Gleiches galt für eine eventuelle Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. In Bezug auf die internationale Szenerie wurde zwar ein Wandel diagnostiziert, ohne dass jedoch radikale Veränderungen vorhergesagt wurden  – zumindest nicht in absehbarer Zeit.411 Im Ostblock hatten sich seit Anfang der achtziger Jahre Veränderungen abzuzeichnen begonnen, dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender ökonomischer Probleme und, in Verbindung damit, massiver Konflikte im Warschauer Pakt selbst.412 Hier spielte die Krise in Polen eine große Rolle.413 Michail S. Gorbačev trieb seine Reformen, die auf die Erneue­rung des kommunistischen Systems zielten, nicht aber auf dessen Abschaffung, rasch voran und versuchte durch zahlreiche Besuche und Gespräche im Westen und im Osten die zwischenstaatlichen Beziehungen auf eine neue Basis der Vertrauensbildung zu stellen. Dem dienten auch neue Anläufe in der Rüstungskontrollpolitik. Hier sind vor allem zwei Aspekte zu nennen: Der INF-Vertrag, der die Vernichtung aller Mittelstreckenraketen, nicht aber der Kurzstreckensysteme mit einer Reichweite bis zu 500 km vorsah, wurde, trotz großer deutscher Bedenken, als dritte »Nullösung« bereits am 8.  Dezember 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossen.414 Die Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) endeten schon nach 18 Monaten erfolgreich.415 Anfang der neunziger Jahre begannen dann auch die Reduzierungen der Kurzstreckenraketen und sogar des strategischen A-Waffen-Arsenals. In direkter Beziehung zu diesen außenpolitischen, strategischen Ereignissen stand die innenpolitische Entwicklung. Neben der Solidarność-Bewegung in Polen gab es viele kleine und manche größere Anzeichen von beginnender (Gegen-)Bewegung in Osteuropa, ohne dass jedoch abzusehen war, in welche Richtung sie gehen würde. Vielerorts bildeten sich Gruppen, die Anliegen der Menschenrechte, der Freiheit, der politischen Beteiligung und Mitsprache vorsichtig und friedlich vorzubringen versuchten. Viele konnten sich nicht nur auf die KSZE, sondern zunehmend auch auf den sowjetischen Generalsekretär berufen. Es gab die ersten Demonstrationen, auch in der DDR, die zwar weiterhin von der Staatssicherheit intensiv beobachtet, aber nicht mehr immer gewaltsam beendet wurden.416 Der Ruf nach »Reisefreiheit« begann seinen Siegeszug, die Ge Zimmermann, Deutschland 1989, S. 714, hier auch die Überschrift »Veränderungen [...]«. Vgl. ebd., S. 714 f. 412 Zur Problematik aus Sicht des Warschauer Paktes vgl. Umbach, Das rote Bündnis, Kap. C.I und C.II. 413 Siehe Jarzabek, Konsequenzen der polnischen Krise. 414 Vgl. Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S.  169‑176. Die »3.  Nulllösung« bei den INF bedeutete, dass alle drei hier relevanten Waffengruppen komplett abgerüstet wurden: erstens die landgestützten Mittelstreckenraketen größerer Reichweiten, 1000‑5500 km, zweitens landgestütze Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweiten, 500‑1000 km, sowie drittens die im deutschen Besitz befindlichen Pershing I A als dritte Kategorie. 415 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 171. 416 Siehe Eckert, Auf dem Weg zur friedlichen Revolution, S. 245. 410 411



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währung von immer mehr Ausnahmegenehmigungen machte Lust auf Weiteres. Die Sicherung der ungarischen Grenzen nach Westen fiel, öffentlich wirksam, Ende Juni 1989. Im Spätsommer, ab dem 10. September, konnten Zehntausende von DDR-Touristen vor allem aus Ungarn und Rumänien über Österreich in die Bundesrepublik ausreisen. Im Herbst folgten weitere Tausende DDR-Bürger, die in den westdeutschen Botschaften im Osten Europas Zuflucht gesucht hatten und jetzt in Zügen der Deutschen Reichsbahn durch die DDR hindurchgeleitet wurden.417 Die Feiern zum 40. Jahrestag der DDR am 6./7. Oktober 1989 in Ost-Berlin markierten im Rückblick den Anfang vom Ende der DDR. Mit Günter Schabowskis so folgenreicher Pressekonferenz am 9. November kam dann das plötzliche »Aus« für die DDR nach sowjetisch-sozialistischer Prägung, auch weil die bisherige Staatsgewalt nicht mehr den absoluten Willen zur Machterhaltung aufbrachte. Die sowjetische Führung erklärte zudem, dass sie nicht eingreifen werde.418 Elf Monate später waren die beiden deutschen Staaten friedlich vereinigt, das Sowjetreich stand kurz vor seiner Auflösung. Diese letzten eineinhalb Jahre waren voller Dramatik, sie schienen in hoher Geschwindigkeit mit noch zunehmender Beschleunigung abzulaufen. Es sah zeitweise so aus, dass Volksbewegungen sich selbstständig machen konnten. Für solche Entwicklungen waren die überkommenen Mechanismen der Krisenbewältigung aber nicht vorgesehen. Das galt auch für die Umwälzungen des Jahres 1989. Niemand wusste, was geschehen würde, wenn sich Auseinandersetzungen etwa zwischen Protestgruppen und den Sicherheitsorganen der DDR auf die Zugänge nach Berlin auswirkten. Die NATO stabilisierte die stürmische politische Entwicklung, während der Warschauer Pakt zerbrach,419 nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Teil der Staaten und Völker, insbesondere Polen, Ungarn und die ČSSR, sich vom Pakt abgewendet hatten, da die Hegemonialmacht die Hoffnungen auf Freiheit, politische und ökonomische Verbesserungen nicht hatte erfüllen können. Dank der moderaten Haltung der beiden Lager in Ost und West kam es nicht zur direkten Konfrontation, sondern zu Verhandlungen. Dabei stand die deutsche Wiedervereinigung im Zentrum der Diskussionen, dies beileibe nicht nur zwischen den Blöcken, sondern auch in der NATO selbst. Die europäischen Führungsmächte Frankreich und Großbritannien dachten keineswegs daran, die beiden deutschen Staaten rasch zusammenzuführen, und befürworteten bestenfalls einen dilatorischen Kurs. Die Amerikaner gaben dem Ansinnen der Regierung Kohl Rückendeckung, zum Missfallen der britischen Premierministerin Margaret Thatcher; sie machten so den Weg frei für die Beendigung der deutschen Teilung. Der »Zwei-plusVier-Vertrag« – amtlich der »Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« – vom 12. September 1990 brachte die nötige Rechtssicherheit und löste Stichwort: Das »Paneuropäische Picknick« in Sopron am 19.8.1989, FAZ vom 1.8.2009 mit dem Foto des dazu aufrufenden Plakats. 418 Vgl. Mußgnug, Alliierte Militärmissionen, S.  220‑227; siehe auch den Artikel »Das Vierersignal von Berlin«, SZ vom 12.12.1989; dem Verf. gegenüber bestätigt durch Pedlow, mündlich am 28.9.2011 in Berlin. Nach Lage der Dinge hat sich dies auch durchgesetzt. Das russische Militär hatte strikte Anweisung, auch bei einer Krise der DDR in den Kasernen zu bleiben. Umbach, Das rote Bündnis, S. 478. Indes waren die Rote Armee und der KGB bereit, nötigenfalls loszuschlagen, Ebd., S. 496. 419 Einen guten Eindruck davon vermittelt die Schilderung in Hutchings, American Diplomacy, bes. S. 90‑142; siehe auch Nehring, Für eine andere Art von Sicherheit. 417

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dann auch die Deutsche Frage. Am 2.  Oktober 1990 endeten die Besatzungszeit für Berlin und auch die Vorbehaltsrechte der ehemaligen Siegermächte.420 Live Oak war Anfang 1989 mit der kompletten Überarbeitung aller Pläne und Maßnahmen beschäftigt. Die Aussichten waren gut, dass es gelingen würde, auch das letzte Hindernis hierbei, die Einplanung der June Ball Brigade Group (JBOG), die machtvollste Option in diesem Bereich, erfolgreich zu überwinden. Als dieses Problem Ende 1989 tatsächlich gelöst worden war, dachte jedoch angesichts der weltpolitischen Veränderungen niemand mehr an eine Zustimmung durch die WAG.421 Die Übungen des Jahres verliefen planmäßig, die Vorbereitungen für die Rahmenübung »Steadfast 14« Anfang des Jahres 1990 hatten begonnen. Die Entwicklungen um Berlin wurden interessiert beobachtet. Die Verantwortlichen gewannen den Eindruck, dass weder der alliierte noch der zivile Verkehr von und nach Berlin betroffen war. Nach der Öffnung der Mauer am Abend des 9. November 1989 befahl der CLO, General Galvin, Live Oak mündlich, über den sowjetischen Vertreter im Berlin Air Safety Center beim Oberkommando der Westgruppe der Truppen in der DDR, Oberbefehlshaber Armeegeneral Boris Snetkov, zu klären, wie sich die sowjetischen Truppen in der DDR verhalten würden.422 Die Antwort war klar: Die sowjetischen Truppen würden nicht eingreifen, sondern in den Kasernen bleiben.423 Es drohte offensichtlich keine »chinesische Lösung«.424 Live Oak und NATO nahmen einen niedrigen Bereitschaftsstand ein, der vor allem die Aufgabe hatte, die Lage aufzuklären und laufend zu beurteilen, um nicht überrascht zu werden. Mielke soll ahnungsvoll gesagt haben: »Ohne Sowjetarmee gibt es keine DDR!«425 Die Einschätzung des ASB von Ende Dezember gab der unsicheren Lage Ausdruck: »the likelihood of threat to access in near future is remote but geographical location makes Westberlin hostage to fortune and changing circumstances.«426 Es entwickelte sich allerdings keine direkte Bedrohung mehr. Schon am 1.  Dezember 1989 suchte ein im Auftrag des COS erarbeitetes Papier der Operationszentrale nach dem künftigen Weg (»Way Forward«) für Live Oak427 und fragte: Welche Aufgaben kann Live Oak künftig noch haben? Darin wurde festgehalten, dass die Existenz von Live Oak untrennbar mit der Stationierung alliierter Truppen in Berlin verbunden sei. Solange Berlin ferner eine Enklave sei, umgeben von potenziell feindlichen bewaffneten Kräften, könnten auch die Zugangsrechte bedroht werden, für deren Aufrechterhaltung Live Oak zuständig sei. Augenblicklich sei die Lage keineswegs ruhig, »although the wind looks to be blowing in a very favorable direction«.428 Diverse Vgl. Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 370‑385. Vgl. BArch, BW 71/87, Nr. 2: SHLO O 89/1232/COS 2, 9.11.1989. 422 So von Pedlow, 1989 schon SHAPE-Historian, mündlich dem Verf. gegenüber am 28.9.2011 in Berlin geschildert. 423 Antwort auf dem gleichen Weg wie die Anfrage. Siehe auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 216. Über die von der DDR ergriffenen Maßnahmen siehe bei Wenzel, Kriegsbereit, S. 229 f.; auch die Darstellung bei Mußgnug, Alliierte Militärmissionen, S. 220‑227. 424 Vgl. das Massaker auf dem »Platz des Himmlischen Friedens« in Peking im Frühjahr 1989, nach Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 214‑217, Zit. S. 214. 425 Ebd., S. 213, Zit. ebd. 426 BArch, BW 71/88, Nr. 28: ASB, 19.12.1989, I 89/2218, Para. 3. 427 BArch, BW 71/89, Nr. 11: Zit. aus »Subject« von SHLO O 89/1328, 1.12.1989. 428 Ebd., Para. 2., S. 1. 420 421



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Papiere wurden nun über künftige Szenarios geschrieben, welche eine Aufgabe für Live Oak begründen könnten. Mit der Entwicklung hin zur Deutschen Wiedervereinigung wurden diese Überlegungen immer weniger relevant. Am 30. März 1990 erließ General Galvin nach dem Vortrag seines COS, Generalmajor G.B. Fawcus, eine Weisung u.a. folgenden Inhalts:429 – Die Fähigkeiten von Live Oak seien wirksam zu halten. – Dennoch solle man sich bedeckt halten (»keep a low profile«). Damit war auch eine erhebliche Reduzierung des Übungskalenders gemeint. – Schließlich solle Live Oak einige Annahmen für die Arbeit in der Zukunft festhalten und relevante »Was wäre, wenn«-Fragen stellen.430 Diese Weisung entsprach zweifellos der Lage, wie sie sich im Frühjahr 1990 darstellte, da schon mit Blick auf die starken sowjetischen Streitkräfte in der DDR durchaus Vorsicht angebracht war. Der GLNO, Oberst i.G. Wilfried Richert, hatte, nach Aufforderung durch den COS, in einer persönlichen Stellungnahme frühzeitig festgestellt, dass es für Live Oak nach Vollzug der deutschen Einheit keine Aufgabe mehr geben könne.431 Die Rechte der Besatzungsmächte würden dann enden, dadurch auch die Aufgaben von Live Oak. Diese Sicht teilte die Bonn Group grundsätzlich, sie initiierte aber erst im Juli 1990 den Vorschlag, Live Oak aufzulösen.432 Der CLO unterstützte diesen Vorschlag und schlug seinerseits zudem vor, eine reduzierte Fähigkeit für ein Krisenmanagement bis zum 2. Oktober 1990 aufrechtzuerhalten.433 Schließlich sagte man alle restlichen Übungen ab. Ein Teil des Personals wurde schon vor dem 3. Oktober 1990 versetzt. Um Mitternacht am 2. Oktober 1990 endete der von den Vier Mächten erteilte Auftrag an Live Oak. Die WAG hat durch ihr letztes Fernschreiben bestätigt, dass mit dem Abschluss des Vertrages über die Regelung der Deutschen Frage und mit der Herstellung der deutschen Einheit der Auftrag von Live Oak, von »Deep Sea« und der Washington Ambassadorial Group ende.434 Der Zeitpunkt wurde bis auf die Minute genau bestimmt: am 2. Oktober 1990 um 23.59 Uhr. Die WAG stellte fest: »Berlin’s freedom and access to the city have been ensured over the past three decades in part by your efforts and vigilance [...] Job well done. Mission accomplished. The Washington Ambassadorial Group salutes you.«435

BArch, BW 71/91, Nr. 10: Para. 2, SHLO O 90/416, 5.4.1990. Ebd. Besonders interessant dazu Papiere von SHAPE, welche die Bedeutung der militärischen Anwesenheit der USA für die Sicherheit und Stabilität in Europa, Fragen zur Deutschen Einheit und die beginnenden Zwei-plus-Vier-Verhandlungen behandeln: 2180/SHPPP/90, April 1990, SHLOIN I 90/532, 25.5.1990, BArch, BW 71/91, Nr. 23. 431 Siehe die ausgezeichnete »Study on Future Aspects of Live Oak«, Encl. 1, besonders Para. 15‑26, SHLO S/O 90/011, 19.2.1990, BArch, BW 71/21, Nr. 56. 432 BArch, BW  71/92, Nr.  17: Msg USEMB Bonn, 10.7.1990, SHLOIN I 90/776, Para.  2 und Para. 8. 433 BArch, BW 71/92, Nr. 7: SHLO O 90/643, 13.7.1990, Para. 1. 434 BArch, BW 71/92, Nr. 26: Msg SecState, 2.10.1990, »Final WAG Message to Commander Live Oak«, SHLOIN I 90/941, Para. 1 des FS. 435 Ebd., Para. 4. 429 430

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5. Das Zusammenwirken von Live Oak und NATO Das Verhältnis des Bündnisses zu Live Oak lässt sich als eine organische Beziehung beschreiben. Durch Änderungen des NATO-Vertrages von 1951 und 1954 sowie verschiedene Erklärungen des NATO-Rates danach war West-Berlin indirekt, aber vertraglich wirksam in den Schutz durch das Bündnis einbezogen worden.436 Damit hatten alle Verbündeten das Recht, über die Verteidigungsmaßnahmen der Streitkräfte der Drei Mächte in Berlin und auf den Zugangswegen unterrichtet zu werden, da das Bündnis hier eventuell Unterstützung leisten musste, also direkt betroffen sein konnte.437 Allerdings schien das Bündnis in den ersten Jahren der zweiten Berlin-Krise in den Überlegungen zur Sicherung des alliierten Zugangs zu Berlin kaum eine Rolle zu spielen. Im Basic Paper von 1959438 wird es nicht einmal erwähnt. Dennoch prägte die NATO die strategischen und politischen Grundbedingungen auch für Live Oak entscheidend mit. Die politischen Führungen der Drei Mächte entschlossen sich nach dem sowjetischen Ultimatum vom 28. November 1958 zu einem vorsichtigen, überlegten Vorgehen in der Allianz und informierten die Verbündeten im NAC.439 Im Hinterkopf aber blieb stets das Wissen über das »letzte Mittel«, das zur Verfügung stehe. Das zeigt beispielsweise die Äußerung von Norstad in seiner Stellungnahme vom 26.  Juni 1959 zu der Live-Oak-Studie »More Elaborate Military Measures«: »In any case, I would not anticipate the employment of combat air support or the use of atomic weapons, although these capabilities should be readily available and apparent to the USSR.«440 Rasch dehnten sich dann die grundlegenden Themen und Probleme der NATO, etwa die Lastenteilung und die strategische Einbeziehung aller NATO-Mitglieder, auch auf Live Oak aus. Aus einem Fernschreiben Norstads vom 22. Juni 1959 an den Vorsitzenden der JCS ist ein gewisses Unbehagen erkennbar. Es ging um die Frage, ob Live Oak Einrichtungen und Mittel der NATO nutzen dürfe oder solle. Norstad stellte zunächst fest, dass er keine direkte Kenntnis über die Haltung anderer NATO-Länder zu dieser Frage habe.441 In den NAC-Sitzungen hatten die Drei Mächte zwar politische Unterstützung erfahren. Gleichzeitig äußerten einige NATO-Partner Befürchtungen, ohne wirkliche Möglichkeit der Einflussnahme in kriegerische Handlungen verwickelt zu wer Siehe die Entschließung des NAC vom 22.10.1954, in Dokumente zur Berlin-Frage, T.  2, Dok. 183, S. 226 f. 437 Darüber war sich auch der damalige NATO-Generalsekretär Paul Henri Spaak im Klaren, wie aus seinen Briefen an die Staats- und Regierungschefs hervorgeht, hier Bundeskanzler Adenauer, 22.1.1959: PA AA, B 130/3.576, Bo. Paris in FS Übers. 115-6/59 geh., AA Tgb.Nr. 1275/59 geh. 438 BArch, BW 71/49, Nr. 3: LO(IN)-S-59-1006, 4.4.1959. 439 In den Sitzungen am 11.2. und 1.4.1959 wurde u.a. das Berlinproblem behandelt, am 1.4. auch sehr allgemein über Contingency-Planungen berichtet, siehe PA AA, B 130/3.581: FS Bo. Wash. Nr. 517 vom 1.4.1959, 114-4, Tgb.Nr. 2452/59 geh. 440 So in BArch, BW  71/124, Nr.  1: General Norstads Brief an seinen COS, General Cooper, 26.6.1959, LO-TS-59-1012, S.  2, Para.  6. Oder ähnlich auch in einem Papier des US-Delegationsleiters, Col. Sharkey, an SHAPE, J-3: BArch, BW 71/124, Nr. 2: ECLO, ÖO-TS-59-1016, 16.7.1959. 441 BArch, BW 71/43, Nr. 7: Nr. ALO 654, 22.6.1959 (die dort angezeigten Vorgänge sind nicht in BW 71), 1. Abs. 436



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den. Gegebenenfalls würden einige zögern, Live Oak die Nutzung von SHAPE-Einrichtungen und die Ausübung von Führungsaufgaben von SHAPE aus zu erlauben. Einstweilen konnte man sich etwa im Fernmeldewesen mit der Ausrüstung des ­USEUCOM behelfen. Der Vorteil lag darin, dass aufwändige Konsultationen vermieden würden, wenn man Live Oak wie eine strikte Angelegenheit der Drei Mächte behandele. Auf jeden Fall war es nötig, den NATO-Rat zu informieren und zu Rate zu ziehen, sobald die drei betroffenen Länder eine generelle Übereinkunft über konkrete Maßnahmen im Bereich der Live-Oak-Planungen erzielt hatten. Norstad stellte abschließend fest, dass die NATO vor jeder militärischen Aktion konsultiert werden musste, egal wie begrenzt sie auch sei.442 Militärisches Handeln in einer Berlin-Krise, welches über das Alltägliche hinaus ging, war nicht ohne die Unterstützung des Bündnisses vorstellbar. Einfache oder schematische Lösungen im Umgang mit der NATO in Krisenfällen existierten nicht. Dazu kam die Furcht, dass über die NATO-Gremien die Eventualfallplanung von Live Oak noch leichter in die Öffentlichkeit gelangen und damit dem Gegner bekannt werden konnte.443 Die strikten Vorschriften der Geheimhaltung für Live Oak verlangten eine enge Anwendung des Grundsatzes »Need to know«. Allein schon dies ließ eine gewisse Distanz zwischen Live Oak und der NATO als geboten erscheinen. Auf der obersten Ebene war die strategische Verzahnung gesichert: politisch durch die Mitgliedschaft der Vier Mächte im NATO-Rat und durch den Informationsaustausch dort; militärisch durch das »System der Hüte«, also die Wahrnehmung mehrerer amtlicher Positionen durch eine Person: SACEUR und CLO waren in der Person General Norstads vereinigt. Das also bedeutete: Die Operationen der Drei Mächte im Rahmen von Live Oak wurden strategisch überwölbt und gesichert durch die NATO und vor allem durch das militärische Potenzial der Amerikaner. Im weiteren Verlauf entwickelte sich die Planungsarbeit teils zäh und mühsam. Verzögernd wirkten unter anderem die unterschiedlichen Vorstellungen über die More Elaborate Military Measures, d.h. die deutlicheren und damit potenziell gefährlicheren Gegenmaßnahmen bei Live Oak, zwischen General Norstad und den Briten.444 Zwei grundlegende Fragen beschäftigten die Planer in ihren Überlegungen: Welche Alarmmaßnahmen der NATO sollten oder mussten als Voraussetzung für fortgeschrittene Live-Oak-Operationen gelten? Und wann konnte oder musste die NATO in einer Krise die Führung übernehmen? Es ging also um die strategische Abhängigkeit von Live Oak von der NATO. Eine Begebenheit zeigt dies beispielhaft: Der deutsche militärische Vertreter (NMR) bei SHAPE, Brigadegeneral Peter von Butler, hatte im August 1959 erstmals eine mündliche Unterrichtung über die Live-Oak-Pläne erhalten, und »the only

Ebd., 3. Abs. Im Winter waren durch Indiskretionen aus dem doch engen Kreis der Mitwisser mehrmals politische und operative Überlegungen in angelsächsischen Zeitungen kolportiert worden: so am 21./22. Januar 1959 in der »New York Herald Tribune« und im »Manchester Guardian« sowie am 12./13. Februar in »Chicago Sun« und »Daily News«, was erhebliche Irritationen hervorgerufen hatte. Siehe hierzu die Berichterstattung der deutschen Botschaften in PA AA, B 130/3.256. 444 Diese Maßnahmen dürfen m.E. aber nicht mit »Eskalationsstufen« gleichgesetzt werden, obwohl es sein kann, dass sie eskalierend wirkten, aber eventuell – und erhofft – auch deeskalierend. 442 443

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pertinent question which he asked, was: When did [you] consider such ground action might become NATO instead of Tripartite?«445 In der entsprechenden Studie446 wird die Abhängigkeit der Operationen von Live Oak von der Unterstützung durch die NATO an vielen Stellen deutlich, insbesondere in Bezug auf die Atomwaffen und ihre Trägermittel.447 Als wesentlich erwies sich, dass vor Durchführung irgendeiner militärischen Aktion jenseits der »initial probe of Soviet intentions« eine Anzahl von militärischen Maßnahmen auf der Grundlage des Alarmierungssystems des SACEUR ergriffen werden konnte.448 Im Klartext hieß dies: Für den Fall, dass die »anfänglichen Probes« den Beweis erbrachten, dass die Gegenseite entschlossen war, den Zugang notfalls mit Gewalt zu versagen, würde Live Oak allein die Krise nicht mehr bewältigen können. In diesem Falle würde es nur mit der NATO gehen, selbst dann, wenn sie noch nicht wirklich und unmittelbar betroffen war. Welche Folgerungen lassen sich nun aus den Ergebnissen dieser Studie ziehen? Eine lokale krisenhafte Entwicklung auf den Zugangswegen nach Berlin konnte rasch zu einer allgemeinen politischen Krise in Europa und darüber hinaus führen, welche auch die nukleare Dimension mit einschloss. Diese ernsten Gefahren machten die Suche nach weniger gefährlichen Alternativen dringend erforderlich, also die Entwicklung von Gegenmaßnahmen in Bereichen, die die Sowjetunion beeindrucken konnten, aber weniger eskalatorisch wirkten. In der zitierten Studie wurde das zwar alles erstmals angesprochen, aber nicht wirklich in letzter Konsequenz durchdacht und auch nicht gelöst. Das Bewusstsein für diese Problematik jedoch wurde zweifellos geschärft, wie aus einzelnen Reaktionen, vor allem von britischer und französischer Seite, hervorgeht.449 Die britische Antwort war besonders kritisch: »a) Any action taken should be on a NATO basis not tripartite. b) Even on a NATO basis such measures should only be taken when those nations have had time to prepare for global war.«450 Die Franzosen hielten sogar die Aufstellung einer eigenen, zusätzlichen Organisation für notwendig, um die Vielzahl vorgeschlagener Gegenmaßnahmen zu planen und zu koordinieren.451 Die deutsche Regierung wurde offiziell nur sehr allgemein über die großen Linien der operativen Überlegungen informiert, wusste also wenig Konkretes. Entsprechend groß aber waren ihre Befürchtungen.452 BArch, BW 71/116, Nr. 3: Zit. aus Para. 4 des Berichtes des COS in SHLO 525/28, 11.8.1959, LO-TS-59-1033. 446 Die More Elaborate Military Measures in der nach der scharfen Kritik General Norstads überarbeiteten Fassung vom 24.7.1959, BArch, BW  71/132, Nr.  2: ECLO 300/20, LO-TS-59-1021, Para. 7‑12, S. 3‑5. 447 Ebd., S. 3 f., Para. 7 und Para. 10. Weitere Begriffe: »Mobilmachung«, »Verstärkungskräfte«, »Zivile Verteidigung« und »Konsultationen mit der NATO«. 448 Ebd., S. 5, Para. 12. 449 Siehe z.B. die britische Stellungnahme vom 21.9.1959 hierzu, Unterschrift Mountbatten; BArch, BW 71/124, Nr. 5: LO(IN)-TS-59-2020, Encl. 1. 450 BArch, BW  71/132, Nr.  6: Zusammenfassung der Stellungnahmen durch Live Oak: ECLO 300/137, 26.2.1960, LO-TS-60-17, S. 2, Para. 4.c(2). 451 Ebd., Para.  4.b. Die Minister beschlossen während eines Treffens am 18.5.1960, einen Katalog nicht-militärischer Gegenmaßnahmen entwickeln zu lassen, was auch geschah. 452 Siehe z.B. PA AA, B 130/3.581: FS Bo. Wash. vom 17.7.1959, Nr. 1217, 114-1, Tgb.Nr. 0623/59 str.geh; Aufzeichnung AA für den Bundeskanzler, PA AA, B 130/3.581: StS AA, 700/110/59 II. str. geh. vom 23.7.1959. 445



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Eine wichtige Folge dieser Studie war der Entschluss, eine Reihe ergänzender Untersuchungen einzuleiten. Für die Zusammenarbeit mit der NATO von besonderer Bedeutung war die »Correlation-Study«. Sie hatte zum Ziel, die Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen der verschiedenen Live-Oak-Planungen zu klären. In diesem Zusammenhang hätten auch die Beziehungen zur NATO ihren Platz finden können – und müssen.453 Das geschah allerdings nicht. Zwar wurden die Notwendigkeit der Koordinierung mit der NATO betont und für Live Oak wichtige Maßnahmen der NATO, besonders aus dem Alarmplan, benannt. Es existiert aber keine Übersicht der Maßnahmen, die mit »der NATO« zu koordinieren und bei ihr zu beantragen waren. Auch der Gastnation, der Bundesrepublik, wurden Aufgaben zugeteilt, ohne dass irgendeine Koordinierung erkennbar gewesen wäre. Die sehr allgemeine und unpräzise Art und Weise, wie die Zusammenarbeit mit der NATO und mit Deutschland in die Studie eingearbeitet worden war, lässt vermuten, dass es keine offizielle Abstimmung darüber gegeben hatte. In der Überlieferung ist zu dieser Zeit auch nichts darüber zu finden gewesen. Die Bearbeiter haben möglicherweise versucht, aus eigener Kenntnis zu schöpfen.454 Besonders unbefriedigend sind die Aussagen zum »Einsatz von Gewalt, um den Zugang über die Autobahn wieder zu öffnen«: Hier gibt es keine Erwähnung einer Unterstützung durch die NATO, und die SACEUR’s Alert Measures werden nur aufgelistet, ohne weitere Aussagen zur Koordinierung mit anderen Maßnahmen. Auch andernorts wurde die NATO selten, gar nicht oder nur in allgemeinen oder lapidaren Aussagen erwähnt.455 Der Versuch einer Gesamtschau über die Planungen von Live Oak als Vorstufe eines daraus zu entwickelnden integrierten Gesamtplanes hatte den Anteil des Bündnisses damit praktisch ausgespart. Die Ursache war wohl das Ansinnen, die Drei-Mächte-Planung von der Bündnisverteidigung strikt getrennt zu halten. Möglicherweise spielte auch das Bestreben, die deutsche Seite einstweilen von Live Oak auszuschließen, eine Rolle. Der Besuch des britischen Chief of Defence, Admiral Louis Mountbatten Earl of Burma, am 4. November 1960 bei SACEUR in Rocquencourt bei Paris bestätigte zunächst die britischen Vorbehalte gegenüber den Planungen zu den Live Oak Operationen zu Lande. Der Admiral meinte, dass es möglicherweise nicht gelinge, die UdSSR von der westlichen Entschlossenheit zum Kampf um Berlin zu überzeugen, sofern nicht die NATO als Ganzes vorbereitende Maßnahmen einleite.456 General Norstad nahm dies als Grundlage für das Argument, dass die Drei Mächte zu passender Zeit die NATO noch umfassender in die Planung für Berlin einbeziehen müssten. In diesem Zusammenhang brachte er auch die Mitwirkung der Deutschen auf die Agenda. Überhaupt würde die volle Einbindung und Unterstützung der NATO offensichtlich die Glaubwürdigkeit der BArch, BW  71/132, Nr.  5: ECLO 600/27: »Correlation of L.O. Studies Relating to Maintaining Access to Berlin«, 18.10.1960, LO-TS-60-14. Die Studie selbst trägt das Datum 1.10.1960; BArch, BW  71/124, Nr.  6: ECLO 300/135, LO-TS-60-12. Die USA hatten zur Vorbereitung eigene Studien verfasst, siehe Thoß, NATO-Strategie, S. 318 f. 454 Das erscheint besonders deutlich in den »Maritimen Gegenmaßnahmen«, hier noch als »Naval Countermeasures« bezeichnet, BArch, BW 71/124, Nr. 6, Anlage B, »Countermeasures«, Para. 8, und unter »Unconventional Warfare«, Para. 10 der Anlage. 455 BArch, BW 71/124, Nr. 6: Para. 4.b, S. 2 des Teils »Discussion«, ECLO 300/136, Annex 2 to LOTS-60-12; und ebd., Para. 5.b, S. 3. 456 BArch, BW 71/124, Nr. 9: LO(IN)-TS-60-2084, Para. 7, S. 3. des Protokolls vom 7.11.1960. 453

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Maßnahmen, die alliierte Entschlossenheit zu Berlin zu beweisen, deutlich erhöhen. Er erläuterte dann, dass er eine »Live Oak SHAPE Advisory Group«457 eingerichtet und mit General Dr. Hans Speidel, dem COMLANDCENT, über die Einbindung der NATO in die Berlin-Planungen gesprochen habe. Besuchergruppen sprächen ihn immer wieder auf diese Planungen an, und auch die Presse wisse sehr allgemein, was bei Live Oak gemacht werde. Auf die Frage des Admirals, ob er vorhabe, die WAG mit der Frage der Einbindung der NATO in die Berlin-Planung zu befassen, antwortete Norstad, dass er das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ins Auge gefasst habe. Er würde aber gerne die britische Haltung zu einer solchen Empfehlung wissen. Hierauf blieb Mountbatten anscheinend die Antwort schuldig.458 Es gab also deutliche Hinweise, dass die britische Regierung zu dieser Zeit mit einer engeren Befassung der NATO mit den Operationsplänen der Drei Mächte im Rahmen von Live Oak nicht einverstanden war, obwohl ihr klar sein musste, dass in der Krise der Rückhalt durch die NATO dringend gebraucht würde, was sie im Übrigen selbst bisher als Voraussetzung immer wieder gefordert hatte.459 Die nationalen Stellungnahmen, die um den Jahreswechsel 1960/61 eingingen, brachten mehr Klarheit. Die französische und die britische Antwort stützten Norstads Vorschlag nicht.460 Ihre Argumente waren: Wenn die Drei Mächte ihre Planungen der NATO öffneten, erhöhe sich auch die Gefahr, dass die Russen Kenntnis erhielten. Der Hauptgrund dafür, die NATO jetzt noch nicht ins Bild zu setzen, sei der Wunsch, den gesamten Komplex zuerst mit der neuen amerikanischen Administration (Kennedy) zu besprechen. Die Briten und Franzosen bemühten sich nach Kräften, eine allzu schnelle Einbeziehung etwa der Deutschen oder gar noch anderer zu verhindern. Dahinter stand das Bestreben, sich zusammen mit den Amerikanern solange wie möglich als exklusiver Führungszirkel zu halten. Entsprechendes fand in der militärischen Führungshierarchie des Bündnisses statt. Deren oberstes Exekutivgremium, die Standing Group, wurde bis 1963 nur von den Drei Mächten beschickt und insbesondere von den Franzosen lange Zeit und hartnäckig gegen wachsende Ansprüche gerade auch aus Bonn verteidigt. Sie wurde erst im Juli 1966 aufgelöst.461 Für Live Oak bedeutete das im aktuellen Zusammenhang: Die Drei Mächte sollten erst die Gespräche mit der neuen amerikanischen Administration abwarten, was einige Zeit dauern würde. Dann wären die Minister in einer besseren Lage, über diese Frage zu befinden. Die Entscheidung, die Deutschen mit ins Boot »Live Oak« zu nehmen, wurde ebenfalls vertagt.462

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Ebd. Das war der erste Hinweis auf diese Gruppe. Ebd., Para. 8, S. 4. Ebd., Para. 7, S. 3. BArch, BW 71/117, Nr. 28: No. 11277/EMGDN/POM/E/S, LO(IN)-TS-61-2001, 29.12.1960; bzw. BArch, BW 71/132, Nr. 31: LO(IN)-TS-61-2002, 2.1.1961. 461 Zur Geschichte der Standing Group siehe Gregory W. Pedlow, The Evolution of NATO’s Command Structure, Manuskript vom Verf. erhalten 2012, S. 3 f. und Table 2. Vgl. auch NIS, NATOTatsachen und Dokumente, S. 249‑251. 462 Siehe das Aide-Memoire der Drei Mächte vom 20.12.1960 und die Stellungnahme der Botschaft Washington dazu, PA AA 130/3.586: Bo. Wash. Nr. 2558, 114-1, Tgb.Nr. 89/60 str.geh. 457 458



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Im Frühjahr 1961 fasste die neue amerikanische Regierung Tritt. Das Scheitern des ersten Treffens von Kennedy und Chruščev Anfang Juni 1961 in Wien463 und die sich dann wieder rasch verschärfende Berlin-Krise brachten die Drei Mächte dazu, jetzt den festen Schulterschluss mit dem Bündnis zu suchen. Die Bundesrepublik Deutschland wurde nun auch in die Arbeit von Live Oak als aktiver Partner einbezogen. In der Sitzung des NATO-Rates am 7.  Juni 1961 präsentierte der amerikanische Botschafter eine Erklärung auch im Namen der Franzosen und Briten.464 In dieser stellten die Drei Mächte die Beziehungen zwischen NATO und der Berlin-Frage her. Es war klar, dass die Allianz und ihre Mitglieder von allen Problemen um Berlin tangiert sein würden und daher auch konsultiert werden mussten. Gleichzeitig wurden die Grundsätze der Planungen der Drei Mächte und der aktuelle Stand der Vorbereitungen auf eine Berlin-Krise in allgemeiner Form vorgestellt und die neuen Herausforderungen genannt, welche nun auch die Unterstützung durch das Bündnis verlangten: die neue Qualität der Bedrohung, die sich auch gegen die Beziehungen Berlins zur Bundesrepublik richtete, und die jüngsten Drohungen und Aufrüstungsmaßnahmen Chruščevs. Multinationale Planungen, insbesondere nicht-militärische Krisenmaßnahmen, wurden nötig, weil die Drei Mächte dringend der Unterstützung der NATO bedurften.465 Daher müsse das Bündnis jetzt mit Beratungen darüber auf der höchsten politischen Ebene beginnen, um eine Einigung über die Politik zu erzielen, die verfolgt werden sollte, und der in der Krise dann möglichst rasch, ohne erneute, langwierige Debatten, gefolgt werden könne. Darüber wollten die Drei Mächte und die Bundesrepublik bald in Diskussionen mit den anderen Alliierten eintreten.466 Diese Sitzung legte den Grundstein für die nun beginnende, engere Zusammenarbeit der Drei, dann Vier Mächte mit dem Bündnis. Als Chruščev den Druck um Berlin weiter erhöhte und sich die Anzeichen verdichteten, dass im Ostblock etwas vor sich ging, das auch alsbald für den Westen bedeutsam werde,467 reagierte Kennedy am 25.  Juli in einer Rundfunk- und Fernsehansprache468 »mit größter Schärfe« auf die Drohungen und Vorwürfe Chruščevs: Er betonte, dass es nicht nur um die Stadt gehe, sondern »ihre Freiheit [...] vielmehr der Angelpunkt des westlichen Bündnisses« sei.469 Aus diesem Grund seien die Amerikaner willens, jedes Risiko einzugehen, um West-Berlin zu halten. Er nannte drei wesentliche Punkte, die Das 2. Ultimatum mit dem sowjetischen Aide-Memoire vom 4.6.1961: Siehe hierzu Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 6/2, S. 817‑820, deutsch S. 820‑823, das Ultimatum selbst auf S. 822 unter den Punkten 6 und 7. Siehe auch die Schilderung bei Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 148‑156. 464 Siehe »Berlin Contingency Planning«, Statement to NAC by the U.S.A. Rep. on Behalf of the French, U.K. and U.S. Delegations, 7.6.1961; siehe »Military Planning for Berlin Emergency«, vol. 1961-1, Section 01, Nr. 1. 465 Siehe »Military Planning for Berlin Emergency«, vol. 1961-1, Section 01, Nr. 1, S. 3, Para. 6 f. 466 Ebd., S. 5, Para. 12 f. 467 Vgl. Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 57‑65; und Thoß, NATOStrategie, S. 318‑329. Über die vermuteten oder tatsächlichen sowjetischen Motive und Absichten siehe Adomeit, Die Sowjetmacht; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  129‑183; und Uhl, Krieg um Berlin?, S. 152 f. 468 Deutsche Übers. in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 6/2, S. 1348‑1356; engl. Original auszugsweise in Documents on Germany, S. 762‑765. 469 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 173. 463

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später als »three essentials« bekannt wurden470 und über die nicht verhandelt werden könne, nämlich die Präsenz der Westmächte in Berlin, der uneingeschränkte Zugang zur Stadt sowie die Sicherheit und Lebensfähigkeit West-Berlins. Er unterstrich den Ernst der Lage durch die Ankündigung von zusätzlichen Rüstungsmaßnahmen und eine Verstärkung der Streitkräfte.471 Interessant war, dass der US-Präsident die Garantien der »essentials« eindeutig auf die Teilstadt West-Berlin begrenzte. Er ging damit »hinter die bisher vom Westen bezogene Position zurück, dass sich die alliierten Rechte auf ganz Berlin bezögen«,472 stärkte aber die Zusage der Sicherung der Teilstadt durch das Statement, deren Sicherheit sogar unter Einsatz von Atomwaffen zu verteidigen.473 Während die politische Lage von Woche zu Woche düsterer wurde, erwies sich die militärische als weniger klar. Die Indikatoren zeigten stark erhöhte militärische Aktivitäten im Warschauer Pakt, auch um Berlin herum, schienen aber noch nicht auf eine unmittelbare Gefahr hinzuweisen.474 Dennoch waren in der NATO, besonders bei den Amerikanern nach der Konfrontation ihres Präsidenten mit dem sowjetischen Führer, alle verfügbaren Sensoren aktiviert: Was tat sich in den Führungsetagen jenseits der Paktund Zonengrenzen? Waren Vorbereitungen für Mobilmachung, für Aufmarsch und militärische Operationen erkennbar? Gab es unklare Indikationen? Am 21./22. Juli 1961 tagte die WAG erstmals als Vier-Mächte-Gruppe,475 also mit deutscher Beteiligung.476 Außenminister Rusk betonte in der Einleitung, die weltpolitische Lage sei seit 1945 noch nie so ernst gewesen wie heute. Die Wahrscheinlichkeit, ob Frieden bleibe oder es zu einem Krieg kommen werde, stand, so die Einschätzung, bei 50:50. Diese Auffassung wurde auch in Paris und London geteilt. Man konstatierte, dass die Lage von den Vorgaben der Sowjetunion bestimmt werde, deren Gründe jedoch im Einzelnen nicht bekannt seien.477 Am 26. Juli 1961 gab US-Botschafter Thomas K. Finletter erneut eine Erklärung im North Atlantic Council zu »The Berlin Situation« ab.478 Die Vier Mächte hatten angesichts der aktuellen sowjetischen Drohungen gegen ihre Position in Berlin, der Verbrei-

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Siehe Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 6/2, S. 1349. Ebd., S. 1351. Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 152. Siehe Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 6/2, S. 1351. Durch diese Aussage allerdings wurde v.a. die deutsche Bundesregierung in höchstem Maße beunruhigt. Diese deuteten auf die Vorbereitungen für den Bau der Mauer und des großen Warschauer-PaktManövers »Burja« vom 28.9. bis 10.10.1961 hin, wie wir heute wissen; siehe Uhl, Storming on to Paris, S. 46 f., 54‑58 und S. 62‑65. Von US-Außenminister Dean Rusk noch als »Ambassadorial Steering Group« bezeichnet. Der deutsche militärische Vertreter in der Military Subgroup hatte mitgeteilt, dass dadurch die Bundesrepublik auch Mitglied der Standing Group der NATO in Washington geworden, also wesentlich aufgewertet worden sei. Sie habe dadurch erheblich an Einfluss gewonnen. Siehe Steinhoff/ Pommerin, Strategiewechsel, S. 86. Das trifft jedoch so nicht zu, denn erst 1964 wurde ein deutscher General, Ernst Ferber, als Direktor offiziell Teil dieser wichtigen Gruppe. Die Aufnahme in Live Oak hatte das wohl vorbereitet. Vgl. PA AA, B 130/3.586: Bericht der Bo. Wash. vom 25.7.1961, Abt. 7-86.00/1-64/61 str.geh. Text nur im Bericht der deutschen NATO-Vertretung, PA AA, B 130/3.585: NATO-Germa vom 26.7.1961, 20-06-3-41/61 str.geh.



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tung von Massenvernichtungswaffen und der gegenwärtigen weltstrategischen Situation weitere Maßnahmen ergriffen.479 Einige Tage später beantragte General Norstad bei den CHODs die Verlegung von Live Oak von St. Germain in das Stabsquartier von SHAPE in Rocquencourt.480 Dieser Schritt zeigte erneut deutlich, wie sehr die Entstehung von Live Oak aus dem bestehenden organisatorischen Apparat des Westens mit der aktuellen Bedrohungslage der zweiten Berlin-Krise zusammenhing. Live Oak war ein genuines Produkt einer aktuellen Krise, gleichzeitig ein sinnfälliges Beispiel pragmatischen Denkens westlicher Art. Die Zustimmungen der Nationen liefen bis zum 10. August ein.481 Aus diesen Aktivitäten der Vier Mächte geht unmissverständlich hervor, dass sich alle zwar über den Ernst der Lage klar waren, aber über das Ausmaß und die Richtung der wirklichen Bedrohung wenig wussten.482 Die sowjetischen Memoranden zu Deutschland an die Westmächte vom 3. August 1961 taten das Ihre.483 Die Außenminister der Vier Mächte berieten die Lage am 5./6. August in Paris. In ihrem Bericht empfahl die »VierMächte-Arbeitsgruppe zu Berlin«, die im Auswärtigen Amt unter der Bezeichnung »Arbeitsgruppe Berlin« firmierte, den entsprechenden Ministern unter anderem, die WAG in Washington aufzufordern, dringend die notwendigen Mittel für die Planung und Durchführung militärischer Maßnahmen »jenseits von Live Oak« zu untersuchen und begründete Forderungen zu formulieren.484 Norstad sollte gebeten werden, seinerseits Empfehlungen vorzulegen. Die Minister sollten schließlich prüfen, ob neue Weisungen an General Norstad für Live Oak und an andere militärische Führer, hier wurde wohl an die NATO gedacht, notwendig seien. Am 7. August verschärfte Chruščev erneut den Ton, indem er in einer über Rundfunk und Fernsehen verbreiteten Rede weitere Maßnahmen zur Verstärkung der sowjetischen Streitkräfte ankündigte.485 In der Sitzung des NAC am 8. August legten die Amerikaner eine Beurteilung dazu vor.486 Danach sah Chruščev die Gelegenheit als günstig an, die seit Jahren verfolgten Ziele in Bezug auf Berlin zu erreichen. Zwei Gründe spielten möglicherweise eine Rolle für diese Entscheidung: erstens innerer Druck durch das sozialistische Lager, das Erfolge sehen wollte. Zweitens brauchte er selbst einen deutlichen Erfolg für den bevorstehenden XXII. Parteikongress Ende Oktober 1961. Zu den Nahzielen in Zit. BArch, BW 71/124, Nr. 34, S. 2, 1. Abs. der »Draft Instructions to the Military Authorities«, 3.8.1961. Beispiele: Verstärkung des Live Oak-Stabes, dessen Umgliederung in einen operativen Stab, verstärkte Aufklärung usw. 480 BArch, BW 71/132, Nr. 30: ECLO 600/112, 4.8.1961, Abs. 1 und 2, S. 1. Norstad begründete das mit der Notwendigkeit, die Zusammenarbeit in der Krise zu verbessern und ihm die Dienstaufsicht zu erleichtern. 481 BArch, BW 71/43, Nr. 55: »After Action Report for Live Oak«, Entwurf vom 1.3.1960, mit Ergänzungen bis 25.10.1961, lfd. Nr. 114, S. 29. 482 BArch, BW 71/117, Nr. 17: Para. 1, S. 1, Annex to Memo for Gen. Norstad, »Military Counter Measures Plannung in the ACE Area«, ECLO 525/46, 11.8.1961. 483 Siehe z.B. Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 6/2, 1961, S. 1490‑1499. 484 Siehe den Bericht der Vertretung NATO Paris Nr.  893 114-1, Tgb.Nr.  123/64 str.geh. vom 6.8.1961, PA AA, B 130/3.585, Zit. ebd. 485 Siehe Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd 6/2, S. 1516‑1527. 486 Siehe Military Planning for Berlin Emergency, vol.  1961-1, Section  01, Nr.  02: Soviet Motives and Intentions, Anlage zu Military Build-Up, 8.8.1961, im Folgenden Para. I.b.1, I.b.2, I.c und Para 2.a, S. 1 f.; auch in PA AA, B 130/3.585. 479

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Bezug auf die DDR und Berlin, die die Amerikaner durchaus richtig erkannten, kamen noch allgemeine Ziele hinzu: Der Kreml versuchte augenscheinlich, dem Westen eine Niederlage zu bereiten, die Entwicklung des Kräftevergleichs zugunsten der Sowjetunion sichtbar zu machen und die Trennung der Bundesrepublik von der NATO und die Neutralisierung beider deutscher Staaten vorzubereiten. Dieses Mal glaube er offensichtlich, so die Amerikaner, die geeigneten Machtmittel in der Hand zu haben, um seine Erpressungsversuche auf die Spitze zu treiben und dadurch einen Erfolg mittels Verhandlungen oder eine Krise oder beides zusammen zu erzielen. Trotz der Einschüchterungsversuche war es äußerst unwahrscheinlich, dass Chruščev die Krise bis zum Kriege treiben würde. Diese Lagebeurteilung bildete die Grundlage für die weiteren Beratungen und für die Entscheidungen der Vier Mächte und der NATO in den kommenden Wochen und Monaten. Das Gefühl der Unsicherheit über die zu erwartende Entwicklung ist auch aus einem Memorandum des neuen COS Live Oak, Generalmajor Geoffrey Baker, für General Norstad zu erkennen,487 in dem er die enge Verzahnung der Planungen von Live Oak und der NATO einforderte. Dazu hatte es bis dato keinerlei Vorkehrungen gegeben, sodass die Situation »must lead inevitably to NATO dancing to the Soviet military band«.488 Baker schloss mit der Empfehlung, dass die NATO-Hauptquartiere bald mit energischen Schritten beginnen sollten, was der Zustimmung des NAC bedürfe und eine Änderung der Weisung an SACEUR nach sich ziehen könne.489 Norstad folgte den Empfehlungen, gab aber zunächst Auftrag an Live Oak, einen Entwurf für seine Weisung als SACEUR an seinen Stab SHAPE zu erarbeiten.490 Jetzt kam SHAPE selbst in die Pflicht. Die Arbeit wurde zusätzlich befeuert durch den Beginn der Abriegelungsmaßnahmen der DDR ab dem 13. August 1961 in Berlin.491 Obwohl es bald klar wurde, dass sich diese Maßnahmen zunächst nicht gegen die Drei Mächte und gegen die Zugangswege der Alliierten und der Westdeutschen richteten, sondern gegen die eigene Bevölkerung,492 wurden die Planungsarbeiten bei Live Oak und SHAPE intensiviert. In Reaktion auf Norstads Berichte und Anträge vom Vortag493 gab das Office of the Secretary of Defence (OSD) eine vorläufige Antwort auf dessen Fragen und Forderungen für eine engere Koordinierung: Der Verfasser der Antwort, Paul Nitze, zu dieser Zeit Vorsitzender der Military Subgroup der WAG, teilte Norstad zunächst mit, dass die WAG ihre Militärische Untergruppe damit beauftragt habe, die Eventualfallplanung für BArch, BW 71/117, Nr. 17: Subj.: »Military Countermeasures Planning in the ACE Area«, ECLO 525/46, LO-TS-61-152 bzw. 153, 11.8.1961; für die Anlage gilt die Signatur Nr. 18. 488 So in BArch, BW 71/117, Nr. 18: Para. 12. 489 Alles nach ebd., Para. 14. 490 Der handschriftliche Auftrag Norstads auf S. 4 des Papiers lautet: »I direct that Live Oak prepare a draft of a directive which I as Saceur would give to Shape staff as a basis for countermeasures planning by that staff«. 491 Zum Beispiel durch den Bericht des USPOLAD in Berlin, BArch, BW 71/44, Nr. 47: Subj.: »Summary developments from early morning (13 august) to midafternoon«, No. 108, 13.8., 10 p.m.-C. 492 Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S.  157, zur Reaktion des Westens v.a. S.  191  f. Der Text der gemeinsam formulierten Protestnote der Drei Mächte vom 15.8.1961 an die Sowjetunion findet sich in BArch, BW 71/44, Nr. 48: Msg Nr. 884, Washington, 16.8.1961. 493 USCINCEUR Nr. ALO 697, 17.8.1961, nicht in BW 71, aber als Bezug in der Antwort. 487



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Berlin im Auftrag der Minister zu bearbeiten. In der Sitzung des Komitees am 17. August seien zwei Themen diskutiert worden: die Übergabe der Führung von Live Oak an die NATO bei Zuspitzung der militärischen Lage im Ernstfall und die Besondere Direktive für die Live-Oak-Planungen.494 Den Beteiligten sei deutlich geworden, dass die Alliierten detailliertere Informationen benötigten über die Art und Weise des Führungswechsels,495 die Organisation der Planung und der Operationsführung bei Live Oak und über Norstads Überlegungen zu der Frage, welcher Art von Weisung es bedürfe. In der Diskussion der Military Subgroup der WAG hatte die Frage, ob es eine Änderung in der grundlegenden NATO-Strategie geben werde, eine wichtige Rolle gespielt. Nitze hatte dargelegt, dass es sich hier um eine Eventualfalloperation handle, die (zunächst) als getrenntes und im Wesentlichen unterschiedliches Problem zu betrachten sei. Es bestünden offensichtliche Beziehungen zwischen der NATO-Strategie und der Eventualfallplanung für Berlin. Dennoch sei die gültige NATO-Strategie auf die Aufgabe zugeschnitten, Westeuropa gegen einen sowjetischen Großangriff zu verteidigen, während die Eventualfallplanung für Berlin die militärische Initiative für den Westen in einer Lage gewinnen wollte, in der Zugangsrechte verletzt worden waren. Der Kernaspekt war, dass militärische Mittel eingesetzt werden sollten, um politische Ziele zu erreichen. In der Zusammenfassung der Sitzung hatte Nitze festgestellt, dass über das weitere Vorgehen Einigkeit geherrscht habe: Norstad müsse weiterhin präzise Weisungen für die Planung bekommen. Diese Planungen sollten mögliche Alternativen zu Lande, in der Luft und zur See einschließen.496 Die Gruppe lud außerdem Norstad ein, seine eigenen Überlegungen als CLO beizu­ steuern. Der gerade eingetroffene erste deutsche Verbindungsoffizier zu Live Oak, Oberst  i.G. Wilhelm F.H. Thomas, hat zum Verhältnis Live Oak und NATO fest­ge­ halten,497 »dass die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit [...] erkannt und auch in Dokumenten als Voraussetzung festgelegt ist.« Und er fährt fort: »Wenn auch die bisherigen Planungen – völkerrechtlich gesehen – auf die Drei Mächte beschränkt bleiben mussten, ist jedoch die evtl. Durchführung der vorbereiteten Pläne ganz eindeutig auf die NATO abgestellt.«498 Als weitere Anzeichen dafür nannte er die Einweisung ausgewählter Befehlshaber des Bündnisses und die für September vorgesehene Verlegung von Live Oak in den Bereich von SHAPE. Etwa gleichzeitig sandte Norstad seine Stellungnahmen und Vorschläge an Nitze für die Militärische Untergruppe der WAG:499 Für den Wechsel der Führung von Live Oak zur NATO in der Krise sehe er kein größeres Problem. Wenn möglich sollte es aber geschehen, bevor die erste »Probe« eingesetzt werde. Sollte zu diesem Zeitpunkt mit den NATO-Nationen darüber noch keine Einigkeit erzielt worden sein, könne er die Vgl. BArch, BW  71/124, Nr.  22: OSD Wash. D.C., Nr.  DEF 901272, 18.8.1961, IN  8804, Abs. 1, S. 1. Die entsprechenden Dokumente waren am 5./6.8. in Paris an die vier Minister übergeben worden. 495 BArch, BW 71/124, Nr. 22: Abs. 2, S. 1. 496 Der Einschluss der See ist hier besonders wichtig; siehe die weitere Behandlung dieser Dimension. 497 BArch, BW 71/16, Nr. 91: NMR/LO, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 69/61 geh. vom 18.8.1961. 498 Ebd., Ziff. 3.b. Hervorhebungen im Original. 499 Sie sind – ohne Datum und nähere Bezeichnung – erhalten in BArch, BW 71/16, Nr. 92: Anlage zum NMR/LO-Bericht Nr. 3 vom 19.8.1961, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 74/61 geh. 494

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begrenzten Live-Oak-Operationen, wie etwa die Autobahn-Probe, mit Hilfe der vorhandenen, wenn auch beschränkten Führungskapazitäten des Stabes Live Oak führen. Schließlich erleichtere das Personal von Live Oak die Übernahme der Führung durch die NATO, in dem es zum Zeitpunkt des Wechsels die betreffenden Abteilungen von SHAPE verstärken könne. Von der WAG erwarte er Direktiven zu der Frage, ob er fest damit rechnen könne, dass die NATO bereit sein werde, die Führung vor dem Einsatz der ersten »Probe« zu übernehmen – oder ob diese Frage bis zu einer Verschärfung über einen gewissen Punkt hinaus zunächst unentschieden bleiben müsse und er zunächst die anfänglichen Operationen selbst über Live Oak und die Befehlswege der Drei Mächte zu führen habe. In diesen Tagen herrschte vor allem in Berlin und Bonn Verwirrung, Ratlosigkeit und Verärgerung über die offensichtliche Tatenlosigkeit der Drei Mächte und besonders über die US-Politik, welche die drastischen Maßnahmen des Ostens in Berlin gleichgültig hinzunehmen schien. Angesichts des mangelnden Willens des US-Präsidenten, den Provokationen des Ostblocks entgegenzutreten, drohte ein massiver Vertrauensverlust gerade im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland. Kennedy erkannte, dass hier rasch und entschieden gehandelt werden musste, um das Ansehen der wesentlichsten Schutzmacht nicht zu verspielen: Dem Protest der Stadtkommandanten folgte die Protestnote der Regierungen. US-Vizepräsident Johnson wurde als Sonderbotschafter nach Berlin geschickt. Ein Konvoi mit Kampftruppen wurde nach Berlin in Marsch gesetzt, ohne auf dem Wege behindert zu werden. Schließlich ernannte Kennedy den »Helden der Blockade« von 1948/49, General Lucius D. Clay, zu seinem persönlichen Vertreter in der Stadt. Damit war die Vertrauenskrise überwunden.500 Noch am 19.  August sandte General Norstad einen Brief an die vier Chiefs of Defense,501 in dem er sie über seine Vorstellungen und Vorschläge für eine Weisung der WAG an ihn unterrichtete.502 Dieses Schlüsseldokument enthält zunächst eine knappe, aber präzise Schilderung der Lage und anschließend die grundlegenden Überlegungen Norstads zur Fortentwicklung der Planungen.503 Der Brief beginnt mit der Absicht der Drei Mächte: Die Regierungen der Drei bzw. Vier Mächte seien der Auffassung, dass die Alliierten mit der weitestmöglichen Bandbreite realistischer militärischer Maßnahmen ausgestattet werden sollten, um aggressiven kommunistischen Akten entgegenwirken zu können. Wesentlich sei hierbei die Verzahnung aller Beteiligten einschließlich der NATO-Staaten, die bisher nicht direkt in Live Oak involviert waren. Die Vier Mächte hätten bereits zugestimmt, ihre militärischen Fähigkeiten einzeln und gemeinsam zu stärken. Andere NATO-Staaten seien aufgefordert worden, dasselbe zu leisten.504 Ein wichtiges Ziel der alliierten Politik sei es, die Vgl. die detaillierten Schilderungen in Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 185‑192; und in Rott, Die Insel, S. 151‑181. 501 Es war dies das erste Mal, dass der Generalinspekteur der Bundeswehr mit einbezogen wurde: BArch, BW 71/132, Nr. 22: ECLO 600/114, 19.8.1961, LO-TS-61-165. 502 Die WAG hatte diese ja am 17.8. von ihm erbeten, siehe oben. 503 Hier und im Folgenden BArch, BW 71/132, Nr. 22. Das Dokument, obwohl ›Draft‹, ist hier wesentlich, denn was daraus wurde, entschied nicht Norstad, sondern die WAG. 504 Mit dem schon genannten »Plan of Action«, Meldungen dazu unter dem Stichwort der NATO »Military Build-Up« in Military Planning for Berlin Emergency. 500



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volle Freiheit der westlichen Bevölkerung einschließlich jener von West-Berlin durch Maßnahmen möglichst unterhalb der Schwelle zum Krieg zu sichern. Es erscheine in der augenblicklichen Lage unmöglich, dass politische, wirtschaftliche oder psychologische Handlungen der Alliierten den Kreml davon abhalten würden, einen Friedensvertrag mit der DDR zu unterzeichnen. Da die jüngsten Entwicklungen und ein solcher Vertrag die alliierte Stellung in Berlin zu gefährden drohten, müssten die militärischen Planungen überprüft und gegebenenfalls im Licht dieser Möglichkeit verändert werden. Auch wenn Norstad die Lage hier pessimistischer sah, als sie sich dann entwickelte, waren seine Schlussfolgerungen richtig. Als »Current Planning« führte er alle fünf bis zu diesem Zeitpunkt einigermaßen abgeschlossenen Operationspläne von Live Oak auf, die auf Stand gehalten und in Kraft bleiben müssten, nämlich: – die Autobahn-Probes »Free Style« von Helmstedt nach Berlin, – die Pläne für das verstärkte Bataillon »Trade Wind« und die Divisionsgruppe »June Ball«, – die verschiedenen Lufttransportoperationen, »Jackpine I« und »Qbal«, – die Nutzung taktischer Luftstreitkräfte zur Unterstützung der Lufttransportoperationen, »Jackpine II«, – der Operationsplan des ASB zur Verteidigung Berlins, und schließlich – die Vereinbarungen für die Vorbereitung und Führung aller dieser Operationen. Ferner fasste Norstad die strategischen Optionen und Prioritäten für das alliierte Vorgehen in der Krise zusammen. Wenn starke Antworten der Alliierten auf aggressive Handlungen der Kommunisten, wie z.B. die Unterbindung des alliierten Zugangs nach Berlin mit Einsatz von Gewalt, notwendig würden, dann könnten die folgenden Maßnahmen einzeln oder gemeinsam ergriffen werden, wie es die jeweiligen Umstände diktierten: Die rasche Ausweitung schon laufender Vorbereitungen, etwa von Marschbewegungen, um die Entschlossenheit zu demonstrieren, auf den Einsatz militärischer Macht zurückzugreifen und höchste Einsatzbereitschaft für den General War zu erreichen. Dies könnte unterstützt werden durch die Anwendung ausgewählter nicht-militärischer Druckmaßnahmen, beispielsweise die Androhung wirtschaftlicher Sanktionen. Ferner kam die Anwendung militärischer Gegenmaßnahmen weltweit in Betracht, welche nicht den Einsatz bewaffneter Macht verlangten oder die nur begrenzten Machteinsatz forderten oder in Regionen abliefen, in denen die Gefahr der Eskalation zum großen Konflikt mit der Sowjetunion gering gehalten werden konnte, möglicherweise in der Dritten Welt oder in internationalen Gewässern. Der Einsatz von Atomwaffen begrenzter Sprengkraft sollte erst spät und dann unabhängig und selektiv in einer Krise überlegt werden, um sowjetische Zweifel am alliierten Willen endgültig zu zerstreuen, diese auch einzusetzen, wenn die konventionellen Kräfte unzureichend sein sollten. Der Konflikt sollte aber, soweit möglich, lokal gehalten werden. Begrenzte Angriffsoperationen und der Einsatz nuklearer Waffen mussten stets möglich sein. Sie würden gegebenenfalls in einer geeigneten Abstufung und Art geführt, um die Sowjetunion davon zu überzeugen, dass die Alliierten entschlossen und konsequent blieben. Da alle diese hier ins Auge gefassten Operationen schnell zu einem umfassenden Engagement führen konnten, mussten sie mit den alliierten Operationsplänen für den General War vereinbar sein und die westliche Fähigkeit, diesen zu führen, möglichst verbessern. Je-

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doch hatte selbst in dieser Phase die Bereitschaft der Alliierten, zu verhandeln und den Konflikt zu begrenzen, im Vordergrund aller Anstrengungen zu stehen. Diese Verknüpfung von globalem Kalten Krieg mit Krisenmanagement auf unterstem Eskalationsniveau stellte eine Wegmarke auf dem Weg von der Massive Retaliation zur Flexible Response dar. Als entscheidend bezeichnete es Norstad in diesem Zusammenhang, dass vor allem er selbst zwei Aufgaben gleichzeitig und parallel erfülle: Einerseits sollten die Operationspläne für die Offenhaltung der Zugangswege nach Berlin so ausgeweitet werden, dass sie Rückschlüsse erlaubten, inwieweit die Sowjetunion und die DDR entschlossen waren, Gewalt einzusetzen, um den alliierten Zugang zu blockieren; andererseits sollten sie erkennen lassen, inwieweit die Kerntruppen der Roten Armee in der DDR hierfür eingesetzt werden sollten. Für den Bereich ACE seien vom Westen zusätzlich entsprechend begrenzte, offensive Operationen zu planen, um die genannten Aufgaben auch erfüllen zu können. Hier machte Norstad also deutlich, wo er die Schnittstelle von Live Oak und NATO sah: Wenn die genannten Fragen durch LiveOak-Operationen eindeutig geklärt seien und die Gegenseite den Zugang nicht freigebe, dann musste das Bündnis übernehmen und den Zugang auf einer höheren Stufe der Drohung und Entschlossenheit wieder freimachen. In diesem Rahmen definierte Norstad die entscheidenden Ziele der westlichen Abschreckung und machte Live Oak damit zu einem wesentlichen Kristallisationspunkt der NATO-Strategie und des westlichen strategischen Denkens überhaupt. Danach mussten folgende Faktoren in der Vorbereitung der Pläne berücksichtigt werden: In Reaktion auf eine räumlich eng begrenzte aggressive Handlung, wie die Verweigerung des Zugangs nach Berlin mit militärischen Mitteln, musste es ein Hauptziel der Anwendung von Gewalt sein, nachhaltigen militärischen Druck auf die Gegenseite auszuüben. Dadurch sollte unmissverständlich klar gemacht werden, dass eine Ausweitung dieser militärischen Aktivitäten gegen die Alliierten schnell zum General War führen werde. Die größte Chance, die sowjetischen Führer in einer Krise ernsthaft an den Verhandlungstisch zu bringen, war dann zu erwarten, wenn sie entscheiden mussten, ob sie ihre eigenen Streitkräfte einsetzen sollten, entweder um ihre Blockade aufrechtzuerhalten oder um militärische Gegenmaßnahmen der Alliierten zu überwinden. Alles hing davon ab, ob man die Sowjetunion überzeugen konnte, dass der Westen, wenn notwendig, tatsächlich einen General War riskieren und auch keine örtliche Niederlage akzeptieren würde. Es blieb eine Gratwanderung: Man musste gegebenenfalls mit Atomwaffen drohen und gleichzeitig danach trachten und auch signalisieren, dass man keine Eskalation wünsche, aber auch keinerlei Terrain aufgeben werde. »Plans should therefore be available for discriminate use of nuclear firepower under circumstances calculated to make clear our will and ability to cross this psychological threshold without risking an immediate general war response.« Jede militärische Operation trug das Risiko der schnellen Eskalation in sich. Daher hatten die militärischen Pläne zwei Bedingungen zu erfüllen: das Überleben der westlichen Alliierten zu sichern und die Gesamtfähigkeit zur Verteidigung des NATO-Territoriums nicht durch Verzetteln von Kräften zu gefährden.505 Norstad hat dieses Papier kaum allein erstellen können. Es war Teil der Entwicklung, die durch das BArch, BW  71/132, Nr.  22: Letters to the CHODs, ECLO  600/614 vom 19.8.1961, LOTS-61-165, S. 4, Para. 9, Zit. 9.c.

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Gespräch mit Nitze im Verlauf des NATO-Treffens der Minister vom 5. bis 7. August 1961 maßgeblich beeinflusst worden war. Am 20. August marschierte eine amerikanische Kampfgruppe, ein verstärktes Panzer­ grenadierbataillon zur Aufstockung der Garnison, ohne Zwischenfall über die Autobahn nach Berlin.506 Dieses politische Zeichen hatte der Präsident den Berlinern versprochen. Für den Fall der Verweigerung der Durchfahrt waren weitreichende Vorbereitungen getroffen worden.507 Am 23. August behandelte der NAC, wieder »in private session«, also nur unter Beteiligung der Botschafter oder Vertreter unter dem Vorsitz des NATO-Generalsekretärs, erstmals in dieser Krise intensiv das Berlin-Problem. Norstad begründete in seinem Bericht zur gegenwärtigen Krise eindrucksvoll die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von Live Oak und SHAPE.508 Er stellte den Stab Live Oak, seine Aufgaben und die von ihm erarbeiteten Operationsplanungen vor. Es folgte eine Diskussion darüber und über den als Planungsbasis entwickelten »Plan of Action NATO Europe«, den der Generalsekretär vorher hatte verteilen lassen.509 Er war damit dem Vorschlag von USAußenminister Rusk vom 8. August im letzten Treffen der Minister gefolgt, die LiveOak-Eventualfallplanung auf NATO und SHAPE auszudehnen.510 Die Nationen sollten bis zum 4. September darüber berichten, was sie jeweils beitragen könnten.511 Am Tag darauf, am 24.  August, befeuerte die Bundesrepublik mit ihrem bei der WAG vorgelegten »Working Paper on Blockade« die strategische Diskussion unter den Vier Mächten.512 Sie versuchte durch Optionen in entfernteren Weltgegenden die eigenen Reaktionsmöglichkeiten auf eine breitere Basis zu stellen und vor allem die Gefahr des Einsatzes nuklearer Waffen zu verringern. Am 29. August hatten die Vier Mächte ihren Entwurf für die Weisung an Norstad fertiggestellt.513 Das Dokument war eindeutig an den General in seiner Aufgabe als Verantwortlicher für Live Oak gerichtet, wobei allerdings auch strategische Fragen behandelt wurden, die SACEUR und seinen Befehlsbereich ACE betrafen. Norstads Wünsche und Vorschläge hatte man modifiziert.514 Die Weisung trug eindeutig politischen Charakter: »The military actions within the competence of SACEUR, whether within the framework of Live Oak or the larger framework of Allied Command Europe will BArch, BW 71/16, Nr. 93: NMR/LO-Bericht Nr. 6 vom 26.8.1961, Tgb.Nr. 183/61 geh., Bl. 1‑3. Vgl. auch die Schilderung in BArch, BW 71/203, Nr. 1: »Live Oak and the Preservation [...]«, IAW SHLO/O 91/022, 22.2.1991, S. 34‑36. 507 BArch, BW 71/16, Nr. 93: NMR/LO-Bericht Nr. 6, 26.8.1961, Bl. 1 f., Tgb.Nr. 183/61 geh. 508 BArch, BW 71/124, Nr. 24: Msg/SGREP, LOSTAN 3865, 23.8.1961, Para. 3. 509 Zum Aktionsplan der NATO in Europa siehe ebd., Para. 1. in der Msg; der darin genannte Vorgang LOSTAN 3864 ist nicht überliefert. 510 Ebd., Bericht des SGREP an die SGN, 23.8.1961, LOSTAN 3865-CTS-DTG 231719Z. 511 Das Protokoll dieser Sitzung ist im Internet verfügbar: C-R(61)39, 29.8.1961, Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-1, Section 04, Nr. 4. Es behandelt die Sitzung noch ausführlicher als die Quelle SGREP. 512 BArch, BW 71/124, Nr. 14: LO(IN)-TS-61-2085. 513 BArch, BW  71/124, Nr.  13: »Advanced Copy of Instructions to General Norstad«, LO(IN)TS-61-2077, 29.8.1961. Es ist nicht ersichtlich, ob es sich tatsächlich um den Entwurf handelte. Vgl. das inhaltlich identische Dok. in Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-1, Section 07, Nr. 2; es wurde dort eingebracht von der UK-Delegation, datiert mit 1.9.1961. 514 Es existiert kein Begleitschreiben, auch keine Auslegung dazu. 506

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have to be integrated into a general, over-all strategy applicable on a world wide scale and comprising political, diplomatic, economic, psychological, military and paramilitary measures.« Deren selektive Anwendung, überall in der Welt oder nur in Europa, sollte im Ernstfall dazu beitragen, das Berlin-Problem einzuhegen und gleichzeitig die sowjetische Seite immer stärker für die Gefahr eines General War zu sensibilisieren.515 Damit reichte Live Oak deutlich über Berlin hinaus und wurde letztlich mit allen möglichen Krisenregionen, auch globalen, verknüpft. Der klare und unbestreitbar enge Zusammenhang mit der Gesamtstrategie der NATO wurde jetzt deutlich. Jede militärische Handlung würde unter der Gefahr der raschen Eskalation stattfinden und musste darauf abgestellt sein, feindliche Aktionen, die dem Westen zuvorkommen wollten, zu berücksichtigen. Das unmittelbare Ziel bestand darin, die Sowjetunion dazu zu bringen, den Zugang wieder zu öffnen. Deshalb müssten die militärischen Pläne die gültige Strategie der NATO berücksichtigen und mit ihr vereinbar sein.516 Das hieß im Klartext, dass sie das Überleben der Mitglieder des Bündnisses und die Verteidigung Westeuropas nicht gefährden durften. Für die Atomwaffen selbst galt der Grundsatz »The Alliance will stand ready for nuclear action at all times«. Doch nur unter drei Voraussetzungen durften diese Mittel genutzt werden: – bei vorherigem Einsatz durch den Gegner, – bei Notwendigkeit, die Niederlage in einer entscheidenden militärischen Operation zu vermeiden, oder – im Falle einer dezidierten politischen Entscheidung zur ausgewählten Verwendung nuklearer Waffen, um den Willen und die Fähigkeit der Allianz zu deren Nutzung zu demonstrieren.517 Aus der Weisung kann geschlossen werden, dass jede dieser Voraussetzungen für sich zum Einsatz von Atomwaffen führen würde.518 Das entscheidende Defizit war, dass nicht klar zwischen Aufträgen an Live Oak oder an ACE unterschieden wurde. Mit besonderer Dringlichkeit wurden drei Aufgabenbereiche benannt: erweiterte nicht-nukleare Luftoperationen, erweiterte nicht-nukleare Landoperationen und schließlich der selektive Einsatz von Atomwaffen.519 Aus der Art der Operationen und aus den benutzten Begriffen ist zu schließen, dass es sich um NATO-Pläne im Bereich ACE handeln musste, denn sie gingen weit über die Aufgaben und Möglichkeiten von Live Oak hinaus. Das galt auch für eine mögliche weltweite Blockade gegen die Sowjetunion, über die Norstad informiert gehalten werden sollte.

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BArch, BW 71/124, Nr. 13: Bl. 1, Para. 4.a, Zit. ebd. Ebd., Bl. 2, Para. 4.c. Ebd., Bl. 2, Para. 4.d(3), Zit. ebd. Diese Aussage ist nicht eindeutig belegbar, denn eine Stellungnahme dazu oder eine Diskussion gerade darüber ist nicht überliefert. Die Formulierung aber legt den Schluss nahe. Die Rahmenbedingungen scheinen auch dafür zu sprechen. Vgl. Burr, U.S. Policy, S. 27. Siehe auch BArch, BW 71/1, Nr. 2: BQD-31, »Draft Instructions [...]«, LO(IN)-TS-61-2115, o.D., S. 3, Para. 6.d(2), deutlich ein »or« hinter der 2.  Bedingung. Außerdem werden darin unter »Additional Military Plans«, Bl. 3, Para. 7 (im Dokument mit der Nummer 6 bezeichnet), zusätzliche Planungen gefordert. Dieser Passus erfüllte besonders die Bundesrepublik mit Besorgnis. 519 BArch, BW 71/124, Nr. 13: Para. 7.b.(3). 515 516



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Wie nicht weiter verwunderlich, bereitete die Einbringung des Dokuments in den Nordatlantikrat Probleme.520 Generalsekretär Dirk Stikker, neu im Amt und auf die Berlinproblematik nicht vorbereitet, hatte erhebliche Probleme damit, da er als Niederländer wusste, wie wenig Begeisterung die kleineren Partner für diese Planungen an den Tag legten. Es kam zu einem Hin und Her zwischen den Vertretern der Vier Mächte und Stikker um den Charakter des Dokuments. Dabei wurde deutlich, dass Stikker wenig davon erbaut war, dass ihm das Dokument als inoffizielle Planungsgrundlage überhaupt zur Kenntnis gebracht wurde. Es folgte ein delikater Prozess der Einphasung, in der es u.a. um die Abgrenzung der Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Live Oak und NATO ging. Die Vier Mächte waren sich bewusst, dass alle Mitgliedsländer des Bündnisses von den Folgen der militärischen Planungen und den politischen Entscheidungen dazu unmittelbar betroffen waren. Sie hielten daher eine sorgfältige Prüfung der Weisung, der Richtlinien und der militärischen Planungen in der NATO für notwendig.521 In der folgenden »privaten« Sitzung des Nordatlantikrates am 2. September wurde Kritik vom Generalsekretär selbst und von den Botschaftern am Inhalt des vorgelegten Papiers der Vier Mächte, an deren Vorgehen und mündlicher Stellungnahme geübt, auch weil es die Aufgaben von CLO und von SACEUR unzulässigerweise vermische. Für Aufträge an den SACEUR und die anderen Obersten Befehlshaber der Allianz sei jedoch nur der NAC zuständig, nicht aber die WAG. Das bedeutete, dass die Vier Mächte ihre Weisung an den CLO auf die Aufgaben von Live Oak beschränken und folglich neu fassen mussten; der NAC aber würde seine Aufgaben als Herr über die Verteidigung Westeuropas einschließlich Berlins in jeweils eigener Verantwortung klären und wahrnehmen. Diese klare Trennung bildete fortan die Basis allen Tuns und markierte den Beginn einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in diesen Fragen im NATO-Rat.522 Zu dieser Zeit verschärfte sich die Krise um Berlin weiter: In ihrer Note vom 2. September 1961 hatte die Sowjetunion besonders den Luftzugang in Frage gestellt.523 Am 4. September schloss Live Oak seinen Umzug in den Unterbringungsbereich von SHAPE in Rocquencourt ab, wodurch die enge Zusammenarbeit, auch im Operativen, gesichert war. Am 5. September stellte General Norstad den Antrag bei der WAG, geeignete Maßnahmen der Alarmierung und Vorbereitung zur Sicherung des Zugangs durch die Luft nach Berlin zu genehmigen, was auch erfolgte.524 Gleichzeitig legte er der WAG seine

Siehe hierzu das »Stikker Statement«, BQD-13, BArch, BW  71/59, Nr.  2, LO(IN)-S-61-3140, o.D., lt. BQD-16 am 2.9.1961 verfasst; sowie die Antwort darauf: BArch, BW 71/117, Nr. 56: BQD-16, o.D., LO(IN)-TS-61-2113. 521 BArch, BW 71/117, Nr. 56: BQD-16, »Talking Paper for Discussions with Stikker [...]«, LO(IN)TS-61-2113, S. 2, Para. 4.d. 522 Vgl. die Dok. dazu auch in Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-1, Section 7, bes. Nr. 04. 523 Engl. Übersetzung der Note in BArch, BW 71/56, Nr: 13: BQD-11 »Embassy Moscow’s Translation of Soviet Note of September 2 in Reply of Western Notes of August 26« , o.D., siehe v.a. S. 1 f., Para. 3, zu »Air Accesss«. 524 BArch, BW 71/53, Nr. 33: MSG/JCS Nr. 1439-S, L.O.76/1880S, 8.9.1961, ohne Betreff, siehe Para. 1 and 2. 520

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Stellungnahme zu dem Entwurf der Weisung an ihn vom 29. August vor, in der er um eine Klarstellung des Verhältnisses der Drei Mächte zum Bündnis bat.525 Die Behandlung der Eventualfallplanung für Berlin zur Diskussion im NAC wurde jetzt von den Vier Mächten gründlich vorbereitet. Man war sich offensichtlich der Bedeutung dieses Schrittes bewusst. Man wollte die uneingeschränkte Unterstützung aller NATO-Partner erhalten und musste daher überzeugen können. Dazu schickten die Vier Mächte ein aus zwei Diplomaten und einem Offizier bestehendes Team der WAG zur Unterstützung des Generalsekretärs der NATO und der vier Ständigen Vertreter der Vier Mächte im Rat nach Paris: einen Franzosen, M. Henri Froment-Meurice, und zwei Amerikaner, Seymour Weiss und Colonel Alfred J.F. Moody.526 Es galt, die Bestätigung des Rates für die Eventualfallplanung für Berlin zu erhalten und die Hilfe des NAC für weitere Maßnahmen in der aktuellen Berlin-Krise zugesagt zu bekommen. Das Team wollte auch vorschlagen, eine Weisung des Rates an Norstad in seiner Eigenschaft als SACEUR zu erarbeiten, um die gemeinsamen Planungen unter dem Dach der NATO vorbereiten zu können.527 Am 15. und 16.  September 1961 berieten die Außenminister der Vier Mächte in Washington das Berlin-Problem. Der Generalsekretär der NATO nahm ebenfalls teil.528 Dabei wurden die politischen Weichen für die wirkungsvolle Koordinierung zwischen Live Oak und NATO sowie die Behandlung des Themas im NAC gestellt. Vom 18. September stammt ein nun wohl endgültig formulierter Entwurf der Weisung an General Norstad.529 Sie geht auf den NATO-Rat zurück und beginnt mit den Worten: »The parties to the North Atlantic Treaty have in accordance with articles 4 and 6 of the Treaty and in light oft the crisis provoked with regard to the City of Berlin consulted together to decide what steps should be taken to meet the present threat against Berlin.«530 Der Inhalt allerdings deckt sich weitgehend mit dem früher in der WAG behandelten Entwurf.531 Dass die NATO nun direkt involviert war, zeigt ein neuer Passus am Ende, der forderte, dass Pläne für den Einsatz von Seestreitkräften mit SACLANT und CINCHAN koordiniert werden müssten.532 In allen diesen Wochen, insbesondere aber seit der Verlegung von Live Oak zu SHAPE in Rocquencourt, hatte es eine immer engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Stäben gegeben. Tatsächlich konnte Live Oak in vielen Arbeitsbereichen ohne die Unterstützung durch SHAPE nicht handeln.533 Es bestand aber noch erheblicher Ko SHLO 9-0002, 5.9.1961, nicht in den Beständen, aber erwähnt in »After Action Report«, BArch, BW 71/43, Nr. 55, Para. 126. 526 BArch, BW  71/44, Nr.  39: »Draft Instructions for Representatives of the WAG«, BQD-26, 12.9.1961. Froment-Meurice wurde übrigens später französischer Botschafter in Bonn. Vgl. auch den Bericht des SGREP, BArch, BW 71/124, Nr. 26: SGN LOSTAN 3012, 22.9.1961. 527 BArch, BW 71/44, Nr. 39: BQD-26, vorletzter Abs. 528 BArch, BW 71/124, Nr. 26: LOSTAN 3912, 22.9.1961, Para. 2(b); siehe auch PA AA, B 130/3.585, Aufz. StS Carstens 21/61 str.geh. vom 16.9.1961. 529 BArch, BW 71/124, Nr. 11: »Instructions to General Norstad«, LO-TS-61-196, allerdings nicht als ›Draft‹ bezeichnet. Der Rat war aber bis dato noch nicht darüber unterrichtet. 530 Ebd., S. 1, Para. 1. 531 BArch, BW 71/124, Nr. 13: LO(IN)-TS-61-2077, 29.8.1961. 532 BArch, BW 71/124, Nr. 11: S. 5, Para. 8.c und Para. 9. 533 BArch, BW 71/49, Nr. 14: (SHAPE) 1200.2/20, 20.9.1961, LO(IN)S-69-3277. 525



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ordinations- und Regelungsbedarf. Insbesondere brauchte Live Oak die Unterstützung von SHAPE im Nachrichtenwesen, im Alarmwesen und bei der Mobilmachung, bei der Verkehrsführung sowie der technischen Unterfütterung, vor allem auf den Fernmeldewegen. SHAPE seinerseits benötigte wichtige Informationen und Erkenntnisse von den Drei und Vier Mächten aus Berlin. Gleichzeitig hingen nun die operativen Planungen von Live Oak ab. Die rasante, krisenhafte Lageentwicklung im September 1961 erzwang ein rasches Zusammenfinden. Daher legte der Assistant Chief of Staff, Plans and Policy (ACOS P&P), Generalmajor Paul J.F. Jacquier, ein Papier vor, das den Ernst der Lage um Berlin illustrieren und als Merkliste dienen sollte.534 Es enthielt eine Liste der Maßnahmen, die nach Auslösung der Alarmstufe »Military Vigilance« der NATO zu ergreifen waren,535 einen Überblick über die einleitenden Maßnahmen, die in dieser Richtung bereits ausgelöst worden waren, ferner über weitere Vorkehrungen, die nun in Frage kamen.536 Weiterhin folgten die Einschränkungen, die SACEUR auferlegt worden waren, in Friedenszeiten Truppen der NATO zu bewegen.537 Schließlich werden besondere Maßnahmen aufgezeigt, um einen Minimalaufmarsch der Kräfte zu erreichen.538 Damit hatte man den militärischen Spielraum abgesteckt. Diese Aufzählung von Eventualitäten macht den Aufwand an Zusammenarbeit und Koordinierung in einer sich entwickelnden Berlin-Krise sichtbar. Es handelte sich um eine große Vielfalt an Maßnahmen. Ihre Bedeutung gerade auch für die weiterführenden Operationen von Live Oak war offensichtlich. Die praktische Zusammenarbeit wurde deshalb in den folgenden Wochen und Monaten intensiviert.539 Während alle Anstrengungen gemacht wurden, um die Zusammenarbeit der beiden Stäbe unter General Norstad zu verbessern, waren die Spitzen des Bündnisses voll damit beschäftigt, die Beziehungen der Vier Mächte mit den übrigen Nationen im NAC für die Sicherung Berlins auf eine politisch feste Grundlage zu stellen. In diesem Zusammenhang kam es zu kontroversen Beratungen, so etwa am 22. September 1961 in Paris, als zum zweiten Mal und diesmal sehr ausführlich in diesem Gremium über die Aktivitäten und Planungen der Drei bzw. der Vier Mächte im Zusammenhang mit Berlin und Live Oak gesprochen wurde.540 Dort wurde deutlich, wie delikat die Tatsache war, dass sich eine Gruppe von vier Partnern gebildet hatte, die allein durch ihr gemeinsames Auftreten, ungeachtet der Sachfragen im Detail, einen herausgehobenen Status hatte. Dies gefiel den übrigen Nationen nicht besonders und erinnerte an andere kontroverse Entscheidungsgremien, hier vor allem die Standing Group, das exklusive Entscheidungszentrum der Amerikaner, Briten und Franzosen. Obwohl allen Beteiligten klar war, dass umfassende Zusammenarbeit und Koordination gefordert war, bestand Stikker auf der BArch, BW 71/44, Nr. 28: (SHAPE) 1210/20, 21.9.1961, LO(IN)-S-61-3130, S. 1, Para. 1. BArch, BW 71/44, Nr. 28, S. 1, Para. 1.a und Para. 2. Die Liste selbst war als Annex I beigefügt, sie ist hier jedoch nicht überliefert. 536 Ebd., S. 1, Para. 1.b, dann S. 1 f., Para. 3.; siehe dazu auch in Kap. III.4.a. 537 Ebd., S. 1, Para. 1.c, und S. 2 f., Para. 4. 538 Ebd., S. 1, Para. 1.d, detaillierter S. 3, Para. 5, und Annex II; dieser ist hier jedoch nicht vorhanden. 539 Der entsprechende Grundsatzbefehl ist nicht in BArch, BW 71, überliefert, aber als Ref. in BArch, BW 71/49, Nr. 15: Befehl des ACOS, P&P, BCP/1, 4.10.1961, LO(IN)-69-3278. 540 Das geht aus der Einladung des Generalsekretärs zur nächstfolgenden Sitzung hervor: BArch, BW 71/124, Nr. 28: PO/61/765/CTS, 27.9.1961, S. 1, Para. 1; dieses Mal in »Restricted Session«, also die nationalen Vertreter mit eng begrenzter Begleiterzahl. 534 535

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peinlich genauen Abgrenzung der Zuständigkeiten und der Wahrung der Entscheidungshoheit der NATO insbesondere in Bezug auf die Personalunion von SACEUR und CLO.541 Während seiner Gespräche in Washington hatte er auch klar gemacht, dass die Diskussionen darüber in Paris stattfinden müssten, der Rat müsse dort von den Vier Mächten vollständig über deren Aktivitäten informiert werden. Entscheidungen, welche die Rechte anderer Nationen berührten, konnten nur im Rat fallen.542 Der Generalsekretär äußerte damit recht deutliche Kritik an Planungen und Vorbereitungen durch die WAG. Er hatte zeitweise den Eindruck gehabt, dass er und der Rat übergangen würden. Um dem zu begegnen, mussten Sicherungen eingebaut werden:543 Die besondere Stellung der Drei Mächte in der Ständigen Gruppe und hinsichtlich Berlins mussten ebenso anerkannt werden wie die besondere Stellung Deutschlands als ein Mitglied der WAG. Es durfte aber keine Delegierung von Macht durch den NAC an die Gruppe der Vier Mächte geben. Pläne der NATO durften nur im Rat, nicht aber von irgendeiner Gruppe entwickelt werden. Wenn die WAG direkte Abstimmung mit dem Rat wünsche, sei der Internationale Stab der NATO die richtige Adresse.544 Stikker unterstrich, dass der NAC Kenntnis über die Eventualfallpläne der Drei Mächte für Berlin haben müsse. Jegliche militärische Aktion beinhalte das Kriegsrisiko für die ganze NATO, daher müsse die NATO stets im Gleichklang handeln. Alle Mitgliedsländer müssten alle Pläne kennen, damit die Planung im gesamten Bündnis »can be kept in line«.545 Daraufhin konnten wesentliche Widerstände bei den anderen Partnern abgebaut werden. Die Kanadier und die Italiener stimmten zu, betonten aber, dass das Verhältnis von Live Oak zur NATO eindeutig geklärt sein müsse. Die Niederländer betonten zusätzlich, dass die Weisungen der Vier Mächte an Norstad zu Berlin und jene der NATO an den SACEUR unterschiedlich seien und streng getrennt bleiben müssten. Auch seien sie dafür, einen Verbindungsmann des Rates zur WAG zu schicken, wie von den Italienern vorgeschlagen. Daraufhin unterstützten der türkische, der belgische und der griechische Vertreter die Stellungnahmen der Vorredner. Die Vertreter Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten verteidigten prinzipiell die Arbeit der WAG, indem sie darauf verwiesen, dass es sich um eine Ad-hoc-Organisation handle, die aus unmittelbaren Notwendigkeiten heraus gebildet worden sei. Es bestehe weder die Absicht, diese Organisation zu einer ständigen Einrichtung zu machen, noch die NATO mit faits accomplis zu konfrontieren.546 Die britischen und amerikanischen

BArch, BW 71/124, Nr. 26: SGREP, 22.9.1961 CTS, LOSTAN 3912. Das Protokoll des NAC ist sonst nur auszugsweise offengelegt und verfügbar: C-R(61)46, 5.10.1961, in Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-2, Section 04, Nr. 04. 542 BArch, BW 71/124, Nr. 26: S. 1, Para. 2.b. 543 Vgl. auch Para. 6. des Protokolls der Sitzung, C-R(61)46, 5.10.1961: Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-2, Section 04, Nr. 04. Hier fasste Stikker seine Meinung in vier Punkten zusammen. 544 BArch, BW 71/124, Nr. 26: S. 2, Para. 2(c)iv. 545 Ebd., S. 2, Para. 2(d). 546 Ebd., S. 2 f., Para. 4‑7. 541



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Vertreter akzeptierten die Forderungen des Generalsekretärs.547 Der Vertreter der USA hob in seiner Stellungnahme hervor, dass alle Schritte unternommen werden müssten, um die Ursachen der Unzufriedenheit zu beseitigen. Er schlug vor, dass der Nordatlantikrat die Schwierigkeiten prüfe und dann über Wege entscheide, sie zu überwinden. Er und sein britischer Kollege seien aber gegen die Entsendung eines Verbindungsoffiziers, denn das würde nur die Tendenz zur Institutionalisierung fördern.548 Daraufhin war der Weg für die weitere Planung frei. Die nötigen Grundsatzpapiere wurden bis Ende Oktober 1961 im Nordatlantikrat verabschiedet. Die entsprechenden Diskussionen fanden unter erheblichem Druck statt, da sie in direktem Zusammenhang mit der sich verschärfenden Berlin-Krise standen. Die konzeptionelle Arbeit und die politischen Ereignisse wirkten aufeinander ein. Die Einpassung von Live Oak in die NATO-Strukturen bietet ein aufschlussreiches Bild über das Funktionieren der Allianz in einer akuten Krise und das innere Gefüge überhaupt. Als Gesprächsbasis dienten zwei grundlegende Papiere, die die spätere Grundsatzweisung entscheidend prägten.549 Darin wurde unter anderem konstatiert, dass die Beteiligung des NAC in allen Angelegenheiten, die Live Oak betrafen, unerlässlich sei, weil die Umsetzung jedes Planes zum Schutz westlicher Rechte in Berlin essenzielle Auswirkungen auf Streitkräfte und Pläne der NATO haben konnte.550 Für die noch nicht eingeweihten NATO-Partner wurde die bisherige Arbeit kurz vorgestellt. Man betonte zudem, dass die Umsetzung der Live-Oak-Pläne sowohl politische als auch militärische Rückwirkungen für die NATO haben könne. Damit wurde der zielführende Konsultationsprozess in Gang gesetzt.551 Die inhaltliche Arbeit wurde anhand weiterer Entwürfe verfolgt.552 Immer klarer zeichnete sich die politische Dimension des ganzen Projekts ab. Die vorgesehenen militärischen Maßnahmen bildeten demgegenüber zwar eine zentrale, aber nicht die einzige Säule. Als besonders wichtig erschien, dass sie stets und immer wieder mit den politischen Führungsgremien genau abgestimmt wurden. Man kam überein, die Bandbreite der Optionen gemäß den Vorschlägen Norstads zu vergrößern. Die gebotenen militärischen Maßnahmen sollten abgestuft, aber entschlossen gehandhabt werden. Insgesamt Ebd., S. 2, Para. 2(c). Siehe auch Para. 6 in Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961‑2, Section 04, Nr. 04. 548 BArch, BW 71/124, Nr. 26: S. 3, Para. 8. 549 Als Anlagen enthalten in BArch, BW  71/124, Nr.  28: PO/61/765, CTS »NATO Planning for Berlin Emergency«, 27.9.1961, Annex  A, Subj.: »Report by the French, United Kingdom and United States Governments to the North Atlantic Council«, o.D., S. 3 f.; Annex B, Subj.: »Suggested Instructions to NATO Military Authorities«, o.D. Daraus wurde erst BQD-31, schließlich BQD-32. Annex A hier lückenhaft, komplett aber in BArch, BW 71/1, Nr. 3, »The Report [...]«, LO(IN)-TS-61-2114. Annex B, »Suggested Instructions [...]«, hier durchgestrichen. Daher BArch, BW 71/1, Nr. 2 nutzen: »Draft Instructions [...]«, BQD-31, LO(IN)-TS-61-2115, o.D. 550 BArch, BW  71/1, Nr.  3: BQD-30, Subj.: »Draft Report by [...]«, LO(IN)-TS-61-2114, o.D. [ca. Okt. 1961], S. 1, Para. 2. 551 Ebd., S. 2, Para. 8. 552 Nun wohl schon als BQD-32 bezeichnet, letzte Fassung dann: BQD-32 (Rev.), BArch, BW 71/124, Nr. 17: Subj.: »Draft Instructions [...]«, LO(IN)-TS-61-2116, o.D. Inhaltlich gab es hier einige Änderungen. Die wichtigste bestand wohl darin, dass die 2. Bedingung für den selektiven Einsatz nuklearer Mittel verändert wurde zu: »The necessity to avoid defeat of major military operations« anstatt »to ensure the success«, was Norstad vorgezogen hätte; siehe S. 2, Para. 6.d(2). 547

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sollte ein Katalog mit Plänen verfügbar sein, aus dem die jeweils adäquaten Schritte im Lichte der Umstände durch die politischen Stellen ausgewählt werden konnten. Ein wesentliches Ziel bestand darin, zunehmenden Druck auf die Sowjetunion auszuüben.553 Die Entscheidungsverfahren wurden klar und eindeutig geregelt. Jeder Plan der Obersten Befehlshaber der NATO sollte zur Beurteilung an die Standing Group und zur Abstimmung mit dem Military Committee geschickt und anschließend an den NATORat zur Genehmigung durch die Regierungen über ihre Ständigen Vertreter weitergeleitet werden. Damit hatten die Regierungen der NATO-Partner eigentlich das letzte Wort. Gleichzeitig wurde unmissverständlich befohlen, dass Pläne von Live Oak und der NATO der vollen Koordinierung durch beide Organisationen bedurften. Auch der Umfang der Pläne, die die NATO zu erarbeiten hatte, wurde vorgegeben: Um eine möglichst große Auswahl an zusätzlichen Alternativen zu gewinnen, hatten diese Pläne breite Maßnahmen zu Lande, in der Luft und zur See abzudecken.554 In jedem Fall mussten jedem Plan die erwarteten Vor- und Nachteile sowie eine Abschätzung der Risiken beigegeben werden. Eine entscheidende Ergänzung wurde auf Vorschlag von Norstad als eigene Kategorie eingefügt, die der Generalsekretär schon zuvor eingebracht hatte, die aber offensichtlich von den politischen Gremien nicht sofort unterstützt worden war: »selective use of nuclear weapons to demonstrate the will and the ability of the Alliance to use them«.555 Norstad unterstrich, dass Live Oak keine »operations of major military importance« abdecke, die über den Ansatz eines verstärkten Bataillons hinausgingen und Operationen mit tiefen, entscheidenden Zielen und unter Einsatz von Großverbänden umfassten. Für alle Planungen jenseits des Aufgabenbereichs von Live Oak sei nur noch die NATO zuständig.556 Für Live Oak war im Ernstfall schnelles Handeln mit wenig Kräften entscheidend, da Verzögerungen den Einsatz größerer Kräfte erfordern konnten. Norstad betonte abschließend den Zusammenhang von Live-Oak- und NATO-Planung und die dadurch begründete Notwendigkeit der engen Koordinierung beider Elemente, für die er ja auch in Personalunion Verantwortung trage.557 Norstad ergänzte, dass es möglich wäre, als eine weitere Option die Übung »Long Thrust« dafür zu nutzen, die Zuführung von Reserven nach Europa zu erproben.558 In der anschließenden Diskussion meldete sich zuerst der italienische Vertreter zu Wort. Er erbat eine Klarstellung zu der Weisung an SACEUR.559 Er wollte wissen, ab

Siehe die Ergänzung in BArch, BW 71/124, Nr. 17, S. 2, Para. 6.b, Zit. ebd. Ebd., S. 3, Para. 8‑10. 555 Ebd., S. 3, Para. 10.d. Es ist aus den Dokumenten nicht ersichtlich, welche Argumentation hier obsiegt hat. 556 Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-2, Section 05, Nr. 2: C-R(61)49, »Summary Record«, 13.10.1961, S. 4, Para. 6 f. 557 Ebd., S. 6, Para. 19 f. 558 Ebd., S. 7, Para. 21. »Longt Thrust« war eine Art Vorläufer von »Reforger«, die die rasche Verlegung von US-Verbänden üben sollte, um den Amerikanern die weltweite Verwendung von Truppen zu erlauben. Siehe Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 889. 559 BArch, BW 71/124, Nr. 17: BQD-32 (Rev.), S. 3, Para. 8, wo es um die Ausführung der genehmigten Operationspläne geht. 553 554



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welcher Größenordnung politische Konsultationen vorgesehen seien.560 Norstad antwortete ausweichend, dass diese Frage die Durchführung von Plänen betreffe. Bisher gebe es aber keine Entscheidung, weder der Vier Mächte noch des Rates, einen Plan auszuführen. Der Generalsekretär ergänzte, dass diese Frage für alle Pläne, die zur Durchführung anstünden, entscheidend sei, was die Vertreter der Drei Mächte bestätigten.561 Der dänische Vertreter wollte wissen, wann die Übung »Long Thrust« stattfinden solle. Norstad hoffte, noch im Oktober oder November. Er wolle frühzeitig darüber informieren.562 Im Folgenden kreisten die Fragen der Botschafter – hier Kanadas und Belgiens – vor allem um die Notwendigkeit von Konsultationen, bevor militärische Maßnahmen ergriffen würden, und die Rolle des Zeitdrucks in solchen Lagen. Es wurde allgemein positiv aufgenommen, dass die Drei Mächte vorherige Beratungen zugestanden hatten, auch wenn sie darauf bestehen mussten, im Notfall, bei Gefahr im Verzug, davon abzusehen. Außerdem wurde die Zeit für den Zustimmungsprozess in Frage gestellt, denn bis 4. Oktober könne keine Regierung eine abschließende Weisung übermitteln. Daraufhin wurden zusätzliche Diskussionen in weiteren Sitzungen zugestanden. Die Vorstellungen zum Nukleareinsatz im Dokument ergaben weiteren Gesprächsbedarf. Der niederländische Vertreter fragte nach Norstads Meinung, ob die Fassung des Paragrafen, in dem es um den Nukleareinsatz ging, mit der Politischen Weisung und mit dem Strategischen Konzept der Allianz im Einklang sei. Die Antwort Norstads war etwas sibyllinisch: Zunächst sei er der Auffassung gewesen, er brauche diese Weisung nicht. Immerhin sei während der Beratungen das Papier wesentlich verbessert worden, obwohl er noch nicht mit allem zufrieden sei. Er hätte breiteren Spielraum der Interpretation für den SACEUR gewünscht. Nun habe er aber keine Einwände mehr.563 Für den besonderen Fall Berlin seien sie zufriedenstellend. Der niederländische Vertreter äußerte sich befriedigt darüber, dass der General die Gültigkeit der Politischen Direktive und des Strategischen Konzepts für dieses Papier bestätigt habe. Die Frage des kanadischen Vertreters, ob der selektive Nukleareinsatz im Strategischen Konzept verankert sei, wurde von Norstad bejaht: Der Westen würde diese Vorkehrung nur dann umsetzen, wenn alle anderen Maßnahmen versagten.564 Die italienische Seite griff diese Frage nochmals auf und wünschte zu wissen, wann eine politische Entscheidung getroffen werden könne, falls eine Eskalation zum Einsatz nuklearer Waffen wahrscheinlich sei. Der Generalsekretär antwortete ihm, dass diese Frage noch weiterer Klärung bedürfe. Zur Zeit könne die Entscheidung nur durch die USA und ihre »bilateralen Partner« Großbritannien und Frankreich getroffen werden, welche über den Sprengkopf verfügten.565 Der belgische Vertreter fragte schließlich, ob bereits Pläne der »Major NATO Commanders« vorbereitet seien. Norstad antwortete, dass er erste Weisungen an die unterstellten Komman-

C-R(61)49, Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-2, Section 05, Nr. 2, siehe ebd., S. 7, Para. 23. 561 Ebd., S. 7, Para. 24‑26. 562 Ebd., S. 8, Para. 28. 563 Ebd., S.  9  f., Para.  40  und Para.  41, in C-R(61)49, Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-2, Section 05, Nr. 2. 564 Ebd., S. 10, Para. 42‑45. 565 Ebd., S. 11, Para. 50. 560

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deure gegeben habe, die Planung sei dort also im Rahmen der normalen Stabsarbeit im Gange.566 Es ging hier keineswegs nur um untergeordnete Maßnahmen für das Krisenmanagement, sondern um den Kern des Sicherheits- und Strategiekonzepts der NATO. Besonders zwei Fragenkreise beschäftigten die Beteiligten: ob und wie die politische Kontrolle in einer Krise gewahrt bleiben und die Eskalation hin zum Einsatz nuklearer Waffen vermieden werden konnte. Bei Eintritt des letzten Falles gab es keine Handlungsoptionen mehr. Das Instrument des »Selective Use« war für alle noch sehr ungewohnt und nicht einschätzbar. Die Diskussion um diese Fragen blieb daher spannend. Die Krise um Berlin war inzwischen, besonders was den Zugang durch die Luft anging, weiter eskaliert. Norstad hatte nach Zustimmung der WAG weitere Maßnahmen zur Offenhaltung dieses Verkehrsweges eingeleitet.567 In der Sitzung am 3. Oktober, mit beschränkter Teilnehmerzahl, begannen die Beratungen des NAC im Detail.568 Zunächst wurde der Bericht der Vier Mächte über die Live-Oak-Planungen behandelt, der am 29. September noch wenig Interesse gefunden hatte. Die Vier Mächte hatten darum gebeten, besondere Aufmerksamkeit auf die Planungen für spezielle Eventualfälle zu richten.569 Nun ging man diese Paragraf für Paragraf durch. Während diese Prozedur die Kenntnisse aller Teilnehmer über die Rolle von Live Oak und über seine Planungen verbesserte, aber zu keinen wesentlichen Diskussionen führte, kam es über die Frage der Konsultationen zwischen den Drei Mächten und der NATO zu einem intensiven Austausch. Der belgische Vertreter fragte, ob es den Drei Mächten möglich sei, Maßnahmen zu ergreifen, die die NATO ohne vollständige Beratung mit hineinziehen würden. Italien fasste nach, ob auch eine kleine »Probe« erst nach Konsultation eingesetzt werden könnte, da ja jegliche »Probe« eine Gefahr für die ganze NATO beinhalte. Über diese Fragen entspann sich eine längere Diskussion, unter anderem weil die Drei Mächte Konsultationen davon abhängig machten, ob im Ernstfall genügend Zeit zur Verfügung stand. Der Vertreter der USA machte, unterstützt von seinen beiden Kollegen, eindrücklich klar, dass es zwar rechtlich möglich sei, eine Operation der Drei Mächte auszuführen, ohne die Alliierten zu konsultieren. Aber die Drei Mächte hätten die Absicht, weitestgehend in die Konsultation einzutreten. Diese Antwort befriedigte nun die anwesenden Vertreter.570 Am 5. Oktober schlugen der USCOB und Kennedys Sonderbeauftragter in Berlin, General Clay, den Einsatz von »Probes« in Berlin vor, wenn die DDR die Sektorengrenzen, auch für die Alliierten, vollkommen schließen sollte.571 Dieser Vorschlag fand jedoch keinerlei Unterstützung. Zur gleichen Zeit übte aber das verstärkte Bataillon des

Ebd., Para. 52. An CINCENT war die Weisung wohl schon Anfang September gegangen: BArch, BW 71/124, Nr. 10: LO-TS-61-180. 567 BArch, BW 71/117, Nr. 22: »Memo for Record«, SHLO 300/484, LO-TS-61-192, 14.9.1961. 568 Wieder dient ein Bericht des SGREP als Quelle: BArch, BW  71/124, Nr.  30: LOSTAN 3941, 3.10.1961. Ein Protokoll des NAC ist hierfür nicht verfügbar. 569 BQD-30, BArch, BW  71/1, Nr.  03: Subj.: »Report by the French, United Kingdom and US Governments [...]«, LO(IN)-TS-61-2114, o.D., S. 1, Para. 2. 570 BArch, BW 71/124, Nr. 30: S. 2, Para. 4. 571 BArch, BW 71/44, Nr. 35: COB 434; C-116/052054Z Oct. 61. 566



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Oplan »Trade Wind« in Sennelager.572 Die Nachrichtenagentur Reuters hatte, trotz Geheimhaltung, davon Kenntnis erhalten und stellte nun Fragen.573 Die Frage, wie das Verhältnis zwischen NATO und Live Oak zu definieren und künftig zu regeln sei, wurde Anfang Oktober durch einen amerikanischen Entwurf für ein Grundsatzpapier der WAG vorangebracht.574 Es handelte sich um ein recht ehrgeiziges Projekt, zu diesem frühen Zeitpunkt eine so schwierige Frage grundsätzlich anzugehen. So sahen es auch die Autoren. Da man noch nicht wusste, wie die Berlin-Krise ausgehen würde, erschien es verfrüht, endgültige Bestimmungen für die Zusammenarbeit zwischen der NATO und den Drei Mächten in der Planung und Führung solcher Operationen auszuarbeiten.575 Völlige Übereinstimmung in diesen Angelegenheiten wurde aber als notwendig erachtet, damit insbesondere Norstad die angemessene Weisung erteilt werden konnte, wie er die Planungs- und Führungsstäbe organisieren, führen und koordinieren sollte, welche ihn in seiner Aufgabe als SACEUR im Auftrag der NATO und als USCINCEUR im Auftrag der Drei Mächte unterstützten.576 Zwei grundlegende und in einigen Aspekten konkurrierende Überlegungen spielten dabei eine Rolle: Einerseits würden die Sicherheitsinteressen, gemeinsamen Ziele und die Streitkräfte aller NATO-Nationen bedroht sein, wenn die Sowjetunion die Freiheit Berlins in Frage stellte. Daher sei es vom rein militärischen Gesichtspunkt aus wünschenswert, dass die Obersten Befehlshaber der NATO Planung und Führung der Operationen von Anfang an übernahmen. Auf der anderen Seite mussten die Drei Mächte wegen ihrer besonderen Verantwortung für Berlin die ersten Garanten der Freiheit und Sicherheit der Stadt und daher darauf vorbereitet sein, umgehend und effektiv zu handeln, wenn diese gefährdet waren. Vom politisch-rechtlichen Standpunkt aus müsse daher die Verantwortung für die Planung und Ausführung möglicher militärischer Anfangsoperationen bei den Drei Mächten bleiben.577 Diese Darstellung beschreibt das Dilemma in aller Deutlichkeit, welches auch bei Norstads Stellungnahmen immer wieder durchschien. Den Amerikanern kam es in ihrem Entwurf also darauf an, eine Lösung zu finden, die das Gleichgewicht zwischen diesen beiden widersprüchlichen Faktoren herstellte und den Interessen aller Beteiligten diente.578 Daher wurde bestätigt, dass die Planung, aber nicht die Operationsführung für den Zugang zu Lande von möglicherweise der Ebene der Division bis hinab zu den anfänglichen »Probes« im Verantwortungsbereich von Live Oak bleiben sollte. Im Zugang durch die Luft sollte Live Oak für die Planung aller bisher vorgesehenen Maßnahmen über möglichen Jagdschutz von Lufttransportoperationen bis zu Angriffen auf Bodenziele in den Korridoren verantwortlich sein. Operationen der Landstreitkräfte in einem Umfang von mehr als einer Division und größere Operationen Brief General Cassels an Norstad, BArch, BW 71/117, Nr. 58: CINCBAOR, DO/B1161/5/6 G (Ops and Plans) TS, 8.10.1961. 573 Es gab anscheinend keine Erkenntnisse zu Reaktionen der Gegenseite. 574 BArch, BW 71/117, Nr. 61: Draft »Recommendation by the Governments of France, the UK and the US Concerning Relationships Between NATO and the Three Powers in the Planning and Control of Berlin Contingency Operations«, International Security Affairs I-19,113/61, 9.10.1961, S. 3‑5, amended 11.10., LO(IN)-TS-61-2127. 575 Ebd., Para. 2. 576 Ebd., S. 1 f. 577 Ebd., Para. 4, S. 2. 578 Ebd., Para. 5, S. 3 (Rev.). 572

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der Luftstreitkräfte als die vorgenannten sollten demgegenüber ausschließlich durch die Kommandobehörden der NATO geplant werden. Deshalb sollte Live Oak eine gemeinsame und separate Einheit der Vier Mächte bleiben, aber Norstad sollte deren Planung mit jener der NATO-Stäbe soweit koordinieren, wie er es für angemessen hielt. Nur NATO-Kommandeure, die einer der vier Nationen von Live Oak angehörten und damit befasst waren, durften vollständige Kenntnis der anfänglichen Operationspläne von Live Oak haben. Die anderen Kommandeure, vor allem in Mitteleuropa, also der Central Region der NATO, sollte Norstad in dem Umfang informieren, den er für erforderlich erachte.579 Die Operationsführung wurde eingehend behandelt, weil sie größere Klarheit und auch neue Ansätze brauchte: Bevor irgendeine Operation von Live Oak begann, sollten die Streitkräfte der NATO in einen angemessenen Alarmzustand versetzt werden. Dafür waren geeignete Pläne zu entwickeln, wie auch in der jüngsten Weisung angeordnet. Die anfänglichen »Probes«, hier auch als »Tests of Intentions« bezeichnet, und zunächst eingesetzte umfangreichere Kräfte zu Lande und in der Luft sollten nur durch Kräfte der Drei Mächte und nur unter deren Führung ausgeführt werden. Im Falle der Operationen des Zugangs zu Lande würde es möglich sein, Kräfte der Drei Mächte von »gewissem« oder »bedeutsamem«580 Umfang einzusetzen, bevor es nötig würde, Streitkräfte anderer Nationen heranzuführen. Für den Luftzugang waren die Kräfte und die Führungsorganisation der Amerikaner, Briten und Franzosen angemessen, um diese Operationen zu führen, solange sie geografisch auf die Luftkorridore beschränkt blieben. Sowie Operationen außerhalb notwendig würden, mussten die Führungs- und Kontrollsysteme der NATO einbezogen werden. Erwägungen zur Geografie und zum Aufmarsch der Kräfte gaben der Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Gewicht bei den anfänglichen Operationen. Die Bundeswehr war am besten in der Lage, die Operationen der Drei Mächte zu unterstützen. Aus diesen Gründen sollten die Streitkräfte der Bundesrepublik als unmittelbar nutzbare Reserven angesehen werden. Sie sollten aber wenigstens solange nicht eingesetzt werden, bis militärische Einrichtungen der NATO vollständig die Führung der Operationen übernommen hätten.581 Handschriftlich wurde ergänzt: »and until a specific political decision has been made«; an anderer Stelle ist, ebenfalls handschriftlich, die Zustimmung Bonns notiert: »Approval by Bonn« – wer immer das auch genehmigt hatte.582 Es sei entscheidend, dass die zuständigen militärischen Oberbefehlshaber der NATO stets und vollständig über den Fortgang der anfänglichen Operationen informiert gehalten und daher gut darauf vorbereitet würden, die Folgeoperationen zu führen, wenn es die Lage erfordere. Der Punkt, der weiterhin die meisten Kopfschmerzen bereitete, da er immer wieder angesprochen wurde, war die Übergabe der politischen Führung und der militärischen Operationsführung von den Drei Mächten an die NATO. Im Fall der Operationen um die Landzugänge sollte der Übergang erfolgen, wenn Kräfte von einem verstärkten Bataillon oder mehr von sowjetischen oder ostdeutschen Kräften angegriffen worden wa Ebd., Para. 5.a. Anscheinend umstritten (worauf Streichungen und Klammern im Text hinweisen), siehe ebd., Para. 5.b(2)(a). 581 Ebd., Para. 5.b(2)(c.). 582 Ebd., S. 4, am linken Rand. 579 580



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ren. Alle anderen Möglichkeiten sollten später festgelegt werden.583 Für die Operationen in der Luft zeichneten sich hierfür zwei Alternativen ab: entweder wenn ein unmittelbarer, vorgeplanter Angriff gegen Bodeneinrichtungen notwendig geworden war, um den Zugang durch die Luft zu schützen, oder wenn ein Flugzeug mit Begleitschutz unmissverständlich von sowjetischen oder ostdeutschen Flugzeugen oder von der Bodenluftabwehr angegriffen worden war. Besonders interessant war ein Passus zum Entscheidungsspielraum der Kommandeure: Innerhalb dieser Beschränkungen und im Einklang mit grundlegenden politischen Absichten sollten militärische Befehlshaber maximale Flexibilität für Planung und Operation erhalten.584 Ob all diese teils in Konkurrenz zueinander stehenden Regelungsentwürfe in einer Krise Bestand haben würden, stand auf einem anderen Blatt. Es war eine Zeit großer politischer Spannung und Aktivität. Übergeordnet und parallel zu den stategisch-militärischen Problemen lief die politisch-diplomatische Diskussion, wie das Bündnis auf einen separaten Friedensvertrag der Sowjetunion mit der DDR reagieren sollte, dessen Vollzug nach den jüngsten sowjetischen Noten und Verlautbarungen immer wahrscheinlicher wurde.585 Eine der westlichen Überlegungen sah zum Beispiel die Einrichtung einer »International Access Authority for Berlin«586 vor. Im Zusammenhang mit allen diesen vielfältigen Gesprächen, Konferenzen und Verhandlungen musste auch der NAC seine eigene Position erarbeiten. Ein Fragebogen an die Mitgliedsländer vom 16.  Oktober 1961 gibt davon Zeugnis.587 In einer Anlage dazu hatte der Generalsekretär der NATO einen Vorschlag für eine westliche Initiative für eine solche Behörde skizziert, der wohl diskutiert, aber nicht realisiert wurde. Ende Oktober 1961 schloss der NAC seine Beratungen über das entscheidende Dokument für die Planungen um eine Berlin-Krise ab und verabschiedete seine Weisung an die Obersten Befehlshaber des Bündnisses588 als Grundlage aller weiteren Planungen. Interssant ist, dass nunmehr, anders als in früheren Papieren, Planungen für »ausgedehnte Operationen zur See« vorgesehen waren.589 Diese Ergänzung reflektiert die Überlegungen um eine Verbreiterung der Optionen, die unter den Vier Mächten und im Bündnis diskutiert worden waren.590 Diese Weisung bildete die Grundlage für die Planungen der

Ebd., Enclosure 1, I-19,113/61, S. 5, Para. 5.b(3)(a). Ebd., S. 5, Para. 5.b(3)(b) sowie 5.c(2). 585 Zum Beispiel die Konfrontation am Checkpoint Charlie, siehe auch BArch, BW  71/3, Nr.  7: BQD-22, U.K. Draft: »The Problem of Avoiding a Separate Peace Treaty being Regarded as a Defeat for the West«, o.D., wohl September 1961. 586 BArch, BW 71/44, Nr. 41: BQD-37 »Draft Charter of International Access Authority For Berlin«, o.D., wohl Herbst 1961. 587 BArch, BW 71/124, Nr. 32: PO/61/804 CTS, 16.10.1961. 588 BArch, BW 71/125, Nr. 6: »NATO Directive on NATO Planning for Berlin Emergency: Instructions to NATO Military Authorities«, C-M(61)104 CTS, LO(IN)-CTS-62-2057. Dieses wichtige Dokument wurde später auch in die BQD-Reihe der Vier Mächte aufgenommen: BQD-M-10, 1.11.1961, LO(IN)-TS-64-2063; BArch, BW 71/127, Nr. 2. Siehe auch in Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-2, Section 05, Nr. 18. 589 Ebd., S. 3, Para. 10.b, der nun lautet: »Expanded non-nuclear air and/or naval operations«. 590 Ein Beispiel ist die Weisung des CdS /SHAPE vom 11.10.1961 an Admiral T.L. Eddison, maritime Operationen in Europa vorzubereiten: BArch, BW 71/59, Nr. 17A: Memo/Gen. Moore, SECY 4/61-CTS, LO(IN)-TS-61-2124. 583 584

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Major NATO Commands und für deren Auftragserteilung an die Major Subordinate Commands. SACEUR ließ sofort die interne Umsetzung folgen.591 Entscheidend waren hier drei Grundsätze: Der Stab musste eine Vielzahl von Plänen erarbeiten, ohne dass Abfolge, Wahrscheinlichkeit und Priorität genauer abzuschätzen waren, denn die Wahl von Zeit und Aktion lag mindestens genauso sehr bei der Gegenseite. Welche politische oder militärische Aktion auch immer eingeleitet werden mochte, sie sollte die allgemeine militärische Lage der westlichen Seite möglichst verbessern, aber auf keinen Fall schwächen. Jede militärische Operation, selbst die kleinste »Probe«, sollte nur dann ausgelöst werden, wenn eine starke Verteidigungsposition im Einsatzraum und die allgemeine Bereitschaft zur Verteidigung entlang der gesamten Front der NATO Rückhalt gaben.592 Dieser letzte Grundsatz wirkt eher unrealistisch. Er vertrug sich nicht mit den Forderungen nach unmittelbarer Reaktion und Vermeidung jeder politischen Eskalation im frühen Stadium einer Krise, einem Zeitpunkt, an dem ein größerer Aufmarsch bzw. die Mobilmachung eigentlich kaum zu erwarten war. Zur besseren Abschätzung eines möglichen Krisenszenarios wurden vier praktische Annahmen gemacht: Wenn erstens sowjetische Kräfte den westlichen Zugang nach Berlin wirkungsvoll blockierten, würde es eine unmittelbare Reaktion der Drei Mächte geben, mit allgemeiner Unterstützung durch die NATO, in einer Art und an einem Ort, die direkt mit Berlin oder dem Zugang dorthin verbunden sein würde. Die Reaktion des Westens sollte, zweitens, zu diesem Zeitpunkt aus dem Katalog der Pläne, die von Live Oak vorbereitet worden waren, ausgewählt werden, aber auf jeden Fall würde sie bis zu einem gewissen Grad die Anwendung militärischer Gewalt beinhalten. Dies war nicht unproblematisch, musste aber hingenommen werden. »Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte riskiert selbst bei begrenztem Umfang die Gefahr einer explosiven Ausweitung auf höhere Konfliktebenen, die höchste Ebene eingeschlossen. Dieses Risiko wird akzeptiert«. Ferner wurde, drittens, die Bereitschaft aller Kräfte und Waffen, auch der nuklearen, betont, was ebenfalls psychologische Tücken beinhaltete. Vierten schließlich wurde der Zeitpunkt, zu dem eine militärische Handlung als Antwort in einer BerlinKrise begann, vor allem durch die politische Entwicklung geregelt.593 Alle vier Annahmen gingen im Grunde davon aus, dass die beteiligten Mächte die notwendigen Maßnahmen in einer Berlin-Krise schnell, aber auch wohlberaten und koordiniert entschieden. Zum damaligen Zeitpunkt, mitten in der Krise, erschien dies als einzig gangbarer Weg. Gleichzeitig wurden die Konzepte der Operationsplanung für den Zugang auf dem Landweg und durch die Luft festgelegt, wobei der erste wesentlich mehr Platz beanspruchte als der zweite.594 Die dabei gespielten Krisenszenarien bieten einen anschaulichen Einblick in das Denken und das Vorstellungsvermögen der NATO-Planer. Für den Fall der Sperrung eines Landweges sollte die NATO die erhöhte Alarmbereitschaft beschließen und die Durchführung der damit zusammenhängenden, BArch, BW 71/124, Nr. 35: »SACEUR’s Instructions to SHAPE Planners«, o.D., und offizielle Bezeichnung; handschr.: »Incl. to 16  Nov 61 ltr«, also eine Anlage zu einer Vorlage o.ä. vom 16.11.1961; inhaltlich ist es wohl weitgehend identisch mit dem endgültigen Dokument. 592 Ebd., Para. 1. 593 Ebd., Para. 2–5. 594 Ebd., Para. 6–8. 591



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weit gefächerten Alarmmaßnahmen bündnisweit befehlen. Dies sollte die sichere Basis für die dann einsetzenden Maßnahmen von Live Oak bilden, zunächst für die weitere Nutzung aller anderen, nicht gesperrten Zugangswege nach Berlin. Die Sowjetunion sollte benachrichtigt werden, dass die Drei Mächte mit Unterstützung der NATO einen gemeinsamen Konvoi entlang der Autobahn nach Berlin schicken würden. Gleichzeitig war sie aufzufordern, alle Beschränkungen aufzuheben und Hindernisse abzubauen. Die Drei Mächte würden dann sofort eine »Probe« auf der Autobahn in Marsch setzen, wahrscheinlich im Umfang eines Bataillons (Trade Wind), oder die kleinere »Probe C«, etwa eine Kompanie stark (Free Style). Der Auftrag dieser »Probes« wäre es, die wirklichen Absichten der Gegner aufzuklären, besonders ob sie bereit und entschlossen waren, den Zugang unter Einsatz von Gewalt zu verhindern.595 Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass diese Truppen durch überlegene Feindkräfte aufgehalten, zurückgedrängt oder überwunden werden konnten. Möglich war dann auch die Vernichtung der eigenen Kräfte auf der Autobahn, der Einsatz größerer Verbände zum Entsatz der »Probe«, ein unmittelbarer Angriff sowjetischer Truppen auf das Territorium der NATO oder ein Angriff auf Berlin. In jedem dieser Fälle konnte sich die Krise nachfolgend explosiv entwickeln. Sollte die »Probe« der Drei Mächte auf der Autobahn ohne die Anwendung dieser extremen Mittel lediglich angehalten werden, was durchaus als wahrscheinlich angesehen wurde, sollte der Westen unmittelbare politische Maßnahmen ergreifen. Diese konnten sehr vielfältig sein: Einschaltung der Vereinten Nationen, Verhandlungen auf hoher Ebene in Berlin, Anwendung politischer, wirtschaftlicher und anderer Pressionen, Seeblockade usw. Wenn all dies keine Wirkung zeigte, blieb nur noch die direkte militärische Aktion. Diese konnte den General War bedeuten, für den der Westen verantwortlich sein würde. Unter bestimmten Bedingungen konnten die Streitkräfte der NATO eine oder mehrere begrenzte Angriffsoperationen ansetzen, um die Gegenseite zum Einlenken zu bewegen: eine Operation mit dem Ziel, eine Art »Faustpfand« entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin zu nehmen, oder die Einnahme und Besetzung der Höhen des Thüringer Waldes; eine weitere Operation mit dem Ziel, den weit nach Westen reichenden Landbogen ostwärts Kassel abzuschneiden. Luftoperationen mussten ein solches Vorgehen nicht nur unmittelbar aus der Luft unterstützen, sondern sie sollten auch zur Gewinnung der Luftüberlegenheit auf dem Schlachtfeld beitragen. Der begrenzte und selektive Einsatz von Atomwaffen, unabhängig von oder in Verbindung mit den laufenden Gefechtshandlungen, war ebenfalls in den Planungen vorzusehen, um den Willen und die Fähigkeiten der Allianz zu demonstrieren, diese Waffen zu nutzen. All diese »selected, limited-objective operations«, zu denen nicht der reale Einsatz von Atomwaffen zählte, waren Kurzzeithandlungen, die ihren Zweck bald nach der Einleitung, möglicherweise nach Stunden, erfüllt haben würden. Durch den Eintritt in eine jede weitere Operation dieser Kategorie musste das Engagement des Westens immer breiter werden. Ob sich daraus ein General War entwickelte, so die Folgerung, werde von der sowjetischen Reaktion bestimmt, die unmittelbar und total sein konnte.596 Die Beurteilung der Später wurden nur noch die kleinen Operationen als »Probe« bezeichnet, also »Free Style«, und nicht die TBG. In Klammer stehen jeweils die damals gültigen Live Oak-Codes. 596 BArch, BW 71/124, Nr. 35: Para. 6, bes. 6.h. 595

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vorgesehenen Operationen im strategischen Kontext ließ damit in ihrer Knappheit an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Für die politischen Führer des Westens war das keine sehr beruhigende Erkenntnis.597 Was als Mittel zur Eindämmung von Krisen konzipiert worden war, konnte rasch zum Einstieg in die Eskalation werden. Die Erzwingung des freien Luftzugangs bereitete nicht ganz die Probleme wie im Falle des Landzugangs. Es ist eben ein Unterschied, ob Landstreitkräfte nach zeitaufwendiger Vorbereitung in Marsch gesetzt werden und versuchen, fremdes Territorium in Besitz zu nehmen, oder ob Luftkriegsmittel mit ihrer Flexibilität rasch eingesetzt und wieder zurückgezogen werden können, ohne einen Teil des Landes zu betreten oder zu besetzen. Der NAC war über den umfassenden Charakter der Vorkehrungen im Bilde.598 Auf zwei Aspekte war besonders zu achten. Die für den Zugang zu Lande gültigen Grundsätze waren im Allgemeinen auch für die Probleme des Luftzugangs anwendbar. Aber die Frage, wie auf eine Behinderung des Zugangs durch die Luft zu reagieren sei, konnte den Beginn umfangreicher Operationen zur Gewinnung der Luftüberlegenheit bedeuten, sowohl innerhalb der Korridore wie auch außerhalb. Auch wenn zunächst nur konventionelle Waffen zum Einsatz kämen, konnten die Operationen rasch eine sehr hohe Intensität erreichen. Die Lage konnte weiter erschwert werden, wenn die Sowjetunion ihrerseits Einrichtungen der westlichen Luftwaffen angriff; eine Entwicklung, die die NATO nur kurz tolerieren konnte, wenn die allgemeine Verteidigungsfähigkeit bewahrt werden sollte, insbesondere die Schlagkraft des nuklearen Potenzials, das sehr stark von den Trägermitteln abhing, eben vor allem von den eigenen Fliegerverbänden.599 Falls beides, Land- und Luftzugang, gleichzeitig unterbunden würde, käme es in beiden Bereichen zu angemessenen Reaktionen. Wenn indes Prioritäten gesetzt werden mussten, bestimmten die Landoperationen den Zeitpunkt und die Art der westlichen Anstrengungen.600 Dies war insofern sinnvoll, weil Landoperationen größeren Zeitbedarf haben und weniger flexibel geführt werden können. Jetzt zeigten sich die Leistungsfähigkeit, aber auch die Grenzen des NATO-Apparates. Die Planungsweisungen ließen den Planern größtmöglichen Raum in der Ausführung, sie konnten das eigentliche Problem aber nur vorausschauend erfassen. Alle Planung nutzte nichts, wenn die politische Lage im Ernstfall aus dem Ruder lief. Das Dilemma der NATO blieb weiter bestehen. Wenn die Lage so weit eskaliert war, dass die Pläne verwirklicht werden mussten, war die Entwicklung bereits brandgefährlich und möglicherweise nicht mehr beherrschbar. Mit diesem Planungsschritt auf der Ebene der Obersten Befehlshaber endete eigentlich die Phase der politischen Willensbildung mit Unterstützung durch den militärischen Sachverstand und der allgemeinen Vorbereitung. Es begann die Phase der Durchführung auf allen Ebenen.601 Vgl. die Reaktion des Verteidigungsministers: Strauß, Die Erinnerungen, S. 380‑392, v.a. S. 386 f. BArch, BW 71/124, Nr. 35: Para. 7, S. 5. 599 Ebd., Para. 7.b. 600 Ebd., Para. 8. 601 Die Weisungen und die Befehlsgebung der anderen Obersten Befehlshaber der NATO sind nicht in BW  71 erhalten. Ihr Beitrag betraf im Wesentlichen die Unterstützung des SACEUR und Gegenmaßnahmen zur See. Es gibt indes einzelne weiterführende Dokumente, wie Wei-

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Ein direktes Grundsatzpapier der NATO für das Zusammenwirken mit Live Oak war aber noch immer nicht erlassen. Es waren noch etliche Grundsatzprobleme und die üblichen Koordinierungsverfahren im Vorfeld zu lösen. Drei Fragen waren dazu gestellt worden: Welche Meinung hat General Norstad zur Frage des Kommandowechsels von Live Oak zur NATO im Ernstfall? Zu welchem Zeitpunkt sollen die Beziehungen zwischen NATO und den Drei Mächten im NAC diskutiert werden? Stimmt es, dass der COS, General Baker, Live Oak zu einem »Operationszentrum« der NATO ausbauen will?602 Der deutsche NMR/LO nahm sich dieser Fragen an und gab repräsentative Antworten für die NATO insgesamt. Die letzte Frage war leicht zu beantworten: Eine solche Absicht hatte nie bestanden, denn »Live Oak ist ein kleiner Arbeitsstab mit beschränkter ›operational capability‹«, notwendig, um ohne Zeitverzug die erforderlichen Maßnahmen nach politischer Entscheidung der Vier Mächte auszulösen und die Regierungen über den Ablauf zu orientieren. Eine Ausweitung sei nie beabsichtigt gewesen.603 Die erste Frage konnte mit General Norstads Worten beantwortet werden:604 »I see no major problem with respect of transfer of military control as between Live Oak and NATO«. Was die Übergabe der politischen Führung anging, sollte diese erfolgen, bevor die erste »Probe« in Marsch gesetzt wurde.605 Es mussten nur einige Voraussetzungen erfüllt sein, etwa die NATO in entsprechende Einsatzbereitschaft zu versetzen, Alarmstufen auszulösen und die Einweisung der Kommandeure der NATO zu veranlassen. Diese Punkte waren inzwischen genehmigt und in Weisungen und Befehlen geregelt. Es blieb aber eindeutig nach wie vor klar, ein Kommandowechsel sei überwiegend ein politisches Problem.606 In der Frage des richtigen, des günstigen Zeitpunktes für die Festlegung der Beziehungen zwischen den Vier Mächten und der NATO bestand bei Live Oak weiterhin Konsens,607 die Diskussion darüber erst dann zu führen, wenn die Planungen der NATO über die vorgesehenen Operationen zu einem Abschluss gekommen waren.608 Daher sollte die Behandlung des Papiers möglichst erst dann im NAC erfolgen, wenn das Ergebnis der Planungen vorlag.609



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sungen an ­CINCENT und Befehle von CINCENT an seine unterstellten Befehlshaber, v.a. an ­COMNORTHAG. Vgl. dazu BArch, BW 71/16, Nr. 94: Bericht Nr. 20 des NMR/LO, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 499/84 geh. vom 22.11.1961; auch BArch, BW 71/117, Nr. 77: Msg COS, SHLO 9-00039, 24.11.1961, LO-TS-61-3021. Der Auslöser, Diplogerma Wash. Nr. 3255 vom 17.11.1961, als Ref. genannt, befindet sich nicht im Bestand BW 71 und war bisher auch nicht in PA AA, B 130, zu lokalisieren. BArch, BW 71/16, Nr. 94: Bl. 5, Ziff. 3.g. Siehe Bericht Diplogerma Wash. Nr.  2439 vom 20.9.1961; nicht in BW  71; in BW  2 und in PA AA bisher nicht gesehen. BArch, BW 71/16, Nr. 94: Bl. 2, Ziff. 2.b, wörtlich aus Norstads Brief, Zit. NMR/LO-Bericht Nr. 20. Ebd., Bl. 5, Ziff. 2.f(4); und Bl. 2, Para. 2.b. Ebd., Bl. 6‑8, Ziff. 4. Verweis hier auf Diplogerma Wash., Tgb.Nr. 483/61 str.geh. vom 25.9.1961, Ziff. 6, letzter Absatz, übermittelt an NMR mit Fü B III/LO MDBC 02522; nicht in BW 71; in BW 2 und AA bisher nicht gefunden. BArch, BW 71/16, Nr. 94: Ziff. 4, Bl. 7, Zit. ebd.

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Diesbezüglich wurde die Entscheidung tatsächlich verschoben. Man kann jedoch festhalten, dass im Herbst des Jahres 1961 mit der Verabschiedung der »Instructions to NATO Military Authorities«610 die politische Grundsatzentscheidung gefallen war: Die NATO-Partner und damit das Bündnis insgesamt unterstützten politisch und militärisch die Politik der Vier Mächte zu Berlin.611 Sie erklärten sich bereit, notfalls das hohe Risiko der Konfrontation mit der Sowjetunion und ihren Verbündeten mit zu tragen. Die wesentlichen Voraussetzungen waren, dass sie gefragt wurden und mitbestimmen konnten und dass die Politik der gültigen Strategie der NATO entsprach.612 Damit trat die Zusammenarbeit in eine neue Phase ein, die Ausführung der Aufträge des Rates, d.h. de facto der Beginn der konkreten militärischen Ausplanung, der Ausarbeitung der BERCON- und MARCON-Operationen der NATO. Die Weisung des NAC war von der Standing Group in Washington studiert und an die Obersten Befehlshaber (SACEUR, SACLANT und CINCCHAN) weitergegeben worden,613 die entsprechende Aufträge an ihre Stäbe verteilten.614 Nun war die Weisung nicht aus heiterem Himmel zu unvorbereiteten Planern gekommen. Grundlegende Überlegungen waren parallel zu den politischen Verhandlungen angestellt worden, hatten auch Einfluss auf diese gehabt durch Zuarbeit zu den Stellungnahmen Norstads in den verschiedenen Gremien. Ebenso spielten Entwürfe von SHAPE und auch von den Vier Mächten zu speziellen Fragen eine wichtige Rolle im Planungsprozess.615 Die aktuelle Krise, die politischen Gespräche der Vier Mächte, u.a. in Washington im Dezember 1961, sowie mögliche Verhandlungen mit der Sowjetunion zeigten den Ernst der Lage und ließ Eile geboten erscheinen. Die militärischen Pläne wurden im Winter 1961/62 und im Frühjahr 1962 ausgearbeitet. Die Obersten Befehlshaber trugen den Stand der Planung im NAC und, soweit notwendig, in der WAG vor.616 Gemäß dem Auftrag des NAC in der Weisung vom 25. Oktober 1961 wurden fünf Gruppen von Plänen erarbeitet:617 – ausgedehnte nicht-nukleare Luftoperationen, die unter dem Decknamen SACEUR BERCON Alpha liefen, – selektiver Einsatz von Nuklearwaffen unter SACEUR BERCON Bravo, Das Dokument findet sich in BArch, BW 71/125, Nr. 6: C-M(61)104-CTS, 25.10.1961, LO(IN)CTS-61-2057. Es ist auch als BQD-M-10, 1.11.1961, BArch, BW 71/127, Nr. 2, für Live Oak ein wichtiges Dokument geworden. 611 BArch, BW 71/125, Nr. 6: Para. 1‑4. 612 Ebd., S. 1‑3, Para. 6‑10. 613 Mit Stand 4657 CTS, 27.10.1961, nicht im Bestand; siehe aber BArch, BW 71/16, Nr. 89: NMR/ LO Bericht Nr. 32, »Militärische Notstandsplanung« vom 30.9.1967, Tgb.Nr. 487/84 geh., Anl. 2, S. 4 f. und Anl. 19‑24. 614 Vgl. BArch, BW  71/124, Nr.  35: »SACEUR’s Instructions to SHAPE Planners«, vermutlich 16.11.1961, o.Bez. und Dat. 615 Siehe z.B. die amerikanischen Entwürfe zu den »Beziehungen zwischen den Vier Mächten und NATO«, u.a. BArch, BW 71/124, Nr. 33. 616 So Norstad am 23.2.1962 vor dem NAC gem. BArch, BW  71/1, Nr.  8: Vertr. NATO, II/2008-2/29/62 str.geh. vom 28.2.1962, Anl. Bl. 1. Die Military Subgroup der WAG hatte sich seit dem Herbst 1961 damit beschäftigt; zum Ergebnis siehe BArch, BW 71/118, Nr. 32: BQD-M-22 »Concerning Relationship [...]«,18.5.1962. 617 Dargestellt hier weitgehend nach BArch, BW  71/16, Nr.  89: NMR/LO Bericht Nr.  32 vom 30.9.1967, Anl. 19‑24. Siehe auch die Grafik »NATO-BERCON-/MARCON- und Live-OakPläne 1959‑1962«. 610



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NATO-BERCON-/MARCON- und Live-Oak-Pläne 1959 – 1962 Live Oak Bodenoperationen Operation »Free Style« Operation »Trade Wind« Operation »June Ball«

Trinationale Kompanie nach Berlin Trinationales Bataillon nach Berlin Bildung (aber nicht Einsatz) einer trinationalen Division

Luftoperationen Operation »Jackpine I« (Kleine Luftbrücken) - Civil Airlift Militärflugzeuge ersetzen Passagierflugzeuge - Garrison Airlift Luftbrücke für die alliierten Garnisonen in Berlin - Triple Play Evakuierung der alliierten Familienangehörigen Operation »Jackpine II« (Unterstützung der Luftbrücken durch Jagdflugzeuge) - Fall A Jagdflugzeuge sind bereits in der Luft vor den Korridoreingängen - Fall B Jagdflugzeuge begleiten Transportflugzeuge in den Korridoren Zusätzlicher Viermächte Notfallplan, jedoch nicht unter Live Oak Quadripartite Berlin Airlift (Große Luftbrücke wie 1948)

NATO Bodenoperationen (SACEUR) BERCON Charlie One BERCON Charlie Two BERCON Charlie Three BERCON Charlie Four

Angriff durch eine Division von Helmstedt nach Berlin Angriff, 2 Divisionen, um das Gebiet östlich von Kassel zu nehmen Angriff, 3 – 4 Divisionen von Helmstedt zur Elbe Angriff, 3 – 4 Divisionen, um die Höhen des Thüringer Waldes zu nehmen

Luftoperationen (SACEUR) BERCON Alpha One BERCON Alpha Two

Große Begleitflugzeugoperation in den Luftkorridoren nach Berlin Schlacht um die Luftüberlegenheit über Teilen der DDR

Operationen auf hoher See (SACLANT: MARCONs; SACEUR: BERCON Delta) MARCON One Überwachung Ostblock-Handelsschiffe in bestimmten Gebieten MARCON Two Überwachung Ostblock-Kriegsschiffe in bestimmten Gebieten MARCON Three Störaktionen gegen bestimmte Ostblock-Schiffe MARCON Four Entern und Durchsuchen bestimmter Ostblock-Handelsschiffe MARCON Five Beschlagnahme bestimmter Ostblock-Handelsschiffe MARCON Six Blockade oder Sperrung bestimmter Gebiete für Ostblock-Schiffe BERCON Delta (wie die MARCONs, aber für das Operationsgebiet von SACEUR) Nukleare Pläne (SACEUR) (erste BERCONs, 24. März 1962) BERCON Bravo Bis zu 5 kleine, nukleare Luftdetonationen über rein militärischen Zielen (umgearbeitete BERCONs, 10. September 1962) BERCON Bravo One Nukleare Demonstration: »kein Ziel«, wo möglich »kein Schaden« BERCON Bravo Two Nukleare Luftdetonation auf einem militärischen Ziel fern von Siedlungen Quelle: Gregory Pedlow, Schaubilder für eine Podiumsdiskussion im Alliierten-Museum Berlin am 28.9.2010.

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– ausgedehnte nicht-nukleare Landoperationen unter dem Decknamen SACEUR BERCON Charlie, – ausgedehnte nicht-nukleare Seeoperationen unter SACEUR BERCON Delta oder MARCON für die Maritimen Obersten Befehlshaber CINCCHAN und vor allem SACLANT, sowie – damit verbundene Alarmmaßnahmen der NATO. Die ersten Entwürfe wurden im Frühjahr 1962 der Ständigen Gruppe zur Prüfung vorgelegt, die daraufhin einige wesentlich Änderungen veranlasste, insbesondere – zusätzliche Planungen für Landoperationen, – Vorrang der Drei Mächte in der nationalen Zusammensetzung der für BERCONPläne vorgesehenen Truppenteile,

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– Koordinierung von »June Ball«, dem Live-Oak-Plan für den möglichen Einsatz einer mechanisierten Division, und BERCON Charlie One, dem korrespondierenden NATO-Plan, – weitere Planungen und Klarstellungen für den Einsatz nuklearer Waffen. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1962 wurden die Pläne überarbeitet und zur Genehmigung der Ständigen Gruppe wie folgt vorgelegt: – CINCHAN legte seine MARCON-Pläne mit Datum 2. April 1962 vor.618 – SACEUR stellte seine sehr umfangreichen Planungen für die BERCON-Operationen mit Datum 24. März 1962 zusammen.619 – SACLANT brauchte am längsten: Mit Datum 15.  August übergab er seine ­MARCON-Pläne der Ständigen Gruppe zur Genehmigung.620 Die Beratungen über diese Planungen bis hin zur Beschlussfassung verliefen teils nicht einfach, da viele Detailprobleme zu lösen waren, die mit den weiterbestehenden grundlegenden Problemen verknüpft waren. Eine Rolle spielten insbesondere die Vorbereitung und der Einsatz der Alarmmaßnahmen für diese Eventualfallpläne. Die von Live Oak und von den Hauptquartieren der NATO geplanten militärischen Operationen setzten voraus, dass vor Beginn gewisse Alarmmaßnahmen durch die Allianz ausgelöst und durchgeführt worden waren. Es gab jedoch eine Reihe von allgemeinen Faktoren, welche die Nutzung von Alarmmaßnahmen schwierig machten: Der Zeitraum zwischen Auslösung und Wirksamwerden war bei jeder einzelnen Maßnahme, aber auch bei jeder Nation unterschiedlich. Daher war zur Steuerung der Alarmierung eine frühzeitige Delegierung der Vollmacht, solche Maßnahmen auszulösen, an den zuständigen Obersten Befehlshaber, also SACEUR, von besonderer Bedeutung. Ein gewichtiges Problem war die strukturelle Ungleichzeitigkeit. Vor allem bei Drei-MächteOperationen würden manche Maßnahmen nicht in der gesamten NATO oder auch innerhalb Europas nicht in jeder Region in gleicher Weise und zum gleichen Zeitraum notwendig werden. Vorrangig würde der NATO-Mittelabschnitt betroffen sein, also die Central Region, der Bereich der Allied Forces Cental Europe (AFCENT). Insgesamt war es »sehr schwierig, Art und Umfang der erforderlichen Alarmmaßnahmen im Voraus zu bestimmen«. So behalf man sich für Planungszwecke mit »eine[r] Skala von minimal notwendigen und maximal wünschenswerten Alarmmaßnahmen«.621 Dieses Verfahren war einigermaßen erfolgreich für die Planung des Landzugangs, bei Luft- und See-Operationen weniger. Als Voraussetzung für die kleinen »Probe«-Operationen sollte mindestens der »State of Military Vigilance« der NATO ausgelöst, möglichst sogar erfüllt sein, vielleicht noch mit gewissen Ergänzungen. Ab der Divisionsgruppe »June Ball« und für alle BERCONPläne wurde aber die Stufe »Reinforced Alert« europaweit als unbedingt notwendig betrachtet. Für die MARCON-Pläne waren die Annahmen hierfür flexibler.622 Für Live CINCCHAN 001107/8 CTS, nicht in BW 71. Ob das Dokument offengelegt wurde, ist nicht bekannt. 619 BArch, BW 71/125, Nr. 5: SHAPE 1200.2/20, CTS. Dieses Dokument befindet sich im Bestand und ist zugänglich: LO(IN)-TS-62-2049. 620 SACLANT Ser. Nr. 3011/C-982, CTS, nicht in BW 71. Über eine Offenlegung ist nichts bekannt. 621 BArch, BW 71/16, Nr. 89: Anlage 24, S. 1. 622 Ebd., S. 2‑4. 618



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Oak war natürlich der Operationsplan BERCON Charlie One von besonderer Bedeutung, da er die Fortsetzung seines Operationsplanes »June Ball« beinhaltete. Danach hatte Live Oak eine gemischte, verstärkte und mechanisierte Divisionsgruppe im Raum um Braunschweig zu versammeln und so vorzubereiten, dass sie anschließend nach Übernahme durch die NATO die Operation Charlie One des SACEUR ausführen könnte. Die Ergebnisse der Überarbeitung der Pläne durch die zuständigen Obersten Hauptquartiere erläuterte die Ständige Gruppe der NATO am 28. August 1962 dem Generalsekretär in einem Memorandum.623 Sie ging wie gefordert insbesondere auf die Vorteile und Risiken ein.624 Der deutsche militärische Vertreter (DMV) beim Military Council (MC) schildert in seinem Bericht, dass die Stellungnahme das Ergebnis »mehrerer zäher Beratungen zwischen SG und DMV, der 96.  MC-Sitzung und der Einarbeitung der Stellungnahme der Supreme Commanders« gewesen sei.625 Die deutschen Vorstellungen seien »im Wesentlichen berücksichtigt« worden.626 Die Ständige Gruppe habe die Notwendigkeit besonders hervorgehoben, die NATO zu mobilisieren, »weil es für die Beratungen im Rat wichtig sei, alle Nationen davon zu überzeugen, dass die Mobilisierung ein wesentliches Mittel ist, die Sowjets von der Entschlossenheit der Allianz zu überzeugen.«627 Als Voraussetzungen für die Durchführung der NATO-Operationen in einer BerlinKrise wurden genannt: – Die NATO, also der NAC, hat die Pläne und die Ausführung genehmigt. – Andere, nicht-militärische Maßnahmen müssen vorher durchgeführt worden sein und keinen durchschlagenden Erfolg gebracht haben. – Die NATO muss auf den General War628 vorbereitet sein. – Es müssen ausreichende Kräfte verfügbar sein. – Die Verteidigung, hier »Vorwärtsverteidigung« genannt, wird bereits am »Eisernen Vorhang« aufgenommen. – Die Alarmstufe »Reinforced Alert« des NATO-Alarmsystems ist ausgelöst, die dazu gehörenden Maßnahmen sind ausgeführt. Diese Voraussetzungen, die wesentliche Grundelemente des NATO-Krisenmanagements darstellten, bildeten große Hürden, die im Sinne der Verhinderung eines großen Krieges auch bewusst so gestaltet worden waren.629

Mit SGM-479-62, CTS; nicht im Bestand BW  71, aber behandelt u.a. in BArch, BW  71/1, Nr. 28: FS Milgerma Wash., 25.8.1962, Tgb.Nr. 467/62 str.geh., NMR/LO Tgb.Nr. 341/62 TS, 27.8.1962. 624 Mit Blick auf den Plan BERCON Charlie One wird hierzu später noch einiges gesagt. 625 BArch, BW 71/1, Nr. 28: Ziff. 1 des FS. 626 BArch, BW 71/1, Nr. 25: Weisung FS mdbc 2749 vom 15.8.1962, Fü BIII 1 LO, NMR/LO Tgb. Nr. 328/62 TS, Ziff. 1. 627 BArch, BW 71/1, Nr. 28: Ziff. 3. des FS des DMV zu Para. 6. des MCM-94-62. 628 Siehe auch die »Athens Guidelines« des Bündnisses vom 6.5.1962. Diese Richtlinien bildeten den Anfang aller gemeinsamen Überlegungen für den Einsatz und die Verfahren für den Nukleareinsatz im Bündnis, sollten aber gleichzeitig den Bündnispartnern klarmachen, dass ein Strategiewechsel zu flexibleren militärischen Reaktionen stattfinden würde. Vgl. Mahan, Kennedy, de Gaulle und Western Europe, S. 79‑81; Das Atlantische Bündnis, 1982, S. 50. 629 BArch, BW 71/16, Nr. 89: Bericht des NMR/LO Nr. 32, Anl. 19, S. 2. 623

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Zusammenwirken von Live Oak und NATO 1962 Entscheidung

Nordatlantikrat Militärausschuss

Regierungen der Vier Mächte CLO

Oberbefehlshaber Live Oak

SACEUR

Oberster Befehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa

Unterstützender Stab

Operationen

Koordinierung

Live Oak

Live Oak Operationen

eventue lle Übergabe

Aufgaben

Live Oak

NATO

SHAPE

Hauptquartier der NATO-Streitkräfte in Europa

SACEUR Alarmsystem BERCON Operationen NATO Verteidigungsoperationen

Quelle: Anlage G vom 18.1.1974 zu GLNO-Bericht Nr. 38, Tgb.Nr. 81/74, geh. vom 6.5.1974, BArch, BW 71/7, Nr. 20.

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Der NAC beriet in mehreren Sitzungen die Pläne,630 wobei der amerikanische Botschafter einleitend eine nationale Beurteilung der sowjetischen Berlinpolitik vortrug. Im Laufe der Diskussion wurden viele Detailfragen gestellt, die wohl auch Zweifel an der Sachkenntnis der Fragesteller aufkommen ließen,631 worauf die Diskussion sich »in Einzelfragen zu verlieren drohte«.632 Probleme machten vor allem die Unterscheidung der Live-Oak- von NATO-Planungen, das Alarmierungs- und Mobilmachungswesen und die Einteilung der Maßnahmen in ein »Phasenkonzept«,633 zusätzlich alles mit der aktuellen Krise verbunden.634 Die Hauptsorge der nicht direkt an Live Oak beteiligten NATO-Partner war, dass mit Live Oak ein Steuerungselement geschaffen werde, das gerade in heiklen Krisensituationen die NATO dominierte, ohne dass sie Einfluss nehmen konnten. Die Zustimmung des NAC zu den BERCONs und MARCONs wurde durch eine Stellungnahme des Rechtsberaters des Generalsekretärs erschwert, der darauf hinwies,

In »Restricted Session«, siehe die Einladung des Generalsekretärs vom 11.9., ursprünglich für den 12.9.1962 vorgesehen, dann verschoben: BArch, BW  71/125, Nr.  26: PO/62/581 CTS; auch Nr. 27: Bericht des SGREP vom 21.9.1962, JMG/SG/25, TS. SGM = S.G. Memorandum. Siehe auch BArch, BW 71/1, Nr. 33: Bericht NATO-Germa Paris Nr. 951 vom 27.9.1962, NMR/LO Tgb.Nr. 387/62 TS. 631 BArch, BW 71/1, Nr. 33: Ziff. 2 und 3, S. 3. 632 Ebd., S. 1. 633 So auf Deutsch oft bezeichnet; siehe auch die Darstellung in Kap. IV.3 und IV.9. 634 BArch, BW 71/1, Nr. 33: Das alles ist auch aus diesem FS vom 27.9.1962 zu entnehmen. 630



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dass verschiedene MARCONs und BERCON-DELTAs völkerrechtliche Folgerungen haben, sogar das Völkerrecht verletzen konnten.635 Die Diskussionen wurden in weiteren Sitzungen am 10. und 12.  Oktober fortgeführt.636 Diese wurden erneut recht kontrovers geführt637 und kreisten am 10. Oktober vor allem wiederum um die politischen Entscheidungsprozesse in Bezug auf die militärischen Maßnahmen sowie um die Einbeziehung der NATO-Alarmstufen und -maßnahmen, die Rolle der Atomwaffen sowie überhaupt die Zustimmungsfähigkeit im NAC und um die völkerrechtliche Zulässigkeit einiger Pläne. Die Vertreter der Vier Mächte, besonders der Amerikaner und der Brite, versuchten in beiden Sitzungen, auf die Bedenken und Vorbehalte der anderen Botschafter einzugehen. Die Pläne seien nur als »Katalog möglicher Maßnahmen aufzufassen« und noch gar nicht im Detail ausgearbeitet. Eine »formelle, jeden Einzelpunkt betreffende Zustimmung sei daher nicht notwendig.«638 Es ist kennzeichnend, dass sich insbesondere die kleineren und die nicht in Berlin engagierten Nationen kritisch zu Wort meldeten. Sie hatten natürlich immer noch große Sorge, ohne ausreichende Mitsprache in eine möglicherweise hoch riskante Operation mit großem Eskalationspotenzial hineingezogen zu werden.639 Zum Abschluss der Sitzung am 12.  Oktober 1962 schlug der die Sitzung leitende Stellvertretende Generalsekretär Guido Colonna di Palliano vor, die Beratungen über die militärischen Eventualfallplanungen möglichst bis Ende des Monats abzuschließen. Über den Verlauf der Diskussionen aus deutscher Sicht gibt immerhin eine Weisung des Auswärtigen Amtes an die Vertretung bei der NATO vom 20. Oktober Aufschluss: »Die bisherige Diskussion der BERCON/MARCON-Pläne ist nicht ungünstig verlaufen. Es war zu erwarten, dass einige NATO-Staaten Bedenken gegen Einzelheiten der [...] Pläne, denen auch wir nur mit erheblichen Vorbehalten zugestimmt haben, vorbringen würden.«640 Es folgen detaillierte Anweisungen für das deutsche Verhalten bei den Beratungen und Entscheidungen im NAC. Ein Aspekt ist hier allgemein von Bedeutung, weil er wohl der Interessenlage aller Vier Mächte entsprach: »Die Vertreter der Vier sollten [...] BArch, BW 71/125, Nr. 9A: PO/62/637 CTS, 4.10.1962, LO(IN)-CTS-62-2112. Die Stellungnahme selbst ist als Annex mit Datum 25.9.1962 beigefügt; des Weiteren ebd., Nr. 10: PO/62/641/ CTS, 8.10.1962, LO(IN)-CTS-62-2113. Es ging darin auch um die Frage, wie die einzelnen Schlüsseldokumente in den Gremien des Bündnisses zu behandeln seien. 636 Beide Sitzungen »in private session«. Zum 10.10. gibt es zwei Berichte vom 13.10.1962: BArch, BW 71/125, Nr. 11: SGREP LOM 188/62, zu den militärischen Planungen; und Nr. 11A: LOM 189/62, zu den mehr politischen Planungen und Maßnahmen. Sitzung am 12.10.: nur die Botschafter mit dem Generalsekretär. Zeitweise wurde der COS Live Oak, Major General Baker, zugezogen, als es um sein Aufgabengebiet ging: BArch, BW  2/17.638, Heft  3: Fü  B  II 8 LO, 12.10.1962. 637 Siehe hierzu BArch, BW 71/1, Nr. 38: DB NATO-Germa Paris Nr. 994 vom 11.10. und Nr. 1000 vom 12.10.1962, gemeinsam übermittelt über Fü B III 8 LO an NMR/LO, Tgb.Nr. NMR/LO 432/62TS vom 23.10.1962. 638 Ebd., NATO-Germa Nr. 994 vom 10.10.1962, Ziff. II.5, S. 4. 639 Vgl. dazu die gelungene Darstellung von Nünlist, Die NATO und die Berlinkrise, S. 263‑273; auch Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S. 588. Dieser nennt übrigens Kanada als informellen Führer dieser Mächte; das wird auch in BArch, BW 71, deutlich. Neuere Literatur dazu: Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 4‑8. 640 BArch, BW 71/1, Nr. 36: AA Drahterlaß, gezeichnet ›Carstens‹, Plurex Nr. 3618, NMR/LO Tgb. Nr. 429/62TS, S. 1. 635

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ein taktisches Verhalten vereinbaren, das eine geordnete Diskussion im [...] Rat und eine vordringliche Verabschiedung der [...] Pläne wie des Dokuments über Tripartiteund NATO-relationship sicherstellt.«641 Sie wollten eine »Generaldebatte der gesamten Contingency-Planung« verhindern und darauf »hinwirken, dass die übrigen [...] Fragen (Alarmplanung, Politische Contingency-Planung, wirtschaftliche Gegenmaßnahmen, Rolle des Rats im Notfall)« erst später behandelt und entschieden wurden.642 Im Übrigen solle der amerikanische Botschafter der Sprecher der Vier im Rat sein. In diesen Tagen begann die Kuba-Krise die westliche Welt in Atem zu halten. Die Probleme der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung bewegte alle Politiker, Diplomaten und Soldaten in verantwortlicher Stellung. Diese Krise hat daher auch die Beratungen im NAC zu Live Oak wesentlich beeinflusst.643 Nach weiteren Sitzungen verabschiedete der Nordatlantikrat am 31.  Oktober schließlich die wesentlichen Dokumente zum Komplex Live Oak – NATO.644 Man zementierte die erreichten Vereinbarungen zurückhaltend und verwies für die sensiblen und problematischen Punkte auf weitere Konsultationen.645 Damit war die politisch-diplomatische Hauptarbeit im Bündnis zunächst getan.646 Und so kommt das deutsche Auswärtige Amt im November 1962 zu dem Schluss: »Der Westen ist willens und in der Lage, der aggressiven sowjetischen Politik in der Berlinkrise auch weiterhin standzuhalten, wenn wir einig und geschlossen bleiben.«647 Offensichtlich hatte die Ständige Gruppe bereits am 3.  Oktober die BERCONMARCON-Planungen genehmigt,648 obwohl die Beratungen im NAC noch nicht abgeschlossen worden waren. Dies wird nicht ohne Zustimmung des Generalsekretärs erfolgt sein,649 denn die Planungen mussten wegen der andauernden Krise zügig weitergeführt BArch, BW 71/1, Nr. 38: 2. Abs. BArch, BW 71/1, Nr. 36: S. 2. 643 Zu den möglichen Auswirkungen dieser Krise siehe auch BArch, BW  2/17.638, Heft  1, SG  II, Nr. 29: Vorlage für Bundesminister der Verteidigung, GenInsp, FüB III 8 LO, Tgb.Nr. L1254/62 geh. vom 1.11.1962. 644 BArch, BW  71/1, Nr.  33: DB Nr.  1059 Diplogerma Wash. vom 31.10.1962, NMR/LO Tgb. Nr. 498/62 TS. 645 SHAPE/70/62 und SHAPE/70/A/62, 10.9.1962; SACLANT 3011/c-982, 15.8.1962; CINCCHAN CH.001107/8, 2.4.1962; BArch, BW  71/1, Nr.  33: Anlage  1, Para.  1. des DB vom 31.10.1962. Zusätzlich BW 71/118, Nr. 32 (= BQD-M-22, 18.5.1962: »Recommendation by the Governments of France, The United Kindom and The United States Concerning the Relationships Between NATO and The Three Powers in the Planning and Control of Berlin Contingency Operations«). Ferner BArch, BW 71/1, Nr. 61: BQD-M-30 (rev.) vom 12.9.1962, LO(IN)-TS-63-2046; und BW 71/1, Nr. 39: Text aus Anlage 3 zum DB vom 31.10. 1962. 646 BArch, BW 2/17.641, Heft 11: AB.84.20 1419/62 III vom 13.11.1962, Aufzeichnung »Vier Jahre Berlinkrise«; übermittelt unter Fü B III 1 LO, Tgb.Nr. 82/63 geh. – eine umfassende, lesenswerte Beurteilung. 647 BArch, BW 2/17.638, Heft 1, SG II: Vorlage Fü B III 8 an Chef Fü B zum »Sachstand Contingency Planning« Fü B/B III 8 LO, Tgb.Nr. 1-L17/63, str.geh. vom 10.1.1963, Zit. S. 21. Darin unter 7. die Feststellung, dass wegen der Krise um Kuba der sowjetische Druck auf West-Berlin nachgelassen habe. 648 BArch, BW 71/125, Nr. 8: STAND 4902 und 4903, CTS; beide überliefert als Anlagen zu MCM94-62-CTS, 3.8.1962; Information auch gem. BArch, BW  71/16, Nr.  89: NMR/LO Bericht Nr. 32, Anl. 19, S. 1. 649 Ein Beleg dafür ist in BW 71 nicht zu finden gewesen, ebensowenig in anderen Beständen, soweit sie zugänglich waren. 641 642



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und möglichst bald zu einem Abschluss gebracht werden. Die eigentliche militärische Arbeit konnte nun erst richtig beginnen.650 Spekulationen in der Presse über westliche Reaktionen und Planungen auf sowjetische Absichten und Aktionen gegen Berlin im November651 sorgten kurzzeitig für Aufregung und schienen auf eine Verletzung des Geheimschutzes hinzudeuten. Im Frühjahr 1963 aktualisierte SACEUR seine Weisungen an die unterstellten Befehlshaber für die Planung der Berlin Contingencies652 gemäß der neuen Beschlusslage im NAC.653 Die wesentlichsten Änderungen in den neuen BERCON/MARCON bestanden in Folgendem: Die Möglichkeit, dass die sowjetische Führung chemische Kampfstoffe einsetzen könnte, war neu aufgenommen worden.654 In den Einsätzen der Luftstreitkräfte in der Alpha-Serie wurden die Planungen für Alpha One an die LiveOak-Planungen »Jackpine« angeglichen und um drei weitere Optionen erweitert.655 Die Bravo-Serie656 wurde klarer als selektiv definiert und voneinander unterschieden: reine Demonstration ohne besonderes Ziel (»no target«), möglichst ohne Schaden,657 oder die Bekämpfung militärischer Einzelziele. Aber für alle konventionellen Planungen (Alpha, Charlie und Delta) wurden nun nukleare Zusatzpläne vorgesehen. Eine Beteiligung der Bundeswehr in der Charlie-Serie war erst ab einer Korpsoperation vorgesehen, also für Charlie Three und Charlie Four. »June Ball«/Charlie One sollte jetzt als eine in sich geschlossene Operation behandelt und zusammengefasst werden. Schließlich wurden die BERCON-Delta- und MARCON-Planungen an die maritimen Planungen der Vier Mächte, die NAVCONs, angeglichen.658 In dem eigentlich sehr wichtigen Punkt der innenpolitischen Lage der DDR hatte man indes einen Rückzieher gemacht: Der mögliche Einfluss »ziviler Probleme in der Ostzone« während eigener Operationen und als Reaktionen auf diese wurde nicht mehr behandelt, weil es nicht möglich gewesen war, diese realistisch zu beschreiben und darüber Einvernehmen zu erzielen. Die Detailplanungen für untergeordnete Bereiche dauerten wohl bis in die frühen siebziger Jahre.659 Ein Plan der BERCON-Serie der NATO stand in einem besonderen Verhältnis zu den Plänen von Live Oak: Es war der Plan BERCON Charlie One, der die

Eine gute Übersicht gibt BArch, BW 71/1, Nr. 59: Bericht NMR/GLNO, Tgb.Nr. 317/63 TS vom 7.6.1963, v.a. S. 2 f. 651 BArch, BW 2/17.638, Heft 3: etwa am 16.11.1962 in der »New York Times«: »West’s Reaction to Berlin Pressure« von David Binder. 652 BArch, BW 71/126, Nr. 4: 1200.2/20 CTS, 25.4.1963; in der Anlage der neue Plan: SHAPE/99/63CTS, LO(IN)-CTS-63-2047. 653 BArch, BW 71/126, Nr. 4, Weisung vom 25.4.1963, Para. 1. 654 Ebd., Para. 4 im Basic Plan. 655 Die Optionen in ALPHA 1 mit Bezeichnung X-RAY, YANKEE und ZULU: ebd., Para. 5.a‑e, S. 2. 656 Nukleare Demonstrationen, ebd., Para. 5.f und 5.g. 657 Laut Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel, S. 87, hatte dies Oberst d.R. Dr. Friedrich Beermann angeregt. 658 BArch, BW 71/1, Nr. 59: NMR LO, Tgb.Nr. 317/63 TS vom 7.6.1963, v.a. Ziff. 5. 659 Aus BW 71 sind dazu nur sehr wenige Erkenntnisse zu gewinnen. Der Verfasser war z.B. 1971 an der Erarbeitung des Operationsplans der 10. (GE) Pz.Div. zur Unterstützung von BERCON Charlie Four der CENTAG beteiligt gewesen. 650

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operative Fortsetzung des Live-Oak-Planes »June Ball«, die Versammlung der Divisionsgruppe, bildete.660 Er soll daher etwas detaillierter behandelt werden. Ungewöhnlich, aber sinnvoll war es, dass diese Weisung parallel auch an den CINCBAOR geschickt wurde, der für Live Oak die Versammlung der Kräfte plante und dann als Commander Northern Army Group (COMNORTHAG) für die NATO unter dem Kommando des Commander-in-Chief Central Europe (CINCENT) die Operation BERCON Charlie One zu planen und nach Zustimmung des NAC auch auszuführen haben würde. Für diese Operation wurde von zwei Annahmen ausgegangen, dass nämlich erstens die politische Führung des Bündnisses die Ausführung genehmigt hatte, und zweitens, dass geeignete Alarmmaßnahmen aus der Stufe »Reinforced Alert« des Alarmsystems der NATO aufgerufen und in Kraft gesetzt waren. Dabei muss man sich klarmachen, dass diese zweite Annahme davon ausging, dass die NATO bereits eine Reihe gewichtiger Maßnahmen ausgelöst und ausgeführt hatte, die wiederum ihrerseits die Voraussetzung waren, dass die Operation beginnen konnte. Als Beispiele seien verstärkte Aufklärung, der Aufmarsch der Deckungskräfte und die Vorbereitungen auf den »Vollaufmarsch«, also den Aufmarsch aller Truppen und Kräfte, oder die weitgehende Auflockerung der Streitkräfte genannt – alles Maßnahmen, die unverkennbare Schritte in Richtung Krieg bedeuteten und der Gegenseite kaum verborgen geblieben sein konnten. Der Auftrag sah die Inbesitznahme eines »salient«, einer Art Frontvorsprung (eher eines »Faustpfandes«), auf dem Boden der DDR in der Umgebung von Helmstedt und entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin vor.661 Das war ein sehr begrenztes, nahes Ziel, das die Gefahr klein halten sollte, abgeschnitten zu werden. Außerdem war das Ziel so kurz gesteckt, dass es keine wirkliche Bedrohung für die Gegenseite bedeuten würde. Politisch allerdings war es ein schwerwiegender Schritt, der eine rasche Eskalation zur Folge haben konnte. Mit Kräften etwa einer mechanisierten Division war man aber auch stark genug, um eine in Grenznähe blockierte »Probe« oder Kampfgruppe aufzunehmen oder freizukämpfen, jedoch nur mit entsprechender Luftunterstützung, die im operativen Konzept auch vorgesehen war.662 Zur Unterstützung der Division auf dem Gebiet der Bundesrepublik mussten als weitere Voraussetzung die Aufklärungs- und Deckungskräfte der dort eingesetzten Großverbände, besonders des I. (BR) Korps und des benachbarten I. (GE) Korps – deren gemeinsame Korpsgrenze lag damals hart nördlich von Helmstedt –, aufmarschiert und einsatzbereit sein, um gegebenenfalls die Division aufzunehmen, wenn sie gezwungen wäre, sich zurückzuziehen, oder wenn ihr das befohlen würde. Die Zusammensetzung der Kräfte für die »June Ball«-Division gestaltete sich schwierig. Es war gefordert, dass in der Phase der Versammlung unter der Führung von Live Oak nur Truppen der Drei Mächte die Division bilden dürften. Die Briten waren vorrangig zuständig, verfügten zudem über die stärksten Kräfte in der Nähe. Helmstedt lag außerdem im Verantwortungsbereich des I. (BR) Korps. Die Briten stellten die Führung Der Plan ist enthalten in BArch, BW 71/125, Nr. 15: SHAPE 1200.2/20, 21.11.1962, LO(IN)CTS-62-2127. Es handelt sich um den vorausgeschickten Entwurf der Weisung des SACEUR, SHAPE/21/62-Draft, an CINCENT zur Planung dieser Operation. Er ist natürlich ebenfalls in der Version vom 25.4.1963 enthalten: BArch, BW 71/126, Nr. 4: SHAPE/99/63, Anlage H zu SHAPE 1200.2/20 CTS, LO(IN)-CTS-63-2047. 661 BArch, BW 71/126, Nr. 4: Para. D »Mission« der Anlage H. 662 Ebd., Para. E »Concept of Operations« der Anlage H, v.a. Para. E.1.f. 660



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und mit zwei Brigaden die Masse der Divisionsgruppe. Die Amerikaner aber hatten ihre Truppen in Nordhessen und in Franken stationiert und verplant, sie brauchten sie also dort vorrangig für die gemeinsame Verteidigung. Daher stellten sie dafür schließlich nur ein verstärktes Panzergrenadierbataillon. Die Franzosen hatten ihren Verteidigungsraum damals in Ostbayern und sahen deshalb eine Brigade aus einer nicht der NATO unterstellten, in Frankreich stationierten Division dafür vor, deren Eignung aber ungewiss schien. Deutsche Kräfte durften nicht genutzt werden. Im Augenblick der Übernahme der Führung durch die NATO sollten noch kleine belgische und niederländische Kontingente eingegliedert werden, groß genug, um die Division zu einem Großverband der NATO zu machen, gleichzeitig aber so klein, dass die Großverbände der beiden Länder nicht wesentlich geschwächt wären, wenn sie ihren Verteidigungsauftrag erfüllen müssten. Für die Luftunterstützung waren auch keine deutschen Luftwaffenteile aktiv einsetzbar, obwohl die deutsche Seite bereits umfangreiche und zunehmende Unterstützung vor allem in der Luftraumüberwachung leisten konnte. Die Luftwaffen der Drei Mächte würden damit möglicherweise doppelt belastet werden, wenn sie gleichzeitig für die Unterstützung der Landstreitkräfte und zur Sicherung des Luftzugangs in den Korridoren eingesetzt werden müssten. Aus all dem ist zu erkennen, dass eine Operation BERCON Charlie One nur dann eine politisch möglicherweise sinnvolle Option sein konnte, wenn sie dazu beitrug, eine gefährliche, eskalierende Entwicklung umzukehren. Als eine militärische Operation war sie, für sich genommen, ein sinnloses Abenteuer. Daher gab es erhebliche Bedenken. Um die zahlreichen Pläne und Optionen sinnvoll abzustimmen, versuchte man das »Phasenkonzept« zu realisieren.663 Es bildete den gemeinsamen Versuch der Vier Mächte und der NATO, die militärischen Operationen der Drei Mächte mit den notwendigen Alarmmaßnahmen und den BERCON- und MARCON-Plänen der NATO zu koordinieren sowie ihre Beziehungen und Abhängigkeiten sichtbar zu machen. Ferner sollten alle Beteiligten besser verstehen lernen, in welchem Stadium einer Krise die Anwendung der verschiedenen Vorkehrungen sinnvoll und vertretbar werde. Die Drei Mächte hatten damit bereits 1960 begonnen.664 Mit der stärkeren, sich stetig steigernden Beteiligung des gesamten Bündnisses stieg die Notwendigkeit, das ganze Planungsgebäude zu ordnen. Dabei bestand die Gefahr, dass ein Zerlegen in Phasen ein Denken in mechanischen Abläufen fördern könnte, während es eigentlich dieses gerade zu verhindern galt.665 Die Diskussionen zeigten dann, dass die Versuchung groß war, immer wieder in festen, zwangsläufig aufeinanderfolgenden Phasen zu denken. Die NATO hatte das sehr allgemein gehaltene Dokument »The Preferred Sequence of Military Actions in a Berlin Con-

Zum Begriff und zum Beginn der Arbeiten daran siehe BArch, BW 71/1, Nr. 11: FS Diplo Wash. Nr. 1747 vom 12.6.1962, Tgb.Nr. 246/62 str.geh. NMR/LO, v.a. Ziff. 4.f. 664 BArch, BW  71/132, Nr.  5: »Correlation Study of Tripartite Military Actions«, LO-TS-60-14, 18.10.1960, mit Annex, BArch, BW 71/116, Nr. 15: LO-TS-60-12, 1.10.1960. 665 Vgl. die Vorstellung des Papiers durch Nitze im NAC am 8.10.1962, BArch, BW 71/125, Nr. 10: PO/62/641, Para. 12. Siehe auch die detaillierte Darstellung in Kap. IV.3 und IV.9. 663

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flict«666 daher auch zunächst nur als »einen allgemeinen Rahmen [...] akzeptiert.«667 Ob der NAC sich später noch einmal damit beschäftigt hat, ist nicht klar, aber wohl eher unwahrscheinlich, nachdem die Berlin-Krise abgeklungen war. Die Planungen bei Live Oak und die Alarmmaßnahmen der NATO mussten regelmäßig wiederholt und aktualisiert werden, weil sich das Alarmsystem in vielen Einzelheiten rasch veränderte, was dann Konsequenzen auch für Live Oak hatte. Die dazu notwendigen Informationen waren allerdings nicht leicht zu bekommen: Die Spezialisten des Alarmwesens bildeten, schon aus Gründen der strengen Geheimhaltung, einen sehr geschlossenen Kreis. Das Phasenkonzept BQD-M-30 (Rev.) »The Preferred Sequence of Military Actions in a Berlin Conflict« vom 12. September 1962 besagt, dass frühzeitig Alarmmaßnahmen getroffen würden, wenn sie nicht offensive militärische Aktionen in Gang setzten.668 Es musste sich also um eher wenig auffällige, aber besonders wirksame Maßnahmen handeln. In Phase I, wenn »Probes« eingesetzt wurden, um die sowjetischen Absichten aufzuklären, oder weitergehende Operationen, um den Zugang wieder herzustellen, bestand das Ziel darin, einen Zustand im Alarmsystem der NATO zu etablieren,669 der sichtbar sein und die Einsatzbereitschaft der NATO erhöhen sollte. In Phase II, wenn die »Probes« gezeigt hätten, dass die Gegenseite Gewalt einsetzte, um den Zugang zu verhindern, würden die Alliierten den Druck unterhalb der Schwelle offensiver Maßnahmen erhöhen müssen. Militärisch würde das u.a., mindestens teilweise, Mobilmachung und Aufmarsch mit entsprechenden weiteren Alarmmaßnahmen bedeuten.670 Würde in Phase III übergegangen werden müssen, dann wären die Allgemeine Mobilmachung und der Vollaufmarsch aller Kräfte Voraussetzung für weiteres militärisches Handeln. Die NATO würde dann die Führung übernehmen.671 Auch der NAC befasste sich während der Behandlung des »Phasenpapiers« mit dieser Problematik.672 Einige Stellungnahmen machten deutlich, dass das Alarmproblem für manche NATO-Partner im Zusammenhang mit der Berlin-Frage sehr sensible politische Themen hervorbringen konnte. Besonders groß war die Befürchtung, dass die Auslösung des »Formalen Alarmsystems« der NATO die Natur der Vorbereitungen des westlichen Bündnisses auf den Krieg offenlegen könnte. Manche Einzelmaßnahmen, wie z.B. die »Mobilmachung«, konnten aktuelle internationale Spannungen verschärfen und trugen in sich noch größere Risiken einer politischen Eskalation als ausgewählte militärische Operationen.673 Andere Delegationen äußerten Zweifel daran, dass Alarmmaßnahmen für alle Streitkräfte des Bündnisses gleichermaßen angewendet werden sollten, während es möglicherweise ausreiche, sie nur für die in Deutschland stationierten anzuwenden. BArch, BW 71/1, Nr. 61: BQD-M-30, Revised, 12.9.1962. Bei der NATO als CTS/PO/62/593, 17.9.1962; nicht in BW 71. 667 BArch, BW 71/1, Nr. 39: FS AA Nr. 1059 vom 31.10.1962, Anl. 3. 668 BArch, BW  71/1, Nr.  61: LO(IN)-TS-63-2046, 12.9.1962 (überarbeitet im Sommer 1963), Para 7.c. Vgl. auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 282‑290. 669 Ebd., Para. 13. 670 Ebd., Para. 15 und Para. 16. 671 Ebd., Para. 20‑23. 672 BArch, BW 71/125, Nr. 10: PO/62/641 CTS, 8.10.1962, LO(IN)-CTS-62-2113, bes. Para. 19 auf S. 7. 673 Ebd., Para. 21, S. 7. 666



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Der allgemeine Tenor lautete, dass eine sorgfältige Prüfung notwendig sei, welche Alarmmaßnahmen wann und wo im Kontext mit Berlin einzuleiten waren. Zwei Aspekte waren entscheidend: Einerseits mussten die militärischen Kräfte der NATO in die Lage versetzt werden, die BERCON/MARCON-Pläne umzusetzen und effektiv zu reagieren, wenn es zu unvorhergesehener Eskalation kam. Andererseits sollte der Sowjetunion das notwendige Warnsignal übermittelt werden, ohne ein Missverständnis zu riskieren.674 Dabei wurde auch auf eine Stellungnahme der Ständigen Gruppe vom September675 hingewiesen, die über den Stand der Verhandlungen der Obersten Befehlshaber mit den Mitgliedsstaaten über das Alarmsystem der NATO berichtete. Offenbar gab es bei den obersten Militärs teils erhebliche Zweifel am Willen einiger Mitgliedsstaaten, die notwendigen Befugnisse an die Oberbefehlshaber zu delegieren, um das Alarmsystem wirksam und realistisch zu machen.676 In einigen Fällen spielten auch verfassungsrechliche Hürden eine Rolle. In den folgenden Jahren wurde das Krisenszenario weiter ausgebaut. Dabei stand immer wieder die Synchronisation der Alarmmaßnahmen zwischen Live Oak und NATO im Zentrum.677 Die Forderung nach schneller Reaktion auf jedwede gegnerische Aktion würde es notwendig machen, die angemessenen Alarmmaßnahmen rasch in die Wege zu leiten, bevor eine westliche Antwort einsetzte. Unter gewissen Umständen konnte es sogar angebracht sein, eine Handlung zu verschieben, bis ein gewisser Mindestzustand der Bereitschaft erreicht war. Wie schon zuvor bestätigte sich immer wieder, dass die Hauptoperationen von Live Oak ebenso wie die BERCON- und MARCON-Operationen stets eines fortgeschrittenen Alarmzustandes in der NATO bedurften, um möglichen sowjetischen Reaktionen angemessen zu begegnen. Schließlich sollte ein gewisser Bereitschaftsstand auch mit dem Ziel angestrebt werden, die Sowjetunion zu überzeugen, dass man nicht bluffe.678 Besonders interessant waren die praktischen Vorstellungen des gemeinsamen Planungsapparates zum Ablauf einer möglichen Krise.679 In Phase IA, benannt »Increased Tension«,680 wurde angenommen, es lägen Hinweise vor, dass die Sowjetunion bzw. die DDR Aktionen vorbereite, die alliierten Rechte auf freien Zugang zu stören. Live Oak sollte daraufhin Vorbereitungen treffen, »Probes« einzusetzen. SACEUR würde dann Alarmmaßnahmen ergreifen, die von Vorbefehlen an unterstellte Kommandobehörden bis zum Zustand »Military Vigilance« reichen konnten. Wenn es sich in Phase IB, »Interference with Rights«681 (also der Einschränkung oder Störung alliierter Rechte), bestätigte, dass alliierte Rechte beeinträchtigt würden und 676 677 674 675



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Ebd., S. 8 f., Para. 21. SGM-528-62, 21.9.1962. Es ist nicht im Bestand BW 71, wurde auch anderweitig nicht gefunden. BArch, BW 71/125, Nr. 10: S. 8, Para. 23. Ebd., Nr. 15A: Memorandum, SGM-593-62 (rev.), 28.10.1962: »Study on Alert Measures in Support of Berlin Contingency Plans«, LO(IN)-CTS-62-2129; in Verbindung dazu auch ebd., Nr. 10: PO/62/641/CTS, 8.10.1962. Ebd., Nr. 15A, S. 5, Para. 12 f. BArch, BW 71/1, Nr. 61: BQD-M 30, Rev., »The Preferred Sequence […]« (»Phasenkonzept«), 12.9.1962. Diese Überschriften finden sich nicht im BQD-M-30, sondern in SGM-Memo vom 28.10.62. BArch, BW 71/125, Nr. 15A: SGM-593-62, Rev. 28.10.1962, »Study on Alert Measures in Support of Berlin Contingency Plans«, Para. 15, S. 6 f.

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dieser Zustand andauere, sollten entsprechende Reaktionen der Drei Mächte erfolgen, um die Sowjetunion zum Nachgeben zu bewegen. Die Bündnispartner sollten konsultiert werden, wenn die Zeit es zuließe. Sowie die Entscheidung gefallen sei, eine »Probe« von Live Oak, also »Jackpine«, »Free Style« oder »Back Stroke«, einzusetzen, um die sowjetischen Absichten aufzuklären, würde dies unter Verantwortung der Drei Mächte geschehen, ohne darauf zu warten, dass die Streitkräfte der NATO einen gewissen Bereitschaftsstand erreicht haben. SACEUR würde sofort die Genehmigung fordern, die Alarmstufe »Simple Alert« zu erklären oder einzelne Maßnahmen daraus, für Teile seines Kommandobereichs oder für ACE insgesamt. SACLANT und CINCCHAN würden vielleicht nur »Military Vigilance« oder Einzelmaßnahmen aus dem einfachen Alarm fordern. Phase  II war wie folgt überschrieben: »Intensive Non-combatant and Diplomatic Activity«. Wenn dann die Sowjetunion wiederholt ihre Absicht gezeigt und bestätigt hätte, den Zugang nach Berlin zu unterbinden, würden die Alliierten den Druck erhöhen, ohne selbst militärisch offensiv zu werden. Sie würden dies vor allem mit politischdiplomatischen Mitteln tun, um die Gegenseite zu überzeugen, den Zugang wieder freizugeben. Diese Handlungen würden von einem zunehmenden militärischen Aufwuchs begleitet, um eine größere Operation von Live Oak oder der NATO, also BERCON/ MARCON, vorzubereiten. Die Oberbefehlshaber würden die Auslösung von »Einfachem Alarm« zusammen mit ausgewählten Maßnahmen aus der nächsthöheren Stufe, »Verstärkter Alarm«, fordern. Die letzte Phase III hieß »Military Operations«: Sollten die sowjetischen Kräfte, trotz aller alliierter Anstrengungen, den Zugang nicht wieder freigegeben haben, war für die politische Führung der Allianz die Zeit gekommen, aus dem Katalog der Planungen die dann angemessene Operation auszuwählen. Vor der Ausführung eines BERCON/MARCON-Planes musste die NATO im Zustand »Reinforced Alert« sein, ergänzt um ausgewählte Maßnahmen des »General Alert«,682 dem höchsten Zustand der Bereitschaft. Es wird hier immer wieder betont, dass jeder Schritt von den Regierungen der Vier Mächte bzw. der 15 Nationen des Bündnisses angestoßen werden konnte, aber auch genehmigt werden musste. Ob dadurch aber nötige Flexibilität jenseits starrer Ablaufphasen zu erreichen war, muss rückblickend zumindest hinterfragt werden. Ein ernstes Problem bestand in der Möglichkeit, dass einzelne Nationen, wie auch teilweise schon zuvor geschehen, die Zustimmung zu gewissen Alarmmaßnahmen verweigerten bzw. an besondere Bedingungen banden (nach heutiger Terminologie »Caveats«). Derlei konnte in einigen Fällen nicht nur die Vollendung eines Notfallplans verzögern, sondern ebenso seinen Erfolg aufs Spiel setzen. Es bestand erhebliche Ungewissheit, ob und wann ggf. geäußerte Vorbehalte aufgehoben wurden und die Maßnahme dann in Kraft treten konnte. Die koordinierte Ausführung einer Alarmmaßnahme wurde sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Besonders operative Maßnahmen wie die Alarmierung von Kräften, Mobilmachung und Vorbereitungen für Sperren wurden dadurch gefährdet, weil sie oft viel Zeit benötigten. Die logistische Unterstützung konnte dadurch erst verspätet wirksam werden. Manche Konsequenzen, wie eine Verzögerung bei der Übernahme der Kommandogewalt, konnten schwerwiegende Folgen für die Ope Ebd., Nr. 15A: S. 6 f., Para. 15.

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rationsführung haben. Grundsätzlich benötigten zahlreiche Alarmmaßnahmen viel Zeit bis zur vollendeten Ausführung, teilweise sogar mehrere Tage oder auch Wochen.683 Der NATO-Militärausschuss und die Standing Group schlugen schließlich eine Reihe von dringenden Arbeitsschritten vor: Die Nationen und der NAC sollten den gegenseitigen Informationsaustausch regeln und dafür realistische, rasche Verfahren entwickeln, um die notwendigen Entscheidungen schnell zu ermöglichen. Die Nationen sollten ihre Vorbehalte am besten im Vorhinein prüfen, um den Ablauf der Alarmierung zu verbessern. Dem NAC wurde empfohlen, den Ablauf des Zustimmungsverfahrens zu optimieren, um den Zeitbedarf dafür zu verkürzen. Dienstanweisungen für den Ernstfall, sogenannte Emergency Operating Procedures (EOP), sollten in allen Organisationen, auch in den nationalen Verteidigungsministerien, entwickelt und koordiniert werden, mit dem Ziel, rund um die Uhr arbeits- und entscheidungsbereit zu sein.684 Die Standing Group wies abschließend nochmals auf die hohe Dringlichkeit hin, mit der diese Fragen zu beantworten seien.685 Der Planungsapparat gestaltete dementsprechend die Stufen und Einzelmaßnahmen aus, bis 1962/63 quasi ein Abschluss erreicht war. Ab diesem Punkt machten weitere Grundsatzarbeiten keinen Sinn mehr, da eine Krise nicht herbeigeplant werden konnte, sondern nach ihren eigenen Gesetzen ablief. Man musste den Tag der Entscheidung abwarten, bzw. man hoffte, dass dieser nie einträte. Ein gemeinsames Memorandum des Military Council und der Standing Group vom 28. Oktober 1962 fasste die Planungen und Erkenntnisse zusammen und bildete mit den übrigen Grundsatzdokumenten den allgemeinen Rahmen, innerhalb dessen die gemeinsamen Planungen der Vier Mächte und des Bündnisses im Detail koordiniert und »kalendermäßig« vorbereitet werden konnten. Für Live Oak wurden die Erkenntnisse, Ergebnisse und Erfahrungen vor allem in BQD-CC-1 »Status of Berlin Contingency Planning« und BQD-CC-11 »Berlin Contingency Planning: Military Countermeasures« übernommen. Im Detail wurden zwischen SHAPE und Live Oak auch dadurch immer wieder Fragen des Alarmwesens im Zusammenhang mit der Eventualfallplanung für Berlin behandelt bzw. aktualisiert.686 Mit dem Auslaufen der zweiten Berlin-Krise nahm bei Politikern und Diplomaten das Interesse an den militärischen Maßnahmen und Plänen, die helfen sollten, eine neue Berlin-Krise zu bestehen, allerdings rasch ab. »Die Bemühungen um die Fertigstellung der Vorhaben aus der Eventualfallplanung haben in letzter Zeit wahrnehmbar nachge BArch, BW 71/125, Nr. 15A: Para. 16‑18. Zwei Anlagen unterstützen diese Aussagen im Text: die Darstellung der Phasen und die damit zusammenhängenden Alarmstufen usw. in einer Art ›Matrix‹, eine Liste der Maßnahmen aus Reinforced Alert und die unmittelbar notwendigen Aufgaben und Arbeitsschritte, um die Unterstützung der BERCON/MARCON-Planungen nicht zu verzögern. 684 Ebd., Para. 20. 685 Es ist nicht erkennbar, wie der NAC dieses Papier weiter behandelt hat. BArch, BW  71/125, Nr. 15A, SGM-593-62, Rev. vom 28.10.1962, wird allerdings noch 1967 zitiert als das gültige Dokument dazu: BArch, BW 71/16, Nr. 89: NMR/LO-Bericht, Nr. 32 vom 30.9.1967, Anlage 19, S. 3. 686 So z.B. 1963: BArch, BW 71/55, Nr. 37: SHLO 300/10, 25.10.1963, LO-TS-63-76; oder BArch, BW 71/1, Nr. 66: SHLO 200/41, 8.11.1963, LO-TS-63-83; auch 1964: BArch, BW 71/4, Nr. 46: NMR GE/LO, Tgb.Nr. 820/64S. 683

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lassen«, hieß es dazu aus dem Auswärtigen Amt.687 Das war natürlich, denn Krisen entwickelten sich anderswo oder die Schwerpunkte hatten sich verschoben, beispielsweise nach Kuba oder Vietnam. Politisch blieb Berlin zumindest bis zum Abschluss des VierMächte-Abkommens vom 3. September 1971 und der ergänzenden Vereinbarungen von 1971/72 im Fokus. Danach aber ging das Interesse spürbar zurück, denn man fühlte sich allgemein erleichtert, dass mit diesem Vertragswerk eine Stabilisierung der Lage und sinnvolle Regelungen vieler bis dahin schwieriger Fragen gelungen waren. Man hatte einen »›Modus vivendi‹ für den ›Status quo‹ erreicht«.688 Militärisch wurde bis zum Ende der sechziger Jahre die Zusammenarbeit zwischen Live Oak und SHAPE verbessert und intensiviert. Diese Arbeiten konzentrierten sich vor allem auf die folgenden Themen und Bereiche: die praktische, tägliche Zusammenarbeit, das Alarmsystem und seine Anpassung, gerade auch an die Bedürfnisse einer akuten Berlin-Krise, die gemeinsamen operativen Planungen für »June Ball« und BERCON Charlie One. Zunächst einmal wurden die in der heißen Krise des Sommers und Herbstes 1961 getroffenen Regelungen in der Zusammenarbeit zwischen den Stäben der Ständigen Gruppe über deren Vertretung in Paris, von SHAPE und Live Oak im Lichte der Erfahrungen überarbeitet und in neue Formen gebracht. Oberstes Ziel war es, den Generalsekretär der NATO und über diesen den Rat über alle großen Entwicklungen der militärischen Lage innerhalb der NATO informiert zu halten. Dazu mussten Erkenntnisse über den Gegner rasch über die Oberbefehlshaber, Stabschefs und den Internationalen Stab (NATO) übermittelt, militärische Beratung für die zivilen Entscheidungsträger vorbereitet und auf Anfrage rasch gegeben werden, um in einer Krise sofort die notwendigen und der Lage angemessenen Maßnahmen, Pläne und Operationen vorschlagen zu können.689 Um die Verfahren dafür zu regeln, wurden die bereits vorhandenen Ablaufpläne für den Notfall, die Standing Operating Procedures (SOP), überarbeitet und angeglichen, wo immer es sinnvoll und notwendig war. Zur gegenseitigen Unterstützung, besonders in einer Krise, war früh schon eine informelle Arbeitsgruppe der Drei Mächte innerhalb von SHAPE eingerichtet worden.690 Diese Gruppe hatte am 20. September 1961, auf dem Höhepunkt dieser Berlin-Krise, offiziellen Status erhalten. Wenige Tage später hatte sie, jetzt unter der Führung des Assistant Chief of Staff, Plans and Policy, den Auftrag bekommen, alle Vorgänge mit Live Oak zu koordinieren.691 In der Folgezeit lief diese Gruppe unter der Bezeichnung »Live Oak Advisory Staff« (ab Mitte der siebziger Jahre »Live Oak Advisory Group« genannt). PA AA, B 130/3.586: AB-84.20/10-004/63 str.geh. vom 9.1.1963, Teil V, Ziff. 1. Zit. aus Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S.  215. Siehe zu den Verträgen von 1971/72 u.a. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 125‑132, und ebd., die Dokumente im Anhang, S. 267‑306. 689 BArch, BW 71/58, Nr. 7: SGLP 630/62, 31.10.1962, LO(IN)R-62-4081, Para. 2.a »Memo of Understanding« zwischen COS Live Oak Major General Baker, ACOS/OPS SHAPE Major General Stevenson und SGRep Brigadier General Robert C. Richardson III. 690 Zunächst »Informal Tripartite Group« genannt, wohl schon 1959 etabliert, bestückt mit Offizieren der Drei Mächte, die in den relevanten Abteilungen »Plans and Policy«, »Intelligence« und »Operations« Dienst taten. Siehe BArch, BW 71/58, Nr. 54: Memo ACOS, P&P, 1200.2/20, an den Chief of Staff, 28.1.1966, LO(IN)-S-69-3276. 691 BArch, BW 71/49, Nr. 14: 1200.2/20, LO(IN)-S-69-3277, 21.1.1966. 687 688



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Sie wurde von Offizieren im Dienstgrad Generalmajor oder Brigadegeneral gebildet, auf der Arbeitsebene von Oberst bis Hauptmann. Als sich 1966 der Eindruck verfestigte, dass die Planungsphase im Wesentlichen abgeschlossen war, nun die Aufgaben überwiegend operativer Natur seien,692 schlug der Vorsitzende dieser Gruppe folgerichtig vor, dass nun der ACOS/Operations die Federführung übernehmen sollte, was dann auch geschah.693 Regelungen für die Sicherheit hatten Priorität: Nur Offiziere der Vier Mächte durften Kenntnis erhalten und Aufgaben übertragen bekommen, bei enger Anwendung der Forderung »Need to know«. Als im Jahr darauf, also 1967, die Franzosen die militärische Integration des Bündnisses verließen, wurden Umbesetzungen in dieser Gruppe notwendig, weil teilweise Offiziere aus Nationen in die freigewordenen Positionen folgten, die nicht zu den Vier Mächten gehörten. Die gemeinsamen Interessen auf dem Gebiet des Militärischen Nachrichtenwesens führten in den späten siebziger Jahren zu einem besonderen Abkommen zwischen Live Oak und SHAPE, Intelligence Division, über »Handling of Intelligence of Mutual Interest«.694 Dadurch wurden die allgemeineren früheren Abmachungen spezifiziert und strengeren Regeln unterworfen. Dieses hatte auch zur Folge, dass der Informationsfluss zum Thema Berlin und sein allgemeines Umfeld zuverlässiger geregelt wurde.695 In den frühen achtziger Jahren wurde im Laufe einer internen Umgliederung in SHAPE ein Kanadier ACOS/Int., daher wurde sein Stellvertreter, ein amerikanischer Brigadegeneral, auf Vorschlag des COS Live Oak zum Mitglied der »Advisory Group« bestellt.696 Diese Art der Koordinierung und der Kooperation hat sich in der Arbeit von Tag zu Tag durchaus bewährt. Die zur Advisory Group gehörenden Offiziere erhielten bei Dienstantritt ein Live-Oak-Briefing und nahmen unter anderem am wöchentlichen Lagevortrag bei Live Oak teil, dessen Teile »Nachrichtenwesen« sowie »Presse und Information« im Wesentlichen von damit beauftragten Offizieren der entsprechenden Abteilungen bei SHAPE bestritten wurden, da Live Oak keine oder nicht ausreichende Kapazitäten hatte. Die Liste der Offiziere von SHAPE, die zu dieser Gruppe gehörten, drei bis vier Generale und 20 bis 25 Stabsoffiziere der Vier Mächte, ab 1967 nur noch der Drei Mächte, also ohne die Franzosen, wurde laufend überarbeitet. Nur die dort genannten Offiziere erhielten Zugang zum Stabsgebäude von Live Oak und zu dessen Planungen. In der Krise und in der Zeit der Erarbeitung der BERCON/MARCONPläne war die Zusammenarbeit sehr eng, man sah sich häufig, später war das seltener der Fall. Die Prioritäten hatten sich verschoben.697 In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurde die Zusammenarbeit wieder sehr viel intensiver, als auf Initiative von General Rogers die Live-Oak- und die SHAPE-Planungen einer allgemeinen Überprüfung unterzogen wurden. 694 695

Ebd., Para. 6. des Dok. vom 28.1.1966. BArch, BW 71/58, Nr. 52: Memo COS 1200.2/20, 15.3.1966, LO(IN)S-66-3071. BArch, BW 71/55, Nr. 50: SHLO 77/0571A/OPS, 8.6.1977, zit. aus »Subject«, S. 1. BArch, BW 71/60, Nr. 3: SHLO 79/0154/OPS, 9.2.1979, Subj.: »Reporting of Significant Events to SHAPE Emergency Action Unit«. 696 BArch, BW 71/12, Nr. 44: SHLO O 82/646/COS, 18.5.1982, darin diese köstliche Empfehlung an den CLO: »You may, of course, wish first to discuss it with SACEUR!« 697 Dieses Urteil gründet auf meinen eigenen Erfahrungen in den 1970er Jahren und Berichten von Kameraden aus den 1980ern. 692 693

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III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

Bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre bestand keine unmittelbare Verbindung von Live Oak zum politischen Hauptquartier der NATO in Paris bzw. ab 1967 in Brüssel. Nun war die räumliche Distanz nicht groß, dennoch konnte unmittelbarer Zugriff auf Informationen zu Berlin und Live Oak in einer Krise wichtig werden. Daher wurden 1977 zwei nebenamtliche Verbindungsoffiziere im NATO-Hauptquartier benannt: der Stellvertretende Chef des Lagezentrums der NATO, ein deutscher Oberst, und als dessen Vertreter der Leiter selbst, ein amerikanischer Colonel.698 Live Oak führte seine Planungsarbeit kontinuierlich fort. Im Jahre 1974 wurde als Ergebnis der Live-Oak-Rahmenübung »Long Straw« von Live Oak eine erneute Überprüfung des Dauerthemas Abstimmung der Alarmmaßnahmen angeregt.699 Das Ergebnis war eine gemeinsame Studie dazu: »SHAPE/Live Oak Study: Plans, Operations and Alert System«,700 die weitere Planungsarbeiten zur Folge hatte. Es gab viele Änderungen im Detail, aber keine Notwendigkeit für eine grundsätzliche Neuorientierung, die eine Beratung in der WAG und im NAC erfordert hätte. Bereits in den frühen siebziger Jahren, spätestens nach den erfolgreichen Vier-MächteVerhandlungen und dem Abschluss des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin,701 stellte sich die Frage, ob die Operationspläne der BERCON/MARCON-Reihe noch zeitgemäß seien. Niemand wollte dieses »heiße Eisen« anfassen.702 Aus dieser Situation entstand dann, wie bereits dargestellt, die Initiative von General Rogers, SACEUR von 1979‑1987, zur Aktualisierung dieser Pläne. Zunächst ließ Rogers Anfang der achtziger Jahre durch SHAPE eine Bestandsaufnahme der BERCON/MARCON-Planungen machen.703 Das Ergebnis war eindeutig: Die Planungen stammten aus den frühen sechziger Jahren, als völlig andere politische und militärische Rahmenbedingungen bestimmend waren. Damals galt noch die Strategie der MC 14/2, der Massive Retaliation. Die Pläne waren seit dieser Zeit nie umfassend überprüft und an die neue Strategie der MC 14/3

BArch, BW 71/61, Nr. 11: SHLO 77/0399/OPS-R, 26.4.1977, SOP in Encl. Es ist nicht ersichtlich, woher dieser Vorschlag kam und was der Anlass gewesen war. Die Überlieferung für diese Zeit ist sehr dünn. Oberst a.D. Hans-Walter von Hülsen, der diesen Posten in den 1980er Jahren einige Zeit innegehabt hatte, bestätigte zu meiner Überraschung, dass er von dieser Zusatzaufgabe Kenntnis gehabt habe; er sei aber nie dazu befragt worden. 699 BArch, BW 71/55, Nr. 35: SHLO 74/0291, 12.3.1974, Subj.: »Compatibility of Live Oak Plans and the Plans and Alert System of NATO«. 700 BArch, BW 71/7, Nr. 35: SHLO 75/073, 16.1.1975. 701 Berlin Quadripartite Agreement (BQA), unterzeichnet am 3.9.1971, in Kraft getreten am 13.6.1972 mit dem Final Quadripartite Protocol (FQP), auf Deutsch veröffentlicht durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin, Bonn 1971; siehe hierzu u.a. Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 19‑32, und Anhang A, S. 267‑277; Bark, Agreement on Berlin; und Ress, Der Vier-Mächte-Status von Berlin, S. 17‑49. 702 Aussagen hierzu: COS Gen. Sinnatt, BArch, BW 71/13, Nr. 39: Annex A to SHLO O 82/1356/ COS, 30.11.1982; sowie Admiral Hilton, BArch, BW 71/132, Nr. 47: SHLO O 83/277/OPS, 28.3.1983, Para. 9. 703 Darauf wies der COS Live Oak, General Sinnatt, im Jahre 1982 hin, als er dem SACEUR schrieb: »You may remember that in February 1980 you agreed with my predecessor, General Wilson, that it was senseless to sit on a plan which was completely out of date, and that it should either be brought up to date or cancelled.« Diese Äußerung war wohl nach der Übung »Steadfast  80« über »June Ball«/BERCON Charlie One gefallen; zit. nach BArch, BW  71/64, Nr.  18: SHLO O 82/584/ COS/S, 27.4.1982, Para. 2. 698



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und die Lageentwicklung angepasst worden. Sie waren daher veraltet.704 Eine Reform kam jedoch nicht in Gang. Es gelang nicht, die Chiefs of Defense der Vier Mächte, deren Unterstützung für die dringend notwendige Überprüfung der Berlin Contingencies entscheidend war, für eine Konferenz zu gewinnen. Versuche, auf politischer Ebene Unterstützung zu gewinnen und die WAG zu interessieren, blieben zunächst ebenfalls erfolglos.705 Rogers lud daher die CHODs der Vier Mächte einzeln ein und informierte sie im Frühjahr 1983 nacheinander über seine Sorgen. Bei einer dieser Gelegenheiten berichtete Admiral Robert Parker Hilton Sen., Vicedirector of Operations der JCS, aus früherer Tätigkeit bei SHAPE, dass Rogers’ drei letzte Vorgänger im Amt des SACEUR, also Lemnitzer, Andrew J. Goodpaster und Alexander M. Haig, alle ebenfalls die Notwendigkeit gesehen hatten, die BERCONs zu überarbeiten. Sie hätten aber das Projekt stets aufgegeben, weil sie fürchteten, dass jede Überprüfung als Versuch zum Abbau der entsprechenden Verpflichtungen der NATO ausgelegt werden konnte.706 Rogers gelang es auf diese Weise immerhin, die Unterstützung seiner wichtigsten militärischen Ansprechpartner zu erhalten, jedenfalls soweit es Live Oak betraf. Dies nützte jedoch am Ende des Tages nur wenig. Es widersprach zwar niemand,707 politisch wurde dieses Thema aber niemals angefasst. Rogers gab nicht auf, sondern versuchte die politisch-diplomatische Unterstützung der WAG zu erhalten, alle Live-Oak-Pläne zu überprüfen und auf einen modernen Stand zu bringen. Er schlug daher in einem Brief an Mr. Richard R. Burt, den Unterstaatssekretär für Europäische Angelegenheiten im State Department, vor, eine Plenarsitzung der WAG auf Botschafterebene einzuberufen, um diese über das Vorhaben zu unterrichten und deren Unterstützung zu erbitten.708 Nach einigem Hin und Her709 schien der Wunsch erhört zu werden: Für den 24. Oktober 1983 wurde eine Sitzung der WAG angesetzt, für die Rogers seine Teilnahme zusicherte.710 De facto verspürte aber niemand das Bedürfnis, ein eigentlich ruhendes Problemfeld wieder zu aktivieren, nicht zuletzt auch deswegen, weil der NATO-Doppelbeschluss die ganze Szenerie dominierte. Die Vertreter der Vier Mächte äußerten sich in diplomati-

Laut einer Vorlage des Fü SIII 2 LO für den GenInspBw vom 30.12.1982 hatte Rogers anlässlich der Übung »Steadfast  83« »ernste Zweifel an der Tauglichkeit einzelner NATO- und Live OakPläne für den Eventualfall Berlin« geäußert. Siehe BArch, BW 2/17.641, Heft 11: Fü SIII 2 LO, Az. 02-20-20-01, Tgb.Nr. 1022/82. 705 Briefingentwurf COS für General Rogers, BArch, BW 71/13, Nr. 39: SHLO O 82/1356/COS/S, 30.11.1982, S. 3, Para. 4. 706 BArch, BW 71/132, Nr. 47: SHLO O 83/277/OPS, 28.3.1983, Para. 9. 707 Protokoll des Treffens mit Fieldmarshal Bramall am 16.2.1983, BArch, BW 71/132, Nr. 45: SHLO O 83/168/OPS S, 28.2.1963, Para. 2. 708 Ebd., Para. 3; und SHLO O 83/398/COMD/S, 9.5.1983, BArch, BW 71/66, Nr. 24. 709 BArch, BW 71/15, Nr. 1: SHLOIN I 83/2222/S, o.D., eingeg. 16.8.1983, GLNO Tgb.Nr. 406/83 geh.; ebd., Nr. 16: SHLO O 83/718/COS 01, 18.8.1983, GLNO Tgb.Nr. 441/83 geh. Zu den möglichen Gründen des Hinhaltens siehe einen Vermerk des COS vom 11.7.1983, in dem er unterschiedliche nationale Positionen dieses Vorhabens erkennt und das Problem all dieser Jahre benennt: »their objection to any small pebbles being thrown to the tranquil pools of their diplomatic world«, BArch, BW 71/14, Nr. 90: SHLO O 83/612/01/COS S, Para. 3 des Vermerks. 710 BArch, BW 71/15, Nr. 17: FS Nr. 1428, GLNO an BMVg, FüS III 2/LO vom 2.9.1983, Tgb. Nr. 445/83 geh. 704

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scher Weise höflich positiv, ließen sich aber auf nichts ein.711 Die Sitzung wurde erst verschoben und dann definitiv abgesagt.712 Rogers war enttäuscht, musste sich aber den politischen Prioritäten beugen. Im November 1983 stand die Zustimmung des deutschen Bundestages zur Stationierung der Mittelstreckenraketen Pershing 2 in der Bundesrepublik und zur Wiederaufnahme der Rüstungskontrollverhandlungen an.713 Wie ernst diese Lage damals gesehen wurde, geht auch aus einer Stellungnahme des BMVg an das Auswärtige Amt vom 4. Oktober 1983 zu diesem Vorschlag hervor,714 in dem es sinngemäß hieß: Es liege im deutschen Interesse, dass dieses Vorhaben, die Berlinplanungen zu überprüfen, nicht gerade jetzt, auf dem Höhepunkt der Diskussionen um den Doppelbeschluss der NATO, beginnen würde. Gegen interne Beratungen gebe es keine Bedenken. Die WAG oder die Bonn Group dürften frühestens Anfang 1984 damit befasst werden. Größte Diskretion aber sei notwendig, da solche Arbeiten auf dieser Ebene kaum verborgen blieben. Es sollte dann noch bis zum 17. Februar 1986 dauern, bis General Rogers das BerlinProblem vor dem NAC ansprach.715 Er nannte zwei Problembereiche: die Offenhaltung der Zugangswege und einen Angriff auf Berlin. Erneut machte er deutlich, dass die entsprechende Weisung des Rates an die MNCs aus dem Jahre 1961 stamme, als noch die MC 14/2 gültig war und der Westen alle Trümpfe in der Hand gehabt hatte. Die Lage hatte sich indes sowohl im konventionellen als auch im nuklearen Bereich maßgeblich geändert: »Die vor 25 Jahren erarbeiteten Planungen seien nicht mehr zeitgerecht, und man dürfe keine Vogelstraußpolitik treiben.«716 Nach einer kurzen Schilderung der Planungen der Vier Mächte und der Operationen der Drei Mächte im Rahmen von Live Oak zu den BERCONs kam Rogers wieder auf den zentralen Aspekt des Verhältnisses zwischen Live Oak und NATO im Ernstfall zu sprechen. Es gab einen Krisenpunkt, an dem die Verantwortung von »3 plus 1« auf »16«, also die NATO, übergehe, weswegen sich alle Bündnispartner mit diesen Fragen befassen müssten. Er erinnerte die Mitglieder des NAC an die hierfür wesentlichen Beschlüsse von 1954: die Änderung des NATOVertrages und die Einbeziehung West-Berlins in den Schutz des Bündnisses. Rogers hatte wohl einen Versuchsballon gestartet, um größere Resonanz zu erzielen. Wenige Monate später sprach Rogers mit Lord Carrington und übergab gleichzeitig einen offiziellen Brief zum Thema »Berlin Contingencies«.717 Darin erbat er, in Ergänzung Vorlage AA, BArch, BW 2/17.641, Heft 11: AA II 210-366.11/1965/83 geh., Fü SIII 2 LO, Tgb. Nr. 135/83 geh. 712 BArch, BW 71/67, Nr. 20: Msg State 285339, 5.10.1983; und ebd., Nr. 1: MSG SHLO O 83/951/ COMD-S, 10.10.1983. 713 Vgl. dazu u.a. Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 296‑305. 714 BArch, BW 2/17.641, Heft 11: BMVg Fü S III 2/LO, Tgb.Nr. 140/83 geh. 715 Es ist nicht klar, ob diese Intervention auf der Tagesordnung stand und welcher Personenkreis anwesend war. Ein Protokoll dieser Sitzung ist bisher nicht verfügbar. Als Quelle dient hier: FS DMV, Brig.Gen. Helge Hansen, vom 18.2.1986, b.362.02‘496‘86 geh., BArch, BW 71/20, Nr. 49. Gemäß meinem persönlichen Tagebuch, Eintrag Bd 5 (1985‑1988), S. 178 f., war 1985 ein »War Gaming Symposium« über eine angenommene Krise um Berlin durchgeführt worden. Das anscheinend positive Ergebnis soll Rogers zu diesem Vortrag motiviert haben. Vgl. den Auszug vom 28.1.2003. 716 BArch, BW 71/20, Nr. 49: S. 1 des FS. 717 SHAPE 1222.1/SHOOP/S 052/86, 15.7.1986; nicht in BW 71, aber in BArch, BW 2/17.638, Heft 3. 711



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zu der Weisung von 1961,718 aktuelle politische Handlungsempfehlungen (»Guidance«) und schlug neue Optionen vor, u.a. aus dem jüngst erlassenen NATO-Papier MC 294 »Catalogue of Potential Military Response Options« und aus dem gültigen Alarmplan. Rogers erhielt jedoch anscheinend keine wirkliche Beratung über den Inhalt des Briefes und auch keine schriftliche Antwort.719 Am 24.  September 1986 sprach Carrington noch einmal mit Rogers über dessen Vorschläge zur Behandlung der BERCONs. Der General erzielte aber auch hier bestenfalls einen Teilerfolg:720 Die BERCONs durften weiterhin nicht angerührt werden, sie blieben sozusagen im Regal.721 SACEUR erhielt jedoch die Erlaubnis, neue (militärische) Weisungen zur Entwicklung zeitgemäßer Operationen an die MNCs zu erlassen. Inwieweit dieses Ergebnis den Vorstellungen des SACEUR entsprach, ist schwer zu sagen. Während einer gemeinsamen Besprechung des SACEUR mit den Spitzen von SHAPE und Live Oak am 15. September,722 in Vorbereitung auf das Gespräch mit dem NATO-Generalsekretär, hatte Rogers geäußert, dass er eine Lücke erkenne zwischen den NATO-Plänen zum Entsatz von Berlin, die »unangemessen und/oder unrealistisch«723 seien, und denen von Live Oak, die nicht weit genug zu gehen schienen für den Fall, dass das Eingreifen der NATO verzögert würde. Als eine Option brachte er die Idee einer Live-Oak-Operation mit einem Armeekorps auf, aus vier Divisionen bestehend, eine von jeder der Vier Mächte, also auch von der Bundeswehr.724 Die wesentliche Begründung für diese Idee war das Gefühl, dass eine Division allein zu schwach sei, der Tripartite Battle Group zu folgen, um sie zu entsetzen. Diese Idee wurde später jedoch verworfen. Als Folge der entscheidenden Absprache vom 24. September 1986 verschickte Rogers nach längeren Vorarbeiten und Stellungnahmen der unterstellten Major Subordinate Commands im April 1987 seine Weisungen (Letters of Instruction, LoI) an CINCENT, CINCSOUTH, CINCNORTH und CINCUKAIR, in denen er realistische militärische Optionen zur Unterstützung der Live-Oak-Maßnahmen auszuarbeiten befahl.725 Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Wiederauflage des Planes »June Ball« mit BERCON Charlie One nicht mehr möglich war, denn der Live-Oak-Anteil war einvernehmlich von einer Divisionsgruppe zu einer Brigadegruppe geschrumpft worden, die dann etwas verschleiernd »June Ball Operational Group« (JBOG) genannt wurde. Da passte BArch, BW 71/125, Nr. 6: NATO CM(61) 104, 9.11.1961. Hinweis: Die Überarbeitung des Live-Oak-Planes »June Ball«, behandelt in »Package 4« der »Review« bei Live Oak, bedurfte der Überarbeitung des NATO-Plans BERCON Charlie One durch die NATO als Voraussetzung. Im Jahre 1986 kamen die Arbeiten an »June Ball« nicht mehr voran. Siehe dazu z.B. BArch, BW 71/72, Nr. 32: Msg/JCS »Interface with NATO crucial«, SHLOIN I 86/1450/GRD-S., 6.6.1986; auch BArch, BW 71/72, Nr. 2: Briefing COS bei CLO am 7.7.1986 über Verzögerungen, SHLO O 86/718 COS 1, 9.7.1986. 720 Dieses ist aus unvollständigen Akten in BArch, BW 2/17.638, Heft 3, zu entnehmen. Siehe u.a. Vorlage FüS III 2 LO an StS Rühl, von diesem abgez., vom 7.5.1987, Tgb.Nr. 101/87 geh. 721 BArch, BW 71/128, Nr. 5A: SHAPE/CTS/072/87, 1222.1/SHOOP/87, 21.4.1987, SHLOIN I 87/004, S. 3 des LoI, Para. 4.e. 722 Teilnehmer: COS, DSCO, ACOS OPS von SHAPE, von Live Oak: COS und Chief OPS and Readiness Branch; siehe Brief BArch, BW 71/73, Nr. 3: COS/Live Oak an CLO, SHLO O 86/2180-S, 5.11.1986. 723 BArch, BW 71/73, Nr. 3: S. 1, Para. 1. 724 Ebd., S. 1, Para. 2. 725 BArch, BW 71/128, Nr. 5A: SHAPE/CTS/072/87; 1222.1/SHOOP/87, 21.4.1987. 718 719

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nun eine BERCON Charlie One nicht mehr hinein. JBOG wurde dadurch zu einem reinen Live-Oak-Plan. Man tröstete sich mit der – nicht gerade problemfreien – Erkenntnis, dass die Vier Mächte ohnehin die politische Unterstützung von so vielen Nationen wie möglich und idealerweise aller NATO-Nationen benötigten.726 Der Aufmarsch der NATO-Streitkräfte bei einer allgemeinen Bedrohung war die beste Unterstützung für Berlin und die Vier Mächte, unabhängig von den konkreten Plänen. Ein weiteres, politisch diffiziles Problem ergab sich dadurch, dass die ursprünglichen Operationspläne in den sechziger Jahren durch den NAC genehmigt worden waren. Konnte man nun neue Pläne erarbeiten, ohne dass der NAC die Lage beurteilt und einen aktualisierten Auftrag gegeben hätte?727 Diesem Hindernis gingen Lord Carrington und General Rogers dadurch aus dem Wege, dass sie beschlossen, die alten Pläne nicht förmlich außer Kraft zu setzen, sondern weiterhin einfach in der Schublade zu lassen.728 Carrington und der NAC hatten damit lediglich eine begrenzte Aktualisierung der militärischen Einsatzpläne erlaubt. Außerdem handelte sich um eine sehr allgemeine Anweisung, die sich aber eindeutig nur mit dem Berlin-Problem im engeren Sinne und nicht mit den NATO-Plänen befasste. Das Verhalten der obersten NATO-Führung in dieser Konfliktlage war typisch: Der Generalsekretär traf diese Entscheidung gewiss nicht in eigener Verantwortung, sondern im Kreis der nationalen Vertreter, also im NAC »in private session«, ohne Begleiter und ohne schriftliche Festlegung. Für SACEUR stellte sich die Lage wie folgt dar: Das Versprechen der NATO, Berlin zu verteidigen, blieb zwar unverändert gültig, im Konkreten aber gab es infolge der grundsätzlichen strategischen Wandlungen vonseiten der NATO jetzt deutliche Einschränkungen.729 Festgelegt wurden im Wesentlichen drei Bedrohungsszenarien: Verweigerung des Zugangs, Angriff oder Belagerung von Berlin und Angriff gegen alliierte Truppen auf den Zugangswegen und in den Korridoren. Außer den Live-Oak-Operationen zur Feststellung der sowjetischen Absichten waren jetzt keine Operationen der NATO zu Lande mehr vorgesehen, durch welche die Innerdeutsche Grenze (IdG) überschritten werden sollte. Die Verteidigungskräfte der NATO würden selbst nach einem »General Alert« nicht (mehr) genutzt, um Landoperationen über die Innerdeutsche Grenze hinweg als Antwort auf einen Angriff auf Berlin oder auf die Verweigerung des Zugangs zu unterstützen. Die bestgeeignete Antwort dagegen würde auf See zu geben sein, auf der die Maßnahmen danach ausgewählt werden könnten, wo die Allianz überlegen sei und

So Gen. Hénin, BArch, BW 71/74, Nr. 10: SHLO O 87/140 vom 5.2.1987, S. 2. Siehe dazu u.a. den »Brief«/Chief OPS für den COS, BArch, BW 71/74, Nr. 13: Enclosure SHLO O 87/176 S, 13.2.1987; sowie den detaillierten Vorschlag des COS, BArch, BW 71/74, Nr. 25: SHLO O 87/282/S, 7.3.1987. 728 Zit. aus LoI SACEUR, BArch, BW  71/128, Nr.  5A  : SHAPE CTS/072/87, 21.4.1987, S.  2, Para. 4.e. Vgl. auch Pedlow in BArch, BW 71/203, Nr. 1: »Live Oak and the Preservation of Allied Access to Westberlin, 1959‑1990«, SHAPE, 15.3.1991, S. 93 f. Das Dokument war ursprünglich TS, seit 2005 offen; ergänzt 2010 durch Pedlow. 729 Genannt werden als aktuelle Referenzen besonders die MC 14/3 vom 16.1.1968, Subj.: »Overall Strategic Concept for the North Atlantic Alliance«, und die MC 294 vom 28.7.1983, Subj.: »Catalogue of Military Response Options«, sowie S1/80 vom 30.7.1979, Subj.: »MNCs Alert System«, BArch, BW 71/128, Nr. 5A, Para. 2.a, S. 1 f. 726 727



III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

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zusätzliche Druckmittel nutzen könne.730 Die in der ursprünglichen Fassung der sechziger Jahre enthaltenen offensiven Optionen waren nicht mehr mit der gültigen Strategie der NATO und mit der militärischen Wirklichkeit kompatibel, ihre Anwendung war unmöglich geworden. Daher wurden diese ad acta gelegt. Durch diese Lösung wurden die Behandlung im Nordatlantikrat und ein förmlicher Beschluss der Politik vermieden. Es stellte auch niemand mehr Fragen.731 Die weiteren Planungen waren 1989/90 wohl noch nicht abgeschlossen, verloren jedoch durch die Lageentwicklung an Priorität.732 Auch die gemeinsame Arbeit von Live Oak und SHAPE an der Ausgestaltung und Koordinierung des Systems »Krisenmanagement für Berlin«, wie man es nun nennen könnte, wurde fortgesetzt, so etwa durch ein neues, modernes »Menu« von politisch-diplomatischen Optionen, welche die politische Führung des Bündnisses in der Krise prüfen und nutzen konnte. Auch dabei ging es im Kern darum, die Einbeziehung der NATO in das Geschehen um Live Oak näher zu regeln, am besten für einen frühen Zeitpunkt in einer Krise.733 Für die Erarbeitung dieses »Menu« wurde vom neuen SACEUR, General John R. Galvin, im März 1988 eine gemeinsame Arbeitsgruppe von SHAPE und Live Oak unter der Leitung von Colonel John E. Robbins, SHAPE/Ops.Div., beauftragt, die diese Optionen in einem Aide-Mémoire zusammenfasste. Dieses war zunächst den Major Subordinate Commands zur Stellungnahme übersandt worden. Für die weiteren Planungsversuche bediente man sich teilweise des Katalogs »Inventory of Preventive Measures«, der 1981 ohne Beteiligung der Franzosen vom Politischen Komitee der NATO verabschiedet worden war.734 Wirkliche Fortschritte konnten damit nicht erzielt werden, da grundsätzliche, auch politische Fragen nicht geklärt waren. Es bestand vielmehr die Gefahr, dass die produzierte Papiermenge und damit die Unübersichtlichkeit wuchs. In einer der letzten Sitzungen der Live Oak/SHAPE Advisory Group am 2.  Mai 1990 wurde unter »Operative Planung« festgehalten: »Wegen der laufenden Aktivitäten höchster Intensität [...] innerhalb von ACE [...] werden Entscheidungen über Planungen von Live Oak, die sich in der Überarbeitung befinden und schon jetzt eine niedrige Priorität haben, noch schwerer von den MODs herauszulocken sein.«735 Live Oak hatte seine Daseinsberechtigung verloren. Die drei Dekaden seiner Existenz waren, trotz aller realen Unterschiede in der Gefährdung, vom Verhältnis zwischen Live Oak und der NATO geprägt. In den frühen Jahren der zweiten Berlin-Krise war Live Oak mit dem Bündnis im militärischen Bereich fast ausschließlich durch die Person des Oberbefehlshabers verbunden. Dieser nahm sowohl nationale wie Bündnisaufgaben wahr, was sich besonders in der Person des SACEUR/CLO manifestierte. Im Laufe des Sommers 1961 wurde offenbar, dass dies BArch, BW 71/128, Nr. 5A, Para. 4.d, S. 2 des LoI. Vgl. hierzu auch BArch, BW 71/203, Nr. 1: Bericht Col Robbins, SHAPE, in Pedlow, »History«, 15.3.1991, S. 94, Anm. 138. 732 Die Weisung des SACEUR war noch Ende 1989 in einer überarbeiteten Fassung erlassen worden: BArch, BW 71/128, Nr. 12: SHAPE/CTS/062/89, 6.11.1989. 733 BArch, BW 71/128, Nr. 11: »Berlin Contingency Planning SHAPE/Live Oak«, 21.6.1988, SHLO O 88/625, Para. 3 734 C-M (81), 5.3.1981; nicht in BW 71, aber erwähnt als Ref. C. in diesem gen. Papier vom 21.6.1988, BArch, BW 71/128, Nr. 11. 735 BArch, BW 71/91, Nr. 21: Protokoll SHLO O 90/513, 15.5.1990, Para. 3.b. 730 731

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III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

in der Form nicht mehr ausreichte. Die Intensivierung der Krise durch Chruščev und Ulbricht verlangte dringend die Unterstützung des gesamten Bündnisses, das darauf aber kaum vorbereitet war. Die Diskussionen im Bündnis über die Rolle der Atomwaffen bei der Abschreckung kamen hier erschwerend hinzu. Bis Ende der sechziger Jahre sah sich die NATO mit einer Vielzahl von inneren Konflikten konfrontiert, die den Bestand der Allianz gefährdeten.736 Es spricht für die Reaktionsfähigkeit des westlichen Lagers, dass man mit Live Oak einen speziellen Apparat für das Krisenmanagement aufbaute und diesen mit der NATO vernetzte. Hier flossen sicher auch die ernüchternden Erkenntnisse mit ein, die sich aus der Kuba-Krise ergaben. Die Aufnahme der Bundesrepublik in den Kreis der Live-Oak-Mächte erwies sich als hilfreich.

6. Die deutsche Beteiligung an Live Oak Die Bundesrepublik Deutschland hatte verständlicherweise großes Interesse daran, in alle Überlegungen und Planungen, die Berlin betrafen, einbezogen zu werden.737 Durch Chruščevs Forderungen im November 1958 und im Januar 1959 war die Bundesregierung »im höchsten Maße alarmiert«.738 Sie wollte vor allem informiert und möglichst auch beteiligt werden,739 hielt sich in Äußerungen aber zurück, insbesondere in der Öffentlichkeit. Wenn die Interessen jedoch gefährdet schienen, meldete die Politik ihre Vorbehalte deutlich an.740 Dieses Verlangen war eigentlich auch dringend notwendig, weil die Drei Mächte die deutsche Unterstützung in vielen Bereichen bereits hatten und in anderen zunehmend brauchen würden.741 Überdies standen deutsche Interessen im Hintergrund. Dies betraf insbesondere die strategischen Entscheidungen, d.h. auch beim Einsatz der Atomwaffen mitreden zu können und nicht von der nuklearen Eskalation überrascht zu werden. Zu Beginn der zweiten Berlin-Krise hatte die Bundesrepublik bereits »Sitz und Stimme« in der Bonn Group, dem politischen Arbeitspferd von Live Oak. Da sich diese Gruppe mit allen Problemen Berlins befasste, war die deutsche aktive Mitwirkung ent Siehe Transatlantic Relations at Stake; Wenger, The Politics of Military Planning; Locher, Crisis? What Crisis?; Transforming NATO in the Cold War; The Routledge Handbook of Transatlantic Security. 737 Siehe Adenauer, Erinnerungen 1955‑1959, S.  458‑468. Vgl. Strauß, Die Erinnerungen, S. 380‑391; und Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 94 sowie S. 97‑102. 738 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 98. 739 Das wird aus dem Schriftverkehr des AA mit den deutschen Vertretungen besonders in Washington, London und Paris deutlich; z.B. Schreiben des Außenministers an den Bundeskanzler vom Juni 1961, PA AA, B 130/3.588: AB-84.20-28/61 IV str.geh., vom 13.6.1961. 740 BArch, BW  71/124, Nr.  15: BQD-3, Aug. 1961, »German Statement to Directives to General Norstad«, LO(IN)-TS-61-2112; dazu auch ebd., Nr. 13: »Advanced Copy of Instructions to General Norstad«, 29.8.1961, LO(IN)-61-2077; und BArch, BW 71/44, Nr. 25: BQD-33, Subj. »German Paper in Extension of Ambassador Grewe’s Remarks of Sep 26«, 28.9.1961. 741 Anscheinend hatten beispielsweise die Briten vorgeschlagen, dass die Deutschen sich mit zwei Divisionen am Durchbruch auf Berlin beteiligen sollten. Davon berichtet Strauß, Die Erinnerungen, S. 385‑387. Es kann sich hierbei wohl nur um britisch-nationale Überlegungen handeln, nicht um solche von Live Oak. Strauß konnte das hier offensichtlich nicht unterscheiden. 736



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scheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit. Daher war das Auswärtige Amt schon im Dezember 1955 eingeladen worden, künftig als ständiges Mitglied in den Vorläufergremien der Drei Mächte in Bonn mitzuarbeiten.742 Es nannte sich »Westalliierte Koordinierungsgruppe für Sowjetzonale und Berliner Fragen« – im alliierten Sprachgebrauch schon zu diesem Zeitpunkt kurz als Bonn Goup bezeichnet – und tagte in dieser Zusammensetzung erstmals am 14. Dezember 1955.743 Als erster deutscher Vertreter war Dr. Wilhelm Grewe benannt worden.744 Der deutsche Vertreter wurde nicht an allen Themen beteiligt; zahlreiche Fragen, etwa bezüglich der »Militärregierung«745 von Berlin, wurden weiterhin ausschließlich im Kreis der Drei Mächte behandelt. Die Entscheidungen bei politisch bedeutsamen Fragen fielen aber andernorts, in den Hauptstädten. Mit der Arbeit in dieser Gruppe eng verbunden war der zweite Bereich, in dem die Bundesrepublik maßgeblich mitarbeiten durfte: die Planung der alliierten Luftbrückenoperation (Quadripartite Berlin Airlift, QBAL). Die deutsche Mitwirkung beschränkte sich hier im Wesentlichen auf technische Aspekte bei Planung und Unterstützung.746 Schließlich wurde die Bundesrepublik in die politischen Vorbereitungen von Verhandlungen mit der Sowjetunion über Berlin und »Deutschland als Ganzes« einbezogen. Seit Jahresbeginn 1959 gab es in Vorbereitung der Genfer Konferenz im Sommer des Jahres eine gemeinsame »Arbeitsgruppe Berlin«747 der Vier Mächte. Über diese kamen militärpolitische Informationen über die Lage um Berlin auch in deutsche Hände.748 Zusätzlich suchten die Botschafter der Drei Mächte und Politiker auch der obersten Ebenen das Gespräch mit der Bundesregierung.749 Schnell tauchten bedeutsame, mitunter auch heikle Fragen auf, die u.a. Grewe an das Auswärtige Amt weiterleitete.750 Diese lauteten verkürzt wie folgt: Ist auch die Bundesrepublik der Auffassung, dass eine Luftbrücke nicht praktikabel wäre und schon 1948/49 die falsche Antwort war? Befürwortet die Bundesrepublik daher nötigenfalls einen gewaltsamen Durchbruch alliierter Konvois auf Der Vorschlag kam damals, nach dem Bericht von Dr. Wilhelm Grewe, vom britischen Vertreter, Mr. Wilkinson. 743 Ob es einen besonderen Anlass dazu gegeben hatte, ist nicht erkennbar; das Inkrafttreten der Bonner und Pariser Verträge sowie die bevorstehende Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion mögen mitgewirkt haben: Vgl. dazu Tomuschat, Die alliierten Vorbehaltsrechte; und Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium, bes. S. 38‑44 und S. 52‑61. 744 Siehe dessen Bericht in PA AA, B 12, Nr. 150: AA Abt. 2 vom 14.12.1955; einige Jahre später war er Botschafter in Washington. 745 So der allgemeine Begriff für die Alliierten Vertretungen in Berlin; engl. »Military Government«, franz. »Gouvernement Militaire« genannt, mit dem Zusatz der betreffenden Nation. Die Amerikaner sagten »Mission« dazu. Vgl. Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 166 f. 746 QBAL war ab Ende 1959 nicht mehr in der Verantwortung von Live Oak, dennoch bestanden Abhängigkeiten, daher die Notwendigkeit zusammenzuarbeiten. 747 Im AA abgekürzt mit AB; es bestand sogar zeitweise ein eigenes Referat AB, siehe die so gekennzeichneten Dokumente unter PA AA, B 130. 748 Nachzulesen z.B. in PA AA, B  130/3.256: Aufzeichnung des AA »Die militärischen Gesichtspunkte im sowjetischen Aide-Mémoire« vom 5.1. und im Vorschlag für eine Friedensregelung vom 10.1.1959, Ref. 302-82-20-0/15/59 geh. 749 So z.B. der brit. Botschafter Sir Christopher Steel am 20.1. bei StS Albert Hilger van Scherpenberg/ AA u.a. zu der Frage, ob man den Zugang nach Berlin mit Gewalt offenhalten müsse und könne: PA AA, B 130/3.256: StS 150/59 geh., 2-82.03/94.09/33/59 geh. 750 PA AA, B  130/3.583: Bo. Wash., Nr.  79 vom 16.1.1959, gem. Antwort Dr. R. Fechter vom 20.1.1959. 742

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dem Landwege nach Berlin? Wenn ja: Ist schon der Austausch der sowjetischen Kontrollposten durch ostdeutsche Volkspolizisten, ohne weitere Behinderung der Durchfahrt, ein ausreichender Grund, um sich der Kontrolle durch die Deutsche Volkspolizei ggf. mit Gewalt zu widersetzen? Wenn ja: Glaubt die Bundesregierung, dass die deutsche Bevölkerung Verständnis entgegenbringen und Unterstützung leisten würde, wenn es darüber zur Gewaltanwendung käme? Wenn nein: Welcher Punkt würde nach Auffassung der Bundesregierung zur Anwendung der Waffengewalt zwingen? Die Antwort aus Bonn war klar und nachvollziehbar: Eine »kleine Luftbrücke« zur Versorgung der alliierten Garnisonen könne politisch zweckmäßig sein, wenn die Versorgung Berlins weiterlaufe, eine »große Luftbrücke« nur dann, wenn der gesamte Verkehr auf allen Landwegen unterbunden würde. Diese sei aber »nach Umfang und Zeit nur begrenzt möglich«. Einem gewaltsamen Durchbruch stand die deutsche Regierung reserviert gegenüber; er war an viele Voraussetzungen gebunden. Die dritte Frage wurde verneint: Die Bevölkerung und die öffentliche Meinung in den NATO-Staaten würden den Einsatz von Waffengewalt hier kaum verstehen – oder nur dann, wenn die Verantwortung für die Anwendung von Gewalt eindeutig bei der Gegenseite liege. Die Entscheidung darüber müsse weiter den Regierungen obliegen. Daher wurde auch die vierte Frage eindeutig mit Nein beantwortet. Der kritische Punkt wäre erreicht, wenn eine »große Luftbrücke so behindert wird, dass die Versorgung der Berliner Bevölkerung in Frage gestellt wird und wenn eine Aufhebung der Blockade nur durch Abzug der westlichen Garnisonen aus Berlin zu erreichen wäre«, was niemand wolle.751 Weitere damit zusammenhängende Fragen stellten sich nur wenige Tage später. Der amerikanische Gesprächspartner wollte die deutsche Auffassung zu verschiedenen Problemen in der aktuellen Krise nach dem sowjetischen Ultimatum erfahren, also etwa hinsichtlich der Nutzung der Luftbrücke, um einer Konfrontation auf den Landwegen auszuweichen – so der britische Lösungsansatz –, und in Bezug auf Testoperationen auf der Autobahn, um die wirklichen Absichten der Sowjetunion herauszufinden, was die Amerikaner favorisierten. Weitere Themen waren das Ausweichen auf andere Straßen, wenn die Autobahn Helmstedt–Berlin gesperrt würde, die Frage nach dem Einsatz von Atomwaffen und eine mögliche Verstärkung der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland.752 In die direkte Vorbereitung und Aufstellung von Live Oak war die deutsche Regierung nicht einbezogen, sie wurde nicht einmal offiziell informiert. Dabei hatten die Amerikaner, jedenfalls der Außenminister – zu diesem Zeitpunkt noch Dulles –, und Norstad durchaus erwogen, die Deutschen in begrenzter Weise damit zu befassen. Ein Grund hierfür war der Vorschlag, den neuen Planungsstab etwa in Bonn einzurichten, in Anlehnung an die Bonn Group, weil dort die umfassendsten Hintergrundinformationen verfügbar seien. Dulles hatte den Eindruck, dass ausführliche Beratungen mit den Deutschen notwendig seien.753 Auch bei der vorläufigen Einrichtung von Live Oak am PA AA, B 130/3.583: AA Abt. 7 Ref./VLR I Dr. R. Fechter 700/84.20/63/59 geh. vom 20.1.1959, Zit. S. 2 f. 752 PA AA, B  130/3.578: Gespräch Bo. mit Gen. Maxwell Taylor, FS Bo. Wash. Nr.  127 vom 23.1.1959, 114-4 SV-Tgb.Nr. 440/59 str.geh. 753 BArch, BW 71/132, Nr. 41: SHLO 100/65, 2.9.1966, Memorandum for General Wheeler, Subj.: »Record of German Participation in Live Oak«, LO-TS-66-19. 751



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24. März 1959 bei USEUCOM, noch ohne alliierte Beteiligung, wurde davon ausgegangen, dass ein gewisser Grad deutscher Beteiligung zum Zwecke der Koordination von unschätzbarem Wert sei.754 Im Basic Paper von 1959 wurde die Bundesrepublik Deutschland nicht erwähnt, auch nicht als Adressat und nicht im Verteiler. Tatsächlich erhielt sie zunächst keine offizielle Kenntnis von diesem doch höchst bedeutsamen Schritt für die Sicherung des Status und der Freiheit Berlins.755 Erst im Juli des Jahres gewann die deutsche Seite weitere, noch sehr allgemeine und rudimentäre Informationen über die Absichten der Drei Mächte und den Aufbau einer eigenen Organisation für diese Zwecke. Sie beinhalteten auch Hinweise auf organisatorische und konzeptionelle Überlegungen, etwa die Einrichtung der politischen Arbeitsgruppen WAG und Bonn Group sowie zum Verhalten im Falle der Übernahme der Kontrollen an den Kontrollpunkten und im Luftraum durch die SBZ, auch über die Planung von verschiedenen Arten von Testkonvois, »friedliche Tests« genannt. In der Frage des Einsatzes von Waffengewalt gab es noch keine Erkenntnisse.756 Grund für die Nichtbeteiligung der Bundesrepublik war vermutlich der Einspruch der Briten gegen einen entsprechenden Vorschlag von Norstad noch im April 1959 gewesen.757 Die Franzosen hatten den Einspruch wohl unterstützt.758 In den weiteren Sitzungen des NATO-Rates während dieser Monate wurde beispielsweise am 3.  Juni 1959 das politische Problem Berlin erörtert, aber die militärischen Planungen der Drei Mächte kamen offenbar nicht zur Sprache. Immerhin aber hatte Norstad den deutschen militärischen Vertreter bei SHAPE, Brigadegeneral von Butler, erstmals im Juli 1959 durch den COS, Generalmajor Kenneth Cooper, mündlich über zwei von Live Oak erarbeitete Dokumente informieren lassen:759 das Dokument über Quiet Preparatory and Precautionary Military Measures (QPPMM) und jenes über »Initial Probe of Soviet Intentions«, also über »Probes« auf der Autobahn. Außerdem wurde der deutsche General nur »in general terms«760 über ein drittes Papier unterrichtet, das über More Elaborate Military Measures handelte.761 Aus der Wortwahl kann man schließen, dass der General über die am unteren Ende einer Eskalation angesiedelten Maßnahmen detaillierter unterrichtet worden ist als über die weiterführenden, möglicherweise umstritteneren Überlegungen.762 Norstad hatte sich offensichtlich vorher Rückendeckung von den JCS erbeten.763

Ebd., Para. 8. In dem genannten Memo von 1966 ist das in Para. 9, BArch, BW 71/132, Nr. 41, anders dargestellt: Danach habe man damals die »FRG contacted« und das Papier übergeben, »presumable«. Dafür gibt es bisher allerdings keine Bestätigung. 756 PA AA, B 130/3.576: DB Paris (NATO) Nr. 380 vom 7.7.1959, 114-4, Tgb.Nr. 611/59 str.geh. 757 BArch, BW 71/132, Nr. 4: LO(IN)-TS-59-2016, 14.4.1959. 758 Stellungnahmen zu diesem Papier vom 14.4.1959 sind in Bw 71 allerdings nicht überliefert. 759 BArch, BW 71/116, Nr. 1: Memo ECLO 300/18, 15.7.1959, LO-TS-59-1015. 760 So die Weisung in ebd., Para 1.c. 761 Der erste Entwurf in BArch, BW 71/132, Nr. 1: LO-TS-59-1005, 26.6.1959. 762 Hier ist zu beachten, dass es zu dieser Zeit noch keine konkreten Planungen geben konnte. 763 Msg EC9-10915, 13.7.1959; nicht in BW 71, aber erwähnt im genannten Memo von Col. Sharkey vom 15.7.1959, in dem er das Gespräch mit General von Butler festhielt; BArch, BW 71/116, Nr. 1: ECLO 300/18, Subj.: »Liaison with West Germany«, LO-TS-59-1015. 754 755

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Diese Informationen sind auch an das BMVg und das Auswärtige Amt weitergegeben worden.764 Auf jeden Fall wurde laufend versucht, mehr über die Arbeit von Live Oak und seine Planungen in Erfahrung zu bringen. Dieses Vorhaben wurde besonders dadurch erschwert, dass Live Oak bei USEUCOM in St.  Germain-en-Laye untergebracht war, sodass sich praktisch keine Möglichkeiten der »Gesprächsaufklärung« und des zufälligen Mithörens boten. Relativ gute Informationen waren über diplomatische Kanäle zu erhalten, insbesondere in Washington oder im Verlaufe der politischen Gespräche in Vorbereitung und Begleitung der Genfer und anderer Konferenzen, die Berlin zum Thema hatten. Diese Konsultationen betrafen vor allem die politischen Überlegungen in der WAG.765 Außer der Tatsache, dass diese Botschaftergruppe überhaupt bestand, erfuhr Bonn nur den Sachstand der aktualisierten Luftbrückenplanung. Über die Bevorratung in Berlin war die deutsche Seite natürlich gut informiert. Vor allem die US-Seite wollte die Deutschen auch in den anderen wesentlichen Fragen beteiligen, was jedoch noch lange nicht umgesetzt werden sollte. Im August 1959 wurde Butler noch ein zweites Mal durch den COS, General Cooper, über die neuesten Entwicklungen informiert.766 Die Abschwächung der Krise im Sommer nach dem folgenlosen Auslaufen des Ultimatums Ende Mai 1959767 verlangsamte auch die Planungen von Live Oak und führte zu einer Verkleinerung des Stabes. Es gab dann anscheinend zwar noch einige mündliche Informationen an den NMR, aber keinen Schriftverkehr mehr dazu768 und auch keine Entscheidung für eine wirkliche deutsche Mitwirkung. Eine »streng vertrauliche« Unterrichtung eines Beamten des Auswärtigen Amtes, Georg Graf von Baudissin, über die Eventualfallplanung Berlin durch den Unterabteilungsleiter  III für Führung und Ausbildung im Verteidigungsministerium, Brigadegeneral Cord von Hobe, in dessen Verantwortungsbereich auch die Sicherheitspolitik fiel, sorgte im November 1959 für große Verunsicherung im kleinen Kreise der Eingeweihten. Hobe hatte über eine mündliche Einweisung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Adolf Heusinger, in diese Planungen durch den Vorsitzenden der JCS in Washington, General Twining, berichtet. Er habe daran teilgenommen und Auftrag erhalten, Baudissin zu informieren. Die Pläne seien im Pentagon zur Zufriedenheit der Deutschen fertiggestellt und sähen den Durchbruch mit Landstreitkräften nach Berlin vor. Etwas Schriftliches sei allerdings nicht ausgehändigt worden.769 Es ist verständlich, dass diese – allerdings wenig substanzielle – Information für Unruhe sorgte. Im Nachhinein ist unklar, welche Pläne hier gemeint waren. Bei Live Oak oder der NATO existierten zu dieser Zeit noch keine. Es kann sich demnach eigentlich nur um In den Akten des Fü S III 2 des BMVg beginnt die Überlieferung zu Live Oak erst im Sommer 1961. In BW 71 kein Hinweis. 765 Siehe etwa zwei Aufzeichnungen für den in Genf weilenden Bundeskanzler vom 22. und 23.7.1959, PA AA, B 130/3.581: StS, AA, 700/110/59 str.geh. bzw. 59 II str.geh. 766 BArch, BW 71/116, Nr. 3: Memo »For the Record«, ECLO 525/28, 11.8.1959, LO-TS-59-1033. 767 Vor allem durch den Besuch Chruščevs bei Eisenhower im September. 768 Jedenfalls nicht in BW 71 oder BW 2, Fü S III 2 LO. Nach dem bereits zit. Memo für Gen. Wheeler vom 2.9.1966 haben die Briten am 25.11.1960 berichtet, dass der NMR GE bis zu diesem Datum sechsmal informiert worden sei; BArch, BW 71/132, Nr. 41: SHLO 100/65, LO-TS-66-19, S. 3, Para. 16. 769 Gem. PA AA, B 130/3.581: Aufzeichnung vom 11.11.1959, Dg 30-301-81-33/110/59 str.geh. 764



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nationale, amerikanische Pläne gehandelt haben, die aber zu dieser Zeit keine Aussicht auf Zustimmung durch die Verbündeten hatten. Diese unbefriedigende Unterrichtung verlangte Klärung. Erst im März des Folgejahres, vermutlich in Vorbereitung des Besuchs von Bundeskanzler Adenauer bei Präsident Eisenhower Mitte März 1960 in Washington und im Vorfeld der neuen Ost-West-Gipfelkonferenz im Mai des Jahres, wurde die Bundesregierung offiziell über Live Oak und die Eventualfallplanungen für Berlin unterrichtet. Sie erhielt das Basic Paper vom 4. April 1959 sowie eine amerikanische Studie zu dem Thema »Situation which would arise if Soviets withdraw from their functions with respect to allied Access to Berlin« ausgehändigt.770 Die Bundesregierung antwortete Anfang April mit einem Aide-Mémoire,771 in dem sie ihr Einverständnis bekundete und eigene Vorschläge für die deutsche Mitwirkung machte.772 Gleichzeitig bat Bonn um Vorschläge der Drei Mächte zu den Modalitäten ihrer Mitarbeit, insbesondere zur deutschen Teilnahme in den verschiedenen Gremien, die im Basic Paper773 genannt sind. Schließlich bot man die Zusammenarbeit und Unterstützung deutscher ziviler und militärischer Dienststellen für alle Maßnahmen an, die für die Aufrechterhaltung der operativen Freiheit der Streitkräfte der Drei Mächte notwendig seien.774 Die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung geht aus einem Begleitbrief des Bundeskanzlers zum Aide-Mémoire an Bundesverteidigungsminister Strauß hervor: »Ich lege besonderen Wert darauf, dass sich Vertreter der Bundesregierung an der ›Contingency Planung‹ im Rahmen der der Bundesregierung zufallenden Verantwortung beteiligen.«775 Adenauer war sich der Bedeutung der Frage wohl bewusst. Die Bundesregierung erwartete nach diesem Austausch von Dokumenten und Angeboten laufend informiert und eindeutig zur Mitarbeit eingeladen zu werden. Aber nichts dergleichen geschah. Es gab nicht einmal eine förmliche Reaktion.776

Botschaft Washington an AA, nur für den Minister, den StS und MD Carstens: PA AA, B 130/3.586: FS Nr. 545, 114-1, Tgb.Nr. 0197/60 str.geh. vom 9.3.1960. Der deutsche Titel des zweiten Dokuments in den Akten ist missverständlich, er lautet dort verkürzt und dadurch falsch: »Lage bei Abzug sowjetischer Truppen«. 771 Diese Form auf Vorschlag von Dr. Carstens, der wohl auch den Inhalt weitgehend bestimmt hatte; siehe die Bemerkungen auf dem Entwurf: PA AA, B 130/3.586: D2 ABC-700-80.50/14/12/60 str. geh. vom 28.3.1960. Außerdem der Hinweis, dass der Bundeskanzler zugestimmt hatte. 772 Der Text ist als Anlage zum FS an die deutsche Botschaft Washington vom 8.4.1960 enthalten und von der WAG als BERCON TRI D-12, 11.4.1960, an die Drei Mächte übermittelt worden; BArch, BW 71/43, Nr. 33: LO(IN)-TS-60-3000. 773 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 13. 774 BArch, BW 71/43, Nr. 33: Para. 2. des A.M. 775 BArch, BW 2/17.638, Heft 1, SG I, Nr. 40: AA 301-81-08-0/37/60 str.geh.; Fü S III 2 LO, Az. 02-20-20-00, Tgb.Nr. 17/70 str.geh. vom 19.4.1960, Zit. ebd. 776 Ob es eine inoffizielle Reaktion gegeben hat, ist nicht zu erkennen, aber möglich, ja sogar wahrscheinlich; die politischen und diplomatischen Akteure trafen sich regelmäßig und arbeiteten in vielen Bereichen vertrauensvoll zusammen. Vgl. Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium, S. 37‑61, v.a. Tab. 1, S. 55, und Tab. 2, S. 69. Übrigens hat der Bundesverteidigungsrat (BVR), seit 1970 Bundessicherheitsrat (BSR), Kenntnis erhalten von diesen Entwicklungen, ein sehr seltenes Ereignis; siehe auch PA AA, B 130/3.586: (AA) 700-84.52-8/60 str.geh. vom 6.7.1960. 770

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Norstad war dementsprechend unzufrieden mit den Fortschritten.777 Er startete daher im August 1960 einen neuen Versuch, die Unterstützung der Chiefs of Defense für eine begrenzte Einbeziehung der Bundesrepublik in die Contingency-Planung für Berlin zu gewinnen. Den Anfang wollte er mit der Aufnahme eines deutschen Verbindungsoffiziers im Live-Oak-Stab machen, dem weitere Maßnahmen folgen sollten.778 Die Antworten auf seinen Vorschlag waren für das Anliegen jedoch nicht hilfreich. Von den Amerikanern kam kein wirklicher Rückenwind, die Briten reagierten hinhaltend, und die Franzosen gaben offensichtlich gar keine Antwort.779 Die Entscheidung über dieses so wichtige Thema wurde damit weiter hinausgezögert.780 Das weiterhin große Interesse der Bundesregierung macht auch ein Fernschreiben von Staatssekretär Carstens aus diesen Tagen deutlich, in dem er von einem Gespräch mit dem französischen Außenminister Maurice Couve de Murville am 17. September berichtete. Er, Carstens, habe dabei auf »die dringende Notwendigkeit« hingewiesen, dass »wir in die Contingency-Planung für Berlin eingeschaltet werden müssen«. Couve habe seine Ausführungen »verständnisvoll« aufgenommen und »französische Unterstützung« zugesagt.781 Dennoch zeigten sich in der Frage der deutschen Beteiligung keine Fortschritte.782 Erst Ende Dezember 1960 erhielt die Bundesregierung eine offizielle Antwort der Drei Mächte auf ihr Aide-Mémoire vom 11. April 1960.783 Der Inhalt war ausweichend und damit enttäuschend, wie die Botschaft in Washington in ihrer Stellungnahme konstatierte.784 Die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes selbst hob positiv hervor, dass der deutsche militärische Vertreter bei SHAPE über die militärischen Planungen bei Live Oak informiert würde. Dennoch musste die Forderung erhoben werden, die Vollmitgliedschaft in der WAG zu erhalten,785 weil nur dies Überblick über alle Bereiche der Planung erlaube. Es wurde empfohlen, dafür die Stellungnahme des Botschafters Grewe

BArch, BW 71/132, Nr. 41: Memo für Gen. Wheeler, SHLO 100/65, LO-TS-60-19, 2.9.1966, Para. 13‑16. 778 BArch, BW 71/43, Nr. 32: ECLO 600/63, 22.8.1960, Para. 3. 779 Siehe »After Action Report«, Entwurf vom 1.3.1960, ergänzt bis 31.10.1961, BArch, BW 71/34, Nr.  55; unter laufender Nr.  54 ist nur das Zeichen der Msg genannt, JCS 982890, 1.9.1960; der Brief Mountbattens, BArch, BW 71/116, Nr. 50: LOIN-TS-60-2054, 19.9.1960. Pedlow, Allied Crisis Management, S. 101, Anm. 57, zitiert übrigens britische Bedenken, aus PRO DEFE 5/105COS(60)224, 17.8.1960. 780 In dem mehrfach zitierten Bericht vom 2.9.1966 über die »German Participation«, BArch, BW 71/132, Nr. 41, ist unter Para. 16 vermerkt, dass Norstad eine Art Zustimmung erhalten habe, weil ein Brief der UK-Delegation vom 25.11.1960 über die fortlaufende Unterrichtung des deutschen NMR berichte, die bisher sechsmal erfolgt sei; der Brief selbst ist in BW 71 nicht überliefert. 781 Gem. PA AA, B  130/3.256: FS StS an Diplogerma Paris, London, Wash. vom 23.9.1960; StS 2817/60 geh.; 2.80.10/3/590/60 geh. 782 Das Treffen Adenauers mit dem französischen Premierminister Michel Debré am 7.10.1960 wird dieses Thema ebenso behandelt haben, wie es in den zahlreichen Treffen mit britischen Politikern in dieser Zeit angesprochen worden war. 783 PA AA, B 130/3.585: Bo. Wash. 114-1, Tgb.Nr. 89/60 vom 22.12.1960, Nr. 2558. 784 PA AA, B 130/3.586: Bo. Wash. 114-1, Tgb.Nr. 92/60 str.geh. vom 23.12.1960, Nr. 2582. 785 PA AA, B 130/3.586: AA, Abt. 7, 700-84.20-001/61 str.geh. vom 4.1.1961, S. 4. 777



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in Washington einzuholen und vom Verteidigungsministerium eine zu den militärischen Planungen von Live Oak.786 Bezeichnenderweise musste das Auswärtige Amt gewärtigen, dass auch das BMVg zunächst nicht sonderlich an einer raschen Einbeziehung Deutschlands interessiert schien.787 Mehrere Gespräche auf höherer Ebene verliefen für das Amt enttäuschend.788 Möglicherweise sah man in der Ermekeilkaserne die heiklen Aspekte in der Gesamtfrage und scheute daher ein aktives Engagement. Vonseiten des Auswärtigen Amtes wurde daher vorgeschlagen, dieses Problem auf die Ebene der Staatssekretäre zu heben, was durch einen Brief von Carstens an seinen Kollegen Volkmar Hopf am 30. März 1961 geschah. Das Insistieren wurde damit begründet, dass auch im Auswärtigen Amt Hintergrundwissen über die militärischen Planungen notwendig sei, um sich ein Urteil bilden zu können. Man sei daher dankbar, wenn eine eingehende, mündliche Unterrichtung möglich wäre.789 Etwa gleichzeitig war auch die mit der Weisung vom 6. Februar 1961 erbetene Stellungnahme des Botschafters in Washington, Grewe, eingetroffen.790 Darin unterstützte er die Bildung einer Botschaftergruppe der Vier Mächte in Bonn oder Washington, die für alle Aspekte einer künftigen Berlin-Krise zuständig sein müsse. Von Live Oak hatte er möglicherweise keine Kenntnis, er erwähnte es jedenfalls nicht. Gründe für das Stocken dürften insbesondere auch an Washington gelegen haben. Die alte amerikanische Administration unter Eisenhower konnte nicht mehr handeln, die Neue unter John F. Kennedy, seit Mitte Januar 1961 im Amt, war noch unsicher und brauchte Zeit.791 Dieser Umstand wurde tatsächlich auch als Begründung für weiteres Verzögern genutzt.792 Adenauers Besuch bei Kennedy im April 1961 in Washington veränderte auf jeden Fall das Umfeld und schuf eine Basis für besseres Verständnis. Adenauer wies im Rahmen der vielfältigen Themen in allgemeiner Form auf Lücken in der bisherigen Planung für Berlin hin.793 Mit Harold MacMillan, dem britischen Premierminister, habe er vor Kurzem darüber gesprochen, sei aber nicht weitergekommen. Mit de Gaulle werde er in Kürze zusammenkommen. Die Garantie der NATO für Berlin begrüßte er ausdrücklich. US-Außenminister Rusk sagte die Schließung der genannten Lücken zu. Deutsche Truppen kämen dafür allerdings nicht in Frage, denn es handle sich hier um ein Problem der Drei Mächte.794 Dies stellte Adenauer nicht recht zufrieden.795 Daran konnte auch das zunehmend harmonische Gesprächsklima im weiteren Verlauf Diese wurden durch je ein Schreiben des AA an Grewe vom 6.2. und an den Verteidigungsminister vom 18.1.1961 erbeten. PA AA, B 130/3.586: AA, 700-84.20-004/61 str.geh., und AA, 70084.20-003/61 str.geh. 787 PA AA, B 130/3.586: AA, 301-81-08-0/2/61 str.geh. vom 10.2. 1961. 788 PA AA, B 130/3.586: AA, 301 an 700: 301-81-08-0/16/61 str.geh. vom 27.3.1961. 789 PA AA, B 130/3.585: StS/AA, str.geh. vom 30.3.1961. 790 PA AA, B 130/3.586: Bo. Wash., 114-1, Tgb.Nr. 13/61 str.geh., Nr. 692 vom 29.3.1961. 791 Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 132 f.; und Strauß, Die Erinnerungen, S. 355. 792 PA AA, B 130/3. 586: FS Bo. Wash. Nr. 2558 vom 20.12.1960, 114-1, Tgb.Nr. 89/60 str.geh., v.a. S. 1 f. des Kommentars; Text des Außenministers ab S. 2. 793 Gemeint ist z.B. der Fall, dass der zivile Verkehr vollständig unterbunden werde, der militärische aber gar nicht; siehe Sprechzettel des AA für den BK, PA AA, B 130/3.586: 700-84.20/12/61 str. geh. vom 30.3.1961. Vgl. auch Adenauer, Erinnerungen 1959‑1963, S. 91‑99. 794 Siehe hierzu die Aufzeichnung von StS Carstens, PA AA, B 130/3.588: StS 0020/61 str.geh. vom 19.4.1961. 795 Adenauer, Erinnerungen 1959‑1963, S. 97‑100. 786

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nichts ändern. In der Frage der militärischen Eventualfallplanungen am folgenden Tag blieben weiterhin Irritationen zurück, die im Gespräch mit dem Verteidigungsministerium geklärt werden sollten. Bei diesen »Irritationen« handelte es sich wohl um Probleme des Verständnisses von militärischen Operationen dieser Art und fehlende Definitionen.796 Der bilaterale Gedankenaustausch bereitete dennoch den Boden für eine größere Beteiligung Deutschlands an der Contingency-Planung der Drei Mächte für Berlin. Die Irritationen über die militärischen Planungen konnten in den darauf folgenden Wochen in mehreren Gesprächen im Auswärtigen Amt und mit dem BMVg, dieses letztere am 27. April, weitgehend ausgeräumt werden.797 Einen gleichen Kenntnisstand und eine parallele Einschätzung der Lage erbrachte dann die eingehende Unterrichtung des AA durch Generalmajor Albert Schnez am 28. Juni 1961. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung ist ein Gutachten aus dem AA von Bedeutung, das sich mit zwei rechtlichen Problemstellungen befasste:798 Es ging zunächst um die Frage, ob der »Bündnisfall« nach Art. 5 des NATO-Vertrags ausgelöst sei, falls US-Truppen bei ihrem Versuch, den freien Zugang nach Berlin zu erzwingen, auf dem Gebiet oder im Luftraum der DDR von sowjetischen oder ostdeutschen Streitkräften angegriffen würden. Der Gutachter bejahte diese Frage. Die zweite Fragestellung betraf das Grundgesetz, nämlich welches Verfassungsorgan diese Entscheidung für die Bundesrepublik zu treffen habe. In diesem Fall kam das Gutachten zum Schluss, dass der Bundestag zuständig sein würde. Das Treffen Kennedys mit Chruščev am 3./4. Juni in Wien und sein Scheitern dürften die endgültige Entscheidung gebracht haben. Der letzte Entwurf des Memorandums der Bundesregierung an die Regierung der USA vom 13. Juni799 trägt die Paraphe des Kanzlers: »Einverstanden, Adenauer 15./6.« Darin begründet die Regierung ihr großes Interesse an der Mitwirkung an der Eventualfallplanung der Drei Mächte für Berlin insbesondere damit, dass es notwendig sei, die gemeinsamen Anstrengungen besser zu koordinieren. Sie erneuerte ihr Angebot, sich daran zu beteiligen, und machte zwei konkrete Vorschläge: einmal ein Steuerungskomitee in Washington einzurichten und dann einen deutschen Vertreter in diese Gruppe aufzunehmen. Am 20. Juni ging dieses Memorandum an Botschafter Grewe zur Übergabe an die Regierung der USA.800 Norstad ging auf den Vorschlag ein und erreichte die Zustimmung der Drei Mächte.801 Im Auswärtigen Amt hatte inzwischen Minister Heinrich von Brentano mit seinen Staatssekretären und Abteilungsleitern die Lage in der Krise analysiert und Handlungs Siehe auch hier die Aufzeichnung von StS Carstens, PA AA, B 130/3.586: StS 0022/61 str.geh. vom 20.4.1961. 797 Vgl. PA AA, B 130/3.586: Aufz. der Abt. 3/AA, VLR I Dr. Sahm, 28.4.1961; sowie Aufz. Ges. Dr. Joachim Ritter, PA AA, B 130/3.588: AB-7-17/61 str.geh. vom 3.5.1961. Siehe auch eine weitere Aufz. Dr. Ritter: PA AA, B 130/3.586: AB-84.20/44/61 str.geh. vom 29.6.1961. Gen. Schnez war zu dieser Zeit Chef des Stabes im Führungsstab der Streitkräfte im BMVg. 798 PA AA, B 130/3.588: AA Ref. 500-80-18/61 str.geh. vom 2.5.1961. 799 Siehe das Anschreiben vom 13.6.1961 zu B.M. AA AB-84.20-28/61 IV str.geh., Ref. 700, PA AA, B 130/3.588. 800 PA AA, B 130/3.586: FS AB-700-84.20/38/61 str.geh. vom 20.6.1961. 801 Es ist nicht erkennbar, inwieweit das deutsche Memorandum hierfür eine Rolle gespielt hat. Siehe BArch, BW 71/132, Nr. 28: ECLO 600/97, 27.6.1961, LO-TS-61-77; BArch, BW 71/117, Nr. 43: No.  10750/EMGDN/POME/E/TS, 7.7.1961, LO(IN)-TS-61-2052; und BArch, BW  71/117, Nr. 45: Brief Mountbatten LO(IJ)-TS-61-2055, 12.7.1961. 796



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felder abgesteckt. Es ging vor allem um die amerikanische Haltung zur sowjetischen Politik, besonders in der an Schärfe zunehmenden Berlin-Krise. Der ebenfalls teilnehmende Botschafter Grewe zitierte sinngemäß Präsident Kennedy beim Antrittsbesuch von General Heusinger als erstem deutschen Vorsitzenden des Militärrates der NATO: Es handele sich nicht mehr nur um eine deutsche Frage, sondern um die des Westens.802 Die deutsche Beteiligung an den militärischen Planungen und zentrale Fragen wie etwa die Unterrichtung der NATO über die Berlin-Planungen zeichneten sich nunmehr ab. Diese intensive Vorbereitung war auch geboten, denn bereits am 21. Juli 1961 fand in Washington die erste Sitzung der Botschaftergruppe (Ambassadorial Steering Group, später WAG) statt, an der Botschafter Grewe erstmals als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland teilnahm. Wegen der Bedeutung dieses Aktes wurde die Sitzung von Außenminister Rusk persönlich geleitet, der in seiner Einleitung feststellte, dass »die weltpolitische Lage seit 1945 noch nie so ernst gewesen sei wie heute.« Der politische Schulterschluss war vollzogen, die Bundesrepublik in die gemeinsame Verantwortung genommen worden.803 Gleich darauf, am 26. Juli, sandte Norstad einen Brief an den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Friedrich Foertsch, in dem er darlegte, dass die Auslösung eines jeden Eventualfallplanes höchstwahrscheinlich einiges an Koordination und Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland verlange. Daher müsse die Bundesrepublik über diese Pläne aktuell unterrichtet werden. Er schlage daher vor, dass ein deutscher Verbindungsoffizier ernannt werde, der Zugang zu den Planungen, sofern notwendig, erhalte und so Live Oak auch über die deutschen Auffassungen unterrichten könne.804 Der Text zeigt, dass eine volle Integration in den Stab nicht vorgesehen war. Diese Einschränkung macht auch eine Notiz des COS, General Baker, vom 28. Juli deutlich: Die Deutschen könnten u.a. wegen rechtlicher Probleme kein Vollmitglied von Live Oak sein.805 Selbstverständlich war die ebenso deutliche Ablehnung einer deutschen Beteiligung an irgendeiner »Probe Force«, da die rechtliche Grundlage hierfür fehlte. Dazu kamen die historischen Probleme. Die Beteiligung deutscher Kampftruppen an einer offensiven Aktion, wenn auch nur auf taktischer Ebene, 16 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges würde das Risiko der Eskalation erheblich steigern.806 Der deutsche Liason Officer sollte aber großzügig behandelt werden; er sollte alle Pläne erhalten und als Beobachter an den meisten Diskussionen teilnehmen dürfen.807 Foertsch nahm dieses Angebot dankend an und benannte Brigadegeneral von Butler als »offizielle[n] Verbindungsoffizier zu Live Oak«.808 Als ständiger Verbindungsoffizier PA AA, B 130/3.585: AA, Abt. 3, 301-81-08-0/80/61 str.geh. vom 5.7.1961, VLR I Dr. Sahm. Siehe den Bericht von Bo. Grewe vom 25.7.1961: PA AA, B  130/3.586: Bo. Wash. Abt.  7, 7-86.00/1-64/61 str.geh. Nach Pedlow, Allied Crisis Management, S. 101, hatten die Minister der Drei Mächte erst am 4.8.1961 die Erweiterung der Organisation förmlich beschlossen; er nennt keine weiteren Quellen dazu. 804 BArch, BW 71/117, Nr. 15: ECLO 600/111, 26.7.1961, LO-TS-61-124, Abs. 2. 805 BArch, BW 71/122, Nr. 9: »Extract from Aide Memoire«, ECLO 300/455, 28.7.1961, LO-75/476TS, Para. 17. 806 Ebd., Para. 16. 807 Ebd., Para. 15. 808 BArch, BW 71/117, Nr. 50, GenInspBw FüB III, Az. 10-05-10-15, Tgb.Nr. 288/61 str.geh. vom 2.8.1961; die Übers. in das Englische ebenfalls als Anlage zum Begleitbrief des NMR, Brig.Gen. 802 803

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wurde Oberst i.G. Wilhelm F.H. Thomas »abgeordnet«, der seinen Dienst umgehend antrat. In der Realität der täglichen Zusammenarbeit bildete sich bald eine feste Grundlage des gegenseitigen Vertrauens. Beschränkungen der Teilhabe wirkten sich praktisch eher selten aus und gefährdeten die Zusammenarbeit nicht, da Informationsfluss und gute Kooperation immer gesichert waren.809 Am 11. August 1961 begann Oberst i.G. Thomas seinen Dienst bei Live Oak und berichtete wenige Tage später über seine ersten Eindrücke.810 Die Vorbereitung durch Live Oak war positiv gewesen. Die Zusammenarbeit sei »menschlich und dienstlich gut«, beruhe zum Teil auf »alten Bekanntschaften«811 und verlaufe bisher »ohne erkennbare Schwierigkeiten«. Thomas fasst sein Urteil zusammen: »Jede Unterstützung wird gewährt«.812 Die Dienstanweisung für den deutschen Verbindungsoffizier, intern kurz »GLNO« (German Liaison Officer) genannt, erging dann 1963.813 Schon in seinem Bericht Nr. 1 hatte Thomas das Ministerium darauf aufmerksam gemacht, dass er einen ständigen und gut in diese schwierige, sehr sensitive Materie eingewiesenen Ansprechpartner bei Fü  B  III benötige. Er schlug daher die Benennung eines federführenden Referenten vor. Dieser Vorschlag fand Gehör, und der Referent setzte hinter die Referatsbezeichnung schließlich das Zeichen »LO«. Allein aufgrund der Geheimhaltung und des sehr begrenzten Kreises der Wissenden war diese Regelung sinnvoll und notwendig.814 Damit war auf der obersten politischen und militärischen Ebene die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Eventualfallplanung der Drei Mächte für Berlin vollzogen. Aus den Drei Mächten waren die Vier Mächte geworden, wenn auch mit Einschränkungen. In den Wochen und Monaten, die folgten, wurden deutsche Diplomaten in die verschiedenen Gremien der WAG, hier insbesondere auch auf Botschaftsebene, und der Bonn Group und deutsche Soldaten in die Stabselemente von Live Oak aufgenommen. Für Live Oak wurde besonders die Military Subgroup815 der WAG wichtig, in der über alle militärischen Optionen und Pläne beraten und die Dokumente zur Entscheidung vorbereitet wurden. In dieser Gruppe waren sowohl Diplomaten wie auch Soldaten vertreten.816 von Butler, vom 7.8.1961, Tgb.Nr. 55 I/61 TS. In den Berichten des NMR/GLNO wird, soweit sie erhalten sind, nie über Informationsdefizite oder über Mängel der Zusammenarbeit berichtet. 810 BArch, BW 71/16, Nr. 91: NMR/LO-Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 65/61 geh. vom 18.8.1961, »NMR/ LO-Bericht Nr. 1«. 811 Thomas traf dort z.B. einen Bekannten aus den letzten Kriegstagen, den amerikanischen Colonel Maurice Keyzer, der ihm jetzt zum Freund wurde. 812 BArch, BW 71/16, Nr. 91: Ziff. 3.a. des Berichts. 813 BArch, BW 71/132, Nr. 41: »Staff Directive Nr. 1«, 30.11.1963, übernommen aus Para. 29. des »Memo [...] for General Wheeler«, SHLO 100/65, 2.9.1966, LO-TS-66-19. 814 Eine Dienstanweisung für diesen Stabsoffizier im Ref. Fü B (S) III 2 LO konnte bislang nicht gefunden werden. Das Gleiche gilt für den Namen des Posteninhabers. 815 Zuständig war diese Gruppe auch für die BQD der M-Reihe (M steht hier für ›Military‹). 816 Zu den ersten Deutschen in dieser Gruppe gehörten u.a. als Diplomaten Swidbert Schnippenkötter und Dr. Hans Georg Wieck; als Soldaten Generalmajor Johannes Steinhoff, Generalmajor Heinz Hükelheim, Oberst i.G. Max Schwerdtfeger, Kapitän z.S. Egon Freiherr von Schlippenbach und Kapitän z.S. Friedrich Guggenberger. Die Namen sind den Protokollen der Subgroup in BArch, BW 71/119, aus den frühen 1960er Jahren entnommen. 809



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In der Bonn Group änderte sich organisatorisch wenig, außer dass der deutsche Vertreter jetzt auch an den Beratungen der Eventualfallplanung von Live Oak teilnehmen durfte und so offiziell Kenntnis über das volle Spektrum aller gemeinsamen Planungen für Berlin erhielt und aktiv mitwirken konnte und sollte. Für Übungen und in der Krise konnte dort sogar ein Verbindungsstab von Live Oak eingerichtet werden, zu dem später auch deutsche Soldaten stoßen konnten.817 Die Bundesrepublik Deutschland sah zunächst ihre Mitwirkung fast ausschließlich auf dem Felde der Politik.818 Es ging vor allem um vier Themenbereiche: Beurteilung der gegenwärtigen Verhandlungen um Berlin und Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen; Probleme des militärischen und zivilen Zugangs nach Berlin, das vorrangige Arbeitsfeld von Live Oak also; notwendige »innere Regelungen« im freien Teil Berlins; die Sicherung der Lebensfähigkeit West-Berlins.819 Der erste Bereich war sicher der für die deutsche Regierung und für Berlin gewichtigste und schwierigste, da man nicht mit am Verhandlungstisch saß. Die gemeinsamen Beratungen in der Vorbereitungszeit und laufende Informationen verbesserten die eigene Erkenntnislage und erweiterten die Möglichkeiten der Einflussnahme.820 Bei dem zweiten Thema war man sich deutscherseits, aber auch unter den Vier Mächten einig gewesen, dass es bei Blockaden der Zugangswege darauf ankam, »unverzüglich Gegenmaßnahmen« einzuleiten, aber »nicht schematisch«, sondern flexibel und überlegt zu reagieren.821 Im vierten und letzten Punkt sind auch die gravierenden Mängel in der Vorbereitung der Bundesrepublik auf die Erfordernisse der Bündnisverteidigung enthalten. »Der große Rückstand der Bundesrepublik in der Alarmplanung und in der zivilen Notstandsplanung erschwert die Herstellung der Alarmbereitschaft der NATO außerordentlich und gefährdet die Annahme der Pläne für die NATO-Operationen. Die Verabschiedung der Sicherstellungsgesetze [...] ist daher aus außenpolitischen Gründen unerlässlich.«822 Diese Mängel gefährdeten allerdings die Live-Oak-Operationen ebenso. Erst die Verabschiedung der sogenannten Notstandsverfassung im Jahre 1968 schloss diese Lücke, zumindest was die gesetzliche Grundlage betraf,823 wenn dieses Gesetzespaket auch politisch umstritten blieb. So wurde ab 1986 für Übungen und im Einsatzfall ein deutscher Presseoffizier vom IPS/BMVg zu BOPIC abgestellt: BArch, BW 71/20, Nr. 59: Schreiben STAL Fü S III/BMVg, Generalmajor Rolf Hüttel, an COS Major General C.G. McCornock, 5.6.1986, Tgb.Nr. 138/86 VS-Vertr. 818 Vgl. hierzu den Schriftverkehr zwischen Adenauer und dem StS des Kanzleramtes, Globke, mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, im August 1962; BArch, BW 2/17.614, Heft 11. 819 So ähnlich fasste Brandt in seinem Brief an Adenauer vom 22.8.1962 die Fragestellungen zusammen, an denen er besonders interessiert war und auch beteiligt werden wollte, was der Bundeskanzler auch zusagte: BArch, BW 2/17.641, Heft 11: Schreiben StS BKA an StS Carstens, StS Hopf u.a. vom 2.1.1963, 5-35 100-1193/62 III geh., Fü B III 1 LO, Tgb.Nr. 112/63 geh. 820 Vgl. dazu die zahlreichen Dokumente z.B. in PA AA, B 130/3.585 für die Jahre 1961‑1963. 821 BArch, BW 2/17.641, Heft 11: Schreiben Bundeskanzler an den Regierenden Bürgermeister von Berlin in der Anlage zu dem Brief des StS/BKA vom 2.1.1963 an die StS des AA und BMVg. Anlage zu Der StS des BK-Amtes, 5-35 100-1193/62 III geh., Fü B III 1 LO, Tgb.Nr. 112/63 geh., Zit. ebd. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch PA AA, B 130/3.586: Aufzeichnung AA zu »Mängel und Lücken der Eventualfallplanung für Berlin« von Januar 1963, AB.84.20/10-004/63 geh. vom 9.1.1963. 822 BArch, BW 2/17.641, Heft 11: Aufz. AA, »Vier Jahre Berlinkrise«, 13.11.1962, Teil IV, S. 10. 823 Diese Problematik hat Thoß , NATO-Strategie, S. 603‑721, gut herausgearbeitet. 817

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Die deutsche Regierung musste jede Gelegenheit suchen, um ihre Einflussmöglichkeiten auszuloten und Spielräume zu nutzen. Zu den früher schon genannten »Irritationen« auf dem Gebiet der militärischen Planungen gehörte zweifellos die Möglichkeit, dass Operationen auf den Zugangswegen letztendlich auch den Einsatz nuklearer Waffen einschließen oder zur Folge haben konnten. Wenn alle westlichen Maßnahmen konventioneller Art die Sowjetunion nicht dazu veranlassen mochten zurückzustecken, dann werde die letzte verbleibende Druckmöglichkeit die Auslösung nuklearer Aktionen sein, selektiv oder auf andere Weise.824 Die ganzen Planungen basierten auf der Annahme, dass die andere Seite in Bezug auf konventionelle Kriegführung um Berlin immer »am längeren Hebel« sitzen würde. Jedoch war auch klar, dass die Sowjetunion für Berlin den nuklearen Krieg nicht riskieren wollte. Es ging also darum, eine Möglichkeit zu finden, die Vorteile der Sowjetunion an anderer Stelle und mit anderen Mitteln auszugleichen.825 Das Dilemma des Westens bestand zu diesem Zeitpunkt darin, dass er eigentlich nur die Wahl zwischen »Rückzug und politischer Niederlage oder Kernwaffeneinsatz und Massenvernichtung«826 hatte. Die nukleare Eskalation aber war für die deutsche Regierung »keine erlösende Rettung aus diesem Dilemma«,827 sondern die absolute Katastrophe, die es unbedingt zu vermeiden galt, denn »das wäre der Dritte Weltkrieg gewesen«.828 Die Delegation der Bundesrepublik bei der WAG, also die Botschaft in Washington, brachte daher bereits nach wenigen Wochen der Zugehörigkeit, am 24. August 1961, den Vorschlag ein, zur Stärkung der eigenen Optionen und zur Hebung der nuklearen Schwelle Gegenmaßnahmen beispielsweise zur See vorzusehen, wo die Vier Mächte die Stärkeren wären.829 Die ursprüngliche Idee war innerhalb der deutschen Delegation der WAG entstanden und dann nach dem Vortrag Ende Juli 1961 möglicherweise von Strauß aufgenommen worden.830 Diese Vorstellungen fanden zwar nicht sofort die uneingeschränkte Unterstützung der anderen drei Mächte, setzten sich dann aber als sehr vernünftige Erweiterung der Optionen durch. Und sie wurden auch in die Planungen der NATO übernommen. Es handelte sich hier also um eine erfolgreiche Einflussnahme auf die Operationsplanungen der Vier Mächte und der Allianz durch die Bundesrepublik. Gleichermaßen hatte sie BArch, BW 71/1, Nr. 30: Entwurf der Military Subgroup für das »Phasenpapier«, Anlage Kompromissvorschlag, FS des BMVg an den NMR vom 5.9.1962, mdbc 3018, NMR Tgb.Nr. 352/62 TS, Zit. Phase IV, S. 25. 825 Siehe Adenauer, Erinnerungen 1959‑1963, S. 120‑128, v.a. S. 121‑124; sowie Strauß, Die Erinnerungen, S. 383‑391, v.a. S. 386 f. 826 Zit. aus Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 68. 827 So der frühere deutsche Vertreter in der Military Subroup und später bei der NATO, Dr. Wieck, in seiner nicht veröffentlichten Stellungnahme vom 18.11.2008, Zit. Ziff. 2, S. 1. Original beim Verf. 828 So Strauß, Die Erinnerungen, S. 388. Vgl. auch Adenauer, Erinnerungen 1959‑1963, S. 91‑99 und S.  101‑105; und Thoß, NATO-Strategie, S.  309; aus militärischer Sicht siehe BArch, BW 2/14.255: Brigadegeneral Schnez in seinem Schreiben an Verteidigungsminister Strauß vom 16.8.1960, Bl. 71. 829 BArch, BW 71/124, Nr. 14: »Working Paper on Blockade«, 24.8.1961, LO(IN)-TS-61-2085. 830 Strauß, Die Erinnerungen, S. 386 f.: »die [...] Konzeption stammte [...] von mir«, Zit. S. 387. Aus dem Schriftverkehr in BW 71 geht dies nicht hervor; andere relevante Bestände sind noch nicht offengelegt. Dr. Wieck nahm in einer längeren Unterredung mit dem Verfasser am 30.9.2011 den hier gezeigten Werdegang des Vorschlags an. 824



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ihren Vorbehalt deutlich gemacht,831 als in der Weisung der WAG an Norstad832 Pläne für »ausgedehnte nicht-nukleare Landoperationen« gefordert wurden. Denn ein solches »größeres militärisches Engagement auf dem Boden« lag ebenfalls nicht im deutschen Interesse. »Ich war ein leidenschaftlicher Gegner«, urteilte der Verteidigungsminister.833 Im Laufe der Jahre hat die Bundesregierung immer wieder und oft mit hilfreicher Unterstützung der USA aktiv die eigenen Interessen verfolgen können.834 Die Gesamtsituation blieb immerhin stabil. So urteilte man im Auswärtigen Amt bei dem Abklingen der zweiten Berlin-Krise im Herbst 1962,835 dass es auf der einen Seite gelungen sei, die westliche Position gegenüber dem Ostblock zu halten, auf der anderen Seite das Verständnis für die westliche Politik wesentlich zu verbessern. Während die deutsche Beteiligung auf dem politischen Feld in kurzer Zeit vollzogen werden konnte und schnell positive Wirkung zeigte, entwickelte sich die militärische Zusammenarbeit langsamer. Die Einbeziehung deutscher Streitkräfte blieb politisch weiterhin sensibel. Der deutsche Beitrag wuchs dann aber immer mehr an, weil sich die Möglichkeiten und Kräfte der Drei Mächte als begrenzt erwiesen oder neue, technische Erfordernisse nicht ausreichend berücksichtigt werden konnten. Die Bereitschaft der Bundesrepublik, sich an den laufenden Kosten von Live Oak, besonders an Investitionskosten zu beteiligen, hat diese Entwicklung unterstützt. Die neuen Gefechtsstände der Luftwaffe, beispielsweise die Control and Reporting Centers (CRC), eröffneten bessere Möglichkeiten für die alliierten Luftstreitkräfte, gerade auch in den Korridoren. Die Bundeswehr übernahm im Laufe ihres Aufbaus zunehmend Funktionen, die vorher durch Kräfte der Drei Mächte wahrgenommen worden waren, allen voran in der Verkehrsführung, in der Luftraumüberwachung, im Fernmeldewesen und in der Infrastruktur. Auch der spät begonnene Aufbau des Host Nation Support, d.h. die allgemeine Versorgung der alliierten Truppen durch die Bundesrepublik als Gastgeberland im Rahmen der NATO-Verteidigung, spielte hier, wenn auch erst spät, eine Rolle.836 Dabei galten politische Rahmenbedingungen, die die Möglichkeiten der Bundeswehr wesentlich beschränkten: die rechtliche und politische Lage Westdeutschlands in diesem Aufgabenbereich sowie der Grundsatz, deutsche Land- und Luftstreitkräfte, wenn überhaupt, nur im Rahmen der NATO jenseits der Bündnisgrenzen, d.h. östlich der Elbe, einzusetzen.837 So beschränkte sich die deutsche militärische Unterstützung zunächst auf die Bereitstellung von ausgewähltem Funktionspersonal für Live Oak ab August 1961, BArch, BW 71/124, Nr. 15: BQD-3, »German Statement on Exception to Directives to General Norstad on Live Oak«, o.D., verm. August 1961, LO(IN)-TS-61-2112. 832 BArch, BW 71/124, Nr. 13: »Advanced Copy [...]« 26.8.1961, LO(IN)-TS-61-2077, S. 3. 833 Strauß, Die Erinnerungen, S. 387. 834 Etwa das Vier-Mächte-Abkommen von 1971, die Überarbeitung der B ­ ERCON usw. in den 1980er Jahren. 835 BArch, BW 2/17.641, Heft 11: Aufzeichnung »Vier Jahre Berlinkrise«, AB. 84.20/1419/62 III vom 13.11.1962, Teil IV, S. 21; Fü B III 1 LO, Tgb.Nr. 82/63 geh. 836 BArch, BW 71/21, Nr. 33: Erfahrungsbericht GLNO nach Übung »Steadfast 13« vom 2.2.1989; Tgb.Nr. 08/89; S. 3, Ziff. II.4. und S. 5 unter Ziff. III.4. 837 Siehe z.B. BArch, BW 71/16, Nr. 89: GLNO-Bericht Nr. 32 , Anl. 18, S. 1, NMR/SHAPE, Tgb. Nr. 487/84 vom 30.9.1967. Dieser Bericht gibt einen vorzüglichen, knappen und zu dieser Zeit vollständigen Überblick über die gesamte »Berlin Contingency Planung«. Strauß, Die Erinnerungen, S. 385, schreibt, dass »die Sicherheit Berlins [...] Aufgabe der drei Garantiemächte sei und nicht [...] der Bundesrepublik«. 831

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ab Januar 1963 auch für das Naval Committee »Deep Sea« in Washington und für die Naval Coordination Center (NAVCORCENT).838 Bis 1971 hatte der deutsche Anteil im Stab Live Oak eine Stärke von vier Offizieren, elf Unteroffizieren und Mannschaften sowie einer Zivilangestellten erreicht.839 Die deutsche finanzielle Beteiligung wurde im April 1963 auf den ganzen Stab Live Oak ausgedehnt, das bedeutete, dass Deutschland ein Viertel des Budgets von Live Oak übernahm. Das galt auch für die Anfangsausstattung und die laufende Instandhaltung des Stabes Live Oak in Paris.840 In den folgenden Jahren wurde die deutsche Mitwirkung intensiviert: Markant war die Bereitstellung einer Diesellokomotive der Bundesbahn mit ziviler Bedienung für die Eisenbahn-»Probe« – letzteres allerdings nur für die Zuführung und den Fall, dass die britische Bedienung nicht zur Verfügung stand. Durch die Ausarbeitung der Maritimen Gegenmaßnahmen (NAVCONs) wurde die Bundesmarine dann direkt in die Eventualfallplanung für Berlin einbezogen, natürlich nicht in Deutschland und auf den Zugangswegen, sondern als Teil des »längeren Hebels« zur See und auf internationalen Wasserstraßen. Die Planung zog sich lange hin. Ab 1963 gab es deutsche »Naval Coordinators« mit Unterpersonal in den Koordinierungszentren, den NAVCORCENTs Live Oak und »Sea Spray«, wobei Letzteres bei SACLANT in Norfolk, VA angesiedelt wurde. Erst in den siebziger Jahren und nur für kurze Zeitabschnitte bei Übungen geschah dies auch für »Free Flow« bei CINCPAC auf Hawaii. Ab 1964 beteiligte sich die Bundesmarine an den Planungen für die Maritimen Gegenmaßnahmen841 und nahm an gemeinsamen Übungen teil. Die Operationspläne wurden im Juli 1965 genehmigt, der deutsche trat mit dem 30. September 1965 in Kraft.842 Deutscher Sammelname für die NAVCONs von Live Oak war »Lombardei« (die Codenamen aller NAVCONs bei der Bundesmarine begannen mit den Anfangsbuchstaben »LO«). Grundsätzlich konnten Personal, Schiffe und Flugzeuge der gesamten deutschen Flotte, unter deutscher Führung allerdings, für Operationen der Maritimen Gegenmaßnahmen eingesetzt werden. Während also die Bundesmarine unter nationaler Führung Operationen zur See zum Nutzen des alliierten Rechts auf freien Zugang nach Berlin führen sollte, wurde die deutsche Luftwaffe zunehmend in die eigentlichen Operationen zur Erzwingung des Details siehe in Kap. IV.1., IV.6. und IV.11. BArch, BWD  4/108: Teileinheit Nr.  07 in STAN-Entwurf NMR SHAPE Nr.  105 9330 vom 1.1.1964, Stand 9.4.1970; diese Forderung war erfüllt. Ab 1971 wurde der Anteil um einen OLT i.G. des Heeres für die Ground Section, ab 1986 um einen Fernmeldeoffizier der Luftwaffe auf dann fünf Offiziere erweitert. Die Unteroffiziere und Mannschaften arbeiteten teils im nationalen Element, meist aber im internationalen Bereich, der Operations- und der Fernmeldezentrale von Live Oak. 840 BArch, BW 71/132, Nr. 41: Memo for COS an German Participation vom 2.9.1966, Para. 28. 841 Am 4.2.1964 fand die erste Planungsbesprechung des Führungsstabes der Marine zu den NAVCONs statt; siehe Fü M II 3/LO, Tgb.Nr. 18/64 VS str.geh. vom 11.2.1964, BArch, BW 71/16, Nr. 75. 842 Dieser ist nicht in BW 71 erhalten. Der Erste dort ist von 1969: BArch, BW 71/2, Nr. 2: Befehlshaber der Flotte, Tgb.Nr. LO 23/69 str.geh. vom 4.11.1969, Überschrift: »Rahmenbefehl für die Durchführung Maritimer Gegenmaßnahmen im Bereich der ›Berlin-Contingency-Planung‹«. Dieser Befehl basierte auf einem »Grundsatzbefehl für Lombardei-Maßnahmen« des BMVg Fü M II 3 LO, Tgb.Nr. 294/69 geh., o.D., nicht in BW 71, aber im »Rahmenbefehl« als Vorgang genannt. 838 839



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Zugangsrechts auf dem Luft- und auf dem Landweg eingebunden. Der Führungsstab der Bundeswehr, Fü S III, hatte daher frühzeitig, vermutlich schon 1964, den Inspekteur der Luftwaffe mit der Leitung dieser Unterstützung beauftragt.843 Dabei wurde angeordnet, dass der Schriftverkehr für diese besonderen Unterstützungsleistungen der Luftwaffe ausschließlich unter dem Schutzwort »Grünes Rosenholz«844 abzuwickeln sei. Die deutsche Luftwaffe, die sich dem Ende ihrer primären Aufstellungsmaßnahmen näherte, wurde in die Planungen von Live Oak einbezogen. Dies betraf zuerst die Gefechtsstände der Luftverteidigung, die die Zugänge zu den Luftkorridoren über dem bundesrepublikanischen Luftraum kontrollierten. Diese Einrichtungen waren als Anlagen der NATO multinational besetzt, wurden aber zunehmend federführend von Fernmelderegimentern der deutschen Luftwaffe betrieben. Dafür gaben die Briten und Amerikaner ihre teilweise auch veralteten Anlagen ab.845 Ob die deutsche Luftwaffe auch Verbindungsoffiziere oder -kommandos z.B. zu USAFE oder Jackpine Command Post stellte, ist eher unwahrscheinlich. In einer frühen Dienstanweisung vom April 1968 waren keine deutschen Vorgänge berücksichtigt, nur solche der anderen drei Mächte.846 Ebenso benötigte Live Oak für einige Operationen Flugplätze der Bundeswehr in der Nähe der Zonengrenze, der späteren Innerdeutschen Grenze, um eine möglichst lange Flugdauer innerhalb der Korridore und über dem Ziel zu gewinnen. Zuerst waren das Celle und Faßberg, ab 1966 wurde nur noch Faßberg (in Niedersachsen, nahe Uelzen gelegen) als Live-Oak-Basis genutzt. Ab 1974 wurde dann der deutsche Fliegerhorst Jever in Ostfriesland als Ausweichflugplatz geführt.847 Zur Unterstützung von Operationen zur Bekämpfung von Flugabwehr in den Korridoren vom Boden aus und der Landstreitkräfte, vor allem des TBG, sollten dort Flugzeuge der Drei Mächte mit ihren Technischen Unterstützungsgruppen für Zeiträume von wenigen Tagen bis zu einigen Monaten stationiert werden. Da in Faßberg keine fliegenden Verbände, sondern Ausbildungstruppenteile wie die Technische Schule 3 der Luftwaffe lagen, war der Aufwand erheblich und der Auftrag nicht leicht zu erfüllen. Zusätzlich mussten komplizierte Vertragsverhandlungen mit allen drei Partnern geführt werden, die zwar schnell praktische, aber erst nach Jahren rechtlich verbindliche Ergebnisse brachten.848 Spätestens mit der Herausgabe des »CINCUSAFE OPlan 444« von 1976 wurde die Bundesrepublik mit allen beteiligten zivilen und militärischen Dienststellen und

Federführendes Referat bei InspLw: Fü L III 6 LO. Der Befehl des Fü S/Fü B ist nicht überliefert; zur Auswirkung siehe BArch, BL 2/2.890: BMVg Fü L III 1 an LwA, »Unterstützung von Dreimächte-Luft-Operationen durch die Deutsche Luftwaffe«, Fü L III 1, Az. 31-02-02 RO Tgb. Nr. 138/65 str.geh. vom 7.10.1965. 844 Kürzel »GR«, manchmal findet man auch »RO«. Ab etwa 1978 wurde das Schutzwort in »Guter Patron«, kurz »GP«, abgeändert. Die Weisung zur Änderung ist nicht überliefert; die früheren Dokumente wurden handschriftlich korrigiert. 845 BArch, BW 71/16, Nr. 89: Anl. 18, S. 1 f., v.a. Teil C. Luftoperationen, fälschlich aber Landoperationen genannt, des NMR/LO Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Tgb.Nr. 487/84 geh. 846 BArch, BW 71/49, Nr. 4: »Terms of Reference for Jackpine Liaison Officers«, l8.4.1968, LO(INJ)S-68-3031. 847 BArch, BW 71/8, Nr. 25: GLNO /LO, Tgb.Nr. 690/77-S. vom 8.7.1977, S. 2. 848 Diese Darstellung folgt BArch, BW 71/12, Nr. 1: NMR GE/SHAPE, Air Az. 02-20-20.40/02 vom 4.1.1982, Tgb.Nr. 1/82 VS-Vertr. 843

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Kommandobehörden offiziell genannt:849 Elf Soldaten vom Verteidigungsministerium bis zum Fernmelderegiment  32 und ein Zivilist aus der Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS) waren dort aufgeführt. Damit wird der enorme Umfang deutlich, mit dem die deutsche Luftwaffe inzwischen Unterstützung leistete. Diese immer umfangreicher werdende Aufgabe hatte der Inspekteur der Luftwaffe daher schon bald, wohl 1965, an das Luftwaffenamt (German Airforce Office, GAFO) delegiert, wo sie von der Abteilung A3 SV übernommen wurde. Es scheint, dass der erste zusammenfassende Operationsbefehl für »Grünes Rosenholz« vom Luftwaffenamt vom März 1968 stammt.850 Der letzte Befehl, dann unter dem Label »Guter Patron«, ist anscheinend im August 1982 erlassen worden.851 Das deutsche Heer hatte zunächst wenig zu Live Oak beizutragen. Die Verkehrsführung war die Ausnahme, welche aber offensichtlich zunächst ohne grundsätzliche Regelung auskam. Marschanmeldungen der Alliierten wurden durch die zuständigen Verkehrskommandanturen routinemäßig und zufriedenstellend bearbeitet.852 Eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit dem Ziel größerer Unterstützung für Operationen von Live Oak wurde im Jahre 1974 als Ergebnis der Rahmenübung CPX »Long Straw« angestoßen.853 Im Mai des Jahres hat der COS vorgeschlagen, dass die deutsche Polizei die Operationen auf und entlang der Autobahn Hannover–Berlin unterstütze. Dazu kamen Absprachen zwischen den Hauptquartieren BAOR und Territorialkommando Nord (TKN) bzw. Wehrbereichskommando  II (WBK  II), Hannover. Dabei ging es wiederum vor allem um die Verkehrsleitung auf allen betroffenen Straßen durch die westdeutsche Polizei, Offenhaltung dieser Straßen für die Truppen der Drei Mächte, besonders in Richtung der und im Bereich der Kontrollpunkte, einschließlich der Kontrolle möglicher Demonstrationen, Zuschauer usw., und permanente, enge Verbindung zwischen der deutschen Polizei und dem Vorgeschobenen Gefechtsstand in Wolfenbüttel. Die damit verbundenen Detailfragen wurden in einem fortlaufenden Koordinationsprozess zwischen allen Beteiligten geregelt. Die Einbindung der deutschen Polizei, also eines genuin zivilen Elements, brachte es mit sich, neben den grundsätzlichen völkerrechtlichen Aspekten noch etwas Weiteres zu beachten: Die beteiligten Polizeieinheiten waren in die Geheimhaltung und die Festlegung der Marschwege der Truppen einzubeziehen. Die Forderungen der alliierten Kommandeure wurden entlang der etablierten Abstimmungs- und Befehlswege unter Federführung des deutschen Territorialheeres durch die Innenministerien der beteiligten Bundesländer in entsprechende Weisungen, Befehle und Maßnahmen umgesetzt. Trotz einiger Schwierigkeiten wurde BArch, BW 71/53, Nr. 38: »CINCUSAFE OPlan 444«, SHLOIN 76/2979, 1.12.1976, hier Annex A. 850 BArch, BL 2/2.890: LwA A3 IIIb Tgb.Nr. GR 1/68 str.geh. vom 11.3.1968. 851 Darin wurde die teilweise Vernichtung der Vorgängerbefehle angeordnet: LwA A3 (SV), Tgb. Nr. GP 9/82 str.geh. vom 12.8.1982, BArch, BL 2/2.890, Nr. 5. 852 Das Kommando Territoriale Verteidigung (KTV) war allerdings bereits 1965 vom BMVg beauftragt worden, die Unterstützungsaufgaben der Bw für QBAL zu übernehmen: BArch, BW 2/17638, Heft 1, SG II: Fü B VIII 4, Az. 07-10-08, Tgb.Nr. 20/65 str.geh. vom 24.2.1965. 853 SHLO 74/0390, Report of Annual Live Oak Exercise and Critique (CPX LONG STRAW), Encl. 2, Subpara. 2.a, 18.4.1974; nicht in BW 71, aber als Ref. im Schreiben BArch, BW 71/7, Nr. 26: Live Oak an MOD Bonn, 16.5.1974, SHLO 74/0504, Tgb.Nr.  GLNO 650/74 S. Die Übung hatte vom 21.1. bis 25.1.1974 stattgefunden. 849



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eine tragfähige und einsatztaugliche Organisation geschaffen,854 die dann in den achtziger Jahren noch ausgebaut wurde.855 Die Forderung nach strikter Geheimhaltung für Live-Oak-Übungen und -Operationen behinderte lange Zeit die Einbeziehung und Nutzung deutscher Stellen. Nun wurde entschieden, dass »Unterstützung einer Übung von Alliierten« als Begründung und Hintergrund für eine Leistung auf dieser unteren Ebene der Durchführung ausreiche, wodurch eine detaillierte Einweisung unnötig wurde. In der Folge wurden weitere Forderungen an die Unterstützung der Live-Oak-Operationen auf den Landwegen durch das deutsche Heer und andere Dienststellen gestellt. Bedeutsam war besonders die Einrichtung eines deutschen Verbindungskommandos beim Vorgeschobenen Gefechtsstand der BAOR.856 Die Menge der vom Territorialkommando Nord zu erfüllenden Aufgaben war beachtlich:857 Verkehrsführung und -regelung, auch durch Feldjäger und zivile Polizei; Transportleistungen, militärisch und zivil, auf Straße, Schiene und Wasserstraßen; Dienstleistungen zum Be- und Entladen; alle Maßnahmen der Raumordnung im Übungs- oder Einsatzraum; Fernmeldeverbindungen, besonders über die Netze der Bundespost; Sicherheit durch Feldjäger oder zivile Polizei; Lieferung von Lebensmitteln und Wasser; Versorgung mit Betriebsstoffen; Lieferung von Verbrauchsgütern; Pionierunterstützung; Unterstützung durch Kräfte der Materialerhaltung, der Sanitätsdienste, bei Presse- und Informationsaufgaben; Koordinierung der Zusammenarbeit mit zivilen Behörden und Diensten; Lieferung von Informationen aller Art über die territoriale Lage. Die große Bandbreite der Unterstützungsleistungen erklärte sich aus dem grundsätzlichen Auftrag des Territorialheeres für die Bundeswehr, der vor allem die Verbindung zwischen Streitkräften und zivilen Behörden umfasste.858 Da der Standort des TKN Mönchengladbach war, also praktisch identisch mit Rheindahlen, wo sich die Hauptquartiere von BAOR und Royal Air Force Germany (RAF/G) befanden, war die tägliche Zusammenarbeit einfach und ohne längere Anreisen möglich. Ein ständiger Verbindungsoffizier des TKN im gemeinsamen britischen Hauptquartier (JHQ) erleichterte diese Tätigkeit, der zugleich die Aufgabe des Verbindungsoffiziers für die Operationen von Live Oak wahrnahm. Im Stabe des TKN war dem »G3 Verkehrsführung« (G3/ VerkFü) die Koordinierungsaufgabe für die Landoperationen übertragen worden, dem G3 selbst die der Lufttransportoperationen. Für Übungen und in der Krise konnten den alliierten Truppen, besonders den Gefechtsständen Wolfenbüttel und Helmstedt,

BArch, BW 71/7, Nr. 44: Sachstandsbericht TKN vom 24.4.1975, LtdVerkO-Az. 07-35-00, Tgb. Nr. 34/75 geh. Der für Übungen und in der Krise zuständige Führer für alle Operationen um den Landzugang wurde mit seinem Gefechtsstand in Wolfenbüttel untergebracht. 855 BArch, BW  71/14. Nr.  23: Weisung an das TKN: BMVg Fü  S  V 5 –Az. 02-20-20-60, Tgb. Nr. 873/82 geh. vom 26.4.1982. 856 BArch, BW  71/20, Nr.  40: »Vortrag über die Unterstützung der Live Oak Operationen durch TerrKdo Nord«, geh. am 12.9.1985 bei TKN, TKN Abt. VerkFü-LO, Tgb.Nr. 1521/85 geh. vom 21.11.1985; siehe Hinweis in Ziff. B.1.b, S. 3 der Anlage. 857 Der Text des o.g. Vortrages vor dem COS Live Oak legt diesbezüglich Zeugnis ab: siehe ebd., Ziff. A.3. Allgemein, B. Landzugang, und C. Zugang durch die Luft. 858 Definition: der nationale, bodenständige Teil der Bundeswehr, Teil des Heeres; zu den Aufgaben siehe Ziff. 61, S. 38, im »Weißbuch 1970«, PIA der Bundesregierung, Bonn 1970. 854

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zusätzliche Verbindungsorgane der betroffenen WBK II, Hannover, und III, Düsseldorf, zugeteilt werden. Die Verbindungsoffiziere waren in der Lage, alle Anfragen und Anträge sofort und ohne Umwege an die verantwortliche Stelle weiterzuleiten und die Antragsteller zu beraten.859 Diese doch recht dichte Verbindungsorganisation bei Übungen und im Einsatz etablierte sich erst in den achtziger Jahren und hatte zunächst gewisse Probleme zu überwinden. In den ersten Jahren kannte man sich noch nicht richtig, daher bestand wenig Vertrauen. Auf der anderen Seite hatten die Alliierten ihre eigenen Verbindungsorganisationen mit langer Dienstzeit in der Funktion und guten Verbindungen gerade auch zu den zivilen Dienststellen, was den Wechsel zu den neuen Stäben zunächst nicht attraktiv machte. Host Nation Support (HNS) musste erst bekannt und geschätzt werden. Das brauchte seine Zeit. Der Umfang der Unterstützung durch TKN wird besonders deutlich, wenn man die zugesagten Leistungen im Rahmen von QBAL betrachtet.860 Die Mitwirkung durch deutsche Truppen war indessen politisch eindeutig begrenzt: Es gab keine aktive und unmittelbare militärische Teilnahme deutscher Streitkräfte an Live-Oak-Land- und -LuftOperationen, da die besondere Verantwortung der Drei Mächte für Berlin oberstes Prinzip blieb. Unterstützung gab es ausschließlich auf dem Boden der Bundesrepublik und nur bis zu dem erbetenen Umfang. Jedoch wollte die deutsche Seite die alliierten Führer ermutigen, diese besser zu nutzen, denn »we want to render support«.861 Zu allen Planungen von Live Oak, auch zu den Operationsplänen, wurden die Stellungnahmen der politischen und der militärischen Führungen, also der Außenämter und der Verteidigungsministerien, der Vier Mächte erbeten. Nun betrafen sie die deutsche Seite oft nicht unmittelbar, zum Beispiel weil keine deutschen Kräfte beteiligt waren; es handelte sich also eher um eine Kenntnisnahme. Dennoch konnte es natürlich sein, dass ein bestimmter Aspekt oder eine Maßnahme aus deutscher Sicht problematisch schien. In diesem Fall galt die Weisung, dass in militärisch-operativen Fragen allgemein Zurückhaltung gewahrt werden sollte, wenn die betreffenden Operationen »mit einem erheblichen Risiko für die beteiligten alliierten Soldaten verbunden« waren.862 Politisch sollte man sich nur dann eher vorsichtig verhalten, wenn es um alliierte Rechte ging, nicht um primär deutsche.863 Sehr schnell hatte die deutsche Regierung festgestellt, dass es aus ihrer Sicht Lücken in den Planungen der Drei Mächte gab, die schwer wogen und daher dringend geschlossen werden mussten. Zwei Aufgabenbereiche standen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit: das Verhalten und die Gegenmaßnahmen, auch militärischer Art, bei Unterbrechung oder Unterbindung des zivilen deutschen Verkehrs

Es wird hier nur von »Verbindungsoffizieren« gesprochen. Aus der Aufgabenbeschreibung ist aber zu schließen, dass es sich um »Kommandos« handeln muss, mit Fernmeldemitteln, zuarbeitendem und unterstützendem Personal sowie beweglich durch Kraftfahrzeuge. 860 BArch, BW 71/20, Nr. 40: TKN, Tgb.Nr. 1521/85 geh. vom 21.11.1985, Teil C. »Support of Air Lift Operations«, S. 6 f. 861 Ebd., Ziff. D. »Closing Remarks«, S. 7. 862 BArch, BW 71/1, Nr. 65: Ziff. 1. der Weisung des AA vom 11.9.1963, Nr. 2983, Tgb.Nr. des NMR/LO 489/63 TS, Zit. ebd. 863 Vgl. Strauß, Die Erinnerungen, S. 385. 859



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zwischen Berlin und der Bundesrepublik,864 während der alliierte Verkehr unbehindert weiterlief;865 dann die Ausarbeitung von nicht-militärischen Gegenmaßnahmen, besonders um solche wirtschaftlicher Art.866 Das Problem, wie die Vier Mächte antworten sollten, falls nur der zivile, nicht-alliierte Verkehr unterbrochen werde, blieb ein Dauerthema in den Planungen und Verhandlungen. Es gab darüber Vorstellungen, auch einen Plan, der aber nie die volle Reife eines genehmigten Operationsplanes von Live Oak erlangte. Der GLNO hat in einem frühen Bericht an seinen Minister sehr detailliert über die »Lebensfähigkeit von West-Berlin« berichtet und auch festgestellt, dass es für diesen speziellen Fall keine Vorbereitungen gab, die über die Bevorratung wichtiger Güter in Berlin, Gegenmaßnahmen aller Art und die Luftbrücke QBAL hinausgingen.867 Bereits 1962 hatte die WAG deren Notwendigkeit anerkannt und in einem amerikanischen Entwurf für die Vier Mächte behandelt.868 Daraus entstanden nützliche Operationsplanungen, die aber nie zu genehmigten Live-OakPlänen wurden. Die Problematik war sachlich zu komplex und die politische Unterstützung sehr unsicher.869 Die zweite der erwähnten Lücken in den alliierten Planungen für Berlin, die Vorbereitung eines breiten Spektrums von Gegenmaßnahmen und besonders solcher wirtschaftlicher Art, konnte bald geschlossen werden. Dieser Vorschlag traf auf keine grundsätzlichen Bedenken, sondern fand breite Unterstützung, nicht nur bei den Vier Mächten, sondern auch in der NATO.870 Eine große Auswahl geeigneter Vorkehrungen wurde in den Katalog aufgenommen.871 Es sollen 24 wirtschaftliche, 25 diplomatische und 140 Gegenmaßnahmen im Bereich der »Behandlung der Öffentlichkeit«, Verlautbarungen, Noten und Meldungen an die Medien, für die Regierungen verfügbar gewesen sein,872 alle zusätzlich zu den militärischen Maßnahmen aller Art. Damit war der deutsche Wunsch in diesem Bereich bald erfüllt, und man hatte einen umfassenden Handlungskorpus zur Verfügung, gewissermaßen ein klassisches Instrumentarium, das für das Krisenmanagement der NATO bis heute stilbildend ist. Neben diesen wesentlichen politisch-strategischen Einflussnahmen hat sich die Bundesrepublik in weiteren Fragen von geringerer Bedeutung klug und zurückhaltend ver Hierzu gab es ein »Ist-Papier«, BQD-CC-17, »Traffic and Communications with West Berlin«, ursprünglich von 14.6.1962, mehrmals überarbeitet, letzte verfügbare Fassung (auf Deutsch) BArch, BW  71/6, Nr.  4: »Verkehr und Verbindungen mit Berlin (West)«, (AA)AB-BQD-CC-17, Tgb. Nr. 1454/69 geh. vom 25.7.1969. 865 Die Bundesregierung hat auf dieses schwerwiegende Problem bereits in ihrem Aide-Mémoire vom 11.4.1960 hingewiesen, siehe BERCON TRI D-12, Para. 4.b, BArch, BW 71/43, Nr. 33. Dieser Hinweis wurde mehrmals wiederholt. 866 Ein erster Hinweis findet sich ebd., Para. 4.c. 867 BArch, BW 71/16, Nr. 98: NMR/Live Oak-Bericht Nr. 25, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 2/62 str.geh. vom 8.1.1962, Teil II »Analyse«, S. 11‑22. 868 BArch, BW 71/3, Nr. 31: BQD-CC-10 »Allied Support for German Access to and from Berlin«, undatiert, vermutlich 20.3.1962, LO(IN)-S-62-3058. 869 Siehe dazu diverse Studien von 1969, z.B. der Bonn Group ; vgl. auch Msg BG SHLOIN 69/1793, 30.6.1969, BArch, BW 71/49, Nr. 11; die Studie selbst ist nicht überliefert. Siehe hierzu auch den Exkurs nach Kap. IV.4. 870 BArch, BW 71/3, Nr. 36: »Report of Four Power Working Group on Economic Countermeasures for Information of Member Governments of North Atlantic Council«, 6.8.1961, Rev. 11.9.1961. 871 BArch, BW 71/2, Nr. 3: BQD-CC-1, Annex A, 6. Rev., 15.3.1971, SHLO 72/37. 872 BArch, BW  71/67, Nr.  3: »Briefing for the Bonn and Washington Ambassadorial Groups«, 14.10.1983, SHLO O 83/988/OPS, S. 14. Es wurde jedoch nur der Bonn Group vorgetragen. 864

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halten, so etwa in Bezug auf den Status der Live-Oak-Kommandobehörden und gerade auch bei der Diskussion um eine Ernennung des CLO als Koordinator der Verteidigung in Berlin. Die Bundesregierung sah die Notwendigkeit, in geeigneter Weise dabei mitzuwirken und die Konsequenzen für Deutschland und seine Rolle in Live Oak zu bedenken. Denn offiziell hatte die Bundesrepublik hierbei kein Mitspracherecht, die Ernennung der Berliner CLO war aber in den achtziger Jahren eine der wenigen besatzungsrechtlichen Entscheidungen von Tragweite. Hier erreichte man mit pragmatischem Zögern einen Konsens. So ließ General Rogers der Bundesregierung über den »kleinen Dienstweg«, den GLNO, den Entwurf eines wichtigen Papiers zur Gestaltung zukommen und ermöglichte dadurch dem Auswärtigen Amt – Minister Genscher hatte der Entwurf vorgelegen – und dem BMVg (hier Staatssekretär Dr. Rühl und der Generalinspekteur), die vorgesehene Lösung mitzuprüfen. Man stimmte zu und vermerkte anerkennend, dass Rogers eigentlich nicht verpflichtet gewesen sei, die Bundesregierung zu unterrichten. Durch diese Lösung sah man die eigenen Interessen genährt. »Mit dieser Reaktion [...] unterstreicht die Bundesregierung ihren politischen Anspruch auf Mitsprache und macht deutlich, dass sie Vorgänge im Vorbehaltsbereich der Drei Mächte aufmerksam verfolgt.«873 Diese letzte, zwischen den Ressorts ebenfalls abgestimmte Aussage beschreibt das Interesse der Bundesregierung sehr gut, auch über diese Entwicklungen angemessen unterrichtet zu werden. Dieser Modus vivendi lässt sich mutatis mutandis mit dem Prozedere in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO vergleichen. Ein völlig andersartiges Problem kam durch eine Intervention des Bundesministers der Finanzen hoch: Der Minister hatte 1982 den wohl nicht unbegründeten Verdacht geäußert, dass sich einige der Alliierten die Verpflegungskosten der Teilnehmer an der Live-Oak-Übung »Treaty« in Faßberg über den Einzelplan 35 »Stationierungsstreitkräfte«, Kap. 3502 »Besatzungskosten für Berlin«, erstatten ließen und sie damit nicht wie vereinbart selbst trugen,874 sondern der Bundesrepublik auferlegten.875 In der Stellungnahme des GLNO wurde festgestellt, dass die teilnehmenden Truppenteile nicht zur Berliner Garnison gehören, dass sie aber ausschließlich im Rahmen von Live Oak, den Berlin Contingencies, an der Übung teilnahmen. Diese Angelegenheit führte zu einem mehrjährigem Schriftverkehr, wobei das Finanzministerium vorschlug, darüber in Verhandlungen mit den Alliierten einzutreten; auch der Bundesrechnungshof hatte sich aus grundsätzlichen Erwägungen eingeschaltet.876 Schließlich beendete anscheinend ein Schreiben des Auswärtigen Amtes von 1985 die Diskussion:877 Man war sich mit dem BMVg darin einig, dass man deswegen besser nicht mit Verhandlungen beginnen sollte, da dort eventuell weitere Forderungen der Alliierten gestellt würden. Da der Spielraum deutscher Stellen bei der Inanspruchnahme des Besatzungskostenhaushalts durch die BArch, BW 71/20, Nr. 22: BMVg, Fü SIII/Fü S III 2, Tgb.Nr. 193/85 geh. vom 4.10.1985, S. 2, letzter Absatz, Unterschrift STAL III, Gen.Maj. Rolf Hüttel. 874 Siehe das »Faßberg-Abkommen«: »Draft Agreement on Co-Use of Fassberg Air Base«, BMVg FüB III 1 LO, Tgb.Nr. 1045/64 geh. vom 20.8.1964, Anlage, BArch, BW 71/4, Nr. 52. 875 Das geht aus der Stellungnahme des BMVg vom 20.7.1982 hervor. BArch, BW 2/17.641, Heft 9: BMVg VR III 8, Az. 08-50-10, Tgb.Nr. 446/82 VS-Vertr. 876 Es ging um eine finanzielle Bestandsaufnahme über die »Ausübung deutscher Mitgliedsrechte in NATO-Organisationen«. BArch, BW 2/17.641, Heft 9; oder BArch, BW 71/10, Nr. 4: GLNO, Tgb.Nr. 178/80 geh. vom 8.4.1980. 877 BArch, BW 2/17.641, Heft 9: AA 210-366.11/612/85 VS-V vom 17.5.1985. 873



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Alliierten nicht eindeutig war, trat man besser in keinen Disput mit den Schutzmächten ein, konnten dadurch doch an anderer Stelle Begehrlichkeiten Tür und Tor geöffnet werden. Damit hatte auch die Tatsache zu tun, dass Zusagen finanzieller Art ursprünglich nicht immer durch die zuständigen Dienststellen oder mit deren Mitzeichnung gemacht worden waren, sondern auf dem »Kommandoweg«. Gegen Ende der achtziger Jahre wurde ein Problem offenbar, das sich eigentlich schon lange vorher hätte zeigen müssen: Es ging um die rechtlichen Grundlagen für die ebenfalls notwendige zivile deutsche Unterstützung der Operationen von Live Oak im Ernstfall, die zum Teil als »tatsächlich unsicher«878 angesehen wurden. Im Fü H wurde darüber wohl spätestens seit 1988 nachgedacht.879 Offensichtlich zutage trat dieses Problem dann anscheinend während der Stabs- und Rahmenübung »Steadfast 13« im Januar 1989. In seinem Erfahrungsbericht hat der GLNO, Oberst  i.G. Wilfried Richert, unter anderem den Host Nation Support durch die Bundeswehr und die zivile Unterstützung für Live-Oak-Operationen behandelt.880 Die Alliierten hatten den HNS inzwischen als Instrument schätzen gelernt und auch ausgiebig genutzt. Indes war deutlich geworden, dass viele wichtige Planungen und Rechtsverordnungen fehlten, insbesondere auch für Maßnahmen außerhalb oder vor der Erklärung des Krisen- bzw. Spannungsfalls.881 Der GLNO trug dann am 18. April 1989 in einem 14-seitigen Papier für den Fü S III eine Art Bestandsaufnahme der deutschen Unterstützungsleistungen für Live Oak vor, in der er auch Vorschläge zur Verbesserung der Lage in diesem Bereich machte. Dabei stellte er die verschiedenen möglichen politischen Szenarien dar, in denen Operationen von Live Oak beginnen konnten und dann Unterstützungsleistungen benötigten. Hierbei wurden die recht unterschiedliche Rechtslage und die Handlungsspielräume der Bundesregierung und ihrer nachgeordneten Dienststellen in den einzelnen Formen politischer Krisen deutlich.882 Wenn im konkreten Fall noch keine Alarm- oder Notstandsmaßnahmen ausgelöst worden waren, würde es zu Rechtsunsicherheit bei den nötigen, umfassenden Mobilmachungsmaßnahmen kommen. Zudem griff dann das Bundesleistungsgesetz (BLG) nicht. In der Krise war dem auch nicht durch Verhandlungen zu begegnen, da diese zu zeitraubend waren. Abhilfe konnten nur vorherige Regierungsverträge und Zusagen sowie Rahmenverträge mit den zivilen Dienstleistern bieten.883 Deutlich wurde darüber hinaus, dass ein beträchtlicher Anteil der Unterstützung gerade durch die Bundesländer erbracht werden müsste, die bisher damit noch fast gar nicht befasst worden waren. Da Zit. aus Schreiben BArch, BW  2/17.641, Heft  10: Fü  H III 3, Tgb.Nr.  LO 91/89 geh. vom 23.6.1989 an Fü S III 2 LO. 879 Siehe den Briefingtext über »Army Support for Enduring Free Access to Berlin During Exercises and Operations«, BArch, BW 2/17.641, Heft 9: Fü H III 3 LO, Tgb.Nr. 151/88 VS-V vom 2.9.1988. 880 BArch, BW 71/21, Nr. 33: GLNO, Tgb. 08/89 geh. vom 2.2.1989. Laut handschriftlicher Notiz des GLNO war das Papier auch dem deutschen DSACEUR, General Eberhard Eimler, vorgelegt worden. 881 Ebd., Ziff. III.4. Der »Spannungsfall« gem. Art. 80.a GG. Die Erklärung ist Voraussetzung für die Anwendung verschiedener Gesetze der Notstandsverfassung; siehe Grundgesetz, Bonn 1972. 882 BArch, BW 71/21, Nr. 39: »Deutsche Unterstützung von Live Oak Operationen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland«, GLNO, Tgb.Nr. 26/89 geh., S. 2, Ziff. 2. 883 Ebd., S. 3, Ziff. 3. 878

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mit hatte der GLNO reichlich spät eine wichtige und anscheinend bisher unterschätzte Problematik in der deutschen Unterstützung gemeldet, welche den zuständigen Stellen in Bonn doch erhebliche Kopfschmerzen bereitete. Dass diese Frage erst jetzt gestellt wurde, mag daran gelegen haben, dass sich die Alliierten ursprünglich weitgehend selbst unterstützten und der Bedarf für deutsche Unterstützung bis dato noch begrenzt gewesen war. Da es in den frühen Jahren von Live Oak (bis 1968) keine deutsche Notstandsverfassung gegeben hatte, waren die alliierten Rechte noch umfangreicher gewesen und in diesem speziellen Fall auch geblieben. Es hatte sie wohl auch niemand in Frage gestellt. Die Verrechtlichung in dieser Frage war generell noch nicht so weit fortgeschritten. Man behalf sich durch Absprachen und Amtshilfe. Die Meldung des Territoralkommandos Nord vom Dezember 1989 etwa, dass die BAOR bisher nicht einmal einen Nutzungsvertrag für die Politische Bildungsantalt in Helmstedt zur Unterbringung des Allied Press Information Centre (APIC) dort abgeschlossen hätte, zeigte eindringlich die Problematik auf.884 Der Führungsstab des Heeres hat in seiner Äußerung angemerkt, dass er es in der augenblicklichen politischen Lage (im Sommer 1989) nicht für sinnvoll erachte, die vorgeschlagenen Verhandlungen mit den Ländern aufzunehmen.885 Tatsächlich wurde diese Frage bis zur Auflösung von Live Oak nicht weiter verfolgt; sie wurde von der rasanten politischen Entwicklung überholt. Die Bundesregierung war sich stets bewusst gewesen, dass der freie Zugang nach Berlin lebenswichtig für die Stadt und von existentieller Bedeutung auch für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland war. Sie hatte daher schon früh darauf gedrängt, politisch über alle Planungen und Verhandlungen informiert zu werden. Sie war von den Drei Mächten sofort nach dem Chruščev-Ultimatum im November 1958 in die politischen Konsultationen integriert worden, nicht jedoch in die militärische Sicherung des freien Zugangs der Alliierten. Während die Amerikaner und der SACEUR schon sehr früh dazu neigten, die Deutschen auch bei Live Oak ins Boot zu holen, sahen die Briten und Franzosen dafür bis zum Sommer 1961 keine Notwendigkeit. Sie fürchteten wohl eine Minderung ihres eigenen Einflusses und Gewichts, schoben auch Probleme der Sicherheit vor. Die ernste Verschärfung der Krise im Sommer 1961 änderte die Lage grundlegend: Die deutsche aktive Mitwirkung wurde dringend benötigt, und die Bundesrepublik füllte ihre politische Rolle in diesem Bereich mit Augenmaß und Zurückhaltung aus, aber auch mit guten Argumenten und tätiger Mitarbeit. Die militärische Zusammenarbeit entwickelte sich erst im Laufe der Zeit. Sie beschränkte sich für die Luftwaffe und das Heer auf unterstützende Maßnahmen vom Gebiet der Bundesrepublik aus. Die Marine jedoch hatte auf deutschen Vorschlag eine aktivere Rolle auch im Krisenmanagement erhalten. Die wichtigste Leistung der deutschen politischen Mitwirkung war vermutlich der Vorschlag, den zu kurzen »Hebel« der Drei Mächte in einer Zugangskrise durch Ausweichen auf die See zu verlängern und durch eine breite Auswahl von Optionen und Gegenmaßnahmen BArch, BW 2/17.641, Heft 10: FS TKN, Verk Fü LO, GDC 0106, Fü S III 2 LO, Tgb.Nr. 1/90 VS-V vom 22.12.1989. 885 BArch, BW 2/17.639, Heft 5: Fü H III 3 LO, Tgb.Nr. LO 71/89 geh. vom 23.6.1989. Was er »mit der politischen Lage« meinte, ist nicht klar, ggf. die Entwicklung seit Amtsantritt von Gorbačev und die neuen Flüchtlingsbewegungen. 884



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zu ergänzen. Dadurch konnte die Gefahr einer raschen Eskalation bis hin zur nuklearen Katastrophe wenigstens gemindert werden – eine Option, die die Bundesrepublik und Berlin am heftigsten treffen würde. Ferner konnte man sich an Maritimen Gegenmaßnahmen anders als am Eisernen Vorhang direkt mit Kampfverbänden beteiligen. Der Bundesregierung war es dadurch gelungen, die Interessen Deutschlands erfolgreich zu wahren. »Trotz ihrer Defizite in staatlicher Souveränität wuchs die Bundesrepublik zu einem wichtigen Mitglied des westlichen Bündnissystems heran.«886 Einen erheblichen Anteil daran hatte auch die deutsche Beteiligung und Mitarbeit an Live Oak. Die Bundesrepublik war »mit der Aufnahme in die Quadripartite Ambassadorial Group [...] als gleichberechtigtes Mitglied in den ›Alliierten Kriegsrat‹ für den Fall eines politischen Berlin-Konflikts mit einem hohen militärischen Eskalationspotential« eingetreten.887 Das war ein großer politischer Erfolg, der glücklicherweise nie wirklich militärisch überprüft werden musste.

7. Das Verhalten der Vier Mächte als Partner: Einheitliche Ziele – unterschiedliche Interessen? Die Drei Mächte waren sich in den großen Zielen und Zügen ihrer Berlin-Politik spätestens seit der Blockade 1948/49 immer grundsätzlich einig gewesen. Die Stadt Berlin war nicht Teil der DDR, sie stand noch unter dem gemeinsamen Besatzungsregime der Vier Mächte. Der freie Zugang musste für die Alliierten selbst und für die Bundesrepublik uneingeschränkt offen bleiben.888 Die Beendigung dieses Zustandes war nur über die abschließende Regelung der Deutschen Frage in einem völkerrechtlichen Vertrag möglich.889 Unter den Drei bzw. Vier Mächten kam man trotz manchmal lebhafter Diskussion hier in aller Regel in kurzer Zeit zu guten, von allen getragenen Ergebnissen.890 Auch die Sowjetunion hat sich übrigens, trotz der von ihr ausgehenden Krisen um Berlin, weitgehend an die von ihr mitgetragenen Abmachungen gehalten, schon um ihren Einfluss auf die Deutschlandpolitik und gegenüber der DDR zu wahren.891 Seit 1949 hatte es Abschwächungen in den politischen Positionen und manche Aufweichung in den von den Drei Mächten beanspruchten Rechten gegeben.892 Soweit Live Siehe Riecke, Rechtliche und politische Rahmenbedingungen, S. 258. Siehe die Stellungnahme Dr. Wieck (im Besitz des Verf.) vom 18.11.2008, S. 1, Ziff. 1. 888 BArch, BW  71/124, Nr.  13: »Advanced Copy of Instructions to General Norstad«, 23.8.1961, LO(IN)-TS-61-2077, z.B. Para. 1. 889 Siehe u.a. Wieck, Vortragsmanuskript zur Deutschlandpolitik vom Februar 2011 (Kopie beim Verf.), S. 3, Ziff. 4. 890 BArch, BW 71/12, Nr. 24: GLNO, JB 1981, Tgb.Nr. 150/82 geh. vom 19.3.1982, z.B. Teil VI, S. 45. Vgl. die Ausarbeitung PA AA, 130/3.586: AA 301-81-06-0/59/62 str.geh. vom 1.2.1962; und die Darstellung bei Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium, bes. S. 44‑61. 891 Siehe Thoß, NATO-Strategie, S.  291‑329; auch Stellungnahme Wieck vom 13.6.2004, Teil  B, S. 4 f.; sowie Redemanuskript Wieck vom Febr. 2011, Ziff. 5, S. 7 (beides im Besitz des Verf.); auch Wettig, Aufrüstung. 892 Siehe z.B. die Frage der erlaubten Flughöhen in den Luftkorridoren: Die UdSSR bestand darauf, dass die Flughöhe auf 10 000 Fuß zu beschränken sei, der Westen akzeptierte dies nicht, hielt sich 886 887

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Oak betroffen war, setzten Präsident Kennedys »three essentials«893 die absoluten Grenzen, die von den Drei Mächten ohne Abstriche unterstützt und dann von der Gegenseite, spätestens nach der Kuba-Krise, im eigenen Interesse auch beachtet wurden.894 Unterschiede gab es von Beginn an auch zwischen den Drei Mächten, gerade nach dem Chruščev-Ultimatum vom November 1958, und immer wieder über die Art und Weise der Reaktion und die Ausgestaltung der eigenen Politik. Die deutsche Seite hegte bei grundsätzlicher Unterstützung der Politik der Drei Mächte politisch zeitweise große Befürchtungen, man könne durch Kompromisse der ehemaligen Siegermächte ohne deutsche Beteiligung in Bezug auf Berlin vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Die Amerikaner hatten nach den Erfahrungen der Blockade und der Luftbrücke von 1948/49 die Lehre gezogen, dass sowjetischen Versuchen, die alliierten Rechte zu beschneiden, sofort wirksam entgegengetreten werden musste. Das zeigten sowohl die operativen Planungen von 1955/56 wie die Reaktionen auf sowjetische Forderungen gegenüber Konvois auf der Autobahn und im Berlin Air Safety Center für den Luftverkehr. Politisch dämpften die Präsidenten Eisenhower im Winter 1959 und dann Kennedy im Sommer und Herbst 1961 dieses Verhalten, sie hießen es aber grundsätzlich gut.895 Dieser Ansatz, direkt und unmittelbar zu reagieren, fand nicht immer die Unterstützung der Briten, aber auch die Franzosen hatten Vorbehalte. Die Bundesrepublik hielt sich politisch wegen mangelnder Zuständigkeit zurück. In der Regel war es so, dass die Amerikaner militärisch durchaus begründete Forderungen stellten, um Live Oak in die Lage zu versetzen, rasch und ohne Verzögerung wirkungsvoll auf jede Einschränkung der westlichen Zugangsrechte zu antworten und Behinderungen zu beenden. Dass sie aber zunächst den Gedanken der Führung großer konventioneller Landoperationen in den Vordergrund stellten, trug zu einer kurzzeitigen Verstimmung ihrer europäischen Verbündeten bei.896 Anfangs hatten die USA zeitweise sogar erklärt, wenn notwendig auch gegen oder ohne das Vereinigte Königreich und Frankreich zu handeln,897 was sie gelegentlich und in engen Grenzen in der Folge auch getan haben, etwa im August 1961 mit demonstrativen Truppenverlegungen nach Niedersachsen, der Alarmierung von nuklearen Verbänden, durch forderndes Verhalten an den Sektorengrenzen usw. Dies hatte seine Ursachen unter anderem in der Tatsache, dass der amerikanische Einfluss in allen politischen und militärischen Fragen sehr groß war. Der entscheidende Punkt war die materielle Überlegenheit auf allen Gebieten, die die anderen drei Mächte eher zu Juniorpartnern machte. Dennoch mussten die Amerikaner, schon aus rechtlichen Gründen, die anderen beiden Schutzmächte stets einbeziehen und deren Überlegungen



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aber im Allgemeinen daran. Vgl. BArch, BW 71/6, Nr. 13: »Grey Area Study« Draft, Nov. 1969, LO(IN)-S-69-158, v.a. Section I. Siehe Kennedys Bericht an die Nation vom 25.7.1961, Documents on Germany, S. 762‑765, bes. S. 763. Vgl. auch die o.g. »Instructions« an Norstad vom 29.8.1961, BArch, BW 71/124, Nr. 13. Vgl. etwa Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 253‑264, v.a. S. 258; und Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 152‑161. BArch, BW 71/133, Nr. 1: SM-1253-61, 18.11.1961, »US Policy on Military Actions in a Berlin Conflict«; diese wurde 1981 bestätigt. PA AA, B 130/3.586: Ausarbeitung Dr. Scheske, AA 301-81-06-0/59/62 str.geh. vom 1.2.1962, v.a. Teil B, S. 3 f. PA AA, B 130/3.581: FS Bo. Wash. an AA, DB Nr. 1217, 144-1, Tgb.-Nr. 0623/59 str.geh. vom 17.7.1959.



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und Vorschläge berücksichtigen, was sie weitgehend wohl aus politischem Kalkül, aber auch aus Überzeugung taten. Die Stärke der Drei Mächte gegenüber der Sowjetunion beruhte zunächst auf ihrer Einigkeit in den Grundfragen sowie auf ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung in den Verfahren und im täglichen Verhalten. Besonderes Gewicht besaßen die USA beim Luftzugang. Durch die Beauftragung von CINCUSAFE mit allen Operationen in diesem Bereich erhöhte sich dessen Bedeutung. Die Planung von Maßnahmen zur Sicherung des Zugangs auf der Schiene durch CINCUSAREUR in Heidelberg spielte dagegen eine eher marginale Rolle. Die Briten hatten ursprünglich keine rechte Notwendigkeit gesehen, Live Oak als Instrument gemeinsamer Krisenbeherrschung einzurichten. In der Folge aber nahmen sie diese Aufgabe aktiv wahr. Aus mehreren Gründen hatten sie großen Einfluss gewonnen: Erstens waren sie politisch-diplomatisch und militärisch hervorragend vernetzt, besser als die anderen drei Nationen. Politiker, Diplomaten, Kaufleute, Industrielle und Soldaten waren schon seit den Tagen des Empire gewohnt, eng und – trotz häufiger Konflikte – möglichst vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Sie hatten immer kurze Wege und konnten oft den unmittelbaren Zugang nutzen. Auch untere Dienstgrade, etwa ein Major, hatten oft Entscheidungsbefugnisse, von denen die anderen nur träumen konnten.898 Ihre Stehzeiten in der Funktion und im Organisationsbereich waren oft länger, dadurch war die Expertise allgemein beständiger. Die britische militärische Kultur förderte zudem das offene Wort. Die Bedeutung der Briten im aktuellen Zusammenhang ergab sich allein schon daraus, dass Live-Oak-Landoperationen im Verteidigungsraum der britisch geführten Northern Army Group der NATO (NORTHAG) durchgeführt werden mussten. Daher konnte auch nur der CINCBAOR als Oberbefehlshaber dafür in Frage kommen. Das galt auch für die Luftoperationen zur Unterstützung der Landoperationen unter operativer Führung durch den CINCRAF/G. Es war kein Wunder, dass der Chef des Stabes Live Oak stets ein Brite war. Auf diese Schlüsselposition setzte die Führung des Vereinigten Königreichs fast immer ausgezeichnet vorbereitete Generale. Im Stab Live Oak stellten die Briten nach den USA auch den größten Anteil am Personal und nahmen wie in der NATO eine Scharnierfunktion zwischen den Amerikanern und den Kontinentaleuropäern für sich in Anspruch. Ob berechtigt oder nicht, erwuchsen daraus doch zusätzliche Handlungsmöglichkeiten. Die Briten nutzten diesen Einfluss, wenn die Vorgaben des CLO das erlaubten.899 Politisch wollten die Briten möglichst alle militärischen Maßnahmen verhindern, welche die Gefahr der Anwendung von Gewalt in sich bargen. Dies galt vor allem für die Operationen zu Lande, soweit sie über die »Probes« hinausgingen, und für die Maritimen Gegenmaßnahmen. Daher sträubten sie sich lange gegen beide Maßnahmengruppen. Der Regierungsvorbehalt, d.h. die ausdrückliche Notwendigkeit, alle Maßnahmen durch explizite Zustimmung der nationalen politischen Führungen zu bestätigen, erleichterte ihnen schließlich die Zustimmung.900 BArch, BW 71/92, Nr. 40: Bericht des SOLO in COS 1/2, 20.11.1990, Anm. auf S. 9. Siehe beispielsweise bei der Erarbeitung der Studie »More Elaborate Military Measures« Rev., 24.7.1959, LO-TS-59-1022, BArch, BW 71/124, Nr. 3, Para. 4, S. 2. 900 Vgl. auch PA AA, B 130/3.586: Dr. Scheske, AA 301-81-06-0/59/62 str.geh. vom 1.2.1962. Die nationalen Führungen waren hier nicht unbedingt die Kabinette; in den USA war das der Präsi898 899

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Da der COS die bestimmende Persönlichkeit für die innere Struktur und die Arbeitsweise des Stabes war, wurde dieser »britisch« geführt,901 das hieß am »langen Zügel«, auftragsorientiert, recht großzügig, solange gute Arbeit geleistet wurde. Wenn notwendig, kam auch Kritik, die höflich und deutlich formuliert wurde. Daher war die Arbeitsatmosphäre in der Regel freundlich. Verhandlungen führten die Briten gut vorbereitet und straff, in der Durchsetzung eigener Interessen und Vorstellungen zeigten sie eine flexible Härte. Selbst in Krisenlagen mit hohem Arbeitsaufkommen herrschte eine Grundstimmung selbstbewusster Gelassenheit. Die Franzosen waren fest entschlossen, ihren politischen Status und ihre Verantwortung für »Deutschland als Ganzes« zu bewahren. Daher bestanden sie auch auf ihren Rechten für Berlin und den Zugang – ähnlich fest und entschieden wie die Amerikaner.902 Die Reibungspunkte mit der Sowjetunion waren jedoch geringer, vielleicht auch, weil sie hoffte, über alte Verbindungen, vermutete parallele Interessen in der Deutschen Frage und Gefühle der Sympathie Frankreichs zu Russland einmal Einfluss auf Entscheidungen im westlichen Bündnis nehmen zu können. Im Zweifel war es für Frankreich selbstverständlich, alle Entscheidungen politisch zu behandeln und deutlich zu machen, dass die Regierung selbst über jede Maßnahme souverän entscheiden werde, auch wenn die Solidarität mit den anderen beiden Mächten einen hohen Stellenwert besaß. Daher wollte Frankreich in dieser Frage Automatismen verhindern und akzeptierte nur sehr begrenzt die Delegierung von Befugnissen.903 Solange die Hauptquartiere der NATO und der Amerikaner für Europa, inklusive Live Oak, in Frankreich stationiert gewesen waren, befanden sich die Franzosen in einer einflussreichen Position. Das änderte sich mit dem Rauswurf der NATO und der amerikanischen Streitkräfte aus Frankreich 1966. Da das Land 1967 auch die militärische Integration des Bündnisses verließ, verlor es etliche Möglichkeiten der Einflussnahme in der NATO, nicht jedoch bei Live Oak. Militärisch kam es indes zu erheblichen Einschränkungen, die sich für Live Oak aber wiederum nur sehr begrenzt auswirkten. Weil das französische Stationierungsgebiet im Süden Deutschlands lag, vergleichsweise weit von den Verbindungswegen nach Berlin entfernt, und die Luftwaffe kein taktisch-operatives Hauptquartier mehr in Deutschland unterhielt, konnten die Franzosen auch keine Operation im Rahmen von Live Oak führen, ganz zu schweigen von BERCON-Plänen der NATO, trotz aller dann vereinbarten Maßnahmen der Zusammenarbeit und Koordinierung mit dem Bündnis (beispielsweise mit dem »Lemnitzer-Ailleret-Abkommen« von 1967 usw.). So blieb die politische Zusammenarbeit sehr eng, die militärische aber litt durchaus. dent, in Frankreich auch, im United Kingdom das Kabinett; in Deutschland wegen der hohen Stufe des Geheimschutzes offensichtlich nur die zuständigen Minister mit dem Kanzler. 901 Die Dienstanweisung macht die herausragende Stellung des COS deutlich: BArch, BW 71/119, Nr.  2: SHLO 700/2, 1.1.1963, Subj. »LO Terms of Reference«, LO-TS-61-67. Diese Angaben basieren teilweise auch auf persönlichen Erfahrungen des Verfassers. 902 BArch, BW 71/44, Nr. 9: Stellungnahme in Nr. 451/FRA-L.O., 22.9.1960, »General de Gaulle is firmly decided to maintain allied rights to Berlin and its access«, LO(IN)-S-61-3121, Para. 3. Vgl. auch die Einschätzung von Thoß, NATO-Strategie, S. 299 f. 903 PA AA, B 130/3.586: Dr. Scheske, Schlußbemerkungen, in AA 301-81-06-0/59/62 str.geh. vom 1.2.1962.



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Die französische Führungsorganisation war schwerfällig, da fast alles in Paris durch den Präsidenten über dessen militärischen Stab entschieden werden musste. So kam es, dass die französischen Vertreter gelegentlich noch keine Weisung hatten, wenn die anderen drei die ihren schon nutzen konnten.904 Andererseits war die französische Position dann auch tatsächlich von höchster Stelle autorisiert. Da alle grundsätzlichen Papiere der Übersetzung bedurften, konnte dieser Vorgang gelegentlich zusätzlich zu Verzögerungen oder zu Missverständnissen führen.905 Die deutsche Position unterschied sich naturgemäß von denen der drei anderen Mächte. Die deutschen Diplomaten und einige führende Außenpolitiker waren seit dem Chruščev-Ultimatum recht gut in die politische Arbeit der Koordinierung der Politik gegenüber der Sowjetunion und der Vorbereitung von Verhandlungen über die Deutsche Frage eingebunden. Die Versorgung und die Verwaltung Berlins und alle Probleme des deutschen zivilen Zugangs wurden in der Bonn Group, mit deutscher Beteiligung seit Dezember 1955, politisch und administrativ koordiniert. Über die alliierten Überlegungen und Planungen zur Sicherung des alliierten Zugangs und der Verteidigung Berlins blieb die Bundesregierung zunächst weitgehend im Dunkeln. Durch Freigabe von Einzelheiten und mündlichen Informationen, auch über den NMR bei SHAPE, wurde nach und nach deutlich, dass es sich um brisante und für Deutschland potenziell desaströse Operationen handeln könnte, welche die Drei Mächte im Geheimen planten. Das Bild klärte sich nur langsam. Minister Strauß zeigte sich darüber höchst besorgt, als er Anfang August 1961 von einer dreiwöchigen Reise aus den USA zurückgekehrt war. Die Einladung Ende Juli 1961, in die Organisation Live Oak einzutreten, brachte endlich Klarheit und die Gelegenheit, die deutschen Besorgnisse darzulegen und geeignete Vorschläge einzubringen. Diese Gelegenheit wurde dankbar ergriffen.906 Die Zusammenarbeit zwischen den hauptsächlich beteiligten deutschen zivilen und militärischen Dienststellen war überwiegend gut und eng.907 Die Bundesrepublik übte sich in Fragen, die die drei Besatzungs- und Schutzmächte von Berlin betrafen, soweit wie möglich in Zurückhaltung. Auch in militärischen Belangen galt die Weisung, sich »zurück[zu]halten und von eigenen Initiativen ab[zu]sehen«, da keine deutschen Truppen an den Operationen von Live Oak unmittelbar beteiligt waren und das Risiko der Truppengestellung bei den Alliierten lag.908 Eine Sonderrolle kam der Bundesmarine zu, die für die Maritimen Gegenmaßnahmen auch eigene Streitkräfte einsetzen konnte. An den Diskussionen innerhalb des Stabes Live Oak aber nahmen die deutschen Offiziere selbstverständlich aktiv teil, auf ihr professionelles Wissen und Urteil wurde Wert gelegt. Das Ansehen der Deutschen bei Live Oak war auch daran erkennbar, dass ihnen wichtige Vgl. z.B. die Diskussion am 5.1.1959: BArch, BW 71/43, Nr. 20: Gem. Washington, Nr. 2364, 7.1.1959. 905 BArch, BW 71/116, Nr. 7: ECLO 300/97, 24.11.1959, LO-TS-59-1091. 906 Siehe Strauß, Die Erinnerungen, S.  380‑402; und BArch, BW  71/124, Nr.  14: »Working Paper on Blockade«, 24.8.1961, LO(IN)-TS-61-2085; auch PA AA, B 130/3.586: Ausarbeitung Dr. Scheske, AA 301-81-06-0/59/62 str.geh. vom 1.2.1962, Teil B, S. 4. 907 Siehe z.B. die Äußerung Dr. Wieck vom 18.11.2008, Ziff. 2., S. 1 f. Die GLNO-Berichte zeigen dies ebenfalls, soweit sie sich überhaupt damit befassen. Eigene Erfahrungen aus den siebziger Jahren bestätigen diese Beobachtung. 908 BArch, BW  71/1, Nr.  65: AA Diplogerma cito 2983 vom 11.9.1963, S.  1, Ziff.  1, übermittelt durch FS BMVtdg Fü B III 8 LO, mdbc 5512. 904

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und verantwortungsvolle Aufgaben und Projekte übertragen wurden, zum Beispiel die Zuständigkeit für die Public Information und die Stellvertretende Leitung für die jährliche Rahmenübung von Live Oak. Ihre breiten Kenntnisse in allen Fragen zu Berlin, zur DDR, zur Bundesrepublik und zur deutschen Geschichte wurden geschätzt und häufig genutzt. Die Deutschen waren also nicht nur Verbindungspersonal, sondern sie wurden auch in die Arbeit der Organisation integriert. Die Zusammenarbeit war von dem bei fast allen Mitgliedern deutlich wahrnehmbaren Willen bestimmt, die als wichtig erkannte Aufgabe von Live Oak gemeinsam und mit Initiative konstruktiv zu erfüllen.909 Wenn aufgrund von Weisungen einer einzelnen Regierung nationale Interessen aufeinander prallten, wurde darüber in aller Regel fair, mitunter auch hart, aber mit dem Willen gekämpft, zu einer befriedigenden Lösung im Konsens zu kommen. Die deutschen Offiziere in den drei Sektionen der Teilstreitkräfte hatten zwar einen niedrigeren Dienstgrad und waren meist auch jüngeren Alters als die »Full Colonels« und »Navy Captains«. Die Tatsache, dass die Planungen von Live Oak auch gegenüber dem in SHAPE eingesetzten Personal geheimzuhalten war, dürfte aber ihr Selbstbewusstsein deutlich gestärkt haben. Ein reges Gemeinschaftsleben mit Empfängen, Parties, Dinners und kulturellen Höhepunkten aller Art verstärkte das Gefühl des Zusammenhalts. Besondere Ereignisse waren die Auftritte des CLO zu Lagevorträgen oder bei Abschiedsessen für ausscheidende Offiziere. Bei diesen Anlässen gelang es ihm, z.B. in einem Kurzvortrag zu den Besonderheiten der politischen und militärischen Lage um Berlin, die Anwesenden zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu motivieren.910 Wie gelang es nun, die nationalen Interessen bei einzelnen Überlegungen, Vorhaben, Planungen und Operationen zu wahren, ohne das Ganze zu gefährden? Gegenüber einer Großen Luftbrücke (QBAL) als Allheilmittel in einer Berlin-Krise hegten die USA zunehmend Vorbehalte, vor allem politisch, weil der Westen während der Blockade 1948/49 dadurch der besonderen Herausforderung auf den Landwegen ausgewichen sei; ein Fehler, den man nicht wiederholen dürfe.911 Außerdem sei eine Große Luftbrücke nur als letzter Ausweg denkbar, daher müsse der Eindruck, dass eine solche Operation vorbereitet werde, unbedingt vermieden werden.912 Technisch waren die Amerikaner dagegen, weil sie, mit Zustimmung der Deutschen übrigens, daran zweifelten, dass die Luftbrücke noch erfolgversprechend einzusetzen sei.913 Daher wurde QBAL zwar weiterhin gepflegt und vorbereitet, aus den Live-Oak-Optionen aber herausgenommen. Die Briten jedoch hätten die Luftbrückenoperation jeder alliierten Reaktion auf dem Landweg vorgezogen. Sie waren deshalb über diese Lösung nicht glücklich, akzeptierten sie am Ende aber doch. Die militärischen Reaktionen der Westmächte im Falle eines sowjetischen Versuchs, das Ultimatum durchzusetzen, waren anfangs umstritten: Der erste Ansatz der militäri Das Urteil beruht auf den persönlichen Erfahrungen des Verfassers. Der Verfasser hatte Gelegenheit, vier CLO zu erleben: Goodpaster, Haig, Rogers und Galvin. Sie waren überzeugende Persönlichkeiten. Aus der Überlieferung kann man erkennen, dass dieses Urteil für alle sechs CLOs zutraf. 911 So etwa UStS Robert Murphy im Januar 1959, siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 7. 912 BArch, BW  71/127, Nr.  4: US-»Background Paper on Berlin«, updated 1.2.1968, 72 USLOTS-010, unter »QBAL«. 913 Siehe Thoß, NATO-Strategie, S. 294. 909 910



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schen Führung der Amerikaner im Januar 1959, den Weg auf der Autobahn nach Berlin wenn notwendig auch mit massivem Einsatz militärischer Kräfte freizukämpfen, fand nicht die Unterstützung ihrer beiden Verbündeten. Das Ansinnen, schon im Voraus die Zustimmung zu geben, blockierte Landzugänge mit einer »begrenzten Anwendung von Gewalt« zu öffnen, behagte den Briten und Franzosen nicht. Sie favorisierten eine flexible, vorzugsweise politische Reaktion mit diplomatischen Protesten und Lösung durch Verhandlungen. Einer möglichen militärischen Unterstützung waren sie nicht grundsätzlich abgeneigt, wenn dadurch Gegendruck aufgebaut werden konnte. Die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit in einer solchen Lage wurde aber von allen Dreien anerkannt. Da auch Eisenhower diese politisch bewegliche Art des Vorgehens forderte, wurde so entschieden. Den Vorschlag Norstads, den Drei-Mächte-Stab Live Oak einzurichten, haben die Amerikaner trotz einer zeitlichen Verzögerung ohne Vorbehalte auch personell und materiell unterstützt. Norstad wollte dafür eine internationale Lösung: die nationale Mischung in den Arbeitsgruppen. Die Nationen aber, auch die Amerikaner, sahen national einheitliche Planungsteams vor.914 Hier konnte sich dann in der praktischen Arbeit der CLO durchsetzen.915 Für den Fall, dass der Kreml die Kontrolle über den alliierten Zugang ganz oder teilweise der DDR und ihren Organen übergab, hatten die Amerikaner schon 1958 den Vorschlag zur Diskussion gestellt, dies nur dann zu akzeptieren, wenn die Ostdeutschen als Beauftragte der Sowjetunion, als »Agents«, also »Auftragnehmer«, handelten.916 Sie waren nicht bereit, der DDR irgendwelche physische Kontrollrechte zuzugestehen, die über die Entgegennahme der notwendigen Reiseinformationen der Drei Mächte, wie Flugpläne oder Konvoianmeldungen, hinausgingen. Die beiden anderen Mächte sahen diese Frage nur in Nuancen weniger strikt. Generell waren die Briten eher geneigt, in scheinbaren Kleinigkeiten flexibel zu reagieren, während die Amerikaner stets auf der Beachtung selbst des Kleingedruckten bestanden, beispielsweise die Abfertigung der militärischen Konvois und von Einzelreisenden. Dieses Verhalten praktizierten sie auch im täglichen Handeln. Die Franzosen neigten wohl eher den amerikanischen Vorstellungen zu. Ihr Verkehrsumfang auf der Straße war aber eher gering, sodass sie nur selten von Behinderungen auf der Autobahn betroffen waren. Auch in Bezug auf die Bedrohung der Flugsicherheit in den Korridoren nahmen die Amerikaner eine härtere Haltung ein als die Briten und Franzosen. Sie plädierten dafür, der Aufforderung sowjetischer Jäger gegenüber eigenen Transportflugzeugen, sofort zu landen, auf keinen Fall Folge zu leisten, denn dies würde bedeuten, dass der Sowjetunion ein Genemigungsrecht für den Flugverkehr zukomme. Die beiden anderen Partner aber wollten dem Piloten die Landung erlauben, wenn das Transportflugzeug beschossen würde. Später, nach langen Verhandlungen, konnte eine einvernehmliche Lösung gefunden werden, weil die Amerikaner nachgaben. Die Briten hatten zudem Einwände hinsichtlich einiger Gegenmaßnahmen im Falle von Behinderungen in den BArch, BW 71/203, Nr. 1: S. (Pedlow) IAW SHLO/O 91/022, 15.3.1991, S. 19, Table 1, »Live Oak Organizational Chart«, 4.4.1959. 915 BArch, BW 71/64, Nr. 53: »Live Oak History«, SHLO O 82/1264/COS, 16.11.1982, Encl., S. 1. 916 Vgl. das grundlegende Dokument für den Luftzugang: BERCON TRI D-3: »Air Access – Measures to Assure Flight Safety«, 9.7.1959, LO(IN)-TS-60-3066, BArch, BW 71/106, Nr. 10. Siehe auch Thoß, NATO-Strategie, S. 301. 914

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III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

Korridoren, da diese im Widerspruch zu einem Vertrag mit der Sowjetunion über den Luftverkehr standen.917 Auch bei anderen Gegenmaßnahmen im Rahmen des Operationsplans »Jackpine« gab es nationale Vorbehalte, meist von den Franzosen, die bei wesentlich mehr Entscheidungen einen expliziten Reservierungsvorbehalt für die eigene politische Führung als ihre angelsächsischen Alliierten anmeldeten. Amerikaner und Briten akzeptierten dies. Bei der Erarbeitung der Studie über More Elaborate Military Measures durch Live Oak zeigte es sich, dass die für die Operationen zur Offenhaltung des Landzugangs zuständigen Briten befürchteten, dass durch militärische Operationen auf und entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin die Lage schnell und unkontrolliert eskalieren und zum Auslöser eines nuklearen Krieges zwischen den Blöcken werden konnte.918 Deshalb hatten sie die »Probes« als Mittel der Aufklärung für gut und nützlich angesehen, die dann von Norstad geforderten Option für den Einsatz einer Kampfgruppe der Drei Mächte in Bataillonsstärke gerade noch unterstützt, weitere Optionen, beispielsweise eine gemischte, mechanisierte Division, aber als unrealistisch und gefährlich ausgeschlossen.919 Norstad hatte diese britischen Befürchtungen durchaus geteilt, war aber der Meinung, dass der Auftrag der WAG auch die Prüfung weiterer »nachdrücklicherer militärischer Maßnahmen« einschließe, d.h. mindestens einer Bataillonskampfgruppe und einer noch stärkeren Option, eben einer Gruppierung in Divisionsstärke etwa. In den entsprechenden Diskussionen, die teils einer Gewissenserforschung (»soulsearching«) glichen, traten die britischen Befürchtungen immer wieder zutage, u.a. durch den CINCBAOR, General Sir Dudley Ward. Dieser, als zuständiger Oberbefehlshaber für eventuelle Landoperationen in Richtung Berlin, war durch den COS um eine Stellungnahme dazu gebeten worden und hatte seine Bedenken, die gewiss nicht nur seine persönlichen waren, erneut geäußert. Ferner machte er einen Gegenvorschlag: Anstatt eines Bataillons sei auf einer Autobahn eine gemischte Kompanie als absolut ausreichend anzusehen. Außerdem müssten alle Vorbereitungen für die Führung eines nuklearen Krieges durch die NATO vorher getroffen worden sein. Schließlich dürfe es keine Invasion in die DDR hinein geben, wie beispielsweise einen Brückenkopf rund um Marienborn. Damit hatte er tatsächlich jede Operation auf dem Landweg oberhalb der »Probe« ausgeschlossen.920 Die nicht zuletzt auch politisch motivierte Stellungnahme des britischen CHOD, Admiral Earl Mountbatten, unterstützte Wards Sicht in dieser Frage, ließ aber Norstad die Freiheit der Entscheidung.921 Mit Rückendeckung der WAG bestand Norstad darauf, dass CINCBAOR dennoch Operationen sowohl der Bataillons- wie der Divisionsgruppe planen müsse. Auch eine Gruppierung in Brigadestärke schloss er für die Zukunft nicht aus. Er wollte über Opti Zu »Counter-Harrassment« siehe BArch, BW 71/106, Nr. 14: BERCON TRI D-4, 13.7.1959, LO(IN)-S-60-3060, S. 2‑4. Ein Regierungsvorbehalt half in diesem Fall. 918 Vgl. dazu die britische Stellungnahme: BArch, BW  71/124, Nr.  5: Subj.: »Berlin Contingency Planning: More Elaborate Military Measures«, LO(IN)-TS-59-2020, 21.9.1959, bei LO unter 9.10. bzw. 10.10., Encl. 1, S. 1 f., Para. 2. Mehr dazu in Kap. IV.3. 919 BArch, BW 71/124, Nr. 5: LO(IN-TS-59-2020, 21.9.1959, Encl. 1, S. 1 f., Para. 2.d. 920 BArch, BW 71/124, Nr. 3: ECLO 525/o.Nr., 24.7.1959, LO-TS-59-1022; siehe das begleitende Memorandum des COS mit den Äußerungen von Gen. Ward, S. 2, Para. 4. 921 Vgl. die britische Stellungnahme dazu: BArch, BW 71/124, Nr. 5: LO(IN)-TS-59-2020, 21.9.1959, Encl. 1. 917



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onen verschiedener Stärke verfügen, da niemand voraussehen könne, ob nicht doch der militärische Druck durch massivere Kräfte verstärkt werden müsse, ohne ein nukleares Risiko einzugehen. Die Briten blieben in dieser Frage skeptisch. Da sie fürchteten, durch Operationen von Live Oak zu starke Kräfte zu binden, die dann in der NATO-Verteidigung fehlten, wurde die Planung der Divisionsgruppe von ihnen lange verzögert. »June Ball«, wie diese Operation dann hieß, blieb ein ungelöstes Problem. Die Kompromissformel in dieser so kontroversen Diskussion hatte gelautet: »no ground military action could, by itself, re-open the autobahn to Berlin if the Soviets were determined to prevent such access.«922 Damit war klar, dass diese Kräfte den Weg nach Berlin nicht freikämpfen sollten, sondern Optionen der politischen Pression waren. Die Verteidigung Berlins selbst blieb lange Zeit ein ungelöstes Führungsproblem: In Wirklichkeit waren die drei westlichen Kommandanten gemeinsam als Commandants-in-Committee für die Regierung und Verwaltung sowie für die Verteidigung West-Berlins zuständig und verantwortlich. In normalen Zeiten funktionierte das recht gut, auch weil die eigentliche Verwaltungsarbeit an den Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister delegiert worden war. Die Kommandanten aber hatten bald erkannt, dass in Krisenzeiten eine gemeinsame Führung etabliert werden musste. Über das Wie konnten sich Paris, London und Washington lange nicht einigen, aber auch die Kommandanten sahen wohl ihre herausgehobene Stellung gefährdet und wollten sich nur ungern unterordnen. Immerhin war bereits 1951 ein Allied Staff Berlin eingerichtet worden, der die gemeinsame Vorbereitung und Planung für die Verteidigung der Stadt koordinierte und ausführte. Es erwies sich aber als sehr schwierig, eine Führungsspitze für diese Aufgabe zu etablieren. Norstad hatte die Notwendigkeit früh erkannt und nach längeren Verhandlungen, auch mit den drei Kommandanten, die Einrichtung des »Single Commander Berlin« mit dem Norstad-Agreement vom 13. Januar 1962 erreicht.923 Dieser Posten sollte im Ernstfall durch den amerikanischen Kommandanten besetzt werden, der mit Abstand über die meisten Kräfte und Mittel verfügte, und mit dem Briten als Stellvertreter. Diese Lösung war sehr unbefriedigend, weil die Befugnisse des Single Commander äußerst beschränkt waren und es keinen verantwortlichen und vorgesetzten Oberbefehlshaber (Superior Commander Berlin) gab, der alle alliierten Operationen für und in Berlin führen und unterstützen konnte. Dafür konnte nach Lage der Dinge nur der CLO, der in Personalunion auch SACEUR war, in Frage kommen. Lange geschah in dieser Frage nichts Entscheidendes. General Rogers ergriff dann im Jahre 1984, dieses Mal durchaus in Übereinstimmung mit den Kommandanten, die Initiative. Unter dem Begriff »Allied Command Arrangements, Berlin« (ACAB) wurde ein Konzept erarbeitet, scheiterte in der vorgeschlagenen Form dann aber an den Franzosen. Frankreich wollte aus politischen Gründen keine Kommandofunktion über französische Truppen durch einen Oberbefehlshaber zugestehen, der als SACEUR auch die wesentlichste Aufgabe der militärischen NATO in Europa erfüllte. Nach längeren Verhandlungen wurde ACAB in abgeschwächter Form gerettet, das »C« in ACAB stand nicht mehr für »Command« Ebd., Para. 2.d(I). In der Studie von Live Oak war der Wortlaut identisch gewesen. SHLO 9-0052, nicht in BW 71, Text aber in BArch, BW 71/2, Nr. 10: SHLO O 83/192/COS, 7.3.1983, Annex B.

922 923

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III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

sondern für »Coordinating Authority«. Es wurde als Rogers-Agreement924 bezeichnet und schuf eine Kette der verantwortlichen, militärischen Koordinierung. Das bedeutete, dass der CLO die Vorbereitungen der Verteidigung Berlins erstmals verantwortlich überwachen und überprüfen durfte. An den CLO waren schon zu Norstads Zeiten für Live Oak einige wenige Aufgaben übertragen worden,925 die er im Notfall selbst, ohne besondere Zustimmung der WAG, ausführen durfte, sogenannte »delegated authorities«. In der Krise nach dem Mauerbau wurden dann weitere Maßnahmen, teilweise unter Auflagen, an ihn delegiert. Ein Teil wurden von allen Drei Mächten genehmigt. Einigen hatten nur die Regierungen der USA und des Vereinigten Königreichs zugestimmt, die Franzosen hatten dann die Mitwirkung von einem besonderen Beschluss ihrer Regierung im gegebenen Fall abhängig gemacht,926 ohne die Maßnahmen selbst in Frage zu stellen. Nicht alle Anträge eines CLO auf Delegierung wurden positiv beschieden. Das Verhalten der Franzosen in einem Fall zeigte jedoch deutlich, dass sie bereit waren, weniger einschneidende, aber wichtige Aufgaben wahrzunehmen und ggf. entsprechende Kommandofunktionen an den CLO zu übertragen. In den politisch sensiblen Fragen behielt sich die französische Regierung weiterhin jedwede Entscheidung vor. Das konnte auch bedeuten, dass sie keine Entscheidung traf und ihre Kräfte sich daher nicht beteiligen konnten.927 Als die WAG dem CLO, General Rogers, im Jahre 1983 die Befugnis zum Einsatz der Military Air Transport Probe (MATP) einstimmig entzog,928 wurde deutlich, wie schnell gefährliche politische Krisen zu Änderungen und auch zur Verschärfung entsprechender »Caveats« führen konnten. Die politischen Turbulenzen wegen der Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses in Deutschland und die beunruhigenden Reservierungen von Lufträumen in den Korridoren durch die Sowjetunion929 erschienen problematisch. Die Regierungen wollten hier jedes Risiko einer voreiligen Entscheidung des CLO ausschließen. Insgesamt hatte schon sehr früh Übereinstimmung bestanden, dass die militärische Führung einschließlich Live Oak präzise Planungsvorgaben von der WAG erhalten musste. Die Planungen sollten mögliche Alternativen auf dem Lande, in der Luft und auf See einschließen. Die »Art und Weise des Übergangs der Verantwortung und der Organisation der Planung und Durchführung im Verhältnis zur NATO« war und blieb einer der kritischen Punkte. Er musste deshalb laufend überdacht werden. Es bestand vor allem multiperspektivische Einigkeit darüber, dass »die Regierungen den Zeitpunkt

BArch, BW  71/72, Nr.  16: SHLO O 86/899, 22.8.1986, Encl.; ebd., Subj. »Allied Command Arrangements, Berlin«, S.  1, Para.  2‑4, beschreiben genau, wie diese »Coordinating Authority« auszugestalten ist. 925 Zum Beispiel im Jahr 1960 die Ausbildung des TBG »Trade Wind«. 926 Beispiel: Angriff gegen Fesselballons in den Korridoren, BArch, BW 71/118, Nr. 48: Msg SHLO 9-000113, 25.10.1962, Para. 3.c. 927 So z.B. in der Krise des Luftzugangs im April 1965, siehe BArch, BW 71/1, Nr. 73: Bericht USAFE OPLC TS, 8.6.1965, LO(IN)-TS-65-2016, S. 12, Ziff. 9.a. 928 BArch, BW 71/14, Nr. 64: Msg, 28.4.1983, SHLOIN I 83/1179/C. 929 BArch, BW  71/67, Nr.  20: Brief von Mr. Burt, Msg, State 285339, 5.10.1983, SHLOIN I 83/2980. 924



III. Live Oak und das Wechselspiel von Krisen und Krisenmanagement

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und die Art aller Pläne, die aktuell genutzt werden sollten, bestimmen und kontrollieren müssen«.930 In einer Reihe von Planungs- und Entscheidungsfragen meldeten Vertreter einer oder mehrerer Nationen Bedenken gegen politische oder militärische Planungen im Bereich Live Oak an. Die Einsprüche waren meist politisch, seltener militärisch motiviert. Live Oak löste die meisten Probleme auf dem Wege des Kompromisses. Dies war nicht immer möglich – vor allem dann, wenn grundsätzliche Regierungsvorbehalte bestanden. Letztlich entschieden ohnehin die einzelnen Nationen, ohne deren Zustimmung keine Entscheidungen getroffen werden konnten. Auch die Delegierung von Aufgaben und Verantwortung konnte jederzeit zurückgenommen werden. Nach diesem Prinzip funktionierte und funktioniert bis heute auch die NATO. Soweit ersichtlich, gab es trotz der nationalen Prärogative niemals unüberbrückbare Probleme zwischen den Drei bzw. den Vier Mächten. Dennoch konnten nicht alle Schwierigkeiten und Schwachstellen wirklich ausgeräumt werden. Beispielhaft seien hier der ACAB oder die Schwierigkeiten mit der allgemeinen Überprüfung aller Planungen von Live Oak in den achtziger Jahren genannt. Die Probleme in Bezug auf die Überprüfung lagen nicht in einem nationalen Dissens oder einer Verweigerung begründet, sondern darin, dass erhebliche politische Verwerfungen bestanden oder die Politik Live Oak als nachrangig betrachtete. Das galt nicht nur für die internationale Ebene, sondern auch für die Innenpolitik, die davon keineswegs isoliert betrachtet werden darf.

BArch, BW 71/124, Nr. 22: OSD Washington DC, Def. 901272, 18.8.1961, S. 4, Zit. ebd., Ergebnis der Sitzung der Military Subgroup vom 17.8.1961.

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

In den ersten Kapiteln standen der Aufbau und die Entwicklung von Live Oak vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse bis zur deutschen Wiedervereinigung im Fokus. Im Folgenden rückt Live Oak als Instrument der Krisenbehandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung: Strukturen, Funktionen und Verfahren werden ebenso behandelt wie die Entwicklung des strategischen Denkens und die daraus folgenden Handlungsoptionen und Operationsplanungen, immer auch unter dem Aspekt der notwendigen Abwägung von Chancen und Risiken. Schließlich soll die Organisation der Krisenbewältigung durch Live Oak und NATO anhand wesentlicher Kriterien bewertet werden.

1. Organisation und Führungsstruktur von Live Oak Der diplomatisch-politische Teil der Organisation zur Bewältigung der zweiten großen Krise um Berlin, so wie er im Live Oak Basic Paper vom 4. April 1959 dargestellt ist,1 war keine Neuerfindung, sondern bewegte sich in bereits bekannten Bahnen: Die BerlinKrise von 1948/49 hatte die Gangart unter den Bedingungen des Kalten Krieges bereits aufgezeigt. Sie wurde durch dieses Dokument lediglich den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Neu aber war, dass militärische Komponenten hinzukamen, darunter ein Planungsstab für den militärisch Verantwortlichen, General Lauris Norstad. Dieser Stab war ein entscheidendes Novum, weil er erstmals eine Kapazität zur Koordinierung militärischer Pläne und Optionen für die Beherrschung von Krisen um Berlin bot, die den direkten Zugang zu den drei nationalen Verteidigungsministerien und Führungsstäben nutzen konnte.2 Diese entscheidenden Grundlagen prägten nun die Arbeit der wichtigsten Arbeitsinstrumente, v.a. der Drei-Mächte-Botschaftergruppe in Washington, die aus den beiden Botschaftern Frankreichs und Großbritanniens und einem hochrangigen US-Diplomaten bestand (1959/60 war das Robert D. Murphy)3 und die ab 1961 als »Washington Ambassadorial Group« bezeichnet wurde. Dieses Gremium bildete das politische Führungsorgan in Berlin-Fragen bis 1990. Hier brachten die Regierungen ihre politischen Weisungen ein, und hier wurden nach Abstimmung mit den Regierungen die 3 1 2

BArch, BW 71/49, Nr. 3: LO(IN)-S-59-1006, Para. 13. Ebd., Para. 1.c, S. 2, und 13.c, S. 9, im Basic Paper. Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 5, Anm. 3.

202

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Anfragen der untergeordneten politischen und militärischen Dienststellen beantwortet.4 Dieser Gruppe arbeiteten bei Bedarf Untergruppen zu, beispielsweise die für Live Oak besonders wichtige Military Subgroup.5 Militärischer Sachverstand stand in den großen Militär-Attachéstäben in Washington zur Verfügung sowie bis 1967 in Form der Nationalen Militärischen Vertreter bei der Standing Group der NATO.6 Danach übernahmen teilweise die Nationalen Militärischen Vertreter beim Militärausschuss der NATO in Brüssel die Beratung. Die WAG und ihre Untergruppen tagten nicht permanent, sondern nur bei Bedarf. In dringenden Fällen und bei hohem Entscheidungsdruck kam man häufiger zusammen, in ruhigen Zeiten selten, in niedrigerer Repräsentanz oder auch gar nicht.7 Die notwendigen Stellungnahmen und Entscheidungen wurden dann im Umlaufverfahren – im NATO-Jargon »Silence Procedure« genannt8 – schriftlich erarbeitet und beschlossen. Der Bonn Group, der zweiten diplomatisch-politischen Arbeitsgruppe,9 wurden zur Vorbehandlung oder auch zur Entscheidung zahlreiche Problemstellungen und Detailfragen übergeben, wodurch die WAG entlastet werden konnte. Die Bonn Group bestand eigentlich schon seit 1954, formell aber erst seit Dezember 1955. Sie wurde damals von den drei westlichen Botschaftern in Bonn und einem Vertreter des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland als viertem Mitglied gebildet. Sie war im Zusammenhang mit dem Deutschlandvertrag von 1952 eingerichtet worden,10 was ständige Konsultationen zwischen den vier Vertragspartnern forderte.11 Berlin war dabei nur eines der vielen Aufgabenfelder, wenn auch ein herausgehobenes. Der Bonn Group wurden etliche Detailfragen übertragen, weil sie allein schon geografisch näher an den Problemfeldern lag und auch über entsprechende Spezialisten verfügte. Dies traf insbesondere auf den Luftzugang zu, denn den drei westlichen Botschaften in Bonn waren Civil Air Attachees (CAA) zugeteilt worden. Auch hier war militärische Expertise – etwa in Form von Militär-Attachéstäben, Beratergruppen oder Verbindungsoffizieren – verfügbar, außerdem waren die verantwortlichen nationalen militärischen Hauptquartiere wegen der relativ kurzen Entfernung gut erreichbar. Es gab spätestens ab 1962 sogar einen eigens ernannten Live-Oak-Verbindungsoffizier bei der Bonn Group, der meist in Siehe hierzu Paris, Berlin – Symbole et enjeu stratégique, S. 42 f. BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 13.a, S. 8. 6 »Die Ständige Gruppe setzt sich aus Vertretern der Generalstabschefs Frankreiches, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten zusammen. Sie ist das Exekutivorgan des Militärausschusses«, NATO-Handbuch (1962), S. 56. Zu den Aufgaben Woyke, Die Militärorganisation der NATO. 7 So hat z.B. die WAG von 1963 bis 1982 nie selbst getagt; siehe BArch, BW 71/13, Nr. 39: Annex A zu SHLO O 82/1356/COS, »Briefing for CLO«, 30.11.1982, S. 2 f. 8 Vgl. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 16 f. Indes wurde bei Live Oak im Falle von Problemen viel häufiger direkt verhandelt als bei der NATO, die ja auch ungleich mehr Partner hatte. Dort war eine stille Genehmigung durch Schweigen bei Interessenskonflikten fortgesetzt essenziell. 9 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 13.b, S. 8. Siehe auch Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium, S. 51 f. und Tab. 1, S. 55. Die engl. Bezeichnung lautete dann allgemein Bonn Goup, siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 6, Anm. 1. Auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 196. 10 Dieser Vertrag wurde am 23.10.1954 – als Teil des Vertragswerkes der »Pariser Verträge« – geändert. Vgl. Wiggershaus, Der Weg der Bundesrepublik, S. 51 f.; und Maier, Das Ringen um den EVGVertrag. 11 Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 6 und Anm. 2. 4 5



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

203

Washington Ambassadorial Group

V

A

V

A

V

A

V

A

US-Interdepartmental Berlin Task Force

Politische Arbeitsgruppe Berlin (AB) - zeitweise

Washington Ambassadorial Group (WAG) Washingtoner Botschaftergruppe

Quadrant (nicht mil.) Gegenmaßnahmen

Marinekomitee »Deep Sea«

Militärische Untergruppe

Eventualfall Koordinierungsuntergruppe

Ostdeutsche Untergruppe

Informationsuntergruppe

Für Live Oak von besonderer Bedeutung Anmerkung: Nationale Weisungen gehen auf allen Ebenen ein, da jede Gruppe aus Vertretern aller Vier Mächte zusammengesetzt ist.

Politische Weisung und Koordinierung

Politische Koordinierung (zeitweilig)

Quelle: Beispielsweise »Grey Area Study«, P. 13, SHLO 100/770, LO-S-69-158, GLNO Tgb.Nr. 1426/69 geh. vom 12.11.1969, BArch, BW 71/6, Nr. 13.

Militärische Weisung und Koordinierung

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07867-07

Personalunion auch Verbindungsoffizier eines anderen Stabes war, z.B. der U.S. Forces Europe.12 Die drei westlichen Botschaften in Bonn waren auch für Berlin zuständig. Sie unterhielten dort unmittelbar unterstellte politisch-diplomatische Berater, die Political Advisors (POLADs), für die Kommandanten.13 Für den militärischen Drei-Mächte-Stab, später dann »Live Oak«, in Paris war die Bonn Group das für die tägliche Arbeit wichtigere politische Gremium, da es sich mit vielen Fragen befasste, die auch Einfluss auf die militärische Planung hatten. Von der

USCINCEUR, BArch, BW 71/47, Nr. 1: Msg SHLO-5-00141, 13.9.1963. Es ist davon auszugehen, dass dieser seit 1961 eingerichtet war. Die ToR für Live Oak, 10.1.1963, Para. 4.d, bildeten die Grundlage: BArch, BW 71/119, Nr. 2. 13 Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 154. 12

204

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

WAG zu behandelnde Grundsatzfragen standen sehr viel seltener an, insbesondere nach dem Abklingen der zweiten Berlin-Krise Mitte der sechziger Jahre.14 Schon bald nach der Gründung von Live Oak hatte sich gezeigt, dass die Aufgaben von Bonn Group und dem Stab Live Oak sich teilweise überschnitten. Daher wurden auf Initiative von Live Oak im Juli 1959 die Aufgaben und Verantwortungsbereiche zwischen beiden Organisationen abgegrenzt, vor allem für den Luftzugang.15 Die Bonn Group hatte für den Dienst während einer Krise eine Koordinierungszentrale in der US-Botschaft vorbereitet, die gute Arbeitsbedingungen und zuverlässige Fernmeldeverbindungen bot.16 Als Standort war für Live Oak das Stabsquartier von USEUCOM, das Camp des Loges in St. Germain-en-Laye, Département Seine-et-Oise (heute Département Yvelines), rund 20 km westlich von Paris gelegen, vorgesehen. In einem späteren Bericht heißt es:

»It was a frail and almost unwanted sapling that appeared on a late spring morning in 1959. Planted by SACEUR (General Norstad) and housed in a tiny barrack block within the perimeter of HQ Europe Command (HQ EUCOM) at Camp des Loges, St Germain an Laye, some 20 miles west of Paris, France. Major General William G. Stirling was detached from his command of 2nd Division in BAOR to act as Chief of Staff. France, the United Kingdom and the United States each provided officers from all three Services as well as supporting clerical and administrative staff. The life of the organisation was not expected to be longer than six weeks and all staff remained on the strengths of their parent units. The barrack block consisted of three large barrack rooms and six small side rooms. Engineers busied themselves fitting steel doors, alarms and metal bars. Desks, map boards and office equipment were sited and the staff moved in.«17

Der grundsätzliche Sinn und Zweck von Live Oak wurde von Norstad einige Tage später schriftlich festgehalten. Wegen seiner operativen Natur und der gebotenen Dringlichkeit würde dieser Stab als militärischer Stab organisiert, aufgestellt aus Vertretern der Drei Mächte und mit Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland. Dieser letzte, so wichtige Aspekt tauchte hier erstmals schriftlich in einem Live-Oak-Dokument auf.18 Ferner legte Norstad die essenziellen Modalitäten und Grundstrukturen fest, vor allem die Koordination zwischen den militärischen Kommandostäben in Deutschland und der politischen Ebene. Schließlich unterstellte er den Stab direkt seinem Stellvertreter als USCINCEUR, General Williston B. Palmer. Der Stab selbst sollte durch einen britischen Generalmajor geleitet und als dessen Vertreter ein französischer Brigadegeneral eingesetzt werden. Beide konnten dann auch als nationale Vertreter dienen, wenn die Regierungen das wünschten.19

16 17 18

Siehe auch Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 6, und Anm. 3. BArch, BW 71/43, Nr. 19: Msg COS an JCS, EC-9-8635, 7.7.1959. BArch, BW 71/119, Nr. 14: SHLO 700/70, LO-TS-63-39, 27.4.1963, Annex, S. 6, Spalte (e). BArch, BW 71/64, Nr. 53: Maj. J.A.J. Humphreyes, Memories, S. 1. BArch, BW  71/132, Nr.  4: Memorandum, Subject: »LIVE OAK Planning Staff«, LO(IN)TS-59-2016, 14.4.1959, Para. 2. 19 Ebd., Para. 3. 14 15



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

205

Die Gliederung des Stabes Live Oak 1959 4. April 1959

1. Oktober 1959 (nach Abklingen der aktuellen Krise) USEUCOM

US-General NORSTAD

Dep USEUCOM

US-General PALMER

COS

Chef des Stabes 1 Generalmajor

UK

DCOS

Operations Officer

Stellvertr. Chef des Stabes 1 Brigadegeneral

Leiter Operationsabteilung *

FR

Secretary

Administration

Administration

Büroleitung

Operations Officer

Leiter Operationsabteilung * 1 Oberst

1 Oberst

Secretary

US

Verwaltung

US

Büroleitung

Verwaltung

FR Team

UK Team

US Team

FR Team

UK Team

US Team

5 Offiziere 3 Unteroffiziere/ Mannschaften 2 Zivilbedienstete

3 Offiziere 5 Unteroffiziere/ Mannschaften 0 Zivilbedienstete

4 Offiziere * 2 Unteroffiziere/ Mannschaften 1 Zivilbedienstete

2 Offiziere 3 Unteroffiziere/ Mannschaften 2 Zivilbedienstete

2 Offiziere 3 Unteroffiziere/ Mannschaften 0 Zivilbedienstete

2 Offiziere * 3 Unteroffiziere/ Mannschaften 0 Zivilbedienstete

Gesamt:

Zusammen:

16 1 14 4 35

Offiziere WO Unteroffiziere/Mannschaften Zivilbedienstete Personen

Gesamt:

Zusammen:

7 1 11 2 21

Offiziere WO Unteroffiziere/Mannschaften Zivilbedienstete Personen

* Der Leiter der Operationsabteilung ist in Personalunion auch Leiter des US-Teams.

Quelle: Pedlow, Live Oak and the Preservation of Allied Access to Berlin, 1959 – 1990, in BArch, BW 71/203, Tab. 1, S. 19, und Tab. 2, S. 25.

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07868-07

Die Gliederung des Stabes zu dieser Zeit ist aus einem offiziellen Organigramm vom 4. April 1959 zu ersehen.20 Der Stab fand sich, auch unter dem Druck der Ereignisse – Ablauf des Ultimatums war Ende Mai – rasch zusammen: »18 Staff settled down to the task of contingency planning. One barrack room was chosen as a briefing conference room, one as tripartite planning room, and the other as a tripartite clerical office. There were no national teams and no communications.«21 Am 18.  April bereits legte General Norstad den Chefs der Generalstäbe der Drei Mächte ein erstes, von Live Oak erarbeitetes Papier vor. Es behandelte im Bereich der Eventualplanung für Berlin die Quiet Preparatory and Precautionary Military Measures (QPPMM). Hierfür hatte es schon Vorbereitungen der Amerikaner im März gegeben, auf die Norstad zurückgreifen konnte.22 Siehe die Grafik »Die Gliederung des Stabes Live Oak 1959«; und BArch, BW  71/203, Nr.  1: Pedlow, »Live Oak History«, Table 1, S. 19, 15.3.1991, IAW SHLO/O 91/022, 22.2.1991. 21 So berichtete Maj. Humphreyes, Memories, S. 1, BArch, BW 71/64, Nr. 53. 22 BArch, BW 71/43, Nr. 1A: APO 128 US-Forces, LO-S-59-1. 20

206

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Im Mai 1959 sandte Norstad ein Schreiben an die CHODs über die »Initial Probe of Soviet Intentions«,23 das auch seine eigenen Vorstellungen über die Struktur enthielt, die er als Voraussetzung für eine erfolgreiche Operationsführung als notwendig erachtete: Die Kommandogewalt für die Operationen sollte durch die Drei Mächte an Norstad übergeben werden, sobald sie politisch genehmigt seien. Er wolle sie von SHAPE aus führen, da nur dort die notwendigen Führungsmittel verfügbar seien. Alle Landoperationen der Drei Mächte sollten vom Oberbefehlshaber der Britischen Rheinarmee (CINCBAOR) geführt werden, da sie geografisch in dessen Kommandobereich lagen. Dafür müsse dieser mit den anderen nationalen militärischen Befehlshabern, dem Oberbefehlshaber der Französischen Streitkräfte in Deutschland (CCFFA) und dem der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa (CINCUSAREUR), eng zusammenarbeiten können. »Berlin« sollte dann dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee unterstellt werden (»placed under the operational control«), weil nur dies die notwendige enge Zusammenarbeit sichere. Letzterer sollte dazu direkt, ohne Führungsebene dazwischen, General Norstad unterstellt werden, »due to the critical nature of events and the speed at which they may happen«.24 Die Verantwortung für Verwaltung und Logistik sollte, wie auch sonst, in nationaler Zuständigkeit bleiben, ihre Koordinierung durch CINCBAOR mit den anderen nationalen Oberbefehlshabern musste aber möglich sein. Diese Überlegungen betrafen zunächst nur die Landoperationen. Für die Luftoperationen entwickelte Norstad im Herbst 1959 ähnliche Vorstellungen an anderer Stelle,25 mit deren Ausarbeitung CINCUSAFE beauftragt wurde. Die enge militärische Verbindung zur Bundesrepublik und namentlich zur Bundeswehr konnte allerdings wegen alliierter Widerstände erst im Sommer 1961 verwirklicht werden. Der Stab fand bald als neue, bisher unbekannte Größe viel Aufmerksamkeit: Die Organisation wurde ein »focal point for politicians and top brass«, wie Major Humphreyes es ausdrückte.26 Bald jedoch kehrte der Alltag ein und die Krise verlor an Intensität, als Chruščev im September 1959 während seines USA-Besuchs die Frist verlängerte und schließlich aufgab.27 Im Laufe des Sommers 1959 erarbeitete der Stab eine Fülle von Grundsatzpapieren und Plänen zu den im Basic Paper vorgegebenen Aufgaben. Diese Arbeiten waren dann im September weitgehend abgeschlossen. Daher schlug der Chef des Stabes nach Rücksprache mit General Palmer am 17. September seinem Vorgesetzten vor, den Stab auf einen kleinen Kern zu reduzieren. Norstad stimmte zu. Der Stab war somit ab 1. Oktober 1959 nur noch eine Art »Referat« unter Führung des bisherigen Leiters des US-Teams, Colonel Thomas W. Sharkey:28 21 Personen stark, die nationalen Teams nur noch je aus einem Heeres- und einem Luftwaffenoffizier mit zwei bis drei Personen Unterpersonal

25 26 27

BArch, BW 71/1, Nr. 42: LO-TS-59-1001, 13.5.1959, S. 1. Ebd., Part II, Command Stracture, S. 5, Para. 22‑25. BArch, BW 71/43, Nr. 2: Brief an die CHODs, 30.9.1959, ECLO 600/13, LO-S-59-48. BArch, BW 71/64, Nr. 53: Major Humphreyes, Memories, Zit. S. 2 Eisenhower, Wagnis, S. 370; siehe auch Documents on Germany, S. 684‑686, bes. S. 686; und Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 71‑73. 28 Eher als »Spokesman«, gem. Para. 13, S. 2, in seiner Meldung, »Memo for General Palmer«, ECLO 300/237, LO-TS-60-90, 13.6.1960, BArch, BW 71/132, Nr. 9. 23 24



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

207

bestehend.29 Der interne Chronist Major Humphreyes beschrieb diese Periode wie folgt: »The UK I believe, considered that Live Oak had now served its purpose and should be dispersed. General Norstad, however, successfully managed to keep it in being. By now the young tree was just about surviving, the Live Oak staff having been reduced to 16 all ranks.«30 Norstad hatte der totalen Auflösung des Stabes Live Oak nicht zustimmen wollen, weil er glaubte, dass er auch in Zukunft Personal mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten im Falle einer neuen, krisenhaften Zuspitzung der Lage um Berlin brauchen würde.31 Die Folgejahre zeigten dann, wie begründet diese Annahme gewesen war. Die nun kommenden Monate verliefen in vergleichsweise ruhigen Bahnen: »The early summer of 1960 was languid and Live Oak had become a family. Afternoons were spent swimming in the pool outside the office and even playing tri-partite cricket. Lt.Col. Hornsby, USAF [...] borrowed a Dakota and flew the members of the team to Copenhagen and London for the week-end.«32 Live Oak fuhr mit seiner Planungsarbeit fort, ohne Krisenstudien erstellen zu müssen.33 Während sich Norstad 1959 mindestens einmal monatlich mit dem Chef des Stabes besprochen oder von diesem ein Briefing erhalten hatte, tat er das im Jahr darauf nur im Mai vor und nach dem Vier-Mächte-Gipfel in Genf sowie im August. Berlin war nicht länger in den Schlagzeilen.34 Gelegentlich kam es zu Momenten der Spannung, wenn Beschränkungen für den Zugang nach Berlin auferlegt wurden, was den Verkehr verzögerte oder anhielt.35 Schon im Sommer 1960 hatten Norstad und sein neuer Deputy Commander in Chief of the European Command, General Charles D. Palmer, versucht, die Wege für eine neue Ausrichtung des Live-Oak-Stabes hin zu einem vollgültigen operativen Stab vorzubereiten.36 Daraus wurde jedoch nichts. Immerhin erhielt die Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr breitere Kenntnis über Live Oak: Bonn bekam das zentrale Grundlagenpapier (Basic Paper vom 4. April 1959) ausgehändigt und erklärte nach intensiven Beratungen am 11. April 1960 seine Bereitschaft, in der Eventualfallplanung für Berlin sowohl theoretisch als auch praktisch zu kooperieren.37 Es erbat Vorschläge der Drei Mächte für die Art und Weise der Mitarbeit.38 Dieses Angebot blieb aber zunächst unerwidert. Die Zeit war dafür noch nicht reif. Nach der kritischen Begegnung des neuen US-Präsidenten Kennedy mit Chruščev in Wien Anfang Juni 1961 und wegen der dramatischen Verschärfung der Krise ergriff Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, Tab. 2, S. 16, Anl. 2. Maj. Humphreyes, Memories, S. 2, nennt nur noch 16 Personen, BW 71/64, Nr. 53. 30 Maj. Humphreyes, Memories, S. 2, BArch, BW 71/64, Nr. 53. 31 Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 15. 32 Zit. Maj. Humphreyes, Memories, S. 2, BArch, BW 71/64, Nr. 53. 33 BArch, BW  71/132, Nr.  27: Memorandum »Detaillierter Live Oak-Tätigkeitsbericht« vom 24.3.1961, ECLO, Section I, S. 7‑11, to LO-TS-61-53. 34 Zit. aus Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 15. 35 Maj. Humphreyes, Memories, S. 2, BArch, BW 71/64, Nr. 53. 36 BArch, BW 71/132, Nr. 9: ECLO 300/236, 10.6.1960, LO-S-60-1055. Dieser Palmer war seit 1.10.1959 im Amt. 37 BArch, BW  71/43, Nr.  33: »German Aide Memoire«, BERCON TRI D-12, 11.4.1960, LOTS-60-3000. 38 Siehe Hinweis dazu in Memo des LTC B.A. Mead an Gen. T.N.S. Wheeler, SHLO 100/65, 2.9.1966, LO-TS-66-19, BArch, BW 71 /132, Nr. 41, S. 3 f., Para. 12‑23. 29

208

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Norstad erneut die Initiative:39 In einem persönlichen Schreiben verlangte er nochmals die Genehmigung, den Stab Live Oak zu verstärken und zu einem operativen Stab umzugliedern. Als Führungspersonal benötige er unverzüglich den Chef des Stabes, einen britischen Generalmajor, als dessen Stellvertreter einen französischen Brigadegeneral und je einen Oberst der Drei Mächte für weitere Führungsaufgaben. Die drei im Dienstgrad höchsten Offiziere der Nationen wollte er auch als nationale Vertreter einsetzen. Bei dieser Gelegenheit suchte er erneut um die Genehmigung nach, bei der Regierung der Bundesrepublik um die Entsendung eines ständigen Verbindungsoffiziers zu bitten. Als Zwischenlösung ernannte Norstad sofort den Brigadegeneral der US-Luftwaffe Robert C. Richardson III. aus SHAPE als Chef des Stabes für Live Oak bis zum Eintreffen des erbetenen britischen Generals. Er teilte dies den britischen und französischen CHODs am 30. Juni 1961 mit.40 Anfang Juli schon genehmigten die Regierungen der Drei Mächte Norstads Antrag vom 27. Juni, da auch sie die dringende Notwendigkeit anerkannt hatten. Der britische Chief of the Defence Staff, Admiral Lord Louis Mountbatten, gab am 12. Juli sein Einverständnis und benannte Generalmajor Geoffrey H. Baker als Chef des Stabes.41 Die Chefs unterstützten nun ausdrücklich den Vorschlag, einen deutschen Verbindungsoffizier bei Live Oak aufzunehmen, »without directly participating in the peculiar Tripartite responsibilities«, wie es der französische General Jean Olie ausgedrückt hatte,42 und die Bundesrepublik zu konsultieren. Anfang August wurde das Lagebild klarer: Nachrichtendienstliche Berichte zeigten eine zunehmende Versammlung von Truppen und Material in Ost-Berlin.43 »Wir besaßen ein detailliertes Feindbild [...] denn was sich an sowjetischen Truppenbewegungen und Konzentrationen feststellen ließ, schloss die Möglichkeit einer totalen Blockade Berlins ein.«44 Es braute sich etwas zusammen, aber es deutete wenig auf einen großangelegten Angriff gegen die NATO, nach Westen, hin. Live Oak und NATO intensivierten dennoch ihre Aufklärung und ihre Arbeit an den diversen Eventualfallplänen.45 Die Mängel in der Unterbringung des Stabes Live Oak bei USEUCOM wurden jetzt zum schwerwiegenden Hindernis, den Stab als operatives Führungsinstrument zu nutzen. General Norstad bekundete in Briefen an die CHODs seine Absicht, Live Oak vom gegenwärtigen Quartier in Saint Germain-en-Laye in ein separates Gebäude innerhalb des SHAPE-Komplexes in Rocquencourt zu verlegen, weil der Ernst der Lage und die größere Bedeutung der Eventualfallplanung für Berlin von ihm mehr persönlichen BArch, BW 71/132, Nr. 28: ECLO 600/97, 27.6.1961, LO-TS-61-77. LO-TS-61-98 bzw. 99, BArch, BW 71/117, Nr. 12, und BW 71/132, Nr. 29. Ob und auf welchem Wege er diese Maßnahme mit den JCS abgestimmt hat, ist in der Live-Oak-Überlieferung nicht enthalten, jedoch ist mit Sicherheit anzunehmen, dass diese Maßnahme national vorgeklärt war. 41 BArch, BW 71/117, Nr. 45: LO(IN)-TS-61-2055. Baker wurde später noch Feldmarschall und britischer CHOD, ein Spitzenmann also. 42 BArch, BW 71/117, Nr. 43: Zit. aus 4. Abs. seines Schreibens, Nr. 10750/EMGDN/POM/E/TS, LO(IN)-TS-61-2052, 7.7.1961. 43 So Maj. Humphreyes, Memories, S. 3, BArch, BW 71/64, Nr. 53. 44 So Strauß, Die Erinnerungen, S. 384; auch Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 320‑324; und bes. das US-Papier für die NAC-Sitzung am 8.8.1961: »Soviet Motives and Intentions«, Anlage zu Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1961-1, Section 01, Nr. 2. 45 Siehe z.B. in PA AA, B 130/3.585: DB Paris Nr. 893, 114-1, Tgb.Nr. 123/61 str.geh., und Nr. 901, Tgb.Nr. 124/61 str.geh. 39 40



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

209

Lageplan von SHAPE in Rocquencourt/Frankreich mit Live Oak, 1961 – 1967

TOUJOURS

Stabsbereich NATO-Haupquartier SHAPE

TIUM LI B RE

TATIS ER

Dienstgebäude LIVE OAK

VIGILIA P

L I V E OA K

QUI VIVE SUR LE

Block 18

Haupteingang

Quelle: Nach Luftbildern (u.a. von Gregory Pedlow, 2011) rekonstruiert.

© ZMSBw

07862-05

210

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Aufgabenorientierte Live-Oak-Stabsorganisation ab 1961 COS

Chef des Stabes 1 Generalmajor

UK Heer

DCOS

DCOS

Stellvertr. Chef des Stabes 1 Brigadegeneral

Stellvertr. Chef des Stabes

FR Heer

1 Brigadegeneral US Luftwaffe

SCO

GLNO

Fernmeldeoffizier 1 Major

Deutscher Verbindungsoffizier

UK Heer

1 Oberst

GE Heer

INTEL

Public Information

mit SHAPE-Personal besetzt

mit SHAPE-Personal besetzt

Nachrichtenwesen

Ground

Land Planung/Operationen 1 Oberst 3 Major/Oberst

FR Heer

Öffentlichkeitsarbeit

Air

Luft Planung/Operationen 1 Oberst 3 Major/Oberst

UK Luftwaffe

Naval (ab 1963) Maritime Planung/Operationen

Op-Center

Operationszentrale

1 Kapitän zur See US Marine 3 Korvettenkapitän/ Kapitän zur See

1 Kapitän zur See/Oberst US 5 Major/Oberst

Executive Officer

Kommandant Stabsquartier 1 Oberstleutnant US Luftwaffe

Secretary

Comm. Center

Buroleitung

Fernmeldezentrum

1 Oberstleutnant US Luftwaffe 1 Hauptmann US Luftwaffe

1 WO

Nationale Unterstützungsgruppen FR

GE

UK

US

UK Heer

Nationale Fernmeldeteile FR

GE

Quellen: Live Oak Functional Organization, Vorschlag COS vom 9.10.1962, SHLO 525/162, LO-C-621103, BArch, BW 71/45, Nr. 44.

UK

US

© ZMSBw

07869-06

Einsatz in dieser Sache verlangten.46 Eine Verlegung verbessere seine Fähigkeit, die Arbeit zu überwachen. Außerdem sichere dies eine engere Koordinierung der NATO-Planung mit der von Live Oak und erleichtere die Übergabe der Operationsführung vom einen zum anderen, falls dem im Notfall zugestimmt würde. Er bitte um frühestmögliche Zustimmung zu diesem Vorschlag. Die Antworten der Drei Mächte kamen schnell. Bis zum 10. August hatten alle ihr Einverständnis gegeben.47

BArch, BW 71/132, Nr. 30: ECLO 600/112, LO-TS-61-139. BArch, BW 71/117, Nr. 48-50: LO(IN)-TS-61-2062 (FR), 2063 (UK) bzw. 2064 (GE) und JCS 1090. Bericht darüber auch in ECLO, Draft, März 1960, After Action Report for Live Oak, ergänzt bis 25.10.1961, BArch, BW 71/43, Nr. 55, lfd. Nr. 114.

46 47



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

211

Die Verlegung selbst dauerte dann, wohl auch wegen der hohen Arbeitslast während der sich verschärfenden Krise, noch einige Wochen. Erst am 4. September war die Arbeitsbereitschaft im Block  18 des SHAPE-Komplexes hergestellt.48 In diesen Tagen wurde aus dem Drei-Mächte- auch ein Vier-Mächte-Stab sowie sogar eine Vier-MächteOrganisation. Während bisher die Deutschen oft nur sehr selektiv informiert worden waren, wurden sie nun festes Mitglied von Live Oak. Der deutsche Botschafter in Washington wurde Mitglied der WAG, und als ständigen Verbindungsoffizier ordnete man Oberst i.G. Wilhelm F.H. Thomas zum Stab Live Oak ab.49 Thomas trat sein Amt als erster »German Liaison Officer with Live Oak« (GLNO) am 11. August an.50 Als die Sowjetunion und die DDR mit Unterstützung der Staaten des Warschauer Paktes am 13. August damit begannen, unter Einsatz massierter Kräfte die Westsektoren Berlins vom Osten der geteilten Stadt und vom Umland abzugrenzen und die »Mauer« zu bauen, hatte Live Oak seine erste Bewährungsprobe als operativer Stab zu bestehen. Die Mängel waren groß: Die Baulichkeiten, noch Teil des Camp des Loges, waren für einen Dienst »rund um die Uhr« im Schichtdienst wenig geeignet. Das größte Hindernis für eine erfolgreiche Arbeit waren aber die völlig unzureichenden Fernmeldemittel. Am 26. August informierte Norstad die Stabschefs der Drei Mächte, nachrichtlich die nationalen Oberbefehlshaber in Deutschland, den Generalinspekteur und die Berliner Kommandanten, dass er Live Oak angewiesen habe, jederzeit als Nachrichtenzentrale in Berlin-Fragen zu arbeiten sowie als Informationskanal für die Regierungen tätig zu werden. Gleichzeitig forderte er alle Beteiligten auf, Verstärkungspersonal für den Krisenfall, das bereits im Vorfeld entsprechend bezeichnet worden war, bereit zu halten.51 Die Verhältnisse nach dem Umzug in den SHAPE-Komplex (Gebäude 18) gehen aus folgender Passage hervor:52

»Whilst the time in Camp des Loges had been taken up with interference of road traffic, the move to SHAPE heralded a change of emphasis to the air. Signals showing Soviets flight intentions were not received until very late evening and the Live Oak Staff were often on duty for 16 hours each day with the Operations Officers working through the night. General Baker [...] remained on duty for days on and. The whole building hummed with activity throughout each 24 hours. Extra officers were drafted in as watchkeepers and operations officers and administrative teams enlarged to cope with the additional tasks and duties.«53

Die Angaben über das Datum widersprechen sich. Pedlow nennt einen Tag im August und beruft sich auf Humphreyes, der aber einen windigen Tag im Oktober nennt: Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 24; und Humphreyes, Memories, S. 3, BArch, BW 71/64, Nr. 53. Den 4.9. bestätigt SHLO 100/197, datiert per 6.9., das als Kopf die Anschrift trägt: »Live Oak SHAPE Compound, Building 18«, BArch, BW 71/117, Nr. 20. Siehe die Grafik »Lageplan von SHAPE in Rocquencourt/Frankreich«. 49 BArch, BW  71/117, Nr.  50: Brief GenInspBw, Fü B  III, Az. 10-05-10-05, 2.8.1961, eingeg. 8.6.1961. NMR/GE war damals Brig.Gen. Peter von Butler. Vgl. die Schilderung in Kap. III.6. 50 BArch, BW 71/16, Nr. 91: NMR/LO, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 65/61 geh., NMR/LO-Bericht Nr. 1 vom 18.8.1961. 51 BArch, BW 71/44, Nr. 7: Msg ECLO 9-92134, LO(IN)-S-61-3096. 52 Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 25. 53 Zit. aus Maj. Humphreyes, Memories, S. 3, 16.11.1982, BArch, BW 71/64, Nr. 53. Diese Bemerkung veranlasste den COS von 1982, General Sinnatt, zu der Anmerkung: »Now we find it 48

212

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Bald wurde klar, dass die Zusammenarbeit genauer geregelt werden musste, auch wegen der unterschiedlichen Sicherheitserfordernisse. So war es nur folgerichtig, dass der Assistant Chief of Staff, Plans and Policy (ACOS P&P) in SHAPE am 20. September 1961 seinem Chef des Stabes sinnvolle Verfahren für eine intensivierte Zusammenarbeit mit Live Oak vorschlug.54 Nach Zustimmung wurden am 26. September diese Verfahren befohlen; federführend sollte die P&P-Division sein. Ein sogenannter Live-OakBeraterstab wurde eingerichtet, in dem zunächst nur Offiziere von P&P saßen. Damit bekam die bisherige, informelle »Drei-Mächte-Gruppe« offiziellen Status. Die einzige permanente Verbindung zwischen dem Bündnis und der Vier-Mächte-Organisation bildete zu diesem Zeitpunkt nach wie vor nur General Norstad in seiner Doppelfunktion als SACEUR und CLO.55 So erhielt dieser Beraterstab bald ein erweitertes Aufgabenspektrum und auch eine breitere Basis, indem andere Stabsabteilungen – allen voran die Intelligence und zunehmend die Operations Divisions von SHAPE – von Fall zu Fall hinzugezogen werden konnten, aber immer mit Bearbeitern, die einer der Vier Mächte angehörten. Im Frühjahr 1962 wurde beschlossen, die nun drei Jahre erfolgreichen Wirkens würdig zu begehen. Live Oak umfasste nunmehr 36 Soldaten.56 In diesen Wochen wurde erstmals auch eine formelle Dienstanweisung durch Norstad erlassen. Demnach hatte Live Oak den Auftrag, »to prepare contingency plans designed to maintain Allied access to West Berlin, to perform related operational functions as directed by me, and to maintain liaison with designated national, tripartite and quadripartite political agencies and military commands.«57 Daraus ergaben sich die folgenden Aufgaben: dem CLO als operativer Stab zu dienen, die Eventualfallpläne zu entwickeln und aktuell zu halten, mit den politischen Gremien, den Regierungen und den militärischen Hauptquartieren in einem Netzwerk eng zusammenzuwirken sowie mit den Nationen und dem Bündnis alle Pläne und Maßnahmen eng zu koordinieren. Als Vertreter bestellte Norstad den Deputy USCINCEUR, zu dieser Zeit General Wheeler.58 Künftig wurden diese Terms of Reference (ToR) bei jedem Wechsel des Commanders Live Oak formal neu erlassen und immer auch um neue Aufgaben ergänzt. Nach dem Wechsel des Kommandos von General Norstad zu General Lyman L. Lemnitzer erließ dieser am 10.  Januar 1963 entsprechend die neue Dienstanweisung für den Stab Live Oak, die im Wesentlichen der seines Vorgängers glich. Neu war, dass



54 55



56



57



58

difficult even to get through to the WAG or the Bonn Group«, zit. nach Anschreiben des COS zu den Memoiren des Maj. Humphreyes. BArch, BW 71/49, Nr. 14: SHAPE 1200.2/20, LO(IN)-S-69-3277, 20.9.1961. Diese Bezeichnung wurde anscheinend erstmals im Schreiben Lemnitzers an die WAG verwendet, mit dem er die Bestellung seines Nachfolgers, General Goodpaster, als »Commander Live Oak« vorschlug. Siehe Msg SHLO 5246, 8.3.1969, BArch, BW 71/49, Nr. 17. So Maj. Humphreyes, Memories, S. 4, BArch, BW 71/64, Nr. 53. Siehe das Photo davon in BArch, BW 71/136 (Anl.). Der Live-Oak-Baum ist die eindrucksvolle, schutzbietende »Virginia-Eiche«. BArch, BW 71/118, Nr. 3: SHLO 600/127, 9.4.1962, LO-TS-62-37, Zit. Para. 3. Gleichzeitig wurde die bisherige, eher provisorische Weisung vom 14.4.1959 aufgehoben: BArch, BW 71/132, Nr. 4. BArch, BW 71/118, Nr. 3, Para. 4 und Para 5. Es war General T. Norman S. Wheeler.

SCO

POL

INT

Marine Marine Marine Marine

1 Oberst 1 Oberst 1 Oberst 1 Oberstleutnant

UK US FR GE

Operationszentrale

US FM

GE Heer

GLNO (HNS)

OPS

INT

HOD

© ZMSBw 07870-04

GE NMR FM

GE Unterstützungsgruppe

P.I.

1 Kapitän zur See US Marine 5 Major/Oberstleutnant (FR/UK/US)

US Unterstützungsgruppe

Luftwaffe Luftwaffe Luftwaffe Luftwaffe

1 Oberst

* Nur die Dienstposten des Stabes selbst ohne die nationalen Unterstützungsgruppen. Zeitweise gab es geringe Abweichungen. ** Erst ab 1986

Nationen FR GE UK US Ges. Offiziere 6 5 7 8 26 Unteroffiziere/Mannschaften 6 6 20 13 45 Zivilisten 1 1 0 1 3 Gesamt 13 12 27 22 74 *

US UK FR GE

1 Hauptmann US Heer 1 Stabsfeldwebel US Heer

Sekretariat

PIO

15 Major/Oberstleutnant OPS

Sekretär

Planungsabteilung Luftzugang

INT

Befehlswege Live OakStab »Quadripartite« Verbindung/Koordination »Sonderbeziehung« NAVCORCENT Nationale Befehlswege

Legende:

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Quellen: Diverse Organigramme aus BArch, BW 71.

FR FM

POL

3 Generale

SHAPE/Live Oak Verbindungsoffiziere

OPS

SHAPE/Live Oak Beratergruppe

1 Oberstleutnant US Luftwaffe

1 Kapitän zur See 1 Fregattenkapitän 1 Fregattenkapitän 1 Korvetten-/Fregattenk.

UK FM

Heer Heer Heer Heer

FR Unterstützungsgruppe

FR UK US GE

Alternate CDR DEP CINCEUCOM

DCOS (US)

HOD

SACEUR

1 Brigadegeneral US Luftwaffe HOD

UK Heer

COS

Director NAVCORC

1 Generalmajor

Koordinierungszentrale Marine

HOD

UK Unterstützungsgruppe

1 Oberst 1 Oberst 1 Oberst 1 Major/Oberstleutnant

DCOS (FR) 1 Brigadegeneral FR Heer

Planungsabteilung Landzugang

Live Oak Fernmeldezentrale

1 Oberstleutnant UK Heer 1 Oberstleutnant GE Luftwaffe **

in Bonn stationiert

Live Oak Verbindungsoffizier zu USAREUR und USAFE

1 Oberst/Generalmajor US

Live Oak Verbindungsoffizier zur Bonn Group

CINC EUCOM

CLO

Die Organisation des Stabes Live Oak 1963 – 1990

213

214

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Die militärische Struktur von Live Oak ab 1963

V

V

V

V

FR UK US GE WAG

Washingtoner Botschaftergruppe

»Deep Sea«

SACEUR

Oberster Befehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa

Commander Live Oak

SHAPE

Hauptquartier der NATO-Streitkräfte in Europa

Director »Sea Spray«

Oberbefehlshaber Live Oak

Director NAVCORCENT

NMR

Nationale militärische Vertreter

Director »Free Flow«

NAVCORCENT

MarineKoordinationszentrum

FR UK US GE

NAVCORCENT

MarineKoordinationszentrum

MarineKoordinationszentrum

FR UK US GE

FR UK US GE

CINC USEUCOM Oberbefehlshaber US-Oberkommando in Europa

CC FFA

Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Deutschland

CINC BAOR

CINC USAREUR

Oberbefehlshaber Britische Rheinarmee

Oberbefehlshaber US-Landstreitkräfte in Europa

FR COB

UK COB

Französischer Kommandant von Berlin

Britischer Kommandant von Berlin

CINC USAFE

Oberbefehlshaber US-Luftstreitkräfte in Europa

US COB

US-Kommandant von Berlin

Commandants-in Committee Kommandantenausschuss

US COB / Single Commander

US-Kommandant von Berlin / Befehlshabender Kommandant von Berlin

Commander Allied Forces Berlin

ab 1986

HQ Allied Forces Berlin

ab 1986

Befehlshaber der Alliierten Kräfte in Berlin

Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Berlin

ASB

Allierter Stab Berlin

AFB

ab 1986 Allierte Streitk. Berlin

Operationen Landzugang

BerlinOperationen

Operationen Luftzugang

Militärischer Befehlsweg Vier-Mächte Vier-Mächte (auf Zusammenarbeit angewiesen) Frankreich

Maritime Gegenmassnahmen Politischer Weisungsstrang

Großbritannien USA Bundesrepublik Deutschland

Quelle: Durch Verfasser aus diversen Unterlagen in BArch, BW 71 entwickelt.

Vier-Mächte

© ZMSBw

07888-08



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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der neue Deputy USCINCEUR, General John Paul McConnell, als Vertreter eingesetzt wurde.59 Zu dieser Zeit hatte der Stab einen Umfang von gut 120 Personen erreicht. Davon waren 25 Offiziere, vom Oberleutnant bis zum Generalmajor. Die Masse bestand aus knapp 100 Unteroffizieren, wenigen Mannschaften und Zivilangestellten. Etwa die Hälfte wurde für den Stab selbst, das Sekretariat, das Operationszentrum und die Fernmeldezentrale, eingesetzt, die anderen arbeiteten in den vier nationalen Delegationen. Diese Stärke und die grobe Gliederung blieben, mit geringen Verschiebungen, bis zur Auflösung im Jahr 1990 gültig. In der Folgezeit wurde die Organisation durch zahlreiche Maßnahmen optimiert, beispielsweise durch die Bestellung eines Verbindungsoffiziers von Live Oak zur Bonn Group.60 Der Verbindungsoffizier von USCINCEUR zur Bonn Group sollte nun diese Aufgabe für Live Oak zusätzlich wahrnehmen, was sehr sinnvoll war, da er General Lemnitzer als USCINCEUR schon zuarbeitete und dadurch Zugang zu allen relevanten Stellen hatte. Außerdem verfügte er über einen kleinen Arbeitsstab und leistungsfähige Fernmeldemittel.61 Aufgrund der zunehmenden Notwendigkeit, Operationspläne und Übungen von Live Oak mit dem NATO-Alarmsystem, mit NATO-Operationsplänen und -Übungen zu koordinieren, schlug SHAPE/P&P Anfang 1966 vor, die Federführung für den Live-Oak-Beraterstab der NATO (SHAPE Advisory Staff oder Group) nun der Operations Division zu übertragen.62 Dies geschah wohl im März des Jahres, zusammen mit einer Ausweitung der Aufgaben und der Struktur. Im Jahr 1966 erschütterte die Entscheidung Frankreichs das Bündnis, die Integration in die militärische Struktur der NATO zu beenden und deren politische und militärische Organisationen aufzufordern, französischen Boden zu räumen. Auch Live Oak war davon betroffen – dies wohl eher mittelbar, wegen seiner Abhängigkeit von der Person des SACEUR und von SHAPE, das nach Belgien umziehen musste. Für Live Oak wurde innerhalb des umzäunten, neuen SHAPE-Bereiches in Casteau/Belgien ein eigenes, zweistöckiges Gebäude mit der Nummer  104 gebaut, maßgeschneidert nach den Vorstellungen des Stabes Live Oak.63 Der Umzug von Rocquencourt nach Casteau wurde am 31. März und 1. April 1967 durchgeführt. Am Abend dieses Tages war der Stab mit einer Zelle am neuen Standort arbeitsbereit, wenn auch mit Einschränkungen in den Bereichen Personal und Fernmeldeverbindungen. Der deutsche Verbindungsoffizier nahm seinen Dienst in Casteau erst am 18. April auf.64 Da sich die Lage um Berlin und seine Zugänge beruhigt hatte, kam die Arbeit nun in stillere Fahrwasser. Die besseren Arbeitsbedingungen im neuen Quartier wirkten ebenfalls erleichternd, sodass die Organisation im Wesentlichen stabil blieb. Manche Dinge BArch, BW  71/119, Nr.  2: SHLO 700/2, LO-TS-63-4, Para.  5.a. Die bisherige Regelung war Norstads persönliche Entscheidung gewesen. 60 SHLO 5-00492-5, 14.11.1962, Msg to USCINCEUR – L.O., Bonn, Subj. BQD-99, BArch, BW 71/45, Nr. 23. 61 BArch, BW 71/47, Nr. 1: Msg SHLO 5-00141-S, 13.9.1963. 62 BArch, BW 71/58, Nr. 58: SHAPE 1200.2/20, 28.1.1966, LO(IN)-S-69-3276. 63 Siehe die Grafik »Lageplan von SHAPE in Casteau/Belgien«. 64 BArch, 71/16, Nr. 89: NMR/Live Oak-Bericht Nr. 32, Anl. 3, S. 1; und NMR SHAPE/LO, Tgb. Nr. 487/67 vom 30.9.1967. 59

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

TIUM LI B RE

TATIS ER

VIGILIA P

Lageplan von SHAPE in Casteau/Belgien mit Live Oak, ab 1967 L I V E OA K

Stabsbereich NATO-Haupquartier SHAPE

Dienstgebäude Live Oak TOUJOURS

QUI VIVE SUR LE

Nr.104

Richtung Mons/Bergen (auch PARIS)

Haupteingang

Quelle: Nach einer Skizze aus SHAPE, »Newcomer´s Guide«, Jan. 1972, S. 51.

Richtung Soignies/Zinnik (auch BRÜSSEL)

© ZMSBw

07863-05



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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hatten sich entwickelt, ohne ausdrücklich geregelt worden zu sein. Beispielhaft mag hier eine Feststellung des damaligen Chefs des Stabes, Generalmajor J.D. Lunt, im Juni 1969 gegenüber seinen beiden Stellvertretern stehen, dass es anscheinend im Stabe Brauch sei, dass der Amerikaner verantwortlich sei für alles, was die Planung in der Luft und auf See betreffe, während der Franzose für die Planung zu Lande und für die Operationszentrale Verantwortung trage. Da sich das wohl bewährt habe, wolle er das auch nicht ändern.65 Diese Aufgabenverteilung hatte von Anfang an bestanden, wohl weil der Amerikaner, bis auf eine Ausnahme in den späten achtziger Jahren, immer Offizier der Luftwaffe war, und der Franzose, ebenfalls mit einer Ausnahme, Offizier des Heeres. Da die US-Luftwaffe in Europa (USAFE) die Lufteinsatzplanung für Live Oak verantwortete, schien diese Aufteilung durchaus sinnvoll. Am 1. Juli 1969 wechselte erneut der SACEUR und mit ihm der Befehlshaber Live Oak: General Andrew J. Goodpaster folgte General Lemnitzer nach.66 Im Dezember 1974 übernahm General Alexander M. Haig Jr. die Aufgabe des CLO, seine Dienstanweisung für Live Oak brachte jedoch keine neuen Akzente.67 Beim NATO-Rat gab es im Jahre 1977 noch den sehr wichtigen Verbindungsoffizier von Live Oak; ein Posten, der erst mit der für ihn erlassenen Dienstanweisung bekannt wurde. Besetzt wurde er mit dem Stellvertretenden Leiter des Lagezentrums bei der NATO, einem deutschen Oberst i.G. Dessen Vertreter war der Chef dieses Zentrums. Aus dem entsprechenden Vorgang geht nicht hervor, ob es diesen Dienstposten schon früher gegeben hatte.68 In einer ernsten Berlin-Krise wäre diese Aufgabe sehr wichtig geworden, weil ansonsten keinerlei Sachkenntnis im Hauptquartier der NATO zur BerlinFrage existierte. Am 29.  Juni 1979 wurde General Bernard W. Rogers als fünfter CLO durch die WAG bestätigt.69 Auch seine Dienstanweisung enthielt keine wesentlichen Neuerungen.70 Die von Rogers angestrebten Reformen brachten trotz des zäh ausgehandelten Rogers-Agreement keinen durchschlagenden Erfolg. Es gelang v.a. nicht, für Rogers als CLO eine umfassende Kommandobefugnis für Berlin zu erhalten (»Superior Commander for Berlin«). Erst kurz vor Ende des Kalten Krieges kam es zu einer – eher kosmetisch erscheinenden, aber doch wichtigen – Neuregelung.71 BArch, BW 71/49, Nr. 19: SHLO 200/237, LO-U, 18.6.1969. BArch, BW 71/120, Nr. 36: ToR, SHLO 200/240, 1.7.1969, LO-TS-69-6. 67 BArch, BW 71/132, Nr. 43: ToR, SHLO 74/014059, 15.12.1974. In dieser ruhigen Phase ohne Berlin-Krise in den siebziger Jahren erfanden übrigens die Angehörigen des Stabes ihren neuen Codenamen »Dead Elm«. Siehe dazu BArch, BW 71/92, Nr. 40: »Live Oak History«, COS 1/2, written by LTC Brewis, Anlage »History of L.O. Comms«, 20.11.1990, S. 13. 68 BArch, BW 71/55, Nr. 49: SHLO 77/0389/Ops-R, 26.4.1977. Oberst a.D. Hans-Walter von Hülsen, in den 1980er Jahren in dieser Funktion, hat mir bestätigt, dass er über diese Zusatzaufgabe informiert worden, aber nie als LO-Verbindungsoffizier tätig geworden sei. 69 BArch, BW 71/55, Nr. 54: SECSTATE Wash. Conf. State 167146, 28.6.1979, SHLOIN 79/1602. 70 BArch, BW 71/132, Nr. 44: SHLO 79/0586/CDRLO, 3.7.1979. 71 BArch, BW 71/72, Nr. 16: »Rogers-Agreement«, SHLO O 86/899, 22.8.1986, Para. 4; BArch, BW  71/74, Nr.  22: ToR, Enclosure 1 to SHLO O 87/213, Februar 1987; Encl.  1 zu SHLO O87/213-S vom 19.2.1987, BArch, BW 71/74, Nr. 22; Brief CdS/ASB, Col. Richard P. Guthrie, vom 2.2.1987, dazu: ASB-COS, als Anlage zu SHLO O87/212, 19.2.1987, C, BArch, BW 71/74, Nr. 21. Vgl. dazu die detailliertere Schilderung in Kap. IV.7. 65 66

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Es dauerte bis zum 10. Mai 1989, bis als Ergebnis langer Beratungen die Stabsdirektive Nr. 1-3 erlassen wurde, die die personelle Besetzung von Live Oak durch die vier Nationen regeln sollte.72 Hierin waren nun einige Bausteine aufgenommen, die bisher nur in den inoffiziellen Stabsübersichten aufgeführt, aber nicht in offiziellen Dokumenten überliefert waren: die Verbindungsoffiziere bei der Bonn Group (je einer von Live Oak, USAREUR und USAFE), die Live-Oak-SHAPE-Beratergruppe (zwei Generale, ein Oberst) und die SHAPE-Live-Oak-Verbindungsoffiziere (elf Stabsoffiziere der Abteilungen für Operationsführung, Planung und Nachrichtenwesen, also OPS, P&P, INT, dazu drei für Öffentlichkeits- und Pressearbeit). Auch sonst gab es einige Änderungen: Ein zusätzlicher deutscher Fernmeldeoffizier, der seit 1986 bei Live Oak tätig war, wurde etatisiert, und in der Operationszentrale wurden drei Soldaten als Nachrichtenoffiziere ausgewiesen.73 Dies stellte die letzte organisatorische Änderung bei Live Oak dar. Die militärischen Spitzenvertreter bei Live Oak zeigen vielleicht am besten das Mischprinzip zwischen den nationalen und multilateralen Zuständigkeiten. Sie waren grundsätzlich Teil der nationalen Hierarchien und zeichneten für den rein nationalen Anteil in der Unterstützung der von den Drei Mächten gemeinsam geplanten Maßnahmen verantwortlich. Anders als in den obersten Gremien der NATO, die ein hohes Maß an Integration in den Befehlsketten aufweisen und die entsprechenden Funktionsträger zumindest formal aus den nationalen Zusammenhängen herauslösen, blieb die supranationale Kompetenzzuweisung bei Live Oak begrenzt. Alles in allem handelte es sich noch um ein relativ einfaches System, das überwiegend auf Abstimmung und Koordination, weniger auf Befehl und Gehorsam beruhte. Die praktische Arbeit erforderte bald mehr Mitspieler, nämlich die nationalen militärischen Hauptquartiere, die Durchführenden der Operationspläne für die verschiedenen, genau definierten Eventualfälle. Auch diese standen zu Norstad, meist auch im gleichen Dienstgrad, eher in einem kollegialen als in einem militärischen Verhältnis von Befehl und Gehorsam in der Form von »Operational Control«. Diese würde nur unter engen, vorgegebenen Bedingungen in der Krise wirksam werden, manchmal automatisch, meistens jedoch aufgrund erneuter politischer Entscheidung und Weisung. Beteiligt waren der CINCBAOR für die Operationspläne zur Sicherung des Zugangs auf der Autobahn; der CINCUSAREUR für diejenigen auf der Schiene; der CCFFA in der Unterstützung aller Pläne zu Lande und teilweise auch in der Luft; der CINCUSAFE für alle Operationspläne zur Sicherung des freien Zugangs durch die Luft in den drei Korridoren, wobei hierbei natürlich auch der Oberkommandierende der britischen Luftstreitkräfte in Deutschland (CINC RAF/G) und der französischen Luftwaffe (­ CCFATAG) mitwirkten; sowie der Allied Staff Berlin zur Koordinierung militärischer Maßnahmen auf allen Zugangswegen mit den militärischen Hauptquartieren in Berlin. Ein Faktor wirkte dabei auf vielen Ebenen hilfreich: das System der verschiedenen »Hüte«,74 die eine Führungspersönlichkeit tragen konnte. So war der CLO gleichzeitig als SACEUR der zuständige Oberbefehlshaber des Bündnisses für Europa. Er trug so Staff Directive Nr. 1-3: »Live Oak Quadripartite Organizational Manning«, SHLO O87/520-U, BArch, BW 71/84, Nr. 38. 73 Siehe die Organisationsübersicht mit Stand 10.5.1989, Encl. 4 der Staff Directive 1‑3. 74 Siehe Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 13. Der dritte Hut war der des CINCUSEUCOM. Später kam noch ein vierter dazu, vgl. die Darstellung in Kap. IV.6. 72



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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Führungsstruktur Live Oak ab 1986

V

A

V

A

V

A

V

A

FR UK US GE WAG

Washingtoner Botschaftergruppe

CLO LIVE OAK

COMMITTEES: »Deep Sea«

Oberbefehlshaber LIVE OAK

LIVE OAK

US CINCLANT

US CINCPAC

Oberbefehlshaber Atlantikkommando

Oberbefehlshaber Pazifikkommando

NAVCORCENT

NAVCORCENT

NAVCORCENT

MarineKoordinationszentrum

MarineKoordinationszentrum

MarineKoordinationszentrum

»Sea Spray«

»Free Flow«

FR UK US GE

FR UK US GE

FR UK US GE

BONN GROUP FR

CC FFA

Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Deutschland

UK

US

CINC BAOR

CINC USAREUR

Oberbefehlshaber der britischen Rheinarmee

FR COB

Französischer Kommandant von Berlin

GE

CINC USAFE

Oberbefehlshaber US-Landstreitkräfte in Europa

UK COB

Britischer Kommandant von Berlin

Oberbefehlshaber US-Luftstreitkräfte in Europa

CINCS

Nationale Seestreitkräfte

US COB

US-Kommandant von Berlin

COMMANDANTS-IN-COMMITTEE Kommandantenausschuss

US COB / SINGLE COMMANDER

US-Kommandant von Berlin / Befehlshabender Kommandant von Berlin

COMMANDER Allied Forces Berlin Befehlshaber der alliierten Kräfte in Berlin

ASB

Allierter Stab Berlin

OPERATIONEN LANDZUGANG Vier Mächte Pol. Weisungsstrang Mil. Befehlsweg

Quelle: Autor.

BERLIN OPERATIONEN Vier Mächte

(Koordination/ Zusammenarbeit)

Frankreich

OPERATIONEN LUFTZUGANG Großbritannien

MARITIME GEGENMASSNAHMEN USA

Bundesrepublik Deutschland

© ZMSBw

07866-04

220

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

wohl als CLO den politischen und militärischen Spitzen der Vier Mächte vor wie auch als SACEUR im NATO-Rat und im Military Committee. Er verhandelte mit den nationalen Verteidigungsministerien und den unterstellten Kommandobehörden. Er wusste daher, welche (Alarm-)Maßnahmen als Voraussetzung für die Durchführung eines LiveOak-Operationsplanes aufgerufen werden mussten. Er konnte sozusagen »mit sich selbst zu Rate sitzen«75 und den beiden ihm zugeordneten Stäben die jeweils komplementären, aber unterschiedlichen Aufträge geben. Dies galt gleichermaßen für die ausführenden Ebenen der NATO: Der CINCBAOR beispielsweise war als COMNORTHAG auch Durchführender des Emergency Defence Plan (EDP)/General Defence Plan (GDP) der NATO in Norddeutschland sowie der NATO-Pläne BERCON Charlie One und Three in diesem Raum. Oder CINCUSAFE: Er war als CINCAAFCE gleichzeitig verantwortlicher Oberbefehlshaber der NATO für alle Luftoperationen im Verteidigungsfalle im Rahmen des EDP/GDP in Mitteleuropa, auch für die BERCON-Alpha-Operationen. Der Stab Live Oak bildete mehr als 30 Jahre den einzigen Organisationsbaustein, der ausschließlich für die Organisation gleichen Namens gearbeitet hat. Alle anderen Organisationselemente taten das nur zeitweise, zusätzlich zu ihrer eigentlichen Aufgabe. Der permanente Kräfteeinsatz für Live Oak war damit gering. Die Struktur der Organisation verband die zivilen, politisch-diplomatischen Spitzen mit den Führungsebenen der nationalen, militärischen Streitkräfte und denen des Bündnisses – im Wesentlichen direkt, ohne Umwege oder Zwischenträger. Spätestens seit 1964 waren Grundstruktur und Grundrichtung festgelegt. Die hohe Komplexität dieser Live-Oak-Struktur erschließt sich erst, wenn die zahlreichen Voraussetzungen, Bedingungen und Vorbehalte mitbedacht werden, die sich der Darstellung in einem einzigen Organigramm verweigern. Es gab zahlreiche Problempunkte, sensible Felder, nationale Prärogative sowie »checks and balances«, die als Ausdruck des politischen Willens, die Zügel und damit die Kontrolle fest in der Hand zu behalten, unumgänglich waren. Die unterschiedlichen nationalen Verhaltensformen spielten ebenfalls eine Rolle. Zusätzlich zu diesen komplexen Gemengenlagen waren die unterschiedlichen Befehlsebenen und ihre Perspektiven zu beachten. Die Befehlshaber der Stäbe hatten einen anderen Kenntnisstand und auch andere Prioritäten als der Führer der »Probe« auf der Autobahn. Dies konnte den Führungsprozess erschweren. Im Verlaufe einer Krise würde, soweit möglich, auf vorbereitete und zum Mindesten im Grundsatz genehmigte Operationspläne zurückgegriffen. Dies würde Zeit sparen. Man ging davon aus, dass die Kräfte eingewiesen und für die Aufgabe ausgebildet worden waren. Teilweise hatte die politische Führung vorab genau definierte Vollmachten an den obersten militärischen Führer, hier den CLO, delegiert. Mit frühzeitigen Meldungen würde die politische Führung aufmerksam gemacht, mittels Vorbefehlen die ausführende Ebene gewarnt. In allen Fällen, in denen politische Entscheidungen als Voraussetzungen fallen mussten, war ein mitunter auch längerer Abstimmungs-, Beratungs- und Entscheidungsbedarf eingeplant. Ein Antrag musste formuliert und fachlich vorgeklärt, dann mit Begründung der BArch, BW 71/12, Nr. 44: MG Sinnatt, COS, 1982 in einem Brief an seinen CLO: »You may, of course, wish first to discuss if with SACEUR«, SHLO O 82/646/COS, 18.5.1982, Zit. aus Para. 4, S. 2.

75



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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WAG vorgelegt werden. Dort wurde er diskutiert, eventuell militärisch in der zuständigen Untergruppe überprüft. Oft war Rückkoppelung mit den Regierungen oder mit einem anderen Organ, z.B. mit der Bonn Group, erforderlich. Wenn eine Regierung ein schwerwiegendes Problem mit dem Antrag hatte, wurde es kompliziert und die Zeit noch knapper. Dann half manchmal nur ein völlig neuer Ansatz oder die Unterstützung der »Grosses Têtes«, der Führer selbst, bei den ganz großen Entscheidungen. Die Erfahrungen gerade in den kritischen Tagen und Wochen der zweiten großen Berlin-Krise im Spätsommer und Herbst 1961 zeigten, dass Entscheidungen auch sehr schnell fallen konnten, wenn die Lage es erforderte. Diese Erfahrung wirkte vertrauensbildend und dadurch beruhigend.

2. Quiet, Preparatory and Precautionary Military Measures Im Live Oak Basic Paper vom 4. April 1959 sind die Quiet, Preparatory and Precautionary Military Measures (QPPMM) als erste Kategorie von Gegenmaßnahmen in einer oder vielmehr zunächst in dieser Berlin-Krise genannt.76 Sie zielten darauf, die Entschlossenheit der Drei Mächte deutlich zu machen und ihr Recht auf freien Zugang nach Berlin aufrechtzuerhalten, ohne dass die Öffentlichkeit diese Maßnahmen wahrnehmen konnte, aber doch so, dass die sowjetische Aufklärung sie erkennen musste. Die Zeit drängte, das sowjetische Ultimatum würde in nicht einmal zwei Monaten ablaufen. Der Drei-Mächte-Stab unter General Norstad hatte durch das Basic Paper den Auftrag erhalten, ein Maßnahmenpaket zu erarbeiten.77 Der Stab war gerade erst in Paris zusammengetreten und seit 12. April bedingt arbeitsbereit. Der britische Anteil mit dem ersten Chef des Stabes war am Vortag eingetroffen. Trotzdem konnte der Stab, nach Vorarbeit des amerikanischen Nukleus, das erste Papier zu diesem Thema rasch vorlegen. Bereits am 18. April schickte Norstad die von seinem neuen Stab erarbeiteten Empfehlungen an die obersten nationalen Befehlshaber der Drei Mächte.78 Zusätzlich waren jene Maßnahmen aufgelistet, welche die Drei Mächte in dieser aktuellen Krise bereits ergriffen hatten.79 Sowie diese von den Nationen genehmigt seien, werde er die Ausführung beantragen, kündigte der General in seinem Schreiben an.80 Der Vorschlag enthielt die folgenden Maßnahmen:81 – Die Übungen der Verfahren für die Alarmierung und für das Überleben seien zu verstärken.

BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, LO(IN)-S 59-1006, Para. 1.a. Ebd., Para. 13.c. 78 BArch, BW 71/43, Nr. 1A: Incl. 1 to LO-S-59-1, APO 128, 18.4.1959; siehe auch die Zusammenfassung in ECLO, 24.3.1961, Section I to LO-TS-61-53, Para. 2.b, lfd. Nr. 5, 6, 8, 9, alle in Kl., BArch, BW 71/132, Nr. 27. 79 BArch, BW 71/43, Nr. 1A: Incl. 2 zu o.a. Vorg. 80 Ebd., Para. 3. des Anschreibens. 81 Siehe Incl. 1, Para. 2. zu o.a. Vorg. 76 77

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

– Die amerikanische »Northern Task Force«, v.a. Verbände der nuklearen Artillerie und das 11th Armored Cavalry Regiment (ACR) und andere amerikanische Truppenteile im NORTHAG-Bereich sollten bis auf Weiteres dort bleiben. – Französische Einheiten sollten sich auf Übungen in diesem Bereich vorbereiten. – Die Versorgung für die Berliner Garnisonen müsse, mit Ausnahme der Munition, für zwölf Monate reichen. – Die ostwärtigen (Zonen-)Grenzen würden verstärkt durch britische und amerikanische Bodentruppen kontrolliert82. – Die Überwachung der sowjetischen Militärmissionen in den drei alliierten Kommandobereichen, den ehemaligen Besatzungszonen, sei zu intensivieren. – Der französische Militärverkehr auf der Autobahn müsse erhöht und verstetigt werden. – Die Verfahren des alliierten Autobahnverkehrs seien zu koordinieren und zu vereinheitlichen. – Für Lufttransportoperationen sollten Stellungen für zusätzliche Navigationshilfen vorbereitet, entsprechende Geräte gemäß den Forderungen der Befehlshaber der Drei-Mächte aufgebaut werden. – Außerdem müsse für bestimmte, begrenzte Aufgaben ein Single Commander Berlin bestimmt werden, ohne dies öffentlich anzukündigen. Jetzt stellte sich die Frage, ob die sowjetische Seite von dem Vorhaben, keine öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen (»not creating public alarm«), beeindruckt sein würde.83 Andererseits konnten weitergehende Maßnahmen, obwohl sie keine Wirkung in der Öffentlichkeit zeigten, von der Sowjetunion dazu genutzt werden, »to create the alarm we wish to avoid«.84 Diese Maßnahmen wollte Norstad bis zum 27. Mai 1959,85 also nach Genehmigung, aber vor Ablauf des Ultimatums umsetzen, um damit vielleicht doch etwas Eindruck auf die Gegenseite zu machen. Abschließend wurden alle diejenigen Maßnahmen zusammengestellt und gemeldet,86 die als Antwort auf die Lageentwicklung um Berlin durch die Streitkräfte in Europa bereits eingeleitet oder vollendet worden waren. Es handelte sich dabei fast ausschließlich um Maßnahmen der US-Streitkräfte: die Verbesserung des westlichen Kontrollpunktes auf der Autobahn bei Helmstedt durch bauliche Maßnahmen und erweiterte Fernmeldeausstattung; einheitliche Verfahren für Konvois und für Einzelfahrzeuge, z.B. die Forderung, dass jedes Fahrzeug von mindestens zwei Personen besetzt sein musste; die verstärkte Nutzung der Autobahn, auch durch einzeln fahrende Fahrzeuge, Konvois in wechselnder Zusammensetzung, teilweise mit MP-Begleitung ohne besondere Kennzeichnung; die Überprüfung der Luftbrückenplanung (im Verborgenen); die Verbesserung der Fernmeldeausstattung in vielen Bereichen, auch durch besseren Schutz gegen elektronische Störmaßnahmen; schließlich die Verlegung von Truppenteilen über Dies geschah ohnehin: bei den Briten durch den British-Frontier-Service (BFS), bei den Amerikanern v.a. durch die ACR in ihren Border Camps. Ebenso verfuhren die Franzosen bis 1966. Verstärkte Einsätze waren vorbereitet. 83 BArch, BW 71/43, Nr. 1A: Para. 3, Incl. 1. 84 Ebd. Mit »we« sind die Drei Mächte gemeint. 85 Ebd., Para. 1, Incl. 1. 86 Ebd., Incl. 2, Para. 1.a‑1.e. 82



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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die Autobahn auf Übungsplätze im Westen und zurück nach Berlin. Dabei sollten die Waffen unauffällig getragen und niemals zur Schau gestellt oder in bedrohender Weise verwendet werden.87 Die Briten und die Franzosen hatten ihre Versorgungsbestände, mit Ausnahme der Munition, schon so weit aufgestockt, dass sie zwölf Monate reichten. Die nationalen Oberbefehlshaber stimmten nun den Vorschlägen rasch zu. Der Brite, Marshal of the Royal Airforce Sir William Dickson, nahm die Einsetzung eines Single Commander Berlin jedoch explizit davon aus.88 Es scheint, dass die QPPMM über lange Jahre keine Bearbeitung als eigenständige Kategorie mehr erfahren hatten. Einige Maßnahmen waren abgeschlossen oder Teil der Routine, wie beispielsweise die Auffüllung der Versorgungsvorräte. Andere wurden mit dem Alarmwesen der NATO abgestimmt bzw. in dieses integriert. Grundsätzlich gehörte dieser Maßnahmenkatalog nicht wirklich zu den Aufgaben von Live Oak, sondern er fiel unter die nationale Krisenvorsorge. Nur wenn Live Oak aktiviert wurde und dementsprechend Koordinierungsbedarf entstand, war die Organisation einzubeziehen. Inwieweit die QPPMM während der Krise um den Mauerbau in Kraft traten, ist nicht erkennbar. Verschiedentlich waren sie in den siebziger und achtziger Jahren Gegenstand von Diskussionen, die allerdings nie zu neuen Ansätzen führten. Dadurch wurde aber deutlich, dass sie Bestandteil des Instrumentariums geblieben waren, jedoch erst in der Krise auf den politischen Verhandlungstisch kamen und dann der förmlichen Zustimmung der Regierungen über die WAG bedurften.89 Die Verantwortlichkeit wurde abschließend geregelt: Es gab keine besondere Befehlskette für QPPMM. Sie wurden »national« befohlen, obwohl es Maßnahmen waren, die von der WAG genehmigt und von Live Oak unterstützt werden mussten.90 Im Zuge der umfassenden Überprüfung aller Eventualfallplanungen Mitte der achtziger Jahre gelangten auch die QPPMM erneut auf den Prüfstand, ohne dass grundsätzlich neue Ansätze gefunden wurden. Gegen Ende des Jahrzehnts kam wieder Bewegung in die Thematik. Der französisiche Colonel J.-M. Ruault stellte im Oktober 1989 alle zu diesem Zeitpunkt geplanten QPPMM, allerdings unter der neuen Bezeichnung Low Key Ground Measures (LKGM), in einer Matrix zusammen und ordnete sie in zwei Gruppen:91 In der ersten, unbezeichneten Gruppe (Part I) sind 23 Maßnahmen aufgelistet, die wohl die sowjetische Seite beeindrucken sollten, ohne die Öffentlichkeit zu alarmieren, während in Part II unter der Überschrift »Military Preparation«92 weitere 16 Maßnahmen zusammengefasst sind, die (auch) der Vorbereitung auf Live-Oak-Operationen dienten. Insgesamt handelte es sich also um 39 Maßnahmen, deutlich mehr, als in früheren Papieren unter dieser Rubrik genannt wurden. Anlass für dieses Papier war, wie aus dem Anschreiben hervorgeht, eine Anfrage während der Schlussbesprechung zur Ebd., Para. 2.e, S. 3. BArch, BW 71/43, Nr. 14: Para. 1 in WFD/649, 2.6.1959, LO(IN)-S-59-1037. 89 BArch, BW 71/16, Nr. 32: Para. 4, S. 1, erster Satz in SHLO/1094/2-11, 8.11.1983, Summary of Ground Plans, darin QPPMM, Para. 2‑5, S. 1 f. 90 Ebd., Para. 5, S. 2. 91 Siehe die Matrix in Anlage A zu BArch, BW 71/86, Nr. 10: SHLO O 86/1145, 23.10.1989, Subj. »Authority to Initiate ›Low Key Ground Measures‹«. 92 Ebd., Part II der Matrix, Annex A, S. 6‑8. 87 88

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Übung »Steadfast 13« im Januar 1989 gewesen:93 Warum müsse die WAG für viele dieser Maßnahmen eine Genehmigung erteilen, obwohl sie national oder in Berlin durch die Kommandanten ausgelöst werden konnten? Dieses Papier wurde der WAG, der Bonn Group, dem Chef des Stabes und den nationalen Delegationen in Live Oak zugesandt. Im Anschreiben wurde festgestellt, dass damit nicht versucht werde, die Befugnisse der WAG einzuschränken; das Papier sei vielmehr als Vorschlag zur Vereinfachung gedacht. Selbst wenn die WAG hier die Entscheidung für gewisse Maßnahmen delegiere, behalte sie das letzte Wort, denn sie könne jede Maßnahme beenden, jede Delegierung zurückziehen. Falls die WAG aber einverstanden sei, werde Live Oak aus diesem Vorschlag ein offizielles Planungsdokument machen. Eine Antwort ist anscheinend nicht mehr eingegangen. Es ist nicht erkennbar, ob jemals, über die anfangs geschilderten Maßnahmen hinaus, irgendwelche QPPMM im Verlauf einer krisenhaften Entwicklung um Berlin verhandelt, beschlossen und sogar ausgeführt worden sind. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass mindestens von den USA, vermutlich aber doch auch von anderen Nationen im Verlauf der Krise des Sommers 1961 einige QPPMM ausgeführt worden sind.

3. More Elaborate Military Measures94 Um in der Krise wirkungsvoll handeln zu können, bedarf es geeigneter Werkzeuge, die an Optionen eine gewisse Auswahl bieten müssen, insbesondere Möglichkeiten, auf den Gegenspieler Druck auszuüben. Ganz entscheidend war dabei die Dosierbarkeit aller Maßnahmen. Auf dem militärischen Sektor sollten nachdrücklichere Maßnahmen genau diesem Zweck dienen.95 Das Live Oak Basic Paper unterscheidet die Quiet Preparatory and Precautionary Military Measures als »diskrete« Vorkehrungen außerhalb der Aufmerksamkeitsschwelle von den More Elaborate Military Measures, die auch in der Öffentlichkeit beobachtet werden konnten. Letztere sollten greifen, wenn die sowjetische Regierung ihre Aufgaben der DDR übergab oder der alliierte Verkehr unter Einsatz von Gewalt blockiert würde.96 Was unter den nachdrücklicheren militärischen Maßnahmen konkret zu verstehen sei, wurde im Basic Paper nicht gesagt. Nur zwei Aspekte wurden näher behandelt: Mit welchen Mitteln zu Lande und in der Luft man die sowjetischen Absichten ergründen konnte, und wie und durch welche militärische Maßnahmen unter Einschluss militärischer Gewalt die Drei Mächte »die freie Durchfahrt nach Berlin wiederherstellen«97 konnten? Ebd., Para. 2. Diese Maßnahmen gehen über die in Kap. IV.2., behandelten QPPMM hinaus. Die Franzosen nutzten den Begriff »Mesures plus poussées«, siehe BArch, BW  71/116, Nr.  12, »Objet« in der Stellungnahme vom 3.11.1959, 10674/EMGDN/POM/GEMI/TS, S. 1. 95 Das impliziert das Basic Paper von 1959. Auch Clausewitz befasste sich damit, im übertragenen Sinne: Vom Kriege, S. 112‑128, sowie im Anhang S. 945‑947. 96 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, 4.4.1959, Para. 1.b, S. 2, Zit. ebd. 97 Ebd., Para. 11. 93 94



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Die grundlegende, von der WAG geforderte Studie wurde von Live Oak unter Zeitdruck des sowjetischen Ulitmatums in der aktuellen Krise erstellt und Ende Juni 1959 General Norstad vorgelegt.98 Sie benannte die als notwendig erachteten nachdrücklicheren militärischen Maßnahmen und die Rahmenbedingungen für deren Nutzung,99 ließ jedoch entscheidende Fragen unbeantwortet, da der Stab sich für weite Bereiche als nicht zuständig erklärt hatte.100 Der fast übergangslose Sprung vom Test-Konvoi auf der Autobahn zum thermonuklearen Krieg war geradezu atemberaubend.101 Die Stellungnahme Norstads zeigte deutlich seine Unzufriedenheit und wies zugleich neue Wege für weiterführende und korrigierende Überlegungen.102 Der General kam gleich eingangs auf einen entscheidenden Mangel der Studie zu sprechen: Während sie die Aufmerksamkeit auf einige wünschbare vorbereitende Maßnahmen lenke, würde sie keine hinreichend breite Palette von substanziellen militärischen Maßnahmen in Betracht ziehen, die vor dem Übergang zu einem thermonuklearen Krieg getroffen werden konnten.103 Norstad verwies angesicht dieser furchtbaren Alternative auf die Gefahr der Selbstabschreckung. Der gesamtstrategische Rahmen musste unbedingt berücksichtigt werden. Der relative militärische Vorteil, jetzt noch gespeist aus der nuklearen Überlegenheit, würde in den kommenden Jahren kaum zunehmen.104 Norstad stellte eigene Überlegungen zu militärischen Optionen an, immer verbunden mit den angenommenen sowjetischen Reaktionen. Aber die Alliierten mussten unbedingt Optionen entwickeln, die den sowjetischen Kräften unmissverständlich klar machten, dass ein General War drohe, wenn sie fortfuhren, den Zugang nach Berlin zu verhindern. Eine solche Drohung blieb indes ohne konventionelle militärische Optionen wenig überzeugend. Zunächst musste eine glaubwürdige Anstrengung unternommen werden, um den Landzugang mittels einer lokal begrenzten Operation wieder zu öffnen. Um den Einsatz bei diesem Poker zu erhöhen (»in order to raise the stakes«), müsse das Ziel darin bestehen, den Kreml von der Entschlossenheit der Drei Mächte zu überzeugen, ihre Rechte selbst unter dem Risiko des Krieges zu wahren, und die Möglichkeit eines erfolgreichen sowjetischen Bluffs auszuschließen. Dies konnte nicht mit einer schwachen »Probe« erreicht werden. Da CINCBAOR vorrangig als Führer einer solchen Operation in Frage kam, sollten dessen Vorstellungen über den Umfang einer entsprechenden Kräftegruppierung entscheidend sein. Die »Probe« musste stark genug sein, um selbst unter Feuer als eine ernstzunehmende militärische Anstrengung anerkannt zu werden. Das konnte von einem Bataillon, aber auch von einer noch größe BArch, 71/132, Nr. 1: Live Oak »Berlin Contingency Planning: More Elaborate Military Measures«, 26.6.1959, LO-TS-59-1015. 99 Auf diese erste Studie wird hier nicht weiter eingegangen, da erst die Überarbeitung ein brauchbares Ergebnis mit Entwicklungspotenzial ergab; hier wird nur die zweite Ausführung behandelt. 100 BArch, BW 71/132, Nr. 1: Para. 5, S. 2, Encl. 1. 101 Es ist nicht möglich, die Ursache für die Vorlage der Studie solch unbefriedigenden Inhalts zu erklären, da dazu nichts gesagt wird. Die scheinbar nur zeitlich begrenzte Aufgabe des Stabes und der Wechsel des COS gerade Anfang Juni 1959 mögen hierfür ursächlich gewesen sein. 102 BArch, BW 71/124, Nr. 1: LO-TS-59-1012. Nach Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 5, waren hier in die erste Fassung der Studie anscheinend vor allem britische Vorstellungen eingeflossen. 103 BArch, BW 71/124, Nr. 1: S. 1, Para. 1 f. 104 Ebd., S. 1 des Norstad-Schreibens, Para. 3. 98

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ren Formation geleistet werden. Den Einsatz von Luftunterstützung oder von atomaren Waffen sah Norstad zunächst nicht vor, er verlangte jedoch, dass sie einsatzbereit gehalten würden und für den Gegner »apparent« waren.105 Wenn die eigenen Kräfte durch aktiven Widerstand gehindert wurden weiter vorzurücken, sollten militärische Fühlung und Druck auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden. Diese Situation würde auf jeden Fall deutlich auf die drohende Gefahr eines totalen Krieges hindeuten und ohne jeden Zweifel die Entschlossenheit der westlichen Alliierten unterstreichen. Dadurch wäre eine Lage geschaffen, die militärisch steuerbar bleiben und ausreichend Zeit und Gelegenheit für fruchtbare Verhandlungen bieten würde. Selbst im schlimmsten Falle würde die Perspektive nicht unausweichlich die Katastrophe des totalen Krieges einschließen: »At worst, the prospect does not inevitably include the catastrophe of total war, at best, the Soviets might back down before such a show of willingness to accept risk and make sacrifices«.106 Die Hoffnung lag auf einer annehmbaren Lösung, ausgehandelt angesichts eines begrenzten, aber möglicherweise explosiven militärischen Konflikts. Diese Option sollte dann auch nicht von der Erfüllung aller möglichen Vorbedingungen, z.B. einem hohen Bereitschaftsstand oder der Einbeziehung des Bündnisses, abhängig gemacht werden, so wünschenswert dies aus militärischer Sicht auch sei.107 Norstad brachte einen weiteren wichtigen Punkt ein: Militärische Repressalien könnten probate Mittel sein, um Druck auf die Sowjetunion auszuüben, den Zugang nach Berlin wieder zu öffnen. Solche Vergeltungsmaßnahmen konnten zum Beispiel die Behinderung des sowjetischen See- und Luftverkehrs oder eine Störung der Navigationshilfen und des Fernmeldeverkehrs und schließlich auch die Intensivierung der unkonventionellen und psychologischen Kriegführung einschließen. Zusätzlich sollten auch Überlegungen aufgenommen werden, den Luftzugang durch militärische Maßnahmen zu sichern und aufrechtzuerhalten.108 Damit hatte Norstad die Lücken in der für ihn unbefriedigenden Studie des Stabes aufgezeigt und auf Möglichkeiten zu deren Schließung hingewiesen. Der Befehlshaber ließ die Studie überarbeiten und forderte, geeignete Konzepte mindestens für weiterreichende Aufgaben zu entwickeln: erstens den Einsatz ausreichend starker militärischer Kräfte, um den Land- oder den Luftzugang wieder zu öffnen, und zweitens mögliche militärische Vergeltungsmaßnahmen.109 Einen Monat später legte Live Oak eine überarbeitete Fassung mit folgenden Themen vor:110 »Military Preparedness«, »Countermeasures«, »Maintaining Air Access to Berlin«, »Use of Military Force to Reopen Autobahn Access« und »SACEUR’s Alert Ebd., Para. 4‑6, S. 2 (Zit. Para. 5). Ebd., Para. 7, S. 2. Ebd., Para. 7 und Para. 8 (hier das Zit.), S. 2 f. Was die erste Studie gar nicht untersucht hatte: siehe BArch, BW 71/132, Nr. 1; und BW 71/124, Nr. 1, Para. 9, S. 2. 109 BArch, BW  71/124, Nr.  1: Para.  10, S.  3. Diese würden Teil der Militärischen Gegenmaßnahmen, die in der Anlage B der Studie behandelt wurden, siehe die Darstellung in Kap. III.5 und in Kap. IV.4‑IV.9. 110 BArch, BW 71/132, Nr. 2: ECLO 300/20, 24.7.1959, LO-TS-59-1021; Begleitschreiben des COS dazu: BArch, BW 71/132, Nr. 3: ECLO 525/, [?], LO-TS-59-1022. 107 108 105 106



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Measures«.111 Alle wichtigen Bereiche waren nun erfasst. Die beiden zuvor aktivierten Szenarien bildeten die Basis für die Planung: die Übergabe aller Aufgaben sowohl für den Zugang zu Lande wie durch die Luft von der Sowjetunion an die DDR sowie die gewaltsame Unterbrechung des Verkehrs nach Berlin. Die Maßnahmen im Rahmen des ersten Szenarios zur Herstellung der militärischen Bereitschaft waren breit gefächert und in verschiedene Gruppen sortiert.112 Damit hatte man einen Katalog möglicher More Elaborate Military Measures erstellt. Die erste Gruppe enthielt Maßnahmen im Straßen-, Bahn- und Luftverkehr, die vor allem den DDR-Organen die Ausübung der neuen Aufgaben verwehren sollten, ohne übertrieben zu provozieren. Hier waren zehn Möglichkeiten genannt, von Änderungen der Reisedokumente bis zur Nutzung der Luftkorridore in Höhen über 10 000 Fuß, was bisher unüblich gewesen war.113 Teilweise ergänzten sie die QPPMM. Die zweite Gruppe umfasste elf Positionen, mit denen die alliierte Entschlossenheit demonstriert werden sollte, ihre Zugangsrechte zu wahren: von erkennbaren Übungen der Autobahn-»Probe« über besondere Alarmübungen bis zu verstärkten Bemühungen, durch Aufklärung, etwa aus den Luftkorridoren, Erkenntnisse über den Landzugang zu gewinnen.114 Schließlich fanden sich in der dritten Gruppe ganze sieben Maßnahmen, um die militärische Bereitschaft der Drei Mächte zu erhöhen und ihre Kampfkraft zu stärken: von der Zuführung von Verstärkungskräften über die Aktivierung von Frühwarnsystemen bis zur Nutzung geheimer Nachrichtenwege, um der Gegenseite Informationen zuzuspielen, und zur Auslösung ausgewählter, sichtbarer Alarmmaßnahmen.115 Alle diese Maßnahmen konnten flexibel, einzeln oder in Gruppen und im Verbund mit politischen, zivilen, wirtschaftlichen und sonstigen, besonders die Öffentlichkeit nutzenden Optionen eingesetzt werden. Auch der mögliche Einsatz von Seestreitkräften wurde in diesem Zusammenhang erstmals erwähnt. Eine große Bandbreite weiterer Gegenmaßnahmen hatte eine etwas andere Zielsetzung: Sie sollten einerseits ständigen Kontakt mit der sowjetischen Seite erlauben, das Gespräch also nicht abreißen lassen, und gleichzeitig einen nicht näher definierten, stetigen Druck auf die Sowjetunion ausüben. Ihre Wirksamkeit im Voraus zu beurteilen, war nicht möglich. Derlei konnte erst im Lichte der politischen und militärischen Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung und ihrer Ausführung geschehen. Es ging auch nicht um eine alttestamentarische Vergeltung Auge um Auge, sondern der Zweck war eher, Druck auszuüben, um Konzessionen zu erwirken.116 Im Gegensatz zur ersten Studie wurde diesmal die Aufrechterhaltung des Zugangs durch die Luft nicht ausgespart. Das Spektrum der Gefahren und die angebrachten Gegenmaßnahmen wurden intensiv behandelt. Für den Fall, dass die Sowjetunion oder die DDR alliierte Flugzeuge abschossen oder zur Landung zwangen, gab es zwei Optionen: Siehe die Anlagen A‑E: Anlage A in BArch, BW 71/132, Nr. 2; und die Anlagen B‑E in BArch, BW 71/15, Nr. 47. 112 BArch, BW 71/132, Nr. 2: Para. 3.a, 4 und 5 sowie App. A. 113 Ebd., App. A, Para. 3.a‑j. 114 Ebd., App. A, Para. 4.a‑k. 115 Ebd., App. A, Para. 5.a‑g. 116 Ebd., Hauptteil, Para. 6, S. 3, und App. B. 111

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erstens »limited air effort«, also Maßnahmen, die eher »probenartigen« Charakter haben und die wirklichen Absichten der Gegenseite klären sollen; oder zweitens »more substantial air effort«, also Gegenmaßnahmen mit größerem Kräfteeinsatz.117 Der Einsatz dieser Optionen musste aber so gesteuert werden, dass Verhandlungen erleichtert und die Sowjetunion unmissverständlich mit der Aussicht auf den General War konfrontiert würde, wenn sie fortfuhr, den Luftzugang massiv zu stören. Bei der Würdigung dieser Vorschläge durfte jedoch nicht vergessen werden, dass sie die Nutzung von Luftstreitkräften verlangten, die der NATO für den Einsatz auf dem europäischen Kriegsschauplatz zugewiesen seien.118 Zudem konnten taktische Luftoperationen mit dem Ziel, den freien Luftzugang nach Berlin aufrechtzuerhalten, nicht auf unbestimmte Zeit durchgehalten werden.119 Der Einsatz von Landstreitkräften mit dem Ziel, den Zugang nach Berlin über die Autobahn wieder zu öffnen, konnte drei Aufgaben erfüllen: erstens die Initiative in dieser Frage zu ergreifen, also zu agieren und nicht nur zu reagieren; zweitens Umstände zu schaffen, in denen Verhandlungen mit der Sowjetunion sich als fruchtbar erweisen könnten; und drittens diese zu zwingen, sich mit dem unmissverständlich drohenden General War zu befassen.120 Um die Chance auf einen Erfolg in einer Krise wahren zu können, mussten jedoch verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Unbedingt notwendig war ein »proper psychological climate«, was nötigenfalls, etwa durch geeignete Öffentlichkeitsarbeit, geschaffen werden musste, sowie eine hinreichende Beurteilung der möglichen sowjetischen Reaktionen. Daher musste die Aufklärung des gegnerischen Blocks verbessert werden. Allen Beteiligten musste stets klar sein, dass aus jeder militärischen Operation der Drei Mächte, die einer »Probe« folgte, ein thermonuklearer Krieg entstehen konnte. Trotz der damit verbundenen Schrecken musste alles getan werden, um sich darauf vorzubereiten und den für die Entscheidung angemessenen Bereitschaftsstand zu erreichen, einschließlich der Mobilmachung, der Zuführung von Verstärkungen und der Zivilen Verteidigung. Jede Operation der Drei Mächte auf dem Lande würde von einem Operationsgebiet der NATO ausgehen. Es war daher ratsam, in einer Krise andere NATO-Nationen zu konsultieren, bevor man operative Handlungen begann, die zu großräumigen Operationen führen konnten, insbesondere Belgien, die Niederlande und Westdeutschland. Ferner musste General Norstad alle Operationen führen, da die sowjetischen Kräfte in der Lage waren, mit einem massiven Überraschungsangriff auf breiter Front zu antworten. Dies hatte zudem den Vorteil, dass die ständig verfügbaren Führungs- und Fernmeldekapazitäten von SHAPE genutzt werden konnten. Bevor irgendeine militärische Operation »beyond the initial probe« angesetzt wurde, waren militärische Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, die auf dem Alarmsystem von SACEUR aufbauten. Diese wurden in vier nach Aufwand und Zeitintensität gestufte Gruppen eingeteilt.121 Im Fokus standen noch weitere Aktivitäten außerhalb Europas, die über den direkten Zuständigkeitsbereich von Live Oak hinausgingen. Diese würden, so hoffte man, die Ebd., Hauptteil, Para. 7, S. 3, und App. C. »NATO-assigned forces« in der Terminologie der NATO, siehe BArch, BWD 5/1424: AAP-6 (K), 1972, S. 2‑87. 119 BArch, BW 71/132, Nr. 2: Para. 7, S. 3 der Studie. 120 Ebd., Para. 8. Die Einzelheiten werden in App. D behandelt. 121 Ebd., Para. 9‑13. 117 118



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UdSSR weit mehr beeindrucken können als alles, was die Streitkräfte der Drei Mächte in Europa leisten konnten, beispielsweise Einsätze der Strategischen Luftstreitkräfte auch demonstativer Art oder verstärkte Tätigkeit zur See.122 Damit wurde erneut die Möglichkeit eventueller Maritimer Gegenmaßnahmen angedeutet. Live Oak unterstrich schließlich, »that none of these more elaborate military measures would be effective by themselves; rather, they must be employed as part of a political, economic and psychological assault on the Soviets«.123 Dieser entscheidende Aspekt, der integrative Gesamtansatz, umfasste auch das unverzichtbare Diktum, dass jedes militärische Handeln der Drei Mächte »must be backed up by the threat of nuclear power«.124 Der Grundgedanke von Live Oak war, dass begrenzte Kräfte, unterstützt durch die Drohung mit dem nuklearen Krieg, dazu genutzt wurden, günstige Umstände für Verhandlungen der Drei Mächte mit der Sowjetunion zu schaffen. Trotz alledem blieb die richtungweisende, hochpolitische Erkenntnis: »no military action could by itself reopen access to Berlin, if the Soviets remain determined to prevent such access by the use of force.«125 Sie bildete die Basis für das militärische Handeln von Live Oak bis zum Schluss. Das Fundament für die weitere Arbeit war damit gelegt. Doch jetzt meldeten die Briten Vorbehalte an. Der britische COS, General Cooper, bemerkte, dass es in der Frage des Zugangs auf der Autobahn ein Gespräch mit dem CINCBAOR, General Sir Dudley Ward, gegeben habe.126 Dieser hatte in einer Krise die Operationen auf der Autobahn zu führen. Der CINCBAOR hatte dabei dezidiert zu drei Punkten Stellung bezogen: Erstens hatte er gefordert, dass alle Vorbereitungen für einen nuklearen Krieg abgeschlossen sein müssten, bevor eine begrenzte Operation geführt werden dürfe. Zweitens durfte es »no invasion« auf den Boden Ostdeutschlands geben, wie etwa die Bildung eines Brückenkopfes rund um den Kontrollpunkt Marienborn. Und drittens: Die Gliederung der auf der Autobahn gegebenenfalls einzusetzenden Kampfgruppe musste dem sehr begrenzten Auftrag Rechnung tragen.127 Vor allem die klaren Aussagen in den ersten beiden, hochpolitischen Punkten machen deutlich, dass hier wohl eine Weisung der britischen Regierung umgesetzt worden war. London wollte den Handlungsspielraum für Live Oak in einer Krise klar begrenzen. Franzosen und Amerikaner sahen dies offensichtlich weniger dramatisch, sie wollten wohl die weiteren Planungen abwarten.128 Die Studie in ihrer endgültigen Form ging am 5. August mit der Unterschrift Norstads zur Stellungnahme und mit der Bitte um Zustimmung an die CHODs der Drei Mächte.129 Doch entsprach sie offensichtlich noch immer nicht ganz Norstads Vorstel 124 125 126

Ebd., Para. 14. Ebd., Para. 16, S. 6; beachte den Begriff »assault«. Ebd., Para. 17.a, S. 6. Ebd., Para. 17.b(3). BArch, BW 71/124, Nr. 3: ECLO 252/, 24.7.1959, LO-TS-59-1022, Para. 4 und 5 des Schreibens. 127 Ebd., Para. 4.a‑4.c. 128 General Ward ließ auch übermitteln, dass er seine Stellungnahme schriftlich bis zum 25. Juli General Norstad zusenden werde, siehe ebd., Para. 5; das unterstreicht das Vorgehen noch. Der angekündigte Brief befindet sich nicht in BW 71. Vgl. auch Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 4 f. 129 Nicht überliefert in BW  71. Im bereits erwähnten »After Action Report for Live Oak«, Draft, 1.3.1960, 68 USLO-TS-00116, BArch, BW 71/43, Nr. 55, ist das Dokument unter Nr. 20 genannt. 122 123

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lungen, wie sein politischer Berater, Raymond Thurston, berichtete: Der General habe erst nach beträchtlicher Gewissensprüfung unterschrieben, da er der Auffassung gewesen sei, dass die Studie tatsächlich nur teilweise auf seine kritischen Bemerkungen zum ersten Entwurf eingegangen sei. Einer der Gründe, warum Norstad die Studie trotzdem versenden ließ, war wohl die Überlegung gewesen, dass wegen der augenblicklichen Entwicklung der internationalen Lage die Planungen von Live Oak in der unmittelbaren Zukunft von den Regierungen nicht viel Aufmerksamkeit erwarten dürften.130 Das Ultimatum war ja ohne weitere Drohungen ausgelaufen, die Krise in Verhandlungen über Deutschland übergegangen. Bis Anfang November 1959 trafen die Antworten der drei CHODs ein. Sie waren überwiegend zustimmend formuliert, doch gab es wie erwartet Vorbehalte, vor allem von britischer Seite. Die rascheste, inhaltsreichste und vorsichtigste Stellungnahme kam vom britischen CHOD.131 Im von Lord Mountbatten selbst unterschriebenen generellen Teil wird die britische Auffassung wie folgt zusammengefasst: Den meisten Feststellungen und Vorschlägen zur Ergänzung der QPPMM wurde grundsätzlich zugestimmt – mit der Bedingung, dass die Ingangsetzung jeder einzelnen Maßnahme Gegenstand der politischen Bewertung blieb. Dies machte insofern Sinn, als viele der vorgeschlagenen Maßnahmen, die den Druck auf die Sowjetunion erhöhen sollten, tatsächlich nur durch die auf den globalen Krieg vorbereitete NATO eingesetzt werden konnten. Insbesondere der vorgesehene Einsatz der Luftstreitkräfte zur Offenhaltung der Korridore konnte negative Folgen für deren Verfügbarkeit in nachfolgenden Luftoperationen haben. Der Grundbestand der nuklearen Bomber durfte nicht angetastet werden. Mit der Einschätzung, dass keine Operation zu Lande aus sich heraus wieder den Zugang über die Autobahn nach Berlin öffnen könne, war Mountbatten voll einverstanden. Bei einer erfolglosen »Probe« auf der Autobahn wäre nach britischer Auffassung höchstens noch der Einsatz einer Kampfgruppe in Bataillonsstärke zu verantworten, aber nicht einer noch größeren Gruppierung, und auch dies bräuchte die Unterstützung in Form der Drohung mit der nuklearen Macht. Großbritannien signalisierte damit grundsätzliche Kooperationsbereitschaft im Falle einer Krise, versah dies aber mit deutlichen Vorbehalten. Mountbatten hatte sich ohnehin weitgehend auf die militärischen Fragen konzentriert und die politischen Punkte nicht behandelt. Alles würde im Ernstfall von den Entscheidungen der Minister abhängen. Daher galt: »It is, of course, well understood between us that military planning is entirely without commitment«.132 Die Stellungnahme der Joint Chiefs of Staff ist wesentlich knapper und im Ton positiver als jene der Briten.133 Die Amerikaner bestätigten im Wesentlichen die einzelnen Punkte und forderten, dass die militärischen Pläne für den Eventualfall zur Aufrechterhaltung des Zugangs zu Lande und durch die Luft nach Berlin vorzubereiten seien. Die JCS nahmen offensichtlich eine härtere Haltung als die Briten ein: »the Soviets would Nach NSA, Thurston an Kohler, 17.8.1959, erwähnt von Pedlow, Allied Crisis Management, S. 94. Stellungnahme UK CHOD, 21.9.1959, BArch, BW 71/124, Nr. 5: Memorandum for the COS, LO(IN)-TS-59-2020, 9.10.1959. 132 BArch, BW 71/124, Nr. 5: Para. 3, S. 2. 133 JCS Cable Nr. 967199; Original nicht im Bestand BW 71, erwähnt in ECLO Draft »After Action Report for Live Oak«, 1.3.1960, lfd. Nr. 26, 68 USLO-TS-00116, BArch, BW 71/43, Nr. 55. 130 131



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back down in face of a threat of war«.134 Sie waren sich mit Sicherheit auch bewusst, dass die Entscheidungen über alle militärischen Optionen stets bei der politischen Führung lagen. Der französische Generalstabschef (Chef d’État-Major des Armées, CEMA), General Paul Ely, stimmte am 3. November 1959 zu, machte jedoch einige bedeutsame Anmerkungen: Die spezifisch militärischen Maßnahmen für die Wiederherstellung des Zugangs in der Luft bzw. zu Lande konnten als Grundlage für eine vertiefte operative Planung der Drei Mächte dienen. Ferner sahen die Franzosen die Gefahr einer Eskalation, anders als das Live-Oak-Papier, nicht nur bei einer Aktion auf der Autobahn, sonder auch in der Luft als gegeben an. Auch für diesen Fall sollten die Alarmmaßnahmen von SACEUR berücksichtigt werden. Dann schlug Ely etwas widersprüchlich die Schaffung einer geeigneten Organisation der Drei Mächte für angemessene »Gegenmaßnahmen« vor, für welche die Einzelheiten erst noch erarbeitet werden müssten.135 Genau dafür war aber Live Oak vorgesehen.136 Ansonsten war auch für die Franzosen klar: Es bestand immer das Risiko des Krieges, das nur zum gegebenen Zeitpunkt entsprechend der Lage beurteilt werden konnte. »Les Gouvernements doivent donc être seuls juges de l’opportunité de leur mise en oeuvre totale ou partielle, simultanée ou successive«.137 Es blieb unmissverständlich klar, dass die Regierungen stets die Kontrolle behalten mussten. Ansonsten hielt sich auch die französische Stellungnahme nicht mit Kritik an einzelnen Maßnahmen auf. In der Folgezeit gingen die Arbeiten an diesem umfangreichen und komplexen Bereich verhältnismäßig langsam voran. Die Gründe waren der nachlassende Druck nach der Begegnung Eisenhowers mit Chruščev in Camp David im September 1959, die Verhandlungen und – bei Live Oak – die Reduzierung des Stabes zum 1. Oktober 1959, was seine Arbeitskapazität maßgeblich verringerte. Im Februar des Folgejahres meldete dann der Leiter des verkleinerten Live-Oak-Stabes, der amerikanische Colonel Thomas W. Sharkey, die Ergebnisse der Arbeiten von Zit. aus Pedlow, Allied Crisis Management, S. 93. Siehe hierzu auch die Äußerungen amerikanischer Politiker, z.B. von John Foster Dulles. 135 BArch, BW  71/116, Nr.  12: Nr.  10674/EMGDN/POM/GEMI/TS, 3.11.1959, LO(IN)TS-59-2023, S. 1 f., Para. 2 und Para. 3; sowie BArch, BW 71/15, Nr. 47, Anlagen B, C, D und E. 136 In der franz. Fassung heißt es: »dans le cadre d’une coopération appropriée«. Die engl. Fassung trägt eine Fußnote mit der Bemerkung: »Implication confirmed by Col. Hounau, French Team, Live Oak«, BArch, BW  71/116, Nr.  12: Para.  4, S.  2, Annex A, LO(IN)-TS-59-2023. Daraus könnte geschlossen werden, dass Live Oak diese Organisation nach französischen Vorstellungen sein sollte. Dies wird im Januar noch einmal in einem anderen Memorandum erwähnt: ECLO 300/114, 7.1.1960, LO-TS-60-1, BArch, BW 71/116, Nr. 13. Es gab allerdings eine Kontroverse über die ›richtige‹ Übersetzung der französischen Stellungnahme. So wurde zusätzlich zur ›Live Oak agreed‹-Übersetzung, die der französische Teamleiter genehmigt hatte, eine britische Version gefertigt. Siehe hierzu die Notiz für EUCOM, Col. Reinecke: ECLO 300/97, 24.11.1959, LOTS-59-1091, BArch, BW 71/116, Nr. 7. Der abschließende Kommentar ist zwar nicht korrekt, fand aber »fröhliche« Aufmerksamkeit: »It has been pointed out to the members of Live Oak that translations are like women – they can be either beautiful and faithful. Steps have been taken within Live Oak to dispatch in the future only the Live Oak agreed (faithful) translations of documents.« Ebd., Para. 5, S. 1. 137 BArch, BW 71/116, Nr. 7: Para. 5, S. 2; auf Deutsch: Die Regierungen müssen also diejenigen sein, die allein über die Angemessenheit ihres Einsatzes, ganz oder in Teilen, gleichzeitig oder nacheinander, entscheiden dürfen. 134

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Live Oak im Herbst und Winter 1959/60, insbesondere einige Studien, mit denen sich Live Oak gerade intensiv auseinandersetzte.138 Es ging um mögliche sowjetische Reaktionen auf eine »Initial Probe«, um den Zeitbedarf, den man für den Einsatz von nachdrücklicheren militärischen Maßnahmen in die Überlegungen einbeziehen musste, und schließlich um die Wechselbeziehungen zwischen den Plänen über die »Initial Probe«Operationen und der zeitlichen Planung weiterer More Elaborate Military Measures (daraus sollte später die wichtige »Correlation Study« werden). Damit waren die wichtigsten Aufgabenfelder abgesteckt, deren Bearbeitung in den folgenden Wochen und Monaten trotz des abgeklungenen Krisenbewusstseins Früchte tragen sollte. Die Studien über »mögliche sowjetische Reaktionen« und über »den Zeitbedarf« wurden im Mai 1960 fertiggestellt und General Norstad zur Billigung vorgelegt.139 Die Untersuchung über »Possible Soviet reactions to an ›initial probe‹« kam zum Ergebnis, dass es aufgrund der großen Bandbreite von gegnerischen Optionen den Alliierten nicht möglich sein werde, die genaue Reaktion auf eine solche »Probe« zu bestimmen. Die sowjetische Reaktion würde im Wesentlichen von politischen Motiven bestimmt sein. Wollte man Hinweise auf die sowjetischen Reaktionen erhalten, waren in der Folge konzentrierte Anstrengungen der Nachrichtengewinnung unerlässlich. Um die »Probe« als solche erkennbar zu machen, war es entscheidend, den Kreml vorher auf diplomatischem Weg über die Absichten, die damit verfolgt würden, zu informieren. Eine öffentliche Bekanntmachung der Drei Mächte hierzu war ebenfalls wichtig: Es galt, die DDR entsprechend zu benachrichtigen, die Möglichkeit einer sowjetischen Fehlinterpretation der »Probe« zu minimieren und die besten Bedingungen zu schaffen, die sowjetischen Absichten auch tatsächlich herauszufinden.140 Als Beispiele für sowjetische Reaktionen wurden zwei praktische Szenarien detailliert dargestellt: Das erste Szenario141 versuchte das sowjetische Verhalten nach Kontakt mit Live-Oak-Kräften auszuloten, beginnend bei der Ankunft der »Probe« am ersten Schlagbaum auf der Autobahn. Es folgte die Antwort bzw. die Gegenmaßnahme des Führers der »Probe«, der wiederum eine Reaktion der anderen Seite folgte, usw. Diese Lagen endeten positiv, d.h. mit der Ankunft in Babelsberg, am östlichen Ende der Autobahn. Es handelte sich hier um Reaktionen auf unterster Ebene, die aber möglicherweise ganz oben, in Moskau, entschieden wurden. Im zweiten Beispiel werden die möglichen sowjetischen Reaktionen untersucht für den Fall, dass die »Probe« von den Sowjets vor deren Einsatz aufgeklärt wurde. Die Reaktionen würden in diesem Fall, nach Meinung der Verfasser der Untersuchung, eine viel größere Bandbreite umfassen: von »keiner Reaktion« über »politische Äußerungen aller Art« und »Mobilmachung« bis zu »Vorbereitungen für den Allgemeinen Krieg«, je nach

BArch, BW 71/132, Nr. 6: Aide-Memoire ECLO 300/137, LO-TS-60-17, 26.2.1960, hier S. 2, Para. 6. 139 BArch, BW 71/116, Nr. 17: ECLO 300/134, 9.5.1960, LO-TS-60-16. Hier handelt es sich nur um das Begleitschreiben. 140 BArch, BW 71/116, Nr. 15: ECLO 300/113, Annex 1 zu LO-TS-60-12: A Study of possible Soviet reactions to an initial Probe, 18.2.1960, v.a. Para. 20, S. 6. 141 BArch, BW 71/124, Nr. 6 ECLO 300/135, LO-TS-60-12, 1.10.1960, Appendix A zu Annex 1, LO-TS-60-10. 138



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der Perzeption des Erkannten und der Entscheidung für die Umsetzung. Ein praktisches Ablaufschema stellte man sich wie folgt vor:142 »Period D143 Minus 7 to D Minus 2. a) The Soviets have obtained precise information on the nature and aim of the probe. They know it is a test and not an aggressive action. Their reactions can be: (1) Political, diplomatic and propaganda moves designed to place the Allied Powers in the position of the aggressor, presenting these moves as preparation for future aggressive action. (2) Same attitude, including the taking up of atomic, strategic or tactical military dispositions. (3) Civilian demonstrations in the GDR or on the autobahn. (4) No reaction. b) The Soviets are badly informed on the tripartite intentions and they interpret them as preparations for an aggressive act.«144

Die Ergebnisse dieser Arbeit flossen in die Überlegungen zur »Correlation Study«145 wie auch des Operationsplanes für den Einsatz der »Probe« ein. Sie wurden ebenfalls relevant für spätere Betrachtungen in den diplomatisch-politischen Gremien zum Krisenmanagement um Berlin. In einer weiteren Studie mit dem Titel »Timing Required for Implementing More Elaborate Military Measures«146 wurde das zu lösende Problem wie folgt definiert: Es sei die Zeit für die Durchführung der More Elaborate Military Measures festzulegen. Live Oak hatte also den Zeitbedarf als eine kritische Größe erkannt. Die Maßnahmen waren in zwei Gruppen aufgeteilt worden: in solche, die in weniger als sieben Tagen147 durchgeführt werden konnten, und in jene, die mehr Zeit brauchten. Dabei war zu berücksichtigen, dass es Maßnahmen gab, die zwar schnell ausgelöst werden konnten, aber viel Zeit in Anspruch nehmen, bis sie praktische Ergebnisse zeitigten. Der Akt der Auslösung jedoch würde schon die alliierte Entschlossenheit zeigen und müsse daher unmittelbare Wirkung bringen. Viele Maßnahmen verlangten die Verlagerung oder Verstärkung von Personal und die Bereitstellung von Material. Hier stellte sich erneut und verschärft das Problem der Schnittmengen mit der NATO. Die Notwendigkeiten bei Live Oak in einer Krise konnten schnell zu einem Prioritätenkonflikt mit der NATO in der Vorbereitung auf den Krieg führen, nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnis, dass die selektive Anwendung nur weniger Maßnahmen nicht den gewünschten Druck auf die Gegenseite ausüben würde. Ein hoher Anteil der Maßnahmen musste daher gemeinsam mit der NATO in einer konzertierten Anstrengung eingesetzt werden können. Als Schlussfolgerung ergab sich: »The great majority of the measures can bei implemented in 144 145 146 147 142 143

Ebd., App. B, Annex 1, S. 1, LO-TS-60-10, BArch, BW 71/124, Nr. 6. D steht für den vorgesehenen Tag, an dem die »Probe« eingesetzt werden sollte. BArch, BW 71/124, Nr. 6: Zit. aus S. 1 f. des App. B, Annex 1, LO-TS-60-10. Ebd., ECLO 300/135, 1.10.1960, LO-TS-60-12. BArch, BW 71/116, Nr. 15: ECLO 300/136, Annex 2 to LO-TS-60-12. Diese sieben Tage wurden als Mindestzeit für die Vorbereitungen der »Probe«-Operationen angenommen, wie aus der Meldung des CINCBAOR vom 3.2.1961 zu erkennen ist: BArch, BW 71/117, Nr. 32: BO/B 1161/5/1 G (Ops and Plans), LO-TS-61-2011. Siehe auch D-7 in der Studie »Possible Soviet Reactions« in App. B, S. 1 to ECLO 300/113, LO-TS-60-10, Annex 1 to ECLO 300/135, LO-TS-60-12, 1.10.1960, BArch, BW 71/124, Nr. 6.

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less than seven days but some important ones will take longer and may, therefore, have to be ready prior to the execution of the probe. Almost all the measures have political, economic and psychological facets which cannot be studied within Live Oak.« Live Oak musste sich ohnehin auf die militärische Beurteilung beschränken, die politische oblag grundsätzlich und ausschließlich der WAG.148 Mit diesen beiden Studien hatte Live Oak wichtige Grundlagen für weiterführende Arbeiten geschaffen. Die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen sind in eine überwölbende Studie über die Wechselwirkungen149 und Abhängigkeiten sowie die Koordination aller Maßnahmen eingeflossen: die »Correlation Study«.150 Das Ziel bestand in der Finalisierung der Planungen auf hohem Niveau und der Gewährleistung der entsprechenden Einsatzfähigkeit. »The Three Governments intend to bring Berlin access planning to a state of completion and agreement from which any portion of the planning may be executed if required«.151 Neben der Nennung der üblichen Vorgaben wurde betont, dass eine »Probe« nur dann eine realistische Chance auf Erfolg habe, wenn man gewisse Daten über sie und ihren Zweck vor dem Einsatz veröffentlichte und dabei insbesondere klargemacht würde, dass nur eine begrenzte militärische Aktion erfolgen würde. Sonst könnten die Sowjets erklären, sie gingen gegen eine »apparent invasion of East Germany«152 vor, wenn sie eigene oder Kräfte der DDR gegen die »Probe« einsetzten oder sie behinderten. Eine »Probe« konnte in viele Fallen laufen, von denen jede den Auftrag gefährden würde. Die sowjetischen Kräfte konnten die »Probe« von Helmstedt nach Berlin fahren lassen und unmittelbar hinter ihr jeden Verkehr anhalten. Sie konnten auch eine nur leicht bewaffnete »Probe« an jeder Stelle der Autobahn festhalten und der Welt erzählen, sie hätte auf dem Weg nach Berlin widerrechtlich gehandelt. Oder sie blockierten die »Probe« durch ein Verkehrshindernis, wobei nicht klar zu erkennen war, ob sie wirklich die Absicht hatten, die »Probe« zu behindern.153 Bevor die Entscheidung getroffen wurde, eine »Probe« einzusetzen, mussten die Drei Mächte sich darüber verständigt haben, dass dieses Handeln gegebenenfalls zu einem Entscheidungskampf, einem »final show-down«, führte. Von Anfang an musste jedes Element Teil eines umfassenden, integrativen Gesamtkonzeptes sein. »The probe must be regarded as the initial phase of a comprehensive plan whose objectives should be to provide the three Powers with continuous military and psychological initiative over the Soviets. Such a plan must be designed to force the Soviets to negotiate or to face the unmistakable imminence of general war. The prove should be considered an implemented as one step in a preconceived sequence of events, involving actions to be taken both before and after the probe has been executed.«154 BArch, BW 71/124, Nr. 6: ECLO 300/136, Para. 5, S. 3, Annex 2, Zit. ebd. Ebd., »Correlation of Live Oak Studies Relating to Maintaining Access to Berlin«, ECLO 300/135, 1.10.1960, LO-TS-60-12. 150 ECLO 300/135, 1.10.1960, LO-TS-60-12, BArch, BW 71/116, Nr. 15. 151 Ebd., Para. 3, S. 2. 152 Zit. aus BArch, BW  71/124, Nr.  6: ECLO/135, LO-TS-60-12, 1.10.1960, Correlation Study, Para. 5.a(2). 153 Ebd., Para. 5.b(1). 154 BArch, BW 71/116, Nr. 17: Para. 3, S. 2; siehe ebenso »Correlation Study«, Zit. ebd. 148 149



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Während die verschiedenen Einzelweisungen, die »Letters of Instruction«, ihren Weg nahmen und die Planungen bei den zuständigen Hauptquartieren zu Ergebnissen führten, blieb die »Correlation Study« zunächst ohne Entscheidung bezüglich Inhalt und weitere Behandlung. Norstad ließ sich mit der Überprüfung Zeit, sodass die Studie erst am 1. Oktober fertiggestellt und dann an die CHODs übersandt wurde. Es folgten für den Grundcharakter westlicher Verteidigungsplanung wichtige Diskussionen über die Frage, ob die einzelnen Maßnahmen in einen einzigen Plan aufzunehmen seien, als Unter- oder Teilpläne gewissermaßen, oder ob es unter einem allgemeinen Auftrag keinen festen »Master Plan«, aber eine Vielzahl von Plänen in einem gemeinsamen Rahmen geben sollte, die es der politischen Führung erlaubten, unter vielen Optionen die genau passenden, auf die aktuelle Situation zugeschnittenen Pläne auszuwählen. Die letztgenannte Lösung war die von der Politik favorisierte.155 Alles wurde daher in einer Art Katalog zusammengefasst, dem BQD-CC-1 »Status of Berlin Contingency Planning«.156 Ein allzu starrer, verbindlicher Gesamtplan wurde als eher hinderliches Korsett betrachtet. Direkte Reaktionen der CHODs auf die Studie sind in der Überlieferung nur wenige zu finden; sie fand aber offensichtlich eine positive Aufnahme.157 Die Überlegungen und Schlussfolgerung darin bildeten die Grundlage für diverse weitere Studien und Dokumente der Drei, später der Vier Mächte, besonders in der Ambassadorial Group in Washington, wie General Roger J. Noiret berichtet hatte, aber auch für die Planungen der NATO ab Herbst 1961. Daraus entstanden in den folgenden Monaten zahlreiche weitere Grundsatzpapiere. Neben dem BQD-CC-1, dem Katalog »Status of Berlin Contingency Planning«158, erstellte man BQD-CC-11 »Military Countermeasures«,159 das aktuelle Verzeichnis all dieser Maßnahmen, und BQD-M-20 »Military Countermeasures«,160 das Grundsatzdokument dazu. Besonders wichtig wurden außerdem BQD-M-24 »Naval Countermeasures«161 und BQD-M-30 »The Preferred Sequence of Military Actions in a Berlin Conflict«.162 Der BQD-CC-1 kann als eine Art Gesamt- oder Rahmenplan im Sinne Norstads und Noirets163 betrachtet werden, in dem die verschiedenen Eventualfälle und dazu eine Auswahl an dafür geeigneten und vorbereiteten Gegenmaßnahmen einschließlich der vorgesehenen Operationspläne aufgelistet waren. Später wurde das System durch ein umfangreiches Nachschlagewerk verbessert, den »BQD-Index«,164 in dem in fünf Abteilungen in alphabetischer Folge die relevanten Stellen in den diversen »Berlin Qua BArch, BW  71/117, Nr.  28: Stellungnahme des FR CHOD, Para.  2 in (CEMA) Nr.  11277/ EMGDN“POM/E/S, 29.12.1960. 156 Letzte Fassung: 6. Rev., 15.3.1971, BArch, BW 71/2, Nr. 3. 157 BArch, BW  71/124, Nr.  9: Record 7.11.1960, LO(IN)-60-2084; sowie CEMA Nr.  11277/ EMGDT/POM/E/S, LO(IN)-TS-60-2001, 29.12.1960, BArch, BW 71/117, Nr. 28. 158 BQD-CC-1, mehrere Überarbeitungen, 6.  Rev., 15.3.1971, offensichtlich die letzte Fassung: BArch, BW 71/48, Nr. 2. 159 BArch, BW 71/59, Nr. 44: BQD-CC-11, Rev., 19.10.1962. 160 BArch, BW 71/1, Nr. 6: BQD-M-20, Rev., 15.1.1962. 161 BArch, BW 71/45, Nr. 35: BQD-M-24, Rev. 11.12.1962. 162 BArch, BW 71/1, Nr. 61: BQD-M-30, Rev., 12.9.1962. 163 BArch, BW 71/117, Nr. 28; und BArch, BW 71/132, Nr. 5. 164 BArch, BW 71/129, Nr. 1: SHLO 75/025, 1.2.1975. 155

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dripartite Documents« rasch gefunden werden konnten. Da die Zahl der Dokumente seit den frühen sechziger Jahren stark zugenommen hatte und Inhalt und Vielfalt der Maßnahmen schwer überschaubar geworden waren, wurde dieser Index ein wichtiges Arbeitsmittel, ein »Handbuch« quasi. Das BQD-M-30 ist ein weiteres Papier, das ebenfalls aus der »Correlation Study« entwickelt worden war165 und das Verständnis für das System der Krisenbewältigung fördern sollte. Es erfüllte zudem eine weitere wichtige Aufgabe: die Koordination der Maßnahmen von Live Oak mit denen der NATO.166 Im Schriftverkehr von Live Oak kam das Stichwort »More Elaborate Military Measures« nach 1960 eigentlich nur noch selten und in der Verbindung mit militärischen Einzelmaßnahmen vor, beispielsweise mit den Maßnahmen der Planung einer Einsatzgruppe in Divisionsstärke oder des Battalion Combat Team (BCT) bzw. der Tripartite Battle Group (TBG) oder vergleichbarer Planungen in der Luft. Aber auch ein erster Versuch, die Live-Oak-Planungen nach dem Ende der zweiten Berlin-Krise und im Anschluss an die Zugangsbeschränkungen im Zusammenhang mit Großübungen der Gegenseite als Warnung gegen Bundestagssitzungen in West-Berlin im April 1965 einer grundsätzlichen Überprüfung zu unterziehen, brachte diese Kategorie nicht in die Diskussion.167 Es ging hier insbesondere um die Zweckmäßigkeit nichtmilitärischer Gegenmaßnahmen und um die politische Entscheidung dazu: Würde man wieder mit einer ähnlichen Situation wie der vom 5. bis zum 10. April 1965 konfrontiert, sei es zwingend notwendig, eine externe, politische Gegenmaßnahme unverzüglich auszuwählen und umzusetzen. Die Verantwortung dafür sollte bei der Bonn-Group und den Regierungen liegen.168 Als CLO General Rogers in den frühen achtziger Jahren die allgemeine Überprüfung aller Live-Oak-Maßnahmen und -Pläne, die »Review of Berlin Access Contingency Plans« anregte, wurden die More Elaborate Military Measures als Gruppe aber nicht erneut untersucht.169 Dafür gab es offensichtlich keinen Bedarf. Aus den Ergebnissen der Studien zu den nachdrücklicheren militärischen Maßnahmen wurden dann die Untersuchungen zu den Einzelmaßnahmen für den Zugang zu Lande und in der Luft entwickelt, die sich wiederum in Operationsplänen und -befehlen konkretisierten. Diese Planungen und ihre Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln ausführlich dargestellt. Durch die Planungen für die More Elaborate Military Measures wurde die Schwelle zum konkreten Handeln im Ernstfall überschritten. Dies wiederum konnte schon ein Siehe die Diskussionen zum vorbereitenden Dokument, BQD-M-26, »US-Views of the Strategic Environment«, 7.6.1962, das aber unter 26.6.1962 zirkuliert: BArch, BW  71/1, Nr.  12, in DB Cito Nr. 1747 vom 12.6.1962, übermittelt über BMVg, Fü B III, vom 13.6.1962, BArch, BW 71/1, Nr. 11. 166 Das entsprechende NATO-Dokument heißt MCM-94-62, 3.8.1962, LO(IN)-TS-62-2090, BArch, BW 71/125, Nr. 27. Siehe die Darstellung oben in Kap. III.5. Vgl. auch die Diskussion hierzu in der Military Subgroup, BQD-M-28, am 26.7.1962, BArch, BW 71/125, Nr. 23. 167 BArch, BW 71/58, Nr. 45: Memo »For General Lemnitzer, Subj.: Review of Berlin Access Contingency Plans«, SHLO 200/38, 7.9.1965, LO-S-65-1066. 168 So in ebd., Para. 12, S. 3. »Bonn« steht hier für die Bonn Group. Ob an eine bestimmte externe Gegenmaßnahme gedacht worden war, ist nicht mehr festzustellen. 169 BArch, BW 71/15, Nr. 47: »Live Oak Review Committee Terms of Reference«, Annex B to SHLO O 83/1154/OPS, 25.11.1983. 165



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Schritt zu viel sein. Für Live Oak förderten sie fünf grundlegende Erkenntnisse zutage, die im Wesentlichen bis 1990 gültig blieben: 1. Eine gewisse Bandbreite von Optionen und Operationen zwischen Probe und thermonuklearem Krieg war zur erfolgreichen Konfliktbehandlung notwendig. Aber keine dieser More Elaborate Military Measures konnte aus sich selbst heraus wirksam werden, sie mussten daher als Teil eines umfassenden politischen, wirtschaftlichen und psychologischen Ansatzes gesehen werden 2. Es konnte kein militärisches Handeln im Kontext Berlins ohne die nukleare Drohung geben. Deren Wirkung bestand vor allem darin, dass der Westen die Entscheidungsfreiheit über den Einsatz hatte, was nicht ungefährlich war. 3. Die dringende Notwendigkeit, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen, wurde früh erkannt und in die Operationsplanungen aufgenommen. 4. Die entscheidende militärische Erkenntnis, dass keine militärische Operation zu Lande und in der Luft aus sich heraus den Weg nach Berlin wieder öffnen könnte, wenn die Sowjetunion entschlossen war, diesen Zugang unter allen Umständen zu verhindern, wurde daher zur Voraussetzung aller militärischen Eventualfallplanungen für den Zugang nach Berlin. 5. Live Oak würde in einer Krise sehr früh die Unterstützung der NATO brauchen, politisch wie militärisch. Daher war eine ständige, enge Zusammenarbeit entscheidend für den Erfolg.

4. Die Sicherung des Landzugangs Aus den für den Landzugang relevanten Rahmenbedingungen ergaben sich besondere Schwierigkeiten.170 Das Recht der Drei Mächte auf unbeschränkten Verkehr ihrer Truppen und Staatsbürger auf dem Landwege zwischen ihren Sektoren in Berlin und ihren Zonen in Westdeutschland war in mündlichen Verhandlungen der drei Oberbefehlshaber – also noch ohne die Franzosen – im Sommer 1945 geregelt worden. Nur für den Schienenweg gab es zunächst schriftliche Abmachungen.171 Diese Rechte waren nach Aufhebung der Berlin-Blockade 1949 in Washington noch einmal bestätigt worden:172 Für den Zugang auf der Straße war danach nur die Autobahn A2 Helmstedt–Berlin für den alliierten Verkehr zugelassen. Der alliierte Schienenverkehr wurde für den Personentransport auf die Strecke Helmstedt–Magdeburg–Potsdam–Berlin beschränkt, für den Güterverkehr wurde zusätzlich auch die Strecke über den Grenzübergang Oebisfelde zugelassen, verbunden mit einer täglichen Höchstzahl an Zügen. Für den Verkehr auf

Zur Lage der Zugangswege siehe die Karten auf dem vorderen und hinteren Vorsatzblatt. BArch, BW 71/42, Nr. 2: CONL/P(45)27, 7.9.1945. 172 »Report by the Representatives of the Authorities of the Western Occupation Powers on the Discussions Held in Berlin on the Subject of Transport and Trade Reflecting their Opinion on the Conclusion of the Berlin Negotiations on June 13, 1949«, BArch, BW 71/42, Nr. 7. Für die detaillierte Darstellung mit Stand 1969 siehe BArch, BW 71/6, Nr. 4: AB.BQD-CC-17-1454/69 vom 25.7.1969, S. 12‑18a. 170 171

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den Binnenwasserstraßen existierten seit 1951 zwar russisch-britische Vereinbarungen, es gab aber keinen alliierten Verkehr auf diesem Weg, nur innerdeutschen.173 Die sowjetische Seite bestand immer darauf, dass sie das Recht hätte, alliierte Fahrzeuge, Konvois und Züge zu überprüfen und die Verfahren dazu selbst festzulegen. Sie berief sich hierbei auf die Gespräche der drei Oberbefehlshaber am 29. Juni 1945. Die Alliierten hielten dagegen stets an ihrer Auffassung fest, dass ihr Zugangsrecht ohne jede Beschränkung gelte. Es resultiere aus ihrem Recht, Garnisonen in Berlin zu unterhalten, was wiederum in der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands gründe. Dennoch gestanden sie dem Gegner zu, dass er ein berechtigtes Interesse der Nachprüfung habe, ob alliierte Fahrzeuge, Konvois und Züge auch wirklich das seien, was sie zu sein vorgaben. Daher entwickelten die Drei Mächte über die Jahre Dokumentationen und Prüfungsverfahren, stets allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie selbst bestimmten, welche sie in der gegebenen Situation anwandten.174 Die Autobahn A2 war auf dem Territorium der SBZ/DDR zwischen Helmstedt im Westen und Berlin im Osten 166 km lang175, was rund zwei Stunden Fahrzeit bedeutete. Sie hatte zwölf Ausfahrten und führte durch leicht hügelige, meist landwirtschaftlich genutzte Gegenden. Etwa ein Viertel der Strecke war von Wald gesäumt, meist aus Kiefern gebildet. Einzig sichtbarer Bereich industrieller Nutzung, außerhalb des Berliner Raums, waren die nördlichen Vororte Magdeburgs. Die Fahrfläche dieser Vorkriegsautobahn war meist aus Beton, 25 Zentimeter dick, jede der beiden doppelten Fahrbahnen knapp acht Meter breit, also schmaler als die später gebauten Autobahnen im Westen. Der Zustand war ausreichend, der nach Westen führende Streifen besser als der in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Die Fahrbahnen wurden wiederholt ausgebessert oder grundlegend überholt, die Kosten hierfür übernahm teilweise die Bundesrepublik. Die größte Brücke führte über die Elbe. Sie war 1025  Meter lang und hatte 25 bauliche Sektionen. Es gab zwei sowjetische Kontrollpunkte: Sierra Alpha im Westen, Marienborn bei Helmstedt, und Sierra Bravo im Osten, Babelsberg, seit 1968 Drewitz, am Südwestrand von Berlin.176 Die Eisenbahnlinie von Helmstedt nach Berlin war 197,7 km lang. Sie führte zwischen Helmstedt und Marienborn bei Harbke auf das Gebiet der SBZ/DDR und ging über Magdeburg, Potsdam und Babelsberg, wo die Einfahrt nach West-Berlin war. Die Endstationen befanden sich, je nach Nationalität, in Lichterfelde-West, Charlottenburg oder Tegel. Zeitweise nutzten in den frühen Jahren Züge der Gegenrichtung die Strecke Charlottenburg über Brandenburg, Genthin, Burg bis Magdeburg, da beide Strecken zumindest in Teilbereichen beim Wiederaufbau nach dem Krieg zunächst eingleisig geblieben waren. Die Kontrollbahnhöfe waren Marienborn und Nowawes, später Potsdam, dann nur noch Marienborn. Güterzüge nutzten auch die Teilstrecke Stendal–Oebisfelde. Die Strecken waren nach DDR-Standard in zufriedenstellendem, nach westlichem je BArch, BW 71/6, Nr. 4, S. 37‑44. BArch, BW 71/59, Nr. 37: BQD-CC-14, 4.6.1962, LO(IN)-S-62 -4036; auch Msg Bonn Group to L.O. No 5-746, 9.4.1963, BArch, BW 71/47, Nr. 2. 175 168 km lt. ADAC 5/84; lt. Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 123: 165 km. 176 Angaben aus dem Briefing zum Autobahnzugang, BArch, BW  71/7, Nr.  10: SHLO 72/01054, 14.12.1972, GLNO Tgb.Nr. 1363/72. Siehe den Verlauf des Autobahnzugangs gem. Skizzen aus Br.Comms CEI, 10.8.1989, P. B-2, BArch, BW 71/87, Nr. 16. 173 174



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doch in armseligem Zustand. Sie waren aber in der Lage, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten.177 Erst in den siebziger Jahren wurden diese Abschnitte allmählich durchgängig zweigleisig ausgebaut.178 Der Mangel an einvernehmlichen Regelungen erhöhte die Notwendigkeit eingespielter Verfahren. Der Umfang des alliierten Verkehrs auf der Autobahn war naturgemäß unterschiedlich, je nach Jahreszeit, dienstlichen Aktivitäten und nationalen Eigenarten. Die Franzosen wickelten zunächst nur wenig Verkehr über die Straße ab und nutzten überwiegend die Eisenbahn. Die Amerikaner gebrauchten in viel höherem Maße die Straße, hatten auch einen erheblichen größeren Versorgungsbedarf. Die Briten lagen in ihrem Nutzungsaufkommen etwa zwischen Amerikanern und Franzosen. In den fünfziger und sechziger Jahren kam dem dienstlichen Reiseverkehr höhere Bedeutung zu als dem privaten. Dies änderte sich im Laufe der Zeit maßgeblich, was vor allem Folgen für die Infrastruktur hatte. Während der Zustand der Straßen selbst zunächst beinahe gleich blieb, wurden die Anlagen zur Kontrolle der Nutzer, vor allem vonseiten der SBZ/DDR, ständig ausgebaut, angefangen bei der Aufnahmefähigkeit über die Trennung des alliierten vom nicht-alliierten zivilen Verkehr bis zu Einrichtungen zur Kanalisierung und möglichst lückenlosen Kontrolle aller Ströme. Da die alten Anlagen diesen Anforderungen nicht mehr genügten, wurden sie in den sechziger und in der Mitte der siebziger Jahre durch völlig neue Abfertigungsanlagen ersetzt, die insbesondere auf die Erfordernisse der Kontrolle des Massenverkehrs zugeschnitten waren.179 Diese hatten äußerlich große Ähnlichkeit mit überdimensionalen Einfahrtsbereichen von Großgefängnissen, kombiniert mit Autobahngebührenstellen: mehrere Kontrollhäuschen neben- oder hintereinander, hohe, teilweise gestaffelte Stacheldrahtzäune, Wachtürme mit Scheinwerfern und mächtige Betonsperren, teilweise beweglich und in die Fahrbahn eingelassen.180 Für die alliierten Bewegungen war eine besondere, sowjetischerseits kontrollierte Durchfahrtsstrecke reserviert, während alle anderen Bewegungen von den Organen der DDR überprüft wurden. Die alliierten Reisenden hatten sich zuerst bei ihrem nationalen Kontrollpunkt in Helmstedt oder, in der Gegenrichtung, in Dreilinden zu melden, wo Reisepapiere, Dienstreiseauftrag/Marschbefehl und Dienst- bzw. persönlicher Ausweis überprüft werden sowie Verhaltensregeln ausgehändigt und aktuell ergänzt werden konnten. Beim sowjetischen Kontrollpunkt wurden diese Papiere vorgezeigt, das Prüfverfahren durch Stempelaufdruck von Ort, Datum und Zeit bestätigt. Bei Einzelreisenden war keine weitere Überprüfung erlaubt, außer einem Blick durch die Fenster ins Innere. Für Armeelastwagen und für Konvois galten zusätzliche Regeln: Durch Öffnen der Planen, in besonderen Fällen das Herunterklappen der Ladeborde, konnte die Ladung und bei BArch, BW 71/6, Nr. 13: Section II, Part 1, Para. 2, S. 5 in Draft »Ground/Grey Area Study«, SHLO 100/770, o.D., LO-S-69-158. Bei Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 123, sind statt der 197,7 km 250 km angegeben; m.E. ist die erste Angabe zutreffend. 178 Auch als Folge des »Verkehrsvertrages« zwischen beiden deutschen Staaten vom 26.5.1972, vgl. Art. 12.2; siehe hierzu auch »Verkehrsvertrag« in Seminarmaterial des Gesamtdeutschen Instituts, Bonn 1972. 179 Beispielsweise BArch, BW 71/52, Nr. 32: SHLO 75/0876, 31.7.1975, »Report on the Work at the Helmstedt Soviet Checkpoint«. 180 Siehe Beispiel von 1977, Anlage aus BArch, BW 71/61, Nr. 25. 177

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Mannschaftstransporten durch Abzählen die Anzahl der Reisenden überprüft werden. Bei Konvois ab fünf (nach sowjetischer Auslegung) bzw. acht (nach alliierter Auffassung) Fahrzeugen konnte verlangt werden, die Besatzungen für den Vorgang des Zählens absitzen zu lassen. Die Anordnung dazu durfte aber nur der alliierte Führer geben, nicht der sowjetische Kontrolloffizier. Die Frage des Absitzens bildete häufig die Quelle für Querelen mit der Gegenseite. Die Alliierten glichen ihre Regeln zwar untereinander an, harmonisierten diese aber nicht vollständig, was immer wieder zu Diskussionen und Problemen führte. Die Briten zum Beispiel nahmen Forderungen hin, die von den Amerikanern nie anerkannt worden wären, beispielsweise das Absitzen zum Zählappell. Besondere Regeln galten auch für das Verhalten innerhalb der SBZ/DDR, bei Halten auf Geheiß der ostdeutschen Polizei, bei Notfällen, Unfällen, Pausen usw. Im Allgemeinen galt: Nur Kontrollen durch sowjetische Kräfte waren zu akzeptieren und die alliierten Stellen so bald wie möglich zu informieren. Man hatte an Ort und Stelle zu bleiben, wenn eine Weiterfahrt nicht möglich war. Bei der Rückkehr war der Vorfall dann am alliierten Kontrollpunkt zu melden.181 Im Eisenbahnverkehr variierte die Zahl der für die Versorgung Berlins zugestandenen Züge zwischen 16 und 22 täglich. Im Einzelfall waren nach Anmeldung auch zusätzliche Züge möglich. Von diesen Zügen waren einige für die Versorgung der Zivilbevölkerung vorgesehen. Durch deutsch-deutsche Abkommen der beiden Eisenbahnverwaltungen wurden dafür weitere Züge vereinbart, auch über drei andere Strecken. Der alliierte Zugverkehr lief meist nach einem regelmäßigen Plan ab: zwei britische Zugpaare, später nur noch ein Paar, für Personenverkehr täglich von Bielefeld, später von Braunschweig nach Berlin und zurück; drei amerikanische Zugpaare für Personentransport, je eines von Bremerhaven und Frankfurt täglich sowie zweimal in der Woche von München nach Berlin; sowie dreimal wöchentlich ein französisches Zugpaar Baden-Baden–Berlin (manchmal statt von Baden-Baden von Straßburg oder sogar von Paris aus). Daneben gab es Truppentransporte und Versorgungszüge, ebenso die »Salonzüge« der Oberbefehlshaber bei besonderen Gelegenheiten. Die alliierten Züge waren alle ausschließlich auf die Strecke Helmstedt–Berlin angewiesen.182 Die Regelungen für den Betrieb und das Bedienungspersonal der Züge wie für die Passagiere waren detailliert ausgearbeitet.183 Die Federführung lag beim zuständigen Kommandanten von Berlin. In den Befehlen waren Führungsfragen, Zuständigkeiten, Aufgaben und Fernmeldemittel geregelt, aber auch die Berechtigung zur Nutzung des Zuges. In den Anlagen waren u.a. Befehle für den Zugkommandanten und seinen Vertreter, für den Bordfunker und den Dolmetscher enthalten; auch die Anwendung von Schusswaffen war definiert.184 Es gab drei Arten von alliierten Zügen: Passagier-, Frachtund Truppentransportzüge. Der amerikanische Gefechtsstand- oder Kommandozug galt als Passagierzug. Wenn Kurswagen einer anderen Nation angehängt wurden, machte BArch, BW  71/3, Nr.  40: BQD-CC-17b, 15.8.1962; auch BArch, BW  71//7, Nr.  10: SHLO 72/01054, o.D., vermutlich 14.12.1972: Briefing: »Allied Procedure on Autobahn«. 182 BArch, BW 71/45, Nr. 60: BQD-101, 14.12.1962, LO(IN)-C-64-3057. 183 Als Beispiel siehe für die britische Seite: BArch, BW 71/48, Nr. 49: »Orders for the Berlin Train«, GOC/30/X, 11.1.1967. 184 BArch, BW 71/94, Nr. 4: »Allied Rail Documentation Procedure«, SHLO 72/0101, 1.2.1972. 181



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das den Zug zwar multinational, die Dokumentation blieb aber in nationaler Verantwortung. Ab Helmstedt übernahm eine Reichsbahn-Diesellokomotive mit Personal einschließlich Zugführer den Zug bis zur Endstation in Berlin.185 Für jeden Zug waren die vereinbarten Dokumente dem sowjetischen Offizier am Kontrollpunkt im Bahnhof Marienborn vorzulegen.186 Diese Dokumente umfassten: den persönlichen Dienstreisebefehl/Marschbefehl für Militärpersonal, Dienst- oder Personalausweis jedes Passagiers, ggf. den Reisepass, das Formblatt »Personenzahl«, »Headcount« genannt; für den Frachtzug zusätzlich die Frachtpapiere jedes Wagons. Für den Truppentransportzug gab es hingegen nur zwei Papiere, den Transportbefehl mit den Personaldaten des Transportführers und das Formblatt »Headcount«. Diese Dokumente waren in den wesentlichen Angaben für alle drei Nationen gleich, sie unterschieden sich allerdings in Details. Die Art der Vorlage am Kontrollpunkt war jedoch verschieden: Bei den Amerikanern und Franzosen legte der Zugkommandant die Papiere vor, bei den Briten in der Regel der Dolmetscher. Im Ganzen gesehen gab es also keine wesentlichen Diskrepanzen. Die Frage, ob es den sowjetischen Organen erlaubt sei, alliierte Züge zu inspizieren und Passagiere und Fracht zu überprüfen, war wohl bereits in den späten vierziger Jahren umstritten. Manche Zugkommandanten ließen offenbar Inspektionen zu, andere nicht. Eine verbindliche Regelung fehlte. Nach einem schweren Zwischenfall im Frühjahr 1948187 erlaubten die Amerikaner, dass der Zugkommandant die Personalpapiere aller Passagiere auf dem Bahnsteig dem Sowjetoffizier zeigte, dieser bekam aber nicht die Erlaubnis, den Zug zu besteigen. Es wurde zunächst nicht zugestanden, Frachten zu inspizieren. Später genehmigten die Amerikaner aber doch, dass der sowjetische Offizier die Frachtpapiere einsehen durfte, ohne die Waren selbst zu sehen. Diese Regelungen galten im Grundsatz auch für die anderen beiden Nationen und hatten Bestand bis 1990. Die zahlreichen, übergenauen Regelungen und Verfahren gingen nur zum Teil auf Forderungen der sowjetischen Behörden zurück. Sie stellten in der überwiegenden Mehrzahl den Versuch der Drei Mächte dar, durch exakte Regeln Verstöße und Friktionen möglichst zu vermeiden. Dies war im Zugverkehr leichter zu erreichen, weil dort die individuelle Gestaltung der Reise aus technischen Gründen schwieriger war als auf der Straße und weil immer ein militärischer Führer anwesend und verantwortlich war. Es gab sowohl im Straßenverkehr wie auf der Schiene zahlreiche Vorkommnisse: Verzögerungen, Wartezeiten, Beanstandungen von Fahrzeugen, Dokumenten, Verfahren – oft wohl auch zu Recht. Falsches Verhalten der Reisenden oder der lokalen Führer spielte eine Rolle. Häufig war nicht klar, ob politische Absicht des Gegners die Ursache war oder aber technisches Versagen, Schikane und Unvermögen. Insgesamt lief der alliierte Im Dokument steht fälschlicherweise, dass eine Bundesbahnlokomotive mit Besatzung den Zug weiterfährt und nur der Zugführer von der Reichsbahn gestellt wird. Tatsächlich musste seit 1949 in Helmstedt eine Diesellok der Reichsbahn mit Besatzung den Zug übernehmen, was eine zeitraubende Operation war; in der Gegenrichtung, von Berlin aus, konnte sowieso nur die Reichsbahn fahren. Siehe »Information on Allied Railway Traffic to Berlin«, BArch, BW 71/52, Nr. 27: GLNO 387/75, 18.3.1975, SHLOIN 75/777; sowie BArch, BW 71/12, Nr. 22: »Background Information on Rail Tariffs«, o.D., verm. März 1982. 186 Seit den frühen 1960er Jahren gab es keine besondere Kontrolle durch Organe der UdSSR oder der DDR bei Ankunft in Berlin oder Abreise von dort. 187 Genauere Angaben fehlen. Siehe BArch, BW  71/12, Nr.  22: »Background Information on Rail Tariffs«, März 1982, S. 1 f. 185

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Verkehr nach dem Ende der Berliner Blockade über lange Zeit – auf jeden Fall bis 1958 – relativ problemlos.188 Es war jedoch für jeden Beobachter deutlich erkennbar, dass der alliierte Verkehr auf den Landwegen durch die Sowjetunion jederzeit und mit Einsatz nur geringer Mittel zu stören und sogar zu unterbinden war. Um einen Zug anzuhalten, reichte es, ein Fahrsignal auf »Rot« zu setzen oder keine Lokomotive bereitzustellen. Um ein Einzelfahrzeug oder einen Konvoi an der Weiterfahrt zu hindern, genügte ein geschlossener Schlagbaum, die Ampel auf »Rot« oder die Handbewegung eines Postens. Die entscheidende Frage aber lautete in allen diesen Fällen: Gab es dafür einen politischen Grund, eine Absicht der politischen Führung der Sowjetunion? Und wenn diese Frage mit Ja beantwortet wurde: Welche Absicht steckte dahinter? Das Ultimatum des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruščev vom 27. November 1958 stellte die wohl größte Bedrohung für den Zugang nach Berlin dar. Man hatte zu gewärtigen, dass die Sowjetunion zunächst die Kontrolle der Zugangswege, d.h. vor allem die Besetzung der Kontrollpunkte, an Organe der DDR übergab. Es bestand ein feiner, aber wichtiger Unterschied, ob die sowjetische Besatzungsmacht den ostdeutschen Organen einen direkten (temporären) Auftrag erteilte, sie dadurch quasi als Hilfsorgan einsetzte, oder ob die Kontrollen von diesen autonom ausgeführt wurden. In einem solchen Fall kam das einem formalen Bruch des Besatzungsstatuts gleich, egal, wie abhängig die DDR immer auch war. Derlei konnten die Westmächte auf keinen Fall tolerieren, da damit die Aufgabe ihrer Rechte in Berlin einhergegangen wäre. Ein derartiger Konflikt konnte Pressionen bis zu einem Angriff auf die westlichen Garnisonen in der Stadt nach sich ziehen.189 Auf diese Bedrohungsbilder antwortete das Basic Paper vom 4. April 1959 im Wesentlichen politisch, indem es die folgenden Aufgaben, den Zugang zu Lande betreffend, stellte: Es sei zu klären, ob ostdeutsche Organe nach einem Abzug ihrer Waffenbrüder von den Kontrollpunkten dort im Auftrag der Sowjetunion handelten. Es seien dann gemeinsame Verfahren für den Umgang mit Organen der SBZ/DDR zu entwickeln, unabhängig davon, ob diese mit oder ohne Auftrag der Sowjetunion agierten. Dabei sei auch der Einsatz von alliiertem Personal an den Kontrollpunkten Marienborn und Nowawes/ Drewitz anstelle der sowjetischen Kontrollorgane zu prüfen. Die wirklichen sowjetischen Absichten seien mittels besonderer Operationen, als »Initial Probes of Soviet Intentions« bezeichnet, zu sondieren.190 Es waren auch geeignete Maßnahmen zu planen, um den politischen Druck auf die Sowjetunion und die DDR zu verstärken. Der Einsatz militärischer Gewalt zur Wiederherstellung des freien Zugangs war, unter gewissen Bedingungen,191 ebenfalls vorzuse Das ist aus dem »Press Kit« von 1980 zu entnehmen, bes. aus Teil D »Summary of GDR/Soviet Actions directed against Berlin Access from 1949 to Date«, 1.12.1980, Encl. 1 to SHLO 80/21322/ PID, BArch, BW 71/62, Nr. 38. 189 Eine schriftlich ausgearbeitete Beurteilung dieser Bedrohungslage konnte bisher nicht gefunden werden, die Maßnahmen und das Basic Paper der Drei Mächte gehen aber ohne Zweifel von einer ähnlichen Beurteilung aus. Vgl. auch die Darstellung in Kap.  II.2. Eine sehr spezielle Beurteilung der Bedrohung einer TBG-Operation bringt Annex J to Operation »Trade Wind«, datiert mit 21.7.1961, BAOR B 1161/5/4 G (Ops and Plans), BArch, BW 71/128, Nr. 2. 190 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 4‑9. 191 Ebd., Para. 10 f. 188



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hen, wofür sorgfältig ausgearbeitete militärische Operationen vorzubereiten waren.192 Diese Aufgaben bildeten bis zum Ende den eigentlichen Kern von Live Oak. Manchmal wurden Einzelaspekte ausgeschlossen oder modifiziert, neue eingebracht, Gewichtungen verändert. Als wichtige weitere Aufgabe kam im Laufe der Jahre die notfalls auch militärische Sicherung des zivilen, deutschen Zugangs auf den Landwegen hinzu, der aber an politische Bedingungen gebunden blieb.193 Die hier genannten Aufgaben waren per definitionem politischer Art, von militärischer Seite wurde nur Unterstützung erwartet. Die militärische Aufklärung konnte möglicherweise Hinweise liefern, die auf einen bevorstehenden Rückzug der sowjetischen Kräfte von den Kontrollpunkten und die Übergabe der Aufgaben an die Organe der DDR schließen ließen. Ständig wurden alle Berichte der Aufklärungsmittel diesbezüglich hinterfragt.194 Live Oak selbst hatte weder einen eigenen Aufklärungsauftrag noch dazu geeignete Mittel, sondern war auf die Zuarbeit der beteiligten Nationen angewiesen. Über die möglichen Konsequenzen entsprechender Schritte seitens der Sowjetunion war von den Drei Mächten schon längere Zeit nachgedacht worden. Bereits 1954 hatten die Drei Mächte derlei für möglich gehalten.195 Daher konnte die Bonn Group rasch ein erstes Dokument vorlegen, in dem die Anweisungen für die Verfahren zusammengefasst waren, die alliierte Verkehrsbewegungen auf der Autobahn und Eisenbahn zu beachten hatten, falls die Gegenseite sich ihrer bisherigen Aufgaben im Zusammenhang mit dem alliierten Zugang entledigen sollte.196 Nach Überarbeitung und Genehmigung durch die Drei Mächte gab die WAG im September 1959 eine überarbeitete Fassung der Regelungen für den Zugang auf dem Landweg mit dem Titel »Surface Access-Identification and Checkpoint Procedures« heraus.197 In diesem detaillierten Papier sind die Maßnahmen und Verfahren für zwei unterschiedliche Lagen aufgeführt. Entweder machte die sowjetischen Seite bei ihrem Rückzug klar, dass die DDR »im Auftrag der Sowjetunion« handelte (Agency principle), oder die Behörden der DDR übernahmen die Verantwortung vollgültig und autonom. Für beide Fälle wurden, jeweils getrennt, alle notwendigen Schritte vor, während und nach der Reise in und durch die DDR behandelt, unterschieden nach Straßen- und Schienenverkehr. Im ersten Fall wurden im Grundsatz alle Verfahren so behandelt, als ob die sowjetische Besatzungsmacht weiterhin selbst die Kontrolle ausübte. Mit der DDR sollten lediglich praktische Verfahren für den Umgang und die Abwicklung des Verkehrs ausgearbeitet werden. In letzterem Fall kam es darauf an, ob ostdeutsches Personal versuchte, nur dieselben Kontrollen wie die Kräfte zuvor auszuüben, oder ob es darüber hinausgehende Maßnahmen durchzusetzen versuchte, wie z.B. Fahrzeugkontrollen durchzuführen, Zoll- und Währungsvorschriften einzuführen, Maut zu verlangen oder Visa

Ebd., Para. 1.b. Deckname »Allied Aegis«, siehe hierzu in diesem Kapitel im »Exkurs« sowie in Kap. III.6. 194 Beispielsweise BArch, BW 71/58, Nr. 39: SHlLO 700/25, »Intelligence Requirements«, 26.10.1964, Ziffer 2.a(2), (3) und (5). 195 Vgl. Burr, U.S. Policy, S. 11. 196 BERCON-TRI D-2, 29.6.1959, nicht in BArch, BW 71, erhalten. 197 BArch, BW 71/106, Nr. 11: BERCON-TRI D-2a, 22.9.1959, LO(IN)-S-60-3065. 192 193

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und andere Reisedokumente198 vorzuschreiben. Alle Verfahren würden von den alliierten Reisenden nur soweit beachtet und eingehalten wie mit den Sowjets vereinbart. Zusätzliche Forderungen der Ostdeutschen seien unter Hinweis auf die bekannten Rechte der Alliierten abzulehnen. Wurde der Weg dann freigegeben, sollte die Reise fortgesetzt werden. Sollte der Weg nicht freigegeben oder die Durchfahrt unterwegs innerhalb der DDR durch deren Organe behindert, unterbrochen oder blockiert werden, sei erneut die freie Durchfahrt zu fordern. Wenn diese wieder nicht gewährt werde, sei unter Protest umzukehren und Meldung zu machen. Falls sich immer noch nichts bewege, hätten die Reisenden am Ort zu bleiben und von dort mit den verfügbaren Mitteln (Funk) Meldung zu machen. Und wenn auch das nicht fruchtete, sollten sie nach einer Wartezeit von mindestens acht Stunden die Forderungen unter Protest erfüllen, die DDR verlassen und sofort den Vorgang melden. Die militärischen Hauptquartiere würden dann unverzüglich mit den Botschaften der Drei Mächte beraten, welche weiteren Maßnahmen zu ergreifen seien. Auch Proteste bei der Sowjetunion oder die Einleitung von »Probe«Operationen könnten in Frage kommen. Diese »Procedures« wurden überarbeitet, nachdem die Bundesrepublik Deutschland der Organisation im Sommer 1961 beigetreten war, und als BQD-4, »Berlin Quadripartite Document« Nr.  4 »Berlin Contingency Planning: Ground Access-Checkpoint Procedures«, erlassen.199 In diesem Zusammenhang wurden zwei politische Noten vorbereitet: BQD-5 »Draft Note to the Soviet Government«, die fertiggestellt und dem Kreml übergeben werden sollte, nachdem dieser seine Absicht erklärt hatte, die Aufgaben der Sicherung und Kontrolle des alliierten Zugangsverkehrs an die DDR zu übergeben,200 und BQD-6 »Public Statement«, die den Medien zugeleitet werden sollte, um die Unterstützung der Weltöffentlichkeit für die nun zu ergreifenden Gegenmaßnahmen zu gewinnen.201 Mit diesen beiden Papieren sollte die politische Tragweite des sowjetischen Vorgehens der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, egal, ob bereits praktische Schritte der Gegenseite erfolgt waren oder nicht. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit als Verbündete in der Krisenplanung war von Anfang an gewollt und Teil dieser Politik des hier »Schwächeren«.202 Zur Option der Westmächte, eventuell das sowjetische Personal an den Kontrollpunkten Marienborn und Nowawes/Drewitz durch eigene Leute zu ersetzen,203 konnte kein Material in der Überlieferung gefunden werden. Diese Möglichkeit wurde vielleicht

In diesem Fall würden die von den Drei Mächten anerkannten Reisedokumente auch in Deutsch ausgestellt werden. 199 Das Ursprungsdokument ist nicht überliefert, die 1. Revision stammt vom 30.8.1961, die 2. vom 30.11.1961; nur diese liegt vor in BArch, BW 71/59, Nr. 20: LO (IN)-S-61-3206. 200 BArch, BW 71/57, Nr. 31: BQD-5, 2. Rev., 30.11.1961. 201 BArch, BW  71/59, Nr.  30: BQD-6, Rev., 11.12.1961. Vorgänger dieses Dokuments war übrigens BERCON-TRI D-1a, »Draft Public Statement«, 16.6.1959; erhalten ist nur die Revision vom 22.7.1959, BArch, BW 71/106, Nr. 17. Beide Papiere waren bereits im Basic Paper (BArch, BW 71/49, Nr. 3: Para. 2 und 3) vorbereitet worden. 202 Bisher ist kein Hinweis aufgetaucht, dass in der aktuellen Krise nach dem Ultimatum vom November 1958 vonseiten der Sowjetunion jemals reale Überlegungen für eine Übergabe der Verantwortung an die DDR angestellt worden waren. 203 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 8. 198



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doch als abwegig erkannt und daher nicht weiterverfolgt. Eine solche Lösung hätte immerhin schnell zu einer Eskalation führen können, ohne wirkliche Vorteile zu bieten. Der Auftrag der Vier Mächte für Live Oak für die Sicherung des Landzugangs umfasste vor allem die Planung militärischer Operationen mit hoher politischer Bedeutung. Das Basic Paper nahm als Grundszenario an, dass die DDR die Kontrolle über die Zugangswege übernommen hatte und Forderungen stellte, die die Alliierten nicht erfüllen wollten. Die Drei Mächte würden dann eine oder mehrere »Probes« durchführen, um herauszufinden, ob die sowjetische Seite auf die Anwendung oder die Erlaubnis von Gewalt vorbereitet sei, um eine alliierte Durchfahrt zu verhindern.204 Dies galt auch für den Fall, dass sich die DDR gar nicht aktiv beteiligte, sondern die sowjetische Seite selbst diese Maßnahmen ergriff. Die Idee einer Sondierungsoperation mit dem Ziel, die eigentliche Absicht hinter einem Zwischenfall auf den alliierten Zugangswegen aufzuklären, war wohl zuerst bei EUCOM aufgekommen, als sowjetische Soldaten am 14. November 1958, also kurz nach der drohenden Rede Chruščevs vom 10. des Monats, einen USKonvoi auf dem Wege von Berlin nach Helmstedt mehr als acht Stunden festgehalten hatten.205 Der Gegner sollte gezwungen werden, Farbe zu bekennen, zu zeigen, dass er es ernst meinte. Oder er sollte klar zu erkennen geben, dass es sich um ein Versehen, einen Fehler untergeordneter Organe handelte. In diesem Fall blieb das Niveau der Krise niedrig und erlaubte einen Rückzug ohne größeren Gesichtsverlust. Schließlich konnte man auch Zeit gewinnen und Alternativen planen.206 Live Oak arbeitete mit demselben Grundgedanken ein Konzept aus, worin drei Alternativen für den Einsatz von »Probes« vorgesehen waren, über die die politische Führung dann im Ernstfall zu entscheiden hatte.207 Option A sah einen unbewaffneten Konvoi vor, zusammengestellt aus Fahrzeugen und Soldaten der Drei Mächte. Er sollte knappe Zugstärke aufweisen, das bedeutete für jede Nation etwa eine Gruppe, also zehn bis zwölf Mann. Dieser hätte bis zu dem von der Gegenseite aufgebauten Hindernis vorzufahren. Der Führer sollte den Konvoi als gemeinsame Marschbewegung der Drei Mächte vorstellen, die vereinbarten Dokumente zeigen, die Öffnung der Straße einfordern und die Erlaubnis zum Weitermarsch verlangen. Die Weigerung des gegnerischen Führers, dem nachzukommen, konnte als Beweis der sowjetischen oder ostdeutschen Absicht verstanden werden, den Verkehr zu blockieren. Der Konvoi sollte sich dann zurückziehen. In Option B fuhr ebenfalls ein unbewaffneter Konvoi, aber zusätzlich mit bewaffneten Soldaten auf Abruf, bei gleichem Verfahren wie bei Option A. Sollte der gegnerische Führer wieder die Öffnung der Straße verweigern, würde der Führer des Konvois eine Frist von 30 Minuten setzen, innerhalb derer das Hindernis entfernt werden musste. Gleichzeitig hätte er ein oder zwei Schützenpanzer mit bewaffneten Soldaten bereitzuhalten, die ihn auf Befehl unterstützten. Wenn bis Ablauf der Frist das Hindernis nicht entfernt worden sei, würden die Schützenpanzer gerufen, die Besatzungen ihre Waffen Ebd., Para. 9. Siehe hierzu die Schilderung in Pedlow, Three Hats for Berlin, S. 1. 206 Die USA hatten offensichtlich national schon länger diese Art von Operation vorbereitet: BArch, BW 71/44, Nr. 45: HQ USEUCOM »Berlin Contingency Plans Index«, 1.3.1961, Ser.Nr. 4159, Part I. 207 BArch, BW 71/1, Nr. 42: HQ USEUCOM, Subj. »Berlin Contingency Planning: Initial Probe of Soviet Intentions«, 13.5.1959, LO-TS-59-1001. 204 205

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in den Fahrzeugen lassen, absitzen und beginnen, das Hindernis zu räumen. Wenn das gelänge, würde der Konvoi seine Bewegung fortsetzen. Würden die Soldaten jedoch mit Gewalt an dieser Arbeit gehindert oder könne das Hindernis wegen seiner Bauart nicht geöffnet werden, würde dieses wieder als Beweis für die gegnerische Absicht genommen. Wenn während dieser Handlungen sowjetische Kräfte oder Ostdeutsche auf die unbewaffneten Soldaten das Feuer eröffneten, würden diese sich verteidigen und das Feuer erwidern. Soldaten, die im Schützenpanzer geblieben seien, hätten jedes aggressive Verhalten zu unterlassen, außer sie würden dazu durch das Verhalten der Gegenseite gezwungen. Hierfür war ein verstärkter Zug vorgesehen, 40‑60 Mann, also ca. 15‑20 Mann je Nation. Auch der Konvoi in Option C wäre aus Fahrzeugen und Soldaten der Drei Mächte zusammengesetzt, aber von bewaffneten Soldaten begleitet, die ohne Verzug eingreifen konnten. Die Kräfte sollten nun eine verstärkte Kompanie umfassen, etwa 120‑180 Mann mit geschlossenen Teileinheiten für jede Nation. Wenn der Konvoi auf ein Hindernis traf, sollte der Führer die Indentität des Konvois klar machen und die Entfernung des Hindernisses verlangen. Auch hier war die Setzung einer Frist von 30 Minuten vorgesehen. War nichts geschehen, sollte wieder versucht werden, das Hindernis zu beseitigen, diesmal aber mit einem ganzen Katalog weitergehender Möglichkeiten, jeweils angepasst an die Art des Hindernisses. Wenn die Gegner dies nicht behinderten, würde der Konvoi nach Öffnung der Straße seinen Weg fortsetzen. Sollte der Gegner das Feuer eröffnen, hatte sich der Konvoi zu verteidigen und sich zurückzuziehen. Die Führungsstruktur war relativ einfach aufgebaut. General Norstad würde durch die Drei Mächte bevollmächtigt werden, diese Operation zu führen, und zwar von SHAPE aus, weil nur dort verlässliche Fernmeldeverbindungen zu den drei nationalen Führungsstäben bestanden. Die Operationen für die Aufrechterhaltung der Land­ver­bin­ dungen nach Berlin konnten nur von der ehemaligen britischen Zone aus entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin geführt werden. Daher war der CINCBAOR am besten in der Lage, diese Operation »im Felde« zu führen. Von den beiden anderen Hauptquartieren der Landstreitkräfte, Forces françaises en Allemagne (FFA) und U ­ SAREUR, waren Verbindungskommandos zur BAOR zu entsenden. Auch die Streitkräfte der Garnisonen in Berlin sollten für diese Operation zunächst dem CINCBAOR unterstellt werden. Dieser wiederum sollte, wegen der politischen Bedeutung der Operation, ­Norstad unmittelbar unterstehen. Für dieses Konzept einschließlich der Führungsorganisation erhielt Norstad die Zustimmung von allen drei CHODs,208 wobei Amerikaner und Briten Vorbehalte gegen Option A äußerten, die Amerikaner sogar deren Streichung nahelegten. Anschließend erließ Norstad eine Weisung an den Oberbefehlshaber der Britischen Rheinarmee, General Ward. Dieser erhielt den Auftrag, den Operationsplan für die drei Optionen auszuarbeiten und, wenn befohlen, die entsprechende Operation auszuführen, mit dem Ziel, »to determine whether the Soviets are prepared to use force or to permit the use of force Am 6.6. von den JCS, BArch, BW 71/116, Nr. 8: M 193, LO(IN)-TS-59-2004; am 11.6. vom CEMA, ebd., Nr.  9: Nr.  1028/EMGD/POM/GEMI/ TS, LO(IN)-TS-59-2005; am 17.6. vom CHOD/UK, ebd., Nr.  10: WFD/663, LO(IN)-TS-59-2006. Auf diese Vorbehalte wird später noch in diesem Kapitel eingegangen.

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to prevent Allied access to Berlin«.209 In der Weisung waren Konzept, die Zusammensetzung der Konvois und die Dienstgrade ihrer Führer entsprechend dem ursprünglichen Vorschlag und den politischen Vorgaben genau vorgegeben. CINCBAOR konnte mit der Planung sofort beginnen, die Zuziehung von französischen und amerikanischen Anteilen bedurfte aber der Genehmigung von EUCOM. General Norstad, so hieß es nun, würde die Operation vom HQ EUCOM aus führen und dazu dessen Fernmeldeverbindungen nutzen. Damit war die Variante SHAPE wieder rückgängig gemacht worden.210 Einstweilen hatten die Regierungen der Drei Mächte nur die Planung dieser Operationen genehmigt. Es war daher entscheidend, dass nichts durchsickerte und der Kreis der Bearbeiter klein blieb.211 Die Geheimhaltung musste auch weiterhin gewährleistet werden, wenn die Aufstellung und die Ausbildung der »Probes« genehmigt worden war. Wichtig war zudem, dass eine Koordinierung mit den nationalen Oberbefehlshabern in Deutschland erfolgte, die dementsprechend auch genehmigt wurde, natürlich unter Einbeziehung, wenn notwendig, der Berliner Kommandanten (COBs). Außerdem sollte jeder Aspekt einer »Probe«-Operation durch Bild- und Tonaufnahmen dokumentiert werden. CINCBAOR sollte bald erste zeitliche Vorstellungen für die Herstellung einer Zwölf-Stunden-Bereitschaft melden. Bedeutend war auch die Rolle der Presse. Trotz des notwendigen Geheimschutzes war davon auszugehen, dass sich in einer Krise Reporter, vielleicht sogar in großer Zahl, in Helmstedt sammelten. Dafür musste CINCBAOR eine »Drei-Mächte-Presseabteilung« einplanen.212 Damit wurde der auch im Basic Paper schon aufscheinenden Erkenntnis Rechnung getragen, dass die Medien in einer solch kritischen Operation besonders großer Aufmerksamkeit bedurften, um über sie die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen. Die in Norstads Brief an die CHODs der Drei Mächte vom 17. November angesprochene zeitliche Dimension beschäftigte Live Oak mehrere Jahre. Welche Bereitschaftszeiten mussten verlangt werden? Wieviel Vorwarnung war notwendig? Norstad hielt eine Vorwarnung von sieben Tagen für unverzichtbar, um die »Probe« zu versammeln und auszubilden.213 Das Problem und seine Detailaspekte, hier u.a. der »Cover Plan«, die Legende zur Tarnung des eigentlichen Zwecks, um eine vorzeitige Entdeckung zu verhindern, wurden auch zwischen Norstad und seinem Stellvertreter, General Charles D. Palmer, mehrfach diskutiert.214 Der erste Operationsplan für die Autobahn-»Probe« wurde wohl am 31. Mai 1960 fertiggestellt und trug die Bezeichnung »BAOR Live Oak Plan Operation Free Style«.215 BArch, BW 71/132, Nr. 1A: ECLO 600/5, LO-TS-59-1010, LoI, 10.7.1959, Para. 1 »Mission«, Zit. ebd. 210 Die Begründung steht in BArch, BW 71/43, Nr. 7: ALO 654, DTG 221446 Z, 1959. 211 BArch, BW 71/132, Nr. 1 A: Para. 6, S. 3. 212 Ebd., Para. 7, S. 3. 213 BArch, BW 71/116, Nr. 4: ECLO 600/18, LO-TS-59-1062. 214 BArch, BW 71/116, Nr. 32: ECLO 550/27, LO-TS-60-118. 215 »Free Style« war der Deckname. Der genaue Inhalt ist nicht bekannt, denn er ist nicht überliefert. Die Daten stammen aus dem Entwurf des »After Action Report« von Live Oak vom 1.3.1961, der viele Ereignisse und Vorgänge nennt, die sonst nicht überliefert sind. BArch, BW 71/43, Nr. 55, hier Ziff. 45: ECLO, 68 USLO-TS-00116. Ab diesem Zeitpunkt erhielten übrigens alle Live Oak209

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Norstad genehmigte den Plan am 20. Juni und erbat gleichzeitig die Ausarbeitung der unterstützenden nationalen Pläne dafür.216 Dieser erste Versuch für die »Probes« bedurfte der baldigen Überprüfung. Zu gering waren die Erfahrungen in einer solch komplexen Operation, auch im Kontext der ergänzenden Operationen der More Elaborated Military Measures, vor allem in ihrem zeitlichen Ablauf. Bei einem Besuch des britischen CHOD, Admiral Lord Mountbatten, am 4. November 1960 konnte Norstad die ihn beschäftigenden Fragen ansprechen und die britischen Argumente dazu hören. Die Zeitfrage spielte eine große Rolle und nicht zuletzt die Koordinierung einer größeren Kampfgruppenoperation (»Trade Wind«) mit »Free Style«. In einer Antwort auf ein entsprechendes Schreiben von Norstad217 stellte der CINCBAOR als der direkt hierfür Verantwortliche den zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang zwischen diesen beiden Operationen her:218 »Your letter refers specifically to training for ›Trade Wind‹ but I assume that it is your intention that I should carry out training for ›Free Style‹ at the same time. All our planning has been based on ›Free Style‹ being assembled and launched before ›Trade Wind‹, with the latter Force being ready for launching a few days after ›Free Style‹ should this become necessary.«219

Gleichzeitig entwickelte er ein mögliches Szenario. Demnach würde man für Aufstellung und Ausbildung von »Free Style« im Ernstfall mindestens fünf Tage brauchen, wenn die Sicherheit gewahrt und die Ausbildung ausreichend gründlich werden sollte. Anfang Februar 1961 meldete CINCBAOR dann die Ergebnisse der Ausbildungsvorhaben in einem recht detaillierten Bericht.220 Vor dem A-Tag, jenem Zeitpunkt, an dem HQ BAOR den Befehl zur Versammlung der »Probe« erteilte, gebe es eine Vorwarnzeit von mindestens 24 Stunden. Am A-Tag selbst, aber nicht vorher, haben die deutschen Behörden genügend Informationen bekommen, die ihnen die rasche Zusammenarbeit in zwei wichtigen Bereichen erlaubten, nämlich die notwendigen Fernmeldeverbindungen zu Lande und für den Luftverkehr herzustellen, was bis zu drei Tage dauern konnte, und die Nutzung des deutschen Luftwaffen-Radars Typ 80 im Control and Reporting Center Auenhausen durch alliierte Jäger-Leitoffiziere in die Wege zu leiten. Darauf aufbauend könne folgender Zeitplan für »Free Style« erfüllt werden: Noch am A-Tag beginnen die Marschbewegungen der nationalen Teile, die bis A+1 mittags im Verfügungsraum Minden eintreffen. An A+1 bis A+2 erfolgen Briefings, Ausbildung und weitere Vorbereitungen. Am Tage A+3 um die Mittagszeit kann der gewählte Konvoi marschbereit sein, um die Grenzsperre bei Helmstedt zu passieren. Bei A+1 kann das HQ BAOR versammelt sein, obwohl für die Herstellung der Fernmeldeverbindungen als Zeitansatz bis A+2 anberaumt war. Der Vorgeschobene Gefechtsstand des CINC ist dann in Helmstedt eingerichtet und arbeitsbereit.

Operationspläne Decknamen, die in unregelmäßigen Abständen gewechselt werden sollten, was aber nicht immer geschah. 216 Siehe z.B. BArch, BW 71/116, Nr. 28: ECLO 550/9, LO-TS-60-93 an den französischen CHOD. 217 BArch, BW 71/116, Nr. 44: ECLO 600/83, 26.11.1960, LO-TS-60-214. 218 BArch, BW 71/116, Nr. 60: DO/B 1161/5/1G (Ops and Plans), 17.12.1960, LO(IN)-TS-60-2104. 219 BArch, BW 71/116, Nr. 60, Para. (a), S. 1. 220 BArch, BW  71/117, Nr.  32: Subj. »Training for Operations ›Free Style‹ and ›Trade Wind‹«, 3.2.1961, DO/B 1161/5/1 G (Ops and Plans), LO-TS-61-2010.



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Dies war für die damalige Zeit wohl ein realistischer, wenn auch ehrgeiziger Zeitplan. Um ihn einzuhalten, mussten frühzeitige Maßnahmen ergriffen werden, wie etwa die Erhöhung des Bereitschaftszustandes und die rasche Ingangsetzung der Ausbildung. Aufgrund der Ergebnisse der Studien- und Ausbildungsphase Ende Januar 1961 wurde der Operationsplan für »Free Style« überarbeitet.221 Er umfasste zwei Phasen: (I) Versammlung und (II) Einsatz auf der Autobahn.222 Der Auftrag für Phase I lautete: »To assemble a force capable of mounting and controlling a Tripartite military convoy.«223 Für Phase II galt: »You will proceed from Minden to Berlin along the Autobahn.«224 Wichtig war, dass dem Konvoi, der den sowjetischen oder ostdeutschen Kräften gegenüber trat, zum richtigen Zeitpunkt breite öffentliche Aufmerksamkeit gegeben wurde. Dadurch sollen die gegnerischen Kräfte gezwungen werden, freie Durchfahrt zu erlauben oder zu offenbaren, dass sie gewillt waren, Gewalt anzuwenden. Die Fahrzeuge sollten die Flaggen der Drei Nationen tragen und ostdeutschem Personal gegenüber explizit kenntlich gemacht werden. Das Vorgehen des Konvois entsprach im Wesentlichen den Grundsätzen der Optionen A‑C des ersten Grundkonzepts von Live Oak. Wenn der Konvoi sich einem Hindernis gegenüber sah, das er nach den Vorgaben225 nicht überwinden konnte, oder wenn Gewalt gegen den Konvoi angewendet wurde, hatte er umzukehren.226 Als Gewalt galt: die Feuereröffnung auf oder über die Köpfe des alliierten Personals (aber nicht die Drohung damit), ferner die Verminung der Autobahn ohne Warnung, die Zerstörung eines Autobahnteilstücks in Sicht des Konvois oder beim Passieren sowie körperliche Gewalt einschließlich Schläge gegen alliiertes Personal.227 Der Führer der »Probe« hatte sicherzustellen, dass Beweise der sowjetischen oder ostdeutschen Absichten erstellt und ggf. veröffentlicht wurden. Entsprechend musste der zuständige, begleitende Presseoffizier informiert werden, wenn der Konvoi nicht mehr als »normaler« Teil der Routine definiert wurde, sodass dieser mit seiner Berichterstattung an das Pressezentrum beginnen konnte.228 Die Probe hat der Autobahn und ihren Randzonen zu folgen; sie durfte davon nur abweichen, wenn eine Umleitung vom CINCBAOR genehmigt worden war. Bis zum Einsatz von Gewalt sollte der Konvoi alle Regeln befolgen, die normalerweise auf der Autobahn galten. Bis dahin durfte er auch den zivilen Verkehr auf der Autobahn nicht behindern.229 Selbstständiges Handeln war nur dann gefragt, wenn der Gegner Gewalt eingesetzt hatte.

Dieser Plan ist erhalten: BArch, BW 71/117, Nr. 47: »HQ BAOR Order for the Assembly of a Tripartite Force at Minden – Operation ›Free Style‹ Phase I and Operation Instruction Operation ›Free Style‹ Phase II«, B 1161/5/4 G (Ops and Plans), 21.7.1961, LO(IN)-TS-61-2060. 222 Siehe die Grafik »Probes zu Lande«. 223 Gemeint ist ein »Tripartite Convoy«, siehe BArch, BW 71/117, Nr. 47, Para. 2 »Aim«, S. 1, Phase I »Assembly«. 224 Ebd., Para. 2 »Mission«, S. 1, Phase II »Operation«. 225 Ebd., Para. 3.e, S. 2, Phase II. Die Anlage G »Limits of Action« nennt die genauen Bestimmungen. 226 Ebd., Para. 3.f. 227 Ebd., Para. 3.g. 228 Die Instruktionen dazu sind in Anlage H, ebd., enthalten, 229 Ebd., Para. 3.j, 3.k und 3.l. 221

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»Probes« zu Lande Stand: 1960

Autobahn nach Berlin: A Führer: Hauptmann

; 38 Soldaten; 12 Radfahrzeuge

B Führer: Oberstleutnant

; 71 Soldaten; 16 Radfahrzeuge, 2 Kettenfahrzeuge

C Führer: Oberstleutnant

; 135 Soldaten; 27 Radfahrzeuge, 11 Kettenfahrzeuge

(+)

C

Stand: 1961

Autobahn von Berlin: X Führer: Hauptmann Y Führer: Major

; 35 Soldaten; 14 Radfahrzeuge

; 61 Soldaten; 16 Radfahrzeuge, 2 Kettenfahrzeuge

Z Führer: Oberstleutnant

; 97 Soldaten; 18 Radfahrzeuge, 5 Kettenfahrzeuge

(-)

Z

Stand: 1963

Eisenbahn nach Berlin: Führer: Major/Oberstleutnant , ab 1982 Major/Oberstleutnant Zusammensetzung des Zuges:

Kommando-/ Fernmelde-/ Schlafwagen Speisewagen Gerätewagen Gerätewagen Gepäckwagen Schlafwagen

Schlafwagen

Schlafwagen

Schlafwagen

Diesel-Lok (DB)

1 Lokomotive, 9 Waggons, 79 Soldaten der Drei Mächte und Mitarbeiter DB Legende: Panzeraufklärungs-

Instandsetzungs-

Pionier-

Kompanie

Panzergrenadier-

Fernmelde-

Panzerpionier-

Zug

Schützen-

Gruppe Trupp

Quelle: Operationspläne der BAOR und von USAREUR in BArch, BW 71, insbes. SHLO O 83/1094/2-11 GRD, 8.11.1983, BArch, BW 71/16, Nr. 32.

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In den Einsatzregeln (Rules of Engagement)230 des Operationsplanes wurden die Verhaltensweisen und erlaubten Alternativen detailliert beschrieben. Sie gingen auf die Weisung General Norstads231 zurück und enthielten die entsprechenden Elemente, von den drei Optionen A bis C über die Identifizierung gegenüber den sowjetischen Organen bzw. den Ostdeutschen bis zu den Verhaltensregeln vor Hindernissen und zu ihrer Überwindung. Die Anweisungen zur Öffentlichkeitsarbeit zeigten in ersten Ansätzen, dass die Drei Mächte, und in ihrem Auftrag Live Oak, gewillt waren, die modernen Möglichkeiten der Medien zu nutzen, um die Weltmeinung zu gewinnen. Wegen des weltweiten politischen Interesses, welches bei einer solchen Operation geweckt werden konnte, waren die Beziehungen zur Öffentlichkeit überaus wichtig. Man rechnete mit bis zu 500 Presseleuten im Pressezentrum, das von den Alliierten einzurichten war.232 Dafür wurde erheblicher Aufwand getrieben: Beim CINCBAOR wurde eine Public-Information-Zelle in Stärke von sechs Offizieren – je zwei pro Nation – und 16 Unteroffizieren und Mannschaften mobil auf sechs Fahrzeugen eingerichtet. Ein Teil sollte den CINC nach Helmstedt begleiten, wo in der Unterkunft der Royal Military Police (RMP) an der Autobahn der Vorgeschobene Gefechtsstand eingerichtet werden sollte. Mit der »Probe« fährt ein Team von ebenfalls sechs Offizieren mit (ein Franzose, drei Briten, zwei Amerikaner), dazu Unterpersonal auf sechs Fahrzeugen. Das großzügig auszustattende Pressezentrum sollte in der Unterkunft der US-Militärpolizei in Helmstedt neben der Autobahn eingerichtet werden, besetzt mit neun Offizieren – je drei pro Nation – und 22 Mann Unterstützungspersonal mit neun Kraftfahrzeugen. Auch das Verhalten dieser Teile war minutiös geregelt. So wurde beispielsweise festgelegt, dass bei Begegnungen des »Probe«-Führers mit örtlichen Führern der Gegenseite etwa im oder am alliierten Kommandofahrzeug ein Presseoffizier anwesend zu sein hatte, diese Begegnungen ebenso dokumentiert werden mussten wie die Ereignisse an der Spitze des Konvois usw. Zusätzlich zu diesen Informationszellen konnte in Berlin ein weiteres Zentrum durch die dortigen Public-Information-Stellen der Alliierten eingerichtet werden, das denselben Auftrag zu erfüllen hätte. Damit war eine eigene P.I.-Organisation innerhalb von Live Oak inaugieriert worden, die im Basic Paper bereits angesprochen worden war.233 Für fast alle Live-Oak-Operationen wurde in der Folge jeweils eine eigene, integrierte P.I.-Organisation eingerichtet. Das gesamte Maßnahmenpaket machte deutlich, dass die »Probe«-Operation auf der Autobahn als eine politische Demonstration gedacht war. Das militärische Potenzial am Ort des Geschehens würde relativ gering bleiben, der Aufwand dafür allerdings sehr groß. Dieser reichte vom CINC persönlich mit starken Stabs-, Fernmelde-, Verbindungs- und Sicherungskräften bis zu P.I.-Zentren. Der Umfang des Personals ist, alles zusammen, wohl im hohen dreistelligen Bereich anzunehmen. Im Herbst 1961, nach Abklingen der großen Krise, bat General Cassells darum, die 48-Stunden-Bereitschaft zu genehmigen, um die Belastung der Truppe zu mildern, was tatsächlich kurz darauf geschah.234 Auch der Verlegung des Versammlungsraumes der »Probe« von Minden nach Wolfenbüttel, deutlich näher an den Einsatzort Helmstedt heran, wurde zugestimmt, 232 233 234 230 231

In Anlage G, ebd., hier noch »Limits of Action« genannt, 20 Paragrafen auf drei Seiten. Vgl. die Weisung in BArch, BW 71/132, Nr. 1A. BArch, BW 71/117, Nr. 47, Anlage H, Para. 2. Vgl. BArch, BW 71//49, Nr. 3: Para. 10.a. BArch, BW 71/118, Nr. 51: Msg EXFOR G (Ops and Plans) 89, 9.1.1962, LO-9-75.

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dort wo auch der die Operation durchführende Leittruppenteil stationiert war, ein britisches Panzeraufklärungsregiment. Planungen gab es auch in umgekehrter geografischer Richtung. General Norstad hatte bereits auf dem Höhepunkt der Berlin-Krise im Sommer 1961 bei der WAG beantragt, dass auch die Berliner Garnisonen Pläne für den Einsatz von »Probes« ähnlicher Zusammensetzung und mit identischem Auftrag von Berlin aus in Richtung Helmstedt entwickelten für den Fall, dass alliierte Konvois am sowjetischen Kontrollpunkt Drewitz aufgehalten werden.235 Diese Pläne, die daraufhin mit Zustimmung der WAG236 vom Allied Staff Berlin erarbeitet wurden, waren im Wesentlichen vergleichbar mit denen des CINCBAOR. Nur war der Kräfteeinsatz wegen der Schwäche der Berliner Garnisonen geringer.237 Die Planungen der »Probe«-Operationen wurden bis zur Auflösung der ganzen Organisation im Jahre 1990 immer wieder diskutiert und geändert. Dies betraf insbesondere die folgenden drei Bereiche: die politisch-diplomatischen Vorbereitungen, die Dokumentation und die Kontrollpunktverfahren für die »Probes« sowie die Operationsplanung. Die politisch-diplomatischen Vorbereitungen bildeten bei dieser vorrangig politischen Operation eine wichtige, vielleicht sogar die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg. In diesem Zusammenhang war vor allem die WAG gefordert. Im Basic Paper238 wurden zwei Aufgaben für sie genannt, nämlich die Erarbeitung politischer Protestnoten an die Sowjetunion239 und eines Entwurfes einer Öffentlichen Verlautbarung. Bereits im Juni 1959 war der erste Entwurf genehmigt worden. Etwa 13 Monate später wurde eine Neufassung beraten und angenommen für den Fall, »of the withdrawal of Soviet personnel from their functions with respect to Allied access to Berlin.«240 Als dann ein Jahr später die Krise mit dem Bau der Mauer erneut eskalierte, wurde eine Überarbeitung und Anpassung dieser Planungen notwendig, da der Einsatz der »Probe« wahrscheinlicher zu werden schien. Auch die Deutschen, gerade in die Organisation aufgenommen, drangen darauf, denn auch sie sahen die rechtzeitige, vorherige Information des Gegners als wichtig, möglicherweise sogar als entscheidend an.241 Die Diskussionen der folgenden Wochen und Monate drehten sich vor allem um die Frage, welche Informationen die verschiedenen politischen Noten und Erklärungen der Drei Mächte an die Sowjetunion enthalten und zu welchem Zeitpunkt im Laufe der »Probe«-Operation sie eingesetzt und übermittelt werden müssten. Es ging dabei sogar um vier Dokumentenentwürfe für BArch, BW 71/132, Nr. 35: Msg Live Oak an State, SHLO 9-00010, 12.8.1961, LO-TS-61-3012. Vorg. SHLO 9-00011, im Bestand nicht erhalten, aber erwähnt im ECLO »Draft After Action Report Live Oak«, 1.3.1960, lfd. Nr. 132, BArch, BW 71/43, Nr. 55. 237 Die ursprünglichen Pläne sind nicht im Bestand, jedoch z.B. die überarbeiteten Planungen von 1968 in ASBTOP-P (G3/17) vom 29.5.1968: BArch, BW 71/120, Nr. 33. 238 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Para. 2 und 3. 239 Erstmals wurde eine Protestnote bereits im Januar 1959 übergeben, deren aktualisierte Fassung als US-Entwurf vom 9.6.1959 im ›Arsenal‹ blieb und für die eine ergänzte Neufassung unter ­BERCON-TRI D-13 vom 22.7.1960 erarbeitet worden war: BArch, BW 71/106, Nr. 18: LO(IN)S-60-3057. 240 Die Originalfassung von BERCON-TRI D-1a »Public Statement« vom 16.6.1959 ist nicht erhalten, nur die überarbeitete Version: BArch, BW 71/106, Nr. 17: BERCON-TRI D-1a, 22.7.1960, LO(IN)-S-60-3058, Zit. aus dem Deckblatt, 1. Abs. 241 BArch, BW 71/45, Nr. 47: BQD-6, LO(IN)-S-61-3024, 31.8.1961. 235 236



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den Ernstfall: die diplomatische Note an die Sowjetunion, die öffentliche Verlautbarung dazu, die Erklärung gegenüber dem sowjetischen Oberbefehlshaber, damals Marschall Ivan S. Konev, und den Text der mündlichen Anmeldung der »Probe« am sowjetischen Kontrollpunkt. Insbesondere die Wortwahl der Verlautbarungen war wichtig,242 da sie bereits über Erfolg und Misserfolg entscheiden konnte. Im Hintergrund stand auch hier die Angst vor einem allzu raschen Einstieg in die Eskalation. In einem Schreiben vom 10. Januar 1964 begründete der CLO, General Lemnitzer, seine Ansicht, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, die einzelnen politischen und militärischen Schritte in einer »Probe«-Operation zu einem kompletten, aber flexiblen Plan zusammenzufügen. Er stellte eines besonders heraus: Obwohl es in der KonvoiKrise des Herbstes 1963 nicht in Frage gekommen sei, »Free Style« einzusetzen, bleibe der entsprechende Plan im Maßnahmenkatalog für den Fall, dass diese Gruppierung jemals im passenden Zusammenhang benötigt werde, daher müssten die Vorkehrungen vollendet werden.243 Lemnitzer empfand es als betroffener militärischer Befehlshaber als falsch, den Einsatz der Kräfte zu erwägen und den Erfolg der Operation sowie das Leben der Männer zu riskieren, bevor man nicht sicher sei, welche politischen Karten die Regierungen für diesen Einsatz zu diesem Zeitpunkt ausspielen wollten.244 Es ging also nicht allein darum, die Absichten der Gegenseite herauszufinden, sondern auch die der eigenen Führung. Es handelte sich um fünf mögliche Schritte, die konkret am Beispiel der Operation »Free Style« ins Auge gefasst wurden. Auf der Basis eines angenommenen Beginns des Einsatzes der »Probe« in Marienborn um 7 Uhr am »D-Day« bedeutete das:245 – Übergabe der Diplomatischen Noten durch die Drei 0800 Z D-1 Regierungen an den Kreml246 – Öffentliche Verlautbarung durch die Drei Regierungen 0800 Z D-1 Siehe hierzu Msg Norstad vom 14.11.1961, BArch, BW  71/117, Nr.  74: SHLO 9-00033-TS; SHLO-TS-61-3018. 243 Schreiben an die WAG, Subj. »Free Style, Diplomatic Notes, Public Announcements and Publicity«, BArch, BW 71/120, Nr. 1: SHLO 900/1, LO-TS-64-1, S. 1, Para. 1; Kopie an die vier MODs, das State Department und die Botschafter in Bonn. 244 Ebd., S. 1, Para. 2. 245 BArch, BWD 6/13: AAP-6/K, S. 2-62: »The Day, on which an operation commences or is due to commence. This may be the commencement of hostilities or any other operation«. Dem Brief lagen bei: das eigentliche, von Live Oak erarbeitete Dokument mit dem Titel »Political and Diplomatic Handling of ›Free Style‹. Notification of ›Free Style‹ Probe to the Sovjets/East Germans and Publicity«; außerdem alle anderen unten genannten Texte: Appendix A »Draft Note to the Soviet Government and Public Statement Preceding Use of ›Free Style‹, to be Examined in the Light of Developments prior to use« (Note und Bekanntmachung nutzen den selben Text). Appendix  B »Public Statement« (Inhalt: siehe A). Appendix C »Text of Notification by Commander in Chief BAOR to Commander in Chief G.S.F.G.« (Zahlen der Soldaten und Fahrzeuge des Konvois erst im Einsatzfall einzusetzen). Appendix D »Verbal Notification at the Helmstedt Checkpoint« (Zahlenangaben ebenfalls noch leer). Diese Anmeldung würde mündlich durch den Führer des Britischen Militärpolizeikommandos am Kontrollpunkt beim sowjetischen Führer des Kontrollpunktes geschehen. Appendix E »Guide Lines for Press Statement on ›Free Style‹ Probe (Statement to be issued as Probe Enters U.S. Checkpoint at Helmstedt)«. 246 Nach Beratung in der WAG, BArch, BW 71/120, Nr. 1: Inhalt Appendix A. D-Day ist der Tag, an dem die Probe den Marsch von Helmstedt nach Berlin beginnen sollte, D-1 also der Tag davor. Z-Zeit (ZULU-Zeit) ist die Westeuropäische Zeit, die die NATO in Europa in der Regel nutzte. 242

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– Übergabe der Ankündigung durch CINC BAOR 1100 Z D-1 an CINC GSFG247 – Anmeldung durch britische Militärpolizei beim 1700 Z D-1 sowjetischen Kontrollpunktführer248 0700Z D-Day. – Verlautbarung an die Medien (Press Statement)249 Anschließend sollten im Detail die Rahmenbedingungen für die einzelnen Schritte untersucht werden. Handlungsleitend war dabei immer die Frage, welcher Schritt wann gerechtfertigt war. Entsprechende Entscheidungen würden erst im Einsatzfall getroffen werden können und standen stets unter dem Vorbehalt der aktuellen Lageentwicklung. Dazu wurde auch ein Katalog von Entscheidungen entworfen, welche die WAG getroffen haben musste, bevor der Einsatz der schon versammelten »Probe« befohlen und terminiert werden konnte. Erst dann würde Lemnitzer abschätzen und die Regierungen entsprechend informieren können, an welchem Tag und zu welcher Stunde er tatsächlich die »Probe«-Operation »Free Style« am sowjetischen Kontrollpunkt einsetzen konnte. Das Fernschreiben der WAG mit den erbetenen Entscheidungen und Lemnitzers Antwort würden dann der Bonn Group, allen betroffenen Befehlshabern und anderen zur Information zugeleitet. CINCBAOR würde die »Probe Force« in Wolfenbüttel so bereitstellen, dass sie zu dem vom CLO befohlenen Zeitpunkt in Helmstedt eintreffen könne.250 Jeder Schritt musste politisch gewollt und militärisch vorbereitet und abgestimmt sein. Es kam darauf an, alle gebotenen Maßnahmen so weit als möglich zu planen, gleichzeitig aber noch genügend Spielraum für flexible Änderungen und Anpassungen zu haben. Die letzte Entscheidung lag immer bei den Regierungen, die durch die WAG ihre Entschlüsse an die militärische Führung übermitteln sollten. Eine weitere Konsequenz war auch erkennbar: Dieser schwierige, komplexe Konsultations- und Entscheidungsweg bedurfte besonderer Ausbildung und Gewinnung von Erfahrung in regelmäßig stattfindenden Übungen, nicht nur für die Soldaten. Die Dokumentation und die Verfahren, die bei der Präsentation von Konvois am sowjetischen Kontrollpunkt genutzt werden mussten, bildeten einen weiteren Schwerpunkt in der politisch-militärischen Diskussion: Viele Versuche der Harmonisierung waren ohne durchschlagenden Erfolg geblieben. Immer wieder zeigten sich Führer von Konvois und Einzelfahrzeugen der Drei Mächte nicht diszipliniert und zu wenig verständnisvoll für die Problematik. Die »Probes« hatten sicherlich nicht die gleiche Bedeutung wie die politischen Grundsatzerwägungen zuvor, aber korrekte Behandlung und Vorbereitung konnten Voraussetzung für Gelingen oder frühes Scheitern einer Operation sein.251 Die Zahl der Besprechungen, Konferenzen und Dokumente zu diesem Befehl durch General Lemnitzer, nach Beratung in der Bonn Group, ebd., Appendices F und E. Befehl durch CINC BAOR auf Befehl von General Lemnitzer, ebd., Appendix F. 249 Durch die Bonn Group nach Konsultation mit Live Oak, herausgegeben durch die Drei Botschaften in Bonn bei Ankunft der »Probe« in Helmstedt und übermittelt an das Tripartite Information Centre über Live-Oak-Fernmeldeverbindungen, ebd., Appendix C. 250 BArch, BW 71/120, Nr. 1, S. 6 f., Para. 13‑15. 251 Siehe Diskussion hierzu oben und die Dokumente, v.a. BERCON-TRI D-2a vom 22.9.1959, BArch, BW 71/106, Nr. 11; BQD-4 vom 30.11.1961, BArch, BW 71/59, NR. 20; BQD-CC-14 vom 4.6.1962 »Allied Convoy Processing«, BArch, BW 71/59, Nr. 37A; sowie BQD-CC-18 vom 247 248



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Thema macht deutlich, wie schwierig und komplex es war; der Teufel lag im Detail. In einem Memorandum für General Lemnitzer Ende Dezember 1962 hatte der Chef des Stabes Live Oak, Major General Geoffrey H. Baker, ein einheitliches Vorgehen als unverzichtbare Voraussetzung für ein adäquates Reagieren beider Seiten bezeichnet.252 Das Durchschleusen von Konvois gehörte zur täglichen Routine. Es umfasste – die Dokumentation für Einzelfahrzeuge und für Konvois; – die Bestimmung der Zahl der Fahrzeuge, die einen Konvoi definierten; – die vorherige Ankündigung bei den sowjetischen Behörden, dass ein Konvoi in Kürze eintreffen werde (das war notwendig, damit diese genügend Personal für eine schnelle Abfertigung verfügbar hielten); – das Absitzen der Besatzungen (»Dismounting«) zum Abzählen, also der »Headcount« zur Überprüfung des Marschbefehls; – das Herunterlassen von Ladeklappen von Lastkraftwagen, um die Überprüfung des Inhalts durch die Gegenseite zu erleichtern, obwohl diese kein Recht hatte, das Innere alliierter Fahrzeugen zu inspizieren; – und schließlich das Vorzeigen der Identitätsausweise. Leider war es den Kommandanten von Berlin und den Botschaftern in Bonn bisher nicht gelungen, eine gangbare Einigung über gemeinsame Regeln zu erzielen, wie der COS, General Baker, feststellte.253 Bei allen drei Nationen bestand ein Konvoi aus mindestens zwei Fahrzeugen. Die Amerikaner und Franzosen meldeten einen Konvoi ab acht Fahrzeugen an, die Briten zunächst bereits ab vier, entschieden sich dann aber, auch erst ab acht anzumelden, um die amerikanische Position nicht zu kompromittieren. Sie vermieden Konvois mit vier bis sieben Fahrzeugen. Amerikaner und Franzosen ließen nur auf Befehl ihres eigenen Führers bei mehr als 40 Soldaten absitzen, Fahrer und Beifahrer nicht mitgezählt. Die Briten hatten keine Bedenken, auf Befehl ihres Führers zum Abzählen abzusitzen, wenn es für die Russen schwierig war, die Soldaten zu zählen. Sie machten das aber nicht bei schlechten Witterungsverhältnissen oder im Fall von Bussen oder Lastkraftwagen, deren Planen abgenommen oder hochgerollt waren. Während Amerikaner und Franzosen keine Ladeklappen öffneten, machten die Briten dies bei Anforderung, wenn die Ladebordkanten sehr hoch und die Ladeflächen daher schlecht einsehbar waren. Es handelte sich also um Kleinigkeiten, die dennoch erhebliche Bedeutung gewinnen konnten,254 da niemand wusste, ob ein gewisses Verhalten oder Vorgehen von der Gegenseite als Provokation empfunden wurde. Im Extremfall war der Einstieg in die Eskalation und die nukleare Katastrophe wegen eines falsch eingetragenen Details in den Passagierdokumenten denkbar.

29.6.1962‚ »Paper on Autobahn Procedures prepared during Tripartite Discussions in Berlin«, BArch, BW 71/57, Nr. 2. 252 BArch, BW 71/118, Nr. 21: SHLO 525/172 vom 17.12.1962, LO-TS-62-97, Annex A, Para. 3, S. 1; auf Anforderung Lemnitzers nach dessen Berlinbesuch kurz zuvor. 253 In der Anlage zu diesem Memorandum hat er die verschiedenen nationalen Regelungen gelistet und gegenübergestellt. 254 Als Beispiele können die verschiedenen Konvoikrisen dienen, siehe auch oben, Kap. III.4.a und b.

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Ein weiterer Bereich umfasste die Einsatzregeln (Rules of Conduct, ROC, später meist Rules of Engagement, ROE, genannt) für die Führer von Konvois: Diese waren anzuwenden, wenn ein Konvoi auf der Autobahn in seiner Bewegung behindert oder sogar blockiert und dadurch festgehalten wurde. Diese Regeln waren im August 1962 von allen Drei Mächten einvernehmlich festgelegt worden.255 Die wesentlichen Elemente hierbei waren: – Protest des Konvoiführers an Ort und Stelle bei gleichzeitiger Abstimmung mit seinem eigenen Kommandanten in Berlin; – detaillierterer Protest nach Weisung des Kommandanten, darin Begrenzung der Wartezeit; – nach Ablauf dieser Frist ein Versuch, den Marsch fortzusetzen, ohne Gewalt anzuwenden; – falls der Konvoi aufgehalten wurde, kein Rückzug, außer der Konvoi wurde beschossen; – keine Feuereröffnung, es sei denn, sowjetische oder ostdeutsche Soldaten schossen zuerst, und auch dann nur, um den dann folgenden Rückzug zu sichern. Die Einsatzregeln wurden detailliert ausgearbeitet, waren im Umfang aber noch anwendbar.256 Den Hintergrund dieser teils übergenauen Festlegungen bildeten reale Erfahrungen. Nachdem es im Herbst 1963 zu verschiedenen, schweren Zwischenfällen auf der Autobahn gekommen war und ein Einsatz der »Probe« notwendig und möglich schien, hatte Lemnitzer in einem längeren Fernschreiben an die WAG und nach Abstimmung mit MOD Paris, CINCBAOR und CINCUSAREUR standardisierte Verfahren vorgeschlagen. Als wesentlichen Vorteil führte er ins Feld, dass weitgehende Abstimmung bis ins Detail die alliierte Solidarität im Verhalten den Sowjets gegenüber verbessere und sowjetische Versuche unterlaufen könne, nationale Unterschiede in den Verfahren als Schwächen oder Zugeständnisse auszunutzen. Im Eventualfall könnten alle Drei Mächte gemeinsam leichter die betroffene Nation unterstützen, »logically, unifiedly, and uniformly«, wie er feststellte.257 Schließlich konnten die sowjetischen Posten die »Probe«-Operationen »Free Style« und »Back Stroke« dann nicht unter dem Vorwand aufhalten, dass die Verfahren der nationalen Komponenten innerhalb der »Probe« nicht übereinstimmten. Zur Frage, ob diese standardisierten Verfahren vorher dem Gegner bekanntgemacht werden sollten, äußerte sich Lemnitzer negativ. Er sah vom militärischen Standpunkt aus nur Nachteile: den Verlust von Flexibilität; den Anschein, dass man über diesen Katalog mit sich verhandeln ließe und ggf. Zugeständnisse mache; den Anreiz für die Gegenseite zu prozeduralen Versuchsmaßnahmen; und Probleme bei Übernahme der Aufgaben durch die Ostdeutschen.258

BArch, BW 71/45, Nr. 41/42: SHLO 600/128, 30.8.1962, LO-S-62-1080; Annex zum Vorgang, die Regeln in Form einer Matrix, ist jedoch als LO-S-62-1081 bezeichnet. 256 Vgl. BArch, BW  71/45, Nr.  41/42: »Rules of Conduct for Convoy Commanders and Policy Guidance for Berlin Commandants«, 28.8.1962, SHLO 600/128, LO-S-62-10881. 257 BArch, BW 71/119, Nr. 40: Msg Live Oak Nr. SHLO 9-00085, 19.10.1963, LO-TS-63-3047, Para. 3. 258 Ebd., Para. 7 und 8. 255



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In diesem Punkt entschied sich die WAG anders.259 Den drei sowjetischen Militärmissionen in der Bundesrepublik wurde ein Papier der drei westlichen CINC übermittelt, in dem die gültigen, angeglichenen Verfahren aufgeführt waren. Sinn und Zweck waren eindeutig: »In order to avoid any misunderstanding on the part of the Soviet Military Authorities [...] these instructions have been issued by the Allies in the Exercise of their unrestricted rights of Access to Berlin«.260 Die damit von den Drei Mächten vereinbarten Regelungen waren einfach und kurz, ließen keine Zweideutigkeiten mehr zu und stellten offenbar auch den ehemaligen Verbündeten zufrieden.261 Sie hatten Bestand bis zum Ende von Live Oak 1990. Dennoch kamen immer wieder Diskussionen dazu auf, so beispielsweise zur Frage, wer die Erlaubnis zur Sendung eines kleinen, also »nondismountable« Konvois in einer Krise erteilen dürfe.262 In den folgenden Jahren wurde geprüft, ob die Dokumentation nicht weiter vereinheitlicht, d.h. nur noch eine einzige gemeinsame »tripartite« Anmeldung anstelle national getrennter, wenn auch formal gleichlautender Dokumente erstellt werden sollte.263 Nach langen Diskussionen wurden schließlich vier Varianten in den Operationsplan264 geschrieben: – Bei der »Nationalen Dokumentation« mit vorheriger Ankündigung (»warning«) würden die drei westlichen Kontrolloffiziere aus Helmstedt gemeinsam und gleichzeitig eine Stunde vor Eintreffen der »Probe« die nationalen Teile beim Führer des sowjetischen Kontrollpunktes anmelden und klar machen, dass diese nationalen Teilkonvois zusammen und gemischt fahren würden. – Als nächstes war eine einzige Dokumentation mit vorheriger Ankündigung aufgeführt: Der britische Kontrolloffizier würde den Konvoi in Begleitung des amerikanischen und des französischen Kameraden als »Tripartite Convoy« anmelden, ebenfalls eine Stunde vor Eintreffen. – Die dritte Variante sah keine Dokumentation, aber eine vorherige Ankündigung vor: Diese würde etwa 24  Stunden vor Beginn der »Probe« in gleicher Weise wie die Option zuvor mit der Erklärung erlassen, dass ein »Tripartite Convoy« nach Berlin durchreisen würde: »Without documentation, but in accordance with the Allied rights of unrestricted access.«265 – Bei der vierten Variante würde der Konvoi ohne Dokumentation und ohne militärische Vorwarnung am sowjetischen Kontrollpunkt Marienborn eintreffen. Die Annahme bestand jedoch darin, dass er der Gegenseite vorher diplomatisch angekündigt worden war. Vgl. WAGTO-21, ohne weitere Kennzeichnung, mit Datum 28.10.1963, BArch, BW  71/58, Nr. 27; das Original ist nicht im Bestand Bw 71. 260 Ebd., 1. Abs. 261 Siehe das »Extract from WAGTO-21«, 28.10.1963, BArch, BW 71/58, Nr. 27; WAGTO-21 selbst ist nicht im Bestand BW 71. Siehe auch SHLO 700/20 vom 30.10.1963, LO-C-63-1105, BArch, BW 71/58, Nr. 26. Der Inhalt des Papiers wird hier nicht mehr thematisiert. 262 BArch, BW 71/120, Nr. 2: LO-TS-64-2. 263 BArch, BW 71/55, Nr. 3: SHLO 400/125, LO-TS-68-75. 264 Annex H, »Operation HIGHWAY« zu BAOR Op.Instr. 1/87, 9.12.1987, BArch, BW 71/99, Nr. 1. 265 BArch, BW 71/99, Nr. 1: HQ BAOR Op.Instr. 1/87, 9.12.1987, Annex H, Appendix 2, Para. 2.c. Es ist nicht klar, wie und wann diese Neuerung in den Plan aufgenommen worden war. 259

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Die politische Weisung für die Durchführung dieser Operation sollte dann auch die jeweils anzuwendende Variante enthalten. Die drei westlichen Kontrolloffiziere aus Helmstedt sollten auf jeden Fall stets gemeinsam die »Probe« wie ihre nationalen Konvois den sowjetischen Verantwortlichen vorstellen. In der Frage der Dokumentation kam es darauf an, im Plan soviel Flexibilität wie möglich zu erhalten, um den Auftrag zu erfüllen, den freien Zugang wieder zu erreichen. Der damalige Chef des Stabes, General John M. Strawson, merkte dazu an, dass es in der Vergangenheit viel Diskussionsstoff in der Frage der sowjetischen Reaktionen in einer Situation ohne vorherige Erfahrungswerte gegeben habe. Ein gemeinsamer Konvoi der Drei Nationen war so ein Fall. Es war schwierig, Reaktionen vorauszusagen, ohne einen Versuchskonvoi zu schicken. Der Operationsplan musste daher Alternativen enthalten, die je nach Situation eingesetzt werden konnten.266 Auch operative Fragen und Probleme wurden über die Jahrzehnte teilweise kontrovers diskutiert. Ein Aspekt hat immer wieder zu lebhaften Diskussionen bis zum Ende der Organisation geführt: die Frage, ob wirklich alle drei Optionen (A, B und C) der Operation sinnvoll seien. Die bereits im Sommer 1959 von den Amerikanern und Briten geäußerten Zweifel an »Probe A« beruhten vor allem auf der Erkenntnis, dass die angenommene, bereits stattgefundene Blockade eines regelmäßigen nationalen Konvois schon selbst genug primäre Erkenntnis über die Absichten der Gegenseite erbracht hatte.267 Die WAG aber wollte diese Option erhalten, daher blieb sie im Plan. In späteren Zeiten, erstmals wohl im Frühjahr 1963 kam auch »Probe B« in die Kritik: Der zu diesem Zeitpunkt aktive CLO General Lemnitzer schlug vor,268 sowohl A wie auch B aus dem Plan zu streichen. Als Begründung führte er an, dass dem Zeitpunkt, da eine »Tripartite Probe« eingesetzt würde, reguläre Konvois bereits aufgehalten worden wären. Daher sei es wenig sinnvoll, eine solche »Probe« mit fast gleicher Fähigkeit in Marsch zu setzen. Die WAG hatte diese Argumente zur Kenntnis genommen, aber festgestellt, dass die Regierungen in der Lage sein sollten, ihre Wahl im Lichte der dann herrschenden Umstände zu treffen. Dafür sollte die ganze Breite der Optionen offen sein, um größere Flexibilität in der Behandlung von unvorhergesehenen Zwischenfällen zu erlauben, die zu dieser Zeit erwachsen könnten.269 Die militärische Seite blieb bei ihrer Meinung,270 und so kam dieses Problem in den achtziger Jahren wieder in den Blick, im Zusammenhang mit der Initiative von General Rogers im Zuge der »Live Oak Review«, in der alle Pläne von Live Oak auf die Prüfa-

BArch, BW 71/50, Nr. 21: »Live Oak Position Paper«, im Nachgang zur Übung »Steel Trap I« von 1971: SHLO 71/482, 30.6.1971, Para. 9, S. 3. 267 Siehe hierzu für die US-Seite JCS SM 193/59, 6.6.1959, LO(IN)-TS-59-2004, BArch, BW 71/116, Nr. 8. Für das Vereinigte Königreich: WFD/663, 17.6.1959, LO(I-TS-59-2006, BArch, BW 71/116, Nr. 10. 268 BArch, BW 71/49, Nr. 27: SHLO 9-00012, 14.2.1963, nicht erhalten, Inhalt in UKLO/201/8217, 10.7.1970, LO-S-70-3067. 269 So in WAGTO-9, 1.5.1963, LO 9-41, Para. 3, , S. 2, BArch, BW 71/119, Nr. 49. BAOR allerdings machte sich Sorgen, wie ein sinnvoller Auftrag für diese Optionen zu formulieren sei. BArch, BW 71/119, Nr. 33: Brief Gen. D.E.B. Talbot, CoS BAOR, 19.6.1963, LO(IN)-TS-63-2045. 270 Man erkennt das daran, dass die Diskussionen fast nur noch um kritische Fragen im Zusammenhang mit der »Probe C« kreisten, so z.B. 1970 und 1975. 266



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genda gesetzt wurden.271 In den Beratungen zum »Package 2 (Ground Plans)« wurde die Option B als nicht sinnvoll aus dem Operationsplan gestrichen, nur A und C blieben erhalten.272 Für die Möglichkeit aufgehaltener Konvois mit nur begrenztem Krisenpotenzial bürgerte sich in der Folge ein neuer Begriff ein, die »Sympathetic Convoys«.273 Im Laufe der ernsten Konvoikrisen vom Oktober und November 1963 hatte es sich gezeigt, dass zwar nationale Konvois gestoppt worden waren, dass aber die Krise als nicht so schwerwiegend angesehen wurde, um den Einsatz der bereits versammelten »Probe« zu rechtfertigen.274 In dieser Lage hatte Lemnitzer die dringende Stellungnahme der vier einzubeziehenden militärischen Hauptquartiere erbeten: MOD Paris, ASB, CINCBAOR und CINCUSAREUR; die Regierungen wurden gleichzeitig informiert. Live Oak habe überlegt, was getan werden könne, falls ein nationaler Konvoi, wie beispielsweise der für den 12. November geplante US-Konvoi, blockiert würde. Er sei der Meinung, dass eine gemeinsame »tripartite nature«-Aktion der folgenden Art geeignet sein könnte: Je ein Konvoi der beiden anderen Nationen, in gleicher Zusammensetzung wie der blockierte Konvoi, sollten nach diesem folgen. Wenn beide problemlos passierten, wäre erwiesen, dass sich die Blockade nur gegen eine einzige Nation richte. Eine Alternative wäre dann, dass sich ein durchgelassener Konvoi vor den blockierten setzen und die Weiterfahrt verweigern würde, bis der blockierte freie Passage erhielt.275 Dieser Vorschlag blieb offensichtlich unbeantwortet. Ein Grund mag gewesen sein, dass die Krise abgeklungen war. An dieser Frage ist jedoch weiter gearbeitet worden.276 General Lemnitzer fasste für die WAG einige Lehren aus den Konvoi-Zwischenfällen zusammen. Dies war wohl dann auch die eigentliche Geburtsstunde der später als »Sympathetic Convoys« bezeichneten Ergänzungen im Zauberkasten von Live Oak. Diese Vorstellungen fanden offensichtlich die Zustimmung aller. Da sie aber nationale Aufgabe blieben, wurde daraus zunächst kein Live-Oak-Operationplan.277 In den achtziger Jahren allerdings wurde diese Option doch in das Live-Oak-Arsenal als »Operation Plan BO-

BArch, BW 71/96, Nr. 4: SHLO O 83/1154-S, v.a. Annex B, »Live Oak Review Terms of Reference«. 272 Siehe hierzu auch: BArch, BW 71/76, Nr. 31: HQ BAOR (G3 Ops/OR), B 1131 Live Oak vom 28.4.1987, SHLOIN I 87/1014-S, und HQ BAOR Op. INSTR. 1/87, Annex H, »Op. Highway Road Probes«. Leider sind die Originaldokumente der WAG und von Live Oak hierzu nicht im Bestand, also auch nicht die Begründung für diese Maßnahme; sie dürfte ähnlich gelautet haben wie jene General Lemnitzers von 1963. 273 Es ist aus den Dokumenten nicht eindeutig zu erschließen, wie es zu dieser Bezeichnung gekommen ist. Dieser Typus sollte im Wortsinne wohl herausfinden, ob Konvois anderer Nationen von Behinderungen betroffen waren oder nicht. Es gibt auch keinen Hinweis, wer den Ausdruck geprägt hat und wann das geschehen ist. Ab Anfang der 1970er Jahre war er gebräuchlich, so die Erinnerung des Verfassers. 274 BArch, BW 71/58, Nr. 17: Msg Live Oak SHLO 5-00229, 9.11.1963, Para. 8. 275 BArch, BW 71/58, Nr. 18: Msg SHLO 5-00230, 9.11.1963, Para. 1. 276 Lemnitzer in seinem Brief an die WAG vom 25.2.1964: BArch, BW 71/120, Nr. 5: SHLO 900/4, LO-TS-64-8, Subj.: »Actions in Case of Procedural Harassement of Military Convoys on the Berlin Autobahn«. 277 In der Überlieferung ist nur ein zustimmendes Dokument enthalten: BArch, BW 71/120, Nr. 6: »USAREUR-Comments to CINCEUR«, 28.2.1964, SHLO 400/4, LO-TS-64-9. 271

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

GNOR – Sympathetic Convoy« aufgenommen.278 In den verschiedenen zusammenfassenden Dokumenten, z.B. den offiziellen Live-Oak-Briefings,279 sind sie daher enthalten. Die Anwendung von Gewalt durch den Gegner (»Use of Force«) blieb ein wichtiges Thema: Der militärische Planungsapparat versuchte beispielsweise, die Definition so zu erweitern, dass die Blockierung eines Konvois durch Schützenpanzer bereits den Tatbestand des Einsatzes von Gewalt durch den Gegner erfüllte.280 Die »Use of Force« in einer politischen Krise wurde auch immer wieder zwischen den Hauptquartieren diskutiert, weil den Soldaten oft nicht leicht zu erklären war, dass es sich bei der »Probe«-Operation vor allem um eine politische Operation handelte. Man erkannte dabei sehr wohl, dass die Risiken von Soldaten getragen werden mussten. Doch entschieden, so weit absehbar, in erster Linie politische und weniger militärische Faktoren über die Auswahl und den Einsatz der »Probe«.281 Auch das Thema einer »Free Style Reserve Force« sorgte für Diskussionsstoff. Die WAG stellte 1963 die Frage, ob die Drei Mächte während einer laufenden »Probe«-Operation nicht eine kampfkräftige Deckungstruppe bereithalten sollten, um die Aufnahme einer zurückgehenden »Probe« zu ermöglichen.282 Die daraufhin bei Live Oak erarbeitete Studie kam zu dem Schluss, dass eine solche Abteilung zum Entsatz möglicherweise auf das Territorium der DDR vorrücken müsste, was den Vorwurf der »Invasion« nach sich ziehen würde. Lemnitzer argumentierte, die Regierungen wüssten doch, dass »Trade Wind« niemals dazu bestimmt gewesen sei, »Free Style« zu verstärken oder zu entsetzen, vielmehr einen eigenen politischen Auftrag habe.283 Der CLO erinnerte schließlich daran, dass das Engagement dieser sehr begrenzten und spezialisierten Kräfte dem Erreichen eines rein politischen Ziels gelte. Diese Gruppierung könne ggf. nur durch erfolgreiche diplomatische Verhandlungen befreit werden. Sollten diese fehlschlagen, sei der Verlust der Kräfte als ein Teil des unausweichlichen Risikos in der Verfolgung eines höheren Zieles der alliierten Politik zu akzeptieren.284 Damit war das Konzept einer wie immer gearteten »Reserve Force« vom Tisch. Es wurde aber in den Überlegungen während der Überprüfung aller Optionen und Operationspläne in den achtziger Jahren wieder in die Diskussion eingebracht. In Form der Tripartite Task Force (TTF) wurde es genehmigt und als »Operation Plan ›Mandolin‹« in die »Operation Instruction Nr. 1/87«

Anlage  F zu »HQ BAOR Op.Instr.  1/87«, 30.11.1987, B 1115 Live Oak, SHLOIN I 88/023, BArch, BW 71/99, Nr. 1. 279 So auch in BArch, BW 71/90, Nr. 9: SHLO S/O 90/035, 28.6.1990, S. 10. 280 Durch APC, wie im Oktober 1963, siehe oben, Kap. III.4.a; auch BArch, BW  71/58, Nr.  36: SHLO 900/5, 29.7.1964, LO-TS-64-1084. Dieser Vorschlag wurde nach längerer Bedenkzeit abgelehnt mit BArch, BW 71/48, Nr. 47: WAGTO-42, 10.4.1967, Encl. 2 to BQD-M-31, LO(IN)S-67-3063. 281 »The Employment of the Autobahn Probes«, 10.7.1970, Para. 5, S. 3, BArch, BW 71/49, Nr. 27: UKLO/201 /8217-S, LO(IN)-S-70-3067. 282 WAGTO-6, 24.1.1963, nicht im Bestand; Inhalt in Memo COS Live Oak: BArch, BW 71/119, Nr. 21: SHLO 200/28, 17.7.1963, LO-TS-63-61. 283 Ebd., Para. 3. 284 Brief CLO an die WAG vom 20.7.1963, S. 2, Para. 2.h, BArch, BW 71/119, Nr. 23: SHLO 900/5, LO-TS-63-65; hierzu auch die Stellungnahme in BArch, BW 71/1, Nr. 63: FS Nr. 566 des NMR Germany/LO vom 21.8.1963 an BMVg, Fü B III 8, Tgb.Nr. 456/63 str.geh. 278



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der BAOR aufgenommen.285 Die TTF sollte aus rasch zu versammelnden Teilen der Tripartite Battle Group bestehen. Nur einmal wurde die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll sein könnte, die »Probe« bei Nacht einzusetzen. Diese Idee wurde nicht mehr verfolgt. Die Aufklärung und die Übersicht am Ort des Geschehens waren bei Nacht erschwert, Verunsicherung der Führer und der Truppe leichter möglich, Waffenwirkung schwerer zu beurteilen und das vielleicht wichtigste Element, die Nutzung der Öffentlichkeit, weniger wirksam.286 Die Autobahn-»Probe« war die wichtigste Option im Bereich des Landzugangs. Sie umfasste alle für diese komplexe politische Aufgabe entscheidenden Komponenten. Das notwendige Zusammenspiel aller konnte hier im Ernstfall exemplarisch dargestellt und deutlich gemacht werden. Daher verlangte diese Operation eine intensive, gemeinsame Ausbildung, für die die beteiligten Kontingente mehrmals im Jahr versammelt wurden.287 Die Bedeutung wurde zusätzlich dadurch unterstrichen, dass der CLO die Genehmigung der WAG erhielt, die »Probe Force« in eigener Verantwortung für die Ausbildung und für den Einsatz zu versammeln,288 allerdings nicht, den Einsatz selbstständig anzuordnen. Für den Landzugang der Alliierten auf der Autobahn waren im Basic Paper Vorstellungen entwickelt und Aufträge erteilt worden, nicht jedoch für den Zugang auf der Schiene. Über die Gründe braucht man nicht zu spekulieren, denn eine Unterbrechung oder Störung des Schienenverkehrs konnte nicht einfach durch militärisches Handeln beendet werden.289 Es war zwar nicht so, dass es in der Vergangenheit keine Zwischenfälle auf den Schienenwegen gegeben hätte. Eine Aufstellung zahlreicher Vorkommnisse von 1963 demonstriert das Gegenteil.290 Indes stellten sich hier ganz andere Schwierigkeiten ein als bei einer Blockade der Straßenverbindungen. Der Schienenweg war noch einfacher und schneller auf dem Verfahrensweg zu sperren als die Straße. Daher gab es bei Live Oak zunächst auch keine Überlegungen, die sowjetischen Absichten durch »Probes« zu erkunden.291 Nach den krisenreichen Monaten im Sommer und Herbst des Jahres 1961 mit dem Bau der Mauer und zahlreichen Konfrontationen in Berlin und auch BArch, BW  71/99, Nr.  1: Annex  K der HQ BAOR, G3 OPS, B 1100 Live Oak, 30.11.1987, SHLOIN I 87/023. 286 BArch, BW 71/120, Nr. 28: HQ BAOR B 1100 G OPS and Plans, 9.8.1966, LO(IN)-TS-66-2014, Para. 4.c, S. 1. 287 Mehr dazu in Kap. IV.1.d. 288 BArch, BW 71/45, Nr. 25: LO-Msg-5-458-S, 30.4.1962. 289 Studie More Elaborate Military Measures, 26.6.1959, S. 2, Para. 5, BArch, BW 71/132, Nr. 1: LOTS-59-1005; siehe auch Para. 3, Appendix A von ECLO 300/20, 24.7.1959, BArch, BW 71/132, Nr. 2. 290 Siehe hierzu die Aufstellung des US State Department vom 25.3.1963, BArch, BW 71/4, Nr. 7: »Brief History of Incidents Related to Question of Military Personnel Dismounting in East Germany from Allied Trains on the Berlin Run«, Released to L.O., 4.4.1963, LO(IN)-S-63-3046. Darin sind zahlreiche Vorkommnisse gelistet, meist mit US-Zügen. Die Gründe waren technischer Art oder Dispute über die Dokumentation, die Identifizierung von Passagieren, die Überprüfung der Fracht durch sowjetische Kontrollorgane oder das Verhalten amerikanischer Zugbegleiter bei Halten innerhalb der DDR. Dass es sich v.a. um amerikanische Züge handelte, mag daran gelegen haben, dass die Amerikaner viel mehr Züge einsetzten als die anderen und ihre Rechte genau definierten und verteidigten. 291 Derartige Pläne existierten bereits seit 1957 bei USAREUR, siehe BArch, BW  71/44, Nr.  45: USEUCOM Nr. 4159, 1.3.1961. 285

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auf den Zugängen hatten die WAG und ihre Untergruppen allerdings verstärkt darüber nachgedacht, wie man die Zahl der Optionen, vor allem bei den Gegenmaßnahmen, erhöhen könnte. In einem Papier der Military Subgroup der WAG vom Dezember 1961 taucht erstmals der Begriff einer »Military Rail Probe« auf, die bei andauernder Behinderung des Alliierten Zugangs, egal ob Straße oder Schiene, eingesetzt werden könnte.292 Detailliertere Überlegungen dazu wurden in einer frühen Fassung des BQD-CC-11 vom Mai 1962293 und in einigen Live-Oak-Papieren angestellt, die allerdings nicht überliefert sind. Grundlage der Überlegungen war vielleicht ein eigenständiger Plan der Amerikaner.294 Spruchreif wurde dies jedoch erst, als die WAG im Oktober 1962 Live Oak den Auftrag erteilte, im Rahmen weiterführender Planungen auch eine »Rail Probe« durch eine Studie vorzubereiten.295 Als Bedingungen wurden im Auftrag genannt: Der Einsatz komme nur dann in Frage, wenn der alliierte Zugverkehr blockiert werde, und Ziel der »Probe« sei es zu klären, ob die Gegenseite die Absicht verfolgte, »permanently to withhold the cooperation required to permit integration of the normal allied rail traffic into the East German rail system«.296 Im Rahmen der Studie sollten von Live Oak, analog zur Straße, drei Varianten untersucht werden.297 Der Auftrag dieser »Probe« sollte sich dann als sehr viel begrenzter erweisen als jener der Autobahn-Operation, da sie die Durchfahrt unter keinen Umständen erzwingen, sondern nur den Willen zur Zusammenarbeit testen sollte. Für Live Oak definierte sich der Handlungsbedarf daraus herauszufinden, »whether the Soviets/East Germans intend permanently to withhold the cooperation required to permit integration of the normal Allied rail traffic to and from West Berlin into the East German railroad system«.298 Die drei Alternativen waren, analog zur Straße, für »Probe A« einen gemeinsamen alliierten (»tripartite«) Zug mit einer Lokomotive und deren Bedienung anzubieten. Dabei würde die dauernde Weigerung der Gegenseite, den Zug anzunehmen, durch die Alliierten als Beweis für die Absicht genommen, die Blockade aufrechtzuerhalten. Für »Probe B« sah man vor, einen gleichen Zug wie bei »Probe A« anzubieten, der trotz Verweigerung der Durchfahrt weiter durch den Bereich des Kontrollpunkts hindurchfahren sollte, bis er zum Halten gebracht würde, entweder durch ein Hindernis, ein Signal auf Rot oder durch Ableitung auf eine andere Strecke mittels einer Weiche. »Probe C« sollte wie B vorgehen, aber Signale nicht beachten. Das Zugpersonal sollte versuchen, Wei BQD-M-21 »Status of Quadripartite Ground Operational Planning as of December 21, 1961«, überliefert in BArch, BW 71/1, Nr. 6: BMVg, Fü B III 1 LO, Tgb.Nr. L 61/62 str.geh., Anlage 2, S. 2‑4. 293 BArch, BW 71/45, Nr. 52: Teil II, »Military Countermeasures«, 11.5.1962, LO(IN)-S-62-4011. 294 Vgl. dazu auch Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 11. 295 BArch, BW 71/3, Nr. 53: lfd. Nr. 32 »Rail Probe« in BQD-CC-11 Rev., 19.10.1962, »Military Countermeasures«, LO(IN)-S-62-4080. Zur Geschichte der »Rail Probe« siehe auch BArch, BW 71/86, Nr. 3: SHLO O 82/1254, 10.11.1982. 296 BArch, BW 71/3, Nr. 53: Para. 5, S. 5, 2. Abs. 297 Im Übrigen wurde ebd. auch eine »Inland Waterway Probe« in Punkt 6 angesprochen, aber nicht realisiert. Siehe des Weiteren BArch, BW 71/4, Nr. 24: BOWAG-25, 28.8.1963, in dem diese Idee einer allerdings zivilen »Probe« (»possible civilian inland waterway probes«, ebd. Para. 1.a) noch einmal diskutiert wurde. Abschließend wurde hier jedoch empfohlen, diese Option nicht weiter zu verfolgen, sondern einer Sperrung der auch für Berlin lebenswichtigen Binnenwasserstraßen durch andere, geeignetere Gegenmaßnahmen zu begegnen. 298 BArch, BW 71/118, Nr. 20: SHLO 300/587, 20.11.1962, Para. 2, Annex A. 292



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chenstellungen so zu ändern, dass der Zug auf der vorgesehenen Strecke weiterfahren konnte, bis er physisch am Weiterfahren gehindert würde oder bis die Besatzung den Zug nicht länger auf der richtigen Strecke halten konnte.299 Von den durch alliierte Züge befahrenen drei Schienenwegen sah Live Oak nur den mittleren, üblicherweise durch die Personenzüge genutzten für eine Probe als geeignet an, den von Helmstedt über Magdeburg, Brandenburg, Potsdam nach Berlin. Für diesen Weg sprach das Gewohnheitsrecht, außerdem verfügte er über ausreichende Kapazität und einen Kontrollpunkt. Eine absichtliche Blockade dort würde Auswirkungen auch auf andere, zivile Züge haben. Als geeignete Zeit für den Einsatz einer solchen »Probe« wurde eine der durch die ostdeutsche Reichsbahn in der jährlichen Fahrplankonferenz bestätigten täglichen alliierten Verbindungen angesehen. Diese liefen früh morgens für Amerikaner und Franzosen und früh am Abend für die Briten. Eingehend befasste sich die Studie mit den technischen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen dieser Optionen, denn sie würden großen Einfluss auf die Operation haben.300 Es gab zahlreiche Möglichkeiten, einen Zug durch Änderung der Weichenstellung auf ein Abstellgleis oder eine andere Strecke umzuleiten. Derartige technische Sperren konnten aber, etwa mit Hilfe eines Brecheisens, leicht beseitigt werden. Lokführer, die Streckenkenntnis besaßen, waren in der Lage, den Zug schnell wieder auf die richtige Strecke zu bringen. Im Fall von Live Oak aber konnte ein solches Handeln ernste Rückwirkungen haben, da die Gewaltanwendung, wenn auch nur gegen Gegenstände, dann originär von den Alliierten initiiert worden war.301 Problempotenzial bestand auch in der Frage der Schadensbehebung, etwa um den nachfolgenden Verkehr zu schützen. Einrichtungen zur Instandsetzung der Strecke waren bei der Reichsbahn in ausreichendem Maße vorhanden, sodass es keinen Grund geben konnte, mit dieser Ausrede die alliierten Züge festzuhalten, solange nicht eine wichtige Brücke eingestürzt war oder sich ein schwerer Unfall auf der Strecke ereignet hatte. Wenn aber eine Strecke tatsächlich nicht nutzbar sein sollte, konnte auch der »Probe«-Zug auf eine Ausweichstrecke verwiesen werden, was wiederum wesentliche Verzögerungen zur Folge haben konnte. Eine der wahrscheinlichsten Handlungen der Gegenseite konnte die Weigerung sein, eine Reichsbahn-Lokomotive mit Besatzung für die Durchfahrt durch ostdeutsches Territorium zu stellen. Daher mussten die Alliierten sich darauf einstellen, eine eigene Maschine mit darauf vorbereiteter Besatzung zu nutzen. Da dies in Berlin schwierig werden dürfte, standen dort infolge der speziellen vertraglichen Situation doch nur Lokomotiven der Reichsbahn zur Verfügung, sollte die »Probe« nur von Helmstedt aus eingesetzt werden. Abgesehen davon gab es weitere vielfältige technische Gegebenheiten für die Gegenseite, dem Zug die Weiterfahrt unmöglich zu machen.302 Soweit man wusste, war die gesamte Strecke mit einem automatischen Signalbox-System303 ausgerüstet, das von den Stationsleitern bzw. den Stellwerksleitern der DDR bedient wurde. Jeder Zug konnte 301 302 303 299 300

Ebd., S. 1, Para. 3.a (handschriftl. geändert), 3.b und 3.c. Ebd., S. 2 f., Para. 5‑12. Ebd., S. 3, Para. 8. Ebd., Para. 14, S. 5. Ebd., Para. 12, S. 4.

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nur in enger Zusammenarbeit zwischen dem bodenständigen und dem fahrenden Personal fortbewegt werden. Hier konnte praktisch überall eingegriffen und blockiert werden. Das Gleiche galt für den Übergang an der Grenze. Zugpersonal wurde an politischen Grenzen ausgetauscht, so die Regel, oder auf internationalen Strecken durch einen Lotsen mit entsprechender Streckenkenntnis ergänzt. Ferner wurden normalerweise die Lokomotive und ihre Besatzung gewechselt, was mit einer Überprüfung von Wagen, Bremsen, Kupplungen, den Papieren usw. einherging (Helmstedt). Bereits hier gab es außer der Verweigerung der Gestellung der obligaten Reichsbahn-Lokomotive weitere Möglichkeiten zur Blockade, die sich nach Passieren des Signals bei Harbke an der Grenze erheblich erweiterten. Ein erster offizieller Blockadepunkt war dann Marienborn vier Kilometer nach Harbke, wo sich der sowjetische Kontrollpunkt befand. Ferner war es auf der ganzen Strecke möglich, Hindernisse zur Blockade der Schienen vorzubereiten, wie etwa Schwellen, Balken, Eisenträger usw. zu manipulieren oder auszubauen bzw. durch das Abstellen von Wagons oder Lokomotiven, ggf. durch Entgleisungen, zu sabotieren. Zusätzlich konnten auch militärische Mittel genutzt werden, wie Panzerabwehrwaffen, Panzer oder Raketen. Eine zuverlässige Aussage über Zeit und Ort derartiger Aktionen war aus westlicher Sicht überhaupt nicht möglich. Live Oak wog schließlich die Vor- und Nachteile der drei inaugurierten »Probe«-Arten ab, beginnend mit C, wobei diese Option nicht für machbar gehalten wurde. Auch wenn man einfach weiterfuhr, war es relativ einfach, die »Probe« aufzuhalten, umzuleiten oder zu überwinden. Außerdem würde man mit dieser »Dampfhammer«-Methode eine Reihe von international akzeptierten Praktiken brechen und formal zuerst Gewalt anwenden. Außerdem bestand ein hohes Risiko, sich lächerlich zu machen. Ein Totalverlust wäre sehr wahrscheinlich. »Probe B« konnte psychologisch attraktiv sein, barg aber ebenso das Risiko eines schnellen Scheiterns wie Option C und konnte letztlich auch nicht mehr erreichen als »Probe A«. Diese hingegen bot gute Möglichkeiten, wenn einige Änderungen am Konzept vorgenommen wurden. Um die Absichten der Gegenseite auszuloten, sollte der Zug, ausgestattet mit der Fähigkeit, Berlin auch zu erreichen, direkt bis an die Grenze vorfahren. Von dort aus musste dann, öffentlichkeitswirksam, verhandelt werden.304 Die Gegenseite hätte dann die Möglichkeit, alles bereitzustellen bzw. zu gewähren, was verlangt wurde, also etwa eine Lokomotive mit Bedienung zu stellen oder zu erlauben, weiter bis Berlin zu fahren. Lehnte sie ab, hätte sie eindeutig und öffentlich, vor den Augen und Ohren der Welt, bewiesen, dass sie den Zugang verweigerte. Der Zug würde unter diesen Bedingungen nicht irgendwo im Inneren der DDR verloren gehen, sondern er konnte sich zurückziehen.305 Zusammenfassend stellte man bei Live Oak fest: Nur Option A konnte sinnvoll eingesetzt werden, B und C hingegen nicht.306 Für A sollte daher ein alliierter Oberbefehlshaber in Deutschland einen Operationsplan erarbeiten. Ein Konzept fügte man

Ebd., S. 8 f., Para. 24‑26. Ebd. 306 Ebd., Para. 27.d, S. 10. 304 305



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bei.307 Die WAG stimmte am 13. Dezember der Empfehlung zu.308 Am 2. Januar 1963 informierte Live Oak die Oberbefehlshaber der Vier Mächte über diese Entscheidung. CINCUSAREUR erhielt dann den Auftrag, einen Operationsplan für eine »Tripartite Rail Probe« zu erarbeiten. Dieser Plan erhielt den Decknamen »First Haul«.309 Am 7. Februar bot CINCUSAREUR sein Konzept an,310 verwies gleichzeitig aber auf die Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung. Der Zeitbedarf für die Versammlung in Braunschweig war hoch. Hierfür musste mindestens ein Vorlauf von 48 Stunden angesetzt werden, da die Briten ihre Lokomotivbedienung erst aus dem Mutterland einfliegen müssten und die Bundesbahn aus Betriebsgründen entsprechende Zeit benötigte. Die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit stand nicht in Frage, aber eine hohe Flexibilität wurde dafür als notwendig erachtet, um der Politik eine Bandbreite an Möglichkeiten zwecks richtiger Dosierung der Öffentlichkeitsarbeit zu geben. Wenn die »Probe Force« in Helmstedt angekommen war, musste die Öffentlichkeit zwangsläufig mit einbezogen werden, wie BAOR und USAREUR feststellten. Da Briten und Franzosen kaum über geeignetes Personal im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit verfügten und die Pressearbeit überwiegend im stationären Presseinformationszentrum in Helmstedt erledigt werden musste, wurde vorgeschlagen, nur einen US-Presseoffizier mit an Bord zu nehmen. Die deutschen Vertreter machten deutlich, dass aus rechtlichen Gründen kein Personal der Bundesbahn an der Durchfahrt durch die Sowjetzone teilnehmen könne. Man könne das selbst Freiwilligen, die vielleicht früher auch noch in der Zone gelebt hätten, nicht zumuten, sie würden höchstwahrscheinlich festgenommen und verurteilt werden. Daher würde wohl eine britische Bedienung für die Lokomotive eingesetzt werden.311 In Bezug auf die praktische Durchführung des Planes herrschte dahingehend Einigkeit, dass rechtzeitig vorher eine diplomatische Note der Drei Mächte in Moskau übergeben werden müsse. Falls doch westdeutsches Personal einzusetzen war, musste es durch die Alliierten geschützt werden. Wenn die Fahrt durch die sowjetisch besetzte Zone nach Berlin als Ergebnis von Verhandlungen erlaubt werden sollte, müsste ein Lotse durch die Reichsbahn gestellt werden. Der Reichsbahn dürfte dann jedoch nicht erlaubt werden, die Bundesbahnlokomotive abzuhängen, sie müsste, für den Notfall verfügbar, im Zug mitlaufen dürfen.312 Aus diesen Vorüberlegungen resultierten zahlreiche Empfehlungen an Live Oak,313 durchdachte Vorschläge, die nach vielen Gesprächsrunden in den ersten Entwurf des CINCUSAREUR für den Operationsplan eingegangen sind.314 In einem Entwurf vom 8. Mai 1963 sind alle wesentlichen Teile des späteren Operationsplanes schon enthalten. Einige Punkte darin sind von besonderem Interesse, weil sie Anlass zu weiteren Diskussionen gaben, nämlich das Ziel und der Auftrag der Anschreiben des COS vom 20.11.1962, Para. 3, BArch, BW 71/118, Nr. 20; siehe auch Annex B. WAGTO-2, 13.12.1962; nicht in der Überlieferung BW 71, aber als Ref. für das FS SHLO 5-003, 2.1.1963, BArch, BW 71/58, Nr. 8. 309 BArch, BW 71/58, Nr. 8: SHLO 5-003, Para. 1 und Para. 3, S. 2. 310 BArch, BW 71/119, Nr. 45: Msg CINCUSAREUR SX-1745, LO Nr. 9-12, 7.2.1963. 311 BArch, BW 71/119, Nr. 48: Msg CINCUSAREUR SX-2668, 23.3.1963, LO Nr. 9-22, Para. 2.a‑c. 312 Ebd., bes. Para. 5. 313 Ebd., Para. 7. 314 BArch, BW 71/1, Nr. 57: AEAGC-CO »Draft OPlan ›First Haul‹«, 8.5.1963; USAREUR AG TS 67-43, USAREUR GC/19/63, LO(IN)-TS-63-2035. 307 308

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Operation,315 die Art der Öffentlichkeitsarbeit316 sowie die Stellung und Ausbildung der britischen Bedienung der deutschen Lokomotive. Das »Konzept der Operation« ist recht detailliert ausgeführt: Auf Befehl des ­CINCUSAREUR wird der sowjetischen Seite bzw. der DDR mitgeteilt, dass ein Zug der Drei Mächte, mit üblicher Dokumentation, Helmstedt auf dem Schienenweg in Richtung Berlin verlassen wird. Wenn eine Reichsbahnlokomotive mit Bedienungsmannschaft gestellt wird, wird der Zug nach Berlin mit den normalen Halten an den Eisenbahn-Kontrollpunkten weiterfahren. Wenn jedoch keine Lokomotive mit Bedienung gestellt wird, wird die Gegenseite informiert, dass der Zug mit einer Lokomotive und Bedienung der Bundesbahn fährt. Die Zuführung eines Lotsen zum Einfahrtsignal an der Grenze wird ebenfalls gefordert werden. Der Zug fährt dann bis zur Grenze vor. Wenn das Einfahrtsignal dort »freie Fahrt« gibt, wird der Zug, gleich ob ein Lotse gestellt worden ist oder nicht, bis zum Kontrollpunkt Marienborn weiterfahren und dort so lange halten, bis Verhandlungen auf höherer Ebene entweder damit enden, dass man diesen Zug akzeptiert oder sie den Rückzug erzwingen. Bleibt das Signal an der Grenze auf Rot, wird der Zug auf dem Hauptgleis an der Grenze halten bleiben, während die Verhandlungen auf höherer Ebene und unter geeigneter Nutzung der Öffentlichkeit weitergehen. Sollte die sowjetische Seite oder die DDR bereits vor der Abfahrt oder an der Grenze die Durchfahrt wegen der Bundesbahn-Besatzung nicht gestatten, wird die britische Bedienung statt der deutschen eingesetzt, die Gegenseite wird darüber informiert und die Verfahren werden so fortgeführt wie oben geschildert.317 Diese Fassung des Konzepts für die Operationsführung fand anscheinend bei der Bonn Group nur geteilte Zustimmung.318 Offensichtlich bemängelte man, dass die »Probe« an der Grenze den Ausgang von Verhandlungen abwarten sollte. Die Bonn Group war wohl der Auffassung gewesen, dass der Zug seinen Auftrag erfüllt hätte, wenn er nach kurzer Wartezeit vor geschlossenem Signal oder ohne positiven Abschluss der Kontrollverfahren den politischen Willen, die Zusammenarbeit zu verweigern, bewiesen habe. Dagegen erhob Live Oak nun gegenüber der WAG keine grundsätzlichen Bedenken, argumentierte aber sehr einleuchtend, dass es die »Rail Probe« als politische Operation ansehe zum politischen Zweck, den »genuine Soviet intent« herauszufinden. Daher seien Entscheidungen über Verhandlungen und ihre Methoden politische. Da es aber die weitreichende alliierte Absicht sei, die Freiheit des Zugangs zu Berlin zu erhalten, sei Live Oak der Auffassung, dass jede »Probe« dieses weitreichende Ziel verfehle, wenn sie eine negative sowjetische »on the spot«-Reaktion feststelle und dann zurückfahre. Sie müsse bleiben, bis die Absichten auf der obersten politischen Führungsebene geklärt seien.319

Ebd., Ziff. 2 »Mission« und Ziff. 3.a »Concept of Operations«, Annex F »Instructions to Probe Force Commander«. 316 Ebd., Annex C »Information«; auf eine detaillierte Darstellung wird hier allerdings verzichtet, da dies später, v.a. in Kap. IV.10.c, grundsätzlich behandelt wird. 317 Ebd., Para. 3.a(2). 318 BArch, BW 71/119, Nr. 37: Msg Live Oak SHLO 9-00059, 11.11.1963. Das dort als Ref. gen. BOWAG-23 vom 24.8.1963 hat wohl eine andere Nummer, denn die Nr. 23 hat einen anderen Betreff nach den Unterlagen des Verfassers. Es befindet sich nicht im Bestand. 319 BArch, BW 71/119, Nr. 37: Para. 2, S. 1 f. 315



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Dieser Argumentation ist die politische Seite schließlich gefolgt.320 Der Einsatz einer britischen Bedienung für die Diesellokomotive der Bundesbahn als eine Option fand allgemeine Zustimmung. Die Briten waren ausgewählt worden, weil ein Einsatz in ihrem Verantwortungsbereich stattfinden musste. Zunächst verfügten sie wohl auch noch im Mutterland über einen Spezialverband von Eisenbahnpionieren mit geeignetem Personal.321 Die Bundesbahn hatte sich bereit erklärt, die britischen Soldaten an ihrer Schule in Braunschweig an der Lokomotive auszubilden. Dieser Vorschlag wurde gerne angenommen.322 Die »Rail Probe«-Operationen unterlagen wie die entsprechenden Varianten für den Straßenzugang der kritischen Beobachtung. Gerade die Militärs bezweifelten, dass sie wirklich sinnvoll waren. Beispielhaft dafür mag die Diskussion nach der Live-Oak-Rahmenübung »Short Change« im Januar 1973 stehen. Während der Übung konstatierte offenbar auch die Bonn Group, dass für sie der »Rail Probe«-Plan, so wie er vorlag, ohne praktischen Wert sei und in einer wirklichen Krise nicht genutzt werden könne. Er solle daher fallengelassen oder zumindest erheblich verändert werden.323 Die Gründe ähnelten den hier bereits für die Ausarbeitsungsphase geschilderten. Live Oak nahm in der Erwiderung die frühere Argumentation der WAG in Bezug auf die Schaffung möglichst vieler Handlungsoptionen auf und lehnte eine Streichung dieser Option ab, weswegen sie auch erhalten blieb.324 Die Verantwortung für die »Rail Probe« hatte seit 1962 stets bei CINCUSAREUR gelegen. Anfang des Jahres 1981 fragte USAREUR dann bei der BAOR an, ob sie bereit sei, die Verantwortung für die »Rail Probe« zu übernehmen. In einer Besprechung bei Live Oak am 13. Januar nannte USAREUR als Gründe hierfür, dass die BAOR inzwischen den Großteil des rollenden Materials für diese Operation zur Verfügung stelle, nämlich sieben von zehn Waggons. Außerdem würde bei Realisierung nur ein vorgeschobener Gefechtsstand in Helmstedt benötigt, nämlich der von BAOR, wodurch einiges Geld gespart werden könne. Die Britische Rheinarmee hatte vorher bereits zu erkennen gegeben,325 dass sie wohlwollend prüfen werde. Da die WAG keinen Einwand erhob, wurde der Wechsel zum 1. August 1982 wirksam. Die BAOR hatte bereits im Mai des Jahres die Übung »Railex 82« geleitet und durchgeführt.326 Der erste Operationsplan der BAOR dazu, BAOR Ops-Instruction Nr. 10, OP »Gusty«,327 trat gleichzeitig in Kraft.328

Das ist zu schließen aus Memo BArch, BW 71/120, Nr. 3: SHLO 200/7, »First Haul«, 5.2.1964, LO-TS-64-3. Auch die späteren Operationspläne bestätigen das. »First Haul« war der erste Deckname dieser Operation. 321 Das ist aus dem genannten Bericht des COS Live Oak vom 5.2.1964, Para. 5, S. 2, zu schließen: BArch, BW 71/120, Nr. 3. 322 BArch, BW 71/119, Nr. 15: SHLO 200/22, 16.5.1963, LO-TS-63-41, Annex A, Para. 3. 323 Vgl. BArch, BW  71/93, Nr.  32: Schreiben COS über die Bonn Group an die WAG, SHLO 73/01312, 21.12.1973, Encl. 1, S. 1, Para. 1. 324 Ebd., Encl. 1, Para. 10, S. 7. 325 BArch, BW 71/63, Nr. 16: SHLO 81/21557/GRD, 14.1.1981, Ergebnisprotokoll, Para. 3, S. 1. 326 BArch, BW 71/12, Nr. 4 : GLNO Az. 02-20-20-30, Tgb.Nr. 30/82 geh. 327 BArch, BW 71/12, Nr. 76: BAOR B 1103 G3 Live Oak Secret, SHLOIN 82/2067, NMR Tgb. Nr. 381/82 geh. 328 BArch, BW 71/64, Nr. 16: Para. 3, SHLO O 82/565/GRD, 22.4.1982. 320

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Noch 1982 kam erneut Bewegung in die Diskussion um die »Rail Probe«. Es ging zunächst anscheinend nur um ihre Zusammensetzung, nachdem die Verantwortung für diese Operation von USAREUR an die BAOR übergegangen war. Man hatte offensichtlich Schwierigkeiten, die »Probe« in der bisherigen Zusammensetzung und Ausstattung aufrechtzuerhalten.329 Die »Ground Section« von Live Oak hatte im September 1982 durch ein Memorandum an den COS die Bedenken aufgenommen und die neuen Überlegungen eingeleitet.330 Als Begründung waren mannigfache Probleme mit dem Konzept der »Probe« genannt, im Einzelnen: technische Probleme, Unvereinbarkeit des Wagenparks, Verfügbarkeit usw. In Wirklichkeit war es wohl eher das Konzept, das immer noch nicht recht überzeugen konnte. Der COS griff die Sache sofort auf331 und erteilte den Auftrag, entsprechende Vorschläge vorzulegen. Die Überlegungen, Vorschläge und Diskussionen führten zwar zu Änderungen, vor allem in der Zusammensetzung und Ausstattung der »Rail Probe«, aber nicht zu ihrer Aufgabe.332 Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen wurde nach langem Hin und Her eine weitere Option eingeführt, die »Rapid Rail Probe«. Sie erhielt den Codenamen »Operation Figaro« im System des Operationsplanes der BAOR.333 Mit ihr sollte in einer Krise eine Art »Sympathetic Train«, analog zu einem Konvoi auf der Autobahn mit gleicher Bezeichnung, rasch und mit geringem Aufwand zum Einsatz gebracht werden. Es sollte ein fahrplanmäßiger Zug einer anderen Nation als der des Blockierten eingesetzt und damit eine Art vereinfachte Drei-Mächte-Probe geschaffen werden.334 Es ist aber nicht erkennbar, ob in dieser Frage eine gültige Entscheidung gefallen ist. Im Hintergrund stand wohl vor allem das Interesse der politisch-diplomatischen Seite, eine weitere Option am unteren Ende der Krisenintensität in die Palette der Gegenmaßnahmen aufzunehmen und verfügbar zu halten. Mit den Zuständigkeiten und Befugnissen für die »Rail Probe« verhielt es sich wie mit den grundlegenden Arrangements für den Landzugang. Der Commander Live Oak hatte ab 1964 die Befugnis,335 die »Rail Probe« für die Ausbildung zu versammeln. Alle anderen Befugnisse hierfür blieben der WAG vorbehalten. Mitte der siebziger Jahre bat COS Live Oak dann darum, dem CLO336 auch die Befugnis zu geben, die »Rail Probe«, ebenso wie die »Autobahn Probe«, für den Einsatz versammeln zu dürfen und dadurch die Vorbereitungszeit zu verkürzen. Die WAG entsprach diesem Vorschlag im Frühjahr 1977.

BArch, BW 71/65, Nr. 20: Note/UK Ground Planner, Subj. »Ex. RAILEX 82; Problem Areas«, ohne Signatur. 330 BArch, BW 71/64, Nr. 42: SHLO O 82/1056/GRD/C, 28.9.1982, »Subject New Rail Probe Concept«. Die Stabsabteilung »Ground Section« bei Live Oak war für den Landzugang zuständig. 331 BArch, BW 71/64, Nr. 43: SHLO O 82/1078/COS/C, 28.9.1982. 332 BArch, BW 71/96, Nr. 3: SHLO O 82/1254/GRD, 10.11.1982. 333 BArch, BW 71/99, Nr. 1: Annex G/BAOR Op.Instr. 1/87, 9.12.1987; der Operationsplan »Gusty« kam in Annex J. 334 BArch, BW 71/99, Nr. 1: Annex G/BAOR Op.Instr. 1/87, Para. 3.a, S. G-1. 335 WAGTO-27 vom 9.12.1964, nicht im Bestand. 336 BArch, BW 71/53, Nr. 17: SHLO 76/0516/GRD, Subj. »Delegation of Authority to Commander Live Oak«, 10.6.1976. 329



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Die »Rail Probe«-Operation wurde wohl ab 1966337 jährlich einmal geübt, allerdings zunächst nur die Phase »Versammlung«. Als CINCUSAREUR noch die Verantwortung hatte, geschah dies in Mannheim-Rheinau.338 Danach wurde, beginnend 1982, unter der Führung von CINCBAOR die Phase der Versammlung in Mönchengladbach und zusätzlich die Phase der Durchführung auf einem reservierten Streckenabschnitt bei Braunschweig gespielt.339 Während des gesamten Zeitraumes bis 1989 ist eine »Rail Probe« nur zu Übungszwecken versammelt worden, niemals aber für den Einsatz. Die »Railway Probe« war und blieb umstritten. Militärisch gab es für sie tatsächlich keine vernünftige Begründung. Politisch war das anders, d.h. unter gewissen, engen Bedingungen konnte es sinnvoll sein, sie einzusetzen. Das galt besonders dann, wenn nur der Schienenweg behindert oder blockiert wurde. Daher war die politische Führung sehr daran interessiert geblieben, diese Option zu erhalten und sogar noch weitere Optionen zu eröffnen. Der Aufwand war zwar vergleichsweise hoch, der politische Nutzen war aber doch als hinreichend beurteilt worden. Die grundsätzlichen Schwierigkeiten und Probleme, wie man sie für die »Probe«Opera­tionen zu gewärtigen hatten, galten auch für mögliche nachfolgende Maß­nah­men einer höheren Krisenstufe, vor allem den More Elaborate Military Measures.340 Hier dachte man vor allem jenseits der »Probe«-Operationen an Bodentruppen in begrenzter Stärke, abgesichert durch die Drohung mit einem nuklearen Krieg, die eingesetzt werden konnten, um ein vorteilhaftes Umfeld für Dreiparteienverhandlungen mit der Sowjetunion zu schaffen sowie sie zu zwingen, sich der unverkennbaren Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden General War zu stellen, falls sie weiterhin den Zugang nach Berlin behinderte.341 In seiner Stellungnahme zum ersten Entwurf der Live-Oak-Studie hatte General Norstad erste Hinweise dazu gegeben, an welche Größenordnungen er dachte, und – mit Vorbehalt – gesagt: »Probably a reinforced batallion [...] would be competent for this purpose.«342 Er fügte hinzu: »but the use of a larger formation should also be examined«. Nachdem Norstad die Zustimmung der Regierungen zu seinen Vorschlägen erhalten hatte, schrieb er Ende März 1960 seine Weisung an den CINCBAOR, General Sir A. James H. Cassels.343 Das darin vorgegebene Konzept entsprach weitgehend den Ergebnissen der vorbereitenden Studien, Stellungnahmen und Gespräche. Im Mai 1960 ging der erste Entwurf des Operationsplanes, er trug den Namen »Trade Wind«, bei Norstad ein.344 Dieser genehmigte ihn für ein Bataillon Combat Dieses Datum ist aus dem Bestand nicht eindeutig zu klären gewesen, die erste Erwähnung einer Übung mit Name und Zeit liegt für 1967 vor. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass mit Genehmigung des ersten Operationsplanes auch die erste Übung gefordert und durchgeführt worden ist. 338 Der Verfasser besitzt einen verchromten Eisenbahnnagel mit der Gravur »Ex. Cerulean Encounter«, dem Decknamen der »Rail Probe« 1975, der damals an die (wenigen) Besucher der Übung als Erinnerungsgabe überreicht wurde. 339 Zu diesem neuen Abschnitt BArch, BW 71/83, Nr. 26: »BAOR Railex Probex Exercise Instructions«, HQ BAOR (G3 Ops/Live Oak) B1134/89 Live Oak, 2.2.1989, SHLOIN I 89/287/Ops. 340 BArch, BW  71/49, Nr.  3: Basic Paper, Para.  1.b; die entsprechende Detailstudie in BArch, BW 71/132, Nr. 2: ECLO 300/20, 24.7.1959, LO-TS-59-1021. 341 BArch, BW 71/132, Nr. 2, Para. 17.b(3), S. 6. 342 BArch, BW 71/124, Nr. 1: LO-TS-59-1012, 26.6.1959, Para. 6, S. 2. 343 BArch, BW 71/124, Nr. 4: ECLO 600/25, »Letter of Instruction«, LO-TS-59-1096, 22.3.1960. 344 BArch, BW 71/116, Nr. 24: ECLO 600/45, 18.5.1960, LO-TS-60-61; dieser an den Chairman der JCS, wortgleich an die beiden anderen. 337

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Team (BCT), wie diese Kampfgruppe zunächst genannt wurde.345 Dazu gehörte auch die Anweisung, die notwendigen nationalen Unterstützungspläne ausarbeiten zu lassen.346 Bereits zwei Tage später fand eine Besprechung von BAOR und Live Oak statt, in der wohl vor allem über die Vorwarnzeiten für die verschiedenen Operationspläne und ihre Koordinierung gesprochen wurde.347 Die von Live Oak gesetzte Vorbereitungszeit von sieben Tagen bis zum Einsatz von »Free Style«, der Autobahn-Probe, und von vierzehn Tagen für »Trade Wind«, also das BCT, betrachtete Norstad als zu lange. Die Lösung dieser Fragen war tatsächlich auch für diese operativen Optionen entscheidend. Zu lange Vorwarn- und Vorbereitungszeiten konnten den zeitlichen Zusammenhang verlieren lassen, den Erfolg gefährden und dem Gegner die Initiative (zurück-) geben. Andererseits war es nur schwer vorstellbar, in eine solche politisch und militärisch komplexe Operation ohne gediegene Ausbildung einzusteigen, die aber zumindest zunächst diskret vonstatten gehen musste. Die hierfür notwendigen Übungen konnten von der Gegenseite, aber ebenso von der eigenen Öffentlichkeit falsch verstanden werden. Ferner musste ein hoher Grad von Routine bezüglich des Ablaufs hergestellt werden, während gewisse Zeiten nicht reduziert werden konnten, nämlich Versammlung, Organisation und Marschzeiten. So lief wohl alles auf die Frage zu: Wie kann die notwendige Ausbildungszeit gewonnen werden, um die Vorbereitungszeit der Operation selbst zu verkürzen? Es lag auf der Hand: Es musste bereits adäquate Vorausbildung in Friedenszeiten durchgeführt werden.348 Der entsprechende Brief von Norstad an die CHODs ging am 7. Oktober 1960 hin­ aus.349 Nach aktuellem Stand der Planung benötigte man mindestens 16 Tage, bis das BCT einsatzbereit für »Trade Wind« zur Verfügung stehen konnte. Derlei war vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Verhaltens der Gegenseite nicht akzeptabel. Die steigende Zahl von Provokationen den Status von Berlin betreffend und auf den Zugangswegen zeigte, dass Moskau und Ost-Berlin rasch darauf hinarbeiteten, die Kontrolle über den alliierten Zugang den Ostdeutschen zu übergeben. Die nötige, hohe Bereitschaft des Westens wäre demgegenüber nur dann erreichbar, wenn das BCT Gelegenheit bekäme, die grundlegende Ausbildung vorher, also vor einem Einsatz, durchzuführen. Diese müsse dann umfassen: die Versammlung der Kräfte, praktische, gemeinsame Ausbildung und Erfahrung auf allen Feldern, Führung, Fähigkeiten, Fernmeldewesen, Versorgung und Unterstützung – alles unverzichtbare Elemente, um eine Kampfgruppe, die aus Kräften mehrerer Nationen gebildet wird, für den Einsatz zu integrieren und vorzubereiten. Norstad bat daher um die Zustimmung der drei CHODs, diese vorgezogene BArch, BW 71/116, Nr. 31: ECLO 550/12, 20.6.1960, LO-TS-60-96. Die Größenordnung solcher nationaler Pläne zur Unterstützung der Live-Oak-Operationen wird an einem Beispiel deutlich: Ein »Berlin Contingency Plans Index« des USEUCOM vom 1.3.1961, ein Papier von 22 Seiten, zeigt die Vielfalt der zu dieser Zeit bereits vorhandenen nationalen amerikanischen Unterstützungspläne für den Land- und Luftzugang, einschließlich der Verteidigung Berlins. Es sind hier 42 Pläne gelistet; ohne bes. US Signatur: BArch, BW 71/44, Nr. 45. 347 Siehe den Brief von Gen. Charles D. Palmer an Gen. Cassels, BArch, BW 71/116, Nr. 32: ECLO 550/17, 1.7.1960, LO-TS-60-118. 348 BArch, BW 71/116, Nr. 61: »Copy of Memo for Record by Live Oak«, 9.8.1960, LO-TS-60-3001, Para. 2.b, S. 1. 349 BArch, BW  71/132, Nr.  12: ECLO 600/72: »Subj. Advance Training of the Batallion Combat Team Forces, ›Trade Wind‹«, 7.10.1960, LO-TS-60-172. 345 346



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Ausbildung, wenn gewünscht unter einer Tarnlegende, anordnen zu dürfen und sie zu wiederholen, wann immer er es für notwendig halten sollte. Diesem Antrag stimmten die Vereinigten Staaten350 und Frankreich351 mit der Auflage zu, höchsten Anforderungen an die Sicherheit zu genügen. Die Briten lehnten mit der Begründung ab, dass die Pläne für die Tarnung der Ausbildung bisher nicht geeignet seien, die notwendige Sicherheit zu garantieren.352 Darauf antwortete Norstad mit einem erneuten Schreiben an den britischen CHOD vom 22. Dezember 1960:353 Für den März des folgenden Jahres habe das Alliierte Oberkommando der NATO für Europa (ACE) eine gemeinsame Übung nur der Franzosen, Briten und Amerikaner geplant, in der Probleme der Standardisierung untersucht werden sollten. Diese Übung decke auch den Bereich von BAOR ab. Daher könne die Ausbildung von »Trade Wind« sehr gut in diese Übung eingepasst werden und sogar deren Übungszweck dienen. Kenntnis vom besonderen Übungsauftrag von »Trade Wind« bräuchten zusätzlich zu den nationalen Oberbefehlshabern nur die Generale Maurice Challe und Hans Speidel als zuständige NATO-Befehlshaber und der Kommandeur des BCT zu haben. Dieser Vorschlag fand eine günstige Aufnahme: Im Januar 1961 gab Admiral Mountbatten die Zustimmung der britischen Chiefs of Staff bekannt, allerdings wohl nur für diese Übung. Von einer Dauergenehmigung war nicht die Rede.354 Während noch um die Zustimmung zu einer vorbereitenden Ausbildung von »Trade Wind« gerungen wurde, hatten die Vorbereitungen dafür bereits begonnen. Auch hatte man angefangen, über weitere Trainingsformen nachzudenken und zusätzliche Überlegungen zur Frage des Zeitbedarfs und des richtigen Zeitpunktes, auch im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen, angestellt. Die Themen Ausbildung und militärische Vorwarnzeit genossen generell hohe Priorität und wurden daher von Anfang an prominent vorangetrieben und bewertet.355 Sie bilden bis heute entscheidende Elemente auch des NATO-Krisenmanagements. Angesichts erheblicher praktischer Probleme im Zuge der Verkürzung der notwendigen Vorwarn- und Vorbereitungszeiten durch besondere Ausbildungsmaßnahmen im November 1960 sei, so schrieb Norstad an den CINCBAOR, eine gewisse Flexibilität vonnöten. Er bezog sich auf den Vorschlag von General Cassels, zumindest den Kommandeur des BCT und einen kleinen Kreis seiner Unterführer in Musterübungen zu schulen. Norstad glaubte hier offensiv vorgehen zu können, d.h. auch ohne die ausdrückliche Genehmigung der Regierungen Vorarbeiten anzugehen. Sobald die aktuellen BArch, BW 71/43, Nr. 53: JCS Nr. 984632, 21.10.1960, LO(IN)-C-60-3102. BArch, BW  71/116, Nr.  55: Brief General Roger J. Noiret, No 11047/EMGDN/POM/E/TS, 20.10.1960, LO(IN)-TS-60-2076. 352 Diese britische Antwort ist in Form der Reaktion General Norstads bekannt, sie ist nicht überliefert. Sie liegt aber durchaus auf der Linie der Argumentation zu der Diskussion um More Elaborate Military Measures, siehe in Kap. IV.3. Daher ist es auch möglich, dass die kritischen Äußerungen Admiral Mountbattens zu »Trade Wind« im Gespräch mit Norstad am 4.11. bei SHAPE ausschlaggebend waren. Vgl. hierzu auch Pedlow, Allied Crisis Management, S. 96: Danach ist diese Frage im Dezember 1960 in der WAG behandelt worden, wobei die Briten ihre Bedenken erneut geäußert hatten. 353 BArch, BW 71/132, Nr. 15: ECLO 600/87, LO-TS-60-235, 22.12.1960, Para. 3. 354 BArch, BW 71/117, Nr. 31: LO-TS-61-2009, 26.1.1961. 355 BArch, BW 71/124, Nr. 9: »Memorandum for Record«, 7.11.1960, LO(IN)-TS-60-2084. 350 351

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Probleme, besonders im Befehls- und Logistikbereich, untersucht und Lösungen ausgearbeitet seien, konnten sich etwa Stabsrahmenübungen mit nur rudimentären Fernmeldeverbindungen als unschätzbar wertvoll erweisen.356 Dies konnte ein Teil der Lösung sein, die Vorbereitungszeit von 16 Tagen wesentlich zu verkürzen, ohne die Sicherheit zu gefährden und ohne eine Volltruppenübung durchzuführen, die eine politische Entscheidung erforderte. Daher verlangte Norstad nun vom CINCBAOR, in Zusammenarbeit mit den amerikanischen und französischen Planungsstäben ein Ausbildungsprogramm für »Trade Wind« anlaufen zu lassen, welches das Ziel verfolgen sollte, diese Zeitspanne deutlich zu reduzieren. Der CINCBAOR überprüfte daraufhin die Operationspläne »Trade Wind« und »Free Style« noch einmal auf den Zeit- und Ausbildungsbedarf. Seine Überlegungen stießen bei Norstad und seinem Stab sicherlich nicht auf taube Ohren. Der Wortlaut der Antwort ist aber nicht bekannt, überliefert ist nur die Tatsache, dass Norstad die gleichzeitige Ausbildung von »Free Style« und »Trade Wind« genehmigt hat.357 Die gemeinsamen und gleichzeitigen Ausbildungsvorhaben für »Free Style« und »Trade Wind« im Januar waren offensichtlich sehr erfolgreich, was die Ausbildung des Schlüsselpersonals betraf, und zugleich wertvoll für das Verständnis der Planer und die Weiterentwicklung der Operationspläne. Dies wurde im Bericht Cassels an Norstad vom 3. Februar anerkannt. Der CINCBAOR nahm außerdem zum Zeitbedarf für den Einsatz der Kampfgruppe explizit Stellung.358 Hier sind zunächst die Grundannahmen wichtig. Ausgegangen wurde von einer Vorwarnzeit von mindestens 24 Stunden vor dem A-Tag (das ist jener Tag, an dem das HQ BAOR im Ernstfall den Befehl zur Versammlung der Kampfgruppe erließ, jeweils um 12 Uhr des Tages). Erst am A-Tag, nicht früher, erhielten die deutschen Behörden ausreichend Informationen, die es ihnen gestatteten, rasch zu kooperieren. Auf der Grundlage dieser Annahmen konnten für den Einsatz der Operation »Trade Wind« folgende Zeiten erreicht werden: – A-Tag: Kommandeur und Einheitsführer sammeln in Sennelager. Nationale Teile beginnen den Marsch dorthin. – A+1: Einweisungen und Befehlsausgabe durch den Kommandeur »Trade Wind«. – spät A+3: Alle Teile sind im Verfügungsraum Sennelager eingetroffen. – A+4 bis A+6: Ausbildung der Kampfgruppe. – spät A+6: Marsch von Sennelager nach Wolfenbüttel. – A+7: Ankunft in Wolfenbüttel. – 0800 Uhr A+8 [Einsatzbereitschaft]. Die vordersten Teile der Spitzenkompanie hatten in Helmstedt bereitzustehen, nahe dem alliierten Kontrollpunkt. Die Luftunterstützung würde zu diesem Zeitpunkt ebenfalls einsatzbereit sein. (Die Führungsfähigkeit des CINCBAOR wurde von Anfang als gegeben definiert, da davon ausgegangen werden konnte, dass »Probe«-Operationen, v.a. »Free Style«, bereits stattgefunden hatten.359) Dieser Zeitplan stellte das Maximum an BArch, BW 71/116, Nr. 44, 26.11.1960, 2. Abs., S. 1 des Schreibens. Msg LO(IN?)-TS-60-2105, 24.12.1960, nicht im Bestand, aber erwähnt in dem bereits genannten »Draft After Action Report for Live Oak«, 1.3.1960, lfd. Nr. 77, BArch, BW 71/43, Nr. 55. 358 BArch, BW  71/117, Nr.  32: (BAOR) DO/B 1161/5/1 G (Ops and Plans), LO-TS-61-2010, 3.2.1961, Para. 3‑6 sowie Annex A und B. 359 Ebd., Para. 6.a, S. 2. 356 357



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Verkürzung dar und konnte nun auch durch vorgeschaltete Ausbildungsperioden nicht mehr unterschritten werden.360 Als kritisch erwies sich die Frage, ob die Kampfgruppe notfalls die Autobahn verlassen solle.361 In der Weisung General Norstads für diese Operation vom 22. März 1960 waren zwei Forderungen enthalten: Obwohl der Plan vorsehen könne, dass die Kampfgruppe sich »off the Autobahn«, also neben oder abseits der Autobahn bewege,362 müsse die Erlaubnis dafür durch die drei Regierungen gemeinsam gegeben werden. Ein solch umständliches Verfahren werde vom CINCBAOR als »militarily unacceptable« eingestuft. Wenn zum Beispiel die Spitze der Marschkolonne von »Trade Wind« auf dem Boden oder aus der Luft ernsthaft angegriffen werde, bliebe keine Alternative, als die Kräfte sofort abseits der Autobahn einzusetzen und zu entwickeln. Es drohten verheerende Ergebnisse, wenn der Kommandeur diese Entscheidung nicht selbst treffen durfte.363 Wie schon zuvor standen sich politische Sensibilität und die Notwendigkeiten militärischer Einsatzfähigkeit gegenüber. Der Einsatz von Luftstreitkräften zur Unterstützung von »Trade Wind« hatte eigene Probleme zu gewärtigen: Die beteiligten Vertreter der alliierten Luftwaffen hatten die Weisung Norstads so verstanden, dass Luftaufklärung diesseits der Zonengrenze jederzeit geflogen werden dürfe, wenn der Befehl zum Einsatz der Kampfgruppe erteilt sei.364 Dieses Verhalten sollte auch als ein Hinweis an die Gegenseite verstanden werden, dass der Westen Luftnahunterstützung verfügbar hielt. Ein scharfer Einsatz mit Kampfmitteln jenseits der Zonengrenze kam nur defensiv in Frage, also vor allem für die Lösung der Kampfgruppe vom Gegner nach vorherigem Einsatz. Nach Klärung der entsprechenden Detailfragen ließ Norstad wissen, die vorbereitenden Arbeiten an dieser Operation seien nun weitgehend abgeschlossen. Mit den angebotenen Lösungen für den Einsatz von »Trade Wind« zeigte sich Norstad völlig einverstanden. Inzwischen hatte man auch von allen drei Regierungen die Vollmacht erhalten, die Ausbildung von »Trade Wind« nicht nur mit den Führungskräften, sondern auch mit Volltruppe durchzuführen. Doch wurde die Ausbildung erst einmal in der Schwebe gehalten.365 Es dauerte dann mehrere Monate, bis SACEUR wegen der sich verschärfenden Lage im Sommer 1961 die Ausbildung des BCT forcierte. Am 2. August 1961 erging die Weisung Norstads an CINCBAOR,366 die Ausbildung der »Trade Wind«-Kampfgruppe in der Zeit vom 24. September bis 7. Oktober 1961 vorzusehen, mit der Periode 9. bis 16. Oktober als Alternative, falls diese sich als günstiger erweisen sollte. Mit dem Vorschlag, die Luftunterstützung nur begrenzt zu üben, war Norstad einverstanden. Er schloss mit der Aufforderung: »Please go ahead and conduct this training!«367 362 363 364 365 366 367 360 361

Ebd., Para. 4. Die zeitlichen Details gemäß Anlage B. Ebd., Para. 7 des Berichts. BArch, BW 71/124, Nr. 4: ECLO 600/25, 22.3.1960, Para. 2.b des LoI. BArch, BW 71/117, Nr. 32: Para. 7, S. 2. Ebd., Para. 8. BArch, BW 71/117, Nr. 5A: ECLO 600/96, LO-TS-61-40, S. 2. BArch, BW 71/117, Nr. 14: ECLO 600/107, LO-TS-61-116, 2.8.1961, Brief Norstad an Cassels. Siehe den 3. Absatz dieses Briefes, Zit. ebd. Am 8.10.1961 meldete der CINCBAOR übrigens den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung, BArch, BW 71/43, Nr. 55, lfd. Nr. 136, Incl. 131, mit LO(IN)-TS-61-2077.

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Operationen um den Landzugang: Der Befehlsweg ab 1961 TBG nach Berlin, BCT von Berlin Phase I: Bis Erreichen des Versammlungsraumes Commander Live Oak Oberbefehlshaber Live Oak

nach Berlin

von Berlin (einschl. Ausbildung)

CINC BAOR

Chairman Commandant

Oberbefehlshaber Britische Rheinarmee

Vorsitzender Kommandant

JOPCEN

ASB

Gemeinschaftliches Operationszentrum

CCFFA

Oberbefehlshaber der franz. Truppen in Deutschland

CINC USAREUR Oberbefehlshaber US-Landstreitkräfte in Europa

Allierter Stab Berlin

COMD ARMD I. (UK) Corps BRAC

FR COB

Französischer Kommandant von Berlin

UK COB

US COB

Britischer Kommandant von Berlin

USKommandant von Berlin

Phase II: Versammlung, Ausbildung und Phase III: Einsatz Commander Live Oak nach Berlin

Oberbefehlshaber Live Oak

von Berlin (nur Einsatz)

CINC BAOR

Oberbefehlshaber Britische Rheinarmee

ASB

Allierter Stab Berlin

JOPCEN

Gemeinschaftliches Operationszentrum

US COB

USKommandant von Berlin

COMD ARMD I. (UK) Corps

ASB

Allierter Stab Berlin

BRAC

TBG COMD

UK COB

Britischer Kommandant von Berlin

FR COB

Französischer Kommandant von Berlin

BCT COMD

Kommandeur TBG

Kommandeur BCT

Operational Control

Information/Koordination

Quelle: Summary of Ground Plans, SHLO O 83/1094/2-11 GRD, 8.11.1983, S. 6 und S. 8, BArch, BW 71/16, Nr. 32.

© ZMSBw

07878-06

In der Zwischenzeit waren auch die überarbeiteten Pläne und Befehle des CINCBAOR für diese Operation eingetroffen.368 Der Operationsplan »Trade Wind« bestand im Wesentlichen aus zwei Teilen: »HQ Assembly Order for the Berlin Contingency Force Operation Trade Wind Phase I« (Armeebefehl für die Versammlung der gemischten Kampfgruppe der Drei Mächte) und »Operation Instruction for the Berlin Contingency Force-Operation Trade Wind Phase II« (Operationsbefehl der Armee für den Einsatz der gemischten Kampfgruppe auf der Autobahn Helmstedt–Berlin).369 BArch, BW 71/128, Nr. 2: HQ BAOR B 1161/5/4/G (Ops and Plans), 21.7.1961, LO-TS-77/750. Es ist der erste in BW 71 überlieferte komplette Plan zu dieser Operation. 369 Dazu 15 Anlagen, nämlich A bis P, ebd. Vgl. auch die Grafik »Operationen um den Landzugang: Der Befehlsweg ab 1961«. Die Phaseneinteilung ist dort etwas anders (Zeit bis zur Versammlung als Phase I, Versammlung und Einsatz als Phasen II + III). 368



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Der Auftrag für Phase  I sah schlicht die Sammlung und Vorbereitung der Berlin Contingency Force auf dem Truppenübungsplatz Sennelager vor.370 Für die Phase  II klingt er ebenfalls einfach und vielleicht zu eindeutig: »You will proceed from the Helmstedt checkpoint [...] to Berlin along the axis of the Autobahn surmounting en route all obstacles that your resources permit«.371 Das Besondere des Auftrages für Phase II kam in den Bestimmungen für die Durchführung zum Ausdruck. Zunächst war es ungewiss, ob es überhaupt eine Feindlage gab. Stand der Kampfgruppe ein Feind gegenüber oder eher ein politischer Gegner? Und wer stand gegenüber, mit welcher Ausrüstung? Welche Befehle hatte das Gegenüber? Dass die eigene Aufklärung darüber verlässliche Angaben erbringen konnte, war wohl wenig wahrscheinlich. Über die gegenüberstehenden Kräfte würde eher Aufschluss zu erlangen sein als über deren Auftrag. Noch weniger würde man vermutlich über die Absichten der obersten politischen und militärischen Führung der Sowjetunion und der DDR erfahren können. Diese Ungewissheit lässt sich auch aus der Feindlagebeurteilung erkennen.372 Man hatte mit einer hypothetischen Lage vorlieb zu nehmen. Das Szenario gestaltete man wie folgt: »Free Style« war eingesetzt und zur Rückkehr gezwungen worden. Die Kampfgruppe hatte sich daraufhin auf vier sowjetische Optionen einzustellen. – Option A: Die Kampfgruppe darf ohne Widerstand oder Gegenwehr durchfahren, der normale Verkehr wird weiterhin behindert und gestört. – Option B: Passiver Widerstand, aber keine Anwendung physischer Gewalt. – Option C: Die Autobahn wird an einer Stelle unterbrochen. Ostdeutsche Soldaten und möglicherweise zivile Demonstranten werden benutzt, um die Kampfgruppe daran zu hindern, das Hindernis ohne Waffengewalt zu entfernen. – Option D: Die Kampfgruppe wird durch eine Serie von Hindernissen in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und schließlich an der Hohenwarther Brücke über die Elbe oder der Brücke über den Mittellandkanal oder an beiden Brücken blockiert.373 Diese letzte Option D wurde eingehender untersucht, weil sie den sowjetischen Kräften gute Möglichkeiten bot, die Kampfgruppe wirkungsvoll, auch mit Unterstützung von mechanisierten Truppen, aber ohne Einsatz von Waffengewalt am Fortkommen zu hindern, ohne Gefahr zu laufen, dabei das Gesicht zu verlieren. Die nächste Entscheidung lag dann beim Alliierten Oberkommando.374 Da der Auftrag im Wesentlichen politischer Natur war, wich die Zusammensetzung der Kampfgruppe von den etablierten Standards ab. In der NATO wurden Truppenteile unterhalb der Ebene des Großverbandes in der Regel nicht aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt, da dies die Führung erschwerte. Hier war der Grundsatz bestimmend, dass in Live-Oak-Operationen die Solidarität der Drei Mächte durch den gemeinsamen Einsatz demonstriert werden sollte. Daher bestand die Kampfgruppe zwar zunächst aus der Masse eines britischen Panzergrenadierbataillons, als Rückgrat gewissermaßen, aber französische Panzerartillerie und amerikanische Kampfpanzer waren zur 372 373 374 370 371

BArch, BW 71/128, Nr. 2, »Aim«, Phase I, Annex D, Para. 2. Ebd., »Mission«, Phase II, Annex L, Para. 2. Ebd., »An Outline Intelligence Appreciation OP ›Trade Wind‹«, Annex J, S. 1. Alle nach ebd., Annex J, Para. 1, S. 1. Ebd., Annnex J, Para. 2.b(b)(iv), S. 8.

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Die Kampfgruppen der Drei Mächte von und nach Berlin Das TBG nach Berlin: Führer: Oberstleutnant ; 1010 Soldaten; 264 Fahrzeuge (auf der Autobahn insgesamt eingesetzt) Stand: 1961

später hinzugefügt

Das BCT von Berlin:

Führer: Oberstleutnant ; 117 Soldaten; 20 Fahrzeuge (auf der Autobahn eingesetzt)

Stand: 1963

Legende: Panzer-

Panzergrenadier-

Panzerartillerie-

Fernmelde-

Panzerpionier-

Sanitäts-

Bataillion

Kompanie

Zug

Gruppe

Flugabwehrkanonen-

Trupp

Quelle: Operationspläne der BAOR und des ASB in BArch, BW 71, bes. SHLO O 83/1094/2-11 GRD, 8.11.1983, BArch, BW 71/16, Nr. 32.

© ZMSBw

07875-06

Verstärkung eingegliedert.375 Verbindungsorgane der Luftstreitkräfte der Drei Mächte waren Teil der Kampfgruppe, um im Bedarfsfall eine wirkungsvolle und schnelle Luftunterstützung zu erreichen. Ferner erforderte der Auftrag die Fähigkeit, Hindernisse auf dem Vormarsch zu überwinden. Dafür wurden Pioniere mit Spezialgerät und -ausbildung eingebunden. Schließlich sollte jede Bewegung dokumentiert und die obere Führung, aber auch die Öffentlichkeit informiert werden können. Dafür waren Spezialisten der Drei Mächte zugeführt worden.376 Mit der notwendigen logistischen Unterstützung wuchs der Verband auf rund 1200 Mann und über 200 Kraftfahrzeuge aller Art auf,377 Siehe die Grafik »Kampfgruppen der Drei Mächte von und nach Berlin«. BArch, BW 71/128, Nr. 2: »Trade Wind«, Phase II, Para. 5, S. 4, und Annex O »Signal Instruction«. 377 Ebd., Annex C mit Appendix 1. 375 376



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was ihn recht schwerfällig auf der Autobahn, im Gelände und im Gefecht machte. Die Operation verlangte enge Anbindung an die oberste politische und militärische Führung. Daher unterstand der Kommandeur der Kampfgruppe unmittelbar dem CINCBAOR und dieser General Norstad, der wiederum über die Botschaftergruppe in Washington den Drei Regierungen verantwortlich war. Die Fernmeldeverbindungen dafür wurden entsprechend ausgelegt.378 Die Art der Durchführung konnte im Detail nicht vorher festgelegt werden, da sie von Faktoren abhing, die erst in der aktuellen Lage bestimmt werden konnten. Einige Richtlinien aber blieben für die Vorbereitung, die Ausbildung und die Operation maßgebend:379 Die Aufgabe des Kommandeurs war es, die sowjetischen und die ostdeutschen Kräfte, die den Weg der Kampfgruppe erschwerten, mit einer Kampfgruppe im Zustand hoher Gefechtsbereitschaft zu konfrontieren, wenn der Gegner aggressive Absichten (»warlike resistance«380) bekundete. Die Kampfgruppe würde von Sennelager nach Wolfenbüttel marschieren, um dort in einem Verfügungsraum die Nacht zu verbringen. Dieser Marsch würde von HQ BAOR als friedensmäßige Marschbewegung geführt und überwacht. Nach dem Verlassen von Wolfenbüttel sollte der Kommandeur den Marsch der Kampfgruppe über die Distanz von ca. 50  km bis Helmstedt selbst führen. Sie würde damit in den »Kriegsmarsch« übergehen mit der Bereitschaft, sofern notwendig, sofort in ein Gefecht einzutreten.381 Die Kampfgruppe durfte die Autobahn oder ihr unmittelbares Umfeld, also die dazu gehörenden Grün- und Pannenstreifen, Parkflächen usw. nicht ohne Genehmigung des CINCBAOR verlassen. Eine solche Befugnis konnte dieser aber an den Kommandeur der Kampfgruppe abtreten. Vor Beginn der Operation würde der Kommandeur entsprechend unterrichtet. Feuereröffnung war erst erlaubt, wenn zuvor auf die Kampfgruppe gefeuert worden war. Für Gewaltanwendung durch die Gegenseite mit dem Ziel, die Autobahn zu schließen, galt: »will be met by maximum aggressive action within the resources of [...] force«. Der Kommandeur hatte dann sicherzustellen, dass das eingeteilte Personal für Öffentlichkeitsarbeit alle Möglichkeiten erhielte, jeden notwendigen Beweis für die sowjetischen und ostdeutschen Handlungen festzuhalten. Nach Eintreffen in Berlin sollte die Kampfgruppe unter den Befehl des britischen Stadtkommandanten treten. Alle Befehle des Kommandeurs hatten diese Regeln zu berücksichtigen.382 Diese wenigen Einsatzregeln machen deutlich, dass hier von freier Entscheidunggestaltung des Führers, von Führen durch Auftrag nicht gesprochen werden kann. Der Kommandeur musste an extrem kurzer Leine führen und wurde selbst an einer solchen gehalten. So wird verständlich, wie vorsichtig und mit wie vielen Vorbehalten die Arbeiten an dieser Planung bei BAOR angegangen wurden. Um die näheren Umstände eines entsprechenden Einsatzes deutlich zu machen, sei ein fokussierender Blick auf den taktischen Einsatz der Kampfgruppe auf der Autobahn gerichtet. Nur so können die Konsequenzen für die Führung und den Einsatz der Truppe im Ernstfall wirklich erkennbar werden: Ab Wolfenbüttel musste sich die Kampfgruppe 380 381 382 378 379

Ebd., Annex D, Para. 5, S. 3 f. Ebd., Annex L, Para. 3, S. 2 f. Ebd., Para. 3.a. Ebd., Para. 3.b. Ebd., Para. 3.c‑3.h.

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in einer Marschgruppe auf einer einzigen (Vor-)Marschstraße bewegen. Sie verfügte über mehr als 200 Fahrzeuge, davon ca. 95 auf Kette.383 Bei einem angenommenen Abstand von 50 m von einem Fahrzeug zum nächsten, andere Abstände vernachlässigend, kam man schnell auf eine gesamte Länge der Kolonne von mehr als 10  km. Die Kolonne hatte also viel Tiefe und fast keine Breite, sie war in der Regel nicht von einem Ende zum anderen zu übersehen. Bis zum Überschreiten der Grenze konnte Funk nicht eingesetzt werden, da die Gegenseite sonst durch ihre Aufklärung zu früh Kenntnis von dem Einsatz erhielt. Melder, Zeichen und Fernsprechmittel dienten als Ersatz. In der Marscheinteilung war zu berücksichtigen, dass schwere Kräfte der Unterstützung weit vorne eingereiht werden mussten. Dies betraf vor allem Pioniere mit Panzerschnellbrücken und Pioniermaschinen zur Überwindung von Hindernissen, Panzer für Feuer und Bewegung, besonders gegen Panzer, sowie vorgeschobene Beobachter der Artillerie und Fliegerleit- und Verbindungsoffiziere für die Feuerunterstützung aus der Luft. Auch in der Mitte und am Schluss der Kolonne waren schwere Kräfte mit Beobachteroffizieren zum Schutz vor Angriffen von hinten und von den Seiten einzugliedern. Einem Lindwurm gleich bewegte sich die Marschkolonne vorwärts, bis zur Grenze der DDR geleitet von deutscher Verkehrspolizei, alliierter Militärpolizei, in Grenznähe zusätzlich überwacht von Bundesgrenzschutz, Zoll und British Frontier Service (BFS). Daneben lief möglicherweise der deutsche und internationale Zivilverkehr nach Berlin ungestört, für den diese Kampfgruppe ein Störenfried und Ursache von Verkehrsbehinderungen war. Über den Rundfunk gab es vielleicht erste Informationen, auch Spekulationen und Desinformationen. Nach Betreten des Gebiets der DDR gab es keine Unterstützung mehr durch die westliche Polizei. Möglicherweise würde diese aber von den Diensten der Sowjetunion oder der Ostdeutschen übernommen, was vieles erleichtern konnte. Der Kommandeur würde vermutlich die Marschabstände verringern lassen, dadurch die Gesamtlänge der Kolonne stark verkürzen, um so den Zusammenhalt der Truppe zu stärken sowie die Fähigkeit zu verbessern, gegenseitige Unterstützung zu leisten. Ein Alptraum für den Kommandeur wäre in einer solchen Lage die sich vielleicht vage nur abzeichnende Drohung mit einem Angriff irgendwo von der Seite: die Truppe wie eine »Perlenschnur« auf der Autobahn aufgereiht, möglicherweise mit offensichtlich normalem Zivilverkehr und irgendwie Verdächtigem vermischt, ohne Erlaubnis, die Autobahn zu verlassen, und vielleicht auch ohne Möglichkeit, bei akuter Gefahr so zu verfahren. Es würde sehr schwierig werden, in einer solchen Lage in eine höhere Form der Gefechtsbereitschaft und gar zu einer gewissen Entscheidungsfreiheit überzugehen. Von der Truppe würde hier tatsächlich äußerst viel verlangt. Nur gute Kenntnis von- und übereinander und häufige gemeinsame Ausbildung würden das dafür notwendige Verstehen und Grundvertrauen schaffen. Es bedurfte vor allem entschlossener, aber stets sehr überlegt handelnder Führer. Die politische Führung musste all dies in ihren Überlegungen berücksichtigen. Wie schon im Falle der »Probes« war die Öffentlichkeitsarbeit auch hier von überragender Bedeutung. Diese Aufgabe würde mit einer vergleichbaren Organisation wie jener für »Free Style« erfüllt werden. Zahlen nach BArch, BW 71/128, Nr. 2: OPlan »Trade Wind«, Anlage C, Appendix 1.

383



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Das Vorhaben, eine militärische Kräftegruppe der Drei Mächte gefechtsbereit auf der Autobahn Helmstedt–Berlin marschieren zu lassen, um den geschlossenen Zugang wieder zu öffnen, war militärisch wenig sinnvoll, politisch aber durchaus vernünftig, solange nicht geschossen wurde. Die Kontrolle läge in der Hand der Drei Mächte, die der Kampfgruppe sehr kurze politische Zügel anlegen würden. Das Ganze war vor dem Hintergrund einer möglicherweise diffusen Gesamtlage zu sehen, in der die NATO und die Nationen ggf. bereits Alarm- und Vorbereitungs- sowie Gegenmaßnahmen erklärt und ausgelöst hatten. Die Gefahr eines General War unter atomarer Bedrohung würde stets präsent bleiben. Der Operationsplan »Trade Wind« wurde in den Jahren bis zur Auflösung von Live Oak oftmals, vor allem nach Übungen, überarbeitet, in seiner Grundanlage aber blieb er im Wesentlichen unverändert. Die Bezeichnung »Bataillon Combat Team« behielt Gültigkeit, bis Anfang der siebziger Jahre die gesamte Live-Oak-Planung überprüft wurde. Insgesamt kam dabei wenig Konkretes heraus, weil inzwischen die Gesamtlage entspanntere Züge angenommen hatte. Die Kampfgruppe wurde im März 1973 lediglich in Tripartite Battle Group umbenannt.384 Von Berliner Seite aus gab es ein »Berlin Combat Team« zu führen, quasi das planerische Gegenstück zu Live Oak.385 Diese Gruppierung war tatsächlich nur eine verstärkte Kompanie, wurde nie zur Ausbildung versammelt und von den Commandantsin-Committee kaum unterstützt, die keinen Sinn in dieser Option sahen, sondern nur eine Verschwendung von Kräften der schwachen Garnisonen.386 Für »Trade Wind« bürgerte sich die allgemeine Bezeichnung »TBG« im Sprachgebrauch ein. Diese Operation sollte ab 1961 jährlich einmal in einer etwa zweiwöchigen Ausbildungsperiode geübt werden. Die Übungen fanden in der Folge wohl jährlich einmal im Spätsommer statt. Seit 1967 sind sie belegt, doch gibt es keinen Hinweis, ob sie tatsächlich durchgängig durchgeführt wurden. Seit 1980 trugen sie stets den Namen »Treaty«, versehen mit der aktuellen Jahreszahl. So sind sie auch in der NVA-Überlieferung aufzufinden. Die letzte ihrer Art fand 1989 zwischen 18. und 25. August statt. Die TBG-Operation war nur in der Phase »Versammlung« und im ersten Teil der Phase »Marsch nach Berlin« eine reine Operation der Landstreitkräfte. Sobald die TBG von Hindernissen und von Kräften der Gegenseite im Innern der DDR aufgehalten würde, mussten ausreichende Kräfte der Luftwaffen der Drei Mächte zur Verfügung stehen, um die TBG in der Verteidigung gegen einen überlegenen Feind zu unterstützen und den Rückzug möglich zu machen. Für diese Unterstützung gab es einen eigenen Operationsplan von CINCUSAFE. In den jährlichen Übungen der TBG wurde die Luftunterstützung in der letzten Phase und als Höhepunkt mit dem Ziel geübt, der TBG den Rückzug nach Helmstedt zu ermöglichen. Die Luftwaffeneinsätze wurden zunächst von Gütersloh (UK) und Spangdahlem (US und FR), später Celle, erst ab 1965 vom Bundeswehr-Flugplatz Faß Ein schlichtes Papier: BArch, BW 71/93, Nr. 7: SHLO 73/0238-C, 9.3.1973. ASB OpInstr. Nr. 5/61, siehe auch BArch, BW 71/119, Nr. 17: SHLO 200/33 TS, 12.6.1963. 386 Die Option des BCT wurde daher im Zuge der allgemeinen »Review« in den 1980er Jahren aufgehoben. Siehe dazu in Kap. IV.7; die Diskussion in der »Review«, Package 3 zu TBG und BCT siehe in BArch, BW 71/70, Nr. 31: SHLO O 85/1321/OPS, 15.11.1985; die Entscheidung der WAG dann: BArch, BW 71/77, Nr. 39: SECSTATE 379997, 8.12.1987, SHLOIN I 87/3085-S. 384 385

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berg geflogen, der die kürzeste Entfernung zum Einsatzraum des TBG, der Autobahn Helmstedt–Berlin, und damit die besten Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Unterstützung bot. Während sich die Briten im Winter 1959/60 mit der Einführung einer Bataillonskampfgruppe in das Arsenal der Pläne für Live Oak abgefunden hatten, blieb es höchst ungewiss, ob sie sich je noch weitergehenden Vorstellungen würden öffnen können. General Norstad hatte zunächst nicht insistiert, allerdings auch nicht auf entsprechende Überlegungen verzichtet. Die abklingende Krise um Deutschland und Berlin hatte das Abwarten wohl erleichtert. Als im August 1960 aber die Krise wieder ernster zu werden schien, ergriff Norstad in dieser Frage die Initiative. In seinem Brief an die britischen CHODs387 stellte er den Stand der Planungen dar und teilte seine Absicht mit, nun den Plan für eine Divisionsgruppierung, möglicherweise später auch für eine Brigadegruppe entwickeln zu lassen. Er habe in Gesprächen vernommen, dass das Vereinigte Königreich Vorbehalte gegenüber diesem Vorhaben hege. Indes urteilte Norstad, dass unvorhergesehene Umstände eintreten konnten, für die Kräfte anderer Größenordnung bereitgestellt werden mussten. Daher sei es wichtig, entsprechende Pläne verfügbar zu haben, ohne aktuelle Überlegungen zu Vollmachten für die Durchführung anzustellen.388 Die erste Antwort war ernüchternd und enttäuschend, die bisherige britische Ablehnung wurde bestätigt.389 Die britischen CHODs glaubten nicht, dass eine größere Kräftegruppe als die bereits geplante gebraucht werden könne, solange das BCT/TBG durch die entscheidende Drohung mit der nuklearen Macht unterstützt würde. Jedoch zeigten sie sich kompromissbereit. Vor Auftragserteilung an den CINCBAOR sollte Live Oak eine Untersuchung vorlegen, in der die Machbarkeit eines solchen Planes geprüft wurde. Sollte das Ergebnis die Durchführbarkeit bestätigen, würden die CHODs ihre Bedenken aufgeben. In diesem Brief wurde erkennbar, dass die britischen Generalstabschefs sachlich keinen Grund sahen, ihre Meinung zu ändern.390 Da aber die beiden anderen Nationen vor langer Zeit bereits ihre Zustimmung zu diesem Plan gegeben hatten, fühlte man sich doch genötigt, Kompromissbereitschaft an den Tag zu legen, jedoch möglichst ohne Gesichtsverlust.391 Live Oak legte das Ergebnis seiner Studie zu diesem Thema am 2. Dezember 1960 vor.392 Das Hauptproblem bestand demnach darin, die operativen Aufgaben zu bestimmen, welche eine Divisionsgruppe der Drei Mächte in Planungen für Berliner Eventualfälle erfüllen könnte und ob diese Aufgaben dann überhaupt militärisch lösbar waren.393 BArch, BW  71/132, Nr.  10: ECLO 600/67, 22.8.1960, LO-TS-60-149. Zuvor hatte es schon manchen Austausch über dieses Thema gegeben, ohne Ergebnis allerdings. 388 Ebd., Para. 3 und Para. 4, S. 1 f. 389 BArch, BW 71/132, Nr. 16: UKLO/3, 24.8.1960, LO(IN)-TS-60-2040. 390 Siehe hierzu Pedlow, Allied Crisis Management, S. 96 und Anm. 39 f. 391 Vgl. dazu auch die schriftliche Äußerung des britischen Delegationsleiters bei Live Oak, Colonel R.J. Chaundler, an seine nationalen Vorgesetzten. Zit. nach Pedlow, Three Hats for Berlin, Quelle dort lt. S. 6, Anm. 1: PRO, DEFE 4/129, COS (60)53(3), 31.8.1960. 392 BArch, BW 71/132, Nr. 14: »Staffstudy« ECLO 300/344, LO-TS-60-227, 2.12.1960. 393 Ebd., Para. 1. 387



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Die grundlegenden Themen und Probleme waren hier weitgehend die gleichen wie für die »Probes« und das BCT, aber wegen der besonderen Größe des geplanten militärischen Verbandes gab es markante Schwerpunkte. Wegen der überlegenen Stärke der sowjetischen und der ostdeutschen konventionellen Streitkräfte war es offensichtlich, dass die Live-Oak-Mächte erheblich unter Druck stehen würden, wenn sie den Zugang zu Lande unter Einsatz aller Mittel unterhalb der Schwelle des General War aufrecht erhalten wollten, falls die sowjetischen Kräfte entschlossen waren, diesen Zugang zu unterbinden. Daher stand nicht so sehr die Absicht der Drei Mächte im Zentrum, den Zugang nach Berlin allein durch den Einsatz konventioneller militärischer Kräfte aufrechtzuerhalten. Viel wichtiger war es, eine militärische Kräftegruppe von ausreichendem Umfang bereitzuhalten, um überzeugend zu demonstrieren, dass die Drei Mächte fest entschlossen seien, ihre Rechte auf freien Zugang zu wahren. Die Größenordnung der Kräftegruppe, die diese Entschlossenheit zeigen sollte, musste durch die drei Regierungen auf der Basis des aktuellen politischen und militärischen Umfelds bestimmt werden. Von ausschlaggebender Bedeutung würde die politische Lage sein, weniger die militärische.394 Im Planungsprozess erschien »Trade Wind« einstweilen ausreichend, um notfalls genug Eindruck zu machen. Die Umstände, unter denen eine größere Kräftegruppe notwendig werden könnte, konnten jedoch noch nicht abschließend beurteilt werden. Aktuelle Krisenstimmung und Planung für künftige Krisen gingen hier ineinander über. Da niemand die noch bevorstehenden Eventualitäten kannte, hatte sich Norstad wohl gesagt, dass es besser sei, einen noch größeren Kampfverband zumindest einzuplanen, wenn dieser auch erst einmal nicht realisiert werden konnte. Im weiteren Verlauf wurden verschiedene Situationen untersucht, die den Einsatz einer Divisionsgruppe rechtfertigen konnten: – Sicherung größerer Abschnitte der Autobahn, wenn etwa die Gegenseite sich während laufender Verhandlungen von der Autobahn fernhielt; – Unterstützung des BCT, nachdem es blockiert worden war und sich nun vom Feinde lösen wollte; – Einsatz als Deckungstruppe für das BCT in gewissen Lagen. Diese Pläne mussten natürlich mit dem »Trade Wind«-Operationsplan harmonisiert werden, möglicherweise sollte auch das BCT Teil der Divisionsgruppe sein. Es wurden des Weiteren Vorschläge für die Gliederung und Zusammensetzung der Divisionsgruppe gemacht mit dem Ziel, dieser Kräftegruppe höchste Flexibilität im Einsatz zu geben, halb Infanterie, halb Panzer, voll beweglich, teilweise sogar auch luftbeweglich. Als Verfügungsraum kam erneut der Raum um Helmstedt in Frage. Alle diese Überlegungen waren mit der SHAPE Advisory Group koordiniert worden, sodass die operativen Erfordernisse der NATO in die Studie eingeflossen waren. Als Fazit wurde zu diesem Zeitpunkt festgehalten,395 dass das BCT »Trade Wind« zunächst die gesteckten Ziele von Live Oak in ausreichender Weise erfülle. Es sei aber wünschenswert, die Versammlung einer Divisionsgruppe zu planen. Dieser Gruppe konnte für den Ernstfall eine Anzahl lösbarer militärischer Aufträge gegeben werden für die Zeit, nachdem das BCT seinen Auftrag erfüllt hatte. Die Versammlung und der Einsatz der Ebd., Para. 4.b, S. 2. Ebd., Para. 5, S. 5, »Conclusions«.

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Divisionsgruppe würde die Verteidigungspläne der NATO (Emergency Defence Plans, EDP) materiell nicht schwächen. Die Britische Rheinarmee sei zudem in der Lage, die Divisionsgruppe in ihrem Verantwortungsbereich aufzunehmen, zu versammeln und logistisch zu unterstützen. Mit Datum 31. Januar 1961 ging dann die Weisung an General Cassels hinaus, einen militärischen Verband von etwa Divisionsgröße vorzubereiten.396 Norstad stellte zunächst fest, dass er inzwischen die Zustimmung der Regierungen der Drei Mächte erhalten habe, »die Versammlung, Führung, logistische und administrative Unterstützung einer solchen Kräftegruppierung zu planen«.397 Doch war dies alles noch eher vorläufig, da die näheren Einsatzaufträge für die Divisionsgruppe auch grundsätzlich alles andere als klar und wohl erst in einem entsprechenden Ernstfall absehbar waren, wenn die Regierungen entschieden, diese Kräftegruppe einzusetzen. Dennoch enthielt die Weisung einige Optionen als Hilfestellung für die Zusammensetzung der Gruppierung. Sie sollte maximale Flexibilität haben und über leichte Lufttransportkapazitäten verfügen. Es wäre klug, das BCT (»Trade Wind«) als Teil der Divisionsgruppe vorzusehen. Die Generale Challe (damals CINCENT), Speidel (­COMLANDCENT) sowie Air Chief Marshal Sir Harry Broadhurst (CINC 2 ATAF/ CINCRAFG), waren persönlich über »Trade Wind« informiert worden, aber nicht ihre Stäbe. Hinsichtlich der Planungen für die Divisionsgruppe würden diese Stellen dann auch zu gegebener Zeit informiert werden. Damit kannte der CINCBAOR auch die Rahmenbedingungen und er wusste offiziell, wen er wegen der Sicherheit von Live Oak bei der NATO ansprechen durfte.398 Nachdem Norstad die Genehmigung der Drei Mächte für die weitere Planung eingeholt hatte, ordnete er an, dass der Oberbefehlshaber der Rheinarmee die Pläne für Zusammensetzung, Versammlung und logistische Unterstützung einer militärischen Live-Oak-Kräftegruppe von etwa der Stärke einer Division vorzubereiten hatte.399 Da aber Sinn und Zweck dieses Unternehmen noch nicht genauer geklärt waren, versuchte Norstad einige Hinweise zu geben, die eine sinnvolle Zuordnung und Gliederung der Kräfte erleichtern mochten:400 Vor und während des Einsatzes des BCT sollte diese Kräftegruppe durch die offene Bereitstellung im Raum westlich Helmstedt als zusätzlicher Beweis für die alliierte Entschlossenheit ins Feld geführt werden, den Landzugang nach Berlin offenzuhalten. Wenn das BCT sein erstes Ziel, nämlich günstige Bedingungen für Verhandlungen, erreicht hatte, konnte die Divisionsgruppe entweder die physische Kontrolle über verwundbare Teile der Zugangswege übernehmen, dem Verkehr auf den Landwegen Geleitschutz geben oder das BCT in seinen Stellungen während der Ver BArch, BW 71/132, Nr. 20: ECLO 600/93, 31.1.1961, LO-TS-61-15, Para. 2, S. 1 des LoI. BArch, BW 71/117, Nr. 2: ECLO 600/92, APO 128, Brief vom 31.1.1961, 2. Abs. Im Bestand konnte ich keine weiteren Hinweise finden, wie Norstad diese Zustimmung der Regierungen erreicht hatte. So ist anzunehmen, dass er die bereits früher gegebenen Genehmigungen der Franzosen und Amerikaner damit meinte sowie die Äußerung Mountbattens vom 4.11.1960 bei dessen Besuch bei SACEUR: BArch, BW  71/124, Nr.  9: »Memorandum for Record«, 7.11.1960, LO(IN)-TS-60-2084. 398 Letzter Absatz des Briefes vom 31.1.1961, BArch, BW 71/117, Nr. 2. 399 BArch, BW 71/132, Nr. 20: Para. 2, S. 1, »Mission«. 400 Ebd., Para. 3, S. 1 f., »Concept of Operations«. 396 397



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handlungen unterstützen und stärken. Bei negativem Verlauf konnte sie dann auch dessen Rückzug decken. Die Kräftegruppe sollte etwa Divisionsstärke haben, also 10 000 bis 12 000 Mann umfassen. Zur Planung gehöre es auch, den Einsatz taktischer Atomwaffen zur Unterstützung der Kräftegruppe einzubeziehen. Deren Einsatz allerdings »will be subject to my direct control«, wie Norstad betonte.401 Zur fairen Verteilung der Verantwortlichkeiten sollte das Personal möglichst in jeweils gleicher Stärke von jedem der drei Länder gestellt werden. Abgesehen von der Luftaufklärung, die in den Luftkorridoren geflogen wurde, sollte es keine Luftunterstützung für die Landstreitkräfte außer zur Unterstützung des Lösens vom Gegner geben. Alle Anforderungen dafür, die über das für das BCT Vorgesehene hinausgehen, waren durch CINCUSAFE zu koordinieren. Die Fähigkeit, ein Bataillon mit leichten Mitteln durch die Luft transportieren zu können, sollte mit einbezogen werden402. Die Führungsverantwortung war ebenso geregelt wie für die anderen Operationen um den Landweg.403 Damit waren, so glaubte man offensichtlich, alle Eventualitäten abgedeckt. Rasch tauchten praktische Probleme auf. Der französische CHOD hatte technische Einwände, die die Planungen für viele Monate verzögerten. Er brachte zuletzt vor, dass Frankreich keine geeigneten Truppenkörper verfügbar hätte.404 Damit waren die bisherigen Überlegungen Makulatur, die davon ausgegangen waren, dass jede der Drei Mächte etwa ein Drittel, d.h. ein Brigadeäquivalent plus Anteil der Divisionstruppen, beisteuern würde. Auch die Briten blieben zurückhaltend. Die ganze Problematik der Planungen von Live Oak kam in diesem Zusammenhang schlaglichtartig zum Ausdruck. Ferner hatte Mountbatten in einer Unterredung mit Kennedy im April 1961 seine Meinung über die Live-Oak-Pläne, insbesondere in Bezug auf die Größenordnung Bataillon bis Division, deutlich bekundet. Er meinte, dass dies militärisch absolut sinnlos sei, und stellte die Frage: »What would happen to a battalion on the autobahn? The Russians would blow up a bridge in front, a bridge behind, and then sell seats for people to come and laugh. And if that was a farce, a division would be a tragedy. It would require a front of thirty miles to keep moving – fifteen miles each side of the autobahn, and it would be seen as an invasion of East Germany, and that would lead to an all-out war«.405 Diese Sorgen wurden auch von anderen geteilt, so zum Beispiel vom amerikanischen Brigadegeneral Robert C. Richardson III., den Norstad Ende Juni 1961 zum kommissarischen COS von Live Oak gemacht hatte, nachdem die Berlin-Krise wieder an Gefährlichkeit zugenommen hatte.406 Richardson argumentierte, dass die Gegenseite den Alliierten den Zugang nach Berlin verwehren konnte, ohne die Grenzen der NATO zu Ebd., Para. 4.a‑4.c (Zit. Para. 4.a), S. 2. Ebd., Para. 4.d‑4.f, S. 2 f. Ebd., Para. 6, S. 3 f. BArch, BW 71/117, Nr. 34: General Ely, »Military Plans and Operations«, No. 10176/EMGDN/ POM/E/TS, LO(IN)-TS-61-2018, 18.2.1961. 405 Hough, Mountbatten. Hero of our Time, S. 254; Zit. nach Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 26, Zeit »im April 1961«, siehe auch Anm. 1 dort. 406 Brig.Gen. Robert C. Richardson III, »Some Stretgic Thoughts on the Berlin Issue: The Right or Wrong Way to Go to War over Berlin«, 27.7.1961, nicht in BW 71. Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 26 f. Zu Richardson siehe Norstads Brief an den CHOD UK, BArch, BW 71/117, Nr. 12: ECLO600/105, 30.6.1961, LO-TS-61-99. 403 404 401 402

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verletzen oder ihre Sicherheit zu bedrohen. Militärische Operationen der Alliierten hingegen mit dem Ziel, den Zugang nach Berlin wieder zu öffnen, konnten die Inbesitznahme von ostdeutschem Territorium und den Angriff auf militärische Einrichtungen weit entfernt von Berlin bedeuten – mit der Folge, dass der Warschauer Pakt sich veranlasst sehe, massive Vorkehrungen zur Verteidigung einzuleiten. Daher forderte Richardson, ähnlich wie später die deutsche Seite nach ihrem Beitritt zur Live-Oak-Organisation, einen globalen Ansatz für eine Krise über den Zugang nach Berlin. Wenn der Zugang nach Berlin durch den Einsatz von Gewalt versagt werde, sollte die Entscheidung zum Nachgeben oder zur Eskalation der Sowjetunion und nicht den Alliierten aufgebürdet werden. Derlei konnte durch eine lokale militärische Aktion im Raum Berlin nicht erreicht werden. Erfolgversprechender war, dass man im Falle einer Blockade der Zugänge nach Berlin der Sowjetunion weltweite, immer mehr zunehmende Beschränkungen auferlegte, bis diese sich gezwungen sehe, deren Aufhebung durch Verhandlungen über den Zugang nach Berlin oder durch den aggressiven Einsatz von Gewalt zu erreichen.407 Als Beispiele solcher globaler Maßnahmen nannte Richardson u.a. die Schließung der Dardanellen, die Isolierung von Kuba oder die Verweigerung des Überflugrechts für zivile sowjetische Flugzeuge. In diesen Wochen keimte dann doch zumindest in Bezug auf die Zuführung von Kräften neue Hoffnung auf: Die Franzosen versprachen im Juni 1961,408 sich doch mit einer Brigade und anteiligen Divisionstruppen beteiligen zu wollen, und Norstad selbst bot gleichzeitig eine verstärkte amerikanische Panzerdivision, minus eine Kampfgruppe, als Kern einer Divisionsgruppe an.409 Dadurch sollte der CINCBAOR in die Lage gebracht worden sein, die Planung für diese Operation erfolgreich zu Ende zu bringen. Entsprechend berichtete General Cassels über die jüngste Entwicklung und präsentierte seine Vorstellungen über die Zusammensetzung dieser Kräftegruppe. Sie wurde unter Führung der 3. (US) Panzerdivision aus Frankfurt a.M. durch je eine mechanisierte Brigade der Amerikaner und Briten gebildet, der versprochene französische Anteil war noch nicht näher definiert. Alle Drei Mächte sagten auch anteilige Divisionstruppen zu.410 Die gesamte Division sollte mehr als 14 000 Mann stark sein, davon rund 7000 Amerikaner, 4000 Briten und 3000 Franzosen. Als Deckname setzte Cassels »June Ball« fest.411 Nach Billigung der vorläufigen Kräftegliederung412 erließ der CLO seine »Planning Guidance for ›June Ball‹«.413 Aber trotz intensiver Planungstätigkeit während der immer noch ernsten Krise um den Mauerbau kamen die Planungen nicht wirklich voran. Einige Fortschritte aber hatte es gegeben: Die Deutschen wurden an den Planungen beteiligt. Der Divisionskommandeur, Generalmajor Creighton William Abrams Jr., wurde einge-

409 410

Siehe Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 26 f. BArch, BW 71/117, Nr. 40: No. 388/FR-LO, 2.6.1961, LO(IN)-TS-61-2042. BArch, BW 71/117, Nr. 10: ECLO 600/103, 27.6.1961, LO-TS-61-91. BArch, BW  71/117, Nr.  46: HQ BAOR B 1161/5/5 G (Ops and Plans), 24.7.1961, LO(IN)TS-61-2059. 411 Der Name für diesen Plan wurde bis 1990 beibehalten. BArch, BW 71/117, Nr. 51: Letter Gen. Cassels, DO/B1161/5/5G (Ops and Plans), 15.8.1961, LO(IN)-TS-61-2067, Para. 7, S. 3. 412 BArch, BW 71/132, Nr. 23: ECLO 600/115, LO-TS-61-169, 28.8.1961. 413 Ebd., Anlage zu ECLO 600/115, LO-TS-61-170. 407 408



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

285

wiesen und erkundete persönlich die vorgesehenen Räume und Marschstraßen. Auch die Luftwaffen der Drei Mächte wurden einbezogen.414 Die aktuelle Krise bewirkte zwar einen Schulterschluss der Drei Mächte mit dem atlantischen Bündnis und führte auch zu einer neuen Weisungslage durch den NATO-Rat an den SACEUR und durch die WAG an den CLO. Dabei zeigte sich jedoch rasch, dass die vorgesehene Kräftegliederung von »June Ball« im Gegensatz zu vorherigen, optimistischen Einschätzungen mit den NATO-Einsatzplänen (EDP) doch nicht vereinbar war, da die Kräfte in einer krisenhaften Entwicklung bei der Heeresgruppe Mitte (CENTAG) in Hessen dringend gebraucht würde, also nicht für Sonderaufgaben wie Live Oak abgezogen werden konnte. Ferner begannen auch im Bündnis Überlegungen, welche Unterstützung die NATO selbst in einer Berlin-Krise für die Drei Mächte leisten könnte.415 Im Laufe dieser Entwicklung wurde »June Ball« wieder um eine britische Division als Kern gebildet, wobei dieses Mal zwei britische und eine französische Brigade die Masse stellten und die Amerikaner neben Anteilen an den Divisionstruppen nur eine verstärkte, infanteriestarke Bataillonskampfgruppe. Außerdem fiel nur noch die Versammlung der Division und deren Vorbereitung auf den Einsatz in den Aufgabenbereich von Live Oak. Der Einsatz selbst war Sache des SACEUR im Rahmen der Berlin Contingencies des Bündnisses (BERCON Charlie One). Daher wurde von Live Oak auch kein Operationsplan geschrieben, sonder nur eine »Movement Order« der BAOR.416 Dennoch wurde auch hier deutlich, dass die Kräfteanordnung der Divisionsgruppe erhebliche Auswirkungen auf den EDP der CENTAG der NATO hatte und daher möglichst nur solche Truppen bei »June Ball« eingesetzt werden sollten, die entweder keine Aufgabe im EDP übertragen bekommen hatten oder deren Rolle in den BERCONs geografisch näher an der EDP-Aufgabe lag. Daher erschien es der NATO mehr als wünschenswert, den Auftrag und den Operationsplan für diese Division selbst zu erarbeiten, auch wenn sie formal zu Live Oak gehörte.417 Das Deckwort »June Ball« wurde für die Phase der Versammlung unter Live Oak beibehalten, »BERCON« galt ab Übernahme der Verantwortung durch die NATO. ­CINCBAOR erhielt die Weisung, den Plan für »June Ball« entsprechend zu überarbeiten, CINCENT desgleichen für die Operation BERCON Charlie One. Alle Beteiligten hatten eingesehen, dass es nicht praktikabel BArch, BW 71/117, Nr. 55: »June Ball-Notes on the Conference held at HQ BAOR/RAF/Germany (2. ATAF) at 1000 hrs on Tuesday 5 Sep 61«, LO(IN)-TS-61-2099. 415 Ein Beleg hierfür ist die Stellungnahme von Live Oak am 24.11.1961 zu dem Dokument »Recommendations by the Governments of France, the United Kingdom and the United States concerning Relationships Between NATO and the Three Powers in the Planning and Control of Berlin Contingency Operations«, datiert mit 2.11.1962, BArch, BW 71/124, Nr. 33: I-19259/61. Darin heißt es: »Amend to read: ›General Norstad should inform the appropriate NATO Commanders of Live Oak operational plans to the extent he considers necessary‹. Amended wording permits briefings of staff officers where this is essential to coordinate planning.« Siehe Para. 2.b zu »Para. 5.a(2)(b)«, S. 2, Zit. ebd., in BArch, BW 71/117, Nr. 77: SHLO 9-00039, LO-TS-61-3021 vom 24.11.1961. 416 Siehe BArch, BW 71/54, Nr. 5: »Subj.: BAOR Movement Instruction Nr. 40«, SHLO 78/0247/ GRD. Als Vorgang wird hier u.a. die wohl noch gültige Ausgabe des Planes vom 28.10.1966 genannt. Bezeichnend ist auch, dass in BArch, BW 71/16, Nr. 89: NMR/Live Oak-Bericht Nr. 32 (Stand 20.9.1967) vom 30.9.1967 nur die NORTHAG Op.Instr. genannt wird, aber kein BAORTeil oder eigener Plan für Live Oak. Siehe dort Anlage 7. 417 BArch, BW 71/118, Nr. 45: LO-Msg 9-000104, LO-TS-62-3034, 29.8.1962, Para. 2.a und Para. 2.d, S. 1 f. 414

286

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Divisionsgruppe »June Ball« 1966 – 1982 (nur Versammlung)

xx

Tripartite GM Kommandeur GM Stellvertreter

Herford

xx

x

x Minden

x Detmold

(verstärkt ) Trier

45 SPz

Frankfurt a.M.

plus

45 SPz

50 KPz

45 SPz

45 SPz

50 KPz

45 SPz

17 KPz

6 Haub.

18 PzHaub.

45 SPz

50 KPz

18 PzHaub.

18 PzHaub.

Gesamtstärken: Personal 13 000 * Kampfpanzer 170 ** Schützenpanzer 270 ** Panzerhaubitzen/ Haubitzen 60 ** * Ohne nationale Versorgungs- und Unterstützungsteile ** Vom Verfasser geschätzt

Legende: Panzer-

Fernmelde-

Panzergrenadier-

Pionier-

Panzerartillerie-

Heeresflieger-

Stabs-

xx

Division

KPz

Kampfpanzer

x

Brigade

SPz

Schützenpanzer

Bataillion

PzHaub. Panzerhaubitzen

Kompanie/Batterie

Haub.

Quelle: BAOR Movement Instruction 40A vom 20.10.1982, OP »June Ball«; BW 71/13, Nr. 26; Live Oak, Summary of Ground Plans, SHLO O 83/1094/2-11 GRD, 8.11.1983, S. 9, BArch, BW 71/16, Nr. 32.

Haubitzen

© ZMSBw

07876-05

war, eine amerikanische Division für Live Oak im Verantwortungsbereich der Rheinarmee einzusetzen, die im Bereich von CENTAG dann eine große Lücke im berüchtigten »Fulda Gap«418 hinterließ. Eine britische Division konnte dagegen die Aufträge für Live Oak und die NORTHAG leichter stemmen, weil für sie beide Verpflichtungen räumlich weitgehend deckungsgleich waren und zeitlich aufeinanderfolgten. Im NATO-Jargon bezeichnete dieser Ausdruck die große Schwachstelle in der NATO-Verteidigung bei Fulda in Hessen, Einsatzraum der hier vorgesehenen 3. (US) Pz.Div.

418



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

287

Die Operationsplanung bei SHAPE/NORTHAG für BERCON Charlie One419 und die entsprechende »BAOR Movement Order Nr. 40« im Bereich Live Oak waren wohl 1964 fertiggestellt, dann aber im Regal der Eventualfalloperationen liegen gelassen und fast vergessen worden. Wirkliche Übungen gab es nie. Im Rahmen der von General Rogers dann 1982 angestoßenen Überprüfung aller Pläne wurde auch »die heiße Kartoffel«420 »June Ball« kritisch in den Blick genommen. Eine Neubearbeitung aber war nur in Zusammenarbeit mit SHAPE möglich, da es eine gemeinsame Aufgabe geworden war. Eine Studie sollte neue Überlegungen zusammenfassen und helfen, zu einem sinnvollen Ziel zu gelangen.421 Die darin genannten Argumente, Stellungnahmen und Bedenken waren nicht neu. So sah man den »June Ball«-Plan nach wie vor als fragwürdig an. Nach wie vor waren die Umstände unklar, unter denen er aktiviert würde. Es war auch weiterhin damit zu rechnen, dass sich die NATO in einem fortgeschrittenen Alarmzustand befände und der General Defence Plan422 dann durch »June Ball« nachteilig betroffen sein würde. Es blieb vor allem die Hoffnung, dass BAOR und USAREUR spürbare Anstrengungen unternahmen, die Folgen für den GDP durch Änderungen in der Kräfteordnung zu verringern. Der französische Beitrag konnte, so hoffte man, die Lage weiter verbessern, auch deshalb, weil die Franzosen nach ihrem Austritt aus der militärischen Integration des Bündnisses keinen GDP-Auftrag mehr hatten, also eine Art ungebundene Reserve bildeten. Umso wichtiger war die Frage, ob der Plan noch immer einen militärischen Wert innerhalb der Live-Oak-Operationen besaß. Da diese Operation niemals in einem Manöver mit Truppe geübt worden sei, werde seine bloße Existenz den Gegner wenig beeindrucken, so die Einschätzung. Seit die NATO über seinen Einsatz entscheide, habe Live Oak nur den Plan behalten, die Kräftegruppe im Auftrag von SHAPE zusammenzuführen. SHAPE regte nun an, diesen Plan fallenzulassen, es sei denn, er habe noch einen gewissen Nutzen im Kontext von Live Oak. Man sah allerdings doch einige politische Vorteile für die Regierungen der Vier Mächte, wenn »June Ball« überlebte, was nach Zweckoptimismus klang. Die dadurch gefestigten Verbindungen mit den französischen Streitkräften brächten beiden Seiten Nutzen. Eine Division, die ohne Zustimmung der anderen NATO-Mächte versammelt wurde, konnte als Hebel dienen, die anderen Nationen zu einer bewaffneten Demonstration in Richtung Berlin zu bewegen. Dass ein derartiges Vorgehen in der Tat den GDP schwächte, konnte von Politikern sogar als ein nützliches Signal der Sowjetunion gegenüber betrachtet werden, das die ernste, aber begrenzte Absicht zeigte, die Freiheit Berlins BArch, BW 71/127, Nr. 1: NORTHAG Op.Instr. 9; NORTHAG/110/64; SHAPE N-1200.12 G-3 Ops 1, LO(IN)-CTS-64-2030, 16.4.1964. 420 So der Chief Ground Planner wörtlich: BArch, BW  71/12, Nr.  55: SHLO O 82/797/GRD, 7.7.1982, GLNO, Tgb.Nr. 314/82 geh., Zit. in Annex D, S. D1. 421 BArch, BW 71/64, Nr. 50: »Discussion Paper on June Ball«, SHLO O 82/1242/OPS, 4.11.1982. Das Paper hat keinen Verteiler, sodass nicht klar wird, an wen es gerichtet war. Da es von einem Offizier des Operation Centre Live Oak unterzeichnet ist, war es vermutlich eher für den internen Gebrauch bestimmt. Einige Tage darauf schickte der COS, Gen. Sinnatt, das Papier, das er initiiert hatte, an die HODs und Ground Planners als Grundlage für die weiteren Überlegungen: BArch, BW 71/46, Nr. 48: SHLO O 82/1237/COS, 8.11.1982. 422 Die GDPs waren die Nachfolger der Emergency Defence Plans (EDP) bei der NATO. 419

288

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

zu bewahren. Und schließlich wurde die Sorge geäußert, dass die Abschaffung von »June Ball« doch als ein Zeichen angesehen werden könne, die Drei Mächte verringerten ihr Engagement für Berlin, wenn dies der Gegenseite bekannt würde.423 Die militärischen Vertreter des Vereinigten Königreichs und der USA in Europa zweifelten die Machbarkeit von »June Ball« weiterhin an. Hauptgrund war und blieb die Doppelrolle der teilnehmenden Kräfte. Nicht nur stand der Operationsplan in Konkurrenz zu den gültigen Operationsplänen, sondern er tangierte auch das Alarmsystem der Major NATO Commands oder den Rapid Reaction Plan. Die Argumente pro und kontra kreisten letztlich um die Frage, was höher zu bewerten war: die Optionen des Krisenmanagements mit deutlichen Signalen an die Gegenseite unter Einsatz einer Division424 oder das organisatorische und strategische Gefüge der Hauptverteidigung mit all ihren vielfältigen Aufgaben und Aspekten. Als CLO General Rogers am 3. Dezember 1982 den Stab Live Oak aus Anlass der jährlichen Rahmenübung »Steadfast« besuchte, war auch »June Ball« ein Thema.425 Als Ergebnis der verschiedenen Briefings und des Übungsverlaufs äußerte Rogers »ernste Zweifel an der Tauglichkeit einzelner NATO- und Live-Oak-Pläne für die Eventualfallplanung Berlin«.426 Darin eingeschlossen war sicher auch das Problem »June Ball«. Die von Rogers initiierte Überprüfung aller Live-Oak-Planungen führte nach vielen Bedenken und Zweifeln, insbesondere vonseiten BAOR und USAREUR, zu zwei Optionen: Option 1 beinhaltete drei unterschiedliche Lösungen: die Beendigung von »June Ball«, die Verbesserung des Operationsplanes oder die Ablage des Planes im Archiv in der Hoffnung, dass er nie gebraucht werden würde.427 Option 2 umfasste die Änderung des Konzepts, um die Nachteile des bisherigen Planes zu vermeiden. Das hätte bedeutet, nur Kräfte zu beteiligen, die »non-NATO earmarked« sind, selbst wenn sie nur die Stärke einer Brigade erreichten, dafür aber ausschließlich unter die Befehlsgewalt des CLO gestellt werden könnten.428 Daraus wurde schon klar, in welche Richtung die Überlegungen gingen. Schließlich brachte Rogers überraschend die Idee eines Operationsplanes für eine Korpsgruppe im Rahmen von Live Oak ein, welche für erhebliche Verwirrung sorgte. Es gelang dem Stab jedoch, den CLO rasch und mit guten Argumenten wieder davon abzubringen.429 In der großen Review wurde »June Ball« erst spät und in der letzten Abteilung der »Package 4« behandelt, die im Frühjahr 1987 den CINCs zur Stellungnahme zugeschickt

BArch, BW 71/64, Nr. 50: Para. 21.b. BArch, BW 71/64, Nr. 59, SHLO O 82/1353/GLNO, 29.11.1982, bes. Para. 7 und Para. 9, S. 3; auch BArch, BW 71/64, Nr. 58: SHLO O 82/1355/USDCS, 30.11.1982. 425 Das ist schon aus dem Entwurf des Kurzvortrags zu entnehmen, den der COS vorbereitet hatte: BArch, BW 71/13, Nr. 39: SHLO O 82/1356/COS, 30.11.1982. 426 BArch, BW 2/17.641, Heft 11: Vorlage FüS III 2 LO an den GenInspBw, 30.12.1982, Az: 02-2020-01, Tgb.Nr. 1022/82 geh., Zit. S. 1. 427 BArch, BW  71/130, Nr.  1: »Live Oak Inventory of Plans«, 27.9.1984, SHLO O 84/1228/TS, Annex F, S. F19‑F20, Para. 29.c. 428 Ebd., Annex F, S. F20, Para. 29.d. 429 BArch, BW  71/73, Nr.  3: Memo des COS, Live Oak, an seinen CLO, 5.11.1986, SHLO O 86/2180-S, Para. 2, S. 1. 423 424



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

289

wurde.430 Darin lautete ein Vorschlag, die Division »June Ball« durch eine Brigadegruppe namens »›June Ball‹ Operational Group« (JBOG) zu ersetzen. Die wesentlichen Änderungen bestanden darin,431 den Umfang der Kräfte zu reduzieren auf je ein verstärktes Bataillon plus anteilige Brigadeeinheiten für jede der Drei Mächte, mit moderner Ausrüstung und Bewaffnung allerdings. Diese neue Kräftegruppe, ohne Verbindung zu irgendeinem SHAPE-Operationsplan, sollte nur Truppenteile enthalten, die nicht anderweitig für irgendeine SHAPE-Operation vorgesehen waren und von Live Oak geführt werden konnten. Soweit möglich, sollten alle Kräfte dafür von außerhalb der Bundesrepublik Deutschland kommen.432 Es wurde nachdrücklich betont, dass die Drei Mächte ihre politischen Verpflichtungen für die Berlin Contingency Plans der NATO behalten würden. Die JBOG erhielt einen neu formulierten Auftrag, ohne dass sich an den bisherigen Grundprinzipien von Live Oak etwas geändert hätte:433 »To assemble, train and be ready to move on order to an area near the Inner German Border (IGB) and be prepared for possible further employment«.434 Die grundsätzliche Neuausrichtung in Bezug auf die Zusammensetzung der Truppe zog großen politischen Diskussions- und Abstimmungsbedarf nach sich. Bei Live Oak stellte man sich in dieser Zeit die Frage, ob die Versammlung von Truppen für JBOG, die nicht in der Bundesrepublik stationiert waren, der Zustimmung der Bundesrepublik bedürfe. Der GLNO hatte in Bonn nachgefragt und, nach Abstimmung zwischen Auswärtigem Amt und Bundesministerium der Verteidigung, die beruhigende Antwort geben können, dass eine Truppenverstärkung nach Art. 4 des »Deutschlandvertrages« und nach dem »Aufenthaltsvertrag«, beide vom 23. Oktober 1954, ohne besondere Zustimmung möglich sei. Die Bundesregierung müsse jedoch vorher konsultiert werden.435 Nach der Koordinierung mit den Oberbefehlshabern und mit ASB im Frühjahr436 wurden die Stellungnahmen der CHODs eingeholt.437 Die deutsche Seite betrachtete die ganze Entwicklung mit gemischten Gefühlen. In der Vorlage für den Generalinspekteur438 bewertete der zuständige Stabsabteilungsleiter die Entwicklung von »June Ball« zu JBOG wie folgt: Die beabsichtigte Reduzierung des Kräfteansatzes sei aus operativen Gründen zu bedauern. Entscheidend sei jedoch weiterhin, dass die Schutzmächte bereit seien, einen multinationalen Großverband zur Wahrung ihrer Rechte auf freien Zugang nach Berlin im grenznahen Raum zu versammeln. Die mit den neuen Arrangements faktisch vollzogene Auflösung des Verbunds des Live-Oak-Planes mit den BERCONs BArch, BW 71/74, Nr. 34: Letter/COS to CLO, Subj.: Situation Report Live Oak Review of Plans, SHLO O 87/345/S, 17.3.1987. 431 BArch, BW 71/74, Nr. 33: »Covering letter«, SHLO O 87/336/OPS, 17.3.1987, Para. 3. 432 Ebd., Para. 3.c. 433 Ebd., Para. 4. 434 Ebd., Anlage A, Para. 5, S. A-2. 435 BArch, BW 71/77, Nr. 42: Schreiben GLNO an den COS Live Oak, o.D., vermutlich 27.5.1987, S. 1. Grundlage dafür war das Schreiben des AA, BArch, BW 71/20, Nr. 92: 210-366.11-Geh, Tgb. Nr. 215/87 geh. vom 6.3.1987, an das BMVg, FüS III 2 LO. 436 Die Stellungnahmen sind nicht alle erhalten; Rogers erwähnt in seinem Anschreiben aber diese Tatsache: BArch, BW 71/76, Nr. 1: SHLO O 87/776, 24.6.1987. Größere Bedenken scheinen dort nicht geäußert worden zu sein, Vorbehalte des franz. CHOD aber waren bekannt geworden. 437 BArch, BW 71/76, Nr. 1: SHLO O 87/776, 24.6.1987. 438 BArch, BW 71/20, Nr. 107: FüS III 2 LO, Tgb.Nr. 149/87 geh. vom 28.7.1987. 430

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der NATO stehe im Widerspruch zu der Verpflichtung der Drei Mächte, der NATO eine Division für die Contingency-Planung für Berlin zur Verfügung zu stellen. Sie sei jedoch Voraussetzung für die Zustimmung Frankreichs, sich an der »June Ball«-Planung weiter zu beteiligen. Die allgemeine politische Verpflichtung439 bestehe zwar fort, habe aber nur mehr deklamatorische Bedeutung, da die entsprechenden ­BERCONs jetzt de facto außer Kraft gesetzt worden waren. Die Heranführung von nicht der NATO assignierten Truppen aus den jeweiligen Mutterländern zur Bildung der JBOG sei eigentlich als starkes politisches Signal zu bewerten. Eine andere Frage war jedoch, ob im Ernstfall geeignete Truppen, zum Beispiel mechanisierte Infanterie, in den drei Ländern zur Verfügung stehen und innerhalb der Neun-Tage-Frist herangeführt werden konnten.440 Der Generalinspekteur stimmte dem neuen Konzept, wie in der Vorlage vorgeschlagen, dennoch zu.441 Die deutsche Position blieb ambivalent. Während die Stellungnahmen des amerikanischen442 und des britischen CHOD443 generelle Zustimmung signalisierten, in Einzelheiten aber Vorbehalte nannten, ohne jedoch das Konzept grundsätzlich zu gefährden, brachte die französische Seite einen grundlegenden Einwand vor, der mit einer entscheidenden Einschränkung verbunden war. Der Vorschlag lautete dahingehend: Der Verband sollte wie geplant in einem Verfügungsraum nahe der Innerdeutschen Grenze versammelt, ausgebildet und auch für einen Marsch gerüstet werden, um ggf. die Rückführung von TBG oder TTF zu sichern – ohne die Innerdeutsche Grenze zu überschreiten.444 Dieser Vorschlag bedeutete, dass die Einsatzkräfte westlich der Innerdeutschen Grenze festgenagelt und damit als besonderes Instrument des Krisenmanagements politisch nutzlos gewesen wären. Einen reinen Aufmarsch hätte man auch mit ständig in Deutschland stationierten Großverbänden durchführen können.445 Die drei anderen Mächte zeigten sich überrascht und ratlos. Die Antwort der Bonn Group ließ daher recht lange auf sich warten. Erst Ende Januar traf ein eher privat-dienstlicher Brief des britischen Vertreters der Gruppe, Robert P. Flower, ein,446 der quasi um Verständnis für die Verzögerung bat. Die britische Seite hätte dem ursprünglichen Konzept zustimmen können, sodass die Planungen hätten weitergehen können.447 Sie hätten sogar einen Auftrag wie das Vorrücken bis Berlin akzeptieren können, ohne Hinweis darauf, ob dieser unvermeidlicherweise die Verletzung von DDR-Territorium entlang des Zugangkorridors bedeuten würde oder nicht. Diese Frage hätte dann durch die WAG gelöst werden müssen, sobald der Zeitpunkt gekom Siehe Para. 4 des Schreibens von General Rogers, BArch, BW 71/76, Nr. 1. BArch, BW 71/20, Nr. 107: Bewertung in Ziff. 6.a‑6.c, S. 3 f. 441 BArch, BW 71/76, Nr. 24: BMVg, GenInspBw, FüS III 2 LO, Tgb.Nr. 150/87 geh. vom 4.8.1987, SHLOIN O 87/934. 442 BArch, BW 71/77, Nr. 33: Msg JCS, 2.9.1987, SHLOIN I 87/1952/S. 443 BArch, BW 71/77, Nr. 29: VCDS 2044/3/1-S., 19.8.1987, SHLOIN I 87/1870-S. 444 BArch, BW 71/77, Nr. 28: No 9009/DEF/EMA/EMP1/SLO, 30.7.1987, SHLOIN I 87/1859-S. mit Annexe à la lettre N° 9009. 445 Die Brisanz dieser Stellungnahme war zunächst unterschätzt worden: siehe u.a. BArch, BW 71/76, Nr. 56: COS -S-3580, 17.9.1987. 446 BArch, BW 71/78, Nr. 8: SHLO O 88/127-S, 28.1.1988; die Stellungnahme, sein Brief an den COS, in der Anlage. 447 Ebd., Para. 2, S. 1. 439 440



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men war. Unglücklicherweise seien aber die Franzosen unnachgiebig geblieben, mit einiger Unterstützung der Deutschen.448 So könne dem JBOG-Konzept nicht zugestimmt werden, solange die Frage des Auftrages nicht in ihrem Sinne gelöst worden sei. Die Gegenposition der Franzosen und der Deutschen könne sachlich auch nicht ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden. Den gemeinsam entwickelten Text der Bonn Group449 übermittelte der deutsche Vertreter der Gruppe, Bernhard Graf von Waldersee, nur wenige Tage später. Grundsätzlich unterstützte diese zwar das JBOG-Konzept, konnte aber kein endgültiges Urteil abgeben, da wesentliche Fragen nicht gelöst seien.450 In der Tat konnten die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Amerikanern und Briten einerseits und den Franzosen andererseits nicht ausgeräumt werden. Live Oak hatte schon im Februar 1988 einen Vorschlag entwickelt, der aber erst Ende 1989 zum Tragen kam.451 Gemäß dieser Lösung lautete der Auftrag: die Kräftegruppe JBOG zu versammeln und auszubilden sowie vorbereitet zu sein, in einen Raum nahe der Innerdeutschen Grenze vorzugehen, um von der WAG angeordnete Operationen zu leiten, einschließlich der möglichen Aufnahme der TTF/TBG.452 Entscheidend war, dass im Konzept nunmehr zwei Optionen eingeführt wurden: »If an IGB Crossing is Approved by Capitals« und »If an IGB Crossing is NOT Approved by Capitals«.453 Für beide Optionen wurden Teilpläne im JBOG-Plan vorgesehen. Das war der »Königsweg« zumindest in Bezug auf die Formulierung. Am 28. Dezember 1989 schrieb der Vertreter der USA in der Bonn Group, Vernon A. Walters, an die WAG: »we approve package  4 (jbog) as have the uk, french, and frg delegations in the bonn group.«454 Die WAG behandelte jedoch, wegen der allgemeinen politischen Entwicklung in Deutschland und Europa, JBOG nicht mehr.455 Für »June Ball« hatte der CLO keinerlei besondere Befugnisse von der WAG übertragen bekommen, weder das Recht, die Division für Übungen zu versammeln, und erst recht nicht für den Einsatz. Der einzige konkrete Plan dazu (»BAOR Movement Instruction Nr. 40«456) ist nie mit Truppe geübt worden. In den jährlichen Rahmenübungen

Beiden Regierungen behagte die Idee eines eventuellen Vormarsches von JBOG auf das Gebiet der DDR überhaupt nicht, daher die Diskussion um den Auftrag und seine Formulierung. Vgl. den französischen Vorschlag in BArch, BW  71/77, Nr.  28: No 9009/DEF/EMA/EMP1/SLO, 307.1987, Annexe, S. 2 (engl. Version: S. 4). 449 BArch, BW  71/78, Nr.  14: FS AA, Bonn Nr.  0298, 4.2.1988, Tgb.Nr.  15-88 geh., Az.  210366.11’96/88 geh.; 041530 Live Oak; GLNO Tgb.Nr. 06/88 geh., SHLOIN I 88/274/OPS; Unterschrift: Graf Waldersee, deutscher Vertreter in der Bonn Group. Das amerikanische Papier vom 10.2. ist im Inhalt identisch: BArch, BW 71/79, Nr. 17: I 88/518. 450 BArch, BW 71/78, Nr. 14: Para. 2. der Anlage. 451 BArch, BW 71/78, Nr. 13: SHLO O 88/258, 29.2.1988; BArch, BW 71/87, Nr. 2: Vorschlag in den Briefen des COS an die Mitglieder der Bonn Group: COS 2, 9.11.1989, SHLO O 89/1232.. 452 Ebd., Para. 5, S. A-2; nur der 2. Teil ist neu: »to conduct operations ordered by the WAG, including the possible recovery of the TTF/TBG.« 453 Ebd., Para. 10.a und 10.b, S. A-3. 454 BArch, BW 71/88, Nr. 29: Msg AMEMB Bonn an SecState, Washington, SHLOIN I 90/2225-C. 455 Es gibt jedenfalls keinerlei Hinweis darauf in der Überlieferung. 456 Letzte Fassung: BArch, BW 71/13, Nr. 26: »Draft Rev. BAOR Op.Instr. 40A (Movement Order)«, 20.10.1982. 448

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der »Steadfast«-Reihe wurde »June Ball« gelegentlich gespielt, was dann zu teils heftigen Diskussionen führte. »June Ball« war die größte Operation der Landstreitkräfte. Ihr eignete die höchste Kampfkraft der beteiligten Truppen im Arsenal von Live Oak. Während am Anfang die Briten die Entwicklung verzögerten, waren es am Ende die Franzosen gewesen, mit deutscher Unterstützung allerdings, die die Modernisierung und Neuorientierung über lange Zeit bremsten und sogar verhindert hatten. Dies geschah nicht als bloße Obstruktion, sondern aus strategisch-politischen Interessen heraus. Das ganze Thema manifestierte vielleicht am deutlichsten die Probleme und Unwägbarkeiten von Live Oak und überhaupt der westlichen Verteidigung in Deutschland. Am Beginn, in den Jahren 1960/61, hatte das Gefühl vorgeherrscht, dass »June Ball« nicht mehr leisten könne als die BCT/TBG, jedoch wesentlich höheren Aufwand erfordere, immer unter der latenten Drohung mit dem nuklearen Krieg. »June Ball« war operativ, als Operationsplan BERCON Charlie One, quasi von der NATO übernommen worden und damit aus dem Blickfeld der Vier Mächte gerückt. Wegen der Brisanz wollte auch niemand mehr daran rühren.457 Ebenso bewirkte die politische Entspannung in Europa als Ergebnis des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin vom 3.  September 1971, dass Überlegungen zu Operationen wie »June Ball« und BERCON nicht mehr zeitgemäß erschienen, wie der scheidende COS, General M.H. Sinnatt, es in Berlin im November 1983 ausdrückte: »Our central dilemma has been, therefore, to obtain political agreement to necessary changes in military plans while Berlin remains quiet«.458 Insgesamt trat das Janusköpfige in den militärischen Plänen von Live Oak klar zutage. Waren sie geeignete Maßnahmen, um die Krise zu entschärfen, oder leisteten sie der Eskalation Vorschub und bereiteten damit dem General War und zugleich dem Untergang den Boden? Abschließend sind noch einige Optionen, welche die Sicherung des Landzugangs zum Ziel hatten, kurz zu beleuchten: die operativen Planungen von Berlin aus, Planungen für unterstützende Aufgaben und in einem Exkurs Überlegungen und Planungsansätze zu »Allied Aegis«. Es war zunächst nicht vorgesehen gewesen, Operationen von Berlin aus zu planen. Sie wurden daher auch nicht im Basic Paper genannt. Hierfür gab es mehrere Gründe: die geringe Stärke der Berliner Garnisonen, die Unwilligkeit der COBs u.a.m.459 Während der Berlin-Krise im Spätsommer 1961 aber sorgte sich General Norstad, dass die sowjetischen Kräfte die Durchfahrt zu Lande nach oder von Berlin in Babelsberg, also nahe an Berlin selbst, verhinderten und gleichzeitig in Helmstedt erlaubten. Für dieses Szenario sahen die aktuellen Drei-Mächte-Pläne nur den Einsatz von Landtruppen aus Helmstedt vor.460 Siehe z.B. BArch, BW 71/64, Nr. 50: »Discussion Paper on June Ball«, 4.11.1982, S. 5, Para. 19: »It is harder now than ever before to imagine a circumstance under which June Ball would be activated with NATO at anything less than a state of advanced alert, and the GDP would be adversely affected«, SHLO O 82/1242/OPS-S. 458 BArch, BW 71/15, Nr. 45: GLNO, Tgb.Nr. 572/83-S, o.D., eingeg. 23.11.1983, S. 1, Ende 3. Abs. 459 BArch, BW  71/1, Nr.  70, hier z.B. die Einschätzung des GLNO, Tgb-Nr.  28/65 str.geh. vom 12.2.1965; sowie BArch, BW 71/120, Nr. 33: ASBTOP-P G3/17, 29.5.1968. 460 BArch, BW 71/132, Nr. 35: Msg SHLO 9-00010/TS, SHLO-TS-61-3012, 12.9.1961, Para. 1, S. 2. Diesen Fall gab es tatsächlich im Oktober 1963, als die Versammlung der »Probe« von Berlin aus sogar beantragt wurde; vgl. die Darstellung in Kap. III.4.a und b. 457



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Norstad wollte hierfür genehmigte Operationspläne der Drei Mächte haben, um vergleichbar der Probe (»Free Style«) bzw. des BCT (»Trade Wind«) reagieren zu können. In der Erwartung der Entscheidung der WAG legte Norstad fest, dass der amerikanische Kommandant in Berlin (USCOB) der Verantwortliche für die Durchführung im Ernstfall sein solle.461 Als CLO erhielt Norstad für diese Optionen selbst weder besondere Vollmachten, noch gab es eine förmliche Weisung, weshalb er zunächst auch keinerlei entsprechende Befugnisse hatte. Eine »Road Probe« von Berlin aus, die zunächst den Decknamen »Back Stroke« erhielt, wurde mit »Operation Instruction ASB 4/61« genehmigt und vorbereitet.462 Sie sah, wie jene von Helmstedt aus, ebenfalls drei verschiedene »Probes« (X, Y und Z) vor. Der Plan blieb in den Grundzügen unverändert bis zum Schluss im Arsenal von Live Oak463 und wurde auch laufend überarbeitet.464 Die Versammlung der »Probe« für den Einsatz ist am 11. Oktober 1963 während der Konvoikrise durch die Bonn Group beantragt worden, weil US-Konvois in Babelsberg festgehalten worden waren.465 Sie wurde aber nicht genehmigt, da die Lage sich entspannt hatte. Die Entwicklung des zweiten Planes (»Lucky Strike«), diesmal für das Berlin Combat Team, verlief unstet.466 Das BCT war zunächst als schwaches Bataillon mit drei Kompanien und Unterstützungselementen gebildet worden. Es setzte sich aus Kräften von allen Drei Mächten zusammen, was aber von den COBs nicht geschätzt wurde.467 Sie wollten diesen Plan streichen und aus den frei werdenden Kräften eine »Alliied Alert Force in Berlin for general use« formen.468 Immer wieder wurde gefordert, diesen Plan aufzugeben, was zunächst zu Zwischenlösungen führte. Schließlich wurde diese Option im Zuge der Überprüfung aller Pläne im Jahre 1987 ganz aus dem Katalog von Live Oak gestrichen.469

Ebd., Para.  3; zusätzlich SHLO 9-00011/TS, nur erwähnt in BArch, BW  71/43, Nr.  55, lfd. Nr.  127. Als USCINCEUR war General Norstad gegenüber dem USCOB weisungsberechtigt; daher konnte er diese Weisung vorausschauend geben. 462 BArch, BW 71/16, Nr. 89: Details, hier Anl. 10 zu NMR/Live Oak Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Tgb.Nr. von 1967 geschwärzt; GLNO Tgb.Nr. 487/84 str.geh. 463 BArch, BW 71/130, Nr. 1: Im »Live Oak Inventory of Plans«, SHLOIN O 84/1228, 27.9.1984, ist ASB OPlan 1/81, datiert mit 30.6.1981, Deckname »Tower«, als gültig aufgeführt, Annex F, Para. 10/11, S. F6. 464 Beispielsweise 1986/87, erwähnt in einem Reisebericht: BArch, BW 71/74, Nr. 15: COS SHLO O 87/183, 13.2.1987, Anlage ASBSEC 109/3. 465 BArch, BW 71/4, Nr. 29: Annex A, Nr. 40 to B14877 Int., 16.10.1963, »Berlin Autobahn Incidents 10‑12 October 63«, NMR/GE LO, Tgb.Nr. 1135/63 S. 466 ASB Op.Instr. 5/61; nicht im Bestand; nicht zu verwechseln mit dem BCT, später TBG von Helmstedt aus. 467 BArch, BW 71/119, Nr. 44: Msg ASBTOP-P/43/63, 6.2.1963; Live Oak No 9-11/TS, Para. 2.b und 3, ebd. 468 BArch, BW 71/119, Nr. 17: Memo für General Lemnitzer vom 12.6.1963, SHLO 200/23, LOTS-63-46, Para. 1.c, S. 1. 469 BArch, BW 71/70, Nr. 31: »Review of Live Oak Plans, Package 3«, 15.11.1965, Shlo O 85/1321/ OPS, S. 3  f. Die WAG stimmte im Herbst 1987 dieser Regelung zu mit Package  3 der Review: BArch, BW  71/77, Nr.  39: Msg/SEC STATE E.O. 12356: DECL.: QADR, 8.12.1987, I 87/3085/S. 461

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Der geplante Befehlsweg sollte von den Regierungen zum CLO, von dort über Live Oak und dem USCOB in seiner Eigenschaft als Single Commander Berlin zum Führer der »Probe« bzw. der Kampfgruppe gehen – eine durchaus komplizierte Angelegenheit. Im Laufe der Jahre wuchs die Erkenntnis, dass gewisse Unterstützungsleistungen für Live-Oak-Operationen zu Lande auch gemeinsame Anstrengungen der Drei und ab 1961 der Vier Mächte erforderten. Zunächst wurden diese Leistungen in den jeweils speziellen Operationsplänen in einzelnen Ziffern und Anlagen untergebracht. Als Beispiel sei hier die Einrichtung des Allied Press Information Centre (APIC) in Helmstedt genannt, das für die Unterstützung der »Probe«-Operationen von Helmstedt aus eingerichtet werden sollte. Bald wurde klar, dass es auch für das BCT/TBG und seine Operationen gebraucht würde. Außerdem konnte es nützlich sein, dieses bereits früher einzuberufen, etwa vor der Versammlung der »Probe«. Auch der Aufwand für das APIC wurde immer größer. Daraus ergab sich, dass ein eigener Operationsplan für die Einrichtung und den Betrieb des APIC notwendig wurde. Aus diesen Überlegungen entwickelten sich im Laufe der Zeit spezielle Live-OakOperationspläne, die ab 1986 alle Teil der »BAOR Operation Instruction« wurden:470 – Operation »Rounders«: Der Auftrag lautete hier, das britische Meldewesen in Helmstedt zu koordinieren und während der Spannungszeit das notwendige Personal dafür zur Verfügung zu stellen. – Operation »Empress«: Hier waren Kräfte der Drei Mächte zu versammeln, um auf Befehl Low Key Ground Measures (LKGMs), d.h. unauffällige Vorbereitungsmaßnahmen, auszuführen. – Operation »Teelin« mit dem Auftrag, den Vorgeschobenen Gefechtsstand des ­CINCBAOR in Helmstedt zu versammeln und einzurichten. – Operation »Nodular«: Das APIC und die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit waren im Vorgeschobenen Gefechtsstand in Helmstedt zu versammeln und Live-OakOperationen mit größtmöglicher Public Information zu unterstützen. Dabei war der Schwerpunkt darauf zu legen, die Angemessenheit der Operationen der alliierten Drei Mächte der Öffentlichkeit gegenüber darzustellen. – Operation »Bognor«: Ein nationaler »Sympathetic Convoy« war am Kontrollpunkt Alpha so schnell wie möglich vorzustellen, um die sowjetischen Absichten zu ermitteln. – Operation »Figaro«:Nach der Verweigerung des Zugangs für einen Zug war so bald wie möglich eine »Rapid Rail Probe« der Drei Mächte vorzustellen. – Operation »Taupe«: Unterstützung von Live-Oak-Operationen (über das deutsche Territorialkommando Nord hinaus) durch die zivile deutsche Polizei. Diese bloße Aufzählung zeigt, dass der entscheidende Ort für alle Landoperationen von Live Oak in der West-Ost-Richtung die kleine Stadt Helmstedt war. Dort begannen an der Autobahn oder an der Eisenbahnstrecke alle Operationen, von dort aus wurden sie geführt und unterstützt. Da Helmstedt im Befehlsbereich von BAOR lag, war es auch richtig, dass ab Anfang der achtziger Jahre ausnahmslos ­CINCBAOR alle Landopera Sie wurden zunächst als eigenständige Pläne entwickelt. Der Einfachheit halber seien sie hier mit Stand Dezember 1987 aus der BAOR Op.Instr. 1/87 genannt: BArch, BW 71/99, Nr. 1: B 1100 (Ops) Live Oak, 9.12.1987, SHLOIN I 87/023/S; im Folgenden vgl. ebd., Annex A‑G.

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tionen führte. Das erlaubte eine Vereinfachung und Verkürzung der Befehlswege und Fernmeldeverbindungen, eine Erleichterung aller Maßnahmen der Unterstützung, und auch die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik als Gastnation sowie mit den hier zuständigen NATO-Befehlshabern gestaltete sich einfacher. Erst Mitte der achtziger Jahre, und möglicherweise in Zusammenhang mit den stark steigenden Zahlen im Berlin-Verkehr auf der Autobahn, schlug Live Oak vor, in Zeiten einer sich entwickelnden sensiblen Berlin-Krise einen eigenen Koordinator in Helmstedt einzusetzen, der den alliierten Reiseverkehr von der Bundesrepublik nach Berlin wirkungsvoll regelte. Den Anstoß gab ein Vorschlag des Leiters des Vorgeschobenen Gefechtsstandes von BAOR in Helmstedt während der Übungskritik nach der LiveOak-Rahmenübung »Steadfast  VIII«, die im Januar 1984 stattgefunden hatte.471 Die Notwendigkeit leuchtet ein, denn es musste in einer solchen Lage möglich sein, das Verhalten aller alliierten Reisenden, ob individuell oder in Konvois fahrend, einheitlich zu regeln, damit die Gegenseite die Mächte nicht gegeneinander ausspielte. Im Sommer 1984 wurde daraus der Vorschlag für die Einrichtung eines solchen Verantwortlichen geboren und eine Dienstanweisung entworfen. Der Posten erhielt die Bezeichnung Single Controller Helmstedt (SCH).472 Es dauerte sehr lange, bis diese Dienstanweisung Zustimmung fand. Am 4.  April 1986 konnte sie endlich verteilt werden. Der Single Controller Helmstedt hatte sicherzustellen, dass eine wirkungsvolle Führung und Lenkung des Reiseverkehrs von Helmstedt nach Berlin während einer potenziell sensitiven Krisenzeit aufrechterhalten wurde.473 Als höherer Verantwortlicher wurde der Vertreter des CINCBAOR im Vorgeschobenen Gefechtsstand in Helmstedt benannt, der Kommandeur der Panzertruppe in der BAOR (Commander Armoured I [BR] Corps, BRAC). Die vereinbarten Regelungen wurden in die »BAOR Operation Instruction Nr. 7 ›Teelin‹« eingearbeitet. Es hatte doch recht lange gedauert, bis Live Oak für die Operationen zu Lande eine auf die Aufgabe zugeschnittene, wirkungsvolle Organisation gefunden hatte. Die Operationsplanungen für die Sicherung des alliierten Zugangs zu Lande hatten sich als schwierig und langwierig herausgestellt. Manche Aspekte waren militärisch wenig sinnvoll oder politisch nicht durchsetzbar, andere technisch zweifelhaft oder unrealistisch. Daher hatte es Opposition gegen einzelne Planungen oder sogar direkte Verweigerung der Zustimmung zu Teilen von Plänen gegeben. Den gestiefelten Fuß auf den Boden des Gegners zu setzen, war ein schwierigeres, gefährlicheres Tun als ein Eindringen in dessen Luftraum. Der Rückzug, das Entkommen beispielsweise der »Probes« bei einer militärischen Konfrontation, konnte zu einem großen politischen und verlustreichen militärischen Problem werden. Insgesamt waren die Operationsplanungen von Live Oak, die von Helmstedt ausgingen, unter den gegebenen Umständen realistische Optionen, obwohl der Nutzen insbesondere der geplanten Divisionsgruppe doch recht zweifelhaft blieb. BArch, BW 71/69, Nr. 6: Letter/Chief GRD O 84/823/S vom 14.6.1984. Das Live-Oak-Papier, das die Kritikpunkte der Übung zusammenfasste, ist nicht überliefert. 472 Eine offizielle deutsche Übersetzung war nicht zu finden; so soll hier die sperrige Beschreibung der Tätigkeit ausreichen. Siehe BArch, BW  71/69, Nr.  56: Ref. ASBG3/3041/T, 10.12.1984, SHLOIN I 84/8094/S. 473 BArch, BW 71/71, Nr. 13: »Single Controller Helmstedt«, SHLO O 86/393/S, 4.4.1986, Para. 1, Encl. 1. 471

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Die entsprechenden Einsätze von Berlin aus wurden zwar als notwendig erkannt, waren aber doch eher fragwürdig. Sinnlos hingegen waren sie nicht, wie die Konvoikrise vom Herbst 1963 gezeigt hatte.

Exkurs: Der deutsche Zugang zu Lande in der Operationsplanung »Allied Aegis«474 In den Planungen zur Sicherung des Zugangs zu Lande gab es einen Sonderfall, der politisch und militärisch sehr komplex sowie politisch und rechtlich umstritten war. Es ging um die Frage, ob Live Oak auch für den Fall planen solle, in dem nur der für die Versorgung Berlins essenzielle Zugang für Deutsche zu Lande von der Gegenseite unterbunden werde, der alliierte aber nicht. Dieser Fall war anfangs in den alliierten Planungen nicht behandelt worden, in denen es gemäß Basic Paper nur um den alliierten Zugang gehen konnte. Ein praktischer Grund für das mangelnde Interesse an dieser Frage war die Option einer Luftbrücke gewesen, mit der, ähnlich wie 1948/49, ein solcher Fall ohne zusätzliche Planungen aufgefangen werden konnte. In ihrem Aide-Mémoire vom April 1960 an die Drei Mächte hatte die Bundesregierung auf diesen Mangel aufmerksam gemacht. Sie schlug Maßnahmen für den Fall vor, wenn der zivile Verkehr nach Berlin angehalten würde,475 vor allem in einer Lage, in der auch der Luftverkehr schwer behindert werde. Diese Anregung wurde zu diesem Zeitpunkt aber von den Drei Mächten nicht aufgegriffen. Jedoch wurde sie nach dem 13. August 1961, auch auf deutsche Initiative, wieder auf den Tisch der WAG gelegt. Sie fand sogar in das neu erarbeitete technische Grundlagendokument BQD-CC-1 Aufnahme.476 Die »Viability of West Berlin« müsse aufrechterhalten und dazu der freie Zugang gesichert werden; so erkannte die WAG die Berechtigung der deutschen Vorstellungen an und forderte weitere Untersuchungen.477 Die bisherigen Maßnahmen der Vier Mächte gegen eine Unterbrechung der laufenden Versorgung Berlins hatten nur darin bestanden, die Vorräte in der Stadt auf eine Durchhaltefähigkeit von zwölf Monaten zu erhöhen. Damit hatte man, in Erinnerung an die Blockade, vor allem Zeit gewinnen wollen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der wachsende Bedarf der Stadt ohne deutschen Eigentlich »Allied Aegis of German Berlin Traffic«: BArch, BW 71/47, Nr. 28: »Subject« in Msg SHLO 5-0035, 20.2.1964. 475 BArch, BW 71/43, Nr. 33: In BERCON TRI D-12, 11.4.1960, Para. 4.b. 476 In Teil II, Interference with Ground Access to Berlin, Section B, Interference with German but not Allied Ground Access, S. 34‑48, sowie Sections C und D; BQD-CC-1 »Status of Berlin Contingency Planning«. Damals galt gem. Bezug b) im GLNO Bericht Nr. 25 vom 8.1.1962 die 4. Version vom 17.11.61: BArch, BW 71/16, Nr. 98. In BW 71 befindet sich nur die 6., überarb. Fassung vom 15.3.1971: BArch, BW 71/2, Nr. 3. 477 Das ist dem einleitenden Absatz in BQD-74 zu entnehmen: BArch, BW 71/3, Nr. 25: »German Berlin Traffic«, 3.1.1962, LO(IN)-S-62-3008. In diesem Dokument sind v.a. wesentliche Daten des deutschen Berlin- und Interzonen-Verkehrs enthalten. Ein FS des NMR/LO, Tgb.Nr. 447/61 str.geh. vom 17.11.1961, Ref. e) im genannten NMR/LIVE-Bericht Nr. 25, das sich wohl mit den ersten, v.a. amerikanischen Überlegungen befasste, ist nicht im Bestand. 474



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Transport und deutsche Logistik kaum zu decken war, sollten die Möglichkeiten der laufenden Versorgung und von »Probes« auf Wasserstraßen, auf dem Schienenwege und schließlich auch auf der Straße, alle unter alliiertem Schutz, untersucht werden. Die Antworten der zuarbeitenden Dienststellen waren anscheinend wenig ermutigend gewesen und hatten besonders auf die großen technischen Schwierigkeiten hingewiesen.478 Ab Anfang 1962 wurden, auf amerikanischen Vorarbeiten aufbauend,479 Vorstellungen für alliierte Operationen zum Schutz des deutschen Landverkehrs entwickelt, der die Versorgung Berlins auch weitgehend gewährleistete. Diese Vorstellungen orientierten sich grundsätzlich an den Optionen für die Sicherung des alliierten Landzugangs: »Probes«, zeitlich und im Umfang begrenzte Operationen und schließlich eine allgemeine, großangelegte Transportoperation, auf Wasser, Schiene und Straße, unter Schutz und Begleitung durch die Drei Mächte. Darauf weist schon der Deckname »Aegis« hin. Die technische Abwicklung dieser Transport- und Logistikleistungen selbst war alleinige Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland. Als Anfang 1964 die Bonn Group einen neuen Anstoß gab, wurden die Planungen konkreter.480 Für die militärischen Maßnahmen auf der Straße und gegebenenfalls auf dem Wasser war CINCBAOR, für jene auf der Schiene CINCUSAREUR verantwortlich. Beide Stäbe erarbeiteten Operationspläne für »Probes« und für selektive Optionen, die aber keine Live-Oak-Pläne wurden. Immerhin wurde das Projekt am Vorabend der Ministerratssitzung der NATO in Reykjavik im Frühjahr 1968 durch die Außenminister der Vier Mächte behandelt mit dem Ergebnis, dass die Bonn Group ein weiteres Diskussionspapier dazu erarbeiten sollte.481 Darin wurde ein Katalog möglicher Maßnahmen aufgenommen, aus dem die Regierungen bei Bedarf gemeinsam auswählen und ad hoc abrufen konnten.482 Alle diese Maßnahmen waren technisch in das System der Eventualfallplanung für den BerlinZugang einzupassen, damit sie in vergleichbarer Weise von denselben Dienststellen und Kräften geführt, exekutiert und unterstützt werden konnten wie Operationen im Rahmen von Live Oak. Auch an eine aktive Öffentlichkeitsarbeit war gedacht worden. Da die Gefahren einer solchen Operation offensichtlich waren, würden die Alliierten alle sinnvollen, weniger nachdrücklichen Maßnahmen, vor allem aus der breiten Palette diplomatischer und wirtschaftlicher Gegenmaßnahmen, einsetzen, ehe sie auf »Allied Aegis« zurückgriffen.483 Das ist aus der Schilderung der ersten Schritte zu ersehen in BArch, BW 71/16, Nr. 98: NMR/ LO-Bericht Nr. 25, »Viability of West Berlin«, Tgb.Nr. 2/62 str.geh. vom 8.1.1962, S. 9‑26. 479 Angefangen mit BArch, BW 71/3, Nr. 29: BTF-85 (Rev.) »Allied Support for German Access to and from Berlin«, 30.1.1962, LO(IN)-S-62-3046. Mit BQD-CC-10 »Allied Support for German Access to and from Berlin« (BArch, BW 71/3, Nr. 31) wurde von den USA ein Papier für die Behandlung in der WAG vorgelegt. Es ist undatiert, vermutlich stammt es vom 20.3.1962, LO(IN)S-62-3058. Vgl. auch die Darstellung der Vorbereitung in BArch, BW 71/16, Nr. 98: NMR/Live Oak Bericht Nr. 25, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 2/62 str.geh. vom 8.1.1962, Teil II, S. 11‑22. 480 BOWAG-37, 21.1.1964, nicht in BW 71 oder BW 2; der Hinweis steht in BArch, BW 71/47, Nr. 28: SHLO-5-0035. 481 BArch, BW 71/5, Nr. 36: AA, Abt. II, A7-81-08-0/2987/68 geh. vom 5.8.1968. 482 BArch, BW 71/49, Nr. 11: Msg SHLOIN/69/1793, 30.6.1969. Die Studie selbst ist anscheinend nicht überliefert. 483 BArch, BW 71/47, Nr. 29: Msg SHLO 5-0093, 24.4.1964, Para. 5. 478

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Die Planung einer großangelegten, umfassenden Operation »Allied Aegis expanded« wurde ab 1969 nicht mehr aktiv verfolgt, allerdings wohl auch nicht förmlich beendet. Die übrigen Vorkehrungen lagen als Entwürfe vorbereitet und blieben vermutlich bis 1990 gültig. Damit waren wichtige Vorarbeiten für diesen sehr speziellen Fall in einer Krise geleistet worden, die im Bedarfsfall und nach Beschluss der Vier Mächte schnelle Reaktionen ermöglichten. Politisch und militärisch wurden die Erfolgsaussichten kritisch gesehen, die schiere Größe dieser Aufgabe wirkte abschreckend. Die Rahmenbedingungen wurden als sehr ungünstig beurteilt.484

5. Der Zugang auf dem Luftweg Der Zugang der Drei Mächte nach Berlin auf dem Luftweg stand vor anderen Herausforderungen als der zu Lande. Erstens war die Rechtslage in der frühen Zeit der gemeinsamen Regierung der vier Besatzungsmächte im Wesentlichen einvernehmlich geregelt worden. Das bedeutete, dass die rechtliche Basis deutlich solider war, der Luftzugang war »firmly anchored in agreements«.485 Zum Zweiten konnte der Verkehr in der Luft nicht einfach durch das Senken eines Schlagbaums unterbrochen werden wie auf der Autobahn. Um den Verkehr tatsächlich zu unterbinden, brauchte es stärkere Mittel, beispielsweise Waffengewalt, wodurch schnell eine hohe Ebene der Eskalation erreicht werden konnte. Drittens war der Luftraum auch über so geschlossenen Gesellschaften, wie es der sowjetische Machtbereich war, eher zugänglich als irgendein Parkplatz an der Autobahn im Hinterland, was wiederum unbemerktes Handeln erschwerte. Schließlich arbeiteten die Drei Mächte, insbesondere seit der ersten Berlin-Krise Ende der vierziger Jahre, in Fragen des Luftzugangs ständig eng zusammen, nicht nur im täglichen Betrieb, sondern auch in den Arbeitsgruppen, die die Planungen für eine erneute Luftbrückenoperation aktuell hielten.486 Der freie Zugang durch die Luft war für den grundsätzlichen Status, die Sicherheit und die Überlebensfähigkeit der Stadt entscheidend.487 Für die Drei Mächte war er der einfachste Weg, weil er nur mittelbar der Kontrolle durch die Sowjetunion und die Organe der SBZ/DDR unterworfen war. In der ersten Berlin-Krise 1948/49 war die alliierte Luftbrückenoperation das Mittel gewesen, das die Blockade beendet hatte. Ob die nächste Krise mittels einer neuen Luftbrückenoperation gelöst werden konnte, wurde von den Beteiligten kontrovers beurteilt, jedoch eher bezweifelt.488 Besonders schwierig BArch, BW  71/16, Nr.  98: NMR/LO-Bericht Nr.  25 vom 8.1.1962, Tgb.Nr.  2/62 str.geh., Teil III.B, Ziff. 4, S. 26. 485 So Pedlow, Allied Crisis Management, Zit. S. 97. 486 Die Planungsverantwortung hierfür lag beim Berlin Airlift Committee (BEALCOM) mit seinen zahlreichen Untergruppen. Zum Quadripartite Berlin Airlift (QBAL) siehe die Darstellung im Exkurs später in diesem Kapitel; zur Blockade 1948/49 v.a. Davison, Die Blockade von Berlin; und Morris, Blockade. Zum Luftzugang siehe die Karten auf dem vorderen und hinteren Vorsatzblatt. 487 BArch, BW  71/49, Nr.  3: Basic Paper, Para.  12.a, S.  7. Zur Überlebensfähigkeit siehe BArch, BW 71/16, Nr. 98: NMR/LO Bericht Nr. 25 vom 8.1.1962, Tgb.Nr. 504/84 geh., bes. S. 2 f. 488 Vgl. Nitze, überliefert durch Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 69; sowie Strauß, Die Erinnerungen, S. 384 f. 484



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würde es werden, wenn die Sowjetunion, anders als 1948/49, nicht nur die Landzugänge erschwerte oder gar blockierte, sondern auch den Luftzugang, ggf. zusätzlich zum Landzugang.489 Es galt daher geeignete Optionen zu entwickeln, um solchen Maßnahmen entgegentreten zu können. Rechtlich waren 1945/46 vier Problembereiche durch den Alliierten Kontrollrat für den Zugang durch die Luft zu regeln gewesen:490 – die Festlegung von Flugstraßen für den sicheren und ökonomisch vernünftigen Flugverkehr über Deutschland; – der sichere Zugang der Drei Westmächte von ihren Zonen durch die SBZ nach Berlin in ihre Sektoren sowie die Regelung des Flugverkehrs im Großraum Berlin; – gemeinsam erarbeitete, von allen zu nutzende und einzuhaltende Flugregeln mit entsprechenden Navigationshilfen; – der Aufbau und Betrieb einer gemeinsamen Organisation zur sicheren Abwicklung des Flugverkehrs. Die Arbeiten daran wurden im Auftrag des Kontrollrates noch im Sommer 1945 im »Air Directorate« aufgenommen und im darauffolgenden Jahr abgeschlossen. Das Berlin Air Safety Centre (BASC) war von den vier Besatzungsmächten am 1. Feb­ruar 1946 mit Sitz im Gebäude des Alliierten Kontrollrates im amerikanischen Sektor eingerichtet worden, um die Flugsicherheit in der Berlin Control Zone (BCZ) und in den Korridoren bis zu den Grenzen anderer Kontrollzonen, also denen in den westlichen Zonen bzw. in der Bundesrepublik, zu gewährleisten.491 Das BASC war rund um die Uhr von Offizieren der Luftwaffen Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten besetzt.492 Der jeweils diensthabende sowjetische Offizier hatte alle Fluganmeldungen dahingehend zu prüfen, ob sie den Regeln der Flugsicherheit entsprachen. Er hatte sie dann mit dem Stempel »Safety of flight guaranteed« zu versehen. Flüge, die außerhalb der westlichen Zonen begannen, wurden mit »Safety [...] not guaranteed« gestempelt, weil die Sowjetunion darauf beharrte, dass nur Flüge aus einer Besatzungszone in eine andere oder in die BCZ die Korridore benutzen durften. Das geschah ebenso bei anderen Flügen, die der sowjetischen Seite nicht gefielen, aus welchen Gründen auch immer. Besagter Offizier konnte auch »Not permitted« stempeln, er hatte aber kein Recht, Flüge abzulehnen.493 Ursprünglich war das BASC auch mit der routinemäßigen Flugkontrolle befasst gewesen, was jedoch seit 1948 das untergeordnete Berlin Air Route Traffic Control Centre (BARTCC) am Flugplatz Tempelhof im amerikanischen Sektor leistete, das anfangs BArch, BW 71/16, Nr. 98: NMR/Live Oak Bericht Nr. 25 »Viability of West Berlin« vom 8.1.1962, Az. 31-70-01, Tgb.Nr. 2/62 str.geh., bes. S. 21‑26. Vgl. Strauß, Die Erinnerungen, S. 380‑396, v.a. S. 384 f.; und Pedlow, Allied Crisis Management, S. 105 f.; auch Burr, U.S. Policy, S. 10‑14. 490 Es scheint, dass BArch, BW 71/50, Nr. 13: DAIR/COMD/P(45), 6.9.1945, den Anstoß gegeben hatte: »History of the BASC«, o.D. und Hrsg., S. 1, (SHLO) 71/234. 491 BArch, BW 71/42, Nr. 3: DAIR/P(45)71, 2. Rev., 22.10.1946, Para. 4. 492 Es hat übrigens bis zur Wiedervereinigung am 2.10.1990 bestanden und war seit dem Tod von Rudolf Hess (1987) und der daraufhin erfolgten Auflösung des alliierten Kriegsverbrechergefängnisses in Berlin-Spandau das einzige organisatorische Relikt aus der Vier-Mächte-Verwaltung Berlins, »a unique organisation«, wie es im Januar 1990 hieß: BArch, BW 71/90, Nr. 7: »Expanded Air Briefing«, o.D., SHLO S/O 90/024. 493 Ebd., »Expanded Air Briefing«, S. 4 f. 489

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nur von amerikanischen Fluglotsen und ab 1972 auch von britischen und französischen, jedoch nicht sowjetischen besetzt wurde.494 Auch wenn in den gemeinsam erarbeiteten Vereinbarungen vieles vernünftig geregelt worden war, zeigte es sich bald, dass einiges auf die Dauer nicht genügte. Vor allem waren der technische Fortschritt nicht berücksichtigt und manche Fragen ausgeklammert worden. Das alles hätte neue Regelungen erfordert, die aber nach der Verschlechterung der politischen Beziehungen nicht mehr erreichbar waren.495 Im Allgemeinen war die tägliche Zusammenarbeit als »cooperative over [...] practical problems« beurteilt worden.496 Es gab vier bedeutsame Konfliktbereiche, die über die Jahre immer wieder kleine und größere Schwierigkeiten bereiteten, weil Regelungen auf den beiden Seiten des »Eisernen Vorhangs« unterschiedlich ausgelegt wurden.497 Zunächst stellte sich die Frage, welche Flugzeugtypen die Korridore und die BCZ benutzen dürfen.498 Nach einiger Zeit ging es darum, ob Hubschrauber erlaubt waren, was die Gegenseite nicht akzeptierte. Als die Vereinbarungen unterschrieben wurden, spielten Drehflügler noch keine Rolle. Der Status von zivilen Flugzeugen in den Korridoren und in der BCZ bildete den zweiten Bereich: Die Sowjetunion bestritt das Recht der Alliierten, mit zivilen Flugzeugen nach Berlin zu fliegen. Auch darüber ist in den Vereinbarungen nichts gesagt. Moskau akzeptierte, wenn auch unter Protest, dass zivile Fluggesellschaften der Drei Mächte im Auftrag der Regierungen flogen. Die Vergabe von Lizenzen an andere Gesellschaften wurde verhindert. Einzige Ausnahme war die polnische Fluggesellschaft LOT, eine Regelung, die gewissermaßen ein Relikt der frühen Nachkriegszeit darstellte.499 Um die Flughöhen, welche von den alliierten Flugzeugen in den Korridoren benutzt werden durften, ging es im dritten Problemkreis: In der Vereinbarung über die Flugregeln waren Mindesthöhen angegeben, aber keine Maxima.500 Im Gegensatz dazu waren die Mindest- und Höchstflughöhen für die BCZ definiert und vorgeschrieben.501 Die sowjetischen Behörden bestanden darauf, dass Flüge über 10 000 Fuß nicht gestattet seien, und beriefen sich dabei auf einen ersten Entwurf der Flugregeln. Die westlichen Alliierten hielten sich zwar im Allgemeinen aus Gründen der Flugsicherheit an diese Regel, bekräftigten aber immer

Viele nützliche Informationen über die Arbeit im BASC sind einem Artikel von Wing Commander G.B. Rogers, RAF, in »Air Clues«, Dezember 1981, zu entnehmen: BArch, BW 71/89, Nr. 15. 495 Hintergrund dazu in BArch, BW 71/82, Nr. 11: »Berlin: Air Access – Outline of Presentation« 14/5, April 1988. Im Vier-Mächte-Abkommen vom 3.9.1971 waren Fragen des Luftzugangs ausgeklammert worden. Siehe auch Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, S. 88 f. 496 BArch, BW 71/82, Nr. 11: »Berlin: Air Access – Outline of Presentation«, April 1988, 14/5, S. 4. 497 Kurz, aber gut verständlich dargestellt ebd. im schon genannten Vortragstext von April 1988, BArch, BW 71/82, Nr. 11. 498 Ein sehr drastisches Beispiel war der Abschuss eines britischen Lincoln-Bombers durch sowjetische Jäger in einem Korridor im Jahre 1953, weil die Sowjets darauf bestanden, dass nur Flüge zur Versorgung der Garnisonen als vertragsgemäß anzusehen seien, was die Drei Mächte jedoch nie anerkannt haben. 499 Beispielsweise die Diskussion über International Flights, bes. BArch, BW 71/4, Nr. 52: BQD-125 von 1964, »US-Note of August 22, Replying to Soviet Note of June 20, 1964, re. International Flights to Berlin«, 31.8.1964, LO(IN)-C-64-3145. 500 BArch, BW  71/42, Nr.  3: DAIR/P(45)71, Second Rev., 22.10.1946, Para.  16 »Minimum Safe Altitudes«, und Para. 40 »Corridor Cruising Altitudes«. 501 Ebd., Para. 3. 494



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

301

wieder, dass sie nicht dazu verpflichtet wären.502 Die einseitige Reservierung von Lufträumen innerhalb der Luftkorridore durch die Sowjetunion war der letzte Problembereich. Diese Praxis begann schon in den frühen sechziger Jahren und wurde besonders in den achtziger Jahren zu einem immer größeren Problem, auch weil derlei die Bewegungsfreiheit der Westmächte in den Korridoren zeitweilig erheblich einschränkte.503 Die Verbindungen der Drei Mächte zu ihren Sektoren in Berlin wurden auf dem Luftweg über die drei im Herbst 1945 vereinbarten Luftkorridore aus ihren Besatzungszonen heraus und von ihren Heimatländern aus aufrechterhalten. Die beiden nördlichen Korridore führten über weitgehend flaches oder nur leicht welliges Gelände, der südliche Korridor aber teilweise über Mittelgebirge bis über 600 m Höhe (zum Beispiel der Ringberg im westlichen Teil des Thüringer Waldes südlich von Eisenach), was ihn in der Vertikalen verengte und die Einhaltung der Mindest- und Höchstflughöhen bei manchen Wetterlagen oder bei technischen Schwierigkeiten erschweren konnte. Die Mindestflughöhe betrug hier 2900 Fuß, gegenüber 2300 im nördlichen und 1600 bis 2000 Fuß im mittleren Korridor.504 In der BCZ lagen anfangs acht Flugplätze, von Bedeutung waren jedoch nur vier, wovon sich drei innerhalb der westlichen Sektoren befanden: Tempelhof im amerikanischen, Gatow im britischen Sektor; im französischen Sektor zunächst Frohnau, dann ab 1949 Tegel. Tempelhof, mitten in der Stadt gelegen, hatte zunächst die größte Kapazität. Bei Gatow war der An- und Abflug nur über DDR-Gebiet möglich, er war daher und wegen der geringeren Startbahnlänge für größere Luftoperationen weniger geeignet. Während der Luftbrücke hatten britische Wasserflugzeuge zusätzlich den Wannsee genutzt. Von den anderen fünf in der SBZ/DDR um West-Berlin herum gelegenen Plätzen war nur Schönefeld, der spätere Verkehrsflughafen der DDR, bedeutsam. Im Jahre 1960 beflogen täglich etwa 50 Flugzeuge die Korridore,505 1990 waren es ca. 200, davon mehr als 90 Prozent zivile.506 Diese Zahlen geben einen Eindruck von der damaligen Bedeutung dieses Verkehrsweges. Aus den frühesten Zeiten von Live Oak ist im Gegensatz zu den Landwegen keine grundlegende Darstellung und Beurteilung der Bedrohung der Luftzugänge überliefert. Es gibt jedoch verschiedene Hinweise und Studien, die zusammengenommen vermutlich ein einigermaßen zutreffendes Bild ergeben.507 Luftstreitkräfte sind sehr beweglich und flexibel einsetzbar; sie erlauben es, Schwerpunkte rasch und überraschend zu bilden und zu verlegen. In jeder Operation musste mit dem Einsatz von zahlenmäßig weit überlegenen Teilen der sowjetischen Fliegerkräfte und der Flugabwehr der GSTD gerechnet werden, die zusätzlich und schnell durch weitere Kräfte des Warschauer Paktes, etwa von Siehe hierzu auch die Diskussion in Reaktion auf General Norstads Vorschläge vom 9.2.1962, BArch, BW 71/118, Nr. 39: SHLO 9-00061, TS-62-3027. 503 BArch, BW 71/82, Nr. 11: SHLO 14/5 »Air Access: Outline of Presentation«, April 1988, S. 9, wenn sie im Grundsatz den Zugang zur Luft nicht behinderten. 504 Diese Informationen stammen aus BArch, BW 71/120, Nr. 37, einer französischen Studie zum MATP, Nr.  10015/FRALO/TS, 16.3.1970, Annex C to SHLO 500/117, 16.7.1970. Stellungnahme von O.i.G. Christian Hartig: Diese Mindestflughöhen dürften keine Rolle gespielt haben, da die Minimum Obsruction Clearance Altitude (MOCA) doch über Grund gemessen werde. 505 Umgerechnet aus Angaben in: Dokumente zur Berlin-Frage, T. 2, S. 543. 506 BArch, BW 71/90, Nr. 9: »Standard-Brief 1990«, S. 14, ohne weitere Bez. 507 Was die Truppen und Waffensysteme des Gegners betrifft, ist beispielsweise die Darstellung von Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 115‑120, wertvoll; für die Luftstreitkräfte siehe S. 121 f. 502

Rathenow

Ziesar

POINT COCOA

Belzig

BRIEST

DK



Beelitz

Velten

Potsdam

1

in. M

SPERENBERG

270°

KönigsWusterhausen

Neuenhagen

WERNEUCHEN

Bernau

Biesenthal

FINOW

ZOSSEN-WÜNSDORF Wünsdorf

RANGSDORF

Eichwalde

SCHÖNEFELD

1 Min.

BERLIN

PLÄNTERWALD

Mahlow

23

Ludwigsfelde

TA

5R

Basdorf

7° 22

TEMPELHOF

TEGEL

LÜBARS

in.

1M

ORANIENBURG Birkenwerder

GATOW

TA 268R

BERLIN CONTROL ZONE

Kladow

1 Min.

Falkensee

Henningsdorf

Kremmen

Brieselang

Werder

Nauen

POINT SIERRA

OR

ID

R OR

Brandenburg

POINT NECTAR

Linum

Quelle: Tab E, App. 10, Annex C, CINCUSAFE OPLAN 444, »Hand off Point Holding Pattern«, Chart, S.C-10-E-1 (Change 3, 15.11.1980), 1.12.1976, SHLOIN 76/2979, BArch, BW 71/53, Nr. 38.

Genthin

MITTELKORRIDOR

SCHÖNHAUSENDAMM

R

IDO

RR

KO

RD

NO

© ZMSBw 07858-06

Erkner

Strausberg

Eberswalde

Anflughilfen für die Flugplätze Tempelhof und Tegel (mit Warteräumen, je nach Windrichtung), 1980

302 IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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sowjetischen Großverbänden aus Polen und der Sowjetunion, unterstützt werden konnten.508 Den sowjetischen Luftstreitkräften wurden gute Fähigkeiten beim Abfangen bzw. Zerstören eindringender All Weather Fighters (AWX) zugeschrieben. Außerdem verfügten sie, so urteilte CINCUSAFE 1976, über überlappende Systeme für Flugleitung und -überwachung und damit über eine höchst leistungsfähige Radaraufklärung.509 Das war mit gewissen Abstrichen auch fünfzehn Jahre früher schon der Fall gewesen. Die große Bandbreite der Möglichkeiten des Gegners zur Störung und Blockierung der Luftzugänge wurde in einer besonderen Studie zusammengestellt,510 die von 1962 stammt, aber wohl auf einer älteren von 1959 aufbaut. Darin wurden alle nur denkbaren Angriffsmöglichkeiten gegen den alliierten Zugang in der Luft behandelt, also in den Korridoren und in der Berliner Kontrollzone. Diese reichten von einfachen Propagandaaktionen über gesetzliche Maßnahmen durch die DDR, diplomatische Noten der Sow­jetunion und die Reservierung von Luftraum bis zu gezielten Änderungen von Flugplänen und den Verfahren im BASC. Hiervon war häufig auch die Flugsicherheit betroffen. Ferner waren die Klassifizierung eines Korridors als »unsicher« möglich sowie Versuche, Flugzeuge zur Landung auf DDR-Territorium zu zwingen, der Aufbau von Flughindernissen in Form von hohen Antennen oder Fesselballons in den Korridoren, elektronische Gegenmaßnahmen und der Rückzug der sowjetischen Delegation aus dem BASC. All dies konnte den Druck auf die zivilen Fluggesellschaften dermaßen erhöhen, dass ihnen Flüge nach Berlin wegen der immanenten Gefahren als zu risikoreich erschienen. Dieser breite Fächer an gegnerischen Optionen konnte erweitert werden, wenn es zu westlichen Gegenmaßnahmen kam. Dabei stellte sich recht rasch die Gewaltfrage. Denkbar war der massive Einsatz von Jagdfliegerkräften in den Korridoren einschließlich möglicher Verfolgung von westlichen Maschinen in den Luftraum der NATO sowie die Nutzung der dichten Flugabwehr mit Rohrwaffen und Raketen. De facto war die weitgehende Schließung des Luftraumes über der SBZ/DDR möglich.511 Aus einer Beurteilung der Feindlage in den achtziger Jahren bei Live Oak ging hervor, dass sich die Zahl der gegnerischen Truppen und Waffensysteme zwar im Vergleich zu den vorigen Dekaden nicht wesentlich verändert, die Lage sich aber in zwei Bereichen dramatisch verschlechtert hatte. Die technologische und nukleare Überlegenheit des Westens gehörte der Vergangenheit an und hatte einer Pattsituation Platz gemacht.512 Zusätzlich hatte die Gegenseite ihre Luftverteidigung verbessert.513 Das bedeutete, dass Beispielsweise enthielt der OPlan »Jackpine« von 1960 im Annex D »Intelligence« vor allem Aufklärungsforderungen: BArch, BW 71/116, Nr. 46, USAFE TSC R60-819, 12.5.1960, LO(IN)TS-60-2010. Siehe auch Lemke u.a., Die Luftwaffe, S. 152‑189. 509 So die Beurteilung von 1976, BArch, BW 71/52, Nr. 38: CINCUSAFE OPlan 444, 1.12.1976, SHLOIN 76/2979, Annex B »Intelligence«, Para. 2.c. 510 BArch, BW 71/59, Nr. 43: BTF – 129 Rev., »Communist Threat to Air Access«, 6.8.1962, LO(IN)S-62-4076; die frühere, erste Fassung ist leider nicht überliefert. 511 Dies ergibt sich z.B. aus den Studien zu »Jackpine expanded«, BArch, BW 71/132, Nr. 24: SHLO 300/478, 6.9.1961, LO-TS-61-178. Dieser Teil der Bedrohung im höheren Spektrum der Krisenbehandlung wurde bei Live Oak nicht bearbeitet, denn das sei künftig »Aufgabe der NATO-Planung«, siehe ebd., Para. 6. 512 BArch, BW 71/15, Nr. 47: SHLO O 83/1154/OPS, 25.11.1983, Annex C »A Preliminary Assessment of the Threat to Live Oak Operations«, Para. 7.b, S. C-4. 513 Details ebd., Para. 4.a, S. C-2. 508

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

die Erfolgsaussichten für die Gegenmaßnahmen in der Luft wesentlich geringer geworden waren. Dem musste die westliche Eventualfallplanung für die Sicherung des Luftzugangs Rechnung tragen. Die grundsätzlichen Überlegungen hierzu hatte die Bonn Group anzustellen, bevor Live Oak selbst tätig werden konnte. Das Live Oak Basic Paper behandelte den Zugang durch die Luft nach Berlin eher beiläufig und erst nach eingehender Abhandlung des Landzugangs.514 Darin wurden allerdings klare Forderungen an die Drei Mächte erhoben: Gleichzeitig mit den Optionen und Maßnahmen, die den Landzugang betrafen, sollten die Drei Mächte von Beginn an Schritte unternehmen, »to maintain their unrestricted air access to Berlin«, was lebenswichtig sei, um den Status und die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten.515 Dieser Grundtenor beherrschte die gesamte Planung. Die drei Botschaften in Bonn erhielten gemeinsam mit Live Oak in Paris und anderen zuständigen militärischen Hauptquartieren, insbesondere der Luftstreitkräfte, den Auftrag, sieben Aspekte der Eventualfallplanung zu untersuchen. – Task 1: die Folgen eines möglichen Abzuges der sowjetischen Delegation aus dem BASC; – Task 2:. die Bedrohung der Flugsicherheit in den Korridoren und Kontrollzonen; – Task 3: geeignete Maßnahmen, um den Betrieb der zivilen Luftverkehrsgesellschaften möglichst lange aufrechtzuerhalten; – Task 4: die Einrichtung einer Luftbrücke für die Berliner Garnisonen für den Fall, dass der Landzugang der Alliierten unterbrochen wurde; – Task 5: möglicher Einsatz militärischer Flugzeuge anstelle ziviler Maschinen, um den regelmäßigen Flugverkehr aufrechtzuerhalten, wenn die zivilen Gesellschaften ihren Betrieb beendeten; Task 6: direkte Störungen von Flügen in den Korridoren und Zonen durch sowjetische oder ostdeutsche Kräfte erkennen und Gegenmaßnahmen entwickeln; – Task 7: Möglichkeiten zur Nutzung des Luftraums in den Korridoren oberhalb von 10 000 Fuß überprüfen. Damit begannen bereits in der Zeit, in der der Stab Live Oak noch damit beschäftigt war, sich zu organisieren, die ersten Überlegungen zur Aufrechterhaltung der Luftzugänge. Parallel wurde in der »Tripartite Berlin Contingency Planning Group«, gebildet von den drei Botschaften in Bonn, an den politischen Empfehlungen für dieses Problemfeld gearbeitet.516 Live Oak präzisierte zusammen mit den drei Botschaften die Aufgabenverteilung.517 Die Bonn Group legte im Sommer eine Reihe von Untersuchungen

516 517 514 515

BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper vom 4.4.1959, LO (IN)-S-59-1006, Para. 5‑12. Ebd., Para. 12.a. Ebd., Para. 13.b. Diese wurde bald Bonn Goup genannt. BArch, BW 71/43, Nr. 19: Msg EC 9-8635, S, 7.7.1959, Subj. »Joint Paper defining air access planning and procedural responsibilities vis-a-vis the three Embassies in Bonn and the Live Oak Group, Paris«, Part II, LO(IN)-S-59-1069. Diese Absprache war unterzeichnet vom COS Live Oak und Vertretern der drei Botschaften.



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vor, die dann von der Tripartite Group Berlin Contingency Planning als »BERCON TRI«-Dokumente verteilt und als Grundlagen für die künftige Arbeit genutzt wurden.518 Als erstes hatte sich die Bonn Group mit »Measures to Assure Flight Safety« befasst.519 Es ging um die auch in früheren Jahren schon heftig diskutierte Frage, wie die Alliierten sich verhalten sollten, wenn die Sowjetunion das BASC verließ und ihre Aufgaben an Personal der DDR übergab.520 Man kam analog zu den Plänen für den Landzugang schließlich überein, dies nur dann zu akzeptieren, wenn DDR-Organen Aufgaben ausdrücklich nur »im Auftrag«, d.h. als »agents«, übertragen wurden.521 Hier sah die Bonn Group nur zwei Optionen, nämlich entweder jeden Kontakt mit den ostdeutschen Behörden in Bezug auf die Kontrolle des Luftverkehrs zu vermeiden oder sich mit ihnen auszutauschen. In letzterem Fall waren Entscheidungen über die Mittel und Wege, die für diesen Austausch benutzt werden durften, erforderlich. Nach langem Hin und Her landete das Problem wieder bei der Bonn Group. Es sollte ein weiteres Jahr dauern, bis diese Diskussion durch BERCON TRI D-11a zu einem vorläufigen Abschluss kam.522 Als verantwortlich war allein die sowjetische Seite zu betrachten, was dann auch entsprechend kommuniziert werden sollte.523 Vertreter der DDR sollten dagegen im BASC nicht geduldet werden, auch nicht, wenn sie als Abgesandte der Sowjetunion auftraten. Wenn notwendig, würden die Alliierten durch eine Vielzahl von Maßnahmen die Flugsicherheit in den Korridoren und in der Kontrollzone selbst garantieren, wobei sie in rein technischen Fragen mit Stellen der DDR zusammenarbeiteten, solange dies keine Anerkennung der DDR bedeutete.524 Dieser Grundsatzentscheidung kam besondere Bedeutung zu. Sie galt bis 1990 und wurde durch die Sowjetunion auch nicht auf die Probe gestellt. Im Februar 1961 wurden die Festlegungen präzisiert.525 Die Drei Mächte erließen abgestimmte Instruktionen an ihre diensthabenden Flugsicherheitsoffiziere im BASC für den Fall, dass die ehemaligen Verbündeten Anstalten machten, die auf einen Rückzug aus dem Zentrum und die Übergabe an die DDR hindeuteten. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass die Drei Mächte gleich zu Beginn mit ein und derselben Stimme sprachen und gemeinsame Maßnahmen ergriffen.

BArch, BW 71/8, Nr. 11: Anlage in GLNO »Liste der gültigen BQD«, Tgb.Nr. 1137/71 geh. vom 5.10.1976, S. 12‑15. 519 BArch, BW 71/106, Nr. 10: BERCON TRI D-3, »Air Access – Measures to Assure Flight Safety«, 9.7.1959, LO(IN)-S-60-3066. Siehe auch das vorbereitende Papier in BArch, BW 71/43, Nr. 16: Bonn Group zu Task 1, 15.5.1959, LO(IN)-S-59-1047. 520 Diese Frage untersuchte z.B. auch Burr, U.S. Policy, S. 10‑12. 521 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 4; dagegen wurden immer wieder Bedenken erhoben, so z.B. durch den US-Präsidenten, siehe Eisenhower, Wagnis, S. 300 f. 522 BArch, BW  71/106, Nr.  19 vom 22.7.1960, LO(IN)-S-60-3056. Das Vorgängerpapier mit der Nummer 11 vom 31.3. des Jahres ist nicht im Bestand; es war durch 11.a überholt und zu vernichten gewesen. Ein Dokument BArch, BW 71/43, Nr. 30, vom 22.12.1959, LO-S-60-1002, von Washington an die Bonn Group gerichtet, zeigt ein Zwischenergebnis, das der endgültigen Fassung schon recht nahe kam. Besonders Para. 1 machte wohl Schwierigkeiten; die französische Botschaft hatte zudem noch keine Weisung erhalten. 523 BArch, BW 71/106, Nr. 19: Para. 1. 524 Ebd., Para. 2‑16. 525 BArch, BW 71/45, Nr. 48: BERCON-TRI D-11b, 7.2.1961, LO(IN)-S-62-3031. 518

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Operationen der Luftstreitkräfte der Drei Mächte: Die Befehlswege 1960 Operationen um den Luftzugang Commander Live Oak Oberbefehlshaber Live Oak

CINC USAFE

Oberbefehlshaber US-Luftwaffe in Europa

»Jackpine« Stab

FR Befehlshaber

UK Befehlshaber

US Befehlshaber

Operationen zur Unterstützung der Landstreitkräfte Commander Live Oak Oberbefehlshaber Live Oak

CINC USAFE

Oberbefehlshaber US-Luftwaffe in Europa

»Jackpine« Stab

Operational Control Tactical Control

CINC RAFG

Oberbefehlshaber der britischen Luftwaffe in Deutschland

ASOC

Operationszentrum Luftunterstützung

FASOC

Vorgeschobenes Operationszentrum Luftunterstützung

FR Befehlshaber

UK Befehlshaber

US Befehlshaber

Quelle: CINCUSAFE OPLAN 444, 1.12.1976, SHLOIN 76/2979, BArch, BW 71/53, Nr. 38, App. 1 und 2, Annex J, S. J-1-1 und S. J-2-1.

© ZMSBw

07879-06

Als Nächstes wurde die Bedrohung der Flugsicherheit durch »Direct Interference with Flights« angegangen.526 Dazu hatte man die Stellungnahmen der drei westlichen Luftwaffen eingeholt. Nachfolgend gingen die Empfehlungen über die WAG an die Regierungen zur Genehmigung. Es ging dabei nur um Flüge in militärischem Auftrag, da zivile Flüge bei ernsthafter Gefährdung der Flugsicherheit nicht mehr zu erwarten waren. Für Militärflugzeuge galt fortan, dass die Regierungen nach dem Abschuss eines Flugzeu BArch, BW 71/106, Nr. 8: BERCON TRI D-5, 22.7.1959: »Air Access – Threats Against Safety and Direct Interference With Flights«, LO(IN)-S-60-3067. Siehe hierzu auch das vorbereitende Papier der Bonn Group zu Task 2 und Task 6 vom 30.6.1959, BArch, BW 71/43, Nr. 12: LO(IN)S-59-1026.

526



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ges im Korridor und bei fortbestehender Bedrohung entscheiden würden, ob und unter welchen Bedingungen weiter geflogen werde. Es wurden vier Fallgruppen unterschieden. Hinsichtlich der Fernmeldeverbindungen und der Navigationshilfen ging man davon aus, dass die Sowjetunion auf absehbare Zeit technisch nicht in der Lage sein würde, mit ihren Mitteln erfolgreich zu stören.527 Die zweite Gruppe umfasste die Einrichtung von Flugverbotszonen, aber ebenso von Zonen mit Flugbewegungen und mit Übungen im scharfen Schuss. Hierunter fielen auch physikalische Behinderungen, etwa durch Ballone. Eine Drohung der Sowjetunion oder der DDR, in den Korridoren oder in der Berliner Kontrollzone zeitlich begrenzte oder dauerhafte Flugverbotszonen einzurichten, wurde als eindeutig »illegal« eingestuft. Wenn derlei tatsächlich eingerichtet wurde, war es zu ignorieren.528 An dritter Stelle stand die Aufforderung zur Landung. Diese sollte ignoriert werden, wenn die Flugzeuge sich innerhalb der Korridore bewegten, aber befolgt werden, wenn sie sich außerhalb befänden. Falls auf das Flugzeug das Feuer eröffnet werde, sei wiederum eine Regierungsentscheidung gefordert. Die vierte Gruppe beinhaltete gezielte Angriffshandlungen auf ein Flugzeug mit dem Ergebnis seines Verlusts. Hier gab es drei Reaktionsmöglichkeiten: die Fortsetzung der Luftoperationen, allerdings mit dem Risiko weiterer Verluste; die Aussetzung der Operationen und das Anstreben diplomatischer Lösungen; und schließlich den Luftzugang unter dem Schutz taktischer Luftstreitkräfte offenzuhalten. Die Entscheidung würde im Ernstfall auch hier wieder bei den Regierungen liegen. In einem Fall herrschte bei den Alliierten Uneinigkeit:529 Sollte ein gegnerischer Jäger das Feuer auf ein Transportflugzeug eröffnen, das die Landeaufforderung nicht beachtete, wollten Franzosen und Briten dem Piloten erlauben, besagter Aufforderung Folge zu leisten. Die Amerikaner sahen das jedoch als Gefahr, da dadurch, wie im Falle der Landzugänge, der Eindruck verstärkt würde, dass der alliierte Zugang nach Berlin allein von der Zustimmung der Gegenseite abhing.530 Daher waren in BERCON TRI D-5 beide voneinander abweichende Positionen enthalten. Erst am 9. Dezember 1960 legten die Amerikaner einen mit den beiden anderen Nationen abgestimmten Entwurf vor.531 Dieser enthielt verschiedene Klarstellungen, gerade auch zur Frage, wie sich Piloten nach einer Aufforderung zur Landung verhalten sollten. Es wurde entschieden, dass sie eine solche Aufforderung nicht zur Kenntnis nehmen durften – selbst wenn ihr durch Beschuss Nachdruck verliehen würde –, wenn sie sich sicher waren, innerhalb der Grenzen des Korridors zu fliegen. Sie sollten aber Folge leisten, wenn sie außerhalb eines Korridors und im Luftraum der SBZ flogen. Diese Regelung sollte nicht gelten, wenn die Maschine aufgrund von Aktionen der Gegenseite innerhalb des Korridors zum Ausweichen gezwungen worden war.532

529 530 531

BArch, BW 71/106, Nr. 8: BERCON TRI D-5, Para. B(1), S. 2. Ebd., Para.  A(2), S. 1. Ebd., »Ordering Aircraft to Land«, Para. 3, S. 3. Ebd., Para. B(3)(c), S. 3. BArch, BW 71/106, Nr. 20: BERCON-TRI D-17, LO(IN)-S-61-3035, 9.12.1960, S. 1: »It appears that detailed planning by the Three Embassies at Bonn has been hampered to some extent by the lack of specific guidance.« 532 Ebd., Para. 3, S. 3. 527 528

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Anschließend versuchten die Drei Mächte, das Problem der Nutzung des Luftraumes in den Korridoren oberhalb der willkürlich gesetzten Grenze von 10 000 Fuß zu lösen.533 In der Vergangenheit hatte sich der sowjetische Fluglotse im BASC stets geweigert, die Garantie für Flugsicherheit zu erteilen, wenn die westlichen Alliierten Flüge über 10 000 oder unter 2500 Fuß anmeldeten.534 Entsprechende Fragen an die drei alliierten Luftwaffen in Deutschland, ob hier tatsächlich technische Schwierigkeiten vorlägen, die den Flug über 10 000 oder unter 2500 Fuß verhinderten, hatten übereinstimmend negative Antworten erbracht. Die Prüfung der Vier-Mächte-Dokumente zum Flugverkehr ergab auch, dass diese Grenzen nicht durch die Texte der Abkommen gesetzt waren, sondern eine einseitige Forderung der Sowjetunion darstellten. Es gab zwar einige vereinbarte und sinnvolle Begrenzungen für Flüge in niedrigen Höhen in den Korridoren und in der Berliner Kontrollzone, die allerdings für die alliierten Flugbewegungen nicht wirklich relevant waren.535 Die drei Mächte kamen daher zum einstimmigen Schluss, dass die alliierten Luftstreitkräfte in den Eventualfallplanungen ihre Flugbewegungen auch über 10 000 und unter 2500 Fuß ansetzen konnten, wann immer sie es für den Erfolg einer alliierten Operation für notwendig hielten.536 Das Thema blieb über die Jahre hinweg ein Streitpunkt.537 Während der zweiten Berlin-Krise im Februar 1962 bat General Norstad dringend, für den Bedarfsfall Flüge über 10 000 Fuß pauschal zu gestatten.538 Und auch später suchte er um die Erlaubnis nach, darüber selbst als Commander Live Oak entscheiden zu dürfen. Nach längerer Diskussion mit der WAG wurde ihm diese Befugnis bei Eintreten gewisser Bedingungen zugestanden.539 Tatsächlich sind immer wieder Flugzeuge, ob mit oder ohne Genehmigung des diensthabenden sowjetischen Personals, wohl auch ohne vorherige Nachfrage bei Live Oak, in Höhen über 10 000 Fuß geflogen, wie eine Übersicht der amerikanischen Vertretung im BASC von 1973 beweist.540 Als nächstes wurde die Planung des Garrison Airlift untersucht.541 Es ging um die Einrichtung einer kleinen Luftbrücke, mit deren Hilfe Personal und Material der Alliierten transportiert werden sollten, falls deren Landzugang unterbrochen worden war.542 BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 12.b(7), dort als Task 7 gestellt. BArch, BW 71/106, Nr. 9: BERCON-TRI D-6, »Air Access – High Altitude Flights«, 22.7.1959, LO(IN)-S-60-3068, Para.  2. Siehe auch das vorbereitende Papier der Bonn Group, BArch, BW 71/43, Nr. 12, 30.6.1959, »Task 7«, LO(IN)-S-59-1026. 535 BArch, BW 71/106, Nr. 9: Para. 3 f. 536 Ebd., »Conclusion«, S. 2 f. 537 Dies ist z.B. BArch, BW 71/90, Nr. 7, »Expanded Air Briefing« vom Januar 1990, S/O 90/024, S. 3, zu entnehmen, wo es heißt: »in Practice, allied Aircraft do Not fly above 10,000 feet unless safety of flights is garanteed by the soviets«. 538 BArch, BW 71/118, Nr. 39: Msg SHLO 9-00061, 9.2.1962, LO-TS-62-3027. 539 BArch, BW 71/59, Nr. 43: BTF-129 »Air Access Contingency Planning Resume for Measures not involving the Use of Force«, 8.8.1962, LO(IN)-S-62-4076, S. 4. 540 BArch, BW 71/93, Nr. 11: U.S. Element, BASC, 14.2.1973, SHLOIN 73/438/C; interessant auch BArch, BW 71/54, Nr. 38: Stellungnahme UKCOB, »Weather Emergencies in the Air Corridors«, SHLOIN 78/3202, 13.11.1978. 541 Ergebnis: BArch, BW 71/106, Nr. 12: BERCON-TRI D-7 »Air Access-Garrison Airlift«, 5.8.1959, LO(IN)-S-60-3064; siehe auch das vorbereitende Papier BArch, BW 71/43, Nr. 13: »Task 4«, ohne Datum, LO(IN)-S-59-1035. 542 Grundlage war der Auftrag im Basic Paper vom 4.4.1959, Para. 12.b(4), Task 4 (BArch, BW 71/49, Nr. 3: LO [IN]-S-59-1006); und der Tripartite Garrison Airlift Plan vom 24.11.1958; dieser befin533 534



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Die Untersuchung ging von folgenden Überlegungen aus:543 Eine Unterbrechung des alliierten Landzugangs nach Berlin – aus welchen Gründen immer – würde zweifellos die Versorgung der alliierten Garnisonen durch die Luft notwendig machen. Eine solche Operation konnte auch unabhängig von anderen Plänen verlaufen, wie solchen, die den Landzugang wieder öffnen sollten. Dazu gab es bereits eine grundlegende Weisung für die Operationspläne der drei Luftwaffen, den Garrison Airlift Plan vom November 1958. Er ging von der Annahme aus, dass die drei Garnisonen jeweils mit eigenem Lufttransport auskommen würden und daher keine gemeinsame Organisation notwendig war. Allerdings war eine zentrale Agentur zur Koordinierung vorgesehen. Der Garrison Airlift Plan544 wurde mit einem neu erstellten Civil Airlift Plan (Task 5) kombiniert,545 der vorsah, zivile Flugzeuge im Liniendienst im Verkehr zwischen Westdeutschland und Berlin durch militärisch kontrollierte zu ersetzen, wenn der zivile Luftverkehr als Ergebnis gegnerischer Aktionen eingestellt werden musste. Die Gegenseite würde möglicherweise versuchen, Navigationshilfen und Fernmeldeverbindungen zu stören, was Auswirkungen auf den gesamten Flugverkehr haben würde. Die operativen Forderungen des Garrison Airlift wurden für jede der drei Garnisonen getrennt aufgestellt. Als Beispiel sei hier die britische Garnison546 gewählt. – Passagiere: 45 in beiden Richtungen täglich, – Material: 44,5 Tonnen nach Berlin und 5 Tonnen in der Gegenrichtung. Die Forderungen der beiden anderen Nationen waren vergleichbar, die der Franzosen etwas geringer, die amerikanischen höher. Diese Vorgaben wurden dann auf die Zahl der benötigten Flugzeuge in jeder Richtung umgerechnet, je nach Typ und Kapazität. Es wurde abschließend empfohlen, die nationalen Operationspläne der drei Luftwaffen beizubehalten und nach den neuen Erfordernissen zu überarbeiten. Somit gab es eine Reihe von Transport-Operationsplänen: neben dem Garrison Airlift Plan den für Civil Airlift, einen kombinierten Garrison/Civil Airlift Plan und einen Plan für eine große Luftbrücke (QBAL). Diese Pläne sollten entsprechend angeglichen und modifiziert werden. Die Tripartite Working Group in Washington übernahm die Planungen unverändert.547 Insgesamt setzten politische Überlegungen v.a. auch für den Civil Airlift, die zivile, »kleine« Luftbrücke, den Rahmen.548 Die Alliierten vertraten gemeinsam die Auffassung, dass die Aufrechterhaltung der regelmäßigen Lufttransportverbindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik politisch und psychologisch von hinreichender Bedeutung sei, um derartige Einsätze zu rechtfertigen.549 Um die alliierten Rechte im Luftzugang zu wahren, sei es wichtig, alle drei Korridore regelmäßig nach Flugplan zu nutzen. Alle drei

545 546 547 548 543 544



549

det sich nicht im Bestand, war auch sonst noch nicht auffindbar; er war recht jungen Datums und noch vor dem Ultimatum Chruschtschows entstanden. BArch, BW 71/106, Nr. 12: BERCON TRI D-7, Para. 1. Ebd., Para. 2.b, S. 3. BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Task 5, Auftrag 5 in Para. 12.b. Ebd., Para. 2, das britische Beispiel in Para. 2.a(2), S. 2. Ebd., Deckblatt, Para. 3 und Para. 4. BArch, BW 71/106, Nr. 13: BERCON TRI D-8, 5.8.1959, Para. 1, »Air Access-Substitution of Military for Civil Aircraft«, LO(IN)-S-60-3036. Siehe auch das vorbereitende Papier zu Task 3: BArch, BW 71/43, Nr. 17: 13820/79, LO(IN)-S-59-1048. BArch, BW 71/106, Nr. 13: BERCON TRI D-8, 5.8.1961, Para. 1.b.

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Mächte hatten sich daran in gleichem Maße zu beteiligen. Unterschiedliche politische, rechtliche und wirtschaftliche Voraussetzungen in den drei Ländern verlangten aber, dass zunächst nationale Lösungen gefunden und nationale Pläne erarbeitet wurden. Dennoch war die engste Koordinierung aller Maßnahmen nötig, damit ein Civil Airlift gelingen konnte. Die Ernennung eines einzigen verantwortlichen Führers und eines gemeinsamen Hauptquartiers waren daher Voraussetzungen des Erfolges. Alle Planungen mussten die Verschmelzung mit dem Garrison Airlift und den unmittelbaren Übergang in die große Luftbrückenoperation (QBAL) als Option beinhalten. Für alle Varianten galt indes weiterhin, dass die Gegenseite ggf. alles versuchen würde, Fernmeldeverbindungen und Navigationshilfen zu stören bzw. andere Mittel und Wege für eine Behinderung oder Blockade zu nutzen. Die operativen Forderungen für die Civil-Airlift-Operationen lauteten wie folgt: Sie sollten möglichst den ganzen normalen, zivilen Luftverkehr für Deutsche und andere Nationalitäten zwischen Berlin und der Bundesrepublik einschließlich des Transports von Flüchtlingen bewältigen können, wie er auch normalerweise von den zivilen Gesellschaften getragen wurde. Der tägliche Bedarf wurde angenommen mit 1000 Sitzplätzen in beiden Richtungen und zusätzlich 180 Flüchtlingen nur in Richtung Westen.550 Es wurde eine gleichmäßige Aufteilung auf die drei Nationen in allen drei Korridoren vorgesehen. Man war optimistisch, durch gute Planung eine fast hunderprozentige Auslastung zu erreichen. Bei der Fertigstellung der nationalen Pläne wurde darauf geachtet, dass der zivile Flugverkehr in dieser Operation möglichst weitgehend unter normalen Bedingungen aufrechterhalten werden konnte. Das entsprechende Dokument (­BERCON TRI D-8) wurde der Tripartite Working Group mit der Empfehlung vorgelegt, im Notfall eine frühe Grundsatzentscheidung zu treffen, insbesondere für den Fall, dass die beiden betroffenen Operationen, Garrison und Civil Airlift, zusammenfielen, aber unabhängig davon, ob der alliierte Verkehr zu Lande unterbrochen sei oder nicht.551 Nachdem so die politischen Grundlagen erarbeitet worden waren, sollte nun die detaillierte militärische Operationsplanung folgen. Da sich die Lage um Berlin abkühlte, nahm auch der politische Druck erst einmal ab. Trotz des darauffolgenden, temporären Abbaus des Stabes Live Oak zum 1. Oktober 1959 gingen die Planungen weiter. Vier weitgehend ausgearbeitete, teils auf frühere Konzeptionen zurückgehende Pläne für die Luftzugänge waren im Laufe des Sommers von Live Oak evaluiert worden. Insbesondere konnte man auf den bereits genannten Drei-Mächte-Operationsplan Garrison Airlift vom 24. November 1958 zurückgreifen.552 Die jüngste Fassung des Vier-Mächte-Operationsplans für den Quadripartite Berlin Airlift stammte vom 9.  April 1959. Dieser bereitete die Versorgung West-Berlins für den Fall vor, dass der zivile Verkehr allein oder zusammen mit dem militärischen Verkehr zu Lande unterbunden würde. Es handelte Die Bonn Group verfügte über ausreichende statistische Daten für diese Annahmen. Mit »Flüchtlingen« dürften hier v.a. Personen aus dem direkten Dunstkreis der Alliierten gemeint gewesen sein. Eine Flüchtlingsbewegung aus der Masse der Berliner Bevölkerung heraus hätte mit den begrenzten Mitteln des Lufttransports nicht bewältigt werden können. 551 BArch, BW 71/106, Nr. 13: BERCON TRI D-8 vom 5.8.1959, Para. 2‑4. 552 BArch, BW 71/43, Nr. 3: Memo für General Norstad, 4.9.1959, »Review of Airlift Contingency Planning for Berlin«, ECLO 525/33, LO-S-59-51, Para. 2.b. Ob in der Fassung vom 24.11. schon eine Überarbeitung enthalten war, ist nicht gesagt. 550



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sich dabei also um die modernisierte Version der »Luftbrückenoperation« von 1948/49, in welche die Bundesrepublik als vierte Nation einbezogen war. Deren Unterstützung war unerlässlich, daher wurde die Operation als »Quadripartite« bezeichnet. Der DreiMächte-Operationsplan »Triple Play« vom 18. Juni 1959 sollte der Evakuierung festgelegter Personenkreise, der »Non-Combatants«, also ziviler Angehöriger im Gefolge der Streitkräfte und anderer Personen, aus Berlin dienen. Der Drei-Mächte-Operationsplan Civil Airlift553 vom 24. Juli 1959, der dann wirksam werden sollte, wenn die zivilen Fluggesellschaften den Linienverkehr von und nach Berlin formal einstellten,554 der Luftverkehr aber möglichst in vollem Umfang mit militärischem Personal fortgeführt wurde, schloss diese Planungen vorläufig ab. Über alle diese Pläne urteilte Live Oak durchaus kritisch. Die Nutzung militärischer Flugzeuge sei bisher teilweise wenig wirtschaftlich organisiert und eigentlich zu teuer. Eine Koordinierung, vor allem der Flugpläne, durch eine zentrale Leitstelle könnte zumindest eine Steigerung der Effizienz bringen. Der bei »Triple Play« und auch für QBAL vorgesehene gemeinsame »Task Force Commander« habe mindestens drei vorgesetzten Kommandobehörden zu dienen. Ferner waren alle diese Pläne für Lageentwicklungen vorgesehen, in denen die Gefahr eines Krieges durchaus gegeben sein würde. Jede Lufttransportoperation erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass More Elaborate Military Measures eingesetzt werden müssten.555 Angesichts dieser Risiken fehlte eine zentrale Kommandobehörde, die für die koordinierte Führung Verantwortung trug. Wichtig war das vor allem auch deshalb, weil damit gerechnet werden musste, dass ein Plan schrittweise in einen anderen übergehen würde,556 was wiederum Abstimmungsprobleme und Ineffizienz nach sich ziehen konnte. Unter Berufung auf die gerade fertiggestellte Studie »More Elaborate Military Measures« vom 24. Juli 1959557 kam man bei Live Oak zu dem Schluss, der im Übrigen mit den drei Civil Air Attaches der Bonn Group abgesprochen war, dass die Drei Mächte einen einzigen Befehlshaber (Single Commander) für alle Lufttransportoperationen für Berlin bestimmen sollten. Dieser sollte alle Planungen prüfen und koordinieren und im Ernstfall die Führung übernehmen.558 Vorgeschlagen wurde General Norstad, der die operative Führung der Lufttransportoperationen jedoch an den CINCUSAFE delegieren konnte. Norstad folgte dieser Empfehlung. Er begründete seinen Antrag an die CHODs wie folgt: »I am in a good position to act as your agent«.559 Die Zustimmung zur Einsetzung Norstads als Single Commander für die Lufttransportoperationen kam von amerikanischer Seite bereits am 28. Oktober 1959.560 Die USA machten allerdings einen wichtigen Vorbehalt: Der QBAL-Operationsplan müsse aus der Drei-Mächte 555 556 557 558

Ebd., Para. 2.b. Ebd., Para. 5‑6. BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 1.b. BArch, BW 71/43, Nr. 3: Para. 7, S. 3. BArch, BW 71/132, Nr. 2: ECLO 320/20, LO-TS-59-1021. BArch, BW 71/43, Nr. 3: Para. 8‑9; definiert als »Operational Control« gemäß NATO MC 57 vom 11.3.1957. 559 BArch, BW 71/43, Nr. 2: Brief Norstad, ECLO 600/13, LO-S-59-48, 30.9.1959,Para. 4. 560 Das Original, Msg JCS 967551, ist nicht überliefert, aber seine Auswertung durch General Charles D. Palmer, den neuen Deputy USCINCEUR, in einem Memorandum für General Norstad vom 31. des Monats, BArch, BW 71/116, Nr. 6: ECLO 550/1, LO-TS-59-1077. 553 554

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Operationsplanung herausgenommen werden. Die amerikanische Haltung wurde im Memorandum nicht begründet, an anderer Stelle561 wurde aber mitgeteilt, dass der QBAL-Plan in der gegenwärtigen Krise im Widerspruch zur aktuellen amerikanischen Politik stehe. Möglicherweise wollte man hier Elemente ausschalten, die ggf. von der Gegenseite als allzu starke Provokation verstanden wurden. Die französische Zustimmung, die ohne Vorbehalt Anfang Dezember erfolgte,562 und die britische, ebenfalls zustimmende Antwort vom Januar 1960563 enthielten keinen Hinweis auf QBAL. Norstad ordnete dann am 8. Januar 1960 an, QBAL aus dem Live-Oak-Arsenal herauszunehmen und künftig bei USEUCOM zu bearbeiten.564 Erst am 5. Mai 1960 erteilte der General formal die Weisung an CINCUSAFE, zu dieser Zeit General Frederic H. Smith, die Planung, Koordination und operative Führung der Sicherung des Luftzugangs nach Berlin zu übernehmen.565 Der Zeitverzug dürfte mit den langen, kontroversen Diskussionen mit den Briten über die More Elaborate Military Measures zu erklären sein,566 die ihrerseits bereits weit in die strategische Gesamtlage mit all den damit verbundenen Problemen hineinreichten. Im Ernstfall würde die Absicht verfolgt werden, günstige Umstände für Verhandlungen mit den Sowjets zu schaffen, oder, wenn dies nicht gelänge, sie mit der unmissverständlichen Drohung des General War zu konfrontieren, wenn sie weiterhin den Zugang der Alliierten durch die Luft behindern sollten.567 Rasch konnte dann der Fall eintreten, dass Luftstreitkräfte, die für die konventionelle Hauptverteidigung der NATO bereitgehalten wurden, für die Sicherung des Luftzugangs nach Berlin verwendet werden mussten. Damit stand man mit einem Bein in der Eskalation. Die Luftwaffen der Drei Mächte in Europa stellten die Kräfte für die Operationen hinsichtlich der Luftzugänge nach Berlin, jeweils in vergleichbarer Größenordnung. ­CINCUSAFE würde die Operation führen. Dafür erhielt er die Genehmigung, direkt mit den Oberbefehlshabern der anderen beiden Mächte zu kommunizieren. Die Botschafter der Drei Mächte in Bonn sollten lediglich informiert und, wenn notwendig, beteiligt werden. Über diese sollten auch alle Verbindungen zur Bundesrepublik Deutschland laufen. Kenntnisse über diesen Plan blieben einstweilen auf Vertreter der Drei Mächte beschränkt bei strikter Einhaltung der Regel »Need to know«.568 Es fällt auf, dass in der Weisung selbst keine konkreten Operationen oder Optionen vorgegeben wurden. Diese waren bereits im genannten Katalog für die More Elaborate Military Measures enthalten.

BArch, BW 71/43, Nr. 55: After Action Report, lfd.Nr. 27. Brief von General Ely, 7.12.1959, LO(IN)-S-59-1081, nicht in BW 71, erwähnt wieder im After Action Report, ebd., unter lfd. Nr. 31. 563 Ebd., lfd. Nr. 4, datiert 6.1.1960, LO(IN)-S-60-3002. 564 Zu diesem Vorgang siehe BArch, BW 71/127, Nr. 7: Subj. »QBAL Command Relationships«, 74 USLO.TS-009, 1.11.1974, v.a. Para. 7‑12, S. 2‑4. 565 BArch, BW 71/132, Nr. 7: ECLO 600/30, LO-TS-60-35, 5.5.1960. Diese Weisung wird nicht »Letter of Instruction« genannt, wie sonst üblich, sondern trägt die Überschrift »Subject: Berlin Contingency Planning: Air Access«. 566 BArch, BW 71/132, Nr. 2: LO-TS-59-1021, 24.7.1959, Annex C. 567 BArch, BW 71/132, Nr. 7: Para. 3.a, S. 2. 568 Ebd., Para. 6.d, S. 4. 561 562



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Dass CINCUSAFE gut vorbereitet war, zeigt die Tatsache, dass der Operationsplan mit dem Decknamen »Jackpine« nur wenige Tage später verteilt werden konnte.569 Dabei handelte es sich um einen Gesamtplan, der alle bisherigen Pläne für die Sicherung des Zugangs auf dem Luftweg und die Optionen aus den More Elaborate Military Measures einbezog. Der Auftrag war zweigeteilt: CINCUSAFE hatte die Aufgabe, Luftransportoperationen der Drei Mächte nach Berlin zu leiten sowie taktische Luftoperationen der Drei Mächte durchzuführen, um den ungehinderten Zugang per Luft innerhalb der Flugkorridore nach Berlin aufrechtzuerhalten.570 Diese Zweiteilung durchzieht den gesamten Plan, die Verantwortung blieb aber stets bei CINCUSAFE, sobald er dazu von den Drei Regierungen zur Durchführung ermächtigt worden war. Die zur Verfügung stehenden Kräfte wurden recht summarisch definiert: Die französische Luftwaffe in Deutschland, 1er CATAC, HQ in Lahr, Baden, die Royal Air Force in Deutschland, RAF/G, HQ in Mönchengladbach, und die US-Luftwaffe in Europa, USAFE, HQ in Wiesbaden. Für die taktischen Operationen wurden je Nation 25 Jagdflugzeuge aus diesen Großverbänden für ausreichend gehalten. Die Briten flogen von Wildenrath im Rheinland, die Amerikaner von Hahn im Hunsrück, die Franzosen von der US-Basis Spangdahlem in der Eifel. Im Konzept wurden die vier bereits zuvor inaugurierten Lufttransportoperationen zusammengefasst, koordiniert und vor allem zahlenmäßig auf neuen Stand gebracht. Es handelte sich um den Garrison Airlift, den Civil Airlift, den neu eingeführten Garrison/Civil Airlift für den Fall, dass die beiden Vorgenannten doch gleichzeitig ausgeführt werden müssten, und »Triple Play«, die Evakuierung der Nichtkombattanten auf dem Luftweg. Die taktischen Luftoperationen sahen den Einsatz von Jagdfliegern für zwei Optionen vor. Option 1 bestand in »Indirect Support«. Sobald Transportflugzeuge in einen Korridor einflogen, ob von oder nach Berlin, würden je eine Rotte Jäger der Drei Mächte auf Befehl von USAFE vor den Westeingängen der Korridore patrouillieren und dort so lange bleiben, bis die Transportflugzeuge den Korridor wieder verlassen hätten. Sie sollten genügend Treibstoff haben, um den Durchflug durch den Korridor zu erlauben, einschließlich einer Reserve von zehn Prozent. Auf Befehl würden die Jäger mit höchster Geschwindigkeit in den Korridor einfliegen, um die Transportflugzeuge zu unterstützen. Würden die Jäger in Gefechte verwickelt, »they may disregard corridor boundaries if necessary«.571 Option  2 »Direct Support« enthielt zwei Möglichkeiten: den »Close Escort«, d.h. direkten Begleitschutz der Transportflugzeuge während des Fluges im mittleren Korridor, und »Fighter Cover« (Jagdschutz),572 ebenfalls im mittleren Korridor, also Überwachung aus der Distanz.573 Die erste Option sah den Einsatz von Jagdflugzeugen in zwei Korridoren, dem mittleren und den südlichen, vor, die zweite nur für den mittleren, da dieser der kürzeste war. Die beiden südlichen Korridore lagen näher an den eigenen Basen und konnten auch technisch besser unterstützt werden. So ließen sich die 571 572 573 569 570

BArch, BW 71/116, Nr. 46: USAFE TSC R60-819, 12.5.1960, LO(IN)-TS-60-2010. Ebd., Para. 1, S. 2 in Annex A des OPlans. Ebd., Appendix 1, Annex A, Para. 5.c(1)(d). Ebd., Para. 3.d(1) und 3.d(2). Ebd., Appendix 1, Annex A, Para. 5.c(2).

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Gefährdungen geringer halten und zum Schutz zusätzlich elektronische Gegenmaßnahmen einsetzen. Um solche politisch schwierige Operationen zu steuern, wurden zunächst nur für die taktischen Operationen besondere Einsatzregeln aufgestellt. Sie dienten dazu, Zwischenfälle einzugrenzen, insbesondere auch den eigenen Kräften einen festen Rahmen zu bieten, innerhalb dessen sie agieren konnten.574 Das hieß, dass die Freiheit der Operationsführung und der Ausführenden begrenzt und dadurch unerwünschte Entwicklungen, beispielsweise durch zu großen Tatendrang oder durch übertriebene Reaktionen, vermieden werden sollten. Sie schützten aber auch die Ausführenden vor unangemessenen oder unverantwortlichen Forderungen der eigenen Führung. Sie waren also ein Mittel der Obersten Führung, um die Kontrolle über die Entwicklung eines Konfliktes zu behalten wie auch die Verantwortung der Exekutive in gewissen Grenzen zu halten.575 Man versuchte daher, den Einsatz der Kräfte so genau wie möglich vorzuplanen. So wurden detaillierte Vorgaben für möglichst alle Szenarien gemacht. Im Falle eines nicht provozierten Angriffs gegen Flugzeuge der Drei Mächte war »Immediate Pursuit« erlaubt, jedoch unter Schonung der eigenen Ressourcen, auch der personellen. Ferner schloss die Unmittelbare Verfolgung keinen tiefen Vorstoß in den feindlichen Luftraum ein. Kommandeure hatten keine Vollmacht, eigenmächtig eine besondere »Pursuing Force« zusammenzustellen.576 Die Genehmigung zur Unmittelbaren Verfolgung galt nur für genau definierte Vorfälle. Die Jäger der Drei Mächte würden unter »Operational Control«577 des »Jackpine«Gefechtsstandes und damit letztlich unter CINCUSAFE stehen und ihre Befehle über das Auenhausen Ground Control Intercept (GCI, für den mittleren Korridor) und Telegram GCI (für den südlichen Korridor) erhalten. Fernmeldeverbindungen sollten zwischen dem Schwarm- oder Rottenführer (Flight Leader) und dem Jägerleitoffizier (GCI Controller) bestehen. Wenn Jäger der Drei Mächte durch ihre Jägerleitoffiziere (GCI) beauftragt worden waren, Transportflugzeugen der Drei Mächte zu helfen, hatten sie die Genehmigung einzugreifen und dazu das Feuer auf Flugzeuge der UdSSR und der DDR zu eröffnen, wenn diese auf eigene Flugzeuge oder in deren Richtung schossen. Gegebenenfalls würden die Jäger der Drei Mächte auch nur auf Befehl des Gefechtsstandes »Jackpine« eingreifen und das Feuer eröffnen dürfen.578 Die Koordinierung war beileibe nicht einfach, da drei Nationen, außerhalb des geordneten NATO-Rahmens und auf verschiedenen Führungsebenen, politisch und militärisch zusammenwirken mussten. Für die Planung hatte CINCUSAFE daher die Vollmacht erhalten, direkt mit den Botschaftern der Drei Mächte in Bonn, mit den nationalen Oberbefehlshabern in Deutschland und mit den Befehlshabern der drei Luftwaffen in Deutschland in Verbindung zu treten. Dabei erhielten die drei Botschafter besondere Rechte und Verantwortlichkeiten in Hinsicht auf Berlin und für den Aufgabenbereich »Deutschland als Ganzes«; auch waren sie verantwortlich für die Verbindungen zur Bun So in ebd., Tab. A, Appendix 1, Annex A, Para. 1. des »Jackpine«-Plans. Definition laut AAP-6, »NATO Glossary«, 1972, S. 2‑173; siehe auch Freudenberg, Das grundsätzliche Spannungsverhältnis. 576 BArch, BW 71/116, Nr. 46, TAB A App. 1, Annex A, Para. 2.b. 577 Definition nach der damals gültigen MC 57/1. 578 Diese Einsatzregeln werden, vom Verfasser übersetzt, hier gekürzt wiedergegeben. 574 575



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desrepublik Deutschland.579 Der Jackpine Command Post (JPCP) wurde in Ramstein bei USAFE installiert und mit Personal der Drei Mächte besetzt. Daneben wurde von USAFE ein Koordinierungszentrum für Lufttransport (Transport Coordination Center, TCC) auf der Rhein-Main-Luftwaffenbasis der USA in Frankfurt a.M. eingerichtet, das ebenfalls von Personal aller Drei Mächte betrieben wurde. Dadurch standen den Gefechtsständen auch die vorzüglichen amerikanischen technischen Verbindungen zur Verfügung. »Operational Command« blieb selbstverständlich bei den nationalen Befehlshabern. Bei Operationen in den Korridoren und in der Berliner Kontrollzone war stets zu bedenken, dass diese im von der Sowjetunion kontrollierten Luftraum der DDR stattfinden würden. Für den Ernstfall sollten daher, soweit irgend möglich, die international anerkannten Regeln des Luftverkehrs beachtet und angewendet werden.580 Ob dies tatsächlich realistisch war, konnte nicht wirklich vorhergesagt werden. Der Operationsplan »Jackpine« von 1960 war der erste und im Großen und Ganzen auch geglückte Versuch, alle bis dahin bestehenden Eventualfallpläne der Drei Mächte für den freien Luftzugang nach Berlin unter einem Dach zu vereinen. Dies wurde dadurch begünstigt, dass CINCUSAFE als Oberbefehlshaber für alle Operationen stets außer Frage stand. Das war für den Zugang auf dem Landweg anders gesehen worden, da dort bei auch nur begrenzt robusten Szenarien rasch die NATO ins Spiel kam. In diesem ersten Versuch waren jedoch zwei Themen nicht oder nicht ausreichend behandelt worden. Planungen zu Operationen, die geeignet sein könnten, die sowjetischen Absichten herauszufinden, blieben außen vor. Diese hatten im Falle der Sicherung des Landweges zunächst im Vordergrund der Überlegungen gestanden. Sodann war eine ggf. direkte militärische Unterstützung durch die Bundeswehr oder sogar deren Beteiligung nicht vorgesehen. Der einzige Hinweis auf irgendeine Verbindung zur deutschen Seite war der Merkpunkt, dass dafür die Drei Botschafter in Bonn zuständig seien. War keine Unterstützung möglich, oder war sie nicht notwendig? Diese beiden Aspekte sollten in der Folge noch größere Bedeutung gewinnen. Bereits am 22. Mai 1960 genehmigte General Norstad den Operationsplan »Jackpine« ohne weitere Bemerkungen zum Inhalt.581 CINCUSAFE informierte er in einem Brief, dass er die CHODs von Frankreich und von Großbritannien davon in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig gebeten habe, die notwendigen unterstützenden Pläne erarbeiten zu lassen.582 Dieses rasche Genehmigungsverfahren muss im Zusammenhang mit der sich wieder verschärfenden Berlin-Krise nach dem Abschuss eines sehr hoch fliegenden Aufklärungsflugzeuges Lockheed U-2 durch die sowjetische Flugabwehr am 1. Mai 1960 und dem darauf folgenden Abbruch der Gipfelkonferenz von Paris am 17. Mai 1960 durch Chruščev gesehen werden. Der Operationsplan musste sofort verfügbar sein. Damit mag auch zusammenhängen, dass es anscheinend zunächst keine Reaktionen auf BArch, BW 71/116, Nr. 46: Die Begriffe gehen in diesem Plan übrigens etwas durcheinander. So wird die Verantwortung für die »Bundesrepublik als Ganzes« betont, ebd., S. 9. 580 Ebd., Annex A, Appendix 2 des OPlans. 581 BArch, BW 71/43, Nr. 25: ECLO 600/41, LO-TS-60-65. 582 BArch, BW 71/43, Nr. 55: LO-TS-60-55 bzw. -56 und -57, auch an JCS mit gleichem Datum, erwähnt im After Action Report (lfd. Nr. 44). Die beiden Briefe an den britischen und französischen CHOD sind in BArch, BW 71/116, Nr. 20 und Nr. 21 überliefert. Die Weisung an die amerikanischen Kräfte lief hier von selbst. 579

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den Plan aus den nationalen Regierungen und den Verteidigungsministerien gab. Doch im November machte der britische CHOD,583 Admiral Mountbatten, auf drei Punkte aufmerksam, für die er eine erneute Überprüfung und eine Stellungnahme erbat, um dann die nationalen Pläne fertigstellen zu können. Neben einigen Präzisierungen für die Rules of Engagement und Vorschlägen zur Verbesserung der Radarleitsysteme für eigene Flugzeuge im Korridor stellte er insbesondere fest, dass unklar war, unter welchen Umständen Flugzeuge in den Korridoren oberhalb der akzeptierten Höhe von 10 000 Fuß operieren dürften. Obwohl Norstad unter Verweis auf die Studie der Botschaften der Drei Mächte584 in Bonn darauf aufmerksam machte, dass dazu schon grundsätzliche Regelungen existierten, wurde auch deutlich, dass der »Jackpine«-Plan doch mit heißer Nadel gestrickt worden war. Der Operationsplan wurde schließlich so ergänzt, dass auch Flüge über 10 000 und unter 2500 Fuß Höhe einbezogen wurden. Es lag nun bei der Durchführung eines Operationsplanes im Ermessen des CINCUSAFE, Flüge in jeder Höhe anzuordnen, wenn es für die erfolgreiche Erfüllung des Auftrags notwendig war.585 »Jackpine« sollte, hiervon ausgehend, in einem permanenten Prozess weiterentwickelt werden, der sich jedoch verzögerte, da die Krise wieder einmal eine Pause einlegte. Mit der drastischen Verschärfung im Sommer 1961 kam dann wieder Bewegung in die Planungen. Erkennbar ist das an der Dichte der politischen Beratungen und Entscheidungen, die auch hinsichtlich des Zugangs durch die Luft notwendig wurden. Eine der wichtigsten Entscheidungen war auch hier die Beteiligung der Luftwaffe der Bundesrepublik Deutschland ab Juli 1961, wodurch sich die Möglichkeiten von Live Oak für die Offenhaltung des Luftzugangs586 erweiterten, was die anderen drei Luftwaffen entlastete. General Norstad wies auf die Lageentwicklung seit Juli 1961 und auf seine Sorgen und Maßnahmen hin.587 Dazu zählten auch zusätzliche Handlungsmöglichkeiten der Gegenseite, mit denen diese versuchen konnte, den Zugang durch die Luft nach Berlin zu verwehren. Man hatte festgestellt, dass die »Jackpine«-Pläne nur solche Maßnahmen der Gegenseite behandelten, die Störungen aus oder in der Luft beinhalteten. Jene, die vom Boden ausgingen, mussten aber ebenso betrachtet werden, z.B. die Ankündigung von Übungen der Flugabwehr im scharfen Schuss innerhalb der Korridore, eine Sperrung der Korridore durch Hindernisse, wie Fesselballone und Funktürme, Beschuss oder Abschuss von Transportflugzeugen im Korridor durch Artillerie oder Raketen. Es konnte ferner nicht ausgeschlossen werden, dass die Gegner sogar groß angelegte Angriffe gegen den Luftverkehr in den Korridoren fliegen würden. Gegebenenfalls waren in der Folge die Flugplätze anzugreifen, von denen die feindlichen Flugzeuge aus operierten.588 Daher BArch, BW  71/116, Nr.  57: Subj. »Tripartite Operational-Level Plan for Berlin Airlift and Air Access Contingencies«, 4.11.1960, LO(IN)-TS-60-2080. 584 BArch, BW 71/106, Nr. 9: BERCON-TRI D-6, 22.7.1959, LO(IN)-S-60-3068. 585 BArch, BW 71/132, Nr. 18: ECLO 600/88, 14.1.1961, LO-TS-61-5, Para. 2.f. 586 Eine aktive Teilnahme der Luftwaffe mit eigenen Kräften an Live-Oak-Operationen über der DDR war jedoch stets ausgeschlossen worden. 587 Hier besonders der Antrag auf Verlegung von Live Oak nach SHAPE, siehe u.a. BArch, BW 71/124, Nr. 34: »Draft Instructions to the Military Authorities of France, the United Kingdom, and the United States«, wohl vom 3.8.1961, ohne Bezeichnung. Wichtig auch BArch, BW 71/132, Nr. 22: Brief an die CHODs vom 19.8.1961, ECLO 600/114, LO-TS-61-165. 588 BArch, BW  71/44, Nr.  8: Msg DEF 01796 an USCINCEUR, 30.8.1961, LO(IN)-S-61-3107, Para. 3. 583



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forderte die WAG, die »Jackpine«-Pläne so auszuweiten, dass diese und andere denkbare Eventualfälle miteinbezogen wurden. Diese Möglichkeiten des Gegners waren zwar bereits in früheren Papieren zur Bedrohung genannt worden,589 hatten aber in der Vorbereitung und Ausarbeitung des Operationsplanes »Jackpine« offensichtlich keine Rolle gespielt, möglicherweise wegen der bestehenden Sorgen in Bezug auf die stets drohende Eskalation im Ernstfall. Aus den Akten kann man erschließen, dass der Operationsplan »Jackpine« eine Zweiteilung erfuhr590 und weitere Optionen ausgelotet werden sollten.591 Später wurden zusätzliche militärische Planungen gefordert, um eine möglichst große Auswahl an Alternativen zu erhalten, insbesondere ausgeweitete, nicht-nukleare Luftoperationen.592 Die aktuelle Krise verstärkte den Druck, weswegen die Vier Mächte am 23. August auch den NATO-Rat informierten. Die Bedrohung des Zugangs durch die Luft wurde ab Ende August 1961 sehr ernst genommen, wie eine Fülle von Dokumenten zeigt, etwa zur Reaktion der Alliierten auf mögliche sowjetische Aktionen gegen den zivilen Luftverkehr nach Berlin. In einem politischen Papier fasste die Bonn Group politische, zivile und militärische Optionen zusammen und bewertete sie hinsichtlich ihres Nutzens in der aktuellen Lage. Von besonderem Interesse waren hierbei der Einsatz militärischer Flugzeuge und mögliche Konsequenzen daraus.593 Eine Live-Oak-Studie von Anfang September gab Aufschluss über die neuen Überlegungen:594 Sowjet-/DDR-Handlung

Mögliche Gegenaktion

Übungen der Flugabwehr im scharfen Schuss in den oder nahe den Korridoren

a) Ausweichen, wo notwendig, um den Raum frei zu machen, ggf. dabei auch Flug außerhalb der Korridore b) darauf vorbereitet sein, Geschützstellungen mit Jägern oder Jagdbombern zu bekämpfen

Versuche, Transportflugzeuge mit kleinkalibrigen Flugabwehrwaffen abzuschießen oder zu behindern

Ausweichen in größere Flughöhen

Versuche, Transportflugzeuge mit Flugabwehrartillerie oder -raketen abzuschießen

Angriff mit Jägern oder Jagdbombern auf Geschütze und Raketenwerfer

Etwa auch BArch, BW 71/106, Nr. 8: BERCON-TRI D-5, LO(IN)-S-60-3067, 22.7.1959. BArch, BW 71/132, Nr. 22: ECLO 600/114, LO-TS-61-165, Para. 4, S. 2 unter »Current Planning«. Dieser Brief ist eine wesentliche Quelle zu Norstads Einschätzung der Lage in dieser Krise. 591 BArch, BW  71/124, Nr.  13: »Advanced Copy of Instructions to General Norstad«, 29.8.1961, LO(IN)-TS-61-2077, Para. 6.a. 592 Ebd., Para. 6. 593 BArch, BW 71/59, Nr. 5: BQD-7, 30.8.1961, LO(IN)-S-61-3143, Para. 3 und 7. 594 BArch, BW 71/132, Nr. 24: SHLO 300/478, 6.9.1961: Study-Expansion of Jackpine  II, Para. 2.a‑e, S. 1 f. Hier erstmals die Kennzeichnung »Jackpine II« für die Gegenmaßnahmen/Operationen taktischer Luftstreitkräfte im Luftraum der DDR. 589 590

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Sowjet-/DDR-Handlung

Mögliche Gegenaktion

Aufbau von Ballonsperren

a) Ausweichen, wo notwendig, um den Raum frei zu machen, ggf. dabei auch Flug außerhalb der Korridore b) Zerstören der Ballone durch Feuer von Jägern/Jagdbombern

Aufbau von hohen Fernmeldetürmen in der Nähe der Anflugschneisen von Flugplätzen

Zerstören der Türme durch Luft-Boden-Angriffe

Live Oak ließ in seiner Abwägung keinen Zweifel daran, wie schwierig die Ausführung in einer Krisenlage sein würde, egal wie weit entfernt von einem Kriegszustand man wäre. Die Entwicklung musste steuerbar bleiben. Die folgenden kritischen Punkte wurden behandelt: Besatzungen von Transportflugzeugen konnten nur schwer Stellungen von Flugabwehrgeschützen oder -raketen erkennen, von denen aus sie beschossen werden, selbst wenn diese im Korridor lagen. Auch ein Jagdpilot würde große Schwierigkeiten damit haben, obwohl seine Chancen besser waren. Fotoaufklärung bot die besten Erfolgsaussichten, war aber möglicherweise zu zeitaufwendig, weil die Aufnahmen erst am Boden entwickelt und ausgewertet werden mussten. Flugabwehrstellungen innerhalb der Korridore konnten entweder im freien Gelände oder in oder nahe von Ortschaften liegen. Um Verluste bei der Zivilbevölkerung zu vermeiden, sollten zunächst nur Ziele im offenen Gelände angegriffen werden. Bei mangelnder sicherer Identifizierung einer Geschützstellung konnte ein Gegenangriff nur als politisches Zeichen der westlichen Entschlossenheit gewertet werden. Ob dieses Argument ausreichend sein könnte, wurde nicht beurteilt, aber wohl eher angezweifelt. Angriffe gegen Flugabwehrstellungen, die nicht in unmittelbarer Nähe der Korridore lagen, fielen ebenso wie Flugplätze, von denen aus die Gegenseite Angriffe beginnen konnte, in den Verantwortungsbereich der NATO und blieben deshalb außerhalb der Reichweite von »Jackpine«. Wenn ein alliiertes Flugzeug von einer Raketenstellung innerhalb des Korridors oder in dessen Nähe abgeschossen wurde, konnte dies nur schwer bewiesen werden. Eigene Luftangriffe auf eine Stellung ohne Beweis für einen Angriff von dort konnten aber den Westen in die Situation bringen, als Aggressor eingestuft zu werden. Die Studie kam daher zu dem Schluss, dass »Jackpine« um Maßnahmen gegen die genannten Bedrohungen in oder nahe den Korridoren erweitert werden sollte. Dafür waren aber auch neue Einsatzregeln für den Angriff auf Bodenziele notwendig.595 Nur wenige Tage später erhielt Norstad596 wegen der sich weiter verschärfenden Krise die Genehmigung der Vier Mächte, die notwendigen Fernmeldeverbindungen für den »Jackpine«-Gefechtsstand in Ramstein herzustellen und den Stab in kleiner Besetzung zu aktivieren. Zusätzlich wurde er ermächtigt, die Transportflieger- und Jagdfliegerkräfte bei Bedarf in einen Bereitschaftzustand zu bringen, den er für erforderlich erachte, und zivile Flugzeuge der Drei Mächte durch militärische zu ersetzen, wenn die zivilen Gesell Ebd., Para. 4‑8. Als Folge seiner Anträge vom 5.9.1961, BArch, BW  71/132, Nr.  33: SHLO 9-0001, LOTS-61-3004.

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schaften den Betrieb einstellten.597 Dadurch wurde Norstads Handlungsspielraum deutlich erweitert, wenn auch in sehr kontrollierter Weise. Am 12. September erbat er von der WAG die Zustimmung,598 jeweils gemäß den aktuellen Versionen der Einsatzpläne vorzugehen, wenn die andere Seite die befürchteten Maßnahmen ergriff.599 Einige Tage vorher hatte Norstad gegenüber der WAG zusätzlich eine neue Möglichkeit zur Sprache gebracht: Er hatte argumentiert, dass eine Lage eintreten könnte, in der allein kommunistische Drohungen die zivilen Fluggesellschaften zur Einstellung des Flugverkehrs nach Berlin veranlassen würden, so etwa durch die Ankündigung, die Korridore für eine genau bezeichnete Periode oder ab einem bestimmten Zeitpunkt auf unbestimmte Dauer zu schließen. In diesem Fall habe »Jackpine« keine Möglichkeit, zivile Flugzeuge weiterhin zu nutzen, um die kommunistische Entschlossenheit zu testen, es bliebe nur der Einsatz von Militärmaschinen. Damit würde ein sehr wichtiges Instrument des Krisenmanagements im untersten Bereich verloren gehen. Er empfahl daher, die Fortsetzung des zivilen Flugbetriebs mindestens mit einigen zivilen Maschinen zu prüfen, wenn notwendig unter militärischen Bedingungen, eben mit militärischen Besatzungen anstelle von zivilen. Bereits ein solch reduziertes Flugprogramm wäre von erheblichem Wert: Es würde ausreichen, um die Entschlossenheit der Drei Mächte zu zeigen, den zivilen Flugdienst angesichts von Drohungen oder Störungen aufrechtzuerhalten. Norstad schlug außerdem vor, diese Maßnahmen mit einer öffentlichen Ankündigung zu verbinden, in der die Störung des Luftverkehrs in den Korridoren dargestellt und die feste Absicht bekundet würde, die alliierten Rechte zu bewahren und die Luftkorridore weiterhin zu nutzen.600 Diese Vorschläge stießen offensichtlich auf großes Interesse in der WAG und ihrer Military Subgroup.601 Alle vier Regierungen waren sich einig gewesen in ihrem Wunsch, die zivilen Flugdienste solange wie möglich weiterzuführen und Norstads Empfehlungen im Rahmen des Möglichen aufzunehmen.602 Zu diesem Zeitpunkt, am 14. September, besprachen die drei Regierungen diese Angelegenheit bereits mit ihren zivilen Fluglinien auf hoher Prioritätsstufe. Norstad war ermächtigt worden, die vorgeschlagenen Maßnahmen vorzubereiten. Aktive Maßnahmen standen allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Absprachen mit den Fluglinien abgeschlossen waren. Dazu gehörte etwa, dass zivile Flugzeuge unter Schutz von Jägern gestellt würden. Am Tage darauf erhielt Norstad die Genehmigung der amerikanischen Regierung, PanAm-Flugzeuge mit militärischer Besatzung fliegen zu lassen, sowie die hierbei zu beachtenden Richtlinien und Einsatzregeln.603 Die amerikanische und die britische Regierung stimmten diesen Arrangements offiziell zu, die französische jedoch nicht. Daher wurde vorgeschlagen, diesen Plan zu BArch, BW 71/117, Nr. 53: Dies alles geht aus der französischen Antwort hervor: No. 431/FR-LO, 11.9.1961, LO(IN)-TS-61-2094. 598 BArch, BW 71/132, Nr. 34: Msg Live Oak SHLO 9-0006, 12.9.1961, LO-TS-61-3008. 599 BArch, BW 71/132, Nr. 37: SHLO 9-00012, LO-TS-61-3013, 12.9.1961. 600 BArch, BW 71/132, Nr. 33: SHLO 9-0001, 5.9.1961, Para. 4‑6. 601 BArch, BW 71/117, Nr. 22: Gut zusammengefasst in SHLO 300/484, »Memorandum for Record« vom 14.9.1961, LO-TS-61-192. 602 Ebd., S. 1, Punkt b. 603 BArch, BW 71/122, Nr. 12: Msg JCS 1522, 15.9.1961, SLOIN 75/518. 597

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nächst als binationalen Unterplan zu »Jackpine« unter CINCUSAFE zu führen.604 Die USA hatten bereits drei militärische Besatzungen für PanAm-Maschinen ausgebildet, zwei weitere befanden sich in der Vorbereitung; bei den Briten waren es zwei Besatzungen bzw. drei, um »Viscounts« der British European Airways (BEA) zu fliegen. Die Franzosen blieben bei ihrer Ablehnung605 und verlangten, dass jede Störung des zivilen Flugverkehrs in den Korridoren zunächst durch den Einsatz militärischer Maschinen anstelle der zivilen beantwortet werden müsse. Wenn diese dann nicht behindert würden, könnte eine begrenzte Zahl von zivilen Flugzeugen mit besonders hierfür einberufenen und speziell ausgebildeten Besatzungen eingesetzt werden. Die Franzosen hatten nichts dagegen einzuwenden, wenn die beiden anderen Nationen die zivilen Maschinen mit militärischen Besatzungen als »Probe«606 fliegen ließen, glaubten aber nicht an den Erfolg dieser Lösung. Immerhin war dies ein sprechendes Beispiel dafür, wie man die nötige Flexibilität herstellen konnte. Die Franzosen präzisierten ihre Haltung. Sie behielten sich für fast alle Situationen das Recht auf individuelle, nationale Entscheidung vor. Als Ausnahme nannten sie den Angriff auf Transport- oder Begleitflugzeuge, der sofort mit Feuer erwidert werden durfte. Auch eine vorherige Information der Gegenseite über eigene geplante Schritte lehnte Paris weitgehend ab. Nur dann, wenn Jäger Transportflugzeuge begleiten oder indirekt unterstützen mussten, sollte der sowjetischen Seite mitgeteilt werden, dass Begleitjäger Feuererlaubnis erhalten haben für den Fall, dass sie oder das begleitete Flugzeug angegriffen wurden.607 Wert legten die Franzosen dabei auf die Feststellung, dass ihre Einwände nicht als Zeichen von Zögern oder Schwäche interpretiert werden dürften; General de Gaulle sei fest entschlossen, die alliierten Rechte und den Zugang nach Berlin aufrechtzuerhalten.608 Er sei weiter der Auffassung, dass Entscheidungen, die zu einem allgemeinen Konflikt führen könnten, allein von den Regierungen getroffen werden müssten, die dies auch nicht delegieren könnten. Zusätzlich sei es notwendig, dass den Regierungen genügend Zeit für die Prüfung der Lage bliebe, bevor sie eine Entscheidung träfen. Nur so ließen sich Fehler vermeiden, die zu automatisierten alliierten Reaktionen führen konnten. Es komme daher darauf an, die Ernsthaftigkeit der Vorkommnisse zu beurteilen oder die Genauigkeit der Information zu überprüfen.609 Kurz darauf meldeten auch die Briten vergleichbare Vorbehalte an, doch nur für eine einzige Option:610 die Vollmacht, Flugabwehrkräfte in einem Korridor oder in dessen unmittelbarer Nähe zu bekämpfen, nachdem diese selbst alliierte Flugzeuge im Korridor angegriffen hatten. Genannt wurden sechs Gründe, die aber alle auf dasselbe hinausliefen: Die Regierung ihrer Majestät sah Angriffe auf Einrichtungen auf dem Boden als politisch bedeutsamer an als auf Ziele in der Luft, da sie potenziell eher in die Eskalation BArch, BW 71/132, Nr. 36: Msg SHLO 9-00017, 16.9.1961, TS-61-3014. BArch, BW 71/117, Nr. 23: No. 449/FRA-LO, LO-TS-61-201, 21.9.1961; dieses zitiert in Übersetzung in das Englische aus Msg 2887/EMGDN/AG/EX vom 20.9.1961. 606 BArch, BW 71/44, Nr. 9: Sujet »Berlin Airlifts-New French Position«, No. 451/FRA-LO, LO(IN)S-61-3121, 22.9.1961, 3. Abs., S. 1 unter »Secundo«. 607 Ebd., Para. I.b und I.c, S. 1. 608 Ebd., Para.  II.3, S.  2. Aus dieser Formulierung kann wohl geschlossen werden, dass Charles de Gaulle an dieser Entscheidung persönlich beteiligt gewesen war. 609 Ebd. 610 BArch, BW 71/132, Nr. 25: UKLO/A/12/II, 25.9.1961, LO-TS-61-203. 604 605



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führen konnten. Die Konsequenzen eines möglichen Fehlers betrachteten die Briten als so schwerwiegend, dass nach ihrer Auffassung die politischen Risiken die militärischen Vorteile überwiegen würden.611 Daher bestanden sie darauf, vor einem Angriff gegen Bodeneinrichtungen der Gegenseite gesondert gefragt zu werden. Die Frage, welche Vollmachten der Commander Live Oak im Voraus erhalten müsse, um in einer Krise rasch und wirkungsvoll handeln zu können, beschäftigte Live Oak die ganze Zeit. Das lässt sich durchaus mit den Diskussionen um die Vorabermächtigung für US-Kommandeure zum Einsatz von Nuklearwaffen (»predelagation«) vergleichen.612 Naturgemäß sahen die Regierungen ihr Interesse darin, die Zügel fest in der Hand zu behalten, um stets die Lage zu kontrollieren. Der militärische Führer wollte aber möglichst viel Freiheit des Handelns erhalten, um seinen Auftrag unverzüglich ohne zu enge politische Fesseln erfüllen zu können. Der Stand der Vier-Mächte-Planungen für den Zugang durch die Luft im Oktober 1961 wurde in BQD-M-8 zusammengefasst.613 Hierin waren in einer Art Matrix die bisher behandelten Eventualfälle, die westliche Antwort darauf sowie die Position der Regierungen dazu und die noch zu treffenden Maßnahmen aufgeführt. Dieses Dokument, erarbeitet von der Military Subgroup der WAG, von den Regierungen überprüft und dann nochmals überarbeitet, diente als Basis für die weitere gemeinsame Arbeit. Es zeigte auch, dass die Einigkeit unter den Drei Mächten groß war und die Frage der vorausgehenden Delegierung von Verantwortung nicht so hemmend erschien wie befürchtet. Im Detail blieb aber vieles noch offen, manche Schwierigkeit war noch kaum erkannt, insbesondere diejenigen, die beim Übergang vom zivilen Flugbetrieb zum Einsatz von Militärmaschinen zu erwarten waren.614 Entscheidend war nach wie vor, gemeinsame Antworten so rechtzeitig zu finden, dass sie im Krisenfall allen gleichzeitig zur Verfügung standen. Es kam vor allem auf die enge Zusammenarbeit zwischen Diplomatie und militärischen Hauptquartieren und zwischen Politik und Privatwirtschaft im Bereich der Luftfahrt an. Aus all den Planungen, Diskussionen und Überprüfungsaufträgen war deutlich geworden, dass die »Jackpine«-Operationsplanung erweitert werden musste. Folgerichtig legte Live Oak im November ein Memorandum zu »Jackpine Expanded« vor,615 in dem alle Änderungen zusammengefasst waren, für die der Stab nun die Genehmigung des Oberbefehlshabers erbat. Der von CINCUSAFE gemeinsam mit den anderen Hauptquartieren vorbereitete Vorschlag präsentierte eine neue Einteilung der Operationen. Zusätzlich gab es hier weitere Optionen: Military Sponsored Air Service (MSAS), Military Air Transport Probe (MATP) und »Air Suppression« (Operationen zur Unterdrückung der gegnerischen Flugabwehr am Boden, also gegen Flugabwehrartillerie und -raketen) sowie »Air Obst-

Ebd., Para. 7, S. 2. Vgl. dazu auch Marx, Zwischen Schwert und Schild, S. 148‑155. 613 BArch, BW  71/117, Nr.  59: BQD-M-8, »Status of Quadripartite Planning on Air Access as of October 13, 1961«, LO(IN)-TS-61-2123. 614 BArch, BW 71/118, Nr. 24: LO(IN)-TS-62-2007, o.D., wohl von Mitte Oktober 1961. 615 BArch, BW 71/132, Nr. 26: »Jackpine expanded«, SHLO 525/78, 20.11.1961, LO-TS-61-236. 611 612

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ruction« (gegen technische Mittel zur Sperrung des Luftraums),616 jeweils mit besonderen Einsatzregeln. Wirklich neu von alledem war hier nur die MATP. Wer den Vorschlag eingebracht hatte, ist unklar. In dem oben behandelten BQD-M-8 ist allerdings, gerade im Zusammenhang mit den französischen Vorschlägen und Vorbehalten, die Rede davon, zusätzlich zu den oder anstatt der Zivilmaschinen mit militärischer Besatzung auch militärische Transportmaschinen einzusetzen. Vielleicht wurde dies dort analog zur Vorgehensweise für den Landzugang entwickelt. Der MSAS umfasste den Einsatz ziviler Maschinen unter militärischer Ägide und verfolgte drei Ziele: Erstens sollte eine Abwertung oder gar Aufgabe der zivilen Zugangsrechte durch die Luft verhindert werden. Zweitens sollten die sowjetischen Absichten hinsichtlich der Verweigerung der zivilen Zugangsrechte erprobt, also aufgeklärt werden, nachdem die Handlungen der Gegenseite die zivilen Fluggesellschaften dazu veranlasst hatten, ihre Dienste einzustellen. Schließlich sollte ein gewisser Anteil des zivilen Verkehrs zwischen der Bundesrepublik und den Westzonen Berlins auf diese Weise demonstrativ aufrecht erhalten bleiben.617 Die MATP hatte zum Ziel, durch den Einsatz unbewaffneter und unbegleiteter militärischer Transporter eine unmittelbare Antwort auf sowjetische oder DDR-Versuche zu geben, den Luftverkehr in den Korridoren zu stören oder zu verhindern, und gleichzeitig die Absichten der Gegenseite zu testen.618 Jede der Drei Mächte unterstellte ­CINCUSAFE eine Transportmaschine für diese Aufgabe. Die Unterdrückung der Flugabwehr am Boden und die Zerstörung von Sperren im Luftraum war der umfangreichste Teil der Ergänzungen. Der Auftrag lautete hier, Maßnahmen für Aktionen gegen Flugabwehrartillerie oder -raketen, Ballone oder andere Hindernisse in oder in unmittelbarer Nähe zu den Luftkorridoren nach Berlin vorzubereiten.619 Das Konzept sah vor, bei lediglich sporadischem Feuer und technischen Hindernissen möglichst auszuweichen und die Flüge einfach fortzusetzen. Wenn diese Maßnahmen jedoch anhaltend zum Hindernis wurden und das Recht auf unbeschränkten Zugang beschnitten, sollten aktive Gegenmaßnahmen befohlen werden, aber nur im mittleren und südlichen Korridor. Sollte der nördliche Korridor ebenfalls betroffen sein, sollten die dort geplanten Flüge in die beiden anderen Korridore verlegt werden, um die Gegenmaßnahmen zu erleichtern. Für diese Gegenmaßnahmen galten besondere Einsatzregeln.620 Hierbei flogen Jäger entweder direkten Begleitschutz oder sie unterstützten indirekt, indem sie an den westlichen Eingängen der Korridore kreisten. Jagdbomber sollten zunächst auf ihren Basen in Bereitschaft stehen. Für den Fall, dass Transportflugzeuge oder ihr Jagdschutz vom Boden aus beschossen wurden, sollten die bereitgehaltenen Jagdbomber die betreffende Stellung angreifen,621 wenn diese eindeutig identifiziert war, und sich anschließend zurückziehen. Wenn sie nicht zu identifizieren war, sollten die Jagdbomber ein anderes, Ebd., Para. 3.a, 3.b und 3.c, sowie TAB D, Para. 3.b, S. 1‑3. Dabei wurden »Ground Suppression« und »Air Obstruction« als eine Operation behandelt, siehe Para 3.c., S. 1. 617 BArch, BW 71/132, Nr. 26: Anlage TAB B, »MSAS«, Para. a-c, S. 1 zu Memo vom 20.11.1961. 618 Ebd., Anlage TAB C, »MATP«, S. 1 619 Ebd., TAB D, Para. 1 »Mission«, S. 1 der Anlage. 620 Ebd., TAB E, ROE, S. 1. der Anlage. 621 Ebd., TAB D, Para. 3.a(2) der Anlage. 616



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vorher ausgewähltes Ziel, etwa eine bestimmte Flugabwehrstellung innerhalb des Korridors, angreifen und den Korridor danach wieder verlassen, all dies natürlich nach expliziter Genehmigung durch die Führung. Soweit möglich, hatte die angreifende Gruppe aus Flugzeugen aller Drei Mächte zu bestehen. Dabei sollten drei Wellen eingesetzt werden, wegen der einfacheren Führung jede Welle aus Flugzeugen nur einer Nation bestehend. Die Besatzungen sollten vor jedem Einsatz über die Gefahr einer Kettenreaktion bis hin zum General War als Folge eines unberechtigten Angriffs auf Bodenziele im Falle einer falschen oder zweifelhaften Zielidentifizierung informiert werden.622 Die Bekämpfung von Ballons oder anderen Hindernissen in den Korridoren, die den Verkehr mit Transportflugzeugen gefährdeten, wurde vorgeplant und sollte wie folgt durchgeführt werden: Ein Jägerverband, bestehend aus zwei Teilen, sollte fünf Minuten vor dem Transportflugzeug in den Korridor einfliegen. Der eine Teil sollte die Deckung gegen gegnerische Jäger übernehmen, der zweite die Abteilung bilden, welche die Ballons zerstören würde. Diese sollte alle Ballons vernichten, die in der Lage waren, den Flug des Transportflugzeuges zu gefährden. Alle Jäger sollten nach Erfüllung ihres Auftrages zu den Abflugbasen zurückkehren. Das Transportflugzeug sollte seinen Flug, wenn notwendig unter Ausweichmanövern, fortsetzen.623 Über die Kräfte wurde nur Allgemeines gesagt. Jede Nation hatte ausreichend Flugzeuge zur Verfügung zu stellen, wie sie zur Erfüllung des Auftrages zu gegebener Zeit benötigt wurden. Das Minimum an Flugzeugen in Sitzbereitschaft sollte je Nation vier Jagdbomber betragen, zusammen also zwölf. Für die Unterdrückung der gegnerischen Flugabwehr und die Zerstörung einer Ballonsperre galten drei besondere Einsatzregeln: Jagdbomber der Drei Mächte hatten Feuererlaubnis gegen eine Stellung der Flugabwehrartillerie oder -raketen, wenn diese mindestens von zwei Flugzeugen eindeutig als Ausgangsort des Angriffs auf alliierte Flugzeuge identifiziert worden war. Zusätzlich musste diese Stellung in einem Korridor oder in unmittelbarer Nähe zu diesem gelegen sein. Das Ausweichziel bei Nichterkennung sollte erst dann angegriffen werden, nachdem das Hauptquartier »Jackpine« dazu den Befehl gegeben hatte. Unter keinen Umständen durften Flugabwehrstellungen in bebauten Gebieten angegriffen werden.624 Diese Erweiterung des »Jackpine«-Operationsplanes wurde von Norstad am 25. November 1961 genehmigt625 und gleichzeitig der WAG mit der entsprechenden Empfehlung für das weitere Vorgehen zur Kenntnis gebracht.626 Der neue Operationsplan erhielt die erbetene Zustimmung der WAG mit der Bemerkung, Live Oak habe genügend Entscheidungsfreiheit, um mit der gegenwärtigen Situation fertig zu werden.627 624 625 626

Ebd., TAB D, Para. 3.a(4), S. 2 der Anl. »Ground Suppression«. Ebd., TAB D, Para. 3.b, S. 3. Ebd., TAB E, Para. 1, 2 und 3.d, S. 1. BArch, BW 71/117, Nr. 27: SHLO 600/122, LO-TS-61-237. Das Auswärtige Amt hielt übrigens in einer Aufzeichnung vom 2.1.1962 diese ROE ohne Begründung für rechtlich problematisch; da sie aber nur die Drei Mächte beträfen, laute die Empfehlung: Keine Äußerung dazu! PA AA, B 130/3.586: AA 301-81-08-0/2/62 str.geh. 627 BArch, BW  71/45, Nr.  1: Msg US-Dept an Botschafter Stoessel, Bonn, 9.2.1962: Dept-Bonn 2167, Live Oak 5-90/S. Darin heißt es in Para. 2: »Mit der Zustimmung der Botschafter-Gruppe zum überarbeiteten Jackpine-Plan und zu den Luft zu Luft-Einsatzregeln sowie der Delegierung von Vollmachten durch die amerikanische und die britische Regierung sehen wir Live Oak in der Lage, mit der augenblicklichen Situation fertig zu werden«. Diese »Situation« war die erneute Ver622 623

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Anfang Februar 1962 hatte die Sowjetunion im BASC angekündigt, den südlichen Korridor in den folgenden Tagen vermehrt für eigene Zwecke zu nutzen. Außerdem versuchten sie, durch Anmeldung einer größeren Zahl von Flügen den westlichen Flugverkehr einzuengen. Zur Problematik der Flüge über 10 000 Fuß war zu dieser Zeit noch immer keine einheitliche Linie gefunden worden. Die Amerikaner, Deutschen und Franzosen waren der Auffassung, dass solche Flüge nur dann unternommen werden sollten, wenn die Gegenseite versuchte, Flüge über 10 000 Fuß per Deklaration zu verbieten. Die Briten wollten dies erst dann zulassen, wenn die sowjetischen Absichten nicht nur durch Erklärungen, sondern auch in Form mehrfacher praktischer Schritte klar erkannt seien.628 Daher nahm Norstad am 9. März diese Diskussionen noch einmal zum Anlass, seine Auffassung klarzumachen und die WAG zu einer eindeutigen Entscheidung zu drängen.629 Norstad bat, wie schon früher, die WAG, diese Flüge zu gestatten oder ihm eine Weisung zu geben, unter welchen anderen Bedingungen oder Umständen solche Flüge angesetzt werden könnten. Wenn im Ernstfall sowjetische Maßnahmen Operationen in diesen größeren Höhen verlangten, müsse befürchtet werden, dass Konsultationen mit der WAG zu zeitaufwändig wären, um eine rechtzeitige oder wirksame Reaktion der eigenen Seite zu ermöglichen.630 Wie schon zuvor versuchte Norstad diese Gefahr durch präzise Automatismen mit hohem Differenzierungsgrad und entsprechenden Optionen zu bannen. Er erhielt aber keine neue Weisung der WAG, denn die Briten blieben bei ihrer Meinung. Der Operationsplan »Jackpine« wurde in der Folge in einigen Punkten überarbeitet, so etwa in der Version vom Januar 1965631, die indes keine grundlegende Revision beinhaltete. Auch dieser Plan bestand aus den zwei bekannten Hauptteilen, Lufttransportund »Probe«-Einsätze sowie taktische Lufteinsätze. Im ersten Teil wurden die bis dato ausgearbeiteten Einsatzpläne in sechs Operationen zusammengefasst: Military Sponsored Air Probe (MSAP), die Military Air Transport Probe (MATP), Garrison Airlift, Civil Airlift, Aerial Evacuation of Non-Combatants und Control of Civil Air Traffic. Zwei dieser Teilpläne wurden abgeändert. Neu war die Einführung der MSAP im Oktober 1961, d.h. einer eigenständigen Probe mit zivilen Maschinen ohne eigentlichen Transport- oder Frachtauftrag. Diese war aus dem geplanten Einsatz ziviler Linienmaschinen mit militärischen Besatzungen hervorgegangen, der als Military Sponsored Air Service (MSAS) bezeichnet wurde. Die zweite Neuerung betraf die Überwachung und Steuerung des zivilen Luftverkehrs von und nach Berlin: Schon sehr früh, nämlich während der Krise um den Luftzugang im September 1961,632 hatte Norstad darauf hingewiesen, dass in einer Krise der zivile und der militärische Verkehr der Drei Mächte in den Korridoren koordiniert und



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schärfung der Krise Anfang Februar 1962. Der überarbeitete Operationsplan ist übrigens nicht in BW 71 erhalten; auch in BL war er bisher nicht zu finden. BArch, BW 71/118, Nr. 40: Msg SHLO 9-00067, 11.2.1962, LO-TS-62-3028, Para. 2. BArch, BW 71/132, Nr. 40: Fernschreiben an die MODs, CHODS und Oberbefehlshaber in den Live-Oak-Operationen, SHLO 9-00082, 9.3.1962, LO-TS-62-3031. Ebd., Para. 3, S. 3. USAFE OPLAN 333, mit wohl zeitweilig wechselnden Codenamen, z.B. »Continual«, 25.1.1965; manchmal wird der 1.1. genannt. Der Inhalt ist gut zusammengefasst in BArch, BW 71/16, Nr. 89: NMR/Live Oak-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Tgb.Nr. 487/84 geh. BArch, BW 71/132, Nr. 33: SHLO 9-0001, LO-TS-61-3004, 5.9.1961, Para. 3.b.



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

325

möglicherweise sogar durch eine dazu geeignete Kommandobehörde geführt werden müsse. Er hatte CINCUSAFE und dessen Gefechtsstand »Jackpine« als die geeignete Stelle dafür genannt. Der Antrag633 wurde von den Drei Mächten positiv entschieden, die drei Fluglinien Air France, BEA und PanAm hatten ebenfalls ihr Einverständnis erklärt. Ziel der Maßnahme war die angemessene Führung und Überwachung aller alliierten zivilen und militärischen Flüge in den Berliner Luftkorridoren angesichts möglicher Versuche der Gegenseite, die alliierten Zugangsrechte zu unterbinden.634 Dieser Teilplan würde dann wirksam werden, wenn gegnerische Aktionen den normalen Flugbetrieb gefährdeten.635 Zu dieser Zeit wurde die Unterstützung der Live-Oak-Planungen durch die Bundeswehr, besonders aber durch die deutsche Luftwaffe immer wichtiger: Diese geschah nach und nach dadurch, dass mit dem Aufwachsen der deutschen Streitkräfte immer mehr Aufgaben von den Alliierten an die Luftwaffe übergeben wurden, z.B. in den Luftwaffengefechtsständen, den Command and Reporting Post/Center (CRP/CRC). In diesen wurden alle zivilen Flugbewegungen überwacht und die militärischen geführt, besonders die der Luftverteidigung. Daher wurden zunehmend auch Operationen der alliierten Luftwaffen im Rahmen von Live Oak aus Gefechtsständen geführt, die von der Luftwaffe betrieben wurden, wie etwa Auenhausen, Wasserkuppe und Visselhövede. Für Live-Oak-Übungen und -Operationen wurden dazu Jägerleitoffiziere der Drei Mächte in diese Gefechtsstände integriert. Das zweite Aufgabengebiet tat sich auf, als die Alliierten feststellten, dass ihre für Live-Oak-Landoperationen genutzten Flugplätze, nämlich Wildenrath, Gütersloh, Spangdahlem, Hahn usw., alle im westlichen Teil der Bundesrepublik, meist sogar westlich des Rheins gelegen, zu weit vom potenziellen Operationsgebiet, der Autobahn A2 Helmstedt–Berlin, entfernt disloziert waren. Sie fanden eine besser geeignete Lösung im Bundeswehr-Flugplatz Faßberg. Nach längeren Verhandlungen mit der Luftwaffe und der Gewährung gewisser Dienstleistungen bereits seit Oktober 1963 wurde im Sommer 1964 ein Vertrag über die »Mitbenutzung von Fliegerhorst Faßberg durch USAFE« entworfen, der mit einer Reihe von Ergänzungen im Detail bis 1990 wirksam blieb.636 Gegen Ende der sechziger Jahre rückten einige wichtige Aspekte von Neuem in den Fokus der Planer und dann auch der politischen Führer: Der erste betraf die MSAP im Sommer 1969. Ausgangspunkt war der Wechsel des Flugmusters für den Berlin-Verkehr durch die britische Fluggesellschaft BEA, welche die »Viscount« ausmustern und durch Er ist nicht überliefert, nur genannt als SHLO 5-00207 und 5-00218, ohne Datum, in einer Zusammenstellung aller Delegierungen von Verantwortung an den CLO: BArch, BW 71/118, Nr. 8: SHLO 300/577, LO-TS-62-80, »Delegated Tripartite Authority«, 26.10.1962. 634 Siehe die Anlage zu o.a. Dok., BArch, BW  71/118, Nr.  8: SHLO 300/566, 22.10.1962, LOTS-62-68, Absatz »Purpose«. 635 Ob dieser Punkt bereits in einem früheren Operationsplan enthalten war, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls taucht er hier zum ersten Mal nachweisbar auf. Siehe BArch, BW 71/16, Nr. 89: NMR/LO Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Anl. 13, S. 1 und S. 5 f. 636 BArch, BW 71/4, Nr. 52: »Betreff« in Fü B III 1 LO, Tgb.Nr. 1045/64 geh. vom 20.8.1964. Die Zeichnung des Vertrages erfolgte am 9.10.1964, wie aus einer handschriftlichen Notiz auf dem Entwurf hervorgeht. Zu keiner Zeit hat es Überlegungen gegeben, Kräfte der deutschen Luftwaffe aktiv in Live-Oak-Operationen im Luftraum der DDR einzusetzen. Die beiden F-84 der Luftwaffe, die am 19.9.1961 mitten in der Krise in Tegel landeten, hatten sich schlicht verflogen. 633

326

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

die modernere BAC 1‑11 ersetzen wollte. Dieses Flugzeug wurde nicht in der RAF geflogen, es gab daher keine daran ausgebildeten militärischen Besatzungen. Es bestand die akute Gefahr, dass die Briten ihre Beteiligung an der MSAP aus Kostengründen beendeten, da diese zusätzliche Ausbildung äußerst kostenträchtig war. Das Problem schildert der damalige COS von Live Oak, Generalmajor J.D. Lunt, detailliert in seiner Vorlage für den neuen CLO, General Andrew J. Goodpaster;637 zudem bat er um einen dringenden Brief an den britischen CHOD. Er unterstrich in seiner Begründung die Bedeutung der MSAP mit dem Hinweis, dass bei der letzten größeren Gefährdung des Luftzugangs im März des Jahres gerade diese »Probe« von der Bonn Group als erste deutliche Reaktion vorgesehen und geprüft worden war. Goodpaster folgte diesem Vorschlag sofort und wies Air Marshal Sir Charles Elsworthy u.a. auf die große Bedeutung hin, die er nicht nur der Military Sponsored Air Probe beimesse, sondern auch ihrer Eigenschaft als Option der Drei Mächte in den Berliner Eventualfallplanungen. Darüber hinaus äußerte er die Hoffnung, dass die britischen Stabschefs diese Sicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen würden.638 Die Royal Air Force versprach nach einigem Hin und Her, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Besatzungen für diese Flugzeuge auszubilden.639 Die MSAP blieb daher weiterhin im Arsenal. Der zweite Aspekt war die zunehmende Bedrohung der Operationen für die Luftzugänge durch Elektronische Gegenmaßnahmen (ECM) des Gegners. Diese Problemstellung hatte schon früher eine Rolle gespielt, wie das Projekt »Bamboo Tree« spätestens seit 1961 gezeigt hatte,640 ohne direkte Auswirkungen auf Live Oak allerdings. Erst 1970 ging eine Live-Oak-Studie das Problem tiefer an.641 Anlass war vermutlich die Stabsrahmenübung »Chill Wind« im Januar 1970 gewesen. Den Hintergrund bildeten die besonderen Anforderungen für Live Oak, die es nötig machten, vor allem die in den Korridoren eingesetzten Flugzeuge zu jeder Zeit genau zu führen, um ungewollte Zwischenfälle zu vermeiden. Mit der aktuellen Ausstattung bei den Luftstreitkräften der Drei Mächte gab es keine Möglichkeit, bei Nacht oder bei Anwendung intensiver Elektronischer Gegenmaßnahmen zu fliegen. Selbst durch Jäger unterstützte »Probes« benötigten Sichtflugbedingungen im Flugniveau, um zusammenarbeiten zu können, wenn eine Kontrolle vom Boden aus nicht möglich war. Die Entwicklung von »unconventional tactics«, Tiefflug, Einsatz von Elektronischen Gegen-Gegen-Maßnahmen (ECCM) usw., steckte zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen.642 In den folgenden Jahren wurden diese Probleme und Mängel immer wieder festgestellt, aber anscheinend nicht wirklich thematisiert. Erst mit der grundsätzlichen Überprüfung aller Pläne und Fähigkeiten in den achtziger Jahren wurden Schritte eingeleitet, diese eminent wichtige Frage zu lösen. BArch, BW 71/55, Nr. 10: SHLO 200/244, 17.7.1969, LO-S-69-90. Goodpaster hatte erst Anfang Juli 1969 seine Aufgaben als CLO und SACEUR übernommen 638 BArch, BW 71/55, Nr. 11: SHLO 200/248, 18.7.1969, LO-S-69-91. Die letzten beiden Absätze auf S. 1 f. sind ein gutes Beispiel für den Umgangston damals. 639 In seinem Dankesbrief vom 4.10.1971: BArch, BW 71/50, Nr. 29; SHLO 71/789. 640 BArch, BW 71/44, Nr. 33: FS der WAG, JCS 1876, 16.10.1961, LO 5-36. Dieser Deckname galt für ein Projekt, das zum Ziel hatte, die ECM-Fähigkeiten für die Nutzung in den Korridoren deutlich zu verbessern; siehe auch BArch, BW 71/90, Nr. 18: Annex Y to Draft »OPlan 444«, 1.1.1990, S. Y-1. 641 BArch, BW 71/120, Nr. 37: SHLO 500/117, 16.7.1970, LO-TS-70-5. 642 Ebd., Para. 7.d und Para. 8 der Studie. 637



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

327

Unmittelbarer Begleitschutz durch Jäger in großen Höhen

18 NM

18 NM

Quelle: Tab B, App. 7, Annex C, CINCUSAFE OPLAN 444, »Transport Cover«, 17.12.1973, BArch, BW 71/53, Nr. 38.

© ZMSBw

07856-04

328

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Flugformation bei Überwachung aus der Distanz bei angepasster Geschwindigkeit

Transportflugzeug

4 – 5 NM

2 – 3 NM

8 – 10 NM

2 – 3 NM

FAF

(Französische Luftwaffe)

USAF

(US Luftwaffe)

RAF

(Britische Luftwaffe)

Quelle: Tab D, App. 7, Annex C, CINCUSAFE OPLAN 444, »Escort Formation«, 17.12.1973, BArch, BW 71/53, Nr. 38.

© ZMSBw

07857-03



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

329

Anfang der siebziger Jahre begann man, auch die Planungen für den Zugang durch die Luft angesichts der jüngsten Entwicklungen zwischen West und Ost der Jahre 1970‑1972 grundsätzlich zu überprüfen. Es hatte wohl verschiedene Anstöße zu diesem Vorhaben gegeben, etwa eine Studie der Bonn Group zum zivilen Luftverkehr vom Februar 1972.643 Das Inkrafttreten des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin am 3. Juni 1972 dürfte ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. So erstellte man eine Studie mit dem Titel »Air Access to Berlin. A Live Oak Review« (März 1972).644 Zwei Fragen wurden darin behandelt: Welche Änderungen zu der gegenwärtigen Praxis sollten überlegt werden? Und wie konnten die alliierten Interessen nach Abschluss des Vier-Mächte-Abkommens am besten geschützt und bewahrt werden? Die Ergebnisse waren wenig überraschend: Das Beste wäre, wenn alles so bliebe, wie es jetzt sei. Dieses Urteil wirkte beruhigend auf die Live-Oak-Community. Der einzige Änderungsvorschlag betraf die Umwandlung des Berlin Air Route Traffic Control Centre von einer amerikanischen in eine gemeinsame Dienststelle der Drei Mächte, was dann auch verwirklicht wurde.645 Mitte der siebziger Jahre wurde der neue »Basic Plan USAFE OPLAN 444: Live Oak Air Operations« erstellt,646 der nach Zustimmung der Nationen am 1. Januar 1977 in Kraft trat und Teil der neuen, umfassenden »Live Oak Instruction 1/76 Berlin Access«647 wurde. Die Bundesrepublik Deutschland war nun fest in die Organisation eingebunden, vor allem durch die Luftwaffe, die insbesondere bei der Überwachung und Kontrolle des Luftraumes, Leitung der Jäger in den Korridoren durch die CRC Visselhövede, Wasserkuppe und Auenhausen mitwirkte, Fernmeldeverbindungen, personelle und logistische Hilfe stellte und für einige Operationen den Flugplatz Faßberg mitbenutzen ließ. Außerdem wurde das Bundesamt für Flugsicherung (BfS, Federal Administration for Air Navigation Service) einbezogen, dessen Dienste ebenfalls Voraussetzung für die Erfüllung vieler Aufträge waren. Die konkreten Einsatzpläne (»Execution«) wurden um eine neue Kategorie erweitert. Die Operationspläne umfassten nunmehr die Civil Aircraft Operations (CAO), die Military Air Transport Probe (MATP), die Military Sponsored Air Probe (MSAP), den Garrison Airlift (GAL), den Civil Airlift (CAL) und die Non-Combatants Evacuation Operation (NEO).648

BArch, BW  71/94, Nr.  13: »Bonn Group Study on Berlin Air Services«, SHLOIN 72/447/C, 25.2.1972. Da der Inhalt des BQA seit 3.9.1971 feststand, war das zeitlich möglich. 644 BArch, BW 71/94, Nr. 9: »Air Access to Berlin. A Live Oak Review«, SHLO 72/0300/S, 27.3.1972. Die Drei Mächte waren darauf bedacht gewesen, dass der Luftverkehr im BQA gerade nicht geregelt wurde. Sie wollten sicher sein, dass dort nichts geändert worden war. Das sollte diese Studie u.a. bestätigen. 645 Ebd., Para. 6.e, S. 10. 646 BArch, BW 71/53, Nr. 38: SHLOIN 76/2979/S, 1.12.1976. 647 BArch, BW 71/8, Nr. 10: SHLO 76/0822/S/SEC, 28.9.1976, Annex L. Dieses Dokument war der erstmalige Versuch einer Zusammenfassung aller Live-Oak-Operationspläne. Im ersten, grundlegenden Teil enthielt es eine Übersicht über alle Operationen in Form eines Operationsbefehls, die Pläne selbst bildeten die Anlagen. Es ersetzte den bis dahin gültigen C ­ INCUSAFE-Operationsplan 444 vom 30.8.1971, der nicht in BW 71 überliefert ist. 648 BArch, BW 71/53, Nr. 38: Para. 3.a, S. 4 des OPlans. 643

330

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Operationen zur Sicherung des Luftzugangs, Warteräume mit Navigationsanlagen vor den Korridoren (zur Zusammenführung von Jagd- und Transportflugzeugen), Stand 1973 Flensburg

Rödby

DÄNEMARK OSTSEE

Husum Kiel

Stralsund Rostock

Neumünster Wismar

Lübeck

Schwerin

Stade

Abmessungen Luftkorridore: 10 000 Fuß Höhe 20 Meilen Breite

005R

10 – 30 NM

Hamburg

Lüneburg

Uelzen

FASSBERG TACAN

NO

RD

RR

IDO

R

5R

10

West-Berlin OSTBERLIN

0

–3

Stendal

NM

MITTELKORRIDOR

Hannover

Hildesheim

POLEN

KO

30

Celle

Szczecin

Neustrelitz

Brandenburg

Frankfurt/Oder

Potsdam

HEHLINGEN VORTAC

BERLIN CONTROL ZONE

Magdeburg

BUNDESRE PUBLI K DEUTSCHLAND

Cottbus

D E U T S C H E D E M O K R AT I S C H E REPUBLIK

Göttingen

Halle

D

Fritzlar



Dresden Erfurt

NM

Karl-Marx-Stadt

015

10 – 30

Leipzig

R

DO

RI

R KO

FULDA VORTAC Hof

Karlsbad (Karlovy Vary)

Eger (Cheb) Bamberg

Bayreuth

0

20

40

60

ČSSR

Quelle: Tab A, App. 7, Annex C, CINCUSAFE OPLAN 444, 17.12.1973, BArch, BW 71/53, Nr. 38, »Orbit Points«.

80

100 km

PRAG (PRAHA)

© ZMSBw

07855-05



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

331

Die weitaus offensiveren und umfänglicheren Vorkehrungen für die taktischen Luftoperationen waren neu strukturiert und umbenannt worden. Sie firmierten nun unter der Bezeichung Air Support for Air Access Operations (AAO) und umfassten alle probaten Einsätze von Jägern und Jagdbombern in den Korridoren und in der Berliner Kontrollzone zur Unterstützung von Transportflugzeugen und zur Beseitigung von Hindernissen im Luftraum, einschließlich der Bekämpfung der Flugabwehr in den und nahe der Korridore. Entsprechend wurde die Air Support for Ground Access Operations (AGO) neu eingeführt, die den Einsatz von Flugzeugen in der unmittelbaren Luftunterstützung (Close Air Support, CAS) beinhalteten, um Verbänden der Landstreitkräfte der Drei Mächte zu helfen, sich im Gefecht um die Zugangswege zu Lande den Rückweg freizukämpfen.649 Durchgängig wurde gefordert, dass alle Einsätze möglichst gleichmäßig von Kräften aller Drei Nationen getragen und unter der Führung des JPCP ausgeführt werden sollten. Garrison Airlift und Non-Combattants Evacuation Operations blieben jedoch unter nationaler Verantwortung. Schließlich wurde eine neue Einsatzkategorie für Jäger und Aufklärer, »Air Options«,650 geschaffen, die auf die bereits bekannten Einsatzszenarien aufbauten. Die Optionen zeigten eine große Bandbreite an Möglichkeiten und waren in logischen Gruppen zusammengefasst. Das bedeutete aber nicht, dass sie zwangsläufig einander folgen oder eskalierend eingesetzt werden mussten. Der Commander Live Oak konnte sie einzeln oder in Kombination befehlen. Sie sollten dann durch CINCUSAFE über seinen Gefechtsstand JPCP ausgeführt werden. Es gab sechs verschiedene Optionen: – Air Option 1, »Reconnaissance«: Fotografie- und Augenaufklärung der Autobahn aus der Luft im mittleren Korridor. Flugzeuge vom Typ »Pembroke« sollten entweder im westdeutschen Luftraum oder im Mittleren Korridor eingesetzt werden. Dort wurden normale Flugsicherungsverfahren (Air Traffic Control, ATC) genutzt. – Air Option  2, »Airborne Show of Force«, bestehend aus zwei Varianten: Kreisen (»Orbit«) im Luftraum der Bundesrepublik und Überwachungsflüge (»Patrol«) entlang der Innerdeutschen Grenze (IdG) im westdeutschen Luftraum. – Air Option  3, »Air Support«: Kreisen (»Orbit«) oder Überwachen (»Patrol«) von Kampfflugzeugen der Drei Mächte außerhalb der Korridore aber mit der vorherigen Genehmigung, in sie einzudringen, um dort in Übereinstimmung mit den Einsatzregeln unmittelbare Hilfe für Transportflugzeuge zu geben. – Air Option 4, »Air Support«: Hier gab es ebenfalls zwei Varianten. Die Jäger flogen entweder Schutz aus überhöhter Position (»High Cover«) für die Transportflugzeuge während des Fluges durch die Korridore (auch unmittelbar vor diesen fliegend) oder Jagdschutz (»Close Escort«) unter Beachtung der Einsatzregeln. Beides konnte auch zugleich angeordnet werden. – Air Option 5, »Ground Suppression«, bestand im Bekämpfen der gegnerischen Flugabwehr, egal ob Rohrwaffen oder Raketen, im Einklang mit den Einsatzregeln.

Ebd., Annex C to CINCUSAFE OPlan 444, insbesondere Appendix 8 to Annex C, Air Support for Ground Access Operations, S. C-8-1 bis C-8-5. 650 Ebd., Annex C des OPlans, »Operations«, Para. 2.b, S. C-2 und S. C-3. 649

332

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

– Air Option 6, »Ground Support«: Unmittelbare Aufrechterhaltung der Lufthoheit (»Air Cover«) für Operationen der Landstreitkräfte zur Öffnung des Zugangs zu Lande, im Einklang mit den Einsatzregeln. Foto- oder Augenaufklärung der Autobahn würde durch taktische Aufklärungsflugzeuge geleistet. Ferner sollten fliegende UKW-Relaisstationen (Radio Relay Aircraft, RRA) zum Einsatz kommen.651 Worin unterschieden sich nun die »Air Options« von den Operationsplänen? Die Operationspläne wurden für einen besonderen Fall vorbereitet: Ziele, Aufgaben und Grenzen waren genau festgelegt und im Prinzip genehmigt. Im Gegensatz zu diesen fertigen Einsatz-Drehbüchern waren die »Air Options« flexibler nutzbar, sie konnten etwa auch als Einzelmaßnahme zusätzlich zu einem Operationsplan oder parallel genutzt werden. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Die Sowjetunion hat Teile von Luftkorridoren zeitweise gesperrt, ohne den alliierten Verkehr direkt zu behindern. Dann konnte die Luftoption 2 eine Möglichkeit sein, der anderen Seite zu zeigen, dass man beunruhigt sei. Oder: Der Landzugang war administrativ und unter dem Vorwand von Bauarbeiten behindert worden. In diesem Falle konnte die Option  1, Luftaufklärung entlang der Autobahn nach Berlin, den Verdacht der Täuschung erhärten oder vielleicht auch als unbegründet erweisen. Hier wie dort stand das Streben nach maximaler Reaktionsfähigkeit mit einer möglichst großen Anzahl von Alternativen für das Krisenmanagement im Vordergrund. Der USAFE OPLAN 444 von 1976 blieb, trotz fünfmaliger Änderungen und Ergänzungen, bis 1987 gültig. Am 1. April dieses Jahres trat der neue Operationsplan mit derselben Bezeichnung in Kraft.652 Im Rahmen der von CLO General Rogers angestoßenen allgemeinen Überprüfung aller Pläne und Optionen von Live Oak wurden auch die Maßnahmen für die Luftzugänge beleuchtet. In der Grundlagenkompilation »Inventory of Live Oak Plans and Activities« wurde bezüglich der Zugänge durch die Luft festgestellt, dass die gültigen Pläne nur noch begrenzte Möglichkeiten böten, weil sie gegen eine deutlich verbesserte Luftabwehr der Gegenseite geflogen werden müssten. Sie seien nicht flexibel genug, es mangele an modernen Aufklärungsflugzeugen, und die überaus vorsichtigen und restriktiv angelegten Einsatzregeln schränkten die Nutzung der Luftstreitkräfte zu sehr ein.653 In diesem Lichte präsentierten sich die Air-Options O4 und O5 nunmehr als wenig glaubwürdig und wurden fortan als nur theoretische Möglichkeiten zur formellen Aufrechterhaltung eines großen Instrumentariums beibehalten.654 Mitte der achtziger Jahre wurden diese Vorschläge und Abwandlungen in etlichen Besprechungen, Konferenzen und Papieren behandelt. Vieles wurde in den Übungen der »Steadfast«-Serie, den jährlichen Live-Oak-Stabs- und -Rahmenübungen, und der Übungen für die Luftstreitkräfte der Serie »Bold Gauntlet« erprobt und diskutiert.655 Ebd., Para. 2.b, S. C-3 zu allen Optionen. BArch, BW 71/77, Nr. 26: SHLOIN I 87/1828/S. Er galt als Übergang, da die laufenden Verhandlungen der großen Überprüfung aller Pläne nach Abschluss eine vollständige Neufassung erwarten ließen. Er wurde wieder in die gültige Live Oak Operations Instruction integriert: BArch, BW 71/11, Nr. 11: SHLO O 81/21505/OPS/S, 5.1.1981, Annex L. 653 BArch, BW 71/130, Nr. 1: »Inventory of Live Oak Plans and Activities«, 27.9.1984, SHLOIN O 84/1228/S, Para. 10.b(2). 654 Ebd., Para. 10.b(3). 655 BArch, BW 71/88, Nr. 8: Msg JPCP, 6.10.1989, SHLOIN I 89/1717/S. Hierin heißt es z.B., dass bei den gültigen ROE die Frage, was eine »firing position« darstelle, Probleme aufwerfe. Die tech651 652



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

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Die Pläne und Optionen wurden dann nochmals gebündelt, dieses Mal in insgesamt vier eskalatorisch ansteigenden »Packages« zusammengefasst und überprüft, die Ergebnisse dann der WAG zur Genehmigung vorgelegt. Im Paket 1 wurden für den Luftzugang eine Reihe neuer Maßnahmen zur Nutzung im frühen Stadium einer Krise eingeführt:656 verstärkter Verkehr mit täglich fliegenden militärischen Transportflugzeugen, vermehrte Flüge der Drei Mächte innerhalb der BCZ, koordinierte militärische Transportflüge, verstärkte Luftaufklärung entlang der Innerdeutschen Grenze, Einsatz von elektronischen Aufklärungsflugzeugen (AEW Aircraft) von der Bundesrepublik aus, Stationierung von Transportflugzeugen auf vorgeschobenen Basen, überraschender Beginn von Übungen der Luftstreitkräfte der »Bold Gauntlet«-Serie, Luftaufklärung in den Luftkorridoren und »Interception of Soviet civil aircraft in Tripartite national airspace«.657 Diese Vorschläge hatten das Ziel, die Flexibilität und die Optionsbreite in einer Krise zu verbessern, die gerade erst begonnen und noch keine heiße Phase erreicht hatte. Alle diese Maßnahmen hatten den Beifall der politischen Ebene gefunden und waren genehmigt worden.658 Das Paket 2 umfasste Maßnahmen, die auf einer höheren Stufe einer Krise um Berlin eingesetzt werden konnten, vor allem den Einsatz von »Probes« im Luftraum und Pläne für den notwendigen Lufttransport in einer solchen Krise, weswegen auch QBAL wieder stärker in den Blick trat. In diesem Zusammenhang kamen sechs Pläne ins Spiel. Die gesammelten Vorschläge für den Luftzugang innerhalb dieses Paketes wurden in einem Brief des Chief Air Planners Live Oak an den Director of Operational Plans bei USAFE dargestellt.659 Jeder der sechs Pläne ist im Hauptteil kurz beschrieben, für jeden ist eine detailliertere Darstellung angefügt. Das bedeutendste Element blieben die »Probes«. Live Oak hielt, nach Abstimmung mit den nationalen Befehlshabern, die Operationspläne für die beiden »Probes«, MATP und MSAP, weiterhin für »sound and effective«.660 Sie sollten allerdings eigene Einsatzregeln bekommen und durch zusätzliche Mittel des Airborne Early Warning (AEW) unterstützt werden. Die MATP sollte die zusätzlich Option bekommen, von einem front-/grenznahen Flugplatz (FOB) in der Bundesrepublik fliegen zu dürfen, was besonders für die Franzosen wichtig war, die dort keine Flugbasen mehr unterhielten. Für militärische Transporter wurden vier neue Rules of Conduct vorge­schlagen:661 Transportflugzeuge hatten erstens alles zu unternehmen, um ihren Zielflughafen zu erreichen. Zweitens: Wenn sie abgefangen wurden, durften sie Drohungen über Funk, nische Entwicklung sei schneller als die Verfahren zur Änderung der Definition. BArch, BW  71/70, Nr.  16: SHLO O 85/802/S, 10.7.1985; die Anlagen tragen das Datum 28.6.1985 (Package 1). 657 Ebd., Annex C, Appendix 9, SHLO O 85/802/OPS, 28.6.1985. 658 Die Zustimmung ist am 16.3.1987 mit Msg SecState 077426 erteilt worden. BArch, BW 71/75, Nr. 23: SHLO O 87/667/S. Sie ist auch in BArch, BW 71/75, Nr. 2, einem Situation Report, an den COS Live Oak, erwähnt, SHLO O 87/376/S, 25.3.1987. 659 BArch, BW 71/71, Nr. 34: SHLO O 86/1017/S, 19.9.1986 (Package 2). Der Brief ist überschrieben: »Live Oak Q-BAL INTERFACE«. Der Schreiber bedankt sich dafür, dass er am 30.7. über den »CAL Plan« vor dem Berlin Airlift Committee (BEALCOM) vortragen konnte, das für QBAL federführend war. 660 Ebd., Anlage B, Para. 8, S. B-2. 661 Ebd., Para. 9, S. B1-2. 656

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

internationale Zeichen für »Follow me« oder »Landing« oder Behinderung durch sowjetische Jäger nicht zur Kenntnis nehmen. Das BARTCC und die Leitstellen GCI/AEW waren drittens über die Umstände zu unterrichten. Das Flugzeug war innerhalb der Grenzen des Korridors so zu steuern, dass Sicherheitsabstände eingehalten wurden. Und viertens: Wenn die genannten internationalen Zeichen durch Warnschüsse unterstrichen wurden, sollte die Besatzung gehorchen, wenn sie nicht einen anderen Befehl erhalten hatte. Der Civil Airlift Plan (CAL) wurde ebenfalls weiterhin als zweckmäßig angesehen. Eine begrenzte, schnell einsatzbereite militärische Transportkapazität für Passagiere müsse für den Fall bereitgehalten werden, dass die zivilen Fluggesellschaften ihren Dienst wegen Behinderungen und Drohungen der sowjetischen Seite oder der DDR einstellten. Mit dieser Option konnten aber keine großen Transportleistungen über einen längeren Zeitabschnitt erbracht werden. Dafür musste eine besondere, umfangreichere Operation vorbereitet sein, die diese Aufgabe übernehmen konnte, wie beispielsweise QBAL. Voraussetzung war allerdings eine »permissive air situation«. Schließlich wurde gefordert, dass die Personenkreise, die hiermit bedient werden sollten, gemeinsam von den Vier Mächten definiert werden müssten, um den Platz richtig auszunutzen. Die für QBAL vorgesehenen Einrichtungen waren grundsätzlich für CAL ungeeignet oder sie standen möglicherweise gar nicht zur Verfügung.662 Der Plan, mit dem CINCUSAFE den zivilen Luftverkehr in einer Krise steuerte und mit dem militärischen koordinierte, Civil Aircraft Operations (CAO), hatte wegen des gestiegenen Verkehrsaufkommens sogar an Bedeutung gewonnen. Besonders wichtig war die Erkenntnis, dass die technische Entwicklung laufend Änderungen erzwang. Hier musste ständige Wachsamkeit herrschen. Die Neuerungen konnten in den Plänen nur dann Eingang finden, wenn Live Oak immer auf dem neuesten Stand blieb. Grundsätzlich sollten die Verfahren im zivilen und im militärischen Bereich soweit vereinheitlicht werden, dass ein Wechsel in der Verantwortung rasch und ohne Bruch möglich sei.663 Die letzten beiden Operationen dieser Ebene, der Lufttransport für die Garnisonen (GAL) und die Evakuierung von Nichtkombattanten (NEO), sollten aus dem Live-OakInventar herausgenommen werden, weil sie als nationale Operationen galten und auch unmittelbar nichts mit der Sicherung des Zugangs durch die Luft zu tun hätten. Im Fall des Garrison Airlift fand dies auch seine Entsprechung mit den Prinzipien innerhalb der NATO. Militärischer Lufttransport war und blieb dort nationale Obliegenheit. Live Oak forderte indes, dass die USAFE in ihrem Operationsplan 444 festlegte, dass ­CINCUSAFE die nationalen Flugbewegungen in den Korridoren und in der BCZ koordinieren durfte, wenn dadurch Live-Oak-Operationen berührt wurden.664 Zusammengenommen gab es in diesem Paket kaum wirkliche Neuerungen für den Luftzugang, auch wenn einige Verbesserungen eingeführt wurden. Von erheblichem Gewicht wäre es gewesen, wenn QBAL tatsächlich in den Korpus aufgenommen worden wäre, wie

Ebd., Para. 6, S. B3-2, Zit. ebd. Ebd., Para. 7, S. B4-1. 664 Ebd., Para. 8, S. B5-2. 662 663



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von Live Oak durchaus gewünscht.665 Dies fand dann doch nicht die Unterstützung der Bonn Group.666 Die WAG genehmigte dieses Paket gleichzeitig mit Paket  1 am 16. März 1987.667 Dabei war wichtig, dass Live Oak in ständiger Verbindung mit der Bonn Group stand, in welcher die Diplomaten der Vier Mächte in enger Abstimmung mit ihren Regierungen die politischen Erwägungen und Entscheidungen einbrachten.668 Dies betraf insbesondere die operativen Überlegungen und deren Umsetzung in konkrete Pläne. Im Paket 3 der Überprüfung wurden die Luftoptionen »Luftaufklärung« (AO1), »Luftunterstützung für die Landstreitkräfte« (AO6) und »Unterdrückung der Flugabwehr« (AO5) behandelt.669 Da die Optionen AO1 und AO6 die Operationen der Landstreitkräfte unterstützen sollten, hing alles zunächst von der grundsätzlichen Entscheidung der WAG ab, ob diese beibehalten wurden oder nicht. Wenn, wie vorgeschlagen, der Plan für das BCT von Berlin aus gestrichen wurde, musste das in den beiden Luftoptionen ebenfalls berücksichtigt werden. Das Konzept der Luftaufklärung in AO1 wurde weiterhin als gültig betrachtet, die dafür verfügbaren Mittel aber nicht mehr als geeignet angesehen. Live Oak musste auch die Möglichkeit erhalten, mit den neuen Aufklärungssystemen bei Nacht und schlechtem Wetter weit in die Korridore hineinzusehen, wenn Flugzeugen der Zugang verweigert wurde. Das alles verlangte die Ausstattung der Transportflugzeuge mit Allwetterflugfähigkeit, Aufklärungsflugzeuge, die aus großer Höhe beobachten konnten, Satelliten und Aufklärungsdrohnen.670 Dies war bei Nachunterstützung für Kräfte zu Lande nicht in dem Maße nötig. Die Operationen der Landstreitkräfte, Tripartite Battle Group, Berlin Combat Team und, falls genehmigt, die Tripartite Task Force, sollten durch die Luftstreitkräfte mit Jagdbombern nur dann unterstützt werden,671 wenn sie bei der Lösung vom Feind und für den Rückzug aus der DDR entlang der Autobahn Hilfe brauchten. Hierbei hatte man mit einigen schwerwiegenden Einschränkungen zu rechnen.672 Infolgedessen konnten die Verlustraten hoch werden, wenn es zu diesem Einsatz kam. Dennoch musste diese Option beibehalten werden. Der Einsatz von Hubschraubern für die unmittelbare BArch, BW 71/130, Nr. 1: L.O. Inventory, 27.9.1984, Para. 25, S. 11. BArch, BW 71/71, Nr. 34: SHLO O 86/1017, 19.9.1986. Der Verfasser schreibt in Abs. 3 unter Verweis auf die beiliegende Antwort aus Bonn, die leider nicht erhalten ist: »You will note that they consider that more formal coordination is needed with Q-BAL but they are not prepared to hold up the paper in the meantime. I see this coordination taking place when we come to rewrite the detailed plans sometime in the future but in the meantime I would be grateful if Live Oak could officially have a copy of the CINC USAFE Q-BAL Plan dated 13 Oct 84 and be placed on the distribution list so that we can have a common point of reference.« 667 BArch, BW 71/75, Nr. 22: Msg SecState 077425, SHLO O 87/666/S, 18.3.1987. 668 Das geht aus den überlieferten Dokumenten deutlich hervor; siehe z.B. BArch, BW 71/75, Nr. 2: SHLO O 87/376, 25.3.1987, Para. 1‑3, S. 1. 669 Die Vorschläge sind, in einem frühen Stadium der Bearbeitung, in einem Brief des COS an den Oberbefehlshaber der französischen Luftwaffe in Paris vom 15.11.1985 enthalten, BArch, BW 71/70, Nr. 32: SHLO O 85/1320/S, in der Anlage zu SHLO O 85/1321/OPS. 670 BArch, BW 71/70, Nr. 31: Annex A to SHLO O 85/1321/AIR, 15.11.1985 (Package 3), S. A-2 bis A-4. 671 AO6, siehe 3ebd., Annex B to SHLO O 85/1321/Air, 15.11.1985. 672 Diese werden in der Anlage B (ebd.) zu diesem Papier genauer untersucht. So sei es kaum möglich, die notwendige Luftüberlegenheit angesichts der zu erwartenden wirkungsvollen Luftverteidigung zu gewinnen. Siehe v.a. Para. 6‑7, S. B-3. 665 666

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Unterstützung und den Such- und Rettungseinsatz musste unbedingt neu untersucht werden, nachdem diese Technologie so große Fortschritte gemacht hatte und vielfältige neue Möglichkeiten bot. Insgesamt blieben die wesentlichen politisch-militärischen Überlegungen für den Einsatz größerer Verbände im Rahmen von Live Oak bestehen: In einer aktuellen Krise konnte die Alarmierung und die Versammlung der Kampfgruppe gleichzeitig mit der Zusammenführung der zugehörigen Luftunterstützung in Faßberg ein klares Signal der alliierten Entschlossenheit sein, an ihren Zugangsrechten nach Berlin festzuhalten.673 Das konnte die Gegenseite dazu bewegen zurückzuweichen. Damit würde auch deutlich gemacht, dass die Alliierten bereit waren, Gewalt einzusetzen, um die Kampfgruppe am Boden freizukämpfen, sollte sie im Vollzug des Zugangsrechts angegriffen werden. Auch die Luftoption AO5, »Unterdrückung der gegnerischen Flugabwehr mit Rohrund Raketenwaffen«, wurde untersucht.674 Dabei wurden zahlreiche Schwächen und Beschränkungen erkannt. Der Zeitpunkt des eigenen Angriffs war kritisch. Es war entscheidend, dass die Gegenseite den Angriff auf ihre Stellung als Vergeltung erkennen konnte. Daher musste die Antwort rasch und wirksam sein und so schnell wie möglich nach dem Beschuss einsetzen. Der CLO aber war verpflichtet, zuvor die Zustimmung der WAG zu suchen.675 Ein unmittelbarer Vergeltungsschlag war daher nach wie vor nicht möglich. Das Gleiche galt im Grunde auch weiterhin für die Zielauswahl: Die gültigen Einsatzregeln erlaubten einen Angriff nur gegen Stellungen, die vom Piloten eindeutig als diejenigen, die ihn beschossen hatten, identifiziert worden waren oder gegen eine vorher bestimmte Stellung im Korridor oder nahe dessen Grenze. Durch die hohe Zahl mobiler Einheiten der Gegenseite sei es jedoch zweifelhaft, dass der Pilot die feuernde Stellung ausmachen könne und diese noch in der Stellung verblieben sei. Daher sei nur ein im Detail vorgeplanter Vergeltungsangriff auf eine vorher bestimmte Stellung sinnvoll. Die Lage bezüglich der militärischen Kräfte blieb kompliziert und schwierig. In drei Bereichen waren Verbesserungen notwendig: bei der operativen Verfügbarkeit entsprechender Maschinen, wenn feste Operationspläne und Luftoptionen gekoppelt wurden, bei den Flugzeugtypen generell und beim Einsatz von luftgestützter elektronischer Frühwarnung. Die notwendigen Fliegerkräfte würden von den entsprechenden Nationen erst dann bereitgestellt, wenn die Option AO6 anstand, nicht aber für die anderen Operationen, obwohl derlei rasch notwendig werden konnte, etwa wenn eine MATP vom Boden aus beschossen wurde. Wenn sie bereits in einer laufenden AO6-Option gebunden waren, kam ein Einsatz anderswo nicht in Frage. Es musste der relativ unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die Jäger bzw. Jagdbomber für AO6 bereitgestellt wurden, diese dann aber nicht realisiert wurde und sie dann für einen anderen Zweck für Live Oak zum Einsatz kamen (wenn die Nationen sie nicht wieder sofort abzogen). Das Ganze war nicht besonders flexibel. Die technisch-taktischen Anforderungen für die Kampfmaschinen bildeten ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Problemkreis. Die Flugzeuge mussten in der Lage sein, Ebd., Para. 9.b, S. B-4. BArch, BW  71/70, Nr.  31: Encl.  2, »Air Package  3«, Para.  5, und SHLO O 85/1321/AIR, 15.11.1985, Annex C. 675 Ebd., Para. 2‑3, S. C-1 und S. C-2 (hier das Zit.). 673 674



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mit voller Waffenladung, in geringer Höhe und mit hoher Geschwindigkeit zu fliegen. Die dafür vorgesehenen Flugzeugtypen, Mirage (FR), Harrier (UK) und F4 (US), erfüllten diese Anforderungen von sich aus alleine nicht, auch nicht die A10 Thunderbolt, die gerade von den Amerikanern eingeführt wurde. Daher wurde ein »Mix« aus Mirage, Harrier und v.a. F4G »Wild Weasel« als notwendig erachtet, weil dadurch die eigene Aufklärung, der elektronische Selbstschutz und der Waffeneinsatz im Flug wesentlich verbessert werden konnten. Generell war eine spezielle, gemeinsame Ausbildung die unverzichtbare Voraussetzung, um tatsächlich die gegnerischen Stellungen erfolgreich zu bekämpfen. In diesen Operationen wurde die Überwachung durch elektronische Frühwarnflugzeuge nicht nur für die »Probes« als entscheidend angesehen. Sie konnten vor nahenden feindlichen Jägern warnen, vor allem aber könnten moderne Flugzeuge dieser Art (hier war vor allem an AWACS zu denken) die taktische Führung der ganzen Operation übernehmen.676 Schließlich wurde die gegnerische Kampfkraft untersucht. Nach Meinung von Live Oak war die feindliche Luftverteidigung der wichtigste Faktor für die Option AO5. Ursprünglich, in den frühen Zeiten von Live Oak, hatte die Luftverteidigung dort im Allgemeinen nur geringe Fähigkeiten v.a. in den niedrigen Höhen gehabt. Jetzt aber verfügten die DDR und die sowjetischen Kräfte zusammen über 49 moderne, mobile Flugabwehrraketenverbände mit verbesserten Fähigkeiten (SA2 bis SA6 sowie SA8), die Ziele innerhalb eines oder mehrerer Korridore bekämpfen konnten. Zusätzlich standen 600 moderne, allwetterfähige Abfangjäger allein bei Letzteren bereit, von denen ein ständig zunehmender Teil auch über Fähigkeiten von »all aspect and look down shoot down« verfügte.677 Es war weiter davon auszugehen, dass diese Kräfte sich in einem hohen Alarmzustand befinden würden, da die Option AO5 ja als Reaktion einem Beschuss durch gegnerische Flugabwehr folgen sollte. So musste ggf. damit gerechnet werden, dass das Ziel vielleicht gar nicht gefunden worden war, die Kampfflugzeuge der Drei Mächte sich ihren Weg zum Ziel und zurück freikämpfen mussten und daher ihre angehängte Waffenladung loswerden mussten, um sich selbst zu verteidigen. Schnell konnte die Gegenseite diesen Auftrag »as escalatory« betrachten, und bei nuklearem Gleichstand konnte sie sich auch stark genug fühlen, die Eindringlinge in einer Luftschlacht bis zu deren Ausgangsbasis Faßberg zurückzuwerfen, also kurz hinter die Ostgrenze der Bundesrepublik. So war das Urteil eindeutig. Ein Auftrag für AO5 würde mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, auf jeden Fall von inakzeptablen Verlusten betroffen sein. Während alle anderen Optionen, die von Jägern oder Jagdbombern geflogen wurden, unmittelbar dem Ziel dienten, die alliierten Zugangsrechte auf anerkannten Wegen von und nach Berlin zu sichern, zielte Option AO5 hierauf gerade nicht. Diese Operation dennoch durchzuführen, konnte die alliierte Position schwächen und gefährden. Daher Ebd., Para. 3.c(2) und (3), S. C-3. Damit war gemeint, dass die Jäger des Warschauer Paktes, anders als in früheren Tagen, in der Lage waren, den niederen Luftraum und das Gefechtsfeld auf dem Boden aus größeren Höhen elektronisch weiträumig zu erfassen und ggf. schnell zuzuschlagen. Das bewirkte u.a., dass ansonsten kampfkräftige Maschinen der Unterstützung aus der Luft, wie die amerikanische Thunderbolt A-10, zu überaus gefährdeten Zielen und damit obsolet wurden. Dasselbe galt wohl auch generell für die in den Korridoren operierenden Kräfte. Siehe hier und im Folgenden (auch das Zitat): BArch, BW 71/70, Nr. 31: Para. 3.d(1), S. C-4.

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wurde empfohlen, der WAG die Streichung der Option AO5 vorzuschlagen.678 In den folgenden Monaten und Jahren wurde der Abstimmungsprozess mit vielen Diskussionen, auch mit der Bonn Group fortgeführt, im Text manche Nuance verändert.679 Die hier vorgestellten Empfehlungen aber wurden übernommen und schließlich alle von der WAG im Dezember 1987 genehmigt.680 Im Paket 4, dem historisch gesehen letzten größeren Komplex, der aus dieser grundlegenden Überprüfung von Live Oak hervorging, wurden die schwerwiegendsten Operationen behandelt.681 Für den Zugang durch die Luft waren dies die Optionen »Demonstration der Macht« (AO2), »Luftunterstützung« (AO3 und AO4) sowie eine Reihe von Gegenmaßnahmen, die neu in das Arsenal eingeführt werden sollten, sogenannte Air Champagne Measures (ACM).682 Dabei zeigte sich zunächst, dass sich die Rahmenbedingungen seit der Entstehung der Luftoptionen zum Nachteil der Drei Mächte gewandelt hatten. Im Hinblick auf den konventionellen und vor allem auch nuklearen Kräftevergleich war es offensichtlich, dass die NATO in vielen Bereichen nicht mehr überlegen war. Die Gegenseite war zumindest kräftemäßig resistenter gegen Druck geworden. Überdies hatte die Sowjetunion technologisch gegenüber dem Westen erheblich aufgeholt, sodass Live Oak die Konzepte der Operationsführung, die eingesetzten Mittel und Waffen und die Einsatzregeln überprüfen und neue Alternativen entwickeln musste.683 Für die Optionen AO2 bis AO4684 hatte das Konsequenzen. Die bisherige Option AO2, »Demonstration der Macht«, wurde als schwach und unwirksam beurteilt,685 denn nach dem Konzept sollten bis zu 48 unbewaffnete Jäger im Luftraum der Bundesrepublik, den Ausgängen der Luftkorridore ostentativ nahe oder entlang der Innerdeutschen Grenze kreisen oder patrouillieren. Es wurde daher vorgeschlagen, diese Option fallenzulassen und stattdessen ein neues Konzept zu genehmigen. Dieses sah den Einsatz von Jagdflugzeugen der Drei Mächte mit Standardbewaffnung vor sowie die permanente Einbeziehung und Nutzung der Öffentlichkeit bereits in allen drei Phasen der Vorbereitung: In der ersten Phase sollten Jäger, Tankflugzeuge, Airborne-Early-Warning- und Transportflugzeuge auf ihrem Heimatflugplatz durch die »Live Oak Warning Order« alarmiert werden, ggf. sollte darüber bereits in den Medien berichtet werden (»full media coverage«). In der zweiten Phase sollten mit der »Live Oak Execution Order« die genannten Flugzeuge auf die befohlenen Einsatzflugplätze verlegt werden. Für Jäger und Ebd., Para. 6, S. C-5. BArch, BW 71/76, Nr. 34: Einen guten Eindruck von diesem Prozess vermittelt der Brief des britischen Vertreters in der Gruppe, S.A. Speller, vom 13.3.1987: SHLOIN I 87/1067/S. 680 BArch, BW 71/77, Nr. 39: SecState 379997, 8.12.1987, SHLOIN I 87/3685/R. 681 Zu dieser Zeit konnten die sich andeutenden Veränderungen im Warschauer Pakt, auch strategischer Art, noch keine Folgen in der Planung von Live Oak zeigen; die »Capabilities« waren im Wesentlichen noch unverändert (vgl. z.B. die verschiedenen Ausgaben der »Military Balance« des IISS, London, sowie der »Force Comparison Studies« der NATO Mitte der 1980er Jahre). 682 BArch, BW  71/72, Nr.  47: Enclosure 1 zu SHLO O 86/2158, 3.11.1986, Annex  E, Draft zu SHLO O 86/2134/AIR, 29.10.1986 (Package 4). 683 BArch, BW 71/72, Nr. 47: Annex A, Para. 4, S. A-1-2. Inwieweit die Planer die sich abzeichnende Erosion des Ostblocks, insbesondere auch die seit 1983 immer stärker um sich greifende Ausrichtung auf defensive Kriegführung in den östlichen Planungen, bemerkten (z.B. Lautsch, Die NVAOperationsplanung), muss einstweilen offenbleiben. 684 Die übrigen Optionen wurden im Paket 3 bereits behandelt, unter Anlegung eben dieser Kriterien. 685 BArch, BW 71/72, Nr. 47: Para. 5, S. A-1-2/3. 678 679



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Transporter war dies jetzt RAF Gütersloh. Auch hier sollten die Medien einge­schaltet werden, wenn dies sinnvoll erschien. Die dritte Phase sollte aus mindestens einem ganzen Tag gemeinsamer Ausbildung für die Besatzungen bestehen. Dies wurde als unerlässlich betrachtet, wollte man die ungewöhnliche Natur der Live-Oak-Einsätze ver­stehen lernen, die ungewohnten Verfahren und Einsatzregeln internalisieren und zu einem echten »Dreimächtegeschwader« verschmelzen.686 Die entsprechenden Erfahrungen hattte man aus der Übung »Bold Gauntlet« gewonnen. Als Beispiel wurde die TBG angeführt, deren Erfahrungen auch für die Operationen des Luftzugangs galten. Derlei zu unterlassen, wurde als »foolhardly« bezeichnet.687 Die Übungsphase sollte wiederum genutzt werden, um breit gestreute, aber ausgewählte Informationen an die Öffentlichkeit zu geben. Diese sollten auf die geringe Verlässlichkeit der sowjetischen Zusagen hinweisen und andererseits den Willen der Alliierten bekräftigen, ihr Recht auf unbeschränkten Zugang zu wahren. Um sowjetischerseits ein Missverstehen auszuschließen, mussten die Übungen in der Regel nahe der IdG geflogen werden, außer während laufender MATPOperationen. Auch Tank- und AEW-Flugzeuge sollten beteiligt werden. Dadurch sollte es ermöglicht werden, die Jäger über einen längeren Zeitraum in der Luft zu halten und den Luftraum und den Einsatz wirkungsvoller zu kontrollieren. Allerdings verlangte derlei auch die Ausstattung mit modernerem Fluggerät. Mit den angeführten Änderungen erhielt Option AO2 eine völlig neue Konzeption. Sie schuf auch die Voraussetzungen für die beiden anderen Optionen, AO3 und AO4, denn die für AO2 eingesetzten Kräfte konnten nun ohne Verzug für diese Optionen genutzt werden, was bisher nicht möglich gewesen war. AO3 wurde vor allem wegen der sehr restriktiven Einsatzregeln inzwischen als nicht mehr realistisch beurteilt. Diese »Air Option« sah vor, dass die eigenen Kräfte an den Eingängen der Korridore kreisten und erst dann zum Einsatz kamen, wenn eigene, in die Korridore geschickte Maschinen beschädigt, zum Absturz gebracht oder zur Landung gezwungen worden waren. Zwar behielt man die Option bei, legte aber großen Wert auf zwei neue Aspekte.688 Im Ernstfall mussten Diplomaten, Offiziere für die Öffentlichkeitsarbeit und die militärischen Befehlshaber enger zusammenarbeiten, um den Gegnern die Folgen ihrer Handlungen klar vor Augen zu führen, die breite Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen und militärisch rasch und wirkungsvoll zu reagieren. Das politisch-militärische Umfeld musste vorbereitet werden, die Einsatzregeln hatten einfach und verständlich zu sein. Dabei waren zwei Szenarien zu unterscheiden: die Periode, bevor die sowjetischen Truppen einen feindlichen Akt begingen, und die Zeit danach. Auch die Option AO4 bedurfte der Überarbeitung.689 Dieser Einsatz sollte erst erfolgen, wenn ein Flugzeug im Korridor beschädigt, verloren gegangen oder zur Landung gezwungen worden war, der eigene reguläre Transportverkehr aber weiterlief. Feindliche Jäger durften nach Erlaubnis durch die WAG bekämpft werden, wenn sie eine Angriffsposition gegenüber einem eigenen Jäger oder Transporter einnahmen. Sofortige Ebd., Annex B, Para. 5, S. B-1-2 und S. B-1-3. Ebd., S. B-1-2, Phase 3. Zu den praktischen Ausbildungsmaßnahmen siehe den Bericht von D.R. Palmer: »Live Oak 1959‑1990, Dans l’ombre de la Guerre Froide«, S. 34‑44, in: Air Fan, No. 383, 2010. 688 BArch, BW 71/72, Nr. 47: Annex C, Para. 4, S. C-1-2. 689 Ebd., Annex D, S. D-1-1 bis D-1-3. 686 687

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Verfolgung war erlaubt, aber keine weitere, tiefer in den gegnerischen Luftraum hinein reichende Aktion, auch nicht wenn der Gegner sich erkennbar zurückzog. Stets musste die Sicherheit von Flugzeug und Besatzung gewahrt bleiben. Diese Option wurde als grundsätzlich solide erachtet,690 ihre Anwendbarkeit sollte aber erweitert, die eingesetzten Flugzeuge und die Einsatzregeln überprüft werden. Sie sollte ebenfalls angeordnet werden können, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass eigenen Transportflugzeugen Gefahren durch gegnerische Behinderungen oder Blockaden drohten, oder wenn Erkenntnisse vorlagen, dass gegnerische Jäger in hohe Alarmbereitschaft versetzt worden waren und feindliche Absichten bestanden. Dann wurde es als vernünftig erachtet, diese Maßnahmen schon vorsorglich einzuleiten.691 Die Einsatzregeln durften nicht unklar oder mehrdeutig sein. Dies erwies sich als schwierig, da es etwa nicht mehr relevant war, ob Flugzeuge eine Angriffsposition eingenommen hatten, weil Luft-LuftRaketen inzwischen aus 20 Meilen Entfernung eingesetzt werden konnten. Dem versuchte man mit neuen, einfachen Regeln beizukommen.692 Von besonderer Bedeutung waren die neu eingebrachten Air Champagne Measures (ACM).693 Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden sie im Laufe des Jahres 1986 eingeführt.694 Den Hintergrund bildete die Annahme, dass die Gegenseite an einem bestimmten Punkt einer sich entwickelnden Krise auf die Idee kommen könnte, alliierte Flugzeuge, die in den Korridoren zwischen Berlin und dem Westen flogen, zu bedrängen,695 zu beschatten (»shadowing«) oder im Flug zu behindern. Solche Maßnahmen hatte das sowjetische Militär in der Vergangenheit immer wieder angewendet. Neu wurde hier jetzt vorgeschlagen, der Gegenseite die jeweilige Aktion mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Zunächst sollten die Behinderungen von den Alliierten in der Regel mit einem vehementen Protest auf diplomatischen Kanälen beantwortet werden.696 Wenn das nicht fruchtete, sollte eine gleichwertige politisch-militärische Reaktion erwogen werden. Für einige der vorgeschlagenen Maßnahmen mochten sich nur selten Gelegenheiten bieten, wie die Behinderung sowjetischer Regierungsflugzeuge, da sie besonderen diplomatischen Verfahren unterlagen und auch nur selten in westlichen Lufträumen zu finden waren. Aber bei zivilen sowjetischen Flugzeugen, die sich in westlichen Ländern bzw. dem entsprechenden Luftraum aufhielten, konnte vielleicht ein Hebel gefunden werden.697 Für derlei ACMs waren keine detaillierten Pläne in den CINCUSAFE-Operationsplan 444 geschrieben worden. Stattdessen sollten sich die Vier Mächte in einer Krise auf die dann sinnvollen Maßnahmen verständigen. Die Entscheidung sollte durch die 692 693

Ebd., Annex D, Para. 8, S. D-1-3. Ebd., Encl. 1, Para. 5, S. 1‑3. Diese Anlage ist nicht erhalten, die Einzelheiten sind daher nicht bekannt. Es ist nicht näher erkennbar, warum das »C« hier für »Champagne« stand. Vom Sinn her waren Counter Measures gemeint. So auch in BArch, BW  71/72, Nr.  47: Encl.  1, Para.  1, und Draft SHLO O 86/2134/AIR, 29.10.1986, Annex E. Es handelte sich dabei vielleicht um einen Scherz aus dem Luftwaffen-Jargon, möglicherweise aber auch um eine Analogie zur Maritimen Gegenmaßnahme »Champagne«. 694 BArch, BW 71/72, Nr. 33: Brief RAF/G, I 86/1549, 6.6.1986, »Air Champagne Measures«. 695 BArch, BW 71/72, Nr. 47: Encl. 1, Para. 6, S. 1‑3. 696 Ebd., Annex E, Para. 2, S. E-1-1. 697 Zur positiven Bewertung siehe auch BArch, BW  71/72, Nr.  33: Brief RAF/G, 80524/Ops, 6.6.1986, I 86/1549. 690 691



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Regierungen in einer Art Dialog der WAG mit Live Oak gefällt werden.698 Die Ausführung konnte dann in enger Abstimmung mit den Stäben der Luftverteidigung und der Kontrolle des Flugverkehrs, aber auch mit Flugplätzen, Zoll, Einwanderungs- und Gesundheitsbehörden usw. erfolgen. Die ACMs konnten selektiv, einzeln oder auch in Gruppen eingesetzt werden. Folgende Maßnahmen wurden vorgeschlagen: – ACM-1: Verzögern oder Verweigern der medizinischen Freigabe (»medical clearances«)699 für ein sowjetisches Flugzeug, aber nicht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. – ACM-2: Verzögern oder Verweigern der Zollfreigabe (»Customs Clearances«) im selben Fall. – ACM-3: Verzögern oder Verweigern der Einrichtungen zur Versorgung und Flugvorbereitung (»Aircraft Handling«) des Flugzeugs im selben Fall. – ACM-4: Verzögern oder Verweigern der Einreise (»Immigration Clearances«) für Besatzungen und Passagiere sowjetischer Flugzeuge.700 – ACM-5: Verzögern oder Verweigern der Flugfreigabe (»Air Traffic Control Clearances«) für Sowjetmaschinen. – ACM-6: Verzögern oder Verweigern der Freigabe von Taxi-Diensten oder der Startvorbereitungen (»Aircraft Start Up/Taxi Clearance«). – ACM-7: Verzögern oder Verweigern der Startfreigabe für sowjetische Maschinen. – ACM-8: Umleitung des Fluges (»Re-routing«) einer sowjetischen Maschine. – ACM-9: »Shadowing« eines sowjetischen Flugzeuges in den Lufträumen der Vier Mächte. Über der Bundesrepublik würden diesen Auftrag Jäger der drei Westalliierten übernehmen. Dabei war dafür zu sorgen, dass die sowjetischen Piloten das auch erkannten. Die zivilen Passagiere sollten nicht erschreckt werden, also sollte es keine Maßnahmen der Behinderung im Flug geben, die etwa zu waghalsigen Ausweichmanövern hätten führen können. Schließlich wurde untersucht, ob und inwieweit die Bundesrepublik Deutschland generell an diesen Maßnahmen zu beteiligen war. Da es sich um eine Art Vergeltung für Maßnahmen der Sowjetunion gegen die Drei Mächte handelte, sollte sie nicht direkt involviert werden, so das Ergebnis. Die Einbeziehung der Bundesrepublik würde daher indirekt sein und eine mehr unterstützende Rolle umfassen.701 BArch, BW 71/72, Nr. 47: Annex E, Para. 4, S. E-1-2. In diesem und den folgenden Fällen war v.a. an die Verfahren im Rahmen der Abfertigung bzw. der Durchschleusung am Boden (Flugplatz) oder im Luftraum gedacht. 700 Hier und im Folgenden: BArch, BW 71/72, Nr. 47, Anm. 1: In der Bundesrepublik soll angegeben werden, dass Übungen der Luftverteidigung die Ursache seien. Dadurch würden die Drei Westmächte »die Schuldigen« sein (»this could implicate the Tripartite Nations and not the FRG«, ebd., Annex E, Para. 5, S. E-1-3), die Sowjets kämen so nicht in Konflikt mit der Bundesrepublik, die für den Zugang nach Berlin nicht direkt verantwortlich sei. 701 Ebd., Para. 6, S. E-1-3. Siehe hierzu die Stellungnahme des GLNO, Oberst i.G. Klaus Steiner: BArch, BW  71/77, Nr.  47: Tgb.Nr.  47/87 Conf., 23.1.1987; sowie die Einschaltung des AA, BArch, BW 71/20, Nr. 83: GLNO Tgb.Nr. 71/87 geh. vom 10.2.1987. Zur weiteren Entwicklung: BArch, BW 71/77, Nr. 42: Schreiben ohne Kennz. und o.D., wohl vor dem 25.5.1987, sowie die Vorlage an den GenInspBw: BArch, BW 71/20, Nr. 107: Fü S III 2/LO vom 28.7.1987; und dessen Brief vom Aug 1987, BArch, BW 71/76, Nr. 24: BMVg GenInspBw Fü S III 2/LO Tgb. Nr. 150/87 geh., o.D.(vermutlich 4.8.1987), SHLOIN O 87/984. Interessant auch die diversen Stellungnahmen dazu: BArch, BW 71/77, Nr. 28: Nr. 9009/DEF/EMA/EMP/SLO, 30.7.1987, 698 699

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Für die Gegenseite konnten diese Maßnahmen ein Zeichen alliierter Entschlossenheit sein, ohne gleich eine Eskalation zu fördern. Daher musste die Anwendung der ACMs in die Überlegungen einbezogen werden, bevor Kampfflugzeuge der Drei Mächte in die Berliner Luftkorridore befohlen wurden.702 Schon bald aber zeichnete es sich ab, dass die Bonn Group mit den ACMs Probleme hatte. Ganz deutlich wurde das in einem Brief des amerikanischen Vertreters in der Gruppe, Gary D. Robbins, der die Bedenken in einer ersten, vorläufigen Stellungnahme so zusammenfasste: ACM-1 bis ACM-7 seien zu kompliziert und würden wenig Druck auf die sowjetische Führung ausüben können. ACM-8 dagegen werde als sinnvoll betrachtet. ACM-9 würde die geografische Basis einer Krise verbreitern und zu sowjetischen Vergeltungsmaßnahmen gegen die westliche zivile Luftfahrt führen. Es bestünden ernste Zweifel insbesondere über ACM-9, und die Bonn Group empfehle, diese Maßnahme nicht in den Einsatzkatalog aufzunehmen.703 Man schwankte wieder einmal zwischen sanften Reaktionsformen, die möglicherweise von der Gegenseite gar nicht als Gegenmaßnahmen verstanden wurden, und massiverem Vorgehen, das aber dann wieder als zu gefährlich betrachtet wurde. So waren die ACMs nun doch, etwas unerwartet, zu einem »major issue« geworden.704 Live Oak akzeptierte die Bedenken der Bonner Diplomaten natürlich und gestaltete die ACMs nach einigen internen Diskussionen neu. Es blieben nur zwei übrig: ACM-1 fasste die bisherigen Maßnahmen 1 bis 7 zusammen, und ACM-2, die bisherige ACM-8, nunmehr neu formuliert, hatte die Verzögerung oder Verweigerung diplomatischer Freigaben, der »clearances«, abzudecken. Die frühere ACM-9 wurde fallen gelassen. Es bestand auch Einvernehmen, »dass deutsche Einrichtungen [...] auf dem Boden der Bundesrepublik nicht in die ACMs einbezogen werden«, wie der GLNO, Oberst i.G. Wilfried Richert, meldete.705 Damit war eine Lösung gefunden worden, die zwar allen Beteiligten die Zustimmung ermöglichte, indessen Zweifel bestehen ließ, ob damit tatsächlich ein wirksames Instrumentarium geschaffen worden war. Die Bonn Group bewertete schließlich das gesamte Paket 4 positiv und empfahl der WAG Zustimmung,706 die aber infolge der politischen Entwicklung im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung überflüssig geworden war. Der Wille zur Erneuerung und Modernisierung ist eindeutig zu erkennen. Der Versuch, die Eskalation möglichst lange zu vermeiden, brachte die Einführung neuer Instrumente mit sich. Die stärkeren Elemente des Krisenmanagements wurden schließlich modernisiert, in einigen Bereichen auch zurückgenommen, wo sie nicht mehr zeitgemäß



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SHLOIN I 87/1859 [Frankreich]; BW 71/77, Nr. 29: VCDS 2044/3/1, 19.8.1987, SHLOIN I 87/1870 [Großbritannien]; und BArch, BW 71/88, Nr. 14: U.S. JCS Msg, 2.9.1987, SHLOIN I 87/1952. BArch, BW 71/72, Nr. 47: Annex E, Para. 7, S. E-1-4. So in BArch, BW 71/79, Nr. 17: Brief vom 10.2.1987, über das US-Element Live Oak, Col. Raymond S. Hawthorne, SHLOIN I 88/518. BArch, BW 71/78, Nr. 13: SHLO O 88/258, 29.2.1988, Para. 6, S. 2 unter der Überschrift »Major Issues«. Siehe das Ergebnis der Besprechung der HODs dazu vom 4.5.1988: BArch, BW 71/79, Nr. 14, in SHLO O 88/478/S, Para. 2.b; und BArch, BW 71/21, Nr. 11, Meldung GLNO an BMVg, Fü S III 2 LO, dazu Tgb.Nr. 24/88 geh. vom 11.5.1988, Teil II, Ziff. 2, S. 5. BArch, BW 71/88, Nr. 29: US Embassy Bonn, 28.12.1989, SHLOIN I 89/2225/C.



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waren, zu wenig Aussicht auf Erfolg boten oder sogar die Eindämmung einer Krise gefährdeten. Rückblickend stellt sich die Frage, ob die vielfältigen geschaffenen Instrumente, etwa die Air Options, die als Kontrollelemente zur Erhöhung der Handlungsalternativen und zur Einhegung der Gefahren dienten, am Ende nicht einen zu komplexen und unübersichtlichen Gesamtkorpus entstehen ließen, der im Ernstfall möglicherweise zu schwerfällig gewesen wäre. Abschließend noch ein Wort zur Vorabdelegierung von Befugnissen und zu Ausbildungsvorhaben, insbesondere Übungen: Commander Live Oak hatte schon sehr früh, nämlich im Sommer 1960, von der WAG die Genehmigung erhalten, gewisse Maßnahmen selbst auszulösen. In der Krise um und nach dem Mauerbau 1961/62 wurden dem CLO weitere Befugnisse für den Zugang in der Luft übertragen, die ihm eine schnelle Reaktion überall dort erlaubten, wo Verzug schädlich und gefährlich war, ohne aber die Entscheidungsmöglichkeiten der Regierungen einzuschränken. Ausbildungsvorhaben und Übungen waren und blieben auch für die Sicherung des Luftzugangs von überragender Bedeutung: Vor allen anderen waren das die jährliche Live-Oak-Stabs- und -Rahmenübung (CPX), die besondere Luftwaffenübung (anfangs »Quick Sand«, dann »Bold Gauntlet« genannt) und für das Aufgabenfeld der Luftnahunterstützung für die Landstreitkräfte die jährliche Volltruppenübung des TBG. Im Hintergrund stand dabei die Tatsache, dass der Luftweg viele Optionen der Störung und Behinderung des Verkehrs zuließ, die bei Erfolg große, auch psychologische, Wirkung erzielen, im schlimmsten Fall sogar Angst und Schrecken verbreiten konnten. Für den Westen war die Lage bis Ende der sechziger Jahre hier zunächst trotz der Machtentfaltung des Ostblocks noch nicht wirklich kritisch gesehen worden, da Vorteile im Bereich der Elektronik und der Waffentechnik bestanden. Das änderte sich im Laufe der Zeit dramatisch. Die zahlenmäßig weit überlegene und technisch hochentwickelte Flugabwehr der Gegenseite stellte eine große Bedrohung für die westlichen Luftstreitkräfte auf dem Wege nach Berlin dar. So wurde der sowjetische Hebel auch in der Luft länger, die Lage des Westens gefährlicher.

Exkurs: Die Große Luftbrückenoperation Die Große Luftbrückenoperation hatte, des Erfolges der Jahre 1948/49 und ihrer schieren Größe wegen, eine enorme öffentliche und emotionale Bedeutung erhalten, die sich über die Jahre noch zu verstärken schien. Auf Krisenmanagement um Berlin angesprochen, kam fast jedem Zeitgenossen sofort das Schlagwort »Luftbrücke« als einziger Begriff in den Sinn. Das gleiche galt vielfach auch für die politische Ebene.707 Seit dem Erfolg der Luftbrücke wurde dieser Operationsplan im Englischen als »Quadripartite Berlin Airlift Plan« (QBAL) bezeichnet und ständig aktiv gehalten, um Vgl. die ersten Reaktionen nach Chruščevs Ultimatum vom November 1958 in Kap. III.2. Vgl. auch Pedlow in BArch, BW 71/203, Nr. 1: »Live Oak [...] 1959‑1990«, IAW SHLO/O 91/022, 22.2.1991, Kap. 2, S. 11 f.

707

344

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

für den Notfall gerüstet zu sein.708 Es war tatsächlich ein Plan der Vier, nicht nur der Drei Mächte. Denn für die Nutzung der Infrastruktur, die logistische Unterstützung und die zahlreichen Unterstützungsleistungen aller Art war die aktive Teilnahme der Bundesrepublik und seit 1957 zunehmend auch der Bundeswehr unverzichtbar. Die zu transportierenden Güter wurden von der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt. Die Zuführung der Güter auf Straße, Schiene und Wasserweg, deren Umschlag und die Beladung der Flugzeuge sowie ihre Bewachung und die Versorgung des mitwirkenden Personals verlangten große personelle, materielle und finanzielle Anstrengungen. Auf dem Höhepunkt der Luftbrücke 1949 waren täglich 4000 Tonnen auf dem Luftwege transportiert worden, überwiegend Kohle. In späteren Zeiten, etwa schon von 1959 bis 1963, wurde angenommen, dass diese Mengen kaum mehr ausreichten. Der Güterverkehr nach Berlin hatte sich bis 1960 verdoppelt, bis 1985 dann vervierfacht, der Personenverkehr verdreifacht bzw. verdreißigfacht.709 Neue Überlegungen, die auf Berechnungen, Annahmen und Prognosen beruhten, zeigten, dass die Luftbrückenoperation eine alle Vorstellungen sprengende Riesenunternehmung zu werden versprach und dennoch Berlin im Krisenfall nicht ausreichend versorgen konnte. Dabei waren die gestiegenen politischen und militärischen Risiken noch nicht einmal einbezogen worden.710 Die Vier Mächte delegierten 1960 via C ­ INCUSEUCOM711 die Planungsverantwortung für QBAL als Teil der gerade entstehenden Live-Oak-Organisation an das Berlin Airlift Committee (BEALCOM), das in Bonn arbeitete. Dieser Ausschuss überprüfte jährlich oder bei Bedarf auch öfter die Planung. Eine große Zahl weiterer Arbeitsgruppen arbeitete zu, um Details zu regeln und Probleme zu lösen. Regelmäßig wurde die Versorgung West-Berlins durch die Luft in QBAL-Rahmenübungen erprobt und ausgebildet, deren Ergebnisse anschließend im BEALCOM diskutiert wurden. Die Beschlüsse wurden dann in den Operationsplan eingearbeitet. Mit der Durchführung wurde ­CINCUSAFE betraut. Die Vier Mächte unterstellten diesem die dafür notwendigen Kräfte mit »Operational Control«. Als Zweck der Operation war bestimmt worden, die Westsektoren von Berlin durch den Einsatz der Transportfliegerkräfte der Drei Mächte in ausreichendem Maße zu versorgen.712 In diesem Operationsplan waren z.B. für das Jahr 1988 insgesamt 67 Transportflugzeuge der Typen C-160 (6 Stück), B-747F (2), Hercules (32), VC 10 (5) und C-141 (2) mit 131 Besatzungen für 205 Flüge täglich vorgesehen.713 Für plötzlichen Mehrbedarf konnte die Zahl der Flugzeuge und Kapazitäten Siehe Pedlow, BArch, BW 71/203, Nr. 1: »Live Oak [...] 1959‑1990«, IAW SHLO/O 91/022, 22.2.1991, S. 12. Auch BArch, BW 71/16, Nr. 89: NMR/LO-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Tgb. Nr. 487/84 geh., Anl. 15. 709 Die Daten stammen aus den Anlagen zu BArch, BW 2/22195, Verhandlungen im Verkehrsausschuss des Bundestages vom 7.10.1987. 710 Vgl. die Aussage dazu von Paul Nitze, berichtet von Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 69 mit Anm. 39. Auch Strauß, Die Erinnerungen, S. 384 f.; und Thoß, NATO-Strategie, S. 294 mit Anm. 144. 711 CINCUSEUCOM war auf Vorschlag der USA mit der Aufgabe der Planung von QBAL beauftragt worden, BArch, BW 71/127, Nr. 7: »Memo for Record: Subj. QBAL Command Relationships«, 74 US LO-TS-009, 1.11.1974, v.a. Para. 7‑12, S. 2‑4. 712 BArch, BW  71/81, Nr.  27: OPlan QBAL, 1.3.1988, SHLOIN I 88/1575/S, »Plan Summary«, Para. 1, S. ii. 713 Angaben gem. ebd., Plan Summary, Para. 2.d, S. ii. 708



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

345

Quadripartite Berlin Airlift (QBAL) 1978 HQ CATF

BEALCOM

Bonn Group

Hauptquartier des kombinierten Lufttransporteinsatzverbands

Lufttransportausschuss Berlin

Vorbereitung:

15 Tage

Lufttransportmittel:

68 Flugzeuge

Lufttransport800 t (Beginn der Luftbrücke) → 4 000 – 5 000 t (+90 Tage) leistung pro Tag: 1 800 Passagiere 215 – 272 Einsätze

Lufttransportleistung der Luftbrücke 1948/49 pro Tag (zum Vergleich):

5 200 t /660 Einsätze

Die Operation: Hamburg

11 C-160 Transall, B 707, DC 8 34 – 45 Einsätze/Tag

Alternativen: USAF Rhein-Main Köln-Bonn Gütersloh Bremen Wildenrath RAF Mildenhall

Wunstorf

HQ Hannover

20 C-141 Starlifter 70 – 80 Einsätze/Tag

Berlin Tegel Alternativen Berlin: Gatow Havel (mit Wasserflugzeugen)

11 C-130 Hercules, V 10 31 – 42 Einsätze/Tag

FAF Le Bourget

Celle

26 C-130 Hercules 80 – 100 Einsätze/Tag

Berlin Tempelhof

Quelle: Anlage zu BMVg Fü S III2, Tgb Nr. 672/78 geh. vom 19.4.1978, BArch, BW 2/17641, Heft 11.

© ZMSBw

07859-04

auf bis zu 455 »Sorties« mehr als verdoppelt werden. Als Flugplätze waren HamburgFuhlsbüttel, Celle, Hannover-Langenhagen und Wunstorf (westlich Hannover) vorbereitet worden.714 Ziemlich bald nach der Aufstellung von Live Oak am 8. Januar 1960 war QBAL auf amerikanischen Wunsch aus der Verantwortung von Live Oak wieder herausgenommen worden. Die politische Begründung der USA lautete, dass eine Berlin-Luftbrücke nur als letztes Mittel durchgeführt werden durfte, und jeder Anschein, dass die US-Regierung eine neue Luftbrücke nach Berlin vorbereite, vermieden werden musste.715 Der eigentliche, tiefere Grund war aber, dass die USA in einer sich entwickelnden Berlin-Krise nicht sofort die Große Luftbrücke auslösen wollten, da diese einen enormen Aufwand verlangte und zugleich den Einstieg in ein mit hohem Risiko behaftetes Eskalations-

Ebd., Annex J, S. J-1-1. BArch, BW 71/127, Nr. 4: »Background Info on Berlin«, updated 1.2.1968, o.D., Seitenangabe und Hrsg., US-Ursprung, Aussage von April 1959. Siehe auch BArch, BW 71/127, Nr. 7: »QBAL Command Relationship«, Memo for Record, 1.11.1974, 74-USLO-TS-009.

714 715

UK NATF

Luftbrückenunterstützungskräfte Celle

UK NATF

Luftbrückenunterstützungskräfte Hannover

Stv. Befehlshaber der gemeinsamen Luftbrückeneinsatzkräfte Hannover

DEP COMCATF (UK)

COMCATF (US)

Befehlshaber der gemeinsamen Luftbrückeneinsatzkräfte Hannover

GE

FR NATF

Luftbrückenunterstützungskräfte Hamburg

Stv. Befehlshaber der gemeinsamen Luftbrückeneinsatzkräfte Hannover

DEP COMCATF (FR)

Luftstraßenverkehrskontrollzentrum Berlin

BARTCC

BASC

US

Luftsicherheitszentrale Berlin

UK

UK

US

QBAL Forces

Vier-Mächte-Lufttransportkräfte Berlin (Tegel)

QBAL Forces

Vier-Mächte-Lufttransportkräfte Berlin (Tempelhof)

Bundesanstalt für Flugsicherheit, Außenstelle Hannover

BFS CATF (GE)

Alliierter Stab Berlin

Allied Staff Berlin

FR

Vorsitzender alliierte Kommandanten Berlin

Chairman Allied Commandants Berlin

Quelle: BEALCOM, QBAL Plan, 1.3.1988, SHLOIN I 88/1575, BArch, BW 71/81, Nr. 27, Appendix 1 to Annex J to QBAL Plan (U), QBAL Organizational Structure (U).

Luftbrückenunterstützungskräfte Wunsdorf

US NATF

Stv. Befehlshaber der gemeinsamen Luftbrückeneinsatzkräfte Hannover

DEP COMCATF (US)

Vorsitzender Bonner Exekutivbüro Bonn

Chairman CEO (GE)

FR

Berlin Airlift Committee

BEALCOM

Berlin Airlift Committee, 1988

US

GE

QBAL Forces

Vier-Mächte-Lufttransportkräfte Berlin (Gatow)

Vorsitzender Berliner Exekutivbüro Berlin

UK

© ZMSBw 07860-05

Chairman BEO (GE)

FR

Chairman BERCORD (US)

Vorsitzender Koordinierungsausschuss Berlin

Coordination

Operational Control

346 IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

347

szenario bedeutete. Washington wollte im Gegenteil jeden, auch noch so unbedeutenden Zwischenfall dort lösen, wo er entstanden war, d.h. auf der niedrigsten möglichen Konfliktebene, beispielsweise am Autobahn-Kontrollpunkt oder für den Luftzugang im Korridor.716 Genau dafür war Live Oak geschaffen worden. Die Briten beabsichtigten bei spürbaren Schwierigkeiten zunächst eigentlich immer sofort die Luftbrücke zu aktivieren; sie zeigten sich in der Folge sogar bereit, vor einem solchen Schritt mehr sowjetische Provokationen zu schlucken als ihre nordamerikanischen Verbündeten. Mit der Zeit haben alle wohl eingesehen, dass hier die amerikanische Vorgehensweise sinnvoller war. Dennoch gab es immer wieder Versuche vor allem der Briten, QBAL erneut in das Arsenal der Live-Oak-Planungen aufzunehmen.717 Aber die Amerikaner und wohl auch die Franzosen blieben hart. Erst in den achtziger Jahren änderte sich die Lage: Die gegenseitigen Abhängigkeiten nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Versorgungsanforderungen infolge der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung wurden nun als so bedeutend eingestuft, dass Live Oak durch die Mitarbeit im »QBAL/Live Oak Interface Subcommittee« des BEALCOM Steering Committee (BSC) wieder in die QBAL-Planungen einbezogen wurde.718 Im Zuge der Überprüfung aller Live-Oak-Operationen ab 1984719 und als Ergebnis von Rahmenübungen720 wurde die Verbesserung der Zusammenarbeit und Koordinierung gefordert.721 In der Bonn Group war gelegentlich auch über die Wiederaufnahme des QBAL in das Spektrum aller Live-Oak-Pläne gesprochen worden, aber die Verhandlungen zeigten, dass es für einen derart umfassenden Schritt dort keine Unterstützung gab.722 Die Vier Mächte hielten an dieser Option jedoch grundsätzlich fest, weil sie nicht zuletzt auch nach innen den Willen bewies, West-Berlin um jeden Preis lebensfähig zu halten. Dass die Gegenseite, auch durch geheimdienstliche Mittel und Methoden, vorzüglich über QBAL unterrichtet war,723 konnte als Teil der Abschreckung durchaus positiv gesehen werden.

Siehe hierzu Burr, U.S. Policy, S. 13 f.; auch Pedlow, General Lauris Norstad, S. 6, Anm. 2; Pedlow, Allied Crisis Management, S. 88 und S. 98 f.; sowie BArch, BW 71/49, Nr. 3: Live Oak Basic Paper, in dem QBAL eben gar nicht erwähnt wird. 717 Zum Beispiel schon 1964, wie aus einer eher ablehnenden französischen Stellungnahme hervorgeht: BArch, BW 71/120, Nr. 7A: Nr. 228/FRALO/TS, 19.6.1964, LO-TS-64-20. 718 Siehe u.a. BArch, BW 71/74, Nr. 20: SHLO O 87/104, 18.2.1987. 719 BArch, BW 71/130, Nr. 1: »Live Oak Inventory of Plans and Activities«, 27.9.1984, Summary, S. 11, Para. 25, SHLOIN I 84/1228. 720 Siehe u.a. BArch, BW 71/73, Nr. 13, den Abschlussbericht von USAFE zur QBAL-Übung »Stepping Stone II«, 1.6.‑6.6.1986, Para. 1.c, S. A-1, SHLOIN I 86/2901. 721 Über die Art und Qualität der Probleme gibt ein Papier des »Interface Committee« vom 4.2.1987 Aufschluss: BArch, BW 71/74, Nr. 31: RAF/G/80524/7/1/Ops, SHLOIN I 87/331. 722 Als letztes Dokument hierzu in BW 71 ist das gemeinsame Fernschreiben des HQ RAF/G und HQ USAFE, 29.3.1990, »Paris BSC Agenda«, anzusehen (BArch, BW 71/90, Nr. 12, SHLOIN I 90/421/C), aus dem dieser Stand der Dinge zu schließen ist. Im deutschen Verantwortungsbereich lautete der Deckname für QBAL übrigens »Lange Staffette« (LS). 723 Vgl. z.B. BArch, DVW 1/25724: SB Nr. 29/70 der VA/NVA vom 12.9.1970; und »Auskunftsmaterial« dazu in BArch, DVW 1/42664, September 1977. Der Aufklärungserfolg war bei der hohen Zahl der Wissenden nicht überraschend. 716

348

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

6. Die Suche nach dem längeren Hebel: Maritime Gegenmaßnahmen724 Der Zusammenhang zwischen der Sicherung des freien Zugangs nach Berlin und dem Einsatz von Seestreitkräften erschließt sich nicht sofort. Als das Personal der Drei Mächte zum Aufbau des Stabes Live Oak in St. Germain-en-Laye im April 1959 zusammentrat, waren auch einige Seeleute darunter.725 Sie wurden nach wenigen Tagen nach Hause ge­ schickt, da es keine Aufgaben für sie gab.726 In der Tat: Im Basic Paper vom 4. April 1959 stand nichts über Aufgaben von Seestreitkräften in diesem Zusammenhang.727 Sie spielten in den ersten Planungen für Berlin-Eventualfälle keine Rolle, und so blieb es auch bis zur dramatischen Steigerung der zweiten Berlin-Krise im Sommer 1961. Während der ersten Tage dieser Entwicklung wurde ein neues Papier in der WAG und seit dem 21. Juli von den Vier Mächten728 vorbereitet: die »Draft Instructions to the Military Authorities of France, the United Kingdom and the United States«,729 worin es um Berlin ging. Auch hier ist noch nichts zu der Einbeziehung von Seestreitkräften in die Eventualfallplanung gesagt. Die darin enthaltenen Aussagen zur Offenhaltung bzw. eventuellen Wiedereröffnung des Zugangs nach Berlin durch die Drei Mächte, und, wenn das nicht genügte, auch durch das Bündnis, einschließlich der »possibility of the discrete use of atomic weapons«,730 stießen vor allem bei Verteidigungsminister Strauß auf Widerstand.731 Auch andere Persönlichkeiten in der Organisation Live Oak beurteilten diese Überlegungen skeptisch.732 Die Bundesregierung war daher gut beraten, in der WAG auf diese Planungen mit einem eigenen, gut begründeten Vorschlag politisch Einfluss zu nehmen. BArch, BW 71/16, Nr. 89: So der amtliche deutsche Begriff für »Naval Countermeasures«; siehe GLNO-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Anlage 16. Ab 1981 bei Live Oak als »Maritime Countermeasures« bezeichnet. 725 Grund dafür mag gewesen sein, dass Norstad in seinem Fernschreiben vom 17.3.1959 angeregt hatte, in die Planungsarbeit nicht nur Stäbe der Land- und Luftstreitkräfte, sondern auch der Marine einzubeziehen: »I would feel that Navy representation would also have to be added«. BArch, BW 71/43, Nr. 6: FS ALO 284 an CHMN JCS, S. 1. 726 So geschildert durch Major Humphreyes in seinen »Memories of Live Oak 1959‑1961«, 16.11.1982, BArch, BW 71/58, Nr. 1: SHLO O 82/1264/COS/U, S. 1. 727 BArch, BW 71/49, Nr. 3: LO(IN)-S-59-1006. 728 Die Bundesrepublik Deutschland war am 21.7.1961 in die Organisation aufgenommen worden und hatte die Arbeit gerade begonnen. 729 BArch, BW 71/124, Nr. 34: USRO Defense/TS, ohne Datum und weitere Kennzeichnung, vermutlich US-Entwurf, handschriftl. Datum: »3 Aug«. Es wurde dem AA mit dem Bericht der Botschaft Paris vom 6.8.1961 zugeleitet: PA AA, B 130/3.585: Paris Nr. 893 114-1, Tgb.Nr. 123/61 str.geh. 730 BArch, BW 71/124, Nr. 34: Para. d, S. 6. 731 Diesem Papier waren Diskussionen und vehemente amerikanische Äußerungen in der Vier-MächteArbeitsgruppe und dem NAC in Paris am 31.7.1961 vorausgegangen; vgl. die Berichte in PA AA, B 130/3.585: Diplogerma Paris, 114-1, Nr. 857, Tgb.Nr. 61 str.geh. Siehe auch den Bericht über das kontroverse Gespräch zwischen Strauß und Nitze am 1.8.1961, Diplogerma Paris, 114-1, Tgb. Nr. 111/61 str.geh. 732 Vgl. die Schilderung des Gesprächs Kennedys mit Mountbatten im April 1961 und die Studie von General Richardson III., 27.7.1961; über beide berichtet Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 26; auch Pedlow, Allied Crisis Management, S. 103‑105. 724



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

349

In dieser turbulenten Zeit um den Bau der Mauer brachte die deutsche Delegation in der Military Subgroup der WAG am 24. August 1961 den Vorschlag »Working Paper on Blockade« ein.733 Dieses Dokument wurde zum Meilenstein in der Entwicklung des Instrumentariums für die Krisenbeherrschung um Berlin. Möglicherweise ging es aus einem der Gespräche der Vier-Mächte-Arbeitsgruppe am 6. August in Paris hervor.734 Darin wurde bei aller Unterstützung für Live Oak moniert, dass die bestehenden Eventualfallplanungen nur begrenzte Alternativen böten, was die militärischen Maßnahmen für die Bewahrung oder Wiederherstellung der Rechte in Berlin betreffe.735 Diese Sorge trieb die deutsche Regierung seit Jahren und in den Wochen und Monaten seit dem August 1961 besonders um.736 Durchaus klarsichtig wurde bemerkt: Jede größere Operation zu Lande sei zweifelhaft, da sie nicht ansetzen könne, wo der Gegner im Nachteil, sondern dorthin gehen müsse, wo er sogar der Überlegene sei,737 jedenfalls soweit es um die konventionellen Kräfte gehe. Ein Erfolg in der Luft sei auch fraglich, da die alliierten taktischen Luftstreitkräfte vorrangig auf den nuklearen Einsatz ausgerichtet worden seien. Die Risiken und Verluste würden die Abschreckungswirkung und die konventionelle Verteidigungskraft der NATO gerade dann entscheidend schwächen, wenn sie besonders gebraucht würden. Eine rasche Eskalation zum allgemeinen Nuklearkrieg wäre dann die unausweichliche Konsequenz.738 Nach der Einleitung größerer Landoperationen waren zwei Entwicklungen möglich: Die Sowjetunion willigte in Verhandlungen ein, die Position des Westen war dann aber allemal schwächer als die des Gegners. Wenn dies nichts fruchtete, drohte rasch der Übergang zu taktischen Nuklearoperationen. Der Westen konnte diese dann aber möglicherweise nicht lange führen, da er nur über eine begrenzte Anzahl von Trägermitteln verfügte, die überdies eventuell schon in der konventionellen Phase der Operationen dezimiert worden waren. Die Lage wäre für den Westen jedoch anders, wenn er in der Reaktion auf eine Blockade Berlins einen Schauplatz und eine Form des Krieges wählte, in der er die Überlegenheit über den Osten besitze. Diese Bedingung wäre durch eine luftgestützte Seeblockade erfüllt. Selbst wenn solch eine Blockade den Ostblock wirtschaftlich nicht entscheidend träfe, könne sie ein entscheidender Stoß für das Ansehen Chruščevs werden und in den Augen der Weltmeinung eine wirkungsvolle Antwort auf illegale Handlungen geben.739 Zu den politischen Vorteilen zählten insbesondere die hohe Flexibilität im Steigern und Abschwächen der Maßnahmen wie auch deren Auswahl. Das Risiko der Eskalation konnte dadurch besser beherrscht werden. Nach Meinung der deutschen Seite eröffnete der Vorschlag ganz neue Dimensionen. Der Westen könne so die Initiative durch einen sich steigernden Gebrauch von Blockademaßnahmen wieder gewinnen, wenn diese So die Überschrift in BArch, BW 71/124, Nr. 14, LO(IN)-TS-61-2085, 24.8.1961. PA AA, B 130/3.585: »Bericht der Vier-Mächte-Arbeitsgruppe« vom 6.8.1961, Diplogerma Paris Nr. 893, 114-1, Tgb.Nr. 123/61 str.geh., v.a. Para. 6. Auch im PA AA ließ sich zur Vorgeschichte nichts finden. 735 BArch, BW 71/124, Nr. 14: Part I, S. 1 des ›Blockade‹-Papiers. 736 Siehe hierzu Thoß, NATO-Strategie, u.a. S. 223‑258 und S. 319; und Strauß, Die Erinnerungen, S.  380‑396. Vgl. auch Wiggershaus, Von Berlin bis Berlin, S.  111‑119; und Heuser, NATOKernwaffenstrategie, T. 1, v.a. S. 147‑150. 737 BArch, BW 71/124, Nr. 14: Part II, S. 1 des ›WP on Blockade‹. 738 Ebd., S. 3. 739 BArch, BW 71/124, Nr. 14: Part III, S. 3. 733 734

350

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Organisationsstruktur für Maritime Gegenmaßnahmen

WAG

Washingtoner Botschaftergruppe

FR UK US GE

MOD Paris

Sec. Def.

MOD London

Verteidigungsministerium

Marine

MOD Bonn

Verteidigungsminister

Verteidigungsministerium

Verteidigungsministerium

JCS

US-Stabschefs

Naval Committee

Marineausschuss

»Deep Sea« FR UK US GE

FR CINCS

Französische Oberbefehlshaber

*

»Free Flow« NAVCORCENT

»Deep Sea« Plan.-Team

Live Oak NAVCORCENT

»Sea Spray« NAVCORCENT US CINCLANT Director

Oberbefehlshaber Live Oak

Oberbefehlshaber Pazifikkommando

Director

Director

FR UK US GE

FR UK US GE

FR UK US GE

Planungsgruppe

CLO

UK CINCFLEET Oberbefehlshaber der britischen Flotte

US CINCPAC

US CINCNAVEUR

Oberbefehlshaber Seestreitkräfte Europa

US CINCLANT

CINCGERFLEET

Oberbefehlshaber der bundesdeutschen Flotte

Oberbefehlshaber Atlantikkommando

US CINCPAC

Nationale Führung Militärische Koordinierung Politische Weisung und Kontrolle

Oberbefehlshaber Pazifikkommando

Quelle: S. 2-A-1, Annex A, NCOP, 3.4.1978, Change 3, 7.1.1980, BArch, BW 71/11, Nr. 41.

* Aktivierung nur für Übungen und in der Krise.

© ZMSBw

07880-06

von vorbeugenden militärischen Vorkehrungen und entschiedenen politischen Handlungen begleitet wurden. Dadurch könne der Druck auf die Gegenseite zur Aufnahme von Verhandlungen verstärkt werden. Die Auswirkungen auf die sowjetische Wirtschaft vermochte das sowjetische Prestige in den Augen der Welt zusätzlich zu beeinträchtigen. Militärische Aktionen und Gegenmaßnahmen auf See trügen nicht notwendigerweise das Risiko der Ausweitung zum General Nuclear War in sich. Eine Seeblockade würde



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

351

die NATO-Streitkräfte in Europa außerdem voll einsatzbereit für einen General War und dadurch die Abschreckung wirksam erhalten.740 Dieser deutsche Anstoß beeinflusste tatsächlich die weiteren Planungen von Live Oak. Indes äußerten die drei Westmächte auch Bedenken: Sie fürchteten insbesondere um den eigenen Seehandel infolge von sowjetischen Gegenmaßnahmen zur See.741 Dennoch sandte die WAG eine entsprechende Weisung an General Norstad.742 Die Planungen für maritime Gegenmaßnahmen inklusive einer Blockade liefen nun an.743 Die Amerikaner beauftragten ihre Marine, die Wirksamkeit und die militärischen Fähigkeiten für maritime Gegenmaßnahmen im Zusammenhang mit einer Berlin-Krise zu analysieren.744 Parallel dazu gab Norstad Order, im nachgeordneten Bereich auch Maßnahmen zur See im Kommandobereich Europa der NATO zu untersuchen.745 Bereits am 6. September 1961 legte eine amerikanische interministerielle Arbeitsgruppe, offensichtlich mit britischer, deutscher und französischer Beteiligung, der Military Subgroup einen Bericht »Maritime Control Measures« vor,746 und am 1. November wurde in den Weisungen an die Obersten Befehlshaber der NATO festgeschrieben, Eventualpläne für den Einsatz ihrer Seestreitkräfte in einer Berlin-Krise auszuarbeiten.747 Im gleichen Monat lieferten die Amerikaner sowohl ein »Illustrative Concept for Naval Countermeasures«748 als auch eine Kopie ihrer nationalen Einsatzregeln für Repressalien gegen Schiffe der Sowjetunion und der DDR an die Military Subgroup als Beratungsgrundlage.749 Zu dieser Zeit kristallisierte sich heraus, dass den Maritimen Gegenmaßnahmen eine wichtige Rolle im Rahmen der Eventualfallplanungen zur Sicherung des uneingeschränkten Zugangs nach Berlin zukommen würde. Die US-Regierung machte im November 1961 gar einen politischen Grundsatz daraus: »If despite the above Siehe ebd., Part V, S. 5 Die Drei Mächte sahen ihre eigene große Abhängigkeit vom Seehandel; zu entnehmen später aus BArch, BW 71/52, Nr. 24: Memo SHLO 75/0680, 30.5.1975, S. 1. Siehe auch ebd., Dr. Wieck am 18.11.2008, S. 2. 742 BArch, BW  71/124, Nr.  13: »Advanced Copy of Instructions to General Norstad«, 29.8.1961, LO(IN)-TS-61-2077, S. 3. 743 Ebd., Para. 4, eigentlich 5.C, S. 3. In einer Stellungnahme zu diesem Papier unterstrich die deutsche Regierung, unter Hinweis auf das ›Blockade-Papier‹, noch einmal ihre Sorgen, besonders zu »expanded non-nuclear ground-operations«: BArch, BW 71/124, Nr. 15: BQD-3, »German Statement on Exception to Directives to General Norstad on Live Oak«, o.D., vermutlich Ende August, LO(IN)-TS-61-2112. 744 Zu entnehmen BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, o.D. und Verf., gekennzeichnet »WP Sea Spray Secret«, S. 2. 745 BArch, BW 71/117, Nr. 19: ECLO 525/51, 7.9.1961, LO-TS-61-175, Para. 1. Der angesprochene Kommandobereich muss der von USCINCEUR sein, obwohl das nicht eindeutig daraus hervorgeht. 746 Gemeint ist BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 2. 747 BArch, BW 71/127, Nr. 2: BQD-M-10, »Instructions to NATO Military Authorities«, LO(IN)TS-64-2063: »NATO military plans concerning broad land, air or naval measures should be prepared by the major NATO Commmanders as appropriate«, Para. 9, S. 3. 748 BArch, BW 71/118, Nr. 36, LO(IN)-TS-62-2131: Erläutert mit »aufgelistet in ihrer möglichen Folge der Einführung«; wohl von General Gordon Gray, einem amerikanischen Vertreter in der Military Subgroup, am 30.11.1961 übergeben. 749 BQD-M-16, o.D., nicht in BArch, BW  71; erwähnt in BArch, BW  71/133, Nr.  5: »Sea Spray History Chronology«, S. 3. Vgl. auch BArch, BW 71/125, Nr. 7: BQD-M-20 Rev., 15.1.1962, LO(IN)-TS-62-2075. 740 741

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Allied actions, our Berlin access is not restored, the Allies should take appropriate further action [...] Maritime Control, Naval Blockage, or other world-wide measures, both for reprisal and to add to general pressure on the Soviets«.750 Diese Sicht trugen in der Folge auch die anderen Alliierten grundsätzlich mit. Eine Rolle spielte des Weiteren eine erneute Verschärfung der Berlin-Krise im Februar und März 1962, als vor allem der Luftzugang gefährlich behindert wurde.751 So konnte der erste Entwurf des neuen Grundsatzpapiers von der Military Subgroup am 28. Februar 1962 der WAG vorgelegt werden, BQD-M-24 »Report on Naval Countermeasures«.752 An den Beratungen hatte auch die Bundesrepublik in der Militärischen Untergruppe teilgenommen.753 Es ist nicht erkennbar, wann und aus welchem Grund die Entscheidung gefällt wurde, die Deutschen aktiv und militärisch in die Maritimen Gegenmaßnahmen mit einzubeziehen.754 Es dürfte wohl die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass für eine Sperrung des Nord-Ostsee-Kanals deutsche Kräfte notwendig waren. Wenn schon die deutschen Seegebiete in den Blick gerieten, war es nur logisch, dass die Bundesrepublik mit ihren Seestreitkräften beteiligt wurde. Dies wiederum lag auch im deutschen Interesse. Die weiteren Beratungen zur formalen Verabschiedung des Berichts und damit zur Ingangsetzung der maritimen Vorkehrungen erwiesen sich jedoch als zäh. Die Krisen um Berlin hatten sich noch nicht abgeschwächt, gleichzeitig verlangte die Kuba-Krise die ganze Aufmerksamkeit. Außerdem zierten sich die Briten lange Zeit; ihre grundsätzlichen Vorbehalte offenbarten sie erst spät.755 Schließlich gaben sie nach: Die Einigung gelang in der Sitzung vom 2. Oktober 1962. Am 11. Dezember 1962 nahm die Military Subgroup den »Report on Naval Countermeasures« (BQD-M-24) an,756 den dann die WAG am Tag darauf formal genehmigte.757 Die Organisation sollte so flexibel sein, dass eine Anpassung an die Situation ent­spre­ chend der aktuellen Erfahrungen rasch möglich sein würde. Der Gedanke, Maritime Ge-

BArch, BW 71/133, Nr. 1: NSA Memo Nr. 109, 23.10.1961, bestätigt mit SM-317-81, 19.5.1981; siehe Appendix, Para. III, S. 2 f. 751 BArch, BW 71/106, Nr. 4: BTF-109, Rev., 27.2.1962; »Maritime Countermeasures against Harassment of Air Access«; und BArch, BW  71/106, Nr.  3: BTF-115, 21.3.1962: »Guidelines for the JCS concerning Maritime Countermeasures against Harassment of AIR Access«. Beide boten Argumentationshilfen an. 752 Es ist nicht im Bestand BArch, BW 71, aber erwähnt in BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 3. 753 Das zeigt z.B. PA AA, B 130/3.585: Weisung AA an die Bo. Wash. vom 26.6.1962, AA 301-8108-0/197 I/62(AB) str.geh. (auf DB/Bo. Wash. vom 22.5.1962 zu BQD-M-24). Die Weisung ist sehr zurückhaltend formuliert, Tenor: Die Drei Mächte sollen entscheiden! Dr. Wieck, Mitglied der deutschen Delegation, hat dies gegenüber dem Verfasser bestätigt. 754 Dazu wurde bisher kein Dokument gefunden; es erscheint als eine Einladung erstmals in BArch, BW 71/46, Nr. 6: Memorandum für die WAG vom 11.12.1962, das BQD-M-24 übermittelt. 755 BArch, BW 2/17.638-1/S.G.II: Aufzeichnung AA, Ref. 301 vom 20.7.1962: Stand der militärischen Contingency-Planung, S. 5; sowie AA 301-81-0/251/62(AB), Anl zu Fü BIII 1 LO, Tgb. Nr. L860/62 str.geh. 756 Das Protokoll ist in BQD-M-37, 11.12.1962, enthalten; es befindet sich nicht in BW 71. Erwähnt wird es in BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 4. 757 BArch, BW 71/46, Nr. 6: BQD-M-24, Rev., LO(IN)-S-62-4113. 750



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genmaßnahmen an Luft- oder Landmaßnahmen zu koppeln, wurde verworfen.758 BQDM-24 wurde zum Rückgrat bei der Organisation der »Maritimen Gegenmaßnahmen«.759 Maritime Gegenmaßnahmen auf allen Weltmeeren, Seewegen und in allen Häfen wurden gleichzeitig zu einem wesentlichen Teil der Optionen für Live Oak. Auch die Bundesrepublik Deutschland sollte an diesen Gegenmaßnahmen partizipieren.760 Andere NATO-Nationen konnten sich ebenfalls beteiligen.761 Die Maßnahmen wurden durch nationale Streitkräfte und unter nationalem Kommando ausgeführt. Für Vorbereitung, Beratung, Entscheidung und Koordinierung musste für Live Oak der organisatorische Rahmen abgesteckt werden.762 Die Regierungen nutzten die WAG, um über maritime Maßnahmen zu beraten und Einvernehmen zu suchen. Zur Unterstützung wurde ein Naval Committee in Washington eingerichtet, das mit hochrangigen Vertretern der vier Marinen besetzt war. Zur Koordinierung der nationalen Pläne und Operationen wurden drei Naval Countermeasures Coordinating Centres (NAVCORCENT) eingerichtet: für den Kommandobereich Europa im Hauptquartier von Live Oak, für den Atlantik im Hauptquartier von ­USCINCLANT, dem entsprechenden Führungsstab der US-Navy. Dort sollte es »Sea Spray« genannt werden. Dem Hauptquartier von USCINCPAC, dem US-Führungsstab für den Bereich Pazifik, sollten nur bei Bedarf Vertreter der britischen, deutschen und französischen Marine eingegliedert werden, um ein NAVCORCENT zu bilden, und zwar unter der Bezeichnung »Free Flow«.763 Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten wurden wie folgt zugewiesen: Die WAG sollte politische Weisungen und Planungen für die nationalen militärischen Führungsstäbe entwickeln und die politische Kontrolle koordinieren. Ferner hatte sie die Einsatzregeln zu genehmigen sowie über Einsatz, Intensivierung, Verringerung oder Beendigung bestimmter Maritimer Gegenmaßnahmen zu entscheiden. Dazu konnte sie die Meldungen und Berichte der nationalen Stäbe, die dem Marinekomitee meldepflichtig waren, insbesondere auf den Gebieten des Nachrichtenwesens und der Operationsführung, für die eigenen Aufgaben nutzen. Ihr oblag außerdem die Beratung der Regierungen und die Erarbeitung von Empfehlungen für ihr weltweites Handeln. Das Marinekomitee sollte die WAG in technischer Hinsicht beraten, d.h. die Seestreitkräfte und deren Operationen betreffend, und die relevanten Entscheidungen der WAG an die NAVCORCENTs übermitteln. Das Komitee selbst hatte keine Weisungsund Befehlsbefugnisse. Es sollte den Vier-Mächte-Stab und dessen Einrichtungen bei CINCLANT, also »Sea Spray«, als Planungsstab nutzen. Die nationalen Hauptquartiere sollten die Operationspläne vorbereiten, die Kräfte stellen und die Gegenmaßnahmen durchführen, Lage- und Aufklärungsmeldungen dem Marinekomitee und den NAV BArch, BW  71/118, Nr.  59: BQD-M-38, »Meeting of Military Subgroup/WAG«, I-26609/62, 13.12.1962. 759 BArch, BW 71/16, Nr. 89: So wurde der englische Begriff »Naval Countermeasures« durch den GLNO in seinem Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967 übersetzt. 760 In BArch, BW 71/46, Nr. 6, S. 1, heißt es hierzu: Die Gruppe »notes that special political considerations apply to the question of participation by German naval forces. Nevertheless, the Sub-Group considers that appropriate plans should be developed by the German government«. 761 Vgl. BArch, BW 71/46, Nr. 6: BQD-M-24, Teil III.B, Para. 9, S. 4, und Teil IV.D., S. 5. 762 Geregelt ebd., Annex B. 763 Ebd., Para. 1 und Para. 2, S. 1. 758

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CORCENTs vorlegen und ihre Planungen und Operationen durch die NAVCORCENTs koordinieren. Diese schließlich hatten die nationalen Planungen im Komman­ dobereich abzustimmen, die laufenden Maßnahmen zu überwachen, Meldungen über den Schiffsverkehr des Warschauer Paktes auszuwerten, Lageberichte über Maritime Gegenmaßnahmen zu erstellen und Informationen auszutauschen.764 Zwei Aspekte waren besonders wichtig: die Listen der vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen765 und die politischen Überlegungen zu der Frage, welche Konsequenzen sich für den Westen ergäben und welche Reaktionen von östlicher Seite zu gewärtigen seien. Bei den Maritimen Gegenmaßnahmen wurden zwei Kategorien unterschieden: Kategorie A766 enthielt eher moderate Maßnahmen ohne den Einsatz von Gewalt, die die sowjetischen Interessen nicht ernsthaft gefährdeten. Daher hielt man es auch nicht für wahrscheinlich, dass die Sowjetunion mit dem Einsatz militärischer Gewalt antworten würde.767 Es wurde aber als möglich angesehen, dass die Gegenseite ihrerseits Gegenmaßnahmen ergriff. In dieser Kategorie mit sieben Maßnahmen gab es zuerst drei vorbereitende »Aktionen«: verstärkte Überwachung der gegnerischen U-Boote, Beginn der Verstärkung nationaler Flottenverbände und intensive Übungen zur U‑Boot-Bekämpfung. Danach kamen explizit störende Maßnahmen in Betracht: die Behinderung der Schifffahrt der Sowjetunion und der DDR in westlichen Häfen und auf hoher See, zum Beispiel durch sichtbare Überwachung, der Einsatz von ausgewählten elektronischen Gegenmaßnahmen gegen sowjetische Schiffe und deren Fernmelde- und Radartechnik sowie das Unterbinden oder Behindern der Benutzung gewisser Wasserstraßen, etwa des Nord-Ostsee-Kanals, durch Schiffe des Warschauer Paktes durch entsprechende Verwaltungsmaßnahmen.768 Die zunächst noch vorläufige Liste der Kategorie B769 war von anderer Qualität, weil sie die Anwendung von Gewalt beinhaltete: Diese Gegenmaßnahmen mussten durch militärische Mittel unterstützt werden können, wenn sie wirkungsvoll eingesetzt werden und als Vergeltungsmaßnahmen gegen sowjetische oder ostdeutsche Störungen dienen sollten. Es war zu erwarten, dass der Gegner in ähnlicher Weise antworten würde.770 In Anbetracht der hohen Zahl von westlichen Handelsschiffen, die zu jeder Zeit in Häfen der Ostblockländer lagen, konnte es notwendig sein, ein wirtschaftliches Embargo zu erklären, bevor eine Gegenmaßnahme dieser Art eingeleitet würde, damit die Schiffe rechtzeitig auslaufen und dadurch dem Zugriff der Gegenseite entzogen werden konnten. Fünf einzelne Gegenmaßnahmen waren hier vorgesehen: Erklärung von Sicherheitszonen auf See oder in Meerengen, in denen Schiffe des Warschauer Paktes Beschränkungen und besonderen Bedingungen unterworfen werden sollten; Inbesitznahme von Schiffen auf hoher See, die der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg von den USA überlassen worden 766 767 768

Ebd., Para. 4.1(5), Para. 4.2 und Para. 4.3, S. 3. f. BArch, BW 71/46, Nr. 6: BQD-M-24, Annex A, Teile I und II. Ebd., Annex A, Part I. Ebd., Annex A, Part I des Reports. BArch, BW 71/46, Nr. 6: Part I in Annex A, o.S. Ein Teil dieser Maßnahmen war schon in anderen Dokumenten genannt worden, z.B. in BQD-CC-11 »Military Countermeasures« oder in Entwürfen dazu. Sie haben teilweise auch Parallelen in der Planung der NATO, den dortigen MARCONs. Siehe dazu auch Kap. III.5. 769 BArch, BW 71/46, Nr. 6: Annex A, Part II. 770 BArch, BW 71/46, Nr. 6: Zit. nach der ›Note‹ auf Vorblatt von Annex A, Teil II, BQD-M-24. 764 765



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waren,771 jedoch außerhalb des sowjetischen Schutzes durch See- oder Luftstreitkräfte;772 Blockade der Sowjetunion und der DDR in ausgewählten Seegebieten, also etwa im Schwarzen Meer, in der Ostsee oder im Atlantik; weltweite Seeblockade, ggf. auch des gesamten Ostblocks; schließlich offensive Seeoperationen wie Angriffe auf sowjetische Schiffe auf hoher See, offensive Minenoperationen usw. Alle diese hier gelisteten Maßnahmen galten zunächst nur als Vorschläge und sollten lediglich die Richtung der Planungen vorgeben.773 Die Military Subgroup wies hierzu auf einige politische Überlegungen774 hin, die sie in diesem Zusammenhang, besonders für die Maßnahmen der Kategorie B, für wichtig hielt.775 Grundsätzlich sei es wünschenswert, das überlegene Gewicht der westlichen Seemacht als Teil der abgestuften westlichen Handlungen einzubringen, wenn es um die Lösung des Berlin-Problems gehe.776 Die Auswirkungen einer Seeblockade auf die sowjetische Wirtschaft würden auf kurze Sicht signifikante Verwerfungen bewirken können, auf die Dauer aber von begrenzter Reichweite sein. Die Wirkung auf den Handel neutraler Staaten könne im Einzelfall größer sein und deren Gegenmaßnahmen provozieren, beispielsweise die Schließung des Suez-Kanals durch Gamal Abdel Nasser.777 Eine wirklich zutreffende Beurteilung sowjetischer Reaktionen könne ohne Kenntnis der politischen und militärischen Lage zum Zeitpunkt der Krise nicht vorgenommen werden. Darin schwang die Hoffnung mit, eventuell unter Ausnutzung des Überraschungsmoments zum Erfolg zu gelangen, anfangs auch ohne Gewaltanwendung. Es sei in den Planungen aber davon auszugehen, dass Gewalteinsatz notwendig sei und dass die Sowjetunion Vergeltung üben würde.778 Drei sowjetische Reaktionen, möglicherweise in Kombination, wurden als wahrscheinlich angesehen: breit gestreute, aber eher sporadische Angriffe auf alliierte Schiffe, ein allgemeiner U-Boot-Krieg gegen die alliierte Schifffahrt im Rahmen eines begrenzten Seekriegs mit noch überschaubaren Risiken oder der Aufmarsch von Landoder Luftstreitkräften der Sowjetunion oder verbündeter oder befreundeter Nationen an anderer Stelle.779 Zu den beiden ersten Szenarien hielten die Briten einen Vorbehalt im Papier fest: Für London waren diese Optionen zu gefährlich. In diesem Zusammenhang kamen die Grundlagen der britischen Militärstrategie infolge der geografischen Lage des Inselreiches zum Ausdruck. Auch die Bedeutung der Atomwaffen zur See trat deutlich zutage. Die wichtigste Operation gegen feindliche U-Boote sei der nukleare Angriff, der aber in einem Berlin-Konflikt verwehrt bleibe.780 Der Schutz der eigenen Schifffahrt verlange bei konventionellen Auseinandersetzungen enorme Kräfte, die nach Meinung der NATO-Befehlshaber nicht ausreichend verfügbar seien. Die westlichen Alliierten seien »Land-lease-ships«, damals noch ein Faktor für die Sowjetunion. Zu dieser Zeit liefen noch 84 amerikanische Schiffe unter sowjetischer Flagge, 52 % der Kapazitäten im maritimen Schwertransport, so die Information in der Klammer, lfd. Nr. 9, S. 1, Part II. 773 BArch, BW 71/46, Nr. 6: Memo zum BQD-M-24, 11.12.1962, Recommendation (2), S. 1. 774 Zum Beispiel in BArch, BW 71/127, Nr. 2: BQD-M-10 »Instructions to NATO Military Authorities«, LO(IN)-TS-64-2063, 1.11.1961, Para. 6. 775 Darauf wird an anderen Stellen eingegangen. 776 Vgl. BArch, BW 71/46, Nr. 6: BQD-M-24, III.B.1, S. 2. 777 Ebd., III.B.2, S. 2. 778 Ebd., III.B.3. 779 Ebd., III.B.4. 780 Ebd., Fußnote, S. 3, unter III. Para 4 in BQD-M-24. 771 772

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aber stark abhängig von der Bewegungsfreiheit ihrer Handelsschifffahrt, die Sowjetunion sehr viel weniger. Daher hätte der Westen auf See mehr zu verlieren. Wegen der weiten Verteilung der Schiffe über den ganzen Erdball sei er verwundbarer gegenüber isolierten, sporadischen Angriffen.781 Es war generell schwierig vorauszusehen, wie die Gegenseite reagieren würde. Einen entscheidenden Faktor bildete die Frage, ob die westlichen Operationen zur See allein oder in Verbindung mit anderen militärischen und nicht-militärischen Maßnahmen ausgeführt würden. Für unwahrscheinlich wurde es angesehen, dass die Sowjetunion danach einen strategischen, präventiven Nuklearangriff beginne, denn die vorgesehenen Maritimen Gegenmaßnahmen gefährdeten nicht die Existenz der Sowjetunion. Auf der anderen Seite konnte eine Maritime Gegenmaßnahme allein die Sowjetunion gewiss nicht überzeugen, in einer Berlin-Krise nachzugeben. Derlei konnte sogar eher als ein Ausweichen vor der Konfrontation verstanden werden. In Verbindung mit anderen militärischen und nicht-militärischen Gegenmaßnahmen konnten Handlungen zur See indes den allgemein abschreckenden Effekt immer mehr verstärken und daher als ein Akt der Demonstration des alliierten Willens wirken, die Verteidigung ihrer Stellung in Berlin mit allen Mitteln und regional übergreifend zu gewährleisten. Nicht zu leugnen war, dass auch hier ein Eskalationsrisiko bestand. Jedoch schienen die Chancen, die Kontrolle über die Operationen zur See zu behalten, besser als zu Lande oder in der Luft. Im Einklang mit der NATO-Strategie zielten wie bisher alle Maßnahmen darauf, die Verantwortung für die Erstanwendung von Gewalt möglichst der Sowjetunion aufzubürden. Ob dies gelang, stand auf einem anderen Blatt. In einer Blockadesituation konnte die Lageentwicklung rasch auch zur Feuereröffnung durch die eigene Seite führen.782 Ein weiteres Thema betraf die möglichen ökonomischen Folgen für das eigene Lager. Wenn Maßnahmen dieser Kategorie ernsthafte Verwerfungen in den Handelsströmen hervorriefen, konnten die Auswirkungen für manche NATO-Nationen überproportional hart ausfallen. Es erwies sich als nötig, die durch ein wirtschaftliches Embargo entstehenden Kosten und Lasten gleichmäßig zu verteilen.783 Diese Ausführungen im grundlegenden Papier zu den Maritimen Gegenmaßnahmen zeigen die große Tiefe und Breite der politischen Überlegungen, das Abwägen der Vorund Nachteile für beide Seiten, aber auch die große Vorsicht, mit der vorgegangen werden musste. Hier wurde nicht einfach ein neues Schlachtross bestiegen. Alle Beteiligten waren sich der möglichen Nachteile bewusst. Dies galt auch für eventuelle Reaktionen neutraler Staaten. Andererseits hoffte man auf die Signalwirkung der Demonstration der eigenen Stärke. Allerdings mussten die Vier Mächte sicherstellen, dass alle notwendigen Planungen abgeschlossen wurden, um die richtigen Maßnahmen in richtiger Dosierung zum richtigen Zeitpunkt in Gang setzen zu können.784 Auch vor dem Hintergrund möglicher Rückwirkungen auf jedes NATO-Mitgliedsland musste eine ständige, umfassende Koordinierung durch die Vier Mächte im NATO-Rat gesichert werden.785 Dieser Vorbehalt ebenfalls ebd. in der Fußnote, S. 3, unter b*. Ebd., III.B.5‑8. 783 Ebd., III.B.9. 784 Ebd., III.C; auch BArch, BW  71/127, Nr.  2: BQD-M-10, LO(IN)-TS-64-2063, 1.11.1961, Para. 10. 785 BArch, BW 71/46, Nr. 6: BQD-M-24, III.D. 781 782



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Schon im Januar 1963 nahm »Sea Spray« den Dienst auf.786 Gleichzeitig wurden auch die Mitglieder des Marinekomitees in Washington benannt. Am 19. Februar trat das Komitee zu seiner ersten Sitzung zusammen. Es nahm den Decknamen »Deep Sea« an und wählte den amerikanischen Vertreter zum Vorsitzenden. Zugleich wurde ein Sekretariat, das Office des Chief of Naval Operations bei CINCLANT (der nationalen US-Variante für SACLANT, NATO) eingerichtet und »Sea Spray« zum Planungsstab (»Deep Sea Planning Team«) für das Komitee mit dem Auftrag bestimmt, eine vollständige Liste aller bisher irgendwo bereits erarbeiteten Maritimen Gegenmaßnahmen, Konzepte und deren Bewertung bzw. ihre möglichen Auswirkungen zu erarbeiten.787 Mit dem Beschluss der Military Subgroup, auch die maritime Organisation von Live Oak gemeinsam zu finanzieren,788 wurde diese endgültig in die Gesamtorganisation aufgenommen. Die Ankunft des deutschen Vertreters am 6. März beschloss diese Phase, und die eigentliche Stabs- und Planungsarbeit konnte beginnen.789 Das Marinekomitee hat drei operative Themenkomplexe bearbeitet und die Ergebnisse als Vorbereitung für die Planungen in Form von Naval Countermeasure Reports (NCR) gemeldet. Insbesondere der Bericht NCR-1, die Liste der Maritimen Gegenmaßnahmen, wurde im Einvernehmen mit der WAG als Grundlage für die weiteren Planungen genutzt.790 NCR-1 enthielt in Übereinstimmung mit BQD-M-24 das allgemeine Konzept sowie eine Liste von Gegenmaßnahmen mit den jeweiligen wahrscheinlichen Wirkungen. Das Komitee hatte außerdem empfohlen, welche Gegenmaßnahmen es für geeignet hielt, um mit der detaillierten Planung zu beginnen. Dabei war klar, dass je nach Lage und Erkenntnis neue Maßnahmen eingeführt bzw. ergriffen werden mussten.791 Flexibilität war und blieb das oberste Gebot. Der Katalog von NCR-1 enthielt 13 Posten NAVCONs:792 – NAVCON 1: »In-Port Harassment of USSR/GDR/Soviet Bloc-Shipping« – NAVCON 1A: »In-Port Seizure of Lend-Lease Ships« – NAVCON 2: »Encumber USSR/GDR/Soviet Bloc Ships to Use of Kiel- and/or Panama-Canals through Administrative Action Resulting in Excessive Delays« – NAVCON 3: »Intensify ASW surveillance of USSR/GDR/Soviet Bloc Submarines« – NAVCON 4: »Conduct Intensive Naval Exercises« – NAVCON 5: »Commence Augmentation of National Naval Forces« – NAVCON 6: »Initiate Close Surface and Aerial Surveillance and Generally Harassment of USSR/GDR/Soviet Bloc-Shipping at Sea« Der erste deutsche Vertreter war Kapitän z.S. Friedrich Guggenberger: BArch, BW 71/119, Nr. 43: BQD-M-39, 16.1.1963, S. 2. 787 BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 4‑7. 788 BArch, BW 71/119, Nr. 46: BQD-M-40, 1.3.1963, S. 1; auch BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 7. 789 BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 7. 790 BArch, BW 71/47, Nr. 37: NCR-1 »Memorandum for the Quadripartite Ambassadorial Group, Subj.: List of Naval Countermeasures«, 15.10.1963, LO(IN)-S-64-3065; Hinweise auf die Schwierigkeiten gibt BArch, BW 71/16, Nr. 89: GLNO-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967, Anl. 16, S. 4 f., Tgb.Nr. geschwärzt. 791 BArch, BW 71/47, Nr. 37: Begleitbrief, 13.9.1963, Para. 1. 792 Ebd., NCR-1 »Memorandum for the Quadripartite Ambassadorial Group, Subj.: List of Naval Countermeasures«, 15.10.1963, Para. 1; die NAVCONs selbst detailliert erläutert auf S. 4‑20. 786

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– NAVCON 7: »Employ Electronic Countermeasures (ECM) Against Seaborne USSR/GDR/Soviet Bloc-Electronics and -Communications Equipment« – NAVCON 8: »Shadow USSR/GDR/Soviet Bloc Warships in Specified Areas« – NAVCON 9: »Board and Search Designated USSR/GDR/Soviet Bloc Ships« – NAVCON 10: »Embargo of Selected Items in Specified Areas« – NAVCON 11: »Exclusion of USSR/GDR/Soviet Bloc-Shipping from Selected Areas and/or the Establishment of Security Zones« – NAVCON 12: »Seize Designated USSR/GDR/Soviet Bloc Ships on the High Seas«. Eine ähnliche Aufstellung existierte bereits in BQD-M-24.793 Bei der Durchführung der Maritimen Gegenmaßnahmen mussten zwei Faktoren berücksichtigt werden, um den Zusammenhang mit der Lage um Berlin herzustellen. Die Aktionen mussten klar als Repressalien zu diesem Zweck erkannt werden können, und die Antwort musste angemessen sein. Die Entscheidung, eine Maritime Gegenmaßnahme einzuleiten, war ausschließlich eine politische. Sie wurde im Ernstfall von den Regierungen getroffen, die die WAG nutzten, um sich zu beraten und eine gemeinsame Haltung zu erarbeiten. Einvernehmen über die geeigneten und notwendigen Konsultationen mit der NATO wurde ebenfalls in der WAG hergestellt. Die praktische Führung oblag den nationalen Befehlshabern, die die NAVCORCENT nutzten, um die NAVCONs zu koordinieren.794 Anhand von Beispielen werden im Folgenden die Grundcharakteristika mancher NAVCONs dargestellt. NAVCON 1 war eine Maßnahme, die vorrangig von den zivilen Behörden durchgeführt werden musste: die Behinderung der Schifffahrt der UdSSR, der DDR und des Warschauer Paktes in westlichen Häfen. Nach NCR-1 war es das Ziel dieser Maßnahme, Schiffen des Gegners Dienstleistungen zu verwehren, die ihnen normalerweise in alliierten Häfen zur Verfügung gestellt wurden. Dadurch wurden die Aktivitäten der betroffenen Schiffe eingeschränkt. Diese Maßnahme hätte im Ernstfall durch die dafür zuständigen nationalen und militärischen Dienststellen durchgeführt werden müssen, die ihre Weisungen dazu von ihrer jeweiligen Regierung erhielten. Als Maßnahmen kamen die Verzögerung oder Verweigerung von Dienstleistungen in Betracht, etwa die Quarantänebescheinigung, Anker- und Liegeplätze, Bunkern, Lotsen- und Schlepperdienste, Ladedienste, Instandsetzungshilfe, die Lieferung von Wasser und Verpflegung, Fernmeldeanschluss usw. Sie konnte auch das Verbot einschließen, den eigenen Funk im Hafen zu benutzen. Die voraussichtliche Wirkung wurde als eher begrenzt angenommen,795 weil die Zahl der gegnerischen Schiffe in den Häfen der Vier Mächte sehr niedrig war. Ein größerer Erfolg konnte erzielt werden, wenn sich die Zahl der beteiligten Nationen erhöhen ließ, da insbesondere in Europa ein Ausweichen in Häfen anderer, nicht teilnehmender Länder relativ einfach zu organisieren war. Ferner musste man auch gewärtigen, dass der Gegner mit gleichen Maßnahmen reagieren würde. In den Marinen ist Aberglaube weit verbreitet, weswegen die Nummer  13 umgangen wurde. Siehe BArch, BW  71/47, Nr.  37: »Index of NAVCONs«, ohne Seitenbezeichnung, in NCR-1, 13.9.1963, Anlage »Memorandum« zu NCR-1, 15.10.1963. 794 Ebd., NCR-1, »Introduction«, Para. 2 und Para. 5, S. 2 f. 795 Ebd., »NAVCON 1«, Para. 1, S. 4. 793



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Das zweite Beispiel, NAVCON 6, enge Überwachung und Behinderung der Schifffahrt der UdSSR bzw. der DDR und des Warschauer Paktes auf Hoher See und aus der Luft, erforderte größeren Aufwand in der Ausführung.796 Das Konzept verfolgte das Ziel, die Fähigkeit der Vier Mächte zu demonstrieren, die Schifffahrt der Gegenseite einschließlich der Fischfangflotten wirksam zu behindern. Die Aktion sollte so durchgreifend und nachhaltig wie irgend möglich ausfallen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten geografisch eng begrenzte Seegebiete mit einer hohen Konzentration alliierter Seestreitkräfte ausgewählt werden, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Der Demonstrativeffekt konnte durch zufällige oder absichtliche Beschädigung von Material gesteigert werden, z.B. durch Kollisionen bei Seemanövern oder Beschädigung von Netzen der Trawler. Diese NAVCON konnte unterteilt werden, wenn differenzierteres Handeln gefordert war: – NAVCON 6a: Beobachten bestimmter Handelsschiffe der Gegenseite in genau bezeichneten Seegebieten. Die Beobachtung musste für die Gegenseite erkennbar sein. – NAVCON 6b: Behindern und unmittelbares Belästigen genau bezeichneter gegnerischer Schiffe, ohne aber absichtlich Schäden zu verursachen. – NAVCON 6c: Dasselbe tun, diesmal mit der erkennbaren Absicht, kleinere Schäden zuzufügen.797 Das letzte Beispiel ist NAVCON 11: Verdrängung des gegnerischen Schiffsverkehrs aus ausgewählten Seegebieten mit oder ohne Einrichtung von Sicherheitszonen.798 Dabei konnte die Reichweite und die Intensität wirkungsvoll variiert werden. Man verfügte über die Möglichkeit, gewisse Länder ein- oder auszuschließen, alle oder ausgewählte Ladungen aufzunehmen, z.B. Kriegsmaterial, und man konnte die Seegebiete, in denen das alles jeweils gelten sollte, selbst bestimmen. Nach der Entscheidung der Regierungen, diese Maßnahme einzuleiten, würde eine gemeinsam ausgearbeitete Bekanntmachung mit etwa folgendem Inhalt veröffentlicht: Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird ein genau bezeichnetes Seegebiet für alle Schiffe des Gegners einschließlich der Fangflotten geschlossen, oder es wird dort eine Sicherheitszone eingerichtet, in der jeder Schiffsverkehr bestimmten Zugangsverfahren unterworfen wird. Gleichzeitig wird bekanntgegeben, dass diese Maßnahme als Vergeltungsmaßnahme für die sowjetische Beeinträchtigung der alliierten Rechte in Berlin ergriffen worden sei. In den bezeichneten Seegebieten aufgebrachte gegnerische Schiffe werden in einen Hafen der Vier Mächte umgeleitet und dort festgehalten, »pending resolution of the Situation in Berlin.«799 Die Bekanntmachung kann auch die verschärfende Erklärung enthalten, dass gegnerische Schiffe, einschließlich getauchter U-Boote, welche innerhalb dieser Zonen angetroffen werden, so behandelt würden, als ob sie diese Zonen absichtlich verletzt hätten. Die Seegebiete sollten so ausgewählt werden, dass die gegnerischen Schiffe auf ihren normalen, regelmäßig befahrenen Schifffahrtswegen und Handelsrouten abgefangen werden konnten. Es kamen nur Gebiete außerhalb der Reichweite sowjetischer Mittelstreckenbomber in Frage. Zusätzlich sollten diese Räume sich zum Einsatz von aus 798 799 796 797

Ebd., »NAVCON 6«, S. 11. Ebd., »NAVCON 6c«, S. 11. Ebd., »NAVCON 11«, S. 18, Para. 2.b, Zit. ebd. Ebd., Para. 2.c, S. 18.

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reichenden Kräften von einer oder mehr Nationen der Vier Mächte anbieten, um die Aktion wirkungsvoller gestalten zu können. Wenn streng und machtvoll ausgeführt, würde die gegnerische Handelsflotte so aufgehalten und umgeleitet, dass etwa 56 Prozent des gegnerischen Handels über die See betroffen wären. Die Konsequenz wären wesentliche Verwerfungen der Handelsströme gewesen, die die Sowjetunion deutlich in Verlegenheit gebracht hätten, da sie versprochene Lieferungen nicht hätte einhalten können. Diese Wirkungen konnten aber bis zu einem gewissen Grad durch die blockunabhängige Charterschifffahrt abgeschwächt werden, soweit diese über zusätzlichen freien Schiffsraum verfügte. Darüber hinaus konnte auch die Tätigkeit von Schiffen, die Nachrichten und Informationen für die Gegenseite sammelten, beeinträchtigt werden; ein wichtiger Nebeneffekt. Das NCR-1 vom Oktober 1963 war die Grundlage für die Arbeit im Detail, die nun folgte, obwohl das Dokument zunächst noch nicht die volle politische Unterstützung in der WAG fand. In einer Organisation der Krisenbewältigung sind militärische Gegenmaßnahmen nicht ohne Einsatzregeln denkbar, die in einem zweiten Grundsatzpapier, NCR-2,800 geregelt wurden. Darin wurden der Zweck der Regeln und deren Anwendung dargestellt, gleichzeitig Alternativen für die politische oder militärische Führung dargeboten. Das Grundprinzip orientierte sich, wie etwa auch die Rules of Engagement der Allied Mobile Force (AMF),801 an NATO-Prinzipien. Die Einsatzregeln dienten vor allem dazu, die NAVCONs zum Zeitpunkt ihres Einsatzes präzise zu steuern und die einheitliche Ausführung durch die teilnehmenden Kräfte sicherzustellen. Damit sollte das Krisenmanagement zu jedem Zeitpunkt rational umgesetzt werden und nicht aus dem Ruder laufen. Eine ganz entscheidende Rolle spielte dabei die genaue Dosierung möglicher Gewaltanwendung.802 Sechs Grundsätze hatten die Führer der Vier Mächte und der nationalen Streitkräfte zu beachten.803 Gegenmaßnahmen durften einerseits nur mit einem Minimum an Gewalt eingesetzt werden, andererseits waren ausreichende Kräfte zur Verfügung zu halten, damit die Maßnahme zum Erfolg geführt werden konnte. Bei der Wahl des Seegebietes musste darauf geachtet werden, dass es möglich war, eigene Kräfte dort rasch und in ausreichender Zahl zu konzentrieren. Auch musste alles getan werden, um Störungen für den Schiffsverkehr befreundeter und neutraler Staaten zu minimieren. Zwingend war zudem eine enge Abstimmung zwischen den zuständigen nationalen Befehlshabern und den NAVCORCENT, außerdem musste eine straffe, reaktionsschnelle Führung gewährleistet sein.804 Nur durch wirkungsvolle Fernmeldeverbindungen und Meldeverfahren konnte garantiert werden, dass die WAG im Ernstfall über jede maritime Gegenmaßnahme beraten und Entscheidungen treffen konnte. Als problemsteigernd erwies sich die Tatsache, dass die nationalen Vertreter in der WAG stets die Genehmigung ihrer jeweiligen Regierung einholen mussten. Alle Einheiten, die in Maritimen Gegenmaßnahmen eingesetzt wurden und im Kontakt mit gegnerischen Schiffen standen, hatten Anweisung, ständig Verbindung mit ihrer BArch, BW 71/47, Nr. 23: »Rules of Conduct«, 13.11.1963, LO(IN)-S-63-3068. In der NATO und oft auch bei Live Oak wurden diese Regeln Rules of Engagement (ROE) genannt. 801 Vgl. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 209‑212. 802 BArch, BW 71/47, Nr. 23, v.a. Para. 1(1) und Para. 1(3). 803 Ebd., »Principles«, Para. 2. 804 Ebd., Para. 2(4), S. 1. 800



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361

nationalen Führung zu halten. Wenn sie abriss, durfte die angefangene Aktion zu Ende geführt, aber keine neue begonnen werden, bis die Verbindung wieder hergestellt war. Das Prinzip der Selbstverteidigung blieb aber gültig.805 Generell mussten die Befehlshaber stets darauf vorbereitet sein, auf Befehl schärfere Einsatzregeln anzuwenden. Andererseits war es notwendig, den Schiffsführern der Gegenseite genügend Zeit zuzugestehen, bevor eine Maßnahme vollstreckt wurde, um die vollen Konsequenzen zu verstehen, wenn sie nicht richtig auf die Maßnahme reagierten.806 Die Verantwortung dafür, der Erste zu sein, der das Feuer eröffnete, sollte auf jeden Fall der Gegenseite auferlegt werden. Die Kommandeure und Kommandanten mussten dabei stets wachsam und auf eine feindselige Antwort vorbereitet sein. Nur so konnten sie angemessen reagieren, um ihre Kräfte oder ihr Schiff zu schützen. Die Entscheidung für den Ersteinsatz nuklearer Waffen bzw. deren Anforderung beim USPräsidenten blieb bei höheren Befehlshabern und wurde nicht an einen Kommandeur oder Kommandanten delegiert. Eine Maßnahme zur Beschattung, das heißt der engen Überwachung eines gegnerischen Kriegsschiffs, war in der Weise durchzuführen, dass sie den Gegner belästigte, aber keinen Schaden am Material und keine Verluste an Menschenleben verursachte. Kommandeure und Kommandanten mussten auch hier damit rechnen, dass der Gegner mit gleicher Münze antwortete (»Counter-Harassment«). Alle Maritime Gegenmaßnahmen sollten so angewendet werden, dass Verluste möglichst gering blieben. Für Menschen in Not sollte jede mögliche Unterstützung gegeben werden. Aufforderungen zu Kursänderungen an gegnerische Schiffe bzw. Flugzeuge mussten im eigenen Lager allseitig abgestimmt sein. Sie würden in der Regel bedeuten, bis zum Verlassen der Sicherheitszone auf Gegenkurs zu gehen oder einen Hafen einer der Vier Mächte anzulaufen. Befehlshaber, die diese Kursänderung anordneten, mussten die notwendigen Schritte unternehmen und sicherstellen, dass das betreffende Schiff der Anordnung Folge leistete. Nationale Befehlshaber und NAVCORCENTs sollten die Bewegungen überwachen. Selbstverständlich bestand für alle Einsatzkräfte die Verpflichtung, alle Vorkommnisse, Entscheidungen und Handlungen vollständig und detailliert zu dokumentieren. Um die nötige Handlungsfreiheit zu behalten, konnte die WAG vorgegebene Regeln ändern, ergänzen, streichen und durch andere, aktuellere ersetzen. Oberstes Ziel dieser Vorgaben war es, die Lage und ihre Entwicklung politisch und militärisch stets ausreichend zu kontrollieren. Ein Blick auf die im NCR-2 aufgelisteten Einsatzregeln807 für Schiffe zeigt das Ausmaß der Regelungen im Detail. Wegen der Vielfalt und des Umfangs müssen hier einige Beispiele genügen:808 »1. Armament: a. Training of armament is forbidden. b. Training of armament is permitted. c. Training of armament is directed. d. Warning shots may not be fired.

807 808 805 806

BArch, Bw 71/47, Nr. 23: NCR-2, Para. 3, S. 2, hier v.a. Para. 3.a. Ebd., Para. 3, S. 2 f., auch im Folgenden. Ebd., Para. 4, S. 3, sowie Table I und II. Ebd., Table I, Schiffe. Angaben in eckigen Klammern verweisen auf die Anzahl der Unteroptionen, ohne diese explizit aufzuführen.

362

2. 3. 4. 5.

6. 7.

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme e. Warning shots may be fired across bow. f. Use minimum force necessary to cause ship to stop and submit to boarding. g. If minimum use of force fails to accomplish task, destroy the ship. Exclusion Areas, Security Zones and Embargo: [6 Options]. Boarding: [17 Options]. Communications: [6 Options]. Interference by Soviet Bloc Warships or Aircraft: If USSSR/›GDR‹/Bloc warship(s) or aircraft interfere with task: a. Cease task. b. Resist interference by minimum use of force necessary to continue task. c. Threaten scuttling of ship in custody. d. Scuttle ship in custody if interference persistent. Shadowing and Harassment: [13 Options]. Submarine Contact809 [17 Options]«.

Die Regeln für den Einsatz von Flugzeugen waren ähnlich, aber den besonderen Bedingungen der dritten Dimension angepasst:810 »1. Weapons a. Weapons may not be fired/dropped. b. Weapons: Cannon/rockets/depth charges/bombs may be fired/dropped well ahead/ astern of ship (safe distance). c. Weapons may be fired/dropped as ordered at designated ships. d. Smoke and/or flame floats may not be dropped in vicinity of ships. e. Smoke and/or flame floats may be dropped in vicinity of ships. f. Flares and/or photo-flashes may not be dropped. g. Flares and/or photo-flashes may be dropped. 2. Exclusion area, security zones: [4 Options] 3. Inspection a. Conduct close inspection, photograph deck cargo and report. b. Conduct close inspection, photograph electronic equipment and report. c. Take vertical/oblique photographs. 4. Communications: [6 Options]. 5. Interference by USSR/›GDR‹/Bloc warships or aircraft: If USSR/›GDR‹/Bloc warship(s) or aircraft interfere with task: a. Cease task. b. Resist interference by minimum use of force to continue task. c. Threaten destruction of ship(s) under escort. d. Destroy ship under escort if interference persistent. e. Intercept USSR/›GDR‹/Bloc aircraft. f. Divert USSR/›GDR‹/Bloc aircraft away form the exclusion area. g. Divert USSR/›GDR‹/Bloc aircraft away form friendly naval forces. h. Firing of warning shots ahead of USSR/›GDR‹/Bloc aircraft not permitted. i. Firing of warning shots ahead of USSR/›GDR‹/Bloc aircraft permitted.

Diese Regeln galten speziell für den Umgang mit getauchten Unterseebooten. Ebd., Table II, Flugzeuge

809 810



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363

j. Firing at USSR/›GDR‹/Bloc aircraft not permitted. k. Firing at USSR/›GDR‹/Bloc aircraft permitted. l. Hot pursuit not authorized. m. Hot pursuit authorized over international waters only. n. Hot pursuit authorized over territory of ... (country). 6. Shadowing and Harassment: a. Shadow at visibility distance. b. Shadow not closer than ... miles. c. Shadow by radar. d. Shadow by radar but out of visual range. e. Do not fly over any suspect ship. f. Do not fly over any USSR/›GDR‹/Bloc warship.«

Die numerische Bezeichnung der Regelgruppe und die alphanumerische Bezeichnung der Maßnahme erlaubte eine schnelle Übermittlung ohne verräterischen Text, was wiederum Führung und Ausführung erleichterte. Über die hier enthaltenen Maßnahmen hinaus waren viele andere vorstellbar, die bei Bedarf rasch eingeführt werden konnten. Der umfangreiche Katalog mit all seinen Einzelpunkten zeigt, mit welcher Energie man versuchte, mögliche Krisenlagen unter Kontrolle zu halten und für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Insofern ist die Krisenplanung von Live Oak ein Paradebeispiel für ein wesentliches Merkmal des Kalten Krieges: den Versuch, schwer definierbare, vielleicht sogar eher eingebildete Bedrohungen und Zwangslagen so weitgehend wie möglich mit dem Mittel der Rationalität zu bewältigen. Das »Concept of Operations« der Maritimen Gegenmaßnahmen wurde erstmals 1964 entworfen und in einer zweiten Fassung nach Genehmigung durch die WAG im Februar 1968 als NCR-3 fertiggestellt.811 Es enthielt vier Teile: das Konzept selbst, dann die Operativen Verfahren mit den Fernmeldeverbindungen und schließlich die Terms of Reference für »Deep Sea« sowie die NAVCORCENTs mit ihren Verantwortungsbereichen. Es ging zunächst um einige organisatorische Klarstellungen. Im Basic Paper vom April 1959 ist USCINCEUR als der verantwortliche Befehlshaber der Vier Mächte mit der »Militärischen Eventualfallplanung« betreffend Berlin (Live Oak) beauftragt worden. Hier wurde nun festgestellt, dass dies nach BQD-M-24 nur noch für die Luft- und Landoperationen galt, aber nicht für die zur See, also nicht für das »Naval Contingency Planning«.812 Dafür war nun allein die WAG mit dem Marinekomitee als beratendem Organ verantwortlich.813 Die Bonn Group hätte ggf. in einer Berlin-Krise den Einsatz von Maritimen Gegenmaßnahmen anregen können.814 Für die Bündelung mit Live Oak wurde indes eine zusätzliche Leitungsfunktion eingeführt. Die vier Offiziere jeder Gruppe, je einer der Vier Mächte, arbeiteten als Vertreter ihrer nationalen Marinen als eine Einheit unter dem Vorsitz eines Direktors des NAVCORCENT.815 Dieser Dienst BArch, BW  71/49, Nr.  5: Deep Sea »NCR-3 Concept of Operations«, 29.2.1968, LO(IN)S-68-3051, »Promulgating Letter« des NCR-3, Para.  1, S.  1: SecState WAGTO-45, Msg, 28.12.1967, dieses nicht in BW 71. Die erste Fassung von 1964 ist nicht überliefert. 812 Ebd., NCR-3, Part I, Para. 4, S. 2. 813 Ebd., Para. 8, S. 3. 814 Ebd., Para. 5, S. 2. 815 Ebd., Para. 12.a, S. 5. 811

364

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posten war neu. »Each NAVCORCENT will have a Director who is responsible for the organization and operation of his NAVCORCENT.«816 Für das NAVCORCENT Live Oak erhielt der CLO diese Aufgabe zusätzlich übertragen, als vierten Hut sozusagen.817 Bei »Sea Spray« nahm der CINCLANT diese Aufgabe wahr.818 Als Grund für diese besondere Bestellung ist die unterschiedliche Aufgabenstellung zu sehen. Während der CLO für gewisse Pläne Führungsverantwortung erhalten hatte, war das bei den Maritimen Gegenmaßnahmen nicht der Fall. Hier beschränkten sich seine Befugnisse auf ein Vorschlagsrecht und auf die Koordinierung von national geführten Operationen. Letztlich aber liefen die Fäden de facto doch beim SACEUR mit seinen vier Hüten zusammen. Die NAVCORCENTs koordinierten alle Planungen zu Maritimen Gegenmaßnahmen für den Kommandobereich des Kriegsschauplatzes,819 also z.B. für Europa bei Live Oak. Sie bewerteten alle Informationen, Nachrichten und Erkenntnisse über Schiffsbewegungen der Gegenseite in ihrem Verantwortungsbereich und berichteten darüber an das Marinekomitee und andere betroffene Hauptquartiere. Sie werteten Lageberichte über Maritime Gegenmaßnahmen in ihrem Verantwortungsbereich aus und tauschten Informationen innerhalb des eigenen ­NAVCORCENT, mit den anderen ­NAVCORCENTs und den nationalen Hauptquartieren aus. Sie sorgten für die Mittel, also etwa die Fernmeldeanlagen, durch welche die operative Verbindung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Hauptquartieren der Vier Mächte und den gemeinsamen Organisationen der Vier Mächte hergestellt wurde. Dazu bedurfte es modernster technischer Ausstattung und der Vollmacht für die NAVCORCENTs, unmittelbar mit allen Dienststellen verkehren zu dürfen, die für die Planung und Durchführung der Maritimen Gegenmaßnahmen Verantwortung trugen. Die hier eingesetzten nationalen Offiziere hatten daher das Recht, jederzeit mit ihren national zuständigen Dienststellen und Vorgesetzten in Verbindung zu treten. Die Operationsführung war nach Etablierung dieses Arrangements schwierig.820 Wie konnte das alles in dieser doch sehr komplexen Struktur ablaufen und ohne allzu große und gefährliche Friktionen erfolgreich umgesetzt werden? Im Vorfeld hatten die praktischen Erfahrungen in den Übungen der Jahre 1964 bis 1968 eine wichtige Rolle gespielt. Die gewonnenen Erkenntnisse gingen großteils darauf zurück.821 Die Verteidigungsministerien wählten innerhalb der von der WAG genehmigten Kriterien die Ziele aus und nutzten dazu alle erreichbaren Quellen des Nachrichtenwesens. Sie teilten die notwendigen Kräfte ein. Im Ernstfall sollten sie die Operationen dieser Kräfte führen und logistisch unterstützen. Sie hatten alle zuständigen Dienststellen Ebd., NCR-3, Part IV, »›Terms of Ref.‹ for the NAVCORCENTs«, Para. 4, S. 17. Eine offizielle schriftliche Bestellung oder sonstige Bestätigung konnte ich bisher nicht finden; m.E. sollte dieses spätestens in den frühen siebziger Jahren geschehen sein. Siehe hierzu auch BArch, BW 71/203, Nr. 1: Pedlow, »Live Oak and the Preservation of Allied Access to West Berlin, 1959‑1990«, IAW SHLO O 91/022, 22.2.1991, S. 68‑70, v.a. Table 4, S. 68. 818 Auch hierfür habe ich keine bestätigende Quelle finden können; siehe ebd. 819 BArch, BW 71/49, Nr. 5: NCR-3, Part I, Para. 13.a, S. 6 (»at theater level«). 820 Ebd., Part II, S. 10‑14, »Operational Procedures«, detailliert dargelegt. 821 Man sollte die jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen der Zusammenarbeit der westlichen Marinen, bilateral, trilateral und in der NATO, nicht unterschätzen, die gewiss sehr hilfreich waren. 816 817



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durch Lagemeldungen822 über den Gang der Operationen informiert zu halten und mindestens einmal täglich den Stand der nicht eingesetzten, aber verfügbaren Kräfte durch den Forces Report (FOREP) zu melden.823 Ferner sollten sie die Koordinierung von Operationen bei Bedarf mittels der Coordination of Operations Request (COREQ)824 beantragen und laufend Informationen über den Gegner und sein Umfeld, besonders aber über seine Schifffahrt und Streitkräfte liefern. Auch die Verfahren der Alarmierung mussten abgestimmt werden.825 Es ging hierbei weniger um die Alarmierung der Truppen und Streitkräfte, sondern darum, die Führungs- und Koordinierungsmaschinerie anzuwerfen. Sobald erste Hinweise oder Überlegungen darauf hindeuteten, dass Maritime Gegenmaßnahmen eingesetzt werden sollten, waren dafür die geeigneten Maßnahmen zu treffen. Als erstes sollte das Marinekomitee der WAG zusammentreten, um die Unterstützung der WAG und die Ausarbeitung von Empfehlungen vorzubereiten. Das Lagezentrum von »Deep Sea« wurde aktiviert, die Lagedarstellung aktualisiert. Jedes MOD sollte das Marinekomitee über die für NAVCONs verfügbaren Kräfte und über jene Seegebiete informieren, in denen es Anfangsoperationen durchführen wollte. Die MODs sollten alle ihre Aufklärungsmittel nutzen, um mögliche Ziele zu suchen, zu lokalisieren und wünschenswerte auszuwählen. »Deep Sea« sollte dann die MODs um detaillierte Informationen zu ihren eigenen Schiffen in den Gewässern des Warschauer Paktes bitten. Dadurch stellten die einzelnen Akteure im System der Maritimen Gegenmaßnahmen die Arbeitsbereitschaft her. Sobald die WAG dann die Entscheidung getroffen hatte, NAVCONs zu nutzen, sollte sie den Ausführungsbefehl, normalerweise über das Marinekomitee, übersenden.826 Dieser hatte alle Details (z.B. Zeiten, Ziele, Einsatzräume und Regeln) für den Einsatz der eigenen Kräfte zu enthalten:827 Es galt die Regel »Ein Ziel, eine Nation«, das heißt, dass für jedes Ziel eine bestimmte Nation zuständig war. Dadurch sollten Wettfahrten und Missverständnisse vermieden werden. Die Verantwortung sollte eindeutig zugeschrieben werden. Dafür war es wichtig, dass das Marinekomitee und die N ­ AVCORCENTS sofort informiert wurden, wenn ein Ziel ausgewählt worden war. Es konnte dennoch sinnvoll sein, dass Kräfte verschiedener Nationen gegen dasselbe Ziel oder dieselbe Gruppe von Zielen operierten, also etwa dass Flugzeuge der einen Nation ein Ziel zum Nutzen von Kriegsschiffen einer anderen Nation suchten, oder Schiffe einer Nation Schiffe einer anderen ablösten. In diesen Fällen sollten die betreffenden MODs und NAVCORCENTs die gemischten Operationen vorher koordiniert haben. Wenn dieses nicht möglich gewesen oder versäumt worden war, mussten die Schiffe vor Ort sich gegenseitig informieren und ihr Handeln koordinieren, um einander nicht zu stören und zu gefährden. Eine sofortige Inkenntnissetzung der MODs war dann obligatorisch. Weiterhin sollten die NAVCORCENTs stets darüber unterrichtet werden, wo logistische Unterstützung auf See für die Kräfte der Vier Mächte bereitgehalten wurde. In den Meldungen über verfügbare Kräfte mussten Aussagen über die Dauer der Verfügbarkeit und den Stand 824 825 826 827 822 823

Ebd., Part II, Para. 2.c, S. 10, und Para. 5.b und 5.c, S. 12. BArch, BW 71/49, Nr. 5: »Forces Report«, Part II, Para. 5.d, S. 13. Ebd., Part II, Para. 2.g, S. 10; vgl. Annex A, ebd. Siehe ebd., Part II, Para. 3, S. 10 f., ebd. BArch, BW 71/49, Nr. 5: Vgl. den Teil »Implementation«, Part II, Para. 4, S. 11. Siehe »Operations«, Part II, Para. 5, S. 11‑13, ebd.

366

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

der Einsatzbereitschaft enthalten sein. Eine Abänderung befohlener NAVCONs war nur in Selbstverteidigung möglich oder nach ausdrücklicher Genehmigung. Einem MOD stand es frei, ein Ziel aufzugeben, wenn die Umstände es erforderten. Es sollte aber jedwede Anstrengung unternehmen, in einem solchen Fall ein anderes Ziel zu finden, damit die Anzahl der Ziele gleich blieb. In NCR-3 hatten die NAVCORCENTs ihren Verantwortungsbereich zugeteilt erhalten.828 Wenn nun im Ernstfall ein Ziel die Grenze eines NAVCORCENT zu einem andern kreuzte, dann sollte das Ziel nicht ›übergeben‹ werden. Falls Koordination notwendig wurde, sollte das zuständige MOD die betroffenen NAVCORCENTs informieren. Für NAVCON 3, Überwachung von U-Booten, wurden besondere, restriktive Regelungen eingeführt, da es sehr komplex war und kaum öffentliche Wirkung entfalten konnte.829 Ende September 1964 war vermutlich erstmals der Stand der Arbeitsbereitschaft der NAVCORCENTs gemeldet worden.830 Danach war Live Oak in maritimer Hinsicht zu dieser Zeit nur beschränkt arbeitsbereit, da das Operationszentrum noch nicht fertiggestellt war. Man arbeitete mit Aushilfen. Auch der Fluss der Informationen und Erkenntnisse aus dem Nachrichtenwesen war noch nicht vollständig gesichert. »Sea Spray« war schon in jeder Hinsicht gut vorbereitet, weil es die Einrichtungen von U ­ SCINCLANT nutzen konnte. Eine ausgewertete, nur auf die besonderen Bedürfnisse von Live Oak bezogene Lagekarte, das »Filtered Plot«, stand dem Marinekomitee »Deep Sea« in Washington zur Verfügung. Alles in allem waren der Aufbau der Organisation, das Konzept der Operationsführung, der Katalog der Maritimen Gegenmaßnahmen und der begleitenden Arbeiten weit fortgeschritten, auch wenn noch nicht jede Einzelfrage zufriedenstellend gelöst worden war. Die Zusammenarbeit der politisch-diplomatischen und der militärischen Dienststellen war offensichtlich gut gewesen. Von Konflikten auf dieser Ebene ist nicht berichtet worden, obwohl es Dissens in der Bewertung einiger Gegenmaßnahmen gegeben hatte. Damit waren die grundlegenden Planungen für die Nutzung Maritimer Gegenmaßnahmen als Antwort auf sowjetischen Druck auf Berlin und seine Zugangswege im Wesentlichen abgeschlossen. Der deutsche Einsatz dafür hatte sich gelohnt, denn die Bandbreite der Optionen hatte sich für den Westen deutlich erhöht und einen neuen Bereich erschlossen. Die Arbeiten in den Folgejahren befassten sich vor allem mit drei Problemkreisen: der Eingrenzung des Instrumentariums der wirkungsvollsten NAVCONs, der Abgrenzung der Verantwortung der NAVCORCENTs für bestimmte Seegebiete und der völkerrechtlichen Problematik einiger NAVCONs. Wenn man die Liste der in NCR-1 vorgeschlagenen NAVCONs liest, entsteht der Eindruck, dass hier im Zusammenhang der gerade überstandenen Kuba-Krise rasch entschieden worden war, aber Bedenken sachlicher und möglicherweise auch rechtlicher Art zunächst vernachlässigt worden waren. Dies mag besonders, aber nicht ausschließlich für BArch, BW 71/49, Nr. 5: siehe Part II, Para. 5.e und 6, und Teil IV, Annex A, dort Appendix A, der eine geografische Skizze mit den Grenzen der Verantwortungsbereiche ist; die handschriftliche Eintragung zeigt den kritischen Bereich. Siehe die Grafik »Geografische Verantwortungsbereiche der NAVCORCENTs«. 829 NCR-3, Part II, Para. 7, S. 14, ebd. 830 BArch, BW 71/58, Nr. 37: SHLO 600/8, 28.9.1964, LO-S-64-1103. 828



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367

die NAVCONs 9‑12 zutreffen. Ein Hinweis darauf, dass es hier große Probleme gab, ist die Tatsache, dass die WAG sehr lange brauchte, bis sie NCR-1, die Liste der NAVCONs, endlich genehmigte. Sie hatte sich zunächst damit beholfen, dass sie einige NAVCONs zur Bearbeitung freigab, diejenigen nämlich, in denen kein Mitgliedsland Probleme gesehen hatte. Auch in Bonn war man nicht mit allen Gegenmaßnahmen glücklich gewesen. Das Auswärtige Amt hatte daher bereits im Dezember 1963 den Bundesminister für Verkehr um eine Stellungnahme zu Maßnahmen ziviler Behörden gebeten,831 die sich wohl nur auf die Maßnahmen beziehen sollte, für welche zivile Behörden auch verantwortlich sein würden. Dessen Antwort ging nur auf NAVCON 1 ein. Das Verkehrsministerium dämpfte Hoffnungen auf einen Erfolg. Ein Teil der vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen wäre in Deutschland Aufgabe von privaten Wirtschaftsunternehmen, die wenig Interesse an der Ausführung dieser Repressalien haben würden, d.h. sie »werden sich nur schwer bereitfinden, da sie dann die Ostblockschiffe und Reedereien für die Zukunft [...] verlieren werden.«832 Die Zahl der in Frage kommenden Schiffe aus dem Ostblock sei nicht hoch, während ein deutlich höherer Anteil der Westdeutschen, besonders der Küstenschifffahrt, die Ostseehäfen anlaufe, oft im Auftrag der Ostblockländer. »Wenn wir [...] ›Schikanemaßnahmen‹ [...] gegen Ostblockschiffe durchführen, würden wir die Bestrebungen zum weiteren Ausbau der sowjetzonalen Seeverkehrswirtschaft nur verstärken und damit [...] unsere [...] westdeutschen Seehäfen weiter schwächen.«833 Die Wirkung auf den Widersacher wurde also eher als gering, negative Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft wurden dagegen als wahrscheinlich beurteilt. Rechtliche Bedenken sah das Ministerium in diesem Bereich nicht. Die konkrete Ausgestaltung der NAVCONs verlief, wie auch bei der NATO üblich, im Diskussionsprozess, in dem Einwände, etwa der Briten, dem Konsens zugeführt werden mussten.834 Nach zwei weiteren Überprüfungsphasen 1967 und 1969 wurde Mitte der siebziger Jahre eine weitere, nochmals überarbeitete Fassung des NCR-1 vorgelegt.835 Darin waren nur noch elf Gegenmaßnahmen enthalten. Eine erste Abteilung enthielt neun NAVCONS: – NAVCON Alfa: »Conduct surveillance of unarmed warsaw pact shipping at sea«.836 – NAVCON Bravo: »Conduct intensified surveillance of warsaw pact warships, submarines, and naval auxiliaries at sea«.837 – NAVCON Charlie: »Conduct continuous surveillance of warsaw pact warships, submarines, and naval auxiliaries«.838

BArch, BW  71/4, Nr.  44: AA-II 7-81-08-0/6144/63 geh. vom 2.12.1963; entnommen aus der Antwort vom 15.4.1964, Betr.: »Eventualfallplanung, hier: Gegenmaßnahmen bei Schikanen im Berlin-Verkehr«, BMV, BIV-3346/63 geh.II. 832 Siehe Teil I, S. 2 des Vorg.; Zit.ebd. 833 BArch, BW 71/4, Nr. 44: siehe II., S. 4, Zit. ebd. 834 BArch, BW  71/16, Nr.  89: So geschildert in Anl.  16, v.a. S.  5 zu GLNO-Bericht Nr.  32 vom 30.9.1967. Siehe auch BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray Chronology«, S. 12 und 13. 835 BArch, BW  71/51, Nr.  3: »Catalog of Naval Countermeasures«, 1.1.1974, NRS-001-74-J015; SHLO 74/111. 836 Vgl. BArch, BW 71/47, Nr. 37: NCR-1, 15.10.1963. Darin (also früher) Nr. 6, teilweise. 837 Früher Nr. 3, 6, 8, teilweise. 838 Früher Nr. 8, teilweise. 831

368

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Geografische Verantwortungsbereiche der NAVCORCENTs Jahr Grenzen Beschriftung

1968

1978

CINCPAC

»Free Flow«

120°

30°



80°

Quellen: BArch, BW 71/49, Nr. 5, NCR-3, 29.2.1968, Part IV, App. 1 to Annex A; BArch, BW 71/54, Nr. 34, NCOP, Chapter 3, Annex A, 3.4.1978, und Chapter 4, Annex A, Change 1, 18.10.1978; BArch, BW 71/8, Nr. 15, GLNO, Jahresbericht 1976, 20.1.1977, S. 15 f. 150°

60°

75°

90°

70°

60°

50°

»Sea Spray« 40°

Sea Spray

»Sea Spray«

Free Flow

30°

Handschriftliche Einzeichnung in der Quelle (BArch, BW 71/49, Nr. 5, NCR-3, 29.2.1968, Part IV, App. 1 to Annex A), die einen Änderungswunsch von »Sea Spray« zeigt.

20°

10°

»Free Flow« 00°

CINCPAC 10°

20°

30°

»Free Flow«

»Sea Spray«

40°

»Sea Spray« 50°

»Sea Spray«

CINCPAC 60°

150°

120°

90°

60°



30°

© ZMSBw

07881-07



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme 30°

60°

90°

120°

369

150°

80°

75°

70°

60° Live Oak

50°

Live Oak Live Oak

40°

30°

20°

CINCPAC 10°

»Free Flow« 00°

»Sea Spray« 10°

20°

30°

40°

»Free Flow« 50°

CINCPAC

»Sea Spray« 30°

60°

90°

120°

150°

60°

© ZMSBw

07882-04

370

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

– NAVCON Delta: »Conduct of naval exercises«.839 – NAVCON Echo: »harass unarmed warsaw pact shipping at sea«.840 – NAVCON Foxtrot: »Harass warsaw pact warships and naval auxiliaries«.841 – NAVCON Golf: »Dental measures for warsaw pact merchant shipping«.842 – NAVCON Hotel: »Board and search designated merchant ships on the high seas«.843 – NAVCON India: »Seize designated warsaw pact merchant ships on the high seas«.844 In diesem Teil waren die Maßnahmen nicht nur umbenannt, sondern teilweise auch inhaltlich neu gefasst worden. Die früheren NAVCON Nr. 1a, Nr. 5 und Nr. 11 waren gestrichen worden. In einem Teil, der sich vorrangig auf die Durchführung von Maßnahmen ziviler Dienststellen bezog, waren dann noch zwei NAVCONS aufgeführt, nämlich – NAVCON Armagnac: »In-Port harassment of warsaw pact shipping«.845 – NAVCON Beaujolais: »Encumber warsaw pact ships use of Kiel and/or Panama Canal through administrative action«.846 Die NAVCON 1a war entfallen, da es zu dieser Zeit keine Schiffe des Lend-Lease-Programms mehr in Diensten der UdSSR gab. Der Inhalt der verbliebenen Gegenmaßnahmen erfuhr dagegen laufend Anpassung an die aktuelle Situation. Die NAVCONS wurden nach jeder Übung nachjustiert, wenn auch weniger in der Substanz als in Details und in der Bezeichnung. Es wurde auch der Versuch unternommen, alle NCR-Dokumente in einem einzigen Planungspapier zu vereinen. Dies geschah erstmals 1978 mit dem Naval Countermeasures Operations and Procedures Manual (NCOP).847 Über die Problematik der Nutzung von »Severe NAVCONs« wurde immer wieder gesprochen, besonders in Zusammenhang mit der Bewertung von Übungen.848 Es ging um die grundsätzliche Schwierigkeit, drastische Maßnahmen mit einem Einsatz auf unterster Eskalationsstufe in Einklang zu bringen. Dazu fand Ende Januar 1979 ein Symposium mit Beteiligung der WAG statt:849 Die anwesenden Vertreter der WAG versuchten, den militärischen Teilnehmern die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die die Darstellung politischer Probleme in einer Übung bereitete. Wichtig war, dass die Marinestäbe den politischen Führern die entscheidenden Informationen und die überzeugenden Argumente lieferten, wenn sie Maritime Gegenmaßnahmen in einer Berlin-Krise empfahlen. Die heikle Thematik erfordere es, größte Sorgfalt 841 842 843 844 845 846 847

Früher Nr. 4. Früher Nr. 6, teilweise. Früher Nr. 6, teilweise. Früher Nr. 10/11 teilweise. Früher Nr. 9. Früher Nr. 12. Früher Nr. 1. Früher Nr. 2. BArch, BW 71/54, Nr. 34: Deep Sea NCOP, 3.4.1978, SHLOIN 78/1247. Der Katalog der Maritimen Gegenmaßnahmen ist als Teil II, im Wesentlichen unverändert, aufgenommen, die Einsatzregeln als Teil III. 848 Siehe z.B. nach der CPX Steadfast 78, BArch, BW 71/54, Nr. 8: Im Msg von Live Oak SHLO 78/0322/NAV, 26.4.1978. Zit. ebd. Para. 1. 849 Teilnehmer aus der WAG waren Hans Joachim Graf Bassewitz (GE) und Mr. R. Johnson (US). Siehe BArch, BW 71/60, Nr. 8: »Report of the Naval Countermeasres Symposium Held at Live Oak on 31 January and 1 February 1979«, SHLO 79/0273/NAV, 16.3.1979, Item 2, S. 2 f. 839 840



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

371

in der Auswahl der richtigen Maßnahmen und eines geografischen Bereichs walten zu lassen – am besten sei eine Region, in dem der Westen die Übermacht haben musste.850 »This does not mean that the WAG no longer believes in NAVACONS«,851 versicherte ihr Vertreter. Aber durch das enorme Anwachsen der sowjetischen Handels-und Kriegsflotten könnten die Optionen der Maritimen Gegenmaßnahmen ›weicher‹ erscheinen als in früheren Jahren.852 Insgesamt kann man zumindest den festen Willen der WAG erkennen, Maritime Gegenmaßnahmen auf jeden Fall als Option zu erhalten. Allerdings wurde klar, dass im Eventualfall die Entscheidung schwierig sein und nicht leichten Herzens gefällt würde. In den frühen achtziger Jahren erfolgte eine Überarbeitung des NCOP. Das neue Dokument »Maritime Countermeasures Operations and Procedures Manual« (MARCOP)853 brachte einige Änderungen gerade für die Gegenmaßnahmen, das Kernstück des Ganzen. Der Begriff »Warschauer Pakt« wurde nicht mehr benutzt, sondern ersetzt durch »Sowjetisch/DDR«. Damit sollte der Bezug zu Berlin noch deutlicher gemacht werden. Die Kurzform NAVCON, Naval Countermeasures, wurde durch MARCON, Maritime Countermeasures, ersetzt. Die letzte der Maßnahmen im NCOP, »Beaujolais«, war in einem neuen MARCON »Champagne« aufgegangen. Offenbar war in den entsprechenden Diskussionen der Wert dieser Maßnahme angezweifelt worden.854 Der Begriff »Handelsschiffe« wurde nun durchweg ergänzt durch »und Fischereiflotten«, ein Zeichen für die große Bedeutung, die diese in der Zwischenzeit gewonnen hatten. Das Adjektiv »unbewaffnet« fiel weg, möglicherweise deshalb, weil Handelsschiffe und Fischtrawler von der Gegenseite bewaffnet worden waren. Die Maßnahme »Charlie«, die im Beschatten bestand, wurde um den Kreis des »high interest merchant shipping« und der »fishing activity« erweitert. Das zeigt die gestiegene Bedeutung dieser Arten der Schifffahrt und deren zusätzliche Nutzung durch den Warschauer Pakt, besonders als Mittel der Nachrichtengewinnung. Die Maßnahme »Golf« wurde nun genauer definiert. Sie beinhaltete Maßnahmen, die die Navigation der Handelsschifffahrt auf hoher See erschwerten. Für die Maßnahmen »Echo« bis »Champagne« wurden juristische Problemlagen neu erkannt: »These MARCONs include actions which are likely to breach the international legal obligations of the Four Powers.«855 Die Modernisierung und Aktualisierung wurde bis 1990 weitergeführt. Zusätzlich erhielt das Konzept der Maritimen Gegenmaßnahmen in diesen Jahren neuen Rückenwind. Der damalige CLO, General Rogers, beabsichtigte, den Gebrauch Maritimer Gegenmaßnahmen während einer Berlin-Krise stärker zu betonen, da die auf der Eskala-

Ebd., Para. 6, S. 2 des Protokolls. Ebd., Para. 7, S. 2. 852 Ebd., Para. 6, S. 2, ebd. Es ist nicht klar, ob hier gemeint ist, dass wegen der Vervielfältigung der Ziele die gewichtigeren Maßnahmen ›weicher‹ erschienen als früher, oder ob sie wirklich weicher seien, weil die Gegenmaßnahmen der anderen Seite gefährlicher werden könnten. 853 BArch, BW 71/67, Nr. 25: Deep Sea 3020/FF16-6/JO54, 8.12.1983. Die neue Liste der M ­ ARCOP vgl. BArch, BW 71/70, Nr. 4: Anlage zu SHLO O 85/153/OPS, 12.2.1985. 854 BArch, BW 71/67, Nr. 25: Para. 7.14, S. 7-4 des MARCOP vom 8.12.1983. 855 Ebd. Auf diese Frage wird später in diesem Kapitel noch eingegangen. 850 851

372

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

tionsleiter höher angesiedelten Boden- und Luftoptionen in den Berlin-Korridoren als gefährlich und provokativ bewertet werden konnten.856 Obwohl also die MARCONs allgemein als zufriedenstellend angesehen wurden, sollte der Plan, wo immer möglich, weiterentwickelt werden, um bessere, quasi maßgeschneiderte Weisungen an die Nationen für den Übergang von den »low level M ­ ARCONs« hin zu den »severest measures«857 an die Hand zu bekommen. Als besonders hilfreich erschien hierbei die historische Erkenntnis, dass der Einsatz von Land- und Luftstreitkräften in der Unterstützung von überwiegend politischen Zielen oftmals in einen langwierigen Konflikt eingemündet war. Dagegen war die Nutzung von maritimen Mitteln relativ erfolgreich gewesen. So hieß es denn auch: »there is seen no reason to believe that the relative merits of military reprisal will be different.«858 Die physischen Begrenzungen in den Korridoren und auf den Landwegen ließen es als geraten erscheinen, die Befehlshaber der Seestreitkräfte zu einem frühen Zeitpunkt zu fragen, welche Optionen sie anbieten konnten. Vorausschauend wurde daher vorgeschlagen, einen speziellen Ablaufplan für den Ernstfall unter Einschluss der folgenden Aspekte zu entwickeln: grundlegende Voraussetzungen, Methoden des Einsatzes maritimer Macht, die Nutzung vorbestimmter Versammlungsräume zur Überwachung von Schlüsselräumen (»Choke Point Control«) und ein abgestuftes Reaktionsmodell.859 Danach sollten maritime Maßnahmen im Ernstfall frühzeitig in größtmöglicher Stärke ausgeführt werden, jedoch nur unter Beachtung der folgenden Voraussetzungen.860 Sie durften allerdings die Einsatzbereitschaft der NATO zur See nicht gefährden. Sie mussten es den Alliierten erlauben, die Initiative zu ergreifen, ohne unnötige Risiken einzugehen. Schließlich sollten die Aufmarschräume so gewählt werden, dass Meerengen innerhalb von 24 bis 36 Stunden erreicht werden konnten.861 Dieser Zeitpuffer sollte eine genaue Analyse der allgemeinen Lage auf den Meeren ermöglichen und den Entscheidungsträgern ausreichend Zeit geben, den bestmöglichen Gebrauch von Maritimen Gegenmaßnahmen unter den dann herrschenden Umständen zu entscheiden. Es wurde unter diesen Umständen Mitte der achtziger Jahre als sehr wichtig angesehen, »methodisch« vorzugehen, um Maritime Gegenmaßnahmen unter Einsatz von Seestreitkräften erfolgreich nutzen zu können. Besonders erfolgversprechend war es, die Durchfahrt gerade an »Choke Points«, vor allem an engen oder nur eingeschränkt nutzbaren Wasserstraßen zu kontrollieren, durch die starker See- und Handelsverkehr floss. Die Bedeutung der einzelnen »Choke Points« hing von vielerlei Faktoren ab, z.B. Ladung, Tonnage, Krieg oder Frieden, kurz- oder langfristige Lageentwicklung, die politischen Absichten der entsprechenden Regierung, Jahreszeit, Wetterlage usw. Insgesamt wurden

BArch, BW 71/70, Nr. 4: So erinnerte der COS den CLO in einem Brief an seinen Vorgesetzten vom 12.2.1985, Zit. aus SHLO O 85/153/OPS, Para. 1, S. 1. 857 BArch, BW  71/70, Nr.  42: »Live Oak Review of Naval Plans-Package 4«; SHLO O 85/1479/ NAV/S, 19.12.1985, Para. 8, S. 4, Zit. ebd. 858 Ebd., Para. 9, S. 4, Zit. ebd. 859 Ebd., Para. 10.c und 10.d, S. 4, Zit. ebd. 860 Ebd., Para. 11, S. 5. 861 Ebd., Para. 11.d, S. 5. 856



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

373

hier 20 solcher Engstellen aufgezählt.862 Nicht aufgeführt wurden allerdings die Straße von Messina, die Dardanellen oder der Skagerrak.863 Eine Priorisierung der verschiedenen Engstellen war schwierig, da derlei von den Bedingungen im Ernstfall abhing. Man teilte sie aber verschiedenen, geografisch verbundenen Räumen zu, wodurch die folgenden sechs Gruppen gebildet wurden:864 – Nordeuropa und Mittelmeerländer: die Enge zwischen dem Vereinigten Königreich und Norwegen, der Ärmelkanal, der Nord-Ostsee-Kanal, Gibraltar, Suez und der Eingang zum Roten Meer. – Asien: die Straßen von Hormuz, Diego Garcia, Malakka und Tsushima. – Rund um Afrika: Madagaskar/Mosambik, Kap der Guten Hoffnung, Kap Verde. – Nord- und Südamerika: Panamakanal, Leeward und Windward Passage, Kap Horn. – Verkehr der UdSSR über den Atlantik: die Engen zwischen den Shetlandinseln, Island und Grönland. – Andere wichtige Engen: Bass/Tasmanien und die Straßen von Taiwan. Diese Einteilung erschien sinnvoll, da sie Gegenmaßnahmen in definierten Seegebieten und, wenn auch begrenzt, mit planbaren Auswirkungen möglich machte. An einem Beispiel wurde in der Studie das methodische Vorgehen verdeutlicht: Um in einer Berlin-Krise die alliierte Entschlossenheit oder Absicht zu zeigen, würden Seestreitkräfte der Vier Mächte in ein Übungsgebiet in einem gewissen Abstand zu diesen »Choke Points« verlegt, etwa ein oder zwei Tagesreisen entfernt. Im Falle der nordeuropäischen Gruppe von »Choke Points« konnte dieses Gebiet etwa 500 bis 1000 Seemeilen westlich des Ärmelkanals liegen. Wenn sich die Krise nun verschärfte, konnten von den nationalen Führern eine Anzahl von Gegenmaßnahmen befohlen werden, die sich von Überwachung über Behinderung und Durchsuchung bis zur Blockade und, als letzte Mittel, Kaperung und Versenkung von Schiffen steigern ließen.865 Daraus wurde ein abgestuftes Reaktionsmodell entwickelt, das die Art der Handlungen zeigte, dazu die entsprechenden MARCONs, und einen modularen Prozess des Einsatzes von Seestreitkräften in einer Zugangskrise erlaubte. Jedem Schritt in diesem Prozess musste eine Ankündigung vorausgehen, sei es öffentlich oder geheim, wie es die Lage verlangte. Der Vorschlag für dieses Modell sah wie folgt aus:

Ebd., Para. 12, S. 5. General Rogers wollte anscheinend z.B. die Ostsee besonders herausstellen, die deutsche Marine sah das aber als zu gefährlich an. BArch, BW 71/20, Nr. 18: »Anmerkungen zum ›Naval Questionnaire‹« von Fregattenkapitän Schmidt-Richberg, 18.7.1985, GLNO, Tgb.Nr. 460/85 geh., S. 3. Dazu die deutsche Antwort auf den Fragebogen: BArch, BW 71/20, Nr. 15: MOD GE Naval, Staff III/2 LO, Tgb.Nr. 368/85, 17.7.1985, S. 2, Para. 2.b: »it is not favourable to execute measures of MARCONS Echo to India in the BALTIC due to the superiority of Warsaw Pact naval forces«. 864 BArch, BW 71/70, Nr. 42: Para. 13, S. 6. 865 Ebd., Para. 14, S. 7. 862 863

374

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Allgemeine Handlung

dazugehörende MARCONs

Einrichtung eines Übungsraumes

Keine

Verlegung der Kräfte in den Übungsraum

Delta, Golf, Alfa

Verlegung des Übungsraumes in die günstigste Position für Delta, Golf, Alfa MARCONs Durchführung von Überwachungs- und/oder Beschattungs- Alfa, Bravo, Charlie maßnahmen Verstärken des Drucks zur See, je nach Entwicklung

Echo, Foxtrott, Golf

Verschärfung zu Durchsuchung/Blockade/Kaperung

Hotel, India

Als historischen Hintergrund hatte man 286 größere oder kleinere Krisensituationen seit 1945 identifiziert, von denen 85 Prozent unter Einsatz von Marinekräften stattgefunden hatten. Dies bestätigte die Anwendung eines systematischen, integrativen Ansatzes. Die größte Schwierigkeit bei der Auswahl von maritimen Maßnahmen in einer beginnenden Krisenlage lag in der Auswahl der Räume, in denen die Kräfte zweckmäßig für den anfänglichen Einsatz in maritimen Maßnahmen im niedrigen Spektrum bereitgehalten wurden, ohne sie dort hohen Risiken auszusetzen, wenn die Lage plötzlich zum Kriege eskalieren sollte.866 Weitere Schwierigkeiten bestanden darin, dass die weltweite maritime Lage zu Beginn einer Krise nicht bei allen Nationen bekannt war. Man konnte davon ausgehen, dass jeder gute Informationen und Erkenntnisse über die eigenen und nahen Seegebiete hatte. Für weiter entfernte Regionen aber bestanden teilweise erhebliche Schwierigkeiten. Es war daher wichtig, rasch ein gemeinsames Lagebild zu gewinnen. Auch über die eigenen Kräfte, das heißt die der anderen drei Nationen, würden im Ernstfall nur bruchstückhafte Informationen vorliegen, was die Koordinierung und die Auswahl der richtigen maritimen Maßnahmen nicht gerade einfacher machen würde. Es mussten Daten über den Bereitschaftsgrad und die Verfügbarkeit der eigenen Kräfte, die Positionen der Kriegs- und Handelsschiffe des Gegners mit einer allgemeinen, breiten Analyse des Ausmaßes und der Intensität der Krise kombiniert werden. Wenn es gelang, die notwendigen Seestreitkräfte in einer beginnenden Krise frühzeitig in die Einsatzgebiete zu bringen, hatte man einen Vorteil erlangt, um eine angemessene Antwort auf Zugangsbehinderungen zu geben und die Initiative zu gewinnen, dies wohl mit weniger Gefahrenpotenzial als an der Innerdeutschen Grenze. Die gerade militärisch ungünstige Situation an der Innerdeutschen Grenze ließ es als geraten erscheinen, maritime Repressionen früh und ernsthaft zu prüfen. Damit bildeten die Maritimen Gegenmaßnahmen das Verbindungsstück zwischen Live Oak und der globalen Situation.867 Grundsätzlich zu klären war aber die Grenzziehung zwischen den Verantwortungsbereichen. Die Frage der Abgrenzung wurde im Marinekomitee wohl

Ebd., Para. 16, S. 8. Ebd., Para. 16 und Para. 17, S. 8 f.

866 867



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

375

erstmals aufgrund eines vom Deep Sea Planning Team erarbeiteten Diskussionspapiers über »Preferential Areas for Quadripartite Naval Countermeasures« vom Juli 1964 gestellt und am gleichen Tag auch entschieden. Nationale Verantwortungsbereiche würden die Flexibilität einschränken und wären daher nicht mit dem Konzept der Vier Mächte für Maritime Gegenmaßnahmen vereinbar. Auch konnte niemand einer Nation verbieten, einen Einsatzraum für sich zu suchen und zuzuschreiben. Ein Kompromiss wurde darin gesehen, dass die Vier Mächte bevorzugte Einsatzräume gemeinsam definierten. Ob derlei trug, musste abgewartet werden.868 Der ganze Themenbereich umfasste unterschiedliche, sich teilweise überschneidende Problemkreise. Die Verantwortungsbereiche der drei NAVCORCENT für die Koordinierung von Maritimen Gegenmaßnahmen waren von Anfang an zwischen Live Oak und »Sea Spray« im Detail umstritten.869 Die wechselseitigen Positionen hingen von den jeweiligen Interessen, der Lage der militärischen Einsatzbasen, der Küstengewässer und der Wirtschaftszonen ab. Tendenziell wurden die europäischen Randmeere auf Kosten anderer Seegebiete, die teils leer blieben, bevorzugt. Es gab darüber immer wieder Diskussions- und Abstimmungsbedarf. Eine erste Festlegung für alle Bereiche ist erst für 1968 überliefert.870 Die Bereiche sind dort nicht im Text beschrieben, sondern nur aus einer beiliegenden Skizze der Weltkarte mit der Überschrift »Geographical Areas of Responsibility of the NAVCORCENTs« zu entnehmen. Darauf ist der kritische, die westlichen Randmeere des europäischen Kontinents einschließende Bereich durch eine handschriftliche Einzeichnung markiert. Trotz dieser Eingrenzung hatte man weitere Schwierigkeiten zu gewärtigen. Da die durchführenden Seestreitkräfte unter nationalem Kommando verblieben, musste beispielsweise die britische Marine, hier die Home Fleet, um ihre Inseln herum mit zwei NAVCORCENTs koordinieren, was die Operationen gewiss nicht erleichterte. Als zwei Jahre später alle NCR in einem Papier871 zusammengefügt wurden, erhielten die »Areas of Coordination Responsibility« ein eigenes Kapitel, das auch eine Kartenskizze beinhaltete.872 An der Konzentration auf Europa und seine Randgewässer hatte sich augenscheinlich wenig verändert. Lediglich das Rote Meer und der Persische Golf waren nun prominent einbezogen, was vor allem damit zusammenhing, dass U ­ SEUCOM hierfür national verantwortlich war. Dieser Gesamtplan umfasste nun erstmals auch die von den vier nationalen Marinen benannten Preferred Areas of Operations (PAO).873

BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, S. 11 f. Das eigentliche Dokument befindet sich nicht im Bestand BW 71. 869 Noch im Februar 1976 meldet der GLNO, dass die entsprechenden Grenzziehungen immer noch in der Diskussion seien. BArch, BW 71/8, Nr. 4: GLNO Jahresbericht Nr. 40 (1975), Tgb. Nr. 151/76 geh. vom 3.2.1976, S. 16 f. 870 BArch, BW  71/49, Nr.  5: NCR-3, LO(IN)-S-68-3051, 29.2.1968, Part  II, Para.  6, S.  13, und Part IV, Appendix 1 to Annex A. 871 BArch, BW 71/54, Nr. 34: »Naval Countermeasures Operations and Procedures Manual«, NCOP, 3.4.1978, SHLOIN 78/1247, Change 1, 18.10.1978, Chapter 3. 872 Ebd., Chapter 3, S. 3-1, 16.10.1978, und Annex A. 873 Ebd., Change 1, 18.10.1978, Chapter 4, mit Annex A, und eine Kartenskizze mit eingezeichneten PAOs. Siehe auch BArch, BW  71/9, Nr.  4: GLNO »Jahresbericht 1977« vom 25.1.1978, Tgb. Nr. 72/78 geh. 868

376

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Bevorzugte Operationsgebiete von »Sea Spray« ab 1978 90°

60°

30°

30°



80°

80°

Grenzen »Free Flow« Beschriftung Bevorzugte Operationsgebiete 75°

75°

70°

70°

60°

60°

50°

50°

LIVE OAK

40°

40°

»Sea Spray« 30°

30°

20°

20°

10°

10°

00°

00°

10°

10°

20°

20°

30°

30°

»Free Flow«

»Sea Spray«

40°

40°

»Sea Spray«

»Free Flow«

50°

60°

50°

90°

60°

30°



Quelle: BArch, BW 71/67, Nr. 25, MARCOP, 8.12.1983, Chapter 3, Annex C, S. 3-C-1.

30°

60°

© ZMSBw

602 07883-06



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

377

In der weitgehenden Neubearbeitung aller Planungen Anfang der achtziger Jahre für den MARCOP874 wurden die Bereiche und ihre Grenzen, einschließlich der PAO, dann sehr genau beschrieben und mit drei Skizzen sichtbar gemacht. Eine Änderung aber hatte es nicht mehr gegeben, außer dass nun auch im Bereich »Sea Spray« eigene PAOs genannt und eingezeichnet worden waren. Die Amerikaner hatten sich durchgesetzt, wohl auch weil die WAG deren Begründung politisch als wichtiger beurteilte, als es die eher praktischen Argumente der Marinen der Europäer waren. Die rechtliche Seite der NAVCONs/MARCONs spielte erst in den frühen achtziger Jahren eine bedeutendere Rolle, insbesondere die Rechtmäßigkeit einiger MARCONs. Der Auslöser dieser Diskussion ist bisher nicht klar erkennbar; erste Hinweise waren im Jahresbericht 1981 des GLNO zu finden. Im Zuge der Überarbeitung der MARCOP als Ergebnis der Rahmenübungen »Steadfast 80« und »Steadfast 81« wurde festgestellt, dass die »Legalität Maritimer Gegenmaßnahmen« zum Thema geworden war.875 Und tatsächlich: Im MARCOP vom Dezember 1983 ist für manche maritime Maßnahme ein Absatz über die Legalität enthalten, in dem eine kurze diesbezügliche Beurteilung und Verhaltensvorschläge gegeben werden.876 Die deutsche Seite sah sich veranlasst,877 die Rechtsabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung um eine völkerrechtliche Stellungnahme zu bitten. In deren detaillierter Antwort wurde zunächst festgehalten: »Krisen und Spannungszustände sind nach Friedensrecht und nicht nach Kriegsrecht zu beurteilen, denn es handelt sich [noch] nicht um bewaffnete Konflikte. Selbst dann, wenn es zu einem bewaffneten Konflikt internationalen Charakters führt, sind Maßnahmen vor Ausbruch des Konflikts nur nach Friedensvölkerrecht zu prüfen.«878 Es folgt der Hinweis auf eine neue Entwicklung im Seevölkerrecht, das sich »zur Zeit in einem Umbruch« befinde: »Die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch dürfte es sich empfehlen, bei der völkerrechtlichen Begutachtung auch den bereits vorliegenden Entwurf einer neuen, allumfassenden Seerechtskonvention zu berücksichtigen. Auch dann, wenn diese [...] scheitern würde, käme dem Konventionsentwurf für die Gewohnheitsrechtbildung große Bedeutung zu«.879

BArch, BW  71/67, Nr.  25: »Maritime Countermeasures Operations and Procedures Manual«, Chapter 3, Annex A‑C, 3020/FF16-6/JO 54, Ser. 518, 8.12.1983. 875 BArch, BW 71/12, Nr. 24: GLNO, Az. 11-72-00, Tgb.Nr. 150/82 geh. vom 19.3.1982, S. 28 f., Zit. S. 29. 876 BArch, BW 71/67, Nr. 25: MARCOP 3020/FF16-6/J054, 8.12.1983; siehe z.B. für MARCON Foxtrottt S. 13-1. 877 NMR GE SHAPE LO, Tgb.Nr. 567/81 geh. vom 10.9.1981, anscheinend nicht überliefert, jedenfalls nicht in BW 71. Jedoch ist es als Ref. 2. genannt in BArch, BW 71/12, Nr. 26. 878 BArch, BW  71/12, Nr.  26: VR II 3, Az. 39-61-04-01, Tgb.Nr.  654/81 geh. vom 20.10.1981, NMR/LO-Tgb.Nr. 155/82 geh., Ziff. I.1, S. 1. Vgl. dazu auch die Vorlage des FüS III vom April 1968 an den Chef Stab FüS, BArch, BW 2/17.639-5: FüS III, FüS III1 LO, 17.4.1968, Az: 5, Tgb. Nr. L711/68 geh. Daraus geht auch hervor, dass das Völkerrechtsreferat des BMVg, VR II 3, an den Überlegungen beteiligt worden war und die »völkerrechtliche Stellungnahme der Alliierten [...] nicht in allen Punkten geteilt« hat. Diese unterschiedlichen Stellungnahmen scheinen jedoch nicht überliefert zu sein. 879 BArch, BW 71/12, Nr. 26: Entwurf vom 28.8.1981 des VN-Dokuments A/CONF.62/L.78, Zit. aus I.3, S. 2. 874

378

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Bevorzugte Operationsgebiete der Nationen von Live Oak in europäischen Gewässern 40°

35°

30°

25°

20°

15°

10°







10°

15°

20°

25°

30°

35°

40°

45°

50°

° 60

»Sea Spray« 55

°

UK

50

°

UK

GE GE

FR FR

45

°

GE

UK

Live Oak FR

40

°

35

°

FR

Grenzen der Operationsgebiete 1978

30°

US

Grenzen der Operationsgebiete 1981 Anmerkung: Im östlichen Mittelmeer ist keine Zuordnung erfolgt.

Quelle: BArch, BW 71/67, Nr. 25, MARCOP, 8.12.1983, Chapter 3, Annex B.

© ZMSBw

07884-05

Das alles deutet darauf hin, dass bei Live Oak jemand gemerkt hatte, dass diese Entwicklung auch Konsequenzen für die MARCON-Planungen haben könnte. In seiner Bewertung der verschiedenen MARCONs kam die Abteilung Verwaltung und Recht (VR) des BMVg zu folgenden Ergebnissen: Die Überwachungs- und Aufklärungsmaßnahmen in MARCON Alpha bis Delta seien »grundsätzlich völkerrechtlich unbedenklich«.880 Für Ebd., Ziff. II.1, S. 2, Zit. ebd.

880



IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

379

die Maßnahmen Echo und Foxtrott, die Belästigungen sowjetischer und ostdeutscher Handels-, Fischerei-, Kriegs- und Hilfsschiffe vorsahen, war das Urteil nicht so eindeutig. Während »Überwachung, auch in verschärfter Form, völkerrechtsgemäß« sei und die vorgeschlagenen Maßnahmen gegen Fischereifahrzeuge unbedenklich seien, würden andere Maßnahmen aufgrund bilateraler Verträge nicht zulässig sein.881 Die unter Golf vorgeschlagenen Maßnahmen »sind durchweg eine Verletzung des Völkerrechts, da auf Hoher See alle Staaten gleichermaßen nutzungsberechtigt sind«.882 Allerdings gab es Einschränkungen: Die Einrichtung von Warn- und Sicherheitszonen war unter bestimmten Bedingungen zulässig. Gegen die Nutzung solcher Zonen im Sinne der Gegenmaßnahmen gab es aber völkerrechtliche Bedenken. Ähnliches galt für Quarantäne, die »heute [...] in Friedenszeiten als völkerrechtswidrig anzusehen« sei.883 Zu den Maßnahmen Hotel und India urteilte BMVg VR, dass die »Völkerrechtswidrigkeit der geplanten Maßnahmen [...] von vornherein außer Zweifel« stand. Das Recht, die hier vorgeschlagenen Maßnahmen auf Hoher See einzusetzen, stand ohnehin nur dem Flaggenstaat zu, nicht aber Bündnissen oder anderen Organisationen. Es gab nur wenige eng umschriebene, rechtlich erlaubte Anlässe, die im Falle von Live Oak bestenfalls als Vorwand dienen konnten.884 Bei Champagne musste unterschieden werden: »Im Küstenmeer steht allen Schiffen in Friedenszeiten das Recht der friedlichen Durchfahrt zu. Liegen im Küstenmeer Meerengen, so gilt zur Zeit ›unsuspendable innocent passage‹« nach Art. 16. Abs. 4 des Übereinkommens über das Küstenmeer und die Anschlusszone von 1958 »und demnächst uneingeschränkte und uneinschränkbare Transitpassage«.885 Daher waren hier keinerlei Maßnahmen der vorgeschlagenen Art zulässig. Häfen gehörten nicht zum Küstenmeer, sondern zu den Eigengewässern, wie auch Binnenwasserstraßen. Auch der Nord-Ostsee-Kanal zählte dazu, was auch die Sowjetunion anerkannt hatte. Maßnahmen im Rahmen des vorgeschlagenen Portefeuille waren also grundsätzlich möglich.886 Ein entsprechendes Vorgehen konnte nicht zuletzt auch als völkerrechtliche Repressalie deklariert werden, also etwa als Reaktion auf die Verletzung des Vier-Mächte-Abkommens von 1972 durch die Sperrung des Landzugangs nach Berlin. Abgesehen davon, dass dies erst einmal völkerrechtlich bewiesen werden musste, hatte sich die internationale Meinung zur Repressalie dahin gewandelt, dass sie nur als gewaltloses Instrument zu betrachten sei. Selbst wenn es also gelang, der Gegenseite völkerrechtswidriges Handeln in Bezug auf Berlin nachzuweisen, durften eigene Repressalien nicht gewaltsames Handeln beinhalten. Damit waren die ›höheren‹ Optionen im Gesamtkatalog der Maritimen Gegenmaßnahmen rechtlich de facto nicht anwendbar.887 Unter Hinweis auf neue VN-Resolutionen von 1970 und 1974888 schließt die Stel­ lung­nahme von BMVg VR: Zum Beispiel das Regierungsabkommen zwischen den USA und der UdSSR zur Vermeidung von Zwischenfällen auf Hoher See vom 25.5.1972; siehe ebd., Ziff. II.2, S. 4. 882 Ebd., Ziff. II.3, S. 5 f. des Vorg. 883 Ebd., Ziff. II.3, S. 7. 884 Ebd., Ziff. II.4, S. 7. 885 Art. 38 Konventionsentwurf, ebd., Ziff. II.5, S. 7 f. 886 Ebd., Ziff. II.5, S. 9. 887 Ebd., Teil III, S. 9‑11. 888 Ebd., Teil III, Nr. 2625-XXV vom 24.10.1970, und Nr. 3314-XXIX vom 14.12.1974, S. 11. 881

380

IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

»Das führt zu dem Ergebnis, dass im Falle einer Vertrags­verletzung der DDR oder der UdSSR – die sonstigen Voraussetzungen der Repressalie als gegeben angenommen – Repressalien als gerechtfertigte Verstöße gegen völkerrechtliche Normen nur insoweit in Frage kommen, als die Maßnahmen unterhalb der Gewalt­anwendung bleiben. Gewaltanwendung bleibt unter allen Umständen eine Völ­ker­rechtsverletzung.«889

An dieser sehr ernüchternden Stellungnahme, die das ganze Gebäude der Maritimen Gegenmaßnahmen zum Einsturz zu bringen schien, kamen auch die anderen Partner nicht vorbei. Zumindest zeigten ein US-Dokument vom 10. November 1981890 sowie britische und französische Äußerungen, dass die Bedeutung der neuen Entwicklungen im Völker-, besonders aber auch im Seerecht erkannt worden war und die Konsequenzen für die Planungen zu den Maritimen Gegenmaßnahmen untersucht werden mussten. Hier ist eine kurze Darstellung der Entwicklung des Seevölkerrechts in diesen Jahren notwendig, weil diese die entsprechenden Planungen bei Live Oak wesentlich beeinflusste. »Mehr noch als der erste Weltkrieg ließ der Zweite [...] den ›chaotischen Zustand‹ des Kriegsrechts und die ›dringende Notwendigkeit seiner Revision‹ erkennen«.891 Dieses Urteil schloss natürlich das Seevölkerrecht mit ein. Die beiden ersten Seerechtskonferenzen der Vereinten Nationen Ende der fünfziger Jahre, die zweite endete im April 1960, brachten zwar gewisse Fortschritte und auf einigen Gebieten auch Kodifizierungen, aber der große Wurf blieb aus. Als sich Anfang der siebziger Jahre der Ost-West-Gegensatz zu entspannen begann, gelang es, unter anderem mit Unterstützung der Sowjetunion, eine neue Konferenz einzuberufen. Das Mandat dieser 1973 beginnenden dritten Seerechtskonferenz war kühn und umfassend, denn das gesamte Friedensseevölkerrecht und alle damit zusammenhängenden Problemstellungen sollten behandelt und mit der abschließenden Konvention gelöst werden. Diese Aufgabe wurde nach neun Jahren intensiver Arbeit weitgehend gelöst und mit der »United Nations Convention on the Law of the Sea« am 10. Dezember 1982 abgeschlossen. Damit trat dieser Komplex erst jetzt richtig in das Bewusstsein der Politiker und Militärs, sodass nun auch rechtliche Fragen das Denken und Handeln von Live Oak zu beeinflussen begannen.892 Der Prozess bei Live Oak war zäh, Gutachten und Stellungnahmen gingen hin und her. Erst in der Fassung des MARCOP von 1983 wurde schließlich eine Lösung gefunden,893 die allgemeine Zustimmung fand.894 Möglicherweise im Einklang mit angloamerikanischen Notstandsprinzipien, die beinhalteten, im Ernstfall erst einmal die als Ebd. Übrigens wurde nach Zustimmung von BMVg VR je eine Kopie dieses Dokuments dem AA Ref. 201 und dem GLNO Live Oak zugesandt. Vgl. auch Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, S. 894‑896. 890 BArch, BW  71/11, Nr.  39: CHUSDELLO SHLO 81/22764/DCOS (US)NMR/GE – Tgb. Nr. 458/81 S, 10.11.1981; übermittelt mit Bericht GLNO, Tgb.Nr. 476/81 geh. vom 25.11.1981. 891 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, S. 984‑987, Zit. S. 984, Ziffer 6. Siehe auch Handbuch des Seerechts. Zur heutigen Lage siehe Frank Pergande, Die UN in Hamburg. Der Internationale Seegerichtshof wurde vor zwei Jahrzehnten gegründet, FAZ vom 7.10.2016, S. 10. 892 Diese Konvention inzwischen auch unter (letzter Zugriff 5.2.2018). Siehe Gloria, Internationales Öffentliches Seerecht, S. 669‑674. 893 BArch, BW  71/67, Nr.  25: MARCOP, 3020/FF16-6/J054, 8.12.1983, hier in der Einführung, Chapter 7, S. 7-2 f., ein Abschnitt »Legality«. 894 BArch, BW 71/15, Nr. 30: WAG.: SofSt Msg 284618, 5.10.1983, SHLOIN I 83/2931/COS, C. 889



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nötig erachteten Maßnahmen zu ergreifen und die rechtliche Prüfung danach vorzunehmen, entschied man sich bei den Planungen, im Zweifel möglicherweise gewaltsames Handeln anzuwenden, auch wenn dadurch internationales Völkerrecht verletzt würde. Damit sollte das Völkerrecht nicht außer Kraft gesetzt werden, aber es musste im Sinne eines wirkungsvollen Krisenmanagements möglich sein, unter gewissen Umständen spezifische rechtliche Verpflichtungen außer Kraft zu setzen, vor allem bilaterale, um maritime Macht wirkungsvoll im Sinne politischer Ziele anzuwenden. Dennoch: Jede solche Entscheidung konnte nur nach angemessener Abwägung durch jede der Vier Mächte getroffen werden.895 Wie sah das nun praktisch bei einem MARCON aus? Die Maßnahme »Hotel« soll als Beispiel dienen. Sie verlangte das »Boarding and Searching designated Soviet/GDR Merchant Ships and Fishing Ships on the High Seas.«896 Zur Rechtmäßigkeit wurde ausgeführt: Obwohl diese Maßnahme Aktionen verlangen konnte, die wesentlich über denen lagen, die normalerweise in Friedenszeiten anwendbar waren, sollten zunächst diejenigen geprüft werden, die als rechtmäßig beurteilt würden, wie das Suchen von Drogen und Konterbande, die Überwachung der Fischereiregeln oder die Ahndung von Verstößen gegen Umweltauflagen, etwa das Ablassen von Altöl.897 An der Haltung von BMVg VR änderte sich nichts:898 »Die Völkerrechtswidrigkeit der geplanten Maßnahmen steht daher von vornherein außer Zweifel«.899 Die Rechtsberater der US-Marine kamen am 14. Januar 1980 zu einem ähnlichen Schluss. Diese Maßnahme Hotel sei »mit der darin erwogenen Geiselnahme von Schiffen [...] auf Hoher See unter Anwendung von Gewalt [eine] klare Verletzung der Konvention über die Hohe See und die VN-Charta.«900 Die Briten äußerten sich am 17. März 1982 zur gleichen Maßnahme ähnlich: »HOTEL is likely to be unacceptable owing to the high risk of Soviet/GDR reprisals against this measure. MARCOP Para.  15.1 is surely wrong: ›such activity‹ even for the purposes mentioned is highly illegal on the High Seas.«901 Nur die Franzosen sahen das anders, wie eine Äußerung vom 22. Dezember 1982 belegt: »The higher measures, which may lead to infringing the law or the international agreements, thereby enter into the category of reprisals. They are legal as long as they respond to an act contrary to international law by an action of equivalent level not implying to use of force.«902 Wenn man alle diese Stellungnahmen mit dem dann vereinbarten Text im MARCOP vom Dezember 1983 vergleicht, kommt man nicht umhin, den Planern große Fantasie zuzugestehen. Die Maßnahme Hotel blieb im Katalog erhalten, obwohl ihre Nutzung in einer Krise als wenig wahrscheinlich galt. Die Vorbehalte ließen sich nur im sehr engen Rahmen des Fischereirechts überwinden, wenn überhaupt. 897 898 895 896



899 900



901 902

BArch, BW 71/67, Nr. 25: MARCOP, Para. 7.13, S. 7-3, Zit. ebd. Ebd., Kap. 15 des MARCOP, S. 15-1. Ebd., Kap. 15, Ziff. 4.c, S. 15-2, Zit. ebd. BArch, BW 71/12, Nr. 26, beispielsweise Art. 99‑110 des Konventionsentwurfs; Hinweise in der Stellungnahme BMVg VR, S. 7. Ebd., Para. 4, S. 7 des Vorg./VR. BArch, BW 71/11, Nr. 38: (1838) CHUSDELLO, SHLO 81/22764/DCOS (US), 10.11.1981, Annex JAG 103, 4.1.1980 to, Para. 3.c, S. 2, Zit. ebd. BArch, BW 71/13, Nr. 19: (SHLO) I 82/770/COS, released 17.3.1982, Para. 2(vi), S. 2. BArch, BW 71/13, Nr. 44: FRALO Nr. 1035/LOS, 16.12.1982, Annex A, Para. 2, Zit. ebd. Vgl. auch Fischer, Friedenssicherung, S. 894‑896, Ziff. 44‑49.

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7. Die Kommandanten der Drei Mächte in Berlin und ihre Einbindung in Live Oak Im Basic Paper von Live Oak aus dem Jahr 1959 werden die Stadtkommandanten von Berlin nur einmal kurz und indirekt erwähnt: »The Headquarters of the Three Powers in Berlin will give the Three Embassies at Bonn whatever assistance the latter may require in carrying out their responsibilities«.903 Zu dieser Zeit, im April 1959, war die neue Berlin-Krise noch sehr heiß. Der Führer der gerade geschaffenen Organisation Live Oak, General Norstad, hatte den Auftrag erhalten, alle Studien und Planungen der Drei Mächte für die Aufrechterhaltung des freien Zugangs nach Berlin zu koordinieren. Jedoch sollte er keine Befugnisse mit Blick auf Berlin bekommen. Das lässt sich zum Teil damit erklären, dass Live Oak zu diesem Zeitpunkt nicht als operativer Stab, sondern als Planungszelle konzipiert war. Zum anderen war Norstad als CINCUSEUCOM militärischer Vorgesetzter des US-Kommandanten in Berlin. Er hatte in dieser Eigenschaft ohnehin unmittelbaren Zugriff auf Daten und Personal im US-Sektor und damit indirekt auch in Groß-Berlin.904 Dennoch kann man vermuten, dass während des Planungsprozesses bei Live Oak sehr bald die Notwendigkeit erkannt wurde, zumindest in Phasen erhöhter Spannung und Gefahr umfassende Einflussmöglichkeiten in Berlin zu erhalten. Um die Voraussetzungen dafür beurteilen zu können, ist ein Rückblick auf die Entwicklung in Berlin seit 1945 hilfreich.905 Nach dem Auszug des sowjetischen Kommandanten am 16. Juni 1948 aus der Kommandatura, dem gemeinsamen Hauptquartier der Siegermächte, hörten bald die förmlichen Sitzungen auf. Die drei westlichen Kommandanten trafen sich, wenn notwendig, reihum in ihren Hauptquartieren. Allerdings hatten sie erklärt, dass die Kommandatura weiterhin mit drei Kommandanten fortbestehen werde und stets offen für sowjetische Mitwirkung bleiben würde.906 Nach dem Ende der Blockade 1949 übernahmen die nun zivilen Stellvertreter die Verwaltung der Westsektoren, deren Durchführung dann aber nach und nach auf die deutschen Stellen in Berlin überging. Die Regel der Einstimmigkeit wurde abgeschafft. Der Vorsitzende der Commandants-in-Committee wechselte monatlich in festgelegter Reihenfolge. Ab 1949 wurde die Kontrollierende Regierungsgewalt der Alliierten Kommandatura in der Praxis zunehmend durch die Stellvertretenden Kommandanten ausgeübt, die nun hochrangige Diplomaten waren. Die Kommandanten hatten die Oberste Gewalt, hielten sich aus dem zivilen Alltagsgeschäft jedoch weitgehend heraus. »This de-militarisation of the Kommandatura was a natural consequence of the termination of the military occupation of West Germany and the BArch, BW 71/49, Nr. 3: LO(IN)-S-59-1006, 4.4.1959, Para. 13.e, S. 9. Allgemeine Informationen zu den Streitkräften der Alliierten in Berlin, auch zum ASB, sind in dem sehr inhaltsreichen Buch von Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, zu finden. 904 Siehe diesbezüglich General Norstad in BArch, BW 71/124, Nr. 12: SHLO 600/120, 10.11.1961, LO-TS-61-228. 905 BArch, BW 71/133, Nr. 6: Ich stütze mich hier v.a. auf die Ausarbeitung »The History of Allied Staff, Berlin«, 18.2.1991, MICSEC 106/C. Vgl. zum Folgenden grundsätzlich auch Jeschonnek/ Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 142-170. Vgl. ferner immer noch Plischke, Government and Politics, v.a. Kap. 1, 2 und 6. 906 BArch, BW 71/133, Nr. 6: »The History of Allied Staff, Berlin«, 18.2.1991, MICSEC 106/C, S. 2. 903



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transfer of control to the civilian, accomplished through the establishement of the Allied High Commission for Germany an 16 June 1949«. So war es nicht überraschend, dass die Kommandanten sich wieder mehr auf ihre ureigensten Fähigkeiten konzentrierten und ihr Augenmerk auf ihre militärischen Aufgaben legten. Sie trafen sich vermehrt, um die gemeinsame Verteidigung Berlins vorzubereiten, die man jetzt zunehmend als notwendig beurteilte.907 Um die Probleme der gemeinsamen Verteidigung der Stadt zu planen, richteten die drei westlichen Alliierten im Juni 1948 ein Komitee ein, das den Tarnnamen »Allied Sports Board« erhielt. Es wurde im September 1950 als »Allied Liaison Committee« etatisiert, das nur Studienaufgaben wahrnahm und daher den Anforderungen nicht genügte. Infolgedessen wurde daraus schon am 22. Januar 1951 der Allied Staff Berlin geformt,908 der der Alliierten Hohen Kommission unterstellt wurde. Seine Aufgaben bestanden in der Vorbereitung eines Operationsplanes für die gemeinsame Verteidigung Berlins, der Einrichtung von Gefechtsständen und der Durchführung von Übungen. Zudem hatte er die Verantwortung für die Ausrüstung, Ausbildung und Organisation der West-Berliner Polizei zu übernehmen. Der Stab umfasste jetzt acht Offiziere und zehn Unteroffiziere und Mannschaften. Aus Gründen der Sicherheit behielt er noch bis 1954 seine alte Bezeichnung »Allied Liaison Committee« bei. Bis Anfang der sechziger Jahre gab es anscheinend immer wieder Irritationen über die Stellung dieses Stabes im System der Militärregierungen und der Hohen Kommission. Zudem war die personelle Ausstattung zu gering, die fachliche Kompetenz schwach. Mit Beginn der zweiten Berlin-Krise nach dem Chruščev-Ultimatum vom November 1958 wuchs die Bedeutung des Stabes, da der Bedarf nun offenkundig war. Die Aufstellung von Live Oak war dann sicher eine Hilfe für den ASB, der umgekehrt für Live Oak wirkungsvolle Unterstützung in der Vorbereitung der Operationspläne leistete. Dies nahm mit der Zeit noch zu, insbesondere als alliierte Kräfte auch von Berlin aus auf den Zugangswegen eingesetzt werden sollten.909 Das spiegelt auch die Dienstanweisung für den ASB aus dem Jahre 1963 wieder,910 welche die alte, etwas dürftige von 1951 ersetzte.911 Das Aufgabenspektrum war nun wesentlich erweitert worden. Der Stab fungierte als unverzichtbares Arbeitsorgan der Kommandanten für alle gemeinsamen Aufgaben zur Verteidigung Berlins. Alle Befehle, Regelungen und Anordnungen des Stabes mussten vor ihrer Aussendung von den Drei Kommandanten genehmigt worden sein. Sie wurden dann im Namen der Alliierten Kommandanten erlassen. Zwei weitere wichtige Bestimmungen wurden angefügt: Der politische Berater des britischen Kommandanten wurde zum politischen Berater des ASB bestimmt, wohl weil sich dessen Sitz im britischen Sektor, im Hauptquartier des UKCOB in Gatow, befand. Sobald im Ernstfall ein einziger verantwortlicher Kommandeur für Berlin, ein Single Commander, bestimmt worden wäre, hätte der ASB als dessen operativer Stab gedient. Aus dieser Dienstanweisung ist klar zu erkennen, dass die Verbindung zu Live Oak wichtig war und eng sein musste. 909 910 911 907 908

Ebd., S. 3 f., Zit. S. 3. Ebd., S. 4 f. Ebd.; siehe auch die Darstellung der Operationspläne für den Landzugang in Kap. IV.4. BArch, BW 71/119, Nr. 47: »ASB Terms of Reference«, 19.3.1963, Log Nr. 29/65. BArch, BW 71/46, Nr. 12: ASBTOP-P, 27.12.1962, Anlage A.

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Der nationale COB war aufgrund des Besatzungsrechts fast unumschränkter Herr in seinem Sektor. Diese Regelung, über die die Drei Mächte mit Argusaugen wachten, wurde im Notfall und in der gemeinsamen Sicherung und Verteidigung der Stadt teils aufgeweicht, da dies koordiniert werden musste. Dann hatten sich die COBs zusammenzutun und als Commandants-in-Committee gemeinsam zu entscheiden, unter jeweils wechselndem Vorsitz (Chairman Commandant). Wenn sie keinen Konsens herstellen konnten, gab es keine Entscheidung, was sich in einer Krise fatal auswirken würde. Das bildete wohl den Hintergrund für die Überlegungen über die Notwendigkeit, einen Single Commander zu benennen.912 Viele Ansätze Norstads, diese Frage zu lösen, versandeten oder scheiterten an nationalen Vorbehalten. Erst nach vielen weiteren Fehlversuchen, Diskussionen, Gesprächsrunden und als Lehre aus den krisenhaften Entwicklungen im Herbst 1961 gelang die Einigung auf einen Vorschlag des USCOB Major General Albert Watson II, den Live Oak im Dezember 1961 den Regierungen, nachrichtlich der WAG, vorlegte.913 Danach würden im Falle einer ernsten Notlage die Kommandanten Norstad gemeinsam vorschlagen, einen Single Commander zu ernennen. Wenn die Zeit fehle oder die Fernmeldeverbindungen versagten, sodass der Vorschlag an Norstad nicht übermittelt werden könne, würden die Kommandanten selbst die Benennung beschließen, sofern sie darin übereinstimmten, dass dies notwendig sei, und sie würden Norstad alsbald informieren. In einem Notfall oder auf Anforderung eines Kommandanten sollte der Chairman Commandant alle die vorbereitenden Maßnahmen anordnen dürfen, die notwendig waren, um später nach Ernennung des Single Commander ohne weiteren Verzug handeln zu können. Dieses konnte die Verlegung und den Einsatz der Garnisonen oder von deren Teilen einschließen. Die Briten und die Franzosen hatten einiges zu monieren. Norstad schickte nach weiteren Diskussionen einen Kompromissvorschlag des ­USCOB in vollem Wortlaut an die MODs.914 Diese Lösung erhielt die Bezeichnung »Norstad Aggreement«,915 worin kurz zusammengefasst vier Dinge geregelt wurden: Im Falle einer schweren Notlage, dazu gehörten Aufruhr oder ein bewaffneter Angriff, sollten die Kommandanten gegebenenfalls dem Commander Live Oak die Ernennung des Single Commander empfehlen. Dieser würde durch den ASB unterstützt und unmittelbar Norstad unterstehen. Die Befehlskette ginge von den Regierungen über Live Oak und seinen Commander zum Single Commander Berlin. Die Nachfolge war wie folgt geregelt: Wenn der USCOB ausfiel, sollte ihm zunächst der britische, dann der französische Kommandant im Kommando folgen.916 Zu dieser Zeit hatte ASB bereits einige Operationspläne für die Verteidigung Berlins vorbereitet: BArch, BW 71/116, Nr. 33: ECLO 600/60, 22.8.1960. BArch, BW 71/118, Nr. 37: Msg SHLO-TS-62-3025, 13.1.1962. 914 BArch, BW 71/118, Nr. 37: SHLO 9-00045 und SHLO-TS-62-3025; Stellungnahme des CLO siehe BArch, BW  71/2, Nr.  10: SHLO 9-00052, 13.1.1962, Text gem. Annex  B zu SHLO O 83/192/COS, 7.3.1983. 915 So z.B. in BArch, BW 71/133, Nr. 6: »History of the Allied Staff, Berlin«, S. 5. 916 BArch, BW 71/118, Nr. 29: ASB »Command Directive Nr. 1«, 2.4.1962, LO(IN)-TS-62-2053; im Jahre 1980 wurde sie erneuert, siehe BArch, BW 71/133, Nr. 6: »History of the Allied Staff, Berlin«, S. 5. 912 913



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– »Gala Gallop«: eine Alarmstufe zur Vorbereitung aller anderen vorgeplanten Operationen; – »Winter Storm«: der automatisch ausgelöste Aufmarsch der West-Berliner Garnisonen und der Polizei, »to counter a surprise attack by enemy civilian an paramilitary forces«;917 – »Pax Romana«: Unterstützung der alliierten militärischen Kräfte in Berlin für die West-Berliner Polizei in ihrer Operation »Kugelblitz«, in der es um die Eindämmung von sich stufenweise entwickelnden zivilen Unruhen großen Ausmaßes ging; – »Julius Caesar«: Übernahme der Führung der Polizei durch die Kommandeure der Alliierten und Aufnahme gemeinsamer Operationen, wenn »Kugelblitz« fehlschlug; – »Trojan Triumph«: Aufmarsch aller Kräfte, »to meet an attack by enemy military forces«.918 Außerdem hatte der CLO, nun General Lemnitzer, die Vollmacht erhalten, die Kräfte für die Live-Oak-Operationen für »Back Stroke« (die »Probe« auf der Autobahn von Berlin aus) und »Lucky Strike« (die entsprechende Operation des Berlin Combat Team) auszubilden.919 Allerdings blieben auch in der Folge Unklarheiten bestehen – auch bei allen folgenden CLOs –, weil der Begriff »Emergency«, der als Voraussetzung für die Einsetzung des Single Commander gegeben sein musste, von den Regierungen recht unterschiedlich beurteilt wurde und nicht klar definiert werden konnte. Ferner wurden die Befugnisse des Chairman Commandant von denen des Single Commander nicht in allen Belangen eindeutig abgegrenzt. Die Amerikaner schlugen deshalb nach einer Diskussion in der WAG eine modifizierende Regelung vor: Die Ernennung des Single Commander sollte neben einer wie auch immer definierten Notlage auch unter anderen Voraussetzungen möglich sein, nämlich nachdem die Entscheidung gefallen war, »Free Style« oder »Back Stroke«, also eine Autobahn-»Probe«, einzusetzen, oder nach Ingangsetzung von »Jackpine«, der taktischen Luftoperation.920 Das größte Problem konnte indes nicht gelöst werden: die Frage der Befugnisse. Die britische und die französische Regierung verlangten, »that the command is military only and that the political position of the French and British Commandants in the Allied Kommandatura is unaltered«. Live Oak führte an, dass »the instructions given by the French or British Commandant in their capacity as Chairman Commandant may conflict with orders given by the Single Commander«; und schloss mit der schon salomonischen Feststellung, dass »this problem is primarily political«.921 BArch, BW 71/118, Nr. 29: ASB »Command Directive Nr. 1«, 2.4.1962, LO(IN)-TS-62-2053, Para. 1.c. Zum Aufbau und zur Rolle der Polizei in Berlin in den fünfziger Jahren vgl. Bastian, Westdeutsches Polizeirecht, v.a. Kap. 1.V. Zur Entwicklung der Berliner Polizei und zu den Eventualfallplanungen für die Verteidigung West-Berlins siehe besonders Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, Teil II, Kap. 4, und Teil VI, Kap. 1 und 2. Siehe auch BArch, BW 71/133, Nr. 6: History of the ASB, MICSSEC 106 vom 18.2.1991, S. 6‑10. »Kugelblitz« (zeitweise auch »Forelle« genannt) war eine Operation der West-Berliner Polizei, um innere Unruhen zu bekämpfen. 918 BArch, BW 71/118, Nr. 29:, Zit. aus Para. 1.b(5). 919 BArch, BW 71/119, Nr. 8: SHLO 200/6, 30.1.1963, LO-TS-63-14. 920 BArch, BW 71/119, Nr. 11: LO-TS-63-24, 12.2.1963, Para. 8. 921 Ebd., Para. 11‑13, Zit. ebd. 917

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Insgesamt veränderten sich die Argumentationen wenig, und sie kreisten immer um die gleichen ungelösten Fragen. Die Stellung des Single Commander und vor allem dessen Befehlsbefugnisse gegenüber den beiden anderen COBs blieben bis in die achtziger Jahre hinein ungeklärt. Auch konnte über den Begriff der »Emergency« weiterhin keine Einigung erzielt werden. Die Beruhigung der Lage um Berlin ab Ende der sechziger Jahre nahm dann den Druck aus der Diskussion. Wie es der COS Live Oak, Generalmajor Sinnatt, später ausdrückte, ruhte die Frage des Single Commander zwischen 1962 und 1980.922 Während in dieser grundsätzlichen Frage keine Fortschritte erzielt werden konnten, verstetigte sich die praktische Zusammenarbeit zwischen ASB und Live Oak. Die Zusammenarbeit mit den COBs lief bei Live Oak über die nationalen Kanäle, die Heads of Delegations (HODs), und bei SHAPE über die NMRs. Mit den nationalen Hauptquartieren wurde unmittelbar kommuniziert. Auch die Bonn Group spielte in dieser Kooperation eine wesentliche Rolle. Ausdruck dieser engen Zusammenarbeit war der kontinuierliche Meldefluss aus Berlin, insbesondere was die politische und die militärische Lage betraf. Früher gab es zahlreiche dienstliche – und private – Besuche der Stabsangehörigen hier und dort, die Teilnahme an Besprechungen und Konferenzen, zunehmend auch an Übungen, sowie die Beteiligung an Grundsatzdokumenten.923 Einige Stabsangehörige konnten auf Erfahrungen durch die Tätigkeit in mehreren der angesprochenen Stäbe oder in anderen mit Berlin befassten Dienststellen verweisen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Der Offizier der französischen Chasseurs Alpins, Michel Fourcade, wurde als junger Capitaine in der französischen Brigade in Berlin, als ›alter‹ Capitaine im Operationszentrum von Live Oak, als Lieutenant-Colonel im Hauptquartier des französischen COB und im ASB sowie schließlich als ›Colonel Plein‹ in der für die Ausbildung zuständigen Stabsabteilung der FFA in Baden-Baden eingesetzt. Anfang der achtziger Jahre schien neuer Schwung in die Diskussion um die Befehlskette in einer Berlin-Krise zu kommen. Anlass war die Ausarbeitung eines neuen ASB-Operationsplans für die Verteidigung von Berlin. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten waren zwei wichtige Fragen erneut in das Bewusstsein der COBs und ihres gemeinsamen Stabes ASB getreten: Von welchem militärischen Befehlshaber erhalten die COBs ihre Befehle und die dringend notwendige Unterstützung in ihrer Operationsführung? An wen melden sie und mit welchen Mitteln? Dabei war das Problem völlig unzureichender Fernmeldemittel wohl der Auslöser gewesen, das sich allerdings schon seit einiger Zeit stellte.924 Zeitweise sah es danach aus, dass eine dauerhafte Lösung gefunden werden konnte. Anfang März 1983 berichtete der COS Live Oak, Generalmajor Sinnatt, dem CLO General Rogers, dass nach wie vor Einigkeit bestehe, im Ernstfall einen gesamtverantwort BArch, BW 71/122, Nr. 21: Vorlage an den CLO, SHLO O 83/192/COS, 7.3.1983, Para. 8, S. 2. Das Problem wurde also nicht angegangen. 923 Einige der Dokumente aus den früheren Jahren geben Zeugnis davon, die meisten sind leider nicht überliefert. Dem Verfasser steht der umfangreiche »ASB-File«, der im Live-Oak-Operationszentrum zur Einsicht auslag, vor Augen. 924 BArch, BW  71/64, Nr.  7: Stabspapier Live Oak, Subj.: »Single Commander in Berlin«, SHLO 82/322/OPS, 15.2.1982, Para. 7, S. 2. Vgl. auch unten Kap. IV.10.a. 922



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lichen Single Commander zu benennen. 1980 sei mit der Idee, die einzelnen Sektoren Berlins national zu verteidigen, gebrochen worden.925 Stattdessen solle eine gemeinsame Verteidigungsoperation »in the very heart of the city« geführt werden. Dieses neue Konzept erfordere einen Single Commander und nur einen Oberbefehlshaber, dem er melden kann, sowie besondere Fernmeldeverbindungen, die dieses ermöglichten.926 Der neue Operationsplan für die Verteidigung Berlins, der den Decknamen »Epic Eagle« erhalten hatte, lag seit Juli 1982 als Entwurf vor:927 Die alliierten Streitkräfte in Berlin, einschließlich der West-Berliner Polizei, sollten West-Berlin aus dem Hauptverteidigungsraum (Main Defense Area, MDA) rund um das Olympiagelände bis zur Kaiserdammbrücke928 ohne wesentliche Verstärkungen über mindestens zehn Tage verteidigen. Für die Vorbereitung der Verteidigungsoperationen wurde eine Vorwarnzeit von 48 Stunden angenommen. Es wurde ferner davon ausgegangen, dass besondere Fernmeldeverbindungen zwischen dem Single Commander, hier nun Commander Allied Forces (COMDAF) genannt, und dem CLO bestanden. Die Operationen sollten in fünf Phasen geführt werden:929 von der Versammlung der Kräfte über das Verzögerungsgefecht bis zur gemeinsamen Verteidigung des Hauptverteidigungsraumes. Neu war hierbei, dass die Verteidigung der Stadt tatsächlich als gemeinsame Aufgabe verstanden wurde: Die Operationen sollten zentral und einheitlich, nicht mehr nach Sektoren getrennt und auf der Grundlage einer klaren Organisations- und Befehlsstruktur geführt werden. Vorausgegangen war offensichtlich ein schwieriger Prozess der Meinungsbildung zunächst unter den drei Kommandanten selbst. Generalmajor Sinnatt beschrieb das Ergebnis eindrücklich: »I found them of one mind in their wish to create the best possible defensive obstacle out of West Berlin without having to refer the plan to a political decision in one or more of the Allied capitals.«930 Solange das Norstad-Abkommen gültig blieb, besaß der CLO die Vollmacht, den Single Commander im Falle eines offenen Angriffs zu ernennen. Über die Frage der Befugnisse des Single Commander im Detail konnte jedoch kein wirklicher Konsens hergestellt werden. Erschwerend kam hinzu, dass militärischerseits offenbar Vorstellungen entwickelt wurden, im Ernstfall von Berlin aus auch Unterstützung für die Hauptfront der NATO westlich der Weser-Elbe-Linie zu leisten, also etwa durch Aufklärung, elektronische Kampfführung oder »Interdiction« mit Land- und vor allem Luftstreitkräften.931 Dahin BArch, BW 71/122, Nr. 21: Subj.: »Single Commander Berlin-Opplan ›Epic Eagle‹«, SHLO O 83/192/COS, 7.3.1983; »Epic Eagle« war der Deckname für den OPlan zur Verteidigung Berlins. 926 Ebd., Para. 9, S. 2, Zit. ebd. Dieses letztere war sogar lange Zeit das Schlüsselwort dafür, engl.: »Rear link«, siehe unten, Kap. VI.10.a. 927 ASB.G3/7065/P, 16.7.1982, nicht überliefert in BW 71, wohl weil er nach Eingang des letzten ­OPlan 1988 zu vernichten war. Leider sind auch die Vorgängerpläne seit 1961 nicht erhalten, sodass ein Vergleich zum neuen Plan nicht wirklich möglich ist. Gewisse Hinweise auf die wesentlichen Unterschiede erlaubt eine Synopse, die der GLNO 1983 erarbeitet hat: BArch, BW 71/14, Nr. 56: GLNO, Az. 02-20-20-00/01, Tgb.Nr. 227/83 geh. vom 19.4.1983. In der Darstellung hier folge ich dem »Memo for CLO«, 7.3.1983; BArch, BW 71/122, Nr. 21. 928 Main Defence Position (MDP), siehe BArch, BW 71/122, Nr. 21, Para. 10.a, S. 2. 929 Ebd., Para. 10.b, S. 3. 930 Ebd., S. 3, Para. 11, Zit. ebd. 931 Ebd., Para. 14, Zit. ebd. Diese Darstellung stützt sich weitgehend auf die erwähnte Vorlage des COS hierzu für den CLO vom 7.3.1983; SHLO O 83/192/COS. Siehe auch BArch, BW 71/66, Nr. 13: SHLO O 83/199/OPS, 9.3.1983, v.a. Para. 3. In BArch, BW 71/66, Nr. 31, SHLO O 925

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ter stand die neue operative Idee der NATO, gegen die zweite Angriffswelle (die »zweite Staffel«) des Warschauer Paktes konventionelle Mittel einzusetzen und sie dadurch ohne Einsatz von Atomwaffen zu zerschlagen oder doch stark zu schwächen (Stichworte hier: »FOFA« und »Air-Land-Battle«).932 Abgesehen davon, dass derlei aufgrund der prekären militärischen Stärkeverhältnisse in Berlin nicht realitätskonform war, hatte man kaum Überlegungen angestellt, wie dies mit der bis dato geplanten Verteidigung Berlins in Einklang gebracht werden konnte. Auch Sinnatt wusste darauf zunächst keinen Rat, denn Live Oak habe bislang nur sehr allgemeine und eher unklare Vorstellungen für die Verteidigung von Berlin und außerdem keinerlei Mittel dafür. Diese könnten nur von Kräften kommen, die bei Bedarf für die NATO vorgesehen waren, also nicht frei verfügbar, oder von speziell zugeführten französischen Kräften, die ebenfalls dafür weder bereitgehalten wurden noch einsatzfähig seien.933 Man war sich bewusst, dass Norstad, als er 1962 die Zuständigkeit für den Single Commander angenommen hatte, all dies nicht hatte vorhersehen können. Außerdem seien der Auszug der Franzosen aus der integrierten Militärstruktur der NATO und alle anderen Veränderungen seither nirgendwo berücksichtigt worden. Derartiges »goes beyond the powers of Live Oak to act in his capacity [...] for which no clear cut chain of command exists.«934 Um jetzt eine neue Kommandostruktur zu entwickeln, bedürfe es weiterer Überlegungen, die erst von den Kommandanten angestoßen werden mussten. Danach konnte Live Oak der WAG entsprechende Vorschläge unterbreiten. In der Folge entstand die Idee, den CLO als »Superior Commander«935 für die Verteidigung Berlins zu benennen. Allerdings war es weder der Bonn Group noch den Kommandanten gelungen, Grundlinien eines entsprechenden gemeinsamen Konzeptes zu entwickeln, obwohl Einigkeit über dessen Notwendigkeit bestand. Daher erhielt der COS Live Oak, nunmehr Generalmajor David Miller, am 6. April 1984 mündlich den Auftrag des CLO, ein Konzept zu erarbeiten, mit den Betroffenen, vor allem den COBs, abzustimmen und ihm dann vorzulegen. Bald darauf übermittelte Live Oak seine grundlegenden Überlegungen als Basis für die weiteren Diskussionen.936 Nach einem kurzen Rückblick auf den bisherigen Weg des Vorhabens wurde festgestellt, dass Live Oak als Vier-Mächte-Stab der für diese Aufgabe geeignete Stab sei, weil er schon bestehe, bisher bereits damit befasst gewesen sei, unmittelbaren Zugang zu General Rogers und auch freie Kapazitäten habe. Diese Gründe waren alle gewichtig und einleuchtend für die angestrebte Lösung. Es wurden



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83/504/COS, 7.6.1983, Para. 2, S. 1, heißt es: »see opportunities for aggressive patrolling, for air and ground interdiction against Warsaw Pact second echelon forces directed against West Berlin or moving westwards against NATO and for electronic warfare«. BArch, BW 71/66, Nr. 31, SHLO O 83/504/COS, 7.6.1983, Para. 2, S. 1. Zu FOFA vgl. Lemke, Eine Teilstreitkraft zwischen Technik, Organisation und demokratischer Öffentlichkeit. BArch, BW 71/66, Nr. 31, Para. 3, S. 1. BArch, BW 71/66, Nr. 40A: Msg SHLO O 83/860/COS, 21.9.1983, Para. 1. Dieser Begriff taucht erstmals 1984 auf, siehe BArch, BW 71/132, Nr. 48: »Subject: Superior Commander Berlin«, SHLO O 84/778, 25.5.1984. Gemeint war der zuständige nächsthöhere Befehlshaber für den Single Commander. BArch, BW 71/132, Nr. 48: Memorandum für HODs, COBs und ASB: SHLO O 84/778/OPS, 25.5.1984.



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dann drei verschiedene Stufen für die weitere Planungsarbeit für die Verteidigung Berlins identifiziert:937 – Stufe I: Erreichen der Genehmigung, einen Single Commander zu ernennen, und Einrichten entsprechender Fernmeldeverbindungen (»Rear Link«); – Stufe II: Festlegung des vorgesetzten alliierten Hauptquartiers, das für die Verteidigung Berlins im Kriege verantwortlich wird, und Klärung des Verhältnisses zwischen der Stadt Berlin und diesem Hauptquartier; – Stufe III: Einbindung der Verteidigung von Berlin in den mitteleuropäischen Befehlsbereich des Bündnisses. Während Stufe  I trotz aller Schwierigkeiten in Bezug auf den Zeitpunkt der Einsetzung bereits grundsätzlich genehmigt war und die Fernmeldemittel dafür schon in der Beschaffung waren, sollte Stufe II in einer Besprechung von General Rogers mit dem französischen CHOD, General Jeannou Lacaze, vorbereitet werden. Realistischerweise ging es letztlich um die Zustimmung zu einem Abkommen über die gemeinsame Verteidigung Berlins. Stufe III musste erst einmal in die Zukunft verschoben werden.938 Diese Planungen unterlagen einigen erschwerenden Beschränkungen, die entsprechende Fortschritte indes nicht ausschlossen: Im Frieden hatte CLO keine Befugnisse in Berlin. Planungen mussten daher in ständiger Absprache zwischen Live Oak, ASB und den COBs durch die Commandants-in-Committee erfolgen. Wegen der besonderen Sensitivität hatte man den Kreis der Eingeweihten jedoch streng zu limitieren. Für Berlin musste zudem ein spezielles Alarmsystem entwickelt werden. Im Übrigen machte es die besondere geografische Lage der Stadt schwierig, die Garnisonen zu verstärken, sie bot aber enorme Möglichkeiten für eigene »Counter C3I-Operations«.939 Das nun von Live Oak vorgeschlagene und empfohlene Konzept ging davon aus, dass Kräfte der Gegenseite, seien es Truppen des Warschauer Paktes, sowjetische oder auch nur Verbände der DDR, Berlin mit dem Ziel angriffen, die Stadt entweder in einer begrenzten Operation in Besitz zu nehmen oder sie im Rahmen eines großangelegten Angriffs gegen die Central Region der NATO zu erobern. Die Allied Forces Berlin (AFB) würden, so die Annahme, jedoch genügend Vorwarnzeit haben, um den Operationsplan »Epic Eagle« umzusetzen. Die Verteidigung Berlins würde unter der Operational Control (OPCON) des Commander Live Oak durchgeführt werden. Der Auftrag des CLO war es also, die Verteidigung Berlins durch die AFB vorzubereiten.940 Die fünf Phasen der Verteidigungsoperation gemäß »Epic Eagle« erforderten die folgenden Führungsmaßnahmen: In Phase I übernehmen die Commandants-in-Committee die Führung der alliierten Operationen. Der CLO bittet die alliierten Regierungen über die WAG, ihn zu ermächtigen, den Single Commander (Commander Allied Forces) in Berlin zu ernennen, und ihn, den CLO selbst, mit dem Oberbefehl über die Verteidigung der Stadt zu beauftragen. In Phase II führen die Commandants-in-Committee immer noch die Operationen. Der CLO erhält dann von den Regierungen die Ebd., Para. 14.b und 14.c sowie Para. 15, S. 3 f. Ebd., Para. 16, S. 4. 939 Ebd., S. 5, Para. 17.h: »Counter C3I«: Counter-Command, Control, Communications and Information. Das umfasste die Fähigkeit, die gegnerischen Führungs-, Überwachungs-, Fernmelde- und Aufklärungskräfte und -mittel zu stören und zu beeinträchtigen sowie Inhalte aufzuklären. 940 Ebd, S. 5, Para. 18, insbes. Para. 18.a. 937 938

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Vollmacht, den Single Commander zu ernennen und wird selbst zum »Superior Commander for Berlin« gemacht. CLO lässt durch Live Oak die Fernmeldeverbindungen mit dem Gefechtsstand der Alliierten Kräfte Berlin in Berlins Mitte herstellen. Die Drei COBs verstärken den ASB personell. Live Oak richtet die hierfür relevanten Zentren für die Öffentlichkeitsarbeit ein. In Phase  III ernennt der CLO auf Empfehlung der COBs und nach Zustimmung der Regierungen den USCOB zum Commander Allied Forces. Die OPCON über die Brigaden wechselt von den nationalen Kommandeuren zum COMDAF. In den Phasen  IV und V wird die Verteidigung Berlins durch den COMDAF fortgesetzt.941 Dieses Konzept brachte eine neue Schwerpunktaufgabe für Live Oak und CLO. Man brauchte daher andere Voraussetzungen, verlangte neue Kompetenzen und eine entsprechende Aufgabenteilung. Dieses alles kostete Zeit. Das Ergebnis musste auch in eine neue und erweiterte Dienstanweisung für den Stab Live Oak, die Terms of Reference, eingehen. Es brauchte noch zehn Monate, bis die vorbereitenden Besprechungen und Konferenzen Ergebnisse zeitigten. Die Sache nahm im März 1985 allmählich klarere Formen an, wenn auch, insbesondere hinsichtlich der Rolle des CLO, das Ende der Diskussionen noch immer nicht gekommen war. Während die französische militärische Führung offensichtlich den Vorstellungen von Live Oak und CLO folgen wollte, hatte die politische Führung erneut Bedenken geäußert und vorgeschlagen, den Begriff »Operational Control« durch den deutlich schwächeren, aber ebenfalls in der NATO definierten Begriff »Coordinating Authority« zu ersetzen. Diese Änderung würde eine wesentliche Einschränkung der Befugnisse des CLO in seiner Rolle als Höherer Befehlshaber zur Folge haben: Aus dem militärischen Führer würde ein eher »politisch-diplomatischer Koordinator« werden.942 Es blieb nichts anderes übrig, als die französische Haltung als einen guten Anfang zu betrachten. An den grundsätzlichen Problemen hatte sich nichts geändert. Im Falle eines Angriffs des Warschauer Paktes verfügte man für Berlin ohnehin nur über begrenzte Optionen. Man hatte sich, militärisch gesehen, jetzt das Leben noch zusätzlich schwer gemacht, da man keine straffe, einheitliche Kommandostruktur erreicht hatte. Solange es nicht gelang, das alte Norstad-Agreement durch eine schlagkräftigere Einsatzorganisation mit einem Oberbefehlshaber an der Spitze zu ersetzen, der auch entsprechende Befugnisse für Gesamt-Berlin hatte, blieb alles unvollkommen.943 Die Lösung, die man dann fand, bestand vor allem darin, dass man vom Prinzip der formalen Führung abrückte und die entwickelten Organisationselemente als Koordinationsinstrumente definierte. So wurde versucht, die im internationalen Bereich übliche Regelung zu nutzen, nach der eine Führungspersönlichkeit die Vollmacht bekam, die Operationen der zugewiesenen Kommandobehörden auch unterschiedlicher Nationen zu koordinieren, also quasi informell zu leiten. Die neuen Befugnisse des CLO für Berlin mussten jedoch von den Regierungen der Vier Mächte genehmigt werden, denn sie Ebd., Para. 18.b, S. 5 f. BArch, BW 71/123, Nr. 15: SHLO O 85/423/COS, 3.4.1985. Die Definition des neuen Begriffs »Coordinating Authority« ist in Encl. 2 enthalten. Das Zitat »politisch-diplomatischer Koordinator« stammt aus dem Begleitbrief. 943 BArch, BW 71/132, Nr. 49: Subj.: »Superior Commander Berlin«, SHLO O 85/458, 15.4.1985, Para. 2, S. 1. 941 942



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gingen über die Vollmachten und Aufgaben aus der Live-Oak-Charta von 1959 hinaus, die nur für den Zugang nach Berlin galten, nicht aber für die Verteidigung der Stadt.944 Nach Vorklärung mit den zuständigen Abteilungen der beiden anderen MODs im Sommer legte der CLO das neue Konzept den CHODs zur Unterstützung und Zustimmung vor.945 Vor allem zwei Änderungen sind bemerkenswert.946 Erstens wurde der Entwurf als »Rogers-Agreement« deklariert und zweitens wurde es als »Allied Command Arrangements, Berlin« bezeichnet, nicht mehr als »Allied Command Organisation, Berlin«. Die Wahl des Wortes »Arrangement« an Stelle von »Organisation«, das vorher benutzt worden war, sollte größere Flexibilität signalisieren und von einer starren, etatisierten Lösung abrücken, ging jedoch wohl auch auf die nach wie vor bestehenden Vorbehalte vor allem der Franzosen gegen eine straffere Führung zurück. Inhaltlich ergaben sich keine größeren Änderungen mehr, wenn man von der Umbenennung der Phasen in (Zeit-)Abschnitte, »Periods« genannt, absieht. Es waren nun noch deren drei: die Periode der Normalität, die des Übergangs und die der Zeit nach der Ernennung des Single Commander. Diese Einteilung orientierte sich am Wechsel der Verantwortung von den einzelnen Kommandanten über die Commandants-in-Committee zum Single Commander. Die Steigerung des Alarmzustandes im Ernstfall ergab sich daraus automatisch. Die COBs wurden etwa gleichzeitig über ASB von diesen Entwicklungen informiert.947 In der ersten Jahreshälfte ging der Entwurf an die Regierungen, die dann nach letzten Diskussionen und Einwänden zum Konsens gelangten. So konnte der COS am 7. Juli 1986 dem CLO melden, dass nunmehr alle drei Regierungen zugestimmt hatten.948 In dem intensiven Gespräch mit seinem COS am selben Tag entwickelte Rogers seine eigenen Vorstellungen für die Ausgestaltung der neuen Aufgabe der »Coordinating Authority«.949 Rogers stellte klar: Im Ernstfall könne die Umsetzung der militärischen Maßnahmen an zwei Hauptquartiere delegiert werden, das des CINCBAOR für Landoperationen und das des CINCUSAFE für Luftoperationen. In der neuen Dienstanweisung müssten diese beiden entsprechend als solche benannt werden. Als CLO würde er in Berlin nur noch als Koordinator, nicht mehr als Befehlshaber fungieren, und dies auch erst nach der Ernennung des Single Commander. In dieser Phase könnte er einige seiner Diese Überlegungen gehen aus dem Brief hervor, den der COS nach der Entscheidung durch General Rogers am 30.4.1985 an den J3 der JCS in Washington, Generalmajor Maurice Padden, schrieb: BArch, BW 71/123, Nr. 18: SHLO O 95/546/COS. Ein ähnlicher Brief ging an Generalmajor David Johnson, MOD London: BArch, BW 71/123, Nr. 17: SHLO O 85//585/COS. Der Brief an General Jannou Lacaze findet sich in BArch, BW 71/123, Nr. 16: SHLO O 85/544/CMD. 945 Als Beispiel sei der Brief an Fieldmarshal Sir Edwin Bramall, UKCHOD, vom 19.8.1985 genannt, BArch, BW 71/80, Nr. 16: SHLO O 85/961/S. 946 Siehe ebd., die Anlage dazu: »Draft Rogers-Agreement«, SHLO O 85/770/S, Überschrift und Para. 7. 947 Zum Beispiel BArch, BW 71/123, Nr. 28: FRCOB mit Schreiben SHLO O 85/979, 23.8.1985. 948 BArch, BW 71/71, Nr. 35: SHLO O 86/687, 2.7.1986, Tab. 4 (92/30), Para. 1 und 2. 949 BArch, BW 71/72, Nr. 2: Kurzprotokoll COS, SHLO O 96/718/COS1, 9.7.1986. In Para. 4.a(2) weist der COS auf Folgendes hin: »some loose thinking about what CLO required of the HQ or HQs to whom he might wish to delegate some measure of coordinating authority«. Über eine mögliche Delegierung hatte es Vorgespräche mit verschiedenen Hauptquartieren gegeben, v.a. mit der BAOR. 944

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Aufgaben als »Coordinating Authority« an den CINCBAOR oder CINCUSAFE delegieren, aber nicht alle. Einmal delegierte Aufgaben könne er auch wieder zurücknehmen, wenn es ihm richtig erscheine. Er müsse immer die Möglichkeit behalten, unmittelbar mit dem Single Commander in Berlin zu sprechen. Dies geschehe mittels seines Stabes Live Oak, unterstrich Rogers, auch dann, wenn er Aufgaben delegiert hatte.950 Es bestanden offensichtlich Zweifel, ob die Einsetzung des CLO als reiner Koordinator wirklich nutzbringend war oder ob hier nur eine Organisationsebene ohne wirklichen Mehrwert eingezogen würde. Immerhin hatte der CLO damit direkten Einfluss auf alle Planungen. Rogers betonte wohl auch deshalb, dass derjenige, »who commands or coordinates in war, must be involved in the planning process in peace«.951 Daher müssten die beiden Oberbefehlshaber der Rheinarmee und der US-Luftwaffe in Europa den nun geforderten jährlichen Bericht der Commandants-in-Committee auch als erste lesen und dazu Stellung nehmen, bevor er dann ihm als oberster Instanz vorgelegt werde.952 Trotz dieser Bedenken unterschrieb Rogers die Übereinkunft am 22. August 1986. Es ersetzte das Norstad-Agreement von 1962. Die Einigung über ACAB machte eine grundlegende Überarbeitung der noch gültigen Dienstanweisung von 1979953 notwendig, um die neuen, damit verbundenen Aufgaben aufzunehmen.954 Der neue, ergänzende Auftrag lautete: die Verteidigung von WestBerlin nach der Ernennung des Single Commander Berlin zu koordinieren.955 Ein Satz fand dabei besonderes Gewicht: »Police guidance will be provided to CLO by the Quadripartite Governments (MODs/JCS), the Washington Ambassadorial Group (WAG) and the Quadripartite Bonn Group.«956 Damit wurde die Verantwortung auch der WAG für die Verteidigung der Stadt formal festgeschrieben.957 Die neue Rolle des Stabes Live Oak wurde als »crisis management staff« und als Führungsstab des CLO in dessen Eigenschaft als Koordinierender Führer für die Verteidigung von Berlin definiert.958 CINCBAOR sollte dagegen verpflichtet werden, deutsche Unterstützung als Host Nation Support (HNS) mit dem Territorialkommando Nord (TKN) in Mönchengladbach abzusprechen. Es deutete sich auch die Absicht Rogers’ an, seine unmittelbare Verantwortung im Zusammenhang mit der Verteidigung Berlins auf den CINCBAOR zu delegieren.959 Hierzu merkte der GLNO, Oberst i.G. Klaus Steiner, an, dass dieser Punkt noch Gegenstand von Beratungen sei. Aus deutscher Sicht konnte nämlich die Stellung des – deutsch besetzten – CINCENT tangiert sein.960 Erstmals wurden unter »Supporting Headquarters« das Territorialkommando Nord und das

Ebd., Para. 4.b. Ebd., Para. 4.b(3). 952 Das kommentiert der COS so: »A rather lengthy precis but one which I hope will provide a useful record and reference document for our planning«, ebd., Para. 5. 953 BArch, BW 71/132, Nr. 44: Live Oak Terms of Reference, SHLO 79/0586/CDRLO, 3.7.1979. 954 BArch, BW 71/20, Nr. 48: GLNO Tgb.Nr. 141/86 geh. Az. 02-20-20-00 vom 10.3.1986. 955 BArch, BW 71/20, Nr. 48: Entw. der ToR, Para. 2.d, hier in Ziff. 2.a. des GLNO. 956 Ebd., Entw. der ToR, Para. 3, Ziff. 2.b des GLNO. 957 Ebd., Entw. der ToR, Para. 5, GLNO in Ziff. 2.c. 958 Ebd., Para. 6.g (hier das Zit.) und Para 6.h; sowie ebd., GLNO, Ziff. 2.d. 959 Ebd., ToR, Para. 9.a; bei GLNO Ziff. 2.e. 960 Ebd., GLNO, Ziff. 2.f. 950 951



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Luftwaffenamt genannt und mit ihren Aufgabenbereichen aufgenommen.961 Die vorgesehenen Änderungen stellten nach Auffassung Steiners eine »wesentliche Verbesserung« dar. Es blieben insdes Zweifel bestehen.962 Insbesondere befürchtete man, dass analog zu anderen Bereichen und überhaupt zur Gesamtverteidigung die Übernahme gewisser Aufgaben durch die deutsche Seite nicht automatisch die Verteidigung Berlins stärkte, sondern dass die Drei Mächte dadurch animiert würden, ihre eigenen Anstrengungen zu reduzieren. Es dauerte noch fast ein Jahr, bis die neue Dienstanweisung von allen mitwirkenden nationalen Hauptquartieren mitgezeichnet war. Am 22. Februar 1987 wurde sie von Rogers genehmigt und gleichzeitig den CHODs zur Zustimmung zugeleitet, war diesen doch folgende Funktion zugedacht: »they will become the basis on which Live Oak will operate in the future; as such, I believe they warrant your agreement,« so der General.963 Damit war die Arbeit an den Grundlagen erst einmal abgeschlossen, 24 Jahre nach dem vergleichsweise bescheidenen und wenig befriedigenden Norstad-Agreement und fast fünf Jahre nach der Ausarbeitung des Entwurfs für den neuen Operationsplan »Epic Eagle« im Mai 1982, der den Anstoß für die neue Regelung gegeben hatte. Das neue Abkommen bedeutete tatsächlich doch einen Quantensprung für die Planung der Operationen und in den Fähigkeiten zur Krisenbeherrschung durch die Westmächte. Sie eröffnete dem CLO die Überwachung aller Planungen der Drei Mächte in Berlin, also eine Art Dienstaufsicht, die Teilnahme von Live Oak an Übungen in Berlin und umgekehrt von ASB und COBs an den Live-Oak-Übungen, das Recht auf Einforderung von Meldungen und Berichten, vor allem des jährlichen Berichts der Commandantsin-Committee,964 und schließlich die Möglichkeit, die besondere geografische Lage der Stadt auch gezielt und gebündelt für die Erkenntnisgewinnung im Kriege zu nutzen.965 Vieles davon war vorher nur im Ausnahmefall und als Gefälligkeit möglich gewesen, also ohne Gewähr und unsicher. Die Übertragung der Aufgabe des Koordinators an den CLO hatte Wege geebnet und Türen geöffnet, den COBs auch einen wichtigen Ansprechpartner für ihre Fragen, Sorgen und Nöte gegeben, gerade für die enormen Probleme der Verteidigung der Stadt, die in der Krise national nicht einmal im Ansatz allein lösbar waren und auch in der militärischen Zusammenarbeit immer noch große Herausforderungen bereithielt. Die Commandants-in-Committee, die einzelnen COBs und der ASB waren nun in das Netzwerk von Live Oak eingesponnen. Letztlich aber blieben die nationalen Prärogative auch im Ernstfall klar bestehen. Wenn etwa die Franzosen eigene Wege gehen wollten, hatte der CLO keine Möglichkeit, ihnen das zu verbieten. Der erste, vollständige Operationsplan für die Verteidigung Berlins, die »ASB Opera­ PLAN 2/1988 tional Instruction 1961«,966 wurde erst mit der Genehmigung des neuen O Ebd., ToR, Para. 10; GLNO, Ziff. 2.g. Ebd., GLNO, Ziff. 3 seines Berichts, Zit. ebd. 963 BArch, BW  71/74, Nr.  22: Briefentwurf vom 23.2.1987, z.B. an General Saulnier, als Anl. zu SHLO O 87/213, 19.2.1987. 964 Der erste Bericht, für das Jahr 1987, ging mit Datum 31.5.1988 bei Live Oak ein: ASBSEC 101/14. BArch, BW 71/79, Nr. 22: SHLO O 88/596, 13.6.1988. 965 In Form der »Allied Intelligence Mission for Berlin«, BArch, BW  71/84, Nr.  30: Brief General Galvin, CLO, an Chairman Commandant, SHLO O 89/439/OPS 18.4.1989. 966 Nicht in BW 71 überliefert; siehe aber BArch, BW 71/132, Nr. 6: »History ASB«, S. 8, MICSSEC 106, 18.2.1991. 961 962

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»Epic Eagle«, in den die neuesten Entwicklungen einschließlich ACAB eingegangen waren, außer Kraft gesetzt. Im Gegensatz zum OPLAN 1961 war damit nun ein wirklich kohärentes Konzept mit der Verteidigung eines Kernraumes als Main Defense Area um das Olympiagelände, unter einheitlicher Führung durch den COMDAF, entwickelt worden.967 Der Übungskalender für Berlin wurde über die Jahre ausgebaut und enthielt ab Mitte der achtziger Jahre die gemeinsame Teilnahme der Berliner Garnisonen an den regelmäßigen Live-Oak-Übungen.968 Das Ende des Besatzungsstatus von Berlin und damit auch des ASB kam dann im Rahmen der Wende: Mit einem Abkommen im August 1990, dem »Stationing Agreement«, wurde die Ablösung der alten Rechte und Pflichten der Alliierten in Berlin besiegelt und die Stationierung ihrer Truppen für eine begrenzte Übergangszeit geregelt.969 Der letzte Jahresbericht der Commandants-in-Committee für das Jahr 1990 endete mit den Worten: »This report closes the historical record as of 31  July 1990, freezing the world as we saw it then«.970 Am Morgen des 2. Oktober 1990, am Vortag der Deutschen Wiedervereinigung, hielten die Commandants-in-Committee unter Vorsitz des UKCOB, Generalmajor ­Robert J.S. Corbett, ihre letzte Sitzung ab. Sie unterzeichneten ein Dokument, in dem die Auflösung des Alliierten Stabes Berlin besiegelt wurde. Gleichzeitig wurde für einen begrenzten Zeitraum eine Nachfolgeorganisation gegründet, die den Namen »Multinational Interim Coordinating Staff« (MICS) erhielt. Dieser hatte nur noch zwei Aufträge, nämlich den Aufbau eines deutschen Führungsstabes in Berlin, z.B. eines Stadtkommandanten, zu unterstützen, und die Arbeit der amerikanischen, britischen und französischen Dienststellen in Berlin zu koordinieren.971 Dieser Stab wurde am 11. Januar 1991 wieder deaktiviert.972

8. Das Delegieren von Verantwortung Die besondere militärstrategische Lage in Deutschland machte es nötig, spezielle Mechanismen zu entwickeln, um im Ernstfall schnell auf einen Angriff reagieren zu können. Das Zeitfenster für eine Vorwarnung betrug nicht mehr, wie in früheren Zeiten, Wochen oder gar Monate, sondern Tage und in verschiedenen Bereichen unter Umständen nur Stunden. Daher erschien es geraten, ausgewählten höheren militärischen Führern schon vorab die Vollmacht zu erteilen, Alarmmaßnahmen oder den Einsatz von Truppen im Ernstfall anordnen zu dürfen, obwohl derlei Entscheidungen in solchen Situationen eminent politischen Charakter trugen und daher eigentlich von der politischen Führung entschieden werden mussten. Dieses Vorgehen nannte man »Delegierung« (engl. »Delegation« oder auch »Predelegation«). Die größte Brisanz hatte dies im Zusammenhang 969 970 971 972 967 968

BArch, BW 71/82, Nr. 1: ASBG3/7065/P, 22.6.1988, SHLOIN I 88/1699/OPS-S. BArch, BW 71/133, Nr. 6: MICCSEC 106, »History of the ASB«, 18.2.1991, S. 10. BArch, BW 71/132, Nr. 6: »History of the ASB«, MICSSEC 106, 18.2.1991, S. 13; Zit. ebd. BArch, BW 71/91, Nr. 26: ASBCOS 129, 2.10.1990, SHLOIN I 90/555, S. 14. BArch, BW 71/92, Nr. 27: ASBCOS, »Disestablishment«, 2.10.1990, Para. 4. BArch, BW 71/133, Nr. 6: MICSSEC 106, 18.2.1991, S. 14.



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mit der Entscheidung zum Einsatz von Atomwaffen durch Befehlshaber an der Front ohne Rücksprache mit dem US-Präsidenten – ein Thema, das von der Forschung bis heute nicht eindeutig geklärt werden konnte.973 Die Thematik galt für die Verteidigung Berlins und der Zugänge genauso, wenn auch nicht auf derselben Ebene, immerhin aber infolge der vorgeschobenen Position der Stadt mit hoher Bedeutung für den Beginn entsprechender Krisen auf unterem Eskalationsniveau, quasi als Einmündung in einen Großkonflikt. In vielen Bereichen der Eventualfallplanungen974 für Berlin wurden dem CLO daher auch von den Drei Mächten besondere Vollmachten übertragen,975 hier nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1961/62. Diese Delegierung hatte nicht ganz die Bedeutungsschwere wie etwa im Falle des Ersteinsatzes von Atomwaffen. Auf zwei Punkte aber kam es an. Ihre Ausführung musste, erstens, sofort und ohne weiteren Abstimmungsprozess erfolgen, weil die Lage eine möglichst verzugslose Reaktion verlangte. Zweitens konnte auf die politische Entscheidung konnte im Bedarfsfalle verzichtet werden, wenn die Eskalationsgefahr gering war und politisches Eingreifen möglich blieb. Der Katalog der an den CLO übertragenen Vollmachten war vielfältig und politisch reflektiert.976 Die darin aufgeführten Maßnahmen waren in drei Kategorien unterteilt: erstens Maßnahmen, für die der CLO die Vollmacht aller Drei Mächte erhalten hatte,977 die er also im Ernstfall ohne Weiteres ausführen konnte; zweitens Maßnahmen, denen nur zwei Nationen zugestimmt hatten (hier wurde differenziert, welche Nation zugestimmt oder nicht zugestimmt hatte); schließlich wurden drittens die Operationen aufgeführt, für die keine der Drei Mächte im Vorhinein eine Vollmacht an den CLO delegiert hatte.978 Ohne Einschränkungen waren delegiert worden:979 – die Aktivierung des Gefechtsstandes »Jackpine« in Ramstein und die Versetzung der für Live Oak vorgesehenen Luftstreitkräfte in einen besonderen Bereitschaftsstand, – der Einsatz der Militärischen Lufttransport-»Probe« MATP, – der Einsatz des Anteils Military Sponsored Air Service (MSAS), später Military Sponsored Air Probe (MSAP) genannt, durch »Jackpine«, Vgl. hierzu Maier, Die politische Kontrolle, S.  253‑420; Lemke, Die Allied Mobile Force, v.a. Kap. IV, insbes. S. 208‑212. Zu den Anfängen der »predelegation« vgl. auch The National Security Archive, First Declassification of Eisenhower’s Instructions to Commanders Predelegating Nuclear Weapons Use 1959‑1960, A National Security Archive Electronic Briefing Book, 2001, http:// nsarchive2.gwu.edu/NSAEBB/NSAEBB45/printindex.html. Vgl. auch die Informationen auf derselben website: http://nsarchive2.gwu.edu/news/19980319.htm (letzter Zugriff 12.12.2018). 974 Siehe die Darstellung oben, Kap. III.4 und Kap. IV.3.‑IV.6. 975 Dazu waren ausschließlich die Drei Westmächte in der Lage. Die Bundesrepublik war nur mittelbar betroffen und hat sich daher zurückgehalten, meist erst nach den anderen Stellung bezogen bzw. zugestimmt. Sie ist auch nicht im Dokument genannt, außer als politischer Adressat. 976 BArch, BW 71/118, Nr. 48: Msg SHLO 9-000113, No Subj., 25.10.1962, LO-TS-62-3037; siehe ebenso BArch, BW 71/131, Nr. 1. Der COS hatte diese schriftliche Zusammenstellung veranlasst, in der auch Kopien wichtiger Referenzpapiere eingeschlossen sind. 977 BArch, BW  71/118, Nr.  48: Msg SHLO 9-000113, No Subj., 25.10.1962, LO-TS-62-3037, Para. 1, S. 2. 978 Ebd., Para. 3 und Para 4, S. 2 f. 979 Hier und im Folgenden – wenn nicht anders angegeben – ebd., Para. 1.a‑1.k, S. 2. 973

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– die Überwachung des zivilen Luftverkehrs, – die Anordnung von Flügen über 10 000 Fuß in den Korridoren unter bestimmten Bedingungen, – der Einsatz von Jägern an den westlichen Eingängen der Luftkorridore, – das Anordnen von Counter-Harassment-Flügen980 in den Luftkorridoren, – die Ausbildung der Truppe für die Autobahn-›Probe‹ Helmstedt–Berlin, – die Versammlung dieser Truppe für den Einsatz, – die Ausbildung der Truppe für den Einsatz des verstärkten Bataillons auf der Autobahn Helmstedt–Berlin (das BCT/TBG), – die Ernennung des Single Commander Berlin, unter gewissen Bedingungen. Selbst wenn diese »gewissen Bedingungen« nur für den letzten Punkt eigens erwähnt wurden, galten sie stillschweigend für alle Maßnahmen. Im Ernstfall musste entsprechend flexibel reagiert werden. Die Franzosen hatten bei einigen Maßnahmen zwar zugestimmt, setzen aber ihre eigenen Kräfte, wenn auch in Abstimmung mit den Alliierten, selbst ein.981 Auch wenn alle diese Aufgaben an den CLO delegiert worden waren und keiner weiteren Regierungsgenehmigung bedurften, so wurde erwartet, dass die Regierungen ebenso wie die WAG und die Bonn Group sofort über alle Maßnahmen unterrichtet wurden982 und so die Gelegenheit erhielten, ggf. rasch einzugreifen. Die Bedeutung der politischen Kontrolle wurde selbstverständlich von der militärischen Führung akzeptiert und hier noch einmal unterstrichen. Die zweite Kategorie umfasste Maßnahmen, denen eine oder mehrere Regierungen nur teilweise oder bedingt bzw. unter Vorbehalten zugestimmt hatten:983 – Der Einsatz von Jagdflugzeugen in den Luftkorridoren bedurfte der Zustimmung der Franzosen vor jedem Einsatz, die Briten hatten bestimmte Bedingungen vorausgesetzt. – Die Durchführung des Operationsplanes für Civil Airlift Plan (»Jackpine«) bedurfte der vorherigen Zustimmung der französischen Regierung, der beiden anderen aber nicht mehr. – Angriffe auf Fesselballons hatten ebenfalls keine vorherige Zustimmung der Franzosen erhalten, die der Amerikaner und Briten lag jedoch vor. Für einige bedeutsame Schritte hatte der CLO vorab keinerlei Vollmachten erhalten:984 – Angriffe aus der Luft auf Bodenziele, genauer gegen Flugabwehrstellungen (Rohrwaffen und Raketen), – die Ausbildung der für den Einsatz entlang der Autobahn Berlin–Helmstedt von Berlin aus vorgesehenen Truppenteile und – die Versammlung dieser und des verstärkten Bataillons von Helmstedt aus für den Einsatz. Mit solchen Flügen sollte Behinderungen durch den Gegner gezielt begegnet werden; siehe auch BArch, BW 71/118, Nr. 12: SHLO 300/569, LO-TS-62-76, 23.10.1962, S. 1. 981 Vgl. z.B. BArch, BW 71/118, Nr. 17: SHLO 300/573, LO-TS-62-76, 23.10.1962, unter »National Position« siehe »c. France«, S. 2. Siehe auch BArch, BW 71/131, Nr. 2: Nr. 050/FRALO/TS, 23.1.1963, Para. 2, S. 1. 982 BArch, BW 71/118, Nr. 48: Para. 2, S. 2 des Vorg. 983 Im Folgenden ebd., Para. 3.a‑Para. 3.c, S. 2 f. 984 Ebd., Para. 4.a‑4.c, S. 3. 980



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Diesen Maßnahmen war eskalatorisches Potenzial beigemessen worden.985 Viele Jahre später, im Frühjahr 1977, entsprach die WAG dem Antrag des CLO, General Alexander M. Haig Jr., die Befugnis für die Versammlung und das Vorführen der »Rail Probe« zum Einsatz zu delegieren.986 Dies war die einzige förmliche Erweiterung der Befugnisse des CLO auf diesem Gebiet in späteren Jahren. Umgekehrt ging es auch. So wurde im April 1983 die Vollmacht, die militärische Lufttransport-»Probe« (MATP) einzusetzen, durch die WAG aufgehoben987 – mit der doch überraschenden Begründung, sie sei bereits Anfang der siebziger Jahre erloschen.988 Der Commander Live Oak gebot über einen Fächer von Maßnahmen, die er notfalls, ohne auf politische Zustimmung warten zu müssen, als sofortige Antworten auf gefährliche Entwicklungen und Bedrohungen einsetzen konnte. Jedoch blieb stets zu berücksichtigen, dass »auch mit delegated authority [...] Cdr LO nicht selbstständig, sondern aufgrund politischer Weisung tätig« wird.989

9. »Pyramiden der Krisenbeherrschung« Bei Live Oak sollte eine Art von Koordinatensystem kritische Situationen plastisch mit den notwendigen und angemessenen Mitteln und Maßnahmen zusammenführen, um das angestrebte Ziel, die Klärung einer gefährlichen Lage, möglichst rasch und effizient zu erreichen. Das wichtigste Ordnungsinstrument, quasi das geistige Rückgrat, um eine rationale Steuerung zu ermöglichen, war das »Phasen-Konzept«. Dieses wurde in der Military Subgroup der WAG aus den nationalen Entwürfen entwickelt als »a general overall strategy applicable on a world wide scale and comprising political, diplomatic, economic, psychological, military and paramilitary measures«. Deren selektive Anwendung, sowohl in Europa wie in der Welt, würde dazu beitragen, zu einer Einigung über das Berlin-Problem zu gelangen, während der Sowjetunion schrittweise die Gefahr eines General War verdeutlicht wurde.990 Das Gesamtkonzept basierte im Wesentlichen auf zwei großen zusammenfassenden Werken: Das erste war das Schlüsseldokument BQD-CC-1, »Status of Berlin Contingency Planning«,991 das als eine Art Katalog alle vereinbarten, genehmigten und möglichen Maßnahmen von Live Oak enthielt. Dieses Dokument war die »Bibel der Siehe hierzu BArch, BW  71/44, Nr.  9: zum Beispiel die französische Stellungnahme, No. 451/ FRA-LO 22.9.1961, Para. 3. 986 Die Entscheidung findet sich in BArch, BW 71/61, Nr. 20: SHLOIN 77/859/S, 11.4.1977. 987 BArch, BW 71/14, Nr. 63: SHLOIN I 83/1177/C, 28.4.1983. 988 Vgl. BArch, BW 71/14, Nr. 76: FS Bo. Wash., Nr. 1735 vom 19.4.1983, Ziff. 1. Auch hier scheinen Eskalationsbefürchtungen mitgespielt zu haben. Siehe ebenfalls die Darstellung in Kap. III.4 und in Kap. IV.5. 989 BArch, BW 71/14, Nr. 57: BMVg, Fü S III2 LO, Tgb.Nr. 64/83 geh. vom 13.4.1983, Zit. aus handschr. Bemerkung auf S. 2 des Briefes. 990 BArch, BW  71/124, Nr.  13: »Advanced Copy of Instructions to General Norstad«, 29.8.1961, LO(IN)-TS-61-2077, S. 1, Para. 4.a, Zit. ebd. 991 In BW 71 nur die 6. Fassung, 15.3.1971, BArch, BW 71/2, Nr. 3, vermutlich auch die letzte Fassung bis 1990. 985

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Gesamtplanungen für die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Reaktionen einschließlich der Entscheidungsvorbehalte der einzelnen Regierungen«992 und die wesentlichste Arbeitsgrundlage für alle Gremien und Stäbe. Das zweite Werk war das ebenfalls schon genannte »Phasenpapier« in BQD-M‑30.993 Dieses war im Sommer 1962 intensiv in der Military Subgroup behandelt worden.994 Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten995 wurde diese Vorlage von der WAG als richtungsweisend anerkannt und in verkürzter Form als genereller Rahmen für den NAC gebilligt.996 Dabei war klar, dass man nicht mit einem starren Schema operieren konnte, sondern dass Zuordnungen politische Ziele und Absichten sowie aktuelle Situationen erfassen mussten. Ein hypothetisches Beispiel soll das deutlich machen: Wenn die Maßnahme »X« nicht aufgerufen oder ausgeführt wurde, konnte eine davon abhängige Maßnahme »Y« auch nicht ausgeführt werden und »Z« wurde dadurch möglicherweise sinnlos oder überflüssig. Das Dokument sollte vorrangig helfen zu erkennen, ob das militärische Vorgehen der Drei Mächte bzw. der NATO stimmig war und wie es zu den verschiedenen nicht-militärischen Aktivitäten passte, die ebenfalls ein Teil der übergeordneten Strategie sein würden bei der Suche nach dem Erhalt der lebenswichtigen Interessen der Allianz.997 Die entsprechenden Grundsätze bildeten den Kern des westlichen Krisenmanagements im Kalten Krieg, insbesondere die Erkenntnis, dass das Verhalten der Sowjetunion die Art der Reaktion bestimmte. Die große Breite der nicht-militärischen Maßnahmen stand dabei in direkter zeitlicher Verbindung zu den militärischen. Eine entscheidende Trennlinie bildete der sowjetische Angriff auf das Territorium oder die Unversehrtheit der NATO. Dies ging über die Planungen von Live Oak hinaus, da dieser Fall die gültige Strategie der NATO auf den Plan rief.998 Für den Ernstfall konnte trotz aller Planungen nicht von eindeutig festgelegten Handlungsabläufen ausgegangen werden. Vorherige Entscheidungen der Regierungen und Prädelegierung blieben für die Durchführung jedes militärischen Operationsplans nötig,999 denn viele wichtige Faktoren waren unsicher und konnten im Voraus nicht beurteilt werden. Für die Alliierten war und blieb es entscheidend, ihre vitalen Interessen in Berlin erfolgreich zu schützen und davon auch den Rest der Welt, nicht nur das eigene Lager, zu überzeugen. Wenn es nicht gelang, Berlin zu halten, hatte man einen gewalti Zit. Dr. Wieck, Stellungnahme 2004, S. 3; es wurde vermutlich auch als »Green Book« bezeichnet, daran konnte sich Dr. Wieck jedoch nicht mehr erinnern. 993 BArch, BW 71/1, Nr. 61: endgültige Bezeichnung »The Preferred Sequence of Military Actions in a Berlin Conflict«, BQD-M-30 (Rev.), 12.9.1962, LO(IN)-TS-63-2046. 994 Eindrücke davon geben BArch, BW 71/125, Nr. 23: BQD-M-28, 26.7.1962, das Protokoll der Sitzung an diesem Tag; und BArch, BW 71/1, Nr. 30: FS BMVg mdbc 3018 vom 5.9.1962. 995 Vgl. u.a. BArch, BW 71/1, Nr. 27: FS Diplogerma Wash. Nr. 2425 str.geh. vom 22.8.1962, NMR/ LO Tgb.Nr. 337/62 TS; auch BArch, BW 71/125, Nr. 27: JMG/SG/25, 21.9.1962. 996 BArch, BW  71/1, Nr.  39: FS NATO-Germa Nr.  1059 vom 31.10.1962, Anl.  3. Das entsprechende NATO-Dokument ist PO/62/593, 17.9.1962, gebilligt am 31.10. 1962; der Text ist nicht in BW 71. Es hatte die Phaseneinteilung offensichtlich im Vergleich zu der von Live Oak verändert, siehe BArch, BW 71/1, Nr. 49: FS AA Nr. 3782 str.geh. vom 18.12.1962, Ziff. 2. Auch in Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1962-2, Sect. 11, Nr. 5 und 6, 31.10.1962. 997 BArch, BW 71/1, Nr. 61: BQD-M-30, Rev., 12.9.1962, Para. 1, S. 1. 998 Ebd., Para. 3, S. 1. 999 Ebd., Para. 4‑5, S. 1 f. 992



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gen Prestigeverlust erlitten, der möglicherweise rasch in eine ernste Glaubwürdigkeitskrise, in Verlust an Kohäsion und Abschreckungswirkung münden konnte. Umgekehrt mussten der Sowjetunion die enormen Risiken einer Aggression klargemacht und gleichzeitig demonstriert werden, dass man sie und ihre Bündnispartner nicht destabilisieren oder gar überwinden wolle. Keine militärische Operation nach den »Probes« konnte die Sowjetunion überzeugen, wenn diese nicht von entsprechenden vorbereitenden Maßnahmen flankiert wurde, die die westlichen Stärken und ihre Bereitschaft für den Krieg aufzeigten. Als wirkungsvollste Maßnahme wurde die sukzessive, ggf. sich steigernde Mobilmachung angesehen. Die Alliierten sollten sich dabei anfangs auf solche Maßnahmen konzentrieren, die geeignet waren, keine offensive militärische Antwort zu provozieren. Ebenso sollten sie möglichst lange ihre nicht-nuklearen militärischen Optionen nutzen, bevor sie den Einsatz nuklearer Waffen erwogen. Das würde aber nicht bedeuten, dass vor deren Einsatz alle verfügbaren nicht-nuklearen Pläne genutzt werden mussten.1000 Entscheidend war und blieb der politische Wille, keinen Automatismus zu erlauben und die politische Kontrolle in allen Lagen zu behalten. Konkret wurden vier Phasen benannt, die die eskalatorische Grundstruktur aller derartigen Planungen im Kalten Krieg deutlich machten.1001 Phase I wurde als »Sondierung sowjetischer Absichten« bezeichnet.1002 Nach eindeutigem Beweis, dass die Gegenseite den Zugang nach Berlin auf dem Land- oder Luftweg durch administrative oder andere Maßnahmen behinderte, musste u.a. sofort herausgefunden werden, ob der Gegner entschlossen war, notfalls Gewalt anzuwenden, um seine Ziele zu erreichen.1003 Dabei ging man von der Hoffnung aus, dass eine dann ggf. erfolgende rasche Antwort der Alliierten die Gegenseite von fortgesetzter und zusätzlicher Störung des Zugangs abhalten würde, wie es im März 1962 bei der Störung des Luftzugangs gelungen war. Wenn derlei Sofortmaßnahmen nicht zum Erfolg führten, musste weiter ausgelotet werden, dann mittels einer alliierten militärischen »Probe«. Die entsprechenden Operationen sollten durchgeführt werden, während die nicht von Störungen betroffenen Zugangswege weiter genutzt würden. Die militärischen Operationen würden von den Drei Mächten geführt. Die politische und militärische NATO würde informiert gehalten, die Regierungen der NATO-Mitglieder würden aufgefordert, entsprechende Alarmmaßnahmen auszulösen. Die westlichen Maßnahmen würden entweder den freien Zugang nach Berlin wieder herstellen oder den Gegner dazu zwingen, Gewalt einzusetzen, wenn er weiter beabsichtigte, die Blockade aufrechtzuerhalten.1004 Phase  II trug die Überschrift: »Zwischenphase: Politischer und indirekter militärischer Druck«. Wenn in Phase I geklärt werden konnte, dass die Gegenseite Gewalt einsetzte, um den westlichen Zugang nach Berlin zu unterbinden, würden die Alliierten den Druck auf die Sowjetunion erhöhen, aber noch ohne militärisch offensiv zu werden. Da Ebd., Para. 7.a‑7.d. Vorher schon einmal so benutzt in BArch, BW 71/133, Nr. 1: US-Dok. SM-1253-61, 18.11.1961, überliefert in SM-317-81, 19.5.1981. 1002 BQD-M-30 verwendet keine Überschriften; die hier verwendete stammt aus PA AA, B 130/3.586, AA 301–81-06-0/59/62 str.geh. vom 1.2.1962, Teil D. 1003 BArch, BW 71/1, Nr. 61: Para. 8, S. 2. 1004 Ebd., Para. 11‑14, S. 3. 1000 1001

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durch sollten die Gegner veranlasst werden, ihr Vorhaben aufzugeben und den Zugang wieder zu öffnen. Diese Phase würde durch intensive diplomatische Aktivitäten auf hoher Ebene unter steigendem westlichem Druck gekennzeichnet sein. Konkrete Maßnahmen hier waren etwa militärischer Aufmarsch, maritime Gegenmaßnahmen, Bewegungen im Luftraum, wirtschaftliche Gegenmaßnahmen, Embargo, Reisebeschränkungen usw.1005 Bereits hier käme dann die NATO als wesentliches Element militärischen Handelns ins Spiel. Die Nationen würden gewisse Maßnahmen der Mobilmachung und des Aufmarsches zusätzlicher Kräfte aufrufen, besonders in der Central Region, und das mit zunehmender Beschleunigung. Gleichzeitig würden die eingeplanten Einsatzkräfte in einen höheren Stand der Gefechtsbereitschaft versetzt. Dadurch konnte die NATO ihre Verteidigungsfähigkeit erhöhen und die Vorbereitungen für den Beginn von BERCON/ MARCON-Operationen vollenden. Auch Live Oak konnte ggf. alles Nötige für die More Elaborate Military Measures abschließen. Und auch in dieser Phase würde jeder offene Zugangsweg intensiv weiter genutzt. Wenn der Luftzugang nur teilweise gestört würde, würden die Drei Mächte versuchen, u.a. durch Einsatz von Jägern den Flugbetrieb in Gang zu halten. Waren die Risiken hierbei zu hoch, würde die NATO weitere Maßnahmen prüfen müssen, um den Zugang durch die Luft offenzuhalten. Die Dauer dieser Phase konnte nicht vorausgesagt werden, da sie von der Entwicklung der Ereignisse abhing, vor allem in den Luftkorridoren und in der Stadt Berlin selbst. Wenn absehbar war, dass die Blockade sich einer totalen Abschnürung annäherte bzw. heftige sowjetische Reaktion auf die westlichen Maßnahmen erfolgten, würde man eventuell Operationen ins Auge fassen müssen, die eigentlich zu Phase III gehörten. Derlei sollte mit Bedacht erfolgen, da viele Maßnahmen der Phase II Zeit brauchten, um sich auszuwirken und die Sowjetunion zu beeindrucken.1006 Phase III rangierte unter der Bezeichnung: »Direkter militärischer Druck – begrenzte militärische Aktion«. Wenn die Handlungen und Maßnahmen der Phase II keinen Erfolg brachten, dann war die Zeit gekommen, den Katalog der Operationspläne zu öffnen und dort eine Auswahl zu treffen, »which would present with unmistakable clarity to the Soviets the enormous risks in continued denial of access.«1007 Die Lage wurde jetzt als wirklich ernst beurteilt. Die Allianz würde in dieser Lage noch eher defensiv und abwartend agieren. Der NATO-Rat würde aber doch im Lichte der Lagebeurteilung der Ständigen Gruppe und in Konsultationen mit dem Militärkomitee Überlegungen anstellen, welche politischen Ziele nun vorrangig seien und welche Maßnahmen zunächst ergriffen werden sollten, um diese Ziele zu erreichen. Die Drei Mächte würden, möglicherweise nach einer weiteren angemessenen »Probe«-Operation, nicht-nukleare Maßnahmen ins Auge fassen, die von der sowjetischen Führung kaum als Gefährdung der Stabilität des Ostblocks missverstanden werden könnten. Dafür kamen die folgenden Operationen in Frage: Luftoperationen mit eindeutiger Stoßrichtung in die Korridore zur Öffnung des Luftzugangs, ggf. auch über die Korridorgrenzen hinaus, also beispielsweise Angriffe gegen die sowjetische Luftverteidigung; Landoperationen Ebd., Para. 15 und Para. 16, S. 3 f. Ebd., Para. 17‑19, S. 4. 1007 Ebd., Para. 20, S. 4, Zit. ebd. Siehe auch BArch, BW 71/125, Nr. 6: NAC-Resolution Nr. 104, Para. 6.b, S. 2. 1005 1006



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mit begrenztem Ziel entlang einer der Hauptzugangsstraßen und mit Luftunterstützung. Hierunter konnte der Einsatz des TBG fallen. Ferner waren die intensivierte Überwachung des Seeverkehrs oder Seeblockademaßnahmen angedacht, also ausgewählte NAVCONs bzw. MARCONs und Kombinationen dieser Maßnahmen.1008 Dabei sollte die NATO weiterhin noch nicht offiziell involviert sein, obwohl Live Oak sie in einigen Bereichen wie Alarmierung, Nachrichtengewinnung, Kontrolle des Luftraums usw. zur Unterstützung brauchte. Wenn auch diese Operationen nicht zum Ziel führten und die Sowjets nicht nachgäben, würde das Ausmaß durch Operationen mit konventionellen Streitkräften zu erweitern sein. Für diese und alle weiteren Szenarien wurden die Möglichkeiten, realistische Voraussagen zu treffen, immer geringer. Alles würde von der aktuellen Lage im Ernstfall abhängen. Auf jeden Fall galt: »general war would be imminent«. Wenn alles nichts half, wäre das letzte verbleibende Druckmittel die nukleare Aktion, in welcher Form auch immer.1009 Diese wäre dann zweifellos eine Operation des Bündnisses, nicht mehr nur der Drei Mächte. Spätestens in dieser kritischen Phase III musste die Öffnung der Zugangswege erreicht werden, sonst drohte die Katastrophe. Die Phase IV bedeutete aller Voraussicht nach den nuklearen Krieg: Sobald ein nuklearer Ersteinsatz erfolgte, traten die Ereignisse in eine neue Dimension ein.1010 Eine weitere Ausgestaltung dieser Phase wurde hier nicht mehr versucht, denn nun trug die NATO unzweifelhaft die Last der Verantwortung. Der Grundcharakter des Dokuments wurde dadurch bestimmt, dass zu dieser Zeit noch die Strategie der Massiven Vergeltung nach MC 14/2 gültig war,1011 d.h. mit einer raschen Eskalation gerechnet werden musste. Daraus folgte, dass eine Krise möglichst früh, spätestens im niedrigen Bereich der militärischen Beteiligung, erfolgreich beendet werden musste. Im Zusammenhang mit diesem so bedeutenden Dokument stellten sich zwei weitere wichtige Fragen. Die erste lautete: Welche Maßnahmen des Bündnisses, besonders aus dessen Alarmsystem, konnten unter bestimmten Bedingungen für Live Oak unterstützend und verstärkend wirken, ohne die NATO selbst unmittelbar in die Krise zu verwickeln? Die Überlegungen hierzu begannen schon im September 1961 mit ersten Absprachen zwischen SHAPE und Live Oak. Das Thema bedurfte ständiger Anpassung, wodurch das System verbessert und vervollständigt werden konnte. In der Mitte der siebziger Jahre wurde diese Frage dann in einer erweiterten Studie behandelt, die nicht nur die Nutzung des Alarmsystems überprüfte, sondern auch die Kompatibilität der Operationspläne mit denen von ACE.1012 Dies geschah innerhalb des »adequate consultative systems« mit der SHAPE/Live Oak Advisory Group für die militärische Beurteilung und BArch, BW 71/1, Nr. 61: Para. 21‑22, S. 5; BQD-M-30 (Rev.). Ebd., Para. 23, S. 5. 1010 Ebd., Para. 24, S. 5. 1011 Vgl. z.B. die deutsche Weisung dazu: BArch, BW 71/1, Nr. 31: FS AA Plurex 3218 vom 17.9.1962, bes. Ziff. 4. Siehe auch BArch, BW 71/1, Nr. 32: DB NATO-Germa an AA Nr. 918 vom 20.9.1962; auch BArch, BW 71/125, Nr. 10: (NAC) PO/62/641, 8.10.1962. 1012 BArch, BW 71/7, Nr. 35: »Study of SHAPE/Live Oak Working Group on the Compatibility of Live Oak Plans and Operations with the Plans and Alert System of Allied Command Europe«, SHLO 75/073, 16.1.1975, Encl. 1008 1009

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politisch im NAC und Defense Planing Committee (DPC) der NATO. Ein Schwachpunkt blieb, dass die Benutzung von Alarmmaßnahmen der NATO in den CPX von Live Oak nur mit Vorsicht behandelt werden sollte,1013 was hieß, dass sie nicht geübt werden durften.1014 Die zweite Frage im Zusammenhang mit dem Krisenmanagement und dem System Live Oak war politisch weitreichender: Zu welchem Zeitpunkt würde in einer BerlinKrise die politische und die militärische Führung von den Vier Mächten und Live Oak zur NATO übergehen und wie musste dieser Übergang gestaltet werden, damit er gut koordiniert und kontrolliert, also ohne Turbulenzen, gelingen konnte?1015 Diese Frage wurde bereits in der Sitzung der Außenminister der Vier Mächte Anfang August 1961 in Paris gestellt und dann zur Untersuchung an die WAG weitergeleitet, die ihrerseits General Norstad um eine Stellungnahme bat. Letzterer sah kein wirkliches Problem in Bezug auf die Übertragung der militärischen Führung von Live Oak zur NATO, das sei NATO-Routine.1016 Zur Übertragung der politischen Kontrolle an den NAC machte der General verschiedene Vorschläge. Eigentlich sollte derlei möglichst noch vor der Inmarschsetzung der ersten »Probe« geschehen. Falls es zu dieser Zeit noch nicht möglich sein sollte, darüber Einigkeit zu erzielen, würde er die Operationen so führen, dass Live Oak und SHAPE eng zusammenarbeiteten. Er müsste dann aber die WAG um Weisung bitten, wie er in einer Notsituation zu handeln habe, wenn diese Frage nicht sofort gelöst werden konnte. In der Folge zeigte es sich, dass der Wechsel in der militärischen Führung technisch, auch wegen der »Doppelhüte«, keine wesentlichen Probleme machen würde.1017 Die Übertragung der politischen Kontrolle war ungleich komplizierter. Dabei waren einige besondere Gesichtspunkte1018 zu berücksichtigen: Der Zeitpunkt, zu dem das Bündnis politisch bereit sein würde, die volle Verantwortung zu übernehmen, würde u.a. stark von der nationalen Bedrohungsanalyse und ihrer allgemeinen Perzeption im Bündnis abhängen. Dann war zu berücksichtigen, ob und wann die Drei Mächte bereit sein würden, ihre Sonderverantwortung abzugeben und auf das Bündnis zu übertragen. Diesen Schritt würden die Drei Mächte sehr gut überlegen und vermutlich eher spät, ggf. mit politischen Vorbehalten tun, um ihre Stellung als Besatzungsmacht in Berlin nicht zu gefährden. Dazu kamen die generellen und stets zu beachtenden politischen Überzeugungen und Vorbehalte. Alle Operationen bedurften für den Einsatz der vorherigen Zustimmung der Regierungen. Darüber sollte vorher auf jeden Fall auch mit den übrigen Regierungen Ebd., Para. 16.a und 16.b, S. 4. Diese Studie wurde innerhalb dieses seit 1961 etablierten konsultativen Systems erarbeitet. 1014 BArch, BW  71/14, Nr.  31: GLNO Jahresbericht 1982 vom 28.2.1983, Tgb.Nr.  120/83 geh., Teil III, Ziff. 1.d. 1015 Das Stichwort auf Englisch lautet hierzu: »Transfer of Control or of Command«. Wie wichtig diese Frage genommen wurde, ist auch aus der Fülle der Dokumente zu erkennen. 1016 BArch, BW 71/117, Nr. 65: Stellungnahme, übermittelt in Msg SHLO 9-0002, 5.9.1961, Para. 4. 1017 BArch, BW  71/16, Nr.  94: NMR/LO-Bericht Nr.  20 vom 22.11.1961, Tgb.Nr.  499/84 geh., Teil A, Bl. 1‑8, bes. Ziff. 2.c, Bl. 3. Es mussten nur einige Voraussetzungen erfüllt sein: Ziff. 2.d, Bl. 3, ebd. 1018 Ebd., Teil B, Ziff 6.d, Bl. 12 des Berichts. 1013



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im Bündnis gesprochen werden, wenn die Zeit es erlaubte. Diese wollten informiert gehalten werden, die Verantwortung aber eher spät übernehmen müssen. Insgesamt kam man an der Tatsache nicht vorbei, dass die Vier Mächte mindestens die weitgehende politische Unterstützung der anderen Mitgliedsländer der NATO und möglichst auch aller anderen verbündeten und befreundeten Nationen brauchten. Wie in anderen Problembereichen stellte es sich schließlich heraus, dass die Übergabe nur schwer im Voraus zu planen war.1019 Schließlich konnten sich die Vier Mächte auf eine Empfehlung an den NAC über das Verhältnis zwischen der NATO und den Drei Mächten für die Planung und Führung von Eventualoperationen zugunsten Berlins einigen.1020 Darin war auch der Übergang der Kommandofunktion von Live Oak zur NATO angesprochen. Die drei Regierungen würden, wenn dies zeitlich noch möglich war, mit dem NATO-Rat in Konsultationen eintreten, bevor sie Operationspläne von Live Oak ausführen ließen. Alle vorbereiteten Pläne der Befehlshaber der NATO sollten der Ständigen Gruppe zur Beurteilung in Konsultation mit dem Militärausschuss zugesandt werden. Danach sollten sie dem NAC zur Genehmigung durch die Regierungen vorgelegt werden. Der Ausführung bereits genehmigter Pläne musste in jedem Fall vorher durch die Regierungen zugestimmt werden. Alles andere blieb der Entscheidung in der Krise vorbehalten. Das ganze Phasenkonzept, das von Live Oak entwickelt und von der NATO als Rahmen übernommen worden war, wurde bis 1990 nicht mehr grundsätzlich verändert. Die Frage, wie und wann Live Oak genau in einer Krise in die aktuellen Planungen und Koordinierungen der NATO eingeschaltet werden sollte, blieb weiter ungelöst.1021 Das Problem wurde immerhin klarer definiert. Es gelte die Maßnahmen zu identifizieren, die dem CLO die Sicherheit gäben, dass Live Oak die volle Kontrolle über das Geschehen habe, wann immer eine Krise drohe.1022 Dabei sei zwischen solchen Maßnahmen zu unterscheiden, deren Ausführung im Voraus delegiert werden konnte, und solchen, die erst einer politischen Entscheidung im Einzelfall bedurften. Diese Überlegungen waren nötig und sinnvoll, betrafen aber ebenfalls nicht den Kern der Sache. Es blieb dabei: Alles hing von der jeweiligen Situation im Ernstfall ab. Im Einzelnen blieb noch eine Menge offener Fragen übrig. Das hatte sich wohl besonders in den jährlichen Rahmenübungen gezeigt, wurde aber ernsthaft erst nach der CPX »Steadfast 9« im Jahre 1985 angegangen.1023 Es ging vor allem darum, Live-Oak-Kräfte vom Zustand der Aufgabenerfüllung in normaler Zeit ohne Krise in einen einsatzfähigen Zustand zu versetzen. Dafür sollte auch ein passendes Alarmsystem entwickelt werden. Im Laufe der Bearbeitung der »Live Oak Operation Instruction Nr.  1« ab Mitte der siebziger Jahre wurde dann deutlich, dass Live Oak ein umfassendes internes Steu Vgl. BArch, BW  71/125, Nr.  10: PO/62/641, 8.10.1962, z.B. die Diskussionen im NAC, Teil III, Para. 9‑11; und bes. BArch, BW 71/125, Nr. 11A: LOM 189/62, 13.10.1962, LO(IN)CTS-62-2115, Para. 2‑7. Siehe auch Military Planning for Berlin Emergency, vol. 1962-2, Section 11, Nr. 4: Annex Summary Report C-R(62)53, 9.11.1962, und Corrigendum, 12.9.1962. 1020 BArch, BW 71/118, Nr. 32: LO(IN)-TS-62-2096; BQD-M-22, 18.5.1962, Para. 13.a, S. 4, Empfehlungen der Drei-Mächte-Regierungen »concerning relationships between NATO and the Three Powers in the Planing and Control of Berlin Contingency Operations«. 1021 BArch, BW 71/122, Nr. 16: SHLO 76/0431/DCOS (FR), 7.5.1976. 1022 Ebd., Para. 5, Zit. ebd. 1023 BArch, BW 71/70, Nr. 11: »Live Oak Coordination System«, SHLO O 85/525/OPS, 26.4.1985. 1019

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IV. Strukturen, Aufgaben, Planungen und Probleme

Die doppelte Pyramide der Krisenbewältigung von Live Oak

?

ALARMZUSTÄNDE (gem. LOACOS)

NuklearKrieg

PHASENEINTEILUNG

(BQD-M-30, Rev.)

IV

?

? Direkter Druck

?

Begrenzter militärischer Druck

?

?

4

Zwischenphase: Politisch-militärischer Druck

2

1

?

tischer Absichten Erste Gegenmaßn. Marschbew. Alarmmaßnahmen in die Verfügungsräume

II

?

Sondierung sowje-

Alarmmaßnahmen

3

III

?

?

I

Herstellung der Einsatzbereitschaft

Verstärkte Beobachtung und Aufklärung QPPMM und andere Maßnahmen

Normal / Routine

Live Oak (VIER MÄCHTE)

NATO Quelle: Auf Basis des LOCS und des BQD-M-30 (Rev.) durch den Verfasser mit LOACOS verbunden. Zu LOACOS siehe BArch, BW 71/72, Nr. 1, SHLO O 86/703, GLNO Tgb. Nr. 313/86 S, 4.7.1986.

© ZMSBw

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erungssystem technisch-organisatorischer Art brauchte, mit dessen Hilfe der Stab und sein System in der Krise erst wirklich handlungsfähig sein würde.1024 Im Jahre 1985 ließ der amtierende COS, Major General David Miller, daher das Live Oak Coordination System (LOCS) entwickeln. Als Grundlage wurden fünf verschiedene »Zustände«1025 definiert, nämlich »Normal State«, der »State of Increased Activity Related to Berlin«, »More Serious State of Affairs«, »Very Serious State of Affairs« und »Crisis Management«. Dafür sollten die jedem »Zustand« zuzuordnenden Einzelmaßnahmen aufgelistet werden. Ziel war ein flexibles System, das logisch aufgebaut, einfach, selbsterklärend und umfassend sein sollte. Dazu hatte der Bearbeiter zur Erläuterung eine Darstellung in Form einer Pyramide beigefügt.1026 Im fortgeschrittenen Entwurf vom 21. Januar 1986 wurde dann der Name des Systems in »Live Oak Access Coordination System« (LOACOS) geändert und das Ganze zu einem vollständigen Vorschlag zusammengefügt. Die letzte Version vom Juli 1986 zeigte ein ausgereiftes System, das allerdings nochmals eine Reihe wichtiger Änderungen enthielt.1027 Inzwischen hatten der Operationsplan (Operation Instruction), das Handbuch für das Meldewesen (Reports Manual), die Stabsdienstordnung (Standing Operating Procedure, SOP), die Maritimen Gegenmaßnahmen, der MARCOP, und der Plan für die Öffentlichkeitsarbeit, LOPIGUIDE, Eingang gefunden. Das ganze System sollte im Ernstfall effizient und mit hoher Verlässlichkeit die Kräfte von Live Oak vom Zustand der ›normalen Friedenszeit‹ ggf. in die ›volle Bereitschaft‹ versetzen, um Zugangsoperationen auszuführen. Die letzte Phase dieses Koordinierungssytems sollte die Krisenbewältigung selbst unterstützen.1028 Das bedeutete, dass die militärischen Operationen von Live Oak beginnen würden – unterstützt, aber nicht geführt von der NATO. Drei Einzelziele wurden gesetzt: – die Einsatzbereitschaft während einer Zugangskrise zu sichern, – einen geordneten Übergang vom Normalzustand zu den Zugangsoperationen zu garantieren und – ein Werkzeug für die Bewältigung einer Zugangskrise bereitzuhalten.1029 Nicht enthalten waren darin die militärischen Operationen selbst, wie beispielsweise die »Probes«. Insofern dienten sie also v.a. der Vorbereitung der Organisation für den Ernstfall. Die Ausführung der Alarmierungsmaßnahmen aus diesem Programm bedurfte sorgfältiger Abwägung im Lichte des politisch-militärischen Umfelds und der wirkenden Ebd., Para. 2, S. 1 des Begleitschreibens. Es gab Vorläufer wie das Live Oak Coordination System (LOCS), begleitende und ergänzende nur für die Zusammenarbeit mit Berlin, das Live Oak/Berlin Coordination System (LOBCOS), und schließlich das Live Oak Readiness System (LORS), das dem LOACOS vorgeschaltet wurde. Das Zusammenhang der verschiedenen Dokumente wird in der dürftigen Überlieferung nicht wirklich deutlich. 1025 Ebd., Annex  A, »Definitions of Categories«, Para.  1‑3, S.  A-1. Siehe die Pyramide »Illustrative Diagram«, Annex B, S. B-1. 1026 Ebd., Annex B; der Phasenbegriff war aber verändert und die Bezeichnung umgedreht worden. 1027 BArch, BW  71/72, Nr.  1: Draft LOACOS, SHLO O 86/703, 4.7.1986, S. 2, Ref. A‑C. Ein endgültiges Exemplar ist wohl nicht erhalten, es ist aber wahrscheinlich, dass dieser Entwurf dann akzeptiert worden war. 1028 Ebd., Section 1, Para. 1, S. 7 des Befehls. 1029 Ebd., Section 1, Para. 2, S. 7. 1024

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Verwicklungen und Folgen, insbesondere auch hinsichtlich ihrer Priorisierung. Maßnahmen konnten einzeln, in Gruppen, sofort, verzögert oder auch gar nicht aufgerufen werden. Dabei hatten die einzelnen Abteilungen in Live Oak Verantwortung für die ihrer Abteilung zugeteilten Einzelmaßnahmen und Gruppen von Maßnahmen.1030 LOACOS war kein neues »Phasenkonzept«, sondern die Ausformung eines detaillierteren Subsystems für den Stab Live Oak. Es sollte Live Oak befähigen, die stets unsichere Anfangsphase einer sich anbahnenden Krise um Berlin besser zu erkennen, vorzubereiten und zu kontrollieren. Es konnte eine Pyramide in der Pyramide bilden, zusammen eine ›Doppelte Pyramide‹ also.1031 Das Phasenkonzept selbst hätte spätestens seit dem Ende der sechziger Jahre und nach dem Wechsel zur neuen Strategie der NATO, der Flexible Response nach MC 14/3, eine gründliche Überprüfung gerade durch die WAG und den NAC dringend notwendig gehabt. Dazu fehlte jedoch der politische Wille. Das LOACOS, das zunächst noch ein weniger ausgearbeitetes Subsystem gewesen war,1032 ab 1985 aber modernisiert worden war, bildete hier einen gewissen Ersatz bzw. eine Ergänzung. Es hätte damit in einer Krise niedriger Intensität mit geringem Gefährdungspotenzial sehr gute Dienste leisten können.

10. Kommunikationsinstrumente im »Einsatz« a) Fernmeldewesen Ohne leistungsfähige, zuverlässige, schnelle, flexible und sichere Kommunikationsverbindungen ist politische und militärische Führung unwirksam. In einer politischen Krise gilt dieser Grundsatz besonders,1033 weil meist mehrere Nationen, politische und militärische Organisationen, Kräfte und Mittel zusammenwirken müssen, um das eigene und das gemeinsame Handeln zu koordinieren und zum Ziel zu führen. Fernmeldeverbindungen sind Teil des Führungssystems und gleichzeitig deren unerlässliche Voraussetzung.1034 Die militärischen Verbindungen werden in der Regel zunächst von der Fernmeldetruppe, aber auch von zivilen Diensten und Behörden wie der Post oder Telekom unterhalten, die »die Übermittlung von Befehlen, Meldungen und Nachrichten durch technische Verbindungen« ermöglichen.1035 Das Fernmeldewesen erlebte in den letzten Jahrzehnten mehrere technische Revolutionen, wie nicht zuletzt auch die Geschichte von Live Oak zeigt. Die Sicherheit der Ebd., Section 1, Para. 8. Ob er noch in Kraft gesetzt worden war, ist nicht klar. Vergleiche die Darstellung in der Grafik »Die doppelte Pyramide der Krisenbewältigung von Live Oak«. 1032 Es hatte natürlich Vorgänger gegeben, über sie ist jedoch wenig in BW 71 zu finden; die entsprechenden Dokumente waren nach der Vollendung von LOACOS vermutlich vernichtet worden. 1033 Vgl. BArch, BHD 1/799: BMVg, HDv 100/1 »Truppenführung« von 1962, Nr. 122‑125. 1034 BArch, Bw 1/561879: BMVg, HDv 100/100 »Truppenführung von Landstreitkräften«, November 2007, Nr. 27001. 1035 Siehe TF 1962, Nr. 199, Zit. ebd. 1030 1031



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Verbindungen vor dem Eindringen Fremder und besonders der Gegner in die eigenen Netzwerke, guter Schutz vor deren Missbrauch und der Verletzung der Geheimhaltung der Inhalte waren und sind weitere entscheidende Voraussetzungen erfolgreicher Führung. Diese Binsenweisheit bewahrheitete sich bereits im frühen Sommer 1961, als Live Oak von einer reinen Planungszelle zu einem operativen Stab wurde. Die Anforderungen waren durch die Mischung militärischer und politischer Netzwerke und Verbindungen besonders hoch. Dazu kamen die großen Distanzen über den Atlantik hinweg und die Führung über gegnerisches Gebiet, die DDR, bei strengstem Geheimhaltungsschutz. Als sich Live Oak in St. Germain-en-Laye etablierte, gab es »no communications«, wie Major Humphreyes schilderte.1036 Nachrichten für die USA wurden durch den Gastgeber USEUCOM übermittelt, für das Vereinigte Königreich über den NMR bei SHAPE in Rocquencourt (»U.K. eyes only«) über einen Meldeweg von knapp 20 km mittels Kurieren und für Frankreich, das Gastland, ebenso über Paris. Für einen reinen Planungsstab mochte diese Situation sehr begrenzte Zeit noch zumutbar sein, obwohl sie den Kontakt zu den nationalen Ministerien, Vorgesetzten und den militärischen Dienststellen erschwerte, auf deren Zuarbeit man angewiesen war. Auf Dauer aber war derlei nicht praktikabel. Als der Stab im Oktober 1958 nach Abklingen der Krise dann wieder zu einer kleinen Zelle in EUCOM schrumpfte, konnte man auf die exzellenten Verbindungen dieses Hauptquartiers zurückgreifen, das aber nicht für die nationalen Belange der anderen Partner zuständig war und auch hier keine besonderen Dienstleistungen erbrachte. Täglich trafen Fernschreiben aus den drei Hauptstädten ein,1037 und vor allem dringende »Blitz«-Fernschreiben wurden bei MOD-Paris oder SHAPE durch Kurier mit einiger Verzögerung abgeholt. Als sich Anfang Juni 1961 die Krise wieder verschärfte, wurde Live Oak ein selbstständiger Stab und personell deutlich verstärkt (mit dem britischen Generalmajor Geoffrey H. Baker als COS). Für die nunmehr anfallenden vielfältigen, vor allem auch operativen Aufgaben1038 war kein eigenes Fernmeldezentrum vorgesehen, die benötigte Fernmeldeunterstützung sollte durch USEUCOM bereitgestellt werden.1039 Die Fernmeldeverbindungen verursachten nun große Probleme, urteilte Major Humphreyes,1040 und so wurde die Verlegung von Live Oak in den Bereich von SHAPE beschlossen. Vieles musste sich ändern. Bereits im Juli 1961, als sich die neue Krise um Berlin ankündigte, hatte das Komitee der britischen Stabschefs die Frage untersuchen lassen, welche Verbindungen aus britischer Sicht für die neuen Aufgaben in einer Krise notwendig seien. Als Ergebnis wurde gefordert, dass der CHOD die Fähigkeit erhalten müsse, mindestens mit den folgenden Personen und Dienststellen zu »kommunizieren«:1041 General Norstad, COS/Live Oak, dem britischen NMR bei SHAPE, den CINCs von BAOR BArch, BW  71/64, Nr.  53: Maj. Humphreyes, »Memories of Live Oak 1959‑1961«, SHLO O 82/1264/COS, 16.11.1982, S. 1. 1037 Ebd., S. 1 f.; die modernen Fernmeldemittel von heute hätten diese Lage erleichtert. 1038 BArch, BW 71/132, Nr. 28: ECLO 600/97, 27.6.1961, LO-TS-61-77; siehe mit abweichender Bez. LO-TS-61-67, Para. 1 sowie 1.b und 1.b(3), S. 1. 1039 Ebd., Para. 1 f. 1040 BArch, BW 71/64, Nr. 53: Maj. Humphreyes, »Memories of Live Oak 1959‑1961«, S. 3. 1041 BArch, BW 71/92, Nr. 40: »History of Live Oak Communications«, verfasst vom letzten Fernmeldeoffizier Live Oak (SCO), Lt.Col. P.R. Brewis, SHLO COS 1/2, 20.11.1990, hier S. 4. 1036

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und RAF/G, mit jedem vorgeschobenen Gefechtsstand, den die BAOR einrichteten, und dem UKCOB.1042 Dazu sollten auch sichere Verbindungen über Fernschreibkonferenzen und verschlüsselte Telegramme gehören. Für gesicherte Telefonverbindungen wurde übrigens kein Bedarf gesehen, weil diese in naher Zukunft noch nicht zur Verfügung stehen würden. Außerdem sei eine Fernschreibkonferenz zufriedenstellender, da diese nicht nur eine unmittelbare Dokumentation der Entscheidung erlaubte, sondern auch die Rücksprache während der Konferenz ermöglichte.1043 Der hier von den Briten festgestellte Bedarf dürfte im Wesentlichen wohl auch für die beiden anderen BerlinMächte bestanden haben. Für die deutsche Seite reichten zu dieser Zeit gute Verbindungen zum Verteidigungsministerium in Bonn über den NMR noch aus. Für die politische Führung wurden Verbindungen zur WAG sowie zur Bonn Group eingerichtet. Bereits am 1. September 1961 nahm man dann die neue Fernmeldezentrale von Live Oak, die von allen Vier Mächten gemeinsam eingerichtet und betrieben wurde, am neuen Dienstort, bei SHAPE in Rocquencourt, versuchsweise in Betrieb. Wenige Tage später, am 6. September, wurde sie bereits vollständig betriebsbereit gemeldet. Es gab zunächst fünf Leitungskreise (»circuits«), nämlich zu – BAOR mit RAF/G in Rheindahlen, – ASB in Berlin, – JPCP in Ramstein, – USEUCOM in St. Germain-en-Laye, später Stuttgart-Vaihingen, und – US-AIR in SHAPE. Eine sechste Verbindung zur Bonner Hardthöhe wurde bald darauf eröffnet.1044 Darüber hinaus wurden drei nationale Fernmeldezentralen bei Live Oak eingerichtet; der GLNO nutzte zunächst die Zentrale seines NMR. Als nach Ende der Kuba-Krise im Winter 1962/63 Maritime Gegenmaßnahmen in das Arsenal der Live-Oak-Operationen aufgenommen wurden, wurde die Organisation erweitert und bei Live Oak ein Naval Coordination Center (NAVCORCENT) eingerichtet, was einen weiteren Fernmeldekreis mit dem Naval Committee »Deep Sea« in Washington und den beiden anderen NAVCORCENTS, »Sea Spray« in Norfolk, VA, und »Free Flow« auf Hawai, erforderte.1045 Die deutschen nationalen Fernmeldeverbindungen waren im November 1963, im Zusammenhang mit den Konvoiblockaden des Herbstes, als ungenügend qualifiziert worden,1046 und die Verbindungen der Public-Information-Organisation von Live Oak fehlten auch noch. Die praktische Ausgestaltung des Systems wurde vor allem durch technisch-organisatorische Grundlagen und die militärisch-politischen Rahmenbedingungen geprägt. Zunächst wurden die Fernmeldeverbindungen durch einen Fernmeldeoffizier von SHAPE

Das Memo selbst ist nicht in BW 71; die einzige Quelle ist Lt.Col. Brewis, ebd. Ebd., S. 5. 1044 Alles lt. Brewis, ebd., S. 5. 1045 BArch, BW 71/45, Nr. 31: In BQD-99, »Review of Berlin Contingency Planning«, 22.10.1962, LO 5-847, Para. 4, S. 2, würdigt US-Außenminister Rusk diese Maßnahmen als »an essential ingredient« der Verbesserungen. 1046 BArch, BW 71/4, Nr. 33: NMR/LO, Tgb.Nr. 1424/63 geh. vom 12.11.1963, S. 2, Ziff. 6. 1042 1043



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geführt und organisiert, was anscheinend »not a success« gewesen war.1047 Er konnte nicht zwei Herren dienen, SHAPE und Live Oak. So erhielt Live Oak im Januar 1963 seinen eigenen Fernmeldeoffizier, den Staff Communications Officer (SCO), den dann immer das britische Heer stellte. Die Fernmeldezentrale war nur sehr kurze Zeit, wenige Wochen wohl, von USEUCOM betrieben worden, wie von General Norstad zunächst vorgesehen.1048 Der in der Krise rasch notwendig gewordene Umzug zu SHAPE machte die Einrichtung der eigenen Fernmeldezentrale, betrieben durch Soldaten aller Vier Mächte, zwingend notwendig. Die räumlichen Verhältnisse waren anscheinend beengt, die Fernmeldezentrale noch klein und deren Besetzung knapp bemessen.1049 Schon im September 1961 war, mit dem amerikanischen US-KY-9-System, die erste sichere Telefonverbindung von MOD UK zu SACEUR/CLO eingerichtet worden. Im Oktober 1963 erhielt der CLO, General Lemnitzer, das neue britische System »Pickwick« für seine Verbindungen zu COS Live Oak und zu EUCOM, weil das amerikanische System als sehr schlecht bewertet worden war.1050 Im Fernmeldezentrum von Live Oak wurden die folgenden, damals als sehr leistungsfähig angesehenen Systeme genutzt: das NATO-Kryptogerät ETCRRM, ROCKEX Mark V für Fernschreibkonferenzen, das modifizierte Fernschreibgerät »Derby«, um ROCEX als Telegraf zu ersetzen, ALVIS als Schlüsselgerät und der Siemens T100 als Fernschreiber.1051 Der von de Gaulle 1967 erzwungene Umzug von SHAPE und damit auch von Live Oak aus Rocquencourt in Frankreich nach Casteau, nördlich von Mons in Südbelgien, zeigte, dass das vorhandene Fernschreibsystem nicht mehr den Anforderungen genügte. Der neue SCO, Lt.Col. Eric O. Smith (ab 1972 Ground Planner im Stab Live Oak), sah bei der Ankunft im neuen Zentrum zwei Reihen von Fernschreibern mit den Bedienern, die von einem Gerät zum anderen sprangen mit Bändern, die um ihren Hals baumelten.1052 Das erschien ihm als viel zu ineffizient, und so wurde ein Kopplungssystem (Telegraphic Automatic Relay Equipment, TARE) zur Arbeitserleichterung beschafft. Die große Herausforderung für den SCO und seine Leute im »CommCen«, wie die Fernmeldezentrale verkürzt hieß, stellten die zahlreichen jährlichen Übungen dar, die ohne beständige Fernmeldeverbindungen nicht durchführbar waren. Dabei waren die Sprechfunkverbindungen das größte Sorgenkind, weil sie bis in die siebziger Jahre offen und ungeschützt waren. Im Gegensatz zu den Übungen der meisten Truppen, die im taktischen Bereich mit leichten Tarnmaßnahmen auskamen (zum Beispiel in der BArch, BW 71/92, Nr. 40: Lt.Col. P.R. Brewis, »History of Live Oak Communications«, SHLO COS 1/2, 20.11.1990, S. 6, Zit. ebd. 1048 BArch, BW 71/132, Nr. 28: ECLO 600/97, 27.6.1961, LO-TS-61-67, Encl., Para. 1. f. 1049 BArch, BW 71/64, Nr. 53: Dies kann aus den Worten von Maj. Humphreyes geschlossen werden: »Memories of Live Oak«, 16.11.1982, SHLO O 82/1264/COS, S. 2 f. Genaue Angaben aus dieser Zeit gibt es nicht. Bei einem Personalbestand von 36 innerhalb von Live Oak, kann es höchstens 10 bis 12 Mann gegeben haben, die im Schichtbetrieb arbeiten mussten. Später arbeiteten dort ein britischer Offizier und 14 Unteroffiziere, je 3 französische und deutsche, je 4 amerikanische und britische. Vgl. ebd., auch S. 4. Siehe des Weiteren BArch, BW 71/66, Nr. 40: SHLO O 83/789/ DCOS (US), 6.9.1983, Annex A. 1050 So Lemnitzer, siehe BArch, BW 71/92, Nr. 40: Lt.Col. P.R. Brewis, »History of Live Oak Communications«, SHLO COS 1/2, 20.11.1990, S. 6. Diese Bemerkung macht deutlich, dass auch bei den Amerikanern nicht alles gut war, obwohl sie über eine exzellente Fernmeldeausstattung verfügten. 1051 Ebd., S. 5 f.; technische Daten liegen dazu nicht vor. 1052 Ebd., S. 6. 1047

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Bundeswehr mit der sogenannten Tarntafel), bedurften die Übungen von Live Oak des höchstmöglichen Geheimschutzes. Die dazu geeigneten Systeme standen aber nur begrenzt zur Verfügung, ihre Fähigkeiten waren noch ungenügend.1053 Für den Landzugang, vor allem die »Probe«-Operationen auf der Autobahn und auf der Schiene, gab es zwischen Helmstedt und Berlin schwierige Bedingungen, da dort keine Relaisstationen aufgebaut werden konnten. Daher wusste niemand so recht, ob die Verbindungen eines »Probe«-Konvois auf der Strecke innerhalb der DDR verlässlich genug für die Verbindungen zur Führung waren. Eine Station auf dem Drachenberg1054 bei Helmstedt und die andere im Olympiastadion in Berlin waren die Gegenstellen für das amerikanische, sichere Funkgerät ANGRC-261055 auf einem 2-t-Funkwagen im Konvoi. Es sollte allerdings bis 1970 dauern, dass die Erlaubnis erteilt wurde, diese Fernmeldeverbindungen zu testen. Erstmals konnte der zuständige Fernmeldeoffizier bei der BAOR in regelmäßigen Abständen die Standortmeldung des Fahrzeuges empfangen. Ähnliche Versuche wurden auch erfolgreich mit dem Zug auf der Eisenbahnstrecke Helmstedt– Berlin gemacht, wobei sich die Anbringung der Antennen auf den Waggons als Hauptschwierigkeit erwies, die jedoch bewältigt werden konnte. Der Aufwand an Fernmeldekräften für die Operationen und Übungen von Live Oak war enorm, insbesondere für die beweglichen Landstreitkräfte. Zum Beispiel wurden 1970 Teile von drei britischen Fernmelderegimentern – des 4., 7. und 22. Royal Corps of Signals – dafür gebraucht.1056 Im Bereich des Zugangs durch die Luft und der Maritimen Gegenmaßnahmen waren die Schwierigkeiten weniger groß. Die Verbindungen wurden von festen Einrichtungen aus zu fliegenden und schwimmenden Plattformen gehalten, was Beständigkeit und Sicherheit versprach. Die große, immer noch zunehmende Zahl der Teilnehmer am Verkehr aber stellte die Organisation doch vor neue Probleme, z.B. in der Frequenzzuteilung.1057 Ferner gab es schwerwiegende Sicherheitsprobleme im Bereich der Luftoperationen. Ein Bericht von USAFE kam zu dem Ergebnis, dass der gültige Operationsplan »Jackpine  444« und die mit diesem verbundenen amerikanischen Pläne während der Übungen »Blue Note« (Luftoperationen) und »Grand National« (Land/Luftoperationen, TBG) im Sommer 1972 der Gegenseite bekannt gemacht worden sein könnten.1058 Die Ursachen waren vielgestaltig und die Mängel oft nicht leicht zu beheben. So wandte man viel Energie für den Geheimschutz von Ausbildung und Übungen auf. Dazu kam, dass öffentliche Fernmeldemittel noch sehr stark genutzt werden mussten. Eine Reihe sinnvoller Empfehlungen im Bericht sollte hier Abhilfe schaffen. Auch BArch, BW 71/122, Nr. 16: »Report and Recommendations of Live Oak Command and Control Study Group«, SHLO 76/0431/DCOS(FR), 7.5.1976, bes. Para. 12‑15, S. 3. Frühere Äußerungen stehen nicht zur Verfügung. In den Jahren 1972‑1975 war dieses Problem immer wieder Thema gewesen, so meine Erinnerung. 1054 BArch, BW 71/92, Nr. 40: Lt.Col. P.R. Brewis, »History of Live Oak Communications«, SHLO COS 1/2, 20.11.1990, S. 7, hier: »Drackenberg«; es muss aber der Drachenberg im Elm, südlich Königslutter, sein. 1055 In der Quelle (ebd., S. 7), fäschlich »ANGCR«. 1056 Ebd., S. 7 f. 1057 So für ein US-Führungsflugzeug C-130 der USAF, eingesetzt von Faßberg aus; ebd., S. 9. 1058 BArch, BW 71/93, Nr. 12: CINCUSAFE »COMSEC Surveillance Report – Berlin Contingency Plans«, 2.2.1973, SHLOIN 73/440, siehe v.a. Part I, Para. 3, S. 1. Die vermutete Bloßstellung war hier ergänzt durch eine Begründung in Part II, Para. 3.d, S. 7. 1053



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auf den oberen politisch-militärischen Ebenen, hier Live Oak und ASB, war die Versuchung groß, einfach zum Telefon zu greifen und schlichte Sachverhalte zu besprechen, die eigentlich keines besonderen Schutzes zu bedürfen schienen. Im Zweifelsfalle konnte man den Inhalt leicht durch verschleiernde Wortwahl unkenntlich machen. So dachte und so handelte man.1059 Ein solches Verhalten war jedoch äußerst unklug und gefährlich und für die Gegenseite höchst ertragreich.1060 Diese Gefahren waren durchaus bekannt, wurden aber oft unter dem Hinweis, das Gespräch ginge über Richtfunk und sei darum kaum aufzuklären, nicht ernst genommen.1061 Um derlei Gefahrenquellen auszuschalten, mussten dringend sichere Verbindungen geschaffen werden. Für den Stab Live Oak selbst dauerte dieser Prozess recht lange, aber die nationalen Verbindungen der Länderdelegationen wurden bald entsprechend aufgerüstet, was immerhin in einer Krise auch für den Stab von Nutzen gewesen wäre. So forderte der GLNO bereits 1967 eine sichere Fernsprechverbindung zum BMVg. Diese war schließlich 1971 genehmigt und dann 1973 mit Elcrovox eingerichtet worden.1062 Im Jahre 1977 konnten die Verbindungen durch Schaltung einer Elcrovox-Verbindung nach Berlin zu ASB und den COBs sowie durch Inbetriebnahme einer sicheren Fernschreibverbindung nach Washington und Norfolk über Satellit verbessert werden.1063 Dies war Teil einer großen Anstrengung zur Modernisierung der Fernmeldesysteme von Live Oak in der Mitte der siebziger Jahre,1064 der eine weitere Anfang der achtziger Jahre folgte. Beide Maßnahmen dienten vor allem der Nutzbarmachung technischer Neuerungen und der Verbesserung der Sicherheit bei Sprech- und Fernschreibverbindungen sowie der Beschleunigung der Prozesse. Schließlich wurde eine grundlegende Umgestaltung der gesamten Fernmeldestruktur von Live Oak notwendig. Da dieses Projekt die personelle Kapazität des Einmannbetriebs SCO überstieg, wurde für einen begrenzten Zeitraum ab Frühjahr 1986 ein Offizier der deutschen Luftwaffe, Oberstleutnant Jürgen Bahrs, zur Verstärkung zugeteilt. Das größte Projekt von Live Oak im Bereich des Fernmeldewesens war die Beschaffung eines Mobile Satellite Ground Terminal (MSGT), einer »mobilen SatellitenBodenstation«.1065 Dies war durch die Erweiterung der Aufgaben von CLO und Live Oak im Zuge von dessen Einsetzung als »Superior Commander«, also als Koordinator Dazu hat BW 71 keinen direkten Beleg liefern können, aber der Beweis – noch von 1988 – ist in den Protokollen der Fernmeldeaufklärung des MfS der DDR zu finden, z.B. in BStU, MfS-HA III Nr. 7808, S. 028‑047. Dort wurden 421 Informationen und Gespräche ausgewertet, wöchentlich im Durchschnitt 30. 1060 In BStU, MfS-HA III, Nr. 7808, sind die dadurch gewonnen Informationen und Erkenntnisse klar benannt, obwohl zusätzlich abhörsichere Verbindungen existierten, über welche die wirklich sensitiven Inhalte laufen sollten. Zum Inhalt eines Gesprächs siehe etwa BStU, MfS-HA III Nr. 6741 vom 25.7.1989. 1061 Erst im Laufe der siebziger Jahre wurde man sich der Erkenntnis bewusst, dass Verbindungen über Richtfunk keine Sicherheit boten; Erinnerungen des Verf. an Übungen der 5. (GE) PzDiv in den späteren siebziger Jahren. 1062 BArch, BW 71/7, Nr. 13: Meldung GLNO an BMVg Fü S III 2 LO, Tgb.Nr. 31/73 Conf. vom 9.1.1973. 1063 BArch, BW 71/9, Nr. 4: GLNO, JB 1977, vom 25.1.1978, Tgb.Nr. 72/78 geh. 1064 BArch, BW 71/92, Nr. 40: Lt.Col. P.R. Brewis, »History of Live Oak Communications«, SHLO COS 1/2, 20.11.1990, S. 11. 1065 Ebd., S. 13 f. 1059

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der Verteidigung Berlins, nötig geworden.1066 Hierzu mussten die bestmöglichen Fernmeldeverbindungen zur Verfügung stehen.1067 Das Projekt hatte die Bezeichnung »Rear Link, Berlin« erhalten, weil es die stets besonders gefährdeten Verbindungen von Berlin nach Casteau und zu den Regierungen und zurück nach Berlin in jeder Lage sicher und geschützt aufrechterhalten sollte.1068 Die bisherige Ausstattung, eine Einkanal-Hochfrequenz-Funk-Fernschreib-Verbindung (Single Channel High Frequency Radio Teletype, HFRATT) wurde als völlig unzureichend eingestuft, weil HF schon »unter normalen Bedingungen unzuverlässig« sei und hier Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Störversuche (ECCM) nur sehr begrenzten Erfolg versprachen.1069 Schon bei der Einrichtung eines Koordinators für die Verteidigung Berlins (ACAB) Anfang der achtziger Jahre war im Zusammenhang mit der anstehenden Überprüfung aller Live-Oak-Planungen überlegt worden, das Fernmeldekonzept von Live Oak grundsätzlich in Augenschein zu nehmen. Es ging damals um zwei grundlegende Fragen:1070 War es noch zeitgemäß und mit dem Auftrag vereinbar, sich nicht ausschließlich auf sichere, sondern auch auf ungeschützte, von jedermann zu nutzende Verbindungen zu verlassen, bei denen nicht die politische oder militärische Priorität für den Verbindungsaufbau entschied, sondern die zeitliche Reihenfolge der Anmeldung? Derlei konnte zu einem schwerwiegenden Hindernis werden, wenn die politische Entscheidungszentrale von Live Oak, die WAG, rasch auf Ereignisse in den Korridoren in der Luft und am Boden reagieren musste, dazu aber wegen ungenügender oder überlasteteter öffentlicher Fernmeldeverbindungen nicht in der Lage war. Zweitens ging es um das »Live-OakCaveat«, das die besondere, national getrennte Behandlung allen Fernmeldeverkehrs verlangte (»FR, GE, UK bzw. US eyes only«). Dadurch werde z.B. die Mitnutzung der guten Verbindungen der NATO verhindert. Man kam zu dem Schluss, dass die bisher verfügbaren Fernmeldemittel nicht mehr genügten und daher Studien zu den künftigen Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Realisierung eingeleitet werden müssen. Diese Studien gestalteten sich wohl langwierig, denn erst im August 1984 war der SCO in der Lage, das Ergebnis mit den geforderten Fähigkeiten des Systems, mit der Abschätzung seiner Kosten sowie mit einem Vergleich der verschiedenen Angebote vorzulegen.1071 Zwei Bedürfnisse sollten gedeckt werden:1072 sichere Sprechverbindungen für die operative Führung und das Militärische Nachrichtenwesen sowie sichere Fernschreibverbindungen für die Logistik, die Öffentlichkeitsarbeit und für die politische Berichterstattung. Zusätzlich wurde für den Notfall eine Ersatzverbindung (»a back-up BArch, BW 71/72, Nr. 16: »Rogers-Agreement«, Allied Command Arrangements, Berlin (ACAB), 22.8.1986: SHLO O 86/899. 1067 BArch, BW 71/74, Nr. 22: »ToR«, 19.2.1987, Encl. 1 to SHLO O 87/213/OPS. 1068 BArch, BW  71/66, Nr.  13: Genehmigung durch den CLO mit Msg SHLO O 83/199/OPS, 9.3.1983. 1069 BArch, BW 71/97, Nr. 2: SCO 102, O 86/Ser. 17.8.1986, o. Tag; siehe Para. 1 der fertigen Vorlage des SCO an die HODs, Zit. ebd. 1070 BArch, BW 71/128, Nr. 4: SHLO O 84/0402/OPS, 19.3.1984, Annex N. 1071 BArch, BW 71/97, Nr. 1: SHLO O 84/1027, 13.8.1984. 1072 Live Oak Operational Requirements (LOOR); hierzu kein Dokument gefunden. Aufschluss durch BArch, BW 71/63, Nr. 30: Bericht »Crisis Management, SOP Final Report«, 28.10.1981, SHLO 81/22719/OPS. Vgl. dazu auch BArch, BW  71/64, Nr.  37: LO Staff Directive Nr.  5-1, SOP, SHLO O 82/965/OPS, 31.8.1982, Para. 2. f. 1066



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to this link«)1073 für notwendig erachtet. Die Verbindungen sollten verlässlich und resistent gegen Störungen durch den Feind sein.1074 Das System musste sowohl mobil sein wie in festen Einrichtungen genutzt werden können. Alle angebotenen Modelle sollten Satelliten als Übertragungsmittel nutzen.1075 Von jeder der Drei Mächte gingen Angebote ein. Schließlich erhielt das britische RACAL VSC 501 den Zuschlag als Hauptsystem. Zwei Systeme gleicher Art wurden als notwendig angesehen, je eines für Live Oak und ASB. Das amerikanische System AN/PSC 3A wurde zusätzlich als Ersatz- und Hilfsgerät ausgewählt.1076 Der finanzielle Aufwand war erheblich: Die Gesamtkosten sollten mehr als 7,5 Millionen DM betragen. Die Einführung war optimistisch für 1987 vorgesehen.1077 Das Endergebnis zeigt Spezifika nicht nur der Zeitumstände, sondern auch Kernelemente der multilateralen Kooperation am Ende des Kalten Krieges. Das britische Verteidigungsministerium hatte zwei Systeme VSC 501 für eigene, nationale Zwecke bestellt, die aber nicht mehr benötigt wurden. Daher konnten sie nun ASB zur Verfügung gestellt werden. Damit war der Zugang zum NATO-Satelliten 3C und die anschließende Verbindung zu Live Oak über die Satellitenstation »Kester« in Rheinland-Pfalz und »terrestrische Richtfunkstrecke SHAPE« möglich.1078 Auf das amerikanische System konnte nun verzichtet werden, was die Kosten deutlich reduzierte. Die Einführung wurde für das Frühjahr 1989 ins Auge gefasst, die volle Einsatzfähigkeit bis Ende September des gleichen Jahres.1079 Tatsächlich wurden die Truppenversuche noch 1989 zufriedenstellend beendet. Die Diskussionen über die Konfiguration und die Kosten verschiedener Optionen hielten aber an und führten zu weiteren Verzögerungen. Als aber dann am 2. Oktober 1990 endlich das erste MSGT für Live Oak übernommen werden konnte, wurde es gleich zur Nutzung im Ersten Golfkrieg an einen anderen Truppenteil weitergereicht; »Live Oak was never to see its MSGT«, berichtete der SCO später,1080 da es am gleichen Tage deaktiviert wurde und daher keine besonderen Fernmeldeverbindungen mehr benötigte. Die zentrale Vorschrift für das Fernmeldewesen bei Live Oak war die Communications Electronic Instruction (LOCEI),1081 ein Kompendium, das alle Aufgaben, Prioritäten, die verfügbaren Mittel und Kräfte, Art und Wege der geforderten Verbindungen BArch, BW 71/97, Nr. 1: Para. 3.a, 3.b und Para. 4, S. 1. Ebd., Para. 12.b und Para. 12.c, S. 3. 1075 Alle in ebd., Para. 11, S. 2, bis Para. 35, S. 9. 1076 BArch, BW 71/20, Nr. 65: GLNO Tgb.Nr. 321/86 vom 10.7.1986. Weitere Einzelheiten, auch zur Finanzierung, siehe BArch, BW 71/20, Nr. 65: Bericht GLNO vom 1.8.1986, Tgb.Nr. 351/86 VS-V, Ziff. 2. 1077 BArch, BW 71/97, Nr. 2: SCO 46/1, August 1986, Para. 4 »Aim«. 1078 BArch, BW 71/21, Nr. 28: Bericht NfD GLNO 23.11.1988 (ohne weitere Bez.), Ziff. 4.a.(1), Zit. ebd.; lt. handschr. Notiz nicht abgesandt. 1079 Alle diese Informationen gem. BArch, BW 71/21, Nr. 28: Bericht GLNO; sowie BArch, BW 71/97, Nr. 10: »Live Oak-Mobile Satellite Ground Terminal Sitrep No. 1«, 1.12.1988, SHLO O 88/1237. 1080 Durch Foreman of Signals Jack Dempsey. Siehe BArch, BW 71/92, Nr. 40: Lt.Col. P.R. Brewis, »History of Live Oak Communications«, SHLO COS 1/2, 20.11.1990, Encl., S. 14, Zit. ebd. 1081 BArch, BW  71/91, Nr.  27; nur die letzte LOCEI ist überliefert: SHLO/O 90/562, Edition  5, 31.5.1990. Mit Blick auf die Fernmeldeverbindungen für die Operationen auf den Landwegen ist im Übrigen lesenswert: BArch, BW 71/87, Nr. 16: BAOR »Berlin Corridor Secure Comms Test 5 Sep 89«, SHLOIN I 89/1340, 10.8.1989. 1073 1074

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sowie die Verfahren der Nutzung einschließlich der zu beachtenden Sicherheitsbestimmungen enthielt und über einen längeren Zeitraum gültig blieb. Das LOCEI war für Live Oak als operativer Stab das wichtigste praktische Arbeitsmittel, ohne dessen reibungslose Arbeit Führung, Koordinierung und Konsultation in der Krise undenkbar waren. Einmal jährlich wurde eine Fernmeldekonferenz veranstaltet, in der alle Fragen und Probleme vorgebracht werden konnten. Wenn eine Lösung nicht möglich war, wurde ein Ausschuss eingesetzt oder ein Bericht an die Vier Mächte mit Empfehlungen vorgelegt. Es gab keine Übung bei Live Oak ohne Fernmeldemittel, außer kleine Stabsübungen »im Hause«. Daher musste das Fernmeldesystem selbst immer wieder erprobt, das Personal ausgebildet werden. Das geschah in reinen Fernmeldeübungen, die zum Teil regelmäßig einmal im Viertel- oder Halbjahr und unter Leitung des SCO stattfanden, z.B. die Übungen der Serie »Passing Through« im Jahre 1970.1082 Bei Bedarf konnten zusätzliche Übungen angesetzt werden. Ziel dieser Übungen war es, »Verbindungen zu anderen Netzteilnehmern und Endgeräten regelmäßig zu überprüfen«.1083 Daher waren in aller Regel auch die nationalen Netze beteiligt, die mit Operationen von Live Oak befasst waren. Da über das Jahr zahlreiche Übungen von Live Oak und für die unterstellten Hauptquartiere und Truppen abgehalten wurden, waren die Fernmeldekräfte sehr oft, in Teilen oder vollständig, im Einsatz. Der Stab Live Oak war zwar klein in seinem Umfang, musste aber wegen seines Auftrags mit zahlreichen politischen und militärischen Dienststellen eng zusammenarbeiten. Sein Commander, der CLO, sollte die Regierungen der Vier Mächte beraten und die von den Regierungen dann ergriffenen militärischen Maßnahmen umsetzen, wobei ständige politische und militärische Kontrolle aller Handlungen gefordert war. Das verlangte ein enges Netz an Verbindungen zu den Gremien der Vier Mächte, zu den nationalen Regierungen, sowohl zu den Außenministerien, den Verteidigungsministerien sowie den militärischen Spitzen der Vier Mächte, den sogenannten CHODs, und zu den operativen Stäben, welche die Operationspläne vorzubereiten und ggf. auszuführen hatten. Von besonderer Bedeutung waren die Verbindungen nach Berlin, zu den COBs und ASB, die besonders gefährdet waren. Die Verbindungen zur NATO waren ebenfalls einzubeziehen. Alle mussten teilweise 24 Stunden am Tag verfügbar sein, auch diejenigen, die erst im Ernstfall aktiviert wurden. Das erforderte exklusiv geschaltete Leitungen mit hoher Zuverlässigkeit und wirkungsvollem Schutz vor der gegnerischen Aufklärung. b) Nachrichtenwesen, Aufklärung und Erkenntnisgewinnung Ein Krisenmanagement ohne breite Kenntnisse über den Gegner ist undenkbar. Dabei ist das Wissen über die Kriegsgliederung des Gegners wichtig.1084 Die größte Schwierigkeit liegt darin, dass man seine möglichen und wirklichen Absichten erkennen muss. Nur so kann man sich sinnvoll vorbereiten und im Ernstfall frühzeitig und angemessen BArch, BW 71/6, Nr. 33: Bericht NMR/Live Oak Nr. 35 vom 27.11.1970, Tgb.Nr. 1300/70 LO, Anl. 3. 1083 BArch, BW 71/91, Nr. 27: LOCEI 1990, Para. 903 des Kap. 9. 1084 BArch, BWD 5/1424: Definition der »Order of Battle« gem. AAP-6(K) 1972, S. 2‑145. 1082



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reagieren. Dazu dient die Aufklärung mit dem Ziel, »so schnell und so vollständig wie möglich zuverlässige Nachrichten zu gewinnen, damit sich die Führung zu jeder Zeit ein zutreffendes Bild von der Lage, insbesondere vom Feind und von seinen möglichen Absichten, machen kann«.1085 Zu den Mitteln der Aufklärung gehören vor allem die eigenen, nationalen Auslandsnachrichtendienste, aber in gewissen Grenzen auch die der Nachbarn und der Verbündeten.1086 Besondere Bedeutung kommt dabei den technischen Kräften und Mitteln zu, mit deren Hilfe jede Kommunikation überwacht und ausgewertet werden kann. Die Überwachung von Infrastruktur und von Bewegungen aller Art durch bemannte und unbemannte Flugzeuge und über Satellit gewann während der Lebenszeit von Live Oak zunehmend Relevanz. Von großer Bedeutung blieben die Spionage und die Informationsgewinnung durch Gesprächsaufklärung und Befragung von Menschen, vor allem der Machteliten. Oft kennen nur wenige Personen die wahren Absichten einer politischen Führung. Dies gilt in besonderem Maße für diktatorische, autoritäre Systeme, wie es damals die Sowjetunion und ihre Verbündeten in der Warschauer Vertragsorganisation waren.1087 Auch die Medien gehörten in der Zeit des Kalten Krieges zu den wichtigen Quellen, die man nutzen musste. Sie waren oft schneller als die »Dienste«. Auch wenn die Zuverlässigkeit, gerade im Detail, nicht immer ausreichte, so vermochten sie doch wichtige Hinweise zu geben, in welche Richtung Aufklärungsaufträge zu richten waren. Über die Zuverlässigkeit der Geheimdienstarbeit wird seit Langem kontrovers diskutiert.1088 Schon Clausewitz urteilte sehr richtig: »Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Unsicherheit unterworfen.«1089 Dieser bedeutsame Satz gilt übrigens immer, nicht nur »im Kriege«. Der Nachsatz ist ebenfalls wohlbedacht: »was man hier [...] fordern muss, ist ein gewisses Unterscheiden, was nur Sach- und Menschenkenntnis und Urteil geben kann«.1090 Genau da liegt die Schwierigkeit.1091 »Aufklärungsergebnisse sind die wichtigste Führungsgrundlage«, stellte schon die Heeres BArch, BHD 1/799: BMVg, HDv 100/1 »Truppenführung«, 25.10.1962, Nr. 220, Zit. ebd. Zu den »Problems of Intelligence« siehe George, »Findings and Recommendations«, S. 554 f.: »among the major generic problems« in der Krisenbewältigung. 1086 Über den Handel mit Nachrichten durch den Austausch von Informationen wird wenig berichtet; er ist aber die Regel. 1087 Ein gutes Beispiel ist der Bau der Mauer, siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, v.a. S. 1 und S. 3‑6. Zum Problem, die sowjetischen Absichten zu erkennen oder abzuschätzen, siehe Adomeit, Die Sowjetmacht, Bd 11, S. 249‑257. Vgl. auch Uhl, Krieg um Berlin?, S. 6 f. 1088 Hierzu beispielsweise die Vorwürfe, dass die Geheimdienste den Mauerbau vom August 1961 nicht vorausgesehen oder den Zusammenbruch der DDR 1989/90 nicht rechtzeitig erkannt hätten, siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 185‑187, S. 191 f.; und Rott, Die Insel, S. 157‑159. 1089 Clausewitz, Vom Kriege, Teil I, 1. Buch, Kap. 6, S. 156. Dieser Satz stand auch als Motto über dem Kapitel »Aufklärung« in der HDv 100/1 »Truppenführung« von 1962. 1090 Clausewitz, Vom Kriege, Teil I, 1. Buch, Kap. 6, S. 156. 1091 Gerade dazu hat Handel, Perception, Deception and Surprise, Wichtiges zur Behandlung und Bewertung von Nachrichten im Zusammenhang mit dem Beginn des Jom-Kippur-Krieges gesagt, was auch hier von Bedeutung ist. Zu den besonderen Problemen der Informationslage und der Entscheidungskriterien vor dem Hintergrund der Bündnisstrukturen und -dynamiken im Falle des Jom-Kippur-Krieges vgl. Hatzivassiliou, The Crisis of NATO Political Consultation. 1085

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dienstvorschrift »Truppenführung« von 1962 (TF 62)1092 richtigerweise fest. Aber zuerst müssen aus den einzelnen Nachrichten und Informationen durch Aufbereitung, Verdichtung, Vergleich und Auswahl, also durch Auswertung, Erkenntnisse werden, die dann als Grundlage der eigenen Lagebeurteilung und Entschlussfassung dienen können.1093 Im Basic Paper von 1959 ist zu diesem Thema nichts zu finden. Ob darüber überhaupt nachgedacht wurde, kann nicht festgestellt werden. Möglicherweise betrachtete man Live Oak zunächst nur als einen kurzlebigen Übergang, bis die vorgesehenen Operationspläne fertiggestellt wären.1094 Die notwendigen Erkenntnisse über den Gegner als Voraussetzungen für die Planungen wurden vermutlich von den nationalen Dienststellen und Diensten geliefert, besonders vom zeitweiligen Gastgeber USEUCOM. Ein wesentliches Ergebnis dieser Zuarbeit waren die Lagebeurteilungen in den frühen Studien und Operationsplänen.1095 Als der Stab im Oktober 1959 auf eine kleine Planungszelle reduziert wurde, hielt man an dieser Regelung wohl fest. Live Oak hatte also bis in den Sommer 1961 keine Aufgaben in diesem Bereich und folglich auch keine eigenen Kräfte und Mittel. Das änderte sich grundlegend im Sommer 1961, als die Krise wieder Fahrt aufnahm und General Norstad veranlasste, den Antrag zu stellen, Live Oak als »combined operational staff« zu nutzen und dafür personell zu verstärken.1096 Dabei lieferten SHAPE und USEUCOM weiterhin die Masse der nachrichtlichen Informationen. Die von Live Oak in diesem Bereich selbst zu bearbeitenden Aufgaben wurden auf vier Teilaufgaben begrenzt: – die Abbildung und Darstellung der Erkenntnisse aufgrund von Nachrichten, die durch andere Dienststellen gesammelt und bewertet worden waren; – besondere operative Aufklärungsforderungen an die Kommandeure zu stellen, wenn es notwendig wird; – die Annahme, Registrierung und Bewertung operativer Nachrichten und Erkenntnisse, die von den Truppenführern übermittelt werden; – diese Aufklärungsergebnisse der Truppenführer auch an geeignete Dienststellen weiterzugeben.1097 Das war ein wahrlich sehr begrenzter Auftrag, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass Live Oak keine eigene Nachrichtenbeschaffungsorganisation oder gar einen Geheimdienst aufbauen konnte. Aus dem begrenzten Aufgabenspektrum ging nicht eindeutig hervor, welche Truppenführer ( »field commanders«)1098 gemeint waren. Es konnten die Befehlshaber der Großverbände sein, die dem CLO zu den Operationen von Live Oak BArch, BHD 1/799: BMVg, HDv 100/1 »Truppenführung« von 1962, Nr. 222. Vgl. hierzu auch BArch, BW  1/561879: BMVg, HDv  100/100 »Truppenführung«, November 2007, Nr. 28001. 1094 Bes. auch Pedlow, Multinational Contingency Planning, S. 15. 1095 Als Beispiele seien genannt BArch, BW 71/132, Nr. 1: Memo »Berlin Contingency Planning: More Elaborate Military Measures«, 26.6.1959, LO-TS-59-1005, App.  B; und BArch, BW  71/116, Nr. 46: OPlan »Jackpine«, 12.5.1960, LO(IN)-60-2010. 1096 BArch, BW 71/132, Nr. 28: ECLO 600/97, 27.6.1961, Incl. Para. 1, S. 1, Zit. ebd., LO-TS-61-67 (Incl.) und 77 (Begleitschreiben). 1097 Ebd., Incl. Para. 1.d(1)‑1.d(4). 1098 In BArch, BWD 5/1424, AAP-6(K), ist dieser Begriff nicht aufgeführt. Er meint wohl allgemein jeden Truppenführer, auf allen Ebenen. 1092 1093



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unterstellt wurden. Es konnten aber auch nur die ausführenden taktischen und operativen Führer sein, vom Führer einer »Probe« oder einer Rotte Jagdflieger bis zum Divisionskommandeur von »June Ball« usw. Als primäre Adressaten waren wohl die CINCs von BAOR, RAF/G, FFA, Force Aérienne Tactique (FATAC), USAFE und USAREUR sowie der Stab ASB gemeint. Als Leitorgan innerhalb Live Oak wurde eine Zelle »Führer des Nachrichtenwesens« ausgewiesen.1099 Live Oak erhielt den Großteil seiner Informationen politischer, militärischer und fachlich-technischer Art von den Vier Mächten, teilweise aber auch von SHAPE in sogenannten zusammengefassten Lagen. Im Fokus standen insbesondere der Warschauer Pakt und die Rolle seiner Mitgliedsstaaten. Für Live Oak besaßen die Erkenntnisse der Vier Mächte den höchsten Stellenwert. Nur diese verfügten über eine große Bandbreite an Möglichkeiten, Nachrichten zu gewinnen, und über die notwendigen Auswertungskapazitäten. Unter den Vier Mächten etablierte sich eine Aufgabenverteilung, die die Schwerpunktbildung erleichterte und Doppelaufwand an Kräften und Mitteln begrenzte. Die Bundesrepublik Deutschland übernahm vor allem die Aufgabe, besonders die DDR und deren bewaffnete Kräfte in den Blick zu nehmen. Die drei anderen Mächte konzentrierten sich auf das besetzte Berlin und sein Umfeld, die Zugangswege dorthin und auf die sowjetischen Streitkräfte, vor allem in der DDR. Die Zusammenführung der Ergebnisse sollte dann zu einem gemeinsamen, möglichst umfassenden, aussagekräftigen und weitgehend zutreffenden Lagebild führen, das die operativen Planungen unterstützen, erleichtern und vielleicht überhaupt erst ermöglichen würde. Die menschlichen Quellen (heute HUMINT genannt) blieben stets wichtig. Allerdings wurden nach dem Bau der Mauer die Möglichkeiten der Beobachtung und der klassischen Spionage immer geringer. Die Anbahnung gelang nur noch selten und die erschlossenen Nachrichtenlieferanten wurden in der weitgehend überwachten Gesellschaft der DDR bald überführt. Die Befragung der Reisenden und Besucher der DDR und Berlins war mühsam, brachte aber doch gewisse Ergebnisse. Genauere Absichten und Planungen des Gegners konnten auf diesen Wegen aber nicht in Erfahrung gebracht werden. Die Abschöpfung der Nomenklatur, etwa der »Reisekader«, brachte nur selten nützliche Ergebnisse. Die einzigen Quellen, über die Live Oak selbst verfügte, waren die Medien, die im Stab unmittelbar ausgewertet werden konnten. Sie bildeten neben den Informationen aus den Vier Mächten die zweite entscheidende Säule der Nachrichtengewinnung. Die wichtigsten und schnellsten waren damals die Nachrichtenagenturen,1100 deren Terminals bei Live Oak in oder nahe der Operationszentrale aufgestellt waren. In der Regel kam der erste Hinweis auf ein Ereignis von ihnen, wobei die Zuverlässigkeit Schwankungen unterlag, auch weil es Bereiche gab, in denen die eine oder andere Agentur bessere Möglichkeiten der Informationsgewinnung besaß, so z.B. Reuters in der ehemals britisch kolonisierten Welt und Agence France Presse in der Frankophonie. Dazu kamen noch die amerikanischen Associated Press und United Press International. Der Inhalt der Mit 2 Obersten und 2 Helfern, BArch, BW  71/132, Nr.  28: ECLO 600/97, 27.6.1961, LOTS-61-67/77, in Tab. A/Incl. 1100 BArch, BW 71/64, Nr. 53: Humphreyes, Memories, S. 3, ebd. 1099

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Meldungen musste oft erst über nationale, politische und militärische Kanäle überprüft werden. Die Zeitungen waren ebenfalls wichtige Quellen, besonders was den Hintergrund der Geschehnisse betraf. Auch hier gab es unterschiedliche Informationslagen, da die nationalen Delegationen die wichtigsten Journale der eigenen Sprache und Nation lasen: die Franzosen »Le Monde« und den »Figaro«, die Deutschen die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, die »Süddeutsche Zeitung«, die »Welt«, den »Berliner Tagesspiegel«, der über die geteilte Stadt zuverlässig und ausgezeichnet informiert berichtete, oft auch eine der Schweizer Zeitungen. »Das Neue Deutschland« der DDR war auch im Portefeuille, obwohl hier der Gewinn und das »Vergnügen« beim Lesen sehr begrenzt waren. Die Angelsachsen werteten ihre Zeitungen ebenfalls aus, besonders die aus London, New York und Washington. Dazu kamen Wochen- und Monatsblätter, Magazine und Fachzeitschriften. Fernsehen und Radio wurden im Laufe der Jahre immer wichtiger und aktueller, auch wenn die rasche Überprüfung und Suche nach Bestätigung stets zwingend notwendig blieb. Zunächst waren die Frequenzen und Reichweiten begrenzt, sodass viele Sender nicht gehört oder gesehen werden konnten. Für die beiden zur Verfügung stehenden belgischen Sender aber fehlten oft die sprachlichen Voraussetzungen.1101 Die für Live Oak wesentlichen Meldungen wurden von den nationalen Delegationen in die Operationszentrale übergeben, wenn notwendig auch übersetzt. Diese Quellen betrafen häufig politische Entwicklungen,1102 aber auch Veränderungen und Ereignisse in Berlin und auf den Zugangswegen.1103 Sie lieferten eine fast ununterbrochene Flut von Informationen, die aber nur wertvoll wurden, wenn sie jemand las, auswählte und auswertete. Das geschah durch die wachhabende Schicht in der Operationszentrale, die die wichtigsten Meldungen morgens bekannt machte und zusätzlich aushing, sodass sie jeder Interessierte lesen konnte. Die Meldungen der verschiedenen Hauptquartiere, meist in Form von Einzelmeldungen (Intelligence Reports, INTREP) zu einzelnen Ereignissen und Sachverhalten oder Intelligence Summaries (INTSUM), also periodische oder spezielle Sammelmeldungen, bildeten die politisch-strategische und die militärische Lage ab. Die für Live Oak wichtigsten Informationen stammten meist von den COBs in Berlin, die normalerweise »sanitized«, d.h. so umformuliert waren, dass ihre Herkunft nicht mehr erkennbar war. Die Stellen in Berlin verfügten über gut eingearbeitetes Personal und technisch modern ausgestattete Aufklärungsmittel und Abteilungen zur Sammlung und Auswertung von Informationen und Nachrichten.1104 Die Informationsrealität gestaltete sich indes kompliziert.1105 National gewonnene Informationen durften zunächst auch nur national weitergegeben werden. Darüber entschied in der Regel der zuständige Abteilungsleiter, bei wichtigen Inhalten sogar der COB. Auch die für eine seriöse Aus Noch Mitte der siebziger Jahre waren in Casteau nur die beiden belgischen Radio- und Fernsehsender RTB in flämischer und RTBF in französischer Sprache zu empfangen. 1102 Beispiel: Andreas Kohlschütter, Visionen auf dem Bonner Gipfel – Bilanz des Brechnew-Besuchs: Zähe Gespräche, großzügige Wirtschaftsofferten, »Die Zeit« vom 25.5.1973. 1103 Dafür ein gutes Beispiel der Bericht von Helmut Forgber, Berlin Transit, ADAC Motorwelt, 5/84, S. 54‑67. 1104 Siehe hierzu auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, Kap.  II.5, S.  230‑248, bes. die Übersicht auf S. 236. 1105 BArch, BW 71/44, Nr. 10: Brief UK COB, Generalmajor Sir Rohan Delacombe, an den britischen COS, Generalmajor Baker: GOC/82, LO(IN)-C-61-3163, 10.10.1961. 1101



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wertung wichtige Herkunft der jeweiligen Information wurde nicht übermittelt, da der Quellenschutz strengstens einzuhalten war. Der COS, Generalmajor Baker, hatte bei einem Besuch in Berlin angeregt, einen gemeinsamen Stab der Drei Mächte mit der Sammlung und Auswertung der gewonnenen Informationen in Berlin zu beauftragen. Das konnte nach Lage der Dinge nur der ASB sein, der aber nicht das geeignete Personal besaß; eine Verstärkung aus dem Personal der Sektoren kam jedoch offensichtlich auch nicht in Frage. Allerdings schien das Problem der Freigabe nicht lösbar: »some national information is passed unilaterally to higher authority and is not releasable to the other two nations in Berlin«.1106 Höheren Ortes konnte dann die Entscheidung fallen, ob eine Information weitergeleitet werden durfte und an wen. Der UK COB, den man in der Angelegenheit befragte, schloss mit der Bemerkung, dass er sich durchaus wünsche, abgewogene Stellungnahmen der Berliner Geheimdienste zu bekommen, dies wegen der Drei-Mächte-Situation aber unmöglich sei.1107 Da der Versuch scheiterte, ASB mit der Aufgabe zu betrauen, Informationen der Drei Mächte in Berlin zu bündeln und dann als fertiges Produkt, also als Erkenntnisse, an Live Oak weiterzugeben, wurde als Notlösung ein Umweg gewählt. Die COBs reichten ausgewählte Ergebnisse auch an ihre nationalen Delegationen bei Live Oak weiter, die sie dann nach einer Beurteilung ihrer Bedeutung für Live Oak freigeben konnten, eventuell in vereinfachter Form.1108 Bei den Franzosen funktionierte dies ab 1967 nicht mehr, da der französische HOD nach dem Umzug nach Casteau keine nationalen politischen Informationen und Erkenntnisse mehr erhielt. Er musste dafür zu seiner Botschaft in Bonn oder Brüssel reisen.1109 Die militärischen Informationen kamen von SHAPE aus dessen Abteilung »Intelligence Division«. Diese stellte zunächst auch den Leiter der Zelle »Nachrichtenwesen« für Live Oak, wenn er benötigt wurde. Der Umzug von SHAPE und Live Oak nach Casteau verbesserte vieles, aber die Zusammenarbeit, insbesondere auf dem Gebiet des Nachrichtenwesens, wurde vorerst nicht grundsätzlich neu geregelt. Sie war bis dato wohl nur auf der Basis mündlicher Absprachen geleistet, aber nicht wirklich institutionalisiert worden. Auch wurde erst 1966 zumindest ein Angehöriger dieser Abteilung in den »Live Oak Advisory Staff« von SHAPE aufgenommen. Im Frühjahr 1970 wurde diese Frage erneut und nach Druck von oben aufgegriffen. Der Anlass waren klare ›Wünsche‹ des neuen CLO, General Andrew J. Goodpaster, und ›Kritische Urteile‹ der Bonn Group während der Live-Oak-Rahmenübung »Chill Wind« im Januar des Jahres.1110 Die Kritik der Bonn Group war deutlich, denn Live Oak hatte ihnen keine militärische Beurteilung der Feindlage geliefert.1111 Die daraufhin eingesetzte Arbeitsgruppe tat sich schwer, denn offensichtlich fand sich in den Akten sowohl bei Ebd., S. 2, Para. VIII des Briefes. Ebd., letzter Abs. 1108 So die Erinnerung des Verfassers; es steht nicht so geschrieben. 1109 BArch, BW  71/55, Nr.  18: SHLO 500/102, 22.4.1970, LO-C-70-93, Para.  2.c; auch BArch, BW 71/93, Nr. 28: »LO-Info-Plan«, SHLO 73/01194, 23.11.1973, Para. 3 und 4. 1110 BArch, BW 71/55, Nr. 20: Live Oak-Studie »Reorganization of the Operations Centre«, Para. 15 f., Anlage zu SHLO 300/016, 28.5.1970, LO-S-70-121. Vgl. dazu auch BArch, BW 71/127, Nr. 5: Stellungnahme US-DACOS, LO-TS-70-9, 14.9.1970, Para. 6. 1111 BArch, BW 71/127, Nr. 5: Para. 6. 1106 1107

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Live Oak wie auch den nationalen Delegationen und sogar bei SHAPE wenig Konkretes zu den Grundlagen der Informationsversorgung. Die Akten »were probably discarded when SHAPE moved to Belgium«.1112 Man kam zu dem Schluss, dass die Überlieferung zur Unterstützung für Live Oak im Nachrichtenwesen wohl eher mündlich als dokumentarisch erfolgt war.1113 Das wesentliche Ergebnis war dann die Empfehlung,1114 aus der Operationszentrale ein Referat »Nachrichtenwesen« (Intelligence Branch) zu bilden, weil die geforderten Aufgaben auf diesem Gebiet mit der bisherigen Personalausstattung nicht erfüllbar waren. Der Vorschlag enthielt drei Optionen für die Umsetzung, die aber alle auf Kosten der Operationszentrale gingen, weswegen dann keine realisiert werden konnte. Ein wesentlicher Fortschritt wurde mit Hilfe von SHAPE erzielt. Es wurde schließlich ein Übereinkommen zwischen der Intelligence Division von SHAPE und Live Oak geschlossen, das die Zusammenarbeit sinnvoll und verbindlich regelte.1115 Live Oak verfügte damit zwar immer noch über keine eigenen Kapazitäten für die Nachrichtengewinnung und Auswertung, aber man erhielt doch eine große Menge von Informationen und von mehr oder weniger bearbeiteten Erkenntnissen unterschiedlichen Wertes. Grundsätzlich bestand, wie wohl bei allen militärischen Planungs- und Einsatzstäben, eine Diskrepanz zwischen dem aktuellen Informationsbedürfnis und den zur Verfügung stehenden Quellen. Manche Quellen verfolgten offensichtlich politische Ziele, d.h. sie versuchten Einfluss zu nehmen.1116 Daher musste stets Quellenkritik geübt werden. Die Informationen wurden von einer relativ großen Anzahl von Dienststellen aus den Vier Mächten, von der NATO und zusätzlich über die Medien aus aller Welt geliefert. Dieser Fluss konnte aber nicht immer abdecken, was Live Oak wirklich benötigte. Live Oak definierte daher seine Bedürfnisse genauer und machte damit seine besondere Interessenlage deutlich.1117 Das Interesse ging in drei Richtungen: erstens die allgemeinen Vorbereitungen der Eventualfallplanungen für den Zugang nach Berlin. Hier wurden vor allem Informationen über die gegnerische Kräftegliederung und Beurteilungen über das Verhalten des Gegners und seine Fähigkeiten erwartet.1118 Zweitens das tägliche Berichtswesen: Vorfälle So vermutete es Col. J.A. de Vries, BArch, BW 71/55, Nr. 18: Bericht SHLO 500/102, 22.4.1970, »Intelligence and Live Oak«, LO-C-70-93, Para. 2.a(1), S. 1, Zit. ebd. 1113 Ebd., Para. 3.a, S. 2. 1114 BArch, BW 71/55, Nr. 20: Encl. to SHLO 300/016, 28.5.1970, LO-S-70-121. Die Studie war übrigens vom franz. DACOS und HOD, Brig.Gen. Jacques Pol, unterschrieben. 1115 BArch, BW 71/49, Nr. 29: Es trug den langen Titel »Agreement between Assistant Chief of Staff Intelligence SHAPE and Chief of Staff Live Oak concerning the Handling of Intelligence covering any Berlin Situation within SHAPE and Live Oak«, ACOS (I)/4, August 1970, LO(IN)S-70-3102. 1116 Ein Beispiel dafür m.E. BArch, BW 71/45, Nr. 54: BQD-62, Rev., 2.12.1961, LO(IN)-S-62-4035: »Draft US Paper on Quadripartite Policy with Respect to Berlin Air Access«, in dem eine dezidierte Beurteilung der sowjetischen Absichten dargestellt und Möglichkeiten westlichen Vorgehens vorgeschlagen wurden. Siehe den Text des Deckblatts dazu. 1117 Das erste Dokument dieser Art in der Überlieferung stammt von 1964, BArch, BW 71/58, Nr. 39: SHLO 700/25, 26.10.1964, »Live Oak Functions and Intelligence Requirements«, LO-S-64-1115. Es scheint fast, als ob es der erste Versuch war, siehe die handschriftl. Bemerkungen auf S. 2 unten: »above prepared by Lt.Col. [Name unleserlich] for Gen. Harris for information only, October 64«. Siehe auch die Grafik »Informationslieferanten für Live Oak«. 1118 Ebd., Para. 1.b, S. 1. 1112



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Informationslieferanten für Live Oak

POLITIK WAG

Washingtoner Botschaftergruppe

US COB

USAREUR USAFE

UK ASB

E

BAOR

CHT

FR COB

US



politisch

N

R

LI

IE

BER

CINC LANT

Vierer-Gruppe Bonn

UK COB

V

Bonn Group

US EUCOM

RAF/G FFA

BASC*

FR

FATAC

GE

MOD GE Fü S

BACC

Medien Presseagenturen

Offen!

Live Oak

SHAPE

NATO

Dienststellen

Lagefeststellung und -beurteilung * Dienststelle mit sowjetischer Beteiligung Quellen: Autor, v.a. Enclosure 2 to SHLO 73/01194 vom 23.11.1973, BArch, BW 71/93, Nr. 28 (Live Oak Information Plan).

© ZMSBw

07873-05

auf den Zugangswegen, das Verhalten der sowjetischen Kräfte/der DDR im Verhältnis zum alliierten Zugang, Bewegungen von Kräften und Material, die sich gegen den Landzugang richten konnten, die Einrichtung von Mitteln und Kräften, die den Luftzugang bedrohen konnten, sowie Hinweise in Bezug auf mögliche sowjetische und ostdeutsche Absichten im Hinblick auf Berlin und zum alliierten Zugang. Vor allem Letzteres musste rasch und möglichst genau an Live Oak berichtet werden,1119 um reaktionsfähig zu bleiben. Dafür sollten tägliche Einzelmeldungen, regelmäßige Zusammenfassungen und technische Spezialmeldungen dienen. Drittens wurden die Fragen behandelt, die für die direkte Vorbereitung in einer realen Krise von Bedeutung waren. Auch hier standen gegnerische Marschbewegungen im Verhältnis zu den Zugangswegen, daraus resultierende Ebd., Para. 2.a, S. 1.

1119

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Änderungen der feindlichen Kräfte, Weisungen und Befehle an diese Truppen und vor allem Anzeichen über gegnerische Absichten im Mittelpunkt.1120 Nach Abschluss der Verhandlungen zum Vier-Mächte-Abkommen über Berlin und zu den Innerdeutschen Verträgen im Jahre 1972 wurde auf Anordnung des damaligen COS, Generalmajor George Crookenden, der Bedarf an Informationen und Erkenntnissen erneut definiert und systematisiert. Daraus entstand dann der »Live Oak Information Plan«.1121 Das erklärte Ziel war es, »to clarify for all concerned in Live Oak matters the sources of information that are expected to be available to live Oak during periods of tension and crisis, and on a routine basis«.1122 In der Folge wurden dementsprechend alle Informationslieferanten genannt sowie Art und Inhalt der Informationen und ihre Verwendung. Auch das Verhalten in besonderen Fällen, etwa beim Ausbleiben von Informationen, wurde geregelt. Schließlich wurden die geforderten Informationen (»Elements of Information«) genau aufgelistet, definiert und zugeordnet. Dabei wurden zunächst »General PoliticoMilitary Elements« benannt und mit einer Anzahl von Indikatoren verbunden, deren Auftreten gemeldet werden musste. Ferner wurden alle Dienststellen und Stäbe aufgeführt, die diese Informationen liefern sollten. Einen weiteren wichtigen Punkt bildeten militärische Informationen aus der DDR und Informationselemente zu Berlin, also etwa zur Lage in der Stadt.1123 Die Fülle an Informationsmöglichkeiten war beeindruckend. Wohl schon in den sechziger Jahren wurde bei der NATO an einem System gearbeitet, das die frühzeitige Warnung vor einem Angriff, vor allem vor einer ›strategischen Überraschung‹ durch den Warschauer Pakt mittels einer laufenden und systematischen Auswertung und Gewichtung aller dafür wesentlichen Indikationen und Indikatoren ermöglichen sollte.1124 Parallel dazu unternahm auch Live Oak den Versuch, Indikatoren für die besonderen und von der NATO zu unterscheidenden Bedrohungsformen zu entwickeln. »Indikation (im Nachrichtenwesen)« umfasste dabei »Informationen in unterschiedlichen Stadien der Auswertung, die in ihrer Gesamtheit darauf hindeuten, dass ein potenzieller Feind in einer bestimmten Richtung tätig zu werden oder aber hiervon Abstand zu nehmen beabsichtigt«.1125 Bei Live Oak wurden diese Indikatoren Essential Elements of Information (EEI)1126 genannt. Die entsprechende Liste war zunächst noch recht kurz und schlicht gewesen. Es ging vor allem um Hinweise auf »mögliche und laufende Bedrohungen gegen den Ebd., Para. 3.b(4) der »Intelligence Requirements«, Zit. ebd. BArch, BW 71/93, Nr. 28: »Live Oak Requirements for Intelligence and Information (Short title: L.O. Information Plan)«, SHLO 73/01194, 23.11.1973. 1122 Ebd., Para. 2 »Aim« des Planes. 1123 BArch, BW 71/93, Nr. 28: Encl. 1, S. 1‑5. 1124 Der Verfasser beschäftigte sich mit dieser Thematik in den siebziger Jahren an der Schule für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (SNBw) in Bad Ems und arbeitete in den achtziger Jahren im IMS der NATO daran mit. Es handelte sich um ein System des NATO-Hauptquartiers, das aus ähnlichen Versuchen mehrerer Mitgliedsländer und militärischer Stäbe, v.a. SHAPE, entwickelt wurde. 1125 BArch, BWD 5/1416: »NATO-Glossar [...] AAP-6«, September 1964, BMVg Fü B IV 2, S. 173. Der Indikator ist danach der einzelne Faktor in diesem System. 1126 BArch, BW  71/93, Nr.  28: »Live Oak Information Plan«, Para.  5.a und Encl.  1, 23.11.1973, SHLO 73/01194. 1120 1121



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militärischen Zugang der Alliierten nach und von Berlin« und deren Beurteilung.1127 Aus den Diskussionen auf dem ersten formalen »Live Oak Intelligence Symposium« im Jahre 1983 ist eine Weiterentwicklung zu erkennen.1128 Vor allem als Ergebnis verschiedener Live-Oak-Rahmenübungen der »Steadfast«Serie hatte man Mängel und Unzulänglichkeiten erkannt, die nun in einem speziellen Forum von Fachleuten aus den wichtigsten »Lieferanten« und Bedarfsträgern abgestellt werden sollten. Inzwischen waren zwölf Dienststellen vertreten. Die größten Schwierigkeiten bestanden darin, dass man nicht wusste, ob die benötigten Informationen überhaupt zu beschaffen waren und wie die gewonnenen Informationen möglichst effizient und schnell verteilt werden konnten bzw. wie sie im Gesamtsystem zirkuliert werden sollten.1129 Für die Beratung der politisch-diplomatischen Gremien, die Bonn Group und besonders die WAG, und der Regierungen brauchte Live Oak genaue, zeitnahe Informationen (»finished intelligence«). Die militärischen ausführenden Stäbe benötigten indes detaillierte Kenntnisse für die Operationen entlang der Autobahn und im Korridor. Diese unterschiedlichen Informationsbedürfnisse bedeuteten einen gewissen Spagat für die Schnittstelle Live Oak und bargen die Gefahr, mit Information regelrecht überschwemmt zu werden.1130 Daher wurde beschlossen, die EEIs so zu gestalten, dass man die benötigten Informationen auch erhielt. Bei SHAPE, das sehr viel mehr und breitere Informationen erhielt als Live Oak, sollte Live Oak, wo notwendig und möglich, im Nachrichtenverteiler aufgelistet werden. Eine große Schwierigkeit wurde schließlich darin gesehen, die eigenen Nachrichtenbedürfnisse der »diplomatischen Welt« nahezubringen. Hierzu sollte Live Oak »avenues« erkunden;1131 nicht allein mit dem Ziel, die eigenen Wünsche zu verdeutlichen, sondern auch die dann zu erwartende Nachrichtenflut zu kanalisieren. Man strebte also danach, die ganze Live-Oak-Gemeinschaft zu jeder Zeit, regelmäßig und umfassend über die politischen Entwicklungen und ihre Umsetzung informiert zu halten.1132 Der entscheidende Grundsatz war und ist hier: Jeder Beteiligte muss zu jeder Zeit alles für ihn Wichtige (soweit im System verfügbar) wissen. Über die praktische Umsetzung der Beschlüsse und Empfehlungen des Intelligence Symposiums gibt es nur wenige Hinweise. Mit Sicherheit sind aber die EEIs überprüft, überarbeitet und verfeinert worden, denn das »Reports Manual«1133 zeigt beeindruckende Fortschritte. Besonders fällt ins Auge, dass die Bonn Group als empfohlener Lieferant1134 politischer Indikationen aufgenommen wurde. Das war gewiss nur mit deren Zustim BArch, BW 71/80, Nr. 14: »Live Oak Reporting Manual«, 1.9.1988; ohne weitere Bezeichnung; siehe Part I, Para. 2, S. 6, Zit. ebd. Der Info-Plan von 1973 sagte dazu nichts Konkretes. 1128 Es scheint tatsächlich das erste überhaupt gewesen zu sein. BArch, BW 71/14, Nr. 84, SHLO O 83/568/2519 OPS, 28.6.1983, Para. 9, S. 3. 1129 Ebd., Para. 3, S. 2. 1130 Ebd., Para. 4, S. 2, Zit. ebd. 1131 Ebd., Para. 4.a, 4.b und 4.d, S. 2 f., Zit. Para. 4.d. 1132 Ebd., Para. 10, S. 3 f. 1133 Mindestens die Ausgabe von 1988 gibt davon Zeugnis. BArch, BW 71/80, Nr. 14: SHLO O 88/944, 1.9.1988. 1134 Siehe ebd. die Übersicht in Part I, S. 7 des »Manual«, hier unter »recommended agencies«. 1127

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mung möglich gewesen.1135 Die Listen und die Ausformung der Einzelpositionen zeigten den Erfolg der gemeinsamen Anstrengungen. Überraschenderweise wurde USAFE, im Gegensatz zu USAREUR, nicht unter den liefernden Agenturen aufgeführt. Möglicherweise hatte man vereinbart, dass EUCOM seinen Anteil mitübernahm. Das Problem der unterschiedlichen Verfügbarkeit der auf den verschiedenen Wegen erhaltenen Informationen trat deutlich zutage. Während kooperativ beschaffte Informationen, die für die Vier Mächte oder für die NATO freigegeben wurden, keine Schwierigkeit bereiteten, blieb jede nationale Information, geliefert von einer der vier nationalen Delegationen an Live Oak, den Sicherheitsbestimmungen des betreffenden Landes unterworfen.1136 An diesem Prinzip wurde nicht gerüttelt. In den späteren achtziger Jahren gewannen die Aufgaben im Bereich des Nachrichtenwesens weiter an Bedeutung, als der CLO in seiner Eigenschaft als »Coordinating Authority« auch Verantwortung für die Verteidigung Berlins erhielt. Dabei hatte Live Oak ihn zu unterstützen. In der Dienstanweisung wurde daher u.a. von Live Oak gefordert, als Brennpunkt für die Zusammenfassung aller auf Berlin bezogenen politischen und militärischen Nachrichten und Erkenntnisse zu agieren und die entsprechenden Informationen in einer Krise oder nach Aufforderung an alle interessierten Dienststellen zu verteilen.1137 Durch ACAB waren die Commandants-in-Committee in Berlin verpflichtet worden, ab 1987 einen jährlichen Bericht über den Stand der Vorbereitungen der Verteidigung Berlins an den CLO zu verfassen, in dem auch die Feindlage ihren Platz haben musste. Darin lag interner Konfliktstoff, weil die Vier Mächte sich darauf einigen mussten, welche Informationen darin enthalten sein, an welche Stäbe sie liefern mussten, wer den Bericht genehmigte und in welcher Form er präsentiert wurde.1138 Es ist davon auszugehen, dass jeder COB verpflichtet war, seinen Beitrag in den Jahresbericht vor der Weitergabe seinem Botschafter vorzulegen, der ihn der Regierung weitergab, zumindest die Teile, die nicht nur die militärische Routine behandelten.1139 In einer Besprechung des COS mit den COBs am 20. Oktober 1987 in Berlin bei ASB wurde u.a. auch der Jahresbericht behandelt, aber wohl nicht im Detail. Der erste Bericht über das Jahr 1987 war als ein Versuchsballon angesehen worden. Er enthielt eigentlich nur eine Beurteilung des enormen, unersetzbaren Wertes der Stadt Berlin für die Nachrichtengewinnung der Vier Mächte.1140 Das hieß umgekehrt, dass die alliierten Garnisonen in Berlin für den CLO wichtige Unterstützung auf dem Gebiet des Im Bestand BArch, BW 71, fand ich keine Bestätigung dafür. BArch, BW 71/80, Nr. 14: »Report Manual«, Part I, S. 6, Para. 3. 1137 BArch, BW 71/74, Nr. 22: Live Oak ToR, SHLO O 87/213, 19.2.1987, Encl. 1, Para. 5.b(1)(f ), S. 1‑3. 1138 BArch, BW  71/76, Nr.  13: Überlegungen des Chief NAVCORCENT hierzu, siehe SHLO O 87/87o, 15.7.1987, Para. 1, S. 1, Zit. ebd.: »a potential powder-keg«. 1139 Ebd. Dies ist aus der Auswertung des »Commandants Annual Report« durch den Chief Ground Planners, Col. J.M. Ruault, zu schließen: BArch, BW 71/76, Nr. 17: SHLO O 87/914, 29.7.1987, Para. 5, S. 3. 1140 BArch, BW 71/79, Nr. 21: ASBSEC 101/14, 31.5.1988, I 88/1321, Encl. to SHLO O 88/596, 13.6.1988, Para. 16, S. 5. Der Minister für Staatssicherheit der DDR, Erich Mielke, sprach von Berlin als »vorgeschobene Basis für die Spionage- und Störtätigkeit« gegen die DDR, BArch, DVW 1-25710/b, Text eines Vortrags, MfNV, VA, GVS-Nr. A 177 902 vom 8.8.1973, Anlage 2. 1135 1136



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Nachrichtenwesens leisten konnten. Da dieses Potenzial jedoch bis dato nicht wirklich ausgeschöpft worden war, sollte eine entsprechende Überprüfung der Möglichkeiten für einen Ausbau der Informationsflüsse sorgen.1141 Der allgemeine Zustand des Nachrichtenwesens sollte daher durch den CLO überprüft werden. Die Hoffnung bestand wohl darin, dass damit ein Ausgangspunkt für die Erteilung eines zusammengefassten ›Auftrages für das Nachrichtenwesen im Kriege‹ an die Alliierten Streitkräfte in Berlin und für die Mobilisierung der dazu nötigen Ressourcen geschaffen werden konnte.1142 Dieses Projekt firmierte dann unter der Überschrift ›»Intelligence Tasking«. Das ganze Thema wurde dann aber wie schon so häufig zuvor zu einem »shuttlecock«,1143 der zwischen den Akteuren hin und her gespielt wurde, ohne einer Lösung näher zu kommen. In den darauf folgenden Überlegungen bei Live Oak bürgerte sich für diesen neuen Auftrag die Bezeichnung »Wartime Intelligence Mission« ein1144 – also Erkenntnisgewinnung in Kriegszeiten. Auch hier stellte sich wieder das Problem der Informationsgewinnung und -verteilung vor dem Hintergrund der nationalen Prärogative. Man prüfte verschiedene Wege, also etwa die Anforderung der Informationen direkt durch Live Oak von den Kommandanten in Berlin oder einen Umweg über die nationalen Hauptstädte zur Wahrung der nationalen Interessen. Der designierte Kommandeur für die Gesamtverteidigung von Berlin (COMDAF) sollte bei seiner Aktivierung im Ernstfall die Informationen für Live Oak bereitstellen und hatte dazu die nötigen Absprachen mit den nationalen Kommandanten zu treffen, die ihrerseits wiederum die nationalen Interessen zu berücksichtigen hatten.1145 Kurz vor Ende des Kalten Krieges zeichnete sich dann diese Lösung ab.1146 Nach der grundsätzlichen Zustimmung der CHODs1147 erging am 18. April 1989 der Auftrag des CLO1148 an den Vorsitzenden Kommandanten, diese Alternative zu entwickeln und die ausführende Organisation vorzubereiten. Diese sollte den Auftrag haben, taktische und/oder strategische Erkenntnisse an COMDAF und den CLO als Koordinierungsstelle für die Verteidigung von Berlin zu liefern.1149 In Berlin konnten nun die konkreten Arbeiten an diesem Projekt beginnen. Im Herbst wurden dann die untergebenen Hauptquartiere um ihre Unterstützung gebeten, BArch, BW 71/79, Nr. 21: ASBSEC 101/14, 31.5.1988, I 88/1321, Encl. to SHLO O 88/596, 13.6.1988, Para. 16.a, S. 5. 1142 Ebd., Para. 16.c. 1143 BArch, BW 71/79, Nr. 22: SHLO O 88/600, 14.6.1988, Para. 3 und Para. 2, Zit. ebd. 1144 BArch, BW 71/80, Nr. 3: SHLO O 88/767, 29.7.1988, Para. 6‑17, S. 1‑5. Vgl. auch BArch, BW 71/79, Nr. 22: SHLO O 88/600, 14.6.1988, das sich u.a. mit Aufklärungsforderungen befasst. 1145 BArch, BW 71/79, Nr. 21: Encl., ASBSEC 101/14, 31.5.1988, Para. 52, S. 12. 1146 BArch, BW 71/81, Nr. 14: CLO SHLO O 88/1253, 5.12.1988, Abs. 3 des Briefes. 1147 BArch, BW  71/84, Nr.  37: Der britische CHOD mit CDS 2044/3/1, 31.1.1989, SHLOIN I 89/518; der US-CHOD mit BArch, BW 71/84, Nr. 31: US-3-KEE/daa/4/S, 7.3.1989, SHLOIN I 89/455, und die DIA beauftragt mit der Durchführung; der Franzose mit BArch, BW 71/64, Nr. 20: SHLO O 89/374, 29.3.1989. 1148 BArch, BW  71/83, Nr.  27: Einen guten Eindruck, worum es da ging und wie es angegangen wurde, gibt das Msg der DIA Washington, 13.2.1989, SHLOIN I 89/291. Interessant auch BArch, BW 71/84, Nr. 28: Vorlage COS an CLO, SHLO O 89/472/OPS, 13.4.1989. 1149 BArch, BW 71/84, Nr. 30: Brief CLO an den Chairman Commandant, SHLO O 89/439/OPS, 18.4.1989, Abs. 3.  1141

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besonders die Detailplanungen und vor allem die EEIs betreffend.1150 Die Fortschritte wurden in den drei Jahresberichten der Commandants-in-Committee bis zur deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 ersichtlich. Das »Nachrichtenwesen« war damit deutlich aufgewertet worden.1151 Inzwischen hatten sich die politisch-militärischen Grundbedingungen erheblich gewandelt. Die militärische Bedrohung hatte sich deutlich reduziert und manifestierte sich im Wesentlichen nur noch durch die sowjetische Westgruppe, die allerdings über erhebliches Kampfpotenzial verfügte. Berlin konnte insgesamt freier atmen, es bestand jedoch immer noch die Gefahr rascher Isolierung, wenn die sowjetischen Truppen entsprechend vorgingen.1152 Zu diesem Zeitpunkt war der Auftrag des CLO, die Aufklärung zur Verteidigung Berlins vorzubereiten, wohl weitgehend erfüllt, der Rest war normale Stabsarbeit.1153 Der entscheidende Punkt im gesamten Themenkomplex bildete die Erkenntnis, dass, obwohl die erfolgreiche Aufklärung durch das Nachrichtenwesen für die Erfüllung des Auftrages »Krisenmanagement« eine unverzichtbare Voraussetzung bildete, Live Oak selbst kaum eigene Mittel hatte. In einer fortgeschrittenen Krise waren es eben vor allem die »Probe«-Operationen, die Live Oak die entscheidenden Informationen liefern mussten, um die gegnerischen Absichten zu erkennen. Die eigenen personellen Kapazitäten waren in Live Oak auf ein Minimum begrenzt, wurden aber durch die Unterstützung von SHAPE arbeitsfähig gehalten. Das Manko der eigenen Ressourcen wurde durch die große Breite an unterstützenden Dienststellen der Drei, dann auch der Vier Mächte ausgeglichen, ergänzt durch die NATO, hier vor allem SHAPE. Die politische und sicherheitspolitische Großlage konnte im Wesentlichen verhältnismäßig gut erkundet werden. Dies galt besonders für die Massierung gegnerischer Kräfte und deren Bewegungen, weil die diesbezüglichen Vorbereitungen auch in einer Diktatur wie der DDR nicht unbemerkt bleiben und damit wichtige Anzeichen für Angriffsvorbereitungen liefern konnten. Hingegen existierten nach wie vor große Unsicherheiten in Bezug auf die Absichten und Planungen im Detail. Oft gab es Hinweise, aber keine Beweise aus verlässlicher und kompetenter Quelle bzw. auch nur schwache oder überhaupt keine Bestätigungen. So war die Beurteilung schwierig; es erinnerte manchmal eher an das sprichwörtliche Lesen im Kaffeesatz. Dies galt besonders für die Periode, in welcher der sprunghafte Chruščev die Sowjetunion führte.1154 In den darauf folgenden Krisen gelangte man zu genaueren Informationen, nicht zuletzt wohl auch wegen des Aufwuchses einer besseren Informationsversorgung.1155 Als Beispiel siehe BArch, BW 71/85, Nr. 32: Brief COS an CINCBAOR, General Sir Brian Kenny, SHLO O 89/1008/COS 1/2, 21.9.1989. 1151 Vgl. den o.g. ersten Bericht von 1988, BArch, BW 71/79, Nr. 21, über das Jahr 1987, und den letzten von 1990, hier BArch, BW 71/91, Nr. 26, das »Intelligence Estimate« 1989/90, ASB 129, 2.10.1990, SHLOIN S/I 90/555, Para. 14‑19, S. 6‑8. 1152 BArch, BW 71/91, Nr. 26: »Summary«, Para. 19, S. 8 des Jahresberichts. 1153 Das kann man schließen aus BArch, BW 71/90, Nr. 5: Msg SHLO S/O 90/014, 22.2.1990; und v.a. aus BArch, BW  71/90, Nr.  22: ASBG2, »Military Intelligence«, 6.4.1990, SHLOIN/S/I, 90//221. 1154 Beispielsweise die Phase vor dem 13.8.1961, siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 153‑156. 1155 So in der »Tschechen-Krise 1968«, siehe u.a. Sowjetische Macht, S. 293‑309; oder während der zeitweisen Sperrung von Luftkorridoren in den achtziger Jahren: siehe die Darstellung in Kap. III.4. 1150



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Live Oak nahm aus guten Gründen an, dass die Sowjetunion und die DDR Kenntnis von der Existenz des Stabes, seiner Aufgaben und in allgemeiner Weise auch seiner Operationsplanungen hatten.1156 Über die Vorstellungen des Gegners, wie er diesen westlichen Eventualfallplanungen entgegentreten wollte, gibt es keine Erkenntnisse. Bei Live Oak legte man hier die plausibelsten Annahmen zugrunde und überprüfte sie in den Übungen. Die politischen, geografischen und militärischen Rahmenbedingungen erleichterten dieses Vorgehen. Die Freigabe der national gewonnenen Erkenntnisse lief im Allgemeinen zufriedenstellend, wenn sie erst einmal erfolgt war. Dennoch blieb die politisch-diplomatische Dimension der Aufklärungsgewinnung, entgegen der ursprünglichen Hoffnungen, wenig befriedigend, weil sie infolge der nationalen Prärogative nicht automatisch in ein geregeltes Meldewesen einbezogen werden konnte. Es blieb immerhin die Möglichkeit, in einer Krise über persönliche Netzwerke zu den nötigen Informationen zu gelangen. Für diese Einschätzung sprechen die Ergebnisse der jährlichen Rahmenübungen, an denen Diplomaten und Soldaten teilnahmen, sowie die meist regelmäßigen Reisen zu den Hauptstädten, die die Diskussionen fortsetzten und so der Bildung dieser Netzwerke dienten. c) Das Einbeziehen der Öffentlichkeit und der Medien Für jede Operation im Krisenmanagement war und ist es entscheidend, die Unterstützung der eigenen Bevölkerung, aber auch der in anderen Staaten – auch außerhalb Europas – zu gewinnen.1157 Eine von Sympathie getragene öffentliche Meinung spielte dabei für die alliierte Sache eine entscheidende Rolle. Entsprechendes stellte auch das diesbezügliche Grundsatzdokument für Live Oak, der LOPIGUIDE, im Jahre 1980 fest.1158 Mit der Länge einer Krise steigt der Wert dieser Unterstützung. Ebenso ist es wichtig, die eigene Bevölkerung, aber insbesondere die Führung des Gegners über die eigenen Intentionen und Stärken auf dem Laufenden zu halten. Dies galt und gilt umso mehr im Zeitalter der modernen Massenmedien, die bereits in der Frühzeit von Live Oak, während der zweiten Berlin-Krise, erheblichen Stellenwert genossen und in der Folge immer weiter an Bedeutung gewannen.1159 Die Drei Mächte trugen diesen Tatsachen im Basic Paper vom 4. April 1959 zumindest ansatzweise Rechnung. Man berücksichtigte in den Planungen die Wirkung verschiedener Maßnahmen auf die Öffentlichkeit und hoffte darauf, dass dadurch Einfluss auf die Sowjetunion ausgeübt werden konnte. Für einen besonderen Fall wurde Wie begründet das war, zeigt die Darstellung in Kap. II.6. Vgl. Das Atlantische Bündnis, Kap. 9, S. 145‑148; sowie BArch, BW 1/561879: BMVg, HDv 100/100 »Truppenführung«, Bonn 2007, Nr. 1084‑1099, »Information«, besonders Nr. 1089 und Nr. 1092. 1158 BArch, BW 71/62, Nr. 38: SHLO 81/21322, 1.12.1980, Chapter 1, Para. 3. Vgl. auch BArch, BW  71/54, Nr.  12: Äußerung CLO, General Alexander M. Haig Jr., SHLO 78/0509/OPS, 29.6.1978. 1159 Die Definition für »Public Information« nach BArch, BWD 5/1424: AAP-6 (K) 1972, S. 2‑160; sowie Information zur politischen Bildung, Nr.  260: »Massenmedien«, 1998, bes. S.  3‑6. Zur Vorgeschichte der Nutzung der Öffentlichkeit durch Propaganda siehe z.B. Koch, Giftpfeile über der Front. 1156 1157

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sogar eine öffentliche Erklärung der Drei Mächte vorgesehen, nämlich dann, wenn die Sowjetunion ihre Verantwortung und ihre Aufgaben an die DDR übergeben sollte oder derlei ankündigte. In dieser Verlautbarung sollte die rechtliche Position beschrieben werden, welche die Drei Mächte vertraten, und die anzuwendenden Verfahren genannt werden.1160 Auch die Einschaltung der Vereinten Nationen wurde erwogen.1161 Alles in allem blieb es hier jedoch bei eher vagen Überlegungen. Den ersten Versuch, eine politische Linie für den Einsatz der Medien im Hinblick auf Berlin und deren Zugänge zu entwickeln, machte die britische Regierung im September 1959. Die Briten schickten das Ergebnis an ihre diplomatischen Vertretungen in aller Welt.1162 Es sei das Ziel der Überlegungen und eventueller vorbereitender Maßnahmen der Regierung Großbritanniens, die Weltmeinung zur Unterstützung der westlichen Position zu mobilisieren. Dabei hatte man vier mögliche politische Ereignisse im Blick, nämlich die Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen den Regierungen der Sowjetunion und der DDR, die Ankündigung der sowjetischen Absicht, die Kontrollpunkte und ihre Aufgaben an die DDR zu übergeben, die Behinderung des Zugangs von und nach Berlin und schließlich die Einschaltung der Vereinten Nationen durch die Drei Mächte.1163 Damit hatte London auch die politischen Themen erfasst, die für die Operationen von Live Oak im Mittelpunkt des Interesses stehen würden. Die Briten hatten als erste in dieser Krise erkannt, welche Bedeutung die Beeinflussung der Weltmeinung haben konnte und daraus gefolgert, dass – gerade wegen des Bemühens um Deeskalation – Vorbereitungen auf dem Gebiet der »Propaganda« getroffen werden mussten.1164 Whitehall ging aber noch weiter. Für diese vier genannten Eventualfälle hatte man schon Maßnahmen vorbereitet und die Vertretungen in aller Welt durch eingeschränkte Weisungen zur Nutzung ermächtigt.1165 Für die Unterstützung der QPPMM waren Kanäle und Themen vorbereitet worden, um die »Soviet official opinion« parallel zu den eigenen Maßnahmen zu beeinflussen. Dies sollte den Eindruck der westlichen Entschlossenheit verstärken.1166 Für den Fall, dass die Sowjetunion versuchen sollte, die politische Spannung künstlich zu erhöhen oder gar etwa mit der Behinderung von Flugzeugen oder Sperrung von Straßen begann, hatte man Material vorbereitet, um derlei Versuche »by exposure and comparison with historical precedents« zu konterkarieren. In diesem Zusammenhang hatte sich einmal mehr gezeigt, dass es klüger war, eine gemeinsame Position für die Behandlung der Öffentlichkeit vor wichtigen Treffen der Außenminister oder der Regierungschefs zu erarbeiten, als dies erst im Nachhinein zu tun. Daher plante die britische Regierung, den Delegationen für derlei Konsultationen einen Experten für alle Fragen der Öffentlichkeitsarbeit einzugliedern, dem die Formulierung der westlichen Position bei jedem künftigen Ost-West-Treffen obliegen sollte.1167 Ebd., Para. 2 »Public Statement«, S. 2‑4. Ebd., Para. 13.d, S. 9. 1162 BArch, BW 71/106, Nr. 14: BERCON TRI D-9, LO(IN)-S-59-3062, 1.9.1959, Para. 2.b. 1163 Ebd., Para. 1; die Nummer des Para. fehlt hier allerdings. 1164 Ebd., Para. 1.c. Der Begriff »Propaganda« wird hier tatsächlich gebraucht. 1165 Ebd., Para. 2.b. 1166 Ebd., Para. 2.a, Zit. ebd.; welche Kanäle und Themen das waren, wurde nicht gesagt. 1167 Ebd., Para. 2.b und 2.c. Es finden sich keine Belege, ob das auch geschehen ist. 1160 1161



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Insbesondere jeder Hinweis auf die Vereinten Nationen sei ipso facto eine Gelegenheit für eine starke öffentliche Unterstützung. Dafür mussten aber schon im Vorhinein Argumentationslinien vorbereitet werden. Es wurden auch die Operationen auf höherem Niveau der Krisenbehandlung, die More Elaborate Measures, in die Überlegungen einbezogen: Die britischen Planer erachteten es als notwendig, gewisse Überlegungen für die psychologische, taktische oder sogar strategische Unterstützung in Verbindung mit diesen Maßnahmen anzustellen. Den Beteiligten war klar, dass dieser Themenkomplex weiter ausgearbeitet werden musste und er auch keineswegs ausschließlich in militärischer Verantwortung lag.1168 In der grundlegenden, überarbeiteten Fassung der Studie zu den More Elaborate Military Measures vom 24. Juli 1959 war dazu grundsätzlich festgehalten worden, dass jede Operation der Drei Mächte nur im passenden psychologischen Klima unternommen werden sollte.1169 Dies musste natürlich auch durch Public Information geschaffen werden. In diesem Zusammenhang wurden auch Gegenmaßnahmen nicht-militärischer Art, als »part of the overall political, economic and psychological assault against the Soviets« in die Überlegungen einbezogen.1170 Ob es zu dieser Zeit schon konkretere Überlegungen zur Unterstützung durch Öffentlichkeitsarbeit gegeben hat, ist nicht sicher, aber doch wahrscheinlich. Denn bereits die Weisung General Norstads vom 10. Juli 1959 an den CINCBAOR, die »Probe«Operation entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin zu planen, enthielt eine Ziffer »Press«, in der angenommen wurde, dass trotz strenger Geheimhaltung und breiter Sicherheitsvorkehrungen eine große Anzahl von Medienvertretern sich als Beobachter in Helmstedt versammeln konnte, weshalb eine Presseabteilung der Drei Mächte eingeplant werden musste.1171 Tatsächlich war mit Sicherheit zu erwarten, dass auch eine in Umfang und Ziel sehr begrenzte Operation auf der Autobahn bei Helmstedt nicht mehr geheimzuhalten war, sondern sofort das Interesse der Medienvertreter aus aller Welt erregen würde, sobald sie angelaufen war. Und der britische CHOD unterstrich, dass ein tragfähiges Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit im Konzert mit dem militärischen Plan entwickelt werden sollte.1172 Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, aber auch für die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit war also vorhanden, bedurfte aber noch der kreativen Umsetzung.1173 Konkrete Planungen dazu ergaben sich bereits im Sommer 1959. Zunächst wurde für die »Probe«-Operation »Free Style« ein besonderer Stab für die Pressearbeit in Helm-

Ebd., Para.  2.d und 2.e. Auf welches LO-Dokument hier hingewiesen wird, ist nicht eindeutig erkennbar. 1169 BArch, BW  71/132, Nr.  2: Studie für General Norstad, ECLO 300/20, LO-TS-59-1021, 24.7.1959, Para. 9, S. 4. 1170 Ebd., Para. 17.d »Conclusion«, S. 7. Der Begriff »assault« ist sehr stark, aber wohl auch so gemeint. 1171 BArch, BW 71/132, Nr. 1A: LoI, ECLO 600/4, 10.7.1959, LO-TS-59-1010; siehe Incl. Para. 7, S.  3. In den ersten Vorstellungen dazu vom Mai 1959 war dieser Punkt noch nicht enthalten: BArch, BW 71/1, Nr. 42: LO-TS-59-1001, 13.5.1959. 1172 BArch, BW 71/116, Nr. 10: Air Marshal W.J. Dickson, Stellungnahme vom 17.6.1959, WFD/663, LO(IN)-TS-59-2006. 1173 BArch, BW  71/116, Nr.  2: ECLO 525/25, Incl., Memo for Gen. Norstad, LO-TS-59-1027, 31.7.1959, v.a. Para. 4.e und 4.f, S. 3 f. 1168

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stedt, dem Ort des Geschehens, eingerichtet.1174 In den Diskussionen der Folgejahre 1960/61 erkannte man dann die Notwendigkeit, diese Organisation auszuweiten. Neben dem Presselager in Helmstedt, in dem sich die Vertreter der Medien anmelden mussten, erhielt auch der CINCBAOR für seinen Vorgeschobenen Gefechtsstand eine eigene P.I.Zelle. Dort wurde also die eigentliche Arbeit der Umsetzung der Weisungen auf diesem Gebiet unter der Aufsicht des Oberbefehlshabers geleistet, woraus sich die Befehle und Argumentationshilfen für die praktische Arbeit im Pressezentrum ergaben. Vor allem aber wurden Presseoffiziere in die »Probes« selbst eingegliedert, um von dort ganz aktuell berichten zu können.1175 Für »Free Style« wurde die Öffentlichkeitsarbeit, für die es kaum Vorläufer gab, detailliert ausgearbeitet.1176 Die Hauptaufgabe bestand darin, die bestmögliche Unterstützung durch die aktive Information der Öffentlichkeit zu bieten, um die Anliegen Frankreichs, des Vereinigten Königreiches und der USA in der korrekten Perspektive darzustellen.1177 Analog zum Operationsplan für die »Probe« wurden zwei Phasen unterschieden: die Phase der Versammlung und Ausbildung, in die auch die technische Vorbereitung, wie eine geeignete Infrastruktur, Fernmeldemittel und Betreuung, einzubeziehen war, sowie als zweite Phase die Operation selbst. Der Personalaufwand für die Pressearbeit war erheblich, nämlich insgesamt 21 Offiziere, 52 Unteroffiziere und Mannschaften mit 21 Kraftfahrzeugen, gestellt jeweils zu einem Drittel von jeder der Drei Mächte. Dazu kam auch je ein Team der Luftstreitkräfte jeder Nation für den Fall, dass es einen Bedarf für den möglichen Einsatz der Luftwaffen in den Korridoren geben sollte. Ein eigenes Fotolabor mit fünf Spezialisten rundete die Organisation ab.1178 Die Gruppe, welche die »Probe« begleiten sollte, musste die Versammlung und die Ausbildung zusammen mit dieser Truppe und unter Befehl des zuständigen Führers ausführen.1179 Das notwendige Hintergrundwissen in allen Presseangelegenheiten musste sie sich selbst aneignen und für die Nutzung im Gespräch mit den Medienvertretern aufbereiten. Ihre Mitglieder hatten einerseits die Vorgehensweise der Truppe und andererseits die Verhältnisse und Regeln der Medienlandschaft zu kennen, d.h. sie bildeten eine entscheidende Schnittstelle zwischen dem militärischen Apparat und der Öffentlichkeit. Im Ernstfall mussten sie vor allem alle Ereignisse an der Spitze des Konvois und jedes Gespräch zwischen dem »Probe«-Führer und dem sowjetischen Gegenüber aufnehmen und protokollieren können, ggf. auch mit Unterstützung von Foto und Film für die Dokumentation. Der britische Leiter dieser Gruppe wurde daher verpflichtet, den Führer der »Probe« zu begleiten und anschließend die Vertreter der beiden anderen Nationen vollständig zu informieren. Das Team erhielt seine truppendienstlichen Befehle vom Offizier für Öffentlichkeitsarbeit bei CINCBAOR, seine fachlichen Weisungen aber von Der erste OPlan »Free Style« vom 31.5.1960 ist nicht überliefert, nur erwähnt in BArch, BW 71/43, Nr.  55: »After Action Report« vom 1.3.1961, Para.  45. In der Fassung vom 21.7.1961, BArch, BW 71/117, Nr. 47, ist das Pressezentrum in Helmstedt, hier noch als »Press-Camp« bezeichnet, enthalten in Ziff. 3.m, v.a. Annex H. 1175 BArch, BW  71/117, Nr.  47: OPlan »Free Style«, 21.7.1961, B 1161/5/4 G (Ops and Plans), LO(IN)-TS-61-2060, Annex H. 1176 Ebd., Annex H »Public Information Instruction for Operation ›Free Style‹«. 1177 Ebd., Annex H, Para. 2 »Mission« des Annex H, Para. 2. 1178 Alles in ebd., Annex H, S. 1, Para. 3.b »Assembly«. 1179 Ebd., Annex H, S. 3, Para. 3.c. 1174



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der WAG über die Bonn Group und den CINCBAOR. Das Presselager in Helmstedt wurde im Unterkunftsbereich des amerikanischen Autobahn-Kontroll-Detachments vorgesehen, das räumlich gut geeignet war und ausreichend Platz für den Aufbau von vier großen Zelten für je rund 100 Pressevertreter, Säle für Briefings und Konferenzen sowie Räume für die Betreuung der Journalisten bot. Als verantwortlicher Offizier für die schwierige Aufgabe der Vorbereitung und Leitung des Presselagers wurde der Verbindungsoffizier zu den Medien bei der britischen Botschaft in Bonn bestimmt. Das PressCamp wurde später als Joint Allied Press Information Center (JAPIC), dann als Joint Press Information Center (JPIC) und schließlich als Allied Press Information Center (APIC) bezeichnet. Es wurde, dann unter Führung eines Offiziers von USAREUR, auch für die Eisenbahn-»Probe«-Operation eingeplant.1180 Zusätzlich wurde bestimmt, dass die Drei Mächte in Berlin bei Bedarf dort ein weiteres Press-Camp einrichteten, das von P.I.-Offizieren der Drei Mächte in Berlin besetzt werden sollte. Es erhielt die Bezeichnung Tripartite Public Information Office (TRIPIO).1181 Es war also eine aufwendige Organisation, die für diese relativ kleine, aber politisch so bedeutsame Operation vorgesehen wurde. Ihre Weisungen für die Öffentlichkeitsarbeit würde sie von den Drei bzw. Vier Regierungen über die WAG erhalten. Auf den Erfahrungen der Operationsplanung »Free Style« und auf Übungen aufbauend wurden entsprechende Planungen auch für die anderen Eventualfälle eingeführt. Für den Zugang in der Luft schien sich die ganze Problematik zunächst nicht so dringend darzustellen. Weder in der Weisung General Norstads an den CINCUSAFE1182 noch im ersten Operationsplan »Jackpine« von 19601183 sind Vorkehrungen für die Öffentlichkeitsarbeit enthalten. Ein wichtiger Grund dafür mag gewesen sein, dass die Öffentlichkeit weniger Möglichkeiten hatte, Entwicklungen in der Luft frühzeitig zu erkennen. Entscheidend dürfte wohl gewesen sein, dass, anders als bei »Probe«-Operationen am Boden, kein derartig sinnfälliger Aufmarsch direkt an der Zonengrenze erfolgen würde. Die Absprungbasen waren Flugplätze, die im rückwärtigen Gebiet lagen. Außerdem waren hier zunächst die Bonn Group, die besondere Verantwortung für den Luftzugang hatte, und die COBs gefragt. Es wäre die Aufgabe dieser beiden Stellen gewesen, die Öffentlichkeit über Entwicklungen im Zugang durch die Luft zu informieren und die Unterstützung der westlichen Position zu suchen. Aber spätestens ab 19711184 wurde auch beim Jackpine Command Post in Ramstein ein eigenes Informationszentrum eingerichtet, das Jackpine Press Information Center, das ebenfalls von den Drei Mächten gemeinsam betrieben wurde.1185 Aufgaben und Verfahren waren vergleichbar mit denen in Helmstedt.1186 BArch, BW 71/50, Nr. 22: SHLO 71/502, 7.7.1971, Para. 2.a(1), S. 1. BArch, BW  71/62, Nr.  38: detaillierte Darstellung dazu in LOPIGUIDE, 1.12.1980, SHLO 80/21322/PID, Chapter 3, S. 11‑13. 1182 BArch, BW 71/132, Nr. 7: ECLO 600/30, 5.5.1960, LO-TS-60-35. 1183 BArch, BW 71/116, Nr. 46, 12.5.1960, LO(IN)-TS-60-2010. 1184 BArch, BW 71/50, Nr. 22: Genauer Beginn ist unklar; das JPIC wird aber erwähnt in diesem LOPaper zu »Press Releases« SHLO 71/502, 7.7.1971, S. 2, Para. 2.b. 1185 BArch, BW 71/53, Nr. 38: CINCUSAFE OPlan 444, 1.12.1976, SHLOIN 76/2979, Annex F. 1186 BArch, BW 71/50, Nr. 22: SHLO 71/502, 7.7.1971, S. 2, Para. 2.b. 1180 1181

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Zusätzlich zu diesen militärischen Presseinformationszentren gab es später auch politisch-diplomatische Zentren bei der WAG, das WAPIC, ab etwa 1985. Bereits seit 1980 gab es das LOPIC, das ab 1985 als BOPIC bei der Bonn Group geführt wurde. Es war also ein Verbund von entsprechenden Zentren eingerichtet worden, der darauf vorbereitet war, im Eventualfall die politische Öffentlichkeit über die Hintergründe und Absichten der Drei bzw. der Vier Mächte in der Krise zu informieren, die Unterstützung der Welt zu suchen und entsprechende Maßnahmen der Gegenseite abzuwehren. Für die Operationen zur See, die Maritimen Gegenmaßnahmen, unterschieden sich Organisation und Informationsfluss von denen für die Operationen zu Lande und in der Luft, weil sie in anderen, meist weit entfernten Räumen und mit ganz anderem Konzept ablaufen sollten.1187 Es wurden daher auch andere Instrumente genutzt. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre wurde im Zuge der generellen Revisionsarbeit auch die Öffentlichkeitsarbeit für Live Oak überprüft. Dabei erwiesen sich sowohl die großen Rahmenübungen wie insbesondere auch Übungen der Presseinformationszentren als hilfreich und anregend.1188 Gegenstand der Untersuchung war zunächst die Überlegung, bei Bedarf die Informationszentren unabhängig von den Operationen zu Lande und in der Luft, ggf. auch vor der Versammlung der »Probe« und anderer Kräfte, einzurichten. Man hatte erkannt, dass bereits vor der Einleitung oder Ausführung von Zugangsoperationen das Problem des Umgangs mit der Presse in Helmstedt größere Ausmaße erreichen konnte.1189 Ferner musste ggf. eine Ausweitung auf alle Korridore bzw. die Einbeziehung der Berliner Seite gewärtigt werden. Als Beispiel wurde hier angeführt, dass nach einem Konvoi-Zwischenfall nationale Konvois, sogenannte »Sympathetic Convoys«, an beiden Enden der Autobahn eingesetzt wurden. Ein schnell wachsendes Interesse der Medien an mehreren bzw. allen möglichen Brennpunkten konnte dann ohne umfassendes flexibles Vorgehen möglicherweise nicht mehr bewältigt werden. Dieser Schwierigkeit sollte mit einem eigenen, von der Operationsführung unabhängigen Plan begegnet werden, d.h. durch die Einrichtung des Pressezentrums JAPIC, sobald die Lageentwicklung es verdiente.1190 Hierzu mussten aber alle beteiligten Führer konsultiert werden. Die Verhandlungen zogen sich nun länger hin, aber am 11. Juli 1968 hieß die Bonn Group diese Absicht gut. Der CLO, noch General Lemnitzer, sollte die Befugnis erhalten, das JAPIC teilweise oder vollständig einzurichten, wenn die Lage es erforderte, und dabei die Empfehlungen des CINCBAOR und der COBs in die Überlegungen einbeziehen.1191 Der Zustimmungsprozess ist nicht überliefert, die Sache aber wurde später mit einem eigenen Operationsplan der BAOR geregelt.1192 BArch, BW 71/62, Nr. 38: Weisungsrecht und Informationsfluss gem. LOPIGUIDE von 1980. BArch, BW 71/5, Nr. 29: Übung »Glass Window« 1966 von BAOR. 1189 BArch, BW 71/5, Nr. 20: Studie »Establishment of JAPIC at Helmstedt prior of assembly of existing access operations«, SHLO 200/156, 20.3.1967, LO-S-67-36, Incl. Para. 5. 1190 Ebd., Incl. Para. 6, Zit. ebd. 1191 BArch, BW 71/5, Nr. 33: FS NMR/LO, Tgb.Nr. GLNO 2230/68 S. vom 23.7.1968, S. 2, Ziff. 1, darin Para. 4 (wörtliche Wiedergabe des Vorschlags der Bonn Group an die WAG, in Engl.) des FS, sowie Ziff. 2. 1192 BArch, BW 71/9, Nr. 5: BAOR OpInstr. Nr. 16, NODULAR, 18.1.1978, BAOR G Ops, B 1100, SHLOIN 74/3017. Das Jahr 1974 zeigt vermutlich das Jahr des ersten  Planes an. Vgl. auch BArch, BW 71/62, Nr. 38: LOPIGUIDE, SHLO 80/21322/PID, 1.12.1980, Chapter 4, APIC, 1187 1188



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Live Oak Public Information 1985 (nach Aktivierung in einer Krise) WAG »Deep Sea« PI

WAPIC

Bonn Group BOPIC

Live Oak LOPIC

BAOR

USAFE

PI APIC

ASB JPIC

TRIPIO

SENPIC

Legende: Politische Weisung, militärischer Befehlsweg Public-Information-Befehlsstrang Quelle: Annex, Public Information Study (Draft), SHLO O 89/1320 vom 20.11.1989, Part I, BArch, BW 71/87, Nr. 10.

© ZMSBw

07887-06

Die Verfahren der »Freigabe für die Presse«, also die Auswahl der publizierfähigen Informationen, bildeten eine weitere Frage, die nach einer Übung aufgegriffen wurde. Als Folge der Rahmenübung »Steel Trap« im Februar 1971 wurden nach Diskussion der grundlegenden Probleme Verbesserungen angemahnt. Die Presse vor Ort benötige Informationen schnell und bei Verzögerungen neige sie dazu, die nächstbesten Informationen zu verwenden. Der Zeitfaktor sei daher kritisch. In einer Krise müsse damit gerechnet werden, dass unterschiedlichste Interessenvertreter auf den Plan träten, von denen nicht alle freundlich berichten oder reagieren würden. Daher müsse die Informationsfreigabe durch die Alliierten besser koordiniert werden, was durch ein noch einzurichtendes Presseinformationszentrum bei der Bonn Group geschehen konnte.1193 In den frühen siebziger Jahren wurde, wohl auf Drängen des damaligen COS, Generalmajor John M. Strawson, die P.I.-Organisation und ihre Vorgehensweise wesentlich Para. 3.a, S. 14. Für TRIPIO gab es einen entsprechenden OPlan, BArch, BW 71/52, Nr. 47: ASB ­OPlan 3/75, 3.6.1975. 1193 BArch, BW 71/50, Nr. 22: SHLO 71/502, 7.7.1971, Para. 3 im Positionspapier dazu, Zit. ebd. Siehe die Grafik »Live Oak Public Information 1985«.

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fortentwickelt. Auch bei Live Oak selbst wurde ein Verantwortlicher für Public Information in Krisen und für Übungen eingeteilt: Der GLNO übernahm anfangs diese Aufgabe zusätzlich, wohl weil er bei Live Oak keine andere operative Aufgabe mehr hatte. Es scheint, dass Oberst i.G. Heino Graf von Vitzthum der erste P.I.-Offizier war, nachdem er seine bisherige Aufgabe als deutscher Vertreter in der »Planungsgruppe Landoperationen« an den neu eingetroffenen Oberstleutnant i.G. Klaus Hofer übergeben hatte.1194 Die laufende Arbeit auf diesem Gebiet wurde spätestens seit Anfang der siebziger Jahre durch Offiziere der P.I.-Abteilung von SHAPE geleistet, die auch in Krisenzeiten den P.I.-Offizier von Live Oak verstärkte und unterstützte und ab 1973 dessen Aufgabe vollständig übernahm.1195 Kurz vor Ende des Kalten Krieges, spätestens 1989, erhielt dann der stellvertretende Leiter der Operationszentrale bei Live Oak diese Aufgabe.1196 In einem Vortrag während der Nachbereitung und Kritik der Übung »Open Sesame« im Januar 1972 vor den P.I.-Offizieren für den Bereich Live Oak1197 sprach Vitzthum die drängenden Probleme an, die sich während dieser Rahmenübung gezeigt hatten: die oft ungenügende Vorbereitung, Koordination und Verbreitung von Pressemitteilungen und die mangelnde Presseführung.1198 Daraus ergaben sich zwei wichtige Fragen: Kann diese Arbeit durch die Einrichtung von gemeinsamen »Press Coordination Centres« bei der Bonn Group und bei Live Oak verbessert werden?1199 Konnten und sollten alle JPICs in künftigen Rahmenübungen aktiviert werden, um so die praktische Arbeit entscheidend zu verbessern?1200 Die Diskussionen um die beste und wirkungsvollste P.I.-Arbeit wurde vor allem am Beispiel der »Probe«-Operation zu Lande auf der Autobahnstrecke Helmstedt–Berlin geführt,1201 weil es hier um jede Nuance gehen musste. Ein kleiner Fehler konnte den Erfolg der Operation gefährden. Auf eine Bitte von Live Oak1202 machte die Bonn Group einige Rahmenvorgaben für das richtige Kommunikationsverhalten der Verantwortlichen vor Ort: »A. Help maintain press initiative on the allied side. B. Avoid dramatisation. C. Avoid improvised comment on political aspects of current or planned operations. D. Emphasize the probe character of the operations.

Von Graf Vitzthum ist das sehr aufschlussreiche Briefing »Press Problems in a Berlin Situation« von 1972 überliefert: Es ist von einem Tonbandmitschnitt übertragen und unter BArch, BW 71/204, Nr. 1, in den Bestand eingegliedert worden. 1195 Live Oak Op.Instr. 1/76 sagt zu dieser Frage nichts. In BArch, BW 71/61, Nr. 1, der Vereinbarung mit SHAPE, SHLO 77/024/COS, 4.1.1977, wird in Para. 3.a von einem »Live Oak Public Information Coordinator« gesprochen, ohne weitere Angabe, wer diese Aufgabe erhalten hat oder erhalten sollte. Im LOPIGUIDE 1980, BArch, BW  71/62, Nr.  38, gibt es keine Aussage dazu, ebensowenig im letzten von 1985: BArch, BW 71/70, Nr. 38. 1196 BArch, BW 71/84, Nr. 38: Staff Directive 1‑3, SHLO O 89/520/OPS, 10.5.1989, Encl. 4. 1197 BArch, BW 71/51, Nr. 23: SHLO 74/01040, 20.9.1974, Encl. 1, Para. 1. 1198 BArch, BW 71/204, Nr. 1: »Press Problems in a Berlin Situation«, Anfang 1972, S. 3. 1199 Die späteren LOPIC, BOPIC, WAPIC also. 1200 BArch, BW 71/204, Nr. 1: Briefing, S. 3, letzter Abs. 1201 Ein gutes Beispiel siehe BArch, BW  71/94, Nr.  17: »Record of a Discussion on APIC«, SHLO 71/0537, 13.6.1972. 1202 SHLO 72/01057, 15.12.1972. Dieses Dokument ist nicht in BArch, BW 71, auf seinen Inhalt aber kann aufgrund der Antwort geschlossen werden. 1194



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E. At the same time avoid giving the impression that the allies are making only ritual moves, and would be diffident about pressing their cause in the face of opposition. F. Avoid giving any impression that the probes are committed to opening up the access routes – conversely if the probes return to Helmstedt, to be prepared to explain that this does not represent military defeat.«1203

Zu dem immer kritischen Problem, wie man sich gegenüber Fragen der Medien zu politischen Themen verhalten solle, gab die Bonn Group die klare Antwort, dass diese nur dann beantwortet werden dürften, wenn eine Weisung der Bonn Group eingegangen sei. Politische Fragen von gemeinsamem Interesse der Alliierten sollten an die Bonner Gruppe verwiesen werden.1204 Die militärischen Informations- und Pressezentren hingen also, genau wie die »Probes« selbst, vollständig von diplomatischen Weisungen ab,1205 was gewisse Vorkehrungen verlangte. Daher wurden »Checklists« vorgeschlagen, die die wahrscheinlichsten Szenarien abbilden und die erfolgversprechendsten Reaktionsmöglichkeiten vorbereiten sollten.1206 Diese wurden dann in Übungen erprobt, insbesondere auch mögliche Fragen von Pressevertretern und dazu vorgefertigte Standardantworten. Es war aber klar, dass diese Verfahren nur bedingt greifen würden, in vielen Fällen musste ereignisorientiert reagiert werden. Dafür waren flexible Regeln für die Freigabe von Informationen zu entwickeln und eine rasche Übermittlung angepasster Weisungen sicherzustellen.1207 Die in einer eigens angesetzten Konferenz von 1974 behandelten Themen zeigten die Breite und Tiefe der Diskussionen: die Verlegung des APIC näher zum Vorgeschobenen Gefechtsstand CINCBAOR, die Dreimächtebeteiligung im JPIC, die Arbeiten für die Erstellung eines speziellen »Annex P.I.« im USAFE OPlan 444, die Verbesserung der grundlegenden Richtlinien für TRIPIO, die Aufnahme der Medienlage in die SITREPs von Live Oak, die vorwegnehmende Behandlung von Presseanfragen, die mögliche Mitnahme von Medienvertretern bei »Probe«-Operationen, die Erarbeitung von SOPs für die Informationszentren sowie die Nutzung der von der Bonn Group für die Medienarbeit erlassenen konkreten Richtlinien für bestimmte Übungen. Bei zwei Themen lohnt ein tieferer Blick, zunächst hinsichtlich der Mitnahme von Medienvertretern bei »Probe«-Operationen zu Lande und in der Luft.1208 In der Übung »Long Straw« waren zahlreiche Forderungen dazu gestellt worden. Daher wurde eine Studie erarbeitet mit dem Ziel, die Faktoren zu untersuchen, welche eine solche Maßnahme beeinflussten, und realistische Richtlinien für die Auswahl der Journalisten, die dazu überhaupt in Frage kamen, zu entwerfen. Der entscheidende Punkt war die Beantwortung der Frage, ob es für die Alliierten von Vorteil sein würde, öffentlich die Aktionen der Gegenseite auch im Detail darzustellen. Denn es konnte sehr wohl der Fall BArch, BW 71/7, Nr. 14: FS Bonn 0534, SHLOIN 73/101, 12.1.1973, S. 2, Para. 4. Ebd., S. 1, Para. 2. 1205 BArch, BW  71/51, Nr.  23: Protokoll der P.I.-Konferenz Live Oak vom 10.9.1974: SHLO 74/01040, 20.9.1974, Encl. 1, Para. 1. Dabei wird »die Abwesenheit eines Vertreters [...] der Bonn Group« bedauernd festgehalten. 1206 BArch, BW 71/51, Nr. 23: Encl. 1, S. 3, Para. 3.b. 1207 BArch, BW 71/62, Nr. 38: LOPIGUIDE 1980, 80/21322/PID, 1.12.1980, Para. 5 »Execution«. Mit der »Charter« für TRIPIO ist deren Gründungsdokument gemeint. 1208 BArch, BW 71/51, Nr. 23: SHLO 74/01040, 20.9.1974, Encl. 1, S. 3, Para. 3.c und Annex A, »Press with Probes«. 1203 1204

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eintreten, dass die öffentliche Zurschaustellung einer solchen Aktion es der Sowjetunion bzw. der DDR schwerer machen würde, gegebenenfalls die Lage zu entspannen, ohne das Gesicht zu verlieren1209 – ein sehr wichtiger Aspekt. Die Involvierung von Presseleuten konnte Vorteile bringen, aber auch neue Gefahren. Für den Land- und für den Luftweg wurde diese Frage getrennt untersucht und die jeweils zu beachtenden Rahmenbedingungen behandelt. Für den Landweg wurden einige unabdingbare Voraussetzungen genannt. Der Hauptzweck der »Probe«, also das Testen und die Abklärung der gegnerischen Absichten, durfte durch die Anwesenheit der Pressevertreter »nicht umgedeutet«, also nicht etwa als publizistische oder soziale Aktion vermittelt werden. Für den Transport der Medienvertreter durften keine zusätzlichen Fahrzeuge eingesetzt werden. Besondere Fernmeldeverbindungen konnten für sie nicht eingerichtet werden. Jedoch konnten die militärischen Leitungen zum APIC von den Medienvertretern mit genutzt werden, vorausgesetzt, die militärischen Hauptaufgaben wurden dadurch nicht beeinträchtigt. Aus dem Kreis aller Interessierten durften nur zwei Vertreter dafür benannt werden. Diese mussten außerdem amerikanische, britische oder französische Staatsbürger sein. Bevor die Genehmigung zur Begleitung der Probe erteilt wurde, mussten die Beobachter zustimmen, dass sie allen Anordnungen des verantwortlichen P.I.-Offiziers der »Probe« Folge leisten würden. Dieser Offizier sollte für alle Tätigkeiten bzw. Bewegungen der Medienvertreter die Genehmigung des Führers der »Probe« einholen. Die Medienvertreter würden im Konvoi so behandelt und dokumentiert, als seien sie Mitglieder der »Probe«,1210 also nicht als zivile Pressevertreter. Für den Zugang in der Luft wurde darauf verwiesen, dass in den vergangenen 15 Jahren, also seit 1959, bereits in vielen Krisen Luft-»Probes« genutzt worden waren. In keinem dieser Fälle hatten Presseleute die »Probes« begleitet, und es war nicht gewünscht, dass sie das künftig taten. An dieser Entscheidung wurde auch später nicht gerüttelt.1211 Das zweite beachtenswerte Thema war der Versuch, die schwierige, aber möglicherweise entscheidende Öffentlichkeitsarbeit für Live Oak zu systematisieren, d.h. so vorzubereiten, dass diese Organisation in der Krise nach nur sehr kurzer Anlaufzeit wirkungsvoll arbeiten konnte. Voraussetzungen dafür waren eine eingespielte Organisation sowie gut ausgebildetes und in die Problematik eingewiesenes Personal. Insbesondere mussten Weisungen für die Behandlung der verschiedenen denkbaren Lagen und standardisierte Antworten vorbereitetet sowie allgemeine Verfahren entwickelt werden, mit denen überlegt und flexibel auf die Fragen der Medien eingegangen und die eigenen Ziele mit Aussicht auf Gehör glaubwürdig in die Medien gebracht werden konnten.1212 Kurz, es musste ein dynamisches Gerüst geschaffen werden, das genügend Hilfestellungen für die Verantwortlichen vor Ort gab, dabei aber stets Raum und Möglichkeiten für spontanes Reagieren bot. Diese Arbeiten würden auch die Ausbildung und Nutzung für Ebd., Encl. 1, Annex A, S. 1 f., Para. 3 und Para. 6. Ebd., S. 2 f., Para. 7.a‑7.f. 1211 BArch, BW 71/62, Nr. 38: LOPIGUIDE 1980, SHLO 80/21322, 1.12.1980, S. 19, Para. 3.a. Danach wird das aus rechtlichen Gründen abgelehnt, weil die sowjetischen Posten nur Militärpersonen dokumentierten; die Mitnahme von Zivilpersonen in militärischen Konvois sei regelwidrig und daher abzulehnen. Dies lässt auch die Mitnahme von Presseleuten bei Land-»Probes« rechtlich als bedenklich erscheinen. 1212 Ebd., LOPIGUIDE, Chapter 1, S. 6‑8, bes. Para. 3.c. 1209 1210



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die Öffentlichkeitsarbeit in den Live-Oak-Übungen erleichtern und verbessern.1213 Ein erster Schritt dazu war die Regelung der Zusammenarbeit mit der Public Information Division (PID) in SHAPE. Nach den durchaus positiven Erfahrungen darüber bei der CPX »Next Call« Anfang des Jahres 1975 schlug der COS, Generalmajor Crookenden, dem Chef des Stabes SHAPE, General Louis T. Seith, vor, das Verhältnis zwischen Live Oak und PID auf eine vernünftige Grundlage zu stellen1214 und damit die Teilnahme von kompetenten Presseoffizieren der PID nicht nur für den Ernstfall, sondern gerade bei den Übungen zu ermöglichen. Dieser Vorschlag fand Gehör, und Anfang des Jahres 1977 wurde eine Vereinbarung dazu geschlossen. Beide Seiten hatten gleichermaßen großes Interesse daran, denn in einer Spannungszeit konnten Ereignisse um den Zugang nach Berlin rasch auch Maßnahmen durch SACEUR erfordern.1215 Die Aufgaben von Live Oak und von SHAPE wurden im Detail definiert und beschrieben.1216 Live Oak hatte durch seinen »Public Information Coordinator« – damals wohl noch der GLNO, später ein Offizier des Operation Centre – ständige Verbindung mit PID zu halten und SHAPE bei Erklärung des Live-Oak-Spannungsfalles zu alarmieren.1217 SHAPE seinerseits verpflichtete sich, bei manifesten Krisen ein oder zwei Offiziere von PID zur Unterstützung von Live Oak zu stellen und Informationen auszutauschen. Diese Offiziere sollten auch SHAPE in der jährlichen P.I.-Konferenz vertreten. Bei Übungen sollte SHAPE einen P.I.-Offizier zum Leitungsstab abstellen, der die Lage für diesen Übungsbereich vorbereitete, die Einlagen erarbeitete und während der Übung als Pressedirektor im Leitungsstab wirkte. Nach der Übung sollte er die Auswertung vorbereiten und an der Übungskritik teilnehmen. Ein weiterer Offizier von PID sollte als Übungsteilnehmer die geforderte Expertise in der Öffentlichkeitsarbeit liefern.1218 Die Aufnahme der Öffentlichkeitsarbeit als wichtiger Teilaspekt aller Operationen fand Eingang in ein Dokument, das alle Operationspläne und unterstützenden Maßnahmen in sich vereinte, nämlich in der »Live Oak (Operations) Instruction Nr. 1/76«.1219 Darin wurde festgestellt, dass Unterstützung durch öffentliche Information ein wesentlicher Teil der Live-Oak-Operationen sei.1220 Die Weisungen für diese Arbeit sollten durch die alliierten Regierungen erlassen werden. Dafür wurden drei militärische Dienststellen eingerichtet: das Allied Press Information Center in Helmstedt, das Jackpine Information Center in Ramstein und das Tripartite Public Information Office in West-Berlin. Hinweise darauf in den Protokollen der jährlichen Konferenzen für P.I., z.B. im Protokoll vom 20.9.1974, BArch, BW 71/51, Nr. 23: SHLO 74/01040, bes. Para. 3‑6, sowie in den Übungskritiken, z.B. »Steadfast« 1981, BArch, BW 71/12, Nr. 24: GLNO JB 81, Tgb.Nr. 150/82 geh., hier in Teil III »L.O. Übungen«. 1214 BArch, BW 71/7, Nr. 38: Brief SHLO 75/0167, 10.2.1975; S. 2, Zit. ebd. 1215 BArch, BW 71/61, Nr. 1: »Agreement between SHAPE and Live Oak-Concerning Handling of Public Information of Mutual Interest«, 4.1.1977, SHLO 77/024/COS, S. 1, Para. 1.a. Anscheinend gab es 1983 eine überarbeitete Fassung, deren Ausfertigung, BArch, BW 71/96, Nr. 5, jedoch schlecht lesbar ist. 1216 BArch, BW 71/61, Nr. 1, S. 1 f., Para. 3‑4. 1217 Ebd., S. 2, Para. 3.b. 1218 Ebd., S. 4, Para. 4. 1219 BArch, BW 71/8, Nr. 10: Diese war die erste ihrer Art, das Wort »Operations« wurde erst bei der neuen Ausgabe von 1981 hinzugefügt: Nr 1/76 mit SHLO 76/0822/SEC, datiert mit 28.9.1976. 1220 Ebd., S. 14, Para. 10.a. 1213

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Eine allgemeine Weisung, »Public Information Guidance«,1221 gab einige Eckpunkte vor, die für jede Operation galten. Die Öffentlichkeitsarbeit musste als »an adjunct to the command function and an operational aspect« in allen alliierten Handlungen betrachtet werden. Insbesondere sollte sie »create a favourable image in world opinion in support of tripartite objectives«.1222 Immer deutlicher zeigte sich, wie wichtig in diesen Zeiten die Öffentlichkeitsarbeit geworden war. Im Jahre 1980 konnte die Struktur für die Öffentlichkeitsarbeit zugunsten von Live Oak durch die Herausgabe eines eigenen Handbuchs, dem Live Oak Public Information Guide (LOPIGUIDE),1223 vollendet werden. Darin waren alle Vorgängerdokumente und Weisungen einschließlich aller Operationspläne, mit Ausnahme der Maritimen Gegenmaßnahmen, zusammengefasst, gleichzeitig auch neue oder verbesserte Überlegungen eingearbeitet. Die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Organisation von Live Oak sollte ein günstiges Medienumfeld für die Politik der Drei Mächte schaffen, um Unterstützung für deren Operationen zu gewinnen.1224 Dieser immer wieder formulierte Grundauftrag blieb vage. Wovon sollte »ein günstiges Bild« geschaffen werden? Wodurch? Welche Ziele sollten erreicht werden? Welche Zielgruppen sollten angesprochen werden? Einige dieser Fragen wurden anschließend berührt, aber nicht wirklich beantwortet. Die Aufträge der einzelnen Informationszentren, LOPIC, TRIPIO, APIC und JPIC, hatte man schon früher konkretisiert, aber wohl nicht wirklich abgestimmt. So lautete zum Beispiel der Auftrag für TRIPIO: »to advise and act in accordance with the commandants’ instructions in all press matters related to Berlin operations to achieve sympathetic coverage from the press which will: a) Put the facts as they occur before the free world. b) Allay the tension in West-Berlin.«1225 Was das konkret hieß, blieb eher offen, wohl auch deshalb, weil viel von der aktuellen Situation im Ernstfall abhing. Der Auftrag des APIC in Helmstedt war ebenfalls nebulös, denn es sollte maximale Unterstützung durch öffentliche Information für die Operationen von Live Oak für den Zugang nach Berlin zu Lande geben. Im Falle der Air Ground Operations (AGO) sollten die Weisungen für die Aspekte der Luftunterstützung von JPIC gegeben werden. Die Angemessenheit der Drei-Mächte-Operationen sollte betont werden.1226 Die verschiedenen P.I.-Zentren hatten gemäß ihrer Position im Organisationsgeflecht grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben. Man schwankte zwischen Zurückhaltung und offensiver Gestaltung, hatte aber nicht wirklich belastbare Erfahrungen mit der Presse in einer Krise. Dem Betrachter bietet sich der Eindruck, dass die Planer sich die Zusammenarbeit mit den Medien wohl etwas einfacher vorstellten, als dies tatsächlich der Fall war. In diesem Zusammenhang erarbeitete man auch 14 Standardantworten auf Pressefragen im Ernstfall. Inwieweit dies dann tragen würde, ließ sich jedoch nicht vorher Ebd., die Überschrift von Annex O. Ebd., Annex O, Para. 1.a. 1223 BArch, BW 71/62, Nr. 38: »Public Information Guide«, SHLO 80/21322/PID, 1.12.1980, »Subject«, S. 1. 1224 Ebd., »Mission« des LOPIGUIDE 1980, Chapter 1, S. 6, Para. 2. 1225 Ebd., Chapter III, S. 11, Para. 2. 1226 Ebd., Chapter IV, S. 14, Para. 2. 1221 1222



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sagen, da die entsprechende Aufstellung eher schematischen Charakter trug und mehr den Effizienzkriterien militärischer Fernmeldeverbindungen als flexibler Medienarbeit entsprach. Indessen sind sie für die Grundhaltung und die Erwartungen der Verantwortlichen für eine Krise von hoher Bedeutung; sie bilden gewissermaßen die Meistererzählung von Live Oak ab. Hier seien drei Beispiele angeführt. Frage 1: »What is the reason for the sudden increase of military activity at Helmstedt?« Die Antwort lautete: »The Soviets are responsible for ensuring unimpeded Allied access to Berlin. As you know there have been incident which lead us to suppose that access is being denied by the East Germans/Soviets. It is for this reason the soldiers are here.«1227 Frage 14: »It is then the Allied intention to use force?«, und die vorformulierte Antwort: »No. Unless attacked, it is not the Allied intention to use force!«1228 Diese vorbereiteten Texte waren offensichtlich wohlüberlegt formuliert und durch die Bonn Group politisch-diplomatisch genehmigt worden. Einen guten Eindruck mag auch Frage 5 vermitteln: »It is understood that there is a lot of troop movement in the area of Wolfenbüttel, and there are reports of a American and French troops arriving there. How do you intend to use them?« Die Antwort: »You realise that there are contingency plans which we put into operation for these occasions. We can say no more than that for the moment.«1229 Die Antworten waren so gestaltet worden, dass sie auf den Fragesteller eingehen und dennoch nicht mehr offenlegen würden, als sie durften, um das taktische Vorgehen nicht zu gefährden. Im Falle komplexer politischer Fragen, denen nicht ausgewichen werden konnte, sollte auf die politische Führung verwiesen werden.1230 Alle Antworten sollten nur durch APIC und den Vorgeschobenen Gefechtsstand von BAOR auf drängend gestellte Fragen genutzt werden, nicht von allen anderen Dienststellen. In jedem Fall war vorher die Zustimmung von LOPIC einzuholen.1231 Das Presseinformationszentrum bei der Bonn Group, Live Oak Public Information Center, wurde 1978 erstmals erwähnt.1232 Im Schriftverkehr vorher waren Überlegungen dazu erkennbar gewesen, einen formalen Beschluss zur Einrichtung dieser Stelle gab es jedoch noch nicht, doch wurde es in den ersten LOPIGUIDE aufgenommen, wo auch eine Definition zu finden ist.1233 Es hatte eine Doppelaufgabe in einer Krise und in den jährlichen Live-Oak-Rahmenübungen wahrzunehmen. Einerseits sollte es der Bonn Group die Absichten des CLO zu den Fragen der Öffentlichkeitsarbeit in den Operationen und Übungen vermitteln und dessen Interessen vertreten, andererseits den Führern der verschiedenen Operationen und ihren Presseinformationszentren alle wichtigen Informationen zeitnah liefern, vor allem zu solchen Maßnahmen, welche die Bonn Group und die WAG anordneten.1234 LOPIC wurde dann bei der amerikanischen Botschaft in Ebd., Frage und Antwort 1 in Chapter VI, S. 19 f., Para. 5.a. Ebd., Frage und Antwort 14 in Chapter 14, S. 21, Para. 5.n. 1229 Ebd., Chapter VI, S. 20, Para. 5.e. 1230 Ebd., Chapter I, Para. 5 und Para. 6.c, sowie Chapter II, Para. 3.a. 1231 Dies geht aus dem allgemeinen Teil in ebd., Chapter I, S.  7, Para. 5, hervor. 1232 BArch, BW 71/9, Nr. 17: Im P.I. Memoire, SHLO 78/0983/EXD, 7.11.1978, App. 1, Para. 5.c, und App. 2. 1233 BArch, BW 71/62, Nr. 38: LOPIGUIDE von 1980, Chapter II, S. 9 f. 1234 Ebd., Chapter II, S. 9, Para. 2 »Mission« und Para. 3. »Responsibilities«. 1227 1228

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Bonn eingerichtet und nur durch Personal der Streitkräfte der Drei Mächte besetzt. Sein Leiter war von Live Oak zu stellen.1235 Schließlich entwickelten die Planer für den LOPIGUIDE auch ein Infopaket, »Press Kit« genannt. Es ging darum, den Vertretern der Medien in einer beginnenden Krise nach Freigabe geeignete Materialien in die Hand zu geben, welche die Geschichte des Problems, des »Allied Access to Berlin« und deren politischen Hintergrund ver­an­schaulichten.1236 In den folgenden Jahren wuchs das Interesse an der Öffentlichkeitsarbeit für Live Oak deutlich.1237 Ein Grund dafür mag die Repolitisierung des Ost-West-Konflikts im Rahmen der Diskussionen und Debatten um die Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen gewesen sein, die in diese Periode fiel1238 und das Bemühen um die Gewinnung der Öffentlichen Meinung verstärkte. Für die Rahmenübung »Steadfast V« 1981 wurde erstmals auch die Öffentlichkeitsarbeit zu einem Übungsschwerpunkt erklärt. Im folgenden Herbst wurde dann in der Übung »Dalmin« in größerem Umfang das Verhalten gegenüber der Presse im Einsatz einer Autobahn-»Probe« getestet. Dafür wurden alle P.I.-Offiziere des britischen I. Armeekorps zusammengezogen. Die Briten äußerten sogar den Wunsch, die Autobahnraststätte Helmstedt als Pressezentrum zu nutzen,1239 was allerdings noch nicht erfüllt werden konnte. Der LOPIGUIDE wurde schon wenige Jahre später, auch als Folge der Übungserfahrungen, komplett überarbeitet1240 mit dem Ziel, »die Voraussetzungen zu schaffen, um Live-Oak-Maßnahmen und -Operationen durch eine aktive, zielgerichtete und zeitgerechte Informationspolitik begleiten und unterstützen zu können«.1241 Damit hatte man den Schritt von reaktiver, defensiver zu aktiver, gestaltender Medienstrategie getan. Die Rahmenübungen der Jahre 1984 und 1985 nutzte man zur praktischen Überprüfung auch durch die diplomatisch-politischen Teilnehmer. Der neue und überarbeitete Guide für die Öffentlichkeitsarbeit sollte »eine gemeinsame Startlinie« für alle P.I.-Offiziere von Live Oak sein,1242 mit klaren und detaillierten Richtlinien für ihre Arbeit.1243 Diesen Anspruch erfüllte dieses Dokument dann erstmals wirklich. Neben der besseren Gliederung und der vollständigen Abdeckung aller Planungen findet man eine präzise, kontrollierte Sprache. Eindrucksvoll war in dieser Hinsicht das Kapitel »Basic Terms of Damals ein LTC USAF, was in diesem Fall hieß, von SHAPE, PID, da Live Oak dafür über kein eigenes Personal verfügte. 1236 BArch, BW 71/61, Nr. 18: SHLO 77/0751/GLNO, 14.9.1977, Para. 1 des Anschreibens. Dieses Press Kit ist Annex to SHLO 77/0761/GLNO, 16.9.1977; ebd., Vorlage an die Bonn Group zur Genehmigung. 1237 Erkennbar an den Studien, Konferenzen und Papieren dazu und an den Ergebnissen. Diese können nicht alle hier behandelt werden. 1238 Vgl. die Darstellung in Kap. IV.1 und IV.6 sowie die zahlreichen Publikationen dazu, z.B. Die Einhegung sowjetischer Macht, Teile II und III; ebenso Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 150‑181; auch Schmidt, Eine Strategie, S. 32‑34. 1239 BArch, BW  71/12, Nr.  24: GLNO, JB 1981 Tgb.Nr.  150/82 geh. vom 19.3.1982, Teil  III, Ziff. 2.b. 1240 BArch, BW 71/70, Nr. 38: P.I. Guide, 9.12.1985, SHLO O 85/1427. 1241 BArch, BW 71/20, Nr. 31: Bericht GLNO, Tgb.Nr. 12/86 geh. vom 6.1.1986, Zit. S. 1. 1242 BArch, BW 71/70, Nr. 38: Begleitschreiben COS, Generalmajor Miller, Para. 1. 1243 BArch, BW 71/20, Nr. 31: Bericht GLNO, Tgb.Nr. 12/86 geh. vom 6.1.1986, S. 1. 1235



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Public Information«,1244 das diese Begriffe eindeutig definierte und zuordnete. Als wichtigste Änderungen fallen die nun breite Darstellung aller Pläne der Luftstreitkräfte auf, die Aufnahme der bis dato fehlenden Seeoperationen und die Vorbereitung von Frageund Antwortlisten für alle Bereiche. Dabei wurde versucht, »die Verbindung zwischen einer etwaigen Behinderung der alliierten Zugangsrechte und Live-Oak-Maßnahmen« auch auf hoher See für die Medien deutlich zu machen.1245 Gerade diese Aufgabe war im Vorgängerdokument zu kurz gekommen. Neu war auch, dass die Deutschen in der Formulierung des Guide früh einbezogen wurden. Dadurch gelang es, die besonders in den Einführungskapiteln benutzte Sprache zu entrümpeln, d.h. die »noch vom Besatzungsdenken geprägte Sprache« zu modernisieren. Die Aufgabe für LOPIC wurde zudem erweitert, sodass es nicht mehr nur »als Vollstreckungsorgan und Verteilerstelle für Weisungen der WAG und der Bonn Group« handeln sollte, sondern auch »auf der Basis einer Lagebeurteilung Vorschläge für die Pressearbeit« ausarbeiten und vorlegen durfte und damit »zu einem Beratungsorgan für die verantwortlichen politischen Stellen« werden konnte.1246 Ob dieser letzte Aspekt dann wirklich realisiert wurde, ist zu bezweifeln. Die Organisation war seit 1982 kräftig erweitert worden. LOPIC hatte einen neuen Auftrag erhalten. Ferner schuf man weitere Presseinformationszentren:1247 WAPIC, eingerichtet bei der WAG, hatte »die Vorstellungen des CLO zu allen Aspekten der Öffentlichkeitsarbeit für die Operationen und Übungen von Live Oak zu vertreten« und um »rechtzeitige politische Weisungen dafür nachzusuchen«. Es sollte gleichzeitig enge Verbindung zum Marinekomitee halten, »um die Öffentlichkeitsarbeit zwischen Live Oak und der Marineseite zu koordinieren«.1248 BOPIC wurde neu bei der Bonn Group eingerichtet und übernahm die Aufgaben des bisherigen LOPIC. Es hatte also ähnliche Aufgaben wie das WAPIC, angepasst an die grundlegenden Befugnisse der Gruppe. Dies beinhaltete vor allem die Erteilung von Weisungen an alle PICs gemäß den Beschlüssen der Bonn Group. LOPIC mutierte zum PIC für die Live-Oak-Führung in Casteau und erhielt erweiterte Aufgaben: Beratung des CLO in allen P.I.-Fragen, Erbitten von Weisungen, Verteilen von Weisungen und freizugebenden Informationen, Erarbeiten von Vorschlägen in Koordination mit WAG und Bonn Group, auch zur Aktivierung von PICs. SENPIC schließlich war in Sennelager zur Unterstützung des CINCBAOR vorgesehen, um die Öffentlichkeitsarbeit in der Phase der Versammlung der TBG am Ort des Geschehens zu leisten.1249 Somit hatte man ein Netz an Presseinformationsstellen an den wichtigsten Entscheidungszentren etabliert. Die PICs waren aber allesamt nicht ständig einsatzbereit. Sie konnten erst nach der Entscheidung zur Aktivierung am Ort der Dienststelle, mit der sie zusammenarbeiten sollten, eingerichtet werden. Diese musste also vorbereitet sein. Das BArch, BW 71/70, Nr. 38: Part I, Annex zu Chapter 3 des Live Oak Guide 1985, S. 1-3-A-1 bis 3. BArch, BW 71/20, Nr. 31: Bericht GLNO, Tgb.Nr. 12/86 vom 6.1.1986, S. 2, Ziff. 3., Zit. ebd. 1246 Ebd., Ziff. 4, Zit. ebd. 1247 BArch, BW 71/14, Nr. 31: neu alle in LOPIGUIDE 1985, in den Plänen aber bereits seit 1983, gem. GLNO JB 83, Tgb.Nr. 120/83 geh., S. 34. 1248 BArch, BW 71/70, Nr. 38: LOPIGUIDE 85, Part I, Chapter 3, Section 2, Para. 1.c und 1.d. 1249 BArch, BW  71/70, Nr.  38: Siehe den wesentlich überarbeiteten und auch durch Amendments ergänzten LOPIGUIDE, 9.12.1985, SHLO O 85/1427, Part I, Chapter 3. 1244 1245

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Personal war, teilweise über große Entfernungen, zuzuführen. Das Führungspersonal wurde überwiegend von SHAPE PID gestellt, im Falle des BOPIC allerdings vom Verteidigungsministerium in Bonn. Im P.I. Guide von 1985 ist ein bezeichnender Begriff zu finden: »The P.I.Weapon«.1250 Die alliierten Bemühungen, die Öffentlichkeit genau zu informieren, um so eine günstige öffentliche Meinung gegenüber Live-Oak-Aktionen zu gewährleisten, seien von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der alliierten Maßnahmen zur Lösung der Krise. Damit kam sinnfällig zum Ausdruck, dass das NATO-Krisenmanagement das ganze militärische und zivile Instrumentarium bereitstellen musste. Nichts anderes verkörperte übrigens auch die »NATO-Feuerwehr«, die Allied Mobile Force (AMF).1251 Damit war stets der Kerngedanke der NATO-Strategie verbunden: militärische Abschreckung mit dem Ziel, einen Krieg zu verhindern, am besten durch frühzeitige Maßnahmen im unteren Eskalationsspektrum – eine Kernaufgabe, die, wenn auch unter geänderten Rahmenbedingungen, bis heute zu den wichtigsten Elementen der NATO-Strategie gehört. Im Idealfall, so hoffte man, würde man eine Krise ohne größere Konfrontation oder gar ohne Aufmarsch beenden: »Indeed, public information will probably be the first, and hopefully the only, military ›weapon‹ used to restore full Allied access rights«. In diesem Kampf um öffentliches Verständnis und um Unterstützung sollte Live Oak durch seine Öffentlichkeitsarbeit Beiträge leisten. Dadurch sollte nicht zuletzt den befürchteten Fehlinformationen seitens der Sowjetunion und der DDR begegnet werden. Entscheidend war, dass die alliierte Entschlossenheit und die Befähigung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, den Zugang nach Berlin ggf. wiederherzustellen und die Freiheit WestBerlins zu verteidigen, klar und deutlich zum Ausdruck kamen.1252 »Live Oak P.I. is a command function« – dies bedeutete auch, dass der P.I.-Offizier auf allen Führungsebenen am Führungsvorgang mitwirkte und über alle Informationen verfügen konnte. Er musste am Tisch der Planer und der Führer sitzen,1253 wurde also in seiner Bedeutung aufgewertet. Schließlich wurde noch ein anderer wesentlicher Gesichtspunkt eingebracht, der von Anfang an für ein erfolgreiches Wirken von Live Oak bedeutsam war: die politisch-diplomatische Kommunikation auf hoher Ebene.1254 Damit war die entscheidende Kontaktzone zwischen verbündeten und gegnerischen Regierungsstellen und Ämtern gemeint. Offensichtlich hegte man bei Live Oak die auch von manchen Diplomaten geteilte Befürchtung, dass Politiker und Diplomaten in hochrangigen Gesprächen mit Vertretern des Gegners unvorsichtig plaudern, also Geheimnisse preisgeben konnten.1255 Insgesamt zog man bei Live Oak ein Resümee, das eigentlich bis heute gilt: »An effective P.I. programme, working in concert with diplomatic and military steps, will ultimately play an important role in achieving a peaceful and satisfactory resolution to the crisis«.1256 General Alexander Haig, der CLO in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, Para. 2.e »Live Oak Operations«, S. 1-1-4. Vgl. hierzu Lemke, Die Allied Mobile Force, Kap. IV, v.a. S. 197‑301. 1252 BArch, BW 71/70, Nr. 38, S. 1-1-4, Para. 2.e(1) des Guide. 1253 Ebd., S. 1-1-4/5, Para. 2.e(2) des Guide, Zit. ebd. 1254 Ebd., S. 1-1-5, Para. 3. 1255 Ebd., Chapter 1, S. 1-1-5, Para. 3. 1256 Ebd., Para. 2.e(1). 1250 1251



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formulierte diese Erkenntnis so: »Crisis Management now demands ability to handle Public Information at every level. This can be more important than the operation itself in the end results«.1257 d) Ausbildung und Übungen Auch für Live Oak galt, dass zuerst die Führungsorganisation zumindest im Grundsatz aufgebaut werden musste, um die vorgesehenen Einrichtungen und Truppen im Zusammenwirken schulen und auf ihre jeweiligen Aufgaben vorbereiten zu können.1258 Der zu erreichende Ausbildungsstand war durch die »NATO Force Standards« des SACEUR vorgegeben. Die Ergebnisse dieser Ausbildung wurden zuerst national und dann in Stichproben durch Teams der NATO überprüft. Seit 1971 gab es die Euro-NATO-Training-Group (ENTG), die die multinationale Ausbildung im Bündnis koordinieren und unterstützen sollte.1259 Die gemeinsame Ausbildung von Führung und Truppe in allen ihren Teilen geschah vorzugsweise in Übungen.1260 Ein alter militärischer Grundsatz lautet: Was nicht geübt worden ist, wird auch nicht gelingen, also nicht erfolgreich auszuführen sein. Ein anderer Lehrsatz verstärkt das noch: »Gute Ausbildung spart Blut.«1261 Jüngst brachte das ein Feldwebel auf den Punkt: »Soldaten sind dazu da, in gefährlichen Situationen zu bestehen. Aber um zu überleben, sollten wir entsprechend ausgebildet [...] sein.«1262 Ganz besonders gilt derlei in kritischen Lagen, deren Scheitern gefährliche, vielleicht gar katastrophale Folgen erwarten lässt.1263 Diese Erkenntnis war auch für Live Oak wichtig. Für die Kräfte der Drei Mächte, die Operationspläne von Live Oak auszuführen hatten, galten besondere Bedingungen, die für die prägende militärische Organisationsform des 20. Jahrhunderts, die Massenheere, eigentlich nicht typisch war. Das Eigentümliche an Live Oak waren die permanente, enge Zusammenarbeit ziviler und militärischer Dienststellen, die strikte politische Kontrolle aller Optionen, Operationen und Maßnahmen, oft selbst in Details, die durch politische Voraussetzungen und definierte Einsatzregeln, die Rules of Engagement, festgelegt wurden. Die ROE waren fester und bedeutsamer Bestandteil der Operationspläne. BArch, BW 71/54, Nr. 12: Msg SHLO 78/0509/OPS, 29.6.1978, Para. 3. BArch, BHD 1/799: In der Führungsvorschrift des Heeres, der HDv  100/1 »Truppenführung« von 1962, wird »Ausbildung« nicht einmal erwähnt. In der HDv  100/100 von 2007 (BArch, BW 1/561879) wird in Nr. 3021 immerhin die Verantwortung des Führers für »gründliche Ausbildung« an erster Stelle genannt. Eine Führungsvorschrift für die Landkriegführung der NATO gab es wohl erst in den späten siebziger Jahren, BArch, BWD 5/2106, ATP-35, »NATO Land Forces Tactical Doctrine« von 1978, 2nd Change 1988. Für die Luftstreitkräfte gilt BArch, BWD 5/1511, ATP-33, »NATO Tactical Air Doctrine« von 1976. Auch hierin wird die Ausbildung einfach vorausgesetzt. 1259 Vgl. Das Atlantische Bündnis, 1982, S. 273. 1260 Vgl. Das Atlantische Bündnis, 1978, S. 258. 1261 So sprach in meiner Erinnerung der Ausbilder im Sommer 1956 in Bremen, Stabsunteroffizier Heinz Getzlaff, zu seinen Rekruten. 1262 Die Bundeswehr in Afghanistan: Jenseits der Schmerzgrenze, FAS vom 18.7.2010, S. 4. 1263 Beispiele hierfür sind einmal der gescheiterte Versuch zur Befreiung der amerikanischen Geiseln im Iran im Jahre 1980, positiv die Aktion der Grenzschutzabteilung GSG 9 zur Erstürmung der Lufthansamaschine »Landshut« und Befreiung der Geiseln in Mogadischu 1977. 1257 1258

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Eigenständige Initiative, die in militärischen Operationen im Allgemeinen nötig und erwünscht ist, war hier grundsätzlich erst einmal fehl am Platz. Es gab in der Regel auch keinen Raum für »Führen mit Auftrag«1264 mit einer gewissen Gestaltungsfreiheit. Kategorisch ausschließen konnte man diese Fähigkeiten aber auch nicht, da die ROE keineswegs Anweisungen für alle Eventualitäten boten. Diese Unsicherheiten und die militärischen Vorgaben bildeten einen permanenten Widerspruch. Der Einsatzraum war oft in engen geografischen Grenzen vorgegeben, z.B. beschränkt auf die Autobahn und ihre Ränder1265 oder auf die Eingänge der Luftkorridore.1266 Die hohen Anforderungen an die Sicherheit und Geheimhaltung wirkten ebenfalls belastend.1267 Diese Vorgaben widersprachen den Grundsätzen moderner militärischer Führung; sie wurden daher von manchem soldatischen Führer unter dem Ausdruck völliger Ungläubigkeit (»expressing utter incredulity«) rezipiert,1268 zunächst nicht verstanden und manchmal vehement abgelehnt.1269 In der Vorbereitung der Übungen, in der Durchführungsphase und in der Nachbereitung mussten die Vorgaben berücksichtigt werden. Das Verständnis der Teilnehmer, besonders der Führer, musste dafür gewonnen werden, die Berufung auf Befehl und Gehorsam reichte nicht. Wo das nicht möglich zu sein schien, musste ein Personalwechsel für Abhilfe sorgen.1270 Dieser wurde dann national und äußerst diskret erledigt. Es konnte im Bereich Live Oak nicht darum gehen, Grundkenntnisse und -fähigkeiten zu vermitteln, sondern es war höhere militärische Führung zu erlernen, also eine sehr fortgeschrittene Stufe zu erreichen. Krisenmanagement war und ist ein sehr schwieriges und heikles Instrument.1271 Schon bei der Auswahl des Personals, vor allem natürlich der Führer, war auf besondere Anforderungen zu achten. Es war zwar allgemein bereits gut ausgebildet, musste nun aber mit den speziellen Erfordernissen bei Live Oak vertraut gemacht werden. Der Einzelne und die kleine Gruppe wurden an ihrem Platz, den sie im Einsatz einnehmen sollten – im LKW, im Schützenpanzer im Konvoi, am Schreibtisch oder Definition: »oberstes Führungsprinzip deutscher Landstreitkräfte. Es gewährt dem nachgeordneten Führer Handlungsfreiheit in der Durchführung«, aus BArch, BW 1/561879: HDv 100/100, Bonn 2007, Nr. 2002, Zit. ebd. Er entspricht dem NATO-Begriff »Mission Command«, gem. Fußnote in dieser HDv, aus Allied Joint Doctrine for Land Operations (AJP), Draft, Chapter 6, Section II. 1265 BArch, BW 71/132, Nr. 1A: LoI ECLO 600/4, LO-TS-59-1010, 10.7.1959, Incl. S. 2, Para. 2.b, Zit. ebd. 1266 BArch, BW 71/117, Nr. 59: BQD-M-8, »Status of Quadripartite Planning on Air Access«, LO(IN)TS-61-2123, 13.10.1961, Incl. S. 2, Para. 3.a(5). 1267 Ein gutes Beispiel ist die Operation »Trade Wind«, siehe hierzu BArch, BW 71/117, Nr. 21: SHLO 525/55, 11.9.1961, LO-TS-61-186. Siehe auch die Darstellung in Kap. IV.4. 1268 BArch, BW 71/92, Nr. 40: Die Erinnerungen des LTC Brewis, COS 1/2 20.11.1990, S. 7, Zit. ebd. 1269 Ein frühes Beispiel: Die Diskussionen um More Elaborate Military Measures in den Jahren 1959/60, siehe die Darstellung in Kap. IV.3. Vgl. auch die Stellungnahme von Col. Ruault zur Kürzung des Übungskalenders, BArch, BW  71/91, Nr.  31: SHLO O 90/604, 28.6.1990, bes. Para. 5. 1270 Das konnte im Extremfall auch Maßregelung oder Versetzung heißen; der Verfasser hatte in den siebziger Jahren von einem hartnäckigen Fall Kenntnis erhalten. 1271 BArch, BW 71/124, Nr. 9: Memo LO(IN)-TS-60-2083, 7.11.1960, Encl. 1, Para. 5. Vgl. ebd. die Diskussion zwischen Mountbatten und Norstad am 4.11.1960, hier allerdings auf eine spezielle Operation, nämlich »Trade Wind«, bezogen, gem. Memo LO(IN)-TS-60-2083, 7.11.1960, und Encl. 1: LO(IN)-TS-60-2084, hier Para. 4 und 5, ebd. 1264



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Funkgerät, als Militärpolizist im Zug nach Berlin oder als Besatzungsmitglied eines im Korridor fliegenden Flugzeugs – gezielt in ihre Pflichten eingewiesen und durch kleine Aufgaben gefordert, wenn notwendig auch durch Drill. Für anspruchsvollere Tätigkeiten wurden Lehrgänge angeboten, national oder bei der NATO. Für Offiziere oder Diplomaten ohne NATO-, Europa- oder gar Deutschlanderfahrung konnte der Grundlehrgang der NATO SHAPE School in Oberammergau1272 oder auch der Besuch des anspruchsvolleren NATO Defence College in Rom eine wichtige allgemeine Einführung bringen. Gezielte Lehrgänge, auch zur Verbesserung der Sprachfähigkeit, mindestens des Englischen, möglichst auch des Französischen, ergänzten die Vorbereitung ebenso wie Kommandierungen zu anderen Dienststellen innerhalb der Organisation zwecks Einweisung, beispielsweise zum ASB. Als ein Beispiel dafür sei auch auf die Einweisung der britischen militärischen Besatzung der Lokomotive für die Rail-»Probe« durch die Bundesbahn hingewiesen.1273 Wenn das Personal sorgfältig ausgewählt worden war, genügte diese Weiterbildung in der Regel. Für die Arbeit war es ausgesprochen vorteilhaft, dass doch stets einige Mitglieder des Stabes längere Zeitabschnitte in Berlin als Teil der Garnisonen oder der politisch-militärischen Verwaltung dort verbracht hatten und einige auch im ASB oder in den Militärmissionen Dienst getan hatten. Anfang der siebziger Jahre traf das zum Beispiel auf Generalmajor Crookenden zu, den früheren Chef der britischen Militärmission beim sowjetischen Oberbefehlshaber in der DDR (­BRIXMIS), oder auf Capitaine Fourcade in der französischen Garnison in Berlin. Der deutsche Korvettenkapitän Basche war geborener Berliner, also ein kundiger Einheimischer. Dienstliche und private Reisen durch die DDR auf den für die Alliierten zugelassenen Wegen verbesserten die Kenntnis über die Problematik und erhöhten die Sensibilität. Piloten der Transportfliegerkräfte der Drei Mächte wurden für Routineflüge eingesetzt oder sollten mitfliegend ihre Kenntnisse über die Flugbedingungen in den Korridoren und in der Berlin Control Zone auffrischen. Eine spezielle Ausbildungsstätte für Live Oak wurde nicht eingerichtet und war auch nicht geplant. Die spezifische Weiterbildung fand vor allem in den gemeinsamen Übungen statt. »Exercise: A military manoeuvre or simulated wartime operation involving planning, preparation, and execution. It is carried out for the purpose of training and evaluation.«1274 Im Falle von Live Oak musste diese Begriffsbestimmung auf zivil-militärische Manöver erweitert werden. Die Hohe Schule der Krisenbehandlung sollte durch die besonderen Übungen für Live Oak erreicht werden, zu denen vor allem auch »Stabsübungen (Rahmenübungen)« zählten.1275 Indes gab es keinen formalen Ausbildungsbefehl oder Übungsplan, sondern für viele Jahre nur Übersichten über geplante und/ Der Name wechselte gelegentlich; seit 1967 in Oberammergau im Allgäu untergebracht, der Standort und die Schule wurden kurz »O-Gau« genannt. 1273 BArch, BW 71/93, Nr. 22: »Training of British Military Operating Train Crew«, SHLO 400/1, 4.2.1965. 1274 BArch, BWD 5/1424: leicht gekürzte Definition nach »NATO Glossary« AAP-6 (K) 1972, S. 2‑78. 1275 Dieser Begriff ist definiert als »Übung, an der der Führer eines Truppenteils, sein Stab und die Fernmeldeorgane, die für Verbindung innerhalb des eigenen Stabes sowie zu anderen Stäben sorgen, beteiligt sind.« Die englische Entsprechung lautet: Command Post Exercise (CPX). BArch, BWD 5/1416: NATO-Glossar (deutsche Fassung) AAP-6, September 1964, BMVg Fü B IV 2, S. 89; vgl. auch AAP-6(K) 1972, S. 2‑49. BWD-5/1424. 1272

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oder ausgeführte Übungen, wie aus den Jahresberichten des GLNO hervorgeht (teilweise mit Bewertungen der einzelnen Übungen). Solange Live Oak nur ein Planungsstab war, hatte man auch eigentlich keine Befugnisse zur Anordnung,1276 außer sehr begrenzt im Rahmen der allgemeinen Koordinierung1277 und der QPPMM.1278 Die Vorbereitung auf den Einsatz durch Übungen blieb daher vor allem den nationalen Befehlshabern vorbehalten. Das änderte sich mit der Verschärfung der zweiten Berlin-Krise im Sommer 1961. Live Oak wurde zum operativen Stab. Es gab nun in der ersten Dienstanweisung für Live Oak die Aufgabe, die Spezialausbildung zu koordinieren und zu unterstützen1279 und dadurch erstmals die Befugnis, darauf wirklich Einfluss zu nehmen. Wann die ersten LiveOak-Übungen tatsächlich stattfanden, ist nicht klar. Es hatte Diskussionen gegeben, ob die verlangte strikte Geheimhaltung Übungen überhaupt erlaube.1280 Die militärischen Oberbefehlshaber, auch Norstad selbst, waren der Auffassung gewesen, dass Operationen von Live Oak wegen der strengen politischen Kontrolle verstärkt geübt werden mussten.1281 So sollten auf Vorschlag des CINCBAOR die Road Probes und das TBG in einer gemeinsamen Übung noch im Herbst 1960 ausgebildet und für den Einsatz vorbereitet werden. Wegen des Einspruchs des britischen CHOD musste diese allerdings auf das kommende Jahr verschoben werden. Sie wurde dann in einer Art Plan- und Versuchsübung1282 in zwei Phasen im Januar 1961 durchgeführt und brachte wertvolle Ergebnisse für das weitere Vorgehen.1283 Diese war wohl die allererste, wenn auch noch recht beschränkte Übung von Live Oak. Im Spätsommer 1961 wurde die Ausbildung der »Probes« und des TBG wieder ein wichtiges Thema. Die Sicherheitsprobleme wurden gelöst,1284 und es scheint, dass noch im September die erste Übung, mindestens des TBG, unter Leitung des CINCBAOR durchgeführt wurde und die zweite dann im April 1962. Ab dann folgte offenbar jährlich eine solche Übung.1285 Die erste wirklich dokumentierte Übung der Drei Mächte BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, Para. 1; und die Darstellung in Kap. III.3. Ebd., Para. 13.c. 1278 Ebd., Para. 1.b; und die detaillierte Darstellung in Kap. IV.2. 1279 BArch, BW 71/118, Nr. 4: ToR, SHLO 600/127, 9.4.1962, LO-TS-62-37, S. 2, Para. 4.g. 1280 Siehe den Einwand des CHOD, UK, zu der von Norstad vorgeschlagenen Ausbildung und Übung des TBG, um Vorbereitungszeit zu sparen: BArch, BW 71/124, Nr. 9: Memo »Meeting between SACEUR and Admiral Mountbatten«, LO(IN)-TS-60-2084, 7.11.1960, S. 2, Para. 4. Diese Problematik wird auch im Erfahrungsbericht des COS an die Bonn Group über die Luftübung »Bold Stand« geschildert, BArch, BW 71/55, Nr. 26: SHLO 200/030, LO-S-70-168, 11.8.1970, Encl. S. 3, Para. 3.h. 1281 Es gibt in der Überlieferung kein zusammenfassendes Dokument zur Ausbildung und für Übungen. Für den Bereich der Landstreitkräfte siehe die Diskussion um den Zeitbedarf der Vorbereitung der Road Probe und des TBG, bes. BArch, BW 71/132, Nr. 12: ECLO 600/72, 7.10.1960, LO-TS-60-172; und BArch, BW 71/119, Nr. 6, SHLO 400/1, 2.2.1963, Encl. to SHLO 900/3, 2.2.1963, LO-TS-63-13, S. 4, Para. 1.b. Für die Luftwaffen siehe z.B. BArch, BW 71/49, Nr. 4: ToR für den LO-Verbindungsoffizier bei USAFE, OCC, 18.4.1968, LO(IN)-S-68-3031, Para. 5. 1282 Engl. »Study Period« genannt, auch »Cloth Model Exercise«, BArch, BW  71/8, Nr.  8: SHLO 75/0801 S, 23.6.1975, Encl. 3, Para. 4.a. 1283 BArch, BW  71/117, Nr.  32: Bericht des CINCBAOR DO/B 1161/5/1 G (Ops and Plans), 3.2.1961, LO-TS-61-2010. 1284 BArch, BW 71/117, Nr. 21: SHLO 525/55, 11.9.1961, LO-TS 61-186. 1285 BArch, BW 71/8, Nr. 8: SHLO 75/0801, 23.6.1975, Encl. 5, Para. 4.b. 1276 1277



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für den Luftzugang war vermutlich die Luftwaffenübung »Quick Sand« im Spätsommer ­ INCUSAFE ver1962.1286 Gegenstand war der Operationsplan »Jackpine«, der von C antwortet wurde, welcher die Übung auch leitete. Beobachter von Live Oak waren anwesend. Die Störmanöver gegen den Luftzugang im ersten Quartal des Jahres hatten die Durchführung der Übung wohl befördert, der zweite Teil wurde wegen der beginnenden Kuba-Krise ausgesetzt.1287 Für das politisch-diplomatische Führungspersonal des Krisenmanagements um Berlin waren zwei »Studien-Seminare« angesetzt worden; das erste als »Planspiel« im November 1961 in Camp David, wobei Generalmajor Johannes Steinhoff, der DMV, die Aufgabe erhalten hatte, »als Führer der Militärkräfte des WP die Abschnürung Berlins einzuleiten und durchzuführen«.1288 Das zweite Planspiel fand ein Jahr später als »Study Period« in der Zeit 23. bis 25. November 1962 wiederum in Camp David statt,1289 nach dem Abklingen der Kuba-Krise. Das war die erste Gelegenheit zur intensiven gemeinsamen Vorbereitung auf eine damals bald erwartete nächste Berlin-Krise.1290 Zu beiden Seminaren waren übrigens weder General Norstad noch Live Oak eingeladen worden. Wohl erst im Juni 1963 schlug die Bonn Group auf Anregung von Live Oak vor, eine Rahmenübung, also ein Live-Oak-CPX, anzusetzen,1291 und zwar am besten noch im gleichen Jahr. Die verschiedenen krisenhaften Entwicklungen auf den Zugangswegen im vergangenen Herbst und im Frühjahr mögen diesen Vorstoß beeinflusst haben. Mitte der sechziger Jahre entwickelte sich dann ein regelmäßiges, jährliches Übungsprogramm. Übungen waren als notwendig anerkannt worden und bekamen jetzt einen festen Rhythmus.1292 Live Oak koordinierte den Übungskalender,1293 was oftmals ein schwieriges Unterfangen war,1294 wegen der von den Vier Mächten politisch erwarteten Priorität aber fast immer erfolgreich bewerkstelligt werden konnte.1295 Vor allem für große Rahmenübungen mussten der politisch-diplomatische Teil, die WAG und die Bonn Group, sowie die Außenministerien und ihre Vertretungen im Ausland integriert »Quick Sand I«, 3.9.‑7.9.1962, PA AA, B 130/3.586: AA 301-81-08-0/287/62 (AB) str.geh. vom 29.8.1962. 1287 BArch, BW  71/125, Nr.  28: Stellungnahme COS Gen. Baker vor der Military Subgroup am 27.11.1962 in Washington, BQD-M-26; I-26182/62, S. 6. 1288 Siehe Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel, S. 91, Zit. ebd. 1289 Das »Politico-military Game« wird behandelt in BArch, BW 71/58, Nr. 23: Nr. 195/FRALO/S, 25.3.1963, LO-S-63-1039. Zum Inhalt des »Game« siehe den Annex, dort die französische Stellungnahme. Zur Vorgeschichte auch BArch, BW  71/125, Nr.  1: BQD-M-34, I-26082/62, 69 USLO-TS-62-60158, 2.10.1962, S. 2. Bei Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel, wird dieses Seminar nicht erwähnt. 1290 Siehe z.B. Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 245‑258; besonders auch Greiner, Die KubaKrise, S. 55 und S. 60. 1291 PA AA, B 130/3.586: Msg Bonn Group/AMEMB/Bonn Nr. 4948, DTG 291445Z JUN; SHLO 9-0039 TS, als Referenz genannt, war der Anstoß; es ist nicht in BArch, BW 71, enthalten. 1292 Siehe die regelmäßige Berichterstattung des GLNO in den Jahresberichten, z.B. BArch, BW 71/12, Nr. 24: JB 1981, Tgb.Nr. 150/82 geh. vom 19.3.1982, Teil III »Übungen«. 1293 Erstmals erkennbar und überliefert mit BArch, BW 71/16, Nr. 89: GLNO-Bericht Nr. 32, Tgb. Nr. 487/84 geh. vom 30.9.1967, Anlage 29. 1294 Nationale Vorhaben, begrenzte Kapazitäten der Übungsplätze, der Übungskalender der NATO usw. Die Kosten waren bei Live Oak noch kein begrenzender Faktor. 1295 Einen guten Einblick in die Problematik gibt die Nutzung des Flugplatzes Faßberg für die TBGÜbung, BArch, BW 71/52, Nr. 6: »Memo for General Haig«, SHLO 75/0216, 24.2.1975. 1286

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werden. In gewissem Umfang galt das auch für die anderen Übungen, da fast immer politische Erwägungen eine wesentliche Rolle spielten. Das wichtigste dauerhafte Ausbildungsvorhaben war die große, jährliche Rahmen­ übung,1296 die mit der Reihe »Falling Leaves I« im Jahre 1964 begonnen haben dürfte.1297 In dieser Übungsserie wurden möglichst viele Optionen zu Lande, in der Luft und auf See anhand einer vorgegebenen Ausgangslage und weiterer Lageentwicklungen politisch entschieden, militärisch beratend unterstützt und dann durchgespielt. Dabei musste die politische Kontrolle als zentrales Element stets prominent mitgeübt werden. Wichtigstes Ziel dieser Übung war es, alle politischen und militärischen Dienststellen einzubeziehen, die in der Krisenbeherrschung wichtige Aufgaben zu erfüllen hatten. Dadurch sollten sie in den Dialog um die je nach Art der Krise wirkungsvollsten und maßvollsten Optionen und ihre Nutzung eingebunden werden und eigene Erfahrungen sammeln.1298 Der jährliche Übungskalender sah die Ausbildung durch Übungen aller relevanten Teile und Optionen vor.1299 Die unterste Ebene bildeten Stabsübungen für Live Oak allein, vor allem Alarm- und Fernmeldeübungen. Diese waren natürlich meist nicht in der Rahmenplanung aufgeführt, da sie überraschend angesetzt werden sollten.1300 Die Fernmeldeübungen mit dem Codenamen »Passing Through« wurden mindestens zweimal jährlich angesetzt.1301 Für den Landzugang gab es vier unterschiedliche Übungen; zuerst die für die Autobahn-»Probe« von Helmstedt aus, die allgemein als PROBEX bezeichnet wurde und zusätzlich einen wechselnden Codenamen erhielt. Sie wurde, wie im Operationsplan vorgesehen, in zwei, später in drei Phasen durchgeführt: Versammlung und Zusammenführung der Teile, dann die gemeinsame Ausbildung mit einer Volltruppenübung auf oder entlang einer geeigneten Straße im Raum Wolfenbüttel, wo das ausführende britische Aufklärungsregiment stationiert war, nur gut 40 km westlich Helmstedt, dem Ein Teilweise wurde sie in der Berichterstattung als Stabsübung bezeichnet; dieser Begriff greift m.E. zu kurz, denn die Übung umfasste mehrere Führungsebenen und, wenn auch begrenzt, politischdiplomatische Gremien; siehe z.B. die Übung »Steadfast 9«, 1987. BArch, BW  71/72, Nr.  45: »Operation Order 02/86«, SHLO O 86/2145/EXD, 3.11.1986. 1297 Es war keine direkte Erwähnung zu finden, aber »Falling Leaves II« hat anscheinend im Herbst 1965 stattgefunden, was diesen Rückschluss erlaubt. Siehe BArch, BW 71/47, Nr. 51: Informal Letter to LOLNO, Bonn, Subj.: »Concept of Fighter Operations«, hier Erwähnung des »Live Oak Critique-Meeting on Ex. F.L. II« am 3.12.1965, SHLO 500/14, 21.12.1965, LO-S-65-2025, Encl., Letter of Col. Maupin, USAFE, ohne bes. Bezeichnung. Bestätigung: BArch, BW 71/48, Nr. 1: SHLO 200/85, LO-S-66-4, 11.2.1966, Subj.: »Updating BQDs«, Encl., Para. 1. 1298 BArch, BW  71/84, Nr.  61: Subj.: »General Objectives for Berlin Related Exercises«, SHLO O 89/633, 3.6.1989, Encl. 1, Para. l. Siehe auch die deutsche Stellungnahme zu CPX »Steadfasts 13«, BArch, BW 71/21, Nr. 33: GLNO, Tgb.Nr. 08/89 geh. vom 2.2.1989, Teil I, S. 1, und Teil II, Ziff. 4‑7, S. 3 f. 1299 Als Beispiel sei der Übungskalender des Ausbildungsjahres 10/1968‑9/1969 genommen, der das volle Programm abbildet, siehe BArch, BW 71/6, Nr. 8: GLNO-Bericht Nr. 34, Tgb.Nr. 1250/69 geh., Anlage 3, Beilage 5. 1300 Für Fernmeldeübungen gelang dies oftmals nicht, nämlich dann, wenn hierfür Vorbereitungen getroffen werden mussten, die nicht verborgen bleiben konnten, wie z.B. Stromkreise zu schalten oder anzumieten. 1301 1983 sogar siebenmal, siehe BArch, BW 71/16, Nr. 12: GLNO-Jahresbericht 1983, Tgb-Nr. 80/84 geh. vom 20.2.1984, S. 27. Dazu wurden meistens zusätzliche Stromkreise geschaltet und auch angemietet, um möglichst große Teile der Einsatznetze einzuschließen. 1296



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satzraum. Dafür wurde stets die größte Road Probe, Probe C, versammelt. HQ BAOR legte die Übung unter Beteiligung von Live Oak an. Der Übungsleiter war der dafür zuständige Kommandeur der Panzerkräfte beim Kommandieren General des I.  (BR) Korps.1302 Geübt wurden dann die verschiedenen Versionen der Probes, A, B und C, später nur noch A und C. Das Einzigartige war die Tatsache, dass die Truppen, die an dieser Übung teilnahmen, keine andere Möglichkeit zur Ausbildung bekamen.1303 Die Taktik, die Zusammenstellung der verschiedenen »Probes«, das Verhalten und die Einsatzregeln (ROE) konnten nirgendwo sonst trainiert werden. Die Truppe in Zug- (Probe A) oder Kompaniegröße (Probe C) musste permanente Verbindung zur Führung in Helmstedt halten. Sie war bis in die Teileinheiten aus Angehörigen der drei Nationen zusammengesetzt und musste gegenüber den sowjetischen Kräften oder der DDR unterschiedliche Verfahren anwenden. Außerdem musste sie die Medien ständig informiert halten und in die eigenen Abläufe integrieren. Für die Truppe und ihren Führer waren das alles sehr ungewöhnliche, politisch sensitive Aufgaben.1304 Bereits 1961 hatte Norstad der WAG gemeldet, dass er den ­CINCBAOR beauftragt habe, diese Truppe »alle drei oder vier Monate« üben zu lassen.1305 Tatsächlich fanden, wohl von 1962 bis 1971, jährlich drei dieser »Probe«-Übungen statt, danach wegen des doch sehr hohen Aufwands nur noch zwei.1306 Die Übungen dauerten jeweils eine knappe Woche. Einmal jährlich wurde zusätzlich das APIC in Helmstedt zusammengezogen, um die mit der Operation verbundene Öffentlichkeitsarbeit intensiv zu üben.1307 Diese Übungen wurden mit viel Fantasie wirklichkeitsnah gestaltet: Soldaten mit Russischkenntnissen wurden an den Kontrollpunkten als sowjetische Kontrolloffiziere eingesetzt. Andere trugen Uniformen der DDR-Volkspolizei, und Schüler oder ganze Schulklassen der Gegend mimten sich zusammenrottende Sympathisanten – »often with a great deal of over enthusiastic effort«.1308 An jeder dieser Übungen nahmen Vertreter von Live Oak als Beobachter teil, ein Tag für hochrangige Besucher aus der Organisation war stets eingeplant. An diesem Besuchertag fanden dann die grundsätzlicheren Diskussionen statt. Eine entsprechende Übung PROBEX für die Autobahn-»Probe« von Berlin aus gab es erst seit 1981 in der Serie »Assembly« mit Jahreszahl, es wurde auch nur die Versammlung der »Probe« geübt. Das weitere Vorgehen wurde dann anhand kleiner Lagen im Hörsaal oder am Sandkasten diskutiert, um Verständnis für diese schwierige Operation zu wecken und die Führer sicherer zu machen. Vorher hatte es nur ein »Tactical Com-

Commander, Armored I.  (BR) Corps, in Personalunion auch Brigadier Royal Armor Corps (BRAC); es gibt anscheinend keine Übungsanlage für eine PROBEX in BArch, BW 71. Die Operation selbst ist als »Operation Highway« in BArch, BW 71/99, Nr. 1, HQ BAOR Op.Instr. 1/87, 30.11.1987, Annex H, nachzulesen. 1303 BArch, BW 71/84, Nr. 61: »General Objectives for Berlin-Related Exercises«, SHLO O 89/633, 16.6.1989, Encl. 5, Para. 2.a. 1304 Ebd., Encl. 5. 1305 BArch, BW 71/132, Nr. 39: Msg SHLO 9-00049, 29.12.1961, Zit. ebd. 1306 BArch, BW 71/50, Nr. 11: SHLO 71/193, LO-S-71-59, »Revision of Autobahn Training Policy«, 5.4.1971. 1307 BArch, BW 71/16, Nr. 8: Live Oak Working Paper, »Rationale behind the Road Probe Plan to Berlin, BAOR Op.Instr. 9, USURPER«, 8.2.1984, Tgb.Nr. 60/84 S. 1308 BArch, BW 71/92, Nr. 40: Bericht Lt.Col. Brewis, COS 1/2, 20.11.1990, S. 8, Zit. ebd. 1302

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mand Readiness Program« der Führer gegeben,1309 das noch bis 1990 stattfand. Die Leitung der Übung lag bei ASB, seit 1983 wurde Live Oak beteiligt. Seit 1966 fand drittens die jährlich einmal abgehaltene Eisenbahnübung RAILEX statt.1310 Auch sie erhielt zunächst jedes Mal einen wechselnden Codenamen. Seit 1982, als diese Operation ebenfalls in die Verantwortung der BAOR kam, hieß sie nur noch RAILEX. Da CINCUSAREUR zunächst für die dieser Übung zugrunde liegende Operation, die Rail-»Probe« auf der Strecke Helmstedt–Berlin, verantwortlich war, leitete er auch diese Übung. Sie wurde nur in zwei Phasen durchgeführt: Versammlung und gemeinsame Ausbildung. Eine Gefechtsübung auf der Strecke gab es wegen der besonderen, sehr begrenzten Zielsetzung dieser Operation zunächst nicht. Die von den Drei Mächten dazu vorbereiteten Waggons wurden auf dem von den amerikanischen Streitkräften genutzten Bahnhof Mannheim-Rheinau zu einem speziellen Militärzug, dem »Tripartite Train«, zusammengestellt. Die Bundesbahn stellte eine Diesellokomotive mit Besatzung, eine zweite, diesmal militärische Besatzung der BAOR trat dazu.1311 Besonders ausgebildetes Personal zur Dokumentierung jeder Phase einer Fahrt wurde ebenfalls beigegeben. Die Besatzung des Zuges wurde von den Drei Mächten gestellt. Die Mitglieder prüften die technischen Eigenschaften und Kapazitäten der Spezialwagen und Einrichtungen, diskutierten Mängel und suchten nach Verbesserungen. Probleme sah man vor allem in den schwierigen Fernmeldeverbindungen innerhalb der DDR.1312 Die Übung dauerte vier Tage, inklusive der Fahrzeit der Teilnehmer hin und zurück. Ab 1982 fand sie in ähnlicher Weise statt, aber näher am vorgesehenen Einsatzort, in Plockhorst bei Peine in Niedersachsen. Auch an ihr nahmen Vertreter von Live Oak teil, gelegentlich verstärkt durch hochrangige Besucher aus der Organisation. Und auch hier galt, dass diese Übung, wie im Falle von PROBEX, einzigartig war. Im Mai 1983 wurden erstmals PROBEX und RAILEX gemeinsam durchgeführt. Dabei konnten auch zum ersten Mal ein gesperrter Autobahnabschnitt und ein reservierter Schienenstrang für die jeweilige Probe genutzt werden, wodurch »die Übung [...] an Wirklichkeitsnähe« gewann. Künftig wurde die PROBEX des Frühjahrs immer mit der RAILEX zusammengelegt, weil sich dies bewährt hatte und dazu beitrug, den Aufwand für Leitung und Versorgung zu verkleinern.1313 Die Übung RAILEX wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Geheimhaltung war auf dem abgeschlossenen Gelände in Mannheim leichter zu wahren als für die anderen Übungsvorhaben. Die Übung war aber spätestens ab 1983 von der Gegenseite registriert worden, nachdem sie mit der PROBEX zusammengelegt worden war.1314 BArch, BW  71/16, Nr.  12: GLNO-Jahresbericht 1983 vom 20.2.1984, Tgb.Nr.  80/84 geh., Teil III, S. 25. 1310 Vermutlich seit 1966; in BArch, BW 71, ist die erste Übung im Jahr 1967 überliefert. 1311 Zur Ausbildung dieser »Military Train Crew« vgl. BArch, BW  71/93, Nr.  22: SHLO 400/1, 4.2.1965: »Training of British Miliary Train Operating Crew«; sowie die Darstellung in Kap. IV.4. 1312 BArch, BW 71/92, Nr. 40: Bericht Lt.Col. Brewis, COS 1/2, 20.11.1990, Encl., S. 7. 1313 BArch, BW  71/16, Nr.  12: GLNO-Jahresbericht 1983 vom 20.2.1984, Tgb.Nr.  80/84 geh., Teil III, Übungen, S. 24 f., Zit. ebd. 1314 BArch, DVW 1-42677: »Auskunftsdokument Westberlin«, Übersicht »Übungstätigkeit der NATO etc.«, Stand: Dez. 1989, S. 20. 1309



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Die vierte und größte, jährlich stattfindende Übung von Live Oak für den Landzugang war jene der Tripartite Battle Group.1315 Sie ist seit 1967 dokumentiert, wahrscheinlich aber fand sie schon seit 1961 mit Luftunterstützung auf dem Truppenübungsplatz Senne bei Paderborn und auch im angrenzenden freien Gelände statt, meist im Übergang vom Sommer zum Herbst. Die kurz TRIPEX genannte Übung erhielt jeweils einen Namen, ab 1980 stets »Treaty« mit der Jahreszahl. Allein an teilnehmenden Landstreitkräften wurden etwa 1500 Mann zusammengezogen. Den Rahmen bildete ein britisches Panzergrenadierbataillon, dazu kamen Einheiten oder Teileinheiten der beiden anderen Mächte, vor allem Fliegerabwehr, Artillerie und Panzer, Funktrupps und Feldküchen. Wegen der Komplexität dieser Operation wurde, meist erfolgreich, darauf geachtet, dass über mehrere Jahre dasselbe Bataillon verantwortlich blieb.1316 Die Übung dauerte fast zwei Wochen und verlangte einen hohen Aufwand, besonders für die Leitung und Unterstützung.1317 In der Kernübung wurden Gefechtsausschnitte auf oder entlang einer angenommenen Autobahn Helmstedt–Berlin geübt, teilweise mit Unterstützung der von Faßberg aus operierenden Luftstreitkräfte der Drei Mächte und im scharfen Schuss. Die Leitung hatte ein gemeinsamer Stab der BAOR und der RAF/G, Letzterer im Auftrag von USAFE. Auch hierfür waren Zentren der Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet worden. Führer der Übungstruppe war der Commander Armored I. (BR) Corps; auf der Autobahn führte der zuständige Bataillonskommandeur. Es war das Ziel dieser Übung mit Volltruppe,1318 »to train the Tripartite Battle Group (TBG) and supporting air forces to carry out the large ground force contingency option for maintaining free access to Berlin.«1319 Dabei war es entscheidend, dass die engen politischen Grenzen eingehalten wurden, die gemischte Kampfgruppe der Drei Mächte also weitgehend in friedensmäßiger Marschordnung auf der Autobahn marschierte, jedoch stets bereit, rasch in ein Gefecht einzutreten. Der Kommandeur hatte ständigen engen Kontakt zur militärischen Führung zu halten, diese zur politischen Führung. Hierbei hatte er auch darauf zu achten, notfalls ein Gefecht unter wenig günstigen Bedingungen führen zu können. Die ROE waren einzuhalten und die politischen Weisungen, übermittelt auf dem Befehlsweg, unbedingt zu befolgen. Erst wenn die Kampfgruppe Ziel eines militärischen Angriffs mit überlegenen Kräften wurde, durfte die militärische Führung das Gefecht nach operativ-taktischen Grundsätzen führen. All dies mündete schließlich in die schwierige Rückzugsoperation, d.h. die Lösung vom Feind mit Luftunterstützung der Drei Mächte, der krönende Abschluss der Übung. Daran entzündeten sich viele Diskussionen, vor allem in Bezug auf die Zweckmäßigkeit und die Durchführbarkeit der Operation, die eventuell notwendige Unterstützung durch die NATO und die Konsequenzen im Falle BArch, BW 71/84, Nr. 61: SHLO O 89/633, 16.6.1989, Encl. 2 : TBG seit 1973, vorher Bataillon Combat Team (BCT). 1316 Zum Beispiel die 1st Irish Rangers aus Nienburg in den siebziger Jahren. Das BCT von Berlin aus wurde übrigens mit Truppe nicht beübt; das Führungspersonal jedoch wurde in taktischen Seminaren geschult. 1317 Eine Übungsanlage ist in BArch, BW  71, nicht erhalten, aber Teile und Schriftverkehr. Siehe z.B. BArch, BW 71/89, Nr. 16: »Exercise ›Treaty‹ Visitors Brief« von August 1989; auch BArch, BW 71/86, Nr. 5: CINCUSAFE OPORD 4883, »Treaty 89«, 1.6.1989, SHLOIN I 89/1089. 1318 Engl.: »Field Training Exercise«, FTX. 1319 BArch, BW 71/84, Nr. 61: »General Objectives For Berlin-Related Exercises«, SHLO O 89/633, 16.6.1989, Encl. 2, Para. 1, Zit. ebd. 1315

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ihres Scheiterns. Den Beteiligten offenbarte sich die ganze Problematik – insbesondere auch die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende heikle Situation, sollte es tatsächlich zu einer ernsthaften Krise kommen. Der umfangreichste und umstrittenste Operationsplan von Live Oak, die Divisionsgruppe »June Ball«, wurde aus politischen und praktischen Gründen nicht mit Truppe geübt, war aber ein Gegenstand in den jährlichen Rahmenübungen. Die Übungen der Luftwaffen der Drei Mächte liefen unter AIREX,1320 zunächst unter dem Codenamen »Quick Sand  I« 1962 bis »Quick Sand  VIII« im Jahr 1969, dann mit wechselnden Namen und ab 1982 unter »Bold Gauntlet« mit der Jahreszahl. Die Leitung lag, wie die Verantwortung der zugrundeliegenden Operationspläne, bei ­CINCUSAFE. Ziel dieser Übungen begrenzten Umfangs war es, mit den im Operationsplan »Jackpine« eingeplanten fliegenden Teilen der Luftwaffen der Drei Mächte Verfahren und Taktiken zu verfeinern, die, verbunden mit verschiedenen Optionen für den Luftzugang, im CINCUSAFE Operationsplan  444 vorgesehen waren,1321 all dies ebenfalls unter strikter politischer Kontrolle. Dafür wurde ein Luftraum entsprechender Länge, Breite und Höhe reserviert und zum Korridor erklärt, in welchem die jeweils geforderten Operationen mit Feinddarstellung stattfanden. Die Übungen wurden vom Boden aus, unter anderem auch unterstützt von den Gefechtsständen der Luftverteidigung der Bundesrepublik (den SOC, CRC und Reporting Posts [RP] der Luftwaffe). Die teilnehmenden Fliegerkräfte flogen von ihren dafür in den Operationsplänen festgelegten Einsatzplätzen. Die Kontrolle der Flugbewegungen in den Korridoren und der Transportflugzeuge wurde von Frankfurt aus durch das Forward Control Element (FCE) geführt.1322 Die Lage des Übungskorridors mitten in der Bundesrepublik und im Kreuzungsbereich zahlreicher Flugstraßen verursachte häufige Friktionen, die man nach der Übung »Bold Stand  1970« mit der Bundesanstalt für Flugsicherung (BfS) zu klären versuchte.1323 Die geografische Lage, der lebhafte und dichte Verkehr, die zeitlichen Vorgaben, Flughöhen, die Kontrolle des Verkehrs und die Sicherheit im Luftraum waren kritische Faktoren in diesem Disput. Unsicheres Wetter und notwendige Änderungen im Ablauf wirkten zusätzlich erschwerend, woraus zu erkennen war, dass die Übungsziele von Live Oak und der Aufgabenbereich der BfS zueinander im Gegensatz standen.1324 Bei Live Oak beurteilte man die Zusammenarbeit aber immer als gut.1325 Die Manöver wurden zwischen Frankfurt a.M. und Hannover abgehalten und dauerten etwa eine Woche. Die Unterstützung der Landstreitkräfte wurde in dieser Übungsserie jedoch nicht geübt. Das geschah im Rahmen der jährlichen TBG-Übung, die dadurch auch für die Luftwaffen der Drei Mächte von großer Bedeutung und sozusagen ihre zweite Übung war. Die Übungen für den Luftzugang wurden zwar vom Gegner registriert, ihre Zuordnung zu Der zugrundeliegende Operationsplan hatte die Bezeichnung USAFE OPLAN 333, später 444. BArch, BW 71/84, Nr. 61: SHLO O 89/633, 16.6.1989, Encl. 6. Ein Übungsbefehl ist überliefert, BArch, BW 71/89, Nr. 13: CINCUSAFE OPORD 4853, Exercise »Bold Gauntlet 89«, 1.3.1989. 1322 Eine typische Übungsanlage: BArch, BW 71/89, Nr. 13: CINCUSAFE OPORD 4853, Ex »Bold Gauntlet 89«, 1.3.1989, Annex C, App. 4. 1323 BArch, BW 71/55, Nr. 26: SHLO 200/030, 11.8.1970, LO-TS-70-168, Encl. 1. 1324 Siehe Encl. 1, S. 3, Para. 4, des Berichts, ebd. 1325 Siehe Encl. 1, S. 4, Para. 5.d, ebd. 1320 1321



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Berlin aber wohl nicht oder nicht mit Sicherheit erkannt. In der Öffentlichkeit nahm niemand besondere Notiz, schon wegen des allgemein dichten Flugverkehrs und der Häufigkeit von Übungen im Luftraum der Bundesrepublik. Für die Maritimen Gegenmaßnahmen von Live Oak fanden ebenso entsprechende Übungen auch unter Beteiligung der Bundesmarine statt.1326 Zunächst gab es die Übungen der »Quick Fix«-Serie, eine Rahmenübung der Koordinierungszentren (­NAVCORCENTS), an denen die Verteidigungsministerien und die Flottenstäbe teilnehmen sollten. Sie waren eigentlich zum Einspielen der Koordination gedacht gewesen, die im Wesentlichen auf dem Zusammenwirken der Beteiligten, nicht auf Befehlswegen beruhte. Sie verloren in der Folge ihren Charakter als Verfahrensübung und magerten zunehmend zu reinen Fernmeldeübungen ab.1327 Diese Serie hatte ursprünglich von »Deep Sea« geführt und von der WAG kontrolliert werden sollen, doch ihre Bedeutung schwand, weil es nicht gelungen war, die politische Führung dauerhaft dafür zu interessieren. Sie wurde dann als eine Art Vorübung für die jährliche Live-Oak-Rahmenübung zwischen November und Januar angesetzt. Die erste Übung dieser Art war eine Stabsübung mit Versuchscharakter zur Erprobung der Organisationsform, die unter dem Namen »Briney Four« bereits im Januar 1964 ablief.1328 Daneben gab es einige kleinere Koordinierungsübungen, in denen die Schaltung der besonderen Fernmeldeverbindungen, das Nachverfolgen der sowjetischen und der ostdeutschen Schifffahrt sowie der Bewegungen aller Schiffe des Warschauer Paktes, aber nicht die Vereinbarung und Koordinierung der geeigneten maritimen Maßnahmen geübt wurden. Die Leitung dafür wurde von einem der beiden aktiven NAVCORCENTS, »Sea Spray« oder Live Oak, übernommen. Diese Übungen waren meist nicht im Übungskalender dokumentiert. In die große, jährliche Live-Oak-Rahmenübung wurde ein eigener Teil für die Maritimen Gegenmaßnahmen eingebaut, um die hier gesicherte politisch-diplomatische Teilnahme zu nutzen.1329 Marineverbände oder einzelne Kriegsschiffe wurden tatsächlich nie in diesen Übungen eingesetzt, sondern nur »gespielt«. Die große Rahmenübung von Live Oak und »Deep Sea« – beide Stäbe waren zumindest formal gleichberechtigte Leitende und Ausführende dieser Übungsserie – war der Höhepunkt des Ausbildungsjahres, auf sie liefen alle anderen Ausbildungsvorhaben hin. Wenn ein Problem während der anderen Übungen oder in der laufenden Operationsplanung nicht gelöst werden konnte, wurde versucht, es in der Rahmenübung zu platzieren und damit sichtbar zu machen, um eine Lösung zustande zu bringen. Die Übungsanlage konzentrierte sich auf den politischen und militärischen Entscheidungsprozess und die dazu nötigen Verfahrensabläufe, insbesondere auf die Wahrung der entsprechenden Kontrolle durch die Führung, da erfolgreiches Krisenmanagement im Ernstfall hiermit Zu den Gründen und Bedingungen siehe die Darstellung in Kap. III.6. und in Kap. IV.6. BArch, BW 71/14, Nr. 31: Der GLNO-Jahresbericht 1982, Tgb.Nr. 120, 83 geh. vom 28.2.1983, siehe Teil III, S. 30, Ziff. 2.g., ebd. 1328 Vgl. die Darstellung in Kap. IV.6. und besonders BArch, BW 71/133, Nr. 5: »Sea Spray History Chronology«, WP, o.D., S. 9. 1329 Leider sind nur für eine »Steadfast«-Übung, die Nr. 11 von Januar 1987, Hinweise zu finden, mit welchen Seegebieten/Choke Points diese Übung arbeitete. BArch, BW 71/72, Nr. 45: SHLO/O 86/2145/EXD, 3.11.1986 GLNO Tgb.Nr. 483/86 geh., in App. 1 zu Annex D, unter Positions of Allied ›Ficticious‹ Warships. Das ist zwar interessant, aber aus einer einzigen Übung lassen sich kaum sinnvolle Schlüsse ziehen. 1326 1327

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stand und fiel. Im Zentrum stand die Kooperation und Koordination innerhalb der Live-Oak/Deep Sea-Gemeinschaft.1330 Bis Mitte der Achtziger herrschte in Bezug auf die Szenarien mitunter düstere Stimmung, so etwa im Rahmen der Übung »Steadfast 10« von 1986,. Das betraf insbesondere die gespielte krisenhafte Entwicklung an deren Schluss. Das Ergebnis war ernst: »all access to Berlin had been denied, the media battle was going badly for the Allies and a French MATP had been attacked in the North Corridor. The TBG was ready to move, further MATPs had been planned and Allied naval forces had become actively involved«.1331 Die Übung 1987 begann dann mit einer neuen, wohl der aktuellen politischen Lage geschuldeten Entwicklung. Die Sowjetunion hatten demnach am Vortag alle Verbindungswege nach Berlin wieder geöffnet und gleichzeitig die westlichen Alliierten zu einem Treffen auf hoher Ebene in Ost-Berlin eingeladen, um eine modifizierte Zugangsvereinbarung zu diskutieren.1332 Über Einlagen verschiedenster Art wurden die weiteren Entwicklungen gesteuert und simuliert. Übende Stäbe waren Live Oak und sein Presseinformationszentrum, LOPIC, das NAVCORCENT Live Oak, das Marinekomitee »Deep Sea« mit einer Zelle für Öffentlichkeitsarbeit und die beiden anderen NAVCORCENTS, »Sea Spray« und »Free Flow«, die dafür aktiviert worden waren. Die Liste der beratenden und antwortenden Dienststellen und Hauptquartiere war lang.1333 Die Befehlsstränge liefen von den Regierungen über die WAG (mit WAPIC) und die Bonn Group (mit BOPIC), teilweise aber auch über die nationalen Verteidigungsministerien (MODs) und Hauptquartiere. Die Ausführenden waren vor allen die Kommandanten in Berlin mit ihren ­POLADs, ASB, BAOR, RAF/G, USEUCOM, USAREUR, USAFE, USNAVEUR, FFA, ­FATAC, die beteiligten Flottenstäbe der Vier Mächte, besonders USCINCLANT und ­USCINCPAC, zusätzlich deutscherseits das Territorialkommando Nord (GNTC) und das Luftwaffenamt (GAFO). Einige wenige Dienststellen nahmen nur mit kleinen »Response Cells«1334 teil, etwa der Vorgeschobene Gefechtsstand in Helmstedt (FWD CP Helmstedt) mit APIC dort, der Gefechtsstand »Jackpine« in Ramstein mit seinem JPIC und zeitweise die BAOR für die »June Ball«-Operation, sprich die Versammlung der verstärkten Division der Drei Mächte. Die Aufzählung der durch die Leitung oder andere Dienststellen simulierten Organisationen, Stäbe und Truppenteile enthält rund 70 Posten.1335 Bemerkenswert ist der hier dokumentierte, fast weltweite Teilnehmerkreis von Berlin bis Hawaii und der politisch-militärische Anspruch. Es musste ja stets möglich sein, auf eine Berlin-Krise weltweit mit geeigneten Optionen zu antworten. Die NATO war jedoch außer der SHAPE-Live-Oak-Beratergruppe nicht aufgeführt. Diese hatte für die BArch, BW 71/72, Nr. 45: Operation Order Nr. 02/86-Exercise Steadfast 11, SHLO O 86/2145/ EXD, 3.11.1986, Para. 3.a(1). Diese Übungsanlage wird hier als Beispiel behandelt. 1331 BArch, BW 71/72, Nr. 45: »Steadfast 9«, SHLO O 86/2145/EXD, 3.11.1986, Annex C »Background«, S. C-1, Zit. ebd. 1332 Ebd. Die Details auf S. C-2 und Appendices 1 und 2 zu Annex C, sowie Appendix 1 zu Annex D »Maritime Operations«. 1333 Ebd., gem. Annex A »Exercise Participants«, Para. 1. der OpOrder, S. A1 und S. A2, Para. 2. 1334 Deutsch wohl Rahmenleitungsgruppen (RLG), ebd., Annex A, Para. 3. 1335 Ebd., Annex A, S. A-2, Para. 4, mit Appendix 1 der OpOrder, hier S. A1-1 und S. A1-2. 1330



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Übung die wichtige und unverzichtbare Aufgabe, das Bündnis in der laufenden Krise darzustellen. Dass die NATO sonst überhaupt nicht in Erscheinung trat, war politische Absicht. Live Oak als Organ der Vier Mächte sollte, solange es irgendwie noch vertretbar war, der einzige militärisch Handelnde in der Berlin-Frage bleiben.1336 Die Gesamtleitung der Übung lag beim Chef des Stabes Live Oak, für den Teil der Maritimen Gegenmaßnahmen beim Vorsitzenden von »Deep Sea«. Unter dem Führer des Leitungsstabes, hier als »Exercise-Director« bezeichnet, arbeiteten im Leitungsstab, dem DISTAFF oder »Exercise Directing Staff«, zwei Verantwortliche für die Führung der Gegenseite in der »Red Cell«, ein Diplomat aus dem französischen Ministerium des Äußeren für die politische Entwicklung und ein britischer Oberst für die militärische. Weitere Stabsoffiziere waren für die Lagen in der Luft und zur See sowie für die Öffentlichkeitsarbeit und die Koordinierung aller Aufgaben und Maßnahmen zuständig. Dieser Stab erhielt seine allgemeinen Weisungen für die Übungsanlage des jeweils folgenden Jahres während der großen Übungskritik, die mit einer gründlichen Aussprache aller beteiligten Dienststellen, mit anschließendem detailliertem Protokoll, wenige Wochen nach der vorangegangenen Übung stattfand. Nach den jährlichen Rahmenübungen wirkten die Übungskritiken in den normalen, nicht krisenhaften Zeiten als Anreger in der Live-Oak-Welt.1337 In Arbeitsgruppen (»Syndicates«) wurden die besonderen Probleme des jeweiligen Aufgabenbereichs diskutiert und die Weiterbehandlung empfohlen. Im Plenum wurden die übergreifenden Fragen behandelt und Folgemaßnahmen allgemeiner Art angeregt. Das letzte Wort hatten natürlich die nationalen Regierungen. Wenn kein politischer Druck herrschte, konnte dieser Prozess aber auch sehr zäh werden. Die großen, der politischen Führung obliegenden Fragen, als Beispiel sei das Problem der grundsätzlichen Überarbeitung aller Operationsplanungen genannt, konnte in diesem Kreis kaum angesprochen, geschweige denn behandelt oder gar gelöst werden. Zu den problematischen Aspekten gehörte zunächst auch das Üben mit der NATO. In einer wirklichen, gefährlichen Berlin-Krise wäre der NATO, insbesondere dem SACEUR mit SHAPE, aber schon sehr bald große Bedeutung zugekommen, denn die Maßnahmen von Live Oak bedurften bereits in frühen Stadien einer Krise der Unterstützung des Bündnisses, um wirksam und glaubwürdig zu sein. Die dafür notwendige Zusammenarbeit sollte auch geübt werden. Dies wurde aber erst ab 1982 und nur in Ansätzen mit der Beteiligung der SHAPE Advisory Group versucht.1338 So lief der Informationsfluss in der Übung, etwa in Bezug auf den NATO-Mittelabschnitt und das umgebende globale Geschehen bzw. die Reaktionen der Gegenseite, für Live Oak nur sehr

Siehe die Darstellung in Kap. III.5; ebenso Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel, S. 83. Der Osten hatte dies anscheinend nie bemerkt oder nicht erkennen wollen; siehe auch die Darstellung in Kap. II.6. 1337 Als Beispiel wieder die Kritik an der Übung »Steadfast  11«, BArch, BW  71/75, Nr.  24: SHLO O 87/668-S, 31.5.1987. 1338 BArch, BW  71/14, Nr.  31: GLNO-Jahresbericht 1982 vom 28.2.1983, Tgb.Nr.  120/83 geh., Teil III, S. 27, Ziff. 2.a. Das MfNV der DDR hatte das aber bereits für FALLEX 66 berichtet, BArch, DVW 1-25720: Info Mitteilung Nr. 19/66 vom 29.10.1966, »Information über die Einbeziehung Westberlins in die NATO-Kommandostabsübung ›Fallex 66‹«. Dafür fand sich kein Beleg. 1336

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sparsam.1339 Der Vorschlag im Jahr 1982,1340 das CPX mit der entsprechenden Übung der NATO »WINTEX  85« zu koordinieren und eventuell zu integrieren, fand keine Billigung. Die beiden Sphären sollten strikt getrennt bleiben. Der »Live-Oak-Viernationenvorbehalt« stand dem ohnehin entgegen, aber ebenso wenig wollte die NATO »Berlin-Ereignisse« in ihre Übungen einbeziehen.1341 Bei der Einbindung Maritimer Gegenmaßnahmen in die Gesamtübung gab es wegen deren spezifischer Art innerhalb des Instrumentariums von Live Oak besondere Probleme. Über viele Jahre hinweg erwies es sich als schwierig, das Spiel der Marinen mit ihren NAVCORCENTS in die Lage und ihre Entwicklung in die Rahmenübung einzupassen. »Deep Sea« und die angeschlossenen Koordinierungszentren übten wohl ihre eigene Lage. Das konnte in gewissen Grenzen möglich und vielleicht für den Übungserfolg auch mal notwendig sein. Für die anderen Beteiligten aber wurde es schwer, die Maritimen Gegenmaßnahmen als eminent wichtiges, vielleicht entscheidendes Mittel in der Lösung einer Berlin-Krise zu betrachten. Für die Marinen der Vier Mächte war es indes die einzige Möglichkeit, die maritimen Optionen wirklich zu üben, die eine Berlin-Krise lösen helfen sollten,1342 so etwa in der Rahmenübung 1989, die insgesamt wohl eine der wenigen Übungen war, in der die Seestreitkräfte tatsächlich voll in die Lage eingebunden, die Marinemaßnahmen auf den Übungsverlauf abgestimmt und in die Übung integriert waren.1343 In den Übungen spielte West-Berlin selbst mit allen Problemen, die es in einer längeren und ernsten Krise zu meistern hatte, kaum eine Rolle, obwohl Live Oak gewisse Aufgaben für die Sicherung auch des zivilen Zugangs erhalten hatte. Für die Luft sollte dies im Rahmen der eigenen Lufttransportoperationen und in gewisser Weise auch mit QBAL, der Luftbrücke,1344 geschehen; zu Lande über die Operation »Allied Aegis«, mit der die Sicherung oder zumindest die Unterstützung des zivilen Zugangs vor allem zur Versorgung der Stadt und ihrer Bevölkerung von zwei Millionen gewährleistet werden sollte. Dieser Aspekt wurde, soweit erkennbar, weitgehend ausgespart, jedenfalls nicht geübt. Aber auch Informationen über die Lage in Berlin und zur Versorgungslage dort wurden spärlich eingebracht, obwohl sie doch einen erheblichen Beitrag für die Lagebeurteilung liefern sollten. Eine wesentliche Ursache war anscheinend der Vorbehalt, dass dieser Faktor die Übung noch komplexer machen würde, als sie ohnehin schon war. Live Oak war und blieb das Instrument für das Krisenmanagement für den Zugang nach Berlin, weniger das für die Verteidigung der Stadt. Mitgespielt haben mag aber auch ein Versäumnis der deutschen Seite, diese Informationen zu liefern. In der Übung »Steadfast 13« im Januar 1989 sei es erstmals gelungen, »der Frage der Berlin-internen Siehe beispielsweise die Kritik an »Steadfast 12«, BArch, BW 71/79, Nr. 11: SHLO O 88/446, 20.4.1988, Annex »General«, Serials 10 and 13. 1340 BArch, BW 71/64, Nr. 40: Subj.: »Interplay between Exercise ›Steadfast 85‹ and WINTEX 85«, SHLO O 82/10241/COS, 17.12.1982, v.a. Para. 2. 1341 BArch, BW  71/14, Nr.  31: GLNO-Jahresbericht 1982, Tgb.Nr.  120/83 geh. vom 28.2.1983, Teil III, S. 26 f. Nach der Erinnerung des Verfassers galt Letzteres gleichermaßen Mitte der achtziger Jahre für die Übung HILEX, wohl für das Jahr 1986. 1342 BArch, BW 71/84, Nr. 61: siehe Encl. 1, Para. 2.b to SHLO O 89/633, 16.6.1989. 1343 BArch, BW 71/21, Nr. 33: Erfahrungsbericht GLNO, Tgb.Nr. 08/89 geh. vom 2.2.1989, Teil II, Ziff. 1. 1344 Siehe hierzu in Kap. IV.5. den Exkurs. 1339



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Angelegenheiten und der zivilen Bevölkerung eine stärkere Gewichtung beizumessen«, urteilte dann aber der GLNO.1345 Die Teilnahme der höheren Beamten, der Staatssekretäre, Botschafter und Abteilungsleiter, der Politiker gar an den Übungen mindestens der »Steadfast«-Serie war anscheinend nur selten möglich, hing wohl auch vom individuellen Interesse an der Übung ab. Jedenfalls klang in manchen Äußerungen eine gewisse Enttäuschung darüber an, dass nur die «Arbeitsebene« (»junior diplomats«) der WAG teilgenommen habe.1346 Die »Häuptlinge« waren eher selten verfügbar, außer in einer heißen Krise. Der Nachteil war natürlich, dass mancher Verantwortliche auch nur sehr begrenzte Kenntnis und damit wenig Verständnis vom Krisenmanagement um Berlin erlangte.1347 Für den militärischen Bereich galt diese Beobachtung weniger, sie war aber auch dort grundsätzlich gültig. Der sehr hohe Grad der Geheimhaltung bildete ein gewisses Hemmnis für das Üben der verschiedenen, sehr sensitiven Aspekte der Operationen. Durch eine sinnvolle Gestaltung und Sprachregelungen konnte eine gewisse Erleichterung erreicht werden. Dennoch war der Kreis der Wissenden sehr klein zu halten, was beispielsweise die Entsendung eines Vertreters bei eigener Verhinderung erschwerte. Erst Mitte der achtziger Jahre wurden diese Regelungen etwas gelockert,1348 wodurch auch die Information der Übungstruppe erleichtert und verbessert werden konnte.1349 Die Geheimhaltung hatte durchaus auch einen politischen Zweck, denn durch sie war es möglich, dosierte Warnsignale an den Gegner zu übermitteln,1350 was nur möglich war, wenn dieser nicht schon vorher genauere Kenntnis von den Vorbereitungen erhalten hatte. Der im Rahmen der Bündnisverteidigung vertraglich geregelte Host Nation Support durch die Bundesrepublik war ein anderes schwieriges Thema: Die NATO-Streitkräfte in Europa konnten ihre Kampfkraft erheblich steigern, wenn sie gerade für die Versorgung und die Fernmeldeverbindungen auf eine durchorganisierte Unterstützung der jeweiligen Gastländer vertrauen konnten. Diese Unterstützung auf breiter Basis wurde im Falle von Live Oak aber erst in den achtziger Jahren richtig in den Blick genommen. Bei Live Oak verhinderte auch die strikte Geheimhaltung die Einbeziehung von HNS. Immerhin wurde HNS in der vorletzten Rahmenübung »Steadfast 13« im Januar 1989 »erstmals voll erkannt und auch wirkungsvoll genutzt«.1351

BArch, BW 71/21, Nr. 33: Erfahrungsbericht GLNO, Tgb.Nr. 08/89 geh. vom 2.2.1989, S. 4, Ziff. II.6. und Ziff. III.3‑5. 1346 BArch, BW 71/13, Nr. 39: Rede COS, General Sinnatt, SHLO O 82/1356/COS, 30.11.1982, Annex, Para. 2. 1347 BArch, BW  71/203: Pedlow, »L.O. and the Preservation of Allied Access«, 15.3.1991, IAW SHLO/O 91/022, 22.2.1991, S. 90, Gegenbeispiel: Strauß, Die Erinnerungen, S. 380‑396. 1348 Was sich auch in der Genehmigung eines »Verbandsabzeichens« für Live Oak zeigte; vorher war so etwas undenkbar gewesen. 1349 BArch, BW 71/203: Pedlow, »L.O. and the Preservation of Allied Access«, 15.3.1991, S. 95 f. 1350 Siehe die Berichterstattung der Ministerien für Nationale Verteidigung und Staatssicherheit der DDR; auch die Darstellung in Kap. II.6. 1351 BArch, BW 71/21, Nr. 33: Erfahrungsbericht GLNO, Tgb.Nr. 08/89 geh. vom 2.2.1989, Teil II, S. 3, Ziff. 4, Zit. ebd. Vgl. auch Teil III, Ziff. 4 auf S. 5. Zu den Details der möglichen Maßnahmen siehe BArch, BW 71/21, Nr. 39: Vorschlag GLNO, Tgb.Nr. 26/89 geh. vom. 18.4.1989. 1345

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11. Budget und Kostenteilung Über die Finanzierung des Stabes Live Oak in den frühen Jahren ist wenig Greifbares überliefert. Zunächst war eine gemeinsame Ausstattung mit Finanzmitteln anscheinend weder ernsthaft überlegt noch für notwendig erachtet worden. Damals schien dieser neuen Organisation zunächst auch kein sehr langes Leben beschieden.1352 Die laufenden Kosten für das Personal wurden von den abstellenden Drei Mächten getragen. Der Stab war Gast bei USEUCOM, daher fielen kaum nennenswerte Kosten an. Die auflebende Krise im Sommer 1961 ließ den Stab personell wieder aufwachsen und die nationalen Gelder fließen. Die Angehörigen des Stabes wurden nicht mehr kommandiert, sondern versetzt. Live Oak wurde im September räumlich mit SHAPE vereinigt und erhielt in Rocquencourt ein Gebäude oder vielmehr eher eine feste Baracke. In dieser Zeit der heißen Krise wurde anscheinend noch nicht über ein eigenes Budget entschieden, obwohl sich nach Einbeziehung der Bundesrepublik in Live Oak der Aufwand, aber auch der Kreis der potenziellen Zahler erhöht hatte. Als die Krise im Frühjahr 1962 allmählich wieder abklang, zeigte es sich, dass Live Oak als operativer Stab bestehen bleiben würde. Da eine Operationszentrale eingerichtet worden war, stellte sich schnell heraus, dass die notwendige Ausstattung, vor allem mit Büroeinrichtung und Fernmeldegerät, fehlte, die dafür erforderlichen finanziellen Mittel auch.1353 Man behalf sich zunächst mit Mitteln aus nationalen Quellen (die deutsche Seite beispielsweise über den NMR, auch weil der GLNO Teil des NMR-Stabes war und blieb), aber eine grundsätzliche Regelung wurde nun doch dringend notwendig. Zu dieser Zeit wurde erstmals eine förmliche Dienstanweisung erarbeitet und von General Norstad genehmigt. Über die Finanzierung ist darin nichts gesagt, aber die Forderungen waren klar: Die Einrichtung und der Betrieb der Operations- und der Fernmeldezentrale1354 verlangten ein gemeinsames Budget der Vier Mächte für Live Oak. Wann dieses nun beschlossen und eingerichtet worden ist, bleibt ebenso unklar wie der Inhalt der damaligen Vereinbarung. Immerhin wurde ein finanzieller Beitrag der Bundesrepublik an der Einrichtung der gemeinsamen Fernmeldezentrale grundsätzlich zugesagt. Gleichzeitig wurde eine Formel, den finanziellen Beitrag betreffend, gefordert,1355 woraus abgeleitet werden kann, dass tragfähige Regelungen zu dieser Zeit noch nicht existierten. Dies scheint dann aber ein Dreivierteljahr später erreicht worden zu sein. Für den maritimen Anteil der Organisation, also »Sea Spray«, wurde die Formel für Live Oak übernommen, nämlich die der gleichen finanziellen Beteiligung durch jede der Vier Mächte. Weitere Details wurden allerdings nicht genannt.1356 Wenige Wochen später, am 17. April 1963, hat der Bundesminister der Verteidigung seine Einwilligung übermitteln lassen, dass die BArch, BW 71/135: Pedlow, »Live Oak and Allied Access to West Berlin, 1959‑1990«, 18.10.1990, S. 2. Ähnlich Maj. Humphreyes in seinen Memories of Live Oak, BArch, BW 71/64, Nr. 53. 1353 BArch, BW 71/64, Nr. 53: Maj. Humphreyes, Memories, SHLO O 82/1264/COS, 16.11.1982, S. 3. 1354 BArch, BW 71/118, Nr. 3: »Terms of Reference«, 9.4.1962, SHLO 600/127, LO-TS-62-37, S. 2, Para. 4. f. 1355 BArch, BW 71/45, Nr. 53: Brief GLNO vom 12.6.1962, LO(IN)-S-62-4017, S. 2, Para. 2. 1356 BArch, BW 71/119, Nr. 46: BQD-M-40, 1.3.1963, ISA I-35260/63, S. 1 f. 1352



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Bundesrepublik Deutschland ein Viertel der Kosten für die Erstausstattung und die laufende Instandhaltung des Stabes Live Oak in Paris1357 trage. Aus diesem Vorgang geht zwar nicht hervor, um welche Art von Kosten und um welche Summen es ging, aber die einzelnen Posten waren offensichtlich: Das Stabsgebäude musste einschließlich Heizung, Wasser und Strom unterhalten werden. Die Einrichtung der Büros, die Beschaffung von Fernmeldegerät und Verbrauchsmaterial fielen ebenso darunter wie die Anmietung von Fernmeldeleitungen und eine begrenzte Summe für unvorhergesehene Ausgaben.1358 In diesen Jahren betrug der deutsche Anteil rund 200 000 DM, der gesamte Haushalt von Live Oak also um die 800 000 DM.1359 Es wurde wohl sparsam gewirtschaftet, denn die Inflation in Belgien stieg damals rascher als die Ausgaben für Live Oak, wie der GLNO wiederholt berichten konnte.1360 Andererseits gab es auch immer wieder Forderungen, den deutschen Anteil unter Hinweis auf Haushaltszwänge zu kürzen.1361 In diesen Fällen waren ein Verweis auf die Verpflichtungen gegenüber Berlin und die Zusagen an die Vier Mächte hilfreich. Der Haushalt konnte im Übrigen so klein sein, weil die Personal- und die Reisekosten von den vier Nationen national bezahlt wurden, sie daher das Budget von Live Oak nicht belasteten.1362 Außergewöhnliche Ausgaben, die das Jahresbudget wesentlich überstiegen, mussten in jedem Fall rechtzeitig beantragt und vor Ausführung der Maßnahme von den vier Regierungen genehmigt werden. Dies galt etwa für den Bau des neuen Stabsgebäudes Nr. 104 in Casteau/Belgien 1966/67, das 48 Millionen Belgische Francs (BF) kostete,1363 und für die Ausstattung mit neuem, modernem Fernmeldegerät, wie die Beschaffung von Sprachschlüsselgeräten »Elcrovox« in den frühen achtziger Jahren, welche etwa 42 Millionen BF kosten sollten.1364 Live Oak hatte keine eigene Abteilung für die Verwaltung des Budgets. Im Stabssekretariat war ein Offizier mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe beauftragt,1365 die eigentliche Arbeit wurde aber in der Budget and Finance Division (BudFin) bei SHAPE geleistet. Live Oak unterhielt dort ein Konto, und die Vier Mächte jeweils auch. SHAPE legte zunächst die benötigten Summen aus, die dann von den Vier Mächten ausgeglichen wurden. Über diese Auftragsverwaltung wurde eine Vereinbarung zwischen SHAPE Bud-

BArch, BW 71/47, Nr. 3: Memo GLNO, Oberst i.G. Thomas, an COS, Generalmajor Baker, vom 17.4.1963, Tgb.Nr. 415/63 S, LO-S-63-1046. 1358 Informationen dazu in den Jahresberichten des GLNO, z.B. BArch, BW  71/9, Nr.  4: GLNOJahresbericht 1977 vom 17.1.1978, S.  20; die letzte Ausgabeart, »unvorhergesehene Ausgaben«, stammt aus BArch, BW 71/9, Nr. 21: GLNO-Jahresbericht 1978 vom 13.3.1979, S. 21. 1359 Das waren damals rund 50 Millionen BF; in den achtziger Jahren betrug der deutsche Anteil etwas mehr, zwischen 200 000 und 250 000 DM, der Gesamthaushalt dann ca. 1 Million DM. 1360 So z.B. in BArch, BW 71/9, Nr. 4: GLNO-Jahresbericht 1977 vom 25.1.1978, Ziff. B.2, S. 20; und BArch, BW 71/14, Nr. 31: GLNO-Jahresbericht 1982 vom 28.2.1983, Ziff. 2.c, S. 41. 1361 BArch, BW  71/7, Nr.  49: Dienstreisebericht FK Gladziejwski, Tgb.Nr.  1221/75 VS-V vom 30.9.1975, Ziff. 2, S. 2. 1362 BArch, BW 71/16, Nr. 12: GLNO-Jahesbericht 1983, Tgb.Nr. 80/84 geh. vom 20.2.1984, S. 35. 1363 BArch, BW 71/134, Nr. 9: Nationaler Anteil also 12 Millionen BF, gute 800 000 DM damals, gem. Rechnung SHAPE für die französische Delegation bei Live Oak vom 4.12.1967, 5100.21/15‑6. 1364 BArch, BW 71/11, Nr. 46: SHLO 81/22873/SCO, 9.12.1981, S. 1, Para. 2. 1365 BArch, BW  71/64, Nr.  37: Live Oak Staff Directive Nr.  5-1 »Standing Operating Procedures«, 31.8.1982, SHLO O 82/965/OPS, S. 5, Para. 10.f. 1357

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Fin und Live Oak geschlossen.1366 1982 wurde das Verfahren geändert: SHAPE konnte die Summen von ca. 4 bis 6 Millionen BF nicht mehr vorstrecken. Daher legte Live Oak auf seinem Konto bei SHAPE genügend Guthaben an, um die Rechnungen sofort zu begleichen.1367 Diese Verfahren bewährten sich und liefen ohne größere Beanstandungen. Allerdings ergaben sich Schwierigkeiten, wenn einzelne Nationen wegen nationaler Budgetkürzungen keine Reisekosten mehr verfügbar hatten, aber eine wichtige Besprechung mit Dienstreise anstand. Dann wurde versucht, ›materiell‹ zu helfen. Das konnte bedeuten, einen Platz in einem Flugzeug der Flugbereitschaft der Bundeswehr für die Reise nach Washington für den betreffenden nichtdeutschen Offizier anzubieten, was einige Male auch geschah und dankbar angenommen wurde.1368 Im Laufe der Jahre wurden vor allem die Kosten für eine notwendige Modernisierung der Fernmeldeausstattung immer höher und allmählich zur kritischen Größe bei Live Oak. Das finanziell aufwendigste Vorhaben war der 1986 beschlossene, seit 1987 vorbereitete und 1990 abzuschließende Aufbau einer satellitengestützten Verbindung zwischen Berlin, Bonn und Live Oak (»Rear Link«). Dieses System sollte rund 150 Millionen BF kosten, also 7,5 Millionen DM.1369 Der deutsche Anteil daran betrug 1,881 Millionen DM, verteilt auf die Jahre 1987 bis 1989. Als das »Rear Link« 1990 installiert werden sollte, war die Notwendigkeit entschwunden. Das Material wurde daher mit dem Personal zu anderer Nutzung in den Nahen Osten umgeleitet.1370 Live Oak war eine relativ kostengünstige politisch-militärische Organisation, die für die Sicherheit West-Berlins und damit auch die Stabilität Europas Mitverantwortung trug. Die dafür nötigen Truppen, Mittel und Einrichtungen wurden, mit Ausnahme des Stabes Live Oak, für die Verteidigung Westeuropas im Rahmen der NATO unterhalten. Daher blieben als einzige echte Kosten nur die Ausgaben für die Infrastruktur des Stabes und den Betrieb der eigenen, von der NATO unabhängigen, besonderen Fernmeldemittel.

Nur die letzte dieser Vereinbarungen ist überliefert: BArch, BW 71/96, Nr. 16: SHLO O 89/485, 27.4.1989, 5400/SHBOS-F/312/89. 1367 BArch, BW 71/14, Nr. 31: GLNO-Jahresbericht 1982, Tgb.Nr. 120/83 geh., 28.2.1983, Ziff. 2.c. 1368 So in der Erinnerung des Verfassers. 1369 BArch, BW 71/20, Nr. 2: GLNO, Tgb.Nr. 351/68 VS-Vertr. vom 1.8.1986, S. 3, Ziff. 2. 1370 BArch, BW  71/135: GLNO, Az. 27-30-02 vom 19.6.1991, »Abschlussbilling mit Stichtag 27.5.1991«. 1366

V. Fazit

Die vorstehende Analyse der Tiefenstrukuren, der Planungen und der damit verbundenen Probleme von Live Oak drang bis zum Kern westlichen Krisenmanagements im Kalten Krieg vor. Abschließend soll nun die Zweckmäßigkeit und die Tauglichkeit dieser multinationalen Organisation für die Krisenbewältigung im Rahmen eines Bündnisses allgemein und für den Zugang nach Berlin im Speziellen beurteilt werden. Die Krisenorganisation der Drei, später dann der Vier Mächte konnte auf die Unterstützung der NATO mit damals insgesamt 15 Nationen bauen. Auf der Gegenseite standen die Sowjetunion und die DDR, die ihrerseits vom Warschauer Pakt mit insgesamt sieben Nationen unterstützt wurden. Es ging also um eine »Krise zwischen gegnerischen Mächten«,1 in der die entscheidende Frage lautete: Welche wechselseitige Handlungsbzw. Pressionsmöglichkeiten gibt es?2 Im Falle Berlins vermochte der Gegner sehr viel zu tun – ohne dabei selbst groß behelligt zu werden –, um dem Westen zu schaden, da er über einen sehr langen Hebel verfügte. Wie konnte der Westen angesichts dieses Umstands seine Möglichkeiten erweitern bzw. ein adäquates Gegeninstrumentarium schaffen? Da im Kalten Krieg bei Krisen wie jenen um Berlin immer ein Kriegsrisiko bestand, war deren Bewältigung für den Westen, besonders aber für die Bundesrepublik Deutschland von existenzieller Bedeutung.3 Die hier interessierende Frage muss also lauten: Inwiefern konnte der Westen mit Live Oak die eigenen Reaktionsmöglichkeiten verbessern? Für die Beurteilung eines Instruments für die politisch-militärische Krisenbewältigung sind im Folgenden die nachstehenden Kriterien maßgeblich:4 – ständig verfügbare Führungs- und Organisationselemente mit zuverlässigen Fernmeldemitteln; – eine breite Palette von flexibel nutzbaren Optionen; – präsente Kräfte in ausreichendem Umfang, inklusive Elemente und Truppen für Frühwarnung, Aufklärung und Prävention; – die Fähigkeit zur schnellen politisch-militärischen Entscheidung und Reaktion.

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Zit. aus Neustadt, Alliance Policies, S. 2. Vgl. ebd., S. 73. Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 56‑59, 257‑259; Strauß, Die Erinnerungen, S. 383‑392. Zu den Hintergründen aus Sicht der NATO vgl. meine eigenen Aufzeichnungen als Chief der Joint Operations Plans Branch aus meiner Zeit im IMS der NATO, 1984‑1988; gedruckte Quellen standen nicht zur Verfügung. Im weiteren Sinn bietet der Band Avoiding War auch für militärische Belange in Kapitel 3, S. 13‑21, interessante Einsichten; zum politisch-diplomatischen Zusammenspiel ebd., Part 7.

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1. Die Zweckmäßigkeit von Live Oak bei der politischen Bewältigung einer Krise Eine Organisation, die den Auftrag der Krisenbewältigung zu erfüllen hat, bedarf einer besonderen Struktur. Sie braucht nicht in voller Stärke ständig einsatzbereit gehalten werden, muss aber über einen permanent eingerichteten und mit kompetentem Personal besetzten Planungs- und Führungskern, ein Hauptquartier, verfügen, das im Notfall die Skelettorganisation rasch mit Leben füllen kann. Sie braucht Planungs- und Führungskapazitäten sowie ständige, sichere, geschützte und sich überlagernde Fernmeldemittel und -verbindungen. Außerdem sollten Vorbereitungen zur Erweiterung der Kapazitäten für den Fall der Krise getroffen sein. Die Struktur sollte möglichst wenig Führungsebenen umfassen, also einfach und schlank sein, um eine weitgehend reibungsarme Arbeit zu ermöglichen. Wie stand es damit bei Live Oak? Die Organisation war von Anfang an klar und übersichtlich gegliedert. Politische und militärische Strukturen waren so miteinander verbunden, dass die politische Führung stets die Kontrolle behielt und die militärische, außer der fachlichen Beratung, nur die Funktion der rein militärischen Führung und Durchführung zugewiesen bekam, also ohne eigenen politischen Gestaltungsraum. Die Regierungen steuerten die Planung und die Führung von Live Oak mittels der WAG, wobei die eigentliche Vorbereitung der praktischen Maßnahmen durch deren Untergruppen und die Bonn Group geleistet wurde. Die wichtigen Entscheidungen wurden, nach Zustimmung der Regierungen, auf Botschafterebene oder, wenn erforderlich, auch durch die Außenminister selbst gefällt, beispielsweise auf den sogenannten Deutschlandtreffen oder Deutschlandessen am Vorabend von Sitzungen des Ministerrates der NATO. Die Regierungen waren zusätzlich über ihre nationalen Delegationen auf allen Spitzenebenen an der Planung und Führung beteiligt. Sie konnten daher schnell unmittelbaren Einfluss nehmen und alle wesentlichen Tätigkeiten überwachen. Diese Struktur war schon ab 1959 im Grundsatz so klar und übersichtlich angelegt, dass sie später bei Bedarf einfach erweitert und verfeinert werden konnte. Dennoch entsprach die anfängliche Organisation nicht den Erfordernissen einer Krisenbewältigung, denn alle militärischen Aufgaben und vor allem das Handeln ruhten allein auf Norstads Schultern, ohne dass er über einen eigenen Unterbau verfügte. Sein Stab Live Oak durfte nur die Planung von Operationen unterstützen, besaß aber zunächst keine Befugnisse für die Unterstützung Norstads als Befehlshaber und ab Oktober 1959 dann nicht einmal mehr die personelle Ausstattung dazu. Die Ressourcen waren überaus dürftig, was insbesondere bei den Fernmeldemitteln rasch offenbar wurde, sodass Improvisation zum Normallfall wurde. Es bestand die permanente Gefahr, dass eine einzige Meinungsverschiedenheit im Ernstfall das ganze System lahmlegte. Immerhin wurde dank Norstads Insistieren eine kleine Planungskapazität zur Weiterentwicklung erhalten. Insgesamt sorgte die Bedrohung vor allem durch Chruščevs Ultimaten für einen im Großen und Ganzen festen Schulterschluss und Interessennähe bei den Drei Mächten, was das Ganze, trotz aller Mängel, zusammenhielt. Die Organisation erreichte ihre vollständige Ausprägung aber erst im weiteren Verlauf der Berlin-Krise. Hier bewährte sich die offene Anfangsorganisation, die eine schnelle



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Aufstockung von Live Oak zu einem operativ fähigen Stab ermöglichte. Der Auftrag wurde entsprechend erweitert: Norstad erhielt dadurch die Kapazitäten, eine Krise um den Zugang nach Berlin auch operativ zu führen, ohne von vornherein SHAPE dafür nutzen zu müssen. Nach der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in den Kreis der Entscheidenden und nach Verstetigung der Zusammenarbeit mit der NATO im Laufe dieser Krise im Herbst 1961 sowie der Einführung der Maritimen Gegenmaßnahmen in der ersten Hälfte der sechziger Jahre war Live Oak organisatorisch gut ausgestattet und ausreichend vorbereitet, um eine Berlin-Krise erfolgversprechend zu bewältigen. Der politische Teil der Organisation befasste sich zuerst fast ausschließlich mit Aufgaben diplomatischer Art; so waren es die Außenministerien der Vier Mächte, die die Hauptarbeit leisten mussten. Andere Ministerien arbeiteten im Bedarfsfall zu, insbesondere die Verteidigungsministerien. Im Falle der Bundesrepublik waren häufig auch die Bundesministerien für Verkehr, für Gesamtdeutsche Fragen, für Finanzen und für Wirtschaft beteiligt. Im Bundeskabinett wurden Live Oak und zumindest die militärischen Eventualfallplanungen vermutlich niemals behandelt, sondern, wohl nicht zuletzt auch aus Gründen der strikten Geheimhaltung, nur im kleinen Kreis der unmittelbar Zuständigen besprochen.5 Das Bundeskanzleramt war natürlich über die Zusammenhänge informiert und in engen Grenzen beteiligt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin wurde recht allgemein durch die Kommandanten informiert gehalten, doch suchte er die persönliche Abstimmung mit dem Bundeskanzler.6 Während die WAG für die Koordinierung und Entscheidung auf Ebene der Regierungen zuständig war, wurden die Details vor allem der Verkehrsplanung, der Verfahren und Regelungen im Allgemeinen, für die Überlebensfähigkeit der Stadt Berlin und für den zivilen Luftverkehr bei der Bonn Group bearbeitet, denn nur dort gab es die dafür notwendige Sachkenntnis. Eine Mitwirkung der drei westlichen Kommandanten von Berlin war wegen ihrer Rolle als politische Repräsentanten ihrer Regierungen in Berlin wichtig und auch über ihre Vertreter in der Bonn Group gesichert. Ebenso wurde der notwendige militärische Sachverstand über Verbindungsorgane auf allen politischen Ebenen eingebracht, obwohl dessen Nutzung in manchem Einzelfall unterblieben sein mochte.7 Ab Sommer 1961 befasste sich auch das nordatlantische Bündnis politisch mit der Eventualfallplanung für Berlin. Live Oak begann seinerseits, die NATO in sein politisches Führungs- und Kontrollsystem einzubauen. Der NAC hat ihre Beteiligung akzeptiert, wenn auch mit einigen Sorgenfalten zunächst, denn die Partnerländer fürchteten, dass sie in einer Berlin-Krise zumindest indirekt in die Geschehnisse hineingezogen würden, ggf. auch Leistungen zu erbringen hätten und dann möglicherweise durch Ereig Das kann aus dem Schriftverkehr zur vorgeschlagenen Behandlung des BQD-M-29 im Kabinett geschlossen werden: Der Einspruch des AA und des BMVg aus Gründen des Geheimschutzes verhinderte dieses; siehe u.a. BArch, BW 2/17.638, Heft 1, SG II, Nr. 21: BMVg FüB III 1 LO, TgbNr. 1016/62 str.geh. 4.9.1962. Eine Durchsicht der »Kabinettsprotokolle der Bundesregierung«, soweit erschienen, bestätigt das auch generell. 6 Beispielsweise Brandt mit Adenauer in den Jahren 1962/63, gem. BArch, BW 2/17.641, Heft 11. Vgl. auch Jeschonnek/Riedel/Durie, Alliierte in Berlin, S. 570‑580. 7 Hierfür mag der Teilnehmerkreis der Berlin War Games in Camp David 1961/62 ein Beispiel sein, zu denen die Military Authorities nicht eingeladen waren. 5

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nisse, auf die sie wenig Einfluss hatten, mit einer bedrohlichen Eskalation konfrontiert würden. Doch es half nichts, denn das Bündnis hatte mehrmals die Freiheit Berlins offiziell garantiert. Daher galt § 5 des NATO-Vertrages auch für die Stadt. Für die Glaubwürdigkeit Live Oaks war die Unterstützung des Bündnisses sogar unverzichtbar. In der Folge verdrängte die Allianz, mit dem Abklingen der akuten Krise und im Bewusstsein, dass eigentlich Live Oak zuständig sei, eine weitere, tätige Mitwirkung recht gern.8 Der CLO verkörperte den Grundgedanken von Live Oak im Rahmen der westlichen Verteidigung geradezu paradigmatisch: Norstad war in Personalunion gleichzeitig Commander-in-Chief von USEUCOM und damit Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte in Europa, einschließlich des Nahen Ostens und Nordafrikas, und SACEUR der NATO. Ab Sommer 1961 wurde diese Verbindung verbreitert und formalisiert, das Bündnis auch in die Eventualfallplanung für Berlin unmittelbar eingebunden. Der entscheidende organisatorische Baustein hierfür war die Live Oak/SHAPE Advisory Group. Als direktes Arbeitsorgan verfügte der CLO über den im April 1959 eigens eingerichteten Stab Live Oak, der eigentlich ein gemeinsames Forum für drei, dann vier nationale Arbeitsgruppen sein sollte, welche die Planungsarbeit zu leisten hatten. Der erste CLO, Norstad, wünschte hierfür gemischt-nationale Stabselemente. So wollte er sicherstellen, dass für die Bearbeitung aller Fragen hinsichtlich der Zugänge nach Berlin kompetente Fachleute zur Verfügung standen. Das Prinzip sollte auch für die anderen Stabselemente gelten. Diese Gliederung wurde nach einigen Änderungsversuchen auch eingenommen. Als der Stab dann ab Sommer 1961 zum operativen Führungsstab umgewandelt wurde, brauchte er nur noch verstärkt sowie örtlich mit SHAPE zusammengeführt zu werden. Dennoch hatten die Führer der nationalen Delegationen, die Heads of Delegation (HODs), im Stab Live Oak eine wichtige Stellung, denn sie achteten darauf, dass die nationale Politik in den militärischen Planungen berücksichtigt und so die nationalen Interessen gewahrt wurden. Das barg Konfliktstoff, half aber auch, mögliche nationale Bedenken und Vorbehalte frühzeitig zu erkennen. Live Oak hatte keinen eigenen, ständigen militärischen Unterbau. Daher war man mit allen militärischen Dienststellen auf Zusammenarbeit angewiesen, die für das Krisenmanagement für Berlin von Bedeutung waren. Immerhin durfte man mit den Kommandobehörden der Mächte direkt verkehren, wann immer der gemeinsame Auftrag es erforderte, ohne in jedem Einzelfall die Verbindungsaufnahme erbitten zu müssen. Es waren dies zuerst die Stäbe der drei westlichen Kommandanten von Berlin, der COBs, und, im Alltag wichtiger noch, der gemeinsame Stab zur Koordinierung und Vorbereitung der Verteidigung Berlins, der Allied Staff Berlin (ASB). Das Norstad-Agreement vom 13. Januar 1962 schuf die erste, leider noch nicht ganz tragfähige Basis für diese Zusammenarbeit.9 Dadurch konnten die Planungen zumindest harmonisiert und eigene Operationen von Berlin aus im Rahmen der Live-Oak-Operationen vorbereitet werden. Erst die Regelungen durch das Rogers-Agreement im Jahre 1986 bildeten eine

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Vgl. die Schilderung in Kap. III.5. Gründe waren die als sehr eskalatorisch beurteilten BERCON/ MARCON-Pläne der NATO und weiterhin die Befürchtung, ohne ausreichende Mitsprache in die Berlin-Probleme der Drei Mächte hineingezogen zu werden. BArch, BW 71/118, Nr. 37: Msg SHLO 9-00045, LO-TS-62-3025, 13.1.1962.



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umfassende Basis.10 Aber selbst danach blieben Unzulänglichkeiten bestehen. Zwar hatte der CLO auch die Aufgabe erhalten, die Verteidigung Berlins vorzubereiten und, unter gewissen Bedingungen, als nächster Vorgesetzter zu koordinieren, was die Zusammenarbeit verbesserte und auf eine festere Grundlage stellte. Allerdings war es wegen starken französischen Widerstands nicht gelungen, den CLO mit einer Kommandofunktion auszustatten. Die militärischen Hauptquartiere, die besondere Aufgaben in der Operationsplanung erhielten, bildeten die zweite Gruppe der Kooperations- und Ansprechpartner. Sie waren das Rückgrat für die Operationen zur Offenhaltung der Landverbindungen, hier das HQ BAOR in Rheindahlen für die Straßenverbindungen und das HQ ­USAREUR in Heidelberg für die Verbindungen auf der Schiene. Ab 1982 übernahm dann die BAOR alle Operationen für die Landwege, also auch für die Eisenbahn-»Probe«. Bei allen operativen Planungen mussten die Hauptquartiere der Forces françaises en Allemagne (FFA) in Baden-Baden und USAREUR in Heidelberg beteiligt werden, weil sie Truppen stellten. Für die Operationen zur Offenhaltung der Luftwege war HQ USAFE zuständig, das wiederum die Mitwirkung der beiden anderen Luftwaffen-Hauptquartiere benötigte, der Royal Air Force/Germany (RAF/G) in Rheindahlen und der Force Aérienne Tactique (FATAC) in Metz, die ebenfalls Kräfte bereitzustellen hatten. Für die technische Unterstützung wurde ab 1961 zunehmend die deutsche Luftwaffe eingesetzt. Dienststellen der Bundeswehr unterstützten so zwar die Operationen, hatten zunächst aber keine eigenen Führungs- oder Planungsaufgaben im System Live Oak, mit Ausnahme bei den Maritimen Gegenmaßnahmen. Deren Aufnahme in die Operationen zur Offenhaltung der Zugänge nach Berlin wiederum verlangte eine Erweiterung der Organisation um eine Marinekomponente. Die WAG bekam ein eigenes Marinekomitee (»Deep Sea«, in Washington, DC), um den notwendigen Sachverstand verfügbar zu halten. Drei Koordinierungszentren (die ­NAVCORCENTs), »Sea Spray« in Norfolk, VA beim US-Oberbefehlshaber Atlantik (­USLANTCOM), Live Oak in Paris, dann ab 1967 in Casteau, sowie »Free Flow« in Hawaii, letzteres erst nach Mobilisierung, sollten diese Maßnahmen unter den Vier Mächten abstimmen. Wesentlich war hier, dass die Maritimen Gegenmaßnahmen in der WAG zwar gemeinsam beschlossen, aber national exekutiert wurden. Die notwendige Koordinierung der Maßnahmen wurde in den NAVCORCENTs geleistet. Daran konnte sich nach politischer Zustimmung auch die Bundesmarine beteiligen, die dadurch aktiv in Live Oak eingebunden wurde. Die Führung der NAVCORCENTS übernahmen eigens bestimmte Direktoren, bei Live Oak wurde der CLO auch noch zum »Director NAVCORCENT« ernannt. Die Zuordnung der Aufgaben war spätestens ab 1961 klar geregelt. Die unmittelbare Hierarchie umfasste auf der politisch-diplomatischen Seite drei Ebenen: Regierungen, WAG und diplomatische Vertretungen. Für die militärische Führung waren es eigentlich nur zwei Ebenen, CLO mit Live Oak und die ausführende Ebene der nationalen, militärischen Hauptquartiere, die abgegrenzte Aufgaben hatten: Landweg, Luftweg, Stadt Berlin und See. In der Krise musste sich die Zahl der militärischen Führungsebenen BArch, BW  71/72, Nr 16: »Allied Command Arrangements«, ACAB, SHLO O 86/899, vom 22.8.1986.

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notwendigerweise um die der eingesetzten Truppenteile in der jeweiligen Operation erhöhen. Für die Zusammenarbeit mit dem größeren Bündnis war das System der verschiedenen »Hüte« sehr nützlich: Der SACEUR trug sogar vier, nämlich als ­CINCUSEUCOM, SACEUR, CLO und Director NAVCORCENT. Der Oberbefehlshaber der BAOR war gleichzeitig Oberbefehlshaber der Northern Army Group (­ COMNORTHAG) der NATO, der von USAREUR Oberbefehlshaber der Central Army Group (COMCENTAG), und CINCUSAFE war abwechselnd entweder Oberbefehlshaber der 4. ATAF (COMFOURATAF) oder der Alliierten Luftstreitkräfte in Mitteleuropa (­COMAAFCE). Dadurch waren auch die Befehlshaber des Bündnisses über die Planungen von Live Oak gut unterrichtet; in Operationen vermochten sie so die Konsequenzen für den jeweils anderen Kommandobereich ohne weitere zeitraubende Konsultationen abzuschätzen. Auch die gemeinsam nutzbaren Hauptquartiere boten zahlreiche Synergien. Reisen konnten zusammengelegt oder gar vermieden werden. Personalkosten wurden teils eingespart oder mindestens klein gehalten. Die nationalen Fernmeldeverbindungen der Vier Mächte konnten zudem für Live Oak genutzt werden, im Notfall alternativ auch die des Bündnisses. Die politischen Gremien und die militärischen Hauptquartiere waren allein schon wegen ihrer überragenden Bedeutung für die Gesamtverteidigung permanent erreichbar. WAG und Bonn Group konnten nach kurzer Vorwarnung jederzeit zusammentreten. Die militärischen Führungsstäbe waren, wenn auch in Friedenszeiten in reduziertem Umfang, sogar ständig einsatzbereit. Durch ein entsprechendes System zur Verbesserung des Bereitschaftstandes konnten innerhalb weniger Stunden zusätzliche Kapazitäten genutzt werden. Dadurch war dieser Teil des Systems organisatorisch für die Aufgabe der Krisenbewältigung gerüstet. Der Erfolg im Ernstfall hing jedoch entscheidend davon ab, ob es gelang, ständig eine feste Richtung und souveräne Kontrolle durch die politische Führung zu beweisen. Wenn das nicht gesichert werden konnte, wurde entschiedenes, aber stetig kontrolliertes Handeln in der Krise gefährdet oder sogar unmöglich. Damit wäre auch die Glaubwürdigkeit geschwunden. »Politische Führung« bestand für Live Oak aus den souveränen, aber verbündeten Regierungen der Drei, dann der Vier Mächte, welche gemeinsam die WAG zur Willens­bildung, Entscheidungsfindung und -durchsetzung in Berlin-Fragen nutzten. Im Wesent­lichen wurden die Beschlüsse durch Weisungen an die ausführenden Kräfte Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA bzw. durch weitere Maßnahmen umgesetzt. Die Ausführung war ebenfalls von der WAG zu überprüfen. Alle Planungen und Maßnahmen bedurften der politischen Kontrolle. Diese definierte sich dann folgendermaßen: Die politische Führung sollte in die Lage versetzt werden, sowohl in der Vorbereitung wie im Verlauf einer aktuellen Krise die Planungen und Handlungen zu steuern und jederzeit wirkungsvoll einzugreifen, um die Intensität notfalls auch gegen den Rat der militärischen Führung zu steigern oder zu reduzieren.11

Es gab in Live Oak keinen ›einsamen Entscheider‹, daher entfielen Überlegungen zu »Leadership in Crisis Management«, die über die Konsensbildung im Bündnis und militärisches Führertum in

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Wie diese politische Führung und Kontrolle konkret ausgeübt werden sollte,12 legte das Basic Paper nur unzureichend dar, obwohl der Text sonst in seiner Diktion recht entschlossen klingt. Es hieß dort, dass die Botschaftergruppe der Drei Mächte in Washington verantwortlich für die übergeordnete Koordination der Eventualfallplanung zu Berlin sei.13 Sie sollte demnach nur koordinieren, jedoch nicht führen und kontrollieren. Dies entsprach durchaus der realen Rolle der Regierungen, die die WAG eben als Arbeitsstab nutzten, aber die Zügel ansonsten selbst fest in der Hand behalten wollten: »Les Gouvernements doivent donc être seuls juges de l’opportunité de leur mise en oeuvre. Totale ou partielle, simultanée ou successive«.14 Der absolute Führungsanspruch, vor allem auch gegenüber den nachgeordneten Befehlshabern und Dienststellen, wurde immer wieder bestätigt. Die Aufgabenstellung der WAG wurde in der Folge klarer und schließlich auch formal eindeutig gefasst: »The Washington Ambassadorial Group (WAG) is the diplomatic authority responsible for supervising the contingency plans and for providing diplomatic instructions and guidance to Commander Live Oak [...] In a Berlin access crisis the WAG would consult the four Governments to obtain agreement on a course of action and would then order the implementation of the appropriate plan.«15 Die WAG war von den Regierungen bewusst in Washington eingerichtet worden, da dort die Führungsmacht ihre Zentrale hatte und die nationalen Botschaften der anderen drei Mächte personell und materiell besonders gut ausgestattet waren. Das verhieß kurze Wege. Eine unmittelbare Gefährdung in der Krise durch Angriffe des Gegners war hier weniger zu fürchten als in Europa. Die Anbindung an das NATO-Hauptquartier in Paris lief über die vier nationalen NATO-Botschafter. In Paris, später in Brüssel, leistete Live Oak wertvolle Unterstützung im täglichen Dienstbetrieb, besonders aber im Krisenfall. Dies erhöhte zwar auch die Komplexität der Planungsarbeit, verbesserte aber ebenso die Abstimmung mit den Regierungen und im Bündnis. Sie verbesserte gleichfalls die politische Kontrolle im militärischen Bereich. Das galt in gleicher Weise für Mons/Casteau in Belgien ab 1967,16 obwohl die Turbulenzen um die französischen Entscheidungen gegenüber der NATO und den USA zeitweise die Zusammenarbeit erschwerten. Die Bonn Group als Gremium für die Detailarbeit war gleichzeitig auch ein Forum der politischen Diskussion, der gegenseitigen Einflussnahme und der Kontrolle. Die zuständigen militärischen Führer waren in der Nähe stationiert, vor allem in Mönchengladbach/



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diesem Fall hinausgingen. Dazu haben aber Boin u.a. generell Wichtiges beigetragen: Boin/Hart/ Stern/Sundelius, The Politics of Crisis Management, v.a. S. 10‑17. Zu den großen Linien der übergeordneten politischen Koordinierung vgl. Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium. BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, 4.4.1959, S. 8, Para. 13.a. Übers.: Die Regierungen müssen daher allein die Angemessenheit ihres Einsatzes beurteilen – gemeinsam oder in Teilen, gleichzeitig oder nacheinander. Stellungnahme des französischen CHOD, General Ely, Para. 5, BArch, BW  71/116, Nr.  12: Nr.  10674/EMGDN/POM/GEMI/TS, LOTS-59-2023, 3.11.1959. BArch, BW 71/11, Nr. 1: »Live Oak Operation Instruction«, 5.1.1981, SHLO O 81/21505/OPS, S. 4, Para. 2.c. Während 1966/67 für die NATO ein ›Annus horribilis‹ war – Austritt der Franzosen aus der militärischen Integration, Rauswurf der NATO aus Frankreich usw. –, galt das für Live Oak weniger, denn hier bemühten sich die Franzosen um gute Zusammenarbeit, und der Umzug nach Casteau in Belgien verbesserte die Infrastruktur und Arbeitsbedingungen wesentlich.

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Rheindahlen (CINCBAOR) und Wiesbaden/Ramstein (CINCUSAFE), ständige politische und militärische Verbindungsorgane waren zugeordnet. Über die Political Advisors (Polads) war auch Berlin in der Bonn Group vertreten. Deren vorgesetzte Befehlshaber, die COBs in Berlin, waren nationale, politisch-militärische Behörden, die dort den politischen Einfluss von Live Oak sicherten. Sie waren zudem durch ihre exponierte Lage auf enge Zusammenarbeit angewiesen.17 Die militärischen Planungen bei Live Oak waren von besonderer Qualität. Sie lieferten nicht die üblichen militärischen Einsatzpläne, wie etwa die EDPs oder SDPs, sondern waren anzusehen als politische Operationsplanungen mit militärischen Mitteln, die deshalb besonderen Bedingungen unterworfen waren und politischer Führung folgen mussten.18 Alle wesentlichen Arbeits- und Stabseinheiten im Bereich Live Oak wurden annähernd paritätisch von Vertretern der Vier Mächte besetzt. Indes gab es realiter für die deutsche Seite doch deutliche Einschränkungen. Außer in der WAG, in der die Bundesregierung wirklich gleichberechtigt vertreten war, hatten die entsprechenden Komponenten für die deutsche Seite überall sonst formal nur den Status eines Verbindungkommandos.19 Jedoch gelang es, die Anerkennung der Mitglieder der anderen Drei Mächte zu gewinnen und dadurch den deutschen Einfluss zu stärken.20 So entstanden wirkungsvolle Arbeitseinheiten, echte Teams, in denen je ein Stabsoffizier jeder Nation tätig war. Dass diese Teams im Stab Live Oak jeweils in einem angemessen großen Büroraum gemeinsam untergebracht wurden, erleichterte die Zusammenarbeit und die Kontrolle wesentlich. Man bekam (fast) alles mit und sprach auch darüber.21 Diese paritätische Besetzung sicherte die reziproke Kenntnis der Regierungen von Überlegungen und Planungen bei Live Oak im Detail und machte eine permanente Einflussnahme möglich. Mittel hierfür war das Berichtswesen der nationalen Vertretungen auf allen höheren Führungsebenen, beispielsweise die GLNO-Berichte. Zu den strukturellen Mitteln kamen die politischen Führungsmittel in verschiedener Form und Ausprägung hinzu, die die laufende Arbeit bestimmten. Es waren zunächst die Weisungen der WAG, die vorher von den Vier Regierungen in einem manchmal durchaus schwierigen Prozess der Koordinierung und Kompromisssuche genehmigt werden mussten.22 Diese wurden ergänzt durch allgemeine Hinweise und Anweisungen zu Verhalten und Verfahren, durch Aufträge, zu bestimmten Fragen Stellung zu nehmen, Studien zu erarbeiten und Vorschläge vorzulegen. Vgl. die Aussage des COS, MG C.G. McCornock, zu der »Role of Diplomats« in BArch, BW 71/74, Nr. 15: SHLO O 87/183/COS, 13.2.1987, S. 2, Para. 1.a(6). 18 BArch, BW 71/130, Nr. 1: »Live Oak Inventory of Plans and Activities«, 27.9.1984, SHLOIN O 84/1228, Para. 9. 19 Brief Gen. Norstad an Gen. Foertsch vom 26.7.1961, BArch, BW 71/117, Nr. 15: ECLO 600/111, 26.7.1961; aber auch BArch, BW 71/11, Nr. 1: »LO-Ops.Instr.«, 5.1.1981, SHLO O 81/21505/ OPS, Para. 3.a. 20 Vgl. Haftendorn in Vorwort von »... die volle Macht eines souveränen Staates ...«, S. 24. Ausdruck dieser Wertschätzung war auch die Beauftragung des GLNO als »Deputy Exercise Director« für »Steadfast 13«, BArch, BW 71/21, Nr. 16: »Lagebericht« GLNO vom 2.8.1988, Tgb.Nr. 35/88 geh., Ziff. 6, S. 5. 21 BArch, BW  71/11, Nr.  6: GLNO-Jahresbericht 1980, Tgb.Nr.  195/81 geh. vom 29.4.1981, Ziff. 3.b, S. 10 f. 22 Als Beispiel sei hier die Planung für die Divisionsgruppe »June Ball« angeführt; siehe die Darstellung in Kap. IV.4. 17



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Die praktische Zusammenarbeit gestaltete sich nicht immer problemfrei. Es gab Anträge, die erst nach einem langen Diskussionsprozess und zahlreichen Änderungen Zustimmung fanden. Eine sehr geringe Anzahl von Fällen wurde nicht entschieden, weil es keinen Konsens gab. Hin und wieder wurden sogar Weisungen nach kritischen Stellungnahmen verändert. Die Genehmigungsverfahren für die militärischen Operationspläne zeigten deutlich die engen Grenzen, die den militärischen Planern gesetzt wurden. Dies galt in besonderem Maße für das Ausmaß an Entscheidungsfreiheit (Delegated Authorities), das die politische Führung bereit war, dem militärischen Befehlshaber vor Beginn und im Verlauf einer Krise zuzugestehen. Gleichermaßen galt das für den Erlass der Rules of Engagement (ROE).23 Sie waren das entscheidende Mittel, um in einer Krise die Kontrolle zu behalten, blieben im Detail aber oft gerade zwischen Politikern, Diplomaten und Soldaten umstritten. Zusätzlich wurde das noch durch die Tatsache erschwert, dass sich Voraussetzungen und Bedingungen ändern konnten. Die ROEs mussten daher ständig auf dem Laufenden gehalten werden. Und dennoch konnte niemand im Voraus sagen, wie sich die Lage im Ernstfall entwickeln würde. Die Vielzahl der Optionen, die im Laufe der Jahre erarbeitet wurden, brachte in dieses kontrollierte Gesamtsystem der Konfliktbehandlung ein erhöhtes Maß an politischer Flexibilität.24 Sämtliche Themen wurden im Netzwerk Live Oak, besonders in Übungen und deren Kritikkonferenzen, durchaus kontrovers diskutiert. Gelegentlich gab es auch Lob oder Tadel in diplomatischer Form.25 Weitere Möglichkeiten boten Konferenzen, Besprechungen, Seminare und Symposien, Reisen und Besuche. Die Organisation für die Öffentlichkeitsarbeit bei Live Oak (Public Information, P.I.) brachte weitere, notwendige Einflussmöglichkeiten der politischen Kontrolle. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Es gelang, die Organisation Live Oak so zu gestalten, dass die politische Kontrolle durch die Vier Mächte einerseits und die nationalen Regierungen andererseits wirkungsvoll auf allen Ebenen gewährleistet werden konnte, ohne die in einer Krise alles entscheidende Flexibilität hintanzustellen. Ein struktureller Mangel blieb zunächst die unbefriedigende Stellung des CLO für die Verteidigung Berlins, die erst in den achtziger Jahren durch die neue alliierte Kommandostruktur (ACAB) wenigstens ansatzweise gelöst werden konnte.

Vgl. die Darstellung in Kap. IV.4‑IV.8; auch George, The Tension, S. 17‑20. BArch, BW 71/2, NR. 3: BQD-CC-1, »Status of Berlin Contingency Planning«, 6. Rev., 15.3.1971; BArch, BW  71/59, NR.  44: BQD-CC-11, »Military Countermeasures« Rev., 19.10.1962; und BArch, BW  71/203: Pedlow, »Live Oak and the Preservation of Allied Access to West Berlin, 1959‑1990«, 15.3.1991, S. 104, Kap. 8 »Conclusion«. Vgl. auch George, The Tension, S. 15 f., obwohl ganz auf die USA bezogen. 25 Siehe z.B. BArch, BW  71/79, Nr.  11: »Exercise ›Steadfast 12‹ Critique«, 20.4.1988, SHLO O 88/446, v.a. Encl. 4 »Diplomatic Syndicate«. In diesem Zusammenhang ist auch die OpOrder Nr. 02/86 des CPX »Steadfast 11« von Interesse, in der als ein Übungszweck die politische und militärische Kontrolle angegeben war; siehe BArch, BW 71/72, Nr. 45: SHLO O 86/2145/EXD, 3.11.1986, Para. 3.a(1). 23 24

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2. Optionen und Pläne Neben dem Aufbau einer eingespielten Organisation ist die Schaffung einer möglichst breiten Palette von Optionen für den Erfolg in der Bewältigung einer Krise von Bedeutung. Diese Optionen sollten gewisse Bedingungen erfüllen: für den vorgegebenen Zweck geeignet sein, eine möglichst hohe Erfolgswahrscheinlichkeit bieten und nach Zeit, Kräften und Raum sowohl im Einzelnen als auch in ihrer Vielfalt und Breite durchführbar sein. Besonders wichtig ist, dass ein weitgefächertes Instrumentarium aufgebaut wird, das den Entscheidungsträgern in jeder Situation Alternativen bietet. Schon in ihrem Basic Paper vom April 1959 hatte die WAG einige Optionen vorgegeben oder zumindest Überlegungen angestoßen mit dem Ziel, die Sowjetunion in der aktuellen Krise zu warnen, die eigenen Kräfte auf eventuelle Gegenmaßnahmen vorzubereiten, die vermutlichen sowjetischen Absichten aufzuklären und weiterführende Maßnahmen zu identifizieren. Es handelte sich konkret zunächst nur um diplomatischpolitische und vor allem militärische Maßnahmen, wirtschaftliche wurden als Merkpunkt erwähnt. Der rasch zusammengetretene Planungsstab Live Oak erarbeitete darauf aufbauend die militärischen Grundlagen und bereitete die zentralen vier Maßnahmenpakete vor: die Quiet Preparatory Precautionary Military Measures (QPPMM), die drei Arten von »Probes«, die Vorkehrungen zur Offenhaltung des Luftzugangs und die More Elaborate Military Measures, das umfangreichste Paket (inklusive der Tripartite Battlegroup, TBG). Im Sommer 1961 stand eine begrenzte Anzahl von konkreten Operationsplänen mit militärischen Optionen zur Verfügung, die aber noch nicht durch entsprechende Ausbildung vorbereitet waren. Immerhin bildeten sie eine Grundlage für die Nutzung im frühen Stadium einer Krise. Der Bau der Mauer in Berlin im August wirkte dann wie ein Katalysator. Die große und umfassende Palette der militärischen Optionen wurde erst jetzt, unter hohem politischem und militärischem Druck, geschaffen, um die Zahl auch der militärischen Optionen zu vergrößern und das ganze Gerüst auf eine breitere Basis zu stellen. Von dieser Basis aus begann die Ausgestaltung und Auffächerung des gesamten Instrumentariums mit allen Teilbereichen und Maßnahmen. Komplettiert wurde dies durch den weitreichenden, globalen Hebel, die Maritimen Gegenmaßnahmen. Diese Art von Maßnahmen, anwendbar weltweit und entfernt vom Brennpunkt Berlin, zeigte trotz aller Konzentration auf den europäischen Schauplatz, dass die Alliierten und die NATO hier nicht in einem abgeschotteten Raum agierten, sondern die gesamte Welt im Blick haben mussten. Für Berlin bedeutete dies bei allen Gefahren eine politisch-strategische Aufwertung. Die Stadt stand sicher nicht im alleinigen Fokus der Weltpolitik und der strategischen Planungen, bildete aber einen deutlich wahrnehmbaren Schwerpunkt. Die militärischen Optionen von Live Oak boten ein breites Angebot zur Aufklärung vor allem der sowjetischen Absichten, zu abgestuften Reaktionen auf einzelne oder mehrere Maßnahmen der Störung und Belästigung bis hin zur moderaten, aber entschlossenen Eskalation, auch mit kampfkräftigen Verbänden für Operationen, entlang von oder in Zugangswegen nach Berlin, aber noch ohne erkennbaren Rückgriff auf das



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Bündnis selbst. Sie konnten durch nationale Maßnahmen der Drei Mächte vorbereitet und ergänzt werden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die »Sympathetic Convoys«, nationale Konvois, die schnell und unmittelbar in Marsch gesetzt werden konnten, wenn ein Konvoi einer anderen Nation aufgehalten worden war. Diese Maßnahme wurde in den achtziger Jahren zur Koordinierung sogar fest in das System Live Oak übernommen. Das Gleiche galt für die »Schnelle Eisenbahn-›Probe‹«. In Bezug auf Eignung, Realisierbarkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit herrschte – manchmal vorsichtiger – Optimismus bei den Planern. Bei einigen wenigen Optionen bestanden zwar Zweifel, bestes Beispiel ist vielleicht »June Ball«, aber es konnte nicht abgestritten werden, dass Szenarien vorstellbar waren, in denen derlei sinnvoll sein mochte. Entscheidend war immer, dass die politische Kontrolle gewahrt blieb. Die hier genannten Maßnahmen und Gruppen von Maßnahmen wurden zusätzlich durch die »Shopping List« in BQD-M-20 ergänzt, die eben viele weitere Möglichkeiten bot.26 In Bezug auf nicht-militärische Contingency-Planung lagen bei Live Oak, auch wegen der mangelnden Zuständigkeit, Informationen nur in groben Zügen vor. Eine gewisse Übersicht erlaubte das Grundsatzdokument BQD-CC-1 »Status of Berlin Contingency Planning«.27 Im gegebenen Rahmen, auch unter Berücksichtigung der zahlreichen Grenzen und Hindernisse, hatte man vor allem technisch-organisatorisch das Mögliche getan, um ein wirkungsvolles Krisenmanagement zu leisten. Niemand aber konnte wissen, ob das alle Eventualitäten im Ernstfall abdeckte.

3. Das Zusammenwirken der Kräfte und Mittel Jede Organisation der politischen Krisenbehandlung braucht Mittel und Kräfte, mit deren Hilfe sie aktiven Einfluss auf die Gegner, aber auch auf die Verbündeten und die eigene Bevölkerung und damit allgemein auf den Verlauf einer Krise nehmen kann, sowohl militärischer als auch nicht-militärischer Art. Sie müssen nach einer kurzen, aber notwendigen Zeitspanne zur Alarmierung in der geforderten Struktur und in ausreichender Zahl einsatzbereit zur Verfügung stehen. Für die Operationen von Live Oak war dies im Wesentlichen politisch-diplomatisches, militärisches und publizistisches Potenzial, unterstützt von einer großen Vielfalt an Mitteln anderer Art, zum Beispiel von Polizei, Schiffen der Handelsflotten, der zivilen Luftfahrt usw. Die militärischen Kräfte konnten in der Größenordnung von der Gruppe (etwa zehn Mann) bis zum Großverband (Brigade oder Division, höchstens 20 000 Mann) reichen. Dazu kamen dann die Ausrüstung und weitere Mittel und Fähigkeiten aller Art, also Waffensysteme, Fernmelde- oder Pioniergerät, aber auch spezielle Kenntnisse und Er BArch, BW 71/125, Nr. 7: BQD-M-20 »Military Countermeasures« Rev., 15.1.1962, LO(IN)TS-62-2075. 27 BArch, BW  71/2, Nr.  3: BQD-CC-1, 6.  Rev., 15.3.1971, LO 72/37; siehe auch die BQD der QUAD-Reihe, Nr. 1‑4, »Non-Military Countermeasures«, die nur auszugsweise in BArch, BW 71, überliefert sind. Auf alle diese Maßnahmen kann hier nicht weiter eingegangen werden, da sie über die unmittelbaren Angelegenheiten von Live Oak letztlich hinausgingen und an dieser Stelle auch der Platz für weitere Untersuchungen fehlt. 26

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fahrungen. Eine Unterscheidung zwischen Waffen bzw. Waffensystemen und vorgeblich ›weichen‹ Aspekten, wie Aufklärung, psychologische Bewertung oder Medieneinsatz, konnte eigentlich gar nicht mehr vorgenommen werden; sie waren vielmehr als unterschiedliche Elemente gleichrangig in einem Gesamtkonzept untergebracht und mussten stets mit äußerster Flexibilität kombiniert werden. Diese Kräfte und Mittel konnten ihre größte Wirkung dann entfalten, wenn sie gut eingespielt waren und möglichst reibungsarm auf der Basis von gemeinsam erarbeiteten und von den Regierungen genehmigten Verfahren und Plänen zusammenarbeiteten. Dafür waren die Voraussetzungen bei Live Oak nach einigen Monaten in Grundzügen geschaffen worden; ab 1964 waren sie weitgehend vollendet.28 Es handelte sich bei Live Oak also, modern ausgedrückt, um »Operationen verbundener Kräfte«, deren Zweck es war, »die Gesamtheit aller Kräfte, Mittel und Fähigkeiten am besten zur Wirkung zu bringen«.29 Das nicht-militärische Instrumentarium war zunächst vor allem politisch-diplomatischer Art, beispielsweise Noten, Demarchen, Proteste, aber auch Besprechungen, Verhandlungen, Konferenzen und Abmachungen oder sogar Verträge. Es erstreckte sich zunehmend auf die Medien, wie z.B. öffentliche Verlautbarungen oder Pressekonferenzen. Im politisch-diplomatischem Kampf waren v.a. die vier Außenministerien und ihre Vertretungen weltweit gefordert. Das Personal dafür wurde, selbst in Krisen, nicht exklusiv für die Aufgaben von Live Oak und die Sicherung des Zugangs nach Berlin genutzt; es gab auch ganz selten spezielle Dienstposten dafür. Ein Beispiel für diese Dienstposten waren die Civil Air Attachés (CAA) in den drei westlichen Botschaften in Bonn. Die WAG tagte oft nur bei Bedarf, auf abgestufter Ebene und in Untergruppen. Für die Bonn Group galt das ebenso, aber dort gab es wegen der Fülle der Aufgaben und Detailarbeiten eine gewisse Regelmäßigkeit, wöchentliche Sitzungen etwa. So nahmen die bereits etablierten Dienststellen und Einrichtungen neben ihren Hauptaufgaben auch die Obliegenheiten für Live Oak wahr. Diese Konstellation ist bis heute typisch für westliches Handeln und bringt einen großen Effizienz- und Kostenvorteil mit sich. Anstatt für Live Oak neue, teure und personalintensive Organisationen aufzubauen, nutzte man die bereits vorhandenen, deren Aufgaben sich mit den neuen Elementen überschnitten. Doch musste darauf geachtet werden, dass sich das Effizienzstreben nicht ›totlief‹, d.h. eine Überlastung des Apparates durch viele Sonderaufgaben stattfand. Die militärischen Kräfte wurden für die Operationen von Live Oak überwiegend von den in Deutschland stationierten Truppen der Drei Mächte gebildet. Auch diese erfüllten ohne Ausnahmen ihre Aufgaben im Rahmen von Live Oak neben ihren sonstigen Pflichten, etwa im Rahmen der NATO-Verteidigung. Das galt, mit Ausnahme des Stabes Live Oak, auch für die militärische Führungsorganisation.30 In den natio Das kann man aus verschiedenen Dokumenten schließen: etwa BArch, BW 71/203: Pedlow, »Live Oak and the Preservation of Allied Access to West Berlin, 1959‑1990«, 15.3.1991; auch BArch, BW 71/16, Nr. 89: GLNO-Bericht Nr. 32 vom 30.9.1967. Mit größeren Einschränkungen galt das auch für die NATO-BERCON-Pläne. 29 BArch, BW 1/561879: HDv 100/100, »Truppenführung von Landstreitkräften« (TF), Bonn 2007, Kap. 4, bes. Nr. 4002 f., Zit. ebd. 30 ASB war ein Sonderfall. Er war zunächst formal auch nicht Teil der Organisation, er wurde es aber in einer fortgeschrittenen Krisenlage; siehe in Kap. IV.7. 28



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nalen Führungsstäben der CHODs arbeiteten nur sehr kleine Arbeitseinheiten ständig für Live Oak. Im Bundesministerium der Verteidigung beispielsweise, im Führungsstab der Streitkräfte, Abteilung III, Referat 2, gab es den Referenten für Live-Oak-Angelegenheiten im Dienstgrad eines Oberstleutnants oder Fregattenkapitäns, unterstützt von einem Hauptfeldwebel.31 Weitere Sachbearbeiter, besonders in den Führungsstäben der Teilstreitkräfte, hatten Live Oak als Zusatzaufgabe auf ihrem Schreibtisch. In SHAPE arbeiteten die Mitglieder der SHAPE-Live Oak Advisory Group zeitweise auch für Live Oak. Das galt in gleicher Weise für die Hauptquartiere der BAOR, RAF/G, USAREUR, USAFE und der FFA, die jedoch in der Regel auch mit militärischen Fragen um Berlin befasste kleine Zellen hauptamtlich für die Bearbeitung von Live-Oak-Planungen einsetzten, weil dort doch breitere und ständig abrufbare Expertise gefordert war.32 Die für die Live-Oak-Operationen vorgesehenen militärischen Kräfte waren mit Ausnahme der letzten Gruppierung nicht sehr umfangreich. Für die Operationen zu Lande auf und entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin waren die folgenden Kräfte eingeplant: für die »Probe«-Operationen das in Wolfenbüttel nahe zum Einsatzraum stationierte britische Panzeraufklärungsregiment als Leittruppenteil. Diesem wurden Teileinheiten amerikanischer und französischer Truppenteile unterstellt, jeweils etwa in Kompaniestärke. Die Gesamtstärke betrug ca. 700 Mann, von denen aber höchstens ein Viertel auf der Autobahn eingesetzt werden sollte. Für die einzige Operation auf der Schiene, die »Rail Probe«, waren bis 1982 die Amerikaner in USAREUR zuständig, danach die BAOR. Hierfür wurde ein amerikanischer, später ein britischer Militär-Personenzug bereitgestellt, dessen gemischte Besatzung weniger als 100 Köpfe betrug. Für die Kampfgruppe, die ein verstärktes Panzergrenadierbataillon umfassen sollte, das TBG, wurde der Kern durch ein britisches Bataillon der Rheinarmee gebildet, dem wieder Einheiten und Teile amerikanischer und französischer Verbände zugeführt wurden, um sie als »tripartite« kenntlich zu machen. Hierfür wurde eine Gesamtstärke von ca. 1500 Mann angesetzt. Für die umfangreichste Gruppierung, die Divisionsgruppe »June Ball«, war zunächst eine amerikanische Panzerdivision als Grundlage vorgesehen, die später wegen der ungünstigen Dislozierung in Süddeutschland durch eine britische mit nur zwei Brigaden ersetzt wurde. Die dritte Brigade stellten die Franzosen, die Amerikaner führten vor allem ein verstärktes Panzergrenadierbataillon zu. Zusätzlich mussten, je nach Plan, bis zu einige Tausend weiteren Soldaten unterstützend eingeplant werden, vor allem Feldjäger und Militärpolizei, Fernmelder, Pioniere, Flugabwehr und Versorgungstruppen, darunter dann auch deutsche Truppenteile. Besonders zu beachten ist dabei, wie etwa im Falle der Allied Mobile Force, dass die amerikanischen und britischen Anteile ab 1967 alle auch einen Auftrag der NATO im Rahmen des GDP zu erfüllen hatten. Die mannigfache, hier aber nicht quantifizierbare Unterstützung aus dem zivilen Bereich darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. BArch, BW 2/17.640, Heft 7: Im BMVg wurde diese Zelle als »Fü S III 2 LO« bezeichnet; der Versuch, daraus ein eigenes Referat zu machen, scheiterte Anfang der siebziger Jahre. 32 BArch, BW 71/92, Nr. 40: siehe z.B. den Fernmeldeoffizier Live Oak bei HQ BAOR, Staff Officer Live Oak, kurz »SOLO«, in COS 1/2, »History« LTC Brewis, 20.11.1990, S. 6, ebd. 31

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Die Kräfte in Berlin gehörten nicht zum eigentlichen Verantwortungsbereich von Live Oak. Das änderte sich in engen Grenzen erst Ende der achtziger Jahre durch das »Rogers-Abkommen«,33 das die Verantwortung des CLO als »Superior Commander« für die Verteidigung West-Berlins festlegte. Dort hatten die Drei Mächte ca. 11 000 Mann stationiert, deren kampfkräftiger Anteil in je einer nationalen Infanteriebrigade zusammengefasst worden war. Die Verteidigung Berlins wurde durch ASB unter Führung der Commandants-in-Committee oder des Single Commander koordiniert und geführt. Es gab keine Luftstreitkräfte der Drei Mächte in Berlin, jedoch Personal der Luftstreitkräfte, z.B. zum Betrieb der Flughäfen u.ä., sowie einige Kleinflugzeuge. Für die Sicherung des Luftzugangs erfolgte die Zuteilung der Kräfte für die Operationen von Live Oak weniger in festen Strukturen, da hier mehr in Waffensystemen und Stützpunkten als Organisationselementen gedacht wurde. Fast alle nicht fliegenden Truppenteile (Fernmeldeeinrichtungen, Aufklärung, Flugsicherung und Bodendienste auf den Flugplätzen), die im Alltag, in Übungen und in NATO-Operationen dieselben Aufgaben erfüllten wie für Live Oak, wurden in im rückwärtigen Gebiet verteilten, teils verbunkerten Einrichtungen eingesetzt. In besonderem Maße betraf dies die Gefechtsstände der Luftverteidigung der NATO, vor allem CRC Visselhövede und Auenhausen, RP Wasserkuppe, später auch CRC Lauda, die für Live Oak allerdings durch dafür vorbereitetes Personal verstärkt werden mussten. Die extra für Live Oak einzusetzenden Kräfte konnten also gering sein. Für die fliegenden Anteile galt diese Einschränkung nicht; Transport- und Kampffliegerkräfte mussten im Ernstfall auf den vorgesehenen, aber ständig betriebenen Einsatzflugplätzen mit ihren Führungs- und Unterstützungspaketen zusammengezogen werden. Dies bedeutete vor allem für die Franzosen einen höheren Aufwand, da sie ab 1966 ihre Kräfte aus Frankreich auf Basen der Amerikaner oder, je nach Auftrag, der Briten und Deutschen zuführen mussten. Die Amerikaner und Briten hatten allerdings ebenfalls besondere Fliegerkräfte heranzuführen, etwa aus Großbritannien. Für die Transportoperationen benötigte man 18 Transporter, je sechs der Drei Mächte, und mindestens je drei zivile Maschinen der drei Berlin bedienenden Fluggesellschaften Airfrance, British Airways und Panam. Für die taktischen Operationen waren zusammen 75 Maschinen der Drei Mächte, je Nation 25 Jäger/Jagdbomber, vorgeplant. Die vorgesehenen Flugmuster waren in allen Kategorien sehr unterschiedlich, daher waren auch die Kapazitäten und Fähigkeiten nicht gleich. Alle Operationen sollten gemischt unter Beteiligung aller drei Nationen geflogen werden. Das alles machte es schwierig, die Zahl der dafür zu bewegenden Truppen der Luftstreitkräfte zu quantifizieren: einige Hundert Personen oder wenig mehr als 1000 bis höchstens 1500 könnten es gewesen sein. Im Falle der Großen Luftbrückenoperation für Berlin (QBAL) wäre der Kräfteeinsatz und der Aufwand allerdings ins Gigantische gewachsen, gerade auch die durch die Bundesrepublik zu leistende Unterstützung.34 Für die Maritimen Gegenmaßnahmen gab es keine Kräfteeinteilung im Rahmen der Berlin Contingencies, da Live Oak über die NAVCORCENTs nur eine begrenzte Ver Im Rahmen von ACAB, siehe BArch, BW 71/72, Nr. 16: SHLO O 86/899, 22.8.1986, Encl. Es war z.B. vorgesehen, dass die Bundeswehr mehrere Bataillone nur für Zwecke der Be- und Entladung der Flugzeuge in Hannover stellen sollte. QBAL war für kurze Zeit Teil des Instrumentariums von Live Oak gewesen; siehe in Kap. IV.5 den Exkurs.

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antwortung bei der Koordinierung besaß, Planung und Durchführung jedoch Aufgabe der Nationen blieben. Die zwölf Soldaten in den beiden aktiven Zentren, Live Oak und »Sea Spray« (acht Offiziere und vier Bootsleute), waren die einzigen Seeleute aus dem Bereich Live Oak, die weitgehend oder ausschließlich für diese Organisation arbeiteten. Das Marinekomitee »Deep Sea« sowie das dritte NAVCORCENT, das erst in der Krise zu aktivierende »Free Flow« bei USCINCPAC auf Hawaii, waren nur zeitweise in diesen Funktionen tätig.35 Fast alle für Live Oak vorgesehenen Kräfte und Mittel waren grundsätzlich ständig verfügbar und, bis auf wenige Ausnahmen, einsatznah in Mitteleuropa disloziert. Die Ausnahmen betrafen vor allem fliegende Teile der Luftwaffen, die nach Alarmierung sehr bald in den Einsatzraum verlegt werden konnten, da sie hoch beweglich waren. Dennoch war für alle Kräfte eine Vorwarnung notwendig, um eine rasche Aktivierung, eine ausreichende Vorbereitung und die Herstellung der Einsatzbereitschaft in der Krise zu erreichen. Die Zeitmargen waren für die einzelnen Operationspläne genau definiert und konnten je nach Anlage durchaus mehrere Stunden oder sogar Tage umfassen. Die Ausrüstung der Kräfte wurde in der Regel den Erfordernissen des Auftrags gerecht. Es gab jedoch zeitweise Schwächen in der Fernmeldeausstattung, in der Aufklärung, gerade auch aus der Luft, und der Kompatibilität auf vielen Gebieten, z.B. der unterschiedlichen Munitionsausstattung, des Fluggeräts usw., die oft nur durch Aushilfen überbrückt werden konnten. Ab der Mitte der siebziger Jahre schwand außerdem vor allem der technische Vorsprung des Westens bei den Luftstreitkräften, was die Offenhaltung des Luftzugangs in einer Krise schwieriger und verlustreicher machen würde. Die Kräfte waren für ihren Auftrag in der Regel gut vorbereitet, denn sie hatten die Pläne verinnerlicht, kannten die Einsatzräume aus eigener Anschauung und hatten den militärisch ungewohnten, schwierigen Auftrag in der national gemischten Zusammensetzung mindestens einmal geübt. Die heiklen taktischen und strategischen Anforderungen, insbesondere die Notwendigkeit, in einer feindlichen Umgebung auf weit vorgeschobenen Positionen in den Korridoren operieren zu müssen, ließen auch ungewöhnliche Aufgaben erwarten. Die wichtigsten Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit waren komplett eingerichtete und Tag und Nacht arbeitende Fernmeldeverbindungen und Verbindungsorgane, -kommandos und -leute.36 Eine weitere Voraussetzung war die genaue Kenntnis der bestehenden Lage durch alle Beteiligten, gestaffelt je nach Stellung und Rang. Das schloss die Rechtslage sowie die politische, militärische und psychologische Lage ein, insbesondere natürlich die genaue und aktuelle Kenntnis über den Gegner und seine Absichten. Die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation und mit anderen Diensten, Dienststellen und Handelnden wurde wesentlich erleichtert, wenn die Führenden und Handelnden sich kannten, am besten eventuell bereits in der Vergangenheit und möglichst in dieser oder vergleichbarer Funktion zusammengearbeitet hatten. Bei Live Oak wurde dies durch Besprechungen, Besuche, Konferenzen und besonders durch Übungen gefördert. Auch waren viele Kon-

BArch, BW 71/58, Nr. 37: SHLO 600/8, 28.9.1964, v.a. Para 2 und Para. 3.b. BArch, BW 71/119, Nr. 14: »Live Oak Command and Relationship Structure« Draft, SHLO 700/7, 27.4.1963, LO-TS-63-39, besonders auch Annexure B.

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takte durch die gemeinsame Arbeit im Bündnis zustande gekommen; dies traf vor allem auf Politiker, Diplomaten und die Generalität zu. Auf der politisch-diplomatischen Ebene der Drei Mächte gab es Ende der fünfziger Jahre schon ein erprobtes Geflecht von dienstlichen und persönlichen Beziehungen, zu dem die Bundesrepublik zu dieser Zeit nur auf hoher Ebene einen Zugang hatte. Dies verbesserte sich zwar im Zuge der Vorbereitungen der Verhandlungen mit der Sowjetunion in den Jahren 1959/60. Aber erst nachdem infolge der gescheiterten Begegnung Kennedys mit Chruščev in Wien im Juni 1961 die Bundesrepublik als vierte Macht in den Kreis der Wissenden und mit Einschränkungen auch in den der Handelnden aufgenommen und dadurch Teil dieses wichtigen Beziehungsgeflechts geworden war, ergaben sich hier substanzielle Fortschritte. Durch den »Druck der Berlin-Krise« bildete sich aus bisher bei Bedarf einberufenen Konsultationsgruppen etwa für Konferenzen im Frühjahr 1959 »eine permanente Institution«.37 Man traf sich regelmäßig und zusätzlich bei Bedarf, bilateral, im Bündnis und bei Konferenzen in anderen Zusammenhängen. Die Verbesserungen der technischen Kommunikationsmittel erleichterte diesen regen Austausch ebenso wie die sich rasch erweiternden Möglichkeiten im Reiseverkehr. Die führenden Persönlichkeiten und ihre wichtigsten Mitarbeiter sahen sich mehrmals im Jahr.38 Ähnliches galt für die militärische Seite der Organisation. Der Austausch der zivilen mit der militärischen Führung gestaltete sich allerdings anscheinend nicht in gleichem Maße dynamisch, was für die Arbeitsebene wohl noch weniger der Fall war. Dafür boten die jährlichen Rahmenübungen und die offiziellen Besuche einen gewissen Ausgleich. Besonders bedeutsam war daher auch das System der Bündelung von Verantwortung für mehrere Aufgaben, das bereits dargestellte Prinzip der mehreren »Hüte«. Diese Einrichtung sollte das militärische Führen maßgeblich erleichtern, insbesondere beim Übergang der Verantwortung von Live Oak zur NATO in einer Krise. Weiterer Netzwerkbildung diente das Besuchsprogramm von Live Oak. In regelmäßigen Abständen reiste Live Oak mit einer größeren Delegation zu den wesentlichen Mitwirkenden und ihren Dienststellen. Dazu zählten die jährlichen Besuche in den USA, in Washington beim State Department, möglichst mit einem Treffen mit Vertretern der WAG, im Verteidigungsministerium sowie in Norfolk bei SACLANT und »Sea Spray«. Ähnliche Besuche gab es in London und Paris sowie in Bonn und Berlin. Bei der Zusammensetzung der Delegationen wurde darauf geachtet, dass die Nationen und die Abteilungen des Stabes in etwa gleichwertig vertreten waren. Zu Reisen nach Berlin wurden deutsche Vertreter aus naheliegenden Gründen nicht zugelassen. Weniger regelmäßig, aber relativ oft führten Reisen der Abteilungen oder einzelner Sachbearbeiter zu den militärischen Hauptquartieren, um die Operationspläne und Übungsvorhaben zu koordinieren, Änderungsvorschläge zu diskutieren und Mängel anzusprechen. Große Bedeutung hatte auch die Teilnahme der zuständigen Abteilungsleiter und der Sachbearbeiter an den Übungen. Die große jährliche Rahmenübung, meist Anfang des Jahres, vereinte zivile und militärische Vertreter aus allen vier Nationen und Siehe Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium, S.  37, Zit. ebd. Siehe auch BArch, BW 71/49, Nr. 3: Live Oak Basic Paper, 4.4.1959, LO(IN)-S-59-1006, bes. Para. 13. 38 Siehe die Grafik »Vier-Mächte-Konsultationen«. Als Grundlage diente Haftendorn, Das institutionelle Instrumentarium, Übersichten auf S. 55 und S. 69. 37



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Vier-Mächte-Konsultationen (vereinfachte Übersicht) Ort

Organisation

Intervall der Konsultation

1. Washington

Botschaftergruppe (WAG) mit folgenden Untergruppen, soweit für Live Oak relevant: - politische Untergruppe - militärische Untergruppe - wirtschaftliche Untergruppe - Marinekomitee »Deep Sea« - nichtmilitärische Maßnahmen, »Quadrant« - Koordinierung der Eventualfallplanung

bei Bedarf

2. New York

Vereinte Nationen (VN) Botschafter der Vier Mächte

bei Bedarf

3. Norfolk,VA

NAVCORCENT »Sea Spray« (Atlantik)

bei Bedarf

4. Hawaii

NAVCORCENT »Free Flow« (Pazifik) nicht aktiv

nach Aktivierung

5. Paris/ab 1967 Brüssel

Im Rahmen des NATO-Rates (NAC) auf Ministerebene (Ministerials)

mindestens 2 x im Jahr

Außenminister der Vier Mächte (sogenannte »Deutschland-Essen«)

mindestens 2 x im Jahr

6. Casteau/Belgien CLO mit Live Oak, NAVCORCENT 7. Bonn

8. Wechselnde Orte

9. Berlin

permanent

Advisory Group bei SACEUR mit SHAPE

permanent

Bonn Group Unterausschüsse

bei Bedarf wöchentlich

Arbeitsessen des Staatssekretärs, Auswärtiges Amt, mit den Botschaftern

regelmäßig

Direktorenbesprechungen der Außenministerien

2 – 4 x im Jahr

Ad-hoc-Viererrunden, v.a. am Rande internationaler Konferenzen

bei Gelegenheit und Bedarf

Kommandantengespräche mit dem Regierenden Bürgermeister

mindestens 1 x im Monat

Berlin-Symposium, COBs, Live Oak ASB

meist 1 x im Jahr

Quellen: Haftendorn/Riecke, »... die volle Macht«, Tab. 1, S. 55, und Tab. 2, S. 69 (als Grundlage).

© ZMSBw

07854-04

ermöglichte gerade auch Diskussionen grundsätzlicher Art auf höherer politisch-ziviler und militärischer Ebene.39 Den größten Erfolg für ein effektives Zusammenwirken konnte man erwarten, wenn die Teilorganisationen und Stäbe aktiv und wohlvorbereitet an der Übungsanlage, besonders aber am Szenario mitgearbeitet hatten und in voller Besetzung und über die gesamte Übungszeit teilnahmen. Das war natürlich nur mit Einschränkungen möglich. Alles in allem konnte durch alle diese Maßnahmen ein großes Verständnis für die Komplexität und Bedeutung dieser Aufgabe und für die zu überwindenden Schwierigkeiten geweckt werden. Die Mitwirkenden aller vier Nationen und der alliierten Organisationen hatten erkennbar den Willen, mit Initiative erfolgreich zum Gelingen beizu BArch, BW 71/79, Nr. 11: »Exercise ›Steadfast 12‹ Critique«, SHLO O 88/446, 4.4.1988.

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tragen, und sie waren überzeugt, eine Krise um den Zugang nach Berlin erfolgreich zu bestehen, ohne das Risiko eines General War eingehen zu müssen.40

4. Das militärische Führungspersonal Im System der Krisenbewältigung auch mit militärischen Mitteln wird die Qualität des Führungspersonals zum Schlüssel des Erfolgs.41 Die Auswahl des Leitungspersonals ist deshalb so wichtig, weil in einer solchen Organisation gerade auch Führer kleiner Einheiten, die nachgeordnet sind, eine hohe Verantwortung tragen und im Rahmen der Befehle und Einsatzregeln (ROE) oft selbstständig entscheiden müssen. Als Beispiele seien der Führer einer »Probe« auf der Autobahn oder auf der Schiene, auch der Kommandant einer Transportmaschine oder der Führer einer Rotte Jäger in einem Luftkorridor genannt. Die Oberbefehlshaber durften keine Hitzköpfe sein, sondern sollten erfahren und auch in der politischen und diplomatischen Welt zu Hause sein. Der feste Wille zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den anderen Streitkräften im Bündnis, besonders unter den Drei und Vier Mächten, hatte Teil ihres beruflichen Selbstverständnisses zu sein. Diese Voraussetzungen waren in der Regel wohl gegeben.42 Es dürfte jedoch sicher nicht leicht gewesen sein, insbesondere die für die unteren Führungspositionen gewünschten Persönlichkeiten, in der großen Zahl relativ junge Truppenoffiziere, zu finden.43 Sie brauchten große Selbstsicherheit und Umsicht, sie mussten auch den Gegner durch ihr persönliches Auftreten positiv beeindrucken können. Sie durften keine Abenteuer suchen, sondern sollten überlegt und doch entschlossen handeln. Militärisches Können musste sich in diesen so sensitiven Operationen mit diplomatischem Geschick und mit der Fähigkeit verbinden, mit Verbündeten eng, auf die Erfüllung der Aufgabe ausgerichtet und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Einerseits wurde eine gute Portion Charisma gebraucht, um Gegner und Untergebene zu beeindrucken, andererseits mussten sie rational argumentieren und handeln. Nur durch beide Aspekte würden sie in der kurzen Vorbereitungszeit und nach Übungen mit der doch recht zusammengewürfelten Truppe die notwendige vertrauensvolle Gefolgschaft gewinnen. Wo das nicht ausreichend gelang, musste die Durchsetzungskraft helfen. Die ausgewählten Offiziere sollten Talent für Führungsaufgaben und Initiative besitzen. Die wichtigste Eigenschaft war aber Urteilsvermögen, um auch bei unsicheren oder fehlenden Verbindungen im Sinne der politischen Führung handeln zu können. Gleichzeitig war es gerade für Live Oak Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel, S. 84‑92. Siehe auch Dr. Wieck, Brief vom 13.6.2003, S. 4 unten. 41 Dieses Kapitel basiert vornehmlich auf den persönlichen Erfahrungen des Autors, der sich der besonderen Qualität, aber auch der Grenzen von Zeitzeugenaussagen bewusst ist. 42 In meiner Erinnerung war in den achtziger Jahren ein CINCUSAFE abgelöst worden, weil er sie offensichtlich nicht erfüllt hatte, allerdings nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit Live Oak. 43 Zum Bild des militärischen Führers Anfang der sechziger Jahre vgl. z.B. Abschnitt  B.I »Soldatisches Führertum« in BHD  1/799 der TF  1962, S.  21‑25. Siehe auch General Johann Adolf Graf Kielmansegg, Vorwort, in: Elble, Führungsdenken, S.  3‑7; neuer: BArch, BW  1/561879: HDv 100/100 TF von Nov. 2007, Nr. 2013 f. und Nr. 3002. 40



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besonders wichtig, dass die Führungskräfte sich darüber im Klaren waren, dass Führung hier keine »freie, schöpferische Tätigkeit«44 sein konnte. Über die Oberbefehlshaber von Live Oak, ihre Auswahl und Vorbereitung sind an dieser Stelle nur wenige Bemerkungen möglich. Die sechs CLOs, alle Amerikaner und mit Ausnahme des ersten, des Luftwaffengenerals Norstad, Offiziere des Heeres, waren ohne Zweifel herausragende Persönlichkeiten. Die schwierigsten Zeiten hatte der bereits seit Ende 1956 als SACEUR tätige Norstad, der in der akuten Krise für alle Operationen die grundsätzlichen Überlegungen und Planungen anstoßen, zur Entscheidung durch die »Political Masters« bringen und dann zum gültigen Operationsplan vollenden musste. Das alles gelang ihm auch, doch verlor er im letzten Jahr seiner Funktion, 1962, stark an Einfluss. Das hing mit dem einsetzenden Strategiewechsel zusammen. Die USAF büßte die überragende Bedeutung ein, die sie während der »Massive Retaliation« besessen hatte. Dies betraf auch die Vorstellungen über die Nuklearstrategie der USA und des Bündnisses. Ferner dürfte das Engagement Norstads für die europäische Seite in Washington nicht nur Begeisterung hervorgerufen haben.45 Die besten politischen Voraussetzungen und Verbindungen aller CLOs hatte wohl Lyman L. Lemnitzer als ehemaliger, langjähriger Vorsitzender der JCS und Berater von Präsident Kennedy. Er war zeitweise auch Vor­sitzender des Militärausschusses der NATO auf der Ebene der Stabschefs gewesen. Gerade seine Erfahrungen aus der zweiten Berlin- und der Kuba-Krise erwiesen sich als höchst wertvolle Voraussetzung.46 Auch Andrew J. Goodpaster war als ehemaliger Sekretär von Eisenhower47 sicherheitspolitisch versiert, ein guter Analytiker und bestens vernetzt. Er hatte ebenso Vorverwendungen in Europa aufzuweisen und konnte sich dann in den siebziger Jahren spannungsärmerer Zeiten erfreuen.48 General Alexander M. Haig Jr. hatte nicht, wie alle anderen CLOs, in Europa gedient, sondern er war vom Einsatz in Asien, vor allem in Vietnam, geprägt. Seine langen Jahre als Mitarbeiter im Stab des Nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger und dann als Stabschef im Weißen Haus von 1969 bis 1974 statteten ihn mit den für die Aufgabe des CLO nötigen Fähigkeiten aus. Seine Stegreifansprache vor den Offizieren von Live Oak bei seinem Dienstantritt zur politischen Lage um Berlin und in Europa war kenntnisreich und überzeugend.49 Bernard W. Rogers, von seinen Untergebenen »Bernie« genannt, hatte die längste Stehzeit in der Funktion, acht Jahre, und die schwere Aufgabe übernommen, die Politiker und Diplomaten davon zu überzeugen, dass die Operationsplanungen von Live Oak und die BERCON der NATO dringend der grundsätzlichen Überarbeitung bedurften, was ihm schließlich unter großen Mühen teilweise gelang. Er war ein antreibender, aber

Gem. BHD 1/799: Nr. 64 der HDv 100/1, TF von 1962, S. 30, Nr. 64, Zit. ebd. Vgl. hierzu Pedlow, General Lauris Norstad, S.36‑39; Münger, Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise, v.a. S. 58 f., 88, 186 und S. 337; sowie Jordan, Norstad, Cold War Supreme Commander, Kap. 8 und 9. 46 Vgl. Greiner, Die Kuba-Krise, S. 43. 47 Siehe Sloan, NATO’s Future, S. 29. 48 Siehe den Nachruf in der FAZ vom 20.5.2005. Der Verfasser hatte unter Goodpaster in Live Oak gedient und ihn in den achtziger Jahren mehrmals am USAWC, Carlisle, PA erlebt. 49 Siehe die Würdigungen in der FAZ vom 2.12.2004 und vom 22.2.2010; der Text der erwähnten Rede ist nicht in BW 71, der Verfasser war Ohrenzeuge. 44 45

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»extrem undiplomatischer SACEUR«.50 Für den letzten CLO, John R. Galvin, der vorher u.a. vier Verwendungen als Kommandeur in Deutschland durchlaufen hatte, war die heißeste Phase wohl die ungewisse Zeit des Übergangs von November 1989 bis in das folgende Frühjahr hinein.51 Alle CLOs vertraten oft, nach einem kürzeren oder längeren Lernprozess, gerade auch die europäischen Interessen und Belange, was für Berlin nützlich, aber nicht immer im Sinne ihrer nationalen Vorgesetzten und Politiker gewesen sein mag.52 Das Bild der fünfzehn COS ist nicht so einheitlich, was ihre Qualifikation und ihre Arbeit betrifft. Sie waren alle Offiziere des britischen Heeres und gleichzeitig Chef ihres nationalen Elements, der jeweilige britische HOD also. Herausragend waren die Generale G.H. Baker, I.C. Harris, J.M. Strawson, G.W.D. Crookenden, G.B. Wilson, D.E. Miller und C.G. Cornock. Die beiden ersten COS, W.G. Sterling und K. Cooper, hatten es schwerer, da sie ohne jede Vorwarnung aus einer Truppenverwendung kamen und, ohne sich entsprechend vorbereiten zu können, mit der Führung des Stabes beauftragt worden waren. Besonders gut geeignet war Crookenden, der vorher Chef der britischen Militärmission in Potsdam (BRIXMIS) gewesen war. Größere Schwierigkeiten, sich auf die neue Aufgabe einzustellen, hatte offensichtlich M.H. Sinnatt, der vorher kaum Erfahrungen auf dem internationalen Parkett sammeln konnte und anfangs »statt Ausgleich und Integration [...] Polarisation« bewirkt haben soll.53 Ein Offizier verdient noch besondere Beachtung in diesem Zusammenhang, der amerikanische Oberst Thomas W. Sharkey, der als HOD in den ersten Jahren, insbesondere aber als Führer des verkürzten Stabes von Oktober 1959 bis April 1961 alle Planungsarbeiten koordinierte und leitete. Er war seinem CLO, Norstad, ein ausgezeichneter Berater.54 Über die Führer der verschiedenen »Probes« und Operationen ist wenig überliefert. Aus manchen Schilderungen ist aber doch zu erkennen, dass einige anfangs gewisse Schwierigkeiten mit der so genuin politischen Natur der Operationen und mit der engen politischen Kontrolle bei der Planung und während der Ausführung hatten. Die militärischen Führer westlicher Armeen sind im Allgemeinen eine gewisse Selbstständigkeit und Freiheit in der Ausführung eines Auftrags gewohnt, besonders im Gefecht. Da die britischen Offiziere, selbst die unteren Ränge, aber oft eigene Erfahrungen mit politischdiplomatischen Vertretern ihres Landes im fernen Ausland gemacht hatten, fanden sie sich doch bald in die neue Aufgabe hinein, akzeptierten die Regeln rasch und wurden zu anerkannten Führern ihrer heterogenen Truppenkörper.55 Wenn jemand diese Erwartungen nicht erfüllte, wurde er durch Eingreifen des zuständigen nationalen Vorgesetzten schnell und ohne Aufsehen ersetzt.56 So der damalige deutsche Vertreter bei der NATO, Dr. Wieck. Siehe seinen Brief vom 18.11.2004, S. 4. 51 Siehe NATO-Review, Nr. 4, Aug. 1987, S. 5. 52 Zu Norstads Rolle siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 29 f. 53 BArch, BW 71/14, Nr. 31: GLNO-Jahresbericht 1982 vom 28.2.1983, S. 40, Zit. ebd. 54 Diese Bewertung ergibt sich aus in BW  71 überlieferten Dokumenten; BArch, BW  71/203: in »Live Oak and the Preservation of Allied Access«, S. 26. 55 So auch die Erinnerungen des Verfassers aus den Jahren 1972‑1975. 56 Daher gibt es in BArch, BW 71, auch keinen Schriftverkehr dazu. Das wurde national gelöst und international höchstens mündlich behandelt. 50



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Die Offiziere des Stabes Live Oak hatten oft Vorverwendungen in vergleichbaren Organisationen oder ähnlichen Verwendungen durchlaufen, viele auch in Berlin, Wien oder in damit befassten Stabsabteilungen in den nationalen Hauptquartieren oder MODs. Manche kannten sich daher. Die Generale und die Stabsoffiziere der Drei Mächte waren häufig in ihrer letzten Verwendung im aktiven Dienst und konnten auf vielfältige Erfahrungen zurückblicken, was jeden Überschwang bremste, aber dennoch manche neue, auch unkonventionelle Idee einbringen half. Es waren, bis auf wenige Ausnahmen, sehr verschiedenartige militärische Charaktere in Live Oak versammelt. Jüngere Offiziere der Drei Mächte in der Operationszentrale und die jüngeren deutschen Offiziere in den drei Sektionen brachten wohl etwas jugendliche, schöpferische Unbekümmertheit mit ein.57

5. Die Bedeutung von Ausbildung und Übungen Live Oak bereitete seine Kräfte besonders durch Übungen auf die Operationen in der Krisenbewältigung vor. Bei der Konzipierung dieser Operationen in der Anfangszeit von Live Oak hatte der Gesichtspunkt der vorbereitenden Ausbildung zunächst noch kaum eine Rolle gespielt. Als die Oberbefehlshaber aber meldeten, welche lange Vorbereitungszeit die Truppe im Ernstfall benötigte, um einsatzbereit zu werden, kam dieser Aspekt auch in das Blickfeld der politischen Führung, und zwar in Form von Manövern mit Volltruppe und Rahmenübungen. Der Ausbildung durch Übungen mit Volltruppe kam überaus große Bedeutung zu. Erstens war sie unverzichtbare Voraussetzung für die Herstellung der uneingeschränkten Einsatzfähigkeit. Der besondere Charakter dieser Operation verlangte eine spezielle Aus­bildung durch die Führer der Operation selbst, weil die dort geübten Themen im nor­malen Ausbildungsbetrieb nur begrenzt oder gar nicht vorkamen. Da alles mit für diesen Zweck besonders zusammengestellten Truppenkörpern aus drei Nationen in zwei Befehlssprachen ausgeführt werden musste, war auch mehr Zeit als sonst einzuplanen, um wirklich alle Teile einsatzbereit zu machen und die einzelnen Bausteine bestmöglich in die Truppe zu integrieren. Die mindestens einmal jährlich stattfindenden Übungen umfassten sowohl die zugewiesenen Land- als auch die Luftstreitkräfte und sollten vor allem die dann immer noch notwendige Ausbildungsphase vor dem Einsatz in der Krise verkürzen helfen. Zum Zweiten dienten die Übungen der Warnung des Gegners in einer Krise. Die Öffentlichkeitswirkung half, dass dieses Signal auch wahrgenommen wurde. So konnte die Versammlung der Kräfte für eine Operation und die dafür notwendige Ausbildung in einer Krise auch als eine Maßnahme des Krisenbewältigung genutzt werden, was 1963 auch zweimal zum Tragen kam.58 Aber auch außerhalb der Krise waren diese Übungen ein Hinweis für den Gegner, dass die Drei Mächte wachsam blieben. Spontan fallen mir hier einige Namen ein: Richard (»Dick«) Agnew, Rex Beasley, Michel Fourcade, Rolf Nitzsche, Oleg Michail de Pourichkevich, Eric Smith, Heino Graf Vitzthum und viele andere, besonders auch die langjährige Sekretärin des US HOD, Miss Mary O. Brown. 58 Vgl. die Darstellung in Kap. IV.10.d. und für die Nutzung von Übungen als Gegenmaßnahme in BArch, BW 71/45, Nr. 52: BQD-CC-11 »Military Countermeasures«, 11.5.1962, Teil II, Para. 23, ohne Seitenbezeichnung, je Para. eine Seite, ebd. 57

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Dass derlei ankam, zeigte die intensive Beobachtung der Übungen im Osten, gerade auch durch die NVA.59 Rahmenübungen sind ein Mittel der Führerausbildung, aber auch der Überprüfung und der Modernisierung: Sie dienten der Vorbereitung der politisch-diplomatischen und der militärischen Führungen auf die zu erwartenden komplexen, möglicherweise gefährlichen und unter dem Damoklesschwert der Eskalation stehenden Operationen. Als ideale Lösung wurde schon sehr früh die Einrichtung einer eigenen Live-OakRahmenübung mit Beteiligung aller politisch-diplomatischen Führungszentren und militärischen Hauptquartiere vorgeschlagen. Seit 1964 war die jährliche Rahmenübung60 daher das wichtigste Ereignis im Ausbildungskalender von Live Oak. Sie wurde auch zu einem entscheidenden Forum der Diskussion, der Meinungsbildung und der Weiterentwicklung des Systems, aber vor allem der Optionen und Gegenmaßnahmen, ihrer Ausgestaltung und ihrer Einsatzmöglichkeiten. Das Szenario mit Ausgangslage und Einlagen bereits für die nächste Übung erfuhr dann, den Diskussionen und ihren Ergebnissen entsprechend, den passenden Zuschnitt. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung dafür war die Festlegung, diese Übung ohne Ausnahme jährlich durchzuführen. Das sorgte für den nötigen Nachdruck bei den oft an anderer Stelle beschäftigten Diplomaten, die Aufgabe ernst zu nehmen und mitzuarbeiten. Trotzdem gelang der Spagat zwischen allgemein erkannter Erfordernis und Stellenwert im aktuellen politischen Umfeld nicht immer. Live Oak hatte sich also im Rahmen des Möglichen auf die Krisen um Berlin vorbereitet. Für die NATO galt das nur sehr eingeschränkt, da deren Interessen in Berlin sehr viel geringer und ferner lagen als bei den Vier Mächten. Obwohl die NATO sich klar zur Verteidigung Berlins bekannt hatte, gab es aus politischen Gründen nie eine NATOÜbung mit einem speziellen Berlin-Szenario. Daher konnte daraus auch keine besondere Gelegenheit werden, sich außerhalb einer Krise damit zu beschäftigen.61 Öffentlich hatte man eine Arbeitsteilung zugrunde gelegt. Die Beschäftigung mit Berlin oblag Live Oak, das dazu ja auch geschaffen worden war.

6. Koordinierung mit der NATO: Abgrenzung und Zusammenarbeit Das Atlantische Bündnis und Live Oak waren in vielerlei Hinsicht miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. Andererseits wurde Live Oak jedoch politisch und militärisch durch strenge Geheimhaltung von der NATO abgegrenzt, nicht zuletzt durch die völkerrechtliche Lage, die eine strikte Trennung der beiden Bereiche forderte. Während die Drei Mächte in Berlin die Verantwortung für Berlin gemeinsam mit der Vierten Vgl. die Darstellung in Kap. II.6. Als Beispiel mögen die diversen Berichtsreihen in DVW 1 der NVA dienen, von »Sonderberichten« über »Aufklärungs-Sammel-Berichten« bis hin zum immer wieder aktualisierten »Handbuch Westberlin«. 60 Verstanden als »Command Post Exercise«, kurz CPX; siehe BArch, BWD  5/1424: AAP-6 (K) 1972, S. 2‑49. 61 Versuche, das z.B. bei HILEX in den achtziger Jahren doch zu tun, waren nach Kenntnis des Verfassers stets im Vorfeld abgeblockt worden. 59



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Macht, der Sowjetunion, trugen, hatten das Bündnis selbst und die übrigen Partnerländer dort keine originären Aufgaben und keine Verantwortung aus dem Völkerrecht. Die Drei Mächte befürchteten auch tatsächlich, dass eine Übernahme der Verantwortung durch das Bündnis ihre rechtliche Position schwächen, ja sogar beenden oder zumindest eine Einmischung des Warschauer Pakts begründen konnten. Außerdem war die politische Koordinierung von damals fünfzehn Mitgliedsstaaten schwieriger und auch konfliktträchtiger als die Abstimmung von nur drei bzw. vier Partnern, die in Berlin-Fragen weitgehend die gleichen Interessen verfolgten. Dabei war seit der erfolgreichen Beendigung der sowjetischen Blockade West-Berlins durch die Luftbrücke 1949 die politische Bedeutung der Stadt als »an island of freedom in a Communist sea«62 stetig gewachsen. Die NATO hatte dies anerkannt und ihr Interesse an der Freiheit Berlins durch mehrere Erklärungen seit 1954 untermauert. Diese Mitverantwortung ergab sich formal jedoch erst durch die Garantieerklärungen des Bündnisses für (West-)Berlin. Konkret ins Auge fasste die Allianz zunächst rein politische Maßnahmen ohne Stützung durch weitere konkrete Planungen. Dies änderte sich dann in der als sehr bedrohlich empfundenen Steigerung der zweiten Berlin-Krise im Sommer des Jahres 1961. Nun wurde das Bündnis durch eigene Operationsplanungen und Kataloge von Gegenmaßnahmen in das System der Sicherung Berlins eingebunden. Allerdings blieb Live Oak für eine Krise im niedrigen Bereich der Intensität und Eskalation immer allein verantwortlich, obwohl es auch dafür auf die Unterstützung des Bündnisses und seiner Mitglieder, insbesondere in vielen technischen und logistischen Bereichen, angewiesen war. Falls Live Oak die Bewältigung einer Krise nicht gelang, sollte die Drohung mit den Potenzialen der NATO, vor allem natürlich mit deren nuklearem Arsenal, die Überzeugungskraft des Westens gegenüber der Sowjetunion so stärken, dass die Krise doch beherrschbar blieb. Aus diesen Bedingungen ergaben sich für die Allianz zwei Folgerungen: die Notwendigkeit zur Geheimhaltung aller dieser Planungen gegenüber dem Gegner, damit dieser im Ungewissen bliebe über die Reaktion des Westens auf seine Handlungen, aber auch gegenüber den nicht unmittelbar betroffenen Verbündeten und gegenüber der Öffentlichkeit, deren Unterstützung man für solche Überlegungen zunächst nicht voraussetzen konnte. Als zweites kam die Notwendigkeit einer sehr engen Zusammenarbeit zwischen den Vier Mächten in Live Oak und den fünfzehn Mächten in der NATO hinzu, um Live Oak überhaupt einsatzbereit zu machen und in der Krise bei Bedarf mehr politisches Gewicht zu verleihen. Diese sich widersprechenden Ziele hatten natürlich erheblichen Einfluss auf die Beziehungen zwischen Live Oak und NATO. Während man von Anfang an eine strenge Geheimhaltung aller Pläne und Gegenmaßnahmen als dringend erforderlich betrachtete, um die Gegenseite im Dunkeln über eigene Planungen für die Krise zu lassen, sah man umgekehrt die gezielte Unterrichtung des Gegners und der Öffentlichkeit in einer Krise und eventuelle Gegenmaßnahmen als geeignetes Mittel zur Unterstützung der westlichen Krisenbewältigung vor.63

So Präsident Kennedy am 25.7.1961, Documents on Germany, S. 763. BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper vom 4.4.1959, Para. 1.

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Live Oak versuchte jedenfalls, Geheimhaltung durch eine Vielzahl von sehr restriktiven Maßnahmen zu erreichen. Die Zahl der Wissenden wurde durch eine Begrenzung auf Mitglieder der Vier Mächte und mit der strengen Maßgabe des Grundsatzes »Need to know« sehr klein gehalten. Dies galt für alle Bereiche, mit Einschränkungen sogar für das innerhalb des Stabes eingesetzte Personal. Es gab also zwei Kreise der Geheimhaltung: den NATO-Gesamtrahmen bei SHAPE und Live Oak. Die Unterbringung des Stabes Live Oak in einem abgetrennten Gebäude bei EUCOM und die Nutzung der nationalen Fernmeldeverbindungen erleichterte die allgemeine Geheimhaltung ungemein. Als die Krise im Sommer 1961 wieder gefährlicher wurde, musste auch enger Anschluss an SHAPE gesucht werden. Dennoch war der Stab dort in einem eigenen Gebäude untergebracht, zu dem die Mitglieder des allgemeinen SHAPE-Personals, die nicht speziell Live Oak zugeteilt waren (das galt auch für Angehörige der Vier Mächte), keinen Zugang erhielten. Es gab allerdings Ausnahmen für Mitglieder der SHAPE/Live Oak Advisory Group, die ausnahmslos Angehörige der Vier Mächte sein mussten. Ihre Aufgabe war es, die Zusammenarbeit mit der NATO in den dafür definierten Aufgaben zu sichern. Diese Offiziere waren namentlich benannt, entsprechend überprüft und verpflichtet worden. In der Folge erhielt Live Oak eigene Fernmeldeverbindungen außerhalb der NATO und der nationalen Netze der Vier Mächte, um unabhängig agieren und die Geheimhaltung leichter wahren zu können. Die Volltruppenübungen von Live Oak mit mehreren Hunderten, gar Tausenden von Mitwirkenden brachten große Probleme für die Sicherheit mit sich, da auch gegenüber dem eigenen Personal nicht zu erkennen gegeben werden sollte, welche Organisation genau dahinter steckte, gleichzeitig aber offene Signale der Abschreckung an den Gegner zu senden waren. Abhilfe sollten besondere »Legenden«, sogenannte Cover Stories, für den Stab und seine Übungen schaffen. Als diese nicht mehr glaubwürdig genug schienen, weihte man das Personal in abgestufter Form in die Hintergründe ein. Auch der Kreis der Wissenden bei der NATO über Live Oak und die BERCON/ MARCON der NATO wurde klein gehalten. Es gab keine Übungen dazu. Die Planungen waren nach der grundsätzlichen Genehmigung nie mehr offiziell Gegenstand einer Erörterung im NAC oder anderen Gremien, sie tauchten auch in keinem Protokoll mehr auf. Für Live Oak und seinen unmittelbaren Aufgabenbereich reichte diese Form der Zusammenarbeit jedoch aus. Die Ebene der ausführenden Hauptquartiere der NATO als MSC, vor allem ­AFCENT mit LANDCENT und AIRCENT (später AAFCE) und PSC, CENTAG und NORTHAG, erhielten zu Live Oak und den diesbezüglichen operativen Planungen nur die Information, dass General Norstad die Oberbefehlshaber einzeln mündlich einweisen würde. Die Übertragung mehrerer Funktionen in Personalunion machte es dann möglich, weitere, genauere Informationen zu bekommen. Später wurden den Oberbefehlshabern die Operationspläne der BERCON/MARCON-Reihe zur Umsetzung zugestellt, die jedoch nur ganz kleinen, besonders beauftragten Arbeitsgruppen zur Kenntnis gegeben wurden. Diese Pläne verschwanden dann, nicht mehr gelesen oder bekannt, für immer in den Registraturen. Unter diesen Bedingungen gestaltete sich die Zusammenarbeit nicht einfach. Dazu kam, dass Live Oak zunehmend die Unterstützung des Bündnisses und der Host Nation, also der Bundesrepublik und ihrer Länder, benötigte, was auch für offizielle Vertreter an-



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derer Nationen oft nur schwer zu verstehen war. Die Zusammenarbeit auf der obersten Ebene, politisch-diplomatisch und militärisch, war unproblematisch, weil die Handelnden in der WAG, in der Bonn Group, in den Außen- und in den Verteidigungsministerien, in den Führungsstäben und bei SHAPE oft bereits in zwei oder mehr Bereichen gearbeitet hatten. Im Hauptquartier der NATO in Paris und später in Brüssel, im NAC, im MC, beim IS und IMS wurden die Kenntnisse über Live Oak jedoch immer geringer, weil diese Thematik infolge der zunehmend entspannteren Lage in Bezug auf Berlin dort nicht mehr behandelt wurde, obwohl sie im Zusammenhang mit der Deutschen Frage immer wieder politisches Interesse fand. Es gab im Hauptquartier der NATO zwar die Position des Verbindungsoffiziers von Live Oak, sie wurde aber nicht genutzt. Die Unterstützung durch SHAPE lief nach einigen holprigen Jahren in den Bereichen, welche ständig wiederkehrende Leistungen erbringen sollten, insgesamt gut. Dazu zählten vor allem die Intelligence, Public Information und Operation Divisions. Schwieriger wurde es, wenn Abteilungen angesprochen werden mussten, in denen die Bearbeiter nicht eingewiesen waren. Dann fehlte gelegentlich doch das Verständnis für das Besondere der Arbeit von Live Oak, gerade auch für die Geheimhaltung und deren Erfordernisse. Die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Hauptquartieren, die mit der Planung und Ausführung von Live-Oak-Operationen beauftragt waren, und den Hauptquartieren der NATO gestaltete sich dagegen nicht konfliktfrei. Das hatte seine Ursache vor allem darin, dass Kräfte, die für die Hauptverteidigung gemäß GDP gebraucht wurden, für Live Oak bereitgehalten werden mussten. Die Tatsache, dass die Oberbefehlshaber in Personalunion beide Hauptquartiere führten, erleichterte jedoch die Koordinierung wesentlich und half, größere Konflikte zu vermeiden. Dieses Interessen- und Spannungsfeld bestimmte die Geschichte von Live Oak bis zum Schluss. Die strikte Geheimhaltung führte zwar zu gewissen Animositäten in SHAPE gegenüber Live Oak, störte die Arbeit aber nicht wirklich. Koordinierung und Zusammenarbeit können im Großen und Ganzen als zufriedenstellend beurteilt werden. Die komplizierte Gemengelage rührte nicht zuletzt daher, dass die Drei Mächte als Besatzungsmächte gemeinsam mit der vierten Macht, der Sowjetunion, für Berlin verantwortlich waren. Umgekehrt war es jedoch auch möglich, krisenhafte Entwicklungen »auf kleiner Flamme« zu halten, ohne das gesamte Bündnis unmittelbar beteiligen zu müssen. Die Allianz stand aber mit ihren Garantien bereit, um laufende Unterstützung zu leisten und Solidarität mit allen Kräften und Mitteln zu üben, wenn das wirklich notwendig werden sollte.64

Siehe hierzu BArch, BW 71/124, Nr. 33: ISA I-19259/61 TS, Draft Rev., 2.11.1961, bes. Para. 1, S.  1; auch BArch, BW  71/74, Nr.  10: SHLO O  87/140  S, 2.2.1987, »Connection Live Oak/ NATO«, bes. S. 1 unten.

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7. Öffentlichkeit und Geheimhaltung Dieses Begriffspaar war ein schwieriges, potenziell immer konfliktträchtiges Feld. Von Beginn an stand die Nutzung der Medien und dadurch die Beeinflussung der Öffentlichen Meinung für die Operationen von Live Oak auf der Agenda,65 da viele Maßnahmen und Gegenmaßnahmen der Öffentlichkeit kaum verborgen bleiben würden, wodurch auch politischer Druck auf die Gegenseite ausgeübt werden konnte. Im Laufe der Zeit wurde die Öffentlichkeitsarbeit ein unverzichtbares Kernelement des Krisenmanagements. Dem stand die politisch und militärisch gebotene Forderung nach strikter Geheimhaltung entgegen. Der Ausweg war, dass die politische Führung frühzeitig die Prioritäten setzen und die politischen Ziele der die Operation unterstützenden Berichterstattung vorgeben sollte. Das war Anfang der sechziger Jahre ein noch recht neuer Aspekt der Krisenvorsorge, für den es so noch kein Beispiel gegeben hatte. Die Nutzung der Medien durch Regierungen, um andere Staaten, die Bevölkerung und die politische Öffentlichkeit zu beeinflussen, hatte es selbstverständlich immer gegeben. Neu war der Einsatz von »Public Information« als aktives Element der Krisenbewältigung,66 hier insbesondere als psychologisches Mittel zur Entschärfung. Es ging also nicht darum, die Pläne von Live Oak für die Öffentlichkeit teilweise oder ganz offenzulegen, auch nicht darum, Propaganda und Agitation gegen die Sowjetunion und die DDR einzusetzen. Es war vielmehr das Ziel, im Falle einer akuten Krise eigene Maßnahmen zu begründen, die die Behinderung des freien Zugangs nach Berlin durch die Sowjetunion oder die DDR unterbinden konnten, den politischen, rechtlichen und militärischen Zusammenhang zu erläutern und für die Unterstützung der eigenen politischen Ziele zu werben. Dadurch wollten die Drei bzw. Vier Mächte versuchen, ein besonderes psychologisches Klima zu erzeugen67 und indirekt oder sogar auch direkt mäßigenden Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Gegenseite auszuüben.68 In einem längeren Prozess wurde das System für die Öffentlichkeit ausgebaut, bis es Mitte der siebziger Jahre einen fortgeschrittenen und in den achtziger Jahren schließlich seinen organisatorischen Endzustand erreicht hatte. Bei jedem der politisch-diplomatischen Beratungs- und Entscheidungszentren war ein Informationszentrum (Public Informations Center, PIC) angedockt, bei der WAG das WAPIC und bei der Bonn Group das BOPIC. Das Gleiche galt für die militärischen Hauptquartiere. Den militärischen Truppenteilen der Landstreitkräfte, die sich auf der Autobahn oder auf der Schiene in die DDR hinein bewegen sollten, wurden kleine Public-Informations-Zellen beigegeben, die den verantwortlichen Führer beraten sowie geeignete und wichtige Informationen dokumentieren sollten.

BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper, 4.4.1959, Para. 1.b. Ein gutes Beispiel für die wichtige Rolle der öffentlichen Meinung bei einer politischen Krise war der NATO-Doppelbeschluss vom 12.12.1979, siehe u.a. Yost, The History of NATO, v.a. S. 243‑245 und S. 255 f. 67 BArch, BW 71/124, Nr. 3: ECLO 525, 24.7.1959, LO-TS-59-1022, S. 4, Para. 9. 68 Zum Verhalten und zu den Reaktionen der Bevölkerung auf ihre Beteiligung in Krisen hat Hermann, International Crisis, v.a. S. 30, hingewiesen. 65 66



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Anfänglich wurde dafür nur wenig Personal gebraucht. Weitgehend sollte es militärisches Fachpersonal sein, das allerdings in den ersten Jahren nur sehr begrenzt verfügbar war. Der Bedarf wuchs aber bis in die achtziger Jahre stark an, da die PIC in einer Krise rund um die Uhr mit gemischten Schichten aller Drei Mächte besetzt sein sollten. Das Personal musste kompetent sein, d.h. es konnten keine »Ungelernten» eingesetzt werden, wenn man gegenüber Vertretern der internationalen Medien bestehen wollte. Das wurde seit Mitte der siebziger Jahre weitgehend erreicht. Erfahrenes, kompetentes Personal für Öffentlichkeitsarbeit blieb aber immer knapp. Da die Geheimhaltung auf jeden Fall gewahrt werden musste, konnte auch die Vorbereitung nur unter dieser Bedingung laufen. Im Laufe der Jahre wuchs die Zahl der beteiligten Soldaten, vom Fotografen im Dienstgrad Gefreiter bis zum Leiter eines PIC im Dienstgrad Oberstleutnant, auf insgesamt mehrere Hundert an. Es kam darauf an, alle diese Kräfte so auszubilden, dass jeder in der Krise und nach Aktivierung seines PIC nach kurzer Einarbeitung seine Aufgabe gut erfüllen konnte, ohne den geforderten Geheimschutz zu verletzen. Nacheinander wurden die politischen Leitlinien für jede einzelne Operation entwickelt. Als übergeordnete Leitlinie wurde dann eine besondere Richtlinie für alle Informationszentren erstellt, die grundlegende Informationen und die Verfahren der Zusammenarbeit bis hin zu vorbereiteten Fragekatalogen einschließlich der »richtigen« Antworten enthielt. Dieses Papier wurde als LOPIGUIDE, Live-Oak-Secret, die »Bibel« der PICs und ihres Personals. Im Ernstfall sollte die WAG in einer Weisung für die jeweilige Operation festlegen, wie und unter welchen Vorgaben die Medien informiert werden durften. Diese Lösung hatte ihre Schwächen, war aber der Forderung nach ständiger politischer Kontrolle geschuldet. Durch eingeplante Einschränkungen für die Freigabe von Informationen in einer Krise glaubte man, die PIC auf die Nutzung der Medien ausreichend vorbereitet zu haben und die Unterstützung der Medien in der akuten Krise gewinnen zu können, ohne aber die anderen, nicht genutzten Optionen und Operationen offen legen zu müssen und dadurch zu gefährden. Die Ausbildung der PICs und die Einübung der Verfahren erfolgte häufig in CPX oder auch in besonderen Public-Information-Übungen.69 Allerdings wurde die Arbeit mit den Medien bei Live Oak selbst nie aktiv in der Praxis umgesetzt. Bestimmte Infozentren sind zwar einige Male in Krisenlagen zusammengezogen, aber nie durch Live Oak tatsächlich eingesetzt worden. Einige Offiziere gewannen jedoch wichtige Erfahrungen und Übung in den Stäben der COBs in Berlin, in den Hauptquartieren der Nationen und der NATO im laufenden Tagesgeschäft oder bei besonderen Übungen und Ereignissen. Dies konnte in einer Krise nützlich werden. Die Nutzung der Öffentlichkeitsarbeit und die Einbeziehung der Medien war neu und innovativ. Ob allerdings in einer sich steigernden Krise der Spagat gelungen wäre zwischen den Erwartungen einer größeren Menge von informationshungrigen Medienvertretern und einem möglicherweise schweigendem PIC, das wegen mangelnder Weisung und unter Beachtung der Geheimhaltung untätig blieb, muss offen bleiben. Auf Siehe beispielsweise BArch, BW  71/77, Nr.  25: Live Oak OPORD Ex. Steadfast  12, 1988, 10.11.1987, SHLO O  87/1768/EXD. Zur Frage des Erfolgs siehe die kritische Meldung des GLNO zur Übung Steadfast 13 im Januar 1989, BArch, BW 71/21, Nr. 33: GLNO Tgb-Nr. 08/89 geh. vom 2.2.1989, S. 3 f., Ziff. II.6 »Öffentlichkeitsarbeit«.

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der anderen Seite musste der Gegner dosierte Kenntnis über die eigenen Planungen erhalten, um Abschreckungswirkung zu erzielen. Dazu kam als drittes Element die eigene Bevölkerung, mit der wiederum in besonderer Weise umzugehen war, um Panik zu vermeiden.70 In den Krisen des Kalten Krieges funktionierte das, da eine kritische Verschärfung unterblieb. Ob all dies heute im Zeitalter des World Wide Web solange erfolgreich durchzuhalten wäre, muss eher bezweifelt werden.

8. Stärken und Schwächen des Systems Jedes System der Krisenbehandlung bedarf der Anpassung an die sich immer wieder verändernden Bedrohungen. Sie kann nur gelingen, wenn es Instanzen gibt, die einen permanenten oder mindestens regelmäßigen Abgleich unternehmen, um zu ergründen, wo sich Notwendigkeiten zur Überprüfung oder gar Veränderung ergeben. Die Verantwortung für die politisch-diplomatische Anpassung lag bei der WAG, diejenige für die allgemein militärische sowie für den Land- und Luftzugang beim Stab Live Oak, schließlich beim Marinekomitee »Deep Sea« für die Maritimen Gegenmaßnahmen. Strukturund Organisationsfragen waren ebenfalls von diesen drei Gremien oder Dienststellen zu überprüfen.71 Anpassungen konnten für die allgemeine Organisation, für die Ziele und Inhalte aller Planungen und Maßnahmen und für Unterstützungsleistungen aller Art notwendig werden. Im Kleinen waren sie ein ständiger Vorgang, der meist keine grundlegende Befassung der Gremien erforderte. Wenn politische Fragen berührt waren, wurde indes größerer Aufwand auf höherer Ebene nötig. Anstöße dafür kamen oft von einzelnen Mitwirkenden oder kleinen Arbeitsgruppen, insbesondere nach Zwischenfällen und Übungen. Im Folgenden sollen grundsätzliche Anpassungsmaßnahmen vorgestellt und auf ihren Erfolg untersucht werden. Im Laufe der Zeit wurden vier organisatorische Änderungen bedeutsam: Der Stab Live Oak war ja rasch aufgestellt worden, konnte aber nach dem Abebben der Krise im Oktober 1959 deutlich verkleinert werden. Dabei, und das ist das eigentlich Wichtige, gelang es, essenzielle, fachliche Kompetenz für die Sicherung des Zugangs nach Berlin zu erhalten, die während der folgenden 20  Monate auch wirkungsvoll für die Vervollkommnung der Planungen genutzt werden konnte. Als die Krise im Sommer 1961 wieder virulent wurde, konnte Live Oak rasch personell verstärkt und mit neuem, erweitertem Auftrag, jetzt sogar als »operativer Stab«, eingesetzt werden. Die größte Veränderung bedeutete zweifellos die Erweiterung auf Vier Mächte, also die aktive Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland ab dem Sommer 1961. Die Vorteile für die Drei Mächte lagen auf der Hand. Die Bundesrepublik wuchs stetig an wirtschaftlicher und militärischer Stärke und konnte daher auch die Eventualfallplanungen der Drei Mächte für Berlin in vielen Bereichen unterstützen, was jene merklich entlastete. Manches war ohne Wissen und Hilfe der Deutschen gar nicht mehr durchführ So gefordert in BArch, BW 71/49, Nr. 3: Basic Paper vom 4.4.1959, S. 2, Para. 1.a. Das ist aus ebd., S. 8 f., Para. 13, zu schließen.

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bar, beispielsweise die Unterstützung der Verkehrsführung auf der Autobahn und in der Luft. Für die Bundesrepublik hingegen war es wichtig, erstmals detaillierte Kenntnis von den alliierten Planungen zu erhalten und dann auch vor allem politischen Einfluss auf deren Gestaltung zu gewinnen. Eine Beteiligung der Deutschen in geringerem Umfang hatte General Norstad schon im Sommer 1959 erbeten, aber keine Genehmigung von der WAG erhalten; ein zweiter Versuch scheiterte 1960 vor allem an der Weigerung der Briten. Erst die Verschärfung der Krise durch Chruščevs erneute Drohungen im Sommer 1961 brachte den Durchbruch. Die Deutschen wurden politisch Vollmitglied, militärisch, aus guten rechtlichen Gründen, nur unterstützendes Mitglied, mit steigender Intensität allerdings. Diese Erweiterung konnte in wenigen Tagen und ohne Probleme vollzogen werden. Die dritte Anpassung war die unmittelbare Folge der deutschen Mitwirkung, nämlich die Erweiterung der Optionen durch die Aufnahme Maritimer Gegenmaßnahmen in den Katalog der Maßnahmen, die von der Bundesrepublik schon im August 1961 angeregt worden war.72 Diese Initiative machte den Aufbau einer maritimen Komponente in der Organisation notwendig, also die Einfügung des Marinekomitees zur Unterstützung der WAG und der drei NAVCORCENTS auf der Durchführungsebene. Dadurch konnte die Optionsvielfalt wesentlich gesteigert und zugleich politisch erstmals ein geeigneter Hebel gegenüber der Sowjetunion auf globaler Ebene angesetzt werden. Die bessere Einbindung Berlins in die Planungen wurde schließlich, als vierte Anpassung organisatorischer Art, durch das »Rogers-Abkommen«erreicht.73 Dadurch erhielt der CLO erweiterte Befugnisse für die Vorbereitung der Verteidigung Berlins, vor allem für deren Koordinierung. Er war außerdem zum vorgesetzten Befehlshaber der Berliner Garnisonen nach Beginn eines militärischen Angriffs auf Berlin und nach Genehmigung durch die WAG bestimmt worden. Auf diese Weise konnte erstmals die Verantwortung für die Sicherung der Zugangswege (»outside Berlin«) und für die Verteidigung Berlins im Ganzen in einer Hand koordinierend vereinigt werden (»inside and outside the City«).74 Diese Lösung stellte den CLO zwar nicht wirklich zufrieden, da er im Grunde nur Befugnisse zur Koordinierung erhielt, war aber doch eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bis dato maßgeblichen, eher weniger befriedigenden Norstad-Agreement von 1962.75 Die inhaltliche Anpassung und Flexibilisierung war wohl noch bedeutsamer als die organisatorische: Abgesehen von den laufenden Veränderungen im Tagesgeschäft wurden die militärischen Optionen und Planungen von Live Oak grundsätzlich zweimal überprüft, an die Entwicklung der politischen und militärischen Lage angepasst und in langwierigen Prozessen verändert. Dadurch konnte auch eine Erweiterung der Optionen erreicht werden. Der erste Schub erfolgte im Zuge der sich rasch steigernden Krise infolge des Mauerbaus am 13. August 1961. Es zeigte sich bald, dass die Befugnisse des CLO in dieser Lage nicht ausreichten, erste Maßnahmen der Reaktion und der Vorbereitung ohne Zeitver BArch, BW 71/124, Nr. 14: »Working Paper on Blockade«, 24.8.1961, LO-TS-61-2085. BArch, BW 71/72, Nr. 16: »Agreement for Allied Command Arrangements, Berlin«, 22.8.1986, SHLO O 86/899. 74 BArch, BW 71/96, Nr. 11: SHLO O 87/1599, 9.10.1987, Para. 14.a und 14.b, die Zitate ebd. 75 BArch, BW 71/2, Nr. 10: Msg SHLO 9-00052, 13.1.1962. 72 73

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zug einzuleiten. Als weiterer großer Mangel wurde das Fehlen wirkungsvoller Optionen für die Wahrung des freien Zugangs in der Luft erkannt. Norstad stellte schnell die entsprechenden Anträge an die WAG und erhielt nach nur kurzer Reaktionszeit wesentliche Befugnisse zur Entscheidung genehmigt. Den politischen und militärischen Planern kam dabei zugute, dass die Krise im Wesentlichen auf der Ebene der Politik blieb und kaum militärische Maßnahmen ergriffen werden mussten. Daher stand genügend Zeit für eine gründliche Planung zur Verfügung, obwohl man den Druck der laufenden Krise spürte.76 Bis Ende 1961 waren die entsprechenden Maßnahmen im Wesentlichen abgeschlossen. Die Planungen zu den Maritimen Gegenmaßnahmen begannen um die Jahreswende 1961/62 zunächst zügig; sie gewannen durch die Kuba-Krise besondere Aktualität. Die Gesamtlage innerhalb von Live Oak änderte sich danach lange Zeit kaum. Auch die Entspannungsbemühungen während der Verhandlungen über Berlin und das Vier-Mächte-Abkommen von 1972 (BQA) mit allen Folgemaßnahmen führten keinen grundlegenden Wandel herbei – im Gegenteil, die dadurch erreichte Milderung der Konfrontation ließ Live Oak langsam aus dem Blickfeld geraten. Ende der siebziger Jahre kamen bei Live Oak dann ernste Zweifel auf, ob die genehmigten Planungen in einer erneuten Krise noch ihre Zwecke erfüllen würden. Es gab zwei wesentliche Gründe, die nun dringend für die Notwendigkeit einer großen und allgemeinen Überprüfung aller militärischen Maßnahmen sprachen: erstens die politischen Entwicklungen, etwa der noch ungewisse Fortgang des KSZE-Prozesses und die zunehmende Skepsis gegenüber der Entspannungspolitik, die Krise in Polen und der Einmarsch der Sowjetunion in Afganistan; und zweitens die Probleme in Bezug auf die Militärstrategie der NATO, die MC  14/3 »Flexible Response«, sowie die für die NATO und damit auch für die Vier Mächte ungünstigen Entwicklungen im Kräftevergleich, vor allem im nuklearen Bereich. Hinzu kam die Tatsache, dass Live Oak letztlich ein Kind der alten Strategie, der »Massive Retaliation«, war und den Grundlagen der »Flexible Response« nicht oder nur ungenügend gerecht wurde. So gelangte Live Oak zu der klaren Aussage, einige grundlegende Dokumente von Live Oak seien »suspect, inappropriate or outdated«.77 Der damalige CLO, General Rogers, griff nach der CPX »Steadfast 7« vom November/ Dezember 1982, in der die Probleme deutlich geworden waren, diese Frage auf und versuchte, die vier Regierungen und die WAG für seine Vorstellungen zur Überprüfung und ggf. Überarbeitung aller Maßnahmen und Pläne von Live Oak und der BERCON/ MARCON der NATO zu gewinnen. Dies gelang, nicht zuletzt wegen politischer Bedenken der Angesprochenen, erst nach längerer Zeit und unter größter Geheimhaltung.78

BArch, BW 71/132, Nr. 24: Studie »Expansion of Jackpine II«, SHLO 300/478, 6.9.1961, LOTS-61-178. 77 BArch, BW 71/13, Nr. 39: SHLO O 82/1356/COS, 30.11.1982, Annex A, S. 1, Para 2, Zit. ebd. 78 Die großen Widerstände gegen die Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses waren wohl ursächlich für diese Vorsicht gewesen; siehe BArch, BW  71/67, Nr.  20: Msg State, 5.10.1983, SHLOIN I 83/2980, Unterschrift: Burt. 76



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So konnte Live Oak erst im Jahr 1984 mit der Arbeit beginnen, bis Ende 1989 weitgehend abgeschlossen war.79 Wegen des sich nun rasch entwickelnden Prozesses der deutschen Wiedervereinigung wurde über die Ergebnisse dann nicht mehr entschieden. Die BERCON/MARCON der NATO zu ändern hatte sich als noch schwieriger angelassen. Hier spielten politische Gründe wohl noch eine größere Rolle. Rogers als SACEUR erhielt lediglich die Genehmigung des Generalsekretärs der NATO, Lord Peter Carrington, die völlig überholten Pläne zu Berlin ohne formalen Beschluss in der Schublade liegen zu lassen. Er sollte nur auf dem militärischen Führungsweg mittels Weisungen an die zuständigen Oberbefehlshaber neue und realistischere Operationspläne erarbeiten lassen.80 Inwieweit die operativen Planungen bei den Major NATO Commands (MNC) gediehen waren, als der Kalte Krieg endete, kann wegen der Geheimhaltungsbestimmungen noch nicht gesagt werden. Man hat sie nach 1990 gewiss mit großer Erleichterung beendet. Live Oak war in besonderem Maße dazu in der Lage, die Organisation und die Operationspläne den sich ändernden Notwendigkeiten anzupassen, vor allem in akuten Krisenlagen. Wenn äußerer politischer Druck fehlte, erlahmten jedoch alle Anpassungsbemühungen, und der Reformprozess konnte sehr viel zäher werden. Zeitweise gelang es nicht einmal mehr, die politisch-diplomatischen Gremien zu bestimmten kritischen Themen, etwa den Berlin Contingencies, einzuberufen. Entscheidungen gab es dann nur noch nach schriftlicher Abstimmung oder durch in der Hierarchie niedriger gestellte Vertreter.81 Dass politische Prioritäten rasch wechseln können, ist eine wichtige Erkenntnis für eine Krisenbewältigungsorganisation. Daran litt auch Live Oak, das als Ad-hoc-Instrument in einer akuten Krise entstanden war. Dies hatte zur Folge, dass die Bedeutung der Organisation und mancher ihrer Planungen ins Hintertreffen geriet.82 Das galt auch für die BERCON/MARCON der NATO. Zu diesen grundlegenden Problemen gesellten sich Lücken minderer Priorität. Für die Unterstützung Live Oaks durch die NATO in einer Krise war es eigentlich dringend notwendig, dass Berlin und seine Verteidigung, einschließlich der Sicherung der Zugangswege, auch bei Führungsübungen der NATO berücksichtigt wurden, was nicht geschah. Zu denken ist hier an die Beteiligung der Vier Mächte und des Stabes Live Oak bei den High Level Exercises (HILEX), den politisch-strategischen Übungen für die Spitzen des Bündnisses.83 Zumindest eine angenommene »Lage Berlin« im Szenario hätte helfen können, dieses Problem nicht ganz aus dem Auge zu verlieren. Die Vorstellung, dass sich die NATO-Verteidigung nach oder aus einer Berlin-Krise entwickeln konnte, war immerhin als realistisch anzunehmen. BArch, BW 71/16, Nr. 120: SHLO O 84/5003/OPS, 7.12.1984; im Annex A befinden sich die ToR dafür. 80 BArch, BW 71/128, Nr. 5A: LoI, SHAPE/CTS/072/87, 21.4.1987, SHLOIN I87/004, Para. 4.e. 81 Siehe die Klagen des COS General Sinnatt hierzu, etwa in BArch, BW  71/13, Nr.  39: SHLO O 82/1356/COS, 30.11.1982, GLNO Tgb.Nr. 570/82 S, Annex A, S. 2 f.; auch BArch, BW 71/15, Nr. 45: »Gen. Sinnatt’s Farewell Adress«, GLNO Tgb.Nr. 572/83 vom 23.11.1983. 82 Dies trotz des großen Stellenwertes von Berlin, wie von den Amerikanern konstatiert wurde. »For Washington, the central importance of U.S.-European relations in American policy hat made the Western position in Berlin a ›credibility‹ issue of the first rank«, Zit. aus Burr, U.S. Policy, S. 7. 83 Zu HILEX siehe Lemke, Die Allied Mobile Force, Kap. III.2. 79

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Zu den Stärken zählte zuallererst die Gründung von Live Oak selbst, hier vor allem die Grundanlage und -gestalt der Organisation. Die Aufstellung eines speziellen, zunächst nur planenden, dann aber operativ führenden militärischen Stabes der Vier Mächte brachte eine deutliche, professionelle Verbesserung der Krisenvorsorge. Ab 1961 wurde Live Oak das militärische Vehikel des Krisenmanagements, sprich für die Bewältigung einer politischen Krise um Berlin. Die Nutzung der nationalen Oberbefehlshaber mit ihren Stäben für die Führung des Stabes Live Oak und der Operationen zu Lande und in der Luft ersparte den Aufbau anderer, dafür spezialisierter Hauptquartiere. Die Tatsache, dass diese Oberbefehlshaber mit ihrem »zweiten Hut« auch NATO-Aufgaben wahrnahmen, erleichterte die Koordinierung der Operationen der Vier Mächte mit denen des Bündnisses. Dadurch gelang es, Reibungsverluste zu vermeiden und Zeit zu sparen. In einer schweren Krise konnten so auch die Planungen der Vier einfacher und schneller mit denen der NATO abgestimmt und verzahnt werden. Die in Berlin eingerichteten und dort tätigen Aufklärungskräfte und -mittel der Drei Westmächte konnten für die Lagebeurteilung und die Operationen Live Oaks nutzbar gemacht werden. Der unmittelbare Zugriff der Drei Mächte darauf und auf zusätzliche nationale deutsche Berichte brachte Live Oak weitere Ergebnisse zu den laufend von SHAPE gelieferten Erkenntnissen. Allerdings war davon auszugehen, dass diese Kapazitäten im Kriege sofort vom Gegner ausgeschaltet würden. Die effiziente Nutzung bereits vorhandener Ressourcen bildete eine der größten Stärken von Live Oak und westlichen Krisenmanagements überhaupt. Die von Live Oak benötigten Kräfte und Mittel waren, nach Abstimmung mit den Befehlshabern der NATO, für die Operationen von Live Oak von den Drei Mächten fest zugesagt und für den jeweiligen Einsatzraum günstig stationiert worden. Live Oak führte sie regelmäßig zusammen und bildete sie auch gemeinsam aus. Durch alle diese Maßnahmen schuf man die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgversprechenden Einsatz in der Krise. Die nukleare Eskalation, die von beiden Seiten hätte ausgehen können, blieb indes ein Kernfaktor auch in der Krisenbewältigung von Live Oak, vor allem deshalb, weil die Sowjetunion begann, ab den frühen sechziger Jahren atomar mit den USA gleichzuziehen. Damit stand das Krisenmanagement gerade auch auf niederer Ebene stets unter hohem Druck. Schließlich gab es noch zwei eminent wichtige, politische Stärken, die die Grundlage für eine aussichts- und erfolgreiche Berlin-Politik bildeten. Das war zunächst die starke völkerrechtliche Stellung der Drei Mächte in Berlin, die im Grunde auch die Sowjetunion anerkannte, wie ihr ganzes Verhalten zeigte. Die DDR sah das anders, konnte ihre Sicht aber nicht durchsetzen, weil die östliche Führungsmacht diese Position als Siegerund Besatzungsmacht brauchte, um in der Deutschlandfrage Einfluss und Mitsprache zu behalten, im Übrigen auch gegenüber der DDR. Damit die Partnermächte von Live Oak ihre Position und ihren Einfluss erfolgreich verteidigen konnten, war es unabdingbar, die gemeinsamen Interessen zu definieren und in den wesentlichen Fragen auf Parallelität zu achten, um sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Nur wenn diese Interessengleichheit beibehalten wurde, konnte man die eigenen Rechte wahren und aggressives Vorgehen der Gegenseite abwehren. Daher mussten alle Vier in höchstem Maße dafür sorgen, dass sie politisch in die glei-



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che Richtung wirkten.84 Dies gelang auch im Wesentlichen, trotz der unausweichlichen Interessenkonflikte. Die Vier Mächte mit Live Oak konnten trotz der ungünstigen strategisch-politischen Lage Berlins ihre Rechts- und Machtposition stabilisieren und vorteilhafter gestalten. Dies war das Ergebnis einer vor allem politischen Kraftanstrengung in den frühen sechziger Jahren, befördert durch die Erfahrungen nach dem 13. August 1961 in Berlin und der Kuba-Krise im Jahr darauf. Es ist in der Folge gelungen, die Parallelität der Interessen zu wahren und das System Live Oak einsatzbereit zu halten. Das Gefühl fortbestehender ernster Bedrohung half dabei entscheidend mit. Diese Organisation der Vier Mächte wurde damit ein erfolgreiches Instrument der Krisenvorsorge für Berlin. Niemand kann jedoch sagen, ob die ganzen Vorbereitungen in einer ernstzunehmenden Krise tatsächlich zum Erfolg geführt hätten. Aber die Chancen dafür waren größer worden.

9. Die Perspektive der Gegenseite Für eine Bewertung der Live-Oak-Organisation ist der Blick über die Elbe unerlässlich. Die sowjetischen Absichten in den mehr als dreißig Jahren bis 1990 waren nicht eindimensional und unveränderlich. Die Ziele und Prioritäten wandelten sich. In Bezug auf Berlin sind jedoch deutliche Kontinuitäten zu erkennen. Die sowjetischen Führer nach Chruščev haben, was Berlin betrifft, im Grunde nur noch den Status quo verteidigt, bis Gorbačev auch das nicht mehr leisten konnte oder wollte.85 Chruščev seinerseits hatte im Herbst/Winter 1958/59 die westlichen Besatzungsrechte für Berlin als »Überreste«86 des Krieges und als nicht mehr hinzunehmende Anomalie betrachtet und vehement gefordert, den »Anspruch auf ungehinderten Zugang [...] aufzugeben«.87 Er erwartete wohl, dass der Westen das genauso sehen würde, weil, wie er offensichtlich dachte, dieser nur froh sein könne, die Last Berlin loszuwerden.88 Durch die westlichen Reaktionen wurde er dann überrascht, woraufhin er einen Rückzieher machte und das Ultimatum auslaufen ließ, weil er inzwischen gelernt hatte, dass die Sowjetunion nicht wirklich in der Lage war, die USA zu überflügeln und sich zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung noch einen Vorteil zu verschaffen.89 Diese Zusammenhänge bildeten den Urgrund für Sinn und Zweck westlichen Krisenmanagements und letztlich auch für Live Oak. Chruščev ließ seine ursprüngliche Vorstellung, Berlin durch die Schließung des Luftzugangs quasi abzuwürgen, fallen, als er die Planungen der Westmächte für diesen Fall erfahren hatte und er »eine unbeabsichtigte Eskalation des Konfliktes bis hin zum Vgl. die ganz andere Entwicklung der ISAF in Afghanistan bis zum Jahr 2011; hierzu Markus Kaim, Es fehlt der strategische Konsens, FAZ vom 24.1.2011, S. 8. 85 Vgl. Vortrag Dr. Wieck, Die Deutschlandpolitik vom Mauerbau bis zum Mauerfall, S. 9‑14. 86 Vgl. Rede Chruščevs am 10.11.1958, Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe  IV, Bd  1/1, S. 3‑24, Zit. S. 19. 87 Zit. nach Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 26. 88 Vgl. ebd., S. 37 und S. 45 f. 89 Vgl. Uhl, Chruschtschow und die sowjetischen Nachrichtendienste, bes. S. 33. Siehe auch Lemke, Die Berlinkrisen, S. 208. 84

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Kernwaffenkrieg« nicht ausschließen konnte.90 Er griff die Forderung Ulbrichts auf, den Fluchtweg der DDR-Bürger über West-Berlin zu schließen, und betrieb kraftvoll die den Westen doch überraschende Abschottung durch den Bau der Mauer, wozu auch der Warschauer Pakt zuvor seine Unterstützung gegeben hatte.91 Der sowjetische Führer hatte zwar weiter gesteckte Ziele im Auge gehabt, gab sich dann aber damit zufrieden, das Ausbluten der DDR durch die Schließung aller Verkehrswege nach Westen für die Bürger dieses Staates zu beenden92. Der Westen begünstigte dieses Vorgehen durch Kennedys »Three Essentials«, die ausdrücklich nur noch für West-Berlin galten.93 Der sowjetische Staats- und Parteichef hatte zwar mehrmals betont, dass er West-Berlin als Gegenleistung für westliches Entgegenkommen »einbringen« könne,94 setzte dies aber in nur begrenztem Maße um. Der Westen konnte dies nicht voraussehen und war daher gut beraten, sich ein Instrumentarium an Gegenmaßnahmen auch militärischer Art zuzulegen. Über die Planungen für militärische Gegenmaßnahmen von Live Oak, die zu dieser Zeit allerdings noch recht rudimentär waren, hatte Chruščev spätestens seit dem Juli 1961 Kenntnis, jedoch wohl ohne Genaueres über Namen oder Charakter der Organisation zu wissen.95 Seine aktuellen Pläne änderte er daraufhin. Dies ist der einzige konkrete, immerhin aber sehr frühe Hinweis über Reaktionen der Gegenseite auf die Existenz und die Planungen von Live Oak. Weitere, allerdings nicht bestätigte Zeichen lieferte das sowjetische Handeln im Zuge von »Probe«-Operationen in den Jahren 1962/63. Welchen Einfluss die Kenntnis der sowjetischen Führer von den westlichen Überlegungen im Zusammenhang mit Live Oak sonst auf ihr Handeln hatte, kann nicht abschließend beurteilt werden. Chruščev hatte wohl niemals wirklich die Absicht gehabt, einen Krieg gegen die Drei Mächte und die NATO Berlins wegen zu führen, aber er »drohte faktisch« damit.96 In der Mauerkrise aber wurde ihm doch bewusst, dass der Westen einen Krieg wagen könnte, um nötigenfalls seinen Zugang nach Berlin offenzuhalten oder gar freizukämpfen.97 In Bezug auf die Rolle der DDR hat die Forschung inzwischen herausgefunden, dass Ost-Berlin doch einigen Spielraum gegenüber Moskau gewinnen konnte, je länger der Zit. Uhl, Krieg um Berlin?, S. 2, siehe auch ebd., S. 209‑231. Vgl. hierzu auch die jüngsten Erkenntnisse von Wilke, Ulbricht und der Mauerbau, S.  49‑66; sowie Mechthild Küpper, Wer hat die Berliner Mauer gebaut?, FAZ vom 24.2.2011, S. 10. 92 Vgl. Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 319. 93 Vgl. Kennedys Rede über Rundfunk und Fernsehen am 25.7.1961, abgedr. in Documents on Germany, S.  762-765; auf Deutsch in Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe  IV, Bd  6/2, S. 1348‑1356. Siehe auch Haftendorn, Deutsche Außenpolitik, S. 99 f. 94 Siehe z.B. seine drastischen Metaphern hierzu: Berlin als »Pfahl im Fleisch« neben der HodenMetapher. Vgl. auch Steininger, Berlinkrise und Mauerbau, S. 349‑354. »Einbringen« meint hier wohl, in gewisser Weise aufrechterhalten, aber ohne westliche militärische Prägung (siehe seine Vorschläge im Herbst 1958). 95 Vgl. Uhl, Krieg um Berlin?, S. 2 und S. 224‑231. Generell kann davon ausgegangen werden, dass die Sowjetunion zumindest über die Kenntnisse verfügte, die wir aus der NVA/DDR kennen. Siehe Kap. II.6. 96 Lemke, Die Berlinkrisen, S. 235. 97 Darauf wird auch in der Forschung hingewiesen: Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 144 f.; Uhl, Krieg um Berlin?, S. 3; Wilke, Ulbricht und der Mauerbau, S. 49‑66; Mechthild Küpper, Wer hat die Berliner Mauer gebaut?, FAZ vom 24.2.2011, S. 10. Ob diese Aussage wirklich zutrifft, kann wohl erst nach Öffnung der russischen politischen Archive überprüft werden. 90 91



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Kalte Krieg dauerte, vor allem auf dem wirtschaftlichen Sektor. Umgekehrt gerierte sich die DDR im Warschauer Pakt häufig als Hardliner und Vorposten gegen den Westen. Substanzielle Mitspracherechte in der Berlin-Frage erhielt Ost-Berlin jedoch nicht. Die DDR konnte daher nur den engen Spielraum nutzen, den ihr die Sowjetunion einräumte.98 Wirklichen Einfluss vermochte sie in dieser Hinsicht nur im Sommer 1961 im Rahmen des Mauerbaus auszuüben. Dieser wurde schließlich gewährt, weil auch die Macht der Sowjetunion in ihrem mitteleuropäischen Vorposten DDR gefährdet schien.99 Die Sowjetunion hat in vielen Bereichen kaum Rücksicht auf die Interessen der DDR genommen, was sich deutlich etwa bei der Kontrolle des Luftraums der DDR zeigte.100 Moskau nutzte im Gegenteil das Besatzungsrecht, um die eigenen Interessen nicht nur gegenüber den Westmächten in Berlin, sondern auch in der DDR durchzusetzen.101 Auch delegierte die Sowjetunion keine Befugnisse an die DDR, was den Zugang der Westmächte nach Berlin und ihren Aufenthalt dort anbelangte. Wenn Organe der DDR in irgendeiner Weise in die Rechte der Drei Mächte eingriffen, dann handelte es sich dabei entweder um eine Eigenmächtigkeit der örtlichen DDR-Führung oder um eine Aktion, die von der sowjetischen politischen Führung in diesem besonderen Fall und mit einer klaren Absicht angeordnet worden war. Die Sowjetunion ließ keine Zweifel zu: Der dienstliche Verkehr und der allgemeine Umgang mit den drei westlichen Besatzungsmächten blieben bis zur deutschen Wiedervereinigung ihre ureigene Domäne.102 10. Erfolg oder Bluff: Live Oak als Beispiel für westliches Krisenmanagement?103 Live Oak entstand, wie die Allied Mobile Force der NATO, parallel zur Flexible Response und war eingebettet in die strategische Neuausrichtung. Sie sollte das zur Verfügung stellen, was die Amerikaner und in ihrem Gefolge das ganze Bündnis zunehmend wünschten: eine große Anzahl von Optionen und entsprechende Flexibilität, um Aggressionen der Gegenseite beweglich zu begegnen und damit einen Krieg zu verhindern.104

Zu den Handlungsspielräumen der DDR allgemein Lemke, Die Berlinkrisen, S. 228‑231; sowie Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 27, 95‑106 und S. 285‑287. Siehe auch den britischen Botschafter Steel in Steiniger, Die Berlinkrise, S. 352 f. 99 Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 169; bestätigt von Uhl, Krieg um Berlin?, S. 3‑5; und Mechthild Küpper, Wer hat die Berliner Mauer gebaut?, FAZ vom 24.2.2011, S. 10. 100 Siehe Wieck, Die Deutschlandpolitik vom Mauerbau bis zum Mauerfall, S. 5. Kowalczuk/Wolle, Roter Stern über Deutschland, S. 116, nennen als Beispiel die Zuführung einer Raketenbrigade ohne Beteiligung der DDR. 101 Siehe Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 51‑53. 102 Siehe hierzu Lemke, Die Berlinkrisen, S. 230. Mußgnug, Alliierte Militärmissionen, S. 49‑80 und S. 118 f., führen den Umgang mit den Militärmissionen als Beispiel an. 103 Zur Problematik des politisch-diplomatischen Krisenmanagements gibt es einige Literatur, die den militärischen Aspekt aber kurz hält, dies wohl nicht zuletzt aufgrund der Quellenlage: siehe z.B. Avoiding War; oder auch Boin/Hart/Stern/Sundelius, The Politics of Crisis Management. 104 Vgl. hierzu die Überlegungen von George, The Tension, insbes. S. 15‑17. 98

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Einige Wissenschaftler spekulierten, ob die Allied Mobile Force der NATO auch einen Auftrag im Rahmen der Eventualfallplanung für Berlin hatte.105 Auf den ersten Blick mag das eine naheliegende Idee sein, doch gab es keine operativen Vorstellungen dazu und deshalb auch keine Planungen. Erstens war der Auftrag dieser Kräftegruppierung eindeutig auf die europäischen Flanken, die Bereiche von AFNORTH und AFSOUTH, ausgerichtet, in denen es keine multinationalen Truppenkörper gab, um im Krisenfall die Solidarität des Bündnisses rasch und überzeugend zu demonstrieren. Das sollte die AMF leisten. In Mitteleuropa mit seiner dichten Truppenpräsenz aus sechs Nationen war diese Aufgabe nicht notwendig. Und zweitens war die AMF ein Verband der NATO und nicht der Drei Mächte, sie konnte daher für einen Einsatz bei Live Oak im Zusammenhang mit Berlin, vor allem im unteren Eskalationsspektrum, kaum in Betracht kommen.106 Inwieweit die Entwicklung neuer Leitlinien im Rahmen des Strategiewechsels der NATO von den Erfahrungen und Überlegungen der Planer bei Live Oak beeinflusst wurde, ist beim jetzigen Quellenstand kaum wirklich belastbar festzustellen. Die politischen und militärischen Führer der Vier Mächte wirkten an den strategischen Planungen, der großen Bandbreite flexibler Optionen für Live Oak und ebenso bei den BERCON/MARCON der NATO mit, und sie entwickelten »ein erweitertes und flexibilisiertes Krisenmanagement«.107 Entscheidend war dabei stets das mit den Verbündeten abgestimmte Vorgehen, begleitet von einer zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit. Militärisch mussten diese durch die Fähigkeit zur erfolgreichen Verteidigung auch gegen einen möglichen Großangriff nach einer Berlin-Krise untermauert werden. Dazu wurden sowohl ausreichend präsente Kräfte als auch schnell verfügbare und kraftvolle Reserven eingeplant.108 Im Hintergrund stand das nukleare Arsenal, das als strategischer Rückhalt diente, dessen Einsatz aber eigentlich unbedingt vermieden werden sollte. Genau an dieser Schnittstelle lag der strategische und politische Mehrwert von Live Oak. Abschließend soll anhand einiger grundsätzlicher Überlegungen der Versuch unternommen werden, die Geschichte von Live Oak in die Geschichte des internationalen Krisenmanagements nach 1945 einzuordnen und einige Grundmuster zu identifizieren. Die Bewältigung von politischen Krisen auch unter Einsatz militärischer Macht war nicht neu, die Gründung einer besonderen multinationalen, politisch-militärischen Organisation zu diesem Zweck aber sehr wohl.109 Auch der Begriff der »Krisenbewältigung« in diesem Bereich der Politik ist relativ jung. In der NATO wurde er erstmals anscheinend im Jahre 1968 als Folge der neuen Strategie und vor allem der ČSSR-Krise verwendet.110 Als Konsequenz wurde damals im Hauptquartier der NATO in Brüssel eine

Etwa Wetzlaugk, Die Alliierten, S. 73 f.; auch Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S.592‑613. Vgl. hierzu auch Lemke, Die Allied Mobile Force, v.a. S. 303‑310. 106 Das zeigten auch Maloney, Fire Brigade or Tocsin?; und Lemke, Die Allied Mobile Force. 107 Lemke, Die Berlinkrisen, S. 242; Pedlow, General Lauris Norstad, S. 36‑39. 108 Die »Mobilizable Forces« als Teil des Long Term Defence Program, LTDP; siehe Das Atlantische Bündnis, S. 165 f. 109 Dem Verfasser sind keine anderen, vergleichbaren Organisationen bekannt, deren Wirken öffentlich gemacht wurde. 110 Siehe Bange, Das Ende des Prager Frühlings; vgl. auch das Weißbuch 1970, S. 23 f., Ziff. 32 und 33; und Die Organisation des Nordatlantikvertrages, 2. Aufl. 1978, S. 137. 105



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eigene, noch sehr kleine Organisationseinheit, das NATO Situation Centre (SitCen),111 aufgebaut. Bei Live Oak kam der Begriff wohl erst spät, ab dem Jahr 1976, in Gebrauch, es war vorher nur von »Eventualfallplanung« (»Contingency Planning«) gesprochen worden. Krisen gab es zwischen 1945 und 1990 genug. In der Theorie ist die »internationale Krise« als »eine Form von Wechselbeziehungen zwischen Staaten« oder Staatengruppen zu verstehen, in der sich bereits bestehende ›Konfliktbeziehungen vertiefen und verschärfen‹«. Zu den Merkmalen dieser Krisen gehören demnach auch das »Zusammenfließen von Herausforderung und entsprechender Antwort«, also Aktion und Reaktion. Beide Seiten zeigen die Bereitschaft, »den Einsatz zu steigern«, im »Bewusstsein, dass man sich in eine unsichere Situation mit unvorhersehbaren Entwicklungen, Gefahren von Fehlbeurteilungen und Entscheidungen unter Zeitdruck begibt«. Dabei nehmen beide Seiten durchaus wahr, dass »vitale Interessen bedroht sind, eine erhöhte Kriegsgefahr vorliegt und die internationalen Beziehungen an einem Wendepunkt« angelangt zu sein scheinen.112 Diese Charakterisierung trifft den Kern auch der Berlin-Krise von 1958 bis 1963. Im Bewusstsein dieser Gefahren und Unsicherheiten war Live Oak geschaffen worden.113 Doch erreichte die Organisation erst nach der heißen Phase der zweiten BerlinKrise einen einigermaßen befriedigenden Stand der Führung, an Kräften, Mitteln und Optionen. Der Begriff der Krise ist eng mit dem des Risikos verbunden, das jeder Handelnde eingeht, wenn er die Krise aufzulösen versucht. Dabei kann er sein Verhalten genau zu kalkulieren versuchen, aber mit zunehmender Dauer und Intensität wächst die Gefahr irrationalen Handelns, da sich der politische und psychische Druck auf alle Akteure erhöht und ab einem gewissen Zeitpunkt auch Ermüdung droht. Derlei Gefahren konnten in Bezug auf Berlin zwar niemals ganz ausgeschlossen, durch Live Oak aber verringert werden. Krisenmanagement mit vollkommener Erfolgsgarantie kann kein Staat und kein Bündnis der Welt leisten. Gut vorbereitet bietet es auf jeden Fall ein geeignetes Instrument, insbesondere, wenn als entscheidend beurteilte Interessen auf dem Spiel stehen. Eine solche Organisation in Zeiten des Friedens oder bei Abwesenheit einer Krise aufzubauen, ist politisch schwierig, selbst wenn diese sich am Horizont schon deutlich zeigt, wie es bei Berlin der Fall war. Es herrschen andere Prioritäten, niemand will ein Krisengerede in solchen Zeiten. Außerdem sind Geld und Mittel immer knapp. Erst wenn der Ernstfall eingetreten ist, zeigt sich die Notwendigkeit, dann jedoch umso dringlicher. Auch dafür ist Live Oak ein beredtes Beispiel.114 Norstad war gut beraten, Live Oak als Rumpfstab beizubehalten, als die zweite Berlin-Krise im Sommer 1959 ein »Lagezentrale für Rat, DPC und Militärausschuss«, siehe unter »Gemeinsames Krisenmanagement« im Weißbuch 1970, Ziff. 32, S. 23. 112 Zur Theorie siehe v.a. die Einführung von Adomeit, Die Sowjetmacht, S. 27‑79, bes. S. 49‑59. Seine Gedankenführung ist für diese Thematik grundlegend. Vgl. des Weiteren Lauren, History and Theory in International Conflict; und den Sammelband Avoiding War, der grundsätzlich zu den verschiedenen Möglichkeiten Stellung nimmt, durch Krisenmanagement den Krieg zu vermeiden, v.a. S. 13‑21. Siehe sehr allgemein auch Greiner, Krisen im Kalten Krieg, S. 12‑23. 113 Siehe Pedlow, General Lauris Norstad, S. 1‑4 und S. 12‑17; und BArch, BW 71/124, Nr. 3: Die Live Oak-Studie »More Elaborate Military Measures«, 24.7.1959, zeugt davon. 114 Ein aktuelles Beispiel ist die Ukraine-Krise 2014/15 sowie die Bedrohung der baltischen Staaten und Polens. 111

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schlief und die Nationen den Stab wieder auflösen wollten. So verfügte man weiter über eine begrenzte, aber kompetente Planungskapazität, die bei Bedarf rasch vergrößert und in einen operativen Stab umgegliedert werden konnte. Diese Vorsicht verlieh zusätzliche Flexibilität und hieß vor allem wichtige Zeit gewinnen. Zeit ist in einer Krise ein knappes, teures Gut. Durch die permanente Planungsfähigkeit konnten zudem die Planungen bei Live Oak fortgeschrieben, verbessert und um neue Optionen erweitert werden. Ständige, feste politische Führung war für eine Organisation wie Live Oak unverzichtbar. In einer Krise muss unter allen Umständen verhindert werden, dass der Eindruck politischer Unsicherheit entsteht. Dies gilt im Bündnis umso mehr, weil der Gegner schnell Angriffspunkte findet, an denen er die Verbündeten weiter verunsichern, die einen von den anderen trennen und eine Krisenbewältigung erschweren oder gar unmöglich machen kann. Eine unbeirrte Haltung ist essenziell, da das Verhalten in einer Krise immer auch dem Pokerspiel ähnelt. Die Führung von Live Oak traf in der Krise trotz anfänglicher Pannen und Schwächen nach dem Bau der Mauer rasch die notwendigen Entscheidungen.115 Dabei durfte die unverzichtbare direkte Kontrolle über die Einsatzkräfte nicht deren Initiative und Flexibilität lähmen.116 Im Bereich der höheren Führung war für eine erfolgreiche Krisenbewältigung wichtig, »dass Entscheidungen in kleiner Runde getroffen werden«. Die Forschung stellte dementsprechend fest, dies liege »im Wesen jeder Krisenpolitik«.117 Drei verschiedene gesellschaftliche Bereiche müssen im Ernstfall eng zusammenwirken: Politik, Militär und zivile Verwaltung. Während die beiden ersten eigentlich von Anfang an effektiv zusammenarbeiteten, wurde die zivile Verwaltung zunächst kaum einbezogen. Ein Grund dafür waren die hohen Geheimhaltungsstufen, ein anderer die Unfähigkeit, die Unterstützungsmöglichkeiten des Bereichs, aber auch seine Grenzen zu erkennen. In den achtziger Jahren wurden die zivilen Kapazitäten breiter genutzt, auch weil infolge der Einsparungen beim Militär bestimmte Funktionen, etwa die Kraftstoffbetankung, ausgelagert wurden. Zudem waren die Forderungen des Geheimschutzes gesenkt worden. Die Zusammenarbeit blieb dennoch aus vielerlei Gründen ein schwieriges Feld, vor allem in rechtlicher und fachlicher Hinsicht, aber auch wegen Statusfragen und nicht zuletzt wegen mancher Animositäten und Kontaktproblemen.118 »Schlüssel für den Erfolg« waren »koordinierte Reaktionen und Antworten, ein gemeinsames Lagebild, gegenseitige Kenntnis der Fähigkeiten und eingeübte Verfahren«.119

Siehe v.a. die Delegierung der Vollmachten an den CLO im August und September 1961, vgl. die Darstellung in Kap. III.4 und in Kap. IV.8. 116 Beispiel: Konvoi-Zwischenfall im Oktober 1963, vgl. die Darstellung in BArch, BW 71/4, Nr. 32: Bericht Enclosure 1, Chronology, 8.11.1963, Bericht NMR/LO Tgb.Nr. 1351/63 Secret. 117 Siehe Greiner, Krisen im Kalten Krieg, S. 12, Zitate ebd. 118 Als Beispiel mag die Einbeziehung des Bundesanstalt für Flugsicherheit genügen. Siehe auch die Aussage von Dr. Wieck gegenüber dem Verfasser fmdl. am 19.2.2011: »Die Drei Mächte benötigten dringend die Unterstützung der Bundesrepublik; auch deswegen die Entscheidung der WAG im Juli 1961«. Damals allerdings waren HNS, WHNS noch Fremdwörter, das Verhältnis des Bundes zu den Ländern und Kommunen in dieser Beziehung noch kaum entwickelt. 119 So der Stellvertretende CINCUSAREUR, Brigadier General Mark S. Hendrix, am 27.10.2011 bei der LOM-Konferenz in Heidelberg, festgehalten und übertragen durch den Verfasser. 115



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Die organisatorischen Grundprinzipien von Live Oak sind in gewisser Weise auch mit dem »Comprehensive Approach« vergleichbar, der die westlichen Einsätze seit 2003 prägt und den der NATO-Rat am 13.  Oktober 2010 beschlossen hat,120 auch wenn letzterer nicht für defensives Krisenmanagement im direkten Bündnisgebiet ausgelegt ist. Durch einen gemeinsamen, allumfassenden Plan soll die NATO künftig in die Lage versetzt werden, »Stabilisierungs- und Wiederaufbaueffekte freizusetzen«.121 Alle Kräfte sollen dafür eingeplant, ausgebildet, mobilisiert und genutzt werden, insbesondere wiederum die politischen, zivilen und militärischen Kapazitäten der Mitgliedsstaaten. Indes ist Vorsicht geboten. Der »Comprehensive Approach« entstand in seiner heutigen Form erst nach 2003 und wurde zunächst u.a. für den Einsatz in Afghanistan entwickelt.122 Inwieweit dies für jeden möglichen Einsatz des Bündnisses und auf westliches Krisenmanagement anwendbar ist, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Letztlich gehört der Dreiklang Politik, Militär und zivile Verwaltung zu den inneren Funktionsprinzipien der NATO; er tritt auch in der Reaktion auf die jüngsten Ereignisse und Bedrohungen im Baltikum deutlich hervor. Kollektive Sicherheitspolitik, Stationierung von Truppen, Entwicklung von Krisenplänen und Rules of Engagement, politische Maßnahmen (z.B. Sanktionen), Einsatz der Medien und demonstrativer Schulterschluss mit der Bevölkerung vor Ort sowie Nutzung ziviler Ressourcen gehören trotz aller geänderten Rahmenbedingungen seit 1990 immer noch zum Kern des Bündnishandelns. Es bleibt die vornehmste Aufgabe sämtlichen Krisenmanagements, möglichst viele Optionen und Operationen für die Krise bereitzuhalten, die der politischen Führung bei Bedarf die Reaktion erleichtern, eine große Auswahl bieten und genügend Flexibilität auf gegnerische Maßnahmen erlauben. Ziel ist es, für jede Maßnahme des Gegners über mindestens zwei oder mehr Handlungsalternativen zu verfügen. Zusätzlich sollten unterschiedliche Modalitäten, etwa in Bezug auf die Interpretation von Einsatzregeln, die Flexibilität erhöhen und gleichzeitig die Kontrolle erleichtern, ohne dabei jedoch das nötige Maß zu verlieren. In einer Organisation, die von einem Bündnis getragen wird, kommt es in der Krise besonders darauf an, dass die wesentlichen Interessen der einzelnen Nationen weitgehend in die gleiche Richtung zielen. Gravierende Interessenunterschiede im eigenen Lager werden schnell offensichtlich und können dann vom Gegner, aber auch von weiteren interessierten Parteien und Politikern instrumentalisiert werden.123 Bei Live Oak war die Lage in dieser Hinsicht relativ günstig: Alle vier Nationen einte dasselbe Grundinteresse, der feste Wille zur Aufrechterhaltung der Rechtsposition, die auf Kennedys »Three Essentials« basierte. Darüber hinaus gab es zeitweise erhebliche Unterschiede, so beispielsweise bei der Frage, ob die Schutzgarantien nicht doch für ganz Berlin, also auch den Ostteil, gelten müssten, und hinsichtlich der Problematik einer Drohung mit Atomwaf Siehe PO(2010)0143-Final, NU, 13.12.2010. Diese Initiative ging vom NATO-Gipfel in Bukarest im Jahre 2008 aus. Kopie im Besitz des Verfassers, siehe v.a. Para. 4‑6, S. 2 f.: »to future international crisis management efforts«. 121 Zit. aus ebd., Para. 1 des Report, »NATO’s ability to deliver stabilisation and reconstruction effects«. 122 Hier insbesondere für »Counter-Insurgency«, also für die Bekämpfung von Aufständen geeignete Operationen. Siehe dazu Lemke, Historical Foundations. 123 Siehe z.B. den Fall Libyen 2011. 120

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V. Fazit

fen in einer Krise. Wie auch in der NATO blieb stets eine Spannung zwischen nationalen Egoismen und der gemeinsamen Solidarität. Hier lagen Untiefen, die erhebliches Problempotenzial bargen. Wenn eine gemeinsame Definition der Interessen nicht gelingt, dann werden die einzelnen Länder nicht zögern, eigene Interessen im Alleingang zu entwickeln, sie selbstständig und ohne Konsultation und vielleicht nach innenpolitischer Opportunität zu ändern. Allein schon der Anschein einer derartigen Entwicklung ist gefährlich. Dies ist ein grundsätzliches Problem jeglicher Bündnispolitik, nicht zuletzt auch der NATO. Auch in den operativen Planungen von Live Oak gab es Interessenunterschiede, die aber nie den Rang eines gefährlichen Dissenses erreichten, sondern meist durch vernünftige Kompromisse gelöst werden konnten. Wenn auch das nicht möglich schien, gab es Auswege, etwa dass zwei Nationen eine Regelung trafen, welche die dritte tolerierte, an der sie aber nicht oder nicht in gleicher Weise teilnahm.124 Den gewissermaßen klassischen Fall für ein solches Vorgehen bietet die »silence procedure« der NATO.125 Eine ganz entscheidende Rolle in der Vorbereitung auf eine Krise und bei der Krisenbewältigung spielen stets aktuelle Kenntnisse über den Gegner, aber auch über die Verbündeten, Freunde und Neutralen. Wer glaubt, er wisse alles Wesentliche, ist in Wirklichkeit blind und von Vorurteilen stärker abhängig als jeder andere Handelnde, der sich dieser Gefahr bewusst ist. Ein scharfsichtiger Beobachter hat sogar drei verschiedene Arten von Vorurteilen definiert – des Gegners, der öffentlichen Meinung und eigene –, die wie Filter wirken und so das Wissen über den Gegner und vor allem über dessen Absichten verzerren können.126 Das verweist auf ein grundlegendes Problem: Es kann mehrere Wahrheiten gleichzeitig geben, auch sich widersprechende Nachrichten können zutreffend sein; Bestätigungen sind sehr wichtig, aber nicht immer zu bekommen.127 Besondere Schwierigkeiten bereiten fast immer die möglichen oder die tatsächlichen Absichten des Gegners, die auch in autoritären Systemen mit einiger Sicherheit in der Regel nur dann ermittelt werden können, wenn sie von verlässlichen Quellen direkt aus den obersten Führungskreisen stammen, und auch dann ist eine bewusste Täuschungsmaßnahme nicht auszuschließen. Ein besonderes Problemfeld bildet die Informationsfülle. Wenn es viele Dienste gibt, die Nachrichten liefern und zu Erkenntnissen verarbeiten, dann wird eine zusammenführende und auswertende Zentrale benötigt. Deren Aufgaben sind essenziell und auch heikel, da es möglicherweise in einer Krise auf eine einzelne entscheidende Nachricht oder Erkenntnis ankommt, die unter keinen Umständen übersehen und vernachlässigt werden darf. Heute kommen zunehmend technische Hilfsmittel zum Einsatz, um der Datenflut Herr zu werden, die Auswertung zu erleichtern und Gefahren frühzeitig zu erkennen. Da Als Beispiele seien die »Delegated Authorities« und die ROE genannt, siehe Kap. IV.4‑IV.8. Siehe dazu Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 16‑18. 126 So Handel, Perception, Deception and Surprise, überzeugend dazu am Beispiel des Jom KippurKrieges. 127 Vgl. dazu Nes/Salviati/Satzinger, Der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte. Vgl. auch George, Findings and Recommendations, S. 554 f. George hat hier auch die Schwierigkeit hervorgehoben, dass die wirklich kenntnisreichen Spezialisten oft nicht gefragt werden oder keinen Zugang zur »top-level policy-making group« bekommen. 124 125



V. Fazit

501

ist es geradezu lebenswichtig, dass durch die technische Routinebearbeitung nicht gerade die einzige, wirklich entscheidende Nachricht unter den Tisch fällt, sondern unmittelbar in die Bearbeitung und Auswertung gesteuert wird. Eine weitere wichtige Erkenntnis darf nicht vergessen werden. In einem Bündnis sammeln alle Partner Nachrichten, auch über ihre Verbündeten. Die Großen machen das allumfassend und weltweit, die Kleineren eher begrenzt, schwerpunktmäßig und gezielt. Zwei Grundsätze haben dabei stets Gültigkeit: Dem Bündnis bzw. den Partnern werden in der Regel nur ausgewählte Erkenntnisse zur Nutzung freigegeben. Überhaupt gelten für die entsprechenden Erkenntnisse in der Regel die Bedingungen des Marktes und des Gebens und Nehmens. Wer nichts zu bieten hat, bekommt nur wenig oder nichts. Wer dann noch über keine eigene Aufklärung verfügt, also keine eigenen Erkenntnisse generiert, kann auch kaum den Wert fremder Ergebnisse sachlich beurteilen. Diese Grundregeln gelten im Großen und Ganzen für jegliches Krisenmanagement und generell für alle Bündniskooperationen. Die heutige politische Welt hängt von Prognosen ab, die auf wissenschaftlicher Basis gefertigt und daher vielfach fast als Gewissheit und Zusage gewertet werden. Dennoch bleiben auch und gerade die penibelsten Voraussagen mit großen Unsicherheiten behaftet. Daran wirkt auch etwas mit, das heute kaum noch als Begriff bekannt ist, die »Friktion«. Clausewitz hat sich eingehend mit diesem Problem beschäftigt: »Es ist alles [im Krieg] sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig.«128 Die Friktion ist für ihn »überall in Kontakt mit dem Zufall«; sie mache zudem »das scheinbar Leichte schwer«.129 Friktionen sind also Ereignisse und Einflüsse aller Art, die auf die eigenen Überlegungen und Maßnahmen einwirken, die man vorher nicht erkannt hat, und die eigenen Handlungen und Kräfte dadurch beeinträchtigen.130 Live Oak hatte den Vorteil, dass die Planungen zunächst recht allgemein gehalten waren und die notwendigen Details erst im Falle der Realisierung befohlen werden sollten. Aber auch dann konnten jederzeit Friktionen auftreten, für die im Operationsbefehl keine Lösung vorgegeben war. Dann war die operative Führungskraft gefragt, um mit ihnen fertigzuwerden, soweit eine Weisung nicht abgewartet werden musste oder konnte. Zu diesen Überlegungen gehört auch die alte Regel, wo immer es möglich ist, nicht zu speziell und detailliert zu planen. Moltke forderte daher »vorauszudenken, ohne voraus zu disponieren«.131 Auch der beste Operationsbefehl verliert seine Gültigkeit, sowie der erste Schuss gefallen ist, denn dann muss geführt werden. Vor diesem Hintergrund haben Live Oak und auch die BERCON der NATO die Aufgabe erfüllt, der Sowjetunion das Risiko der militärischen, auch der nuklearen Eskalation glaubwürdig vor Augen zu führen. Die sowjetische Führung nahm mit Blick auf Berlin jedenfalls nicht das Risiko eines Krieges auf sich. Indessen blieb das Krisenpotenzial und die Krisenintensität doch begrenzt. Niemand kann sagen, wie erfolgreich Live Oak wirklich gewesen wäre, wenn es fortgesetzt zu schweren und belastenden Krisen gekommen wäre. Die nukleare Eskalation war ständig möglich, die Wahrscheinlichkeit, Clausewitz in seinem Werk, Vom Kriege, 1. Buch, 7. Kap., S. 159. Ebd., S. 160, 162. 130 BArch, BW 1/561879: HDv 100/100 von 2007, Nr. 1015, in der dieses Phänomen aktuell behandelt wird. Siehe des Weiteren Moltke, Militärische Werke, Bd 4/1: Kriegslehren, S. 71 f. 131 Siehe Freytag-Loringhoven, Vorausdenken. 128 129

502

V. Fazit

dass es dazu auch kommen würde, verringerte sich jedoch ab Ende der sechziger Jahre zusehends. Dies lag unter anderem daran, dass die militärische Konfrontation zurückgeschraubt und durch politische Initiativen, nicht zuletzt durch die Détente, entschärft wurde. Der Wert von Live Oak bestand danach vor allem im strukturellen Vorhandensein, d.h. der Gewissheit, über Mechanismen zu verfügen, die im Notfall eingesetzt werden konnten. Hier wirkte die Organisation dann vielleicht nicht nur für die Gegenseite beruhigend und deeskalierend, sondern auch für die eigene, insbesondere für die Entscheidungsträger. Welche Gefahren drohten, zeigte vor allem die Kuba-Krise, die ungleich gefährlicher war als die Berlin-Krise. »Dort war man in der ganzen Nachkriegszeit zum ersten und einzigen Mal in einer Situation, in der man sagen konnte: ›Krieg in Sicht‹.«132 Live Oak war die Antwort der Drei Mächte auf eine spezifische Art der Bedrohung. Die Organisation hatte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten als geeignet erwiesen, dieser Bedrohung gerecht zu werden. Geschichte, Struktur, Planungen und Arbeitsweise von Live Oak können als historisch-politische Orientierung auch für andere Krisenlagen dienen. Insgesamt war Live Oak zweifellos eine moderne Ausgestaltung einer auf Krisenbewältigung hin optimierten Organisation. Doch kann seine Geschichte nicht einfach auf andere Fälle übertragen werden, denn es war ein System, das auf eine besondere Lage zugeschnitten war und im Laufe ihrer Existenz immer wieder angepasst und verbessert wurde. Live Oak war keine »Dead Elm« – wie manche Angehörige des Stabes die Organisation scherzhaft bezeichneten –, sondern eine schutzbietende, starke Eiche geblieben.133

Dr. Wieck, Stellungnahme vom 13.6.2004, S. 4, Zit. ebd. Siehe dazu BArch, Bw 71/92, Nr. 40: »Live Oak Histroy«, 20.11.1990, Annex »History of Live Oak Communications« von LTC Brewis.

132 133

Bildteil503

504

NATO-Oberbefehlshaber und Commander Live Oak Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und US-General Lauris Norstad am 24. März 1961 im Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa (SHAPE) bei Paris.  picture alliance/AFP

US-General Lyman L. Lemnitzer (l.) bei einer Pressekonferenz am 5. Mai 1969 anlässlich der Übergabe des NATO-Oberbefehls an US-General Andrew J. Goodpaster (r.) im Juli.  picture-alliance/United Archives/TopFoto

US-General Alexander Haig, 1977. ullstein bild/Sven Simon



NATO-Oberbefehlshaber und Commander Live Oak

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US-General Bernard W. Rogers mit Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn, 2. Februar 1981.  picture-alliance/dpa

US-General John R. Galvin, hier mit Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner, ca. 1987/88.  ap/dpa/picture alliance/SZ-Photo

506 Personal

Major General Geoffrey H. Baker, Chief of Staff Live Oak 1961‑1963.  BArch, Bw 71/136, Nr. 32

Major General I.C. Harris, Chief of Staff Live Oak 1963‑1966.  BArch, Bw 71/136, Nr. 32

Major General T.N.S. Wheeler, Chief of Staff Live Oak 1966‑1969.  BArch, Bw 71/136, Nr. 32

Pflanzung einer echten »Live Oak« am 21. Mai 1962 vor der Stabsbaracke in Rocquencourt durch den COS, Geoffrey H. Baker.  Fam. Thomas

Personal507 Verabschiedung des deutschen Verbindungsoffiziers zu Live Oak, Oberst i.G. Wilhelm Thomas, durch den Chief of Staff Live Oak und die beiden anderen Heads of Delegations, September 1963; v.l.: Général de brigade Dulhoste, Oberst i.G. Thomas, COS Major General I.C. Harris, Brigadier General Chapman  Fam. Thomas

Ground Planning Section bei Live Oak, Sommer 1975, v.l. sitzend: Colonel (FR) Oleg M. de Pourichkevitch, Colonel (US) Rex Beasley, v.l. stehend: Colonel (UK) Peter Weeks, Oberstleutnant Harald van Nes.  Harald van Nes

Der deutsche National Military Representative bei SHAPE, gleichzeitig Deutscher Vertreter bei Live Oak 1959‑1962, Brigadegeneral Peter von Butler. Fam. Thomas

508 Übungen Ein britischer Infanterie-Unteroffizier weist im Gefecht seinen Schützenpanzer ein; Übung der Tripartite Battle Group in Sennelager.  BArch, BW 71/102

Rail Probe in Mannheim-Rheinau.  BArch, BW 71/102

Aufgefahrene Road Probe, die Fähnchen werden gerade befestigt.  BArch, BW 71/102

Military Air Transport Probe, Typ: Lockheed C-130 »Hercules«.  BArch, BW 71/102

Übungen509

Aufgefahrene Road Probe »Charlie«, Fähnchen der Drei Mächte montiert.  BArch, BW 71/102

Die Tripartite Task Force (eine verstärkte Panzergrenadierkompanie) ist für eine Übung aufgefahren.  BArch, BW 71/102

Die Tripartite Battle Group (ein verstärktes Panzergrenadierbataillon) ist für eine Übung aufgefahren.  BArch, BW 71/102

510 Arbeitsräume

Blick in den Operationsraum des Berlin Air Safety Center; links sitzt der Sowjetische Offizier.  BArch, BW 71/102

Blick auf den Bildschirm mit der Berlin Control Zone und den Luftkorridoren im Berlin Air Route Traffic Control Center. BArch, BW 71/102

Glossar511

Beispiel für eine Road Probe.

Der Spiegel, 1‑2/1964

Operationen512

Einschränkung (Reservation) der alliierten Flugrechte im südlichen Luftkorridor durch sowjetische Anordnung. BArch, BW 71/101

Die roten Punkte auf der Lagekarte stellen Schiffe des Warschauer Paktes in europäischen Gewässern zu einem bestimmten Zeitpunkt dar. BArch, BW 71/101

Glossar

Bonn Group

Eine diplomatische Arbeitsgruppe in Bonn, gebildet aus Angehörigen der Botschaften Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten bei der Bundesregierung sowie des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland. Sie war der WAG verantwortlich für politischen Rat in der Eventualfallplanung, für den zivilen Luftzugang nach Berlin und fachliche Sachkenntnis zu allen Fragen, die Deutschland betrafen.

Contingency Plans

Eventualfallpläne: Schemata für das Vorgehen in Krisen mit im Vorhinein festgelegten Maßnahmen.

Coordinating Authority

Die einem Stab, einer Dienststelle oder einer Einzelperson, z.B. einem militärischen Führer, übertragene Verant­wor­ tung, spezifische Aufgaben oder Tätigkeiten zu koordinie­ ren, an denen Kräfte von zwei oder mehr Nationen, von zwei oder mehr Teilstreitkräften oder zwei oder mehr Truppenteilen derselben Teilstreitkraft beteiligt sind. Die Befugnis lautete dahingehend, Absprachen zwischen den beteiligten Dienststellen oder ihren Vertretern zu verlangen, aber nicht, eine Einigung zu erzwingen. Im Fall mangelnder Übereinstimmung zwischen den Beteiligten wurde diskutiert. Wenn keine Einigkeit erzielt werden konnte, erfolgte die Vorlage der Angelegenheit bei der Dienststelle, die die Coordinating Authority beauftragt hatte.

Force, Use of Force

Gewalt durch die Sowjetunion bzw. die DDR, die das Vorrücken von »Probes« behinderte, das Leben des »Probe«-Personals gefährdete oder deren Weiterfahrt verhinderte. Eine Drohung bedeutete aber noch keine Gewalt (diese Definition war so nur für den Landzugang gültig).

Full Command

Die Befugnis und Verantwortung eines militärische Vorgesetzten, Untergebenen Befehle zu geben. Diese deckt jeden Aspekt militärischer Führung und Verwaltung ab und be-

514 Glossar

steht nur innerhalb des Dienstes einer Nation (also nicht für Kräfte einer anderen Nation). Naval Committee

Das Marinekomitee der Vier Mächte Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten. Es unterstützte die WAG und lieferte fachlichen Rat in allen mit Maritimen Gegenmaßnahmen zusammenhängenden Fragen. Es war in Washington, DC stationiert und setzte sich aus den Marineattachés in Washington und dem Oberbefehlshaber der Atlantikflotte der USA zusammen.

Operational Command

Die einem Befehlshaber/Kommandeur bei Live Oak oder der NATO übertragene Befugnis, nachgeordneten militärischen Führern Aufträge zu erteilen oder Aufgaben zuzuweisen, Verlegung, Aufmarsch und Einsatzbewegungen von Truppenteilen anzuordnen, die Unterstellung von Kräften neu zu regeln sowie Operational Control und/oder Tactical Control selbst auszuüben oder zu übertragen. Operational Command beinhaltet die grundlegende Weisungsbefugnis etwa über den Einsatz und die Zusammensetzung der eigenen Kräfte.

Operational Control

Die einem (meist untergeordneten) Befehlshaber bei Live Oak oder der NATO übertragene Befugnis, ihm unterstellte (engl. assigned) Kräfte so zu führen, dass er bestimmte Aufträge aus- oder Aufgaben durchführen kann, die im Allgemeinen nach Art, Zeit und Raum begrenzt sind; ferner die Befugnis, für die betreffenden Truppenteile Verlegung, Aufmarsch und Einsatzbewegung anzuordnen und Tactical Control über diese Truppenteile selbst auszuüben oder zu übertragen. Das heißt, dass dieser Befehlshaber die ihm zur Verfügung gestellten Kräfte einzusetzen hat, ohne deren grundsätzliche Anordnung oder Struktur zu verändern. Das Gleiche gilt für die Wahl des Einsatzgebietes, die Logistik und die truppendienstlichen Grundlagen (z.B. Disziplinargewalt).

Probe

Eigentlich »Initial Probe of Soviet Intentions«; engl. probe für »Sondierung«. Eine »Probe« war ein Instrument der Drei Mächte, das den Zweck hatte herauszufinden, ob die sowjetische Seite bereit war, Gewalt anzuwenden oder die Anwendung von Gewalt zu erlauben, um die Durchfahrt einer alliierten Marschbewegung zu verhindern. Damit war eine kleine militärische Einheit gemeint, die im Krisenfall in die Zugangswege nach Berlin geschickt werden sollte. Diese

Glossar515

Definition für den Zugang zu Lande galt sinngemäß auch für die »Probes« in den Luftkorridoren. Public Information

Informations- und Medienarbeit, die auch dem Zweck dient, die Öffentlichkeit zu gewinnen.

Quadripartite

Wörtlich: »die Vier Mächte betreffend«. In Bezug auf Live Oak meint dieser Ausdruck gewöhnlich Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten. Gelegentlich steht er auch für die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges: Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und die UdSSR.

Rules of Engagement

Regeln für den Einsatz von Streitkräften und die Anwendung von Gewalt im Krisenfall. Im Normalfall müssen diese Einsatzregeln einer politischen Weisung folgen oder sie bedürfen politischer Zustimmung. Die ROE firmieren auch unter der Bezeichnung »Rules of Conduct“.

Selective Use

(of nuclear weapons): kontrollierter Einsatz nuklearer Waffen mit stark eingeschränkter Reichweite. Der Zweck besteht meist in einer politischen Demonstration, eventuell auch ohne spezielles Ziel (z.B. Luftdetonation).

Single Commander

Auf besonderen Befehl des Commander Live Oak einzusetzender, alleinig verantwortlicher Befehlshaber der drei westlichen Garnisonen in Berlin. Für die Ernennung war die vorherige Zustimmung der Drei Mächte notwendig.

Tactical Control

Die direkte Kontrolle und Führung der eigenen Kräfte im Operationsbereich vor allem auch in gefechtstaktischer Hinsicht. Tactical Control ist ein untergeordneter Bereich der Operational Control.

Tripartite

Wörtlich: »die Drei Mächte betreffend«. Damit sind Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten gemeint.

Washington Ambassadorial Group Die Washington Ambassadorial Group (WAG) bestand aus den Botschaftern Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und des Vereinigten Königreichs bei den Vereinigten Staaten sowie dem Unterstaatssekretär für Europäische Angelegenheiten im State Department. Die WAG erteilte dem Commander Live Oak politische Weisungen.

Militärisches Schlüsselpersonal bei Live Oak

Commander Live Oak1 General Lauris Norstad General Lyman L. Lemnitzer General Andrew J. Goodpaster General Alexander M. Haig Jr. General Bernard W. Rogers General John R. Galvin

04.04.1959‑31.12.1962 01.01.1963‑30.06.1969 01.07.1969‑15.12.1974 16.12.1974‑29.06.1979 30.06.1979‑26.06.1987 27.06.1987‑27.11.1990

Chief of Staff Live Oak2 (Head of U.K. Delegation) Maj. Gen. W.G. Stirling Maj. Gen. K.C. Cooper Maj. Gen. G.H. Baker Maj. Gen. I.C. Harris Maj. Gen. T.N.S. Wheeler Maj. Gen. J.D. Lunt Maj. Gen. J.M. Strawson Maj. Gen. G.W.D. Crookenden Maj. Gen. H.D.G. Butler Maj. Gen. P.J. Bush Maj. Gen G.B. Wilson Maj. Gen. M.H. Sinnatt Maj. Gen. D.E. Miller Maj. Gen. C.G. Cornock Maj. Gen. G.B. Fawcus

Quelle für die Übersicht zum militärischen Schlüsselpersonal: BArch, BW 71/204, Annex A: Key Live Oak Personnel, Nr. 1. 2 Während der Zeitspanne, in der Live Oak keinen Dienstposten »Chef des Stabes« hatte (1.10.1959‑19.7.1961), wurde die britische Delegation von Col. A.G. Peate und dann von Col. R.J. Chaundler geführt. 1



11.04.1959‑05.06.1959 06.06.1959‑01.10.1959 19.07.1961‑21.05.1963 22.05.1963‑31.05.1966 01.06.1966‑07.01.1969 08.01.1969‑23.08.1970 24.08.1970‑30.09.1972 01.10.1972‑01.04.1975 02.04.1975‑31.12.1976 01.01.1977‑31.05.1979 01.06.1979‑14.01.1982 15.01.1982‑09.01.1984 10.01.1984‑18.05.1986 19.05.1986‑30.04.1989 01.05.1989‑27.11.1990

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Militärisches Schlüsselpersonal bei Live Oak

Deputy Chief of Staff – France (Head of French Delegation) Général de brigade Christian F.L.M. Geliot Général de brigade Pierre L.L. Daillier Colonel Leonard Hounau3 Général de brigade François de Susbielle4 Général de brigade Marcel Dulhoste Général de brigade Coussaud de Massignac Général de brigade Marc Martin-Siegfried Général de brigade Jacques Pol Général de brigade Raymond Horgues-Débat Général de brigade Arnold G. Toulouse Général de brigade Paul L. Logier Général de brigade Jean R. Grenouilleau Général de brigade Pierre F.A. Calleja Général de brigade Aérienne Patrick Henin Général de brigade Jacques Piallat Général de brigade Daniel Gazeau

04.1959‑06.1959 07.1959‑09.1959 10.1959‑07.1960 08.1960‑12.1962 01.1963‑04.1964 05.1964‑03.1967 04.1967‑03.1969 04.1969‑06.1972 07.1972‑03.1975 04.1975‑07.1978 08.1978‑02.1981 03.1981‑07.1983 08.1983‑06.1985 07.1985‑06.1987 07.1987‑08.1989 09.1989‑11.1990

Deputy Chief of Staff – United States5 (Head of U.S. Delegation) Col. Thomas W. Sharkey (US A) Col. Donald A. McPherson (US A) Brig. Gen. Robert C. Richardson III (USAF) Col. Thomas W. Sharkey (US A) Brig. Gen. Robert C. Richardson III (USAF)6 Brig. Gen. Willis F. Chapman (USAF) Brig. Gen. John A. Hilger (USAF) Brig. Gen. Everett W. Hostrom (USAF) Brig. Gen. David L. Carter (USAF) Brig. Gen. Robert L. Cardenas (USAF)

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04.1959‑04.1961 04.1961‑06.1961 06.1961‑09.1961 09.1961‑02.1962 02.1962‑03.1962 04.1962‑06.1964 07.1964‑09.1966 10.1966‑04.1969 06.1969‑06.1970 07.1970‑07.1971

Colonel Hounau hatte nicht die Aufgabe des Deputy Chief of Staff, weil dieser Posten in der Reorganisation vom 1.10.1959 gestrichen und bis zum Juli 1961 nicht mehr eingerichtet wurde. Général de Susbielle führte anfänglich die französische Delegation als Oberst, bis die Position des Deputy Chief of Staff France im Juli 1961 wieder eingerichtet wurde, zu welchem Zeitpunkt er zum Général de brigade befördert wurde. Die Position des Deputy Chief of Staff United States existierte erst ab April 1962, daher war General Chapman der erste Träger dieses Bezeichnung. General Richardson war zeitweise aus der NATO (SHAPE) ausgeliehen und Leiter der US-Delegation nach dem plötzlichen Tod von Colonel Sharkey.



Militärisches Schlüsselpersonal bei Live Oak

Brig. Gen. Wiltz P. Segura (USAF) Brig. Gen. Richard J. Hartman (USAF) Brig. Gen. Russell G. Ogan (USAF) Brig. Gen. Robert F. Titus (USAF) Brig. Gen. Donald M. Davis (USAF) Brig. Gen. Jerome R. Barnes Jr. (USAF) Brig. Gen. Thomas G. Tobin (USAF) Brig. Gen. James Piner Jr. (US A) Brig. Gen. Wayne W. Lambert (USAF) Col. Gene L. Juve (USAF)

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08.1971‑08.1972 09.1972‑08.1973 08.1973‑08.1974 08.1974‑06.1976 06.1976‑06.1979 06.1979‑09.1983 10.1983‑09.1985 09.1985‑05.1987 06.1987‑05.1989 06.1987‑05.1990

German Liaison Officer7 (Head of German Delegation) Oberst i.G. Wilhelm F.H. Thomas Oberst i.G. Werner Honeck Oberst i.G. Friedrich Doepner Oberst i.G. Heinrich Graf Vitzthum von Eckstätt Oberst i.G. Hans-Joachim Proske Oberst i.G. Claus H. Hofer Oberst i.G. Dr. Herbold Frhr. von Amelunxen Oberst i.G. Dr. Conrad C. Hannesschläger Oberst i.G. Dietrich E. Handt Oberst i.G. Klaus Steiner Oberst i.G. Wilfried Richert



7

Alle hier genannten Offiziere entstammten der Teilstreitkraft Heer.

08.1961‑09.1963 10.1963‑10.1966 10.1966‑10.1969 10.1969‑09.1972 10.1972‑09.1974 10.1974‑03.1978 04.1978‑09.1980 10.1980‑09.1981 10.1981‑09.1984 10.1984‑09.1987 09.1987‑11.1990

Decknamen für Operationspläne und Übungen

1. Operationspläne1 a) Landzugang Allied Aegis Backstroke Bognor Empress Figaro First Haul Forward Pass Free Style June Ball Lucky Strike Mandolin Nodular Rounders Taupe Teelin

Unterstützung des deutschen zivilen Verkehrs »Road-Probe« von Berlin aus. Weitere Namen Single Will, Rotary, Piroutte, Ripcorde, Tower »Sympathetic Convoy« QPPMM bzw. LKGM »Rapid Railprobe« »Rail-Probe« in Richtung Berlin. Weitere Namen Spieler, Sonia, Gusty Offensive Operations Force von Berlin aus, auch Unjust, Perfectos, Dowdy »Road Probe« in Richtung Berlin. Weitere Namen Sceptre, Fraise, ETAM, Valtos, Christiana, Highway, Usurper Division Size Group der Drei Mächte Modifiziertes BCT von Berlin aus, auch Double Wing Tripartite Task Force (TFF) in Richtung Berlin Versammlung des APIC in Helmstedt Koordinierungsmaßnahmen in Helmstedt Unterstützung durch deutsche zivile Polizei Aktivierung des Vorgeschobenen Gefechtsstandes des ­CINCBAOR

Aus Gründen der Sicherheit und der Geheimhaltung hat es niemals Listen dieser Decknamen mit ihrer Bedeutung und den Zeiträumen ihrer Gültigkeit gegeben. Die Daten sind daher unsicher. Als Grundlage diente hier Annex B »Glossary of (…) Code names associated with Live Oak«, BArch, BW 71/203, G. Pedlow, »Live Oak and the Preservation of Allied Access to West-Berlin 1959‑1990« vom 22.2.1991, SHLO O 91/022; ergänzt durch eigene Aufzeichnungen des Autors. – Die wichtigsten Operationspläne wechselten oft den Namen, andere nicht. Einige Pläne wurden erst spät entwickelt, sodass es nur für einen Namen reichte. Diese Liste hier ist nicht vollständig, deckt aber die schriftlich überlieferten Namen einigermaßen ab.

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Decknamen für Operationspläne und Übungen

Trade Wind Tripio

BCT von Helmstedt nach Berlin, später TBG, auch Sardis, Dominican, Grovesend, Forehead, Litigant, Continual, Prestige Versammlung des PIC »Tripio« in Berlin b) Luftzugang

Craft »Grünes Rosenholz« (GR) »Guter Patron« (GP) Jackpine (JP) »Lange Stafette« (LS) Triple Play

Zeitweise für Operationen um den Luftzugang Alle Unterstützungsmaßnahmen der deutschen Luftwaffe Dito, ab Mitte der siebziger Jahre Alle Luftoperationen um die Zugangswege Deutscher Anteil an QBAL Evakuierung der Non-Combatants c) Maritime Operationen

Free Flow MARCON (NATO) MARCON (LO) NAVCON

NAVCORCENT für den Pazifik. Maritime Contingency Plan später Teil der BERCON-Pläne Maritime Countermeasure, ersetzte 1983 den Begriff ­NAVCON Naval Countermeasure, bis 1983

2. Übungen2 a) Landzugang Assembly Probex Railex Railex/Probex Treaty

2

Versammlung der »Road Probe« von Berlin aus Gefechtsübung der »Road Probe« nach Berlin Gefechtsübung der »Rail Probe« nach Berlin Gemeinsame Übung beider »Probes« Gefechtsübung des TBG mit Luftnahunterstützung, seit 1980 (mit Jahreszahl)

Zunächst wechselten die Übungsnamen laufend; erst in den achtziger Jahren setzten sich gültige Bezeichnungen mit einer laufenden Nummer oder mit der Jahreszahl ihrer Durchführung durch. Die früheren Decknamen sind nur teilweise aus dem Bestand BW 71 zu erschließen.



Decknamen für Operationspläne und Übungen

523

b) Luftzugang Airex Bold Gauntlet Quick Sand Treaty

Allgemein für Übung der Luftstreitkräfte Übung der Luftzugangsoperationen, seit 1982 Übung der Luftzugangsoperationen in den sechziger Jahren siehe oben c) Zur See

Quick Fix

Marine-Rahmenübung von den siebziger Jahren bis 1982 d) Live Oak gesamt/»Sea Spray«

Steadfast

Wichtigste Übung für die Eventualfalloperationen von Live Oak und Sea Spray; seit 1977 mit diesem Namen mit Jahreszahl oder römischer Ziffer

Abkürzungen

AA AAFCE AAO AB ABC ACAB ACOS P&P ACE ACM ACS ACR ADAP ADIZ ADM AEW AFCENT AFMED AFNORTH AFSOUTH AGO AIRSOUTH AJP AMAN

Auswärtiges Amt Allied Air Forces Central Europe Air Access Operation Arbeitsgruppe Berlin (AA) Atomar – Biologisch – Chemisch (ABC-Waffen) Allied Command Arrangements, Berlin Assistant Chief of Staff, Plans and Policy (SHAPE) Allied Command Europe Air Counter-Measures, Air Champagne Measures Archivio Centrale dello Stato Armored Cavalry Regiment (US) Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Air Defence Interception Zone Atomic Demolition Munition Airborne Early Warning Allied Forces Central Europe Allied Forces Mediterranean Allied Forces Northern Europe Allied Forces Southern Europe Air Support for Ground Access Operations Allied Air Forces Southern Europe Allied Joint Doctrine for Land Operations Agaf ha-Modi’in (hebr. »Abteilung für militärische Aufklärung«, Nachrichtendienst der Israelischen Streitkräfte) AMF (A) Allied Mobile Force Air AMF (L) Allied Mobile Force Land ANAE Archives Nationales des Affaires Etrangères, Paris ANBw Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr ANZUS Australia, New Zealand, United States APC Armored Personnel Carrier APIC Allied Press Information Centre APO Außerparlamentarische Opposition ARMD Armored ASB Alliierter Stab, Berlin ASB Aufklärungssammelbericht

526 Abkürzungen

ASBw Amt für Sicherheit der Bundeswehr ASOC Air Support Operation Centre (Tripatite) ASprK Atomsprengkörper ASW Anti-Submarine Warfare ATA Atlantic Treaty Association ATAF Allied Tactical Air Force AWACS Airborne Warning and Control System AWX All Weather Fighter BACC Berlin Air Coordinating Committee BALTAP NATO-Command Baltic Approaches BAOR British Army of the Rhine BArch Bundesarchiv BARTCC Berlin Air Route Traffic Control Centre BASC Berlin Air Safety Center BASOC Battlegroup Air Support Operations Centre BCT Battalion Combat Team BCT Berlin Combat Team BCZ Berlin Control Zone BE Belgium BEA British European Airways BEALCOM Berlin Airlift Committee BEO Berlin Executive Bureau, West-Berlin (QBAL) BERCON Berlin Contingency Planning BERCORD Berlin Coordinating Committee (QBAL) BERTOC Berlin (Tripartite) Tactical Operations Centre BFS British Frontier Service BfS, BFS Bundesanstalt für Flugsicherung BKA Bundeskanzleramt BK/L Letter of Berlin Kommandatura BK/O Order of Berlin Kommendatura BLG Bundesleistungsgesetzt BMV Bundesminister für Verkehr BMVg, BMVtdg Bundesministerium der Verteidigung BND Bundesnachrichtendienst BOPIC Bonn Group Press Information Center BOWAG Bonn Group Paper for the WAG BQA Berlin Quadripartite Agreement, BQA BR British BRAC Brigadier Royal Armor Corps BSC BEALCOM Steering Committee BSN Befehlshaber der Seestreitkräfte Nordsee BSR Bundessicherheitsrat BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik BudFin Budget and Finance Division (SHAPE)

Abkürzungen527

CA Canada CAA Civil Air Attachée CACS CINCENT Airlift Coordination Staff CAL Civil Air Lift CAO Civil Aircraft Operations CAS Chief of the Air Staff CASGAF Commander Airstaff,German Airforce (Fü L?) CAST BG Canadian Air Sea Transportable Brigade Group CATA Commandement Air Tactique (FR) CATF Combined Airlift Task Force (QBAL) CC Control Council CCA Control of Civil Aircraft CCFFA Commandant en Chef des FFA CDI Conventional Defense Initiative CDR/Cdr/CMDR Commander CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CECFORAL Commandant en Chef FFA CECMED Commandant en Chef Mediterranée CECLANT Commandant en Chef Atlantique CEI Communications – Electronic Instructions CEMA Chef d’État-Major des Armées CENTCOM U.S. Central Command CENTO Central Treaty Organization (»Bagdadpakt«) CEO Central Executive Office (QBAL) CFA Cease Fire Agreement CHMN Chairman CHOD Chief of Defence CIA Central Intelligence Agency CID Committee of Imperial Defence CIMEX Civil Military Exercise CIMIC Civil Military Cooperation CINC Commander-in-Chief CINCAFMED Commander-in Chief Allied Forces Mediterranean CINCBAOR Commander-in-Chief British Army of the Rhine CINCCHAN Commander-in-Chief Channel Command CINCENT Commander-in-Chief Allied Forces Central Europe CINCEUCOM Commander-in-Chief U.S. European Command CINCGERFLEET Commander-in-Chief German Fleet CINCLANT Commander-in-Chief U.S. Atlantic Fleet CINCNORTH Commander-in-Chief Allied Forces Northern Europe CINCPAC Commander-in-Chief Pacific Command (US) CINCSOUTH Commander-in-Chief Allied Forces Southern Europe CINCUSAFE Commander-in-Chief U.S. Air Forces Europe CINCUSAREUR Commander-in-Chief U.S. Army Europe CINCUSEUCOM Commander-in-Chief U.S. European Command

528 Abkürzungen

CINCUSNAVEUR Commander-in-Chief US Naval Forces in Europa CJCS Chairman of the Joint Chief of Staff CLO Commander Live Oak CMDT Commandant COB Commandant of Berlin COEC Council of Operations and Exercise Committee COM, COMD Command/Commander COMCATF Commander Combined Airlift Task Force (QBAL) COMECON Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) COMLANDSOUTH Commander Allied Land Forces Southern Europe CONMAROPS Concept of Maritime Operations COREQ Coordination of Operations Request COS Chief of Staff CP Command Post CPX Command Post Exercise CRP/CRC Control and Reporting Post/Center CRICON Crisis Confrontation CSCE Conference on Security and Co-operation in Europe CSIA Harvard Center for Science and International Affairs ČSSR Československá socialistická republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) CSU Christlich Soziale Union in Bayern DACOS Deputy Assistant Chief of Staff (SHAPE) DAIR ACA – Air Directorate DB Deutsche Bundesbahn D/C Deputy Chief DC Democrazia Cristiania DCI Defence Capabilities Initiative DCINCEUR Deputy Commander-in-Chief US-Force Europe DCOS Deputy Chief of Staff DDO Deutscher Dienstältester Offizier DDR Deutsche Demokratische Republik DEF Defense/Defence DEFE Ministry of Defence Records, Großbritannien DEP Deputy DGDC Directorate-General for Development Cooperation DGEA Directorate-General for Economic Affairs DGPA Directorate-General of Political Affairs DHI Deutsches Historisches Institut DIA Defense Intelligence Agency DMV Deutscher Militärischer Vertreter DOD Department of Defense (US) DOx Directorate Operations/Plan (USAFE) DPC Defense Planning Committee DPWG Defence Planning Working Group

Abkürzungen529

DR Deutsche Reichsbahn (der DDR) DSACEUR Deputy SACEUR DTUstgA Deutsche Unterstützungsanteile EAC European Advisory Commission EC European Community ECCM Electronic Counter-Countermeasures ECM Electronic Countermeasures ECR Electronic Combat and Reconnaissance EDP Emergency Defence Plan EEC European Economic Community EEI Essential Elements of Information (INT) EG Europäische Gemeinschaft E.M. Etat-Major E.M.A. Etat-Major des Armées E.M.A.B. Etat-Major Allié de Berlin E.M.G.D.N. Etat-Major General de la Defense Nationale ENTG Euro-NATO Training Group EOP Emergency Operating Procedure EPC European Political Cooperation EPZ Europäische Politische Zusammenarbeit ESDP European Security and Defence Policy EU European Union EUCOM European Command EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EX Exercise EXFOR Expeditinary Force (UK, 1961/62) in GE EXSPEC Exercise Specification FAC Forward Air Controller FACP Forward Air Command Post FAF French Airforce FALLEX Fall Exercise FAM Fondo Aldo Moro FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FATAC Force Aérienne Tactique FASC Forward Air Support Centre FCE Forward Control Element FCMA Friendship, Cooperation and Mutual Assistance FCO Foreign and Commonwealth Office FFA Forces françaises en Allemagne FOURATAF Fourth Allied Tactical Airforce FROG Free Rocket Over Ground (NATO-Bez. für sowj. Rakete) FlaRAKGrp Flugabwehrraktengruppe FlgAbt Fliegerabteilung FLSC Forward Logistik Support Company

530 Abkürzungen

Fm FernmeldeFOB Forward Operating Base FOFA Follow-on-Forces-Attack FOREP Forces Report FQP Final Quadripartite Protocol FR France/French FRG Federal Republic of Germany FTX Field Exercises Fü H Führungsstab des Heeres Fü L Führungsstab der Luftwaffe Fü S Führungsstab der Streitkräfte GAFO German Airforce Office GAL Garrison Air Lift GCI Ground Control Intercept GDP General Defense Plan GDR German Democratic Republic GE German/Germany GELNO Germand Liaison Officer with Live Oak GLCM Ground Launched Cruise Missiles GLNO German Liaison Officer GI Generalinspekteur GSFG Group of Soviet Forces in Germany GSG Grenzschutzgruppe GSTD Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland GTN German Territorial Northern Command (siehe TKN) GTSC German Territorial Southern Command (siehe TKS) HA Hauptverwaltung Aufklärung (MfS) HDv Heeresdienstvorschrift HFRATT Single Channel High Frequency Radio Teletype HILEX High Level Exercise (NATO) HNS Host Nation Support HOD Head of Delegation HQ Headquarters HUMINT Human Intelligence IALCE International Airlift Control Element IANF Inter-Allied Nuclear Force ICAO International Civil Aviation Organisation IDF Israeli Defence Force IdG Innerdeutsche Grenze IGA Intergerman Agreements IGB Inner German Border IISS International Institute für Strategic Studies IMS International Military Staff (NATO) INF Intermediate Range Nuclear Forces INT, Intel. Intelligence

Abkürzungen531

INTREP Intelligence Report INTSUM Intelligence Summary IRTF (L) Immediate Reaction Task Force (Land) IS International Staff (NATO) ISAF International Security Assistance Force IT Italy JaboG Jagdbombergeschwader JAPIC Joint Allied Press Information Center JBOG June Ball Brigade Group JCC Joint Coordination Centre JCS Joint Chiefs of Staff (US) JHQ Joint Headquarters JIC Joint Intelligence Committee JOPCEN Joint Operations Centre JPCP Jackpine Command Post JPIC Jackpine Press Information Center KAE Konferenz zur Abrüstung in Europa KG Kampfgruppe KGB Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti pri Sovjete Ministrov SSSR (Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR) KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPP Kontrollpassierpunkt KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KTV Kommando Territoriale Verteidigung LBJLA Lyndon Baines Johnson Library & Archive LKGM Low Key Ground Measures LLArtBttr Luftlandeartilleriebatterie LLDiv Luftlandedivision LLFmBtl Luftlandefernmeldebataillon LO Live Oak LOACOS Live Oak Access Coordination System LOBCOS Live Oak Berlin Coordination System LOCEI Live Oak Communications Electronic Instruction LOCS Live Oak Coordination System LoI Letter of Instruction LOOPCEN Lice Oak Operation Center, HQ BAOR LOPIC Live Oak Press Information Center LOPIGUIDE Live Oak Press Information Guide LORS Live Oak Readiness System LSL Landing Ship Logistic LTDP Long Term Defence Program LU Luxembourg Lw, LW Luftwaffe MAB Marine Amphibious Brigade

532 Abkürzungen

MAF Marine Amphibious Force MAP Mutual Assistance Program MARCON Maritime Countermeasures> MARCONFOR Maritime Contingency Force MARCONFORMED Maritime Contingency Force for the Mediterranean MARCOP Maritime Countermeasures Operations and Procedures Manual MATP Military Air Transport Probe MBFR Mutual and Balanced Force Reductions MC Military Council MDA Main Defense Area MDB Main Deployment Base MDir Ministerialdirektor MEF Middle East Force MFA Ministry of Foreign Affairs MfNV Ministerium für Nationale Verteidigung MfS Ministerium für Staatssicherheit MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen MICS Multinational Interim Coordinating Staff MiG Mikojan i Gurevič (sowj. Flugzeughersteller) MNC Major NATO Command/Commander MOD Ministry of Defence MRBM Medium Range Ballistic Missile MSAP Military Sponsored Air Probe MSAS Military Sponsored Air Service MSC Major Subordinate Command MSGT Mobile Satellite Ground Terminal NAC North Atlantic Council NATF National Airlift Task Force (QBAL), Nationale NATO North Atlantic Treaty Organisation NAVCONs Naval Countermeasures NAVCORCENT Naval Coordination Center NAVOCFORMED Naval On-Call Force Mediterranean NAVSOUTH Naval Command Southern Europe NBC Nuclear-Biological-Chemical NCO Network Centric Operations NCO Non Commissioned Officier NCOP Naval Countermeasures Operations and Procedures Manual NCR Naval Countermeasure Report NEO Non-Combatants Evacuation Operation NICS NATO Integrated Communications System NIS NATO Information System NL Nachlass NL Netherlands NM Nautical Miles NMR National Military Representative

Abkürzungen533

NO Norway NORDEFCO Nordic Defence Cooperation NORTHAG Northern Army Group NOTAM Notice to Airmen NPG Nuclear Planning Group NPLA Nixon Presidential Library and Archive NPT Non-Proliferation Treaty NRF NATO Response Force NSA National Security Agency NSC National Security Council, USA NSE National Support Elements NVR Nationaler Verteidigungsrat NVA Nationale Volksarmee OAU Organisation of African Unity OP, OPS, Ops Operation/s OPCON Operational Control OPEC Organization of the Petroleum Exporting Countries Oplan, OPlan Operations Plan OPORD Operations Order ORBAT Order of Battle OSCE Organisation for Security and Cooperation in Europe OSD Office of the Secretary of Defense OST Office for Science and Technology OTAN Organisation du Traité de l’Atlantique Nord P.I. Public Information PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes PAO Preferred Areas of Operations PAR Programme Analysis and Review PDP Public Disclosure Program PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PFD Prepared for Duty PGSF Persian Gulf Security Framework PIC Public Information Center PID Public Information Division PIO Public Information Office PO Poland POL Petroleum, Oil and Lubricants Polad, POLAD Political Advisor PSC Principal Subordinate Command (NATO) PTBT Partial Test Ban Treaty QBAL Quadripartite Berlin Airlift QPPMM Quiet Preparatory Precautionary Military Measures QRMF Quick Reacting Mobile Force QUAD Quadripartite Berlin Document RAF Royal Air Force

534 Abkürzungen

RDF Rapid Deployment Force RDJTF Rapid Deployment Joint Task Force RECCE Reconnaissance (Engl. ugs. für »militärische Aufklärung«) RMP Royal Military Police RoC, ROC Rules of Conduct RoE, ROE Rules of Engagement RP Reporting Post RRA Radio Relay Aircraft SAC Strategic Air Command SACEUR Supreme Allied Commander Europe SACLANT Supreme Allied Commander Atlantic SALT Strategic Arms Limitation Talks SBAs Sovereign Base Areas SBZ Sowjetisch Besetzte Zone SCC Special Coordination Committee SCH Single Controller Helmstedt SCO Staff Communications Officer (LO) SDI Strategic Defense Initiative SEATO South East Asian Treaty Organisation SECDEF Secretary of Defence SECSTATE Secretary of State SEGEDEFNAT Sécretariat Générale de la Défense Nationale SETAF Southern Europe Task Force SG Secretary General (NATO) SGN Standing Group NATO SGREP Standing Group Representative, NATO SHAPE Supreme Headquarters Allied Powers Europe SIXATAF Sixth Air Tactical Force SLOC Sea line of communications SNBw Schule für Nachrichtenwesen der Bundeswehr SOP Standing Operating Procedure SP Spain SPACOS Special Assistant to Chief of Staff, SHAPE SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SRG Senior Review Group SSBN Ship Submersible Ballistic Nuclear SSO Staff Signal Officer STAN Stärke- und Ausstattungsnach­weisung STANAVFORLANT Standing Naval Force Atlantic STANAVFORMED Standing Naval Force Mediterranean StS Staatssekretär SU Sowjetunion SZO Soviet Zone of Occupation TACAN Tactical Air Navigation TAOC Tactical Air Operations Center

Abkürzungen535

TARE Telegraphic Automatic Relay Equipment TBG Tripartite Battle Group TCC Transport Coordination Center TCRP Tactical Command Readiness Programme, Berlin TF Truppenführung TKN Territorialkommando Nord TKS Territorialkommando Süd TNA The National Archives ToR Terms of Reference TOW Tube Launched Optically Tracked Wire Command-link Guided Missile (Panzerabwehrlenkwaffe) TRADOC Training and Doctrine Command TRI MNC Three Major NATO Commanders Tripartite Trinational oder den Drei Mächten zuzurechnen TRIPIO Tripartite Public Information Office TSK Teilstreitkraft TTF Tripartite Task Force TUR Turkey UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UK United Kingdom UKMF UK Mobile Force UKMILREP United Kingdom Military Representative NATO UN United Nations UNO United Nations Organization US United States (of America) USAF United States Air Force USCINCEUR United States Commander-in-Chief Europe USCINCPAC United States Commander-in-Chief Pacific USDELLO US Delegation Live Oak USELMLO US Element Live Oak USEUCOM United States European Command USLANTCOM United States Atlantic Command USNAVEUR U.S. Naval Forces Euope USSR Union of Soviet Socialist Republics V VerteidigungsVBM Vertrauensbildende Maßnahmen VORTAC Very high frequency omnidirectional radio range, tactical VSBM Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen verstFschJgBtl Verstärktes Fallschirmjägerbataillon VN Vereinte Nationen WAG The Washington Ambassadorial Group WAGMEMO WAG Memorandum WAGTO WAG Paper WAPIC Washington Ambassadorial Press Information Center WBK Wehrbereichskommando

536 Abkürzungen

WEU Westeuropäische Union WINTEX Winter Exercise WP Warsaw Pact WSAG Washington Special Actions Group WSB Western Sectors of Berlin ZDv Zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr ZK Zentralkomitee

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv (BArch) BHD 1 BL 1 BL 2 BW 1 BW 2 BW 71 DVH 7 DVL 3 DVW 1 BWD 3 BWD 5 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) B12 B130 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BstU) MfS Sekretariat des Min. MfS BdL/Dok. MfS HA I MfS HA III MfS HA IX MfS Rechtsstelle

538

Quellen und Literatur

Unveröffentlichte Typoskripte und Tonbandmitschnitte (im Archiv van Nes) Botschafter a.D. Dietrich Graf von Brühl, Flucht in die Freiheit. Die Flüchtlingsbewegung aus Ungarn im Jahre 1989 – Ein Bericht (undatiert und unkorrigiert, Vortragsentwurf ), ca. 1999 Harald van Nes, Tagebuch 1984‑1988 Pedlow, Gregory W., The Evolution of NATOs Command Structure, 1951‑2009 Pedlow, Gregory W., General Lauris Norstad and the Second Berlin Crisis Pedlow, Gregory W., Multinational Contingency Planning During the Second Berlin Crisis: The Live Oak Organization 1959‑1963. Paper, Nuclear History Progam Third Study and Review Conference, Ebenhausen, 28.6.1991 Dr. Hans-Georg Wieck, Stellungnahme vom 13.6.2004 zur Entstehung und Arbeitsweise der WAG Dr. Hans-Georg Wieck, Stellungnahme vom 18.11.2008 zu den Gegenmaßnahmen zur See Dr. Hans-Georg Wieck, Die Deutschlandpolitik vom Mauerbau bis zum Mauerfall. Vortrag vom Februar 2011 Tonbandmitschnitt des Public-Information-Briefings von Oberst i.G. Heino Graf von Vitzthum (damals GLNO) von 1972 (schriftl. überliefert in BArch, BW 71/204)

Publizierte Quellen und Literatur AAPD siehe Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Adenauer, Konrad, Erinnerungen 1955‑1959, Stuttgart 1967 Adenauer, Konrad, Erinnerungen 1959‑1963, Stuttgart 1968 Adenauer und die USA. Hrsg. von Klaus Schwabe, Bonn 1994 (= Rhöndorfer Gespräche, 14) Adomeit, Hannes, Die Sowjetmacht in internationalen Krisen und Konflikten. Verhaltensmuster, Handlungsprinzipien, Bestimmungsfaktoren, Baden-Baden 1983 (= Internationale Politik und Sicherheit, 11) Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963 ff. Hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amtes vom Institut für Zeitgeschichte, München 1994 ff. Aldrich, Richard J., GCHQ. The Uncensored Story of Britain’s Most Secret Intelligence Agency, London 2010 Die alliierten Stationierungsstreitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Ref. III A 2, Bonn 1981 Andy, Joshua C., Operation »Anadyr«. Die sowjetische militärische Führung in der Kubakrise 1962. In: Krisen im Kalten Krieg, S. 321‑342 Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945‑1956, 4  Bde. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, München 1982‑1997 Aron, Raymond, Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt, Frankfurt a.M. 1986



Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Personenregister

Abrams, Creighton William Jr.   284 Abrasimov, Pëtr A.   38 f. Adenauer, Konrad   23, 171, 173 f., 463 Agnew, Richard (»Dick«)   481 Bahrs, Jürgen   411 Baker, Geoffrey H.   70, 122, 143, 149, 158, 175, 208, 250, 255, 407, 419, 480 Baker III., James A.   109 Basche, Bernd   445 Bassewitz, Hans Joachim Graf   370 Baudissin, Georg Graf von   170 Beasley, Rex   481, 507 Beermann, Friedrich   151 Bolz, Lothar   12, 30 Brandt, Willy   24, 88, 96, 177, 463 Brentano, Heinrich von   174 Brežnev, Leonid I.   87, 93 f., 99 Broadhurst, Harry   282 Brown, Mary O.   481 Bruce, David   58 Burt, Richard R.   104 f., 161 Butler, Peter von   69, 115, 169 f., 175, 211 Byrnes, James F.   9 Carrington, Peter   106, 162‑164, 491 Carstens, Karl   171‑173 Carter, Jimmy   95, 99, 101 Cassels, Sir A. James H.   269, 271 f., 282, 284 Challe, Maurice   271, 282 Chapman (Brigadier General)   507 Chaundler, R.J.   280 Chruščev, Nikita S.   3 f., 10‑12, 17, 20, 23, 36 f., 44, 46‑51, 53, 56‑59,

66‑68, 73, 75 f., 78‑83, 86 f., 119, 121 f., 166, 170, 174, 188, 190, 193, 206 f., 231, 242, 245, 315, 349, 426, 462, 476, 489, 493 f. Clausewitz, Carl von   501 Clay, Lucius D.   8, 27, 74, 124, 136 Cooper, Kenneth   169 f., 229, 480 Corbett, Robert J.S.   394 Cornock, C.G.   480 Couve de Murville, Maurice   55, 172 Crookenden, George W.D.   38 f., 422, 437, 445, 480 Debré, Michel   172 Dickson, Sir William   223 Dobrynin, Anatolij F.   80 Douglas-Home, Alec   77 Dulles, John Foster   XVIII, 18, 22, 53‑56, 168, 231 Eden, Anthony   7 Eimler, Eberhard   187 Eisenhower, Dwight D.   18, 21 f., 52‑56, 58, 66, 170 f., 173, 190, 195, 231, 479 Elsworthy, Charles   326 Ely, Paul-Henri   57, 231 Fawcus, G.B.   113 Fechter, Peter   78 f. Finletter, Thomas K.   120 Flower, Robert P.   290 Foertsch, Friedrich   175 Ford, Gerald   95, 100 Fourcade, Michel   386, 445, 481 Froment-Meurice, M. Henri   130 Galvin, John R.   109, 112 f., 165, 194, 480

566 Personenregister

Gaulle, Charles de   18, 22 f., 95, 173, 320, 409 Genscher, Hans-Dietrich   186 Giscard d’Estaing, Valéry   96 Goodpaster, Andrew J.   92, 194, 212, 217, 161, 326, 419, 479 Gorbačev, Michail S.   100, 103, 110, 188, 493 Gray, Gordon   351 Grewe, Wilhelm   167, 172‑175 Gromyko, Andrej A.   20, 77, 79 Guggenberger, Friedrich   176, 357 Guillaume, Günther   96 Haig, Alexander M. Jr.   104, 161, 194, 217, 397, 442, 479 Harmel, Pierre   XIII Harris, I.C.   480, 506 f. Hendrix, Mark S.   498 Heusinger, Adolf   170, 175 Hobe, Cord von   170 Hofer, Klaus   434 Hoffmann, Heinz   91 Hopf, Volkmar   173 Hornsby (Lt.Col.)   207 Howe, Geoffrey   109 Hülsen, Hans-Walter von   217, 160 Hükelheim, Heinz   176 Hull, Cordell   7 Humphreyes (Major)   206 f., 211, 348, 407, 409 Humphrey, Hubert H.   10, 50 Jacquier, Paul J.F.   131 Jakubovskij, Ivan I.   79, 84 Jessup, Philip C.   10 Johnson, Lyndon B.   74, 86, 124 Johnson, R.   370 Kennedy, John F.   XIII, 1, 22 f., 50, 66 f., 72‑74, 76, 79, 84, 86, 118 f., 124, 136, 173‑175, 190, 207, 283, 476, 479, 494, 499 Kennedy, Robert   80 Kissinger, Henry A.   94 f., 99, 101, 479 Kohl, Helmut   111 Konev, Ivan S.   253 Kossygin, Alexej   87

Lacaze, Jeannou   389, 391 Lemnitzer, Lyman L.   , 46, 74, 36, 81, 92, 106, 161, 212, 215, 217, 253‑256, 258‑260, 385, 409, 432, 479 Lloyd, Selwyn   57 Lorenzen, Ursel   36 Lunt, J.D.   217, 326 Lutze, Lothar   37 Lutze, Renate   37 Macmillan, Harold   22 f., 52, 173 Malik, Jakov A.   10 Mao Zedong   13 Marshall, George C.   X McConnell, John Paul   215 McNamara, Robert   XIII, 72, 74 Mielke, Erich   42, 112, 424 Miller, David   388, 405, 440 Miller, D.E.   480 Molotov, Vjačeslav M.   8 Moltke, Helmuth von   501 Moody, Alfred J.F.   130 Mountbatten, Louis, Earl of Burma    117 f., 172, 196, 208, 230, 248, 271, 444 Murphy, Robert D.   54, 194, 201 Nasser, Gamal Abdel   355 Nes, Harald van   507 Nitze, Paul   16, 70, 78 f., 122 f., 127, 153 Nitzsche, Rolf   481 Nixon, Richard M.   95, 100 Noiret, Roger J.   235 Norstad, Lauris   , 51‑54, 57‑59, 61, 64 f., 68‑78, 81, 114‑118, 121‑138, 143 f., 168 f., 172, 174 f., 179, 195‑198, 201, 204‑208, 211 f., 218, 221 f., 225 f., 228‑230, 232, 235, 246‑248, 251 f., 269‑273, 280‑285, 292 f., 308, 311 f., 315‑319, 323 f., 348, 351, 382, 384, 388, 402, 407, 409, 416, 429, 431, 444, 446 f., 449, 458, 462‑464, 479 f., 484, 489 f., 446, 497 Olie, Jean   208

Personenregister567

Palliano, Guido Colonna di   149 Palmer, Charles D.   206 f., 247, 311 Palmer, Williston B.   204 Pâques, Georges   36 f., 39, 45 f. Pompidou, George   95 Pourichkevitch, Oleg M. de   481, 507 Reagan, Ronald   103 Richardson, Robert C., III   208, 283 f. Richert, Wilfried   113, 187, 342 Robbins, Gary D.   342 Robbins, John E.   165 Roberts, Frank   57 Rogers, Bernard W.   42, 104‑106, 108 f., 159,‑164, 186, 194, 197 f., 217, 236, 258, 287 f., 332, 371, 386, 388 f., 391‑393, 474, 479, 490 f. Ruault, J.-M.   223, 424 Rupp, Rainer   36 Rusk, Dean   77 f., 120, 127, 173, 175, 408 Schabowski, Günter   111 Schlippenbach, Egon Freiherr von   176 Schmidt, Helmut   , 96, 101 Schnez, Albert   174 Schnippenkötter, Swidbert   176 Schwerdtfeger, Max   176 Seith, Louis T.   437 Sergin, Vasilij A.   84 f. Sharkey, Thomas W.   480, 206, 231 Sinnatt, M.H.   104, 160, 211, 220, 287, 292, 386‑388, 480, 491, Smith, Eric O.   409, 481 Smith, Frederic H.   312 Snetkov, Boris   112 Sokolovskij, Vasilij D.   10

Spaak, Paul Henri   114 Speidel, Hans   118, 271, 282 Stahr, Elvis Jacob   40 Stalin, Iosif V.   7 f., 17 f., 27 Steiner, Klaus   341, 392 Steinhoff, Johannes   176, 447 Sterling, W.G.   480 Stikker, Dirk   72, 129, 131 f. Stirling, William G.   204 Strauß, Franz Josef   70, 171, 178, 208, 295, 298 f., 344, 348 f., 193 Strawson, John M.   258, 433, 480 Thatcher, Margaret   111 Thomas, Wilhelm F.H.   123, 176, 211, 507 Thurston, Raymond   230 Truman, Harry S.   X, 8, 27 Twining, Nathan F.   52, 58, 170 Ulbricht, Walter   42, 67, 86, 166, 494 Vitzthum, Heino Graf von   434, 481 Waldersee, Bernhard Graf von   291 Walters, Vernon A.   291 Ward, Sir Dudley   196, 229, 246 Watson II, Albert   384 Weeks, Peter   507 Weeks, Ronald   8, 27 Weiss, Seymour   130 Whalen, William H.   36 Wheeler, T. Norman S.   212, 506 Wieck, Hans Georg   81, 176, 352, 398 Wilson, G.B.   480 Wörner, Manfred   505 Zacharov, Matvej V.   50 Zorin, Valerian A.   12, 30 Žukov, Georgij K.   8, 27, 29