Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung: Eine Grundlagenstudie zum Beweisverfahren im Zivilprozess 9783161558351, 9783161558368, 3161558359

Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zählt zu den Eckpfeilern des deutschen zivilprozessualen Beweisverfahren

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German Pages 425 [426] Year 2019

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Problemstellung
B. Ziel der Arbeit
C. Gang der Untersuchung
Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und seine normative Grundlage
A. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in seinem rechtshistorischen Kontext
I. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im römischen Zivilprozess
1. Der Legisaktionen- und Formularprozess
a) Das Beweisverfahren im Allgemeinen
b) Die richterliche Beweiserhebung
c) Ergebnis
2. Der Kognitionsprozess
a) Das Beweisverfahren im Allgemeinen
b) Die richterliche Beweiserhebung
c) Ergebnis
3. Zusammenfassung
II. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im romanisch-kanonischen Zivilprozess
1. Das Beweisverfahren im Allgemeinen
2. Die richterliche Beweiserhebung
3. Ergebnis
III. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im altdeutschen Zivilprozess
1. Der altdeutsche Prozess des frühen Mittelalters
2. Der altdeutsche Prozess des Hoch- und Spätmittelalters
a) Das Beweisverfahren im Allgemeinen
b) Die richterliche Beweiserhebung
c) Ergebnis
3. Zusammenfassung
IV. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im gemeinen Zivilprozess
1. Das Beweisverfahren im Allgemeinen
2. Die richterliche Beweiserhebung
3. Ergebnis
V. Gesamtergebnis
B. Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung
I. Der Standpunkt des historischen Gesetzgebers
1. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung
a) Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 249 Abs. 1 S. 1 ZPO-E
b) Der von Amts wegen auferlegte Eid, § 419 ZPO-E
aa) Die Erste Lesung der Justizkommission
bb) Die Zweite Lesung der Justizkommission
cc) Die Verhandlung der Justizkommission
dd) Ergebnis
c) Zusammenfassung
2. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung
a) Die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens
aa) Das allgemeine Verständnis über den Begriff der Verhandlungsmaxime im ausgehenden 19. Jahrhundert
bb) Die Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung
cc) Ergebnis
b) Die Verhandlungsmaxime als Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung
aa) Die Kritik am Maximendenken
bb) Der Gewährleistungsgehalt der Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip
cc) Ergebnis
c) Zusammenfassung
3. Der Geburtsfehler des zivilprozessualen Beweisverfahrensmodells – Grund und Ursachen für eine inkohärente Gesetzgebung
a) Die Vordenker eines modernen Beweisverfahrensmodells für den deutschen Zivilprozess
b) Gutachten und Verhandlungen zum Zweiten Deutschen Juristentag im Jahr 1861
c) Gutachten und Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862
d) Gutachten und Verhandlungen zum Vierten Deutschen Juristentag im Jahr 1863
e) Ergebnis
4. Zusammenfassung
II. Der Standpunkt der Rechtsprechung
1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
a) Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen Zurückdrängung
aa) Der Grundsatz der freien Beweisablehnung
bb) Das Maß an richterlicher Überzeugung für eine Beweisablehnung wegen (subjektiver) Unerheblichkeit der Beweisführung
cc) Das Begründungserfordernis für eine Beweisablehnung wegen (subjektiver) Unerheblichkeit der Beweisführung
dd) Zwischenergebnis
b) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht
c) Ergebnis
2. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone
3. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
a) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht
b) Ergebnis
4. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
a) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht
b) Ergebnis
5. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
a) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht
aa) Das aktive Konfrontationsrecht, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK
bb) Das Fairnessgebot, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK
cc) Ergebnis
b) Ergebnis
6. Zusammenfassung
III. Der Standpunkt der Literatur
1. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen Zurückdrängung
a) Die Anerkennung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung
b) Die Kritik am Grundsatz der freien Beweisablehnung
c) Die Anerkennung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht als Paradigmenwechsel
d) Ergebnis
2. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht
a) Die verfahrensrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
b) Die verfassungsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
c) Ergebnis
3. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“
4. Ergebnis
IV. Zusammenfassung
V. Stellungnahme
1. Die verfahrensrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
a) Der Gewährleistungsgehalt des § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO
b) Der Gewährleistungsgehalt der Verhandlungsmaxime
aa) Die Zulässigkeit der normativen Ableitung aus der Verhandlungsmaxime
bb) Die Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip
(1) Allgemeines
(2) Inhalt und Bedeutung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren
(3) Ergebnis
cc) Ergebnis
c) Zusammenfassung
2. Die verfassungsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
a) Der Gewährleistungsgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG
b) Das „Stütze“-Kriterium des Bundesverfassungsgerichts
c) Das Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz
aa) Das Verhältnis zwischen Rechtsschutzverdoppelung und Superrevisionsinstanz
bb) Die Konstitutionalisierung des verfahrensrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
d) Ergebnis
3. Die Konventionsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
a) Der Gewährleistungsgehalt des (aktiven) Konfrontationsrechts, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK
b) Der Gewährleistungsgehalt des Fairnessgebots, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK
c) Diakonis’ These von einem konventionsrechtlich verbürgten „Recht auf Beweis“
d) Ergebnis
4. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“
5. Die Konsequenzen für den Rechtsschutz bei Verletzung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
a) Der Verfahrensfehler als Revisionszulassungsgrund, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO
b) Die verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung
aa) Entscheidungsdivergenz
bb) Rechtsanwendungsfehler mit Wiederholungsgefahr
cc) Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht, durch den das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet wird
dd) Ergebnis
c) Stellungnahme
C. Gesamtergebnis
Teil 2: Die Bedeutung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung für die Beweisablehnung
A. Die Erheblichkeit der Beweisführung als materielle Voraussetzung für die richterliche Beweiserhebung
I. Die Zweckmäßigkeit der Beweisführung als Grundbedingung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht
II. Die Unerheblichkeit der Beweisführung und ihre Feststellung
1. Die möglichen Erscheinungsformen der Unerheblichkeit einer Beweisführung
a) Die objektive Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Die subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung
aa) Die absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung
bb) Die relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung
cc) Das heutige Begriffsverständnis
dd) Kritik am heutigen Begriffsverständnis
c) Ergebnis
2. Die Feststellung der Unerheblichkeit einer Beweisführung
a) Die Feststellung der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Die Feststellung der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
3. Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung trotz des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung
a) Standpunkt der Literatur
aa) Die Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels (absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung)
bb) Die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung)
cc) Die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung)
dd) Die Bedeutung von Erfahrungssätzen für die Beweisablehnung
b) Die Grenzen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung als Ausgangspunkt für eine zulässige Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
4. Zusammenfassung
III. Gesamtergebnis
B. Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung in der Rechtsprechung
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
1. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
2. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
3. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
4. Zusammenfassung
II. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone
III. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte
1. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Der Nachweis der eigenen Identität, BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245 ff. („Anastasia“)
b) Die Widerlegung der Vaterschaft, BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW 1994, 1348 ff
2. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
3. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
4. Zusammenfassung
IV. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder
1. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
2. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
c) Ergebnis
3. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
4. Zusammenfassung
C. Gesamtergebnis
Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess
A. Der Begriff der Beweisantizipation
B. Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess
I. Der Standpunkt des Schweizer Bundesgesetzgebers
1. Der Vorentwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung
2. Die Stellungnahmen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens
3. Der Entwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung
4. Zusammenfassung
II. Der Standpunkt des Bundesgerichts
1. Die Bundesrechtliche Überprüfung der vorweggenommenen Beweiswürdigung
a) Die Sachverhaltsrüge nach Art. 97 Abs. 1 sBGG
b) Die Gehörsrüge nach Art. 117 i. V. m. Art. 106 Abs. 2 sBGG
c) Die Vereinbarkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK
d) Ergebnis
2. Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
a) Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
aa) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
bb) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
cc) Ergebnis
b) Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
aa) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
bb) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung
cc) Ergebnis
c) Ergebnis
3. Zusammenfassung
III. Der Standpunkt der Literatur
IV. Ergebnis
V. Stellungnahme
C. Gesamtergebnis
Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
A. Fazit
B. Thesen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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 9783161558351, 9783161558368, 3161558359

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Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 154 herausgegeben von

Rolf Stürner

Steffen Wörner

Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung Eine Grundlagenstudie zum Beweisverfahren im Zivilprozess

Mohr Siebeck

Steffen Wörner, geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg und St. Gallen; Erste juristische Staatsprüfung 2013; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Insolvenzrecht an der Ruprecht­-Karls­-Universität Heidelberg; Rechtsreferendariat in Heidelberg; Zweite juristische Staatsprüfung 2015; Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 2017; seit 2016 Rechtsanwalt in Frankfurt am Main. orcid.org/0000-0001-5986-0775

ISBN 978-3-16-155835-1 / eISBN 978-3-16-155836-8 DOI 10.1628/978-3-16-155836-8 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuläs­sig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen und bis zu ihrer Drucklegung redaktionell überarbeitet. Die Arbeit widmet sich im Kern der Frage, ob und inwieweit der Richter im Zivilprozess zur Beweiserhebung verpflichtet ist und zwar selbst dann, wenn er sich nichts von ihr verspricht. Nach dem deutschen Prozessrechtsverständnis spielt die Erwartung des Richters von der Beweiserhebung für deren Anordnung oder Ablehnung keine Rolle; die Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist ihm verboten. Diese beweisverfahrensrechtliche Maxime lässt sich aber weniger aus dem Gesetz selbst deduzieren, sondern sie folgt vielmehr entscheidend aus dem grundsätzlichen Rollenverständnis des Richters im Zivilprozess. Ein überzeugender Umgang mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung kann nur im Lichte dieser Einsicht gelingen. Das gilt es im Rahmen dieser Arbeit darzulegen. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem sehr geschätzten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Andreas Piekenbrock. Er hat nicht nur das Thema angeregt, sondern auch das Entstehen der Arbeit mit großem Interesse begleitet und mit wertvollen Hinweisen gefördert. Ich danke ihm auch für die sehr lehrreiche Zeit, die ich als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbringen durfte. Sein methodischer Zugang zum Recht, der mich bleibend begeistert hat, prägte ganz wesentlich den Untersuchungsansatz der Arbeit. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich dem Zweitgutachter, Herrn Professor Dr. Christoph A. Kern LL.M. (Harvard). Herrn Professor Dr. h.c. Rolf Stürner danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht“. Vor allem aber danke ich meiner Frau, Ann-Sophie Tietz. Sie stand mir während der gesamten Zeit meines Dissertationsvorhabens mit unendlicher Geduld und unerschütterlicher Zuversicht zur Seite und hat stets an den Erfolg meiner Arbeit geglaubt. In zahllosen Gesprächen war sie es, die mir geholfen hat, die richtigen Fragen zu stellen und den roten Faden nicht zu verlieren. Und schließlich möchte ich meiner Mutter, Claudia Wörner, von ganzem Herzen danken. Nicht nur für die gründliche Korrektur meiner Arbeit, sondern insbesondere auch für ihre liebevolle und bedingungslose Unterstützung meiner bisherigen

VI

Vorwort

juristischen Laufbahn. Ohne sie hätte ich meine Ziele wohl nie erreichen können. Ihnen beiden widme ich diese Arbeit. Frankfurt am Main, im August 2018

Steffen Wörner

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und seine normative Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in seinem rechtshistorischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im römischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im romanisch-kanonischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . 27 III. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im altdeutschen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im gemeinen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 V. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . . . . . . . . 51 I. Der Standpunkt des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . 53 II. Der Standpunkt der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. Der Standpunkt der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

VIII

Inhaltsübersicht

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung für die Beweisablehnung . . . . . . . . . . . 239 A. Die Erheblichkeit der Beweisführung als materielle Voraussetzung für die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Die Zweckmäßigkeit der Beweisführung als Grundbedingung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . 240 II. Die Unerheblichkeit der Beweisführung und ihre Feststellung . . 245 III. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 B. Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder . . . . . . . . . . . .

. 269 . 270 . 282 . 283 . 307

C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 A. Der Begriff der Beweisantizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 B. Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Der Standpunkt des Schweizer Bundesgesetzgebers . . . . . . . 327 II. Der Standpunkt des Bundesgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 337 III. Der Standpunkt der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . 367 A. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 B. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und seine normative Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in seinem rechtshistorischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im römischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Der Legisaktionen- und Formularprozess . . . . . . . . . . . 12 a) Das Beweisverfahren im Allgemeinen . . . . . . . . . . . 14 b) Die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . 16 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Der Kognitionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 a) Das Beweisverfahren im Allgemeinen . . . . . . . . . . . 21 b) Die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . 22 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im romanisch-kanonischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . 27 1. Das Beweisverfahren im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . 29 2. Die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

X

Inhaltsverzeichnis

III. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im altdeutschen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Der altdeutsche Prozess des frühen Mittelalters . . . . . . . 33 2. Der altdeutsche Prozess des Hoch- und Spätmittelalters . . . 35 a) Das Beweisverfahren im Allgemeinen . . . . . . . . . . . 36 b) Die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im gemeinen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Das Beweisverfahren im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . 41 2. Die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 V. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . . . . . . . . 51 I. Der Standpunkt des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . 53 1. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung . . . . . . . . . . 55 a) Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Der von Amts wegen auferlegte Eid, §  419 ZPO-E . . . . . 57 aa) Die Erste Lesung der Justizkommission . . . . . . . . 58 bb) Die Zweite Lesung der Justizkommission . . . . . . . 61 cc) Die Verhandlung der Justizkommission . . . . . . . . 62 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . 68 a) Die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens . . . . . . . . . . . . 68 aa) Das allgemeine Verständnis über den Begriff der Verhandlungsmaxime im ausgehenden 19. Jahrhundert 69 bb) Die Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Die Verhandlungsmaxime als Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . . . . . . . . 76 aa) Die Kritik am Maximendenken . . . . . . . . . . . . 77

Inhaltsverzeichnis

XI

bb) Der Gewährleistungsgehalt der Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip . . . . . . . 78 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Der Geburtsfehler des zivilprozessualen Beweisverfahrensmodells – Grund und Ursachen für eine inkohärente Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Die Vordenker eines modernen Beweisverfahrensmodells für den deutschen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Gutachten und Verhandlungen zum Zweiten Deutschen Juristentag im Jahr 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Gutachten und Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 d) Gutachten und Verhandlungen zum Vierten Deutschen Juristentag im Jahr 1863 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Der Standpunkt der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . 104 a) Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen Zurückdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Der Grundsatz der freien Beweisablehnung . . . . . . 104 bb) Das Maß an richterlicher Überzeugung für eine Beweisablehnung wegen (subjektiver) Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Das Begründungserfordernis für eine Beweisablehnung wegen (subjektiver) Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht . 112 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . 120 a) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht . 120 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . 126 a) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht . 126 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

XII

Inhaltsverzeichnis

5. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht . 134 aa) Das aktive Konfrontationsrecht, Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Das Fairnessgebot, Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK . . . . . 138 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 III. Der Standpunkt der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen Zurückdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Die Anerkennung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Die Kritik am Grundsatz der freien Beweisablehnung . . . 149 c) Die Anerkennung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht als Paradigmenwechsel . . . . . . 152 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . 153 a) Die verfahrensrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . . . . . . 154 b) Die verfassungsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . . . . 159 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Die verfahrensrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . . . . . . . . 173 a) Der Gewährleistungsgehalt des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO . . . 173 b) Der Gewährleistungsgehalt der Verhandlungsmaxime . . . 174 aa) Die Zulässigkeit der normativen Ableitung aus der Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Die Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Inhalt und Bedeutung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren . . . . . . . 182 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Inhaltsverzeichnis

XIII

cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die verfassungsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . . . . . . . . 197 a) Der Gewährleistungsgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art.  103 Abs.  1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Das „Stütze“-Kriterium des Bundesverfassungsgerichts . . 204 c) Das Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz . 207 aa) Das Verhältnis zwischen Rechtsschutzverdoppelung und Superrevisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Die Konstitutionalisierung des verfahrensrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht 210 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Die Konventionsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . . . . . . . . 213 a) Der Gewährleistungsgehalt des (aktiven) Konfrontationsrechts, Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK . . . . . . 213 b) Der Gewährleistungsgehalt des Fairnessgebots, Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Diakonis’ These von einem konventionsrechtlich verbürgten „Recht auf Beweis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ . . . . . . . . . . . . . . 218 5. Die Konsequenzen für den Rechtsschutz bei Verletzung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . 222 a) Der Verfahrensfehler als Revisionszulassungsgrund, §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . 223 b) Die verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung . . . . . . . . 229 aa) Entscheidungsdivergenz . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Rechtsanwendungsfehler mit Wiederholungsgefahr . . 230 cc) Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht, durch den das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

XIV

Inhaltsverzeichnis

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung für die Beweisablehnung . . . . . . . . . . . 239 A. Die Erheblichkeit der Beweisführung als materielle Voraussetzung für die richterliche Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Die Zweckmäßigkeit der Beweisführung als Grundbedingung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht . . . . . . 240 II. Die Unerheblichkeit der Beweisführung und ihre Feststellung . . 245 1. Die möglichen Erscheinungsformen der Unerheblichkeit einer Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Die objektive Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . 246 b) Die subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . 246 aa) Die absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Die relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 cc) Das heutige Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . 248 dd) Kritik am heutigen Begriffsverständnis . . . . . . . . 249 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Die Feststellung der Unerheblichkeit einer Beweisführung . . 250 a) Die Feststellung der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Die Feststellung der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung trotz des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Standpunkt der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Die Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels (absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 dd) Die Bedeutung von Erfahrungssätzen für die Beweisablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Inhaltsverzeichnis

XV

b) Die Grenzen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung als Ausgangspunkt für eine zulässige Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 263 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 III. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 B. Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . 270 1. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 272 b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 273 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 277 b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . 278 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 II. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 III. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Der Nachweis der eigenen Identität, BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245 ff. („Anastasia“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Die Widerlegung der Vaterschaft, BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

XVI

Inhaltsverzeichnis

2. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . 289 a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 291 b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 294 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 300 b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . 302 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 IV. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . 308 a) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 309 b) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . 311 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . 313 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 A. Der Begriff der Beweisantizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 B. Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Der Standpunkt des Schweizer Bundesgesetzgebers . . . . . . . 327 1. Der Vorentwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung . . 329

Inhaltsübersicht

XVII

2. Die Stellungnahmen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3. Der Entwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung . . . 333 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 II. Der Standpunkt des Bundesgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Die Bundesrechtliche Überprüfung der vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Die Sachverhaltsrüge nach Art.  97 Abs.  1 sBGG . . . . . . 340 b) Die Gehörsrüge nach Art.  117 i. V. m. Art.  106 Abs.  2 sBGG 341 c) Die Vereinbarkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung mit Art.  6 Abs.  1 EMRK . . . . . . . . 343 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 2. Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . 344 aa) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung 345 bb) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung 345 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 b) Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung . . . . . . . . . . . . 349 aa) Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung 350 bb) Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung 350 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 III. Der Standpunkt der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . 367 A. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 B. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort a. F. alte Fassung Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) AJP Aktuelle Juristische Praxis (Zeitschrift) Alt. Alternative AltKom Alternativkommentar Annalen Großh. Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte (Zeitschrift)   Bad. Ger. Anm. Anmerkung AnwBl Anwaltsblatt (Zeitschrift) AÖGZ Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Art. Artikel AS. Amtliche Sammlung (Schweiz) Aufl. Auflage BAG Bundesarbeitsgericht BasKom Basler Kommentar BauR Zeitschrift für das Baurecht BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BBl. Bundesblatt (Schweiz) BeckRS Online-Rechtsprechungssammlung des Beck-Verlags BeckOK Beck’scher Online-Kommentar Bd. Band Begr. Begründer BernKom Berner Kommentar Beschl. Beschluss BG Bundesgericht (Schweiz) BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (amtliche Sammlung) BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (amtliche Sammlung) BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung)

XX

Abkürzungsverzeichnis

bzw. beziehungsweise Cod. Iust. Codex Iustinianus CPO/C.P.O. Die Civilprozeß-Ordnung d. Verf. des Verfassers ders./dies. derselbe/dieselbe/dieselben Dig. Digestenstelle DJT Deutscher Juristentag DM Deutsche Mark DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DRiZ Deutsche Richterzeitung (Zeitschrift) DStR Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) ECHR European Convention on Human Rights EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Erg. Ergänzung EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift f. und folgende Seite ff. und folgende Seiten FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FG Festgabe Fn. Fußnote Frhr. Freiherr FS Festschrift GA Goltdammer‘s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) GG Grundgesetz GS Gedächtnisschrift Hervorh. Hervorhebung HdB Handbuch HGB Handelsgesetzbuch Hrsg. Herausgeber/-in/-innen Hs. Halbsatz i. d. F. in der Fassung i.O. im Original i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) JBl Juristische Blätter (Zeitschrift) Jh. Jahrhundert JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JuS Juristische Schuldung (Zeitschrift) JW Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) JZ Juristenzeitung (Zeitschrift) Kap. Kapitel KurzKom Kurzkommentar KritV Kritische Vierteljahrschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift) LG Landgericht Lfg. Lieferung lit. litera

Abkürzungsverzeichnis

XXI

LV Landesverfassung MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MedR Medizinrecht (Zeitschrift) m. w. N. mit weiteren Nachweisen MüKo Münchener Kommentar NJW Neue juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR Neue juristische Wochenschrift-Rechtsprechung-Report (Zeitschrift) NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (Zeitschrift) OGH Oberster Gerichtshof für die Britische Zone OGHZ Entscheidungen des Obersten Gerichtshof für die Britische Zone (Zeitschrift) OLG Oberlandesgericht RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Rn. Randnummer RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift RuS Recht und Schaden (Zeitschrift) S. Seite sBGG Bundesgerichtsgesetz (Schweiz) sBV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft sBZP Bundesgesetz über den Bundeszivilprozess (Schweiz) SDJZ Süddeutsche Juristen-Zeitung Seuff. Arch. Seufferts Archiv für die Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung s.o. siehe oben StGH BW Staatsgerichtshof Baden-Württemberg StPO Strafprozessordnung SZ (rom) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/Romanistische Abteilung SZ (kan) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/Kanonistische Abteilung sZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch sZPO Schweizerische Zivilprozessordnung sZPO-E Schweizerische Zivilprozessordnung (Entwurf) sZPO-VE Schweizerische Zivilprozessordnung (Vorentwurf) TranspR Transportrecht (Zeitschrift) u. und u. a. unter anderem Urt. Urteil v. Chr. vor Christi Geburt VerfGH Verfassungsgerichtshof Var. Variante VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift) vgl. Vergleiche

XXII

Abkürzungsverzeichnis

Vorb. Vorbemerkung WM Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) WuM Wohnungswirtschaft und Mietrecht (Zeitschrift) ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins ZdR Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZGRP Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZPO-E Zivilprozessordnung (Entwurf) ZPO BE Zivilprozessordnung des Kantons Bern vom 7. Juli 1918 (Stand: 1. Januar 2010) ZPO FR Zivilprozessordnung des Kantons Freiburg vom 28. April 1953 (Stand: 1. Januar 2009) ZPO ZH Zivilprozessordnung des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976 (Stand: 1. Januar 2008) ZRLB Zeitschrift für Reichs- und Landesrecht mit besonderer Rücksicht auf Bayern ZürKom Züricher Kommentar ZZP Zeitschrift für Zivilprozeß

Einleitung „Vier Eigenschaften gehören zu einem Richter: höflich anzuhören, weise zu antworten, vernünftig zu erwägen und unparteiisch zu entscheiden.“1 – Socrates, Originaltext unbekannt –

A.  Problemstellung Der Richter darf einen Beweisantrag nicht schon dann ablehnen, wenn er glaubt, dass die beantragte Beweiserhebung keinen Einfluss auf seine Überzeugung im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung haben werde. Das besagt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung (auch: „Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung“ oder „Verbot der Beweisantizipation“). Obwohl die Zivilprozessordnung ein solches Verbot an keiner Stelle ausdrücklich anordnet, gehen Rechtsprechung2 und Literatur3 einhellig von dessen Geltung aus. Eine dogmatische Begründung hierfür bleibt weitgehend aus. 1  Hoyt/Ward, The Cyclopaedia of Practical Quotations, 12.  Aufl., S.  217, der das nachfolgende Zitat Socrates zuschreibt (frei übersetzt): „Four things belong to a judge: to hear courteously, to answer wisely, to consider soberly, and to decide impartially.“ Ebenso: Wright, Journal of The American Judicature Society 51 (1967), 378, 382. 2  Zum Reichsgericht, statt vieler: RG, Urt. v. 20.11.1930 – VI 107/30, Warneyer 23 (1931), 75; RG, Urt. v. 05.03.1931 – VI 529/30, JW 1931, 3333; RG, Urt. v. 01.11.1934 – IV 163/34, Warneyer 26 (1934), 386, 387; RG, Urt. v. 23.05.1938 – IV 8/38, RGZ 157, 356, 359; RG, Urt. v. 25.02.1942 – IV 231/41, RGZ 158, 385, 387. Zum Bundesgerichtshof, statt vieler: BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 14.01.1958 – VI ZR 293/56, VersR 1958, 170, 171; BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259; BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f.; BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073. Zum Bundesverfassungsgericht, statt vieler: BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f.; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586 f. 3  Statt vieler: Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 192 ff.; ders., MDR 1969, 268, 268 f.; ders., Beweis und Beweiswürdigung, 5.  Aufl., Rn.  214; Teplitzky, JuS 1968, 71, 75; ders., DRiZ 1970, 280, 282; Söllner, MDR 1988, 363, 363; Störmer, JuS 1994, 238, 242; Blomeyer, Zivil-

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Einleitung

Der Bundesgerichtshof rechtfertigte das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in seiner Grundsatzentscheidung vom 17. Februar 1970 (sog. Anastasia-Entscheidung) noch mit der „Erfahrung (…), daß oft ein einziger Zeuge oder ein einziges sonstiges Beweismittel eine gewonnene Überzeugung völlig erschüttern kann“.4 Demgegenüber hält man in der heutigen Zeit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung vorwiegend für eine notwendige Konsequenz der richterlichen Pflicht zur erschöpfenden Beweisaufnahme (auch: „Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht“).5 Dieser Begründungsansatz ist ganz wesentlich von Schneider im Jahr 1962 entwickelt worden.6 Schneider war der Ansicht, dass eine Beweisablehnung „im Regelfall“ auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung („Beweisantizipation“7) beruht.8 Dies führte Schneider sinngemäß zu folgendem Schluss: Wenn der Richter im Grundsatz verpflichtet ist, Beweise zu erheben um sie anschließend zu würdigen, dann muss es ihm umgekehrt verboten sein, Beweise im Wege einer vorweggenommenen Beweiswürdigung abzulehnen. Für die Frage, worin das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung seine normative Grundlage findet, ist damit indes wenig gewonnen. Denn auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, der als „Leitidee“9 des zivilprozessualen Beweisverfahrens in prozeßrecht, 2.  Aufl., S.  399; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  116 Rn.  8; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  36; Leipold, in: Stein/ Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  64 ff.; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  42; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284 Rn.  21; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  53; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  98; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  10a. 4  BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260. Sonderlich innovativ ist diese Überlegung freilich nicht. Schon Endemann, den Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  2, jüngst als den „wohl wichtigsten Vorkämpfer für das Prinzip der freien Beweiswürdigung im deutschen Zivilprozessrecht“ bezeichnete, stellte in einem Beitrag aus dem Jahr 1859, die rhetorische Frage: „Welcher verständige Urtheiler wird in den meisten Fällen, bevor er den Zeugen gesehen und gehört hat, im Voraus den kecken Spruch wagen, daß dieser Zeuge keinesfalls für die natürliche Ueberzeugung erheblich sein könne?“, AcP  42 (1859), 246, 247 f. Vergleichbares findet sich bei Stein, Privates Wissen, S.  99. Er hielt eine „Beweiswürdigung a priori“ aufgrund der „nie ausgeschlossenen Irrthumsmöglichkeit“ generell für unzulässig. 5  Vgl. Fn.  3. 6  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 190 ff. Schneiders Untersuchung orientiert sich in struktureller Hinsicht entscheidend an der Schönkes aus dem Jahr 1949, vgl. Schönke, in: FS Rosenberg, 217 ff. 7  Zum Begriff der Beweisantizipation, vgl. eingehend: Teil 3, A. 8  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 190. 9  Peters, Ausforschungsbeweis, S.  5. Schneider, MDR 1969, 268, spricht von einem der „wichtigsten Bindungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung dem Tatrichter auferlegt hat.“ (Hervorh. d. Verf.).

A. Problemstellung

3

Rechtsprechung10 und Literatur11 allgemein anerkannt ist, ist nirgends in der Zivilprozessordnung geregelt. Dementsprechend nimmt es wenig Wunder, dass über dessen normative Grundlage keine Einigkeit besteht. Während der Bundesgerichtshof12 und ältere Stimmen in der Literatur13 den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht traditionell aus der Zivilprozessordnung selbst, zumeist unter Rückgriff auf §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO, herleiten, gehen die heutige Rechtsprechung14 und weite Teile der Literatur15 unter maßgeblichem Einfluss

10 

Zum Bundesgerichtshof, statt vieler: BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728, 729; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 9 f.; BGH, Beschl. v. 22.12.2012 – VII ZR 191/09, NJW-RR 2012, 463; BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385; BGH, Beschl. v. 11.11.2014 – VIII ZR 302/13, NJW  2015, 409, 410. Zum Bundesverfassungsgericht, statt vieler: BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, BVerfGK 3, 143, 145; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f.; BVerfG, Beschl. v. 24.01.2012 – 1 BvR 1819/10, WM 2012, 492, 493; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, juris, Rn.  32; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. 11  Statt vieler: Strack, SJZ 1949, 830, 831; Schönke, in: FS Rosenberg, 217; Teplitzky, JuS 1968, 71, 76; ders., DRiZ 1970, 280, 281. Gleiches gilt ferner für Schönke/Kuchinke, Zivilprozessrecht, 9.  Aufl., S.  274 f.; Esser, Ausforschungsbeweis, S.  209; Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  447; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., S.  374; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  440; Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 178; ders., MDR 1969, 268, 268 f.; Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  77 f.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  298 ff.; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307 f.; Störmer, JuS 1994, 238, 241; Holzinger, Beweisverwertungsverbote bei mitbestimmungswidrig erlangten Beweisen, S.  21; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., vor §  284 Rn.  8; Zuck, NJW  2005, 3753, 3755. 12  Statt vieler: BGH, Urt. v. 26.03.1952 – II ZR 53/51, BGHZ 5, 285, 287; BGH, Urt. v. 14.07.1952 – IV ZR 25/52, BGHZ 7, 116, 121; BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1; BGH, Urt. v. 08.11.1955 – I ZR 12/54, LM §  286 (E) ZPO Nr.  7; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259. Vgl. aber auch: BGH, Beschl. v. 23.04.2015 – V ZR 200/14, IBR 2015, 462; BGH, Urt. v. 15.03.2004 – II ZR 136/02, NJW-RR 2004, 1001, 1002. 13  Statt vieler: Friedrichs, Streitverfahren, S.  353; Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  333; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 4.  Aufl., §  117 I. 1; Strack, SJZ 1949, 830, 831; Schönke, in: FS Rosenberg, 217; Teplitzky, JuS 1968, 71, 76; Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  80 f.; ders, MDR 1988, 363. 14  Statt vieler: BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 9 f.; BGH, Beschl. v. 22.12.2012 – VII ZR 191/09, NJW-RR 2012, 463; BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749, 750; BGH, Beschl. v. 11.11.2014 – VIII ZR 302/13, NJW  2015, 409, 410; BGH, Beschl. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, juris, Rn.  10. 15  Statt vieler: Störmer, JuS 1994, 238, 241; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., vor §  284 Rn.  8; Zuck, NJW  2005, 3753, 3755.

4

Einleitung

des Bundesverfassungsgerichts16 davon aus, dass es sich bei jenem Grundsatz um eine verfassungsrechtliche Gewährleistung (Art.  103 Abs.  1 GG) handelt, wobei oft flankierend auf die Lehre vom „Recht auf Beweis“ verwiesen wird.17 Daneben wird vereinzelt vertreten, der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht werde auf konventionsrechtlicher Ebene durch Art.  6 Abs.  1 EMRK verbürgt.18 Da es bis heute nicht gelungen ist, diese offen zu Tage tretende, stellenweise unübersichtliche Gemengelage in den Griff zu bekommen, steht das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung als Kehrseite des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht bis auf weiteres auf normativ unsicherem Boden. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung bereitet aber nicht nur in normativer Hinsicht Schwierigkeiten. Auch inhaltlich ist es höchst vage konturiert. Nach dem herkömmlichen Begriffsverständnis führte eine konsequente Anwendung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung dazu, dass der Richter selbst dann zu einer Beweiserhebung verpflichtet wäre, wenn er sich aus guten Gründen von ihr nichts verspricht. Solche berechtigten Gründe, die an der Sinnhaftigkeit der Beweiserhebung zweifeln lassen, liegen beispielsweise vor, wenn ein Zeuge über seine visuelle Wahrnehmung vernommen werden soll, der Zeuge aber blind ist oder seine angebliche Wahrnehmung durch Foto- und Videomaterial zweifelsfrei widerlegt wurde.19 Die Vernehmung eines solchen Zeugen bliebe, was auf der Hand liegt, für den Richter ohne jeden Erkenntnisgewinn; sie wäre schlicht sinn- und damit zwecklos. Rechtsprechung20 und Literatur21 sind sich deshalb darin einig, dass es dem Richter in derartigen Fällen trotz des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung gestattet ist, unter „größter Zurückhaltung“ die Beweiserhebung wegen des völligen Unwerts des 16 

BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 36: „Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art.  103 Abs.  1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet.“ Ebenso, statt vieler: BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1429/81, BVerfGE 60, 250, 252; BVerfG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. 17  Statt vieler: Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  310 f., 314 f.; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307 f.; Klamaris, in: FS Schwab, S.  269, 274; Hertel, Urkundenprozeß, S.  35 f.; Dauster/ Braun, NJW  2000, 313, 317 f.; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4. 18  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  73. 19  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 174 mit weiteren Beispielen aus der Praxis. 20  Statt vieler: BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225 ff.; BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254, 255. 21  Statt vieler: Teplitzky, JuS 1968, 71, 75; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  64 ff.

A. Problemstellung

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Beweismittels abzulehnen. Freilich lässt sich der Begriff der „Zurückhaltung“ weder rechtlich qualifizieren noch kategorisieren. Somit bleibt es letzten Endes dem jeweiligen Tatrichter überlassen, die zulässigen Grenzen des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung und damit des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht nach Maßgabe des Gebots der Zurückhaltung – wenn es so etwas überhaupt gibt – auszuloten. Handfeste Kriterien, die ihm in der konkreten Entscheidungssituation mehr als nur eine grobe Orientierung geben könnten, fehlen. Dieser Rechtszustand ist nicht nur aus Sicht des Richters unbefriedigend. Auch der Beweisführer kann sich nie völlig sicher sein, dass ihm ein zur Beweisführung erforderliches Beweismittel wegen angeblichen Unwerts nicht doch noch aus der Hand genommen wird. Wirft man einen Blick über die Landesgrenze, zeigt sich, dass das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung keineswegs eine beweisverfahrensrechtliche Selbstverständlichkeit ist. Im Schweizer Zivilprozess wird bekanntlich die richterliche „Beweisantizipation“ von Rechtsprechung22 und weiten Teilen der Literatur23 für zulässig gehalten – jedenfalls im Grundsatz. Der Schweizer Gesetzgeber schloss sich in jüngerer Zeit dieser Auffassung an.24 Das verwundert in zweifacher Hinsicht: Zum einen gewährleistet Art.  152 Abs.  1 sZPO jeder Partei das Recht, „dass das Gericht die von ihr form- und fristgerecht angebotenen tauglichen Beweismittel abnimmt.“25 Zum anderen besteht mit Art.  6 Abs.  1 EMRK, dessen Gewährleistungsbereich nach deutschem Verständ-

22 

Statt vieler: BG, Urt. v. 15.05.1964 – II ZA, BGE 90 II 219, 224, E. 4b); BG, Urt. v. 11.07.1972 – I ZA, BGE 98 II 231, 244, E. 8; BG, Urt. v. 03.10.1980 – II ÖA, BGE 106 Ia 161, 162, E. 2b); BG, Urt. v. 22.06.1980 – I ZA, BGE, 106 II 170, 171 f., E. 6b). Aus jüngerer Zeit, statt vieler: BG, Urt. v. 12.03.2015 – I ZA, 4A_600/2014, E. 4.1; BG, Urt. v. 18.03.2015 – I ZA, 4A_540/2014, E. 2.1; BG, Urt. v. 12.08.2015 – II ZA, 5A_367/2015, E. 3.1; BG, Urt. v. 02.10.2015 – ZA I, 4D_5/2015, E. 2.1; BG, Urt. v. 11.11.2015 – I ZA, 4A_320/2015, E. 3.3; BG, Urt. v. 15.12.2016 – I ZA, 4A_301/2016; 4A_311/2016, E. 8.3.1; BG, Urt. v. 21.12.2016 – II SA, 9C_93/2016, E. 1; BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1; BG, Urt. v. 06.02.2017 – II ZA, 5A_367/2016, E. 5. 23  Statt vieler: Hasenböhler, in: FS Rutz, S.  105, 109 f.; ders., in: ZürKom, 3.  Aufl., Art.  152 Rn.  18 ff.; Leu, in: Brunner/Gasser/Schwander, sZPO, 2.  Aufl., Art.  152 Rn.  107 ff.; Brönnimann, in: FS Vogel, S.  161, 179 f.; ders., in: BernKom, sZPO, Bd.  2, 1.  Aufl., Art.  152 Rn.  62; Nonn, in: Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Bd.  37, S.  75 ff.; Brändli, Prozessökonomie im schweizerischen Recht, S.  231 f. 24  BBl.  2006, 7221, 7312: „Das Recht auf Beweis – der sog. Beweisanspruch – ist ein wesentlicher Ausfluss des rechtlichen Gehörs (…) Dieses zentrale Parteirecht steht im Spannungsfeld zu der sog. antizipierten Beweiswürdigung: Danach kann das Gericht Beweisanträge ablehnen, wenn es seine Überzeugung durch andere Beweismittel bereits gewonnen hat oder wenn es das offerierte Beweismittel als untauglich hält.“ 25  AS.  2010, 1739, 1772.

6

Einleitung

nis weitestgehend dem des Art.  103 Abs.  1 GG entspricht,26 zwischen Deutschland und der Schweiz ein gemeinsamer Rechtsrahmen.27 Diese Umstände müssten, jedenfalls nach deutschem Prozessrechtsverständnis, der Zulässigkeit einer vorweggenommenen Beweiswürdigung entgegenstehen. Für den Schweizerischen Zivilprozess scheint es offenbar gelungen zu sein, das nicht von der Hand zu weisende Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Beweiserhebungspflicht („Recht auf Beweis“) und vorweggenommener Beweiswürdigung („Beweisantizipation“) in einer für die tägliche Gerichtspraxis geeigneten Weise aufzulösen. Damit stellt sich die wichtige – und aus deutscher Sicht viel zu oft vernachlässigte – Frage, ob am Vorbild der Schweiz der in Deutschland vertretene Standpunkt vom strikten Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung überdacht werden sollte.28

B.  Ziel der Arbeit Der Beweis hat für den Ausgang eines in tatsächlicher Hinsicht streitigen Verfahrens evidente Bedeutung.29 Er kann über Sieg und Niederlage entscheiden. Fehler bei der richtigen Handhabe des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung sind für den Beweisführer in aller Regel folgenschwer. Und obwohl diese Einsicht gewiss keine sonderlich überraschende ist, hat man sie bis heute nicht zum Anlass genommen, das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zum Gegenstand einer grundlegenden wissenschaftlichen Untersuchung zu machen. Weder herrscht Klarheit darüber, worin es seine normative Grundlage findet, noch ist dessen inhaltliche Reichweite eindeutig konturiert. Ein allgemeingültiges und zugleich zuverlässiges Lösungskonzept, mit Hilfe dessen die Gren-

Vgl. insbesondere: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  24; Nolte, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd.  3, 7.  Aufl., Art.  103 Rn.  14; Henckel, in: FS Matscher, S.  185, 190; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd.  1, 2.  Aufl., Kap.  14 Rn.  97. 27  Die EMRK genießt in der Schweiz nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sogar Verfassungsrang, vgl. BG, Urt. v. 03.11.1976 – I SA, BGE 102 Ia 379, 381, E. 2. 28  Diese Überlegung ist getragen von dem noch heute gelegentlich zitierten Ausspruch Steins, Grundriß des Zivilprozeßrechts, 1.  Aufl., Vorw. S. XIV: „Der Prozess ist für mich das ‚technische Rechtʻ in seiner schärfsten Ausprägung, von wechselnder Zweckmäßigkeit beherrscht, der Ewigkeitswerte bar.“ 29  Vgl. Braun, Zivilprozeßrecht, S.  757: „Wo es auf den Beweis ankommt, entscheidet der Ausgang des Beweisverfahrens zugleich über Gewinn und Verlust des Prozesses.“ In diese Richtung ebenso: Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295, 326. Für die Beweiswürdigung: Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  1. 26 

C.  Gang der Untersuchung

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zen des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung sicher festgestellt werden könnten, fehlt bis auf weiteres.30 Die vorliegende Arbeit will Abhilfe schaffen. Sie setzt sich einerseits zum Ziel, dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung eine eindeutige normative Grundlage zuzuweisen. Dahinter steht nicht nur ein rein akademisches Interesse. Auch für den Beweisführer, der mit seinem Beweisangebot aufgrund eines Verstoßes gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht durchzudringen vermochte, stellt sich ganz konkret die Frage, welche rechtliche Qualität dieser Verstoß hat, namentlich verfahrensrechtliche, verfassungsrechtliche oder gar konventionsrechtliche. Denn daran bemisst sich wiederum, welche Rechtsschutzmöglichkeiten er ergreifen kann. Andererseits will die Arbeit anhand eines neuartigen Systematisierungsansatzes eine Formel entwickeln, die einen sicheren und in sich widerspruchsfreien Umgang mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung gewährleistet. Schließlich soll mit Blick auf den Schweizerischen Zivilprozess gezeigt werden, dass der deutsche Zivilprozess mit Recht am Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung festhält.

C.  Gang der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich entsprechend ihrer Zielsetzung in vier Teile. Um auf unschöne Einschübe, Exkurse und dergleichen verzichten zu können, liegt der Arbeit in methodischer Hinsicht in weiten Teilen ein chronologisch-historischer Ansatz zugrunde. Gegenstand des ersten Teils der Arbeit ist die normative Grundlage des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Nach einer rechtshistorischen Kontextualisierung der Fragestellung, werden die unterschiedlichen normativen Begründungsansätze jenes Verbots, wie sie vom historischen Gesetzgeber der Zivilprozessordnung, der Rechtsprechung und der Literatur vertreten werden, vorgestellt. Anschließend setzt sich die Arbeit mit diesen unterschiedlichen Ansätzen kritisch auseinander und erläutert, warum aus ihrer Sicht das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung seine normative Grundlage in der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens findet. Sie geht in diesem Zusammenhang außerdem auf die praktischen Konse-

Strömer, JuS 1994, 238, 242, bezeichnet die Grenze zwischen Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und zulässiger Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels schlechterdings als „fließend“. In diesem Sinne auch: Teplitzky, JuS 1968, 71, 75. 30 

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Einleitung

quenzen ein, die der hier vertretene Standpunkt für die prozessuale Rechtsschutzmöglichkeit des Beweisführers hat. Der zweite Teil der Arbeit setzt sich mit der Bedeutung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung für die richterliche Beweiserhebung auseinander. Sie entwickelt zunächst ein allgemeinverbindliches Lösungskonzept, das einen zuverlässigen und von der individuellen Einschätzung des Richters losgelösten Umgang mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung gewährleistet. Die Funktionsfähigkeit des hier vorgeschlagenen Lösungskonzepts wird sodann anhand einer eingehenden Rechtsprechungsanalyse am praktischen Fall erprobt. Der zweite Teil schließt mit der wesentlichen Erkenntnis, dass es sich bei dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung um ein Verbot ohne Ausnahme handelt. Damit verbindet sich die konkrete Aufforderung an den Tatrichter, das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung konsequent einzuhalten. Der nachfolgende dritte Teil widmet sich schwerpunktmäßig dem schweizerischen Zivilprozessrecht und dessen Umgang mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Nach einer terminologischen Klärung des in der Schweiz häufig anzutreffenden Begriffs „Beweisantizipation“, setzt sich die Arbeit zunächst mit den Gesetzesmaterialien zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, sowie der Rechtsprechung und Literatur in der Schweiz auseinander. Sie geht dabei der Frage nach, aus welchen Gründen die Vorwegnahme der Beweiswürdigung in der Schweiz für zulässig erachtet wird. Die im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse werden daraufhin zum Anlass genommen, den in Deutschland vertretenen Standpunkt vom strikten Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung kritisch zu hinterfragen. Die Gegenüberstellung zeigt, dass der in der Schweiz gepflegte Umgang mit einer partiellen Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung sich auf Deutschland nicht übertragen lässt. Der Richter hat in der jeweiligen Rechtsgemeinschaft eine unterschiedliche Rolle, was sich unmittelbar auf den Umfang der richterlichen Einflussmöglichkeit auf die Beweisaufnahme auswirkt. Im vierten und letzten Teil der Arbeit werden die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammengetragen und anschließend thesenartig zusammengefasst.

Teil 1

Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und seine normative Grundlage Während die Geltung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung im zivilprozessualen Beweisverfahren als solche allgemein anerkannt ist, ist die Frage nach dessen normativer Grundlage bis heute weitestgehend unbeantwortet geblieben. Ein pauschaler Verweis auf den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als negative Kehrseite jenes Verbots greift zu kurz. Denn auch die normative Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht liegt weitgehend im Dunkeln. Will man das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung – und spiegelbildlich den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht – nicht als ein lediglich übernormatives, allenfalls aus gemeingültigen verfassungsrechtlichen Grundsatzüberlegungen abgeleitetes Institut des zivilprozessualen Beweisverfahrens begreifen, muss man der Frage nachgehen, innerhalb welcher beweisverfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung tatsächlich zur Geltung kommt und kommen kann (A.). Darauf aufbauend wendet sich die Untersuchung der Frage zu, warum das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in der Zivilprozessordnung keine ausdrückliche normative Verankerung erfahren hat und worin es seine normative Grundlage findet, im Verfahrensrecht, Verfassungsrecht oder gar Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention (B.). Die Untersuchung schließt mit einem Gesamtergebnis (C.).

A.  Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in seinem rechtshistorischen Kontext In der jüngeren Prozessrechtswissenschaft herrscht die Ansicht vor, dass die Pflicht des Richters, Beweisanträgen im Grundsatz stattgeben zu müssen, aus

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

dem so genannten „Recht auf Beweis“ folge.1 Besonders prominente Bedeutung räumt Habscheid diesem Recht ein: „Das Recht auf den Beweis und der Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes – es sind dies keine juristischen Entdeckungen unserer Zeit. Sie sind so alt wie die zivilisierte Menschheit.“2

Habscheid hält das „Recht auf Beweis“, und damit den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, in gewisser Hinsicht für eine zivilisatorische Selbstverständlichkeit. Seine These belegt Habscheid unter Rückgriff auf eine gern zitierte, heute üblicherweise leicht modifizierte Textstelle des Corpus Iuris Civilis: „Facultas probationum non est angustanda“ (Cod. Iust. 1.5.21.3).3 Bestätigt wird Habscheids These in jüngerer Zeit von Diakonis, der kurzerhand behauptet, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht „so alt wie die Rechtswissenschaft selbst“ sei.4 Lägen Habscheid und Diakonis richtig, bedeutete dies, dass es sich auch bei dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung um ein seit jeher geltendes Institut des zivilprozessualen Beweisverfahrens handelt. Eine solche pauschale Schlussfolgerung darf mit Sicherheit bezweifelt werden. Immerhin ist es schwer vorstellbar, dass in der jahrtausendalten Geschichte des Zivilprozesses nie um die Frage, ob und inwieweit die Parteien ihre Beweismittel dem Richter zur Sachverhaltsfeststellung vorzeigen durften, gestritten wurde. Klarheit hierüber erhält man freilich erst, wenn man sich mit den unterschiedlichen Beweisverfahrensformen in der Geschichte des Zivilprozesses konkret auseinandersetzt. Dabei versteht sich von selbst, dass eine rechtshistorische Untersuchung nicht allein damit gerechtfertigt werden kann, dass „die Geschichte des Beweis- und Beweiswürdigungsrechts (…) die Geschichte des Prozesses überhaupt“5 sei. Um sich nicht dem Vorwurf der rechtshistorischen Liebhaberei auszusetzten,6 bedarf 1 

Teil 1, B.III.3; B.V.4. Habscheid, SJZ 1984, 381, 387. 3  Habscheid, SJZ 1984, 381, 387. Richtigerweise heißt es in Cod. Iust. 1.5.21.3: „Ceterum testamentaria testimonia eorum et quae in ultimis elogiis uel in contractibus consistunt, propter utilitatem necessarii usus sine ulla distinctione permittimus, ne proationum facultas angustetur.“; „Den übrigen Ketzern hingegen soll es, nach obiger Bestimmung, blos untersagt sein, gegen die Rechtgläubigen ein gerichtliches Zeugnis abzulegen, gestatten Wir ihnen ohne Unterschied, damit die Beweisführung nicht erschwert werde.“, Schilling, in: Corpus Iuris Civilis (Romani), Bd.  5, S.  149. 4  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45. 5  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  7. 6  Vgl. etwa v. Seuffert, ZZP 35 (1906), 104, 104 über die rechtshistorische Darstellung Leonhards, Beweislast, 1.  Aufl., S.  9–48: „Zu Anfang des Buches steht als erster Teil eine sogenannte geschichtliche Darstellung, in der auf 39 Seiten römisches, germanisches, italienisches und kanonisches Recht besprochen wird. Neues habe ich in dieser Darstellung nicht gefunden. 2 

A.  Rechtshistorischer Kontext

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es einer weit triftigeren Begründung: Wenn Habscheid mit seiner These Recht behalten sollte, könnte dies erklären, warum das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in der Zivilprozessordnung nicht ausdrücklich geregelt worden ist. Der Gesetzgeber hätte eine dahingehende – klarstellende – Regelung schlicht für obsolet halten dürfen. Die Gemengelage wird sich jedoch als weit komplexer erweisen, als Habscheid es Glauben macht. Ob und inwieweit dem Richter die Vorwegnahme der Beweiswürdigung gestattet war und den Parteien umgekehrt ein „Recht auf Beweis“ zustand, hing entscheidend von dem innerprozessualen Kräfteverhältnis zwischen Parteien und Richter ab. Die Geschichte lehrt, dass die richterliche Machtfülle keineswegs eine Konstante war, sondern sich ganz maßgeblich danach richtete, wie ausgeprägt das Vertrauen oder Misstrauen der Rechtsgemeinschaft in die eigene Richterschaft war. Um das zu erkennen, muss man sich jedoch zunächst auf die Spuren des „denkenden Geistes“ begeben, der die Entwicklungsgeschichte des zivilprozessualen Beweisverfahrens bis heute beseelt.7

I.  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im römischen Zivilprozess „Den“ römischen Zivilprozess gibt es nicht.8 Wer von ihm spricht, hat zuvörderst preiszugeben, in welcher der im Wesentlichen drei Prozessphasen er sich gedanklich befindet.9 Im Verlauf seiner Geschichte hat das römische Recht unterschiedliche Prozessformen für die ordentliche Gerichtsbarkeit (ordo iudiciorum) hervorgebracht. Diese sind: Der altbäuerliche Legisaktionenprozess (legis actiones)10, dessen Ursprung noch vor den XII Tafeln zu vermuten ist;11 der FormularDie historische Einleitung soll wohl auch nichts anderes sein, als eine Zierleiste, die der dogmatischen Darstellung vorgesetzt ist.“ 7  Dieses fundamentale Anliegen legt v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  25, seiner gesamten rechtshistorischen Untersuchung des Zivilprozesses in sechs Bänden zugrunde: „Denn die Rechtsgeschichte ist ja überhaupt nicht die Erzählung dessen, was zu verschiedenen Zeiten zufällig für Recht gegolten, oder nach Laune und Berechnung äußerer Zweckmäßigkeit festgesetzt worden; (…) sondern die Geschichte des Rechtsbewußtseins, also des einheitlich fortschreitenden denkenden Geistes. (…) Desgleichen lernt ein später kommendes Volk von dem früher civilisirten, für das Recht vielleicht höher begabten und bildet das Empfangene in Verknüpfung mit dem Eignen eigenthümlichen weiter.“ 8  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  19 ff.; Goldschmidt, Zivilprozessrecht, S.  6. 9  Zu Verwirrung führt es daher, wenn Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, 2.  Aufl., S.  6 ff., sich im Rahmen seiner Ausführungen hier nicht klar positioniert. 10  Der Ausdruck legis actiones scheint sich erst in der jüngeren Republik ausgebildet zu haben, Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  35. 11  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  33 ff.; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  35 f.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

prozess, der sich aus der prätorischen Gerichtsbarkeit ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. herausgebildet hat und die gängige Verfahrensart in der vorklassischen und klassischen Periode war,12 und der Kognitionsprozess, der zunächst lediglich als „außerordentliches Entscheidungsverfahren“13 (cognitio extra ordinem) von Augustus für kaiserliche Ansprüche eingerichtet worden war.14 Der Kognitionsprozess verdrängte Ende des 3. Jahrhunderts den vergleichsweise komplexeren Formularprozess,15 nachdem das römische Rechtswesen zunehmend vulgarisierte.16 Aufgrund der umfangreichen Gesetzes- und Rechtsdokumentation des Corpus Iuris Civilis Anfang des 6. Jahrhunderts17 und infolge der Wiedergeburt der römischen Rechtswissenschaft ab dem 11. Jahrhundert war es letztlich der Kognitionsprozess, der als „die“ Prozessform der römischen Antike Einzug in das romanisch-kanonische und altdeutsche Prozessrecht fand.18 1.  Der Legisaktionen- und Formularprozess In verfahrensrechtlicher Hinsicht unterscheidet sich der Legisaktionenprozess vom Formularprozess nur unwesentlich. Beide Prozessformen sind gekennzeichnet von der Teilung des Verfahrens in zwei Abschnitte – in iure und in iudicio (auch: „apud iudicem“19).20 Aus diesem Grund sollen beide Verfahrensformen im Folgenden gemeinsam behandelt werden.

12  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  4 f.; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, 6. 13  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  9. 14  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  517. 15  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  517. 16  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  517: „Damit erlosch die geistige Kraft, die das kunstvolle und differenzierte Gebilde des Formularprozesses getragen und vervollkommnet hatte.“ Vgl. ferner: v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  31 f.; Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozessrechts, S.  18 ff. 17  Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  93; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, 18 f., weist aber darauf hin, dass Justinian für den Corpus Iuris Civilis eine zerrüttete Rechtslage vorgefunden habe. Dies sei der Grund dafür, dass zum Teil einander widersprechende Verfahrensprinzipien unsystematisch nebeneinandergestellt worden seien. 18  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  6; Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  93. Wie die einzelnen Prozessformen der römischen Zeit tatsächlich ausgesehen haben, ist angesichts der fragmentarischen, teils widersprüchlichen Quellenlage freilich bis heute nicht endgültig geklärt. 19  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  8. 20  Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  101; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  54 f.; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  6; ders., Prinzip der Rechtskraft, S.  6; Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  116; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  2, S.  586 f.

A.  Rechtshistorischer Kontext

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Der erste Abschnitt (in iure) diente allein der rechtlichen Ordnung eines Streitverhältnisses nach Maßgabe des Parteivortrags.21 Diese Aufgabe übernahm der Prätor, ein rechtskundiger Beamter.22 Er stellte den vorgebrachten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht fest.23 Da es dem Prätor indes nicht gestattet war, tatsächliche Feststellungen zu treffen, konnte und durfte er kein Urteil über den ihm vorgetragenen Rechtsstreit fällen, soweit der streitentscheidende Sachverhalt zwischen den Parteien streitig war. In diesem Fall wurde der Rechtsstreit in den zweiten Verfahrensabschnitt (in iudicio oder apud iudicem) an einen Richter (iudex) überführt. Im Unterschied zum Prätor war der Richter eine von den Parteien in der Regel freiwillig gewählte und zumeist rechtsunkundige Privatperson24 (privatus iudex).25 Seine Aufgabe lag nunmehr darin, das in rechtlicher Hinsicht durch den Prätor fixierte Rechtsverhältnis in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären. Dazu führte er eine Beweisaufnahme durch, über deren Gang er nach freiem Ermessen entscheiden konnte.26 Die Trennung des Prozessverfahrens in zwei Abschnitte hat zweierlei Gründe: Zum einen sollte dem im römischen Privatrechtsdenken tief verwurzelten Prinzip der Privatautonomie Rechnung getragen werden.27 Jede Entscheidung eines staatlichen Hoheitsträgers über private Rechtsverhältnisse war verdächtig, die bürgerlich-zivile Freiheit, wie sie jedem römischen Bürger zuteil wurde, zu verletzen. Gerade deshalb durfte der Prätor lediglich abstrakt, niemals aber für den konkreten Fall über den ihm vorgebrachten Sachverhalt entscheiden.28 Zum anderen begegnete man der staatlichen Obrigkeit generell mit großem Misstrauen, da insbesondere die Korruption weit verbreitet war.29 Infolge der Verfahrensteilung lässt sich das Verhältnis zwischen Prätor und Richter vereinfacht wie folgt Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  117. Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  6; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  74 f. 23  Vgl. Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  7 f.; Puchta/Krüger, Cursus der In­ stitutionen, Bd.  1, 8.  Aufl., S.  529. 24  Für den Legisaktionenprozess wurden wohl üblicherweise Geschworene als „Privat­ urtheiler“ eingesetzt, v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  54. Das „Institut des Einzelgeschworenen (unus iudex)“ hat sich erst in der Folgezeit zunehmend ausgebildet, v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  65. 25  Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozessrechts, S.  55 ff. 26  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, S.  191 f.; Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, 112. 27  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  7. 28  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  10. 29  Für die römische Frühzeit sind zahlreiche Prozessgesetze überliefert, die „jede Willkühr“ des Richters ausschließen sollten, v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  44. Ferner drohte dem Richter, der der Bestechlichkeit überführt worden ist, nach den XII Tafeln die Kapitalstrafe, v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  1, S.  67 Fn.  30. 21  22 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

beschreiben: Der Prätor koordinierte, subordinierte aber nicht. Der Richter subordinierte, koordinierte aber nicht. Erst mit der Fortführung des Streits und dessen Überleitung in das zweite Verfahren (deductio in iudicem) haben sich die Parteien damit einverstanden erklärt, sich der Entscheidungsgewalt einer von ihnen als neutral und unparteiisch befundenen Person, dem iudex, zu unterwerfen.30 Denn anders als über den Prozessgegenstand innerhalb des ersten Verfahrensabschnitts, durften die Parteien über die Wahrheit, die es im zweiten Verfahrensabschnitt festzustellen galt, nicht frei disponieren.31 Wahrheit wurde nicht als ein subjektives Recht des Einzelnen, sondern als Gemeingut des Volkes angesehen.32 Der Richter stand damit, anders als der Prätor, mit seiner Autorität über oder zumindest neben den Parteien.33 Das Prinzip der Richterherrschaft im Rahmen der Sachaufklärung vertrug sich mit dem bürgerlichen Freiheitsgedanken der Römer deshalb, weil die Parteien den Richter frei wählten und er ein einfacher römischer Bürger und kein Amtsträger oder Stellvertreter des Staates war.34 Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Mittermaier von einem „machtvollen Richteramt“ sprechen.35 a)  Das Beweisverfahren im Allgemeinen Das Beweisverfahren diente dem Richter dazu, die tatsächlichen Umstände, die dem Rechtsstreit zugrunde lagen, aufzuklären.36 Innerhalb des Beweisverfahrens nahm der Richter Beweisstücke in Augenschein oder vernahm Zeugen. Ob und inwieweit die Parteien selbst an der Beweisaufnahme teilnahmen und durch ihre Einlassung auf die richterliche Überzeugungsbildung Einfluss nehmen konnten, Rau, AcP  38 (1855), 203, 223. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  119. 32  Endemann, Prinzip der Rechtskraft, S.  9; ders., AcP  41 (1858), 289, 324: „Das römische Recht kannte keine blos formelle Wahrheit, sondern nur eine formelle Rechtswirkung neben dem Hauptgrundsatze der materiellen Wahrheit.“; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  191. 33  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  364 f., beschreibt das Verhältnis zwischen Richter und Parteien folgendermaßen: „Auch im römischen Recht hängt es von dem Willen der Parteien ab, zu bestimmen, ob überhaupt gestritten und wie weit richterlich entschieden werden soll. Aber soweit richterliche Untersuchung und Prüfung eintritt, herrscht gemeinsame, freie Thätigkeit des Richters und der Parteien, ohne irgend welche besondere Abgrenzung der beiderseitigen Berechtigungen.“ 34  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  11. Die Grundmaxime und damit der Unterschied von dem Verfahren in jure und dem Verfahren in judico lässt sich nach Endemann wie folgt beschreiben: „In jure ist der dispositive Wille, in judicio die Wahrheit höchstes Gesetz.“ 35  Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  95. 36  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  14; Puchta/Krüger, Cursus der Institutionen, Bd.  1, 8.  Aufl., S.  532 ff. 30  31 

A.  Rechtshistorischer Kontext

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ist aus heutiger Sicht ungeklärt. Der Richter war bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Beweisverfahrens frei und unterlag keinen förmlichen Rechtsregeln.37 Wenn das Beweisverfahren dazu diente, dem Richter die Gelegenheit zu geben, sich von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und zugleich streitentscheidenden Tatsache zu überzeugen, war aus Sicht des Richters die Durchführung eines Beweisverfahrens sinnlos, wenn er sich bereits in irgend eine Richtung überzeugt hielt. Er durfte deshalb das Beweisverfahren jederzeit beenden, wenn er überzeugt zu sein glaubte.38 Das hatte konsequenterweise zur Folge, dass der Richter das Beweisverfahren auch dann schon zu beenden konnte, wenn er noch nicht alle Beweismittel, die die Parteien vorgebracht haben, berücksichtigen konnte. Umgekehrt konnte der Richter ex officio Aufklärungsmaßnahmen ergreifen, wenn ihm die Beweisführung durch die Parteien als ungenügend erschien, um die Wahrheit einer streitigen Tatsache ans Licht zu bringen.39 Insgesamt war der Richter bei der Ausgestaltung des Beweisverfahrens allein der reinen Logik und seinem Gewissen unterworfen.40 Das Beweisverfahren der klassischen Periode beruht auf dem Prinzip der freien (auch: materiellen) Wahrheitserforschung.41 Es war entscheidend geprägt von einer starken, selbstbewussten und verantwortungsvollen Richterrolle, der sich die Parteien – freiwillig – unterordneten.42 Als prominenteste43 Belege hierfür dienen ein von Callistrat überlieferter Ausspruch des Kaisers Hadrian (Dig. 37  Honsell/Meyer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4.  Aufl., S.  548; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  3, S.  272. Ob das allerdings auch schon für das römische Frührecht gilt ist heute unklar. Kaser/Hackel gehen davon aus, dass man, anders als im vollentwickelten Recht, hier von der Geltung starrer Beweisregeln auszugehen hat, vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  117 f., m. w. N.; Kaser, SZ (rom) 71 (1954), 221, 225. Erst in der nachklassischen Periode, als der Formularprozess dem allgemeine Kognitionsverfahren gänzlich gewichen ist, haben wieder reichlich Beweisregeln in den Zivilprozess Einzug gefunden, Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  4 u. 520 f. 38  Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  112; Kaser, in: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Zweite Reihe (R–Z), Bd.  9, 2.  Aufl., Stichwort „Testimonium“, Spalte 1048. 39  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  363. 40  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  7; ders., Prinzip der Rechtskraft, S.  7. 41  In diesem Sinne: Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  192.: „(…) so bestätigt sich, daß der römische Richter in der Art, seine Ueberzeugung zu bilden, die freieste Hand hatte.“; Planck, Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  157. 42  In diesem Sinne: Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  192.: „(…) so bestätigt sich, daß der römische Richter in der Art, seine Ueberzeugung zu bilden, die freieste Hand hatte.“; Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  157. 43  Vgl. nur: Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  112; Kaser, in: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Zweite Reihe (R–Z), Bd.  9, 2.  Aufl., Stichwort „Testimonium“, Spalte 1048.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

22.5.3.2)44 und eine Stellungnahme Ciceros (De re publica, I., 38)45. Kaser zählte gar das Prinzip der freien Wahrheitserforschung, wie es dem Beweisverfahren der Legisaktionen- und Formularprozesse zugrunde lag, zu den „höchsten Errungenschaften der römischen Rechtsentwicklung.“46 b)  Die richterliche Beweiserhebung Angesichts des geltenden Prinzips der freien Wahrheitserforschung innerhalb des Beweisverfahrens stellt sich die Frage, ob der Richter die von den Parteien vorgebrachten Beweismittel auch dann unberücksichtigt lassen durfte, wenn er sich von deren Berücksichtigung keinen Gewinn für die Wahrheitsfeststellung versprach. Übte der Richter tatsächlich die volle Herrschaft und Verantwortung über die Tatsachenfeststellung innerhalb des Beweisverfahrens aus, so liegt die Vermutung nahe, dass eine – nach heutiger Terminologie – vorweggenommene Beweiswürdigung zulässig war. Die moderne Prozessrechtswissenschaft hat die44  „Eiusdem quoque principis exstat rescriptum ad Valerium Verum de excutienda fide testium in haec verba: ‚Quae argumenta ad quem modum probandae cuique rei sufficiant, nullo certo modo satis definiri potest. (…) Hoc ergo solum tibi rescribere possum summatim non utique ad unam probationis speciem cognitionem statim alligari debere, sed ex sentential animi tui te aestimare oportere, quid aut credas aut parum probatum tibi opinaris‘.“; „Von demselben Kaiser gibt es auch ein Reskript an Valerius Verus über die Prüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen mit folgendem Wortlaut: ‚Welche Beweismittel und in welchem Ausmaß zum Beweis einer Tatsache ausreichen, läßt sich (im Voraus) nicht hinreichend sicher bestimmen. Son kann die Wahrheit nicht immer, aber doch häufig ohne öffentliche Urkunde herausgefunden werden. Bisweilen ergibt sich aus der Zahl der Zeugen die Wahrheit in einer streitigen Sache, bisweilen aus Würde und Ansehen der Zeugen, bisweilen aus einer gewissermaßen übereinstimmenden allgemeinen Meinung. Ich kann dir daher grundsätzlich nur antworten, daß du deine Untersuchung keinesfalls sofort an eine Beweisart binden darfst, sondern nach bestem Wissen und Gewissen beurteilen mußt, was dich überzeugt oder wovon du meinst, daß es dir nicht ausreichend bewiesen ist‘.“, Behrends, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  4, S.  124. 45  „Tum Laelius: ‚Video te Scipio testimoniis satis instructum, sed apud me, ut apud bonum iudicem, argumenta plus quam testes valent‘“; „Da sagt Laelius: ‚Ich sehe dich, Scipio, mit Zeugnissen wohl gerüstet; aber bei mir gelten wie bei einem guten Richter Beweise mehr als Zeugen.‘“, Büchner, Der Staat, Sammlung Tusculum, 5.  Aufl., S.  79. 46  Kaser, SZ (rom) 71 (1954), 221, 227. Vgl. ferner: Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozess, S.  140; Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozessrechts, S.  192; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  2, S.  608. Der Richter durfte die Tatsachenfeststellung auch nicht auf Dritte delegieren, vgl. Dig. 5.1.79.1: „Iudicibus de iure dubitantibus praesides respondere solent: de facto consulentibus non debent praesides consilium impertire, verum iubere eos prout religio suggerit sententiam proferre: (…).“; „Richtern, die über eine Rechtsfrage im Zweifel sind, pflegen die Provinzstatthalter Rechtsauskunft zu erteilen. Wenn sie aber wegen einer Tatsache anfragen, dürfen die Provinzstatthalter keinen Rat erteilen, sondern müssen sie anweisen, die Entscheidung so zu treffen, wie ihr Gewissen sie eingibt. (…).“, Harder, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  2, S.  491.

A.  Rechtshistorischer Kontext

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se Frage soweit ersichtlich bislang weitestgehend unberücksichtigt gelassen. Lediglich bei v. Bethmann-Hollweg findet sich ein erster Hinweis darauf, nach welchem Maßstab der Richter eine Beweiserhebung vornahm. Er führt unter Bezugnahme auf eine Überlieferung von Symmachus wie folgt aus: „Auf Befehl des Richters werden die Zeugen, deren Vernehmung er für nothwendig hält (…), durch die Officialen im Gerichte sistirt.“47

Durfte der Richter eine Beweisaufnahme davon abhängig machen, ob er sie für notwendig hielt, so spricht einiges dafür, dass er sich bereits vor der Beweisaufnahme eine Vorstellung über das mögliche Beweisergebnis machen und daran gemessen seine Entscheidung über die Beweiserhebung treffen durfte. Mit anderen Worten: eine vorweggenommene Beweiswürdigung war zulässig. Diese Vermutung lässt sich durch folgende Textstellen der Digesten – vorbehaltlich Interpolation – erhärten: Arcadius (auch: Charisius) in einer Einzelschrift über Zeugen (Dig. 22.5.1.2): „Quamquam quibusdam legibus amplissimus numerus testium definitus sit, tamen ex constitutionibus principum haec licentia ad sufficientem numerum testium coartatur, ut iudices moderentur et eum solum numerum testium, quem necessarium esse putaverint, evocari patiantur, ne effrenata potestate ad vexandos homines superflua multitudo testium protrahatur.“48 (Hervorh. d. Verf.)

Der Richter sollte die Anzahl von Zeugen vorab bestimmen dürfen, die er für notwendig hielt (quem necessarium esse putaverint), um die Wahrheit feststellen zu können. Nahm der Richter eine solche Beurteilung über noch nicht geladene und vernommene Zeugen vor, so traf er damit eine Aussage über den Wahrheitsüberzeugungsgehalt der zu vernehmenden und nicht zu vernehmenden Zeugen. Hierin liegt eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Umgekehrt belegt die Digestenstelle, dass der Richter keinesfalls generell zur Beweisaufnahme aller Zeugen verpflichtet war.

47  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  3, S.  277, unter Bezugnahme auf Symmachus, lib. X. ep 48, vgl. ferner v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  3, S.  363 ff. (Anhang II). 48  „Obgleich von einigen Gesetzen die Zahl der Zeugen sehr hoch angesetzt worden ist, wird gleichwohl die Befugnis, Zeugen hinzuzuziehen, durch Kaisergesetze (allgemein) auf die ausreichende Zahl von Zeugen beschränkt, so daß die Richter entscheiden müssen und nur für diejenige Zahl von Zeugen die Ladung erlauben dürfen, die sie für notwendig halten, damit nicht aufgrund einer ungezügelten Befugnis, Personen (durch Zeugenladung) zu belästigen, eine überflüssig große Menge von Zeugen hinzugezogen wird.“, Behrends, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  4, S.  123.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Achtes Buch der Rechtsregeln von Modestin (Dig. 22.5.2): „In testimoniis autem dignitas fides mores fravitas examinando est: et ideo testes, qui adversus fidem suae testationis vacillant, audiendi non sunt.“49 (Hervorh. d. Verf.)

Der Richter soll von der Zeugenvernehmung absehen, wenn dem Zeugen von vornherein die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden kann. Die Rechtsregel verpflichtet den Richter geradezu zu einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung, indem sie ihm eine Einschätzung von dem Zeugen abverlangt, die er – nach heutigen Maßstäben – erst nach der Beweiserhebung treffen kann. Viertes Buch über außerordentliche Gerichtsverfahren von Callistrat (Dig. 22.5.3): „(…) Nam si careat suspicione testimonium vel propter personam a qua fertur (quod honesta sit) vel propter causam (quod neque lucri neque gratiae neque inimicitiae causa fit), admittendus est.“50 (Hervorh. d. Verf.)

Der Richter soll einen Zeugen nur und erst dann zulassen, wenn sowohl gegen seine Person als auch gegen seine Motive keine Verdachtsmomente (suspicione) sprechen. Auch hier ist der Richter zur Vorwegnahme der Beweiswürdigung angehalten, denn er soll anhand von Umständen, die letztlich die individuelle Glaubwürdigkeit des Zeugen betreffen, vorab entscheiden, ob ein bestimmter Zeugenbeweis erhoben werden soll. Erstes Buch zum Ehebruch von Papinian (Dig. 22.5.13): „Quaesitum scio, an in publicis iudiciis calumniae damnati testimonium iudicio publico perhibere possunt. Sed neque lege Remmia prohibentur et Iulia lex de vi et repetendarum et peculatus eos homines testimonium dicere non vetuerunt. Verum tamen quod legibus omissum est, non omittetur religione iudicantium ad quorum officium pertinet eius quoque testimonii fidem, quod integrae frontis homo dixerit, perpendere.“51 49 

„Bei Zeugenaussagen sind Würde, Glaubwürdigkeit, Lebenswandel und Charakterfestigkeit zu prüfen; und deswegen sollen Zeugen nicht angehört werden, bei denen die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage auf schwachen Füßen steht.“, Behrends, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  4, S.  123. 50  „(…) Denn nur wenn die Zeugenaussage keinen Verdacht erregt, sowohl hinsichtlich der Person, von der sie abgegeben wird (weil diese ehrenhaft ist), als auch hinsichtlich der Motive der Aussage (weil sie weder um eines Vorteils willen noch aus Freundschaft oder Feindschaft gemacht wird), ist der Zeuge zuzulassen.“, Behrends, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  4, S.  123. 51  „Ich weiß, daß die Frage gestellt worden ist, ob Personen, die in einem öffentlichen Strafverfahren wegen schikanöser Anklage verurteilt worden sind, in einem öffentlichen Strafverfahren als Zeugen aussagen können. Sie werden aber weder von der Lex Remmia daran gehindert, noch hat die Lex Iulia über (öffentliche und private) Gewalttätigkeit und über die Rückerstattung bei Vorteilsannahme im Amt und über die Veruntreuung öffentlichen Gutes verboten, daß solche Personen als Zeugen aussagen. Was jedoch von den Gesetzen versäumt worden ist, wird von einem gewissenhaften Richter nicht versäumt, zu dessen Pflicht es ja gehört, die Glaubwürdigkeit sogar derjenigen Zeugenaussage zu prüfen, die ein Mann untadeligen Ansehens gemacht hat.“, Behrends, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  4, S.  127.

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Papinian hatte auf die Frage zu antworten, ob Personen, die in einem Strafverfahren verurteilt worden sind, als Zeugen zugelassen werden müssen. Da die Gesetze, namentlich die Lex Remmia und die Lex Iulia52, hierüber keine Aussage trafen, antwortete Papinian, dass es Aufgabe des Richters sei, über die Zulässigkeit von Zeugen zu entscheiden, wenn die Gesetze hierüber keine Regelung trafen. Die genannten Textstellen lassen den Schluss zu, dass der Richter im Beweisverfahren der Legisaktionen- und Formularprozesse nicht verpflichtet war, jedem „Beweisantrag“53 stattzugeben. Vielmehr stand insbesondere der Umfang der Beweiserhebung in dessen freiem Ermessen. c) Ergebnis Der Richter der Legisaktionen- und Formularprozesse war nicht verpflichtet, die von den Parteien vorgebrachten oder beantragten Beweise zu erheben. Es bestand keine Beweiserhebungspflicht. In gleicher Weise, wie der Richter erhobene Beweise frei würdigen durfte, durfte er eine beantragte Beweisführung, insbesondere die beantragte Zeugenvernehmung, aufgrund (vermeintlicher) Wertlosigkeit von vornherein ablehnen.54 Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist in den Legisaktionen- und Formularprozessen nicht anzutreffen. Die richterliche Freiheit stieß dort auf ihre Grenzen, wo der Richter erwiesenermaßen aus Gründen der Bestechlichkeit oder Feindseligkeit einer Partei ungerechtfertigte prozessuale Vorteile einräumte oder sich bei seiner Entscheidungsfindung nicht von seinem freien Gewissen leiten ließ.55 Gleichwohl wird 52  Gerade die Lex Iulia (17 v. Chr.) kannte zahlreiche Personen, die generell vom Zeugnis ausgeschlossen waren, beispielsweise Sklaven, Unmündige, Ehrlose oder nahe Angehörige. Vgl. Dig. 1.9.2, Raber, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  2, S.  142; Dig. 22.5.3.5; Dig. 22.5.4 f.; Dig. 22.5.13, Behrends, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  4, S.  125 ff. Vgl. ferner: Kaser, SZ (rom) 73 (1956), 220, 261 f.; Girard, SZ (rom) 34 (1913), 295, 326 ff. 53  Es lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr rekapitulieren, ob die römischen Prozesse einen förmlichen Beweisantrag im heutigen Sinne kannten. Vorstellbar ist, dass die Parteien ihre Beweismittel schlicht zur Exhibition dem Richter vorbrachten und er auf ihre Anregung hin das Beweismittel zu Zwecken der Sachverhaltsfeststellung einer näheren Prüfung unterzog. 54  Nicht recht ins Bild passt es, wenn Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  17, ohne nähere Begründung behauptet, dass in den römischen Legisaktionen- und Formularprozessen aufgrund der Freiheit der Beweiswürdigung ein „in Frage kommendes Beweismittel nicht von vornherein ausgeschieden werden“ durfte. Wie gezeigt, war es dem Richter gerade erlaubt, frei darüber zu entscheiden, ob er einen vorgebrachten Zeugen vernahm oder er auf dessen Zeugnis von vornherein verzichtete (vgl. soeben Dig. 22.5.13). 55  Vgl. Dig. 5.1.15.1: „Iudex tunc litem suam facere intellegitur, cum dolo malo in fraudem legis sententiam dixerit (dolo malo autem videtur hoc facere, si evidens arguatur eius vel gratia vel inimicitia vel etiam sordes), ut veram aestimationem litis praestare cogatur.“; „Ein Richter macht, wie man annimt, den Rechtsstreit zu seinem eigenen, wenn er das Urteil vorsätzlich

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man annehmen dürfen, dass solche Fälle selten eintraten, zumal der Richter der Legisaktionen- und Formularprozesse kein Beamter, sondern ein von den Parteien frei gewählter Privatmann war.56 In struktureller Hinsicht beruhte das Beweisverfahren der Legisaktionen- und Formularprozesse auf dem Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung. Es galt nicht nur der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, sondern auch der Grundsatz der freien Beweiserhebung und -ablehnung. Dementsprechend war es dem Richter erlaubt, einerseits uneingeschränkt weitere, von den Parteien nicht benannte Beweismittel von Amts wegen zu erheben, sowie andererseits von einer beantragten Beweisführung nach freiem Ermessen abzusehen. Die hervorgehobene Stellung des Richters im Rahmen des Beweisverfahrens ist letztlich zurückzuführen auf das ihm von den Parteien entgegengebrachte Vertrauen in seine Integrität und Neutralität. 2.  Der Kognitionsprozess Im Unterschied zum Legisaktionen- und Formularprozess entfiel im Kognitionsprozess die Zweiteilung des Verfahrens in die Abschnitte in iure und in iudicio. Ein und derselbe Richter hatte nunmehr über den Rechtsstreit zu entscheiden, und zwar sowohl in rechtlicher- als auch in tatsächlicher Hinsicht. Bei der Person des Richters handelte es sich nicht mehr um einen von den Parteien gewählten Privatmann, sondern um einen kaiserlichen Beamten oder Magistrat.57 Dieser strukturelle Unterschied des Verfahrens ist darin begründet, dass es sich bei dem Kognitionsprozess ursprünglich um ein „außerordentliches Verfahren“ für kaiserliche Ansprüche handelte (s. o.).58 Mit dem Verdrängen des Formularprozesses als Regelprozessform für privatrechtliche Streitigkeiten durch den Kognitionsprozess in der klassischen und nachklassischen Periode hielt ein nachhaltiges Legitimationsdefizit des Richters in den Verfahrensgang Einzug. Speiste sich das Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richters maßgeblich aus dem Bewusstsein der Parteien, dass der Richter „einer aus dem Volke“ war, ein Privatmann, den sie aus freien Stücken gewählt hatten und dessen Urteil sie sich deshalb freiwillig unterwarfen, änderte unter Verletzung des Gesetzes erlassen hat (vorsätzlich tut er dies ersichtlich aber dann, wenn ihm Begünstigung, Feindschaft oder sogar Bestechlichkeit klar nachgewiesen wird), so daß er den wahren Wert des Streitgegenstandes leisten muß.“, Harder, in: Corpus Iuris Civilis, Bd.  2, S.  472. 56  Kaser, SZ (rom) 71 (1954), 221, 224, m. w. N., insbesondere zur Möglichkeit des Gerichts, seine Entscheidung im Einzelfall derart zu begründen, dass ihm der Vorwurf einer Gesetzesverletzung nicht gemacht werden konnte. 57  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  2, S.  758. 58  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  517.

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sich dies grundlegend mit der vollständigen Verbeamtung der Richterschaft.59 Verstärkt wurde diese Entwicklung durch den zunehmenden Kulturverfall, der mit Beginn der nachklassischen Periode einsetze. Er brachte einen in weiten Teilen willkürlich handelnden, juristisch unfähigen und stellenweise korrupten Beamtenstand hervor.60 Am Ende dieser Umbruchphase stand schließlich ein, wie Schmidt es bezeichnete, „formloses Verfahren bureaukratischer Willkürjustiz“61. a)  Das Beweisverfahren im Allgemeinen Das Beweisverfahren des Kognitionsprozesses übernahm zunächst die wesentlichen Errungenschaften des Beweisverfahrens des Legisaktionen- und Formularprozesses.62 Diese waren namentlich der Grundsatz der freien Beweiserhebung und -ablehnung, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Prinzip der materiellen Wahrheitserforschung.63 Mit dem zunehmenden Untergang des Staatswesens und dem wachsenden Unfrieden in der Bevölkerung, der auf das eben beschriebene Legitimationsdefizit und die richterliche Willkürgefahr zurückzuführen ist, entfaltete sich ein „krankhafter Trieb (…), jedem Übel durch Gesetze abzuhelfen“.64 Hiervon blieb auch das Beweisverfahren nicht verschont. Schon bald war es durchdrungen von starren Beweis(würdigungs)regeln.65 So musste beispielsweise ein Verwandtschaftsverhältnis in einer Erbstreitigkeit mit fünf Zeugen, alternativ mit drei Zeugen und einer Urkunde belegt werden. Auch die Erfüllung einer verbrieften Verbindlichkeit konnte nur mit fünf Zeugen nachgewiesen werden.66 Zu der wohl bekanntesten Beweisregel gehörte aber die des „unus testis nullus testis“, die auf ein Edikt Konstantins aus dem Jahr 334 zurückgeführt wird.67 Neben dem wachsenden Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Institutionen brachte auch die zusehends stärker werdende Religionisierung, oder besser: Christianisierung des Prozesses zahllose Beweisregeln herLangenbeck, Beweisführung, Bd.  1, S.  9 ff.; Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  95 f. 60  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  520; Rau, AcP  38 (1855), 203, 237; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  3, S.  272. 61  R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  50. 62  Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  491 m. w. N.; Honsell/ Meyer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4.  Aufl., S.  557. 63  Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  491. 64  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  3, S.  272. Vgl. ferner: Dilcher, in: FS Kaser, S.  671. 65  Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozess, S.  210 ff. 66  Zum Ganzen: Simon, Untersuchungen, S.  253 ff.; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  3, S.  276. 67  Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozess, S.  249 f. m. w. N. 59 

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vor, die den Richter und die Parteien zur Mäßigung und Rechtstreue anhalten sollten.68 Das unverkennbare Ziel des spätrömischen Zivilprozesses lag darin, dem Richter jede Macht und Freiheit über die Parteien zu entziehen und ihn verbindlichen Verfahrensregeln zu unterwerfen.69 Hierdurch sollte letztlich das Vertrauen der Bürger in die Rechtsstaatlichkeit zurückgewonnen werden. An die Stelle des ehemals geltenden Prinzips der Richterherrschaft und Richterverantwortung, dem der Legisaktionen- und Formularprozess seine Leichtigkeit und Schnelligkeit70 zu verdanken hatte, setzte sich nunmehr das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. Es war nunmehr in erster Linie Aufgabe der Parteien, den Richter nach Maßgabe formaler Beweiswürdigungsregeln von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung zu überzeugen. In letzter Konsequenz trat der Grundsatz der freien Beweiswürdigung „bewußt oder unbewußt“ zunehmend in den Hintergrund, bis er nahezu ganz verschwand.71 Ungezügelter Gesetzespositivismus war paradoxerweise die einzige Antwort der herrschenden Schicht auf den zunehmenden Verfall von Recht und Ordnung. b)  Die richterliche Beweiserhebung In Abkehr von den Legisaktionen- und Formularprozessen wurde das richterliche Prozessleitungsamt im Kognitionsprozess zunehmend in ein enges Korsett an gesetzlichen Beweiserhebungs- und Beweiswürdigungsregeln gezwängt. Dies wirft die Frage auf, ob der Richter des Kognitionsprozesses in gleicher Weise wie im Legisaktionen- und Formularprozess Beweise von vornherein ablehnen durfte oder ob er nach Maßgabe gesetzlicher Vorgaben zunehmend zur Beweiserhebung verpflichtet war. Anhand der ausgewerteten Quellen lässt sich hierauf keine eindeutige Antwort geben. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass der Richter des Kognitionsprozesses die von den Parteien vorgebrachten Beweise im Regelfall erheben musste. Anhaltspunkte dafür, dass dem Richter die Möglichkeit zur vorweggenommenen Beweiswürdigung gestattet gewesen wäre, lassen sich nicht finden. Es bestand vielmehr eine grundsätzliche Pflicht zur Beweisaufnahme. Waldstein, SZ (rom) 100 (1983), 542 ff. m. w. N.; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  520. 69  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  193. A. A. R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  71, der behauptet, dass auch der spätrömische Richter in Bezug auf die Verfahrensgestaltung „volle Freiheit“ genossen habe. 70  Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  118. 71  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  17; Langenbeck, Beweisführung, Bd.  1, S.  12. 68 

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Hierfür spricht zum einen, dass für den Kognitionsprozess zunehmend das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung galt. Die Parteien hatten dafür Sorge zu tragen, dass sie das gesetzlich vorgeschriebene Beweismaß erreichten, damit der Richter eine Behauptung als wahr anerkennen durfte. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der in erster Linie Ausdruck eines vorbehaltlosen Vertrauens der römischen Zivilgesellschaft in die Integrität und Neutralität des Richters war, wurde schrittweise abgeschafft und schließlich weitgehend durch Beweiswürdigungsregeln ersetzt.72 Auf der Ebene der Beweiserhebung mehrten sich ebenfalls gesetzliche Regelungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln. Standen einer Beweisführung keine gesetzlichen Zulässigkeitsgründe entgegen, so musste davon ausgegangen werden, dass der Richter nicht aufgrund freier Willkür sich gegen eine Beweiserhebung entscheiden durfte. Ein solches Vorgehen hätte einem Richter, dem als Beamter ohnehin ein hohes Maß an Misstrauen entgegengebracht worden war, nicht zugestanden. Zum anderen fand die bereits erwähnte Rechtsregel der „facultas probationum non est angustanda“ zunehmende Verbreitung.73 Sie wird Kaiser Justinian selbst zugeschrieben und ist auf die folgende Textstelle des Codex Iustinianus (Cod. Iust. 1.5.21.3) zurückzuführen: „Ceterum testamentaria testimonia eorum et quae in ultimis elogiis vel in contractibus consistunt, propter utilitatem necessarii usus sine ulla distinctione permittimus, ne probationum facultas angustetur.“74 (Hervorh. d. Verf.)

Nimmt man die genannte Textstelle in ihrer Gesamtheit in den Blick, zeigt sich, dass hierin kein allgemeiner beweisverfahrensrechtlicher Grundsatz angelegt sein kann. In Cod. Iust. 1.5.21.1 wird der Grundsatz aufgestellt, dass Manichäer, Borboriten und andere Heiden in einem Rechtsstreit gegen Christen weder als Zeugen vernommen werden durften, noch irgendwelche Prozesshandlungen vornehmen konnten. Für Ketzer hingegen galt „nur“ ersteres; sie durften nicht als Zeugen vor Gericht gegen einen Christen aussagen. Hiervon wiederum wurde eine Ausnahme für Fälle gemacht, in denen der Nachweis über letztwillige VerVgl. im Einzelnen: Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozess, S.  349 ff. Simon macht allerdings darauf aufmerksam, dass man nicht ohne weiteres von einem „formellen Beweissystem“ sprechen kann. Das nachklassische Beweissystem war in seinen Vorgaben über die Tauglichkeit von Beweismitteln und deren Beweiswert nicht geschlossen. Vgl. zum systematischen Denken in der damaligen Zeit: Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozess, S.  367. 73  Liebs, Lateinische Rechtsregeln, 7.  Aufl., S.  82. 74  „Den übrigen Ketzern hingegen soll es, nach obiger Bestimmung, blos untersagt sein, gegen die Rechtgläubigen ein gerichtliches Zeugnis abzulegen, gestatten Wir ihnen ohne Unterschied, damit die Beweisführung nicht erschwert werde.“, Schilling, in: Corpus Iuris Civilis (Romani), Bd.  5, S.  149 (s. o.). 72 

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fügungen geführt werden sollte. In diesem Zusammenhang konnte auch der Ketzer als Zeuge vor Gericht vernommen werden, denn es galt „ne probationum facultas angustetur“. Wie gezeigt handelt es sich bei Cod. Iust. 1.5.21.3 lediglich um eine Rückausnahme von der allgemeinen Zeugnisunfähigkeit von Ketzern in Prozessen gegen Christen. Ein generalisierender Aussagegehalt kann der Textstelle damit auf Anhieb nicht entnommen werden. Daneben sprechen auch systematische Erwägungen gegen eine dahingehende Interpretation. Der fünfte Titel des ersten Buches des Codex Iustinianus lautet „De Haereticis et Manichaeis et Samaritis“. Er befasst sich mit der rechtlichen Stellung einer bestimmten Art oder Klasse von Ketzern und Heiden innerhalb und außerhalb des Prozesses. Erst im vierten Buch unter den Titeln 19 bis 21 enthält der Codex Iusitianus Regelungen über das Beweisrecht. Die Titel lauten „De probationibus“, „De testibus“ und „De fide in­ strumen­torum, et amissione eorum et de apochis et antapochis faciendis, et de his, quae sine scriptura fieri possunt“.75 Hätte demnach ein allgemeiner beweisverfahrensrechtlicher Grundsatz aufgestellt werden sollen, wonach die Beweisführung durch den Richter nicht hätte eingeschränkt werden dürfen, so hätte es sehr viel näher gelegen, diesen im vierten Buch unter den Titeln 19 bis 21 aufzunehmen und ihn nicht im fünften Titel des ersten Buches zu „verstecken“. Überdies hätte die Textstelle sich nicht nur auf die Zeugnisfähigkeit von Ketzern beziehen dürfen. Vor diesem Hintergrund darf wohl nicht vermutet werden, dass bereits unter Justinian eine generelle richterliche Beweiserhebungspflicht gesetzlich festgeschrieben worden war. Obwohl unter Bezugnahme auf Cod. Iust. 1.5.21.3 keine generelle richterliche Beweiserhebungspflicht gerechtfertigt werden kann, nimmt es nicht Wunder, dass jene Textstelle in Zeiten der wirtschaftlichen und sozialen Instabilität herangezogen wurde, um die Allmacht der staatlichen Richter einzudämmen. Hierin wird der eigentliche Grund dafür liegen, warum Cod. Iust. 1.5.21.3 zu einer allgemeingültigen Rechtsregel der „facultas probationum non est angustanda“ hochstilisiert wurde.76 Dieser Annahme ließe sich argumentativ auch nicht entgegenhalten, dass in Cod. Iust. 1.5.21.3 im Zusammenhang mit besonderen Personengruppen (Manichäer, Borboriten und Heiden) für Ketzer lediglich eine Rückausnahme zu einer ohnehin geltenden (ungeschriebenen) Beweisverfahrensregel zum Ausdruck komme. Denn wäre das der Fall, wäre es wenig einleuchtend, warum diese verschriftlichte Rückausnahme für einen prozessualen Sonderfall in späterer Zeit generalisierend als Grundregel für das zivilprozessuaVgl. Krüger, Codex Iustinianus, S.  318, 321 und 325. Liebs, Lateinische Rechtsregeln, 7.  Aufl., S.  82; Habscheid, SJZ 381, 387; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45. 75  76 

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le Beweisverfahren herangezogen wurde. Dann jedenfalls hätte es nähergelegen, auf ein kaiserliches Edikt oder einen konkreten Urteilsspruch zu rekurrieren. Das einzige Gestaltungsinstrument, mit Hilfe dessen der Richter auf das Beweisverfahren aktiv Einfluss nehmen konnte, war das der Fristsetzung. Konnte eine Partei die richterlich gesetzten, in ihrer üblichen Dauer aber gesetzlich vorgeschriebenen, Produktionsfristen nicht einhalten, durfte der Richter die Beweisführung ablehnen.77 c) Ergebnis Obwohl ein endgültiger Nachweis ausbleiben muss, sprechen ganz wesentliche Gründe dafür, dass der Richter des Kognitionsprozesses, insbesondere in späterer Zeit, einer richterlichen Beweiserhebungspflicht unterlag. Soweit dem Richter kein gesetzlicher Beweisablehnungsgrund zur Seite stand, ist davon auszugehen, dass er die vorgebrachten Beweise erheben musste. Gesetzliche Beweiserhebungs- und Beweiswürdigungsregeln verdrängten zunehmend das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung aus dem Bereich der Sachverhaltsfeststellung. Stattdessen war es im Kognitionsprozess nunmehr Aufgabe der Parteien, das gesetzlich vorgeschriebene Beweismaß mit den gesetzlich zulässigen Beweismitteln zu erreichen, wenn sie ihre Behauptung durch den Richter festgestellt haben wollten. Misstrauen und Argwohn gegenüber dem Richter waren letztlich der Grund für die zunehmende Etablierung einer grundsätzlichen richterlichen Beweiserhebungspflicht basierend auf dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. 3. Zusammenfassung Das fehlende Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Integrität und Neutralität des Richters bildete die rechtspolitische Ausgangslage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Soweit Habscheid78 und später Diakonis79 unter Bezugnahme auf die Rechtsregel der „facultas probationum non est angustanda“ aber davon ausgehen, dass das „Recht auf Beweis“ und damit die richterliche Beweiserhebungspflicht seit jeher existiere und in jedem zivilisierten Prozess angelegt sei, liegen sie falsch: 77  Im Einzelnen: Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozess, S.  354 ff. Die Reduzierung der richterlichen Gestaltungsfreiheit auf Produktionsfristen hatte den erheblichen Nachteil, dass das Beweisverfahren zunehmend schwerfällig wurde. 78  Habscheid, SJZ 381, 387. 79  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45.

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Die römischen Legisaktionen- und Formularprozesse sind gekennzeichnet vom Grundsatz der freien Beweiserhebung und -ablehnung. Der Richter war aufgrund des ihm von den Parteien uneingeschränkt entgegengebrachten Vertrauens nicht verpflichtet, sämtliche vorgebrachten Beweismittel ungeprüft zu erheben. Er durfte Beweise der Parteien unbesehen ablehnen, wenn er ihnen keinen Erkenntnisgewinn zuschrieb. Das ist nichts anderes, als eine zulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Dieses Bild wandelte sich erst mit den römischen Kognitionsprozessen. Zunehmendes Misstrauen der Rechtsgemeinschaft gegenüber der Richterschaft führte dazu, dass man dem Richter die Freiheiten im Umgang mit Beweisanträgen zusehends entzog und ihm eine grundsätzliche Pflicht zur Beweiserhebung auferlegte. Die Vorwegnahme der Beweiswürdigung war fortan nicht mehr zulässig; sie war verboten. Vor diesem Hintergrund lässt sich die folgende These aufstellen: Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung, der Freiheit zur richterlichen Beweisablehnung und der Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Umgekehrt besteht ebenso ein innerer Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung, der richterlichen Beweiserhebungspflicht und dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Welches Prinzip dem Beweisverfahren zugrunde liegt, das der Richterherrschaft oder das der Parteiherrschaft, bestimmt sich entscheidend danach, ob die Rechtsgemeinschaft „ihrem“ Richter vertraut oder misstraut. Richterliche Entscheidungen, die basierend auf dem Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung getroffen werden, leiden an einem Akzeptanz- und Legitimationsverlust, wenn sie nicht von dem Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Integrität und Neutralität der Richterschaft getragen sind. Da das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Richterschaft nicht staatlich angeordnet werden kann, kann der Staat die Akzeptanz und Legitimität richterlicher Entscheidungen nur dadurch steigern oder gar wiederherstellen, indem er das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung einschränkt und im Gegenzug das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung stärkt. In der Rollenverteilung zwischen Parteien und Richter spiegelt sich in gewisser Hinsicht das Maß an Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den Staat und seine Bedienstete – die unterschiedlichen Beweisverfahrensformen der römischen Prozesse sind hierfür paradigmatisch.

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II.  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im romanisch-kanonischen Zivilprozess Das kanonische Recht (auch: „romanisch-kanonisches Prozessrecht“80) fristet in der modernen Rechtswissenschaft weitgehend ein Schattendasein. Das mag in erster Linie daran liegen, dass seine Bedeutung für das heutige materielle Recht mit guten Gründen vernachlässigt werden darf.81 Das gilt nicht für das Prozessrecht: „Fundamenta enim formarum processus civilis, qui per Germaniam, ne dicam per Europam cultiorem, obtinet communis, non ex romano, sed ex canonico iure repetenda sunt.“82

Das rezipierte romanisch-kanonische Recht hat wie sonst nirgends auf die moderne Prozessrechtsentwicklung erheblichen Einfluss genommen.83 Dies hat zweierlei Gründe: Zum einen war im Vergleich zum römischen Recht die wissenschaftliche Durchdringung des Prozessrechts im romanisch-kanonischen Recht wesentlich ausgeprägter.84 Das römische Prozessrecht konnte für die Ausbildung des späteren gemeinen Prozessrechts als Erkenntnisquelle vergleichsweise wenig berücksichtigt werden.85 Zum anderen sind die Überlieferungen des Corpus Iuris Civilis zum Prozessrecht derart „unvollständig und unzusammenhängend“86, dass sich erst sehr spät ein einigermaßen geschlossenes Bild über den römischrechtlichen Prozessverlauf abzeichnete. Davon abgesehen bot das romanisch-kanonische Recht in der „heillosen Zerrüttung der weltlichen Rechtspflege des Mittelalters“ ein gewisses Maß an Kontinuität, was es gerade für die Rechtswissenschaft als Erkenntnisquelle besonders attraktiv machte.87 Vor dieNörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  1. Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  21 f. 82  Wunderlich, Anecdota, S.  4: „Die Grundlagen der Formen des Zivilprozesses nämlich, die in ganz Germanien, um nicht zu sagen im ganzen zivilisierten Europa, gemeinsam gepflegt werden, sind nicht auf das römische, sondern auf das kanonische Recht zurückzuführen.“ (frei übersetzt). 83  Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  2.; Rau, AcP  38 (1840), 409 f.; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  7; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  19 f. 84  Rau, AcP  38 (1855), 409, 410. 85  Vgl. Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  19 über den Wert der römischen Quellen für den gemeinen Zivilprozess: „Nicht einmal die nächsten Ausganspunkte, die Stellen des corpus juris, konnten immer richtig verstanden werden. Wo es auf die Eigenthümlichkeit des ordo judiciorum (auch: ordentliche Gerichtsbarkeit, vgl. Kaser/Hackl, Das Römische Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., §  23 Fn.  1) ankam, war vollends die Verwirrung unausbleiblich.“. (Einschub d. Verf.). 86  Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  7. 87  Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  2; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  8. 80  81 

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sem Hintergrund kann das romanisch-kanonische Prozessrecht in gewisser Hinsicht als der Katalysator der modernen Prozessrechtswissenschaft verstanden werden. Viele prozessuale Strukturprinzipien, wie insbesondere die legale Beweistheorie88, finden ihren Ursprung im romanisch-kanonischen Prozess. Auch wenn einige dieser Prinzipien heute – mit guten Gründen – wieder verschwunden sind, leisteten sie dennoch einen entscheidenden Beitrag zur Ausformung des heutigen Zivilprozesses. Das romanisch-kanonische Prozessrecht ist eine nachträgliche, historiographische Begriffsbildung, die dem alleinigen Zweck der zeitlichen Zuordnung dient.89 Konkret handelt es sich um die Zeit von Mitte des 12. Jahrhunderts90 bis Anfang des 16. Jahrhunderts.91 Schon allein vor dem Hintergrund dieser zeitlichen Dimension wird es den historischen Begebenheiten streng genommen nicht gerecht, wenn man von „dem“ romanisch-kanonischen Prozessrecht spricht. Insbesondere für den romanisch-kanonischen Zivilprozess ist hinlänglich erwiesen, dass es sich dabei nicht um ein geschlossenes Prozesssystem handeln konnte.92 Das, was unter dem „kanonischen Prozess“ heute verstanden wird, ist nichts Geringeres als eine Gesamtschau „scholastischer Einzelheiten“93; die Rekon­struk­ tion eines fiktiven, teils wenig kohärenten und in dieser Gestalt wohl nie dagewesenen Prozesses. Aus diesem Grund ist der romanisch-kanonische Prozess, wie er sich retrospektiv darstellt, „kompliziert, umständlich und verwirrend“.94 Zahlreiche Termine erlaubten es den Parteien, ihren rechtlichen oder tatsächlichen Standpunkt wechselseitig vorzubringen, bevor die Sachverhandlung über den

Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  23. Vgl. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  1. 90  Die völlige Exemtion des kanonischen Rechts vom bürgerlichen Recht vollzog sich spätestens im Jahr 1220 durch die kaiserliche Bestätigung Friedrichs II., vgl. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  6, S.  84. 91  Vgl. Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  5, der das kanonische Recht in die Zeit des 12. bis in das 18. Jahrhundert verortet wissen will; Rau, AcP  38 (1855), 409, 412; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  1 m. w. N. über die Rechtsquellen, aus denen sich das romanisch-kanonische Prozessrecht vornehmlich speist. Zu nennen sind einerseits das tradierte römische Recht und zum anderen das kanonische Recht, bestehend aus Dekreten und päpstlichen Verlautbarungen. 92  Endemann, Beweislehre im Zivilprozess, S.  20. 93  Endemann, Beweislehre im Zivilprozess, S.  24; ders., Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  532 f.: „Das Römische Recht in seiner kanonistischen Mißbildung ist nichts anderes, als die Anwendung des Systems der Scholastik auf die Jurisprudenz, die Gefangennehmung des menschlichen Verstandes, der Wahrheit durch abstrakte Regeln, die eine vermeintliche Sicherheit geben, aber in der That der realen Wahrheit schaden.“ Vgl. auch: Goldschmidt, Zivilprozess, 2.  Aufl., S.  12. 94  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  25. 88  89 

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eigentlichen Streitgegenstand begann.95 Und auch diese konnte sich über mehrere Verhandlungstermine hinziehen.96 Die dadurch unweigerlich entstehende Schwerfälligkeit des Verfahrens führte dazu, dass die einzelnen Verfahrensereignisse dokumentiert werden mussten, um nicht in Vergessenheit zu geraten.97 Die formale Verfahrensordnung drängte den Richter in eine passive und im Wesentlichen beobachtende Rolle.98 Seine Aufgabe war es, nach Maßgabe der Prozessordnung für einen ordnungsgemäßen Prozessgang Sorge zu tragen. Eine aktive Einflussnahme auf das Prozessgeschehen war ihm verwehrt.99 Der romanisch-kanonische Prozess ist ganz wesentlich von der Vorstellung eines prozessualen Zweikampfs der Parteien geprägt.100 1.  Das Beweisverfahren im Allgemeinen Das Beweisverfahren im romanisch-kanonischen Prozess diente der Feststellung streitiger und streitentscheidender Tatsachen.101 Ausgenommen waren hiervon nur gerichtsbekannte Tatsachen (auch: „notorische Tatsachen“).102 Dagegen musste das anzuwendende Recht, soweit es dem ius commune, also dem justinianischen oder romanisch-kanonischen Recht angehörte, nicht bewiesen werden (iura novit curia).103 95  Hierzu im Einzelnen: Jacobi, SZ (kan) 3 (1913), 223, 261 ff.; R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  73 ff. 96  So war die mehrfache Produktion eines Zeugen ohne Weiteres zulässig. Vgl. Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  119; Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  2, S.  143 ff. 97  R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  77. Das Schriftlichkeitsprinzip brachte den Rechtssatz „quod non est in actis, non est in mundo“ hervor. 98  R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  75. 99  Vgl. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  123. 100  Vgl. Endemann, Beweislehre im Zivilprozess, S.  25: „Die legale Form der probatio gibt dem Probanten ein mehr oder minder starkes Anrecht auf die Wahrheit, welches der Gegner anerkennt oder mit legalen Mitteln zurückschlagen, der Richter durch die Sentenz in Vollzug bringen muß. Umgekehrt hat ebenso der Gegner ein Recht, die Behauptung als unwahr verworfen zu sehen, sobald die gesetzliche Form des Beweises verfehlt worden ist.“ Vgl. ferner: Planck, ZdR 10 (1846), 205, 207. Planck spricht in diesem Zusammenhang von einem „juristischen Zweikampf“ zwischen den Prozessparteien. 101  Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  124. 102  Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  47 ff.; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  124 m. w. N.; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  180; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  719; A. Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß, 3.  Aufl., S.  27 f. Das Instrument der Notorität wurde im kanonischen Prozess gerne dafür benutzt, ein „offenkundiges“ Vergehen der Unsicherheit des förmlichen Verfahrens und insbesondere des Beweises, etwa dem Reinigungseid, zu entziehen. War eine Tatsache „notorisch“, so wurde darüber keine Verhandlung geduldet. 103  Wiegand, Studien zur Rechtanswendungslehre, S.  150 ff. und S.  162 ff. Soweit eine Par-

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Der Richter hatte nach römischem Vorbild im Grundsatz die historische Wahrheit ans Licht zu bringen. Faktisch war ihm das aber regelmäßig nicht möglich, da die richterliche Sachverhaltsfeststellung zahlreichen Beweiserhebungs- und Beweiswürdigungsregeln unterlag. Darüber hinaus stand einer richterlichen Wahrheitsinquisition das Prinzip der Parteiherrschaft, das schon damals als ein solches verstanden wurde, entgegen.104 Grund hierfür war, wie schon in den römischen Kognitionsprozessen der nachklassischen Periode, ein in der Bevölkerung tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber der (gelehrten) Richterschaft.105 Es gehörte zu den erklärten Zielen des romanisch-kanonischen Prozesses, den Richter mittels objektiver Beweisregeln „in Ketten zu legen“, um jede Gefahr der richterlichen Willkür auszuschließen.106 Es wurde zunehmend der Versuch unternommen, „alle Möglichkeiten bedenkend jeden einzelnen Fall mit einer allgemeinen Regel im Voraus“ zu entscheiden.107 Raum für richterliche Gestaltungsfreiheit bestand in einem derart formalisierten Prozess praktisch nicht.108 2.  Die richterliche Beweiserhebung Die Beweiserhebung war, wie schon im römischen Prozess, keinem gesonderten Beweisverfahren vorbehalten. Sie fand durchgängig während des Rechtsstreites statt.109 Deshalb konnte sich an jede beweisbedürftige Behauptung ein Beweisverfahren anschließen.110 Die Beweisführung oblag ausschließlich den Parteien.111 Sie hatten insbesondere zu bestimmen, durch welche Beweismittel der tei dagegen einen Rechtssatz des Partikularrechts der Entscheidung zugrunde gelegt wissen wollte, hatte sie die Existenz und Anwendbarkeit des Rechtssatzes nachzuweisen. 104  Vgl. Jacobi, SZ (kan) 3 (1913), 223, 294 f. So ist auch das heute noch geltende Verhandlungsprinzip, wonach das Gericht nur nach Maßgabe der Parteidisposition die Wahrheit festzustellen hat, ein Grundsatz, der im kanonischen Prozessrecht seinen Ursprung genommen hat, R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  76. 105  Jacobi, SZ (kan) 3 (1913), 223, 294. Vgl. München, Das kanonische Gerichtsverfahren, Bd.  1, S.  99, der offenbar noch im 19. Jahrhundert hierin einen gewissen Charme sah: „Die Subjektivität im Urtheilen ist die gefährlichste Klippe für die Gerechtigkeit, daher ihre möglichste Ausschließuung im Prozeßverfahren eine der vorzüglichsten Aufgaben der Gesetzgebung.“ 106  Endemann, Beweislehre im Zivilprozess, S.  25 f. „Was nicht als positiver Rechtssatz bestand, war unsicher und unjuristisch.“ 107  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 100. 108  Vgl. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  37 und S.  39: „Auch im kanonischen Prozeß galt im Anfang und als Prinzip die freie Beweiswürdigung; die Furcht vor Subjektivität des Richters führte zu ihrem Niedergang.“ 109  Rau, AcP  38 (1855), 203, 206; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  122. 110  Rau, AcP  38 (1855), 409, 416 und 421. 111  Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  112 f.

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Beweis geführt werden sollte. Hierbei unterlagen sie keiner richterlichen Beschränkung.112 Die Beweisführung begann mit dem Beweisantritt. Dieser wiederum konnte dergestalt erfolgen, dass der Beweisführer das entsprechende Beweismittel entweder benannte oder es schlicht während des Prozesses dem Gericht vorzeigte.113 Bevor der Richter einen angetretenen Beweis auch tatsächlich erhob, musste er zunächst ex officio überprüfen, ob gesetzliche Ablehnungsgründe114 der Beweiserhebung entgegenstanden.115 Anschließend hatte der Prozessgegner seinerseits Gelegenheit, den Richter auf gesetzliche Ablehnungsgründe aufmerksam zu machen und sonstige Einwände gegen die Beweiserhebung (exceptiones) vorzubringen.116 Sofern weder der Richter von Amts wegen noch die Gegenpartei auf Antrag einen gesetzlichen Ablehnungsgrund erfolgreich anbringen konnten, musste der Richter den vorgebrachten Beweis erheben. Abgesehen von den zahlreichen gesetzlichen Ablehnungsgründen war es den Richter, soweit ersichtlich, nicht gestattet, der Beweisführung einer Parte nach freiem Ermessen entgegenzutreten. 3. Ergebnis Im romanisch-kanonischen Prozess war der Richter für die Urteilsfindung maßgeblich auf das Vorbringen und die Beweisführung der Parteien angewiesen; eine Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  116. Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  116; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  924 f.; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  21 f. 114  Für die Unzulässigkeit eines Zeugen sind zahlreiche Gründe überliefert, die zum Teil auf das römische Recht, zum Teil aber auch auf päpstliche Erlasse zurückzuführen sind. So stellte es beispielsweise einen Zurückweisungsgrund dar, wenn der Zeuge ein Ketzer (haereticus), ein Heide (paganus), ein Jude (Iudaeus) oder ein mit einem Kirchenbann belegter (excommunicatus) war. Zeugnisunfähig waren ferner Minderjährige (bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres), sowie zum Teil Frauen; letztere jedenfalls im Strafprozess. Vgl. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  136 f., m. w. N.; Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  2, S.  12 und S.  18. Groß spricht in diesem Zusammenhang von einer „stattlichen Liste von Gründen“, die einer Beweiserhebung entgegenstehen konnten. 115  Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  135. 116  Dar Recht des Prozessgegners, vor der Zeugenvernehmung Einwände gegen den Zeugen vorbringen zu dürfen, ist deshalb besonders wichtig, weil die Zeugenvernehmung als solche unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Prozessparteien erfolgte. Hierdurch versuchte man jede Beeinflussung des Zeugens zu verhindern. Die Zeugenvernehmung verlief dergestalt, dass das Gericht dem Zeugen von dem Beweisführer und dem Gegner eingereichte Fragestücke (articuli und interrogatoria) vorhielt, die der Zeuge mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten hatte. Dem Gericht blieb es gleichwohl unbenommen, zusätzliche Fragen an den Zeugen zu richten, wenn es dies zum Zwecke der ordnungsgemäßen Sachverhaltsaufklärung für erforderlich hielt. Vgl. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  142. 112  113 

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Tatsachenerforschung ohne oder gar gegen den Willen der Parteien war ihm strikt untersagt – iudex secundum allegata et probata partium, non secundum conscientiam iudicat.117 Diese Rechtsparömie gibt in ausdrucksvoller Weise Auskunft über das Rollenverständnis des Richters im romanisch-kanonischen Prozess und die Aufgabenverteilung bei der Sachverhaltsaufklärung zwischen dem Richter und den Parteien.118 Endemann brachte diese wie folgt auf den Punkt: „Der Richter seinerseits hatte vermöge der strengen Verhandlungsmaxime ohne alle Eigenthätigkeit den Zügen und Gegenzügen der Parteien zuzusehen und daraus das juridische Ergebniß nach dem Maßstab der gesetzlichen Regel zu ziehen.“119

Der romanisch-kanonische Prozess ist ganz wesentlich geprägt vom Misstrauen der Parteien gegenüber dem Richter und dem Bestreben, jede richterliche Freiheit durch Gesetze auszuschließen.120 Dieses Misstrauen gegenüber der Richterschaft führte, wie schon im römischen Kognitionsprozess, dazu, dass dem Beweisverfahren als solches das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zugrunde lag. Endemann schlussfolgerte daraus, dass das romanisch-kanonische Beweisverfahren seinem Zuschnitt nach auf der Verhandlungsmaxime, einem Strukturprinzip, dessen begriffliche Ausformung bekanntlich auf Gönner zurückzuführen ist, beruhte.121 Die Parteien und nicht der Richter entschieden darüber, welcher Gegenstand der Sachverhaltserkenntnis dienen sollte. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Sinne einer Beweisablehnung aus Gründen erwarteter Untauglichkeit des vorgebrachten Beweismittels wäre wohl nicht vorstellbar gewesen: es bestand ein „Recht des Producenten“ auf Beweisführung.122

117  Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S.  188; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  369. 118  Nörr, Stellung des Richters im gelehrten Prozeß, S.  102. 119  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  23. 120  Vgl. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  39: „Betrachten wir den italienisch-kanonischen Prozeß in der Form, in der er zur Blütezeit seiner Existenz betreiben wurde und in der er das weitere Prozeßrecht maßgebend beeinflußte, so haben wir das Gegenteil des klassischen römischen Prozesses: nicht mehr Freiheit in Form und Würdigung des Verfahrens, sondern doktrinäre Starre bestimmen den Prozeß.“ 121  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365 f. Zum Begriff der Verhandlungsmaxime nach Gönner, vgl. Teil 1, B.I.2.a)aa). Nörr, Stellung des Richters im gelehrten Prozeß, S.  12 ff., 101. 122  Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  2, S.  137 f.

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III.  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im altdeutschen Zivilprozess Über den altdeutschen Prozess und dessen Beweisverfahrenssystem ist verhältnismäßig wenig bekannt. Grund hierfür ist zum einen, dass sich der altdeutsche Prozess im Wesentlichen nach den Brauchtümern der jeweiligen Volks- und Stammesrechte richtete und daher nicht homogen war. Zum anderen fand eine dogmatische Durchdringung des Prozesses als solchem nicht statt.123 Aus diesem Grund wird zu Recht bezweifelt, dass der altdeutsche Prozess überhaupt ein allgemeingültiges Beweisverfahrensrecht kannte.124 Wie schon für den romanisch-kanonischen Prozess gilt deshalb auch hier: „Den“ altdeutschen Prozess oder „das“ altdeutsche Beweisverfahren hat es so nie gegeben.125 Gemeinhin gilt der altdeutsche Prozess als wenig komplex.126 Da er gerade Ausdruck von regionalen Brauchtümern war, entbehrte er einer festen Grundlage.127 Das Beweisverfahren des altdeutschen Prozesses unterlag dementsprechend einem ständigen Wandel. Feste Konturen sind aus heutiger Sicht nur schwer erkennbar. Gleichwohl wird der Versuch unternommen, annäherungsweise in Erfahrung zu bringen, ob im altdeutschen Prozess der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung galten. Entsprechend seiner Entwicklungsgeschichte kann der altdeutsche Prozess in zwei unterschiedliche Epochen untergliedert werden, der des frühen Mittelalters und der des Hoch- und Spätmittelalters. 1.  Der altdeutsche Prozess des frühen Mittelalters Der altdeutsche Prozess des frühen Mittelalters beruhte auf dem Prinzip der „organisierten Selbsthülfe“.128 Die Klage einer Person gegen eine andere, sei es eine nach heutigem Verständnis zivilrechtliche oder eine strafrechtliche, stellte einen (juristischen) Angriff des Klägers auf die Ehre und Rechtschaffenheit des BeZorn, Beweisverfahren, S.  43 ff. Planck, ZdR 10 (1846), 205, 206; Unger, Der gerichtliche Zweikampf, S.  1. 125  So haben beispielsweise die nordgermanischen Volksstämme den Zeugenbeweis aus eigenen Kraft in ihr Beweisverfahren implementiert, während ihn die südgermanischen Volksstämme dem römischen Beweisverfahren entliehen haben, vgl. Zorn, Beweisverfahren, S.  43 m. w. N. 126  Die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Beweisverfahren nach jeweiligem Volksrecht können teilweise erheblich sein. Zorn, Beweisverfahren, S.  13, berichtet etwa, dass das Recht über die Eidhelfer im Beweisrecht der Langobarden „durch Einfachheit und vielfältige Unbestimmtheit“ geprägt war, während das der Bayern und Alemannen „ein sehr reichgegliedertes Eidhelfersystem“ hervorbrachten. 127  Vgl. Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  27 m. w. N. 128  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  26. 123  124 

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klagten dar.129 Als Angegriffener hatte der Beklagte das Recht, seine durch den Kläger in Frage gestellte Rechtstreue unter Beweis zu stellen. Ihm gebührte daher das „Recht zum Beweise“.130 Das Beweisziel lag allein darin, sich von dem Ehrangriff zu „reinigen“. Aus diesem Grund erbrachten die Parteien den Beweis dem Gegner.131 Der Richter hatte weder Beweise zu erheben noch konnte er Beweise ablehnen, geschweige denn im Anschluss an die Beweisführung diese würdigen.132 Dementsprechend war das Beweisverfahren nicht auf die Wahrheitsfindung im heutigen Sinne, sei es nun eine formelle oder eine materielle, ausgelegt. Auf die Überzeugung des Richters von den tatsächlichen Vorgängen kam es schlicht nicht an.133 Die Beweisführung war insgesamt einseitig ausgestaltet. Der Grund hierfür lag darin, dass der einmal geschworene Eid eines freien Mannes („Germanen“134) von keiner weltlichen Instanz in Frage gestellt werden durfte.135 Eine Gegenbeweisführung war damit gänzlich ausgeschlossen.136 Dies führte zwangsläufig dazu, dass in aller Regel die Partei obsiegte, die den Beweis führen durfte.137 Die 129  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  4, Teil 2, S.  28; Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  1, S.  168. 130  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  188; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  4, S.  36; Planck, ZdR 10 (1846), 205, 230 und S.  324; Engelmann, Civilprozeß, I., Bd.  1, S.  130; Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  500 f. m. w. N. 131  Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  2. 132  Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  2 ff. Aus diesem Grund war es sogar möglich, dass das Gericht die Rechtsfrage vor der Tatfrage klärte. Hierin kann eine eindeutige Parallele zum Zivilprozess der vorklassischen und klassischen Periode gesehen werden. Der Prätor entschied in iure die Rechtsfrage, ohne in tatsächlicher Hinsicht Klarheit über den konkreten Fall zu haben. 133  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  117, m. w. N. 134  Hierzu ausführlich: v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  4, Teil 2, S.  9 f. Zwar stellte der König auch unter den Germanen der oberste Führer des Volkes dar. Er hatte das Recht zu weisen und die einzelnen Volksgenossen waren ihm zur Treue verpflichtet. Dies führte aber keineswegs dazu, dass die Freiheit des Germanen hierdurch eingeschränkt gewesen wäre. Gerade die Treue des Einzelnen zu seinem König ist das Fundament seines unerschütterlichen Ehranspruchs gegenüber der Volksgemeinschaft und damit wiederum Ausfluss seiner Freiheit. 135  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  188. Hierzu v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  4, Teil 2, S.  28, m. w. N.: „Als freier und unbescholtener Mann nimmt er für sich das Recht in Anspruch, die Beschuldigung durch Anrufung Gottes als Zeugen seiner Unschuld zurückzuweisen und, wenn er geschworen hat, auch von dem Gericht für vollkommen gerechtfertigt erklärt zu werden.“ 136  Homeyer, Richtsteig Landrechts, S.  482; Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  509. 137  Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  12 und S.  15; Homeyer, Richtsteig Landrechts, S.  482, folgert hieraus schlüssig: „Hiernach hat derjenige, dem der Beweis zugetheilt worden, im Ganzen schon den Sieg in Händen.“

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Beweisführung war daher keine Last, sondern ein Privileg. Gelang dem Beweisführer der Beweis, indem er beispielsweise sein Bestreiten der Klagebehauptung beeidigte, so hatte der Kläger seinerseits keine Möglichkeit, durch Eidesleistung dem beeidigten Bestreiten des Beklagten entgegenzutreten.138 Treffend ließ sich daher v. Tevenar zu dem Ausspruch verleiten, dass durch das altdeutsche Beweissystem „das Verhältniß der Sache so wenig in das Licht gestellt ist, als wenn darum gewürfelt worden, wer Recht oder Unrecht haben solle.“139 Als Beweismittel stand den Parteien zunächst nur der persönliche Eid als bedingte Selbstverfluchung sowie der Zweikampf und das Gottesurteil zur Seite.140 Der Richter blieb im Rahmen des Beweisverfahrens – wenn er denn überhaupt daran teilnahm141 – völlig untätig.142 Soweit die Beweisführung vor dem Gericht stattfand, lag dessen alleinige Aufgabe darin, auf die Einhaltung der ordnungsgemäßen Beweisführung Acht zu geben und damit den juristischen Zweikampf zwischen den Parteien zu überwachen.143 Insgesamt spielte der Richter im altdeutschen Beweissystem des frühen Mittelalters keine tragende Rolle. Er konnte auf die Beweisführung der Parteien keinen Einfluss nehmen; weder musste er ihr stattgeben, noch konnte er ihr entgegentreten. Da der Richter bei der Beweiserhebung weder mitwirken konnte noch durfte, war für eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung kein Raum. 2.  Der altdeutsche Prozess des Hoch- und Spätmittelalters Der altdeutsche Prozess des Hoch- und Spätmittelalters, der weit in das 15. Jahrhundert hineinreichte144, erfuhr einen grundlegenden Strukturwandel.145 Der Planck, ZdR 10 (1846), 205, 230. v. Tevenar, Theorie der Beweise im Civilproceß, 9.  Aufl., S.  57 f. 140  Die eidliche Beteuerung einer Aussage wurde deshalb so viel Wert beigemessen, weil „alle Ehrlichkeit ihren Grund in der Gottesfurcht hat“. Vgl. Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  210; Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  6 ff. War der zur Beweisführung Berechtigte dagegen eines Verbrechens oder eines Meineids überführt worden, so blieb ihm die Eidesleistung verwehrt. Zur Beweisführung konnte er sich allein einem Gottesurteil unterziehen, dessen Ausgang ein mehr oder weniger offenes war. Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  189. Teilweise erlaubten die Stammesrechte aber auch, dem Kläger durch Herbeiführung eines Gottesurteils den Eid des Beklagten zu wiederlegen. Das Gottesurteil überwiegte den Eid, denn durch jenes sprach Gott selbst, während beim Eid Gott lediglich als Zeuge herangezogen. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  4, Teil 2, S.  30. 141  Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  1, S.  30. 142  Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  2. 143  Rau, AcP  38 (1855), 203, 212. 144  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  6 und 11 ff.; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  6, S.  1 ff. 145  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  384. 138  139 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Einfluss „staatlicher“ Institutionen auf das bürgerliche Leben wuchs. Der Prozess diente nicht mehr nur der Befriedung der sich Streitenden. Er trug in weiten Teilen der Stabilisierung des Gemeinwesens bei. Mit der Idee von Rechtsstaatlichkeit, oder zumindest dem, was ihr im Wesentlichen zu Grunde liegt, wurde es notwendig, die Stellung des Richters grundlegend zu stärken und ihm die Befugnis zur Feststellung des streitigen Prozessstoffs zu übertragen.146 Daneben mag sicherlich auch von Bedeutung gewesen sein, dass eine schleichende Entfremdung vom Überirdischen einsetzte. Ob aber allein die zunehmend sachliche Weltanschauung für die epochalen Umbrüche im altdeutschen Prozesssystem verantwortlich gemacht werden kann, ist zu bezweifeln.147 a)  Das Beweisverfahren im Allgemeinen Mit der Konsolidierung eines rechtsstaatlichen Prozessganges verschwanden zusehends die irrationalen Beweismittel, wie das Gottesurteil oder der Zweikampf, aus dem altdeutschen Beweissystem.148 Auch der Reinigungseid verlor immer mehr an Bedeutung,149 da nunmehr eine bestimmte Zahl von Eideshelfern die Eidesleistung des Beweisführers ihrerseits absichern musste.150 Weitere Restriktionen wurden dem Beweisführer dadurch auferlegt, dass der Prozessgegner einen Teil der Eideshelfer selbst aussuchen durfte.151 Ferner konnte der Prozessgegner der Beweisführung durch Eid dadurch entgegentreten, dass er die Eidesfähigkeit des Beweisführers mittels eigener Eideshelfer in Frage stellte oder selbst einen Eid leistete.152 Außerdem ließ man im Prozess weitere Beweismittel zu, mittels derer die Parteien eine Tatsachenfeststellung durch den Richter erzwingen konnten. Zu nennen sind allen voran der Urkundenbeweis153 und der Zeugenbeweis (gemeingermanisch „Wissender“).154

Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  1, S.  146. So aber: Musielak, Grundlagen der Beweislast, S.  235. 148  Zorn, Beweisverfahren, S.  67 ff. m. w. N.; Planck, Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  155 ff. 149  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  343 f. 150  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  188; Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  512 ff. m. w. N. 151  Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  1, S.  148. 152  Unger, Der gerichtliche Zweikampf, S.  26 ff. 153  Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.510; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  1, S.  148. 154  Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  528. Zu der Entwicklungsgeschichte der Beweismittel für das langobardische Recht, eindrücklich Zorn, Beweisverfahren, S.  11 f. 146  147 

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Der damit eingeläutete Paradigmenwechsel hatte auch zur Folge, dass das „Recht zur Beweisführung“ des Angegriffenen unterging und stattdessen der Angreifer den rationalen Nachweis für seine Behauptung erbringen musste. Der Reinigungseid des Angegriffenen kam erst in letzter Konsequenz in Betracht, wenn die Beweisführung des Angreifers nicht vollständig gelungen war.155 Bevor der Angegriffene allerdings seine Behauptung mittels Eid beschwörte, gestand man auch ihm die Möglichkeit zu, der Beweisführung des Angreifers durch Gegenbeweisführung entgegenzutreten. Hierdurch verlor das altdeutsche Beweissystem seine ihm typische Einseitigkeit. An seine Stelle trat nun ein Beweissystem, das durch wechselseitige Beweisführung, Beweis und Gegenbeweis, gekennzeichnet war.156 Das Beweisziel wurde ebenfalls ein völlig anderes:157 Während es noch im Beweissystem des frühen Mittelalters darum ging, mittels Beweis sich eines Ehrangriffs zu erwehren, kam es nunmehr auf die Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse an.158 Der Richter hatte fortan die Aufgabe, anhand der Beweisführung den streitigen Sachverhalt zu rekonstruieren.159 Der Richter trat damit aus seiner bisherigen Bedeutungslosigkeit heraus und nahm nunmehr aktiv am Prozessgeschehen und insbesondere am Beweisverfahren teil.160 Den Wendepunkt zwischen dem irrationalen Beweissystem des frühen Mittelalters und dem rationalen Beweissystem des Hoch- und Spätmittelalters kennzeichnet die dem Beweisführer gestattete Frage, ob „genug zu recht fürgebracht und geweist sei“.161 Walter sieht hierin ein eindeutiges Indiz für eine freie, von den Parteien im Vorfeld nicht berechenbare Beweiswürdigung des Richters.162

v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  125 f. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  126; Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  385. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S.  236 ff. und S.  245 geht dagegen auch für die Zeit des Hoch- und Spätmittelalters weiterhin von einer streng einseitigen Beweisführung aus. Ihm bleibt damit freilich das von Schlosser und Walter nachgewiesene Prinzip der freien Beweiswürdigung für das ausgehende altdeutsche Beweisverfahren verborgen. 157  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  48. 158  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  126. 159  Planck, ZdR 10 (1846), 205, 301 ff.; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  126; Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  384 f. 160  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  126. 161  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  386 m. w. N. 162  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  49. 155  156 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Damit lässt sich zum Ende des 15. Jahrhunderts die Anerkennung der freien Beweiswürdigung – jedenfalls in Grundzügen163 – konstatieren.164 b)  Die richterliche Beweiserhebung Da die Ermittlung der tatsächlichen Geschehnisse immer stärker in den Vordergrund rückte, wurde das Beweisverfahren seiner Förmlichkeiten zusehends entkleidet.165 Der Richter hatte die von den Parteien benannten Beweise zu erheben um sich selbst ein Bild vom Vortrag der Parteien machen zu können.166 Hierzu mussten die Beweismittel zur Vernehmung oder Einsicht zum Gerichtsort geschafft werden. Der Beweisführer war in der Wahl seiner Beweismittel frei. Der Richter durfte deshalb die vorgebrachten Beweismittel nicht ohne Weiteres ablehnen.167 Vor der Beweiserhebung hatte er allerdings zu prüfen, ob er die angebotenen Beweismittel für tauglich hielt.168 Im Rahmen dieser „Vorprüfung“, die von Amts wegen stattfand, hatte auch der Prozessgegner Gelegenheit, Einwände gegen die Beweisführung vorzubringen, sog. Eides-, Zeugen-, oder Urkundenschelte.169 Sollte der Richter der Überzeugung sein, dass ein Beweismittel untauglich war, konnte er dessen Erhebung entweder ganz ablehnen oder aber, wenn es um verdächtige Zeugen oder verdächtige Eideshelfer ging, diese vor

163  Ob Walters These, dass das altdeutsche Beweissystem vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung geprägt gewesen ist, in dieser Allgemeinheit Recht hat, ist allerdings fraglich. So ist etwa überliefert, dass für den Zeugenbeweis der Grundsatz galt, dass einem „deutschen Manne auf sein Wort“ geglaubt werden musste, vgl. Zorn, Beweisverfahren, S.  76. Allerdings darf die Tatsache nicht stören, dass unter Bezugnahme auf die Werke von Mascard und Menochius die formelle Beweistheorie des rezipierten romanisch-kanonischen Beweisrechts im 16. Jahrhundert seinen Höhepunkt nimmt, vgl. Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  12 m. w. N. Walters Feststellung, die im Wesentlichen auf der Vorarbeit Schlossers beruht, bezieht sich auf das altdeutsche Beweissystem, nicht auf das romanisch-kanonische und in der Folgezeit gemeinrechtliche Beweissystem. Ungeachtet dessen darf auch für die legale Beweistheorie des rezipierten romanisch-kanonischen Beweissystems angenommen werden, dass es auch auf seinem Höhepunkt das freie richterliche Ermessen nie gänzlich verdrängen konnte, Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  13. 164  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  386. 165  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  140. 166  Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  1, S.  148; v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  143 für den Zeugenbeweis. 167  v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  143. 168  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  362. 169  Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  574, 577, 583 f.; Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  223 f.

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ihrer Vernehmung beeidigen170 und gesondert verhören.171 Ferner konnte der Richter einem Zeugen die Zeugnisfähigkeit mit Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder persönlichem Rechtsstatus ganz aberkennen.172 c) Ergebnis Das altdeutsche Beweisverfahren des Hoch- und Spätmittelalters war gekennzeichnet von einer starken Richterrolle.173 Ein geschlossenes Beweissystem, das dem Richter verbindliche Vorgaben über Inhalt und Umfang des Beweisverfahrens gemacht hätte, gab es nicht.174 Der Richter durfte daher weitestgehend frei und nach eigenem Ermessen entscheiden, ob er einer Beweisführung der Parteien stattgab oder sie mangels Tauglichkeit des in Ansatz gebrachten Beweismittels ablehnte.175 Somit galt der Grundsatz der freien Beweiserhebung und -ablehnung. Eine richterliche Beweiserhebungspflicht bestand demzufolge – jedenfalls im Grundsatz – nicht. Umgekehrt war eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung unter dem Gesichtspunkt der Tauglichkeit zulässig. 3. Zusammenfassung Das Beweisverfahren des altdeutschen Prozesses des frühen Mittelalters bezweckte nicht die Sachverhaltsfeststellung durch den Richter. Der Richter musste noch nicht einmal der regelmäßig einseitigen Beweisführung einer Partei beiwohnen. Mangels richterlicher Beweiswürdigung suchte man hier eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung vergeblich. Erst im altdeutschen Prozess des Hoch- und Spätmittelalters spielte die richterliche Wahrheitserkenntnis eine Rolle. Da gesetzliche Beweisregeln weitestgehend fehlten und den einzelnen Beweismitteln kein verbindlicher Beweiswert zugewiesen war, hatte der Richter auf der Grundlage seines subjektiven Eindrucks und seiner allgemeinen Lebenserfahrung die vorgebrachten Beweise zu würdigen. Vergleichbares galt für die Beweiserhebung. Auch hier fehlten weitestgehend verbindliche Vorgaben darüber, welche Beweismittel erhoben oder verworfen werden durften oder mussten. Über die Beweistauglichkeit konnte der 170  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  360 m. w. N.; So hatte ein mit dem Beweisführer verwandter Zeuge zu schwören, „daz er weder tail noch gemain an der chlag“ hatte. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd.  5, S.  140 ff.; Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.  2, S.  224. 171  Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  579. 172  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  359. 173  Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  95. 174  Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, S.  362. 175  Für den Zeugenbeweis: Zorn, Beweisverfahren, S.  51.

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Richter ebenfalls weitestgehend frei entscheiden. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht galt soweit ersichtlich nicht. Dementsprechend war es dem Richter nicht verboten, von einer Beweiserhebung abzusehen, wenn er sich von ihr keinen Erkenntnisgewinn versprach. Dem Richter war es dementsprechend gestattet, die Beweiswürdigung vorwegnehmen. Was die richterliche Freiheit im Rahmen der Beweiswürdigung betrifft, so bescheinigt Walter dem spätmittelalterlichen Zivilprozesses ein „selbst für unsere heutigen Maßstäbe hohes Niveau“.176 Diese richterliche Freiheit erstreckte sich aber nicht nur auf die Beweiswürdigung. Sie ist auch im Bereich der Beweiserhebung anzutreffen. Wie schon in den römischen Legisaktionen- und Formularprozessen bedingte eine machtvolle Richterrolle die richterliche Freiheit zur zwanglosen Beweiserhebung und -ablehnung.

IV.  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im gemeinen Zivilprozess Der gemeine Prozess als Teil des gemeinen Rechts (ius commune) ist nicht als ein in sich geschlossenes Prozesssystem zu verstehen. Er ist ein „Konglomerat heterogener Quellenbestandtheile“177, bestehend aus dem – unpräzise formuliert – römischen Prozess, dem romanisch-kanonischen Prozess und deutschem Partikular- und Gewohnheitsrecht.178 Die Regelungen zum allgemeinen bürgerlichen Prozessrecht bezeichnet Wach daher sehr trefflich als „buntscheckig und mannigfaltig“.179 Das gemeine Recht nimmt seinen Ursprung in der Kammergerichtsordnung aus dem Jahr 1495. Sie legte die Maßstäbe fest, nach denen das im gleichen Jahr gegründete Reichskammergericht seine Entscheidungspraxis auszurichten hatte.180 §  3 der Kammergerichtsordnung sah vor, dass das Reichskammergericht „nach des Reiches gemeinen Rechten“ zu entscheiden habe.181 Das hatte zur FolWalter, Freie Beweiswürdigung, S.  59. Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd.  1, S.  131. 178  Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  24 ff.; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.  2, S.  456. 179  Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd.  1, S.  130. 180  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  31. 181  Richter des Reichskammergerichts hatten gemäß §  3 der KGO vom 7. August 1495 folgenden Schwur abzugeben: „Item die alle söllen zuvor Unser Koniglicher oder Kaiserlicher Majestät geloben und zu den Hailigen swern: Unserm Koniglichen oder Kaiserlichen Camergericht getrewlich und mit Vlei ob sein und nach des Reichs gemainen Rechten, auch nach redlichen, erbern und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewohnhaiten der Fürstenthumb, Herrschaften und Gericht, die für sy pracht, dem Hohen und dem Nidern nach seinem besten Verstentnus gleich zu richten (…).“ Dazu: Wiegand, Studien zur Rechtanswendungslehre, 176  177 

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ge, dass der dem Reichskammergericht zur Entscheidung vorgelegte Rechtsstreit, wenn die Parteien die auf sie anwendbaren Regeln ihrer Partikularrechte nicht lückenlos nachweisen konnten, nach dem gemeinen Recht entschieden wurde.182 Dies führte bekanntlich zum Untergang der germanischen Partikularrechte.183 Dass das gemeine Recht seinerseits vom Ende des 15. Jahrhundert bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts von Bestand war, hatte es weniger seiner allgemeinen Anerkennung als vielmehr seiner unrühmlichen politischen Bedeutungslosigkeit zu verdanken.184 In einer Geltungsdauer von beinahe vierhundert Jahren wurde der gemeine Prozess zwar stetig angepasst, nie aber grundlegend reformiert. Erst im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert setze eine allmähliche rechtswissenschaftliche Durchdringung des gemeinen Rechts und damit auch des gemeinen Prozesses ein.185 So ist es beispielsweise zu erklären, dass die legale Beweistheorie, die schon ab dem 16. Jahrhundert ein fester Bestandteil des gemeinrechtlichen Beweissystems war, erst im 19. Jahrhundert einer eingehenden Überprüfung unterworfen wurde.186 1.  Das Beweisverfahren im Allgemeinen Das Beweisverfahren war für den gemeinen Prozess von zentraler Bedeutung.187 Niemand sei seiner Ehre, seines Lebens oder seines Vermögens sicher, so v. Tevenar, wenn man dem Kläger ohne Beweise Glauben schenken würde.188 Aus diesem Grund musste dem Richter der Beweis für oder gegen eine streitige Behauptung geliefert werden – iudici facienda probatio.189 S.  162 ff.; Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  11; Groß, Beweistheorie im canonischen Proceß, Bd.  1, S.  8. 182  Vgl. Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  42. Der Rechtssatz iura novit curia bezog sich nur auf das gemeine Prozessrecht (s. o.). 183  Leonhard, Beweislast, 2.  Aufl., S.  32. 184  Vgl. Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd.  1, S.  133. 185  Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  26 ff.; vgl. allgemein: Döhring, Geschichte der Deutschen Rechtspflege, S.  328 ff. 186  Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  12; Bolgiano, Handbuch des Reichs-Civil-Prozeßrechts, S.  529. Allerdings war auch schon im 17. und 18. Jahrhundert der reformierende Geist im Beweisverfahren lebendig. Rücksichtlich des schlanken, raschen und einfachen römischen Prozesses entfachte sich immer wieder Streit um eine Vereinfachung des starren und langwierigen Beweissystems des gemeinen Prozesses. Reformbemühungen scheiterten allerdings stets an der gefestigten Überzeugung, dass die legale Beweistheorie das einzig gerechte und zugleich die richterliche Willkür ausschließende Beweissystem sei. Vgl. hierzu: Leonhard, Beweislast, 2.  Aufl., S.  32 f. m. w. N. 187  v. Tevenar, Theorie der Beweise im Civilproceß, 9.  Aufl., S.  1: „bey dem Proceß kommt alles auf den Beweis an.“ 188  v. Tevenar, Theorie der Beweise im Civilproceß, 9.  Aufl., S.  1 f. 189  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  2, S.  828.

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Auch das Beweisverfahren des gemeinen Prozesses zielte im Grunde auf die Feststellung der Wahrheit durch den Richter ab.190 Aufgrund eines strukturellen Misstrauens gegenüber dem Staat und seiner Bediensteten herrschte jedoch darüber Einigkeit, dass dem Richter im Rahmen seiner Sachverhaltsfeststellung keine Freiheiten gelassen werden durften.191 Um jede Möglichkeit der richterlichen Willkür von vornherein auszuschließen, legte man dem Richter „eiserne Fesseln“192 in Gestalt von gesetzlichen Beweiserhebungs- und Beweiswürdigungsregeln an.193 Diese sollten das Entscheidungsverhalten des Richters für jeden denkbaren Einzelfall vorhersehbar, ja geradezu „berechenbar“ machen können. Hierin liegt die Geburtsstunde der legalen Beweistheorie.194 Sie diente dem alleinigen Zweck zu verhindern, „dass der Mensch im Richter zur Geltung komme“.195 Obwohl bereits im römischen Kognitionsprozess und im romanisch-kanonischen Prozess zahlreiche Beweiserhebungs- und Beweiswürdigungsregeln existierten – ebenfalls motiviert durch das Misstrauen gegenüber der Richterschaft – wurden diese doch nie in ein in sich kohärentes Beweisverfahrenssystem überführt. Die legale Beweistheorie versuchte indes, gerade dies mit aller Hartnäckigkeit zu erreichen. Freilich blieb nicht unbemerkt, dass durch die strikte Einhaltung der legalen Beweistheorie die tatsächliche Wahrheitsfeststellung auf der Strecke blieb. Beispielsweise bemerkte Möser bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert vorsichtig an, dass die legale Beweistheorie nicht zwingend der „würklichen Wahrheit“ zum Durchbruch verhelfe.196 Das sei allerdings, so Möser weiter, aus zwei Gründen hinzunehmen: Zum einen gewähre die legale Beweistheorie und mit ihr das förmliche Recht den Rechtsfrieden unter den Bürgern.197 Zum anderen schließe Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  253 f. Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd.  1, S.  132; Engelmann, Civilprozeß, Bd.  1, S.  129; Stein, Privates Wissen, S.  101. 192  Busch, AcP  37 (1854), 63, 65 f. 193  Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd.  1, S.  132. Davon, dass die legale Beweistheorie die richterliche Beweiswürdigung „ganz beherrschte“, wie dies Wach etwas überspitzt meint, kann aber sicherlich nicht angenommen werden, vgl. Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  13; Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  94 f.; Leue, Theorie des Beweises, Bd.  1, S.  13 ff. 194  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 118: „Die seitherige Beweistheorie geht von einem Mißtrauen gegen alle Menschen und alle menschlichen Dinge, die sie als Beweismittel braucht, aus.“ 195  Stein, Privates Wissen, S.  101. 196  Möser, Patriotische Phantasien, 4. Teil, S.  114: „(…); es thut im eigentlichen Verstande nichts zur Sache, ob die Bischöfe oder die Richter geirrt haben oder nicht; Ihr letzter Ausspruch verwandelt würkliches weiß in förmliches schwarz, und umgekehrt.“ 197  Möser, Patriotische Phantasien, 4. Teil, S.  114: „Denn es ist hier ein Nothrecht für die menschliche Ruhe, nach welchem nun einmal dasjenige förmliche Wahrheit und förmliches 190  191 

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die legale Beweistheorie richterliche Willkür und die damit einhergehende Gefahr des Missbrauchs gegenüber einer der Parteien aus.198 Selbst wenn ein Richter trotz (vermeintlicher) Kenntnis der Wahrheit diese aufgrund der legalen Beweistheorie seinem Urteil nicht zugrunde legen konnte, sei dies im Ergebnis besser, als wenn der Richter generell nach Maßgabe seiner inneren Überzeugung entscheiden durfte.199 Diese Grundhaltung blieb bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts unverändert.200 Der legalen Beweistheorie lag die Vorstellung zugrunde, dass auch die Tatsachenfeststellung eine Form von Rechtsanwendung darstelle. Der Beweisführer Recht seyn soll, was also dafür erklärt oder ausgesprochen worden. Der Mensch würde nimmer aufhören zu zanken; jeder würde nach seinem eigenen Begriffe handeln wollen, und es würde daraus die größte Verwirrung entstehen, wenn man sich nicht endlich weißlich darüber verstanden hätte, daß man dasjenige, was also ausgesprochen ist, für förmlisches Recht halten und befolgen wollte.“ 198  Möser, Patriotische Phantasien, 4. Teil, S.  114 f.: „Der Richter kann jeden ersten Spruch, wenn er seiner Meynung nach würklich recht ist, so fort zur Vollstreckung bringen, ohne abzuwarten, daß er die Kraft förmlichen Rechtens erreiche; (…). Alle Menschen können irren, Der König wie der Philosoph, (…). Dieserwegen haben es sich alle Nationen zur Grundfeste ihrer Freyheit und ihres Eigenthums gemacht, daß dasjenige, was ein Mensch für Recht oder Wahrheit erkennt, nie eher als Recht gelten solle, bevor es nicht das Siegel der Form erhalten.“ v. Eggers, Philosophischer Abriß, S.  180: „Da der Richter allein der ist, welchem die Ueberzeugung gegeben werden soll; damit er entscheiden könne; so müßte es eigentlich jedesmal, wenn ein Beweismittel gebracht ist, lediglich seiner reifen und scharfsichtigen Beurtheilung überlassen bleiben, für sich zu bestimmen: ob und in welchem Grade eine Beweisführung nach ihrem Zwecke ausgefallen sey oder nicht. Ohne Zweifel wäre solches der Natur des Rechtsverfahrens am angemessensten. Ohne Zweifel wäre aber eine solche Ungebundenheit, ein solches uneingeschränktes Zutrauen zu der Fähigkeit und Rechtschaffenheit jedes einzelnen Richters, welches nur dem Ideal seines Standes zugeneignet werden kann; ein unbegrenztes Feld zu den traurigsten Verwirrungen des menschlichen Verstandes und Willens in der ehrwürdigen Person des Richters; (…).“ In diesem Sinne ferner: Leue, Theorie des Beweises, Bd.  1, S.  13 ff. 199  Möser, Patriotische Phantasien, 4. Teil, S.  116 f.: „Der traurige Fall worinn ein Richter sich oft befindet, ist dieser, wenn er das würkliche Recht augenscheinlich erkennt, und es doch nicht zum förmlichen machen kann. Aber dem ungeachtet ist es besser, daß ein einzelner Mann traure, als daß man alles in Gefahr setzte; und dies würde geschehen, wenn jeder Richter dasjenige, was er für würklich Recht erkennet, sogleich als rechtskräftig annehmen könnte. Jeder Mensch hat das mit denkbarem Herzen zu erkennen, daß man das förmliche dem würklichen vorziehe, wenn beydes sich nicht zusammenfindet; und diejenigen versündigen sich an der Menschheit, welche entweder diese Form ganz ausschliessen, oder unnatürlich verkürzen und erschweren wollen.“ 200  Vgl. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  254 ff.; v. Tevenar, Theorie der Beweise im Civilproceß, 9.  Aufl., S.  180 ff.; Gmelin, Ueber die Beweiskraft eines Zeugen, S.  5; E. Schneider, Lehre vom rechtlichen Beweise, S.  1 ff.; Gensler, AcP  1 (1818), 26, 30 ff.; Collmann, Grundlinien einer Theorie des Beweises, S.  124; v. Bethmann-Hollweg, Grundriss zu Vorlesungen, Einleitung S.  19 f.; A. Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß, 3.  Aufl., S.  5; Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl.,

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müsse bereits vor der Beweisführung in der Lage sein, anhand der geltenden Beweisregeln den Ausgang der Beweisaufnahme absehen zu können. Überließe man dagegen die Tatsachenfeststellung dem Richter, so erfolge sie zufällig und unverlässlich.201 Gmelin fasste die Tatsachenfeststellung nach Maßgabe der legalen Beweistheorie folgendermaßen zusammen: „Vollständig bewiesen, heißt also, über die Wahrheit eines widersprochenen Thatumstandes, wovon die Entscheidung eines im Streit liegenden Rechts abhängt, bey dem Richter durch Vorlegung in den Gesetzen gebilligter Merkmale der Wahrheit, denjenigen Grad von Gewißheit hervorbringen, welchen die Gesetze zu einer rechtlichen Wahrheit erfordern.“202

Das strikte Beachten der legalen Beweistheorie gehörte zum Kernbereich richterlicher Rechtsprechung. Der Richter wurde seiner Aufgabe gerecht, wenn er „die Realisirung des anerkannten, vom Staate garantierten Rechts des Siegers“ gewährleistete.203 Vor diesem Hintergrund lässt sich der folgende Schluss ziehen: Das gemeine Beweisverfahren beruhte, wie der gemeine Prozess überhaupt, auf dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. Die Parteien hatten das Recht und die Pflicht, den relevanten Tatsachenstoff in den Prozess einzuführen und, falls nötig, den erforderlichen Beweis zu führen.204 Wie schon dem romanisch-kanonischen Beweisverfahren (s. o.), lag auch dem gemeinen Beweisverfahren die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip zugrunde.205 2.  Die richterliche Beweiserhebung Die strukturelle Nähe des gemeinen Beweisverfahrens zum romanisch-kanonischen Beweisverfahren ist nicht von der Hand zu weisen. Stellte sich für das romanisch-kanonische Beweisverfahren bereits heraus, dass ihm nach Maßgabe S.  297; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  190; Fitting, Haupt- und Gegenbeweis, S.  7; Rau, AcP  38 (1855), 203, 205. 201  Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  23. 202  Gmelin, Ueber die Beweiskraft eines Zeugen, S.  7. 203  Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 5.  Aufl., S.  175. 204  Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 5.  Aufl., S.  100 f.: „Da jeder Bürger über seine Rechte nach freyer Willkühr zu schalten befugt ist und jeder sein Recht, sey es nun ganz oder zum Theile, aufopfern darf, so folgt, dass der Staat nur dasjenige jedem zu schützen habe, was dieser auch wirklich als das Seine anerkennt, und in Ansehung dessen er Schutz von dem Staate verlangt. Der Endzweck des gerichten Verfahrens erhält hierdurch die genauere Bestimmung: (…) Es giebt daher kein Verfahren von Amtswegen, keinen absoluten Zwang gegen die Parthieen zur Rechtsvertheidigung. Die ganze Entwicklung unsers Processes in allen seinen Formen ist eine (…) consequente Exposition dieser Grundsätze.“ 205  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  183; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  44: „Die Verhandlungsmaxime beherrscht gemeinrechtlich auch das Beweisverfahren.“ Zum Begriff: Teil 1, B.I.2.a)aa).

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des Prinzips der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zugrunde lag,206 gilt es nunmehr zu untersuchen, ob das gemeine Beweisverfahren auch in dieser Hinsicht mit dem romanisch-kanonischen Beweisverfahren übereinstimmt. Beweisbedürftig waren grundsätzlich alle streitigen207 und zugleich streitentscheidenden208 Tatsachen. Nicht beweisbedürftig hingegen waren notorische Tatsachen209 und Rechtssätze.210 Die Beweisführung begann mit dem Beweisantritt. Hierzu hatte der Beweisführer das gewünschte Beweismittel dem Richter in einer Weise zu präsentierten, dass dieser in der Lage war, dessen gesetzliche Zulässigkeit überprüfen zu können.211 Die Beweismittelprüfung fand im sog. Productionsverfahren (auch: Präliminarverfahren212) statt.213 Erst im Anschluss an das Productionsverfahren begann die eigentliche Beweisaufnahme (auch: Productionstermin214), in deren Rahmen die Beweismittel dem Richter inhaltlich präsentiert wurden. 206 

Teil 1,A.II.3. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  259. Eine streitige Tatsache konnte von den Parteien bis zum Schluss der Verhandlung als zutreffend eingeräumt werden. 208 Dazu A. Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß, 3.  Aufl., S.  19 f.: „Ist es dem Richter nach den Akten und den Rechnungen schon einleuchtend, daß der Beweis ganz überflüssig sey, so muß er jeden Antrag auf färmlcihe Einleitung desselben verwerfen.“ 209  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  259 f.; A. Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß, 3.  Aufl., 24 ff.; Gesterding, Nachforschungen über verschiedene Rechtsmaterien, Bd.  2, S.  351 ff.; Langenbeck, Beweisführung, Bd.  1, S.  150 ff.; Schmid, Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses, Bd.  2, S.  209 ff. Fitting, Haupt- und Gegenbeweis, S.  28, meint dagegen, dass darüber hinaus eine Beweisführung dann nicht erforderlich ist, wenn genügender Beweis schon durch die anticipierte Beweisführung erbracht worden ist. Damit gemeint ist aber allein der zu führende Hauptbeweis, nicht aber der gleichwohl mögliche Gegenbeweis, vgl. Fitting, Haupt- und Gegenbeweis, S.  78 f. 210  Der Grundsatz „iura novit curia“ galt auch im gemeinen Prozessrecht. Vgl. Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  178; G. Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd.  2, S.  176; A. Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß, 3.  Aufl., S.  11 f. 211  Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  318; Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  307 ff.; Schmid, Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses, Bd.  2, S.  192 ff.; Martin, Referiren über Rechtsssachen, 3.  Aufl., S.  49 ff.; ders., Lehrbuch des bürgerlichen Processes, S.  340; Danz/Gönner, Grundsätze des ordentlichen Prozesses, 5.  Aufl., S.  425; Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 5.  Aufl., S.  288. 212  Danz/Gönner, Grundsätze des ordentlichen Prozesses, 5.  Aufl., S.  424; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  2, S.  835. 213  Schneider, Lehre vom rechtlichen Beweise, S.  249 ff.; Gmelin, Ueber die Beweiskraft eines Zeugen, S.  19. 214  Danz/Gönner, Grundsätze des ordentlichen Prozesses, 5.  Aufl., S.  424; Grolmann, Theo­rie des gerichtlichen Verfahrens, S.  299 ff. 207 

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Unter der strikten Geltung der Verhandlungsmaxime oblag die Beweisführung ausschließlich den Parteien.215 Eine Beweiserhebung von Amts wegen stellte einen schwerwiegenden Eingriff in die Verfahrensherrschaft der Parteien dar und war deshalb unzulässig.216 Die konsequente Durchführung der Verhandlungsmaxime „in allen Theilen des gerichtlichen Verfahrens“ bedingt die völlige Passivität des Richters.217 Der sich im romanisch-kanonischen Beweisverfahren herausgebildete Rechtssatz des iudex secundum allegata et probata iudicare debet behielt seine Geltung im gemeinen Beweisverfahren.218 Um einerseits diese Form der Aufgabenverteilung zwischen Parteien und Richter sicherzustellen, andererseits dem Richter aber in einem geringen Umfang eine effektive Prozessleitung zu ermöglichen, ging dem Beweisverfahren ein richterliches Beweisinterlokut voraus.219 Dabei handelte es sich nicht nur um einen unverbindlichen Beweisbeschluss, sondern um ein der Rechtskraft fähiges, verbindliches „Zwischenurteil“. Der Richter entschied im Rahmen des Beweisinterlokuts darüber, wer (Beweislast) was (Beweissatz) und innerhalb welcher Zeit (Beweisfrist) zu beweisen hatte.220 Dagegen blieb es den Parteien auch nach Erlass eines Beweisinterlokuts völlig freigestellt, ob und womit sie den ihnen auferlegten Beweis führen wollten.221 Der Richter konnte somit durch das Beweisinterlokut auf die Beweisführung in personeller, inhaltlicher und zeitlicher, nicht aber in gegenständlicher Hinsicht Einfluss nehmen. Soweit die beweisbelastete Partei rechtzeitig mittels eines von ihr frei gewählten Beweismittels das gerichtlich vorgegebene Beweisthema unter Beweis stellen wollte, durfte sie den Beweis producieren. Vor diesem Hintergrund war der einzig denkbare Ort, an dem eine Beweisführung vor ihrer eigentlichen Erhebung durch richterliches Dekret hätte verhindert werden können, das Productionsverfahren. Um der richterlichen Willkür von Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 104 f.; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  44. 216  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  183. Dem steht nicht entgegen, dass trotz der Strenge, in der die Verhandlungsmaxime im gemeinen Prozess Geltung beanspruchte, eine Verhandlungsmaxime in Reinform nie existierte. So waren laut Muther „hie und da officielle Eingriffe des Richters“ durchaus anerkannt, vgl. Muther, KritV 9 (1865), 329, 358. 217  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  185; Puchta, Prozeßleitungsamt, S.  62 und 129. 218  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  45. 219  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  302; zum Begriff der „Beweisantizipation“, Teil 3, A. 220  Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  302; Rau, AcP  38 (1855), 203, 207. 221  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  308 und S.  340. Dies galt sowohl für den auferlegten Beweis, als auch für den Gegenbeweis. Vgl. auch: Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  315; Martin, Lehrbuch des bürgerlichen Processes, 12.  Aufl., S.  343. 215 

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vornherein keinen Raum zu geben, entwickelte das gemeine Prozessrecht einen bunten Strauß an Regelungen, die die Zulässigkeit und Geeignetheit der jeweiligen Beweismittel verbindlich regelten.222 Konnte im Rahmen des Productionsverfahrens kein gesetzlicher Beweisablehnungsgrund identifiziert werden, bedeutete dies für den Richter, dass er die Beweisführung vollends zulassen musste.223 Idealtypisch diente der Katalog über die Zulässigkeit der einzelnen Beweismittel dazu, der uneingeschränkten Beweisführungsbefugnis und der da-

222  Für den Zeugenbeweis: Das Gesetz bestimmte, aufgrund welcher physischen oder moralischen Eigenschaften ein Zeuge „keine richtige Wahrnehmung“ machen konnte, sog. testes inhabiles. „Unfähig“ zum Zeugnis war eine Person, die physisch oder moralisch nicht in der Lage war, eine richtige Beobachtung zu machen. Zu ihnen gehörten unter anderem: Wahnsinnige und Geisteskranke (auch: „Rasende“ und „Blödsinnige“), Blinde und Taube in gewisser Weise, Bestochene oder wegen eines Meineids bereits überführte. Dagegen waren lediglich verdächtige Zeugen vom Beweis nicht von vornherein ausgeschlossen, sog. testes suspecti. „Verdächtig“ war eine Person, gegen deren Wahrnehmungsmöglichkeit oder Glaubwürdigkeit gewisse Zweifel bestanden. Zu ihnen gehörten unter anderem: Trunkenbolde, Geschwister und andere Verwandte, Diener, Vertraute und Freunde, Feinde des Prozessgegners, Verbrecher oder Interessierte, d. h. solche, die durch den Ausgang des Rechtsstreits einen Vor- oder Nachteil erleiden. Vgl. Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  331 ff.; Schmid, Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses, Bd.  2, S.  241 ff.; Martin, Lehrbuch des bürgerlichen Processes, 12.  Aufl., S.  359 ff.; Langenbeck, Beweisführung, Bd.  3, S.  463 ff., 488 ff.; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  206 f.; Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 5.  Aufl., S.  125 ff.; Gmelin, Ueber die Beweiskraft eines Zeugen, S.  13; Heffter, Civil-Proceß, S.  165 ff. Für den Urkundenbeweis: Eine Urkunde war unter anderem dann von der Beweiserhebung ausgeschlossen, wenn ihre äußere Beschaffenheit sie völlig wertlos machte, vgl. Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  253, 362. Für den Augenscheinbeweis: Eine Inaugenscheinnahme konnte nur abgelehnt werden, wenn das Gericht hierdurch keine juristische Erkenntnis über die im Streit befindliche Tatsache erhalten konnte oder wenn der Beweisantritt an sonstigen formellen Mängeln litt. Vgl. Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  371. Für den Sachverständigenbeweis: Der Sachverständigenbeweis konnte aus den gleichen Gründen abgelehnt werden, wie der Zeugenbeweis. Auf ihn finden die Regelungen zum Zeugenbeweis entsprechende Anwendung. Dies betrifft insbesondere die Frage der Befangenheit des Sachverständigen. Vgl. Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  374 f.; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  2, S.  845 ff.; a. A.: Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, S.  121, der auf den Sachverständigenbeweis die Verwerfungsgründe anwenden will, die für einen befangenen Richter gelten. Für den Eid: Die Beweisführung durch Eid konnte nur aus formellen Gründen abgelehnt werden. Die Glaubwürdigkeit der Parteien durfte vorab nicht in Frage gestellt werden. Vgl. Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  315 ff., 377 ff. 223  Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, S.  296; Im Einzelnen: Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  2, S.  839 ff. Nach Bähr hätte man hierunter eine schwerwiegende Rechtsverletzung oder gar einen Nichtigkeitsgrund verstanden, vgl. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

mit einhergehenden richterlichen Beweiserhebungspflicht Grenzen zu ziehen, ohne die Parteien der Willkür des Richters aussetzen zu müssen.224 3. Ergebnis Die Sachverhaltsfeststellung im gemeinrechtlichen Beweisverfahren erfolgte nach Maßgabe des Prinzips der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. Wie schon in den römischen Kognitionsprozessen der Spätzeit und im romanischkanonischen Prozess durfte der Richter einen Beweisantrag nicht ohne Weiteres ablehnen, soweit die Beweisführung an sich zulässig war. Das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung führte auch im gemeinen Prozessrecht dazu, dass der Richter grundsätzlich zur Beweiserhebung verpflichtet war. Eine Beweisablehnung aufgrund erwarteter Erfolglosigkeit der Beweisführung kam, soweit der Richter nach Maßgabe der legalen Beweistheorie überhaupt Beweise zu würdigen hatte, nicht in Betracht. Hierdurch bestätigt sich einmal mehr die oben aufgestellte These, wonach ein innerer Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung, dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung besteht. Diese Annahme wird ferner mit Blick auf das Preußische Gerichtsverfahren des ausgehenden 18. Jahrhunderts bestätigt. Das Preußische Beweisverfahren beruhte auf dem Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung.225 224  Engelmann, Civilprozeß, Bd.  1, S.  128: „Diese Theorie (legale Beweistheorie) würde in voller Reinheit auftreten, wenn sie dem richterlichen Ermessen gar nichts überließe.“ 225  Auf persönlichen Wunsch Fridrich des Großen sollte zur Verbesserung des Justizwesens „der Richter künftig die Partheyen mit ihrer Klage und Verantwortung selber höre, ihre Erzählungen und mitzubringenden Beweisthümer gegeneinanderhalten, und so den wahren Zusammenhang der Sache, welche zu dem Rechtsstreit Anlaß gegeben, erurieren.“, Erstes Buch, Corp. Jur. Frid., XII. Diesem Wunsch setzte sich der Corpus Iuris Fridericianum Einleitung aus dem Jahr 1781 unter anderem folgende Ziele: „I. Die Untersuchung des Facti soll von dem Richter unmittelbar und hauptsächlich besorgt werden; und dieser soll schuldig sowohl als befugt seyn, alle an sich erlaubte und der Sache gemäße Mittel zur Erforschung der Wahrheit anzuwenden. (…) V. Da der Richter die Wahrheit von Amts wegen aufzusuchen schuldig ist, so darf er sich an die von den Partheyen angegebenen Mittel, zu deren Erforschung nicht schlechterdings binden; sondern er ist berechtigt, wen aus dem Zusammenhange der Sache sich ergiebt, daß deren noch mehrere, oder andre, wodurch ein helleres Kicht über das Factum vorbereitet werden könnte, vorhanden sind, solchen auch ohne besondre Anregung der Partheyen nachzugehn, und davon den erforderlichen Gebrauch zu machen“, Erstes Buch, Corp. Jur. Frid., XX III und XXIV f. Die ausschließliche Beweisführung durch die Parteien, die dem Gericht eine eigenständige Wahrheitsfeststellung mittel eigenständiger Beweiserhebungsbefugnis verbietet, bezeichnete man in der Vorrede zum Corpus Iuris Fridericianum als ein „Landverderbliches Uebel“, Erstes Buch, Corp. Jur. Frid., XX II. Dass dem Corpus Iuris Fridericianum die Untersuchungsmaxime zugrunde liegt, wird an den unterschiedlichsten Stellen

A.  Rechtshistorischer Kontext

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Gönner entwickelte daran angelehnt den Begriff der Untersuchungsmaxime: Der Richter hatte das Recht und die Pflicht, den „wahren“ Sachverhalt zu erforschen.226 Er war nicht an den Beweisantritt der Parteien gebunden, sondern hatte das Recht, „andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit, selbst ohne ausdrückliches Verlangen der Parteien, anzuwenden. (…) Der Richter muß die Instruction des Prozesses (Untersuchung) so lange fortsetzen, bis der Grund oder Ungrund aller dabei vorkommenden erheblichen Thatsachen hinreichend ins Licht gesetzt, oder doch alle dazu vorhandene Mittel erschöpft sind.“227 Demzufolge gilt der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht, wenn dem Beweisverfahren das Strukturprinzip der Untersuchungsmaxime zugrunde liegt, das Ausdruck des Prinzips der Richterherrschaft und Richterverantwortung ist.228 Die gleiche Beobachtung lässt sich bei der (Reichs-)‌Strafprozessordnung aus dem Jahr 1877 machen. Auch ihr lag die Untersuchungsmaxime als Strukturprinzip zugrunde, und auch bei ihr sollte der Richter ursprünglich nicht dazu verpflichtet sein, einer Beweisführung des Angeklagten oder der Staatsanwaltschaft grundsätzlich stattzugeben.229

V. Gesamtergebnis Der kursorische Gang durch die Beweisverfahren des römischen, romanisch-kanonischen, altdeutschen und gemeinen Prozesses hat gezeigt, dass ein innerer erkennbar, vgl. nur: §  1 Zehnter Titel, Erster Theil, Erstes Buch, Corp. Jur. Frid.: „Der Deputirte des Gerichts, welchem die fernere Instruktion der Sache aufgetragen ist, muß solche in dem anberaumten Termin, mit Zuziehung der Aßistenräthe, durch vollständige Auseinandersetzung des Facti, Regulirung des Status controversiae und Aufnehmung der Beweise, zu erreichen bemüth seyn, wobey zugleich die Sühne unter den Partheyen alles Ernstes versucht werden muß.“; §  2 Zehnter Titel, Erster Theil, Erstes Buch, Corp. Jur. Frid.: „Alles was zu dieser Instruktion erforderlich, ist der Deputatus Collegii ex officio zu verfügen berechtigt; und die Par­ theyen müssen seinen Anweisungen Folge leisten.“ Zu der Entstehungsgeschichte der Preußischen Zivilprozessordnung: Frantz, Der Preußische Civil-Prozeß, S.  1 ff. 226  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  194 f. m. w. N.; Mittermaier, AcP  2 (1819), 169, 182 f. 227  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  197. 228  Vgl. C. Koch, Das Preußische Civilprozeßrecht, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  252: „Die Preußische Gesetzgebung hatte die Verfügungsbefugniß der Parteien aus Gründen des öffentlichen Wohls und daraus abgeleiteter vormundschaftlicher Vorsorge erheblich beschränkt und in demselben Maße die richterliche Thätigkeit erweitert, durch den Grundsatz: daß der einmal angerufene Richter schuldig und befugt sei, den Grund oder Ungrund der in einem Prozesse vorgekommenen Thatsachen selbst und unmittelbar zu untersuchen, sich dabei an die Angabe der Partei nicht zu binden, sondern auch andere Mittel, die aus dem Vortrage der Parteien und aus dem Zusammenhange ihrer Verhandlungen sich ergeben, zur Erforschung der Wahrheit, selbst ohne Verlangen der Parteien, anzuwenden.“ 229  Teil 1, B.I.2.b)bb).

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung und dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung besteht. Das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung wurde ab dem frühen 19. Jahrhundert auch „Verhandlungsmaxime“ bezeichnet.230 Soweit in der jeweiligen Prozessform den Parteien die Herrschaft über und die Verantwortung für die richterliche Tatsachenfeststellung übertragen wurde, war ein mehr oder weniger ausgeprägtes Misstrauen der Rechtsgemeinschaft gegenüber dem Staat und seinen Bediensteten (Richtern) hierfür ausschlaggebend. Misstrauen gegenüber Richtern führte zu Akzeptanzverlust richterlicher Entscheidungen und damit wieder zu gesellschaftlichem Unfrieden. Um die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen trotz des den Richtern entgegengebrachten Misstrauens zu steigern, übertrug man den Parteien zusehends die Herrschaft über den Prozessgang und die Verantwortung für die richterliche Tatsachenfeststellung. In struktureller Hinsicht bedeutet das Folgendes: Das Beweisverfahren hat zwei verschiedene Ebenen, die Beweiserhebung und die Beweiswürdigung. Auf beiden Ebenen kommt entweder das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung (auch: „Verhandlungsmaxime“) oder das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung (auch: „Untersuchungsmaxime“) zur Geltung. Auf der Ebene der Beweiserhebung führt das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und zum Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Umgekehrt führt das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung zum Grundsatz der freien richterlichen Beweiserhebung und Beweisablehnung. Auf der Ebene der Beweiswürdigung führt das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zu einer dem Richter von Gesetzes wegen vorgeschriebenen Beweiswürdigungspflicht. Das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung führt hingegen zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Walter beschreibt die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung in der Allegorie einer „Sinuskurve“.231 Ihm ist Recht zu geben. Dieses Bild lässt sich jedoch mit Blick auf die hier gewonnenen Erkenntnisse folgendermaßen vervollständigen: Sinusartig war nicht nur die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung, sondern auch, und zwar gleichförmig, die des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiserhebung und Beweisablehnung. Beide Grundsätze basieren auf dem Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung, dem – theoretischen – Hochpunkt jener Sinuskurve. Den – ebenfalls theoretischen – Tiefpunkt eben dieser Sinuskurve mar230 

Zum Begriff: Teil 1, B.I.2.a)aa). Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  84 f. Walter spricht davon, dass die „Tief- und Höhepunkte der freien richterlichen Beweiswürdigung unmittelbar mit der Wertschätzung des Richters und seiner vernünftigen und unabhängigen Rechtsprechung zusammenhängen.“ 231 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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kiert das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung mit den eben genannten Konsequenzen für das zivilprozessuale Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung und -würdigung. An diesem Tiefpunkt der Sinuskurve ist somit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in seiner reinsten Form anzutreffen. Dementsprechend lässt sich ein innerer Zusammenhang zwischen der Geltung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung auf der Ebene der Beweiserhebung im zivilprozessualen Beweisverfahren und dem Misstrauen der Rechtsgemeinschaft in die Richterschaft und dem damit einhergehenden Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung herstellen. Die Geschichte lehrt, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und das mit ihm korrespondierende Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung weder eine zivilisatorische Selbstverständlichkeit sind, noch ihnen eine naturgesetzliche Ewigkeitsklausel innewohnt. Soweit Habscheid  232 und Diakonis233 etwas anderes behaupten, kann ihnen nicht gefolgt werden. Die eingangs aufgestellte These, wonach das innerprozessuale Kräfteverhältnis zwischen Parteien und Richter im Laufe der Geschichte keineswegs konstant geblieben ist, sondern sich vielmehr danach richtete, wie ausgeprägt das Vertrauen oder Misstrauen der Rechtsgemeinschaft in die Richterschaft war,234 hat sich damit bestätigt.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung Im Hinblick auf das zivilprozessuale Beweisverfahren besteht in einem Punkt in der deutschen Rechtsprechung und Literatur Einigkeit:235 Der Richter ist im Habscheid, SJZ 1984, 381, 387. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45. 234  Teil 1, A.I. 235  Statt vieler: Schönke, in: FS Rosenberg, S.  217; Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 178 ff.; ders, Beweis und Beweiswürdigung, Rn.  211: „Ist ein ordnungsgemäßer Beweisantrag zu beweisbedürftigen Behauptungen gestellt worden, dann muß ihm entsprochen werden. Das ist der Grundsatz.“; ders., MDR 1998, 997, 998 f.; Teplitzky, JuS, 1968, 71, 75 f.; ders., DRiZ 1970, 280; Peters, Ausforschungsbeweis, S.  5; Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  72 ff.; ders., MDR 1988, 363; Gamp, Ablehnung von Beweisanträgen, S.  1; Störmer, JuS 1994, 238, 240; Holzinger, Beweisverwertungsverbote bei mitbestimmungswidrig erlangten Beweisen, S.  22 f.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  27; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284 Rn.  14; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, §  284 Rn.  53; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 232  233 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Grundsatz verpflichtet, einer ordnungsgemäß beantragten Beweisführung stattzugeben und die vorgebrachten Beweise zu erheben. Umgekehrt ist er nicht berechtigt, das Ergebnis der Beweiswürdigung vorwegzunehmen. In der Zivilprozessordnung ist der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht (auch: „Beweiserschöpfungspflicht“236) jedoch an keiner Stelle ausdrücklich niedergelegt.237 Gleiches gilt für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Das wirft die Frage auf, womit sich Grundsatz und Verbot normativ begründen lassen. In Unkenntnis über den eigentlichen historischen Ursprung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht, schufen Rechtsprechung und Literatur eigenständige Erklärungsmodelle, die mit den gesetzlichen Vorgaben der Zivilprozessordnung nahezu nicht in Einklang zu bringen sind. Sie hatten zur Folge, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht einer schleichenden Konstitutionalisierung (auch: „verfassungsrechtlichen Hochzonung“) ausgesetzt wurde.238 Aus heutiger Sicht ist daher nicht mehr erkennbar, ob es sich bei dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht noch um ein verfahrensrechtliches oder schon um ein rein verfassungsrechtliches Institut handelt. Die richtige dogmatische Anknüpfung jenes Grundsatzes ist nicht nur von entscheidender Bedeutung dafür, wem dessen Deutungshoheit zufällt, den Fachgerichten oder dem Bundesverfassungsgericht. Sie spielt auch eine entscheidende Rolle für die Frage, welche rechtliche Qualität das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung hat – verfahrensrechtliche oder verfassungsrechtliche. Im Folgenden gilt es zunächst zu klären, warum die Zivilprozessordnung keine Regelung enthält, die entweder das Gericht verpflichtet, beantragte Beweise 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: BGH, Urt. v. 21.06.1951 – IV. ZR 66/50, JZ 1951, 643; BGH, Urt. v. 04.12.1961 – III ZR 179/60, VersR 1962, 177, 178; BGH, Urt. v. 18.01.1962 – III ZR 155/60, DRiZ 1962, 167 f.; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245 ff. („Anastasia“); BGH, Beschl. v. 23.04.2015 – V ZR 200/14, IBR 2015, 462. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 36; BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW  2003, 1655; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. 236  Strack, SDJZ 1949, 830, 831; Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  447. 237  Dies galt im Übrigen auch für §  282 Abs.  1 ZPO in der Fassung vor der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (vgl. Art.  1 Nr.  28 G. v. 03.12.1976, BGBl.  I. 1976, 3281, 3285). §  282 Abs.  1 ZPO i. d. F. vom 12. September 1950, BGBl.  I 1950, 455, 560 lautete: „Jede Partei hat unter Bezeichnung der Beweismittel, deren sie sich zum Nachweise oder zur Widerlegung thatsächlicher Behauptungen bedienen will, den Beweis anzutreten und über die von der Gegenpartei angegebenen Beweismittel sich zu erklären.“ 238  Teil 1, B.V.2.c).

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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zu erheben, oder es ihm umgekehrt verbietet, das Ergebnis der Beweiswürdigung vorwegzunehmen, wobei freilich beide Anordnungen einander im Wesentlichen entsprechen (I.) Hierfür kann bei der Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien der Zivilprozessordnung nicht stehen geblieben werden. Diese allein erweisen sich gerade im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand als völlig unergiebig. Aufschluss über die Frage, warum weder der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, noch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in das Gesetz Einzug gefunden haben, erhält man erst, wenn man das Quellenmaterial, auf dem die gesetzgeberischen Erwägungen beruhen, mit in den Blick nimmt. Im Anschluss daran wird der Frage nachgegangen, worin die Ursache liegt, dass die Rechtsprechung heute einhellig von der Geltung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht und der des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung ausgeht (II.). Auch hierzu muss die Untersuchung im ausgehenden 19. Jahrhundert ansetzen, will man sich nicht mit einer lediglich vorgeschobenen Antwort zufriedengeben. Auf der Grundlage der aus der Rechtsprechungsanalyse gewonnenen Erkenntnisse soll in einem letzten Schritt untersucht werden, welchen Standpunkt die Literatur im Zusammenhang mit dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und der vorweggenommenen Beweiswürdigung bezieht, und insbesondere, wie sie diesen normativ begründet (III.). Die Untersuchung endet mit einer eingehenden Stellungnahme, im Rahmen derer es gelingen soll, das dogmatische Fundament des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht als Ausgangspunkt für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung ins rechte Licht zu rücken. Dazu wird der hier vertretene Standpunkt mit dem bestehenden Meinungsbild abgeglichen und kritisch hinterfragt. Die Stellungnahme endet mit einem kursorischen Überblick über die praktischen Konsequenzen des hier vertretenen Standpunkts in Ansehung der verfahrensrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeit des Beweisführers.

I.  Der Standpunkt des historischen Gesetzgebers Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht lässt sich, im Gegensatz zur Strafprozessordnung (§  244 Abs.  6 StPO) und zur Verwaltungsgerichtsordnung (§  86 Abs.  2 VwGO), nicht unmittelbar aus der Zivilprozessordnung ableiten, obwohl er, wie bereits erwähnt, dort gleichermaßen gelten soll. Der Grund hierfür liegt nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Zivilprozessrechtswissenschaft völlig im Dunklen. Aus der Perspektive des Gesetzgebers kann es hierfür nur einen der folgenden drei logischen Gründe geben: Der Gesetzgeber wollte entweder, dass jener Grundsatz gilt, hat ihn aber aus Versehen nicht gesetzlich festgeschrieben. Das ließe Raum eine etwaige planwidrige Regelungslücke im

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Wege der Gesetzesanalogie zu schließen. Oder aber, der Gesetzgeber wollte, dass jener Grundsatz gilt, hat dies aber für derart selbstverständlich gehalten, dass er bewusst auf eine gesetzliche Regelung verzichtet hat. Dann ergäbe sich der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht aus einer konkreten Norm, sondern aus der Zivilprozessordnung als solcher. Und schließlich wäre denkbar, dass der Gesetzgeber schlicht nicht wollte, dass jener Grundsatz gilt und hat ihn deshalb ganz bewusst nicht ins Gesetz aufgenommen. Diese Vorüberlegungen mögen auf Anhieb recht banal klingen. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass die bisherigen ohnehin nicht zahlreichen239 Untersuchungen zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht sich mit der Entstehungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien der Zivilprozessordnung in dieser Hinsicht nicht auseinandergesetzt haben.240 Das fehlende Verständnis über die Vorstellungen und Ziele des historischen Gesetzgebers hat, wenn man den Gesetzgeberwillen ernst nimmt, zu ganz überraschenden Schlussfolgerungen geführt. Es wird sich zeigen, dass in §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO nicht – wie heute ganz herrschend angenommen – der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, sondern umgekehrt der Grundsatz der freien Beweisablehnung niedergelegt ist. Der Richter war gerade nicht verpflichtet, einer beantragten Beweisaufnahme grundsätzlich stattgeben zu müssen. Sie war ihm vielmehr freigestellt. Der Wortlaut des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO bezeugt dies noch heute: Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer (nur) etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Das Gericht war somit berechtigt, sich eine Überzeugung über die Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen Tatsachenbehauptung auch allein unter Berücksichtigung des Inhalts der Verhandlungen zu bilden. Das Gericht war weder verpflichtet, einer beantragten Beweisaufnahme stattzugeben noch musste es – anders als heute – für den Fall, dass die beweisbelastete Partei keinen Beweis für ihre bestrittene Behauptung anbot, nach Maßgabe der nicht gerecht gewordenen Beweislast entscheiden. Dementsprechend ist, was im Einzelnen noch nachzuweisen ist, in §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO nicht der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und das Verbot der vorweggenommenen BeweiswürdiProminent zu nennen sind: Strack, SJZ 1949, 830, 831; Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  72 ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  295 ff.; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307 f. 240  Dabei ist es kein Geheimnis, dass die historische Auslegung eines Gesetzes eminent wichtig ist für die Gesetzesinterpretation. Deshalb ist Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  17 nur beizupflichten, wenn er auf die Gefahr hinweist, dass ohne die historische Auslegung ein jeder „seine eigene Elle anlegt und so zu gänzlich anderen Ergebnissen als sonstige Beurteiler gelangt.“ 239 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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gung, sondern umgekehrt der Grundsatz der freien richterlichen Beweisaufnahme und Beweisablehnung enthalten. §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO gestattet mithin eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Dass sich gleichwohl der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und mit ihm das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung im zivilprozessualen Beweisverfahren durchsetzen konnte, hat im wesentlichen folgenden Grund: Die Zivilprozessordnung erweist sich im Hinblick auf die Rollenverteilung zwischen Parteien und Richter im Rahmen der Beweiserhebung als inkohärent. Diese Widersprüchlichkeit löste das Reichsgericht auf, indem es für die zivilprozessuale Beweisaufnahme das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung als maßgeblich ansah. Der eigentliche Normgehalt des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO wurde dadurch – entgegen der gesetzgeberischen Intention und dem eigentlichen Wortlaut – in sein Gegenteil verkehrt. Als Folge war die vorweggenommene Beweiswürdigung verboten. 1.  Der Grundsatz der freien Beweisablehnung Der Gesetzgeber gibt im Rahmen der Entstehungsgeschichte zur Zivilprozessordnung an zwei unterschiedlichen Stellen darüber Aufschluss, aus welchen Gründen er von der Aufnahme des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht ins Gesetz abgesehen hat: Zum einen in der Begründung zum Entwurfstext des §  249 ZPO-E (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) und zum anderen in der Begründung und der darauf beruhenden parlamentarischen Debatte zum Entwurfstext des §  419 ZPO-E (Der von Amts wegen auferlegte Eid). Insbesondere im Rahmen jener parlamentarischen Debatte entbrannte ein heftiger Streit über die Frage, ob man dem Richter die Befugnis einräumen sollte, eine beantragte Beweisführung nach freiem Ermessen ablehnen zu dürfen, etwa, weil er ihr keinen Erkenntnisgewinn beimaß (Grundsatz der freien Beweisablehnung), oder ob man ihn umgekehrt verpflichten sollte, eine beantragte Beweisführung im Grundsatz erheben zu müssen (Grundsatz der richterlichen Be­weis­ erhe­bungspflicht). Dass sich die Zivilprozessordnung bis heute nicht ausdrücklich für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ausspricht, hat den einfachen Grund, dass sich das Lager derer, die sich für den Grundsatz der freien Beweisablehnung aussprachen, im Ergebnis durchsetzen konnte. Dieses historische Vermächtnis ist bis heute Bestandteil der Zivilprozessordnung und kommt durch das Wort „etwaigen“ in §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) und in §  419 ZPO-E (≈ §  448 ZPO) zum Ausdruck. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur schwer vertretbar, sondern schlicht falsch, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO ableiten zu wollen. Dort ist

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

das exakte Gegenteil verankert – der Grundsatz der freien Beweisablehnung. Hierauf wird zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen sein.241 a)  Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E Die ursprüngliche Textfassung des §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E entspricht im Wesentlichen der des heutigen §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO: „Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesammten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Ueberzeugung zu entscheiden, ob eine thatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.“242

Der Gesetzgeber begründete die Textfassung des Entwurfs und insbesondere die Wendung „etwaigen Beweisaufnahme“ damit, dass das Gericht befugt sein soll, allein anhand des Ergebnisses der Sachverhandlung und mittels Schlussfolgerung aus anderen unbestrittenen Tatsachen feststellen zu dürfen, ob eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr oder unwahr zu erachten sei.243 Die Durchführung einer Beweisaufnahme war keineswegs zwingend („ohne Beweiserhebung“).244 Der Gesetzgeber begründete seinen Standpunkt damit, dass jede gesetzliche Vorgabe im Rahmen der Tatsachenfeststellung dem höheren Zweck des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung zuwiderlaufen könnte. Denn oberstes Ziel müsse es bleiben, den Richter von seinen „gesetzlichen Fesseln“, die ihm die legale Beweistheorie angelegt hatte, zu befreien.245 Der Richter sollte daher nicht nur Beweise nach ihrer Erhebung frei würdigen dürfen. Er sollte gleichermaßen Beweise vor ihrer Erhebung frei ablehnen dürfen. „Diese sehr freie Stellung kann dem deutschen Richter im Vertrauen auf dessen Bildung, Integrität und unabhängige Stellung unbedenklich gewährt werden.“246 Mit Blick auf die im Rahmen der rechtshistorischen Untersuchung zu Tage getretenen Erkenntnisse, überraschen die Erwägungen des Gesetzgebers nicht. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist, wie auch der Grundsatz der freien Beweisablehnung, eine Folge des Prinzips der Richterherrschaft und Richterverantwortung bei der Sachverhaltsaufklärung und -feststellung. Die vom Gesetzgeber erwogene Parallelität zwischen der Ebene der Beweiserhebung und der Ebene der Beweiswürdigung ist bereits aus dem Beweisverfahren der römischen Legisaktionen- und Formularprozesse247 und dem des altdeutschen Prozesses des 241 

Teil 1, B.V.1. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  34. 243  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275. 244  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275. 245  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275. 246  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275. 247  Teil 1, A.I.1. 242 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Hoch- und Spätmittelalters248 bekannt. Hier wie dort war das Prinzip der Rich­ter­ herr­schaft und Richterverantwortung die Folge eines dem Richter entgegengebrachten Vertrauens in dessen Integrität und Neutralität. Das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung, das letztlich auf ein strukturelles Misstrauen der Rechtsgemeinschaft gegenüber dem Staat und seiner Bediensteten zurückzuführen ist, sollte offenkundig im Beweisverfahren der neuen Zivilprozessordnung keine Rolle spielen. Bemerkenswerterweise fand keine parlamentarische Debatte darüber statt, ob der Gesetzgeber den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht überstrapazierte, als er den Grundsatz der freien Beweisablehnung aus ihm ableitete. Immerhin hätte man schon an dieser Stelle die Frage aufwerfen können (und müssen), ob ein Institut, das auf der Ebene der Beweiswürdigung zu gelten habe, auch zwingend auf der Ebene der Beweiserhebung zu gelten habe. Das eine hat mit dem anderen nicht notwendigerweise etwas zu tun, auch wenn jene Parallelität aus rechtshistorischer Sicht der Regelfall war.249 b)  Der von Amts wegen auferlegte Eid, §  419 ZPO-E Auch die ursprüngliche Textfassung des §  419 ZPO-E hat in §  448 ZPO ohne allzu große Veränderung bis heute überdauert, wobei der Beweis durch Eid freilich abgeschafft und an dessen Stelle der Beweis durch Parteivernehmung getreten ist. §  419 ZPO-E hatte den folgenden Wortlaut: „Ist das Ergebniß der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreichend, um die Ueberzeugung des Gerichts von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu erweisenden Thatsache zu begründen, so kann das Gericht der einen oder der anderen Partei über eine streitige Thatsache einen Eid auferlegen.“250

Wie schon bei §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E bediente sich der Gesetzgeber auch hier der Wendung „etwaigen Beweisaufnahme“. Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass es dem Gericht freigestellt sei, ob es, ehe es einer der Parteien einen Eid auferlegte, eine Beweisaufnahme durchführen wollte oder nicht.251 Das Gericht sollte nach Maßgabe des §  419 ZPO-E befugt sein, eine beantragte Beweisführung selbst dann nach freiem Ermessen ablehnen zu dürfen, wenn es sich allein aufgrund der Sachverhandlung noch keine endgültige Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen Tatsachenbehauptung bilden konnte.252 Somit ist auch §  419 ZPO-E Ausdruck des Grundsatzes der freien Beweis­ 248 

Teil 1, A.III.2. Teil 1, A.V. 250  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  54. 251  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  340. 252  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  340. 249 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

ableh­nung als Gegenstück zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht. Der Gesetzgeber begründete seinen Standpunkt damit, dass die konsequente Durchführung des Grundsatzes der richterlichen Beweiswürdigung es „fordert“, dass dem Richter die Befugnis erteilt werde, „ohne vorgängige Beweisaufnahme“, schon auf Grund der vor ihm stattgehabten Verhandlungen einen Eid aufzuerlegen.“253 Während noch nach dem gemeinen Prozessrecht der richterliche Eid erst dann auferlegt werden durfte,254 wenn eine vorangegangene Beweisführung „unvollständig“ geblieben war, schien dies dem Gesetzgeber nach Maßgabe des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung „unhaltbar geworden“ zu sein.255 Wie schon im Rahmen der Begründung des §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E festzustellen war, leitete der Gesetzgeber auch im Rahmen der Begründung des §  419 ZPO-E den Grundsatz der freien Beweisablehnung aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ab. Trotz der Vergleichbarkeit des §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E und des §  419 ZPO-E im Hinblick auf die gesetzliche Verankerung des Grundsatzes der freien Be­weis­ ableh­nung („etwaigen“), wurde erst im Rahmen der parlamentarischen Debatte zu §  419 ZPO-E die prinzipielle Frage aufgeworfen, ob der Richter tatsächlich befugt sein sollte, jede beantragte Beweisführung nach freiem Ermessen ablehnen zu dürfen, und er dementsprechend nicht verpflichtet sei, einer beantragten Beweisaufnahme stattzugeben. Hierüber entbrannte in der Folge ein heftiger Streit, bei dem sich die Lager derer, die für den Grundsatz der freien Beweisablehnung einstanden, und derer, die sich für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aussprachen, unversöhnlich gegenüberstanden. Den Sieg trugen schlussendlich die Vertreter des erstgenannten Lagers davon. aa)  Die Erste Lesung der Justizkommission Struckmann stellte in der Ersten Lesung der Justizkommission als erster die Frage, ob §  419 ZPO-E dahingehend zu verstehen sei, dass das Gericht eine beantragte Beweisführung ohne Weiteres verwerfen und stattdessen sogleich auf den Ergänzungseid erkennen dürfe.256 Hierauf antwortete v. Amsberg, dass zwar „die Parteien ein Recht auf die Benutzung der Beweismittel hätten“, man sich aber auf die Formulierung eines ent-

Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  340. Vgl. Heffter, Civil-Proceß, S.  152 ff.; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  569 ff.; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  875 ff. 255  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  340. 256  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 253  254 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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sprechenden Satzes im Gesetzesentwurf nicht hatte einigen können.257 Aus diesem Grund dürfe, so v. Amsberg weiter, der Richter zwar „nicht leicht“ einen Beweisantrag der Parteien übergehen, um direkt auf den Ergänzungseid zu erkennen.258 Gleichwohl bleibe es dabei, dass die Beweisablehnung, wie es schon die Frage Struckmanns zutreffend insinuierte, im Ermessen des Gerichts stünde.259 Struckmann folgerte daraus, dass §  419 ZPO-E dem Gericht „eine willkommene Brücke“ biete, „die Sache rasch abzumachen“.260 Aus diesem Grund dürfe man es nicht in das richterliche Ermessen stellen, ob einer Beweisführung stattzugeben sei oder nicht.261 Das Gericht solle deshalb erst dann einen Ergänzungseid (auch: „Noteid“262) auferlegen können, wenn es zuvor alle beantragten Beweismittel „erschöpft“ habe.263 Er beantragte deshalb, §  419 ZPO-E um folgenden Satz zu ergänzen: „Das Gericht ist jedoch, vorbehaltlich der Vorschriften der §§  242, 329 und 385 nicht befugt, den Eid früher aufzuerlegen, als bis die sonstige Beweisantretung, abgesehen von dem zugeschobenen Eid, erledigt ist.“264

Gegen die von Struckmann vorgebrachten Bedenken wandte Kurlbaum II. ein, dass es nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung „unmöglich“ sei, dem Richter vorzuschreiben, alle von den Parteien angetretenen Beweise zu erheben, bevor er eine Beweisführung als verfehlt erachten dürfe:265 „Der Richter müsse von gewissen Beweisen sagen dürfen, daß sie ihm in keinem Falle Ueberzeugung liefern würden. Werde ihm diese Befugniß entzogen, so sei bei der Zulässigkeit nachträglicher Beweismittel zu befürchten, daß man überhaupt nicht zum Endurtheil gelangen werde. (…) Ein gewissenhafter Richter werde mit der Bestimmung keinen Mißbrauch treiben; eine Grenze durch das Gesetz zu ziehen, sei unmöglich. (…) Die Befugniß, etwaige Beweismittel unbenutzt zu lassen, werde dem Richter unbedenklich zugestanden, wenn derselbe zu einer unbedingten Entscheidung gelange. Es sei nicht abzusehen, warum er diese Befugniß nicht auch dann haben solle, wenn seine vollständige Ueberzeugung noch nicht hergestellt worden. Der Richter könne doch z. B. nicht gezwungen werden, einen Zeugen abzuhören, von dem er bestimmt wisse, daß er dasjenige, was er bezeu-

Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 259  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 260  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 261  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 262  Vgl. Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  174 f.; Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  327. 263  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 264  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 265  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 257  258 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

gen solle, zu bezeugen außer Stande sei.“266 Dem schloss sich Gaupp an. Er war der Ansicht, dass „das Prinzip der freien Beweiswürdigung zur Plage für die Parteien werden würde, wenn man nicht dem Richter die Befugniß einräume, offenbar unerhebliche Beweisaufnahmen zu unterlassen.“267 Dagegen schlossen sich Reichensperger, Bähr und Becker dem Votum Struckmanns an. Reichensperger gab zu bedenken, dass „bei Gerichten (…) nicht selten die Sehnsucht (herrsche), die Sache über das Knie zu brechen; ob dies aus Gewissenlosigkeit oder bona fide geschehe, sei gleichgültig.“268 Bähr war der Ansicht, dass in der Zurückweisung eines zulässigen Beweismittels eine „Versagung des rechtlichen Gehörs, also eine Rechtsverletzung“ liege.269 Auf die Gewissenhaftigkeit der Richter dürfe man sich nicht unbedingt verlassen.“270 Nach Becker schließlich müsse man unterscheiden, ob es sich um die Beweisablehnung eines „unerheblichen“ Beweises handelt oder nicht. Nur ein unerheblicher Beweis solle vom Gericht von vornherein abgelehnt werden dürfen.271 Unter einem unerheblichen Beweis verstand Becker einen Beweis, der „auf die streitige Thatsache keinen möglichen Einfluß“ hat.272 Er „stehe mit der zu erweisenden Thatsache in keiner Beziehung.“273 „Sei aber ein solcher Einfluß auch nur möglich, so solle der Richter nicht im Voraus annehmen dürfen, daß das Beweismittel wirkungslos sein werde.“274 Aus diesem Grund beantragte Becker, die Textfassung des §  419 ZPO-E dahingehend zu ändern, dass das Wort „etwaigen“ durch das Wort „zulässigen“ ersetzt werde.275 Die Erste Lesung endete mit Struckmanns Erwiderung auf die Ausführungen Kurlbaums II. Struckmann führte scharfsinnig wie strukturell zutreffend aus: „Der Richter, der eine Beweisaufnahme ablehne, würdige den Beweis nicht, sondern verschließe sich demselben.“276 Aus diesem Grund könne er nicht einsehen, warum sein Änderungsantrag dem Prinzip der freien Beweiswürdigung widerspreche. Auf die Anträge von Struckmann und Becker wurde der §  419 ZPO-E wie folgt geändert: „Ist das Ergebniß der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreichend, um die Ueberzeugung des Gerichts von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu erweisenden Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668 f. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669. 268  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 269  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 270  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 271  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669. 272  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669. 273  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669. 274  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669. 275  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  668. 276  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669. 266  267 

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Thatsache zu begründen, so kann das Gericht der einen oder der anderen Partei über eine streitige Thatsache einen Eid auferlegen. Das Gericht ist jedoch, vorbehaltlich der Vorschriften der §§  242, 329 und 385 nicht befugt, den Eid früher aufzuerlegen, als bis die sonstige Beweisantretung, abgesehen von dem zugeschobenen Eid, erledigt ist.“277(Hervorh. d. Verf.)

bb)  Die Zweite Lesung der Justizkommission Nachdem §  419 ZPO-E in seiner nunmehr erweiterten Textfassung im Rahmen der Zweiten Lesung nicht mehr zur Diskussion stand, beantragte Thilo in der Revision der Zweiten Lesung, §  419 ZPO-E in seiner ursprünglichen Textfassung zu verabschieden.278 Unterstützung hierfür erhielt er wenig überraschend von Kurlbaum II., der die bereits genannten Gründe nochmals vorbrachte: „Eine nothwendige Konsequenz dieses Prinzips (Prinzip der freien Beweiswürdigung) bestehe aber darin, daß dem Richter gestattet werde, in jeder Lage des Beweisverfahrens auf Grund der durch die bisherigen Ereignisse gewonnenen Ueberzeugung zum Eide zu greifen. Man dürfe den Richter nicht zwingen, alle vorgeschlagenen Beweismittel zu erheben, wenn er darüber im Klaren sei, daß durch dieselben nichts bewiesen werde.“279 Auch Lasker sprach sich für die ursprüngliche Fassung des §  419 ZPO-E aus: „Die positive Anweisung, das gesammte Zeugenmaterial zu erschöpfen, setze die Prozeßführung der Gefahr chikanöser Verschleppung ohne Möglichkeit der Abwehr aus.“280 Trotz dieser Einwände gelang es Struckmann, die Kommission von der erweiterten Textfassung des §  419 ZPO-E, wie sie auf seinen Antrag hin in der Ersten Lesung beschlossen worden war, zu überzeugen. Dafür waren aber weniger sachliche Argumente als vielmehr Struckmanns rhetorisches Geschick ausschlaggebend. Er ergänzte seine Argumentation, die sich gegen die Einführung einer uneingeschränkten Beweisablehnungsbefugnis wandte, um den folgenden Gesichtspunkt: Von der Beweiserhebung seien von vornherein solche Beweismittel als „unzulässig“ ausgenommen, „deren Aufnahme ein Ergebniß für die Ueberzeugung des Richters unmöglich liefern könne.“ Struckmann ließ an dieser Stelle aber offen, wonach sich für ihn beurteilte, ob eine beantragte Beweisführung auf die Überzeugungsbildung Einfluss haben könne und daher „unzulässig“ sei. Nur wenn man Struckmanns grundsätzlichen Standpunkt mit in den Blick nimmt, wird klar, dass er der Ergebnisrelevanz einer Beweisführung einen rein objektiven und keinesfalls einen subjektiven Prüfungsmaßstab zugrunde Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  922. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1134. 279  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1134. 280  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1134. 277  278 

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legte. Schließlich war es gerade Struckmanns Anliegen, es dem Richter zu verbieten, allein aufgrund seiner subjektiven Einschätzung und Vermutung über den möglichen Ausgang einer Beweisführung diese von vornherein ablehnen zu dürfen.281 Unter einer unzulässigen Beweisführung verstand Struckmann eine solche, die „unerheblich“ war, die also den Nachweis einer streitigen Tatsachenbehauptung nicht liefern konnte.282 Struckmann konnte mit seinem Votum die Kommission im Ergebnis für sich gewinnen, woraufhin Thilos Antrag abgelehnt und die Textfassung des §  419 ZPO-E in der erweiterten Textfassung (s. o.) beibehalten wurde.283 cc)  Die Verhandlung der Justizkommission In der Verhandlung der Justizkommission schließlich wurde über die Fassung des §  419 ZPO-E erneut diskutiert. Der Bundesrat hatte in der Zwischenzeit den Beschluss gefasst, „den zweiten Satz“ und damit die von Struckmann herbeigeführte Änderung des §  419 ZPO-E zu streichen.284 Struckmann regte daraufhin die Ablehnung des Beschlusses des Bundesrats an und beantragte zugleich folgende Änderung des §  419 S.  2 ZPO-E: „Von dieser Befugnis darf erst dann Gebrauch gemacht werden, wenn sich die Beweisaufnahme auf die übrigen erheblichen Beweismittel, mit Ausnahme der im §  345 erwähnten Zeugen (Zeugen, die nicht vereidigt werden durften), sowie des zugeschobenen Eides, erstreckt hat.“285 (Hervorh. d. Verf.)

Hiergegen wandte sich abermals Kurlbaum II., der den Ausdruck „erheblichen“ bemängelte:286 „Sollten nur solche Beweismittel als ‚erheblicheʻ gelten, auf welche der Richter seine Ueberzeugung stützen kann, so wäre der ganze Zusatz überflüssig. Dasselbe würde aber auch dann gelten, wenn man den Ausdruck dahin auffassen wollte, daß die Thatsache, zu deren Beweis das Beweismittel angegeben worden, erheblich sein müßte.“287 Der Satz habe daher „keinen Werth, führe nur den Richter irre und verleite die Partei, unnütze Beweisanträge zu stellen.“288

Vgl. hierzu insbesondere Struckmann an anderer Stelle: „Dagegen dürfe das Gericht die Vernehmung eines Zeugen nach dem Entwurf nicht deshalb ablehnen, weil es demselben doch nicht würde Glauben schenken können: denn hierüber könne es erst ein Urtheil haben, nachdem es den Zeugen gesehen und vernommen.“, Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1010. 282  Sog. objektiver Erheblichkeitsbegriff, Teil 1,B.II.1.c). 283  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1135. 284  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1265. 285  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1265. 286  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 287  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 288  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 281 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Struckmann hielt dem entgegen, dass er unter „erheblichen“ Beweismitteln nur solche verstehe, „die über erhebliche Thatsachen vorgeschlagen werden, über Thatsachen, von denen ein Einfluß auf die Entscheidung zu erwarten steht.“289 Rückendeckung bekam Struckmann ein weiteres Mal von Bähr, der eine richterliche Beweisablehnung auch nur in solchen Fällen für zulässig erachtete, in denen die Beweisführung von vornherein keinen Nachweis über die zu beweisende Tatsache liefern könne:290 „Der Richter dürfe nicht die Vornahme einer Handlung verweigern, die für die Partei von der größten Wichtigkeit sein könne. (…) Bisher habe man in allen Prozeßordnungen das, was der Entwurf dem Richter gestatte, als eine schwere Rechtsverletzung, als einen Nichtigkeitsgrund angesehen; jetzt solle dies als rechtmäßig gelten!“291 Die Streichung des in Rede stehenden Satzes (§  419 S.  2 ZPO-E) bedeute „die Etablirung der richterlichen Willkür.“292 Becker stellte nochmals klar, dass durch die Änderung des §  419 ZPO-E der Richter freilich nicht gezwungen werden solle, den Beweis über solche Tatsachen zu erheben, die ohne Einfluss auf die Entscheidung sein können.293 Reichensperger meinte gar, es sei ihm „schlechthin unfaßbar“, warum sich einige in der Kommission für die Befugnis des Richters zur willkürlichen Beweisablehnung aussprechen.294 Schließlich sei dies auch dem französischen und gemeinen Recht völlig fremd.295 Hierdurch würden die Parteienrechte geradezu „auf den Kopf gestellt“.296 Ferner ist er der Ansicht, dass die hier diskutierte Frage mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung „nicht zusammenhänge“.297 Auch Wolffson befürwortete die von Struckmann beantragte Änderung des §  419 S.  2 ZPO-E, da andernfalls nicht klar zum Ausdruck käme, dass der Richter „nicht völlig freie Wahl zwischen dem Notheid und einer Beweisaufnahme haben soll“.298 Dagegen schlossen sich Lasker und Klotz der Kritik Kurlbaums II. an. Lasker hielt das richterliche Ermessen auf Ebene der Beweiserhebung für das notwendige „Correlat der freien Beweiswürdigung“.299 Klotz meinte, dass „das Prinzip der freien Beweiswürdigung (…) dem Richter das Recht (gebe), in jedem Moment die Beweisaufnahme abzubrechen, sobald er die streitige Thatsache als erwiesen Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 291  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 292  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 293  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 294  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 295  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 296  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 297  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 298  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 299  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 289  290 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

annimmt.“300 Zwar sei es „selbstverständlich“, so Klotz weiter, dass der Richter das gesamte Beweismaterial „erschöpfen müsse“, solange er noch keine endgültige Überzeugung gewonnen habe.301 Hält der Richter dagegen, insbesondere beim Indizienbeweis, eine erfolgreiche Beweisführung für ausgeschlossen, so müsse der Richter befugt sein, den weiteren Beweis abzulehnen.302 Kurlbaum II. fügte dem hinzu, dass ohnehin davon auszugehen sei, „daß der Richter seine Schuldigkeit thun, daß er nicht willkürlich, sondern nach bestem Wissen und Gewissen, nach reiflicher Prüfung der konkreten Sachlage handeln werde.“303 Mit einem zweiten Wortbeitrag schloss Lasker die Debatte über die richterliche Beweisablehnungsbefugnis ab. Seiner Ansicht nach stelle die Befugnis des Richters, nach freiem Ermessen über den Umfang der Beweisaufnahme entscheiden zu dürfen, keine Konsequenz der freien Beweiswürdigung dar. Die richterliche Beweisablehnungsbefugnis sei vielmehr eine „selbstständige Prozeßmaxime“, über „welche neben der freien Würdigung des bereits erhobenen Beweises ohne innern Widerspruch (…) entschieden werden könnte.“304 Er halte sie gleichwohl für erforderlich, da er den Missbrauch des Richters weniger fürchte, als den Missbrauch der Parteien, die den Prozess „durch Häufung schwer zu erhebender und nichts versprechender Beweismittel“ verschleppen könnten.305 Allem Widerstand zum Trotz beschloss die Kommission die Streichung des §  419 S.  2 ZPO-E und kehrte zur ursprünglichen Fassung des §  419 ZPO-E zurück.306 dd) Ergebnis Die Kritik derer, die sich gegen die Einführung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung aussprachen, war nicht zu überhören. Struckmann befürchtete, dass die Fassung des Entwurfes dem Gericht „eine willkommene Brücke“ baue, „die Sache rasch abzumachen“. Deshalb sollte man die Richter, „unter welchen es auch bequeme Richter gebe, nicht derart in Versuchung führen.“307 Der Grundsatz der freien Beweisablehnung könne überdies nicht durch Verweis auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gerechtfertigt werden, da ein Gericht, das einen Beweis ablehne, diesen nicht würdige, sondern sich ihm „verschließe“. Wie auch Lasker später trefflich feststellte, bedinge der Grundsatz der freien Beweiswürdigung den Grundsatz der freien Beweisablehnung nicht. Neben der Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 302  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 303  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 304  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 305  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 306  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 307  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1134. 300  301 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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deutlichen Kritik von Bähr, Becker und Wolffson ist nochmals die Kritik von Reichensperger besonders hervorzuheben. Er war der Überzeugung, dass mit der Einführung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung „Parteienrechte geradezu auf den Kopf gestellt“ werden würden. Wie zuvor Becker wies er zu Recht darauf hin, dass das gemeine Recht eine freie richterliche Beweisablehnungsbefugnis nicht kannte.308 Die wesentlichen Bedenken derer, die sich gegen den Grundsatz der freien Beweisablehnung aussprachen, brachte Bähr prägnant auf den Punkt, indem er nichts Geringeres prophezeite als die „Etablirung der richterlichen Willkür“.309 Hiervon blieb die Justizkommission im Ergebnis jedoch unbeeindruckt. Sie schloss sich den Vertretern desjenigen Lagers an, die sich für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung aussprachen. Allen voran begründete Kurlbaum II. seinen Standpunkt im Wesentlichen damit, dass der Grundsatz der freien Beweisablehnung eine notwendige Folge des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung sei. Außerdem dürfe man getrost darauf vertrauen, dass ein gewissenhafter Richter mit der ihm zuteilwerdenden Beweisablehnungsbefugnis „keinen Mißbrauch treibe“. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richters wurden bereits im Rahmen der Begründung des §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E als die wesentlichen Argumente für die Geltung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung angeführt.310 Als ein weiteres Argument wurde im Rahmen der parlamentarischen Debatte zu §  419 ZPO-E die Sorge um eine mögliche Prozessverschleppung genannt. So spreche die „Gefahr chikanöser Verschleppung (des Prozesses) ohne Möglichkeit der Abwehr“ für die Geltung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung. Die Justizkommission schien sich somit auch von rein prozessökonomischen Erwägungen leiten zu lassen. Abschließend soll noch ein besonderes Augenmerk auf den Begriff der „Erheblichkeit“ gelegt werden, der in der Diskussion um die Textfassung des §  419 ZPO-E keine nennenswerte Rolle spielte: Becker brachte als erster den Vorschlag ein, man müsse den Grundsatz der freien Beweisablehnung auf „unerhebliche Beweise“ beschränken. Unter einem „unerheblichen Beweis“ verstand Becker den Nachweis einer Tatsache, die keinen Einfluss auf die Entscheidung haben konnte (s. o.). Diesem Ansinnen entsprechend brachte Struckmann in der Verhandlung der Justizkommission den oben genannten zweiten Änderungsantrag ein, wonach der richterliche Eid erst dann auferlegt werden durfte, „wenn sich die Beweisaufnahme auf die übrigen 308 

Teil 1, A.IV.2. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1266. 310  Teil 1, B.I.1.a). 309 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

erheblichen Beweismittel (…) erstreckt hat.“ Auch Struckmann hielt Beweismittel bereits dann für „erheblich“, wenn sie „über erhebliche Thatsachen vorgeschlagen werden, über Thatsachen, von denen ein Einfluß auf die Entscheidung zu erwarten steht“ (s. o.). Erfüllte ein Beweismittel diese Voraussetzung und war es damit erheblich, so sollte es nach Ansicht Struckmanns dem Gericht nicht erlaubt sein, die Beweisführung von vornherein ablehnen zu dürfen. Kurlbaum II. lehnte den Änderungsvorschlag Struckmanns unter anderem deshalb ab, weil (angeblich) nicht klar sei, was unter dem Begriff der „Erheblichkeit“ zu verstehen ist. Kurlbaum II. selbst lieferte hierfür eine alternative Auslegungsmöglichkeit. Die Frage der Erheblichkeit richte sich danach, ob das in Ansatz gebrachte Beweismittel den Richter in der vom Beweisführer beabsichtigten Weise überzeugen wird. Für Kurlbaum II. spielte insbesondere diese Dimension der Erheblichkeit, namentlich die subjektive Überzeugungskraft des Beweismittels, eine entscheidende Rolle dafür, ob der Richter eine beantragte Beweisaufnahme durchführen sollte oder nicht. Das unterschiedliche Verständnis über Inhalt und Umfang des Erheblichkeitsbegriffs lässt sich in folgender Weise abstrahiert zusammenfassen: Bezieht man die Erheblichkeit der Beweisführung auf Tatsachen, so ist die Beweisführung erheblich, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung das Tatbestandsmerkmal einer streitentscheidenden Norm erfüllt. Die Beweisführung ist somit schon dann erheblich, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie den Nachweis über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer streitentscheidenden Tatsache abstrakt liefern kann (sog. objektiver Erheblichkeitsbegriff). Bezieht man die Erheblichkeit der Beweisführung dagegen auf das verwendete Beweismittel, so ist die Beweisführung erheblich, wenn das jeweils in Ansatz gebrachte Beweismittel möglicherweise positiven Einfluss auf die richterliche Überzeugungsbildung haben wird. Die Beweisführung ist somit erst dann erheblich, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie dem Gericht eine bestimmte Überzeugung liefern wird (sog. subjektiver Erheblichkeitsbegriff). Der Unterschied zwischen dem objektiven und dem subjektiven Erheblichkeitsbegriff wurde in der parlamentarischen Debatte über die Einführung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung nicht weiter vertieft. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird sich zeigen, dass das richtige Verständnis des Erheblichkeitsbegriffs von entscheidender Bedeutung dafür ist, den Umgang der Rechtsprechung, insbesondere des Reichsgerichts, mit dem Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen konsequentem Rückbau nachvollziehen zu können.311

311 

Dazu sogleich Teil 1, B.II.1.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Auf den Erheblichkeitsbegriff als solchen wird im zweiten Teil der Untersuchung nochmals zurückzukommen sein.312 c) Zusammenfassung Da sich die Befürworter des Grundsatzes der freien Beweisablehnung im Ergebnis durchsetzen konnten, fanden die §  249 Abs.  1 S.  1 ZPO-E313 und §  419 ZPOE314 unverändert Einzug ins Gesetz, vgl. §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.315 und §  437 ZPO a. F.316 Vermittelt durch das Wort „etwaigen“ stellte der Gesetzgeber klar, dass dem zivilprozessualen Beweisverfahren der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrunde liegen sollte. Er findet, wie auch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, nach Vorstellung des Gesetzgebers seine wesentliche Stütze in dem rückhaltlosen Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richters. Über die eingangs aufgeworfene Frage herrscht nunmehr Klarheit: Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit auch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht in die Zivilprozessordnung aufgenommen, weil weder das eine, noch das andere gelten sollte. Dem Richter sollte es freigestellt bleiben, ob er einer beantragten Beweisführung stattgebe oder nicht. Er durfte seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen Tatsachenbehauptung auch ohne Beweisaufnahme allein auf den Inhalt der Verhandlungen stützen und, soweit noch letzte Zweifel bestanden, ergänzend den Eid auferlegen. Der Richter war nach der Vorstellung des Gesetzgebers somit nicht verpflichtet, einer beantragten Beweisführung stattzugeben. Dem zivilprozessualen Beweisverfahren lag nach Maßgabe der §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. (§§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO) nicht der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zugrunde. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung war dementsprechend zulässig.

312 

Teil 2, A.II. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  34. 314  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. 315  §  259 ZPO i. d. F. vom 30. Januar 1877: „Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesammten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Ueberzeugung zu entscheiden, ob eine thatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.“, RGBl.  1877, S.  83, 129. 316  §  437 ZPO i. d. F. vom 30. Januar 1877: „Ist das Ergebniß der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreichend, um die Ueberzeugung des Gerichts von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu erweisenden Thatsache zu begründen, so kann das Gericht der einen oder der anderen Partei über eine streitige Thatsache einen Eid auferlegen.“, RGBl.  1877, S.  83, 162. 313 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

2.  Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung Es hat sich gezeigt, dass der Gesetzgeber in den §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. (§§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO) den Grundsatz der freien Beweisablehnung aufgenommen hat. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung war dem Richter nicht verboten. Seine Geltung verdankt er dem Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung, das seinerseits auf einem grundsätzlichen Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richteramtes beruht. Jenes Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung wird als verfahrensrechtliches Strukturprinzip seit Gönner auch als Untersuchungsmaxime bezeichnet.317 Im Gegensatz dazu lässt der Gesetzgeber andernorts keinen Zweifel daran, dass der Zivilprozess von der Verhandlungsmaxime und damit von dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung beherrscht werde.318 Die rechtshistorische Untersuchung hat nachgewiesen, dass die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip im Beweisverfahren dazu führt, dass der Richter zur Beweiserhebung grundsätzlich verpflichtet ist; eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist ihm also verboten. Für das zivilprozessuale Beweisverfahren stellt sich daher die Frage, ob auch hier die Verhandlungsmaxime in Ansatz zu bringen ist, und wenn ja, welche Konsequenzen dies für die Auslegung der §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. (§§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO) hat, die strukturell im Lager der Untersuchungsmaxime stehen. Schließlich stünden sich dann der Grundsatz der freien Beweisablehnung319 und der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht einander unversöhnlich gegenüber. a)  Die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens Die Zivilprozessordnung beruht auf der Verhandlungsmaxime.320 Eine gesetzliche Klarstellung hat der Gesetzgeber nicht für erforderlich gehalten.321 Ihre Gel317 

Teil 1, B.I.2.a). Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. 319  Dass es sich bei dem Grundsatz der freien Beweisablehnung um eine „selbstständige Prozeßmaxime“ handelte, erkannte in den Reihen der Justizkommission offenbar nur Lasker, vgl. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  1267. Wohl aus diesem Grund fand eine gedankliche Trennung zwischen der Ebene der Beweiswürdigung und der der Beweiserhebung nicht statt. Sie ist indes unabdingbar, wenn man sich mit dem Grundsatz der freien Beweisablehnung und dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als eigenständige Verfahrensgrundsätze des Beweisverfahrens auseinandersetzen will. 320  Statt vieler: Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  41: „Es konnte nicht anders sein; auf der Verhandlungsmaxime musste der Reichsprocess erbaut werden.“; Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, Rn.  1; Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 102. 321  Vgl. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. 318 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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tung ergebe sich bereits aus der „Structur des Verfahrens und aus zahlreichen Einzelbestimmungen.“322 Aus diesem Grund bezeichnete schon das Reichsgericht die Verhandlungsmaxime als den „obersten Grundsatz der Prozeßordnung“.323 Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die Verhandlungsmaxime auch im zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung gilt. Eine entsprechende Ausnahme in diesem Bereich annehmen zu wollen, wäre durchaus vorstellbar. Denn schließlich gilt, und hierüber besteht Einigkeit, die Verhandlungsmaxime innerhalb des zivilprozessualen Beweisverfahrens auf der Ebene der Beweiswürdigung nicht.324 Der dort Platz greifende Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist, was dargelegt ist, Ausdruck des Prinzips der Rich­ ter­herrschaft und Richterverantwortung und befindet sich damit in struktureller Nähe zur Untersuchungsmaxime.325 aa)  Das allgemeine Verständnis über den Begriff der Verhandlungsmaxime im ausgehenden 19. Jahrhundert Bevor der Frage nachgegangen werden kann, ob nach Vorstellung des Gesetzgebers dem zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip zugrunde liegen sollte, ist zunächst darüber Klarheit herzustellen, was im ausgehenden 19. Jahrhundert gemeinhin unter dem Begriff der Verhandlungsmaxime verstanden wurde. Die Gesetzesmaterialien geben bedauerlicherweise keinen näheren Aufschluss darüber, was der Gesetzgeber unter der Verhandlungsmaxime verstand und welche Konsequenzen er aus deren Geltung zog. In der allgemeinen Begründung zum Entwurf der Zivilprozessordnung heißt es lediglich, dass dessen „Quelle“ im „die Geschichte des deutschen Prozesses hindurchgehenden Zug (…), die richterliche Machtvollkommenheit durch Formen heilsam einzuschränken“, liege.326 In der Einleitung zum dritten Abschnitt des Entwurfs führt der Gesetzgeber weiter aus, dass man bewusst davon abgesehen habe, Vorschriften, wie die des §  115 des hannoverischen Entwurfs „die Gerichte handeln nur auf Antrag der Parteien, sofern sich nicht aus den Vorschriften dieses Gesetzes ein Anderes ergiebt“,

oder des Art.  175 der württembergischen Prozessordnung

Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. RG, Urt. v. 06.04.1936 – VI 421/35, RGZ 151, 93, 98. 324  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  8. 325  Teil 1, A.V. 326  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  115. 322  323 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

„Hiernach sind die Gerichte nicht befugt, über die Anträge der Parteien hinauszugehen, Einreden, Gegeneinreden, Beweismittel, welche eine Partei nicht geltend gemacht hat, zu ergänzen und thatsächliche Verhältnisse, welche aus den Verhandlungen des Rechtsstreits nicht hervorgehen, bei der Entscheidung zu berücksichtigen“,

in den Entwurf der Zivilprozessordnung aufzunehmen, da diese ohnehin nur eine doktrinäre Bedeutung hätten beanspruchen können.327 Vor diesem Hintergrund lässt sich nur schwer eine verbindliche Aussage darüber treffen, welche Vorstellung der Gesetzgeber mit dem Begriff der Verhandlungsmaxime verband und zu welchen konkreten Schlussfolgerungen dessen Geltung berechtigte. Die genannten Textstellen lassen gleichwohl vermuten, dass nach Vorstellung des Gesetzgebers die Verhandlungsmaxime strukturell für eine Verfahrensordnung stand, die der Richterherrschaft weitestgehend Einhalt gebieten und der Parteiherrschaft größtmöglichen Raum geben sollte. Dies allein genügt freilich nicht, um sich ein ganzheitliches und belastbares Bild von dem damaligen Begriffsverständnis machen zu können. Aus diesem Grund kommt man nicht umhin, sich auf einer grundsätzlicheren Ebene mit dem Begriff der Verhandlungsmaxime im ausgehenden 19. Jahrhundert auseinanderzusetzen. Der begriffliche Schöpfer328 der Verhandlungsmaxime ist Gönner.329 Für ihn beruhte die Urteilsfindung auf zwei unterschiedlichen Feststellungsakten; dem, der die Feststellung von Tatsachen (das „Factum“330) betrifft, und dem, der die Feststellung der anzuwendenden Rechtssätze betrifft. Das Zusammentragen des Tatsachenstoffs, auf der wiederum die Tatsachenfeststellung fußt, könne als Aufgabe entweder dem Gericht oder den Parteien übertragen werden.331 Im ersten Fall gelte die sog. Untersuchungsmaxime, im zweiten Fall die sog. Verhandlungsmaxime.332 Den Unterschied beider Maximen brachte Gönner – freilich stark verkürzt – wie folgt auf den Punkt: Im Bereich der Untersuchungsmaxime

Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. Gönners Maximenlehre beruht weitestgehend auf der gedanklichen Vorarbeit Grolmanns, vgl. Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 1.  Aufl., S.  100 ff. 329  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  175–216. 330  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  183 f. 331  Irrig ist es, wenn beispielsweise Pollak, Gerichtliches Geständniss im Civilprozesse, S.  69 meint, Gönner differenziere danach, wem die Tatsachenfeststellung obliege, den Parteien oder dem Gericht. Die Tatsachenfeststellung als solche bleibt nach Gönners Lehre unzweifelhaft Sache des Gerichts. 332  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  152. Anzumerken ist, dass Gönner unter dem Wort „Verhandlung“ in erster Linie das wechselseitige Vorbringen durch die Parteien versteht. Hieran scheint Baur, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., Rn.  40 offenbar Anstoß zu nehmen, wenn er sagt, „der Ausdruck ‚Verhandlungsgrundsatzʻ ist nichtssagend, weil in jedem Prozeß ‚verhandeltʻ“ werde. 327  328 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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gelte das „Alles von Amtswegen“-Prinzip333, im Bereich der Verhandlungsmaxime gelte das „Nichts von Amtswegen“-Prinzip334.335 Gönners Maximenlehre stieß in der Prozessrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts auf breite Zustimmung. Im Anschluss an Gönner behauptete beispielsweise Bayer, dass im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime die richterliche Tatsachenfeststellung allein auf Grundlage des von den Parteien in den Prozess eingebrachten Tatsachenstoffs erfolgen dürfe. Damit trage die Verhandlungsmaxime dem schon im romanisch-kanonischen Prozess geltenden Rechtssatz quod non est in actis, non est in mundo Rechnung.336 Vergleichbares findet sich auch bei Martin337, Wetzell338 und Renaud339. Puchta vertrat den Standpunkt, dass nach dem „Verhandlungs-Prinzipe“ das ganze Verfahren in die Willkür der Parteien gestellt sei:340 „Der Gebrauch oder Nichtgebrauch der Mittel zum Zwecke des verlangten Rechtsschutzes hängt von der Willkühr der Parteien ab“.341 In diesem Sinne bezeichnete Zink später die Verhandlungsmaxime gar als ein „wahres Palladium für das Wesen einer ächten Civiljustiz“, bei dem alles, was „über den engen Umkreis derselben“ hinausging, eine „widerliche Inquisition“ darstelle.342 Vereinzelt wurde aber auch an dem Begriff der Verhandlungsmaxime Kritik geübt, in aller Regel aber ohne seinen Geltungsanspruch grundsätzlich in Frage zu stellen. Gensler etwa meinte, dass infolge der Verhandlungsmaxime der Richter zur „Drahtpuppe“ in den Händen der Parteien werde, was unvermeidlich zu

Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  184. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  183. 335  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  190 f. Gönners Verständnis von der Verhandlungsmaxime darf aber nicht auf das „Nichts von Amtswegen“-Prinzip reduziert werden. Diesen Eindruck vermittelt zu Unrecht Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  121 ff. So gibt Gönner ausdrücklich zu verstehen, dass keine der beiden Maximen in Reinform existiere: „Man darf sich indessen nicht wundern, wenn man einem jeden Prozesse, der auf eine dieser beiden Maximen berechnet ist, Grundsätze beygemischt sieht, welche der anderen Maxime zukommen, (…)“, vgl. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  192. Bomsdorf zeichnet insoweit ein unrichtiges Bild von Gönners Maximenlehre. 336  Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  33. 337  Martin, Lehrbuch des bürgerlichen Processes, 12.  Aufl., S.  25 ff. Vertiefend dazu: Martin/Martin, Vorlegungen über die Theorie des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd.  1, S.  85 ff. 338  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  84 ff. 339  Renaud, Lehrbuch des gemeinen deutschen Civilprozeßrechts, 2.  Aufl., S.  198 ff. 340  Puchta, Über die Grenzen des Richteramts, S.  30. 341  Puchta, Über die Grenzen des Richteramts, S.  33. 342  Zink, Ueber die Ermittlung des Sachverhaltes, Bd.  1, S.  354. 333  334 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

trägen Richtern („schändliche Schlendrian“) führe.343 Überdies sei es unrichtig, dem Richter des gemeinen Prozesses eine völlig untätige Rolle im Sinne des „Nichts von Amtswegen“ zu unterstellen. Vielmehr treffe das Gericht auch im gemeinen Prozess in einem gewissen Umfang die Pflicht, den Prozessgang aus eigener Kraft voranzutreiben.344 Mittermaier dagegen lehnte die Verhandlungsmaxime als Verfahrensstrukturprinzip ganz ab, soweit sie den Richter zum „stummen Zuhörer“ oder zur „Maschine“ der Parteien werden lasse.345 Anders als die Untersuchungsmaxime, die zu verhindern versuche, „daß materielles Unrecht wo möglich nie in formelles Recht übergehe“, begnüge sich die Verhandlungsmaxime mit einer „von den Partheien gelieferten Wahrheit, die vom Verzichte und Zufalle abhängt.“346 Auch Heusler hielt es für nicht zufriedenstellend, wenn allein die Parteien und nicht auch der Richter zur Sachverhaltsaufklärung berufen sei. Schließlich würden die Parteien nur das vortragen, was ihnen von Nutzen sei, nicht aber das, was der objektiven Wahrheit entspreche.347 Daraus folgerte Endemann, dass der Verhandlungsmaxime die „Idee eines zwischen dem Richter und den Parteien bestehenden feindseligen Gegensatzes“ innewohne.348 Sie gewähre den Parteien ein „formales Dispositionsrecht“349, welches in seiner konsequenten Anwendung zu einer „Lähmung aller selbstständigen Thätigkeit des Richters, Beschränkung desselben auf die Kognition über die Parteiverhandlungen und damit Abwälzung der Verantwortlichkeit für das nur noch formal oder juridisch gerechte Resultat des Prozesses der Sentenz, auf die Parteien“ führe.350 „Der ganze Stoff der richterlichen Kognition, der Inhalt des Prozesses

Gensler, Handbuch, Bd, 1, S.  69 f.; Gensler, AcP  1 (1818), 26 ff.; ders., AcP  1 (1818), 339, 352 ff. 344  Gensler, Beitrag zu der Gesetzgebung, S.  40 und 52 ff. 345  Mittermaier, AcP  5 (1822), 177, 185. Diesen Einwand antizipierte Gönner erstaunlicherweise und entkräftete ihn sogleich: „Aber mit dem Zwecke der richterlichen Gewalt im Staate wäre es nicht vereinbar, wenn Alles von der Willkühr der Parteien abhienge, wenn der Richter im ganzen Verlaufe eines Rechtsstreits nur eine leblose Maschine wäre, welche erst durch Handlungen der Parteien in Bewegung gesetzt würde, wenn er stets an den kalten Buchstaben der von den Parteien gemachten Anträge gebunden, und alle positiven Thätigkeiten beraubt wäre.“, Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  237. 346  Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  99. 347  Heusler, AcP  62 (1879), 209, 250 f. 348  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365. 349  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365. Unzutreffend dagegen v. Canstein, ZZP 2 (1880), 297, 307, der die Verhandlungsmaxime der Dispositionsmaxime gleichsetzt: „Die Verhandlungsmaxime oder richtiger die Dispositinsmaxime (…).“ 350  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365. 343 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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hängt davon ab, was und in welcher Weise es von den Parteien (…) vorgebracht wird.“351 Der Richter werde somit in „passive Unthätigkeit“ versetzt.352 Bayer hielt diese Kritik für überzogen.353 Die Verhandlungsmaxime sei vorzugswürdig, weil es in zivilrechtlichen Streitigkeiten gerade um die Realisierung privater Rechte gehe und es deshalb den Parteien überlassen bleiben müsse, ob und inwieweit sie diese Rechte verfolgen wollten.354 In diesem Sinne behauptete Planck, dass die Untersuchungsmaxime zu einer „unerträglichen Bevormundung“ der Parteien führe.355 Ferner werde der Richter durch die ihm aufgezwungene Passivität356 in eine „objektive Stellung“ gedrängt, durch die „das Vertrauen auf seine Unparteilichkeit ungleich mehr aufrecht erhalten wird, als dieses in Folge der Untersuchungsmaxime der Fall seyn würde.“357 Die Möglichkeit, dass unter der Verhandlungsmaxime die prozessual festgestellte Wahrheit nicht mit gleicher Sicherheit der tatsächlichen Wahrheit entspreche, wie unter der Untersuchungsmaxime, wurde dabei erkannt und bewusst hingenommen.358 Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung nahm diese Bedenken zum Anlass, etwaige Härten, die durch die absolute und uneingeschränkte Geltung der Verhandlungsmaxime auftreten konnten, dadurch auszugleichen, dass er dem Richter im Rahmen seines Prozessleitungsamts die Befugnis einräumte, Fragen an die Parteien zu stellen.359 Dadurch könne das Parteivorbringen in die „rechte Form“ gebracht werden.360 Ferner dürfe der Richter eine noch ausstehende Beweisführung anregen oder auf eine noch ungenügende Beweisführung hinweisen.361 UnEndemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365. Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  371. 353  Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  34. 354  Vgl. etwa: Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  181. Vgl. aus späterer Zeit: v. Bülow, AcP  62 (1879), 1, 75 ff. 355  Planck, Lehrbuch, Bd.  1, S.  197. 356  Puchta, Dienst der deutschen Justizämter, Bd.  2, S.  67. 357  Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  34. Ebenso: Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  155. 358  Puchta, Über die Grenzen des Richteramts, S.  28; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  34; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  521; Silberschlag, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 528; Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  148; Bülow, AcP  62 (1879), 1, 75 ff. Über die Möglichkeit der Prozesslüge und zu seinen Folgen: Klein, Die schuldhafte Parteihandlung, S.  130 ff.; K. Schneider, Ueber richterliche Ermittlung und Feststellung, S.  10 f.; v. Canstein, ZZP 2 (1880), 297, 306; v. Bar, Recht und Beweis, S.  48, der indes die Unterscheidung in formelle und materielle Wahrheit für eine „oft mißbrauchte Phrase“ hält. 359  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. 360  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  215. Vgl. dazu: Ude, ZZP 6 (1883), 419, 427. 361  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  272. In diesem Sinne bereits: Fitting, Haupt- und Gegenbeweis, S.  31: „Denn es wäre doch die kleinlichste und lächerlichste theoretische Engherzigkeit, wenn man (…) in solchen Fällen, wo der Richter sieht, daß durch eine Handlung von seiner Seite z. B. durch Fragen oder Besichtigung ec. ec. der wahre Sachverhalt sehr 351  352 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

zulässig sei es aber, wenn der Richter die Parteien im Rahmen ihrer Beweisführung lenke.362 Weitere Befugnisse wurden dem Richter nicht zuteil. Eines dahingehenden Hinweises durch den Gesetzgeber hätte es auch nicht bedurft. Vor diesem Hintergrund behaupten v. Bülow363 und K. Schneider364, dass mit der Geltung der Verhandlungsmaxime das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit in den Zivilprozess implementiert werde.365 Daraus schlussfolgert v. Bülow: „Die Civilprozeßordnung ist für Leute, die auf ihrer Hut sind, geschrieben! Der Civilprozeß ist ein ‚Kampf um’s Rechtʻ!“366

Obwohl die Verhandlungsmaxime schon im 19. Jahrhundert immer wieder neuen Angriffen ausgesetzt war, blieb ihre strukturelle Kernaussage, die ihr Gönner ursprünglich beimaß, im Wesentlichen unverändert. Diese fasste Wach folgendermaßen zusammen: „Die Anspruchs-Verfolgung und -Bekämpfung ist Parteisache. Die Parteiherrschaft über die Streitsache ergibt die Parteiherrschaft über das Streitverhältniss, seinen Beginn, seine Fortführung, seinen Inhalt. Diese Herrschaft wird richtig nur negativ dahin bestimmt: kein Prozessbeginn ohne Parteiantrag, keine Prozessfortsetzung wider Parteiwillen, keine Octroyirung prozessualer oder materieller Vorteile, keine Officialbeschaffung von Prozessstoff. Das ist der Inhalt der in der Rechtslehre sogenannten Verhandlungsmaxime.“367

bb)  Die Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung Obwohl nach heute einhelliger Ansicht davon ausgegangen wird, dass dem zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung die Verhandeinfach ermittelt werden kann, demselben die Hände binden und Alles blos von der Thätigkeit der Parteien abhängig machen wollte.“ 362  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  272. Dieser Schritt wurde insbesondere damit begründet, dass dadurch die Parteiinitiative erheblich gelähmt werden würde und jede Partei mit den ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel Zurückhaltung übte, bis sie zur Beweisführung aufgefordert wurde. 363  v. Bülow, AcP  62 (1879), 1, 80 und 86: „er (der Staat) muß ihnen (den Parteien), den Handlungsfähigen das Handeln oder Nichthandeln, das Wollen oder Nichtwollen auf eigene Verantwortung und Gefahr überlassen.“ 364  K. Schneider, Über richterliche Ermittlung und Feststellung, S.  19. 365  In diese Richtung bereits: Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  98. 366  v. Bülow, AcP  62 (1879), 1, 88. Die Bezugnahme auf v. Jhering, der sich jener Metapher in seiner gleichnamigen Schrift bedient hat, ist unverkennbar. Vgl. insbesondere v. Jhering, Der Kampf um’s Recht, S.  21 und 23. Hierzu in jüngerer Zeit: Greger, JZ 1997, 1077; ders., JZ 2000, 842; Kuhn/Löhr, JR 2011, 369: „Der Zivilprozess soll vorrangig nur den Ring des Kampfes zwischen zwei Parteien und ihr Recht zur Verfügung stellen.“ 367  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  40.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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lungsmaxime zugrunde liegt,368 hat der Gesetzgeber sich hierzu nicht ausdrücklich bekannt. Das allgemeine Bekenntnis zur Geltung der Verhandlungsmaxime als zivilprozessualer Verfahrensgrundsatz führt, wie bereits erwähnt, nicht zwingend zu einem solchen Schluss.369 Erst wenn man die „Structur des Verfahrens“ als Gesamtheit in den Blick nimmt, zeigt sich, dass der Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen ist, dass das zivilprozessuale Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung ebenfalls auf dem Strukturprinzip der Verhandlungsmaxime beruhen sollte. Hierfür sprechen im Wesentlichen die folgenden Gesichtspunkte: Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte es in erster Linie den Parteien überlassen bleiben, ob und in welchem Umfang sie in ein Beweisverfahren eintreten wollten. Der Richter sollte auf die Sachverhaltsaufklärung nicht initiativ einwirken. Er durfte die Parteien im Rahmen ihrer Beweisführung noch nicht einmal lenken, geschweige denn leiten (s. o.).370 Dem Richter war es ferner nicht gestattet, die Sachverhaltsaufklärung über den Parteiwillen hinweg voranzutreiben.371 Durch die partielle Möglichkeit der amtswegigen Beweisaufnahme darf man sich hiervon nicht beirren lassen.372 Hätte der Gesetzgeber nicht den Parteien, sondern dem Richter die Verantwortung zur Sachverhaltsaufklärung übertragen wollen, hätte er ihm die Befugnis einräumen müssen, jedes der Zivilpro­zess­ ordnung bekannte Beweismittel von Amts wegen erheben zu können. Die Tatsache, dass der Richter aber gerade keine Zeugenvernehmung von Amts wegen anordnen kann, belegt, dass die Befugnis zur amtswegigen Beweisaufnahme im Übrigen strengen Ausnahmecharakter hatte. Ferner indiziert die Bindungswirkung des Geständnisses einer Partei nach §  261 ZPO a. F. (§  288 ZPO), dass es aus Sicht des Gesetzgebers – anders als im Strafprozess – unbedeutend war, ob der Richter von der Wahrheit oder Unwahrheit der zugestandenen Tatsache überzeugt war. Weitere Sachverhaltsfeststellungen erübrigten sich. Daraus folgert Wach: „Der Beweis untersteht der Verhandlungsmaxime und dem Zweiparteienverhältniss.“373 Und Planck fasst etwas allgemeingültiger das Verhältnis zwi368  Vgl. nur: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  1; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., Einl. Rn.  339; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  89; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3 Rn.  11. 369  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. 370  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  272. 371  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  48: „Kaum eines Wortes bedarf es, dass auch nach der CPO., wie nach bisherigem Processrecht, der Richter den gesammten thatsächlichen Streitstoff von den Parteien empfängt, dass er weder Thatsachen amtlich ergänzen, noch Beweismittel in den Process einführen kann.“ 372  Eingehend Ude, ZZP 6 (1883), 419, 429 ff. 373  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  151. Vgl. dazu eingehend Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  148: „Es ist eine der Forderungen moderner Processwissenschaft, dass das civilprocessualische Be-

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schen Richter und Parteien folgendermaßen zusammen: „In dem auf dem Verhandlungsprinzip auferbauten deutschen Reichscivilprozessrecht ist wie das Behaupten so auch das Beweisen, die Beweisführung, Parteithätigkeit, wenn auch der Richter sie prozessleitend überwacht, unterstützt und ausnahmsweise ergänzt.“374 cc) Ergebnis Unter dem Begriff der Verhandlungsmaxime verstand man im ausgehenden 19. Jahrhundert das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. Fasst man das im 19. Jahrhundert vertretene Stimmungsbild zusammen, so wurden der Verhandlungsmaxime im Wesentlichen zwei unterschiedliche Gewährleistungsdimensionen zugeschrieben, eine inkludierende und eine exkludierende: Die inkludierende Gewährleistungsdimension der Verhandlungsmaxime räumt den Parteien ein (subjektives) Recht darauf ein, auf den Prozess größtmöglichen Einfluss nehmen zu dürfen. Die exkludierende Gewährleistungsdimension der Verhandlungsmaxime verpflichtet andererseits den Richter, sich weitgehend der eigenständigen Einflussnahme auf den Prozess zu enthalten und gleichzeitig die von den Parteien ausgeübten (Prozess-)‌Rechte zu berücksichtigen. Diese Grundvorstellung vom Begriff der Verhandlungsmaxime wird auch dem Gesetzgeber bei der Abfassung der Zivilprozessordnung zugrunde gelegen haben. Sie ist als Auslegungstopos für die Zivilprozessordnung noch heute, wo sie keine gesetzgeberische Revision erfahren hat, maßgeblich. Das gilt im Besonderen für §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO auf der Ebene der Beweiserhebung. b)  Die Verhandlungsmaxime als Grundlage für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung Die rechtshistorische Untersuchung hat gezeigt, dass in Beweisverfahren, denen in mehr oder weniger ausgeprägter Form das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung und damit das, was heute unter der Verhandlungsmaxime verstanden wird, zugrunde lag, der Richter im Grundsatz verpflichtet war, der Beweisführung durch die Parteien stattzugeben und umgekehrt die Beweiswürweissystem gebaut werde auf das Princip der materiellen Wahrheit. Wer dem widerspricht ist verdächtig des Formalismus, engherziger scholastischer Auffassungsweise. Er gilt als überwunden, wie sein Standpunkt, der eine Velleität aus verknöcherter gemeinrechtlicher Doktrin heraus sei. Die Wahrheit, die immer nur eine ist, gelte es im Civil- wie im Strafprocess aufzudecken. Daher schreckt man nicht vor freier Forschungsmaxime zurück. Daher wirft man das unbequeme sog. Verhandlungsprincip wohl als veralteten Irrthum zu dem Uebrigen. Die CPO. theilt diesen jugendfrischen Standpunkt nicht.“ 374  Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  155.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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digung nicht vorwegnehmen durfte.375 Vor diesem Hintergrund stellt sich nun in gleicher Weise für das Beweisverfahren der Zivilprozessordnung die Frage, ob auch hier das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung und mit ihm die Verhandlungsmaxime tragend für die Geltung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht und dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung sind. aa)  Die Kritik am Maximendenken Der aufgeworfenen Frage wohnt bereits im Ansatz eine gewisse rechtsdogmatische Schwäche inne. Denn sie geht davon aus, dass Prozessmaximen (auch: Verfahrensgrundsätze) generell einer konkreten normativen Deduktion zugänglich seien. Bereits im 19. Jahrhundert hatte man Zweifel, ob man einer gesetzlich nicht ausdrücklich fixierten, im Einzelnen völlig unbestimmten und den Schwankungen des jeweiligen Zeitgeists in besonderem Maße ausgesetzten Prozessmaxime eine rechtsverbindliche Schlussfolgerung angedeihen lassen durfte.376 Mittermaier hielt es für ein gemeinhin deutsches Phänomen, „alles zu generalisieren, und sich glücklich zu preisen, wenn man nur eine neue Maxime gefunden hat“.377 Mittermaier brachte damit die Sorge zum Ausdruck, dass man sich einer dogmatisch überzeugenden Bewältigung von Rechtsfragen vorschnell verschließt, wenn man sich allzu rasch auf unpräzise Pauschalisierungen zurückzieht.378 Auch Puchta fand nur wenig Gefallen an dem mit den Begriffen der Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime neu aufgekommenen Maximendenken. Dabei handele es sich um eine „unselige Folge des Philosophirens im Civilprozesse“.379 Soweit die damalige Lehre davon ausging, dass die Verhandlungsmaxime ein „richterliches Passivitätssystem“ begründe, gab Puchta kritisch zu bedenken, dass das Maximendenken dazu führe, etwas als erwiesen anzunehmen, „was erst noch zu erweisen wäre.“380 Daneben sprachen sich auch Ende-

375 

Teil 1, A.II.3; A.IV.3; A.V. Vgl. Mittermaier, AcP  2 (1819), 169, 171 ff.; Puchta, Dienst der deutschen Justizämter, Bd.  2, S.  63 ff.; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365; v. Bar, Recht und Beweis im Civilprocesse, S.  35 ff. 377  Mittermaier, AcP  2 (1819), 169, 170. 378  Vgl. Mittermaier, AcP  2 (1819), 169, 170 ff. 379  Puchta, Dienst der deutschen Justizämter, Bd.  2, S.  67. In diesem Sinne führte Puchta an anderer Stelle aus, dass insbesondere die Verhandlungsmaxime allein „durch die Lehren philosophirender Rechtslehrer in der Praxis (…) Geltung erlangt“ habe, ohne dass deren Inhalt und Umfang zuvor durch das Gesetz selbst begründet worden wäre, vgl. Puchta, Prozeßleitungsamt, S.  62. 380  Puchta, Prozeßleitungsamt, S.  129. 376 

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mann381 und ihm folgend v. Bar382 gegen ein verallgemeinerndes Maximendenken aus. Allerdings weniger, weil sie dessen generelle Nützlichkeit bestritten, sondern vielmehr, weil sie die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des Zivilprozesses zurückdrängen wollten um der richterlichen Freiheit mehr Raum zu geben. Die aufgeworfene Kritik am Maximendenken führte gleichwohl nicht dazu, dass sich die Prozessrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts davon abhalten ließ, sich ihrer umfangreich zu bedienen. Reduziert man die jeweils in Ansatz gebrachte Prozessmaxime auf ihren Wesenskern und fragt danach, welche strukturellen Konsequenzen sie für das auf ihr beruhende Verfahren hat, so stellt sich das Maximendenken sicherlich nicht als vollkommen wertlos dar. Das gilt insbesondere dann, wenn man sich darüber bewusst ist, dass das Maximendenken keine sachgerechten Antworten auf verfahrensrechtliche Detailfragen liefern kann. Die Schwelle zum konturenlosen Herumphilosophieren wäre damit sicherlich überschritten. Gleichwohl kann aber das Maximendenken eine valide Antwort auf richtungsweisende Strukturfragen einer Verfahrensordnung geben. bb)  Der Gewährleistungsgehalt der Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip Trägt man den genannten Bedenken Rechnung, sollte die hier interessierende Frage daher nicht lauten, ob die Verhandlungsmaxime als solche, sondern vielmehr ob das durch sie zum Ausdruck gebrachte Strukturprinzip die Grundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht bildet. Die Literatur des 19. Jahrhunderts verband mit dem Begriff der Verhandlungsmaxime die Vorstellung, dass den Parteien das Recht zustünde, alle aus ihrer Sicht als geeignet erscheinenden Erkenntnismittel in den Prozess einführen zu dürfen, damit sich das Gericht von der Wahrheit der eigenen oder der Unwahrheit der gegnerischen Tatsachenbehauptung überzeugen konnte. Die Verhandlungsmaxime stand demnach in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem bereits im romanisch-kanonischen und gemeinen Prozessrecht geltenden Rechtssatz des iudex iudicare debet secundum allegata et probata a partibus.383 Bereits Gönner leitete aus der Geltung der Verhandlungsmaxime konkret für das Beweisverfahren die „unbedingte Pflicht des Richters“ ab, „die Mittel der Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  365. v. Bar, Recht und Beweis im Civilprocesse, S.  35 ff. 383  Vgl. Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  154: „Kraft der Verhandlungsmaxime urtheilt der Richter secundum allegata et provata partium, nicht secundum propriam suam conscientiam.“ Ferner: Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  369. Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  520. Aus späterer Zeit: Levin, Richterliche Proezßleitung, S.  32 ff.; Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts, 1.  Aufl., S.  31. Vgl. dazu Teil 1, A.II.3; A.IV.2. 381  382 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Vertheidigung nicht abzuschneiden“.384 Der Richter müsse „jedes Vorbringen der Parteien anhören“, selbst wenn es ihm als „irrelevant erscheint“.385 Hierdurch werde dem Umstand Rechnung getragen, „daß jeder Bürger mit seinen Rechten nach freier Willkür zu schalten befugt ist“ und „der Staat nur dann schützt, wenn der Schutz reclamirt wird (…).“386 Im Gegensatz dazu sei es im Geltungsbereich der Untersuchungsmaxime „die Pflicht und das Recht (des Richters), den wahren Sachverhalt zu erforschen.“387 Dieser strukturelle Unterschied leitete Gönner zu folgender Annahme: Im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime stehe jede „Thätigkeit des Richters überhaupt“ unter der „Bedingung“ einer Parteihandlung. Im Geltungsbereich der Untersuchungsmaxime stelle dagegen die Parteihandlung lediglich ein „Beförderungsmittel“ dar, „wodurch die Untersuchung des Richters erleichtert wird; er ist also dort (im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime) an das Vorbingen der Parteien gebunden, hier (im Geltungsbereich der Untersuchungsmaxime) hat er kein anderes Gesetz als das der Zweckmäßigkeit, ohne von dem Vorbringen der Parteien abzuhängen.“388 Fitting folgerte aus dem „Geiste der Verhandlungsmaxime“, dass die Beweisführung „den Parteien anheimgegeben“ sei.389 Laut Endemann führe die Geltung der Verhandlungsmaxime im Beweisverfahren dazu, dass das Gericht „in Bezug auf die Findung des faktischen Stoffs an die Vorträge der Parteien“ gefesselt werde.390 Den Parteien gebühre „das Recht (…), lediglich auf Grund ihres Vorbringens beurtheilt zu werden.“391 Daraus schloss v. Bülow, dass der Staat, soweit er die „außergerichtliche Selbsthülfe“ untersage und gleichzeitig den Parteien – vermittelt durch die Verhandlungsmaxime – die Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung übertrage, den Parteien die hinreichende Gelegenheit bieten müsse, ihrer Sachaufklärungsverantwortung gerecht werden zu können.392 Aus der Geltung der Verhandlungsmaxime und dem sie flankierenden Prozessleitungsamt des Gerichts folgerte Wach ganz grundsätzlich: „Die richterliche Befugniss zur Processleitung durch Abschneiden des Ueberflüssigen, Zweckwidrigen kommt beim Beweise in glücklichster Weise zur Geltung. (…) Offenbar chikanöse, frivole, werthlose Beweisanträge lässt das Gericht unbeachtet. Ist es überzeugt, so lehnt es weitere Beweisanträge ab, welche der Verstärkung dieGönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  224. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  224. 386  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  182. 387  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  194 f. 388  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  191. 389  Fitting, Haupt- und Gegenbeweis, S.  30 f. 390  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  370. 391  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  370. 392  v. Bülow, AcP  62 (1879), 1, 86 und 91. 384  385 

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ser Ueberzeugung dienen sollen. Nicht aber darf es Gegenbeweise, welche nicht schon auf den ersten Anblick aussichtslos sind, zurückweisen.“393 Demzufolge ging Wach, wie auch andernorts,394 davon aus, dass das Gericht einer Beweisführung grundsätzlich stattgeben musste, soweit es diese nicht für überflüssig oder zweckwidrig hielt. Ganz in diesem Sinne stellte Planck kurze Zeit später folgende Grundsätze auf: „Welche Beweismittel benutzt werden sollen, bestimmt der in der Beweisantretung oder dem Beweisangebot ausgedrückte Wille der Partei. (…) Der Richter ist verpflichtet, die in prozessordnungsmässiger Weise ihm dargebotenen Beweismittel zu benutzen, falls ihm nicht etwa von vorn herein ihre Werthlosigkeit offen ersichtlich ist.“395 Damit kann als erwiesen angesehen werden, dass die Literatur des 19. Jahrhunderts im Kern davon ausgegangen ist, dass die Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip das Gericht grundsätzlich verpflichtet, einer beantragten Beweisführung der Parteien stattzugeben. Ob aber auch der Gesetzgeber diesen in der Literatur vertretenen Standpunkt teilte, lässt sich anhand der Gesetzesmaterialien zur Zivilprozessordnung nicht ohne Weiteres belegen. Die dort gemachten Ausführungen zum Wesen der Verhandlungsmaxime fallen derart oberflächlich aus, dass sie für sich genommen nicht ausreichen, um sich ein abschließendes Bild in dieser Hinsicht machen zu können.396 Wie ausgeprägt das Maximendenken auch auf Seiten des Gesetzgebers gewesen sein musste, lässt sich wesentlich besser nachvollziehen, wenn man die Folgen der Untersuchungsmaxime auf das strafprozessuale Beweisverfahren mit in den Blick nimmt. Ginge es nach Gönner, so dürfte unbesehen zu vermuten sein, dass ihm als Folge der Untersuchungsmaxime und damit als Ausdruck des Prinzips der Richterherrschaft und Richterverantwortung der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrunde gelegt wurde. Diese Vermutung erwies sich als berechtigt. Dem Entwurf der Strafprozessordnung lag tatsächlich der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrunde. So ordnete §  207 StPO-E für die Beweisaufnahme das Folgende an: „Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein.“397

Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  161. Vgl. Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  154 ff. 395  Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  163 und 167. 396  Vgl. nur: Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  115 und 210. 397  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  28. 393  394 

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Die freie Stellung des Gerichts im Umgang mit Beweisanträgen soll dem Anklagegrundsatz des §  135 StPO-E (§  153 StPO a. F.398, §  155 StPO) Rechnung tragen.399 §  135 StPO-E lautete: „Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete That und auf die durch die Klage beschuldigten Personen. Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Thätigkeit berechtigt und verpflichtet; insbesondere sind sie bei Anwendung des Strafgesetzes an die gestellten Anträge nicht gebunden.“400

In der Gesetzesbegründung zu §  207 StPO-E heißt es: „Die Bestimmung des §  207 hat unter anderem die wichtige Folge, daß in der Hauptverhandlung auch solche Personen, welche von dem Vorsitzenden oder von der Staatsanwaltschaft geladen sind, unvernommen entlassen werden können, wenn sich von ihren Aussagen nach dem Ergebniß der Hauptverhandlung ein näherer Aufschluß nicht erwarten läßt, (…).“401 Nach Maßgabe des §  207 StPO-E sollte somit das Gericht nicht nur berechtigt sein, frei darüber zu entscheiden, ob es einer beantragten Beweisführung stattgab, sondern es durfte darüber hinaus eine bereits zugelassene Beweisführung jederzeit abbrechen. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung, wie ihn der Entwurf zur Strafprozessordnung in dessen §  207 StPO-E vorsah, stellte letztlich eine konsequente Folge der Untersuchungsmaxime als Strukturprinzip des strafprozessualen Beweisverfahrens dar. Dass sich gleichwohl die Textfassung des §  207 StPO-E im Rahmen der parlamentarischen Debatte nicht behaupten konnte und schlussendlich in §  244 Abs.  1 StPO a. F.402 der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aufgenommen worden ist, steht diesem Befund nicht entgegen. Den entscheidenden Ausschlag dafür, dass sich der Entwurf der Strafprozessordnung vom Grundsatz der freien Beweisablehnung löste, obwohl er laut Gneist403 bis dahin in dreiviertel aller deutschen Strafprozessordnungen galt, gaben rationale Bedenken, nicht ju398 

RGBl.  1877, S.  253, 282. Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  192. 400  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  21. 401  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  192. 402  §  244 Abs.  1 StPO i. d. F. vom 1. Februar 1877: „Die Beweisaufnahme ist auf die sämmtlichen vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen sowie auf die anderen herbeigeschafften Beweismittel zu erstrecken. Von der Erhebung einzelner Beweise kann jedoch abgesehen werden, wenn die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte hiermit einverstanden.“, RGBl.  1877, S.  253, 297. 403  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  1656. Vgl. ferner Gneist an anderer Stelle: „Keine der größeren Gesetzgebungen kenne diese Beschränkung des richterlichen Ermessens, wie die Kommission sie eingeführt habe.“, Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  1359. 399 

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ristische: Zum einen fürchtete man, dass das Gericht, auch wenn es die Verantwortung für die wahrheitsgemäße Sachverhaltsfeststellung trägt, sich all zu leicht verleitet sehen könnte, eine Beweisführung abzuschneiden, weil es ihr von vornherein keinen Wert beimesse. Eine solche Beweisprognose könne das Gericht vor der Beweiserhebung vernünftigerweise nicht aufstellen.404 Zum anderen, und hierauf schien der Schwerpunkt zu liegen, maß man der Frage, ob das Gericht eine Beweisführung nach freiem Ermessen ablehnen dürfe, eine „große psychologische Bedeutung“ bei.405 Aufgabe der mündlichen Verhandlung sei es unter anderem auch, „dem Schuldigen (…) die Ueberzeugung davon beizubringen, daß er überführt sei, und daß ihm Recht geschehe. So lange aber auch nur ein ganz irrelevanter Entlastungszeuge unvernommen bleibe, könne der Angeklagte sich einreden, er sei nicht gerecht behandelt.“406 Vor diesem Hintergrund folgerte Völk: „Die Hauptsache sei, daß immer noch die anscheinend oder wirklich feststehende Ueberzeugung des Richters durch einen anderen Zeugen erschüttert werden könne, und daß der Angeklagte selbst überzeugt werden müsse, daß das Urtheil ein gerechtes sei. Wenn man die Beweiserhebung abschneide, so könne auch der Schlechteste immer noch sagen, es wäre anders gegangen, wenn man noch die und die Zeugen vernommen hätte und verschanze sein schlechtes Gewissen hinter die Ausrede.“407 Wenn somit nach der Vorstellung des Gesetzgebers in einem Beweisverfahren, das auf der Untersuchungsmaxime beruht, der Grundsatz der freien Beweisablehnung zur Geltung komme, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass es gleichermaßen der Vorstellung des Gesetzgebers entspreche, dass in einem Beweisverfahren, das auf der Verhandlungsmaxime beruht, der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zur Geltung komme. cc) Ergebnis Ohne den allgemeinen Wert des Maximendenkens unnötig überhöhen zu wollen, lässt sich vor diesem Hintergrund konstatieren, dass die Verhandlungsmaxime als beweisverfahrensrechtliches Strukturprinzip die Grundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht bildet.408 Soweit man von einer überflüssigen, wertlosen oder zweckwidrigen Beweisführung absieht, ist das GeDieser Ansicht waren in der Justizkommission namentlich Reichensperger, Völk, Struckmann, Bähr, Herz und Schwarze, vgl. Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  847 ff., 1358, 1899 f. 405  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  848. 406  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  848. 407  Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  1358. 408  Vgl. ebenso Schwartz, Gewährung und Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, S.  29: „Der Verhandlungsgrundsatz untersagt dem Gericht vor allem die Einführung von Tatsachen. 404 

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richt grundsätzlich verpflichtet, einer beantragten Beweisführung der Parteien stattzugeben. c) Zusammenfassung Die vorangegangene Untersuchung konnte belegen, dass dem Beweisverfahren der Zivilprozessordnung auf der Ebene der Beweiserhebung sowohl der Grundsatz der freien Beweisablehnung, vermittelt durch §  439 ZPO a. F. (≈ §  448 ZPO) und §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO), als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, vermittelt durch die Verhandlungsmaxime als beweisverfahrensrechtliches Strukturprinzip, zugrunde liegt. Da beide Verfahrensgrundsätze die exakt entgegengesetzte Stoßrichtung haben, sind sie nicht miteinander in Einklang zu bringen. Das Beweisverfahren, wie es der Zivilprozessordnung zugrunde liegt, ist strukturell widersprüchlich und erweist sich insofern als inkohärent. 3.  Der Geburtsfehler des zivilprozessualen Beweisverfahrensmodells – Grund und Ursachen für eine inkohärente Gesetzgebung Es hat sich gezeigt, dass dem zivilprozessualen Beweisverfahren sowohl der Grundsatz der freien Beweisablehnung409 als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht410 zugrunde liegt. Ersterer ist Ausdruck des Prinzips der Richterherrschaft und Richterverantwortung, gestützt auf das Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richteramtes. Letzterer ist Ausdruck des Prinzips der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung, als Folge eines generellen Misstrauens gegenüber dem Staat und seiner Richter. Es ist nicht möglich, dem Richter die Beweiserhebung einerseits ins freie Ermessen zu stellen und ihn hierzu andererseits zu verpflichten. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht können im Rahmen des Beweisverfahrens nur alternativ, niemals aber kumulativ zur Anwendung gelangen. Vor diesem Hintergrund wurde konstatiert, dass das der Zivilprozessordnung zugrunde gelegte Beweisverfahren inkohärent ist.411 Die Tragweite dieses inneren Widerspruchs wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert – soweit ersichtlich – nicht gesehen. Andernfalls wäre nicht zu erklären, wie beispielsweise Wach, der, wie eben gezeigt, vom Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ausging, unter Bezugnahme auf §  419 ZPO-E (§  437 Ihre alleinige Verantwortung für die Beibringung des Streitstoffes garantiert den Parteien sowohl das Recht zur Äußerung als auch die Anhörung durch das Gericht.“ 409  Teil 1, B.I.1. 410  Teil 1, B.I.2. 411  Teil 1, B.I.2.c).

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ZPO a. F.) kurzerhand behaupten konnte: „Freilich würde der Richter Unrecht thun, wenn er gegen nicht aussichtslose Beweisantretung den Eid auferlegte, um schnell zum Ende zu gelangen. Auch dürfte er ernste Bedenken gegen sich haben, wollte der Richter der Partei, welche voll mit anderen Beweismitteln zu beweisen beabsichtigt, nur zur Ersparniss der Beweisaufnahme die Gewissensbelastung des unabweisbaren Richtereides zumuthen.“412 In ähnlicher Weise machte Planck den richterlichen Eid davon abhängig, dass die Partei, der der Eid auferlegt werden soll, „wenigstens etwas beigebracht habe“, um den Richter von der Wahrheit der eigenen Behauptung zu überzeugen.413 Der richterliche Eid dürfe daher nicht auferlegt werden, wenn die beweisbelastete Partei „nur werthlosen Beweis angeboten hat“ oder „die ausgeführte Beweisaufnahme zu (ihren) Gunsten nichts ergeben hat.“414 Dies mag vor dem Hintergrund des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht durchaus gerechtfertigt sein. Die Gesetzesmaterialien belegen indes, dass der Gesetzgeber den Standpunkt Wachs und Plancks nicht teilte. Spätestens nachdem das Reichsgericht noch im ausgehenden 19. Jahrhundert den Grundsatz der freien Beweisablehnung konsequent zurückdrängte und damit dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht weitreichende Geltung verschaffte,415 verlor das aufgezeigte Spannungsverhältnis jede praktische Bedeutung. Wohl aus diesem Grund hat man sich bis heute der wichtigen Frage, warum der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung ein inkohärentes Beweisverfahrensmodell zugrunde gelegt hat und was die Ursachen hierfür waren, nicht angenommen. Das hatte zur Folge, dass keine Klarheit darüber herrschte, ob nach Vorstellung des Gesetzgebers im zivilprozessualen Beweisverfahren der Grundsatz der freien Beweisablehnung oder der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht herrschen sollte. a)  Die Vordenker eines modernen Beweisverfahrensmodells für den deutschen Zivilprozess Eine Antwort auf die aufgeworfene Frage kann sinnvollerweise nur dort erwartet werden, wo der Reformprozess für ein modernes, von der legalen Beweistheorie weitestgehend befreites zivilprozessuales Beweisverfahrensmodell seinen tatsächlichen Ursprung nimmt.

Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  174. Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  328. 414  Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  329. 415  Teil 1, B.II.1. 412  413 

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Mit einer neuen Beitragsreihe416, beginnend im Jahr 1844, forderte Mittermaier die Prozessrechtswissenschaft dazu auf, ihre ganzen Anstrengungen und Bemühungen daran zu setzen, den Zivilprozess grundlegend zu reformieren:417 „Es bedarf einer völligen Umgestaltung des Prozeßgesetzes und daher vor allem der Verständigung über die Grundformen des künftigen Verfahrens; insbesondere wie weit dasselbe auf Mündlichkeit, Oeffentlichkeit, Verhandlungs- oder Untersuchungsprinzip u.s.w. gebaut werden soll; (…).“418 Mit der zunehmenden Anerkennung allgemeiner Bürgerrechte für den Gerichtsgang, die sich zu sog. „Grundrechten“ verdichteten, fand Mittermaiers Forderung breites Gehör.419 Spätestens im Jahr 1848, als selbst die Regierungen zahlreicher deutscher Staaten sich für eine grundlegende Reformierung der Strafrechtspflege nach Maßgabe jener Grundrechte aussprachen, folgte dem die Zusage für eine Zivilprozessrechtsreform auf dem Fuße.420 Auf diese Entwicklung Bezug nehmend konstatierte Busch im Hinblick auf das Beweisverfahren einen „Zwiespalt“ der deutschen Gesetzgebung in Zivilund Strafsachen.421 Während die legale Beweistheorie im Strafprozess abgeschafft worden sei, um die „materielle Wahrheit bei der Beweisaufnahme möglichst“ erreichen zu können, halte man im Zivilprozess an ihr nach wie vor fest.422 416  Mittermaier, AcP  26 (1844), 279 ff.; ders., AcP  28 (1845), 112 ff.; ders., AcP  28 (1845), 274 ff.; ders., AcP  30 (1847), 248 ff.; ders., AcP  30 (1847), 421 ff.; ders., AcP  32 (1849), 267 ff.; ders., AcP  32 (1849), 401 ff.; ders., AcP  36 (1853), 130 ff.; ders., AcP  37 (1854), 126 ff.; ders., AcP  37 (1854), 270 ff.; ders., AcP  38 (1855), 269 ff.; ders., AcP  39 (1856), 378 ff.; ders., AcP  40 (1857), 88 ff.; ders., AcP  40 (1857), 230 ff.; ders., AcP  40 (1857), 428 ff.; ders., AcP  41 (1858), 65 ff.; ders., AcP  41 (1858), 214 ff.; ders., AcP  41 (1858), 419 ff.; ders., AcP  42 (1859), 342 ff.; ders., AcP  43 (1860), 384 ff.; ders., AcP  44 (1861), 67 ff.; ders., AcP  44 (1861), 286 ff.; ders., AcP  45 (1862), 99 ff.; ders., AcP  45 (1862), 207 ff.; ders., AcP  45 (1862), 386 ff.; ders., AcP  46 (1863), 96 ff.; ders., AcP  46 (1863), 275 ff.; ders., AcP  46 (1863), 401 ff.; ders., AcP  47 (1864), 50 ff.; ders., AcP  47 (1864), 406 ff.; ders., AcP  48 (1865), 273 ff.; ders., AcP  48 (1865), 412 ff.; ders., AcP  49 (1866), 115 ff.; ders., AcP  49 (1866), 264 ff.; ders., AcP  49 (1866), 415 ff.; ders., AcP  50 (1867), 80 ff. 417  Mittermaier, AcP  27 (1844), 279, 281 ff., 286: „Man kann nicht blind gegen die Mängel des deutschen Rechtszustandes in materieller und formeller Hinsicht sein. Das unläugbar vielfach gesunkene Vertrauen des Volkes zur Justiz und zu den von den Gerichten gefällten Urtheilen dürfte eine ernste Warnung sein für diejenigen, deren Willen die Vorsehung die Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände anvertraut hat. (…); der Grund des gesunkenen Vertrauens liegt vorzüglich in dem Zustande der Gesetzgebung selbst.“ 418  Mittermaier, AcP  27 (1844), 279, 289. Mittermaiers Bestrebungen waren schon vorher getragen von der „Hoffnung einer aus Einem Gusse hervorgegangenen“ Prozessordnung, vgl. Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  24. 419  Mittermaier, AcP  32 (1849), 267, 270; ders., AcP  32 (1849), 401. 420  Mittermaier, AcP  32 (1849), 267, 269 ff.; ders., AcP  37 (1854), 126. 421  Busch, AcP  37 (1854), 63. 422  Busch, AcP  37 (1854), 63, 65.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Vor diesem Hintergrund forderte Busch einen Gleichlauf von Straf- und Zivilprozess und damit die Abschaffung der legalen Beweistheorie insgesamt.423 Das Gericht solle in Zivilsachen gleichermaßen wie in Strafsachen über die Beweisfrage nach freier Überzeugung entscheiden dürfen.424 Busch stieß damit auf grundsätzlichen Zuspruch bei Mittermaier425 und v. Krävel.426 Mittermaier behauptete deshalb, dass im Rahmen einer Zivilprozessrechtsreform „am dringendsten (…) eine Umgestaltung der bisherigen Beweislehre“ stattzufinden habe.427 Auch er plädierte im Anschluss an Busch für die Abschaffung der legalen Beweistheorie im Zivilprozess, und zwar sowohl auf der Ebene der Beweiswürdigung als auch auf der Ebene der Beweiserhebung:428 „Nur auf dem in England und Nordamerika 1843 gewählten Wege der Gesetzgebung, nach welchem Niemand wegen Interesse an der Sache oder wegen verübter Verbrechen vom Zeugnisse ausgeschlossen werden und nur der Richter beurtheilen soll, wie weit er nach den Umständen des Falles den Zeugen trauen will, erreichen die Partheien und die Richter den Vortheil, daß sie alle Beweisquellen benutzen und sicherer die Wahrheit erforschen können, während bei dem entgegengesetzten bisherigen Wege das Gesetz (…) dem Richter gebietet Augen und Ohren zu verschließen.“429 Dies bedeutete für Mittermaier freilich nicht, dass das Gericht fortan die Wahrheit auf eigene Faust erforschen müsse. Der entscheidende Vorteil in der Abschaffung der legalen Beweistheorie lag für Mittermaier allein darin, dass dem Gericht nicht mehr von Gesetzes wegen bestimmte Erkenntnisquellen von vornherein verschlossen waren oder ihm der Wert eines Beweismittels vorgeschrieben wurde. Dagegen sollte die Abschaffung der legalen Beweistheorie keine Auswirkungen auf das exklusive Beweisführungsrecht der Busch, AcP  37 (1854), 63, 67 ff.; ders., AcP  39 (1856), 86 ff. Busch, AcP  37 (1854), 63, 91 f.; ders., AcP  39 (1856), 86. 425  Mittermaier, AcP  37 (1854), 126, 143 ff. 426  v. Krävel, AcP  38 (1855), 1, 12 f. 427  Mittermaier, AcP  37 (1854), 126, 143 f. Dies macht Mittermaier an folgendem fest: „Auf diese Weise (Vorschriften über die Zulässigkeit von Beweismitteln) mangelten auf einer Seite den Partheien die Mittel, auf die oft einzig mögliche, auf jeden Fall kürzeste Art Beweise der Wahrheit zu liefern; der Richter erhielt nur unvollkommene Materialien, und war durch Beweisvorschriften gebunden, gegen seine Ueberzeugung ein Urtheil zu fällen.“ In diesem Sinne: ders., AcP  39 (1856), 378, 409. 428  Mittermaier, AcP  37 (1854), 126, 144 ff.; ders., AÖGZ 1857, Nr.  98 – Nr.  102. 429  Mittermaier, AcP  37 (1854), 126, 145; ders., AÖGZ 1857, Nr.  98: „Die ausgezeichnetste Rechtskenntniß, der feinste Scharfsinn und noch so lange Uebung des Richters nützen nichts, wenn dem Richter unvollständige Beweise, unklare, auf Schrauben gestellte Aussagen vorliegen, oder wenn das Gesetz Mittel zugelassen hat, die von einer gewissenlosen Partei leicht zur Verdunkelung der Wahrheit mißbraucht werden können, oder wenn durch das Gesetz dem Richter oder den Parteien der Gebrauch von Mitteln versagt ist, durch welche am leichtesten die Wahrheit hätte erforscht werden können.“ 423  424 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Parteien haben. Freie Wahrheitsfeststellung bedeutete für Mittermaier nicht freie Wahrheitserforschung. Aus diesem Grund bildete die äußere Grenze der Wahrheitsfeststellung stets der Parteiwille. Gestand eine Partei eine streitige Tatsache zu, hatte die Wahrheitsfeststellung schlagartig ein Ende zu finden.430 Um gleichwohl sicherzustellen, dass die tatsächliche Wahrheit auch ohne selbstständiges Tätigwerden des Gerichts ans Licht kommen könne, hielt es Mittermaier für erforderlich, die Parteien zu einem wahrheitsgemäßen Vortrag zu verpflichten.431 Der Vorstoß Mittermaiers fand bei v. Krävel weitestgehend Zustimmung.432 Auch er sprach sich für die „freie richterliche Beweisbeurteilung“ (auch: Beweiswürdigung) aus, hielt es aber weiterhin für die alleinige Aufgabe der Parteien, die erforderlichen Beweismittel vorzubringen. Soweit aber eine streitige Tatsache zugestanden sei, dürfe das Gericht keine weitergehende Wahrheitsfeststellung vornehmen.433 Der entgegenstehende Parteiwille stelle nach Ansicht v. Krävel für die richterliche Wahrheitsfeststellung ein unüberwindbares Hindernis dar. Dem schloss sich kurze Zeit später Busch an, der ebenfalls klarstellend darauf hinwies, dass die richterliche Wahrheitsfindung im Zivilprozess freilich nicht dazu führen dürfe, dass ein entgegenstehender Parteiwille beiseitegeschoben werde.434 Vor diesem Hintergrund wäre es zweifellos unrichtig, wenn man glaubte, Busch, Mittermaier und v. Krävel hätten sich für eine völlige Gleichstellung zwischen dem zivilprozessualen und dem strafprozessualen Beweisverfahren ausgesprochen. Sie forderten zwar einvernehmlich, dass die legale Beweistheorie aufgegeben werde, um der richterlichen Wahrheitserkenntnis Raum zu geben. Allerdings hielten sie – wie selbstverständlich – daran fest, dass die Mittel zur Wahrheitserkenntnis allein durch die Parteien vorgebracht werden sollten und dürften. Die zivilprozessuale Wahrheitserkenntnis, wie sie sie vorschlugen, war damit keineswegs mit der strafprozessualen Wahrheitserkenntnis vergleichbar. Denn anders als im Strafprozess, konnte das Gericht im Rahmen des Zivilprozesses die Wahrheit immer insoweit feststellen, wie ihm die Parteien die hierfür erforderlichen Erkenntnismittel zur Verfügung stellten. Obwohl sie mit der Abschaffung der legalen Beweistheorie die materielle Wahrheitsfindung zu ermögMittermaier, AcP  37 (1854), 126, 145. Mittermaier, AcP  39 (1856), 378, 408. Vgl. ebenso in diesem Sinne: Puchta, Prozeßleitungsamt, S.  126 f. Endemann geht indessen davon aus, dass die „Aufrichtigkeit der Parteien“ schon allein dadurch herbeigeführt werde, dass das Gericht im Beweisverfahren völlig frei agieren dürfe. „Das Leugnen oder unwahre Vorschützen von thatsachen würde bei freier Beurtheilung bald (…) ziemlich nutzlos und durch die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit dazu noch lächerlich, wo nicht empfindlich gemacht werden.“, Endemann, AcP  41 (1858), 92, 118. 432  v. Krävel, AcP  38 (1855), 1, 12 f. 433  v. Krävel, AcP  38 (1855), 1, 12. 434  Busch, AcP  39 (1856), 86, 103. 430  431 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

lichen glaubten, beschränkte sich das von ihnen vorgeschlagene Beweisverfahrensmodell lediglich auf eine formelle Wahrheitsfindung. Im Gegensatz zu Busch, Mittermaier und v. Krävel blieb der Reformansatz Endemanns nicht bei der Forderung stehen, die legale Beweistheorie aus dem zivilprozessualen Beweisverfahren zu verbannen. Vielmehr bedurfte es laut Endemann einer viel grundlegenderen Auseinandersetzung mit dem Charakter des Zivilprozesses.435 Dazu müsse man sich in erster Linie darüber klarwerden, ob die Verhandlungsmaxime nach wie vor ein tragfähiges Strukturprinzip eines modernen Zivilprozesses sei.436 Schließlich bilde die Verhandlungsmaxime den Ausgangspunkt der legalen Beweistheorie; sie verbiete es dem Richter festzustellen, was „wirklich wahr sei“.437 Dies sei es aber, „was jeder Rechtskundige wünscht.“438 Aus diesem Grund müsse das Gericht in jedweder Hinsicht frei sein:439 „(…); die geringste positive Vorschrift kann, wenn sie noch so gut und vorsichtig aufgestellt worden ist, der Ueberzeugung nach innern logischen Gründen gerade so gut Zwang anthun, wie eine der heute gültigen gemeinrechtlichen Beweisregeln.“440 Anders als Busch, Mittermaier und v. Krävel verstand Endemann unter der geforderten richterlichen Freiheit aber nicht nur, dass das Gericht die vorgebrachten Beweismittel frei würdigen, sondern dass es auch weitere Beweismittel frei erheben dürfe: „Wenn die gesammte Beweisverhandlung den Zweck hat, den vollen Stoff und die volle Erkenntniß der einen realen Wahrheit zu liefern, so muß sie nothwendig innerlich als ein untheilbares Ganzes gedacht werden. Es ist ebenso unmöglich, (…) die Parteirollen in den Gegensatz zu bringen, welchen der schriftliche Prozeß und die Verhandlungsmaxime erzeugt hat.“441 Dem Gericht, das „die materielle Wahrheit und Gerechtigkeit stets im Auge hat“, dürfe nichts verborgen bleiben, was für die Wahrheitsfeststellung erforderlich sein könnte.442 Daher dürfe das Benutzen etwaiger Erkenntnisquellen nicht von der Parteidisposition, wie es die Verhandlungsmaxime vorschreibt, abhängen.443 Gleiches gelte auch für das Geständnis einer Partei, das ebenfalls keine Bindungswirkung im Hinblick auf die richterliche Wahrheitsfeststellung entfalEndemann, AcP  41 (1858), 92, 93; ders., AcP  41 (1858), 289 ff. Endemann, AcP  41 (1858), 92, 93. 437  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 93. 438  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 94. 439  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 94 f. 440  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 94; ders., AcP  41 (1858), 289, 291: „Keine formale Beweisvorschrift gibt für die Ueberzeugung von der Wahrheit, geschweige denn für die Wahrheit selbst eine Gewähr.“ 441  Endemann, AcP  41 (1858), 289, 309 f. 442  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 118. 443  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  646 ff. 435  436 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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ten dürfe.444 Die völlige Freiheit des Gerichts auf der Ebene der Beweiserhebung hatte für Endemann zweierlei Konsequenzen: Das Gericht dürfe einerseits nach freiem Ermessen weitere Beweismittel von Amts wegen erheben (sog. Grundsatz der freien Beweiserhebung) und andererseits beantragte Beweismittel von vornherein verwerfen (sog. Grundsatz der freien Beweisablehnung). Letzteres wird durch den folgenden, bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit kurz erwähnten Textauszug deutlich zur Anschauung gebracht: „Die logische Beweisführung fordere die Beseitigung aller und jeder Unzulässigkeits- oder Unglaubwürdigkeitsgründe. (…) Der Richter soll daher (…) nur deshalb, weil er nach verständiger Einsicht von der benannten Person sich keinerlei Ueberzeugung versprechen kann, dieselbe von vorn herein verwerfen. Dieses Recht kann die freie Beweisprüfung nicht aufheben. Allein es liegt auf der Hand, daß durch die Verweisung des Richters auf sein konkretes Ermessen die größte Beschränkung der gänzlichen Inhabilität oder Unzulässigkeit herbeigeführt wird. Welcher verständige Urtheiler wird in den meisten Fällen, bevor er den Zeugen gesehen und gehört hat, im Voraus den kecken Spruch wagen, daß dieser Zeuge keinesfalls für die natürliche Ueberzeugung erheblich sein könne? Dies wäre allenfalls nur da möglich, wo dem Gerichte bereits die volle Kenntniß der allen Glauben verscheuchenden Individualität innewohnt.“445 (Hervorh. d. Verf.)

All dies müsse in letzter Konsequenz „zur Aufhebung der Verhandlungsmaxime“ im Beweisverfahren führen, da sie der Verwirklichung des materiellen Rechts unüberwindbar entgegenstehe.446 Oder mit anderen Worten: Gilt die Verhandlungsmaxime, gilt das Prinzip der formellen Wahrheit: „Da es verwehrt ist, der realen Wahrheit zu folgen, da vielmehr die Wahrheit des faktischen Stoffes so anerkannt werden muß, wie es die Verhandlungsmaxime und die objektive Beweisregel bedingen, bleibt (…) Nichts übrig, als einmal sich in die oft unsichersten Vermuthungen des Wirklichen zu stützen, sodann aber, um im Gegensatz zu der formellen Wahrheit materielles Recht zu schaffen, den Obersatz des Rechts zu dehnen und zu strecken.“447 Das wirft die Frage auf, worin der eigentliche Unterschied zwischen dem von Busch, Mittermaier und v. Krävel einerseits und von Endemann andererseits vorgeschlagenen Beweisverfahrensmodell lag. Busch, Mittermaier und v. Krävel wollten im Gegensatz zu Endemann an der Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren auf Ebene der Beweiserhebung festhalten. Zwar sollte die legale Beweistheorie in jeder Hinsicht weitestgehend aus dem Beweisverfahren verschwinden, also sowohl auf der Ebene der Beweiserhebung, Endemann, AcP  41 (1858), 289, 342. Endemann, AcP  42 (1859), 246, 247 f. 446  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  646. 447  Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  647. 444  445 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

als auch auf der Ebene der Beweiswürdigung. Tatsächlich frei zur Wahrheitsfeststellung sollte das Gericht jedoch nur auf der Ebene der Beweiswürdigung sein. Daraus folgt: Auf der Ebene der Beweiserhebung sollte die Verhandlungsmaxime und mit ihr das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung fortgelten, während auf der Ebene der Beweiswürdigung künftig das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung, mithin die Untersuchungsmaxime, gelten sollte. Die Entscheidung über das Ob und Woraus der Wahrheitsfeststellung bleibe bei den Parteien. Ein derartiges Beweisverfahrensmodell stellt aus rechtshistorischer Sicht eine Neuheit dar, denn es führt zu einer künstlichen, so nie dagewesenen strukturellen Aufspaltung des Beweisverfahrens. Den Ebenen der Beweiserhebung und der Beweiswürdigung sollte ein unterschiedlicher Verfahrensgrundsatz und damit ein unterschiedliches Strukturprinzip zugrunde liegen; Ersterer die Verhandlungsmaxime, Letzterer die Untersuchungsmaxime. Das von Busch, Mittermaier und v. Krävel entwickelte Beweisverfahrensmodell sollte somit zur Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne führen, nämlich nur auf der Ebene der Beweiswürdigung. Endemann forderte dagegen eine viel grundlegendere Änderung des Beweisverfahrens. Er wollte die dortige Geltung der Verhandlungsmaxime insgesamt aufheben. Das Gericht sollte nicht nur auf der Ebene der Beweiswürdigung, sondern schon auf der Ebene der Beweiserhebung frei sein. Letzteres sollte dazu führen, dass der Richter sachdienlich erscheinende Beweismittel von Amts wegen erheben (Grundsatz der freien Beweiserhebung) und umgekehrt nicht sachdienlich erscheinende Beweismittel, deren Erhebung die Parteien beantragt haben, von vornherein ablehnen dürfe. In struktureller Hinsicht ist lediglich das von Endemann entwickelte Beweisverfahrensmodell konsequent, da es nicht zu der eben angesprochenen Aufspaltung des Beweisverfahrens führt. Vielmehr implementiert Endemann in seinem Beweisverfahrensmodell das Prinzip der Richterherrschaft und Richtermacht sowohl auf der Ebene der Beweiserhebung als auch auf der Ebene der Beweiswürdigung. In dieser Stringenz ist es dem Beweisverfahren der Legisaktionen- und Formularprozesse448 und dem der altdeutschen Prozesse des Hoch- und Spätmittelalters449 vergleichbar. Das Beweisverfahrensmodell Endemanns zielt darauf ab, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne einzuführen, nämlich sowohl auf der Ebene der Beweiserhebung als auch auf der Ebene der Beweiswürdigung.

448  449 

Teil 1, A.I.1. Teil 1, A.III.2.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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b)  Gutachten und Verhandlungen zum Zweiten Deutschen Juristentag im Jahr 1861 Der Deutsche Juristentag nahm sich der Aufgabe an, die in der Prozessrechtswissenschaft angestoßenen Reformbemühungen konstruktiv zu unterstützen. Aus diesem Grund widmete sich bereits der Zweite Deutsche Juristentag im Jahr 1861 unter anderem der Frage, welche grundlegenden Neuerungen eine einheitliche deutsche Zivilprozessordnung enthalten sollte. Hierfür erstattete zunächst Planck450 ein allgemeingültiges Gutachten, während im Anschluss daran Brauer451 und Plathner452 speziell der Frage nachgingen, ob das Gericht über einen Beweis nach freier Überzeugung und ohne Beweisregeln entscheiden solle. Das zivilprozessuale Beweisverfahren beruhte nach Planck auf der Vorstellung, dass es „den Parteien überlassen bliebe (…) nach eigenem Ermessen die Resultate zu ziehen, und danach im Beweisverfahren die nach ihrer Meinung ihnen zufallenden Beweise zu versuchen.“453 Der Richter hingegen „soll nur alle offenbar unnützen Beweisverhandlungen verhüten, somit verbieten, daß über gewisse Punkte, die er für gänzlich unerheblich hält, Beweise vorgebracht werden, während er im Uebrigen beiden Parteien in der Auswahl des von ihnen zu Beweisenden (…) vollkommen freie Hand läßt.“454 Und weiter heißt es bei Planck: „Zu einem solchen Verbot wird sich der Richter nur im Fall ganz offenbarerer Unerheblichkeit der aufgestellten Behauptungen oder angebotenen Beweise entschließen, um der Partei, der im Uebrigen die ganze Verantwortung und Gefahr (der Tatsachenfeststellung) überlassen bleibt, den freien Spielraum nicht zu beschränken.“455 Planck sprach sich mit Rücksicht auf den gemeinen Prozess insgesamt dafür aus, dass dem zivilprozessualen Beweisverfahren, jedenfalls im Hinblick auf die Beschaffung der Erkenntnismittel, die Verhandlungsmaxime und mit ihr das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zugrunde gelegt werde. In ähnlicher Weise gab Brauer in seinem Gutachten zu bedenken, dass „in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten jeder Betheiligte in der Regel im Stande und durch eigenes Interesse und gewöhnliche Klugheit aufgefordert (ist), für die Beweislichkeit seiner Ansprüche gehörige Sorge zu tragen. (…) Schon der Grundsatz der Verhandlungsmaxime, der in der Hauptsache wenigstens nicht aufzugeben, sondern nur zweckmäßig zu mildern sei – Brauer bezieht sich dabei Planck, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  66 ff. Brauer, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  95 ff. 452  Plathner, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  109 ff. 453  Planck, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  66, 84. 454  Planck, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  66, 84 f. 455  Planck, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  66, 85. 450  451 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

auf die Einführung eines richterlichen Fragerechts – würde ein ganz unbeschränktes freies Walten des richterlichen Ermessens nicht gestatten.“456 Vor diesem Hintergrund befürwortet Brauer lediglich die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne (s. o.). Die Etablierung des freien richterlichen Ermessens auch auf der Ebene der Beweiserhebung lehnt er ausdrücklich ab.457 Auch Plathner erhob Bedenken gegen die völlige Freiheit des Richters im Rahmen der Sachaufklärung. So sei der Richter nach Maßgabe des Rechtssatzes quod non in actis, non in mundo „verpflichtet (…), alle schriftlich in gehöriger Form abgegebenen Erklärungen zu berücksichtigen.“458 Gelte das Mündlichkeitsprinzip, so gelte das gleiche Prinzip hinsichtlich aller mündlich vorgebrachten Erklärungen.459 Obwohl Plathner nicht weiter auf die Frage einging, welche Folgen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung für die Beweiserhebung hat oder haben soll, lässt sich anhand des eben Gesagten vermuten, dass auch er an der grundsätzlichen Verfahrensherrschaft der Parteien im Beweisverfahren – jedenfalls auf Ebene der Beweiserhebung – festhalten wollte. In den darauf Bezug nehmenden Verhandlungen zum Zweiten Deutschen Juristentag460 gaben sich insbesondere Planck461 und Strak462 als hartnäckige Gegner der Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung zu erkennen. Silberschlag463, Gneist464, Elvers465 und Makower466 begrüßten hingegen dessen Einführung im Grundsatz, hielten eine dahingehende Beschlussfassung allerdings noch für verfrüht. Schließlich bestehe noch kein klares Bild darüber, welche konkreten Folgen die Geltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung auf das Beweisverfahren insgesamt habe. Aus diesem Grund blieb in den Verhandlungen zum Zweiten Deutschen Juristentag die Frage offen, ob der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wenn man sich für dessen Geltung entschied, dem künftigen Beweisverfahren im engeren oder im weiteren Sinne zugrunde gelegt werden sollte.

Brauer, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  95, 105 f. Brauer, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  95, 104. 458  Plathner, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  109, 120. 459  Plathner, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  109, 120. 460  Bluntschli, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527 ff. 461  Planck, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 540 ff. 462  Strak, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 541 f. 463  Silberschlag, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 530 ff. 464  Gneist, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 532. 465  Elvers, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 533 f. 466  Makower, Verhandlungen zum 2. DJT, Bd.  2, S.  527, 542. 456  457 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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c)  Gutachten und Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862 Da sich der Zweite Deutsche Juristentag nicht in der Lage sah, darüber Beschluss zu fassen, ob der Grundsatz der freien Beweiswürdigung dem künftigen zivilprozessualen Beweisverfahren zugrunde gelegt werden sollte, widmeten sich Bornemann467 und Bernays468 dieser Frage erneut gutachterlich. Bornemann bejahte die untersuchungsgegenständliche Frage zwar, hielt eine freie Beweisbeurteilung des Gerichts aber überhaupt nur dann für möglich, wenn von den Parteien „zur Herstellung der Wahrheit der Weg einer eigentlichen objektiven Beweisführung eingeschlagen worden ist.“469 Befinden sich die Parteien dagegen über eine relevante Tatsache nicht im Streit, weil hierüber von vornherein Einvernehmen bestand oder eine Partei sie während des Prozesses eingestanden hat, so könne „selbstverständlich nur das Sachverhältniß, wie sie (die Parteien) es gemeinsam vorgetragen, die Grundlage der richterlichen Entscheidung bilden.“470 Aus diesem Grund schied nach Auffassung Bornemanns eine darüber hinausgehende, inquisitorische richterliche Wahrheitsfeststellung aufgrund der entgegenstehenden Parteidisposition aus: „Die Stellung des Civilrichters darf m.E., auch wenn demselben die freie Prüfung der vor ihm geführten Beweise von dem Gesetze eingeräumt wird, niemals diejenige eines Inquirenten werden. Eine auf die Ermittlung der Wahrheit gerichtete positive, eigene Thätigkeit liegt m.E. schlechterdings außerhalb der natürlichen Aufgabe des Civilrichters.“471 Bornemann sprach sich somit eindeutig für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne aus. Auf der Ebene der Beweiserhebung sollte die Verhandlungsmaxime unverändert fortgelten.472 Bernays legte in seinem Gutachten zwar die Vorzüge dar, die die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung für den Zivilprozess habe,473 ließ aber offen, ob seiner Ansicht nach jener Grundsatz im engeren oder im weiteren Bornemann, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  121 ff. Bernays, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  128 ff. 469  Bornemann, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  121, 122. 470  Bornemann, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  121, 122. 471  Bornemann, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  121, 123. 472  Eine Ausnahme hiervon will Bornemann indes für den gerichtlichen Augenschein und die Einholung eines Sachverständigenbeweises machen. Außerdem soll es dem Richter nicht verwehrt sein, die Parteien hinsichtlich unklar gebliebener Punkte zu befragen. All dies soll aber an dem dargestellten Grundsatz nichts ändern: „Hierüber hinaus aber muß m.E. jede eigentliche Beweiserhebung, soll die Stellung des Civilrichters nicht eine höchst unklare werden, grundsätzlich an den Parteiantrag gebunden sein.“ Bornemann, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  121, 123. 473  Bernays, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  128, 129. 467  468 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Sinne Platz greifen sollte. Für die hier interessierende Frage ist Bernays Gutachten daher unergiebig. In den Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag wurde erneut lebhaft darüber diskutiert, ob dem künftigen zivilprozessualen Beweisverfahren der Grundsatz der freien Beweiswürdigung zugrunde liegen sollte. Anders als noch in den Verhandlungen zum Zweiten Deutschen Juristentag nahm man dieses Mal besondere Rücksicht auf die Frage, welche konkreten Auswirkungen die Einführung jenes Grundsatzes auf das Beweisverfahren insgesamt haben werde.474 Dadurch wurde eine differenzierte Auseinandersetzung über das künftige zivilprozessuale Beweisverfahrensmodell überhaupt möglich. Gleich zu Beginn sprach sich beispielsweise Tauenstein für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung aus, allerdings nur unter der Maßgabe, „daß eben die Verhandlungsmaxime als ein Grundaxiom des Civilprozesses (…) erhalten bleiben werde.“475 Auch Pfeiffer forderte nur eine eingeschränkte Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung. Das allgemeine „Streben nach größerer Beschränkung der Verhandlungsmaxime, wenigstens rücksichtlich des Beweisverfahrens, und nach einer Annäherung an das inquisitorische oder Offizialprinzip (…) für das Beweisverfahren“ war aus Pfeiffers Sicht entschieden abzulehnen.476 Aus gerade diesem Grund lehnte auch Zenthöfer eine umfassende Geltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ab.477 Tauenstein, Pfeiffer und Zenthöfer traten somit im Kern für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne ein und damit für ein Beweisverfahrensmodell nach dem Vorbild von Busch, Mittermaier und v. Krävel.478 Endemann dagegen, der nichts Geringeres als das „Prinzip der absolut freien Beweisprüfung“ forderte, sprach sich – wenig überraschend – für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne und damit für das von ihm bereits im Jahr 1858 entworfene Beweisverfahrensmodell aus.479 Seiner Ansicht nach beanspruche die Verhandlungsmaxime für das gesamte Beweisverfahren keine Geltung.480 Indem die Parteien streitig zur Sache verhandeln und den Prozess damit insgesamt in das Stadium des Beweisverfahrens bringen, hätten sie stillschweigend erklärt: „Wir wollen jetzt die Entscheidung durch den Richter“.481 Mit diesem Sich-dem-Richter-Anvertrauen gehe es notwendig einv. Wächter, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  100 ff., 515 ff. Tauenstein, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  116. 476  Pfeiffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  517. 477  Zenthöfer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  522 ff. 478  Teil 1, B.I.3.a). 479  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  100 ff., 527 ff. Vgl. Teil 1, B.I.3.a). 480  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  529. 481  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  529. 474  475 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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her, dass sich die Parteien der richterlichen Entscheidungsgewalt bedingungslos unterwerfen:482 „Denn was wollen die Parteien anders als die gründliche Untersuchung der Wahrheit, wie sie unter ihnen steht?“483 Aus diesem Grund müssten laut Endemann „die Begriffe ‚Inquisitionsmaximeʻ und ‚Verhandlungsmaximeʻ einmal vollständig über Bord“ geworfen werden.484 Im Lichte einer „reinen Beweisführung“ sind die Parteien und das Gericht „in voller Thätigkeit“.485 „Da ist kein Widerstreit, der Richter soll nicht als gefürchteter Entscheider über den Parteien stehen, er soll, auch wenn er untersucht, gleichsam ein Freund der Parteien sein, soll mit ihnen und unter gleichzeitiger Aktion der Parteien durch Rede und Widerrede in voller freier Mündlichkeit die Wahrheit finden müssen. Das ist weder Inquisitionsmaxime486, noch Verhandlungsmaxime.“487 Endemann schließt seinen Beitrag mit den Worten: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, wo der menschliche Geist auch in diesem Punkte seiner vollen Freiheit wiedergegeben wird.“488 Endemanns Standpunkt, der auf großen Beifall stieß, teilten Gierle489 und Kopp490, ohne dass sie dies im Einzelnen begründeten. Schaffrath dagegen war nicht von der Idee einer „absoluten, unbedingten Freiheit des Richters“ überEndemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  529. Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  529. Nach Endemann sei die freie Stellung des Gerichts schon deshalb gerechtfertigt, weil man ihm vertrauen dürfe, seiner Verantwortung in dieser Hinsicht gerecht zu werden: Sie dürfen nicht immer davon ausgehen, daß der Richter leichtsinnig, flüchtig mit dieser Prüfung des Beweises zu Werke gehen könnte; Sie müssen doch vernünftige, verständige, pflichtmäßige Männer sich vorstellen.“, Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  530. 484  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  531. 485  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  531. 486  Ob Endemann darin tatsächlich zu folgen ist, ist fraglich. Die uneingeschränkte Wahrheitserforschung des Gerichts ist letzten Endes nichts anderes als das, was die Untersuchungsmaxime zum Ausdruck bringt. Endemann versucht, den Begriff der Untersuchungsmaxime insoweit umzudeuten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, ihn als Strukturprinzip zu vertreten. Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  529: „Jetzt ist also das richterliche Entscheidungsrecht keine Beschränkung der Parteien, keine Inquisitionsmaxime mehr, sondern das, was die Parteien wollen. Denn was wollen die Parteien anders als die gründliche Untersuchung der Wahrheit, wie sie unter ihnen steht?“ 487  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  531. Genau besehen läuft das Beweisverfahrensmodell Endemanns auf eine paritätische Mitverantwortung zwischen Gericht und Parteien an der Wahrheitsfeststellung hinaus. Er wehrt sich auch andernorts energisch dagegen, die Inquisitionsmaxime in das zivilprozessuale Beweisverfahren einführen zu wollen: „Wenn man die Inquisitionsmaxime mit in den Kauf nehmen sollte, um die freie Beweisprüfung zu erhalten, so würde ich nimmermehr die freie Beweisprüfung vertheidigen.“, Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  528 f.; Vgl. ferner: ders., Beweislehre des Zivilprozesses, S.  648. 488  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  534. 489  Gierle, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  934 ff. 490  Kopp, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  536 ff. 482  483 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

zeugt:491 „Nichts, glaube ich, ist in einem Staate mehr zu vermeiden, als Willkür, nichts, glaube ich, haßt das Volk mehr, als Willkür: nichts, sage ich, würde das Volk der Rechtspflege mehr entfremden, als wenn wir die Willkür geradezu als Prinzip sanktionirten.“492 Vor diesem Hintergrund lehnte Schaffrath die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne ab; nicht weil sie richterliche Willkür bedinge, sondern weil sie diese vielmehr ermögliche. Hoffer493 und Willner494 wiederum schlossen sich Endemanns Auffassung an, verkannten dabei aber deren Reichweite. So schlussfolgert Hoffer unter Bezugnahme auf das Beweisverfahrensmodell Endemanns irrig, „daß der Richter nach seiner Ueberzeugung und den von den Parteien vorgelegten Beweismitteln beurtheile, was thatsächlich erwiesen ist“.495 Denn nach der Vorstellung Endemanns hätte die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung nicht nur zur Folge, dass das Gericht Beweise frei würdigen, sondern auch, dass es nicht von den Parteien vorgebrachte Beweise frei erheben dürfe. Das von Endemann vertretene Beweisverfahrensmodell kannte keine Einschränkung der richterlichen Wahrheitsfeststellung, auch nicht auf der Ebene der Beweiserhebung. Darüber schien sich Haffer offenkundig nicht im Klaren gewesen zu sein. Angesichts dieser Ungereimtheiten hielt sich Pfeiffer nochmals abschließend für berufen, darauf hinzuweisen, dass die „völlige Freigebung der Beurtheilung des Beweises“ die Abschaffung der Verhandlungsmaxime im Beweisverfahren bedinge.496 Gerade aus diesem Grund sei er gegen Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne: „Ich glaube aber, daß eben in der Verhandlungsmaxime, deren Beibehaltung ich für meine Person für nothwendig halte, der Grund liegt, weshalb man nicht, wie es im Kriminalprozesse der Fall Schaffrath, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  540. Schaffrath, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  541. Diesen Konflikt erkennt auch Endemann. So nennt er auch die Gefahr, dass mit der Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne ein Vertrauensverlust in die Justiz einhergehe, vgl. Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  640 f. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn das Gericht mit der „neu gewonnenen Freiheit leichtfertig oder gar böswillig verfahren“ sollte, vgl. Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  641; ders., AcP  41 (1858), 289, 290 ff. All diese Risiken seien indes hinzunehmen um das Bedürfnis nach der absoluten Wahrheitserkenntnis zu befriedigen, Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  642. 493  Hoffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  544 f. 494  Willner, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  545 ff. 495  Hoffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  544 f. Ebenso Willner, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  548: „(…) geben Sie auch dem Richter das natürliche, große Recht des freien Denkens, das Recht, das ihm vorliegende Beweismaterial, befreit von den Fesseln der festen Beweisregeln, beurtheilen zu können; legen Sie ihm mit ganzem, vollem Vertrauen die Rechtsprechung in die Hand, und Sie können überzeugt sein, daß er dieses Vertrauen gewiß rechtfertigen wird.“ 496  Pfeiffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  550. 491  492 

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ist, dem Richter vollkommene Freiheit in der Beweiswürdigung gestatten kann. Denn der Richter ist durch die Verhandlungsmaxime verhindert, volle Einsicht in die thatsächlichen Verhältnisse, welche dem Rechtsstreite zu Grunde liegen, zu erhalten.“497 Da nach Ansicht Pfeiffers die Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren wenigstens auf der Ebene der Beweiserhebung unbedingt aufrechterhalten werden sollte, beschränke sich die Möglichkeit der richterlichen Wahrheitserkenntnis auf die Erkenntnismittel, die „die Parteien zur Erreichung ihres Zwecks dem Richter mitzutheilen für geeignet halten“.498 Wer an der Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren festhalten wolle, der müsse sich, so Pfeiffer sinngemäß, für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne aussprechen.499 Die Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag endeten, wie schon die zum Zweiten Deutschen Juristentag, ohne eine endgültige Beschlussfassung darüber, ob und inwieweit dem künftigen Beweisverfahren der Grundsatz der freien Beweiswürdigung zugrunde liegen soll. d)  Gutachten und Verhandlungen zum Vierten Deutschen Juristentag im Jahr 1863 Aufgrund einer nach wie vor ausstehenden Beschlussfassung widmete sich der Vierte Deutsche Juristentag abermals dem Grundsatz der freien Beweis­ würdigung. Die gutachterliche Vorarbeit leiteten dieses Mal Makower500 und v. Sacken501. Makower plädierte in seinem Gutachten für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung, allerdings unter der Maßgabe, dass die richterliche Beweiswürdigung auf die dem Richter vorgebrachten Beweismittel beschränkt bliebe.502 Nur so könne ein Verstoß gegen die Verhandlungsmaxime ausgeschlossen werden, die nach Ansicht Makowers „ohne Zweifel die einzig mögliche Grundlage einer künftigen Deutschen Prozeßordnung“ bilde.503 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung beziehe sich eben nur auf die Ebene der Beweiswürdigung, nicht auf die der Beweiserhebung.504 Wie schon Haffer unterlag auch Makower einem Rechtsirrtum, wenn er glaubte, dass er sich dem von Endemann Pfeiffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  550. Pfeiffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  550. 499  Pfeiffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  551. 500  Makower, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  111 ff. 501  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116 ff. 502  Makower, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  111. 503  Makower, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  111, 111 f. 504  Makower, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  111, 112. 497  498 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

vertretenen Beweisverfahrensmodell anschließe.505 Im Gegensatz zu Endemann wollte Makower gerade an der Geltung der Verhandlungsmaxime festhalten, was nach der treffenden Feststellung Pfeiffers bedeutete (s. o.), dass er sich im Ergebnis für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne ausgesprochen hat. Klarheit über die unterschiedlichen Beweisverfahrensmodelle schuf v. Sacken. Er stellt in seinem Gutachten zunächst die berechtigte und bisher völlig vernachlässigte Frage nach der Reichweite des Untersuchungsgegenstandes:506 Gehe es bei dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung „nur um die Prüfung, um die Würdigung der Beweiskraft der vorgebrachten Beweise“ (sog. Grundsatz der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne) oder soll er sich „auf das ganze weite Gebiet der Vorschriften über den Beweis“ ausdehnen (sog. Grundsatz der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne)?507 Da dies bislang nicht geklärt sei, habe sich laut v. Sacken der Juristentag noch zu keiner Beschlussfassung durchringen können.508 Die Abschaffung der legalen Beweistheorie auf der Ebene der Beweiserhebung hält v. Sacken für „geradezu unbegreiflich“.509 Schließlich müsse ein jeder im Vorhinein wissen, „welcher Beweismittel er sich zu versichern habe, um sein Recht vor Angriffen zu schützen.“510 Ist ein Beweismittel zulässig, so müsse der Beweisführer die Gewissheit haben, dass er dieses auch in den Prozess einführen dürfe. Freilich ist diese Überlegung nur vor dem Hintergrund der legalen Beweistheorie begreiflich. Ihr liegt aber die ganz wesentliche und insoweit verallgemeinerungsfähige Vorstellung zugrunde, dass sich eine Partei auf ihre Beweisführungsbefugnis grundsätzlich verlassen können muss. Die sehr begrüßenswerte Unterscheidung zwischen der Ebene der Beweiswürdigung und der der Beweiserhebung, wie sie v. Sacken vornahm, führte ihn zu der Einschätzung, dass der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nur auf der Ebene der Beweiswürdigung, nicht aber auf der Ebene der Beweiserhebung zum Zuge kommen solle.511 Er plädiert somit für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne. Nur dieser könne, wie v. Sacken im Anschluss an Pfeiffer folgerichtig feststellt, mit der Verhandlungsmaxime in Einklang gebracht werden, „denn dem Richter bleibt alle geforderte Freiheit des

Makower, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  112. v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116. 507  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116. 508  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116. 509  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116, 118. 510  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116, 119. 511  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116, 118 ff. und 122 ff. 505  506 

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Urtheilens, wenn er auch nur auf die von den Parteien vorgeführten Thatsachen und Beweismittel beschränkt bleibt.“512 Im Rahmen der Verhandlungen zum Vierten Deutschen Juristentag meldete sich zunächst Thierl zu Wort. Er begrüßte die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung, da die gesetzlichen Beweiswürdigungsregeln ohnehin mehrheitlich „goldene Rechtssätze“ seien, die das Gericht auch ohne deren gesetzliche Fixierung beachten werde.513 Überdies sei für ihn nicht erkennbar, wie jener Grundsatz mit der Verhandlungsmaxime in Konflikt geraten könne. Schließlich bestreite seines Wissens nach niemand, dass auch nach der Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung die Regeln über die Beweiserhebung unverändert fortgelten.514 Mit dieser Äußerung reiht sich Thierl, der sich als Anhänger Endemanns wähnt, in die Riege derer ein, die die Reichweite des von Endemann entwickelten Beweisverfahrensmodells ganz offenkundig nicht nachvollzogen haben, obwohl Pfeiffer und v. Sacken diese eindrücklich beschrieben hatten (s. o.). Insoweit war auch der von Spiegelthal515, Silcher516 und Eller517 eingenommene Standpunkt in gleicher Weise unpräzise. Lediglich v. Stößer gab durch seinen Wortbeitrag zu erkennen, dass ihm die unterschiedlichen Dimensionen, die die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung haben kann, bewusst waren.518 Seiner Ansicht nach müsse sich der Geltungsbereich des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung auf die Ebene der Beweiswürdigung beschränkt bleiben, da andernfalls eine Vereinbarkeit mit der Verhandlungsmaxime nicht zu erreichen sei. Aus diesem Grund sprach sich v. Stößer ebenfalls für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne aus.519 Die Verhandlungen zum Vierten Deutschen Juristentag schlossen mit der positiven Beschlussfassung über die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung in das künftige zivilprozessuale Beweisverfahren.520 Dies bedeutete aber nicht, dass man die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip aus dem Beweisverfahren verbannen wollte. Das Gegenteil ist der Fall. Nach der nahezu einhelligen Auffassung der Mitglieder des Deutschen Juristentages sollte die

v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116, 127. Thierl, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  278 f. 514  Thierl, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  278. 515  Spiegelthal, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  279 f. 516  Silcher, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  280. 517  Eller, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  281. 518  v. Stößer, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  282. 519  v. Stößer, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  282. 520  v. Stößer, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  278 und S.  284. 512  513 

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Verhandlungsmaxime auf der Ebene der Beweiserhebung auch nach der Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung fortgelten. e) Ergebnis Die Diskussion in den Verhandlungen zum Zweiten, Dritten und Vierten Deutschen Juristentag drehte sich weniger um die Frage, ob, sondern in welchem Umfang der Grundsatz der freien Beweiswürdigung dem künftigen zivilprozessualen Beweisverfahren zugrunde gelegt werden sollte. Den Kern der Auseinandersetzung bildete dabei die Frage, ob die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip ganz aus dem Beweisverfahren verschwinden und durch das Prinzip der freien richterlichen Wahrheitsfeststellung ersetzt werden sollte. Im Ergebnis sprach man sich nahezu einhellig dafür aus, die Verhandlungsmaxime auf der Ebene der Beweiserhebung beizubehalten. Die hatte ganz unweigerlich zur Folge, dass der Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf der Ebene der Beweiserhebung keine Geltung finden und auf die Ebene der Beweiswürdigung beschränkt bleiben soll. Dass das damit favorisierte Beweisverfahrensmodell nicht dem von Endemann, sondern dem von Busch, Mittermaier und v. Krävel entsprach und man sich deshalb für die Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne ausgesprochen hat, blieb so manchem Mitglied des Deutschen Juristentages unerklärlicherweise verborgen. Das vom Deutschen Juristentag beschlossene Beweisverfahrensmodell sollte demnach wie folgt ausgestaltet sein: Das Gericht sollte anhand der von den Parteien als Erkenntnismittel vorgebrachten Beweismittel frei und ohne jede Bindung an gesetzliche Vorgaben die Wahrheit oder Unwahrheit von Tatsachenbehauptungen feststellen (sog. Grundsatz der freien Beweiswürdigung). Eine darüberhinausgehende Wahrheitserforschung sollte dem Gericht nach Maßgabe der Verhandlungsmaxime dagegen verwehrt bleiben. Dementsprechend sollte es weder von Amts wegen weitere Erkenntnismittel herbeischaffen (sog. Grundsatz der freien Beweiserhebung), noch sollte es die Beweisführung der Parteien von vornherein unterbinden dürfen (sog. Grundsatz der freien Beweisablehnung).521 Dem Gesetzgeber ist es nicht gelungen, das vom Deutschen Juristentag empfohlene Beweisverfahrensmodell in Gesetzesform zu gießen,522 obwohl dies sein Wenn Diakonis behauptet, dass „vom Erlass der ZPO bis heute noch nicht endgültig beantwortet worden“ ist, wer die Verantwortung für die Herbeischaffung des rechtserheblichen Sachverhalts tragen soll, erweist sich diese Behauptung doch als einigermaßen kühn, zumal er sich an keiner Stelle seiner Untersuchung mit der Entstehungsgeschichte der Zivilprozessordnung befasst hat. Was die genannte Behauptung betrifft, so war man sich hierüber sehr wohl einig: Es sollten die Parteien sein. 522  Zutreffend bemerkt daher Ude, ZZP 6 (1883), 419, 420, dass „wenn auch der zwischen beiden Prinzipien entbrannte Kampf an und für sich zu Gunsten der konkreten logischen Wahr521 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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ausdrücklich erklärtes Ziel war.523 So hat sich gezeigt, dass auf der Ebene der Beweiserhebung sowohl der Grundsatz der freien Beweisablehnung, als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gelten sollten. Ersteres war Folge des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung, Letzteres Folge der Verhandlungsmaxime. Dem Gesetzgeber entging ganz offenkundig der damit heraufbeschworene strukturelle Konflikt, obwohl Brauer524, Bornemann525, Makower526 und v. Sacken527 im Rahmen ihrer Gutachten und Tauenstein528, Pfeiffer529, Schaffrath530, Thierl531 und v. Stößer532 in den Verhandlungen zum Deutschen Juristentag mehr oder weniger deutlich hierauf hingewiesen haben.533 Beleg für das fehlende Strukturverständnis des Gesetzgebers ist die Tatsache, dass es ihm nicht gelungen ist, das tatsächlich angestrebte Regelungsziel – Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne – normativ umzusetzen. Wäre es dem Gesetzgeber darauf angekommen, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung im weiteren Sinne einzuführen, wofür die Geltung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung spricht („etwaigen“), so hätte er auch dieses Ziel nicht vollständig umgesetzt, da der Grundsatz der freien Beweiserhebung zweifellos nicht vorgesehen war. In diesem Fall hätte sich der Gesetzgeber Endemanns Worte zu Herzen nehmen müssen: „Wir stehen (…) an heitserforschung siegreich ausgeschlagen ist, so lässt sich doch keineswegs behaupten, dass der von der letzteren davongetragene Sieg ein vollständiger und vernichtender gewesen ist.“ 523  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275. 524  Brauer, Gutachten zum 2. DJT, Bd.  1, S.  95, 105 f. 525  Bornemann, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  121, 123. 526  Makower, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  111. 527  v. Sacken, Gutachten zum 4. DJT, Bd.  1, S.  116. 528  Tauenstein, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  116. 529  Pfeiffer, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  517; ders., Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  550 f. 530  Schaffrath, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  541. 531  Thierl, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  278 f. 532  v. Stößer, Verhandlungen zum 4. DJT, Bd.  2, S.  282. 533  Dieser Konflikt scheint nicht leicht erkennbar zu sein. Er entging ebenso Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  81. So bezeichnete er Simons Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Verhandlungsmaxime mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ohne nähere Begründung als „abwegig“. Damit hat Walter angesichts der vorangegangenen Untersuchung Unrecht. Vgl. Simon, AcP  39 (1856), 247, 267 Fn.  47: „Wo aber und so lange die Verhandlungsmaxime im Civilprozesse besteht, würde die gänzliche Aufhebung der gesetzlichen Beweis­ theo­rie in demselben nothwendig eine Inconsequent sein; denn alsdann müßte der Richter in Bezug auf die Beweismittel selbstthätig die Rechte der Partheien wahren, weil er die ihm gutdünkenden Erörterungen über die Beweisfähigkeit eines Beweismittels anstelle, dabei auch noch Befinden Beweismittel selbst ergänzen und andere Beweismittel heranziehen müßte. – Ein solches Beweisverfahren verträgt sich aber mit der Verhandlungsmaxime schlechterdings nicht (…).“

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dem Wendepunkt einer großen Entwicklung für das ganze Recht.“534 Und weiter: „man solle unbedingt mit zwei Füßen von einem Zustande in den anderen hinüberspringen.“535 Insgesamt erweist sich das Beweisverfahrensmodell der Zivilprozessordnung als ein Hybrid zweier in sich geschlossener Beweisverfahrensmodelle. Die Kombination dieser beiden Modelle zu einem gänzlich neuen, so nie dagewesenen Beweisverfahrensmodell, ist die eigentliche Ursache für die schlussendliche Inkohärenz des zivilprozessualen Beweisverfahrensmodells. Die Gesetzgebung ist insoweit missglückt. 4.  Zusammenfassung Das Beweisverfahrensmodell der Zivilprozessordnung erweist sich auf der Ebene der Beweiserhebung bis heute als inkohärent. Ihm liegt sowohl der Grundsatz der freien Beweisablehnung, vermittelt durch §  439 ZPO a. F. (≈ §  448 ZPO) und §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, vermittelt durch die Verhandlungsmaxime als beweisverfahrensrechtliches Strukturprinzip, zugrunde. Dieser dogmatische Widerspruch ist zurückzuführen auf die Diskussion darüber, ob der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im künftigen zivilprozessualen Beweisverfahren nur auf der Ebene der Beweiswürdigung oder auch auf der Ebene der Beweiserhebung gelten sollte. Die strukturelle Trennlinie zwischen beiden Ebenen wurde dabei nur von wenigen gesehen und beachtet. Obwohl sich der Gesetzgeber, insbesondere im Rahmen der parlamentarischen Debatte,536 ausdrücklich für den Grundsatz der freien Beweisablehnung ausgesprochen hat, wollte er doch ohne Zweifel an der Geltung der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens im Anschluss an die entsprechende Beschlussfassung des Vierten Deutschen Juristentags537 festhalten. Gerade aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, wäre er sich über den inneren Widerspruch zwischen dem Grundsatz der freien Beweisablehnung und der Verhandlungsmaxime im Klaren gewesen, letzterer den Vorzug gegeben hätte. Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  120. Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  533. In diese Richtung: Willner, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  545: „Wir stehen an der Schwelle eines neuen Civilprozesses; deshalb müssen wir den alten Menschen aus- und den neuen Menschen anziehen; wir müssen brechen mit den Vorutheilen einer früheren Zeit; wir müssen uns den Prinzipien, auf die der neue Prozeß gegründet werden soll, ganz und rückhaltlos anschließen.“ 536  Teil 1, B.I.1.b). 537  Teil 1, B.I.3.d). 534  535 

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Berücksichtigt man dies bei der Auslegung der zivilprozessualen Beweisvorschriften, so ist §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass der Grundsatz der freien Beweisablehnung nicht zur Anwendung kommt. Umgekehrt ist das Gericht aufgrund der Verhandlungsmaxime grundsätzlich verpflichtet, beantragte Beweise zu erheben. Dieses Schicksal teilt das Institut der vorweggenommenen Beweiswürdigung: Sie ist nach Maßgabe der teleologischen Reduktion des §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) nicht mehr zulässig und nach Maßgabe der Verhandlungsmaxime verboten. Nur so kann und wird dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung auf der Ebene der Beweiserhebung Rechnung getragen. Auch der Gesetzgeber wollte diese Eckpfeiler, die für das zivilprozessuale Beweisverfahren schon im gemeinen Recht galten, nicht in Frage stellen. Die vorangegangene Untersuchung war längst überfällig. Wenn der Bundesgerichtshof später in der berühmten Anastasia-Entscheidung behauptet, dass „die Zivilprozeßordnung“ von dem Grundsatz ausgehe, dass das Gericht alle angetretenen und angebotenen Beweise erheben müsse,538 steht nunmehr fest, dass er damit Recht gehabt hat, ohne aber den eigentlichen Grund hierfür zu kennen. Falsch wäre es, in diesem Zusammenhang auf §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO als Legitimationsgrundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung abzustellen.539 Dort ist deren exaktes Gegenteil niedergelegt, der Grundsatz der freien Beweisablehnung („etwaigen Beweisaufnahme“). Die gefestigte Rechtspraxis contra legem ist nur vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass sich der Gesetzgeber in struktureller Hinsicht für die Geltung der Verhandlungsmaxime und damit für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ausgesprochen hat; freilich ohne zu erkennen, dass er sich hierdurch einem inneren Widerspruch aussetzt.

II.  Der Standpunkt der Rechtsprechung Die heutige Rechtsprechung geht einhellig von der Geltung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus, was zur Folge hat, dass auch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung als Gegenstück jenes Grundsatzes einhellig vertreten wird. Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass dieser Standpunkt keinesfalls so selbstverständlich ist, wie es heute den Eindruck macht. Immerhin beruht das der Zivilprozessordnung zugrunde liegende Beweisverfahrensmodell sowohl auf dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhe-

538  539 

BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 („Anastasia“). Teil 1, B.V.1.a).

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bungspflicht als auch auf dem Grundsatz der freien Beweisablehnung.540 Nach Maßgabe des letztgenannten Grundsatzes wäre eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung zulässig. Soweit ersichtlich, ist bisher nicht untersucht, wie sich innerhalb der Rechtsprechung der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gegenüber dem Grundsatz der freien Beweisablehnung durchsetzen konnte und wie die Rechtsprechung diesen Schritt normativ begründete. Dem widmet sich der nachfolgende Abschnitt. 1.  Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Reichsgericht war vor die schwierige Aufgabe gestellt, die rechtsfehlerfreie Umsetzung des gänzlich neuen Beweisverfahrensmodells der Zivilprozessordnung durch die Prozessgerichte sicherzustellen. Fehler blieben offenbar nicht aus, was wenig überrascht. Schließlich hat der bis dahin gepflegte Zivilprozess gerade im Bereich des Beweisverfahrens tiefgreifende Veränderungen erfahren. Dementsprechend hatte das Reichsgericht schon kurz nach dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung am 1. Oktober 1879 immer wieder darüber zu entscheiden, ob und inwieweit der Tatrichter eine beantragte Beweisführung nach freiem Ermessen ablehnen durfte oder ob er im Gegenteil verpflichtet war, ihr stattgeben zu müssen. Die Zivilprozessordnung lieferte, wie dargelegt, keine eindeutige Antwort. Vielmehr erwies sie sich in diesem Punkt als inkohärent.541 a)  Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen Zurückdrängung Das Reichsgericht hatte freilich erkannt, dass der Tatrichter nach Maßgabe der §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. (§§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO) Beweisanträge nach freiem Ermessen erheben oder ablehnen durfte. Gleichwohl begann es schon früh damit, diese Freiheit massiv einzuschränken und damit den Grundsatz der freien Beweisablehnung zurückzudrängen. aa)  Der Grundsatz der freien Beweisablehnung In einer Entscheidung vom 22. September 1880 hatte sich das Reichsgericht erstmals mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und inwieweit der Tatrichter eine beantragte Beweisführung ablehnen durfte.542 Im konkreten Fall stritten die Parteien über die ordnungsgemäße Berechnung der Maklercourtage eines Schiffsmaklers. Das erstinstanzliche Gericht hat unter Bezugnahme auf §  118 GVG a. F. 540 

Teil 1, B.I.3. Teil 1, B.I.2.c). 542  RG, Urt. v. 22.09.1880 – I 817/80, RGZ 2, 383, 384 f. 541 

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(§  114 GVG) hierfür eine „handelsübliche“ Berechnungsmethode zugrunde gelegt, ohne die vom Revisionsführer angebotenen Beweise zu erheben. Auch die Berufungsinstanz hat von einer Beweiserhebung abgesehen, weil es die erstinstanzlichen Feststellungen hinsichtlich der Berechnung der Maklercourtage für „offenkundig und den vom Beklagten angebotenen entgegenstehenden Beweis für unerheblich, d. h. für nicht geeignet, seine Überzeugung zu erschüttern“, gehalten hat. Der Revisionsführer rügte die unterlassene Beweisaufnahme von Zeugen und Sachverständigen in erster und zweiter Instanz und machte einen Verstoß gegen §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) geltend. Das Reichsgericht wies die Revision mit der Begründung zurück, dass „nach dem der Civilprozeßordnung zum Grunde liegenden Princip der freien Beweiswürdigung, insbesondere nach §§  259 und 264 C.P.O., (…) der Berufungsrichter unter solchen Umständen berechtigt (war), die Aufnahme des angebotenen Beweises abzulehnen.“543 Das Berufungsgericht durfte somit die erstinstanzliche Feststellung als eigene übernehmen und sie dadurch als „offenkundig“ behandeln, §  264 ZPO a. F. (§  291 ZPO). Eine weitergehende Beweisführung durfte es unter Verweis auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung als „unerheblich“ ansehen und ablehnen. Nach dem Begriffsverständnis des Reichsgerichts war die Beweisführung offenbar dann „unerheblich“, wenn der Richter diese für nicht geeignet hielt, dass diese die eine bestimmte richterliche Überzeugung liefern werde, sog. subjektiver Erheblichkeitsbegriff.544 Das Reichsgericht hat somit auch in §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) den Grundsatz der freien Beweisablehnung verankert gesehen. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung wäre dementsprechend zulässig gewesen. bb)  Das Maß an richterlicher Überzeugung für eine Beweisablehnung wegen (subjektiver) Unerheblichkeit der Beweisführung Das Reichsgericht revidierte seinen Standpunkt schon bald. Mit Entscheidung vom 21. März 1881 schränkte es die richterliche Beweisablehnungsbefugnis nach §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) wegen subjektiver Unerheblichkeit in ganz erheblichem Umfang ein.545 Dies führte letztlich zu einem Paradigmenwechsel innerhalb des zivilprozessualen Beweisverfahrenssystems – weg vom Grundsatz der freien Beweisablehnung und hin zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: 543 

RG, Urt. v. 22.09.1880 – I 817/80, RGZ 2, 383, 385. Zum Erheblichkeitsbegriff und dessen Verwendung in der Justizkommission, Teil 1, B.I.1.b)cc). 545  RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375 ff. 544 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Nachdem die Ehefrau des Revisionsführers diesen ohne Erfolg bei der Staatsanwaltschaft wegen eines „Sittlichkeitsverbrechens“ gegenüber der gemeinsamen, achtjährigen Tochter angezeigt hatte, beantragte er die Scheidung. Den Scheidungsantrag begründete der Revisionsführer damit, dass seine Ehefrau ihn vorsätzlich falsch angeschuldigt habe. Zum Beweis der falschen Anschuldigung beantragte der Revisionsführer unter anderem die Vernehmung der gemeinsamen Tochter, die bereits im Rahmen des vorangegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Revisionsführer vernommen worden war. Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage zunächst mit der Begründung abgewiesen, dass die falsche Anschuldigung der Ehefrau, selbst wenn sie zuträfe, keinen hinreichenden Scheidungsgrund darstelle. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht anschließend zurückgewiesen. Zwar könne die falsche Anschuldigung einen hinreichenden Scheidungsgrund darstellen. Den erforderlichen Beweis für die bestrittene Behauptung, nämlich dass die Ehefrau bei der Staatsanwaltschaft falsche Angaben gemacht habe, könne der Revisionsführer indes nicht erbringen. Diese Feststellung traf das Berufungsgericht, ohne dass es entsprechend dem Antrag des Revisionsführers die gemeinsame Tochter als Zeugin zu der streitgegenständlichen Frage vernahm. Es sei nach Ansicht des Berufungsgerichts von vornherein ausgeschlossen, dass durch die Vernehmung der gemeinsamen Tochter der Beweis der falschen Anschuldigung erbracht werden könne. Ausweislich der Untersuchungsakten sei die gemeinsame Tochter „erwiesenermaßen geistig beschränkt und von allen Seiten beeinflusst“.546 Die Revision rügte die Beweisablehnung durch das Berufungsgericht. Das Reichsgericht hob das Berufungsurteil auf, da es durch die Ablehnung der Zeugenvernehmung gegen §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) verstoßen habe. Dies begründete es wie folgt: „Der im §  259 C.P.O. aufgestellte Grundsatz der freien Beweiswürdigung räumt allerdings dem Richter auch die Befugnis ein, die Vernehmung eines zum Beweise einer streitigen, erheblichen Thatsache vorgeschlagenen Zeugen aus dem Grunde abzulehnen, weil er ‚nach freier Überzeugungʻ als bereits feststehend ansieht, daß durch die Vernehmung desselben Sachdienliches nicht erbracht werden kann. Daß der §  259 diese Konsequenz in vollem Maße in sich schließen will, ist in der Justizkommission (…) anerkannt worden.“547

Wie sich schon anhand der Entscheidung des Reichsgerichts vom 22. September 1880548 gezeigt hat, schloss sich das Reichsgericht auch hier der Ansicht der Justizkommission an, wonach aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung

546 

RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 376. RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377. 548  Teil 1, B.II.1.a)aa). 547 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

107

der Grundsatz der freien Beweisablehnung folgt. Über die Reichweite des Grundsatzes der freien Beweisablehnung führte das Reichsgericht weiter aus: „Aber die Überzeugung von der Unerheblichkeit einer beantragten Vernehmung kann überhaupt nur darin bestehen, daß entweder dasjenige, was der Zeuge aussagen soll, für unerheblich erachtet wird (objektive Unerheblichkeit), oder daß der Richter für bereits gewiß, für unerschütterlich erwiesen hält, daß der Zeuge nicht imstande sei, Erhebliches auszusagen (subjektive Unerheblichkeit).“549(Erg. d. Verf.)

Das Reichsgericht unterstreicht hiermit die Zweigliedrigkeit des damals gebräuchlichen Erheblichkeitsbegriffs: Wenn das Reichsgericht davon spricht, dass „dasjenige, was der Zeuge aussagen soll, für unerheblich erachtet wird“, so richtet sich die Erheblichkeit der Beweisführung nach der unter Beweis gestellten Tatsache. Erfüllt diese das Tatbestandsmerkmal einer streitentscheidenden Norm, so ist die Beweisführung (objektiv) erheblich (sog. objektiver Erheblichkeitsbegriff). Ist dagegen die Rede von einem Zeugen, der nach Überzeugung des Gerichts „nicht imstande sei, Erhebliches auszusagen“, richtet sich die Erheblichkeit der Beweisführung nach der individuellen Überzeugungskraft des zur Beweisführung verwendeten Beweismittels. Ist diese ausreichend, um den Richter im Sinne des Beweisführers zu überzeugen, so ist die Beweisführung (subjektiv) erheblich (sog. subjektiver Erheblichkeitsbegriff). Diese Grundsätze wurden bereits oben hergeleitet.550 Vor diesem Hintergrund steht fest, dass das Reichsgericht einen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff verwendet hat. Eine beantragte Beweisführung war „erheblich“, wenn sie sowohl eine streitentscheidende Tatsache betraf und deshalb auf die richterliche Überzeugung Einfluss haben konnte als auch mit Hilfe eines Beweismittels erfolgte, das auf die richterliche Überzeugung Einfluss haben werde. Die Rechtmäßigkeit der Beweisablehnung hing somit entscheidend von der Frage ab, ob sich die Beweisführung insgesamt als unerheblich darstellte. Dazu galt es festzustellen, ob das unstreitig geistig beeinträchtigte und von den Eltern wechselseitig beeinflusste achtjährige Kind als Zeuge die Behauptung des Revisionsführers zur Überzeugung des Gerichts erweisen kann und wird. Während die objektive Erheblichkeit der Beweisführung (kann) unproblematisch bejaht werden konnte – die Beweisführung betraf den Nachweis der falschen Anschuldigung – hing die subjektive Erheblichkeit der Beweisführung (wird) davon ab, ob die Aussage des Kindes perspektivisch Einfluss auf die richterliche Überzeugung haben werde. Das Reichsgericht führte hierzu weiter aus: „Die Wahrscheinlichkeit eines erfolglosen Ausfalles der beantragen Vernehmung kann nicht zur Ablehnung derselben berechtigen; denn auch die größte Wahrscheinlichkeit läßt immer 549  550 

RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377. Teil 1, B.II.1.a)dd).

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

noch irgend eine Möglichkeit des Gegenteils bestehen, und da der Richter sich darüber, ob ein Zeuge Sachdienliches auszusagen vermag, durch die Vernehmung desselben volle Gewißheit verschaffen kann, so kann von dem Vorhandensein einer dies verneinenden Überzeugung des Richters solange nicht die Rede sein, als nicht jede Möglichkeit des Gegenteils schon anderweitig als ausgeschlossen erscheint. Der Richter kommt freilich bei der Prüfung von Beweisergebnissen nicht selten in die Lage, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit als Gewißheit gelten lassen zu müssen, allein die Berechtigung hierzu kann immer nur daraus entnommen werden, daß alle behufs Ermittlung der Wahrheit ihm zu Gebote stehenden Mittel erschöpft sind.“551 (Hervorh. i.O.)

Nach Maßgabe dieser Grundsätze durfte der Tatrichter eine Beweisführung nur und erst dann wegen Unerheblichkeit ablehnen, wenn mit letzter Sicherheit feststand, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben kann (objektive Unerheblichkeit der Beweisführung) und wird (subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung). Denn welche Beweiskraft ein Beweismittel tatsächlich hat, kann der Richter regelmäßig erst nach der Beweiserhebung im Rahmen der Beweiswürdigung zuverlässig beurteilen. Hierzu bekennt sich auch das Reichsgericht, wenn es im Vorfeld der Beweiserhebung von der „Wahrscheinlichkeit eines erfolglosen Ausfalles der beantragten Vernehmung“ spricht. Sicherheit besteht zu diesem Zeitpunkt nicht. Folgerichtig nimmt das Reichsgericht daher an, dass selbst bei der größten Wahrscheinlichkeit immer noch die „Möglichkeit des Gegenteils“ bestehe und daher allein auf Grundlage einer Prognose des Richters „von dem Vorhandensein einer dies verneinenden Überzeugung des Richters (…) nicht die Rede sein“ kann. Dem könne überdies nicht entgegengehalten werden, dass sich der Richter im Rahmen der Beweiswürdigung ebenfalls nur mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begnügen habe und nicht selten keine absolute Gewissheit erlange. Denn dies sei gerade hinzunehmen, solange das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung „alle behufs Ermittlung der Wahrheit ihm zu Gebote stehenden Mittel erschöpft“ habe. Das Herabsetzen der Anforderungen an das Maß der richterlichen Überzeugung von „Gewissheit“ zu „hoher Grad an Wahrscheinlichkeit“ war demzufolge erst dann gerechtfertigt, wenn alle Beweise, die dem Gericht zur Wahrheitserforschung zur Verfügung gestellt worden waren, ausgeschöpft waren. Der Richter durfte somit weiterhin einen Beweisantrag ablehnen, wenn er der Überzeugung war, dass die Beweisführung mangels Beweiskraft auf die richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben werde, sog. subjektive Unerheblichkeit. Jene Überzeugung musste aber auf vollständiger Gewissheit des Richters beruhen. Ein wie auch immer gearteter Grad an Für-wahrscheinlich-Halten genügte nicht. Solange nicht gänzlich ausgeschlossen war, dass der beantragten Beweisführung jede Beweiskraft fehlte, konnte von einer solchen Gewissheit 551 

RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377 f.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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keine Rede sein. Die Beweisführung durfte dann nicht wegen subjektiver Unerheblichkeit abgelehnt werden. Dies führte das Reichsgericht zu folgendem Ergebnis: „In vorliegender Sache kommen nun sämtliche Ausführungen der Vorinstanz, welche nicht auszusprechen vermocht hat, daß alles dasjenige, was die Zeugen nach den Intentionen des Klägers aussagen sollen, unerheblich sei (objektive Unerheblichkeit), überall nur darauf hinaus, daß von einer Vernehmung derselben wegen der zu den Untersuchungsakten schon vorhandenen Aussagen ein erhebliches Ergebnis nicht zu erwarten sei (subjektive Unerheblichkeit). (…); es war für sie unmöglich, als gewiß hinzustellen, daß die Zeugen bei nochmaliger Vernehmung, zumal auf Grund einer möglicherweise eingehenderen Befragung und unter dem Einflusse des zu leistenden Eides, nicht wesentlich anders aussagen würden, als von ihnen bisher (…) geschehen ist. Die Ablehnung der Beweisaufnahme beruht sonach in einer Verkennung der Grenzen der dem Richter durch den maßgebenden §  259 beigelegten Befugnis.“552 (Hervor. i. O. u. Erg. d. Verf.).

Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: Die Befugnis zur Beweisablehnung wegen objektiver oder subjektiver Unerheblichkeit des beantragten Beweises sollte bestehen bleiben. Solange aber nicht mit letzter Sicherheit feststand, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben konnte und auch nicht haben werde, war eine Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung unzulässig. Folglich durfte der Richter eine Beweisführung nicht mit der Begründung ablehnen, dass diese aufgrund ihres zu erwartenden Beweisergebnisses keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugungsbildung haben werde, solange das Beweisergebnis nicht von vornherein feststehe. Andernfalls werde das Ergebnis der Beweisführung, das es im Rahmen der Beweiswürdigung festzustellen galt, vorweggenommen. Die Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. März 1881 erwies sich aus genau diesem Grund als besonders wichtig. Sie legte den Grundstein für das – wie es das Reichsgericht im weiteren Verlauf bezeichnen wird – Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Gleichwohl versäumte es das Reichsgericht, sich darüber zu erklären, warum es dem Gericht die Vorwegnahme der Beweiswürdigung untersagte und wann von einer zulässigen Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit aufgrund einer feststehenden Gewissheit über das künftige Beweisergebnis ausgegangen werden dürfe.

552 

RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 378.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

cc)  Das Begründungserfordernis für eine Beweisablehnung wegen (subjektiver) Unerheblichkeit der Beweisführung In einer weiteren Entscheidung vom 10. Mai 1881 ging es ebenfalls um die Frage, ob und inwieweit der Richter nach freiem Ermessen die Beweisführung ablehnen durfte.553 Die Revisionsführerin versuchte in erster und zweiter Instanz vergeblich, ihre angebliche Mittellosigkeit unter Beweis zu stellen. Sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch das Berufungsgericht lehnten die beantragte Beweisführung der Revisionsführerin ohne jede Begründung ab und verneinten die Mittellosigkeit. Dieses Vorgehen rügte die Revisionsführerin, da ihr keine Gelegenheit zur Beweisführung gegeben worden war.554 Das Reichsgericht hielt die Revision für begründet. „Diese Beweise mußte das Berufungsgericht erheben, wenn es (…) der Ansicht war, daß ein zureichender Nachweis über das dringende Bedürfnis der Klägerin nicht erbracht sei, oder es mußte wenigstens, wenn es diese Überzeugung unmittelbar aus der mündlichen Verhandlung schöpfte, die Gründe dafür angeben. Indem es beides unterließ, verletzte es die §§  255 bis 259 C.P.O. (…).“555

Der Richter war demnach zwar im Grundsatz verpflichtet, den beantragten Beweis zu erheben, bevor er die Beweisführerin als beweisfällig ansehen durfte. Das galt jedoch dann nicht, wenn der Richter seine Überzeugung vom Gegenteil der Beweisbehauptung unmittelbar aus der mündlichen Verhandlung schöpfte. In diesem Fall musste er der beantragten Beweisführung nicht stattgeben. Er musste allerdings die Gründe hierfür im Urteil angeben. Hier deutet sich eine weitere Einschränkung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung an. Das Reichsgericht verlangte in Anlehnung an §  259 Abs.  1 S.  2 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  2 ZPO), dass das Gericht seine Überzeugung vom Gegenteil der Beweisbehauptung begründet. Das Begründungserfordernis des §  259 Abs.  1 S.  2 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  2 ZPO) sollte nach Vorstellung des Gesetzgebers in erster Linie dazu dienen, eine sorgfältige Abwägung der Gründe, die für die Überzeugung des Gerichts maßgeblich waren, zu gewährleisten.556 Gemeint waren damit nur solche Gründe, die Gegenstand der Beweiswürdigung waren und schlussendlich zur Feststellung führten, ob eine Tatsachenbehauptung als wahr oder unwahr zu erachten sei. Mit anderen Worten: Das Begründungserfordernis des §  259 Abs.  1 S.  2 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  2 ZPO) bezog sich auf das Resultat der Beweiswürdigung. Die Beweiserhebung oder -ablehnung als solche war dagegen nach Vorstellung des Gesetzgebers nicht begründungsbe553 

RG, Urt. v. 10.05.1881 – III 419/81, RGZ 4, 208, 209. RG, Urt. v. 10.05.1881 – III 419/81, RGZ 4, 208, 209. 555  RG, Urt. v. 10.05.1881 – III 419/81, RGZ 4, 208, 212. 556  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275. 554 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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dürftig. Dies gilt im Grundsatz noch heute.557 Soweit der Tatrichter eine Beweisführung von vornherein mit Verweis auf seine gegenteilige Überzeugung ablehnen wollte, musste er diese fortan begründen, §  259 Abs.  1 S.  2 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  2 ZPO) – analog. Das Begründungserfordernis hatte auf die praktische Anwendung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung erheblichen Einfluss. Wollte der Richter von seiner Beweisablehnungsbefugnis Gebrauch machen, musste er nunmehr darlegen (begründen), warum die abzulehnende Beweisführung keinen Einfluss auf seine Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung haben werde. dd) Zwischenergebnis Der Grundsatz der freien Beweisablehnung, wie ihn der Gesetzgeber dem zivilprozessualen Beweisverfahren zugrunde legte, hat die Gerichtspraxis keine zwei Jahre unbeschadet überstanden. Mit den Entscheidungen vom 21. März 1881 und 10. Mai 1881 stellte der dritte Senat des Reichsgerichts ganz erhebliche Anforderungen an die richterliche Beweisablehnungsbefugnis des §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO). Eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung war fortan nur dann gerechtfertigt, wenn mit letzter Sicherheit (Gewissheit) feststand, dass die beantragte Beweisführung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugungsbildung haben werde und wenn der Richter die Gründe für eine solche Überzeugung angab. Soweit der Richter eine beantragte Beweisführung unter Verweis auf dessen subjektive Unerheblichkeit ablehnte, ohne dass diese Anforderungen erfüllt waren, überschritt er seine Beweisablehnungsbefugnis und verstieß damit gegen §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO). Zwangsläufig beschränkte sich die richterliche Beweisablehnung im Wesentlichen auf Fälle der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung. Diese vom Reichsgericht aufgestellten Anforderungen an die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit führten zu ihrem faktischen Ausschluss, ohne dass sie von Gesetzes wegen verboten gewesen wäre. Dem Reichsgericht gelang es dadurch auf recht elegantem Weg, den Grundsatz der freien Beweisablehnung auf Fälle der objektiven Unerheblichkeit zu beschränken, ohne sich in einen offenen Widerspruch mit der Justizkommission zu begeben. Das erklärt auch, warum das Reichsgericht einen Verstoß gegen die Grenzen der richterlichen Beweisablehnungsbefugnis unter §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) subsumiert, wo doch gerade dort die richterliche Freiheit im Umgang mit Beweisanträgen niedergelegt ist. Das Reichsgericht wäre deshalb vollkommen falsch verstanden, Vgl. nur: Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 174 f.; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8 b; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  37. 557 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

wenn man glaubte, es halte den Tatrichter nach Maßgabe des §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) für verpflichtet, alle beantragten Beweise erheben zu müssen. Damit blieb allerdings die aus heutiger Sicht drängende Frage offen, worin die normative Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht bestand. In methodischer Hinsicht schränkte das Reichsgericht lediglich eine an sich grenzenlose Beweisablehnungsbefugnis des Richters, wie sie in §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) niedergelegt war ein, ohne aber zu erörtern, aus welchem Grund das Gericht in diesem Fall dann auch verpflichtet war, die beantragten Beweise zu erheben. b)  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht Anfangs gelang es nicht immer, die insbesondere mit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. März 1881 gebrachten Neuerungen konsequent umzusetzen. So heißt es in einer Entscheidung des fünften Senats des Reichsgerichts vom 26. April 1882 wie folgt: „In gleicher Weise wie der Richter aus dem ihm im §  259 C.P.O. gegebenen Rechte der freien Beweiswürdigung einer wirklich abgegebenen Zeugenaussage jeden Glauben versagen kann, ebenso kann er im Voraus befinden, es werde die als abgegebene gedachte Aussage eines zur Vernehmung in Vorschlag gebrachten Zeugen ohne Einfluß auf die bereits gewonnene Ueberzeugung bleiben, weil der Zeuge unglaubwürdig sei. (…) Die Bd.  4 S.  375 ff. der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckte Entscheidung steht mit dieser Ansicht nicht im Widerspruch.“558

Der fünfte Senat des Reichsgerichts verkennt in seiner Entscheidung, dass nach der Entscheidung des dritten Senats vom 21. März 1881, auf die er sich ausdrücklich bezieht, das Gericht über die Frage der subjektiven Unerheblichkeit im Rahmen der Beweiserhebung nicht in gleicher Weise entscheiden darf, wie im Rahmen der Beweiswürdigung. Innerhalb der Beweiswürdigung genügt zur Begründung der richterlichen Überzeugung ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit; auch im Hinblick auf Hilfstatsachen wie die Glaubwürdigkeit eines Zeugen. Stellt sich dagegen auf Ebene der Beweiserhebung die Frage, ob ein Zeuge wegen voraussichtlicher Unglaubwürdigkeit abgelehnt werden darf, muss das Gericht hierüber Gewissheit erlangt haben. Gerade aber die Frage, ob ein Zeuge glaubwürdig ist, kann bei unvoreingenommener Betrachtung denklogisch nicht vor der Beweiserhebung mit erforderlicher Gewissheit beantwortet werden. Insoweit ist die Entscheidung des fünften Senats mit der des dritten Senats unvereinbar.559 558 

RG, Urt. v. 26.04.1882 – V 866/81, Gruchot 26 (1882), 1130, 1132 f. Ebenfalls unvereinbar mit der Entscheidung des dritten Senats: RG, Urt. v. 23.04.1891 – VI 26/91, JW 1891, 306: „Nach dem Grundsatze der freien Beweiswürdigung (§  259 der 559 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Beispiele dieser Art sind zunächst keine Seltenheit. In einer Entscheidung des vierten Senats vom 21. September 1885 ging das Reichsgericht beispielsweise davon aus, dass eine Beweisablehnung dann gerechtfertigt sei, wenn der benannte Zeuge ein „erhebliches Interesse“ an dem Ausgang des Rechtsstreits habe.560 In einer Entscheidung vom 11. März 1886 hat der gleiche Senat die Vernehmung eines Vertreters der Zedentin des Beklagten abgelehnt, da diesem „Glaubwürdigkeit nicht beizumessen sei“.561 Der zweite Senat lehnte in einer Entscheidung vom 9. Dezember 1887 die Vernehmung von Zeugen wegen Unerheblichkeit ab und begründete dies mit den „Ergebnisse(n) der Strafakten“.562 Selbst der dritte Senat blieb der zunächst eingeschlagenen Richtung nicht immer treu. So hielt er in zwei kurz aufeinanderfolgenden Entscheidungen vom 10. Februar 1893563 und vom 17. März 1893564 eine Beweisablehnung für zulässig, wenn der Richter aufgrund anderweitiger Beweisaufnahme vom Gegenteil der Beweisbehauptung überzeugt war. In diesem Fall dürfe das Gericht nach Maßgabe des aus §  259 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 ZPO) abzuleitenden „freien Ermessens“ von der Be­weis­ erhebung absehen. Insbesondere hierdurch kommt der für die Zivilprozessordnung zunächst geltende Grundsatz der freien Beweisablehnung unverkennbar deutlich zur Anschauung.565 Gleichwohl ließ sich eine zunehmende Verengung der freien richterlichen Beweisablehnungsbefugnis nicht mehr aufhalten. Die vom dritten Senat des Reichsgerichts in seiner Entscheidung vom 21. März 1881 aufgestellten Grundsätze wurden zusehends auch von den anderen Senaten des Reichsgerichts herangezogen, um daran die Zulässigkeit einer Beweisablehnung zu beurteilen.566 Dies C.P.O.) darf der Thatrichter das Beweisanerbieten einer Partei in der Regel dann ohne Weiteres zurückweisen, wenn er befindet, daß auch bei Annahme der Wahrheit der von den neu vorgeschlagenen Zeugen zu bestätigenden Thatsachen das Ergebnis der Beweisführung nicht geändert werden würde.“ 560  RG, Urt. v. 21.09.1885 – IV 119/85, Gruchot 30 (1886), 159. Anders dagegen noch: RG, Urt. v. 03.01.1885 – I 379/84, Gruchot 29 (1885), 1100, 1101. 561  RG, Urt. v. 11.03.1886 – IV 363/85, Gruchot 30 (1886), 1024, 1028. 562  RG, Urt. v. 09.12.1887 – II 216/87, JW 1888, 9. 563  RG, Urt. v. 10.02.1893 – III 279/92, JW 1893, 183. 564  RG, Urt. v. 17.03.1893 – III 321/92, JW 1893, 234. 565  Teil 1, B.I.1; zur Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung Teil 2 A.II. 566  Vgl. RG, Urt. v. 09.06.1882 – III 207/82, JW 1882, 175; RG, Urt. v. 10.06.1883 – I 81/83, JW 1883, 226; RG, Urt. v. 09.01.1886 – V 213/85, Gruchot 30 (1886), 1033, 1034; RG, Urt. v. 11.05.1886 – III 71/86, JW 1886, 193; RG, Urt. v. 01.12.1887 – IV 378/87, JW 1888, 10; RG, Urt. v. 07.03.1891 – V 299/90, JW 1891, 199; RG, Urt. v. 10.04.1891 – V 9/91, JW 1891, 352; RG, Urt. v. 15.04.1891 – V 13/91, JW 1891, 307; Urt. v. 23.04.1891 – VI 26/91, JW 1891, 306; RG, Urt. v. 23.06.1891 – III 87/91, Gruchot 37 (1893), 137; RG, Urt. v. 01.10.1891 – VI 144/91, JW 1891, 487; RG, Urt. v. 15.12.1891 – II 232/91, JW 1892, 38; RG, Urt. v. 22.03.1892

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

zeigt sich etwa an einer Entscheidung des ersten Senats, der auf die Entscheidung des dritten Senats (RGZ 4, 375 ff.; s. o.) ausdrücklich Bezug nahm: „Nun ist es aber, wie schon früher vom Reichsgerichte, vgl. Entsch. des R.G. ’s in Civils. Bd.  4 S.  377 flg., ausgeführt ist, durchaus unstatthaft, die wirkliche Abhörung eines Zeugen durch Vermutungen, wenn auch noch so wahrscheinliche, über das, was er nur zu bekunden imstande sein würde, zu ersetzen. Nur durch die Gewißheit, daß, selbst wenn der Zeuge vollständig im Sinne des Beweisführers aussagen sollte, dennoch dadurch kein Einfluß auf die anderweitig bereits gefestigte richterliche Überzeugung mehr ausgeübt werden würde, könnte die Unterlassung der Vernehmung eines über erhebliche Thatsachen vorgeschlagenen Zeugen als gerechtfertigt erscheinen.“567

Ähnlich drückte sich auch der fünfte Senat aus, der ebenfalls an die Entscheidung des dritten Senats (RGZ 4, 375 ff.; s. o.) anknüpfte: „Durch die Ablehnung aus diesem Grunde verstößt der Berufungsrichter gegen den §  259 C.P.O., der ihn verpflichtete, bei der Beweiswürdigung alles vorgebrachte Sachdienliche zu berücksichtigen. (Vergleiche Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd.  4 S.  377.)“568 (Hervorh. d. Verf.)

Bemerkenswert ist dabei, dass der fünfte Senat ganz offenkundig dazu überging, §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) nicht mehr als eine Befugnisnorm für die richterliche Beweisablehnung, sondern als eine Gebotsnorm für die richterliche Beweiserhebungspflicht zu begreifen.569 Damit wurde der ursprüngliche Sinngehalt des §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) faktisch in sein Gegenteil verkehrt. Schließlich legte der Gesetzgeber, wie dargelegt, §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) den Grundsatz der freien Beweisablehnung („etwaigen Beweisaufnahme“) und nicht den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zugrunde.570 Dieses auf den Kopf gestellte Normverständnis verfestigte sich in der Folgezeit gleichwohl zunehmend. Das Reichsgericht wertete eine unzulässige Beweisablehnung fortan generell als einen Verstoß gegen §  259 ZPO a. F. (§  286

– II NN., Annalen Großh. Bad. Ger. 58 (1892), 331, 333; RG, Urt. v. 23.05.1892 – VI 64/92, JW 1892, 331 f.; RG, Urt. v. 23.11.1892 – I 267/92, JW 1983, 17; RG, Urt. v. 11.01.1893 – V 221/92, JW 1893, 95. 567  RG, Urt. v. 16.06.1884 – I 167/84, RGZ 15, 335, 336. 568  RG, Urt. v. 09.01.1886 – V 213/85, Gruchot 30 (1886), 1033, 1034. 569  In diesem Sinne wollte sich der fünfte Senat des Reichsgerichts in der Entscheidung vom 28. Dezember 1883 noch nicht festlegen. Dort heißt es: „Die Beklagte stellt in der Revisionsinstanz den Satz auf: daß der Richter die Mittel zur Erforschung der Wahrheit zu erschöpfen und nur, wenn dieses geschehen, gemäß §  259 C.P.O. nach freier Überzeugung zu entscheiden habe, ob eine Behauptung wahr oder nicht wahr sei. (…) Indessen den obigen Satz kennt die Civilprozeßordnung in dieser Allgemeinheit nicht.“, vgl. RG, Urt. v. 28.12.1883 – IV 367/83, RGZ 10, 415, 415 f. 570  Teil 1, B.I.1.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

115

ZPO).571 Vereinzelt hielt es in diesem Zusammenhang kumulativ oder alternativ das Begründungserfordernis des §  259 Abs.  1 S.  2 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  2 ZPO) für verletzt.572 Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf, dass dem Reichsgericht nicht völlig entging, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht in §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) verankert war. So heißt es in einer Entscheidung des vierten Senates des Reichsgerichts vom 5. März 1894, dass die Beweisablehnung im konkreten Fall nicht „gegen die dem §  259 der C.P.O. in der Praxis des R.G. zu Theil gewordene Anwendung“ verstoße.573 Daher überrascht es insgesamt wenig, dass das Reichsgericht schon im ausgehenden 19. Jahrhundert vermehrt dazu überging, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht für einen allgemeinen, normativ nicht näher zu bestimmenden oder bestimmbaren Rechtssatz des zivilprozessualen Beweisverfahrens zu halten: „Die Ablehnung eines angebotenen Beweismittels ist nur zulässig, wenn die Unmöglichkeit des Einflusses des Beweismittels auf die richterliche Überzeugung mit ausreichender Begründung festgestellt wird.“574

Sinngemäß folgerte man hieraus, dass das Gericht grundsätzlich zu einer Beweiserhebung verpflichtet ist, solange nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann, dass diese auf die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird.575 571  RG, Urt. v. 11.03.1886 – IV. 363/85, Gruchot 30 (1886), 1024, 1028 f.; RG, Urt. v. 11.05.1886 – III 71/86, JW 1886, 193; RG, Urt. v. 28.03.1888 – V 20/88, Gruchot 32 (1888), 1186, 1188; RG, Urt. v. 15.04.1891 – V 13/91, JW 1891, 307; RG, Urt. v. 22.03.1892 – II NN., Annalen Großh. Bad. Ger. 58 (1892), 331, 333; RG, Urt. v. 10.02.1893 – II 279/92, JW 1893, 183; RG, Urt. v. 05.07.1905 – VI 459/04, JW 1905, 498 f.; RG, Urt. v. 17.10.1912 – VI 130/12, JW 1913, 43, 44; RG, Urt. v. 24.04.1913 – IV 644/12, JW 1913, 749, 750; RG, Urt. v. 15.10.1914 – VI 285/14, JW 1915, 37; RG, Urt. v. 22.11.1918 – III 226/18, RGZ 94, 140, 144; RG, Urt. v. 15.03.1919 – V 242/18, RGZ 95, 188, 191; RG, Urt. v. 09.02.1920 – IV 456/19, Warneyer 13 (1920), 223; RG, Urt. v. 09.02.1922 – IV 345/21, Warneyer 15 (1922), 89, 90; RG, Urt. v. 17.04.1930 – VI 384/29, HRR 1930 Nr.  1660; RG, Urt. v. 16.09.1930 – VII 631/29, Warneyer 22 (1930), 404, 405; RG, Urt. v. 20.11.1930 – VI 107/30, Warneyer 23 (1931), 75; RG, Urt. v. 05.03.1931 – VI 529/30, JW 1931, 3333, 3335; RG, Urt. v. 19.12.1931 – I 283/31, Seuff. Arch. 86 (1932), 87; RG, Urt. v. 13.12.1935 – V 157/35, JW 1936, 813; RG, Urt. v. 04.12.1936 – VII 132/36, HRR 1937 Nr.  339; RG, Urt. v. 15.11.1937 – VI 171/37, Warneyer 30 (1938), 8, 11; RG, Urt. v. 13.01.1938 – IV 207/37, Warneyer 30 (1938), 218, 219. 572  RG, Urt. v. 11.10.1889 – II 173/89, RGZ 24, 332, 336; RG, Urt. v. 07.03.1891 – V 299/90, JW 1891, 199; RG, Urt. v. 31.03.1894 – I 486/93, JW 1894, 240; RG, Urt. v. 14.06.1906 – IV 2/06, JW 1906, 466 f.; RG, Urt. v. 22.02.1915 – IV 410/14, JW 1915, 522 f. 573  RG, Urt. v. 05.03.1894 – IV 322/93, JW 1894, 180. 574  RG, Urt. v. 16.09.1913 – VII 204/13, JW 1914, 46. 575  In diesem Sinne: RG, Urt. v. 02.05.1891 – V 33/91, JW 1891, 307; RG, Urt. v. 01.06.1893 – VI 67/93, JW 1893, 345, 346; RG, Urt. v. 04.04.1895 – IV 331/94, JW 1895, 293; RG, Urt. v.

116

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Nachdem eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit nahezu immer unzulässig war, da die hohen Anforderungen, die seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. März 1881 an eine solche Beweisablehnung gestellt wurden, in aller Regel nicht erfüllt werden konnten, gab das Reichsgericht den ehemals gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff576 zusehends auf. Spätestens mit der vollständigen Verdrängung des Grundsatzes der freien Be­ weis­ableh­nung aus dem zivilprozessualen Beweisverfahren ab dem 20. Jahrhundert vertrat es dann nur noch einen rein objektiven Erheblichkeitsbegriff.577 c) Ergebnis Ohne sich in einen ausdrücklichen Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers zu stellen, schränkte das Reichsgericht schon sehr bald den Grundsatz der freien Beweisablehnung, wie er in §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) niedergelegt war, ganz erheblich ein. Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung musste generell begründet werden und war nur statthaft, wenn von vornherein mit letzter Sicherheit feststand, dass die beantragte Be27.10.1904 – VI 602/03, JW 1905 26 f.; RG, Urt. v. 25.09.1906 – II 45/06, JW 1906, 688, 689; RG, Urt. v. 02.11.1906 – II 111/06, JW 1906, 755; RG, Urt. v. 04.02.1909 – VI 116/1908, Gruchot 53 (1909), 1111, 1111 f.; RG, Urt. v. 09.03.1909 – III 245/08, JW 1909, 224; RG, Urt. v. 04.12.1909 – V 27/09, JW 1910, 68; RG, Urt. v. 28.02.1910 – IV 236/09, JW 1910, 339; RG, Urt. v. 01.06.1910 – I 244/09, JW 1910, 759, 760; RG, Urt. v. 28.06.1910 – II 501/09, JW 1910, 827; RG, Urt. v. 03.10.1910 – V 625/09, Warneyer 3 (1909/1910), 499; RG, Urt. v. 16.04.1912 – III 3393/11, Warneyer 5 (1912), 365; RG, Urt. v. 09.05.1912 – VI 479/11, JW 1912, 800, 801; RG, Urt. v. 13.05.1912 – IV 500/11, Warneyer 5 (1912), 365, 366; RG, Urt. v. 18.10.1912 – II 264/12, Gruchot 59 (1914), 482, 483; RG, Urt. v. 16.09.1913 – VII 204/13, JW 1914, 46; RG, Urt. v. 16.04.1920 – VII 351/19, Warneyer 13 (1920), 154; RG, Urt. v. 09.02.1922 – IV 345/21, Warneyer 15 (1922), 89, 90; RG, Urt. v. 08.11.1922 – VI 43/22, LZ 1923, 228, 229; RG, Urt. v. 11.07.1924 – VII 772/23, Warneyer 16 (1923/1924), 229, 320; RG, Urt. v. 28.01.1925 – III 852/23, JR 1925, Sp.  646; RG, Urt. v. 04.02.1930 – VII 225/29, JW 1930, 1061; RG, Urt. v. 10.01.1931 – V 103/30, HRR 1931 Nr.  794; RG, Urt. v. 01.11.1934 – IV 163/34, Warneyer 26 (1934), 386, 387; RG, Urt. v. 23.11.1937 – III 56/37, RGZ 156, 257, 262; RG, Urt. v. 23.05.1938 – IV 8/38, RGZ 157, 356, 359; RG, Urt. v. 25.02.1942 – IV 231/41, RGZ 158, 385, 387. 576  Vgl. nur: RG, Urt. v. 22.09.1880 – I 817/80, RGZ 2, 383, 384; RG, Urt. v. 11.05.1886 – III 71/86, JW 1886, 193; RG, Urt. v. 09.12.1887 – II 216/87, JW 1888, 9: „Es war daher an sich nicht unstatthaft, aus dem Ergebnisse der Strafakten aus die Unerheblichkeit der im Civilprozesse erbotenen Beweise zu schließen.“; RG, Urt. v. 31.03.1894 – I 486/93, JW 1894, 240; RG, Urt. v. 04.04.1895 – IV 331/94, JW 1895, 293; RG, Urt. v. 30.11.1903 – VI 145/03, JW 1904, 67; RG, Urt. v. 02.11.1906 – II 111/06, JW 1906, 755; RG, Urt. v. 04.02.1909 – VI 116/1908, Gruchot 53 (1909), 1111, 1111 f.; RG, Urt. v. 15.10.1914 – VI 285/14, JW 1915, 37. 577  Vgl. RG, Urt. v. 31.03.1894 – I 486/93, JW 1894, 240; RG, Urt. v. 03.07.1899 – IV 130/99, JW 1899, 573; RG, Urt. v. 27.10.1903 – II 106/03, JW 1903, 420; RG, Urt. v. 15.03.1919 – V 242/18, RGZ 95, 188, 191; RG, Urt. v. 09.02.1920 – IV 456/19, Warneyer 13 (1920), 223; RG, Urt. v. 20.11.1930 – VI 107/30, Warneyer 23 (1931), 75.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

117

weisführung auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird. Die konsequente Einschränkung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung contra legem führte letzten Endes dazu, dass sich der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, wie er dem zivilprozessualen Beweisverfahren ebenfalls zugrunde lag,578 frei entfalten konnte. Das Reichsgericht machte sich indessen keine Vorstellung darüber, worauf der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht seinerseits normativ beruhen könnte. Nur gelegentlich leitete das Reichsgericht diese Pflicht sogar unmittelbar aus §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) selbst ab, was angesichts der Tatsache, dass dort das exakte Gegenteil geregelt ist, namentlich der Grundsatz der freien Beweisablehnung, dogmatisch unverständlich ist. Wesentlich häufiger brachte das Reichsgericht die Geltung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht durch eine andere Wendung zum Ausdruck: „Eine derartige Vorwegnahme der Beweisprüfung ist (…) nicht zulässig.“579 (Hervorh. d. Verf.) „(…) im allgemeinen (muß) eine sog. „Vorwegnahme des Beweisergebnisses“ als unzulässig und mit §  286 ZPO in Widerspruch stehend erachtet werden (…).“580 (Hervorh. d. Verf.) „Eine solche Vorwegnahme des Beweisergebnisses ist regelmäßig unzulässig, da erst nach Aufnahme des Beweises entschieden werden kann, ob die zu Beweis gestellte Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist.“581 (Hervorh. d. Verf.)

Solange das Ergebnis der Beweiswürdigung ein unsicheres war, wovon in aller Regel ausgegangen werden kann, durfte der Richter eine beantragte Beweisführung nicht mit der Begründung ablehnen, dass diese auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird. Denn dann nahm der Richter das Ergebnis der Beweiswürdigung vorweg. Vor diesem Hintergrund bildete sich ab dem frühen 20. Jahrhundert die Wendung „Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung“ aus, die sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts schnell großer Beliebtheit erfreute.582 Die Funk­ 578 

Teil 1, B.I.2. RG, Urt. v. 28.02.1910 – IV 236/09, JW 1910, 339. 580  RG, Urt. v. 15.10.1914 – VI 285/14, JW 1915, 37. 581  RG, Urt. v. 16.09.1930 – VII 631/29, Warneyer 22 (1930), 404, 405. 582  RG, Urt. v. 01.06.1893 – VI 67/93, JW 1893, 345; RG, Urt. v. 09.02.1920 – IV 456/19, Warneyer 13 (1920), 223; RG, Urt. v. 08.11.1922 – VI 43/22, LZ 1923, 228; RG, Urt. v. 20.11.1930 – VI 107/30, Warneyer 23 (1931), 75; RG, Urt. v. 05.03.1931 – VI 529/30, JW 1931, 3333; RG, Urt. v. 01.11.1934 – IV 163/34, Warneyer 26 (1934), 386, 387; RG, Urt. v. 15.11.1937 – VI 171/37, Warneyer 30 (1938), 8, 11; RG, Urt. v. 23.11.1937 – III 56/37, RGZ 156, 257, 262; RG, Urt. v. 13.01.1938 – IV 207/37, Warneyer 30 (1938), 218, 219; RG, Urt. v. 23.05.1938 – IV 8/38, RGZ 157, 356, 359; RG, Urt. v. 25.02.1942 – IV 231/41, RGZ 158, 385, 387. 579 

118

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

tion des Verbots bestand darin sicherzustellen, dass das Gericht die Beweisführungsbefugnis der Parteien nicht durch spekulative Annahmen über das noch unsichere Ergebnis der Beweiswürdigung in unzulässiger Weise verkürzte. Fragt man sich heute, warum das Reichsgericht den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht durch das (negative) Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und nicht durch das (positive) Gebot oder die Pflicht zur Beweiserhebung zum Ausdruck brachte, so liegt die Antwort in der dogmatisch zwingenden Perspektive, die das Reichsgericht im Umgang mit §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) einnehmen musste: In §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) ist, wie dargelegt, der Grundsatz der freien Beweisablehnung („etwaigen Beweisaufnahme“) niedergelegt.583 Nach Maßgabe dieses Grundsatzes hat das Gericht das Recht oder die Befugnis die beantragten Beweise abzulehnen. §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) stellt somit nach richtiger Lesart und entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eine richterliche Befugnisnorm, nicht aber eine Gebotsnorm dar. §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) begründet ein richterliches Recht oder eine Befugnis, keine richterliche Pflicht oder ein Gebot. Dieser Tatsache trug das Reichsgericht Rechnung, indem es den richtigen Umgang mit Beweisanträgen nicht danach beurteilte, ob der Tatrichter einer möglichen Beweiserhebungspflicht unzureichend nachgekommen war, sondern danach, ob der Tatrichter seine Beweisablehnungsbefugnis aus §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) überschritten hatte. Es wurde nicht die Frage gestellt, wozu der Richter verpflichtet war, sondern wozu es berechtigt war. Dies ist der eigentliche Grund, warum der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht durch das Reichsgericht in aller Regel negativ durch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung definiert wurde. Das Reichsgericht zog §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO), abgesehen von seltenen Ausnahmen, heran, um festzustellen, ob der Richter seine Beweisablehnungsbefugnis in unzulässiger Weise überschritten, und nicht, ob der Richter seiner Beweiserhebungspflicht in unzulässiger Weise nicht entsprochen hat. 2.  Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone Wenige Jahre, nachdem das Reichsgericht aufgelöst worden war, und noch bevor der Bundesgerichtshof im Jahr 1950 seine Arbeit aufnahm, hatte sich der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (im Folgenden: „Oberster Gerichtshof“) in einer Entscheidung vom 24. Februar 1949 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Beweisablehnung damit gerechtfertigt werden könne, dass die zu 583 

Teil 1, B.I.1.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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vernehmende Zeugin die Ehefrau des Beweisführers sei.584 Der Oberste Gerichtshof griff hierzu die Rechtsprechung des Reichsgerichts über die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung auf und führte wie folgt aus: „Grundsätzlich ist es aber unzulässig, den Beweiswert einer Aussage zu würdigen, bevor die Aussage gemacht worden ist. Nur wenn der Tatrichter aus besonderen Gründen vom völligen Unwert des angebotenen Beweismittels ausgeht und seine Überzeugung eingehend begründete, darf er sich ausnahmsweise über das Beweisangebot hinwegsetzen. Bloße Unwahrscheinlichkeit des Beweiswerts genügt nicht und die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen darf nicht allgemein auf Verwandtschaft – oder das Band der Ehe – zu einer Partei gestützt werden, sondern muß aus besonderen Gründen herzuleiten sein.“585

Da der Oberste Gerichtshof diese Voraussetzung nicht als erfüllt ansah, kam er zum Schluss, dass die „ausnahmsweise Nichtbeachtung des Beweismittels“ nicht gerechtfertigt gewesen sei.586 Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs eine Beweiserhebung grundsätzlich stattzufinden habe und somit der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gelte. Allerdings verzichtete auch der Obersten Gerichtshof darauf, normativ zu begründen, warum jener Grundsatz gelte. Lediglich im Orientierungssatz findet sich der Verweis auf §  286 ZPO, woraus aber nicht zwingend gefolgert werden kann, dass der Oberste Gerichtshof den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht unmittelbar aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO abgeleitet hätte. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gibt gleichwohl Anlass, sich nochmals mit der richtigen Verwendung des Erheblichkeitsbegriffs auseinanderzusetzen: Wie eben erwähnt, hat das Reichsgericht ursprünglich in Anlehnung an die Justizkommission einen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff verwendet, bevor es diesen aufgab und nur noch einen rein objektiven Erheblichkeitsbegriff vertrat587 Der Oberste Gerichtshofs schien sich über die begrifflichen Unterschiede des Erheblichkeitsbegriffs nicht im Klaren gewesen zu sein, was sich an seinen im Folgenden wiedergegebenen Ausführungen erkennen lässt: „Das Berufungsgericht erklärt hierzu (…), diese Behauptung erscheine ihm unerheblich. Das sieht so aus, als wolle das Berufungsgericht die Behauptung als wahr unterstellen und ihr nur die Erheblichkeit absprechen. Das Urteil zieht dann aber klar die Glaubwürdigkeit der zu erwartenden Aussage der Ehefrau (…) in Zweifel, (…). Diese Begründung ist in sich widerspruchsvoll (…).“588

584 

OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 351 ff. OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 353. 586  OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 353. 587  Teil 1, B.I.1.b). 588  OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 351. 585 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Der Oberste Gerichtshof hielt die Ausführungen des Berufungsgerichts deshalb für „widerspruchsvoll“, weil das Berufungsgericht die Beweisführung für „unerheblich“ erachtete, obwohl die unter Beweis gestellte Behauptung bei Wahrunterstellung streitentscheidend war. Der angesprochene Widerspruch erklärt sich jedoch daraus, dass das Berufungsgericht offenbar einen weiteren, nämlich einen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff vertrat. Danach war eine Beweisführung nicht nur dann erheblich, wenn sie eine objektiv entscheidungsrelevante Tatsache betraf (objektiv erheblich), sondern auch dann, wenn das in Ansatz gebrachte Beweismittel subjektive Überzeugungskraft hatte (subjektiv erheblich). Der Oberste Gerichtshof vertrat offensichtlich einen rein objektiven Erheblichkeitsbegriff. Aus seiner Perspektive war nicht erkennbar, dass eine Beweiserhebung unter Verweis auf die fehlende Erheblichkeit auch damit begründet werden konnte, dass das Beweismittel keine innere Überzeugungskraft hatte – also subjektiv unerheblich war. Ungeachtet dessen ist klar erkennbar, dass sich der Oberste Gerichtshof im Anschluss an das Reichsgericht zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht bekannte, ohne sich über dessen normative Grundlage eine Vorstellung gemacht zu haben. Stattdessen tradierte der Oberste Gerichtshof die Wendung von der „unzulässigen Vorwegwürdigung des angetretenen Beweises“, womit er ebenfalls den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht negativ definierte. 3.  Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs a)  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht Der Bundesgerichtshof stellte bereits in seiner Entscheidung vom 12. April 1951 unmissverständlich klar, dass er im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts vom Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ausging. So folgerte er aus §  286 Abs.  1 ZPO, dass ein Zeuge, in dessen Wissen eine „erhebliche Tatsache“ gestellt wurde, grundsätzlich zu vernehmen sei.589 Noch deutlicher wurde der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 27. Mai 1952:590 „Das Gericht wird insbes. im Rahmen der durch §  286 ZPO begründeten Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts einem dahingehenden Beweisantrag entsprechen müssen (…).“591(Hervorh. d. Verf.)

589 

BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481, 481 f. BGH, Urt. v. 27.05.1952 – V ZR 81/51, NJW  1952, 931 ff. 591  BGH, Urt. v. 27.05.1952 – V ZR 81/51, NJW  1952, 931, 933. 590 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Hieran hat sich bis heute im Grunde nichts geändert.592 Anders noch als das Reichsgericht definiert der Bundesgerichtshof den Grundsatz der richterlichen 592  BGH, Urt. v. 26.03.1952 – II ZR 53/51, BGHZ 5, 285, 287; BGH, Urt. v. 14.07.1952 – IV ZR 25/52, BGHZ 7, 116, 121; BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1; BGH, Urt. v. 08.11.1955 – I ZR 12/54, LM §  286 (E) ZPO Nr.  7; BGH, Urt. v. 01.02.1956 – IV ZR 224/55, FamRZ 1956, 147, 147; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 39755, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 14.01.1958 – VI ZR 293/56, VersR 1958, 170, 171; BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341; BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847, 848 f.; BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252; BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225, 226; BGH, Urt. v. 19.04.1961 – IV ZR. 217/60, LM §  286 (A) Nr.  20; BGH, Urt. v. 04.12.1961 – III zR 179/60, VersR 1962, 177, 178; BGH, Urt. v. 18.01.1962 – III ZR 155/60, DRiZ 1962, 167 f.; BGH, Urt. v. 04.06.1962 – VIII ZR 24/61, ZMR 1962, 310; BGH, Urt. v. 20.09.1962 – III ZR 84/61, DRiZ 1963, 28; BGH, Urt. v. 07.06.1963 – VI ZR 184/62, VersR 1963, 1035; BGH, Urt. v. 13.11.1963 – IV ZR 65/63 – BGHZ 40, 367, 374 f.; BGH, Urt. v. 07.01.1965 – Ia ZR 151/63, Warneyer 1965, 71; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 („Anastasia“); BGH, Urt. v. 19.09.1973 – VIII ZR 102/72, Warneyer 1973, 565; BGH, Urt. v. 18.10.1973 – III ZR 192/71, DRiZ 1974, 27; BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401; BGH, Urt. v. 23.05.1989 – VI ZR 284/88, BGHZ 107, 325, 328; BGH, Urt. v. 06.10.1989 – V ZR 223/87, NJW-RR 1990, 78, 80; BGH, Urt. v. 15.01.1993 – V ZR 2/92, NJW-RR 1993, 893, 894; BGH, Urt. v. 10.02.1993 – XII ZR 241/91, BGHZ 121, 266, 271; BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f.; BGH, Urt. v. 05.07.1995 – XII ZR 246/93, NJW-RR 1996, 56; BGH, Urt. v. 29.10.1996 – XI ZR 319/95, NJW-RR 1997, 238, 239; BGH, Urt. v. 19.05.1998 – XI ZR 216/97, NJW  1998, 2673, 2674; BGH, Urt. v. 01.07.1999 – VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208; BGH, Urt. v. 21.01.1999 – VII ZR 39897, NJW  1999, 1859, 1860; BGH, Urt. v. 19.06.2000 – II ZR 319/98, NJW  2000, 3718, 3720; BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073; BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.; BGH, Urt. v. 15.03.2004 – II ZR 136/02, NJW-RR 2004, 1001, 1002; BGH, Urt. v. 13.09.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28, 29; BGH, Beschl. v. 01.06.2005 – XII ZR 275/02, NJW  2005, 2710, 2711; BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 199/03, WM 2005, 1847, 1849; BGH, Beschl. v. 31.08.2005 – XII ZR 63/03, NJW-RR 2005, 823; BGH, Beschl. v. 07.12.2006 – IX ZR 173/03, NJW-RR 2007, 500, 50; BGH, Beschl. v. 16.01.2007 – VI ZR 166/06, VersR 2007, 1008, 1009; BGH, Beschl. v. 07.02.2007 – IV ZR 25/06, NJW-RR 2007, 1033; BGH, Urt. v. 02.04.2007 – II ZR 325/05, NJW-RR 2007, 1483, 1485; BGH, Beschl. v. 21.05.2007 – II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409, 1411; BGH, Beschl. v. 16.07.2007 – II ZR 226/06, DStR 2007, 1641; BGH, Beschl. v. 01.08.2007 – III ZR 35/07, juris; BGH, Beschl. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, NJW-RR 2008, 414; BGH, Beschl. v. 28.11.2007 – XII ZB 217/05, NJW  2008, 1531–1533; BGH, Beschl. v. 30.01.2008 – IV ZR 9/06, NJW-RR 2008, 696; BGH, Urt. v. 14.02.2008 – IX ZR 38/04, NJW-RR 2008, 870, 871; BGH, Beschl. v. 02.06.2008 – II ZR 67/07, NJW-RR 2008, 1252; BGH, Beschl. v. 12.06.2008 – V ZR 223/07, BauR 2008, 1498; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 – IV ZR 272/06, VersR 2009, 517, 518; BGH, Beschl. v. 19.11.2008 – IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BGH, Urt. v. 02.04.2009 – I ZR 16/07, TranspR 2009, 410, 411; BGH, Urt. v. 17.02.2010 – IV ZR 259/08, NJW-RR 2010, 1038, 1039; BGH, Beschl. v. 11.05.2010 – VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217, 1218; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – V ZR 218/10, juris; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011,

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Beweiserhebungspflicht ganz überwiegend positiv, indem er konkret von einer „Pflicht“ spricht. Der Ausdruck „Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung“, der dem Reichsgericht als Negativdefinition des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht diente, ist vergleichsweise selten anzutreffen.593 Es wurde wohl aus den Augen verloren, dass es sich bei §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO (vormals §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.) um eine richterliche Befugnisnorm und nicht um eine Gebotsnorm handelt. Diese dogmatische Hürde kann nur überwunden werden, indem man den Unterschied zwischen Befugnis- und Gebotsnorm gedanklich außer Acht lässt. Dann ist der Weg frei, um aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO als Befugnisnorm eine richterliche Pflicht abzuleiten. Der Bundesgerichtshof geht jedoch nicht soweit, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht konsequent aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO abzuleiten. Größtenteils entzieht er sich einer konkreten Bezugnahme594 und führt stattdessen die „Grundsätze des Beweisrechts“ an595 oder lässt die Frage ganz offen.596 1384, 1385; BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728, 729; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 9 f.; BGH, Beschl. v. 22.12.2012 – VII ZR 191/09, NJW-RR 2012, 463; BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385; BGH, Beschl. v. 11.11.2014 – VIII ZR 302/13, NJW  2015, 409, 410. 593  Vgl. etwa: BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 14.01.1958 – VI ZR 293/56, VersR 1958, 170, 171; BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341; BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252; BGH, Urt. v. 19.04.1961 – IV ZR. 217/60, LM §  286 (A) Nr.  20; BGH, Urt. v. 07.06.1963 – VI ZR 184/62, VersR 1963, 1035; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 („Anastasia“); BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f.; BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073. 594  BGH, Urt. v. 14.07.1952 – IV ZR 25/52, BGHZ 7, 116, 121; BGH, Urt. v. 08.11.1955 – I ZR 12/54, LM §  286 (E) ZPO Nr.  7; BGH, Urt. v. 14.01.1958 – VI ZR 293/56, VersR 1958, 170, 171; BGH, Urt. v. 23.05.1989 – VI ZR 284/88, BGHZ 107, 325, 328; BGH, Urt. v. 05.07.1995 – XII ZR 246/93, NJW-RR 1996, 56; BGH, Urt. v. 19.05.1998 – XI ZR 216/97, NJW  1998, 2673, 2674; BGH, Urt. v. 21.01.1999 – VII ZR 39897, NJW  1999, 1859, 1860; BGH, Urt. v. 29.01.2002 – XI ZR 86/01, NJW-RR 2002, 774; BGH, Urt. v. 14.02.2008 – IX ZR 38/04, NJW-RR 2008, 870, 871; BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728, 729. 595  BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252. 596  BGH, Urt. v. 26.03.1952 – II ZR 53/51, BGHZ 5, 285, 287; BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1; BGH, Urt. v. 01.02.1956 – IV ZR 224/55, FamRZ 1956, 147, 147; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 39755, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341; BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847, 848 f.; BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225, 226; BGH, Urt. v. 19.04.1961 – IV ZR 217/60, LM §  286 (A) Nr.  20; BGH, Urt. v. 04.12.1961 – III ZR 179/60, VersR 1962, 177, 178; BGH, Urt. v. 18.01.1962 – III ZR 155/60, DRiZ 1962, 167 f.; BGH, Urt. v. 04.06.1962 – VIII ZR 24/61, ZMR 1962, 310; BGH, Urt. v. 20.09.1962 – III ZR 84/61, DRiZ 1963, 28; BGH, Urt. v.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Prominenter und heute wohl am weit verbreitetsten ist die Rückführung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht auf „die Zivilprozessordnung“ selbst. So heißt es in der viel beachteten Anastasia-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Februar 1970: „Die Zivilprozeßordnung geht von dem Grundsatz der Pflicht des Gerichts zur Erschöpfung der Beweisaufnahme aus; d. h. das Gericht muß grundsätzlich alle angetretenen und angebotenen Beweise erheben, soweit nicht ein bestimmter Grund zur Ablehnung des Antrags gegeben ist.“597

Der Bundesgerichtshof vermittelt den Eindruck, es handele sich somit bei dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht um einen übernormativen beweisrechtlichen Verfahrensgrundsatz.598 Die in der Anastasia-Entscheidung aufgestellte Formel lässt sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis heute eindeutig wiedererkennen, wie ein Beschluss vom 23. April 2015 anschaulich belegt: „Dabei geht das Zivilprozessrecht von dem Grundsatz der Pflicht des Gerichts zur Erschöpfung der Beweisaufnahme aus.“599 07.06.1963 – VI ZR 184/62, VersR 1963, 1035; BGH, Urt. v. 13.11.1963 – IV ZR 65/63 – BGHZ 40, 367, 374 f.; BGH, Urt. v. 07.01.1965 – Ia ZR 151/63, Warneyer 1965, 71; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381; BGH, Urt. v. 19.09.1973 – VIII ZR 102/72, Warneyer 1973, 565; BGH, Urt. v. 18.10.1973 – III ZR 192/71, DRiZ 1974, 27; BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401; BGH, Urt. v. 06.10.1989 – V ZR 223/87, NJW-RR 1990, 78, 80; BGH, Urt. v. 15.01.1993 – V ZR 2/92, NJW-RR 1993, 893, 894; BGH, Urt. v. 10.02.1993 – XII ZR 241/91, BGHZ 121, 266, 271; BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f.; BGH, Urt. v. 29.10.1996 – XI ZR 319/95, NJW-RR 1997, 238, 239; BGH, Urt. v. 01.07.1999 – VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208; BGH, Urt. v. 19.06.2000 – II ZR 319/98, NJW  2000, 3718, 3720; BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073; BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.; BGH, Urt. v. 15.03.2004 – II ZR 136/02, NJW-RR 2004, 1001, 1002; BGH, Urt. v. 02.04.2007 – II ZR 325/05, NJW-RR 2007, 1483, 1485; BGH, Beschl. v. 01.08.2007 – III ZR 35/07, juris; BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385. 597  BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 („Anastasia“). 598  In diesem Sinne ferner: BGH, Urt. v. 15.03.2004 – II ZR 136/02, NJW-RR 2004, 1001, 1002; BGH, Urt. v. 13.09.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28, 29. Allerdings sind auch teilweise Mischformen zu finden. So hat das OLG München in einer Entscheidung vom 12. Mai 1972 die richterliche Beweiserhebungspflicht sowohl aus §  286 ZPO, als auch aus der Verhandlungsmaxime und aus der Verpflichtung des Gerichts, im Rahmen des von den Parteien beigebrachten Tatsachenstoffes die Wahrheit zu erforschen, die Pflicht abgeleitet, dass angetretene Beweise zu erschöpfen seien, OLG München, Urt. v. 12.05.1972 – 10 U 3529/71, NJW  1972, 2048, 2049. Ebenso: OLG Köln, Urt. v. 21.11.1974 – 12 U 50/74, VersR 1975, 994. 599  BGH, Beschl. v. 23.04.2015 – V ZR 200/14, IBR 2015, 462; BGH, Urt. v. 15.03.2004 – II ZR 136/02, NJW-RR 2004, 1001, 1002. Nahezu wortgleich: BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 („Anastasia“); BGH, Urt. v. 15.01.1993 – V ZR 2/92, NJW-RR 1993, 893, 894; BGH, Urt. v. 14.05.1993 – V ZR 295/91 –, juris; BGH, Urt. v. 14.02.2008 – IX

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Flankierend ist der Bundesgerichtshof in jüngerer Zeit vermehrt dazu übergegangen, die richterliche Beweiserhebungspflicht unmittelbar aus Art.  103 Abs.  1 GG600 oder dem Justizgewährungsanspruch601 abzuleiten. Ursache hierfür ist aber nicht eine veränderte Vorstellung über den Pflichtenkanon der Zivilprozessordnung, sondern die revidierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gewährleistungsgehalt der Verfahrensgrundrechte.602 b) Ergebnis Der allgemeine Trend in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht auf §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO zu stützen, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Schließlich hat sich in der vorangegangenen Untersuchung gezeigt, dass §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO (vormals: §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.) der exakt entgegengesetzte Grundsatz, namentlich der Grundsatz der freien Beweisablehnung, zugrunde liegt.603 Ungeachtet dessen ZR 38/04, NJW-RR 2008, 870, 871. Vgl. aus älterer Zeit: BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847, 848 f.: „Der Tatsachenrichter muß grundsätzlich die angetretenen Beweise erschöpfen. Ist eine in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache erheblich, so ist der Zeuge zu vernehmen.“ 600  BGH, Beschl. v. 01.06.2005 – XII ZR 275/02, NJW  2005, 2710, 2711; BGH, Beschl. v. 31.08.2005 – XII ZR 63/03, NJW-RR 2005, 823; BGH, Beschl. v. 07.12.2006 – IX ZR 173/03. NJW-RR 2007, 500, 501; BGH, Beschl. v. 16.01.2007 – VI ZR 166/06, VersR 2007, 1008, 1009; BGH, Beschl. v. 07.02.2007 – IV ZR 25/06, NJW-RR 2007, 1033; BGH, Beschl. v. 21.05.2007 – II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409, 1411; BGH, Beschl. v. 16.07.2007 – II ZR 226/06, DStR 2007, 1641; BGH, Beschl. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, NJW-RR 2008, 414; BGH, Beschl. v. 28.11.2007 – XII ZB 217/05, NJW  2008, 1531–1533; BGH, Beschl. v. 30.01.2008 – IV ZR 9/06, NJW-RR 2008, 696; BGH, Beschl. v. 02.06.2008 – II ZR 67/07, NJW-RR 2008, 1252; BGH, Beschl. v. 12.06.2008 – V ZR 223/07, BauR 2008, 1498; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 – IV ZR 272/06, VersR 2009, 517, 518; BGH, Beschl. v. 19.11.2008 – IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BGH, Urt. v. 02.04.2009 – I ZR 16/07, TranspR 2009, 410, 411; BGH, Beschl. v. 11.05.2010 – VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217, 1218; BGH, Beschl. v. 21.10.2010 – V ZR 30/10, WuM 2011, 299, 300; BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 182/10, juris, Rn.  10; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – V ZR 218/10, juris; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384, 1385; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJWRR 2013, 9, 9 f.; BGH, Beschl. v. 22.12.2012 – VII ZR 191/09, NJW-RR 2012, 463; BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749, 750; BGH, Beschl. v. 11.11.2014 – VIII ZR 302/13, NJW  2015, 409, 410; BGH, Beschl. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, juris, Rn.  10. 601  BGH, Beschl. v. 24.05.2006 – XII ZR 164/05, juris, Rn.  18. 602  Der Bundesgerichtshof ist zunächst davon ausgegangen, dass das Übergehen eines Beweisantrags keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) darstelle, vgl. BGH, Urt. v. 20.05.1963 – VII ZR 222/61, WM 1963, 944; BGH, Urt. v. 06.12.1965 – VII ZR 149/63, ZZP 79 (1966), 451 f. Dazu Teil 1, B.II.4. 603  Teil 1, B.I.1.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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scheint der Bundesgerichtshof in seiner Auffassung, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus der Zivilprozessordnung als solcher oder dem zivilprozessualen Beweisverfahren abzuleiten, nicht sonderlich gefestigt zu sein. Andernfalls wäre es unverständlich, warum er in diesem Zusammenhang neuerdings immer wieder auf Art.  103 Abs.  1 GG zurückgreift.604 Der Bundesgerichtshof scheint der Frage, worin der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit umgekehrt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung seine bzw. ihre normative Grundlage findet, mit einer gewissen Gleichgültigkeit zu begegnen. Schließlich scheut er nicht davor zurück, als Grundlage §  286 ZPO und Art.  103 GG in einem Atemzug zu nennen.605 Wenn die Zivilprozessordnung als lex specialis eine geeignete gesetzliche Grundlage bietet, was noch zu zeigen sein wird, dann bedürfte es der verfassungsrechtlichen Deduktion nicht. Der dogmatisch fragwürdigen Gleichschaltung von Verfahrens- und Verfassungsrecht trägt auch die zunehmende verfassungsrechtliche Unterlegung des einfachen Verfahrensrechts bei. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt auf das in jüngerer Zeit umgebaute, strukturell sehr bedenkliche Revisionszulassungsrecht und die Einführung des §  544 Abs.  7 ZPO zurückzuführen (dazu sogleich). Der unerfreulichen Assimilierung von Verfahrens- und Verfassungsrecht kann sinnvoll nur dadurch entgegengetreten werden, dass man sich auf den eigentlichen Normgehalt der Zivilprozessordnung und das dort verankerte Beweisverfahrensmodell zurückbesinnt. Insgesamt kann dem Bundesgerichtshof, wie schon dem Reichsgericht, eine fehlende Sensibilität im Umgang mit den Vorgaben der Zivilprozessordnung zu dem System des Beweisverfahrens attestiert werden. Der Bundesgerichtshof hat bis heute keinen Anstoß daran genommen, dass §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO – jedenfalls bei genauerem Hinsehen – der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht entnommen werden kann, sondern vielmehr dort das exakte Gegenteil, der Grundsatz der freien richterlichen Beweisablehnung, verankert ist („etwaigen Beweisaufnahme“). Wenig überraschend ist daher auch, dass dem 604  Die Grenzen zwischen Verfahrens- und Verfassungsstoß scheinen jedoch zum Teil völlig fließende zu sein. So nahm der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 2. April 2009 an, dass „Art.  103 Abs.  1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (…) (gebietet)“, (BGH, Urt. v. 02.04.2009 – I ZR 16/07, TranspR 2009, 410, 411). Ferner sah er in einer Entscheidung vom 17. Februar 2010 durch eine vorweggenommene Beweiswürdigung „§  286 ZPO und Art.  103 Abs.  1 GG“ als verletzt an (BGH, Urt. v. 17.02.2010 – IV ZR 259/08, NJW-RR 2010, 1038, 1039). Ähnliches gilt für eine Entscheidung vom 16. November 2012. Dort ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass eine Beweisablehnung aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung „gegen §  286, §  440 Abs.  1 ZPO und Art.  103 GG“ verstoße (BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385). 605  BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Bundesgerichtshof die bis heute andauernde normative Inkohärenz innerhalb der Zivilprozessordnung, namentlich die gleichzeitige Geltung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung (vermittelt durch §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) und des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht (vermittelt durch die Verhandlungsmaxime), verborgen geblieben ist.606 4.  Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a)  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht Das Bundesverfassungsgericht geht seit jeher davon aus, dass aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör in erster Linie ein Recht zur Äußerung folgt (sog. Äußerungsrecht).607 Dieses Recht korrespondiert mit der Pflicht des Richters, dementsprechende Anträge und Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen,608 soweit das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht ausnahmsweise, teilweise oder ganz unberücksichtigt bleiben kann oder muss.609 Der Tatrichter ist somit verpflichtet, 606 

Teil 1, B.I.1 und B.I.2. Vgl. ferner: BVerfG, Beschl. v. 25.10.1956 – 1 BvR 440/54; BVerfGE 6, 12, 14; BVerfG, Beschl. v. 14.06.1960 – 2 BvR 96/60, BVerfGE 11, 218, 220; BVerfG, Beschl. v. 23.10.1962 – 2 BvR 74/62, BVerfGE 14, 320, 323; BVerfG, Beschl. v. 16.02.1965 – 2 BvR 114/60, ­BVerfGE 18, 380, 383; BVerfG, Beschl. v. 11.05.1965 – 2 BvR 242/63, BVerfGE 19, 32, 36; BVerfG, Beschl. v. 12.06.1968 – 2 BvR 31/68, BVerfGE 24, 23; BVerfG, Beschl. v. 08.12.1970 – 2 BvR 210/70, BVerfGE 29, 345, 347; BVerfG, Beschl. v. 10.10.1973 – 2 BvR 574/71, BVerfGE 36, 92, 97; BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 1 BvR 96/77, BVerfGE 46, 72, 73; BVerfG, Beschl. v. 28.02.1979 – 1 BvR 232/78, BVerfGE 50, 280, 284. 608  BVerfG, Beschl. v. 12.01.1967 – 1 BvR 283/65; BVerfGE 21, 102, 103 f. und BVerfG, Beschl. v. 19.07.1967 – 2 BvR 639/66, BVerfGE 22, 267, 273. 609  St. Rspr., vgl.: BVerfG, Beschl. v. 14.06.1960 – 2 BvR 96/60, BVerfGE 11, 218, 220; BVerfG, Beschl. v. 23.10.1962 – 2 BvR 74/62, BVerfGE 14, 320, 323; BVerfG, Beschl. v. 16.02.1965 – 2 BvR 114/60, BVerfGE 18, 380, 383; BVerfG, Beschl. v. 12.01.1967 – 1 BvR 283/65; BVerfGE 21, 102, 103 f.; BVerfG, Beschl. v. 15.02.1967 – 2 BvR 658/65, BVerfGE 21, 191, 194; BVerfG, Beschl. v. 19.07.1967 – 2 BvR 639/66, BVerfGE 22, 267, 273; BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 118/62,1, BVerfGE 24, 203, 213; BVerfG, Beschl. v. 15.01.1969 – 2 BvR 326/67, BVerfGE 25, 137, 140; BVerfG, Beschl. v. 02.12.1969 – 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, 251; BVerfG, Beschl. v. 27.05.1970 – 2 BvR 578/69, BVerfGE 28, 378, 384 f.; BVerfG, Beschl. v. 13.03.1973 – 2 BvR 484/72, BVerfGE, 34, 344, 347; BVerfG, Beschl. v. 10.10.1973 – 2 BvR 574/71, BVerfG 36, 92, 97 f.; BVerfG, Beschl. v. 10.06.1975 – 2 BvR 1086/74, BVerfGE 40, 101, 105; BVerfG, Beschl. v. 05.10.1976 – 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, 367 f.; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1977 – 2 BvR 566/76, BVerfGE 46, 185, 187; BVerfG, Beschl. v. 23.11.1977 – 1 BvR 481/77, BVerfGE 46, 315, 319; BVerfG, Beschl. v. 01.02.1978 – 1 BvR 426/77, BVerfGE 47, 182, 187; BVerfG, Beschl. v. 27.09.1978 – 1 BvR 570/77, BVerfGE 49, 212, 215; BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35; BVerfG, Beschl. v. 22.05.1979 – 1 BvR 1077/77, BVerfGE 51, 188, 191; BVerfG, Beschl. v. 26.02.1980 – 1 BvR 1049/79, BVerfGE 53, 205, 206; BVerfG, Beschl. v. 27.02.1980 – 1 BvR 277/78; BVerfGE 53, 607 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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die von einer Partei in Wahrnehmung ihres Äußerungsrechts gemachten Ausführungen und gestellten Anträge in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen (sog. Berücksichtigungspflicht). Mit Hilfe des Äußerungsrechts der Parteien und der Berücksichtigungspflicht des Richters stellt Art.  103 Abs.  1 GG sicher, dass eine gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht.610 Sollte sich ein solcher zutragen, bedeutet das aber nicht, dass damit auch Art.  103 Abs.  1 GG per se verletzt ist. Ein Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG liegt nur und erst dann vor, wenn der Richter das Äußerungsrecht oder die Berück219, 223; BVerfG, Beschl. v. 15.04.1980 – 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86, 91; BVerfG, Beschl. v. 29.04.1980 – 2 BvR 1441/79, BVerfGE 54, 117, 123; BVerfG, Beschl. v. 08.10.1980 – 1 BvL 5079, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 93 f.; BVerfG, Beschl. v. 09.02.1982 – 1 BvR 799/78, BVerfGE 59, 330, 334; BVerfG, Beschl. v. 09.02.1982 – 1 BvR 1379/80, BVerfGE 60, 1, 5; BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247, 249; BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1429/81, BVerfGE 60, 250, 252; BVerfG, Beschl. v. 21.04.1982 – 2 BvR 810/81, BVerfGE 60, 305, 310; BVerfG, Urt. v. 15.11.1982 – 1 BvR 585/80, BVerfGE 62, 249, 254; BVerfG, Beschl. v. 26.01.1983 – 1 BvR 614/80, BVerfGE 63, 80, 85; BVerfG, Beschl. v. 22.02.1983 – 1 BvR 537/82, BVerfGE 63, 177, 180; BVerfG, Urt. v. 22.11.1983 – 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293, 295; BVerfG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; BVerfG, Urt. v. 20.03.1984 – 1 BvR 763/82, BVerfGE 66, 260, 263; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 876/84, BVerfGE 69, 145, 148; BVerfG, Urt. v. 08.10.1985 – 1 BvR 33/83, BVerfGE 70, 288, 294; BVerfG, Urt. v. 06.05.1986 – 1 BvR 677/84, BVerfGE 72, 119, 121; BVerfG, Beschl. v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88, BVerfGE 79, 51, 62; BVerfG, Beschl. v. 14.09.1989 – 1 BvR 674/89, NJW  1989, 3007; BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW  1990, 3259, 3260; BVerfG, Beschl. v. 16.01.1991 – 2 BvR 458/89, NJW  1992, 495; BVerfG, Beschl. v. 12.07.1991 – 2 BvR 1463/90, DVBl 1991, 1139, 1140; BVerfG, Beschl. v. 13.07.1992 – 1 BvR 99/90, BVerfG, FamRZ 1992, 1151, 1152; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1992 – 1 BvR 483/92, juris, Rn.  6; BVerfG, Beschl. v. 13.11.1992 – 1 BvR 1694/88, NJW-RR 1993, 636, 637; BVerfG, Beschl. v. 17.11.1992 – 1 BvR 168/89, 1 BvR 1509/89, 1 BvR 638/90, 1 BvR 639/90, BVerfGE 87, 363, 390; BVerfG, Beschl. v. 30.06.1993 – 2 BvR 459/93, NJW  1993, 2165; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1993 – 1 BvR 485/93, juris, Rn.  14; BVerfG, Beschl. v. 18.07.1994 – 1 BvR 1177/93, NJW-RR 1995, 441; BVerfG, Urt. v. 08.07.1997 – 1 BvR 1621/94, BVerfGE 96, 205, 216; BVerfG, Urt. v. 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218, 263; BVerfG, Beschl. v. 17.09.1999 – 1 BvR 47/99, BVerfG, NJW  2000, 1327; BVerfG, Beschl. v. 26.10.1999 – 2 BvR 1292/96, BVerfG, NJW  2000, 945, 946; BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJWRR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, 311; BVerfG, Beschl. v. 26.08.2002 – 1 BvR 947/01, NJW  2003, 125, 127; BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW-RR 2003, 1655; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, BVerfGK 3, 143, 145; BVerfG, Beschl. v. 28.07.2004 – 1 BvR 2566/95, BVerfG, NJWRR 2004, 1710, 1712; BVerfG, Beschl. v. 22.11.2004 – 1 BvR 1935/03, BVerfG, NJW  2005, 1487; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586 f.; BVerfG, Beschl. v. 14.09.2010 – 2 BvR 2638/09, NJW  2011, 49; BVerfG, Beschl. v. 24.01.2012 – 1 BvR 1819/10, WM 2012, 492, 493; BVerfG, 06.05.2015 – 1 BvR 2724/14, JZ 2015, 1053, 1054. 610  BVerfG, Beschl. v. 15.02.1967 – 2 BvR 658/65, BVerfGE 21, 191, 194; BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

sichtigungspflicht gänzlich missachtet hat. Erweist sich daher eine Entscheidung gemessen am Verfahrensrecht als „objektiv fehlerhaft“, genügt dies nicht, um einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG zu begründen.611 Hinzutreten muss stets die „Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht“.612 Das Bundesverfassungsgericht hat sich hinsichtlich der Frage, ob der Richter von Verfassungswegen verpflichtet sein soll, einen beantragten Beweis zu erheben, nicht immer leichtgetan. Bereits ein Jahr nach seiner Gründung setzte sich das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 18. September 1952 mit dem Umfang der richterlichen Beweiserhebung (für den Strafprozess) auseinander.613 Der Beschwerdeführer sah sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) verletzt, da das Landgericht Kassel von einer beantragten Zeugenvernehmung absah und stattdessen die Vernehmungsprotokolle der Zeugen verlas. Das Bundesverfassungsgericht sah hierin keinen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG: „Art.  103 GG gibt dem Beteiligten grundsätzlich nur ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlaß der Entscheidung zu äuße611 

BVerfG, Beschl. v. 02.11.1960 – 2 BvR 473/60, BVerfGE 11, 343, 349; BVerfG, Beschl. v. 19.07.1967 – 2 BvR 639/66, BVerfGE 22, 267, 273. 612  Speziell für das Verfahrensrecht: BVerfG, Beschl. v. 19.07.1967 – 2 BvR 639/66, ­BVerfGE 22, 267, 273. Allgemein: BVerfG, Beschl. v. 18.09.1952 – 1 BvR 612/52, BVerfGE 1, 418, 420; BVerfG, Beschl. v. 02.11.1960 – 2 BvR 473/60, BVerfGE 11, 343, 349; BVerfG, Beschl. v. 10.06.1964 – 1 BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, 92 f.; BVerfG, Beschl. v. 15.01.1969 – 2 BvR 326/67, BVerfGE 25, 137, 140; BVerfG, Beschl. v. 02.12.1969 – 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, 251; BVerfG, Beschl. v. 27.05.1970 – 2 BvR 578/69, BVerfGE 28, 378, 384 f.; BVerfG, Beschl. v. 05.10.1976 – 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, 367 f.; BVerfG, Beschl. v. 01.02.1978 – 1 BvR 426/77, BVerfGE 47, 182, 187; BVerfG, Beschl. v. 15.04.1980 – 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86, 91 f.; BVerfG, Beschl. v. 21.04.1982 – 2 BvR 810/81, BVerfGE 60, 305, 310; BVerfG, Urt. v. 22.11.1983 – 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293, 295. Ob und inwieweit sich das Kriterium des „spezifischen Verfassungsrechts“ als Distinktionsmerkmal zwischen Verfahrensund Verfassungsrecht eignet, ist zu Recht von Schmidt-Aßmann in Frage gestellt worden. Schließlich handelt es sich bei Art.  103 Abs.  1 GG um ein in besonderem Maße „normgeprägtes Verfahrensgrundrecht“, vgl. Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  143. Dies lässt, so Schmidt-Aßmann weiter, die notwendige Distanz zwischen Verfahrensrecht und Verfassungsrecht „schrumpfen“. Vgl. darüber hinaus: Hierzu eingehend: Steinwedel, „Spezifisches Verfassungsrecht“ und „einfaches Recht“, S.  58 ff., 91 ff.; Korioth; in: FS BVerfG, Bd.  1, S.  55, 63 ff.; Kenntner, DÖV 2005, 269, 272 ff. Der Begriff „spezifisches Verfassungsrecht“ hat deshalb im Bereich des Art.  103 Abs.  1 GG keine handfesten Konturen. Steinwedel, „Spezifisches Verfassungsrecht“ und „einfaches Recht“, S.  161 ff. Ungeachtet dessen hat Ossenbühl bereits hinlänglich dargelegt, dass sich das Kriterium des „spezifischen Verfassungsrechts“ in der Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts ohnehin nicht bewähren konnte und eine kohärente Anwendung desselben nicht geübt wird, vgl. Ossenbühl, in: FS Ipsen, S.  129 ff. Ebenfalls kritisch: Waldner, Aktuelle Probleme des rechtlichen Gehörs, S.  273. 613  BVerfG, Beschl. v. 18.09.1952 – 1 BvR 612/52, BVerfGE 1, 418, 429.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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ren. Das nicht in der Verfassung, sondern in der Strafprozeßordnung – §§  250, 251 – geregelte Recht auf unmittelbare Beweisaufnahme ist kein Grundrecht, so daß selbst gegen seine Verletzung keine Verfassungsbeschwerde gegeben wäre, es sei denn, die Verletzung wäre derart schwerwiegend, daß dadurch der rechtsstaatliche Charakter des Verfahrens ernstlich beeinträchtigt würde.“614(Hervorh. d. Verf.)

Das Bundesverfassungsgericht war offenbar der Ansicht, dass das Äußerungsrecht des Art.  103 Abs.  1 GG zwar eine richterliche Berücksichtigungspflicht, nicht aber eine richterliche Beweiserhebungspflicht begründet. Demzufolge verletzt selbst eine an sich verfahrenswidrige (!) Beweisablehnung das Äußerungsrecht und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) nicht, solange der „rechtsstaatliche Charakter des Verfahrens“ insgesamt nicht in Frage gestellt wird. Diesen Standpunkt bestätigte das Bundesverfassungsgericht in einer nicht veröffentlichten Entscheidung vom 14. Oktober 1958.615 Der Beschwerdeführer sah sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil das Ausgangsgericht eine Beweiserhebung mit der unstreitig unzutreffenden Begründung ablehnte, dass die Beweisbehauptung offenkundig und mithin nicht beweisbedürftig sei. Das Bundesverfassungsgericht lehnte einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG ab. Die angefochtene Entscheidung verstoße allein gegen Verfahrensrecht, denn es wurde lediglich der Begriff der Offenkundigkeit falsch ausgelegt und angewandt. Ergänzend teilte das Bundesverfassungsgericht mit:616 „Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet aber nicht das Recht auf eine Beweisaufnahme über eine bestimmte Tatsache; dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist Genüge geschehen, wenn den Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu dieser Tatsache zu äußern. Die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidungen dürften somit Art.  103 Abs.  1 GG nicht verletzen; denn dem Beschwerdeführer ist durch die Ablehnung des Beweisantrages in der Hauptverhandlung nicht verwehrt worden, sich zu den Tatsachen zu äußern, die er mit diesem Antrag unter Beweis stellen wollte.“617(Hervorh. d. Verf.)

Das Bundesverfassungsgericht ging auch hier davon aus, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör und das daraus abzuleitende Äußerungsrecht des Beweisführers keine richterliche Beweiserhebungspflicht begründen. So sei Art.  103 Abs.  1 GG selbst dann nicht verletzt, wenn sich eine Beweisablehnung als verfahrenswidrig erwies. 614 

BVerfG, Beschl. v. 18.09.1952 – 1 BvR 612/52, BVerfGE 1, 418, 429. BVerfG, Beschl. v. 14.10.1958 – 1 BvR 486/58, nicht veröffentlicht, in Auszügen abgedrückt bei Arndt, NJW  1959, 6 Fn.  6. 616  BVerfG, Beschl. v. 14.10.1958 – 1 BvR 486/58, nicht veröffentlicht, in Auszügen abgedrückt bei Arndt, NJW  1959, 6 Fn.  6. 617  BVerfG, Beschl. v. 14.10.1958 – 1 BvR 486/58, nicht veröffentlicht, in Auszügen abgedrückt bei Arndt, NJW  1959, 6 Fn.  6. 615 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht in der Folgezeit einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG immer nur dann angenommen, wenn der Tatrichter eine beantragte Beweisführung gänzlich und offensichtlich übersehen hat.618 Wurde dagegen die Beweiserhebung nach richterlicher Refle­ xion abgelehnt, so konnte darin selbst dann keine Gehörsverletzung liegen, wenn die Beweisablehnung als solche objektiv fehlerhaft und nicht von einem Be­weis­ ableh­nungsgrund gedeckt war.619 Diesen eher grobmaschigen Prüfungsmaßstab im Sinne einer Evidenzkontrolle verengte das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 8. November 1978.620 Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob es gegen Art.  103 Abs.  1 GG verstößt, wenn ein Gericht einen Antrag auf Sachverständigenbeweis mit der Begründung ablehnt, dass sich dieser im Verhältnis zum Streitwert (konkret ging es um DM 425,08) als „höchst unökonomisch“ darstellt.621 Das Bundesverfassungsgericht bejahte in diesem Fall einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG. Dabei orientierte sich das Bundesverfassungsgericht erkennbar an den vom Bundesgerichtshof , in der bereits erwähnten Anastasia-Entscheidung, aufgestellten Grundsätze: Angesichts der der Zivilprozessordnung abzuleitenden Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel müsse einem erheblichen Beweisantrag stattgegeben werden, soweit nicht ein bestimmter verfahrens- oder beweisrechtlicher Grund die Beweisablehnung rechtfertigt.622 Da das Verfahrensrecht auch eine „höchst unökonomische“ Beweisführung nicht verbietet, ist der Beweis aus Gründen abgelehnt worden, „die im Prozeßrecht keine Stütze finden“.623 Daher gelte: „Die sich aus Art.  103 Abs.  1 GG ergebende Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozeßparteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, schließt es aus, diese aus Gründen, die außerhalb des Prozeßrechts liegen, unberücksichtigt zu lassen.“624

Das richtige Verständnis über den Inhalt der Entscheidung erschließt sich nicht ohne weiteres. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall stützte der Tatrichter die Beweisablehnung (Nichteinholen eines Sachverständigengutachtens) auf einen Grund (unökonomische Beweisführung), der in der Zivilprozessordnung schlechterdings nicht existiert, nicht einmal im Ansatz. Ökonomische Erwägungen spielen für die Erfolgsaussichten eines Beweisantrags schlechterdings 618 

BVerfG, Beschl. v. 15.01.1969 – 2 BvR 326/67, BVerfGE 25, 137, 140; BVerfG, Beschl. v. 10.10.1973 – 2 BvR 574/71, BVerfG 36, 92, 97 f. 619  BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 118/62,1, BVerfGE 24, 203, 213. 620  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32 ff. 621  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 622  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 623  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 624  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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keine Rolle. Die Beweisablehnung aus ökonomischen Gründen steht somit auf gleicher Stufe wie die Beweisablehnung wegen des Geschlechts, der Hautfarbe, der sexuellen Neigung, der Religion oder der Weltanschauung. Auch diese Erwägungen dürfen (bekanntermaßen) für die Frage, ob ein beantragter Beweis, insbesondere ein Zeugenbeweis, erhoben werden soll, keine Rolle spielen. Die genannten „Gründe“ finden schlicht im Prozessrecht keine Stütze. Beruht die Beweisablehnung hingegen auf einem anerkannten Beweisablehnungsgrund, so findet die Beweisablehnung im Prozessrecht eine Stütze. Das gilt selbst dann, wenn der Tatrichter im konkreten Fall den in Ansatz gebrachten Beweisablehnungsgrund verfahrensfehlerhaft ausgelegt und angewandt hat. Diese hier getroffene Unterscheidung ist von besonderer Bedeutung. Ersteres stellt einen Rechtsgrundlagen- letzteres „nur“ einen Subsumtionsfehler dar. Entgegen dieser Lesart nahm das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung vom 8. November 1978 gleichwohl zum Anlass, eine ganz grundlegende Rechtsprechungsänderung zu vollziehen und den Gewährleistungsbereich des Art.  103 Abs.  1 GG erheblich auszuweiten. In einer Entscheidung vom 20. April 1982 heißt es: „Art.  103 Abs.  1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung gebietet die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge.“625

Die vormalige Evidenzkontrolle bezüglich abgelehnter Beweisanträge scheint damit endgültig einer uneingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle gewichen zu sein. Das Damoklesschwert des Art.  103 Abs.  1 GG hing nunmehr über jeder verfahrensfehlerhaften Beweisablehnung und zwar auch dann, wenn sie „nur“ auf einen Subsumtionsfehler beruhte. Der Tatrichter ist fortan auch nach Maßgabe des Art.  103 Abs.  1 GG grundsätzlich verpflichtet, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen.626 625 

BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247, 249. BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1429/81, BVerfGE 60, 250, 252; BVerfG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG, Beschl. v. 12.07.1991 – 2 BvR 1463/90, DVBl 1991, 1139, 1140; BVerfG, Beschl. v. 15.06.1992 – 1 BvR 1511/91, NZV 1993, 185; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1992 – 1 BvR 483/92, juris, Rn.  6; BVerfG, Beschl. v. 18.06.1993 – 2 BvR 1815/92, NVwZ 1994, 60, 61; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1993 – 1 BvR 485/93, juris, Rn.  14; BVerfG, Beschl. v. 19.01.1994 – 1 BvR 1919/92, NJW-RR 1994, 700; BVerfG, Beschl. v. 18.07.1994 – 1 BvR 1177/93, NJW-RR 1995, 441; BVerfG, Beschl. v. 29.08.1995 – 2 BvR 175/95, NJW  1995, 183, 184; BVerfG, Beschl. v. 11.09.1995 – 2 BvR 494/95, juris, Rn.  19; BVerfG, Beschl. v. 30.07.1996 – 1 BvR 634/94, ZIP 1996, 1761, 1762; BVerfG, Beschl. v. 17.09.1999 – 1 BvR 47/99, NJW  2000, 1327; BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW-RR 2003, 1655; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, BVerfGK 3, 143, 145; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f.; BVerfG, Beschl. v. 09.10.2007 – 2 BvR 626 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Den Geltungsgehalt des Art.  103 für das zivilprozessuale Beweisverfahren fasst das Bundesverfassungsgericht heute folgendermaßen zusammen: „In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass Art.  103 Abs.  1 GG dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten nicht nur ein Recht darauf gibt, im Verfahren zu Wort zu kommen und sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern, Anträge und damit auch Beweisanträge zu stellen und Ausführungen zu machen, sondern im Gegenzug auch das Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. In diesem Sinne gebietet es Art.  103 Abs.  1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen. Zwar verbietet es Art.  103 Abs.  1 GG den Gerichten nicht, Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt zu lassen. Jedoch verstößt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots gegen Art.  103 Abs.  1 GG, wenn es im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.“627 (Hervorh. d. Verf.)

b) Ergebnis Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht unmittelbar aus Art.  103 Abs.  1 GG ableiten. Die Nichtberücksichtigung oder gar Ablehnung eines Beweisantrags ist nur insoweit zulässig, als dass diese im Prozessrecht eine „Stütze“ findet. Obwohl nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1978 viel dafür spricht, das „Stütze“-Kriterium dahingehend auszulegen, dass eine Beweisablehnung nur dann im Prozessrecht keine Stütze findet, wenn die Beweisablehnung von keinem anerkannten Beweisablehnungsgrund gedeckt ist, spricht sich das Bundesverfassungsgericht 1268/03, juris, Rn.  18; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586 f.; BVerfG, Beschl. v. 14.09.2010 – 2 BvR 2638/09, NJW  2011, 49; BVerfG, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 BvR 2441/10, juris, Rn.  11; BVerfG, Beschl. v. 26.10.2011 – 2 BvR 320/11, FamRZ 2012, 185, 186; BVerfG, Beschl. v. 24.01.2012 – 1 BvR 1819/10, WM 2012, 492, 493; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, juris, Rn.  32. Vgl. für Berlin: VerfGH Berlin, Beschl. v. 29.08.2003 – 14/03, 14 A/03, NJW  2004, 1791, 1792; VerfGH Berlin, Beschl. v. 17.05.2011 – 176/10, juris, Rn.  17; VerfGH Berlin, Beschl. v. 15.01.2014 – 179/12, NJW  2014, 1084, 1085 unter Bezugnahme auf Art.  15 Abs.  1 LV Berlin: „Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes ist jedoch dann mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör nicht mehr vereinbar, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet.“ Für Rheinland-Pfalz: VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 24.12.2001 – VGH B 15/01, NJW-RR 2002, 1212. Für Baden-Württemberg: StGH BW, Urt. v. 23.03.2015 – 2/15, 1 VB 2/15, NJW  2015, 1869, 1870; StGH BW, Urt. v. 02.02.2015 – 1 VB 45/14, juris, Rn.  54: „Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art.  2 Abs.  1 LV in Verbindung mit Art.  103 Abs.  1 GG und den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher, hinreichend substantiierter und prozessrechtlich zulässiger Beweisanträge“. 627  BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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für eine strengere Sichtweise aus. Dadurch wird unweigerlich ein Prozess der strukturellen, wie qualitativen Gleichschaltung von Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit im Hinblick auf die Bewertung einer verfahrenswidrigen Beweis­ ableh­nung in Gang gesetzt. Auch die Beweisablehnung, die zwar von einem anerkannten Ablehnungsgrund gedeckt, im konkreten Fall aber auf einen Subsumtionsfehler beruht, verstößt gegen Art.  103 GG. Bei näherer Auswertung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sticht eine wichtige Besonderheit ins Auge. Die Wendung „Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung“ spielte bei der Entstehung und Anerkennung des verfassungsrechtlich unterlegten Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht mit Blick auf dessen Bedeutung für das Reichsgericht eine vergleichsweise unbedeutende Rolle.628 Der Grund hierfür liegt darin, dass das Bundesverfassungsgericht eine andere Perspektive mit Blick auf den Umgang mit Beweisanträgen einnehmen konnte als das Reichsgericht. Während das Reichsgericht nach Maßgabe des §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) und unter Beachtung des dort niedergelegten Grundsatzes der freien Beweisablehnung die richterliche Beweisablehnungsbefugnis einschränkte, erweiterte das Bundesverfassungsgericht die subjektiven Verfahrensrechte der Parteien aus Art.  103 Abs.  1 GG hin zu einer richterlichen Berücksichtigungspflicht. Strukturell stehen sich damit eine richterliche Befugnisnorm (§  286 Abs.  1 ZPO) und eine richterliche Gebotsnorm (Art.  103 Abs.  1 GG) gegenüber. Dementsprechend bedurfte es der Negativdefinition durch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht. Sie tritt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – wohl eher als Rechtstradition – ergänzend in Erscheinung. Im Ergebnis besteht zwischen dem verfahrensrechtlich- und dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht kein Unterschied, obwohl dessen jeweilige dogmatische Herleitung eine grundverschiedene war. 5.  Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Nachdem sich gezeigt hat, dass das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung aus Art.  103 Abs.  1 GG ableitet, stellt sich die 628 

Das Bundesverfassungsgericht spricht vom „Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung“ in weit weniger Fällen, als er von der Berücksichtigungspflicht von Beweisanträgen spricht, vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.11.1993 – 1 BvR 485/93, juris, Rn.  17; BVerfG, Beschl. v. 18.07.1994 – 1 BvR 1177/93, NJW-RR 1995, 441; BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f.; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586 f.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Frage, ob dies auch für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: „Gerichtshof“) gilt. Immerhin ist nicht von der Hand zu weisen, dass der normative Gewährleistungsgehalt von Art.  103 Abs.  1 GG und Art.  6 Abs.  1 EMRK einander weitgehend decken.629 Das führt zu der ganz wesentlichen Frage, ob der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht nur verfahrens- und verfassungsrechtlich, sondern auch konventionsrechtlich gewährleistet wird. a)  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht Der Gerichtshof stellt in ständiger Rechtsprechung fest, dass es in erster Linie Sache der Konventionsstaaten und deren Gerichte ist, Regelungen über die Beweiserhebung und -würdigung zu treffen und sicherzustellen, dass sie dementsprechend angewendet werden. Aus diesem Grund hält er sich nicht für zuständig, die Einhaltung nationaler Verfahrensvorschriften im Hinblick auf die Sachverhaltsfeststellung am Maßstab des Art.  6 EMRK zu beurteilen:630 „In particular, it is not its function to deal with errors of fact or law allegedly committed by a national court unless and in so far as they may have infringed rights and freedoms protected by the Convention. Moreover, while Article 6 of the Convention guarantees the right to a fair hearing, it does not lay down any rules on the admissibility of evidence or the way it should be assessed, which are therefore primarily matters for regulation by national law and the national courts.“631

Eine Deduktion verfahrensrechtlicher Vorgaben aus der EMRK ist nur dort denkbar, wo die Konventionsstaaten und deren Gerichte in Ausübung ihrer Entscheidungs- und Beurteilungsspielräume die Pflicht, jeder Prozesspartei ein faires Verfahren (  fair hearing632) zu gewährleisten, missachten.633 Die Verfahrensfairness des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK bildet den Kern der in Art.  6 EMRK enthalteSchmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  24; Nolte, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd.  3, 7.  Aufl., Art.  103 Rn.  14; Henckel, in: FS Matscher, S.  185, 190; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd.  1, 2.  Aufl., Kap.  14 Rn.  97. Vgl. EGMR, 01.06.2010, Gäfgen v. GER, Nr.  22978/05, §  162. 630  EGMR, 12.07.1988, Schenk v. CH, Nr.  100862/84, §  28; EGMR, 06.12.1988, Barberà, Messegué and Jabardo v. ES, Nr.  10590/83, §  68; EGMR, 28.10.1998, Perez de Rada Cavanilles v. ESP, Nr.  116/1997/900/1112, §  43; EGMR, 21.01.1999, Gracía Ruiz v. ESP, Nr.  30544/96, §  28; EGMR, 12.05.2000, Khan, v. GB, Nr.  35394/97, §  34; EGMR, 06.05.2003, Perna v. IT, Nr.  48898/99, §  29; EGMR, 05.10.2006, Klasen v. GER, Nr.  75204/01, §  43; EGMR, 02.06.2009, Ditz v. GER, Nr.  29056/06. 631  EGMR, 22.11.2001, Volkmer v. GER, Nr.  39799/98, §  4. 632  Der Begriff wird mittlerweile oft durch den des „fair trial“ ersetzt, vgl. Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  356. 633  EGMR, 06.12.1988, Barberà, Messegué and Jabardo v. ES, Nr.  10590/83, §  68. 629 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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nen Verfahrensgarantien, die insbesondere in Art.  6 Abs.  2 und 3 EMRK näher konkretisiert werden.634 Soweit man die Einzelgewährleistungen des Art.  6 EMRK näher betrachtet, kommen als normativer Anknüpfungspunkt für eine richterliche Beweiserhebungspflicht überhaupt nur zwei Gewährleistungen in Betracht: Das Konfrontationsrecht (Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK i. V. m. Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK) und das Recht auf ein faires Verfahren635 (Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK). Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Gerichtshof selbst zwischen den einzelnen Gewährleistungen des Art.  6 EMRK ganz bewusst keine konsequente Trennung vollzieht:636 „Etant donné que les exigences du paragraphe 3 de l’Article 6 représentent des aspects particuliers du droit à un procès équitable garanti par le paragraphe 1, la Cour examinera le grief sous l’angle de ces deux textes combinés.“637

aa)  Das aktive Konfrontationsrecht, Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK Wie der Gerichtshof wiederholt klargestellt hat, können die in Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK enthaltenen Garantien entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut sinngemäß auch auf zivilrechtliche Verfahren angewendet werden.638 Ferner nimmt der Gerichtshof an, dass sich das in Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK enthaltene Konfrontationsrecht entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut nicht nur auf den Zeugenbeweis,

634  EGMR, 06.12.1988, Barberà, Messegué and Jabardo v. ES, Nr.  10590/83, §  67; EGMR, 13.07.2006, Popov v. RU, Nr.  26853/04, §  175. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl., §  24 Rn.  60; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/ GG, Bd.  1, 2.  Aufl., Kap.  14 Rn.  93; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  80; Esser, in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 41. 635  Das Wort „fair“ ist mittlerweile derart fest im deutschen Sprachgebrauch verankert, dass es unverändert in die offizielle deutschsprachige Übersetzung vom 17. Mai 2002 übernommen wurde, vgl. BGBl.  2002 II S.  1054, 1058. 636  Vgl. etwa: EGMR, 06.12.1988, Barberà, Messegué and Jabardo v. ES, Nr.  10590/83, §  67; EGMR, 07.06.1989, Bricmont v. BE, Nr.  10857/84, §  89; EGMR, 15.06.1992, Lüdi v. CH, Nr.  12433/86, §  43; EGMR, 27.10.1993, Dombo Beheer v. NL, NR. 14448/88, §  32; EGMR, 23.11.1993, Poitrimol v. FR, Nr.  14032/88, §  29; EGMR, 24.11.1993, Imbriosicia v. CH, Nr.  13972/88, §  27; EGMR, 23.04.1997, Van Mechelen and Others v. NL, Nr.  21363/93, 21364/93, 21427/93, 22056/93, §  49; EGMR 21.01.1999, Van Geyseghem v. BE, Nr.  26103/95, §  27; EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  56. 637  EGMR, 12.02.2004, Morel v. FR, Nr.  43284/98, §  64. 638  EGMR, 09.10.1979, Airey v. IRL Nr.  6289/73, §§  26 ff.; EGMR, 10.02.1983, Albert and Le Compte v. B, Nr.  7496/76, §  39, EuGRZ 1983, 190 Ziff.  39; ebenfalls den Gewährleistungsbereich des Art.  6 Abs.  1 EMRK erweiternd: EGMR, 29.05.1986, Feldbrugge v. NL., Nr.  8562/79, §§  41 ff., EuGRZ 1988, 14 Ziff.  41 ff.; EGMR, 21.01.2014, Perihan and Mezopotamya Basin Yayin A.S. v. TR, Nr.  21377/03, §  37. Vgl. außerdem: Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 595; Kofmel, Recht auf Beweis, S.  33 f. m. w. N.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

sondern auf jedes Beweismittel bezieht.639 Der Gewährleistungsgehalt des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK ist dementsprechend weit (doppelt analog) auszulegen.640 Der originäre Zweck des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK als besondere Ausprägung des Fairnessgebots nach Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK liegt darin, eine möglicherweise bestehende Disparität zwischen den Verfahrensbeteiligten abzubauen oder ganz aufzuheben.641 Den Kern des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK bildet nach Ansicht des Gerichtshofs das Prinzip der prozessualen Waffengleichheit: „Its essential aim, as is indicated by the words ‚under the same conditions‘, is a full ‚equality of arms‘ in the matter.“642

Um das Ziel der Verfahrensparität sicherstellen zu können, gewährt Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK sowohl ein passives, als auch ein aktives (auch: „reaktives“643) Konfrontationsrecht. Unter ersterem versteht der Gerichtshof insbesondere das Recht einer Partei, dass einem Urteil nur solche Beweismittel zugrunde gelegt werden dürfen, die dieser vorgeführt worden sind (cross-examination) und deren korrekte und erschöpfende Erhebung sie nachvollziehen oder bestenfalls mitgestalten konnte.644 Letzteres stellt ein aktives Teilhaberecht dar, das einer Partei vor allen Dingen das Recht einräumt, durch Beweisanträge auf die Tatsachenfeststellung des Gerichts Einfluss zu nehmen. Indes leitet der Gerichtshof aus Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK – und das gilt es besonders zu betonen – den Parteien kein generelles und uneingeschränktes Recht auf Beweisführung ab.645 Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK verpflichtet nicht zur Stattgabe jedes Beweisantrags: „It does not require the attendance and examination of every witness on the accused’s behalf: its essential aim, as is indicated by the words ‚under the same conditionsʻ, is a full ‚equality of armsʻ in the matter.“646

639 

EGMR, 06.05.1985, Bönisch v. A, Nr.  8658/79, §  29 m. w. N. Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 595. 641  Vgl. Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  577 m. w. N. 642  EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  91. 643  Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  201. 644  EGMR, 24.11.1986, Unterpertinger v. AT, NR. 9120/80, §  31; EGMR, 20.11.1989, Kostovski v. NL, Nr.  11454/85, §  41; EGMR, 27.09.1990, Windisch v. AT, Nr.  12489/86, §  30 f.; EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  58 ff.; EGMR, 20.12.2001, P.S. v. GER, Nr.  33900/96, §  24. 645  EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  91; EGMR, 07.06.1989, Bricmont v. BE, Nr.  10857/84, §  89; EGMR, 21.01.1999, Gracía Ruiz v. ESP, Nr.  30544/96, §  28; EGMR, 06.05.2003, Perna v. IT, Nr.  48898/99, §  29; EGMR, 13.07.2006, Popov v. RU, Nr.  26853/04, §  176, 179; EGMR, 05.10.2006, Klasen v. GER, Nr.  75204/01, §  43; EGMR, 12.07.2007, Jorgic v. GER, Nr.  74613/01, §  82; EGMR, 02.06.2009, Ditz v. GER, Nr.  29056/06. Vgl. ferner: Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  80; Kofnel, Recht auf Beweis, S.  36 m. w. N. 646  EGMR, 22.04.1992, Vidal v. BE, Nr.  12351/86, §  33. 640 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

137

Ob und inwieweit eine Beweisaufnahme stattzufinden hat, ist, wie die Sachverhaltsfeststellung überhaupt, Sache der nationalen Gerichte.647 Sie haben über die Sachdienlichkeit einer Beweisführung zu entscheiden, und nicht der Gerichtshof: „In particular, as a general rule, it is for the national courts to assess the evidence before them as well as the relevance of the evidence which defendants seek to adduce (…) Article 6 §  3 (d) leaves it to them, again as a general rule, to assess whether it is appropriate to call witnesses.“648

Aus diesem Grund kann nach Ansicht des Gerichtshofs aus Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK kein von den nationalen Verfahrensvorschriften unabhängiges, originäres Recht auf Beweisführung abgeleitet werden.649 Der Gerichtshof sieht seine einzige Aufgabe im Zusammenhang mit der nationalen Tatsachenfeststellung darin zu überprüfen, ob das Prinzip der prozessualen Waffengleichheit unter den Parteien gewahrt wurde und das Beweisverfahren insgesamt fair verlaufen ist:650 „The Court reiterates that the principle of equality of arms implies that the applicant must be ‚afforded a reasonable opportunity to present his case under conditions that do not place him at a disadvantage vis-à-vis his opponent‘ (…) The task of the Court is to ascertain whether the proceedings at issue, considered as a whole, were fair as required by paragraph 1.“651 647 

EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  91; EGMR, 07.06.1989, Bricmont v. BE, Nr.  10857/84, §  89; EGMR, 22.04.1992, Vidal v. BE, Nr.  12351/86, §  33; EGMR, 23.04.1997, Van Mechelen and Others v. NL, Nr.  21363/93, 21364/93, 21427/93, 22056/93, §  50; EGMR, 12.02.2004, Morel v. FR, Nr.  43284/98, §  63; EGMR, 10.05.2005, Thomas v. UK, Nr.  19354/02; EGMR, 13.07.2006, Popov v. RU, Nr.  26853/04, §  176; EGMR, 12.07.2007, Jorgic v. GER, Nr.  74613/01, §  82. 648  EGMR, 06.05.2003, Perna v. IT, Nr.  48898/99, §  29. 649  EGMR, 10.05.2005, Thomas v. UK, Nr.  19354/02. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer nach Ansicht des Gerichtshofs hinreichend begründen können muss, warum die abgelehnte Beweisführung für die Feststellung der Wahrheit erforderlich gewesen wäre: „It is accordingly not sufficient for a defendant to complain that he has not been allowed to question certain witnesses; he must, in addition, support his request by explaining why it is important for the witnesses concerned to be heard and their evidence must be necessary for the establishment of the truth.“ (st. Rspr.: EGMR, 12.02.2004, Morel v. FR, Nr.  43284/98, §  63; EGMR, 06.05.2003, Perna v. IT, Nr.  48898/99, §  29) Dies überrascht auf den ersten Blick. Nicht die Gerichte haben zu begründen, warum sie eine beantragte Beweisführung für nicht sachdienlich halten, sondern der Beweisführer hat umgekehrt zu begründen, warum er sie für sachdienlich hält. 650  EGMR, 27.10.1993, Dombo Beheer v. NL, NR. 14448/88, §  33; EGMR, 22.02.1996, Bulut v. AT, Nr.  17358/90, §  47; EGMR, 03.03.2000, Krčmář v.CZ, Nr.  35376/97, §  39; EGMR, 18.06.2002, Wierzbicki v. PL, Nr.  24541/94, §  39. 651  EGMR, 13.07.2006, Popov v. RU, Nr.  26853/04, §  177 f. Vgl. außerdem EGMR, a. a. O., §  188: „Clearly, it is not the Court’s function to express an opinion on the relevance of the evidence or, more generally on the applicant’s guilt or innocence. However, it is for the Court to ascertain whether the proceedings in their entirety, including the way in which the evidence was taken, were fair.“

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Soweit das aktive Konfrontationsrecht des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK der relativen Gleichstellung der Verfahrensbeteiligten dient, kann es nicht als Grundlage für eine originäre Verfahrensgarantie herangezogen werden. Der Gewährleistungsgehalt des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK reicht daher immer nur soweit, wie es für die Verfahrensparität erforderlich ist. Sieht daher eine nationale Verfahrensordnung vor, dass in bestimmten Fällen eine Beweisaufnahme per se nicht stattfindet, so kann dies nicht zu einer Verfahrensdisparität führen, da in diesem Fall die Beweisführungsmöglichkeit für alle Verfahrensbeteiligte gleichermaßen eingeschränkt ist.652 Aus diesem Grund kann die Frage, ob der Gerichtshof seiner Rechtsprechung den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zugrunde legt, nur nach Maßgabe des Fairnessgebots, wie es in Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK verankert ist, beantwortet werden.653 Das aktive Konfrontationsrecht des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK jedenfalls gewährleistet diesen nicht. bb)  Das Fairnessgebot, Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK Was unter einem fairen Verfahren definitorisch zu verstehen ist, bleibt von der EMRK unbeantwortet.654 Der Begriff der Fairness erhielt erst durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs allmählich Konturen, wobei noch immer ungeklärt ist, ob es sich bei dem Gebot der Verfahrensfairness um eine eigenständige Verfahrensmaxime oder um einen Sammelbegriff sonstiger Verfahrensmaximen handelt.655 Die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung hierüber ist wenig gewinnbringend. Um die Reichweite des Gebots der Verfahrensfairness nach Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK für das Beweisverfahren bestimmen zu können, ist eine Analyse der Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs unumgänglich. Nationale 652  Vgl. dazu aber die abweichende Meinung von Martens und Pettiti zu EGMR, 27.10.1993, Dombo Beheer v. NL, NR. 14448/88, S.  18, 20. 653  Aus diesem Grund beschränkt sich der Gerichtshof in den hier ausgewerteten Entscheidungen ganz überwiegend auf die Fairnesskontrolle und lässt die Kontrolle nach Maßgabe des Prinzips der prozessualen Waffengleichheit unter den Tisch fallen. 654  Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 595; Kofmel, Recht auf Beweis, S.  36; Esser, in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 42. Esser führt dies überzeugend darauf zurück, dass die EMRK eine „Konvention von Menschenrechten“ ist, die an den Menschen als Rechtsträger anknüpft. Die EMRK ist dagegen keine „Modell(straf)prozessordnung“. Aus diesem Grund dürfe nicht erwartet werden, dass die EMRK ein geschlossenes Verfahrenskonzept bereithalte. 655  Vgl. zum Streitstand: Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  358 m. w. N. Letzteres Verständnis entspricht wohl dem der herrschenden Meinung. Vgl. ferner: Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl., §  24 Rn.  60; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  99; Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 595; Esser; in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 52 m. w. N.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Vorstellungen von Fairness und Verfahrensgerechtigkeit verstellen nur den Blick darauf, was der Gerichtshof hierunter versteht. Seine – und keine sonstige Sicht – ist für das richtige Verständnis des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK maßgeblich, will man dessen Deutungshoheit nicht stillschweigend unterlaufen.656 Im Rahmen der Fairnesskontrolle überprüft der Gerichtshof nicht, ob die Verfahrensordnung der Konventionsstaaten abstrakt-generell mit Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK vereinbar ist. Entscheidend kommt es aus Sicht des Gerichtshofs vielmehr darauf an, ob nach Maßgabe der nationalen Verfahrensordnung das nationale Gericht im konkreten Fall dem Gebot der Verfahrensfairness entsprochen hat:657 „In cases arising from individual applications it is not the Court’s task to examine the domestic legislation in the abstract, but it must examine the manner in which that legislation was applied to the applicant in the particular circumstances.“658

Aus diesem Grund beurteilt der Gerichtshof den Gewährleistungsgehalt des Gebots der Verfahrensfairness, obwohl es sich dabei um eine uneingeschränkte Verfahrensgarantie handelt, stets nach den Umständen des Einzelfalls: „The right to a fair trial under Article 6 §  1 is an unqualified right. However, what constitutes a fair trial cannot be the subject of a single unvarying rule but must depend on the circumstances of the particular case.“659

Der Vorbehalt der Einzelfallprüfung gilt auch für das Beweisverfahren:660 „When assessing the fairness of (…) proceedings under Article 6, the Court cannot generally substitute its own appraisal of the facts or evidence for that of the domestic courts. Instead it

656  Zur autonomen Auslegung der EMRK durch den Gerichtshof, vgl. Kofmel, Recht auf Beweis, S.  30 m. w. N. 657  EGMR, 08.07.2003, Sahin, v. GER, Nr.  30943/96, §  87; EGMR, 08.07.2003, Sommerfeld v. GER, Nr.  31871/96, §  86. 658  EGMR, 12.07.2007, Jorgic v. GER, Nr.  74613/01, §  83. 659  EGMR, 13.09.2016, Ibrahim and others v. UK, Nr.  50541/08, 50571/08, 50573/08 and 40351/09, §  250; EGMR, 29.06.2007, O’Hallogran and Francis v. UK, Nr.  15809/02 and 25624/02, §  53. 660  EGMR, 19.12.1990, Delta v. FR, Nr.  11444/85, §  35; EGMR, 29.10.1991, Helmers v. SE, Nr.  11826/85, §  31; EGMR, 22.04.1992, Vidal v. BE, Nr.  12351/86, §  33; EGMR, 15.06.1992, Lüdi v. CH, Nr.  12433/86, §  43; EGMR, 16.12.1992, Edwards v. the UK, Nr.  13071/87, §  34; EGMR, 19.04.1993, Kraska v. CH, Nr.  13942/88, §  30; EGMR, 26.03.1996, Doorson, v. NL, Nr.  20524/92, §  67; EGMR, 23.04.1997, Van Mechelen and Others v. NL, Nr.  21363/93, 21364/93, 21427/93, 22056/93, §  50; EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  57; EGMR, 02.07.2002, S.N. v. SE, Nr.  34209/96, §  44; EGMR, 06.05.2003, Perna v. IT, Nr.  48898/99, §  29; GMR, 22.11.2001, Volkmer v. GER, Nr.  39799/98, §  4; EGMR, 21.01.2014, Perihan and Mezopotamya Basin Yayin A.S. v. TR, Nr.  21377/03, §  40. Kofmel, Recht auf Beweis, S.  36; Meyer-Ladewig, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  96, 141.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

must ascertain whether the proceedings in their entirety, including the way in which the evidence was taken, were fair.“661

Da es grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte ist, über Art und Umfang des Beweisverfahrens zu entscheiden, kann eine Konventionsverletzung im Sinne eines Fairnessverstoßes nach Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK überhaupt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen:662 „Therefore, even though it is normally for the national courts to decide whether it is necessary or advisable to call a witness, there might be exceptional circumstances which could prompt the Court to conclude that the failure to hear a person as a witness was incompatible with Article  6.“663

In diesem Zusammenhang bekennt sich der Gerichtshof dazu, dass das Fairnessgebot des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK keine Vorgaben darüber macht, ob ein Be­ weis­antritt zulässig ist oder nicht.664 Der nationale Entscheidungsspielraum wird insoweit nicht angetastet. Überhaupt legt der Gerichtshof in Zivilsachen einen großzügigeren Maßstab im Hinblick auf die Einhaltung der Verfahrensfairness an als in Strafsachen. „The requirements inherent in the concept of ‚fair hearing‘ are not necessarily the same in cases concerning the determination of civil rights and obligations as they are in cases concerning the determination of a criminal charge. This is borne out by the absence of detailed provisions such as paragraphs 2 and 3 of Article 6 (art. 6-2, art. 6-3) applying to cases of the former category.“665

So hat der Gerichtshof in einer Entscheidung vom 8. Juni 1976 eine Beweisablehnung gebilligt, die auf Grundlage einer gesetzlich zulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhte.666 Im konkreten Fall rügte der Beschwerdeführer, dass im Rahmen eines gegen ihn geführten militärischen Disziplinarverfahrens nicht alle von ihm beantragten Zeugen vernommen worden sind. Der Gerichtshof lehnte einen Verstoß gegen Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK (und Art.  6 661 

EGMR, 10.05.2005, Thomas v. UK, Nr.  19354/02. EGMR, 07.06.1989, Bricmont v. BE, Nr.  10857/84, §  89; EGMR, 18.05.2004, Destrehem v. FR, Nr.  56651/00, §  41. 663  EGMR, 13.07.2006, Popov v. RU, Nr.  26853/04, §  179. 664  EGMR, 12.07.1988, Schenk v. CH, Nr.  100862/84, §  45 f.; EGMR, 29.10.1991, Helmers v. SE, Nr.  11826/85, §  31; EGMR, 22.04.1992, Vidal v. BE, Nr.  12351/86, §  33; EGMR, 20.09.1993, Saïdi v. FR, Nr.  14647/89, §  43; EGRM, 09.06.1998, Teixeira de Castro v. PT, Nr.  44/1997/828/1034, §  34; EGMR, 10.07.1998, Sidiropoulos and Others v. GR, Nr.  57/1997/841/1047, §  45; EGMR, 18.06.2002, Wierzbicki v. PL, Nr.  24541/94, §  39: „The Court further observes that the admissibility of evidence, as well as the taking of evidence, are governed primarily by the rules of domestic law and that it is, in principle, for the national courts to assess the evidence before them.“ 665  EGMR, 27.10.1993, Dombo Beheer v. NL, NR. 14448/88, §  32. 666  EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  91. 662 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

141

Abs.  3 lit.  d EMRK) ab, da nach nationalem Recht (Art.  65 des Military Discipline Act vom 27. April 1903667 und Art.  56 der Provisional Instructions vom 20. Juli 1814668) das Gericht nach freiem Ermessen entscheiden durfte, ob es eine Beweiserhebung für sachdienlich halte.669 Ist in der nach dem nationalen Recht maßgeblichen Verfahrensordnung keine richterliche Beweiserhebungspflicht vorgesehen, kann sie auch nicht unter Berufung auf Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK eingefordert werden. Davon abgesehen sind die nationalen Gerichte gemäß Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK zu einer ordnungsgemäßen Prüfung aller Sach- und Beweisanträge der Parteien verpflichtet670: „Article 6 §  1 places the ‚tribunal‘ under a duty to conduct a proper examination of the submissions, arguments and evidence adduced by the parties, without prejudice to its assessment of whether they are relevant to its decision.“671

Aber auch die aus Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK abgeleitete Beweisprüfpflicht begründet keine grundsätzliche richterliche Beweiserhebungspflicht. Der Gerichtshof hat in einer Entscheidung vom 31. Oktober 2001 eine Beweisablehnung, die auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhte, ausdrücklich gebilligt.672 In dem zugrundeliegenden Fall hat das Gericht von Skopje eine Beweisführung des Angeklagten mit der Begründung abgelehnt, dass es auf Grund des bisherigen Beweisergebnisses eine abschließende Überzeugung gefasst habe.673 Das Berufungsgericht fügte dem Folgendes hinzu: „It (the Skopje Municipal Court) also held that the two witnesses called by the defence were not relevant as they would not have contributed much to the establishment of the truth.“674

Hierin sah der Gerichtshof keinen Konventionsverstoß: „The court’s refusal to summon the two additional witnesses did not restrict his defence rights to such an extent that he was not afforded a fair trial within the meaning of Article 6 §§  1 and 3 (d) of the Convention.“675

667 

Vgl. EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  27. Vgl. EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  31. 669  EGMR, 08.06.1976, Engel and Others v. NL, Nr.  5370/72, §  91. 670  EGMR, 06.12.1988, Barberà, Messegué and Jabardo v. ES, Nr.  10590/83, §  68; EGMR, 19.04.1993, Kraska v. CH, Nr.  13942/88, §  30; EGMR, 19.04.1994, Van de Hurk v. NL, Nr.  16034/90, §  59. 671  EGMR, 18.06.2002, Wierzbicki v. PL, Nr.  24541/94, §  39. 672  EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  66. 673  EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  26: „the court (had) sufficient evidence before it to reach its verdict.“ 674  EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  30. 675  EGMR, 31.10.2001, Solakov v. former YU, Nr.  47023/99, §  67. 668 

142

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Ist demnach das nationale Gericht der Überzeugung, dass eine Beweisführung für die Sachverhaltsfeststellung irrelevant ist, so kann es diese ablehnen, ohne gegen Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK zu verstoßen. Der Gerichtshof räumt den nationalen Gerichten bei der Frage, ob sie eine Beweiserhebung für notwendig (necessary) oder zweckmäßig (advisable) erachten, einen deutlich weiteren Beurteilungsspielraum ein, als das etwa aus nationaler Sicht für die Beurteilung der Erheblichkeit der Fall ist.676 Folgerichtig ist es daher, wenn der Gerichtshof gerade für den Zivilprozess betont, dass Art.  6 EMRK kein Recht auf Beweiserhebung gewährt: „Article 6 of the Convention does not explicitly guarantee the right to have witnesses called or other evidence admitted by a court in civil proceedings.“677

Soweit ein nationales Gericht sämtliche Beweisanträge zur Kenntnis nimmt und sich eingehend mit der Frage auseinandersetzt, ob es diesen stattgibt oder nicht, genügt es der verfahrensrechtlichen Mindestgarantie des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK. Eine daraufhin erfolgende Beweisablehnung ist als solche nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Fairnessgebot des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK zu begründen. Dies gilt selbst dann, wenn die Beweisablehnung nach nationalem Verfahrensrecht fehlerhaft ist. Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK dient nicht der allgemeinen innerstaatlichen Verfahrenskontrolle.678 Aus diesem Grund stellte der Gerichtshof in einer jüngeren Entscheidung vom 7. Juni 2012 Folgendes klar: „(…) it is for the national courts to assess the relevance of proposed evidence.“679

Die Grenzen eines durch Art.  6 Abs.  1 EMRK (i. V. m. Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK) gewährleisteten fairen Verfahrens sind erst dann überschritten, wenn ein nationales Gericht eine beantragte Beweisführung ohne jede plausible Begründung und deshalb rein willkürlich ablehnt.680 Dies bestätigte der Gerichtshof in einer Entscheidung vom 13. Juli 2006: „Taking into account that the applicant’s conviction was founded upon conflicting evidence against him, the Court finds that the domestic courts’ refusal to examine the defence witnesses

676  EGMR, 07.06.1989, Bricmont v. BE, Nr.  10857/84, §  89. Vgl. Henckel, in: FS Matscher, S.  185, 191. 677  EGMR, 18.06.2002, Wierzbicki v. PL, Nr.  24541/94, §  39. 678  EGMR, 05.10.2006, Klasen v. GER, Nr.  75204/01, §  43; EGMR, 02.06.2009, N. and S.D. v. GER, Nr.  29056/06, S.  8. 679  EGMR, 07.06.2012, Centro Eurioa 7 S.R.L., and Di Stefano v. I, §  198. 680  EGMR, 22.04.1992, Vidal v. BE, Nr.  12351/86, §  34; EGMR, 03.03.2000, Krčmář v. CZ, Nr.35376/97, §  44, EGMR, 09.11.2006, Kaste and Mathisen v. NO, Nr.  18885/04, 21166/04, §§  49 ff.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

143

without any regard to the relevance of their statements led to a limitation of the defence rights incompatible with the guarantees of a fair trial enshrined in Article 6.“681

cc) Ergebnis Nach Ansicht des Gerichtshofs folgt weder aus dem aktiven Konfrontationsrecht des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK i. V. m. Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK, noch aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK eine grundsätzliche richterliche Beweiserhebungspflicht. Darüber hinaus hat die Untersuchung gezeigt, dass selbst eine großzügig gehandhabte Beweisablehnungsbefugnis der nationalen Gerichte nicht per se im Widerspruch zu den verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK steht. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Der Gerichtshof gestattet es den nationalen Gerichten ausdrücklich, frei darüber zu entscheiden, ob sie eine beantragte Beweiserhebung für notwendig und zweckmäßig erachten. Entscheidend ist dabei nur, dass der jeweilige Tatrichter hierbei keinen Unterschied zwischen den Parteien macht und nicht willkürlich zu Werke geht. b) Ergebnis Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht findet keine Stütze in Art.  6 Abs.  1 S.  1, Abs.  3 lit.  d EMRK. Das bedeutet freilich nicht, dass der na­tio­ nale Richter nach Gutdünken Beweisanträge ablehnen dürfte. Ist die Schwelle zur Willkür überschritten, kann auch eine Beweisablehnung einen Konventionsverstoß nach sich ziehen. Allein eine grundsätzliche Beweiserhebungspflicht kann dem Gewährleistungsgehalt des Art.  6 EMRK nicht entnommen werden. Aus diesem Grund gilt: Aus der EMRK lässt sich das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht ableiten. 6.  Zusammenfassung Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht konnte sich schon kurz nach dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung gegenüber dem Grundsatz der freien Beweisablehnung durchsetzen. Den entscheidenden Anstoß hierfür gab der dritte Senat des Reichsgerichts, als er im Jahr 1881 die Anforderungen an die richterliche Beweisablehnungsbefugnis, wie sie in §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO), niedergelegt war (und ist), erheblich heraufsetzte. Der Richter durfte eine beantragte Beweisführung nur noch dann ablehnen, wenn er mit letzter Sicherheit (Gewissheit) im Voraus feststellen konnte, dass diese auf seine richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben kann und wird. 681 

EGMR, 13.07.2006, Popov v. RU, Nr.  26853/04, §  188.

144

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Der Richter musste die Gründe, die ihn zu der Beweisablehnung bewogen hatten, nachvollziehbar in seiner Entscheidung angeben. Das hatte zur Folge, dass eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung in aller Regel nicht (mehr) zulässig war. Hierin erblickte das Reichsgericht fortan regelmäßig eine „unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung“. Das Reichsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass es grundsätzlich nicht möglich sei, im Voraus sicher beurteilen zu können, ob und inwieweit eine beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugungsbildung Einfluss haben wird. Stein fasste die Rechtsprechung des Reichsgerichts folgendermaßen zusammen: „dem Reichsgericht (ist) zu verdanken, dass es den Grundsatz (Verbot der Beweiswürdigung a priori), wenn auch nicht ganz ohne Schwankungen, so doch schliesslich mit consequenter Energie zur Geltung gebracht und dadurch verhindert hat, dass das Schlagwort der „freien Beweiswürdigung“ zum bequemen Deckmantel für die freilich oft entschuldbare Neigung der unteren Gerichte wurde, durch Abschneidung weiterer Beweise zu einer baldigen Beendigung der Prozesse zu gelangen.“682

Bedauerlicherweise beschränkte sich das Reichsgericht aber auf die Feststellung, ob und wann der Richter seine Beweisablehnungsbefugnis des §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) überschritten und damit gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verstoßen hatte. Worin das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und mit ihm der Grundsatz der richterlichen Beweispflicht seine normative Grundlage fand, ließ es aber offen. Das hatte ganz wesentliche Konsequenzen: Zum einen wurde das normative Vakuum im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend von §  286 Abs.  1 ZPO selbst gefüllt, was wiederum zur Folge hatte, dass dessen normativer Sinngehalt auf den Kopf gestellt wurde. Schließlich ist in §  286 Abs.  1 ZPO, wie die Auswertung der Gesetzesmaterialien ergeben hat, der Grundsatz der freien Beweisablehnung verankert („etwaigen Beweisaufnahme“). Zum anderen, und das wiegt wesentlich schwerer, führte die fortlaufende Irritation über die gesetzliche Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht dazu, dass er als ursprünglich rein verfahrensrechtlicher Grundsatz zunehmend konstitutionalisiert wurde. So sind sich heute der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht darin einig, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht auch unmittelbar aus Art.  103 Abs.  1 GG abzuleiten sei, und zwar in gleichem Umfang wie aus der Zivilprozessordnung selbst. Damit hat auch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung Verfassungsrang. Lediglich der Europäische Gerichtshof für Menschen-

682 

Stein, Privates Wissen, S.  100. Ähnlich: R. Schmidt, Zivilprozessrecht, 1.  Aufl., S.  433.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

145

rechte hat bislang von einer konventionsrechtlichen Hochzonung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht (mit Recht) abgesehen. Insgesamt konnte durch die chronologische Rechtsprechungsanalyse die Entwicklungsgeschichte des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung und später des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht im zivilprozessualen Beweisverfahren freigelegt werden. Es hat sich gezeigt, dass die Rechtsprechung insoweit die gesetzlichen Vorgaben der Zivilprozessordnung längst hinter sich gelassen hat. Die bei genauerem Hinsehen bis heute offen zu Tage tretende Inkohärenz des zivilprozessualen Beweisverfahrens ist in der Rechtsprechung nie zur Ansprache gekommen. Anstatt den widersprüchlichen Gesetzestext im Rahmen des §  286 Abs.  1 S.  1 (und §  448 ZPO) dem eigentlichen gesetzgeberischen Regelungsziel entsprechend anzupassen und das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung wie auch umgekehrte den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als festen Bestandteil des zivilprozessualen Beweisverfahrens anzuerkennen, vermutete man deren Grundlagen mehr und mehr im Verfassungsrecht. Dies wiederum führt zu einer normhierarchisch verfehlten Gleichstellung von Verfahrens- und Verfassungsrecht.

III.  Der Standpunkt der Literatur Auch in der Literatur besteht heute Einigkeit darüber, dass das Gericht im Grundsatz verpflichtet ist, die von den Parteien beantragten Beweise zu erheben.683 Die Rede ist auch von einer „richterlichen Beweiserhebungspflicht“684 oder „Beweisberücksichtigungspflicht“685. Dem ist insoweit nichts hinzuzufügen. Die viel wichtigere Frage lautet, warum die Literatur heute vom Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ausgeht. Ihr konnte wohl kaum entgangen sein, dass dem zivilprozessualen Beweisverfahren im Rahmen des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO (vormals: §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.) – jedenfalls nach dem Willen des historischen Gesetzgebers – der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrun683  Statt vieler: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  27; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284 Rn.  14; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Leipold, in: Stein/ Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  53; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8; Strack, SDJZ 1949, 830, 831; Schönke, in: FS Rosenberg, S.  217; Schröder/Kuchinke, Zivilprozessrecht, S.  274 f.; Esser, Ausforschungsbeweis, S.  207; Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  301 f.; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306 ff. m. w. N.; eingehend: Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45 ff. 684  So etwa: Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  72 f. 685  Holzinger, Beweisverwertungsverbote bei mitbestimmungswidrig erlangten Beweisen, S.  21.

146

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

de liegt. Wenn dem so sein sollte, müsste sie eine plausible, dogmatisch überzeugende Antwort darauf liefern können, warum der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht den gesetzlich an sich niedergelegten Grundsatz der freien Beweisablehnung verdrängen konnte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es der Literatur gelungen ist, die dem zivilprozessualen Beweisverfahren immanente Inkohärenz zu identifizieren und woraus sie den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ableitet. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung kann in diesem Zusammenhang nur am Rande berücksichtigt werden, da die Literatur den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht völlig isoliert hiervon betrachtet. Eine normative Deduktion des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist in der Literatur nahezu nicht anzutreffen. 1.  Der Grundsatz der freien Beweisablehnung und dessen Zurückdrängung Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte das Gericht im Rahmen der Beweis­erhe­bung uneingeschränkt befugt sein, eine beantragte Beweisführung von vornherein abzulehnen. Diese umfassende richterliche Beweisablehnungsbefugnis wurde als Grundsatz der freien Beweisablehnung definiert.686 Er ist bis heute im Wortlaut der §§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO angelegt („etwaigen Beweisaufnahme“). a)  Die Anerkennung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung In der Literatur entbrannte noch vor dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung ein Streit über die Frage, ob und inwieweit der Richter zur uneingeschränkten Beweisablehnung tatsächlich befugt sein sollte oder ob er umgekehrt verpflichtet ist, die beantragten Beweise zu erheben. Kurz nach Erlass der Zivilprozessordnung sprach sich Wernz ganz deutlich für den Grundsatz der freien Beweisablehnung aus.687 Er leitete diesen – wie schon die Justizkommission – aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ab.688 Nach Wernz dürfe der Richter jede weitere Beweisaufnahme ablehnen, sobald er sich von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen Tatsachenbehauptung überzeugt wähnte.689 Daher gelte: „Die Parteien haben also kein Recht auf Beweisführung d. h. darauf, daß der Richter erst die angebotenen Beweise erhebe, bevor er seine Ueberzeugung sich bilde.“690 (Hervorh. d. Verf.)

686 

Teil 1, B.II.1. Wernz, ZRLB, Bd.  3 (1877), 359, 362. 688  Wernz, ZRLB, Bd.  3 (1877), 359, 362. 689  Wernz, ZRLB, Bd.  3 (1877), 359, 362. 690  Wernz, ZRLB, Bd.  3 (1877), 359, 362. 687 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

147

Aus diesem Grund dürfe der Richter „ermessen, ob es auf seine Überzeugung Einfluß üben würde, wenn die benannten Zeugen (…) dasjenige (…) aussagten, was sie nach der Partheibehauptung aussagen sollen.“691

Demzufolge soll der Richter die Frage, ob die angebotenen Beweise Einfluss auf seine Überzeugung haben können und werden, ohne Einschränkung frei beurteilen dürfen. Mit ähnlich klaren Worten brachte auch Gaupp in der ersten Auflage seiner Kommentierung der Zivilprozessordnung den Grundsatz der freien Beweisablehnung zum Ausdruck. Eine Beweisaufnahme sei überhaupt nur dann anzuordnen, „wenn es ihrer bedarf, um das Gericht aufzuklären“.692 Aus diesem Grund könne das Gericht nicht „verpflichtet“ sein, selbst über erhebliche Tatsachen eine Beweisaufnahme anzuordnen, wenn es die zu beweisende Tatsache oder ihr Gegenteil bereits für erwiesen halte.693 Da der Richter das Ergebnis der Verhandlung nach freier Überzeugung würdigen dürfe, dürfe er auch den Wert eines angebotenen Beweismittels allein aufgrund einer Gesamtschau vor dessen Aufnahme „in freiester Weise würdigen“.694 Gaupp hielt eine Beweisaufnahme für entbehrlich, wenn der Richter bereits eine feste Überzeugung habe oder wenn aus seiner Sicht feststehe, dass die angebotenen Beweise keinen Einfluss auf seine Überzeugung haben werden.695 Planck teilte die Auffassung von Gaupp, abstrahierte dessen Ansatz allerdings begrifflich. Nach Planck durfte der Richter eine beantragte Beweisführung ablehnen, wenn er das verwendete Beweismittel für den verfolgten Zweck der richterlichen Wahrheitserkenntnis für „werthlos“ hielt.696 Die „Werthlosigkeit“ eines Beweismittels konnte entweder eine „absolute“ oder eine „relative“ sein.697 Zu der ersten Kategorie (absolute Wertlosigkeit) gehörten Beweismittel, die entweder die erforderliche Schlussfolgerung auf die Beweistatsache nicht zuließen oder vollkommen unglaubwürdig erschienen.698 Zu der zweiten Kategorie (rela691  Wernz, ZRLB, Bd.  3 (1877), 359, 363. Etwas später heißt es weiter: „Mildernd wirkt ferner die große Freiheit, welche den Gerichten bezüglich der Zulassung von Beweisen gelassen ist; denn ist der Richter berechtigt, von einem angebotenen Beweise ganz Umgang zu nehmen, so kann es ihm folgerichtig auch nicht verwehrt sein, einzelne Beweismittel, als für die Begründung seiner Ueberzeugung unerheblich, zurückzuweisen.“ Wernz, ZRLB, Bd.  3 (1877), 359, 365. 692  Gaupp, CPO, Bd.  2, 1.  Aufl., §  257 Anm.  1. 693  Gaupp, CPO, Bd.  2, 1.  Aufl., §  257 Anm.  1. 694  Gaupp, CPO, Bd.  2, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1. 695  Gaupp, CPO, Bd.  2, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1. 696  Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  178. 697  Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  178. 698  Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  178.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

tive Wertlosigkeit) gehörten Beweismittel, bei denen das Beweisergebnis oder dessen Gegenteil nach Überzeugung des Richters bereits erwiesen war.699 Hieraus Schlussfolgerte unter Planck: „Eine Verpflichtung des Gerichts, prozessordnungsmässig angebotenen Beweis unter allen Umständen auch aufzunehmen, kennt die Reichscivilprozessordnung nicht.“700

Vergleichbar äußerten sich auch Petersen701, v. Wilmowski/Levy702, Hartmann703, v. Seuffert704, v. Bülow705, Vierhaus706, Reincke707 und Endemann708. Selbst Struckmann, der noch in der parlamentarischen Debatte der Justizkommission die Geltung des Grundsatzes der freien Beweiserhebung aufs Schärfste kritisierte, beugte sich dem gegenteiligen Willen des Gesetzgebers in der ersten Auflage

Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  178 f. Planck, Lehrbuch, Bd.  2, S.  178. 701  Petersen, CPO, Bd., 1.  Aufl., §§  257, 258 Anm. I. 2 und Vorb. §§  338–366 Anm.  1.: „Es ist aber dem Ermessen des Gerichts überlassen, ob es einen angebotenen Zeugenbeweis zulassen will (…)“. Ebenso: Petersen, CPO, Bd.  2, 2.  Aufl., Vorb. §§  338–366 Anm.  1. 702  v. Wilmowski/Levy, CPO, 1.  Aufl., §  437 Anm.  1: „Das Gericht ist sonach nicht verpflichtet, alle angebotenen Beweismittel zuvor zu erschöpfen, alle Zeugen zu hören, sondern kann nach freier Würdigung erklären, daß ihm die nicht aufgenommenen Beweismittel keine genügende Ueberzeugung (…) geben würden.“ (Hervorh. d. Verf.); v. Wilmowski/Levy, CPO, 2.  Aufl., §  437 Anm.  1. 703  Hartmann, CPO, 1.  Aufl., §  437 Anm.  51. 704  v. Seuffert, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1; v. Seuffert, CPO, 2.  Aufl., §  259 Anm.  2; v. Seuffert, CPO, 3.  Aufl., §  259 Anm.  2. 705  v. Bülow, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  2: „Das Prinzip der freien Beweiswürdigung befreiet den Richter von der Verpflichtung, alle angebotenen Beweise aufzunehmen, und zwar selbst dann, wenn er nach der bisherigen Sachverhandlung und Beweisaufnahme noch nicht einmal zu einem unbedingten Endurtheile, sondern nur zu einem richterlichen Eide gelangt.“ Ebenso: v. Bülow, CPO, Aufl., 2, §  259 Anm.  2. 706  Vierhaus, ZZP 5 (1882), 57, 84 f., der die Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. März 1881 (s. o.) mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung für unvereinbar erachtet: „Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat die nothwendige Folge, dass das Gericht an die Beweisanträge der Parteien nicht gebunden ist, vielmehr angebotene Beweise über erhebliche Thatsachen unerhoben lassen kann.“ 707  Reincke, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  2. 708  Endemann, Civilprozess, Bd.  2, S.  203 f.: „Indessen schliesst der Sahtz, dass der Richter jedes Zeugniss nach freier Ueberzeugung zu würdigen hat, nicht die Befugniss aus, Zeugen von vornherein zu verwerfen. Vielmehr steht es dem Gerichte kraft des Prinzips des §  259 unzweifelhaft zu, die Vernehmung solcher Zeugen gar nicht zu beschliessen, denen es nach seiner Ueberzeugung an derjenigen Wahrnehmungs- oder Reproduktionsfähigkeit gebricht, ohne welche ein Werth der Aussage für die richterliche Wahrheitserkenntniss gar nicht möglich ist, wie denn auch auf Grund sicherer Ueberzeugung von der Vernehmung als überflüssig oder unerheblich Abstand genommen werden mag.“ (Hervorh. d. Verf.). 699  700 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

149

seiner Kommentierung der Zivilprozessordnung.709 Damit bekannte auch er sich zur Geltung des Grundsatzes der freien Beweiserhebung. b)  Die Kritik am Grundsatz der freien Beweisablehnung Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Grundsatz der freien Beweisablehnung auch unter seinen Fürsprechern nicht frei von Kritik war. Ihnen blieb nicht verborgen, dass der Richter im Umgang mit Beweisanträgen eine nahezu grenzenlose Freiheit genoss.710 So warnte beispielsweise v. Seuffert vor der „großen Machtvollkommenheit“ des Richters.711 Sie berge „die Gefahr des Mißbrauchs zu Willkür und Eigenmacht (des sog. ‚Durchhauens‘ der Pro­ zesse)“

in sich.712 Aus diesem Grund solle der Richter in „vernünftiger Selbstbeschränkung“ darauf achten, dass „nicht die Wohlthat des Gesetzes zum Uebel ausarte.“713

Nur am Rande sei dabei die Bemerkung gestattet, dass sich auch hierdurch der vorangegangene rechtshistorische Befund bestätigt, wonach die Etablierung des Prinzips der Richterherrschaft und Richtermacht im Rahmen des Beweisverfahrens letzten Endes auf ein gewachsenes gesellschaftliches Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richters zurückzuführen ist und umgekehrt.714 Im Gegensatz zu v. Seuffert reduzierte Wach unter Verweis auf die Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren die richterliche BeStruckmann/Koch, CPO, 1.  Aufl., §  437 Anm.  1 und 4. Vgl. v. Seuffert, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1; Hellmann, Gesetzgebung des Deutschen Reiches, 1. Teil, Bd.  3/2, S.  88: „Dieses (…) Prinzip kann die gefährlichsten Folgen haben; denn die Integrität des Richters schützt denselben häufig nicht gegen die Empfänglichkeit für gewisse subjektive Eindrücke, deren Grundlosigkeit er erkennen würde, wenn ihm das zugängliche Beweismaterial vor Augen geführt werden müßte.“ Ähnlich: Vierhaus, ZZP 5 (1882), 57, 85 unter Bezugnahme auf RG, Urt. v. 21.03.1881 – III. 663/80, RGZ 4, 375 ff. (dazu sogleich): „So sehr auch vom praktischen Standpunkte der in diesen Erwägungen liegenden nachdrücklichen Hinweisung auf die Richterpflicht zuzustimmen ist, so sehr darf man aber auch in Zweifel ziehen, ob eine solche formalistische Theorie, welche auch der blossen Möglichkeit eines relevanten Ergebnisses bei einer beantragten Beweisaufnahme Rechnung tragen will, mit der „freien Ueberzeugung“ vereinbar ist, welche nach §  259 das Gericht bei der Entscheidung über die Wahrheit einer Thatsache allein leiten soll.“ (Hervorh. d. Verf.). 711  v. Seuffert, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1. 712  v. Seuffert, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1. 713  v. Seuffert, CPO, 1.  Aufl., §  259 Anm.  1. In diesem Sinne auch: Vierhaus, ZZP 5 (1882), 57, 84 f.; Ude, ZZP 6 (1883), 419, 426 ff. 714  Teil 1, A.I.1.c); A.II.3; A.IV.1; A.V. 709  710 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

weisablehnungsbefugnis auf „offenbar chikanöse, frivole, werthlose Beweisanträge“.715 Insbesondere die Gegenbeweisführung dürfe nie kategorisch ausgeschlossen werden: „Niemals ist (…) die richterliche Ueberzeugung einer bestrittenen und bestreitbaren Thatsache im Civilprocess eine unerschütterliche, eine Ueberzeugung von der Unmöglichkeit des Gegentheils.“716

Während noch nach Maßgabe der legalen Beweistheorie die Vorschriften über die Zulässigkeit von Beweismitteln dem Richter ein „bequemes Ruhekissen“ geboten hätten, gehe mit der richterlichen Freiheit im Rahmen des Beweisrechts eine „Steigerung der Lebensaufgabe“ einher.717 Wach appellierte damit an einen verantwortungsvollen Umgang mit der richterlichen Beweisablehnungsbefugnis. Unter Ablehnung des von Wernz vertretenen Ansatzes718 bemerkte aber Wach einschränkend, dass §  259 ZPO a. F. (§  286 ZPO) „nicht die Willkür des Richters auf den Thron“ setze.719 Diese Kritik an dem von Wernz vertretenen Ansatz schloss sich Struckmann in der zweiten Auflage seiner Kommentierung an. .720 Gleichzeitig und im Unterschied noch zur ersten Auflage erneuerte er seine bereits in der Justizkommission geäußerte Forderung, wonach der Richter eine Beweisaufnahme nicht ablehnen dürfe, wenn diese „erheblich“ ist und „die angebotenen Beweismittel nicht unglaubwürdig“ erscheinen.721 Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass Struckmann, wie schon in der parlamentarischen Debatte und entgegen dem damals herrschenden Verständnis,722 den Begriff „erheblich“ rein objektiv verstand. Das wird auch dadurch erkennbar, dass andernfalls der Verweis auf die Glaubwürdigkeit des angebotenen Beweismittels sinnlos gewesen wäre. Und schließlich fand der Grundsatz der freien Beweisablehnung in Stein einen namhaften Kritiker.723 Seiner Ansicht nach verleihe der Grundsatz der freien Beweiswürdigung dem Richter nicht die Befugnis, Beweise deshalb abzulehnen, Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  161. Vgl. Teil 1, B.I.2.b)bb). Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  161. 717  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  161. 718  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  161. 719  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  160. Ähnlich v. Seuffert, ZPO, 11.  Aufl., §  286 Anm.  2.: „Freiheit des Ermessens bedeutet nicht richterliche Willkür.“ 720  Struckmann/Koch, CPO, 2.  Aufl., §  259 Anm.  1. 721  Struckmann/Koch, CPO, 2.  Aufl., §  259 Anm.  1. Durch die Formulierung „nicht unglaubwürdig“ zeigt sich bereits, dass Struckmann davon ausgeht, dass grundsätzlich von der Glaubwürdigkeit eines Beweismittels auszugehen ist. Der hier eingenommene Standpunkt überrascht auch nicht. Entspricht er doch weitestgehend dem, den Struckmann bereits in der parlamentarischen Debatte zu §  437 CPO eingenommen hat. 722  Teil 1, B.I.1.b)bb) und B.I.1.b)dd). 723  Stein, Privates Wissen, S.  99 f. 715  716 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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„weil sie kein glaubwürdiges Ergebniss haben würden oder weil die Sache schon durch die bisherige Beweisaufnahme genügend aufgeklärt sei. Darin läge eine Beweiswürdigung a priori, welche bei der nie ausgeschlossenen Irrthumsmöglichkeit um so vermessener wäre, als der individuelle, persönliche Eindruck der allerwichtigste Factor für die Bewerthung der Beweismittel ist.“724

Aus diesem Grund und unter Verweis auf die seit der Entscheidung vom 21. März 1881725 gefestigten Rechtsprechung des Reichsgerichts schlussfolgerte Stein, dass eine Beweisablehnung unter Verweis auf „das Schlagwort der ‚freien Beweiswürdigungʻ im Grundsatz unzulässig ist.“726 Einen eher vermittelnden Ansatz verfolgte Ude.727 Ebenfalls unter Verweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts vom 21. März 1881728 wollte er den Grundsatz der freien Beweisablehnung eingeschränkt, nicht aber aufgegeben wissen.729 So hielt er einerseits die Ablehnung eines „verdächtigen oder nicht völlig wahrnehmungsfähigen Zeugen“730 für zulässig, plädierte aber andererseits unter Ablehnung von Wernz gegen eine uneingeschränkte Beweisablehnungsbefugnis des Gerichts.731 Nach Ude soll das Gericht nur dann zur Beweisablehnung befugt sein, wenn es die sichere Gewissheit erlangt habe, dass eine beantragte Beweisführung nicht das mit ihr verfolgte Ziel der richterlichen Überzeugung erreichen werde.732 In ganz ähnlicher Weise drückte sich auch Hellmann aus, der sich hierbei ebenfalls maßgeblich auf die Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. März 1881 bezog.733 Stein, Privates Wissen, S.  99 f. RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377 ff. Vgl. dazu: Teil 1, B.II.1.a)bb). 726  Stein, Privates Wissen, S.  100. 727  Ude, ZZP 6 (1883), 419, 439 ff. 728  RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377 ff. Vgl. dazu: Teil 1, B.II.1.a)bb). 729  Ude, ZZP 6 (1883), 419, 443 f.: „Diejenigen, welche aus §  259 der C.P.O., ohne nähere Angabe der nothwendigen Voraussetzungen, diese Konsequenz (Beweisablehnung ohne jede Begründung) herleiten, müssen übrigens selbst anerkennen, dass das gedachte Prinzip (Prinzip der freien richterlichen Beweiserhebung), da wo es praktisch gehandhabt werde, die gefährlichsten Folgen nach sich ziehen könne, indem die Integrität des Richters denselben häufig nicht gegen die Empfänglichkeit für gewisse subjektive Eindrücke schütze, deren Grundlosigkeit er erkennen würde, wenn ihm das zugängliche Beweismaterial vor Augen geführt werden müsste.“ 730  Ude, ZZP 6 (1883), 419, 445, ist ganz offenbar noch in den alten Denkmustern der legalen Beweistheorie gefangen, wenn er vom „verdächtigen Zeugen“ spricht. Er gibt damit eine Zeugenklassifizierung zu erkennen, die mit der Abschaffung der legalen Beweistheorie weggefallen sind. 731  Ude, ZZP 6 (1883), 419, 444 und 446 Fn.  8. 732  Ude, ZZP 6 (1883), 419, 446. 733  Hellmann, Lehrbuch des deutschen Civilprozeßrechts, S.  523 unter Verweis auf: RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377 ff. Vgl. dazu: Teil 1, B.II.1.a)bb). 724  725 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

c)  Die Anerkennung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht als Paradigmenwechsel Unter dem Eindruck der Rechtsprechung des Reichsgerichts734 mehrten sich in der Literatur die Stimmen derer, die sich ganz oder teilweise gegen den Grundsatz der freien Beweisablehnung aussprachen. Gaupp behauptete etwa in Abkehr von seinem ursprünglichen Standpunk (s. o.) ab der zweiten Auflage seiner Kommentierung, dass der Richter nur noch dann zur Beweisablehnung befugt sei, wenn er bereits die volle Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache erlangt habe und die hierfür leitenden Gründe angebe.735 Ein vergleichbares Umdenken ist auch bei Reincke736, v. Wilmowski/Levy737 und Petersen738 zu beobachten. Die Abkehr vom Grundsatz der freien Beweisablehnung vollzog sich in der Literatur derart rasant, dass bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert dessen Geltung nicht mehr vertreten wurde. Stattdessen ging man nahezu einhellig davon aus, dass der Richter die Beweiswürdigung nicht vorwegnehmen dürfe und daher im Grundsatz verpflichtet sei, die beantragten Beweise zu erheben. d) Ergebnis Die Literatur des 19. Jahrhundert ging zunächst in Anerkennung des Gesetzgeberwillens davon aus, dass der Richter eine Beweiserhebung nach noch etwaigem freiem Ermessen ablehnen durfte. Erst nachdem der Reichsgericht die freie richterliche Beweisablehnungsbefugnis zunehmend einschränkte und das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung als eigenständiges beweisverfahrensrechtliches Institut ausgebildet hatte, veränderte sich das Bild. Die Literatur ging nunmehr ebenfalls davon aus, dass der Richter im Grundsatz einen beantragten Beweis erheben musste. Jedoch sucht man auch in der Literatur eine normative Begründung dieses Paradigmenwechsels weitgehend vergebens. 734 

Teil 1, B.II.1.a)dd). Gaupp, CPO, Bd.  2, 2.  Aufl., §  259 Anm. I. 1. 736  Reincke, CPO, 2.  Aufl., §  259 Anm. I. 3. Reincke behauptet noch in der ersten Auflage (Reincke, CPO, 2.  Aufl., §  259 Anm. I. 2.) seiner Kommentierung, dass die Nichtberücksichtigung angebotener Beweismittel unter keinen Umständen eine Gesetzesverletzung im Sinne des §  512 CPO (§  545 ZPO) darstellen könne. Das ist aus damaliger Sicht folgerichtig, soweit man unterstellt, dass keine gesetzliche Pflicht zur richterlichen Beweiserhebung besteht. In der zweiten Auflage seiner Kommentierung wiederholt Reincke diese Auffassung nicht mehr. Dies erlaubt die sichere Vermutung, dass Reincke nunmehr von einer grundsätzlichen gesetzlichen Pflicht des Richters zur Beweiserhebung ausgeht. 737  v. Wilmowski/Levy, CPO, 3.  Aufl., §  259 Anm.  1: Ein Beweisantrag dürfe grundsätzlich nur dann abgelehnt werden, „wenn die Unmöglichkeit eines Einflusses desselben auf die Überzeugung mit Gründen festgestellt wird.“ 738  Petersen, CPO, Bd.  2, 3.  Aufl., §  259 Anm.  6. 735 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Lediglich bei Wach lässt sich andeutungsweise vermuten, dass er die Geltung einer grundsätzlichen richterlichen Beweiserhebungspflicht für eine notwendige Folge der Verhandlungsmaxime gehalten haben könnte. Die Verhandlungsmaxime war nach Ansicht Wachs das wesentliche Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens, das es dem Richter untersagte, nach freiem Ermessen von einer beantragten Beweisführung abzusehen.739 Im Unterschied zu Wach begründete Stein seine ablehnende Haltung gegenüber dem Grundsatz der freien Beweisablehnung weniger rechtstheoretisch, als vielmehr rechtspraktisch. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung dürfe ­seiner Ansicht nach deswegen nicht gelten, weil es (naturgesetzlich) ausgeschlossen sei, vor der Beweiserhebung und anschließender Beweiswürdigung das Ergebnis derselben absehen zu können. Die Prognose über das Resultat einer künftigen Beweiswürdigung bleibe daher generell vage und ungewiss.740 Exakt diese Überlegung stellte auch das Reichsgericht an, als es mit Entscheidung vom 21. März 1881 die Zulässigkeit einer Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung davon abhängig machte, dass eben diese Unerheblichkeit nicht nur möglich oder wahrscheinlich, sondern absolut gewiss sei. Sei der Grad der absoluten Gewissheit vor der Beweiserhebung nicht erreicht, müsse der Richter den beantragten Beweis erheben, um ihn anschließend zu würdigen. Dies führte letztlich zu der begrifflichen Ausprägung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung.741 2.  Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht Die Literatur geht seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert durchgehend davon aus, dass der Richter als Folge des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Grundsatz zur Beweiserhebung verpflichtet ist.742 Dessen normative Grundlage ist indes seit jeher unklar. Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  154 ff., 161 ff. Vgl. Teil 1, B.I.2.a)bb). Stein, Privates Wissen, S.  99 f. 741  Teil 1, B.II.1.c). 742  Vgl. Etwa: Gaupp, CPO, Bd.  1, 3.  Aufl., §  259 Anm. I. und I. 2.; Gaupp, CPO, Bd.  1, 4.  Aufl., §  286 Anm. I. 2.; Stein, in: Gaupp/Stein, CPO, Bd.  1, 8. und 9.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Stein, in: Gaupp/Stein, ZPO, Bd.  1, 10.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Jonas, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 12.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Jonas, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 14.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Jonas, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 15.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Pohle, in: Stein/ Jonas, ZPO, Bd.  1, 16.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Schönke, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 17.  Aufl., §  286 Anm. III. 2.; Pohle, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 18.  Aufl., §  284 B. I. und III.; Schumann/ Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 19.  Aufl., §  284 B. I. und III.; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 20.  Aufl., §  284 Rn.  51; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  3, 21.  Aufl., §  284 Rn.  51; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  53; Bunsen, Civilprozeßrecht, S.  398; Weismann, Civilprozeßrecht, S.  134 f.; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., §  117 I. 739  740 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

a)  Die verfahrensrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Bunsen behauptete unter Verweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, dass „eine Beweisanordnung ergehen (müsse), wenn Beweis über eine erhebliche Thatsache in prozeßordnungsmäßiger Weise von einer Partei angetreten wird.“743 Dies gelte ganz unabhängig von der Beweislast, denn, so Bunsen weiter, „es ist eine prozessuale Befugnis jeder Partei, den Richter (…) zu überzeugen.“744 Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht folgte somit nach Ansicht Bunsens aus einer prozessualen Überzeugungsbefugnis der Parteien. Doch woraus sich diese ergibt, lässt Bunsen offen. Angesichts der vorangegangenen Untersuchung würde man diese wohl richtigerweise aus dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung und damit aus der Verhandlungsmaxime strukturell ableiten.745 In späterer Zeit behauptete Stein, das Gericht dürfe einen Beweisantrag nur dann ablehnen, wenn ein anerkannter „Ausnahmetatbestand“ erfüllt sei.746 Liege ein solcher nicht vor, sei einer beantragten Beweisführung zu entsprechen. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis „erfordert“ die ordnungsgemäße Beweiswürdigung.747 So verstanden fließt der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht unmittelbar aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, sondern bildet dessen verfahrensmäßiges Fundament.748 Eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung setze gewissermaßen verfahrensmäßig voraus, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht eingehalten worden ist. 1.; Friedrichs, Streitverfahren, S.  353; Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  333; Strack, SJZ 1949, 830, 831; Schönke, in: FS Rosenberg, 217; Schneider, ZZP 75 (1962), 173 ff. 743  Bunsen, Civilprozeßrecht, S.  398. 744  Bunsen, Civilprozeßrecht, S.  399. 745  Teil 1, B.I.2.b). 746  Stein, in: Gaupp/Stein, CPO, Bd.  1, 8. und 9.  Aufl., §  286 Anm. III.; Stein, in: Gaupp/ Stein, ZPO, Bd.  1, 10.  Aufl., §  286 Anm. III.; Jonas, in: Stein/Jonas, CPO, 12.  Aufl., §  286 Anm. III.; Jonas, in: Stein/Jonas, CPO, 14.  Aufl., §  286 Anm. III.; Jonas, in: Stein/Jonas, CPO, 15.  Aufl., §  286 Anm. III. 747  Stein, in: Gaupp/Stein, CPO, Bd.  1, 8. und 9.  Aufl., §  286 Anm. III.; Stein, in: Gaupp/ Stein, ZPO, Bd.  1, 10.  Aufl., §  286 Anm. III.; Jonas, in: Stein/Jonas, CPO, 12.  Aufl., §  286 Anm. III.; Jonas, in: Stein/Jonas, CPO, 14.  Aufl., §  286 Anm. III.; Jonas, in: Stein/Jonas, CPO, 15.  Aufl., §  286 Anm. III. 748  Diesen Ansatz brachte das Reichsgericht bereits in einer Entscheidung vom 28. Dezember 1883 zum Ausdruck. Dort heißt es: „Die richtigen Voraussetzungen für die freie Beweiswürdigung des Richters sind, daß die Aufnahme eines in zulässiger Weise beantragten Beweises über eine für erheblich erachtete Thatsache nicht unterbleiben und daß bei der Aufnahme dieses Beweises nicht gegen die Gesetze verstoßen sei“ (RG, Urt. v. 28.12.1883 – IV 367/83, JW 1884, 46 f.).

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Eine Missachtung jenes Grundsatzes stellte nach Stein gleichwohl einen Verstoß gegen §  286 ZPO dar. Hellwig wiederum war mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO („etwaigen“) der Ansicht, dass das Gesetz die Berücksichtigung von Beweisanträgen offenkundig nicht verlange.749 Aus diesem Grund könne aus dem Gesetz selbst der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht hergeleitet werden. Dieser gelte vielmehr nur wegen der in diesem Punkt gefestigten Rechtsprechung des Reichsgerichts.750 Hellwig hielt den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht damit für ein vom Gesetz losgelöstes Institut, das durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts eigens geschaffen wurde. In ähnlicher Weise abstrakt meinte Friedrichs, dass das Gericht einzig und allein die Erheblichkeit des Beweissatzes zu prüfen habe.751 „Wenn das der Fall ist, so muss das Gericht den Beweis erheben und kann die Erhebung nicht wegen Aussichtslosigkeit, voraussichtlicher Unglaubwürdigkeit der Zeugen oder anderer Bedenken aus der Art des Beweismittels ablehnen, denn das wäre Vorwegnahme der Beweiswürdigung, die erst nach Erhebung des Beweises zulässig ist; (…).“752

Auch Friedrichs’ Standpunkt resultierte allein aus der für überzeugend befundenen Rechtsprechung des Reichsgerichts. Um eine normative Deduktion der richterlichen Beweiserhebungspflicht bemühte er sich nicht. Dieser Vorwurf ist auch Nikisch zu machen.753 Er vertrat die Auffassung, dass die Beweisaufnahme „nur unterbleiben darf, wenn das Beweisthema nach der Auffassung des Gerichts für die Entscheidung unerheblich ist oder wenn das Beweisergebnis, wie es auch ausfallen möge, die Überzeugung des Gerichts nicht zu beeinflussen vermöchte; (…).“754 Nikisch orientierte sich dabei ebenfalls allein an den Fallgruppen, die das Reichsgericht für eine zulässige Beweisablehnung ausgebildet hat. Umgekehrt ging auch Nikisch davon aus, dass das Gericht im Grundsatz dazu verpflichtet sei, Beweisanträgen stattzugeben, freilich ohne dies normativ zu belegen. Vergleichbares war ferner bei Rosenberg anzutreffen, der sich seit der ersten Auflage seines Lehrbuchs zum Zivilprozessrecht aus dem Jahr 1927 ohne nähere Begründung zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht bekannte. So behauptete er schlicht, dass das Gericht „grundsätzlich jeden angebotenen Beweis aufnehmen (muß)“.755 Erst ab der vierten Auflage seines Lehrbuchs aus dem Jahr 1949 ergänzte Rosenberg, dass die Ablehnung oder Übergehung eines Hellwig, Zivilprozeßrecht, 1. Teil, S.  681. Hellwig, Zivilprozeßrecht, 1. Teil, S.  681. 751  Friedrichs, Streitverfahren, S.  353. 752  Friedrichs, Streitverfahren, S.  353. 753  Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  333. 754  Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  333. 755  Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., §  117 I. 1. 749  750 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Beweisantrags „das Gesetz (§  286)“ verletze und aus diesem Grund die Revision gerechtfertigt sei.756 Ebenfalls im Jahr 1949 stellte Strack die Behauptung auf, der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht folge unmittelbar aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO.757 Er war der Ansicht, dass §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO dem Richter ein umfassendes Berücksichtigungsgebot auferlege, das ihn zugleich verpflichte, jede ihm zur Verfügung stehende Erkenntnisquelle zu „erschöpfen“.758 Daraus schlussfolgerte Strack, dass das Gericht „alle Beweisantritte der Parteien in Erwägung ziehen muß, und daß es einen Beweisantritt nur dann übergehen darf, wenn es auf ihn für die zu treffende Entscheidung nicht ankommt.“759 Rosenberg und Strack waren damit in der Literatur die ersten, die den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht unmittelbar auf §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO zurückführten. Schönke dagegen war der Ansicht, dass die Pflicht des Gerichts, die angetretenen Beweise zu „erschöpfen“ und damit der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht insgesamt auf die Verhandlungsmaxime und die richterliche Wahrheitserforschungspflicht zurückzuführen sei.760 Eine nähere Begründung hierfür lieferte Schönke indes nicht. Aus diesem Grund blieb offen, ob Schönke jenen Grundsatz aus dem Zuschnitt des zivilprozessualen Beweisverfahrens selbst oder aus einer konkreten Vorschrift ableitete.761 Im Anschluss an Schönke bezogen sich auch Pohle762, Brüggemann763, Esser764 und später Schumann/Lei756  Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 4.  Aufl., §  117 I. 1. Ebenso: Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 5.  Aufl., §  117 I. 1.; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 6.  Aufl., §  115 I. 1.; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 7.  Aufl., §  115 I.1.; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 8.  Aufl., §  115 I. 1. 757  Strack, SJZ 1949, 830, 831. 758  Strack, SJZ 1949, 830, 831. 759  Strack, SJZ 1949, 830, 831. 760  Schönke, in: FS Rosenberg, 217. 761  Auch in seinem Lehrbuch zum Zivilprozessrecht findet man hierauf keine Antworten. Im Gegenteil: Dort heißt es von der ersten bis zu der siebten, noch von Schönke selbst bearbeiteten Auflage, dass die Beweisaufnahme generell in das „Ermessen des Gerichts“ gestellt sei, vgl. Schönke, Zivilprozessrecht, 1.  Aufl., S.  202; Schönke, Zivilprozessrecht, 2.  Aufl., S.  203; Schönke, Zivilprozessrecht, 3. und 4.  Aufl., S.  200; Schönke, Zivilprozessrecht, 6.  Aufl., S.  227; Schönke, Zivilprozessrecht, 7.  Aufl., S.  235. Dieser Standpunkt war sicherlich schon zur damaligen Zeit überholt, weshalb hierauf nicht weiter einzugehen ist. Nur am Rande sei erwähnt, dass Schönke, der auch noch in der siebten Auflage seines Lehrbuches aus dem Jahr 1951 behauptet, dass der Umfang der Beweisaufnahme im „Ermessen des Gerichts“ stünde, sich mit seinem Beitrag für Rosenberg zwei Jahre zuvor ganz offenkundig wiederspricht. In der darauffolgenden Auflage, die von Schröder und Niese bearbeitet wurde, ist immer noch die Rede vom „Ermessen des Gerichts“, Schönke/Schröder/Niese, Zivilprozessrecht, 8.  Aufl., S.  267. 762  Pohle, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 18.  Aufl., §  284 Anm. B. I. 763  Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  447. 764  Esser, Ausforschungsbeweis, S.  207 ff.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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pold765 zur Begründung der richterlichen Beweiserhebungspflicht auf die Verhandlungsmaxime und die richterliche Wahrheitserforschungspflicht. Während Brüggemann nicht weiter erläuterte, woraus er insbesondere die richterliche Wahrheitserforschungspflicht ableitete,766 folgerte Esser diese unmittelbar aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung.767 Da Esser den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus der richterlichen Wahrheitserforschungspflicht und diese wiederum aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) ableitete,768 bedeutete dies nichts anderes, als dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht für ihn mittelbar eine Folge des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung sei. Im Ergebnis entsprach dieser Erklärungsansatz weitgehend dem von Strack. Blomeyer769 und Grunsky770 waren wiederum der Ansicht, der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht folge allein aus der Verhandlungsmaxime. Blomeyer führte hierzu aus: „Im Verfahren nach der Verhandlungsmaxime (…) ist das Gericht verpflichtet, einen zulässigen von den Parteien angetretenen Beweis zu erheben.“771

Um die Ungereimtheiten über die normative Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht zu umgehen, verzichtete Schneider in seiner vielbeachteten Abhandlung zur Ablehnung von Beweisanträgen aus dem Jahr 1962 ganz darauf, die normative Grundlage jenes Grundsatzes zu erörtern.772 Vielmehr legte er dessen Geltung als unumstößliche Prämisse seiner Untersuchung zugrunde.773 Die richterliche Beweiserhebung stellte nach Schneider ein „Recht“ des Beweisführers dar; dieser habe einen „Anspruch“ auf Beweiserhebung.774 Aus einem späteren Beitrag von Schneider lässt sich folgern, dass er den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht wohl eher als ein von der Rechtsprechung des Reichsgerichts geschaffenes, vom Gesetz losgelöstes ParaSchumann/Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 19.  Aufl., §  284 Anm. B. I. Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  447 ff. 767  Esser, Ausforschungsbeweis, S.  207. 768  Esser, Ausforschungsbeweis, S.  209 und S.  216. 769  Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., S.  374: „Dagegen ist im Verfahren nach der Verhandlungsmaxime zur Beweisaufnahme grundsätzlich ein Beweisantritt erforderlich, andererseits hat das Gericht auch einen zulässigen, von den Parteien angetretenen Beweis zu erheben (…).“; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  395. 770  Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 1.  Aufl., S.  380; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  440. 771  Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  395. 772  Schneider, ZZP 75 (1962), 173 ff. 773  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 178: „Von einer Beweisablehnung kann sinnvoll nur dort gesprochen werden, wo grundsätzlich eine Beweiserhebungspflicht des Gerichts besteht.“ 774  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 177. 765  766 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

digma begriff, das die Freiheit des Gerichts, wie sie durch §  286 ZPO gewährt werde, einfangen solle.775 Gleichwohl war auch Schneider der Ansicht, dass ein Verstoß gegen jenen Grundsatz zugleich einen Verstoß gegen §  286 Abs.  1 ZPO darstelle. Dies wiederum legt aus heutiger Sicht den Schluss nahe, dass Schneider den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht – zumindest im weitesten Sinne – in §  286 Abs.  1 ZPO verankert sah.776 Vergleichbares findet sich ferner bei den Ausführungen Teplitzkys.777 Und schließlich ist an dieser Stelle die Dissertationsschrift von Söllner aus dem Jahr 1972 zu erwähnen, die sich eingehend mit der gesetzlichen Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht auseinandersetzte.778 Söllner glaubte, die Zivilprozessordnung enthalte insoweit eine planwidrige „(Gesetzes-)‌Lücke“.779 Denn obwohl der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht auch für das zivilprozessuale Beweisverfahren unstreitig gelte780, ist er dort nicht ausdrücklich geregelt.781 Diese „Lücke“ könne nach Ansicht Söllners gleichwohl durch eine extensive, über die Wortlautgrenze hinausgehende Auslegung des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO geschlossen werden. Wie schon Pohle, Brüggemann, Esser und Schumann/Leipold, leitete auch Söllner aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO eine Pflicht zur Berücksichtigung des Parteivortrags und der allgemeinen richterlichen Wahrheitserforschungspflicht ab.782 Dieses richterliche Pflichtenprogramm stelle die tatsächliche Grundlage für den Grundsatz der richterliSchneider, MDR 1969, 268: „Wo viel Freiheit ist, ist viel Irrtum. Deshalb darf die freie Beweiswürdigung nicht ausufern in Feststellungswillkür. Eine der wichtigsten Bindungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung dem Tatrichter auferlegt hat, ist das Verbot der Beweisantizipation. Danach ist es grundsätzlich unzulässig, den Wert eines Beweismittels (…) zu beurteilen, bevor der Beweis erhoben worden ist (…). Erhebliche Beweisangebote darf das Gericht nicht übergehen (…).“ Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Rn.  211: „Ist ein ordnungsmäßiger Beweisantrag zu beweisbedürftigen Behauptungen gestellt, dann muß ihm entsprochen werden. Das ist der Grundsatz.“ 776  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 189; Schneider, MDR 1969, 268, 268 f. In einem späteren Beitrag heißt es: „Aus der Leitregel des §  286 Abs.  1 ZPO zur freien richterlichen Beweiswürdigung wird die Verpflichtung des Gerichts hergeleitet, im Rahmen des von den Parteien beigebrachten Tatsachenstoffes die Wahrheit zu erforschen und angetretene Beweise zu erschöpfen. Die Ablehnung eines Beweisantrages ist nur zulässig, wenn sie aus verfahrensrechtlichen oder aus beweisrechtlichen Gründen gerechtfertigt ist, (…).“, Schneider, VersR 1977, 593, 598. 777  Teplitzky, JuS 1968, 71, 76; Teplitzky, DRiZ 1970, 280, 281. Gleiches gilt ferner für Schönke/Kuchinke, Zivilprozessrecht, 9.  Aufl., S.  274 f.; Esser, Ausforschungsbeweis, S.  209. 778  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  72 ff. 779  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  73. 780  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  73. In diesem Sinne schon Schmitt, DVBl 1964, 465, 466. 781  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  73. 782  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  80 f.; ders, MDR 1988, 363. 775 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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chen Beweiserhebungspflicht dar. Im Ergebnis wich Söllners Begründungsansatz somit nur unwesentlich von dem ab, den bereits vor ihm Rosenberg, Strack und Esser entwickelt hatten: Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht folge aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO. In der Folgezeit wurde kein weiteres Mal der Versuch unternommen, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht verfahrensrechtlich zu begründen. Obwohl Söllners Untersuchung heute nur selten Erwähnung findet, scheint sie doch insoweit einen gewissen Schlussstrich unter die Frage gezogen zu haben, ob jener Grundsatz in der Zivilprozessordnung eine Legitimationsgrundlage findet. b)  Die verfassungsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Bereits kurze Zeit nach Erlass des Grundgesetzes erhielt der Streit um die Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht eine ganz neue Dimension. Röhl warf im Jahr 1953 erstmals die Frage auf, ob die Ablehnung eines Beweisantrags generell einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art.  103 Abs.  1 GG begründe und im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könne.783 Das verneinte er.784 Art.  103 Abs.  1 GG verpflichte das Gericht lediglich dazu, einen Beweisantrag „zu berücksichtigen“, nicht aber ihn in irgendeine Richtung zu bescheiden. Aus diesem Grund sei auch eine Beweisablehnung eine zulässige Form der Berücksichtigung.785 Röhl ging sogar noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, dass selbst eine Nichtberücksichtigung infolge völligen Ignorierens grundsätzlich keinen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG begründe786: „Das rechtliche Gehör ist kein wechselseitiger Vorgang: es bedeutet das Recht des Rechtsuchenden, sich zu äußern, nicht aber die Pflicht des Richters, zu antworten.“787

Somit verpflichte der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht nicht dazu, Beweisanträgen grundsätzlich stattzugeben. Röhl, NJW  1953, 1531, 1534. Röhl, NJW  1953, 1531, 1534. 785  In diesem Sinne bereits Prager, AcP  133 (1932), 143, 164 f.: „Die Berücksichtigung der Beweisangebote besteht nicht etwa in der Beweiserhebung – diese ist mehr, ist positive Würdigung des Angebots, – sie besteht in der Entschließung über Erhebung oder Nichterhebung, (…).“ 786  Röhl, NJW  1953, 1531, 1534; ders., NJW  1958, 1268, 1274 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 25.05.1956 – 1 BvR 128/56, BVerfGE 5, 22, 24 f. 787  Röhl, NJW  1953, 1531, 1534. 783  784 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Baur bestätigte Röhls Ansatz im Kern, modifizierte ihn aber in gewisser Hinsicht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleiste die „Möglichkeit“ der gerichtlichen Einflussnahme.788 Ein valides Mittel, um von dieser verfassungsrechtlich abgesicherten Einflussmöglichkeit Gebrauch zu machen, sei unter anderem das Recht der Prozessbeteiligten, Beweisanträge stellen zu dürfen. Baur folgerte daraus allerdings nicht, dass das Gericht in Folge dessen verpflichtet sei, der beantragten Beweisführung grundsätzlich stattzugeben; jedenfalls nicht, soweit die jeweils einschlägige Verfahrensordnung dem Gericht nicht ohnehin eine solche Bescheidungspflicht auferlege.789 Unter Anschluss an Hegler790 folgerte etwas später Arndt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör eine richterliche Bescheidungspflicht hinsichtlich aller Beweisanträge.791 Die richterliche Beweisbescheidungspflicht ist aber nicht mit einer richterlichen Beweiserhebungspflicht gleichzusetzen.792 Auch eine verfahrenswidrige Beweisablehnung stellte für Arndt keinen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG dar. Lehnte beispielsweise ein Gericht einen Beweis ab, weil es sich „über dessen Erheblichkeit geirrt, ihn versehentlich überging, oder unzulässig vorweggewürdigt“ hat, stellte das nach Arndt einen bloßen Verfahrensverstoß dar.793 Art.  103 Abs.  1 GG sei erst dann verletzt, wenn das Gericht die Parteien nicht mehr als „Subjekt des gerichtlichen Verfahrens“ betrachte.794 Schließlich sei Baur, AcP  153 (1954), 393, 403 und 410. Baur, AcP  153 (1954), 393, 409 f. Aus diesem Grund hält Baur den Ansatz von Hegler, Strafprozeßerneuerung, S.  40, wonach der Richter jeden Antrag zu bescheiden habe, für zu weitgehend. Baur versteht den Anspruch auf rechtliches Gehör wesentlich allgemeiner. So spricht Baur von einer „Unrechtabwehrtendenz“ des rechtlichen Gehörs, Baur, AcP  153 (1954), 393, 402. 790  Hegler, Strafprozeßerneuerung, S.  40. 791  Arndt, NJW  1959, 6 Fn.  6. Insoweit ist die Bezugnahme auf Röhl an dieser Stelle irreführend. Arndt geht von einem etwas weitergehenden Gewährleistungsgehalt des Art.  103 Abs.  1 GG aus. 792  So aber Schultz, MDR 1959, 174, 175. Die an Arndt geübte Kritik ist indes unberechtigt, soweit Schultz, a. a. O. unterstellt, Arndt sehe den Anspruch auf rechtliches Gehör bereits dann verletzt, wenn die Beweisablehnung verfahrensfehlerhaft ergangen ist. Anders als Schultz, MDR 1959, 174, 175 Fn.  15 meint, nimmt Arndt keinen grundsätzlichen Anstoß an der Entscheidung des BVerfG vom 14. Oktober 1958 (BVerfG, Beschl. v. 14.10.1958 – 1 BvR 486/58, nicht veröffentlicht, in Auszügen abgedrückt bei Arndt, NJW  1959, 6 Fn.  6). Er kritisiert lediglich die dortigen Ausführungen zu Art.  103 Abs.  1 GG. In diese Richtung unrichtigerweise auch: BGH, Urt. v. 06.12.1965 – VII ZR 149/63, ZZP 79 (1966), 451; Habscheid, ZZP 79 (1966), 451, 454; Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  75 Fn.  3. Dass sich Söllner mit Arndts Ansatz sichtlich schwertut, gibt er selbst zu erkennen, Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  76 Fn.  1. 793  Arndt, NJW  1959, 1297, 1298. 794  Arndt, NJW  1959, 1297, 1298. 788  789 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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„verfassungsrechtlich (…) maßgebend, nicht wie das Gericht den Antrag – ob verfahrensrechtlich richtig oder fehlerhaft – erledigte, sondern wie es den Beteiligten behandelte, d. h. es sein Einflußrecht achtete.“795

Ganz in diesem Sinne behauptete daraufhin Jagusch: „Es geht auch nicht an, in unrichtiger Ablehnung von Beweisanträgen (…) eine Verletzung des Art.  103 Abs.  1 GG zu sehen, sofern das Gericht dem Beteiligten das Recht, Beweisanträge zu stellen, nicht überhaupt abgesprochen hat. (…) Derartige bloße Verfahrensverstöße hat das Revisionsgericht zu bereinigen. Die sind nicht Sache der Verfassungsgerichtsbarkeit. Andernfalls würde der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zur umfassenden Generalklausel für unzählige Verfahrensfragen und das BVerfG zum Super-Revisionsgericht, was es bisher in unserer Frage mit Erfolg und Gewinn vermieden hat.“796

Im Ergebnis wichen die unterschiedlichen Ansätze nur unwesentlich voneinander ab. Ungeachtet der Frage, wo man die Grenze der Gehörsverletzung zog, bestand darüber Einigkeit, dass Art.  103 Abs.  1 GG zwar einen Anspruch auf effektive Teilhabe am Verfahrensgang, nicht aber ein unmittelbares Recht auf Beweisführung gewähre. Ihnen allen lag es fern, das Bundesverfassungsgericht in Kernfragen des Verfahrensrechts zur Superrevisionsinstanz werden zu lassen, weshalb sie sich einhellig gegen eine grundsätzliche Beweiserhebungspflicht als Gewährleistung des Art.  103 Abs.  1 GG aussprachen.797 Die Zivilprozessrechtswissenschaft nahm von der Diskussion um die verfassungsrechtliche Dimension der richterlichen Beweiserhebungspflicht und das Recht auf Beweisführung zunächst keine Notiz. Pohle behauptete noch in der 15. Auflage des Kommentars Stein/Jonas schlicht: „Das Recht auf rechtliches Gehör schließt kein Recht auf bestimmte Beweiserhebungen ein. Derartige Rechte können gegebenenfalls nur aus anderen zivilprozessualen Grundsätzen abgeleitet werden.“798 Schultz hielt es für „zu weit“ gehend, eine rechtwidrige Beweisablehnung bereits als eine Verletzung des rechtlichen Gehörs anzusehen: „Insoweit handelt es sich um eine rein verfahrensrechtliche Frage. Rechtliches Gehör finden, heißt nicht, auch eine rechtlich richtige Entscheidung zu erhalten.“799 Arndt, NJW  1959, 1297, 1298. Jagusch, NJW  1959, 265, 267, der sich auf BayVerfGH, Beschl. v. 28.11.1958 – Vf 100 VI/57, NJW  1959, 285 ff. und Röhls Anmerkung (NJW  1959, 285) bezieht. 797  Baur, AcP  153 (1954), 393, 400 f.; Röhl, NJW  1959, 285, 286; Arndt, NJW  1959, 1297; Jagusch, NJW  1959, 265, 267. In diese Richtung ebenso: Schultz, MDR 1959, 174, 175. Die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht durch eine ausufernde Auslegung des Art.  103 Abs.  1 GG zu einer Superrevisionsinstanz werden könnte, erkennt auch Habscheid, ZZP 79 (1966), 451, 454. Gleichwohl sieht er sich nicht gehindert, knapp zwanzig Jahre später zum Vorreiter der Lehre vom „Recht auf Beweis“ zu werden, womit er gerade den Zustand heraufbeschwört, den er an dieser Stelle noch zu verhindern versuchte. 798  Pohle, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 15.  Aufl., vor §  128 IX 2 c. 799  Schultz, MDR 1959, 174, 175. 795  796 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Erst Habscheid machte in einer Urteilsanmerkung aus dem Jahr 1966 die verfassungsrechtliche Überlegung für den Zivilprozess fruchtbar. In der zugrundeliegenden Entscheidung hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Übergehung eines Beweisantrags durch das Schiedsgericht die Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Versagung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß §  1041 Abs.  1 Nr.  1 ZPO a. F. (§  1042 Abs.  1 S.  2 ZPO i. V. m. §  1059 Abs.  2 Nr.  2 lit.  b ZPO) rechtfertige. Dies verneinte der Bundesgerichtshof unter Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung: „Wie der Senat bereits im Urteil VII ZR 222/61 vom 20. Mai 1963 (WM 1963, 944)800 ausgeführt hat, ist das Übergehen eines Beweisantrages (…) kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.“801 Habscheid teilte diese Ansicht im Grundsatz, da andernfalls „eine lawinenartige Zunahme der Verfassungsbeschwerden“ zu befürchten sei.802 Er hielt einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG lediglich im Falle einer „absoluten Nichtberücksichtigung eines Beweisantrages“ für möglich,803 womit er sich letztlich dem von Arndt und Jagusch vertretenen Standpunkt anschloss. Folgerichtig hielt Habscheid den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht schon dann verletzt, wenn eine Beweisablehnung auf einer unzutreffenden Rechtsanwendung beruhte:804 „Das Prinzip des rechtlichen Gehörs ist hier nicht verletzt – ebenso wenig, wie bei einem falschen Urteil.“805 Im Ergebnis lehnte Habscheid daher die normative Deduktion des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus Art.  103 Abs.  1 GG ab. Dem stimmte Söllner in seiner bereits erwähnten Dissertationsschrift zu, wobei er die verfassungsrechtliche Legitimation jenes Grundsatzes viel grundlegen800  BGH, Urt. v. 20.05.1963 – VII ZR 222/61, WM 1963, 944: „Dabei übersieht sie (die Revision), daß die Nichtbeachtung des dahingehenden Beweiserbietens höchstens zu einer sachlich unrichtigen Entscheidung geführt haben könnte, aber keinesfalls als eine Versagung des rechtlichen Gehörs anzusehen wäre.“ 801  BGH, Urt. v. 06.12.1965 – VII ZR 149/63, ZZP 79 (1966), 451. 802  Habscheid, ZZP 79 (1966), 451, 454. 803  Habscheid, ZZP 79 (1966), 451, 455. Habscheids Ausführungen sind an dieser Stelle allerdings mit besonderer Vorsicht zu genießen. So ist es geradezu irreführend, wenn er zunächst unter Bezugnahme auf Rosenberg (Rosenberg, Zivilprozessrecht, 9.  Aufl., S.  560) und Blomeyer (Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., S.  333; zutreffend wäre wohl der Verweis auf S.  374 gewesen ausführt) ganz allgemein behauptet, dass das Gericht verpflichtet sei, erhebliche Beweisanträge zu erheben. Rosenberg a. a. O. und Blomeyer a. a. O. gehen zwar von einer richterlichen Beweiserhebungspflicht aus, begründen diese aber rein verfahrens- und nicht verfassungsrechtlich. Habscheid erweckt den unzutreffenden Eindruck, Rosenberg a. a. O. und Blomeyer a. a. O. führten den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht auf den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) zurück. Richtig ist aber, dass er in deren Ausführungen noch nicht einmal Erwähnung findet. 804  Habscheid, ZZP 79 (1966), 451, 455. 805  Habscheid, ZZP 79 (1966), 451, 455.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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der untersuchte.806 Er kam zum Schluss, dass weder Art.  103 Abs.  1 GG selbst, noch der darin verankerte Justizgewährleistungsanspruch oder das Rechtsstaatsprinzip das Gericht zur Beweiserhebung verpflichte.807 Unter Bezugnahme auf die mit der Entscheidung vom 8. November 1978808 eingeläutete Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts,809 vertrat Kopp für das Verwaltungsgerichtsverfahren die Ansicht, dass eine verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung nicht nur einen Verfahrensverstoß, sondern zugleich auch einen Verfassungsverstoß darstelle:810 „Die Grundsätze über die Ablehnung von Beweisanträgen betreffen den Kernbereich des Grundrechts auf Gehör und erfordern deshalb auch im Verwaltungsprozeß die strikte Überprüfung und Einhaltung.“811 Auch Waldner ging kurze Zeit später davon aus, dass durch eine verfahrenswidrige Beweisablehnung der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei.812 Heute wird wie ganz selbstverständlich (auch) aus Art.  103 Abs.  1 GG der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht abgeleitet.813 Teilweise geschieht dies allerdings unter ergänzender Bezugnahme auf das sog. „Recht auf Beweis“, das den Parteien nach Maßgabe des Art.  103 Abs.  1 GG (angeblich) zuteilwerde.814 c) Ergebnis Die bisherigen Ansätze, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht normativ zu begründen, erweisen sich allesamt als höchst oberflächlich. Grund hierfür ist, dass eine unabdingbare Auseinandersetzung mit der Struktur des zivilprozessualen Beweisverfahrens generell nicht stattfindet. In verfahrensrechtli-

Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  74–78. So schon Teplitzky, DRiZ 1970, 280, 281 Fn.  32, der seinen Standpunkt aber nicht näher begründet. Der Verweis auf „Arndt, NJW  1965, 1297“ in Fn.  32 muss richtigerweise „Arndt, NJW  1959, 1297“ heißen. 807  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  77 f. 808  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32 ff. 809  Teil 1, B.II.4.a). 810  Kopp, AöR 106 (1981), 604, 617 ff.; ders., NJW  1988, 1708, 1708 f. Kopp ist der Ansicht, dass man dem durch Art.  103 Abs.  1 GG gewährleisteten Beweisantragsrecht „nicht gerecht“ werden würde, wenn das Gericht nicht zugleich verpflichtet wäre, „eine beantragte Beweiserhebung ernsthaft in Betracht zu ziehen.“ 811  Kopp, NJW  1988, 1708, 1708 f. 812  Waldner; Anspruch auf rechtliches Gehör, 1.  Aufl., Rn.  75, 77 f.; ders., Anspruch auf rechtliches Gehör, 2.  Aufl., Rn.  69. 813  Störmer, JuS 1994, 238, 241; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., vor §  284 Rn.  8; Zuck, NJW  2005, 3753, 3755. 814  Dazu sogleich Teil 1, B.III.3. 806 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

cher Hinsicht geht wohl die überwiegende Meinung davon aus, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO folge. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ging man zunächst davon aus, dass insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör eine grundsätzliche richterliche Beweiserhebungspflicht nicht gewährleiste. Dies änderte sich mit einer Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts, der zufolge die aus Art.  103 Abs.  1 GG abzuleitende Berücksichtigungspflicht eine grundsätzliche richterliche Beweiserhebungspflicht zur Folge habe. Diesen Standpunkt machte sich die Literatur zu eigen, ohne ihn näher zu hinterfragen. So hat sich seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert die Überzeugung durchgesetzt, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht auch aus Art.  103 Abs.  1 GG abgeleitet werden könne. Heute geht man gemeinhin davon aus, dass eine unzulässige Beweisablehnung sowohl einen Verfahrens- als auch einen Verfassungsverstoß darstellt.815 Schlewing816, Altenberg/Leister817 und ihnen folgend Holzinger818 sprechen gar von der „Beweisberücksichtigungspflicht des Gerichts gem. §  286 ZPO i. V. m. Art.  103 I GG“, was nicht nur zu einer Gleichstellung, sondern darüber hinaus zu einer inhaltlichen Verschränkung von Verfahrens- und Verfassungsrecht führt. 3.  Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ Einen ganz neuen Ansatz entwickelte Walter in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1979. Für die Frage, in welchem Umfang das Gericht zur Sachaufklärung verpflichtet sei und demzufolge Beweisanträgen stattgeben müsse, kann nach Walters Ansicht nicht auf §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO und den darin enthaltenen Grundsatz der freien Beweiswürdigung zurückgegriffen werden.819 Grund hierfür sei die Tatsache, dass sich die Beweiswürdigung der Beweiserhebung „zeitlich und logisch“ anschließe. Ein Rückschluss von ersterer auf letztere verbiete

815  Vgl. nur: Werner, NJW  1988, 993, 998. Nach Werner gebieten „§  286 ZPO und Art.  103 GG“ dem Gericht, Beweisanträge über erhebliche und beweisbedürftige Tatsachenbehauptungen zu erheben. Diese Formulierung greift das Bundesarbeitsgerichts auf, vgl. BAG, Urt. v. 27.03.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193, 1195; Störmer, JuS 1994, 238, 240; Schneider, MDR 1998, 997, 998 f.; Fellner, MDR 2008, 602, 603; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284 Rn.  14; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  54 f.; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8. 816  Schlewing, NZA 2004, 1071, 1072. 817  Altenberg/Leister, NJW  2006, 469, 470. 818  Holzinger, Beweisverwertungsverbote bei mitbestimmungswidrig erlangten Beweisen, S.  21. 819  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  295.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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sich daher.820 Für ihn scheidet deshalb §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO als normative Grundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus. Diese Feststellung hat Walter seinem Erkenntnisziel freilich noch nicht nähergebracht. Ohne eine alternative Legitimationsgrundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht im Verfahrensrecht zu suchen, kehrte er diesem ganz den Rücken und versuchte, ein neues Lösungskonzept unter unmittelbarem Rückgriff auf die Verfassung zu entwickeln. Diese Unternehmung mündete in die Lehre vom „Recht auf Beweis“821 (auch: „Recht auf Beweisführung“822): Walter folgerte aus dem Justizgewährungsanspruch ein „Recht auf Beweis“823, wobei er den Justizgewährungsanspruch im Anschluss an Bettermann824 und Dütz825 im Rechtsstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  3 GG) angesiedelt sah.826 Das Recht auf Beweis sei das notwendige Korrelat zum Verbot der Selbsthilfe und dem damit verbundenen und vom Staat für sich in Anspruch genommenen Gewaltmonopol.827 Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ hatte nach Walters Vorstellung eine grundsätzliche richterliche Beweiserhebungspflicht zur Folge: Den Parteien stehe aufgrund des Verbots der Selbsthilfe gegenüber dem Staat und dessen Gerichte ein verfassungsrechtlich unterlegter Anspruch auf Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachenbehauptungen und Erhebung der dafür angebotenen Beweise zu. 820  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  295 und 305: „(…) nicht die freie Beweiswürdigung (ist) der Ansatzpunkt und die Garantie für die Benutzung möglichst aller in Frage kommender Beweismittel (…), sondern der Justizanspruch und vor allem dessen wesentlicher Kern, das Recht auf Beweis; (…). Ferner Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  286: „Ob etwas Gegenstand der Würdigung sein kann, ist nicht mit dem Hinweis auf die Freiheit der Beweiswürdigung zu klären.“ Zustimmend: Habscheid, SJZ 1984, 381, 383; Kofmel, Recht auf Beweis, S.  98. 821  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  298 ff. 822  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  296. 823  In der Formulierung ist Walter nicht konsequent. Zum Teil ist auch die Rede vom „Recht zum Beweis“, vgl. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  311, 314. 824  Bettermann, in: Grundrechte, Bd.  3/2, S.  523, 559. 825  Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S.  95 ff. 826  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  314. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Justizgewährungsanspruchs ist umstritten, vgl. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  297 f., sowie außerdem: Habscheid, ZZP 67 (1954), 188, 196 f.; Bötticher, ZZP 74 (1961), 314, 317; Schwab, ZZP 81 (1968), 412, 417 f.; Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S.  31 ff.; Mauder, Anspruch auf rechtliches Gehör, S.  16 ff.; Henckel, ZZP 101 (1988), 481, 483. 827  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  301 f. Entscheidend ist folgende Überlegung Walters: „Die Rechtsschutzgarantie erweist sich als taube Nuß, wenn die Untermauerung des Rechtsschutzbegehrens durch Tatsachen nicht oder nur beschränkt zulässig ist. Aus diesem Grunde folgern wir aus dem Justizanspruch ein ‚Recht auf Beweisʻ. Dieses Recht auf Beweis ist in der Tat auch zwingend, will man die Rechtsschutzgarantie effektiv zum Tragen bringen – und die Notwendigkeit einer Effektivität des Rechtsschutzes wird ja gerade vom BVerfG immer wieder betont.“

166

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Dem Beweisführungsanspruch entspreche die grundsätzliche Pflicht des Richters, die angetretenen Beweise zu erheben. Das Recht auf Beweis dürfe, so Walter weiter, aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Qualität nur im Falle der Beeinträchtigung „essentieller Grundwerte“ eingeschränkt werden.828 Kurze Zeit später griff Habscheid in seiner gleichnamigen Untersuchung die Lehre vom „Recht auf Beweis“, wie sie Walter begründet hat,829 auf.830 Auch Habscheid folgerte aus dem Justiz(gewährungs-)‌anspruch831 als notwendigen Ausgleich für das Verbot zur Selbsthilfe ein „Recht auf Beweis“:832 „Der Rechtsschutz ist daher nur dann vollkommen, wenn die Möglichkeit, subjektive Privatrechte mit Hilfe staatlicher Organe durchzusetzen, ergänzt wird durch das durchsetzbare Recht, vom Staat die Gewährung dieser Möglichkeit zu verlangen. (…) Wem man ein Recht auf Feststellung von Tatsachen zuerkennt, dem muß man daher auch das Recht gewähren, diese Tatsachen zu beweisen. Zum Inhalt des Justizanspruchs gehört folglich auch ein Recht auf Beweis.“833

Im Unterschied zu Walter ging Habscheid lediglich davon aus, dass der Justizgewährleistungsanspruch nicht aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  3 GG), sondern aus Art.  103 Abs.  1 GG selbst abzuleiten sei.834 Ansonsten schloss sich Habscheid der von Walter begründeten Lehre unverändert an.835 Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  310 f., 314 f. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  301 f., 314. 830  Habscheid, ZZP 96 (1983), 306 ff. = ders., in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S.  25 ff. 831  Habscheid spricht auch von dem „Anspruch auf Justizgewährung“, Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 308. 832  Habscheid, ZZP 96 (1983), 306. 833  Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307 f. 834  Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307. Zu dem Streit über die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Rechts auf Beweis, vgl. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  49 ff. 835  Warum die jüngere Prozessrechtswissenschaft die Lehre vom „Recht auf Beweis“ ausnahmslos Habscheid und nicht Walter zuschreibt, ist vor diesem Hintergrund völlig unverständlich. Vgl. etwa: Hertel; Urkundenprozeß, S.  32; Baumgärtel, in: FS Matscher, S.  29, 33; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., S.  654; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  37; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  18; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8. Bemerkenswert ist außerdem, dass Vollkommer, in: GS Bruns, S.  195, 197 ff. sich im Jahr 1980 ausführlich mit dem Justizanspruch und dem Anspruch auf rechtliches Gehör auseinandersetzt, ohne die von Walter begründete Lehre vom „Recht auf Beweis“ zu erwähnen. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass erst mit Habscheids Beitrag in ZZP 96 (1983), 306 ff. jene Lehre allgemeine Aufmerksamkeit erfahren hat. Unrichtig ist es im Übrigen, wenn Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 308 Fn.  15 sich zum Nachweis der Lehre vom „Recht auf Beweis“ auf „Schwab, ZZP 81 (1968), 412, 417“ bezieht. Schwab, a. a. O., bleibt, wie es Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  299 zutreffend feststellt, an dieser Stelle „unbe828  829 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

167

Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ erfreute sich in der Folgezeit großer Beliebtheit.836 Sie wurde immer dann bemüht, wenn zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass der Richter zur Beweiserhebung verpflichtet sei. Letzte Ungereimtheiten bestehen aus heutiger Sicht nur noch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Grundlage jener Lehre. Überwiegend wird hier Art.  103 Abs.  1 GG in Ansatz gebracht.837 Klamaris dagegen stützte das „Recht auf Beweis“ noch im Anschluss an Walter und der ursprünglichen Sicht Habscheids auf den Justizgewährungsanspruch.838 Einen etwas pauschaleren Ansatz vertritt wiederum Prütting, wenn er sich in diesem Zusammenhang, neben dem Justizgewährungsanspruch, auch auf das Prinzip der prozessualen Waffengleichheit und Art.  103 Abs.  1 GG bezieht.839 Gottwald  840 und Leipold  841 legen sich dagegen nicht fest, woraus sie das Recht auf Beweis ableiten, sondern unterstellen schlicht dessen Geltung. Jüngst hat sich Diakonis mit der Lehre vom „Recht auf Beweis“ grundlegend auseinandergesetzt.842 Er will dessen verfassungsrechtliche Exklusivität nicht akzeptieren. Seiner Ansicht nach lässt sich das Recht auf Beweis nicht nur aus

stimmt“. Er führt lediglich unter Bezugnahme auf den Justizanspruch aus, dass die Parteien ein Recht auf generelle „Durchführung der Beweiserhebungen“ haben. Schwab, a. a. O., behauptet weder, dass es einen subjektiven Beweiserhebungsanspruch, noch eine richterliche Beweiserhebungspflicht gebe. Gleiches gilt für den teilweise anzutreffenden Verweis auf Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S.  115 ff. und Schwab/Gottwald, in: Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung, S.  55 ff.; vgl. Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  18 Fn.  11; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4 Fn.  2, 3. Auch sie haben sich zwar mit dem Gewährleistungsgehalt des Justizgewährleistungsanspruchs und Art.  103 Abs.  1 GG auseinandergesetzt. 836  Vgl. nur: Klamaris, in: FS Schwab, S.  269, 274; Hertel, Urkundenprozeß, S.  35 f.; Dauster/Braun; NJW  2000, 313, 317 f.; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4. 837  Auch bei Habscheid heißt es später, dass das „Recht auf Beweis“ ein Teil des rechtlichen Gehörs darstelle, Habscheid, SJZ 1984, 381, 385 f.; ders., in: Kleinere Schriften, S.  527, 537; Hertel, Urkundenprozeß, S.  35 f.; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Dauster/Braun, NJW  2000, 313, 317 f. 838  Klamaris, in: FS Schwab, S.  269, 274 f.; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41: Aus dem Recht der Parteien auf Beweis und ihrem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art.  103 I GG) folgt jedoch die Pflicht des Gerichts, die angebotenen entscheidungserheblichen Beweismittel auch auszuschöpfen.“ Ebenso: ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  37; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., vor §  284 Rn.  8. 839  Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  18, 91. 840  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  116 Rn.  1. 841  Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  53. 842  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45 ff.

168

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

dem Justizgewährleistungsanspruch ableiten.843 Daneben böten auch die „Wahrheitsfindung als Zweck des Zivilprozesses“844 und auch die EMRK845 dem „Recht auf Beweis“ ein „sicheres Fundament“. Dementsprechend folge für Diakonis das Recht auf Beweis gleichermaßen aus dem Verfahrens- und dem Verfassungsrecht, wie auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Abgesehen von Diakonis besteht jedoch Einigkeit darüber, dass es sich bei dem Recht auf Beweis um ein rein verfassungsrechtliches, nicht aber um ein verfahrensrechtliches oder gar konventionsrechtliches Institut handelt. Auf Letzteres wird sogleich zurückzukommen sein.846 Es ist anzunehmen, dass sich die Lehre vom „Recht auf Beweis“ ganz unabhängig von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgebildet hat. Walters847 und Habscheids848 haben die Lehre vom „Recht auf Beweis“ vor der Rechtssprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie mit der Entscheidung vom 8. November 1978849 eingeläutet worden ist, begründet. Überdies leiteten Walter und Habscheid die Lehre vom „Recht auf Beweis“ aus dem Justizgewährleistungsanspruch und nicht unmittelbar aus Art.  103 Abs.  1 GG ab. Die Assimilierung der Lehre vom „Recht auf Beweis“ und den veränderten Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts über die verfassungsrechtliche Pflicht des Richters, Beweise zu erheben, setzte erst später ein. 4.  Ergebnis Der Literatur des 19. Jahrhunderts ist nicht entgangen, dass dem zivilprozessualen Beweisverfahren der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrunde liegt. Diesen leitete sie richtigerweise aus §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) ab. Die vereinzelt dagegen erhobene Kritik konnte sich zunächst mit Blick auf den eindeutigen Gesetzgeberwillen nicht durchsetzen. Dies änderte sich

Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  68 ff. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  58 ff., 63. Die Gedankenführung Diakonis’ ist auch wenig nachvollziehbar bis lückenhaft, was anhand dem Folgenden veranschaulicht werden soll, Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen., S.  60: „Die Frage, die sich in diesem Punkt stellt, ist zweifellos von großer Bedeutung und lautet: in wie weit gewährleistet das heutige Zivilprozessrecht das Recht auf Beweis? Dieses Recht ist natürlich nicht uneingeschränkt.“ Eine Antwort auf die aufgeworfene Frage bekommt man nicht, auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt. 845  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  47, 73. 846  Teil 1, B.V.3. 847  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  295 ff. 848  Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307 f. 849  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35 f. 843  844 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

169

schlagartig, als das Reichsgericht damit begonnen hat, die richterliche Beweis­ ableh­nungsbefugnis massiv einzuschränken.850 In der Folgezeit setzte sich auch in der Literatur die Überzeugung durch, dass eine Beweisablehnung immer nur dann zulässig war, wenn das Gericht von vornherein mit letzter Sicherheit ausschließen konnte, dass die beantragte Beweisführung Einfluss auf die richterliche Überzeugungsbildung haben kann und wird. Mit anderen Worten: Stand das Ergebnis der Beweiswürdigung von vornherein nicht fest, so musste eine Beweisaufnahme und eine sich daran anschließende Beweiswürdigung stattfinden. Andernfalls nahm das Gericht durch seine Beweisablehnung das eigentliche, bis dahin noch ungewisse Ergebnis vorweg – es verstieß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Vor diesem Hintergrund ging die Literatur einhellig davon aus, dass das Gericht im Grundsatz verpflichtet sei, einer beantragten Beweisführung stattzugeben. Was die normative Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht betrifft, so herrschte hierüber zunächst Uneinigkeit. Da das Reichsgericht jenen Grundsatz überwiegend negativ definierte,851 sah sich die Literatur offenbar zunächst nicht veranlasst, dessen eigentlichen Ursprung ans Licht zu bringen. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts ist ein immer stärker werdendes Interesse zu erkennen, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht normativ zu begründen. Ganz überwiegend wird bis heute hierbei auf §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO zurückgegriffen – ohne freilich zu erkennen, dass diesem das exakte Gegenteil, der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrunde liegt („etwaigen Beweisaufnahme“). Daneben hat sich aufgrund der dahingehenden Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts im ausgehenden 20. Jahrhundert die Auffassung durchgesetzt, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht darüber hinaus durch Art.  103 Abs.  1 GG gewährleistet werde. Unabhängig von dieser Entwicklung haben Walter und Habscheid die Lehre vom „Recht auf Beweis“ begründet, nach Maßgabe derer den Parteien aufgrund ihres eingeschränkten Selbsthilferechts und dem staatlichen Gewaltmonopol ein Beweisführungsrecht zustünde, das seinerseits das Gericht grundsätzlich verpflichte, der beantragten Beweisführung stattzugeben.

IV. Zusammenfassung Der Gesetzgeber hat der Zivilprozessordnung ein inkohärentes Beweisverfahrensmodell zugrunde gelegt. Auf der Ebene der Beweiserhebung sollte sowohl der Grundsatz der freien Beweisablehnung (vermittelt durch §  259 Abs.  1 S.  1 850  851 

Teil 1, B.II.1.a). Teil 1, B.II.1.c).

170

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

ZPO a. F.; §  286 Abs.  1 S.  1) als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht (vermittelt durch die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip) gelten.852 Kurz nach dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung schränkte das Reichsgericht den Grundsatz der freien Beweisablehnungsbefugnis erheblich ein. Fortan sollte eine Beweisablehnung nur noch dann zulässig sein, wenn von vornherein mit letzter Sicherheit ausgeschlossen war, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung Einfluss haben kann und wird. War das Ergebnis der Beweisaufnahme und der daran anschließenden Beweiswürdigung ungewiss, durfte die Beweiserhebung nicht abgelehnt werden. Dem Grundsatz der freien Beweisablehnung stellte das Reichsgericht das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung entgegen. Die konsequente Anwendung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung führte in der Praxis bald dazu, dass man den Richter im Grundsatz für verpflichtet hielt, die beantragten Beweise zu erheben. Hierin liegt die Geburtsstunde des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht für den deutschen Zivilprozess. Die Beweisablehnungsbefugnis des §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1) erlaubte nach Maßgabe der Rechtsprechung des Reichsgerichts keine Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Dass das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung der Pflicht zur Beweiserhebung vorausging, ist der Tatsache geschuldet, dass es sich bei §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1) um eine richterliche Befugnisnorm und keine Gebotsnorm handelt.853 Unter Außerachtlassung dieser dogmatischen Besonderheiten leitet der Bundesgerichtshof heutzutage den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht unmittelbar aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO ab. Diese falsche Lesart des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO war zuvor schon stellenweise in Entscheidungen des Reichsgerichts anzutreffen. Die strukturelle Bedeutung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung verlor damit an Bedeutung. Sie lässt sich damit begründen, dass zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten ist, dass es sich bei §  286 Abs.  1 ZPO – wie eben schon erwähnt – nach Verstellung des Gesetzgebers gerade nicht um eine richterliche Gebots-, sondern um eine richterliche Befugnisnorm handelt.854 Das Bundesverfassungsgericht folgert den Grundsatz der richterlichen Be­ weis­erhebungspflicht, entgegen seinem ursprünglichen Standpunkt, nunmehr unmittelbar aus Art.  103 Abs.  1 GG. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung spielte hierfür keine bedeutsame Rolle – was wenig überrascht. 852 

Teil 1, B.I. Teil 1, B.II.1. 854  Teil 1, B.II.3. 853 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

171

Schließlich konnte das Bundesverfassungsgericht jenen Grundsatz aus einer richterlichen Gebots- und nicht aus einer Befugnisnorm herleiten.855 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht durch Art.  6 Abs.  1 und Abs.  3 lit.  d EMRK konventionsrechtlich verbürgt. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung kann sich als konventionskonform darstellen, wenn die nationale Verfahrensordnung und der nationale Verfahrensgang sich als insgesamt fair erweisen.856 Die Straßburger Richter sind im Hinblick auf die konventionsrechtliche Überprüfung des einfachen Verfahrensrechts somit wesentlich zurückhaltender als es das Bundesverfassungsgericht ist. Der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist nicht entgangen, dass in §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) nach Vorstellung des Gesetzgebers der Grundsatz der freien Beweisablehnung verankert ist. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist sie dann aber bald einhellig dazu übergegangen, den Richter im Grundsatz für verpflichtet zu halten, einen beantragten Beweis zu erheben. Die Frage, wie diese Pflicht mit der im Gesetz verankerten Beweisablehnungsbefugnis dogmatisch in Einklang zu bringen ist, wurde in diesem Zusammenhang von niemandem aufgeworfen. Erst in späterer Zeit, als das Reichsgericht und vor allen Dingen der Bundesgerichtshof nur noch von der richterlichen Pflicht zur Beweiserhebung sprachen, kam die Frage auf, wie sich diese mit dem Gesetz sauber begründen lasse. Die entwickelten Lösungsansätze reichten von einem rein richterrechtlichen Institut über die Verhandlungsmaxime bis hin zu §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO, wobei Letzteres ganz überwiegend vertreten wurde. In späterer Zeit ist man im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu übergegangen, den Grundsatz der richterlichen Be­ weis­erhebungspflicht nicht nur verfahrensrechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich zu begründen. Daneben bildete sich mit Walter und Habscheid die Lehre vom „Recht auf Beweis“ aus, die ebenfalls das Ziel verfolgte, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht auf einen gesicherten, namentlich verfassungsrechtlichen, Rechtsboden zu stellen. Lediglich eine vereinzelt gebliebene Stimme meint darüber hinaus, das Recht auf Beweis finde auch in Art.  6 EMRK eine Stütze.857 Die Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien hat gezeigt, dass der Gesetzgeber im Rahmen des zivilprozessualen Beweisverfahrens vom Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung vermittelt durch die Verhandlungsmaxime ausging. Vor dem Hintergrund der aus der rechtshistorischen Untersu855 

Teil 1, B.II.4. Teil 1, B.II.5. 857  Teil 1, B.III. 856 

172

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

chung gewonnenen Erkenntnisse858 und der Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte des zivilprozessualen Beweisverfahrens kam die vorliegende Untersuchung zu dem Ergebnis, dass auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers für das zivilprozessuale Beweisverfahren in erster Linie der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gelten sollte.859 Auch dem zivilprozessualen Beweisverfahren sollte, mit Ausnahme der Beweiswürdigung, die Verhandlungsmaxime und somit das dahinterstehende Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zugrunde liegen. Obwohl der Gesetzgeber auf entsprechende Beschlussfassung des Vierten Deutschen Juristentages hin die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip auch dem zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung zugrunde gelegt hat, hat er doch übersehen, dass in diesem Fall der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nur auf der Ebene der Beweiswürdigung, nicht aber auf der Ebene der Beweiserhebung Platz greifen dürfe (Grundsatz der freien Beweiswürdigung im engeren Sinne). Dieser Rechts­ irrtum führte dazu, dass auf der Ebene der Beweiserhebung sowohl die Verhandlungsmaxime und mit ihr der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als auch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung in Gestalt des Grundsatzes der freien Beweisablehnung gelten sollte. Ein derartiges Beweisverfahrensmodell kann als missglückt angesehen werden, da es in dieser Form nie zur Diskussion stand und von keinem vertreten wurde.860 Berücksichtigt man im Rahmen der Auslegung des zivilprozessualen Beweisverfahrens den tatsächlichen Gesetzgeberwillen, ist §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO richtigerweise dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass der Grundsatz der freien Beweisablehnung nur insoweit gilt, als der Richter nicht zur Beweiserhebung verpflichtet ist.861 Damit ist freilich noch keine Aussage darüber getroffen, auf welcher rechtlichen Grundlage eine solche richterliche Beweispflicht fußt.

V. Stellungnahme Schlussendlich ist zu klären, ob die eingangs aufgestellte Vermutung, dass die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip die eigentliche Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht ist, sich tatsächlich bestätigen lässt. Hierfür gilt es nicht nur die Zivilprozessordnung als solche, sondern auch dessen verfassungsrechtlichen und konventionsrechtlichen Implikationen mit in den Blick zu nehmen. 858 

Teil 1, A.V. Teil 1,B.I.4. 860  Teil 1, B.I.3. 861  Teil 1, B.I.4. 859 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

173

1.  Die verfahrensrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Innerhalb des Verfahrensrechts existieren im Wesentlichen zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte, die wie der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht normativ legitimiert werden könnten, §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO und die Verhandlungsmaxime. a)  Der Gewährleistungsgehalt des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO In Rechtsprechung und Literatur wird ganz überwiegend angenommen, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht seine normative Grundlage im Grundsatz der freien Beweiswürdigung findet (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO). Auch wenn das nicht immer in dieser Klarheit zum Ausdruck gebracht wird, folgt es jedenfalls im Umkehrschluss daraus, dass eine unzulässige Beweisablehnung und damit eine Verletzung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht als ein Verstoß gegen §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO angesehen wird.862 Die normative Deduktion des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO hat sich als falsch erwiesen und ist nicht gerechtfertigt. In §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO ist das exakte Gegenteil des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht, namentlich der Grundsatz der freien Beweisablehnung, niedergelegt („etwaigen Beweisaufnahme“). Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollte dem Gericht im Rahmen des Beweisverfahrens eine freie und uneingeschränkte Beweisablehnungsbefugnis zuteilwerden.863 Diese Interpretation der Gesetzesmaterialien wurde in der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhundert einhellig geteilt.864 §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO stellt deshalb nach richtiger Lesart auch keine richterliche Gebotsnorm, sondern eine richterliche Befugnisnorm dar. Dem normativen Gewährleistungsgehalt des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO lässt sich deshalb allenfalls die richterliche Befugnis zur Beweisablehnung entnehmen, nicht aber die richterliche Pflicht zur Beweiserhebung.865 Ist man sich über diese dogmatischen Hintergründe im Klaren, ergibt sich von selbst, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht aus §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) gefolgert werden kann. Ginge man hiervon aus, führte dies zu der zirkulären Annahme, dass sich §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) als richterliche Befugnisnorm selbst negierte. 862 

Teil 1, B.II.3.a) und B.III.2.a). Teil 1, B.I.1 und B.I.3. 864  Teil 1, B.III.1.a). 865  Teil 1, B.II.1.c). 863 

174

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Nichts anderes folgt daraus, dass der Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf der Ebene der Beweiswürdigung das Ziel der richterlichen Wahrheitserforschung verfolgt. Konsequenzen für die Ebene der Beweiserhebung und damit für die Frage, wie der Richter mit Beweisanträgen umzugehen hat, lassen sich daraus nicht ableiten. Der Richter sollte zwar im Interesse der Wahrheitserforschung die Beweise frei würdigen dürfen. Diese Freiheit beschränkte sich aber auf die Ebene der Beweiswürdigung und erstreckte sich gerade nicht auf die Ebene der Beweiserhebung. Die richterliche Wahrheitsfindung sollte somit nach Vorstellung des Gesetzgebers866 und der vorangegangenen Beschlussfassung des Vierten Deutschen Juristentages867 eine relative sein, die durch die Erkenntnismittel (Beweise), die die Parteien dem Gericht vorlegten, beschränkt war. Andernfalls hätte man dem Gericht eine uneingeschränkte amtswegige Beweiserhebungsbefugnis erteilen und gleichzeitig die Bindungswirkung des Geständnisses abschaffen müssen. Trüge man all dem Rechnung, liefe es dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers zuwider, wenn man §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO und die im Grundsatz der freien Beweisablehnung enthaltene relative Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts für Schlussfolgerungen betreffend die Beweiserhebung heranzöge. Mit anderen Worten: Was im Hinblick auf den Umgang mit Beweisen auf Ebene der Beweiswürdigung gilt, gilt noch lange nicht auf der Ebene der Beweiserhebung. b)  Der Gewährleistungsgehalt der Verhandlungsmaxime Nur vereinzelt wird in der Literatur die Verhandlungsmaxime als ausdrückliche Grundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht genannt.868 Soweit der Bundesgerichtshof als dessen Grundlage die „Grundsätze des Beweisrechts“ oder „die Zivilprozessordnung“ selbst heranzieht,869 scheint ihm eine ähnliche Vorstellung vorzuschweben. Eine derart allgemein gehaltene verfahrensrechtliche Deduktion des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht verleiht ihm den Status eines generellen, übernormativen Beweisverfahrensgrundsatzes. Näher begründet wurde dieser Standpunkt indes weder in der Literatur, noch in der Rechtsprechung. Gleichwohl hat sich gezeigt, dass die genannten Erklärungsansätze die richtige Stoßrichtung haben, auch wenn sie sich hierüber unter Außerachtlassung der Entstehungsgeschichte des zivilprozessualen Beweisverfahrens nicht bewusst waren. Mit der Geltung der Verhandlungsmaxime verband man im 19. Jahrhundert das Prinzip der Parteiherrschaft 866 

Teil 1, B.I.1. Teil 1, B.I.3.d). 868  Teil 1, B.III.2. 869  Teil 1, B.II.3. 867 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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und Parteiverantwortung, das auf der Ebene der Beweiserhebung zu einer grundsätzlichen richterlichen Beweiserhebungspflicht führte.870 Aus heutiger Sicht stellt sich damit die Frage, ob die Verhandlungsmaxime nach wie vor als die tatsächliche Legitimationsgrundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht angesehen werden kann und darf. aa)  Die Zulässigkeit der normativen Ableitung aus der Verhandlungsmaxime Bereits im 19. Jahrhundert zog man teilweise in Zweifel, ob die Verhandlungsmaxime als Verfahrensgrundsatz (auch: Prozessmaxime) einer normativen Deduktion überhaupt zugänglich ist.871 Und auch heute noch stellt sich uneingeschränkt die Frage, ob es sich bei der Verhandlungsmaxime um einen bloßen Programmsatz im Sinne einer gesetzgeberischen Zielvorstellung (auch: „Modellvorstellung“872) handelt, oder ob sie darüber hinaus einen konkret normativen Charakter hat. Nur wenn Letzteres der Fall ist, kann die Verhandlungsmaxime zum Ausgangspunkt einer rechtsverbindlichen Ableitung gemacht werden.873 Stellte die Verhandlungsmaxime dagegen lediglich einen gesetzgeberischen Programmsatz dar, so stünde sie als Verfahrensgrundsatz auf gleicher Stufe mit einem allgemeinen Verfahrenszweck.874 Obwohl in der Geschichte der Zivilprozesswissenschaft immer wieder die Tauglichkeit der Zweckanalyse und die Möglichkeit einer daran anknüpfenden normativen Schlussfolgerung maßlos überdehnt wurde,875 besteht heute doch im Wesentlichen darüber Einigkeit, dass die Zweckanalyse im Grunde nicht mehr bietet als einen teleologischen Querschnitt des jeweils in den Blick genommenen Gesetzes. Konkrete Rechtsfolgen können ihr nicht abgeleitet werden.876 Aus die870 

Teil 1, B.I.2.b). Teil 1, B.I.2.b)aa). 872  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 330; Kern, ZZP 125 (2012), 53, 53. 873  Vgl. hierzu: Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., 16; Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 330; ders., in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., vor §  128 Rn.  6 f.; Kern, ZZP 125 (2012), 53, 53 f.; ders., in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  7. Grundlegend: Wallimann, Der Unmittelbarkeitsgrundsatz, S.  11 ff.; S.  33 ff. 874  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 330. 875  Vgl. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  37–44. Diakonis glaubt, dem Zivilprozessordnung liege als Verfahrenszweck die materielle Wahrheitserforschung zugrunde. Ausgehend davon fordert er, dass das Gericht im Rahmen der Tatsachenfeststellung aus seiner Passivität heraustrete und alle ihm zur Verfügung stehenden Beweiserhebungsinstrumente in Ansatz bringt, vgl. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  83. 876  Vgl. de Boor, in: FS Boehmer, S.  99, 107. „Die Ziele des Zivilprozesses für alle Zeiten und alle Völker zu beschreiben ist nicht unmöglich, aber unfruchtbar. Es käme auf den platten Satz hinaus, daß der Prozeß dazu dient, die Selbsthilfe zu ersetzen.“ Den teleologischen Nutzen 871 

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sem Grunde spricht man der allgemeinen Zweckanalyse jede weitergehende Nützlichkeit zu Recht ab.877 Als ein entschiedener Kritiker am Maximendenken generell, wie auch an einer normativen Deduktion aus der Verhandlungsmaxime im Besonderen gab sich insbesondere Bomsdorf zu erkennen.878 Seiner Ansicht nach ist ein Verfahrensgrundsatz wie die Verhandlungsmaxime viel zu unbestimmt, um sie zur Grundlage einer konkreten rechtlichen Schlussfolgerung machen zu können.879 So folgerte er: „Die Verhandlungsmaxime ist nicht oberster Grundsatz unseres Prozeßrechts. Sie ist überhaupt kein Grundsatz der ZPO.“880 der Zweckanalyse unterstreicht Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  119. Er begreift die Zweckanalyse als „die Grundlage jeder wissenschaftlichen Behandlung einer Prozeßtheorie“, die wiederum eine „reiche Ausbeute“ zum Verständnis des Gesetzes liefern kann. 877  Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., vor §  128 Rn.  5 ff. Die Zweckanalyse findet ihren größten Kritiker wohl in v. Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S.  171 (Fn.  13). v. Hippel wäre aber falsch verstanden, wenn man ihm unterstellte, er wolle der Zweckanalyse jede Daseinsberechtigung absprechen. So aber: Rimmelspacher, der beruhend auf dieser Prämisse nachzuweisen versucht, dass sich v. Hippel mit seinem (angeblichen) Ansatz selbst wiederspreche, vgl. Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozess, S.  16. In diese Richtung ebenfalls: Gaul, AcP  168 (1968), 27, 33 f.; Jauernig, JuS 1971, 329; Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S.  30 (Fn.  4); Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  5. v. Hippel ist im Gegenteil der Überzeugung, dass Zweckbetrachtungen generell nur insoweit von Nutzen sein können, „als sie uns auf gewisse typische Interessen aufmerksam machen und, ohne eigenen Lösungsvorgriff, damit eine Theorie des Prozeßrechts vorarbeiten.“ Dagegen bieten sie aus seiner Sicht „keinen ernst zu nehmenden Maßstab, sondern nur dürftige Allgemeinschilderungen des Wirklichen und anderweit zu Erforschenden. v. Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S.  172 (Fn.  13). Ebenso in diese Richtung: v. Hippel, ZZP 65 (1952), 424, 431 f.: „Daher können derartige ‚Zweck‘ Definitionen im Endergebnis nicht befriedigend ausfallen. Entweder sind sie einseitig und eng gebildet, weil der Definierende bei seiner Bestimmung nur die eine oder andere typische prozessuale Lösungsmöglichkeit im Auge hatte, die zwar für gewisse Fälle paßt, aber keineswegs für alle. Oder die Definition fällt widerspruchsvoll aus, weil der Dogmatiker, um solcher Einseitigkeit vorzubeugen, mehrere miteinander unvereinbare Lösungsvorschläge als ‚den‘ Zweck ‚des‘ Prozesses kombinierend aneinanderreiht. Oder aber man definiert (…) den Prozeßzweck derart allgemein und leer, daß er zwar offenbar ‚richtig‘ ist, aber bei Licht besehen, nun auch gar nichts Verpflichtendes und Anwendbares mehr aussagt.“ Ebenso: de Boor, in: FS Boehmer, S.  99, 107: „Der Fehler liegt nicht in der Frage nach dem Zweck des Prozesses. (…) Erst darin scheint mir der Fehler zu liegen, daß man um der Definition willen ein einheitliches Ziel festzulegen und in einer festen Formel auszudrücken sucht.“ A. A. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  6 ff., 14 ff. 878  Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  182 ff., 191 f. 879  Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  182 f. 880  Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  282. Und weiter heißt es dort:

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Auch Hagen meldete kurz darauf Zweifel an der normativen Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen an.881 Die daraus gewonnenen Erkenntnisse unterlägen größten Schwankungen und würden daher keinesfalls eine eindeutige Aussage über das jeweilige Verfahren erlauben.882 In ähnlicher Weise befand Weyers die Verhandlungsmaxime für unbrauchbar. Er bezeichnete sie als ein „überkommenes Kernprinzip unseres Zivilprozesses“.883 Insbesondere durch die Wahrheitspflicht der Parteien (§  138 Abs.  1 ZPO) und die richterliche Informationsbeschaffungsbefugnis sei die Verhandlungsmaxime im geltenden Recht weitestgehend ausgehöhlt.884 Deshalb könne sie nicht ohne Weiteres zur Grundlage rechtlicher Schlussfolgerungen gemacht werden.885 Vergleichbar streng ging auch Henckel mit dem Maximendenken ins Gericht: „Wer das Zivilprozeßrecht mit den Begriffen der Dispositionsmaxime und der Verhandlungsmaxime zu erfassen sucht, setzt sich dem Verdacht aus, in die Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts zurückzufallen, aus Prinzipien die Lösungen von Einzelproblemen zu deduzieren und sich damit ein weiteres Erforschen und Bewerten der besonderen Wirklichkeit zu ersparen“.886

Dagegen sprach sich Planck schon früh für die Bedeutsamkeit von Verfahrensgrundsätzen aus. Sie stünden sinnbildlich für einen gesetzgeberischen Gedanken, der zur Klärung von Prozessrechtssätzen herangezogen werden könne.887 Etwas verhaltener meinte Heusler, dass Verfahrensgrundsätze „für die Erklärung gewißer Erscheinungen eines geltenden Rechts nicht unnützlich“ seien.888 Klarer positionierte sich insoweit Grunsky, der Verfahrensgrundsätze für „Leitfäden“ (auch: „Leitlinien“889) erachtete, die Ausdruck eines gesetzgeberischen Grundgedankens seien.890 Ihre Bedeutung für die Rechtsanwendung liege darin, dass sich durch deren Berücksichtigung „Regelungen für Fallgestaltungen finden las-

„Es sollte endlich eingesehen werden, daß dieser Prozeßgrundsatz gerade kein Argument, sondern ein inhaltsloses Schlagwort ist, mit dem sich nichts dartun läßt.“ 881  Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozeßrechtslehre, S.  84 ff. 882  Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozeßrechtslehre, S.  85 f. 883  Weyers, in: FS Esser, S.  193. 884  Weyers, in: FS Esser, S.  193, 196. 885  Weyers, in: FS Esser, S.  193, 199. 886  Henckel, Prozessrecht und Materielles Recht, S.  118. 887  Planck, Lehrbuch, Bd.  1, S.  198. 888  Heusler, AcP  62 (1879), 209, 251, Fn.  10. Vgl. ferner: Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 292. Seiner Ansicht nach „läge in einer Geringschätzung von Grundprinzipien und Maximen eine gewichtige Fehlentwicklung.“ Aus diesem Grund sei „das Maximendenken (…) richtig verstanden eine unverzichtbare Hilfe sachgerechter Interessenabwägung.“ 889  Bruns, in: Die Zukunft des Zivilprozesses, S.  53, 54; Fritzsche-Brandt, JA 2009 625, 625 f.; Schreiber, Jura 2007, 500, 501 ff. 890  Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., 16.

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sen, bei denen das Gesetz schweigt.“891 In diesem Sinne sprach Brüggemann ganz trefflich von „Richtungsbegriffen“, die „als Erkenntnismittel für Sinnzusammenhänge und Normgesamtheiten ebenso wichtig wie als Auslegungsmittel für die Anwendung der ihnen zugeordneten einzelnen Vorschriften“ seien.892 Die Kritik am Maximendenken hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. Setzt man sich mit Bomsdorfs Thesen näher auseinander, zeigt sich, dass ihnen ein ganz wesentlicher Denkfehler zugrunde liegt. Bomsdorf machte sich im Grunde die im 19. Jahrhundert von Mittermaier und Puchta geäußerte Kritik zu eigen,893 wenn er behauptete, dass ein Verfahrensgrundsatz wie die Verhandlungsmaxime nicht die eigentliche Rechtsanwendung ersetzen könne und ­dürfe.894 Das ist an und für sich richtig. Anders aber als noch zu Zeiten von Mittermaier und Puchta, in denen man offenbar unliebsame gesetzliche (meist partikularrechtliche) Regelungen unter Bezugnahme auf einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz zu überwinden versuchte, hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzesbegründung der Zivilprozessordnung ausdrücklich für die Geltung der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip neben einem viel engmaschigeren Verfahrenssystem ausgesprochen.895 Von einer Deduktion contra legem, wie sie Bomsdorf anprangerte, kann jedenfalls dann nicht mehr die Rede sein, wenn sie in einer Weise zur Geltung gebracht wird, wie sie dem Gesetzgeber selbst vorschwebte.896 Auch die Kritik von Hagen und Weyers fand keine Gefolgschaft. Sie stellte Verfahrensgrundsätze und Verfahrenszwecke einander gleich.897 Im Unterschied zu einem Verfahrenszweck, findet ein Verfahrensgrundsatz in einer Einzelnorm oder einer Gesamtschau von Normen ausdrücklichen Niederschlag. Der Verfahrensgrundsatz bringt damit gerade dem einem Gesetz innewohnenden Gedanken zum Ausdruck; er ist in ihm gewissermaßen inkorporiert. Der Verfahrensgrundsatz hat deshalb normative Geltung. Überdies ist es unzutreffend, wenn Weyers gegen den Wert der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip vorbringt, dass die891  Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., 16. Vgl. ferner: Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  1/1, 4.  Aufl., Einl. Rn.  81. 892  Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  102. 893  Teil 1, B.I.2.b)aa). 894  Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  182 ff., 191 f. Vgl. dazu: Puchta, Prozeßleitungsamt, S.  126 ff. 895  Teil 1, B.I.2.a). 896  Vgl. im Übrigen: Bettermann, ZZP 88 (1975), 347 ff. 897  Hierbei lässt sich beispielsweise Hagen entlarven, wenn er im Rahmen seiner Kritik mit den Worten „pseudometaphysisches Einheitsdogma“ auf v. Hippel Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S.  170 Bezug nimmt, vgl. Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozeßrechtslehre, S.  84. Anzumerken ist dabei am Rande, dass v. Hippel die Frage nach dem „Zweck des Prozesses“ als „pseudo-metaphysische Einheitsschablone“ bezeichnet.

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se das (angebliche) Ziel der materiellen Wahrheit nicht erreichen könne.898 Weyers Schlussfolgerung ist zwar richtig, seine Prämisse aber falsch. Die Verhandlungsmaxime beruht gerade nicht auf dem Prinzip der materiellen Wahrheit.899 Und Henckel; der gedanklich in dieselbe Kerbe wie Bomsdorf schlägt, ist schließlich entgegenzuhalten, dass eine gewisse Rückwärtsgewandtheit bei der Gesetzesinterpretation gerade im Bereich des zivilprozessualen Beweisverfahrens mit Sicherheit nicht schadet. Sie hätte der Prozessrechtswissenschaft den Blick für den eigentlichen, dem Gesetz zugrundeliegenden Gesetzgeberwillen geöffnet. Denn wer das System der Zivilprozessordnung in ihrer heutigen Form ernsthaft verstehen will, der kommt nicht umhin, sich mit der von Henckel gescholtenen Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhundert auseinandersetzen. Beherzigt man mit Brüggemann, dass Verfahrensgrundsätze nicht mehr als Richtungsbegriffe sind, deren normative Bedeutung zwar existiert, niemals aber überhöht werden darf, so muss die pauschale Kritik am Maximendenken entschieden zurückgewiesen werden. Niemand Vernünftiges hält Verfahrensgrundsätze für ein „allmächtiges Zaubermittel“.900 Sie sind nicht mehr und nicht weniger als rechtspolitische Grundentscheidungen.901 Eine Verfahrensordnung ohne Verfahrensgrundsätze ist schlechterdings nicht vorstellbar, oder wie Stürner es formuliert: „jedes Recht ohne Prinzipien (degeneriert) zum Unrecht.“902 Es verlöre seinen Bezug zur Lebenswirklichkeit. Aus diesem Grund geben Verfahrensgrundsätze nicht nur eine ungefähre Vorstellung über einen zivilprozessualen Sollzustand wieder, sondern bringen eine konkrete Verfahrensidee zum Ausdruck, die, wie Kern es fordert, einen eigenständigen „Wert“ hat.903 Diesen Anforderungen genügt die Verhandlungsmaxime als Verfahrensgrundsatz. Gerade sie trägt einen solchen Wert in sich, da sie eine eindeutige Zuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien im Hinblick auf die Sammlung des Prozessstoffs trifft.904 Konkret bringt die Verhandlungsmaxime das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zur Geltung. Diese VerWeyers, in: FS Esser, S.  193, 201 f. Vgl. zum Umfang der Wahrheitsfindung und zu dessen Beschränktheit aufgrund der Geltung der Verhandlungsmaxime die Diskussion über das Beweisverfahrensmodell der Zivilprozessordnung im 19. Jahrhundert Teil 1, B.I.3.a) bis B.I.3.d). 900  Zu Recht: Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., 17. 901  Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 292. In diesem Sinne resümiert Wallimann trefflich: „Verfahrensgrundsätze sind diejenigen Grundsätze, welche den Ablauf, die Gestaltung, die Struktur sowie die Aufgabenverteilung innerhalb des Verfahrens widerspiegeln. Es handelt sich bei ihnen um normative Grundsätze, d. h. um Grundsätze des geltenden Rechts.“, Wallimann, Der Unmittelbarkeitsgrundsatz, S.  349. 902  Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 293. 903  Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  7. 904  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 330 f. 898  899 

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fahrensidee ist, gerade was das zivilprozessuale Beweisverfahren betrifft, fester Bestandteil des Gesetzes, vgl. §  288 Abs.  1 ZPO oder in §  138 Abs.  3 ZPO.905 Die Verhandlungsmaxime hat als Verfahrensgrundsatz normativen Charakter.906 Ihr wohnt das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung inne. Dadurch gibt sie dem Zivilprozess das ihr eigentümliche Gepräge. Die Verhandlungsmaxime kann somit als verfahrensrelevantes Strukturprinzip als Entscheidungshilfe (besser: „Beurteilungshilfe“) in nicht eindeutig geklärten Einzelfragen des Verfahrensrechts herangezogen werden.907 bb)  Die Verhandlungsmaxime als verfahrensrechtliches Strukturprinzip Die Verhandlungsmaxime war, ganz im Sinne der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts, ein Strukturprinzip, das, wie auch die Untersuchungsmaxime, das gesamte Verfahren durchdrang. Die Verhandlungsmaxime verkörperte das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung im Hinblick auf den Prozessgang und den Prozessgegenstand. Vor diesem Hintergrund verstanden sowohl die damalige Literatur, als auch der Gesetzgeber den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als eine wesentliche Gewährleistung der Verhandlungsmaxime.908 Klärungsbedürftig bleibt, ob aus der Verhandlungsmaxime nach wie vor der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht abgeleitet werden kann, oder ob sich ihr Gewährleistungsgehalt angesichts eines sich ständig im Fluss befindlichen Spannungsverhältnisses zwischen Partei- und Richtermacht zwischenzeitlich wesentlich verschoben hat. Immerhin wird Letzteres nicht umsonst als das „Dauerthema des deutschen Prozessrechts“ bezeichnet.909 (1) Allgemeines Das nicht abebben wollende Interesse an der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des Zivilprozesses hat einen einfachen Grund: Durch eine kontinuierliche Ausweitung des richterlichen Prozessleitungsamtes gibt der Gesetzgeber immer wieder Anlass, über eine grundsätzliche Neuausrichtung des Verhältnisses von Parteiherrschaft und Richtermacht nachzudenken. 905 

Teil 1, B.I.2.a). Eingehend: Wallimann, Der Unmittelbarkeitsgrundsatz, S.  33 ff. Wallimann will den Verfahrensgrundsätzen fünf Funktionen deduzieren, namentlich eine rechtsstaatliche, rechtspolitische, heuristische, rechtspraktische und rechtsvergleichende Funktion. 907  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 330 f.; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  1/1, 4.  Aufl., Einl. Rn.  80. 908  Teil 1, B.I.2.b)bb). 909  Stürner, ZZP 123 (2010), 147 m. w. N. 906 

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Schönfeld behauptete schon früh, dass die Geschichte der Novellierung der Zivilprozessordnung seit dem ersten Weltkrieg die „Geschichte der Zurückdrängung der Parteiherrschaft im Zivilprozeß“ sei.910 Baur gar meinte, dass im heutigen Zivilprozess die Parteiherrschaft von der Richterherrschaft abgelöst worden sei.911 Auch die jüngste Zivilprozessreform, die am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, scheint dieser Beobachtung zu entsprechen. Sie hebt die Bedeutung der „Mitverantwortung des Gerichts für eine umfassende tatsächliche und rechtliche Klärung des Streitstoffs“ besonders hervor.912 Je mehr dem Gericht die Aufgabe zuteil wird, an der Sachverhaltsaufklärung aktiv mitzuwirken, desto weniger sind die Parteien dazu berufen, den Prozessstoff aus eigener Kraft vorzutragen und unter Beweis zu stellen – so könnte man jedenfalls meinen. Manche gehen sogar davon aus, die Verhandlungsmaxime sei mittlerweile von der sog. Kooperationsmaxime abgelöst worden. Wassermann behauptete in diesem Zusammenhang beispielsweise: „Beide Begriffe, die Verhandlungs- und die Inquisitionsmaxime, haben in der Vergangenheit ihren Wert und ihre Bedeutung gehabt, heute haben sie diese weitgehend verloren. Sie sind keine echte Hilfe mehr, um das Prozeßgeschehen zu erfassen, sie stehen mitunter einer zeitgemäßen Prozeßführung eher im Wege.“913

Auch andere hielten, insbesondere in dieser Zeit, die Verhandlungsmaxime für überholt.914 Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Forderung, die Verhandlungsmaxime als zivilprozessualen Verfahrensgrundsatz aufzugeben, alles andere als innovativ war. Erinnert sei an dieser Stelle nochmals an den eindringlichen Appell Endemanns in den Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862, „die Begriffe ‚Inquisitionsmaximeʻ und ‚Verhandlungsmaximeʻ einmal vollständig über Bord“ zu werfen und die Verantwortung zur wahrheitsgemäßen Sachaufklärung den Parteien und dem Gericht gleichermaßen zu übertragen.915 Wenn daher Stürner im ausgehenden 20. Jahrhundert „starke Strömungen in der deutschen Lehre und vor allem Praxis, die den Unterschied zwischen VerhandSchönfeld, Zur Verhandlungsmaxime im Zivilprozess, S.  53. Baur, in: FS Kralik, S.  75. 912  BT-Drucks. 14/4722, S.  77. 913  Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S.  103. 914  In diese Richtung auch: Lent, ZZP 63 (1943), 3 ff.; ders., Wahrheits- und Aufklaerungspflicht im Zivilprozeß, S.  16 ff., 58 ff.; Bernhardt, in: FS Rosenberg, S.  9, 11 ff.; ders., Grundriß des Zivilprozeßrechts, 3.  Aufl., S.  3 f.; ders., JZ 1963, 245, 247; Gaul, AcP  168 (1968), 27, 50; Weyers, in: FS Esser, S.  193, 202; Hahn, Kooperationsmaxime im Zivilprozeß, S.  299 ff.; Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  66 ff.; Bathe, Verhandlungsmaxime und Verfahrensbeschleunigung, S.  215 ff.; Zettel, Beibringungsgrundsatz, S.  143 ff.; Schmidt, in: AltKom, ZPO, Einl. Rn.  43 ff. 915  Endemann, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  531. 910  911 

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lungsmaxime (…) und Inquisitionsmaxime endgültig verwischen wollen“916 feststellt, so skizziert er ein völlig richtiges, aber stark verkürztes Bild. Denn bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Verhältnis zwischen Gericht und Parteien im Hinblick auf die Tatsachenfeststellung eingehend untersucht, was teilweise in der Forderung nach mehr richterlicher Mitverantwortung mündete.917 Trotz oder vielleicht auch wegen dieser anhaltenden Kritik an der Verhandlungsmaxime genügt es nicht, die These, dass die Verhandlungsmaxime die tatsächliche Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht ist, unter Verweis auf die der Verhandlungsmaxime ursprünglich innewohnenden Rechtsidee für bestätigt zu halten. Es gilt darüber hinaus in Erfahrung zu bringen, ob die Verhandlungsmaxime trotz nicht von der Hand zu weisender Umbruchphasen innerhalb des Zivilprozesses und trotz eines veränderten Rollenverständnisses zwischen Richter und Parteien (Stichwort: „Zivilprozess ist Dienstleistung“918) immer noch eben diese Rechtsidee verkörpert. (2)  Inhalt und Bedeutung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren Die Liste derer, die sich ganz grundlegende Gedanken über die Bedeutung und Tragweite der Verhandlungsmaxime als Verfahrensgrundsatz gemacht haben, ist lang.919 Hierauf soll im Einzelnen nicht eingegangen werden. Wichtig ist im FolStürner, ZZP 98 (1985), 237, 254. K. Schneider, Ueber richterliche Ermittlung und Feststellung, S.  16 ff.; Pollak, Gerichtliches Geständniss im Civilprozesse, S.  68 ff. 918  Ebenso: Brinkmann, NJW  1985, 2460, 2461. 919  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  39 ff.; v. Canstein, ZZP 2 (1880), 297, 306 ff.; Klein, Pro Futuro, S.  10 ff.; Pollak, Gerichtliches Geständniss im Civilprozesse, S.  68 ff.; Stein, Privates Wissen, S.  87 ff.; ders., Grundriß des Zivilprozeßrechts, 1.  Aufl., S.  29 ff.; Levin, Richterliche Proezßleitung, S.  23 ff.; Siegrist, Grundfragen aus dem Beweisrecht, S.  60 ff.; v. Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S.  169 ff.; R. Schmidt, ZZP 61 (1939), 253, 258 ff.; Lent, ZZP 63 (1943), 3, 5 ff.; ders., Wahrheits- und Aufklaerungspflicht im Zivilprozeß, S.  16 ff., 58 ff.; Bernhardt, in: FS Rosenberg, S.  9, 11 ff.; ders. Grundriß des Zivilprozeßrechts, 3.  Aufl., S.  3 f.; Baur, ZZP 66 (1953), 209, 213 ff.; Kuchinke, Freiheit und Bindung des Zivilrichters, S.  15 ff.; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S.  15 ff.; Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  107 ff.; Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozeß, S.  23 ff.; Spohr, Die richterliche Aufklärungspflicht, S.  16 ff. und 26 ff.; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S.  119 ff., 143 ff.; Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  242 ff.; Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozeßlehre, S.  84 ff.; Damrau, Die Entwicklung einzelner Prozessmaximen, S.  19 ff.; Bettermann, ZZP 91 (1987), 365, 391 ff.; Weyers, in: FS Esser, S.  193 ff.; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  163 ff.; Bathe, Verhandlungsmaxime und Verfahrensbeschleunigung, S.  19 ff.; Zettel, Beibringungsgrundsatz, S.  21 ff., 174 ff.; Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S.  97 ff.; Stürner, Richterliche Aufklärungspflicht, Rn.  1 ff.; Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen, S.  75 ff.; Hahn, 916  917 

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genden allein die Frage, ob die Verhandlungsmaxime nach wie vor als Grundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht herangezogen werden kann. Das ursprüngliche Verständnis von der Verhandlungsmaxime, wie Gönner es entwickelt hat, weist gewisse Überschneidungen mit der Dispositionsmaxime auf.920 Letztere besagt, dass die Parteien über den Streitgegenstand des Zivilprozesses frei verfügen können.921 Die Verhandlungsmaxime reicht jedoch inhaltlich weiter. Während die Dispositionsmaxime die Frage des ob und worüber eines Rechtsstreits betrifft, regelt die Verhandlungsmaxime darüber hinaus, wer dafür Sorge zu tragen hat, dass das gesamte entscheidungserhebliche Erkenntnismaterial in den Prozess eingeführt wird.922 Unter der Verhandlungsmaxime (häufig auch: „Beibringungsgrundsatz“923) versteht man daher gemeinhin, dass es innerhalb ihres Geltungsbereichs Aufgabe der Parteien ist, den Prozessstoff vorzutragen und falls nötig unter Beweis zu stellen.924 Sie ist damit das prozessuale Pendant zur Privatautonomie;925 das Prinzip der bürgerlich-rechtlichen Freiheit und Eigenverantwortlichkeit in Belangen subjektiver Rechte setzt sich auf proKooperationsmaxime im Zivilprozeß S.  46 ff.; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  93 ff.; Schmidt, in: AltKom, ZPO, Einl. Rn.  43 ff.; Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 338 ff.; Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 102 ff.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  105 ff.; Möller, JA 2010, 47, 49 f.; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  97 ff.; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  4 f. 920  Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.97 Fn.  1 m. w. N. Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., Einl. Rn.  38. 921  Prütting, NJW  1980, 361, 362; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  76 Rn.  1 f.; v. Canstein, ZZP 2 (1880), 297, 307. 922  Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  163. In diesem Sinne ebenfalls: Stein, Privates Wissen, S.  87; K. Schneider, Über richterliche Ermittlung und Feststellung, S.  18 ff.; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  364: „Der Begriff der Verhandlungsmaxime darf nicht identifiziert werden mit dem unbedingt wegen der privatrechtlichen Natur des Civilprozesses den Parteien zustehenden Dispositionsrecht.“ 923  Vgl. Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  107; Möller, JA 2010, 47, 49; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  4; a. A.: Zettel, Beibringungsgrundsatz, S.  21 ff. 924  BVerfG, Beschl. v. 25.07.1979 – 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131, 153; Prütting, NJW  1980, 361, 362; Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 339; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  1, 3; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  53; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  98; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  175; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  1/1, 4.  Aufl., Einl. Rn.  90. Zum ursprünglichen Begriffsverständnis: Bülow, AcP  62 (1879), 1, 75 ff.; Wach, Vorträge, 2.  Aufl., S.  53; v. Canstein, ZZP 2 (1880), 297, 351 f.; Schneider, Über richterliche Ermittlung und Feststellung, S.  19 ff.; Heusler, AcP  62 (1879), 209, 247 ff. 925  Henckel, in: GS Bruns, S.  111, 126; Leipold, JZ 1982, 441, 448; ders., in: FS Fasching, S.  329, 340; Reischl, ZZP 116 (2003), 81 103; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  99 f.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

zessualer Ebene durch das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung fort. Die Geltung der Verhandlungsmaxime richtig verstanden, führt zu folgenden Konsequenzen: (1.) Die Parteien haben das Recht und die Pflicht, den Streitgegenstand zu bestimmen und unter Umständen zu beweisen. Hierdurch kommt das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung zum Ausdruck. (2.) Das Gericht hat nicht das Recht und schon gar nicht die Pflicht, den Streitgegenstand zu bestimmen und die erforderlichen Beweise von Amts wegen zu erheben – jedenfalls nicht im Grundsatz.926 (3.) Das Gericht darf seiner Entscheidung nur zugrunde legen, was die Parteien in Wahrnehmung ihres Rechts und ihrer Pflicht als Prozessstoff samt dafür erforderlichem Erkenntnismaterial in den Prozess eingeführt haben.927 Brüggemann folgerte hieraus zu Recht, dass nach Maßgabe der Verhandlungsmaxime der Richter den „Durchbruch der materiellen Wahrheit (…) nicht weiter vorantreiben (dürfe), als es ihm die Parteien gestatten.“928 Die Verhandlungsmaxime vermittele den Parteien eine unüberwindbare „Sperrbefugnis“ zur Sachverhaltsaufklärung.929 Wie schon vereinzelt im 19. Jahrhundert, war die Verhandlungsmaxime insbesondere ab Mitte des 20. Jahrhunderts kontinuierlich Angriffen ausgesetzt.930 Ungeachtet der dahinterstehenden Motivation931, drehte sich die an ihr geübte Kritik in der Sache regelmäßig um die Frage, ob die Verhandlungsmaxime einer uneingeschränkten, den wahren Begebenheiten entsprechenden Tatsachenerkenntnis durch das Gericht im Wege stehe. Dies gefährde letzten Endes die Durchsetzung des materiellen Rechts.932 Tatsache ist, und insoweit kann auf In diesem Sinne Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime im Zivilprozess, S.  20. „das Gericht braucht nicht zu ermitteln, darf aber auch nicht ermitteln“. Ebenso: Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  19 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  7; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl., §  25 Rn.  9; Schilken, Zivilprozessrecht, 7.  Aufl., Rn.  346; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  5. 927  Störmer, JuS 1994, 238, 239; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  7; Lüke, Zivilprozessrecht, 10.  Aufl., Rn.  16; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl., §  25 Rn.  9; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  5. 928  Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  447. 929  Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S.  452. 930  Leipold, JZ 1982, 441, 443 ff.; ders., in: FS Fasching, S.  329, 338 ff.; Kern, in: Stein/ Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  177 m. w. N. 931  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 338 stellt zu Recht fest, die Kritik habe zum Teil „politisch-ideologische Gründe“, bedenkt man allein die sozialen Gesichtspunkte, die insbesondere Wassermann in den Zivilprozess zu implementieren versuchte, vgl. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S.  97 ff. Insgesamt: Leipold, JZ 1982, 441, 443 ff. m. w. N.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  177. 932  Bernhardt, in: FS Rosenberg, S.  9, 13 ff. Ferner: ders., Grundriß des Zivilprozeßrechts, 3.  Aufl., S.  4. Jüngst wieder: Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  37 ff. 926 

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Ziff.  3 der eben genannten Konsequenzen verwiesen werden, dass die richterliche Wahrheitserkenntnis nur auf der Grundlage von Erkenntnismitteln beruhen kann und darf, die die Parteien in den Prozess eingeführt haben. Ob die sich daran anschließende richterliche Wahrheitserkenntnis den wahren Begebenheiten entspricht, hängt folglich davon ab, ob die Parteien die dafür erforderlichen Erkenntnismittel dem Gericht zur Verfügung stellen können und wollen (Prinzip der sog. formellen Wahrheit).933 Ist das Gericht hingegen frei, jedes als geeignet erscheinende Erkenntnismittel selbstständig und ohne Zutun der Parteien in den Prozess einzuführen, ist das Gericht – jedenfalls in der Theorie – in der Lage, eine den wahren Begebenheiten entsprechende Tatsachenerkenntnis zu fassen (Prinzip der sog. materiellen Wahrheit).934 Zwar ist hinlänglich bekannt, dass der praktische Unterschied zwischen dem Prinzip der formellen und materiellen Wahrheit nur gradueller Art ist.935 Schließlich ist das Gericht auch in Verfahren, in denen die Untersuchungsmaxime und damit das Prinzip der materiellen Wahrheit gilt, in ganz ähnlicher Weise auf die Mitwirkung der Beteiligten bei der Wahrheitsfeststellung angewiesen wie in Verfahren, denen die Verhandlungsmaxime zugrunde liegt.936 Dies bedeutet aber nicht, dass man die jeweils geltenden Maxime auf deren Effizienz zur Sachverhaltsaufklärung reduzieren dürfte.937 Denn der strukturelle Unterschied zwischen dem Prinzip der formellen und materiellen Wahrheit ist ein ganz wesentlicher, der keinesfalls leichtfertig aus den Augen verloren werden darf: Je nachdem welches Prinzip einem Beweisverfahren zugrunde liegt, gilt entweder die Verhandlungs- oder die Untersuchungsmaxime.938 Dies führt zu der ganz wichtigen FraEingehend dazu: Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  41 ff. Grundlegend: Wach, Grundfragen und Reform, S.  27; Habscheid, SJZ 1984, 381, 384; Willms, in: FS Dreher, S.  137, 139. Unrichtig ist aber, wenn Diakonis, Grundfragen der Be­weis­ erhebung von Amts wegen, S.  43 behauptet, die Erforschung der materiellen Wahrheit bedeute die „möglichst vollständige Erkenntnis des wahren Sachverhalts im Rahmen eines Prozesses.“ Dieses Ziel kann auch der formellen Wahrheit nicht ohne weiteres Abgesprochen werden. Der Unterschied zwischen formeller und materieller Wahrheit liegt vielmehr darin, dass die Parteien entscheiden können, ob der wahre Sachverhalt festgestellt wird. Diakonis suggeriert mit seiner Begriffsbestimmung unzutreffend, dass nach Maßgabe des Prinzips der formellen Wahrheit die wahre Sachverhaltsfeststellung nicht möglich sei. Vgl. dazu: Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., vor §  128 Rn.  152. 935  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  6. 936  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  6. 937  Vgl. v. Canstein, ZZP 2 (1880), 297, 350; Pollak, Gerichtliches Geständniss im Civilprozesse, S.  71 ff.; Bernhardt, in: FS Rosenberg, S.  9, 11 ff.; Henckel, Prozessrecht und Materielles Recht, S.  144. Wohl auch: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  181. 938  Stein, Privates Wissen, S.  87 stellte bereits zu Recht fest, dass allein die Effektivität der Sachverhaltsaufklärung kein Argument für oder gegen die Geltung der Verhandlungsmaxime ist. Schließlich sei auch dem Strafprozess an einer effektiven Sachverhaltsaufklärung gelegen. 933  934 

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ge zurück, ob entweder die Parteien oder der Richter die Verantwortung für die Herbeischaffung des erforderlichen Erkenntnismaterials tragen.939 Die Verhandlungsmaxime sieht sich als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens im Wesentlichen zwei Hauptkritikpunkten ausgesetzt: Zum einen wird in Zweifel gezogen, dass die Verhandlungsmaxime und mit ihr das Prinzip der formellen Wahrheit dem (angeblichen) Prozesszweck der Wahrheitsfindung gerecht wird. Zum anderen behauptet man, dass aufgrund der weitreichenden Möglichkeit des Gerichts zur amtswegigen Sachaufklärung die Geltung der Verhandlungsmaxime ganz oder zumindest teilweise außer Kraft gesetzt werde. Diese beiden Kritikpunkte gilt es im Folgenden zu entkräften: Als einer der ersten im 20. Jahrhundert stellt Bernhardt die Forderung auf, dass die Verhandlungsmaxime der richterlichen Aufklärungsbefugnis zu weichen habe, da andernfalls die materielle Wahrheit als Ziel des Zivilprozesses nicht ans Licht kommen könne: „Ein gerechtes Urteil kann nur auf der Wahrheit beruhen. (…) Deshalb muß nicht nur im Strafprozeß, sondern auch im Zivilprozeß die Aufklärung des wahren Sachverhalts in den Mittelpunkt des Verfahrens gerückt werden.“940

Und weiter heißt es bei Bernhardt: „Daran, daß im Zivilprozeß der wahre Sachverhalt festgestellt werden soll, darf man sich nicht durch die Geltung der Verhandlungsmaxime irremachen lassen.“941

Ansätze mit vergleichbarer Stoßrichtung sind auch andernorts anzutreffen.942 Insbesondere die Lehre vom sozialen Zivilprozess beruhte ganz maßgeblich auf Entscheidend komme es daher auch für ihn auf die Verteilung der Verantwortlichkeit für die Sachverhaltsaufklärung zwischen den Parteien und dem Gericht an. Diese Erkenntnis machte sich später Leipold, JZ 1982, 441 ff. wieder zu eigen, als er davor warnte, den Wert der Verhandlungsmaxime allein auf deren Zweckmäßigkeit zu reduzieren. Ihm schließt sich Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 40 an. 939  In diesem Sinne auch: Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  192; Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime im Zivilprozess, S.  19; Henckel, Prozessrecht und Materielles Recht, S.  143; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  163; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  3. 940  Bernhardt, in: FS Rosenberg, S.  9, 11. In diesem Sinne aber auch schon Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse, S.  10: „Aufgabe des Richters ist es, nach Wahrheit zu forschen, Wahrheit zu verkünden, denn ein wahres, richtiges Bild der Thatsachen ist die Hauptbedingung eines gerechten Spruches.“ 941  Bernhardt, in: FS Rosenberg, S.  9, 13. 942  Vgl. ferner: Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S.  97 ff.; Schmidt, in: AltKom, ZPO, Einl. Rn.  43 ff.; Weyers, in: FS Esser, S.  193, 199 ff.; Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S.  42 ff.; Hassold, Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft, S.  78 ff.; E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie, S.  34; Bathe, Verhandlungsmaxime und

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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dieser Prämisse.943 Aber auch in jüngerer Zeit behauptete Diakonis, der Richter habe „seine Passivität zu verlassen und alle ihm zur Verfügung stehenden (auch die amtswegigen) Beweismöglichkeiten auszunützen, um den Zweck der Wahrheitsfindung zu verwirklichen.“944 Dem stehen erhebliche Bedenken gegenüber. Die Ansicht von Bernhard und Diakonis beruht im Kern auf einer Zweckanalyse des Zivilprozesses. Bereits v. Hippel bezeichnete sehr trefflich die Zweckanalyse als eine „zivilprozessuale Rechtsphilosophie im Westentaschenformat“.945 Sie dient stellenweise der Korrektur eines an sich feststehenden Rechtszustandes und ist daher geneigt, das geltende Recht zu verfälschen. Genau aus diesem Grund wird der Zweckanalyse nach der ganz herrschenden Ansicht die Zugänglichkeit einer normativen Deduktion abgesprochen.946 Darüber hinaus ist die Richtigkeit oder Vollständigkeit der richterlichen Wahrheitserkenntnis auch gesetzlich keineswegs verbürgt.947 Denn andernfalls wäre nicht zu erklären, warum die Zivilprozessordnung, wenn sie doch angeblich die vollständige Wahrheitserforschung bezweckt, eine Zeugenvernehmung von Amts wegen nicht gestattet. Das wichtigste, wenn auch unsicherste Beweismittel bedarf zwingend eines Beweisantrags einer Partei. Verfolgte die Zivilprozessordnung tatsächlich das eigenständige Ziel einer der Wirklichkeit entsprechenden Wahrheitserkenntnis, so wäre dieses Ziel vom Gericht aus eigener Kraft in keinem Prozess zu erreichen, in dem es für die Wahrheitserkenntnis auf eine Zeugenvernehmung ankommt.948 Hierin liegt die Achillesverse Verfahrensbeschleunigung, S.  37 ff.; Zettel, Beibringungsgrundsatz, S.  143 ff.; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.93; Arens, ZZP 96 (1983), 1, 11; Brinkmann, NJW  1985, 2460, 2461. 943  Zettel, Beibringungsgrundsatz, S.  153; Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S.  97 ff. 944  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  83. 945  v. Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S.  171 (Fn.  13). Vgl. ferner: ders., ZZP 65 (1952), 425. 946  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 330; ders., in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  3, 22.  Aufl., vor §  128 Rn.  5. In diesem Sinne ferner: Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozeßhandlung einer Partei im Zivilprozeß, S.  94: „Es ist v. Hippel darin zuzustimmen, daß sich aus einer allgemeinen Wesensschau vom Prozeß und seinem Zweck allein keine Lösungen für die einzelnen Vorgänge des Prozesses finden lassen.“ 947  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  151 f. Ganz in diesem Sinne: Larenz, Methodenlehre, 6.  Aufl., S.  195; Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 37. Vgl. außerdem Sax, ZZP 67 (1954), 21, 40: „Angesichts menschlicher Unzulänglichkeit und der unübersteigbaren Begrenzung aller menschlichen Wahrheitserkenntnis ist das Fernziel der Verwirklichung des wahren Recht in jedem konkreten Falle nicht erreichbar. Der Staat kann sich daher nicht verpflichten und verpflichtet sich auch nicht, nur das wahre Recht zu verwirklichen. (…) Dann gilt der staatliche Machtspruch des ‚So soll es seinʻ ohne Rücksicht darauf, ob ‚es wirklich so istʻ!“ 948  Schon Heusler hat vergeblich den Versuch unternommen, die fehlende Befugnis zur amtwegigen Zeugenvernehmung damit zu begründen, dass das Gericht ohne einen entsprechenden Hinweis der Parteien von dem Vorhandensein eines Zeugens ohnehin „nichts weiß“, Heusler, AcP  62 (1879), 209, 257. Diesen Ansatz widerlegt Wach überzeugend damit, dass dem

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

jeder Beweisverfahrenstheorie, die die vollständige Wahrheitserforschung als Zivilprozesszweck propagiert949 – abgesehen davon, dass der Gesetzgeber ganz bewusst dem zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip zugrunde gelegt hat, damit dort das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung und somit insgesamt das Prinzip der formellen Wahrheit zur Geltung kommt.950 Hätte der Gesetzgeber tatsächlich der Zivilprozessordnung den Zweck der Wahrheitsfindung zugrunde legen wollen, hätte dies im Gesetz dadurch Ausdruck finden müssen, dass das Gericht jedes Beweismittel von Amts wegen hätte erheben dürfen und die Parteien keinerlei verbindlichen Einfluss auf die richterliche Wahrheitserkenntnis hätten nehmen können, etwa durch ein verbindliches Geständnis. Insoweit behält es bis heute seine Richtigkeit, wenn Wach sagt: „Die Feststellung der Wahrheit ist (…) nicht das Ziel des Civilprocesses und kann es nicht sein. Sie ist sein zufälliges Resultat. Die materielle Wahrheit ist als Processzweck nur denkbar in einem Officialverfahren, in einem Processe, der zu erschöpfenden Rekonstruktion des Thatbestandes nicht nur die Handhabe bietet, sondern die ‚freie Forschungsmaximeʻ als amtliche Verpflichtung der staatlichen Organe aufstellt.“951

Des Weiteren wird die Geltung der Verhandlungsmaxime im zivilprozessualen Beweisverfahren – jedenfalls in Reinform – aufgrund ihrer zahlreichen Ausnahmen bestritten.952 Bei diesen Ausnahmen handelt es sich einerseits um die nahezu Gericht auch dann eine amtswegige Zeugenvernehmung gesetzlich verboten ist, wenn die Parteien in der mündlichen Verhandlung von der Gegenwart weiterer Zeugen berichten, ohne deren Vernehmung zu beantragen, vgl. Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  149, 151 (Exkurs). 949  Zutreffend weist Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 37, darauf hin, dass die Geltung des Prinzips der formellen Wahrheit im Zivilprozess nicht damit begründet werden kann, dass die Parteien im Wege der freien Disposition dem Gericht einverständlich einen anderen, als den „wahren“ Sachverhalt präsentieren können. Dadurch anders sie zugleich die materielle Rechtslage. Kritisch dagegen: Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  114 ff. Es ist allgemein zu beobachten, dass das Prinzip der formellen Wahrheit ganz überwiegend allein unter Verweis auf §  288 ZPO und §  138 Abs.  3 ZPO dogmatisch begründet wird, vgl. Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  149. Aber gerade die Tatsache, dass eine amtswegige Zeugenvernehmung nicht möglich ist, erscheint insgesamt der dogmatisch viel wichtigere Gesichtspunkt für jenes Prinzip zu sein. 950  Im Ergebnis ebenso: Huber, Beweismaß im Zivilprozeß, S.  91 f.; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  4; Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag, S.  27; Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 37 f.; Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 103: Die Parteien haben die „Macht, autoritativ den Grad der inhaltlichen Richtigkeit des Urteils zu bestimmen.“; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  148 f., 161. 951  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  149. Vgl. darüber hinaus in Wachs Exkurs: „Das Gesetz macht dem Richter die freie Erforschung nicht nur nicht zur Pflicht, sondern gestattet sie ihm nicht. (…) Und das nicht blos wegen der Belastung, welche damit verbunden wäre (…), sondern wegen der Einmischung in das dem Staate fremde Privatinteresse.“ 952  Bathe, Verhandlungsmaxime und Verfahrensbeschleunigung, S.  215 ff.; Zettel, Beibrin-

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umfassende amtswegige Beweiserhebungsbefugnis (§§  142–144, 273 Abs.  2 Nr.  2, 448 ZPO) und andererseits um die Möglichkeit der richterlichen Sachaufklärung mittels Hinweis- und Fragerechts (§  139 Abs.  1 ZPO). Neben diese richterlichen Aufklärungsbefugnisse tritt flankierend die Wahrheitspflicht der Parteien (§  138 Abs.  1 ZPO). Vor diesem Hintergrund lässt sich durchaus konstatieren, dass die Verhandlungsmaxime im Beweisverfahren nur noch „rudimentär“ beibehalten oder wenigstens erkennbar ist.953 Betrachtet man die genannten Vorschriften darüber hinaus in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Kontext, zeigt sich, dass das richterliche Prozessleitungsamt zwar seit jeher mit den eben genannten Aufklärungsbefugnissen ausgestattet war (vgl. §§  133–135, 437 ZPO a. F. und §  130 Abs.  1 ZPO a. F.), sie aber über die Zeit zusehends konkretisiert hat und sie in bestimmten Bereichen sogar ausgebaut worden sind.954 Die Verhandlungsmaxime hat als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens seit Beginn an eine fortlaufende Relativierung (auch: „Lockerung“955, „Auflockerung“956, „Minderung“957, „Beschneidung“958, „Durchbrechung“959 oder „Einschränkung“960) erfahren, deren Ende bislang nicht absehbar ist.961 Schlussendlich stellt sich jedoch die Frage, ob die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des Zivilprozesses den zahlreichen Angriffen, allen voran durch die Ver-

gungsgrundsatz, S.  143 ff. In diese Richtung ebenso Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S.  282, der aus diesen Gründen der Verhandlungsmaxime überhaupt den Charakter eines Verfahrensgrundsatzes abspricht. 953  Piekenbrock, NJW  1999, 1360, 1363. 954  Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts, 1.  Aufl., S.  29 f., 32, der einer Zunahme der richterlichen Mitverantwortung gelassen entgegenblickt: „Eine Bestärkung dieser Mittel würde das Antlitz unserer Prozesse kaum wesentlich ändern, wenn man nicht den Grundsatz selbst aufgeben will.“ Vgl. ferner: Greger, JZ 1997, 1077, 1077 ff.; ders., JZ 2000, 842, 843 f.; Lange, NJW  2002, 476, 478; allgemein: Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime im Zivilprozess, S.  53; Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen, S.  4 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  5. 955  Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., Einl. Rn.  38. 956  Henckel, Prozessrecht und Materielles Recht, S.  118; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S.  6; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  184. 957  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  118. 958  Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  164. 959  Peters, Ausforschungsbeweis, S.  101; Baur, in: FS Kralik, S.  75, 80. 960  Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  1/1, 4.  Aufl., Einl. Rn.  89. 961  Vgl. etwa: Henckel, in: GS Bruns, S.  111, 126; Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 40; Katzenmeier, JZ 2002, 533, 536; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284 Rn.  9; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  89; Birk, NJW  1985, 1489, 1491 m. w. N.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  184.

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treter der „Kooperationsmaxime“962 (auch: „Mischprinzip“963) weichen musste und dadurch ihren normativen Charakter eingebüßt hat. Die Antwort lautet entschieden: Nein. Die Befugnis zur Beweiserhebung von Amts wegen, die wie auch das richterliche Hinweis- und Fragerecht seit jeher in der Zivilprozessordnung angelegt war (§§  133–135, 437 ZPO a. F. und §  130 Abs.  1 ZPO a. F.), hatte nie die Funktion, einen inquisitorischen Richter an die Spitze des Zivilprozesses zu stellen. Vielmehr sollte der Richter in die Lage versetzt werden, Härten, die eine konsequente Durchführung der Verhandlungsmaxime mit sich gebracht hätten, abzufedern, indem er die Parteien in ihrer Prozessführung maßvoll lenkte.964 Daran hat sich bis heute nichts geändert.965 Das richterliche Prozessleitungsamt hat nicht die Aufgabe, dem Richter die Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen, sondern ihm den Parteivortrag zu erhellen.966 Aus diesem Grund steht die richterliche Aufklärungsbefugnis generell in Relation zu dem, was die Parteien 962  Bettermann, JBl 1972, 57, 63; ders., ZZP 91 (1978), 365, 391; Hahn, Kooperationsmaxime im Zivilprozeß, S.  46 ff. In diesem Sinne auch: Baur, in: FS Kralik, S.  75, 80. Ablehnend: Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  3, 22.  Aufl., vor §  128 Rn.  150. 963  Schmidt, in: AltKom, ZPO, Einl. Rn.  50, 53. Das „Heil des Zivilprozesses“ solle nicht im „Maximenpurismus“ gesucht werden, sondern vielmehr sollte im Sinne eines „Kooperationsprinzips“ von der arbeitsteiligen Stoffsammlung von Parteien und Gericht ausgegangen werden. 964  Wenn Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  101, etwas plakativ beobachten will, dass die Verhandlungsmaxime erst in ihrer „heutigen Ausprägung nicht mehr den ‚freien Kampfʻ der Parteien vor dem ‚passiven Richterʻ“ bedeute, so skizziert er ein falsches Bild von Zivilprozessordnung in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung. Denn so „liberal“, wie Koch es Glauben macht, war die Zivilprozessordnung nie. Das vormals mit der Verhandlungsmaxime in Verbindung gebrachte „richterliche Passivitätssystem“ des frühen 19. Jahrhunderts hat sich die Zivilprozessordnung von Beginn an nicht zu eigen gemacht. Vgl. dazu: Wach, Vorträge, 2.  Aufl., S.  73, 79. Vgl. Teil 1, B.I.2.a). 965  Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  176, der davon spricht, dass die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht der Parteien (§  138 Abs.  1 ZPO), die richterliche Prozessleitungspflicht in Gestalt der Frage- und Hinweispflicht (§  139 Abs.  1 ZPO) und die weitreichende Möglichkeit der Beweiserhebung von Amts wegen (§§  141–144, 273 ZPO, wobei die Auflistung noch um §  448 ZPO zu ergänzen wäre) die „negativen Auswirkungen der Verhandlungsmaxime“ vorzubeugen versucht. Ganz in diesem Sinne drückt sich der Gesetzgeber aus: Vgl. Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  210. Außerdem: Wach, Vorträge, 2.  Aufl., S.  48; Stein, Privates Wissen, S.  91: „(…) was er (ein Beteiligter) auf sich sitzen lässt, gilt gegen ihn, den Richter geht’s Nichts mehr an, - welches auch das Motiv des Nichtbestreitens gewesen sein mag.“ 966  Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 85. In diesem Sinne bereits Wach, Vorträge, 2.  Aufl., S.  73: „Nicht der Richter soll vervollständigen und beweisen. Er soll der Partei die Gelegenheit geben, es zu thun.“ Vgl. ferner: Stein, Privates Wissen, S.  87 f.; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, 405 ff.

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von sich aus aufzuklären erlauben; sie findet hierin ihre Schranke.967 Darüber darf auch nicht die Möglichkeit zur Beweiserhebung von Amts wegen hinwegtäuschen.968 Zwar handelt es sich bei den richterlichen Beweiserhebungsbefugnissen konkret um Ermessensvorschriften,969 die es prima facie ins Belieben des Richters stellen, ob und in welchem Umfang er die Sachaufklärung vorantreibt. Aber gerade aufgrund der Geltung der Verhandlungsmaxime darf von der richterlichen Aufklärungsbefugnis nicht losgelöst von dem, was die Parteien zum Gegenstand der Sachaufklärung gemacht haben, Gebrauch gemacht werden.970 Hierin läge unweigerlich ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne einer Ermessensüberschreitung.971 Die Zivilprozessordnung ist noch heute „nicht inquisito­ risch“.972 Das Gericht hat dies stets im Hinterkopf zu behalten, wenn es von seinem materiellen Prozessleitungsamt Gebrauch macht.973 967  Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 341. Von einer „richterlichen Aufklärungspflicht“ sollte man deshalb ganz absehen. Ferner: Birk, NJW  1985, 1489, 1489 ff. Dagegen gehen Bender/ Schumacher, Erfolgsbarrieren, S.  118 davon aus, dass der Zivilprozessordnung in gewissem Umfang eine sog. „Aufklärungsmaxime“ zugrunde liege, die das Gericht zur Aufklärung von Amts wegen anhält. Vgl. ferner Bender, JZ 1982, 709, 711; In diese Richtung auch: Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  282 ff.; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  472 (Ergebnis). 968  Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  184, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 27.05.2014 – XI ZR 264/13, NJW  2014, 3312, 3313 und BVerfG, Beschl. v. 06.03.2014 – 1 BvR 3541/13, 1 BvR 3543/13, 1 BvR 3600/13, NJW  2014, 1581, 1582. Vgl. ferner: BGH, Urt. v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 143; BVerfG, Beschl. v. 27.02.2008 – 1 BvR 2588/06, NJW  2008, 2170, 2171. 969  Lange, NJW  2002, 476, 482; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., Einl. Rn.  43; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  77 Rn.  15 ff. 970  Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S.  67; ders., Die richterliche Aufklärung, S.  16. 971  Vgl. daher BVerfG, Beschl. v. 29.12.1993 – 2 BvR 65/93, NJW  1994, 1210, 1211: „Eine Beweiserhebung von Amts wegen sieht die Zivilprozeßordnung für den Regelfall nicht vor. Vielmehr ist grundsätzlich der Beweisantritt der beweisbelasteten Partei erforderlich. (…) Die Notwendigkeit eines Beweisantritts ist eine Ausprägung der den Zivilprozeß beherrschenden Verhandlungsmaxime, in der die grundlegende Bedeutung der Parteifreiheit und Parteiverantwortung im Zivilprozeß zum Ausdruck kommt.“ A. A. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  99 f., der der Ansicht ist, das Gericht müsse seine amtswegigen Aufklärungsbefugnisse voll ausschöpfen um dem (vermeintlichen) Zweck der Wahrheitsfindung gerecht zu werden. 972  Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S.  62 ff.; ders., ZZP 98 (1985), 237, 254; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  184 m. w. N. A. A. Brinkmann, NJW  1985, 2460, 2461. 973  Es ist unzutreffend, wenn Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  97 behauptet, dass die Literatur bisher der Frage, ob aus der richterlichen Befugnis zur amtswegigen Beweiserhebung eine richterliche Pflicht zur amtswegigen Beweiserhebung abgeleitet werden könne, nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  39 ff.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Auch die Pflicht der Parteien, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit entsprechend abzugeben (§  138 Abs.  1 ZPO), vermag die Geltung der Verhandlungsmaxime nicht in Frage zu stellen. Bei der Wahrheitspflicht handelt es sich um eine Parteipflicht, die erst nachträglich, zum 1. Januar 1934, in die Zivilprozessordnung aufgenommen worden ist.974 Zweck des §  138 Abs.  1 ZPO ist es, die Parteien zu einem den tatsächlichen Begebenheiten entsprechenden Vortrag anzuhalten (sog. „Verbot der Prozesslüge“975), wobei ein vermeintlich wahrheitsgemäßer Vortrag ausreicht (sog. „subjektive Wahrheit“).976 Die Wahrheitspflicht ist daher streng genommen eine Wahrhaftigkeitspflicht.977 Dementsprechend müssen sich die Parteien über Tatsachen vollständig erklären, dürfen keine unwahren Behauptungen aufstellen oder wahre Behauptungen bestreiten.978 Zwar lässt sich über die Frage, ob die Wahrhaftigkeitspflicht darüber hinaus eine generelle Aufklärungspflicht (sog. Mitwirkungsverantwortung“979) der Parteien begründet, trefflich streiten.980 Die prinzipielle Geltung der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens wird hiervon jedoch nicht berührt.981 Die Verhandlungsmaxime trifft keine 974  Vgl. Art.  1 I. 1. und Art.  9 I. des Gesetzes zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (RGBl.  1933 I, S.  780, 788). Zu den geschichtlichen und kulturellen Hintergründen der Wahrheitspflicht: Olzen, ZZP 98 (1985), 403 ff. 975  Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., §  138 Rn.  4. In diesem Sinne ebenso: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  65 Rn.  55. 976  Arens, ZZP 96 (1983), 1, 5; Olzen, ZZP 98 (1985), 403, 415; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  111; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., §  138 Rn.  4. Zum prozessualen Wahrheitsbegriff: Hackenberg, Erklärung mit Nichtwissen, S.  39. 977  Staab, Wahrheitspflicht im Zivilprozess, S.  39; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  111; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., §  138 Rn.  4. 978  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  2 Rn.  14. 979  Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  106. 980  Dafür: Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S.  31 ff., 85 ff.; ders., in: FG Vollkommer, S.  201, 208 f., 213: Stürner geht davon aus, dass durch Art.  2 Abs.  1 GG und das Rechtsstaatsprinzip ein auf Wahrheitsfindung angelegtes Zivilprozessverfahren verfassungsrechtlich verbürgt sei. Ferner: Schlosser, NJW  1992, 3275, 3276 f., der ein grundsätzliches „prozessuales Menschenrecht auf Zugang zu Informationsmittel“ anerkennen will; Peters, in: FS Schwab, S.  399, 407. Dagegen: Arens, ZZP 96 (1983), 1, 18; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO 22.  Aufl., §  138 Rn.  30; Gottwald, ZZP 92 (1979), 366; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S.  137 ff.; Lüke, Jus 1986, 2, 3; Schreiber, JR 1991, 415, 415 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  109 Rn.  8. Zum Streit im Allgemeinen: Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, S.  234 ff.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., §  138 Rn.  47 ff. m. w. N. 981  Unzutreffend ist es insoweit, wenn die Rechtsprechung der Lehre von der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht die Verhandlungsmaxime entgegenhält, vgl. BGH, Urt. v. 11.06.1990 – II ZR 159/89, JR 413, 414. Ebenso: Greger, DStR 2005, 479, 482. Richtig dagegen: Wagner, JZ 2007, 706, 710 f.; Peters, in: FS Schwab, S.  399, 408; Stadler, in: FS Beys,

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Aussage darüber, ob den Parteien eine prozessuale Aufklärungs- oder Mitwirkungspflicht obliegt und ob sie ihrem Prozessgegner Beweismittel vorenthalten dürfen.982 Des Weiteren spricht für die Geltung der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens die negative Privatautonomie:983 Die Verhandlungsmaxime verwirklicht den bürgerlich-rechtlichen Geltungsanspruch der Privatautonomie auf prozessualer Ebene. Das Prinzip der bürgerlich-rechtlichen Freiheit und Selbstverantwortung setzt sich im Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung fort. Jede Störung wäre mit Blick auf Art.  2 Abs.  1 GG in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig. Ferner spricht das staatliche Neutralitätsgebot für die Geltung der Verhandlungsmaxime. Mit jeder richterlichen Aufklärungsbemühung besteht die Gefahr, das Prinzip der prozessualen „Waffengleichheit“ in erheblichem Maße zu stören.984 Die institutionalisierte Passivität des Richters ist daher weniger dem strukturellen Desinteresse des Staates an Zivilrechtsstreitigkeiten geschuldet,985 als vielmehr dem Gebot der prozessualen Gleichbehandlung der Parteien vor Gericht.986 Es ist nicht zu übersehen, dass sich jede richterliche Einflussnahme S.  1625, 1630; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  108; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., §  138 Rn.  51 ff. 982  Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  106; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., §  138 Rn.  51. 983  In diesem Sinne: Stürner, in: FS Baur, S.  647, 657; Birk, NJW  1985, 1489, 1497. Birk warnt vor dem „überaktiven Richter“. Brinkmann, NJW  1985, 2460, 2461, hält diesen dagegen eher als eine Gewähr für eine richtige, weil der Wahrheit besser gerecht werdenden Entscheidung. 984  Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 25.07.1979 – 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131, 153: „‚Waffengleichheitʻ als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes ist im Zivilprozeß zu verstehen als die verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter, der – auch im Blick auf die grundrechtlich gesicherte Verfahrensgarantie aus Art.  103 Abs.  1 GG – den Prozeßparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einzuräumen hat, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Ihr entspricht die Pflicht des Richters, diese Gleichstellung der Parteien durch eine objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte Erfüllung seiner sonstigen prozessualen Obliegenheiten gegenüber den Prozeßbeteiligten zu wahren.“ 985  Vgl. Wach, Vorträge, 1.  Aufl., 59. Ob diese Aussage für die heutige Zeit tatsächlich noch zutrifft, ist ohnehin fraglich. 986  Zum Begriff der prozessualen Waffengleichheit, vgl. Stürner, NJW  1979, 2334, 2337; Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 285, 303. Vgl. ferner Bötticher, Kritische Beiträge zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, S.  7 ff., der unter dem Begriff der Waffengleichheit einen Prozess-

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auf den Prozessgang als ein zweischneidiges Schwert erweisen kann: einerseits soll das Gericht zur umfassenden Klärung des Streitstoffes beitragen, andererseits darf es das prozessuale Gleichgewicht zwischen den Parteien nicht ins Wanken bringen.987 Die Gefahr, sich dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen, ist groß. Deshalb sei auch aus diesem Grund jedem Richter ein zurückhaltender Umgang mit seinem prozessualen Aufklärungsinstrumentarium aufs Dringlichste anempfohlen. Und schließlich darf ein letzter Aspekt nicht vergessen werden, der die Geltung der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des Zivilprozesses schon seit jeher in besonderem Maße zu rechtfertigen vermochte: Das Misstrauen des Einzelnen gegenüber dem Richter. Dieser Legitimationsgrund scheint – soweit ersichtlich – in heutiger Zeit regelmäßig keine nennenswerte Rolle mehr zu spielen. Er war es aber, der im 19. Jahrhundert den entscheidenden Ausschlag dafür gegeben hat, dass der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht auf das gesamte zivilprozessuale Beweisverfahren erstreckt worden ist und deshalb die Geltung der Verhandlungsmaxime auf der Ebene der Beweiserhebung nicht verdrängen konnte.988 In diesem Zusammenhang sei lediglich an die scharfen Worte Schaffraths in den Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862 erinnert: „Nichts, glaube ich, ist in einem Staate mehr zu vermeiden, als Willkür, nichts, glaube ich, haßt das Volk mehr, als Willkür: nichts, sage ich, würde das Volk der Rechtspflege mehr entfremden, als wenn wir die Willkür geradezu als Prinzip sanktionirten.“989

Wie viel richterliche Einflussnahme das Gerechtigkeitsempfinden der Parteien erträgt, ist bisher nicht näher untersucht. Eine exakte Grenzziehung wird wohl auch nicht möglich sein. Sicher ist aber, dass der nachträgliche Vorwurf der unterliegenden Partei, sie habe den Prozess allein aufgrund der richterlichen Einflussnahme verloren, weitaus öfters erhoben werden würde, wenn das Gericht aktiv auf das Prozessgeschehen Einfluss nehmen würde. Aus diesem Grund ist verlauf versteht, bei dem sich die Parteien „vor dem Richter als dem Unparteiischen im Kampfe messen.“ 987  Schwartz, Gewährung und Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, S.  23: „Die Gerechtigkeit gebietet die Gleichbehandlung der Parteien. Sie sollen ihren Streit unter gleichen Bedingungen, mit den gleichen Chancen ausfechten können. Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  103 f. Es ist ferner nicht Aufgabe des Zivilrichters, „im Einzelfall Sozialpolitik zu betreiben“, Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  178. Wirtschaftliche Unterschiede zwischen den Parteien werden hinlänglich durch das Prozesskostenhilferecht (§§  114–127 ZPO) ausgeglichen. 988  Teil 1, A.II.2; A.IV.1; B.I.3. 989  Schaffrath, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  541. Er führt darüber hinaus, dass nach dem allgemeinen Volksverständnis man „lieber durch ein Gesetz Unrecht leiden (will), als durch den Willen des Richters.“

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das Gericht im Zweifel gut darin beraten, die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens ernst zu nehmen. Im „Kampf ums Recht“ hat sich das Gericht auch heute noch tunlichst aus dem Schussfeld zu nehmen und den Parteien das Feld der Sachaufklärung zu überlassen. (3) Ergebnis Die Kritik an der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip überzeugt bis heute nicht. Gewiss kann es bedauert werden, dass mit der Verhandlungsmaxime dem Zivilprozess ein Strukturprinzip zugrunde liegt, das die Feststellung der historischen Wahrheit nicht zwingend gewährleistet. Indes gilt die Verhandlungsmaxime nicht ohne Grund. Sie hält den Zivilprozess weitestgehend frei von der Gefahr der richterlichen oder gar staatlichen Einflussnahme, indem sie kurzerhand die Verantwortung für den Ausgang des Prozesses den Parteien überträgt und sie zu den Herren des Verfahrens erklärt. Dadurch fördert die Verhandlungsmaxime die allgemeine Akzeptanz zivilprozessualer Entscheidungen ungemein und ist damit von unschätzbarem Wert für den Rechtsfrieden. Letzten Endes muss man sich entscheiden: Will man ein Verfahren, das sich voll und ganz der Wahrheitserkenntnis verschreibt, oder will man ein Verfahren, das eine möglichst weitgehende Akzeptanz der gerichtlichen Entscheidung sicherstellt. Der Versuch, ein Verfahrensmodell zu entwerfen, das beiden Zielen gleichermaßen gerecht wird, kommt der Quadratur des Kreises gleich. Wer mehr richterliche Autonomie bei der Wahrheitserkenntnis einfordert, der sei daran erinnert, dass er stets die damit einhergehende Gefahr des Vertrauensverlusts der Parteien gegenüber dem Richter und dessen Integrität und Neutralität im Blick behalten möge.990 Die Geschichte lehrt, dass ein voll ausgebildeter und funktionsfähiger Zivilprozess, dem das Prinzip der materiellen Wahrheit zugrunde liegt, nur in den römischen Legisaktionen- und Formularprozessen existierte. Diese aber zeichneten sich dadurch aus, dass die Parteien ihren Richter (iudex) selbst wählten und allein aus diesem Grund dessen freier Wahrheitskognition bedingungslos vertrauten.991 Solange aber das Gericht ein staatliches Organ ist, ist und bleibt es oberste Aufgabe des Staates, die Integrität und Neutralität des So lässt beispielsweise Diakonis den genannten Aspekt der richterlichen Parteilichkeit völlig außen vor, als er die historische Wahrheitserkenntnis zum Zweck der Zivilprozessordnung erklärt und mehr richterliche Aufklärungsbemühungen einfordert, vgl. insbesondere Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  37 ff. und 45 ff. Auf das genannte Spannungsverhältnis wies selbst Endemann hin, der sich bekanntlich für die gänzlich freie richterliche Wahrheitskognition aussprach. Vgl. Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  640 f.; ders., AcP  41 (1858), 289, 290 ff. 991  Teil 1, A.I.1. 990 

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Staates strukturell, das heißt durch die Verfahrensordnung selbst, zu gewährleisten, selbst um den Preis der materiellen Wahrheitserkenntnis. Im Ergebnis hat sich die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens auf der Ebene der Beweiserhebung bis heute bewährt – mit Recht. Es ist Sache der Parteien, darüber zu befinden, worüber ein Beweisverfahren stattfinden soll und welcher Erkenntnismittel das Gericht sich in dessen Rahmen zur Erforschung der Wahrheit bedienen darf. Dies gebietet das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung.992 cc) Ergebnis Die Verhandlungsmaxime hat den zahlreichen Angriffen, denen sie seit dem Bestehen der Zivilprozessordnung ausgesetzt war, glücklicherweise immer standhalten können. Der immens wichtige Beitrag, den sie als Strukturprinzip der Zivilprozessordnung schlussendlich für den Rechtsfrieden leistet, wird indes ganz häufig übersehen. Die Akzeptanz zivilprozessualer Entscheidungen ist gewiss keine Selbstverständlichkeit. Allzu schnell könnte schon durch den leisen Verdacht einer korrumpierten und interessengeleiteten Justiz die Legitimität richterlicher Urteilsfindung in Frage gestellt werden. Dem vorzubeugen ist noch heute Aufgabe der Verhandlungsmaxime. In struktureller Hinsicht implementiert die Verhandlungsmaxime das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung in den Zivilprozess und in das zivilprozessuale Beweisverfahren. Um ihm Rechnung zu tragen, folgt aus der Verhandlungsmaxime nicht nur die Pflicht der Parteien, den Prozessstoff vorzutragen und falls nötig unter Beweis zu stellen,993 sondern korrespondierend dazu auch die Pflicht des Gerichts, den vorgetragenen Prozessstoff der Entscheidung zugrunde zu legen und einer beantragten Beweisführung grundsätzlich stattzugeben.

992  In diesem Sinne: Leipold, in: FS Fasching, S.  329, 341: „Insofern sollte die Verhandlungsmaxime (…) auch heute noch den Geist des Zivilprozesses in dem Sinn prägen, daß im Grundsatz von der Parteifreiheit und der Parteiverantwortung ausgegangen wird.“; Arens, in: 40 Jahre Grundgesetz, S.  87, 90 f.: „Im Zivilprozeß ist der Vortrag der Tatsachen in die Hand der Parteien gelegt (Verhandlungsmaxime). Schon daraus ergibt sich, insoweit hat die ältere Literatur völlig recht, daß jede Partei die Gelegenheit zum Sachvortrag und zur Stellungnahme zum Sachvortrag des Gegners haben muß. Diese Grundsätze haben der ZPO von vornherein zugrunde gelegen.“ Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 41; Roth, JZ 2009, 194, 196. Koch indes will von der Geltung einer „geleiteten“ Verhandlungsmaxime ausgehen, um das materielle Prozessleitungsamt des Gerichts nicht unberücksichtigt zu lassen, vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S.  109 f., 127, 361. Das kann man halten, wie man will. 993  Teil 1, B.V.1.b)bb)(2).

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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c) Zusammenfassung Anders als es heute gemeinhin angenommen wird, folgt der Grundschutz der richterlichen Beweispflicht und mit ihm das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht aus §  286 Abs.  1 ZPO, sondern aus der Verhandlungsmaxime und dem dahinter stehenden Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. Diejenigen, die Gegenteiliges behaupten, haben den Sinngehalt des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO nicht oder nicht richtig nachvollzogen, was ohne Auseinandersetzung mit dessen Entstehungsgeschichte auch nicht möglich ist.994 Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht findet somit im einfachen Verfahrensrecht, namentlich der Verhandlungsmaxime, eine sichere Grundlage. 2.  Die verfassungsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Richter auch gemäß Art.  103 Abs.  1 GG (in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung) verpflichtet, Beweisanträge zu erheben. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrags verstößt gegen Art.  103 Abs.  1 GG, wenn diese im Prozessrecht keine Stütze findet. Ein Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG liegt indessen dann nicht vor, wenn das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleibt.995 In Anerkennung dieser Rechtsprechung geht auch die Literatur heute ganz einhellig davon aus, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus Art.  103 Abs.  1 GG folgt.996 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die verfassungsrechtliche Unterlegung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht tatsächlich gerechtfertigt ist und wenn ja, in welchem Umfang. Im Anschluss daran ist näher auf das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte „Stütze“-Kriterium einzugehen. Konkret geht es dabei um die Frage, wie es richtigerweise ausgelegt und angewendet werden sollte, um dem Gewährleistungsgehalt des Art.  103 Abs.  1 GG gerecht zu werden. Abschließend ist dann auf die Frage einzugehen, ob angesichts der zunehmenden Konstitutionalisierung des einfachen Verfahrensrechts eine an sich zweifellos erstrebenswerte Grenzziehung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit noch möglich ist.

994 

Teil 1, B.I.1 und B.I.3. Teil 1, B.II.4.b). 996  Teil 1, B.III.2.b). 995 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

a)  Der Gewährleistungsgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art.  103 Abs.  1 GG Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG). Dabei handelt es sich nicht nur um einen schillernden Programmsatz. Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht in ständiger Rechtsprechung die besondere Bedeutung, die diesem Anspruch zukommt.997 Art.  103 Abs.  1 GG wird als ein „prozessuales Urrecht“ begriffen,998 das „für ein gerichtliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar“ ist.999 Es ist weder ein Grundrecht1000, noch ein Prozessgrundrecht1001 oder ein Verfahrensgrundrecht1002, sondern ein grundrechtsgleiches Recht1003 (auch: „grund­rechts­ ähnliches Recht“1004). Hieran besteht angesichts des eindeutigen Wortlauts des Art.  93 Abs.  1 Nr.  4a GG („Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs.  4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte“) und der systematischen Stellung des Art.  103 Abs.  1 GG außerhalb der mit der Überschrift „Die Grundrechte“ versehenen Art.  1–19 GG kein Zweifel.1005 997 

BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, BVerfG, NJW  2003, 1655, 1656; BVerfG, Beschl. v. 05.05.2004 – 2 BvR 1012/02, NJW  2004, 2443, 2444. 998  BVerfG, Beschl. v. 09.07.1980 – 2 BvR 701/80, BVerfGE 55, 1, 6; BVerfG, Beschl. v. 05.05.2004 – 2 BvR 1012/02, BVerfGK 3, 197, 204. Ferner: Arens, in: 40 Jahre Grundgesetz, S.  87, 91; Zuck, NJW  2005, 3753, 3754; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  18; Kraft, EuGRZ 2014, 666, 668; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor 128 Rn.  15. Teilweise ist auch die Rede vom „Eckpfeiler des gesamten Zivilprozeßrechts“, vgl. Prager, AcP  133 (1931), 143, 147 ff.; Röhl, NJW  1953, 1531. 999  BVerfG, Beschl. v. 09.07.1980 – 2 BvR 701/80, BVerfGE 55, 1, 6. In diese Richtung: BVerfG, Beschl. v. 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE, 107, 395, 408; BVerfG, Beschl. v. 14.05.2007 – 1 BvR 730/07, BVerfGK 11, 203, 206; BVerfG, Beschl. v. 07.09.2007 – 2 BvR 1009/07, BVerfGK 12, 111, 115. 1000  So aber: BVerfG, Beschl. v. 13.06.1952 – 1 BvR 137/52, BVerfGE 1, 332, 347; BVerfG, Beschl. v. 13.02.1958 – 1 BvR 56/57, BVerfGE 7, 275, 278. 1001  So aber: BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35; BVerfG, Beschl. v. 27.02.1980 – 1 BvR 277/78, BVerfGE, 53, 219, 222; BVerfG, Beschl. v. 21.10.1981 – 1 BvR 1024/79, BVerfGE 58, 353, 356. Ferner: Hertel, Urkundenprozeß, S.  26 ff.; Knemeyer; in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  15. 1002  So aber: BVerfG, Beschl. v. 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE, 107, 395, 408. Ferner: Stürner, JZ 1986, 526, 527; Zuck, NJW  2005, 3753, 3754; ders., NVwZ 2012, 479, 480; Geisler, AnwBl 2010, 149. 1003  Arndt, NJW  1959, 6; Schmidt-Aßmann, DÖV 1987, 1029, 1034. Die verfahrensrechtlichen Gewährleistungen der Verfassung können zusammenfassend auch als „grundrechtsgleiche Verfahrensrechte“ bezeichnet werden, vgl. Siegmann, JZ 2017, 598. 1004  BVerfG, Beschl. v. 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE, 107, 395. 1005  Es spricht freilich nichts dagegen, Art.  103 Abs.  1 GG gleichwohl unter den besonderen Schutz des Art.  19 Abs.  2 GG entsprechend zu stellen, vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103, Rn.  4; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

199

Der Wortlaut des Art.  103 Abs.  1 GG lässt keinen eindeutigen Schluss darauf zu, dass der Richter grundsätzlich verpflichtet wäre, einer beantragten Beweisführung stattzugeben. Das gilt auch für die drei Verwirklichungsstufen, die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleitet werden:1006 (1.) Das Gericht unterliegt einer Informationspflicht gegenüber den Parteien.1007 (2.) Die Parteien haben ein gerichtliches Äußerungsrecht.1008 (3.) Soweit die Parteien von ihrem Äußerungsrecht Gebrauch machen, ist das Gericht zur Berücksichtigung des Geäußerten verpflichtet. Andernfalls wäre das Äußerungsrecht für sich genommen wertlos.1009 Die richterliche Berücksichtigungspflicht ihrerseits ist gewahrt, wenn das Gericht die Äußerungen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.1010 Entsprechendes gilt in Bezug auf Beweisanträge.1011 128 Rn.  15. Zu der gebräuchlichen Terminologie, vgl. Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  15 m. w. N. 1006  Kopp, AöR 106 (1981), 604, 614 ff. Vgl. allgemein: Schmidt-Aßmann, DÖV 1987, 1029, 1035; Bender, Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung gerichtliche Entscheidungen, S.  378 ff.; Zuck, NJW  2005, 3753, 3754; Geisler, AnwBl 2010, 149, 149 ff.; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  28 ff. 1007  BVerfGE 89, 28, 35; BVerfGK 1, 189, 191 BVerfG, Beschl. v. 08.06.1993 – 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28, 35; BVerfG, Beschl. v. 04.06.2003 – 1 BvR 2114/02, BVerfGK 1, 189, 191. Andernfalls liefe das Äußerungsrecht des Art.  103 Abs.  1 GG ins Leere. Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  28. 1008  BVerfG, Beschl. v. 18.09.1952 – 1 BvR 612/52, BVerfGE 1, 418, 429; BVerfG, Beschl. v. 03.11.1959 – 1 BvR 13/59, BVerfGE 10, 177, 182; BVerfG, Beschl. v. 03.10.1961 – 2 BvR 4/60, BVerfGE 13, 132, 144; BVerfG, Beschl. v. 20.07.1971 – 1 BvR 13/69, BVerfGE 31, 297, 301; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1989 – 1 BvR 1011/88, BVerfGE 81, 123, 126; BVerfG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 BvR 172/01, BVerfGK 3, 108, 109; BVerfG, Beschl. v. 05.05.2004 – 2 BvR 1012/02, BVerfGK 3, 197, 204. Der Einzelne muss vor der Entscheidung des Gerichts zu Wort kommen um Stellung beziehen zu können, vgl. BGH, Beschl. v. 28.05.2009 – I ZB 93/08, NJW-RR 2009, 1223; BGH, Beschl. v. 08.09.2009 – X ZB 35/08, BGH GRUR 2009, 1192. Aus diesem Grund sind selbst gerichtsbekannte Tatsachen, die keines Beweises bedürfen, in den Prozess einzuführen, damit sich die Parteien hierzu äußern können, vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.08.1995 – 2 BvR 175/95, NJW-RR 1996, 183. 1009  Kopp, NJW  1988, 1708. Prager, AcP  133 (1932), 143, 164: „Der Art nach ist das obligatorisch zu hörende Vorbringen dahin zu bestimmen, daß es in gleicher Weise Behauptungen wie Beweisangebote umfaßt, weil das eine ohne das andere zweck- und sinnlos ist.“ 1010  BVerfG, Beschl. v. 14.06.1960 – 2 BvR 96/60, BVerfGE 11, 218, 220; BVerfG, Beschl. v. 23.10.1962 – 2 BvR 74/62, BVerfGE 14, 320, 333; BVerfG, Beschl. v. 05.10.1976 – 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, 367; BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW  2003, 1655; BVerfG, Beschl. v. 04.04.2007 – 1 BvR 2941/06, BVerfGK 11, 9, 11; BVerfG, Beschl., v, 14.03.2013 – 1 BvR 1457/12, BeckRS 2013, 49708; BVerfG, Beschl. v. 12.12.2012 – 2 BvR 1294/10, NJW  2013, 925; BVerfG, Beschl. v. 09.03.2015 – 1 BvR 2819/14, NJW  2015, 1746. 1011  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35; BVerfG, Beschl. v. 26.02.1980 – 1 BvR 1049/79, BVerfGE 53, 205, 206; BVerfG, Beschl. v. 22.11.1004 – 1 BvR 1935/03, NJW  2005, 1487; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, BeckRS 2012, 55230; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. Dazu bereits: Deubner,

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Damit ist aber nicht gesagt, dass Beweisanträge grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Das hängt entscheidend davon ab, wie weit man die richterliche Berücksichtigungspflicht zieht. Ähnlich unergiebig ist die Entwicklungsgeschichte des Anspruchs auf rechtliches Gehör für die hier im Raum stehende Frage. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist auf den bereits im römischen Prozess geltenden Rechtsgrundsatz des audiatur et altera pars zurückzuführen.1012 Laut Baur liegt der Anspruch auf rechtliches Gehör seit jeher einer jeden Verfahrensordnung zugrunde und versteht sich deshalb geradezu von selbst.1013 Doch wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, galt im römischen Prozess keineswegs konsequent der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht.1014 Die Pflicht zum beidseitigen Gehör kam im altdeutschen Prozessrecht durch den folgenden Rechtssatz zur Geltung: „Eines Mannes Rede ist keine Rede, Man soll sie billig hören Beede!“1015 Ohne eine konkrete zeitliche Zuordnung treffen zu wollen, sei aber auch an dieser Stelle daran erinnert, dass im altdeutschen Prozess des Hoch- und Spätmittelalters der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht galt.1016 In gleicher Weise war im gemeinen Prozess das rechtliche Gehör als Voraussetzung für ein gerechtes Verfahren allgemein anerkannt.1017 Bei Gönner heißt es etwa: „Niemand darf ungehört verurtheilt werden, dieß ist der oberste Grundsatz alles gerichtlichen Verfahrens, ohne dessen strenge Erfüllung unter dem geheiligten Namen der Justiz bloße Willkür despotisch herrschen würde.“1018 NJW  1980, 264; Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 285, 301; Arens, in: 40 Jahre Grundgesetz, S.  87, 92; Roth, JZ 2009, 194, 194 f. 1012  Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd.  3, 2.  Aufl., Art.  103 Rn.  1; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  7. 1013  Der Satz audiatur et altera pars ist ein selbstverständlicher und deshalb ungeschriebener Bestandteil jeder Verfahrensregelung, vgl. Baur, AcP  153 (1954), 393. 1014  Teil 1, A.I.1. 1015  Kolb, Das rechtliche Gehör als verfassungsmäßiges Recht, S.  1; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  7. 1016  Teil 1, A.III.2. 1017  Kolb, Das rechtliche Gehör als verfassungsmäßiges Recht, S.  2 ff.; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  7. Im Einzelnen: Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  32; Renaud, Lehrbuch des gemeinen deutschen Civilprozeßrechts, 2.  Aufl., S.  197; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3.  Aufl., S.  374; Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  124 ff.; Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  155 f., 221; Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  431 ff. 1018  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  132. Außerdem: „Eben diese Rechtsgleichheit fordert, daß beide Theile vor dem richterlichen Ausspruch rechtliches Gehör finden, und bevor der Richter beide Theile vernommen hat, oder wenigstens beide für ertheidiget rechtlich ansehen kann, ist er nicht befugt, über ihre Rechtsverhältnisse

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Ähnliches findet sich auch bei Endemann: „Die Ertheilung des Gehörs ist absolute Pflicht des Gerichts. (…) Das Gericht, welches das Gehör versagt, setzt sich der Beschwerde wegen Justizverweigerung (…) aus.“1019

Und obwohl im gemeinen Prozess der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht galt, lässt sich dieser nicht auf die Pflicht zur Gehörsgewährung zurückführen.1020 Denn auch dem gemeinen Prozess lag der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zugrunde, ohne dass dies dazu führte, dass der Richter zur Beweiserhebung verpflichtet gewesen wäre.1021 Somit lässt sich aus rechtshistorischer Sicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nicht der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ableiten. Sie stehen in keinem konditionalen Zusammenhang. Das Grundgesetz hat dem Anspruch auf rechtliches Gehör erstmals normtextliche Konturen verliehen, obwohl er gerade auch für die Zivilprozessordnung seit Beginn an galt.1022 Das Kernanliegen des Verfassungsgebers bestand darin, „Mißbräuche in gerichtlichen Verfahren, wie sie unter dem nationalsozialistischen Regime vorgekommen waren, unmöglich (zu) machen und das Vertrauen des Volkes in eine unparteiische Rechtspflege wiederher(zu)stellen.“1023 Angesichts dieser Zielsetzung ging das Bundesverfassungsgericht schon bald davon aus, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör des Art.  103 Abs.  1 GG eine spezialgesetzliche Ausprägung der Menschenwürde (Art.  1 Abs.  1 S.  1 und 2 GG)1024 und des Rechtsstaatsprinzips (Art.  20 Abs.  3 GG) ist.1025 Daraus folgt einerseits, dass die Subjektqualität der Parteien in jedem staatlichen Verfahren uneinge-

einen Ausspruch zu fällen.“, Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  124. 1019  Endemann, Civilprozeßrecht, Bd.  1, S.  432. 1020  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  197 ff.; C. Koch, Das Preußische Civilprozeßrecht, Bd.  1, 3.  Aufl., S.  280 ff.; Frantz, Der Preußische Civil-Prozeß, S.  54 ff. 1021  Teil 1, A.V. 1022  Schon vor dem Erlass des Grundgesetztes bezeichnete Prager den Grundsatz des beidseitigen Gehörs als den „unentbehrlichsten Grundsatz des Zivilprozesses“, Prager, AcP  133 (1932), 143. Allgemein: Schwartz, Gewährung und Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, S.  10 ff., 30. 1023  BVerfG, Beschl. v. 08.01.1959 – 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89, 95. 1024  BVerfG, Beschl. v. 09.07.1980 – 2 BvR 701/80, BVerfGE, 55, 5; BVerfG, Beschl. v. 09.07.1980 – 2 BvR 701/80, NJW  1980, 2698; BVerfG, Beschl. v. 05.07.2013 – 1 BvR 1018/13, MDR 2013, 1113. Ferner: Behrendt, Recht auf Gehör, 2.  Aufl., S.  40 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103, Rn.  2 f. 1025  Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 285, 300; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., Einl. Rn.  233.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

schränkt anzuerkennen ist,1026 und andererseits die Gerichte für ein rechtsstaatliches Verfahren Sorge tragen müssen.1027 Flankiert wird der Anspruch auf rechtliches Gehör außerdem durch das Ziel der Verfahrensgerechtigkeit und das allgemeine Gebot der Verfahrensgleichheit und Verfahrensfairness.1028 Offen bleibt aber, was dies nun für den Umgang des Richters mit Beweisanträgen bedeutet. Konnte der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht weder aus dem Wortlaut, noch aus der Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf rechtliches Gehör abgeleitet werden, stellt sich die Frage, ob das Normtelos des Art.  103 Abs.  1 GG einen solchen Schluss erzwingt. Dazu kommt es in erster Linie entscheidend darauf an, ob die eben genannten Topoi der Menschenwürde und des Rechtsstaatsprinzips sowie das Gebot der Verfahrensgleichheit und Verfahrensfairness eine grundsätzliche richterliche Beweiserhebungspflicht gebieten. Das Gebot der Verfahrensgleichheit und Verfahrensfairness lässt sich in diesem Zusammenhang nicht brauchbar verwerten. Es kann „nur“ dafür Sorge tragen, dass den Parteien die vom Gesetz vorgesehenen prozessualen Befugnisse gleichermaßen zuteil werden. Dementsprechend stellt das Gebot der Verfahrensgleichheit und Verfahrensfairness lediglich sicher, dass im Hinblick auf diese verfahrensmäßigen Rechte der Parteien keine Disbalance entsteht. Steht aber von vornherein keiner der Parteien von Gesetzes wegen ein Beweisführungsrecht zur Seite, das eine richterliche Beweiserhebungspflicht nach sich ziehen könnte, kann ein solches originäres Recht auch nicht aus dem Gebot der Verfahrensgleichheit und Verfahrensfairness abgeleitet werden. Besteht von Gesetzes wegen keine richterliche Beweiserhebungspflicht, kann keine Partei bevorzugt oder benachteiligt werden. Auch die Menschenwürde und das Rechtsstaatsprinzip lassen nur vage Aussagen darüber zu, wie ein prozessuales Beweisverfahren ausgestaltet werden sollte. Schließlich sollte es dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben, darüber zu entschieden, welches Beweisverfahrensmodell er dem jeweiligen Verfahren zugrunde legt. Es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ein Beweisverfahrensmodell, dem der Grundsatz der freien Beweisablehnung zugrunde liegt, per se gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstieße. An dieser Stelle darf nochmals darauf hingewiesen werden, dass gerade ein solches 1026 

BVerfG, Beschl. v. 18.06.1957 – 1 BvR 41/57, BVerfGE 7, 53, 57; BVerfG, Beschl. v. 13.02.1958 – 1 BvR 56/57, BVerfGE 7, 275, 279; BVerfG, Beschl. v. 08.01.1959 – 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89, 95; BGH, Beschl. v. 02.09.2009 – XII ZB 50/06, BGHZ 182, 204. Kritisch aber dazu: Pawlowski, ZZP 80 (1967), 358, 359. 1027  Mauder, Anspruch auf rechtliches Gehör, S.  3 ff.; Schmidt-Aßmann, DÖV 1987, 1029, 1035. 1028  Kopp, AöR 106 (1981), 604, 607 ff.; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  18 f. m. w. N.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23. Aufl., vor 128 Rn.  19 ff.

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Beweisverfahrensmodell der Zivilprozessordnung zugrunde liegt.1029 Der Grundsatz der freien Beweisablehnung ist für sich genommen nicht geeignet, die Menschenwürde des Beweisführers oder die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens insgesamt in Frage zu stellen. Geht man davon aus, dass ein Beweisverfahrensmodell, dem nicht der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zugrunde liegt, per se gegen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen würde, bedeutete dies umgekehrt für Beweisverfahrensmodelle, in denen der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gilt, das Folgende: Wird ein Beweisantrag verfahrensfehlerhaft und damit unter Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht abgelehnt, liegt hierin nicht per se eine verfassungsrechtliche Gehörsverletzung. Würde man die verfassungsrechtliche Tragweite einer Beweisablehnung unterschiedlich beurteilen, je nachdem, ob das in den Blick genommene Beweisverfahrensmodell auf dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht beruht, würde man den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt des Art.  103 Abs.  1 GG am einfachgesetzlichen Verfahrensrecht ausrichten. Ein derartiges Vorgehen ist von Verfassungs wegen unzulässig, auch wenn das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung den Geltungsgehalt des Art.  103 Abs.  1 GG im Lichte der „Grundsätze der Zivilprozessordnung“ auslegt.1030 Aus diesem Grund stellt auch eine dem verfahrensrechtlichen Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zuwiderlaufende Beweisablehnung grundsätzlich keinen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör dar. Und dennoch wäre es sicherlich nicht gerechtfertigt, eine verfahrenswidrige Beweisablehnung generell für verfassungsrechtlich unbedenklich zu halten. Sowohl aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit als auch mit Blick auf die im Anspruch auf rechtliches Gehör zum Ausdruck kommende Garantie der Menschenwürde ist davon auszugehen, dass eine grob anstößige und den Regeln der Verfahrensordnung offenbar zuwiderlaufende Beweisablehnung eine Gehörsverletzung begründet. Ist eine Beweisablehnung von keinen vernünftigen Erwägungen getragen, ist sie geeignet, den Verfahrensbeteiligten die ihnen gebührende Ernsthaftigkeit abzusprechen und sie zum Objekt des Verfahrens zu degradieren. Gerade mit Blick auf die zuletzt genannte Überlegung lässt es sich durchaus rechtfertigen, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht – jedenfalls in Grundzügen – auch im Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) verankert zu sehen. Im Gegensatz zu dessen verfahrensrechtlichem Pendant,1031 hat der verfassungsrechtlich gewährleistete Grundsatz auf rechtliches 1029 

Teil 1, B.I.1. Vgl. nur: BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247, 249; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. Vgl. Teil 1, B.II.3.a). 1031  Teil 1, B.V.1. 1030 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Gehör indes einen wesentlich geringeren Anwendungsbereich. Das Gericht ist von Verfassungs wegen „nur“ verpflichtet, eine beantragte Beweisführung zur Kenntnis zu nehmen und deren Erhebung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Solange es sich der Beweiserhebung nicht von vornherein verschließt, ist der verfassungsrechtlich unterlegte Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht auch dann nicht verletzt, wenn sich die Beweiserhebung in verfahrensrechtlicher Hinsicht als falsch erweist. Aus diesem Grund ist die Beweisablehnung schon dann verfassungskonform, wenn sie auf sachlichen Gründen beruht, mögen diese auch einer verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Entscheidend ist allein, dass durch die Beweisablehnung die verfahrensrechtliche Stellung des Beweisführers nicht prinzipiell in Frage gestellt wird. b)  Das „Stütze“-Kriterium des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass der Tatrichter nach Maßgabe des Art.  103 Abs.  1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung verpflichtet sei, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstoße gegen Art.  103 Abs.  1 GG, wenn sie „im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.“1032 Geht man nach dieser Maßgabe davon aus, dass Art.  103 Abs.  1 GG durch eine Beweisablehnung dann nicht verletzt ist, wenn diese im Prozessrecht eine „Stütze“ findet, so richtet sich der Umfang des verfassungsrechtlich unterlegten Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht entscheidend nach dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten „Stütze“-Kriterium. Damit stellt sich die Frage, wann eine Beweisablehnung im Prozessrecht eine Stütze findet. Grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass ein Gericht jede Äußerung der Parteien berücksichtigen müsse.1033 Die gemachte Äußerung muss allerdings „rechtlich erheblich“1034 sein und eine „wesentliche Tatsache“1035 1032  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 35; BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1429/81, BVerfGE 60, 250; BVerfG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW  1990, 3259, 3260; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, NJW-RR 2004, 1150, 1151; BVerfG, Beschl. v. 22.11.2004 – 1 BvR 1935/03, BVerfG, NJW  2005, 1487; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586; BVerfG, Beschl. v. 17.01.2012 – 1 BvR 885/11, BeckRS 2012, 48479; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. Für weitere Nachweise, vgl. Teil 2, B.II.4.a). 1033  BVerfG, Beschl. v. 17.04.2012 – 1 BvR 3071/10, BeckRS 2012, 10960. Ferner: Zuck, NJW  2005, 3753, 3754. 1034  BVerfG, Beschl. v. 28.11.2007 – 1 BvR 1655/05, Schaden-Praxis 2008, 162 f. 1035  BVerfG, Beschl. v. 04.06.2003 – 1 BvR 2144/02, FamRZ 2003, 1448, 1449.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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betreffen.1036 Im Hinblick auf Beweisanträge gilt die Berücksichtigungspflicht des Gerichts insoweit, als dass diese ebenfalls erheblich1037 und substantiiert1038 sind.1039 Vor diesem Hintergrund findet es im Prozessrecht keine „Stütze“, wenn ein Gericht eine angebotene Beweisführung schlicht ignoriert1040 oder grundlos übergeht.1041 Ferner darf eine Beweisablehnung nicht unter Verweis auf bloße Vermutungen über das zu erwartende Beweisergebnis erfolgen (sog. Vorwegnahme der Beweiswürdigung).1042 Eine Beweisablehnung kann auch nicht damit begründet werden, dass die Beweisführung „höchst unökonomisch“1043 oder der erforderliche Kostenvorschuss nicht bezahlt worden sei.1044 In all diesen Fällen 1036  In diesem Sinne, Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  86: „Auch Art.  103 Abs.  1 GG macht unsere Gerichte nicht zu Beichtvätern, Seelenärzten, Petitionsinstanzen, vor denen man ‚alles losʻ werden kann, was man ‚auf dem Herzenʻ hat. Art.  103 Abs.  1 GG ist auch keine Magna Charta für notorische Querulanten.“ 1037  BVerfG, Urt. v. 19.03.1959 – 1 BvR 295/58, BVerfGE 9, 223, 231; BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 187; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, 311; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586; BVerfG, BeckRS 2012, 51747; BVerfG WM 2012, 492, 493. Speziell für Baden-Württemberg unter Bezugnahme auf Art.  2 Abs.  1 LV: StGH BW, Urt. v. 02.02.2015 – 1 VB 45/14, juris, Rn.  55. 1038  BVerfG, Beschl. v. 30.07.1996 – 1 BvR 634/94, ZIP 1996, 1761, 1762; BVerfG, Beschl. v. 14.03.2013 – 1 BvR 1457/12, juris, Rn.  10. 1039  BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 145 f.; BVerfG, Beschl. v. 28.01.2004 – 1 BvR 994/98, BVerfGK 2, 259, 263. 1040  BVerfG, Beschl. v. 22.01.1993 – 1 BvR 1433/92, juris, Rn.  8; BVerfG, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 BvR 2441/10, juris, Rn.  11; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, juris, Rn.  32, 39; BVerfG, Beschl. v. 06.05.2015 – 1 BvR 2724/14, JZ 2015, 1053, 1054; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15, 19. 1041  BVerfG, Beschl. v. 14.09.1989 – 1 BvR 674/89, NJW  1989, 3007; BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW  1990, 3259, 3260; BVerfG, Beschl. v. 30.06.1993 – 2 BvR 459/93, NJW  1993, 2165. Vgl. ferner: StGH BW, Urt. v. 23.03.2015 – 2/15, 1 VB 2/15, NJW  2015, 1869, 1870 für die unterlassene Einholung einer amtlichen Auskunft. 1042  Vgl. nur: BVerfG, Beschl. v. 18.07.1994 – 1 BvR 1177/93, NJW-RR 1995, 441; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f.; BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW  2003, 1655, 1656; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586. 1043  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 1044  BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, BVerfGK 3, 143, 145 f. §  379 ZPO nimmt hiervon keine Ausnahme. Das Gericht ist nach Maßgabe des §  379 S.  1 ZPO lediglich befugt, von der Ladung eines Zeugen solange abzusehen, bis ein hinreichender Vorschuss zur Deckung der Auslagen gezahlt worden ist. Wird der Kostenvorschuss nach Fristablauf nicht rechtzeitig erstattet, kann die Ladung unterbleiben, wenn sich durch die Vernehmung eine Verzögerung des Verfahrens einstellt, §  379 S.  2 ZPO. Letztlich führt die Präklusion, nicht aber der fehlende Kostenvorschuss als solcher zur unterbliebenen Ladung. Aus diesem Grund stellt §  379 ZPO kein Beweisablehnungsgrund im eigentlichen Sinne dar.

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verschließt sich das Gericht der beabsichtigten Beweisführung entweder von vornherein, oder es stützt die Beweisablehnung auf Gründe, die schlechterdings nicht existieren. Beruht die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags dagegen lediglich auf einem Rechtsfehler seitens des Gerichts, so führe dies allein nach einer jüngeren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht zu einem Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG.1045 Das gilt selbst dann, wenn die Parteien das Gericht darauf hingewiesen haben, dass die vom Gericht vertretene Rechtsauffassung eine unrichtige sei. Schließlich ist das Gericht nach Maßgabe des Art.  103 Abs.  1 GG nicht verpflichtet, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen.1046 Ist der Richter somit der irrigen Ansicht, ein an sich anerkannter Beweisablehnungsgrund liege vor, und lehnt er die Beweisablehnung aufgrund dieses Rechtsirrtums ab, verschließt er sich der beabsichtigen Beweisführung nicht von vorneherein. Die Beweisablehnung aufgrund eines sog. error in procedendo1047 findet in diesem Fall gleichwohl eine „Stütze“ im Prozessrecht.1048 Eine in sich widerspruchsfreie Verwendung des „Stütze“-Kriteriums ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht anzutreffen.1049 Nach richtiger Lesart und unter Berücksichtigung des Gewährleistungsgehalts des Art.  103 Abs.  1 GG findet eine Beweisablehnung im Prozessrecht immer dann eine „Stütze“, wenn sie auf einem an sich anerkannten Beweisablehnungsgrund beruht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der in Ansatz gebrachte Beweisablehnungsgrund im konkreten Fall tatbestandlich erfüllt ist und ob dem Gericht bei der Rechtsanwendung ein Fehler unterlaufen ist. Eine Beweisablehnung findet erst dann im Prozessrecht keine Stütze mehr, wenn sie ohne jeden Grund 1045 

BVerfG, Beschl. v. 26.07.2005 – 1 BvR 85/04, NJW  2005, 3345, 3346. BVerfG, Beschl. v. 17.01.2012 – 1 BvR 885/11, BeckRS 2012, 48479; BVerfG, Beschl., v, 14.03.2013 – 1 BvR 1457/12, BeckRS 2013, 49708. 1047  Stürner, JZ 1986, 526, 531. 1048  In diesem Zusammenhang darf freilich nicht übersehen werden, dass die Kategorie der „Rechtsfehlerhaften Entscheidung“ in der Praxis ohnehin selten anzutreffen sein dürfte. In aller Regel gibt es eine unterschiedliche Sichtweise auf den Lebenssachverhalt, der die Interpretation des jeweiligen Gerichts nicht als „falsch“, sondern eher als „weniger vertretbar“ erscheinen lässt. In diesem Sinne: Schmidt-Aßmann, DÖV 1987, 1029, 1031. Einen strengeren Maßstab will dagegen Bender, Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung gerichtliche Entscheidungen, S.  376 angelegt wissen. 1049  Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 25. Oktober.2002 (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW  2003, 1655, 1656) beispielsweise auch dann einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG angenommen, wenn der Tatrichter einen Sachverständigenbeweis mit der Begründung unerhoben gelassen hat, dass er in ausreichendem Maße eigene Sachkunde habe. Die Beweisablehnung eines Sachverständigenbeweises wegen eigener Sachkunde des Gerichts ist an sich zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat somit den in Ansatz gebrachten Beweisablehnungsgrund inhaltlich überprüft. 1046 

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abgelehnt wird oder die Verfahrensordnung eine Beweisablehnung aus dem genannten Grund nicht vorsieht. Ein Verstoß gegen einfaches Recht kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohnehin erst dann einen Verfassungsverstoß begründen, wenn die Auslegung oder Anwendung des einfachen Rechts willkürlich erfolgt und aufgrund dessen zu einer krassen Fehlentscheidung führt.1050 Würde somit ein Gericht eine Beweisablehnung nur dem äußeren Anschein nach auf einen anerkannten Beweisablehnungsgrund stützen und dadurch gewissermaßen einen Etikettenschwindel betreiben, würde es hiermit spätestens an der Willkürkontrolle nach Art.  3 Abs.  1 GG scheitern.1051 Das „Stütze“-Kriterium ist somit in einem rein formellen Sinne zu verstehen. Nach der wohl einhelligen Ansicht in der Literatur, die keinen Unterschied zwischen dem verfahrensrechtlichen und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zu machen scheint, ist das „Stütze“Kriterium erst dann erfüllt, wenn sich die Beweisablehnung insgesamt als verfahrensfehlerfrei erwiesen hat.1052 Dementsprechend genügt es nicht, wenn die Beweisablehnung auf einem anerkannten Beweisablehnungsgrund beruht. Der Beweisablehnungsgrund muss vielmehr im konkreten Fall auch tatsächlich einschlägig sein, um die Beweisablehnungen zu rechtfertigen. Dementsprechend vertritt die Literatur ein „Stütze“-Kriterium im materiellen Sinne. c)  Das Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz Angesichts der Tatsache, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht sowohl verfahrensrechtlich als auch verfassungsrechtlich gewährleistet wird, stellt sich die Frage, ob vor diesem Hintergrund das Bundesverfassungsge-

Zur Willkürkontrolle: Bender, Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung gerichtliche Entscheidungen, S.  397 ff.; Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  276 ff. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot nach Art.  3 Abs.  1 GG liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung oder (…) Fehler enthalten. Hinzukommen muß vielmehr, daß diese bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhen.“, BVerfG, Beschl. v. 01.07.1954 – 1 BvR 361/52, BVerfGE 4, 1, 7. Eingehend: Weiß, Willkür, S.  40 ff.; Lindeiner, Willkür, S.  224 ff. 1051  Zum Willkürbegriff: Lindeiner, Willkür, S.  63 f.: „Willkür ist, was das Bundesverfassungsgericht für besonders falsch hält.“ 1052  Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., vor §  284 Rn.  8; Zuck, NJW  2005, 3753, 3755. 1050 

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richt zwingend in die Rolle einer „Superrevisionsinstanz“1053 (auch „Hyperrevision“1054) gedrängt wird. aa)  Das Verhältnis zwischen Rechtsschutzverdoppelung und Superrevisionsinstanz Das Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz setzt, wie Alleweldt überzeugend darlegt, begrifflich voraus, dass das Bundesverfassungsgericht die fachgerichtliche Entscheidung nach Abschluss des ordentlichen Rechtszuges erneut nach Maßgabe des einfachen Rechts überprüft.1055 Überprüft das Bundesverfassungsgericht die fachgerichtliche Entscheidung jedoch allein am Maßstab des Grundgesetzes, was seine originäre und ureigene Aufgabe ist, kann noch nicht von einer Superrevisionsinstanz gesprochen werden. In diesem Fall kommt es lediglich zu einer Rechtsschutzverdoppelung. Aus diesem Grund führt die bloße Doppellegitimierung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht – verfahrens- und verfassungsrechtlich – noch nicht zwingend dazu, dass das Bundesverfassungsgericht zur Superrevisionsinstanz wird. Sie begründet zunächst lediglich eine Rechtsschutzverdopplung, eine Aufgabenparallelität zwischen der Fach- und der Verfassungsgerichtsbarkeit.1056 Die Schwelle zur Superrevisionsinstanz wird vom Bundesverfassungsgericht erst dann überschritten, wenn es die fachgerichtliche Beweisablehnung am Maßstab des einfachen Verfahrensrechts und nicht mehr ausschließlich am Maßstab des Verfassungsrechts überprüft. Die bloße Rechtsschutzverdoppelung ist verfassungsrechtlich unproblematisch. Sie stellt keine unvorhergesehene oder unerwünschte Folge des verfassungsrechtlichen Individualrechtsschutzes dar.1057 Vielmehr entspricht sie dem ausdrücklichen Wunsch des Verfassungsgebers.1058 Er versprach sich hiervon Ule, DVBl 1953, 12, 14; Röhl, JZ 1957, 105, 106. In jüngerer Zeit Mauder, Anspruch auf rechtliches Gehör, S.  60 ff.; Düwel, Kontrollbefugnisse, S.  42. 1054  Zweigert, JZ 1952, 321, 327. 1055  Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  211 f. 1056  Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  40 ff. m. w. N. A. A. Schumann, in: FS BGH, Bd.  3, S.  3, 4 f., der in der Rechtsschutzverdoppelung die enorme Bedeutung des Grundgesetzes für die Auslegung und Anwendung des einfachgesetzlichen Verfahrensrechts begründet sieht. Schumann spricht gar von einem „epochalen Schritt“, der dazu geführt hat, dass „die oberste Definitionshoheit (…) vom Prozeßgesetz auf die Verfassung übergegangen (ist), und die oberste Interpretationshoheit (…) vom höchsten Zivilgericht (früher das RG, jetzt der BGH) zum BVerfG gewechselt (hat).“ 1057  Guys, in: FS Bundesverfassungsgericht, Bd.  1, 2001, S.  641, 641 f. 1058  Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  239 ff. Mit Nachweisen zu der Diskussion zur Abfassung des Grundgesetzes. 1053 

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eine zuverlässige Effektuierung des Grundrechtsschutzes.1059 Dagegenstehende Bedenken, wie insbesondere, dass das Bundesverfassungsgericht überlastet werden könnte, wurden offen diskutiert, aber mit Blick auf das zu erreichende Ziel der Effektuierung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen schlussendlich doch beiseitegeschoben.1060 Dass sich das Bundesverfassungsgericht gleichwohl nicht gehindert sah, Rechtsschutzverdoppelungen weitestgehend zurückzudrängen, indem es von §  91a BVerfGG a. F. und später von §  93a–d BVerfGG großzügigen Gebrauch machte, ändert hieran freilich nichts.1061 In dogmatischer Hinsicht bleibt es dabei: Die Doppellegitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht auf verfahrens- und verfassungsrechtlicher Ebene führt logisch und zwingend zu einer an und für sich unschädlichen Rechtsschutzverdoppelung.1062 Jede Beweisablehnung kann sowohl von den Fachgerichten bis in die letzte Instanz als auch vom Bundesverfassungsgericht, freilich erst nach Rechtswegerschöpfung (§  90 Abs.  2 S.  1 BVerfGG), vollumfänglich überprüft werden.1063 Dies allein darf aber nicht zum Anlass genommen werden, die an sich klaren Konturen zwischen dem verfahrens- und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zu verwischen. Eine klare Grenzziehung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit in dieser Hinsicht ist indes nur dann möglich, wenn man den verfassungsrechtlich unterlegten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als eine originäre Gewährleistung des Art.  103 Abs.  1 GG begreift. Behandelt man ihn hingegen als eine derivative Gewährleistung des einfachen Verfahrensrechts, die lediglich auf verfassungsrechtliche Ebene hochgezont ist, darf es wenig überraschen, wenn die Gewährleistungsbereiche des verfahrens- und des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht deckungsgleich sind. Schließlich finden sie ihre inhaltliche Ausformung gleichermaßen im einfachgesetzlichen Verfahrensrecht. Die „notwendige Distanz“ zwischen Verfahrens- und Verfassungsrecht, wie sie Schmidt-Aßmann fordert,1064 kann im Hinblick auf den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nur erreicht werden, wenn deren jeweiliger GeAlleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  239. Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  241. 1061  Hierzu kritisch: Stürner, JZ 1986, 526, 532 f.; Uerpmann, in: FS Bundesverfassungsgericht, Bd.  1, 2001, S.  673, 689 f. 1062  In diesem Sinne Papier, VVDStRK61 (2002), 155, 156, wonach allein das Grundgesetz die Kontrollmaßstäbe für das Bundesverfassungsgericht bestimmt. 1063 Allgemein: Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  6, 22.  Aufl., vor §§  578–591, Rn.  42 ff.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 23.  Aufl., vor §  128 Rn.  116. 1064  Vgl. dazu: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  143. 1059  1060 

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währleistungsgehalt unabhängig voneinander bestimmt wird. Nur und erst dann, wenn die eben beschriebene Trennung zwischen dem verfahrens- und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht konsequent durchgehalten wird, kann eine dogmatisch überzeugende Antwort darauf gegeben werden, warum nicht jede verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung zugleich eine Gehörsverletzung gemäß Art.  103 Abs.  1 GG darstellt und warum durch die verfassungsrechtliche Überprüfung einer fachgerichtlichen Beweisablehnung noch nicht die (unerwünschte und systemwidrige) Schwelle Superrevisionsinstanz überschritten wird.1065 bb)  Die Konstitutionalisierung des verfahrensrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Wie dargestellt, führte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Konstitutionalisierung (auch: „Hochzonung“)1066 des verfahrensrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht. Art.  103 Abs.  1 GG ummantelt damit jenen, der Zivilprozessordnung seit jeher innewohnenden Grundsatz.1067 Ob und inwieweit Art.  103 Abs.  1 GG verletzt ist, richtet sich folglich danach, ob das Gericht im Falle einer Beweisablehnung gegen verfahrensrechtliche Vorgaben verstoßen hat. Der Gewährleistungsgehalt des verfahrensrechtlichen und des verfassungsrechtlichen Grundsatzes auf richterliche Beweiserhebungspflicht sind nach einhelliger Ansicht deckungsgleich.1068 Es besteht zwischen ihnen kein qualitativer Unterschied. Sowohl die Fachgerichte als auch das Bundesverfassungsgericht haben bei der Überprüfung einer richterlichen Be1065  Allgemein zu dieser Zielsetzung: BVerfG, Beschl. v. 21.04.1982 – 2 BvR 810/81, BVerfGE 60, 305, 310; BVerfG, Beschl. v. 08.01.2004 – 1 BvR 864/03, BVerfGK 2, 213, 222; BVerfG, Beschl. v. 23.06.2004 – 1 BvR 496/00, BVerfGK 3, 274, 276.Vgl. ferner: Kopp, AöR 106 (1981), 604, 616; Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 476; Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, S.  35; Zuck, NJW  2005, 3753; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  143. 1066  Zum Begriff im Allgemeinen: Wahl, in: FS Brohm, S.  191, 192. Neben der Rechtswegverdoppelung führt die Hochzonung darüber hinaus zu einer „Versteinerung“ des Verfahrensrechts, indem es durch den Gesetzgeber nicht ohne Weiteres aufgehoben oder abgeändert werden kann, vgl. Müller-Freienfels, in: FS Rittner, S.  423, 368; Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  194, 196 ff. Kritisch zum Begriff der „Versteinerung“: Bender, Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung gerichtliche Entscheidungen, S.  377. 1067  Da die Verhandlungsmaxime nach ihrer gängigen Lesart den Parteien das Recht gewährt, den relevanten Prozessstoff vortragen und notfalls unter Beweis stellen zu dürfen (s. o.), ist nicht zu übersehen, dass die Verhandlungsmaxime selbst „eine umfassende Garantie des Rechts auf Gehör“ beinhaltet, vgl. Schwartz, Gewährung und Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, S.  30. Allgemein zur verfahrensrechtlichen Gewährleistung des Rechts auf Gehör durch die Zivilprozessordnung: Schumann, in: FS BGH, Bd.  3, S.  3. 1068  In diesem Sinne auch: Deubner, NJW  1980, 263, 266.

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weisablehnung stets ein und dieselbe Frage zu klären: Verstößt die Beweisablehnung gegen einfachgesetzliches Verfahrensrecht?1069 Das hat zwanglos zur Folge, dass das Bundesverfassungsgericht zur Superrevisionsinstanz wird. Es überprüft eine fachgerichtliche Beweisablehnung (wenigstens mittelbar) am Maßstab des einfachgesetzlichen Verfahrensrechts und nicht allein am Maßstab des Verfassungsrechts. Hieran hat bisher überraschenderweise niemand Anstoß genommen. Immerhin birgt der Ansatz der herrschenden Meinung nicht nur die altbekannte Gefahr der Überlastung der Verfassungsgerichtsbarkeit in sich,1070 sondern er höhlt überdies die Autonomie der Fachgerichtsbarkeit weitgehend aus.1071 Der hier vertretene Standpunkt löst eben dieses Spannungsverhältnis zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit auf,1072 indem es den verfassungsrechtlich unterlegten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht aus einer verfahrensrechtlichen Hochzonung gewinnt, sondern ihn als eine originäre Gewährleistung des Art.  103 Abs.  1 GG begreift. Dadurch wird konstruktiv eine qualitative Unterscheidbarkeit der Gewährleistungsbereiche zwischen Verfahrensrecht und Verfassungsrecht überhaupt möglich. Sie können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Die Möglichkeit der Rechtsschutzverdoppelung besteht nach richtigem Verständnis nur in solchen Fällen, in denen sich die Beweisablehnung als besonders schwerwiegend und offensichtlich falsch erweist. Nur und erst dann stellt sich die Beweisablehnung nicht nur als verfahrensfehlerhaft, sondern darüber hinaus als verfassungswidrig dar. Da das Bundesverfassungsgericht gleichwohl die Verfassungsmäßigkeit der Beweisablehnung allein am Maßstab des 1069  Statt vieler: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., S.  654; Schneider, MDR 1998, 997, 998 f.; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284 Rn.  14; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  54 f.; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Zuck, NJW  2005, 3753, 3755. 1070  Hierauf wiesen bereits früh hin: Ule, DVBl 1953, 12, 14; Röhl, JZ 1957, 105, 105 ff.; Redelberger, NJW  1953, 361, 363 f. Aus heutiger Sicht: Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  248 ff. 1071  In diesem Sinne: Deubner, NJW  1980, 263, 267; Bryde, Verfassungsentwicklung, S.  318; Düwel, Kontrollbefugnisse, S.  247; Jestaedt, DVBl.  2001, 1309, 1321; Zuck, AnwBl 2006, 773, 776. 1072  Zum Verhältnis zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit, vgl. Steinwedel, „Spezifisches Verfassungsrecht“ und „einfaches Recht“, S.  181 ff.; Deubner, NJW  1980, 263 ff.; Wahl, in: Der Staat, Bd.  20, S.  485 ff.; Stürner, JZ 1986, 526 ff.; Mauder, Anspruch auf rechtliches Gehör, S.  45 ff.; Bender, Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung gerichtliche Entscheidungen, S.  374 ff.; Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, S.  30 ff.; Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S.  211 ff.; Schmidt-Aßmann, DÖV 1987, 1029 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  133; Knemeyer, in: HdB des Staatsrechts, Bd.  8, 3.  Aufl., §  178 Rn.  22.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Art.  103 Abs.  1 GG und ohne Rücksicht auf die verfahrensrechtlichen Vorgaben überprüft, besteht keine Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht zur Superrevision der Fachgerichtsbarkeit wird. Folgt man dem hier vertretenen Standpunkt kann die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung einer fachgerichtlichen Beweisablehnung zur Superrevisionsinstanz wird, effektiv ausgeschlossen werden. Die praktische Umsetzung setzt freilich voraus, dass das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung aufgibt und die Gleichschaltung von Verfahrens- und Verfassungsrecht ein Ende findet. d) Ergebnis Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht wird ebenfalls durch den Anspruch auf rechtliches Gehör verfassungsrechtlich gewährleistet. Im Unterschied zum verfahrensrechtlichen Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ist sein Umfang nach richtiger Lesart jedoch wesentlich grundsätzlicher und grobmaschiger. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll in erster Linie sicherstellen, dass sich der Tatrichter einer beantragten Beweisführung nicht von vornherein verschließt oder sie ohne jeden Grund ablehnt. Denn erst hierdurch stellt sich das fachgerichtliche Beweisverfahren als verfassungsrechtlich bedenklich dar. Der hier vertretene Ansatz lässt sich durch das „Stütze“-Kriterium des Bundesverfassungsgerichts konsequent verwirklichen. Es sollte in einem rein formellen Sinne ausgelegt und angewendet werden. Danach findet eine Beweisablehnung nach verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten schon dann im Prozessrecht eine Stütze, wenn sie auf einem an sich anerkannten Beweisablehnungsgrund beruht, unbeschadet, ob dessen Tatbestandsvoraussetzungen auch tatsächlich erfüllt sind. Eine verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung, die auf einem bloßen Subsumtionsirrtum des Tatrichters beruht, rechtfertigt, jedenfalls solange sie nicht offensichtlich willkürlich erfolgte, keine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Nur wenn der verfassungsrechtlich unterlegte Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als eine originäre verfassungsrechtliche Gewährleistung begriffen wird, ist eine Trennung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit strukturell möglich. Jede Gleichschaltung von Verfahrens- und Verfassungsrecht drängt das Bundesverfassungsgericht ganz zwangsläufig in die Rolle einer Superrevisionsinstanz.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

213

3.  Die Konventionsrechtliche Legitimation des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Abschließend ist zu prüfen, ob – entgegen der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: „Gerichtshof“1073) – aus der EMRK der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und umgekehrt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung deduziert werden kann. a)  Der Gewährleistungsgehalt des (aktiven) Konfrontationsrechts, Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK Das (aktive) Konfrontationsrecht des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK ist eine spezialgesetzliche Ausprägung des Fairnessgebots des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK. Es findet über seinen ausdrücklichen Wortlaut hinaus sowohl für sonstige Beweismittel jenseits des Zeugenbeweises als auch auf den Zivilprozess Anwendung (doppelt analog).1074 Das Konfrontationsrecht gewährleistet zweierlei: das Recht zur Beweisführung und das Recht, gegenüber geführten Beweisen Stellung zu nehmen.1075 Diese Rechte stehen dem Beweisführer aber nur in einem Umfang zu, wie sie auch dessen Prozessgegner zur Verfügung stehen. Damit wird dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit Rechnung getragen. Der Gewährleistungsbereich des Konfrontationsrechts steht in untrennbarer Relation zur Verfahrensordnung des jeweiligen Konventionsstaates.1076 Aus diesem Grund muss nach Maßgabe des Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK das Beweisführungsrecht der einen Partei immer so weit reichen wie das der anderen. Sieht die einschlägige nationale Verfahrensordnung jedoch ein schwaches Beweisführungsrecht der Parteien vor, etwa weil es die richterliche Aufklärung von Amts wegen in den Vordergrund der Sachverhaltsfeststellung stellt, kann der Richter nicht aufgrund des Konfrontationsrechts 1073 

Teil 1, B.II.5. Matscher, in: FS Beys, Bd.  2, S.  989, 993 f.; Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  577 ff.; Esser, in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 41 f.; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl., §  24 Rn.  2 ff. 1075  Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  577. 1076  In der Literatur wird dieser Zusammenhang gerne dadurch zum Ausdruck gebracht, dass man das aus dem Konfrontationsrecht abgeleitete Beweisführungsrecht der Partei als „kein absolutes Recht“ bezeichnet, vgl. Peukert, EuGRZ 1980, 247, 257; ders., in: Frowein/ Peukert, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  313; Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  603; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd.  1, 2.  Aufl., Kap.  14 Rn.  158. Vgl. ferner: Rainey/Wicks/Ovey, The European Convention on Human Rights, 6.  Aufl., S.  264: „The entitlement to disclosure of relevant evidence is not, how­ ever, an absolute right.“ 1074 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

zur Beweiserhebung verpflichtet werden. Verneint beispielsweise ein nationales Gericht die Erheblichkeit einer Beweisführung und lehnt sie aufgrund dessen ab, so kann darin kein Verstoß gegen Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK erblickt werden. Etwas anderes gälte nur für den Fall, dass das nationale Gericht die Erheblichkeit der Beweisführung nach den Umständen des Einzelfalles zwingend hätte bejahen müssen und es damit die Pflicht zu einer unvoreingenommenen und fairen Sachverhaltsermittlung verletzt hat,1077 oder wenn es schlicht die Erheblichkeitsfrage zwischen den Parteien unterschiedlich beantworten würde. Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind in der Literatur allgemein anerkannt. Ein weitergehender Gewährleistungsbereich wird zu Recht nicht gefordert.1078 b)  Der Gewährleistungsgehalt des Fairnessgebots, Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK Im Zentrum des verfahrensrechtlichen Grundrechtsschutzes nach der Europäischen Menschenrechtskonvention steht Art.  6 Abs.  1 EMRK und das darin enthaltene Menschenrecht auf ein faires Verfahren („right to a fair trial“).1079 Das Fairnessgebot des Art.  6 Abs.  1 EMRK bildet den Dreh- und Angelpunkt für das gesamte Spektrum an verfahrensrechtlichen Einzelverbürgungen.1080 Es bildet

1077  Peukert, EuGRZ 1980, 247, 257; ders., in: Frowein/Peukert, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  313; Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  605 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  141 ff.; Matscher, in: FS Beys, Bd.  2, S.  989, 997 ff.; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd.  1, 2.  Aufl., Kap.  14 Rn.  159; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  117, 201; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  84; Rainey/Wicks/Ovey, The European Convention on Human Rights, 6.  Aufl., S.  264 f. 1078  Gaede, Fairness als Teilhabe, S.  624, mit der trefflichen Schlussfolgerung, dass aus diesem Grund Art.  6 Abs.  3 lit d EMRK aus diesem Grund auch einer „Beweisantizipation“ zugänglich sei. Ebenso: Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, S.  79 ff. Gaede steht der herrschenden Ansicht indes kritisch gegenüber, soweit diese davon ausgeht, dass Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK in keiner Hinsicht dem Angeklagten ein Beweisführungsrecht einräume. Hierauf muss im Einzelnen nicht eingegangen werden. Ein generelles Beweisführungsrecht und damit eine richterliche Beweiserhebungspflicht leitet auch Gaede nicht aus Art.  6 Abs.  3 lit d EMRK ab, vgl. Gaede, Fairness als Teilhabe, S.  615 ff. Zur Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung ferner: Dahs, NJW  1995, 553, 556; König/Seitz, NStZ 1995, 1, 5. 1079  Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl., §  24 Rn.  60; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., Einl. Rn.  221. 1080  Im Einzelnen: Gaede, Fairness als Teilhabe, S.  339 ff.; Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 596; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  99 ff.; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  80; Rainey/Wicks/Ovey, The European Convention on Human Rights, 6.  Aufl., S.247.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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deren gemeinsames „Dach“.1081 Art.  6 Abs.  1 EMRK gewährleistet in Zivilrechtsstreitigkeiten ein Recht auf einen wirksamen, effizienten und fairen Rechtsschutz.1082 Entsprechend dieser herausragenden Stellung darf Art.  6 Abs.  1 EMRK nach seinem Sinn und Zweck nicht eng ausgelegt werden. Ausfluss des Fairnessgebots des Art.  6 Abs.  1 EMRK ist unter anderem der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör.1083 Damit trägt Art.  6 Abs.  1 EMRK in weiten Teilen der Verwirklichung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips auf konventionsrechtlicher Ebene Rechnung.1084 In Anlehnung an die Rechtsprechung des Gerichtshofs betont die Literatur, dass die nationalen Gerichte nach Maßgabe des Fairnessgebots des Art.  6 Abs.  1 EMRK dafür Sorge tragen müssen, dass sie den Parteien eine angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme geben1085 und sie in ihrer prozessualen Stellung nicht unterschiedlich behandelt werden.1086 Den Parteien muss in gleichem Umfang die Möglichkeit gegeben werden, Anträge stellen und Beweismittel vorbringen zu dürfen.1087 Dadurch soll sichergestellt werden, dass die nationalen Gerichte ihre Entscheidung „unabhängig, unparteiisch, und nach Treu und Glauben sowie auf der Basis einer gesetzlichen Verfahrensregelung“ treffen.1088 Jenseits dieses Mindestmaßes an Rechtsstaatlichkeit innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (sog. „Mindestgarantie“, „autonome Verfahrensgarantie“1089) sind die Konventionsstaaten frei in der Ausgestaltung ihrer jeweiligen Verfahrensordnung. Solange die Parteien untereinander nicht willkürlich unterschiedlich behandelt werden, kommt eine Verletzung des Fairnessgebots des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK nicht ernstlich in Betracht. Die Literatur erklärt sich einverstanden mit den von der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Grundsätzen. Für eine Ausweitung der konventionsrechtlichen Garantien in dieser Hinsicht spricht sich bisher niemand aus.1090 Ferrand, ZEuP 2004, 616 ff.; In diesem Sinne: Schroeder, GA 2003, 293, 294; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., Einl. Rn.  221. 1082  EGMR NJW  2003, 2221; EGRM NJW  2005, 41; EGMR, NJW  2006, 2241; EGMR, NVwZ 2008, 289; vgl. im Einzelnen: Pache, NVwZ 2001, 1342 1343 f.; Geppert, Jura 1992, 597, 599; Matscher, in: FS Beys, Bd.  2, S.  989, 991 ff. 1083  Eingehend: Peukert, EuGRZ 1980, 247, 254 ff.; Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  372; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  81. 1084  Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 595; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl., §  24 Rn.  2; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  1. 1085  Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  142. 1086  Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  373. 1087  Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  81. 1088  Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  357. 1089  Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  357. 1090  Vgl. nur: Kühne, in: Pabel/Schmahl, EMRK, 11. Lfg. April 2009, Art.  6 Rn.  364 ff., 372 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  141 ff.; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  100 f.; Genwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, 1081 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

c)  Diakonis’ These von einem konventionsrechtlich verbürgten „Recht auf Beweis“ In der Literatur zur Europäischen Menschenrechtskonvention wird an keiner Stelle die Behauptung aufgestellt, der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht sei konventionsrechtlich verbürgt.1091 Insoweit besteht Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Lediglich Diakonis scheint gegenteiliger Auffassung zu sein. Ohne sich mit dem Gewährleistungsgehalt des Art.  6 EMRK auseinanderzusetzen, beruft sich Diakonis zur Begründung seiner Behauptung auf die Dissertationsschrift Kofmels zum Schweizer Zivilprozessrecht.1092 Kofmel legte überzeugend dar, dass das Recht auf Beweis nicht nur in der schweizerischen Verfahrensordnung1093 und der Bundesverfassung1094 verankert ist, sondern auch durch Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK gewährleistet wird.1095 Vor diesem Hintergrund könnte man prima facie annehmen, dass Kofmel die These Diakonis’ stütze. Bei genauerem Hinsehen erweist sich dies jedoch als Trugschluss: Kofmel verstand den Ausdruck „Recht auf Beweis“ wesentlich weiter als die Lehre vom „Recht auf Beweis“ nach Vorbild von Walter und Habscheid. Kofmel unterteilte den Begriff „Recht auf Beweis“ in einen ganzen Strauß an Einzelgewährleistungen.1096 Das Bd.  1, 2.  Aufl., Kap.  14 Rn.  101, 159; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  81 ff.; Rainey/Wicks/ Ovey, The European Convention on Human Rights, 6.  Aufl., S.  264 f. 1091  Hiervon nimmt Baumgärtel, in: FS Matscher, S.  29, 33 keine Ausnahme. Baumgärtel geht im Anschluss an Matscher, ZÖR 31 (1980), 1, 30 und Dörr, Faires Verfahren, S.  80 davon aus, dass gemäß Art.  6 EMRK die Gelegenheit gegeben werden müssen, Beweismittel vorzubringen. Daraus folgert er, dass Art.  6 EMRK ein „Recht auf Beweis“ nach Vorstellung Habscheids, ders., ZZP 96 (1983), 307, enthalte. Baumgärtel übersieht dabei, dass die Lehre vom „Recht auf Beweis“ nicht nur von der Beweisführungsgelegenheit ausgeht, sondern von einem Beweisführungsrecht mit korrespondierender richterlicher Beweiserhebungspflicht. 1092  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  26 ff., 79 ff. Sie findet auch andernorts gelegentlich Beachtung: Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  18; Maniotis, ZZP 125 (2012), 41, 41 ff. 1093  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  26 ff., 79 ff. Kofmel unterscheide dabei richtigerweise zwischen den kantonalen Zivilprozessordnungen und der Bundeszivilprozessordnung, vgl. Kofmel, Recht auf Beweis, S.  58 ff. 1094  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  23 ff., 79 ff. 1095  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  29 ff., 79 ff. 1096  Vgl. im Einzelnen: Kofmel, Recht auf Beweis, S.  88 f.: Kofmel unterteilt das Recht auf Beweis in einen Katalog von Einzelrechten. Dazu gehören unter anderem: (1.) Das Recht, etwas zu behaupten; (2.) Das Recht auf den Beweis sämtlicher rechtserheblicher Tatsachen; (3.) Das Recht, die Richtigkeit dieser Tatsachen zu beweisen. (4.) Das Recht auf Sicherung von Beweismitteln; (5.) Das Recht auf Abnahme sämtlicher objektiv tauglicher Beweise; (6.) Das Recht auf Beweisabnahme durch eine gerichtliche Behörde; (7.) Das Recht auf Teilnahme an der Beweiserhebung; (8.) Das Recht auf Stellungnahme zum Beweisergebnis; (9.) Das Recht auf Berücksichtigung des Beweisergebnisses.

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„Recht auf Beweis“ wie es Kofmel in Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK begründet sah, gewähre nur ein Recht darauf, „zum Beweis zugelassen zu werden – was nach Schweizer Sprachgebrauch lediglich bedeutet, einen Beweisantrag stellen zu dürfen –, am Beweisverfahren teilzunehmen, den Zeugen Fragen zu stellen sowie (…) das Recht auf ein Beweisverfahren vor einem Gericht.“1097

Daraus folgerte sie, dass es gerade nicht gegen Art.  6 Abs.  3 lit.  d EMRK verstoße, wenn ein Beweismittel generell ausgeschlossen oder aus Gründen der Irrelevanz abgelehnt werde.1098 Eine richterliche „antizipierte Beweiswürdigung“ sei aus diesem Grund ebenfalls zulässig.1099 Es besteht kein Zweifel, dass Kofmel aus Art.  6 Abs.  1 S.  1, Abs.  3 lit.  d EMRK gerade keine grundsätzliche Beweiserhebungspflicht ableitet, wie es ihr Diakonis ungerechtfertigterweise unterstellt.1100 Da Diakonis auch ansonsten keine weiteren Gründe nennt, warum das „Recht auf Beweis (…) auch in Rechtsregeln wie der der EMRK“ verankert sein soll,1101 bleibt sein Standpunkt überaus unsubstantiiert und vage. d) Ergebnis Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK gibt kein Recht darauf, dass der Richter einer beantragten Beweisführung stattgibt. Die ausschließliche Entscheidungsgewalt darüber, wann und in welchem Umfang Beweise nach Maßgabe der jeweiligen Verfah­ rens­ordnung zu erheben sind, bleibt den Konventionsstaaten und deren Gerichten überlassen. Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK ist erst und nur dann berührt, wenn die Parteien im Rahmen des Beweisverfahrens ungleich und damit unfair behandelt worden sind.1102 Es sprechen gewiss gute Gründe dafür, den Gewährleistungsgehalt des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK nicht zu engherzig auszulegen. Gerade ein effektives Beweisführungsrecht der Parteien als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist ein wesentlicher Bestandteil eines fairen und damit rechtsstaatlichen Verfahrens. Würde man einer Partei per se die Beweisführung versagen, etwa indem man das Gericht in den Stand setzt, nach freiester Willkür über die Beweiserhebung zu entscheiden, so wäre ein Verstoß gegen Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK wohl nicht von der Hand zu weisen.

Kofmel, Recht auf Beweis, S.  56. Kofmel, Recht auf Beweis, S.  40. 1099  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  40. 1100  So aber Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  47 Fn.  15. 1101  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  73. 1102  Vgl. Peukert, EuGRZ 1980, 247, 257 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  141, m. w. N. 1097  1098 

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Andererseits darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass es durchaus rechtsstaatliche Verfahrensvorschriften gibt und geben kann, die dem Gericht im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung ganz bewusst einen größeren Entscheidungsspielraum im Umgang mit Beweisanträgen einräumen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichtshofs, den Konventionsstaaten ein bestimmtes Beweisverfahren vorzuschreiben.1103 Aufgrund der gebotenen Distanz, die dem Gerichtshof bei der Überprüfung nationaler Entscheidungen aufgebeben ist, muss er sich darauf beschränken, die Konventionskonformität eines gerügten Verfahrens „als Ganzes“ zu beurteilen.1104 Aus diesem Grund ist es ohne jede Bedeutung, ob das Gericht eines Konventionsstaates gegen nationale Verfahrensvorschriften verstoßen hat oder das nationale Verfahrensrecht als solches ein punktuell konventionswidriges Beweisverfahren vorsieht.1105 Würde man den originären Gewährleistungsbereich des Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK großzügiger auslegen und es nicht bei einer absoluten Mindestgarantie belassen, so gelänge dem Gerichtshof nur noch schwerlich der Spagat zwischen der Achtung staatlicher Souveränität einerseits und der Ahndung evidenter Verstöße gegen die Verfahrensfairness andererseits. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ist somit konventionsrechtlich nicht verbürgt.1106 4.  Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und somit umgekehrt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung finden sowohl im einfachen Verfahrensrecht, namentlich in der Verhandlungsmaxime, als auch in sei1103  Unter Bezugnahme auf die nationalen Präklusionsvorschriften: Henckel, in: FS Matscher, S.  185, 188 ff.; Schroeder, GA 2003, 293, 295 f.; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  165; Meyer-Ladewig, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  141 f.; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  101; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.  Aufl., §  24 Rn.  63; Grabenwarter, ECHR, Art.  6 Rn.  82; Esser, in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 43 f. m. w. N. 1104  Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, S.  102 ff.; Schroeder, GA 2003, 293, 294; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, 3.  Aufl., Art.  6 Rn.  68 ff.; Meyer, in: Karpenstein/ Mayer, EMRK, 2.  Aufl., Art.  6 Rn.  101; Esser, in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 50. 1105  Esser, in: Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S.  39, 54 ff. 1106  In diesem Sinne ebenso: Gaede, Fairness als Teilhabe, S.  319 ff. Dies gilt im Übrigen noch nicht einmal für den Strafprozess, vgl. Warnking, Strafprozessuale Beweisverbote in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S.  63 f. Dies untermauert die hier getroffene Feststellung. Schließlich haben die Konventionsstaaten bei der Ausgestaltung ihrer jeweiligen Verfahrensordnung im Lichte des Fairnessgebot des Art.  6 Abs.  1 EMRK in Zivilsachen einen erheblich größeren Ermessensspielraum, als in Strafsachen, Matscher, in: FS Henckel, S.  593, 606.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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nen Grundzügen im Verfassungsrecht, namentlich in Art.  103 Abs.  1 GG, eine sichere normative Grundlage. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, welchen dogmatischen Nutzen die Lehre vom „Recht auf Beweis“ hat, soweit man sie nicht ohnehin als rein deskriptive Rechtsfigur betrachtet. Aus heutiger Sicht erfreut sich die Lehre vom „Recht auf Beweis“ in der Literatur gleichbleibend hoher Beliebtheit.1107 Sie kann mit Fug und Recht als „allgemein anerkannt“ bezeichnet werden.1108 Ruft man sich in Erinnerung, dass die Lehre vom „Recht auf Beweis“ innerhalb der Geschichte der Zivilprozessordnung eine äußerst junge Erscheinung ist, stellt sich die Frage, wie sie sich derart schnell und frei von jeder Kritik durchzusetzen vermochte. Der Grund hierfür liegt auf der Hand. Er ist weniger dogmatischer, als vielmehr praktischer Natur. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ erlaubt es, ganz im Sinne ihres Erfinders1109, die Geltung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht mit wenigen Worten anschaulich und überzeugend zu begründen; und zwar ohne dass eine eingehende dogmatische Auseinandersetzung mit der Zivilprozessordnung und dem in ihr verankerten Beweisverfahrensmodell von Nöten wäre. Während es für die vorliegende Untersuchung einen erheblichen Aufwand bedeutete, die tatsächlichen Wurzeln des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht freizulegen und seine Geltung zu begründen, benötigte Walter hierfür zusammenfassend nur zwei Sätze: „Bei der Suche nach einer Antwort auf unsere Frage, ob der Gesetzgeber beliebig an sich geeignete Beweisgründe einer Beweisführung und damit Urteilsfindung entziehen darf, stießen wir auf den von Verfassungs wegen garantierten Justizanspruch als sedes materiae einer Antwort. Dieser Justizanspruch siedelt richtigerweise im Rechtsstaatsprinzip und gewährt ein Recht zum Beweis: er ist das Korrelat zum Verbot der Selbsthilfe, gewährt damit ein Recht auf Klage und Verteidigung und, um dieses Recht auch effektiv zu gewährleisten, ein Recht auf Beweis.“1110

So einfach ist es aber nicht. Um den tatsächlichen Ursprung und damit auch die dogmatische Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht finden zu können, bedurfte es mehr, als einer rein ergebnisorientierten Deduktion aus dem Verfassungsrecht, namentlich dem Justizgewährungsanspruch.

1107  Vgl. nur: Dauster/Braun, NJW  2000, 313, 317 f.; Prütting, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  41; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  4; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  45 ff. 1108  Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  49. 1109  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  297 ff. 1110  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  314.

220

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Auf welch schwachen Beinen die von Walter entwickelte Lehre steht, wird erkennbar, wenn man die ihr zugrundeliegende Prämisse einer näheren Prüfung unterzieht. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ beruht auf der Annahme, dass den Parteien zum Preis der privaten Selbsthilfe gegenüber dem Staat ein Beweisführungsrecht zustehe. Dieses führe wiederum zu einer grundsätzlichen Pflicht des Richters, die beantragten Beweise zu erheben. Diese Schlussfolgerung ist plausibel, aber keineswegs zwingend. Das Verbot der Selbsthilfe bildet den Grundstein einer jeden zivilistischen Verfahrensordnung.1111 Das Verbot zur Selbsthilfe galt auch im römischen Prozess der klassischen Periode, im altdeutschen Prozess des Hoch- und Spätmittelalters und auch im preußischen Prozess, ohne dass dies dazu geführt hätte, dass der Richter zur Beweiserhebung grundsätzlich verpflichtet gewesen wäre.1112 Schon vor diesem Hintergrund kann die These, dass aus dem Verbot zur Selbsthilfe das „Recht auf Beweis“ folge, nicht überzeugen. Darüber hinaus wird die Lehre vom „Recht auf Beweis“ in keiner Weise dem fein austarierten Verhältnis zwischen Verfahrens- und Verfassungsrecht im Hinblick auf die richterliche Beweiserhebungspflicht gerecht. Es negiert schlicht den verfahrensrechtlich gewährleisteten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ganz und unterstellt, dass dieser seine einzige Grundlage in der Verfassung, namentlich dem aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten Justizgewährleistungsanspruch finde. Dies hat zur fatalen Folge, dass jeder noch so geringfügige Verstoß gegen den Grundsatz der nicht Beweiserhebungspflicht zwangsläufig einen Verfassungsverstoß nach sich zieht. Jede Unterscheidung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Beweisablehnung wird von vornherein unmöglich. Das Bundesverfassungsgericht wird nach Maßgabe der Lehre von „Recht auf Beweis“ nicht nur zur Superrevisionsinstanz; es wird streng genommen zur einzigen gerichtlichen Kontrollinstanz, da es um die Auslegung und Anwendung spezifischen Verfassungsrechts ginge.1113 Immerhin steht im Hin1111  de Boor, in: FS Boehmer, S.  99, 107. In diesem Sinne bereits Martin/Martin, Vorlegungen über die Theorie des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd.  1, S.  5 ff.; Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  4 ff. unter Berücksichtigung des in Deutschland lange geltenden Fehderechts als dem „Vorrecht der vollkommen Freien“. Dieses stand der weitgehenden Exklusivität des Zivilprozesses im Hinblick auf die Durchsetzung privater Rechte zunächst entgegen. Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 5.  Aufl., S.  1; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  15 ff.; Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  1, 2.  Aufl., S.  9 ff.; Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  6 ff. 1112  Teil 1, A.I.1; A.III.2; A.V. 1113  Vgl. Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91, der den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht allein aus der Verfassung, nicht aber aus dem Verfahrensrecht abgeleitet wissen will. In diesem Sinne wohl auch Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  284: „Grds. besteht ein Recht auf Beweis. Jede ungerechtfertigte Übergehung eines

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

221

blick auf eine (verfassungs-)‌fehlerhafte Beweisablehnung stets ein Verstoß gegen den Justizgewährleistungsanspruch im Raum. Abgesehen davon bietet die Lehre vom „Recht auf Beweis“ keinerlei Mehrwert. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht findet, sowohl im Verfahrens- als auch (etwas geringfügiger) im Verfassungsrecht eine gesicherte Rechtsgrundlage. Möglicherweise hat Walter die Lehre vom „Recht auf Beweis“ überhaupt nur deshalb begründet, weil er sich nicht erklären konnte, auf welcher normativen Grundlage das Gericht zur Beweiserhebung verpflichtet sein sollte. Anders, als beispielsweise Strack1114 und Söllner1115 vor ihm, erkannte Walter völlig zu Recht, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiswürdigung des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO keine geeignete Grundlage für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht bietet.1116 Walter nahm mit Recht die unterschiedlichen Ebenen zwischen Beweiserhebung und der sich daran lediglich anschließenden Beweiswürdigung ernst. Er wandte sich jedoch zu früh vom Verfahrensrecht ab und entwickelte (freilich ohne Not) die Lehre vom „Recht auf Beweis“. Ob die Lehre vom „Recht auf Beweis“ heute überhaupt existieren würde, wenn Walter richtigerweise den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht verfahrensrechtlich (auf Basis der Verhandlungsmaxime) begründet hätte, ist vor diesem Hintergrund sehr zu bezweifeln. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ erweist sich mithin einerseits als obsolet, andererseits als dogmatisch unbegründet und als konzeptionell verfehlt, da es das Verhältnis zwischen Verfahrens- und Verfassungsrecht im Hinblick auf die Gewährleistung der richterlichen Beweiserhebungspflicht missachtet. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, an ihr festzuhalten. Wer sich ihrer bedient, setzt sich unweigerlich dem Verdacht aus, die Struktur des zivilprozessualen Beweisverfahrens nicht nachvollzogen zu haben.

Beweisangebots verletzt das rechtliche Gehör, zumindest den Grundsatz des fairen Verfahrens; sie ist Verfahrensfehler.“ Unerklärlich bleibt aber, warum Foerste von einem „Verfahrensfehler“ spricht, wenn er doch in einer ungerechtfertigten Beweisablehnung das „rechtliche Gehör“ oder das „Fairnessgebot“ verletzt sieht. Dann hätte er doch von einem „Verfassungsfehler“ sprechen müssen. Auch hier wird deutlich, dass Verfahrens- und Verfassungsverstoß kurzerhand „in einen Topf“ geworfen wird. 1114  Strack, SJZ 1949, 830, 831. 1115  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  80 f.; ders., MDR 1988, 363. 1116  Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  295 und 305: „(…) nicht die freie Beweiswürdigung (ist) der Ansatzpunkt und die Garantie für die Benutzung möglichst aller in Frage kommender Beweismittel (…), sondern der Justizanspruch und vor allem dessen wesentlicher Kern, das Recht auf Beweis; (…). Ferner Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  286: „Ob etwas Gegenstand der Würdigung sein kann, ist nicht mit dem Hinweis auf die Freiheit der Beweiswürdigung zu klären.“ Zustimmend: Habscheid, SJZ 1984, 381, 383; Kofmel, Recht auf Beweis, S.  98.

222

Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

5.  Die Konsequenzen für den Rechtsschutz bei Verletzung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Folgt man der hier vertretenen Auffassung, wonach ein Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht in erster Linie einen Verfahrensverstoß und nur unter besonderen Voraussetzungen einen Verfassungsverstoß darstellt, drängt sich unweigerlich die Frage auf, welche rechtspraktischen Folgen dies für den Rechtsschutz des Beweisführers hat, dessen Beweisantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden ist. Der undifferenzierte Verweis auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) bleibt ihm in aller Regel verwehrt. Stattdessen hat der Beweisführer die zivilprozessualen Rechtsbehelfe in Ansatz zu bringen, die ihm eine Verfahrenskorrektur ermöglichen. Für die Berufungsinstanz spielt es keine Rolle, ob das erstinstanzliche Urteil aufgrund eines Verfahrens- oder eines Verfassungsverstoßes überprüft wird, vgl. §  513 Abs.  1 ZPO i. V. m. §  546 ZPO.1117 Etwas anderes könnte jedoch für die Revisionsinstanz gelten, und zwar konkret für die Nichtzulassungsbeschwerde gem. §§  543, 544 ZPO.1118 Schließlich kann nach allgemeiner Ansicht die Revi1117 

Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die rechtliche Qualifikation des Verfahrensfehlers für die Berufungszulassung nach §  511 Abs.  4 Nr.  1 ZPO einen theoretischen Unterschied machen könnte. So wäre der Tatbestand des §  511 Abs.  4 Nr.  1 Var.  3 ZPO nur dann erfüllt, wenn eine verfahrenswidrige Beweisablehnung nicht nur als ein Verfahrens-, sondern darüber hinaus als ein Verfassungsverstoß (konkret: Art.  103 Abs.  1 GG) gewertet werden würde. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie für §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO. Der Gesetzgeber verweist ausdrücklich zur Auslegung des §  511 Abs.  4 Nr.  1 und 2 ZPO auf §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 und 2 ZPO, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  93. Indes dürfte es sich hierbei um eine rein akademisches Problem handeln, denn es wird nicht davon auszugehen sein, dass der iudex a quo die Berufung zulässt, weil er sich selbst einen Verfassungsverstoß attestiert; seine Entscheidung also für verfahrensfehlerhaft ergangen hält. Erkennt das Gericht des ersten Rechtszuges, dass es verfahrensfehlerhaft eine Beweiserhebung unterlassen hat, so kann es diesen Fehler ohne Weiteres korrigieren, bevor er sein Endurteil erlässt. Das Berufungsgericht darf und muss von der Richtigkeit seiner Sachentscheidung ausgehen, vgl. Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 913, schlussfolgern daraus, dass die Schwere des Rechtsfehlers und die Zulassung des Rechtsmittels zueinander „im Verhältnis der Reziprozität“ stehen. Vgl. in diese Richtung auch: Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  48. 1118  Auch hier gilt, dass nicht davon auszugehen ist, dass das Berufungsgericht die Revision gem. §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO zulassen wird, weil es vor Erlass des Urteils erkannt hat, dass es in verfahrensfehlerhafter Weise den Beweisantrag einer Partei abgelehnt hat. In diesem Fall wird es die erforderliche Beweisaufnahme nachholen und einen etwaigen Verfahrensfehler vor Erlass des Endurteils korrigieren. Ob ein Zulassungsgrund nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO vorliegt, stellt sich deshalb naturgemäß erst im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

223

sionszulassung nicht ohne Weiteres unter Verweis auf Verfahrensfehler der Vorinstanz begehrt werden.1119 a)  Der Verfahrensfehler als Revisionszulassungsgrund, §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO Die Revision in Zivilsachen ist nicht ohne Weiteres zulässig.1120 Seit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG)1121 vom 27. Juli 2001, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist,1122 setzt die Revision nach Maßgabe des §  543 ZPO zwingend1123 deren Zulassung voraus. Das vormalige Mischsystem von Zulassungs- und Streitwertrevision wurde (vermeintlich)1124 abgeschafft.1125 §  543 ZPO wird daher zu Recht als das „Kernstück“ des zivilprozessualen Revisionsrechts bezeichnet.1126 Bevor auf die Frage eingegangen werden kann, ob eine verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung eine Revisionszulassung zu rechtfertigen vermag, ist zu klären, ob und wonach sich die Verfahrensrüge in der Revision richtet. Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssachte grundsätzliche Bedeutung hat (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) oder wenn die Fortbildung des Rechts (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 1 ZPO) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO) eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, „Verfahrensfehler“ als selbstständigen Zulassungsgrund einzuführen,1127 obwohl dies mit Blick auf die nahezu baugleichen Revisionszulassungsvorschriften anderer VerfahrenVgl. nur: Siegmann, JZ 2017, 598, 599. Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  8 ff.; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  4 ff.; Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  2 ff.; Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  2. 1121  BGBl.  2001, Teil I, S.  1887, 1899. 1122  BGBl.  2001, Teil I, S.  1887, 1923 (Art.  53 Nr.  3 ZPO-RG). 1123  Einzige Ausnahme bildet die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil im technischen Sinne (§  345 ZPO), das in der Berufungsinstanz ergangen ist. 1124  Die für das System der Zulassungsrevision bedeutsame Nichtzulassungsbeschwerde ist nach wie vor mit einer Wertgrenze versehen, vgl. §  26 Nr.  8 EGZPO. Dazu: Prütting, in: Wie­ czorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  544 Rn.  9 ff.; Siegmann, JZ 2017, 598, 599. Winter spricht mit gutem Grund in diesem Zusammenhang von einer „Lebenslüge, die der Zulassungsrevision von Beginn an anhaftete und fordert daher, dass diese in die Zivilprozessordnung überführt werde, vgl. Winter, NJW  2016, 922, 925. Ihm schließt sich Waclawik an, der die Wertgrenze des §  26 Nr.  8 EGZPO für „Dauerrecht“ hält, vgl. Waclawik, NJW  2016, 1639, 1643. Aus diesem Grund ist es unrichtig, wenn Baukelmann, in: FS Erdmann, S.  767, 769, davon spricht, dass die Revision nunmehr unabhängig vom Streitwert zuzulassen ist. 1125  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  103. 1126  Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  2. 1127  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  105. 1119 

1120 Dazu:

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

sordnungen (vgl. §  132 Abs.  2 Nr.  3 VwGO, §  115 Abs.  2 Nr.  3 FGO, §  160 Abs.  2 Nr.  3 SGG) nahegelegen hätte.1128 In der Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-RG heißt es vielmehr, dass „bei Verfahrensmängeln (…) der Zugang zur Revisionsinstanz (…) nur dann eröffnet sein (soll), wenn die Entscheidung darüber grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.“1129 Dementsprechend rechtfertigt ein Verfahrensfehler der Vorinstanz die Revisionszulassung nur dann, wenn dadurch zugleich der gesetzliche Tatbestand eines ausdrücklich geregelten Revisionszulassungsgrundes des §  543 Abs.  2 S.  1 ZPO erfüllt ist.1130 Da Verfahrensfehler aufgrund ihres Einzelfallcharakters keine grundsätzliche Bedeutung (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) haben1131 und auch eine Entscheidung hierüber der Fortbildung des Rechts (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 1 ZPO) kaum dienlich ist1132, können Verfahrensfehler in aller Regel nur aus Gründen der Sicherung einer einheitli1128  Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  48; Jacobs, in: Stein/ Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  27; Zuck, NJW  2008, 2078, 2079; Siegmann, JZ 2017, 598, 599. 1129  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  105. 1130  Vollkommer, in: FS Schlosser, S.  1009, 1011; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  27. Zu Recht unterstreicht daher Nassall, NJW  2003, 1345, 1348, dass „der ZPO-Reformgesetzgeber Verfahrensfehler – gleich welcher Art – als Revisionszulassungsgrund (…) nicht ausschließen (wollte).“ (Hervorh. d. Verf.). In der Literatur ist gleichwohl vielfach der Versuch unternommen worden, Verfahrensfehler nicht unter einen der Tatbestände des §  543 Abs.  2 S.  1 ZPO zu subsumieren, sondern unter das Kriterium der „offensichtlichen Unrichtigkeit des Berufungsurteils“, vgl. Ball, in: FS Musielak, S.  27, 31 ff. Es ist zwar richtig, dass der Gesetzgeber den Revisionszulassungsgrund der „grundsätzlichen Bedeutung“ (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) für nicht ausreichend angesehen hat, um der Notwendigkeit gerecht werden zu können, auch offensichtlich unrichtige Berufungsurteile der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich zu machen, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  67 und 104. Damit ist aber längst nicht gesagt, dass allein die offensichtliche Unrichtigkeit eines Berufungsurteils die Revisionszulassung rechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die Unzulänglichkeit des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO im Hinblick darauf, dass offensichtlich unrichtige Berufungsurteile für sich keine Revisionszulassung begründen können, dadurch auszugleichen versucht, dass er §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO geschaffen hat: „Diesem Anliegen wird durch die Schaffung des Revisionszulassungsgrundes der Nummer 2 Rechnung getragen.“, Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104. Auch der allgemeine Teil der Begründung des Regierungsentwurfs lässt auf dessen Seite 67 diesen Schluss bei genauerem Lesen nicht zu. Mit dieser Stoßrichtung ebenso: Baukelmann, in: FS Erdmann, S.  767, 773. 1131  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104: „Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache im Sinne der Nummer 1 nach herkömmlicher Definition nur dann, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen denkbar ist.“ 1132  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104: „Danach ist die Revi­ sion zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

225

chen Rechtsprechung (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO) die Revisionszulassung rechtfertigen.1133 Was jedoch unter dem Kriterium „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ zu verstehen ist, ist auf Anhieb nicht ohne weiteres erkennbar. Streng genommen wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch jede fehlerhafte Gerichtsentscheidung gestört. Denn sie beruht auf einer Rechtsauslegung oder -anwendung, die von der anderer Gerichte abweicht.1134 Freilich führte diese Lesart des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO dazu, dass damit jede (vermeintlich) fehlerhafte Gerichtsentscheidung revisibel werden würde; jedenfalls dann, wenn der Revisionsführer einen Rechtsauslegungs- oder Rechtsanwendungsfehler substantiiert behauptet. Dies ginge mit Sicherheit zu weit. Die Erwägungsgründe zu §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO bestätigen diesen Eindruck. Der Gesetzgeber stellt im Kern unmissverständlich klar, dass die Funktion des Revisionszulassungsgrunds der „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ in der Ergebniskorrektur im Einzelfall liegt: „Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Revision zuzulassen, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. Diese Voraussetzungen sind nicht schon dann gegeben, wenn ein Gericht in einem Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen hat, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist, wohl aber, wenn es von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ‚abweicht‘, diese also nicht berücksichtigt und die Gefahr einer Wiederholung besteht. Darüber hinaus ist anerkannt, dass materielle oder formelle Fehler bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts auch dann über den Einzelfall hinaus allgemeine Interessen nachhaltig berühren, wenn sie von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Hierher gehören vor allem die Fälle, in denen Verfahrensgrundrechte, namentlich die Grundrechte auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (…).“1135 (Hervorh. d. Verf.)

Der Gesetzgeber hat in der Konkretisierung des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO davon abgesehen, die aus dem bisherigen Recht (§  546 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 ZPO a. F.) bekannte Divergenzrevision als Revisionszulassungsgrund zu nennen.1136 Lediglich im allgemeinen Teil der Entwurfsbegründung heißt es, dass die Divergenzrevision „neben dem Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlifür die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen.“ (Hervorh. d. Verf.). 1133  Baukelmann, in: FS Erdmann, S.  767, 769; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  49. Siegmann, JZ 2017, 598, 599, spricht im Zusammenhang mit dem Revisionszulassungsgrund des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO von einem „Einfallstor für Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit.“ 1134  Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  12. 1135  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104. 1136  Zutreffend: Heßler, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  543 Rn.  13.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

chen Rechtsprechung (…) keine eigenständige Bedeutung mehr (hat).“1137 Die Frage, ob die Divergenzrevision unter den Tatbestand des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO subsumiert werden kann, ist damit im Grunde nicht beantwortet. Gleichwohl geht die ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass die Divergenzrevision im Anschluss an das bisherige Recht1138 unter §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO fällt.1139 Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Divergenzrevision als Revisionszulassungsgrund beibehalten wollte, ist dieser Standpunkt durchaus gerechtfertigt.1140 Neben der Divergenzrevision fallen unter den Tatbestand des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO nach Maßgabe der Entwurfsbegründung weiterhin Fallgestaltungen, in denen die Vorinstanz von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist und die Gefahr besteht, dass sich dies wiederholt. Ferner ist die Revision dann gerechtfertigt, wenn der von der Vorinstanz begangene Rechtsfehler „von erheblichem Gewicht“ ist und dadurch das Vertrauen in die Rechtsprechung Schaden nehmen kann. Die genannten Kategorien des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO werden in der Rechtspraxis nicht immer trennscharf auseinandergehalten.1141 Die „offensichtliche Unrichtigkeit des Berufungsurteils“ stellt indes keinen eigenständigen Revisionszulassungsgrund dar. Obwohl teilweise angenommen wird, dass die Begründung des Regierungsentwurfs in dieser Hinsicht uneindeutig oder gar „widersprüchlich“ sei,1142 führt dies nicht dazu, die Revisionszulassung allein unter Verweis auf die offensichtliche Unrichtigkeit der angegriffenen

1137 

Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  67. Vgl. §  546 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 ZPO a. F.: „Das Oberlandesgericht läßt die Revision zu, wenn (…) 2. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht.“ Dazu: Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  10 f.; Prütting, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  28. 1139  BGH, Urt. v. 13.09.2011 – XI ZB 3/11, NJW-RR 2012, 124; BGH, Urt. v. 27.03.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292 f.; Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  17; Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  26; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  4 ff.; Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  8; Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  13 f.; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  12. 1140  Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  36 ff. 1141  Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  17; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  28. Insoweit richtig dagegen: Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  8b, der innerhalb des Rechtsanwendungsfehlers zwischen der Gefahr der Wiederholung oder Nachahmung und der des Vertrauensverlusts in die Rechtsprechung unterscheidet. Ebenso: Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  16 f. 1142  Baukelmann, in: FS Erdmann, S.  767, 779; Ball, in: FS Musielak, S.  27, 31. In diese Richtung auch: Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 918 f.; Piekenbrock, AnwBl 2004, 329. 1138 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Entscheidung für gerechtfertigt zu halten.1143 Es ist zwar richtig, dass der Gesetzgeber im allgemeinen Teil der Erläuterungen zum Entwurf des ZPO-RG die Revision über den Tatbestand der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) hinaus auch in Fällen für zulässig erachtet, in denen eine Ergebniskorrektur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils als gebotenen erscheint.1144 Dementsprechend mag man prima facie das Kriterium der „offensichtlichen Unrichtigkeit“ für einen eigenständigen Revisionszulassungsgrund halten. Dieser Eindruck erweist sich jedoch als unzutreffend, wenn man die Erläuterungen zum besonderen Teil des Entwurfs des ZPORG ernst nimmt. Dort führt der Gesetzgeber aus, dass die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache „dem Ziel nicht ausreichend Rechnung (trägt), die Revision in Fällen offen zu halten, in denen Leitentscheidungen des Revisionsgerichts zu Rechtsstreitigkeiten von allgemeiner Bedeutung erforderlich erscheinen. Dies gilt gleichermaßen für Fälle der Verletzung von Verfahrensgrundrechten und Fälle der offensichtlichen Unrichtigkeit des Berufungsurteils. Diesem Anliegen wird durch die Schaffung des Revisionszulassungsgrundes der Nummer 2 Rechnung getragen.“1145 (Hervorh. d. Verf.)

Somit findet das Kriterium der „offensichtlichen Unrichtigkeit“ nach Vorstellung des Gesetzgebers im Revisionszulassungsgrund des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO seine gesetzliche Konkretisierung, vgl. „Diesem Anliegen (…).“ Die dem Gesetzgeber vorgeworfene Widersprüchlichkeit ist insoweit nicht erkennbar,1146 auch wenn man sicherlich mit Recht der Entwurfsbegründung insgesamt fehlende Bestimmtheit attestieren kann.1147 Zu kurz greift es indes, wenn man die revisionsrechtliche Ergebniskorrektur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit mit der Begründung ablehnt, dass diese „nicht in der Formulierung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen“ sei.1148 Schließlich hat der Gesetzgeber in die Zulassungstatbestände bewusst unbestimmte Rechtsbegriffe aufgenommen, mit Hilfe derer die Rechtsprechung das Revisionszulassungsrecht konkretisieren sollte.1149 Da1143  A. A. Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  20; Ball, in: FS Musielak, S.  27, 31 f. 50. 1144  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  67. 1145  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104. 1146  Ebenso: Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  16; Wenzel, NJW  2002, 3353, 3356. 1147 Dazu: Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 918 f.; Winter, NJW  2016, 922, 923. Im Ergebnis ebenso: Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  17. 1148  BGH, 01.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 188 f. Bestätigend: BGH, Urt. v. 27.03.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 294 f.; BGH, Beschl. v. 07.10.2004 – V ZR 328/03, NJW  2005, 153; BVerfG, Beschl. v. 08.01.2004 – 1 BvR 864/03, NJW  2004, 1371; BVerfG, Beschl. v. 26.07.2005 – 1 BvR 85/04, NJW  2005, 3345, 3346. 1149  Piekenbrock, AnwBl 2004, 329, 330, der zu Recht in der bundesverfassungsgerichtli-

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

her wäre allenfalls der Standpunkt vertretbar, dass der Wortlaut keinen Rückschluss auf eine differenzierte Betrachtung der Offensichtlichkeit eines Rechtsfehlers zulässt.1150 Es spricht aber auch ein ganz praktischer Grund gegen die Tauglichkeit des Kriteriums der „offensichtlichen Unrichtigkeit“ als selbstständiger Revisionszulassungsgrund: Wann ein Fehler die Schwelle zur Offensichtlichkeit überschritten hat, ist vollkommen unklar.1151 Überdies wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch eine weniger offensichtlich unrichtige Entscheidung nicht in geringerem Maße verletzt, als durch eine offensichtliche Fehlentscheidung. Ein Fehlurteil bleibt ein Fehlurteil, ungeachtet seiner Offensichtlichkeit. Soweit Ball aus Gründen der Ergebniskorrektur gleichwohl die Revisionszulassung wegen der Offensichtlichkeit einer Fehlentscheidung für erforderlich hält, ist dem zu widersprechen. Es ist zwar sicherlich richtig, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Fehlentscheidung wiederholt, geringer ist, je offensichtlicher sie falsch ist.1152 Die Revisionszulassung erschöpft sich jedoch nicht in der Ergebniskorrektur aufgrund Wiederholungsgefahr. Fehlentscheidungen mit erheblichem Gewicht können dann die Revisionszulassung rechtfertigen, wenn sie zugleich geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu gefährden. Mit dieser Stoßrichtung argumentieren auch Ackermann1153 und Prütting.1154 Sie sprechen sich zwar dafür aus, dass die offensichtliche Unrichtigkeit einer Entscheidung die Revision rechtfertige. Im Kern rechtfertigen sie dies aber damit, dass andernfalls das Vertrauen in die Rechtsprechung Schaden nehmen könnte, wenn offensichtlich unrichtige Entscheidungen nicht revisibel wären. Nur dann, wenn man unter einer offensichtlich unrichtigen Entscheidung eine Fehlentscheidung mit erheblichem Gewicht versteht und wenn man zusätzlich verlangt, dass eine unterbliebene Korrektur durch das Revisionsgericht die Gefahr in sich birgt, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung Schaden nehmen könnte, dann erfährt das Kriterium der offensichtlichen Unrichtigkeit ein revisionsrechtlich relevantes Gepräge. Hierdurch werden die Anforderungen, die der Gesetzgeber selbst an die Revisionszulassung stellt, ausreichend abgedeckt.

chen Argumentation eine gewisse Inkonsistenz erkennt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.01.2004 – 1 BvR 864/03, NJW  2004, 1371, 1372. 1150  Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  16; Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  24. 1151  Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  16; Im Ergebnis ebenso: Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 921. 1152  Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 13 Aufl., §  543 Rn.  9j. 1153  Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  21. 1154  Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  45.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Hielte man jedoch den Tatbestand des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO schon dann für erfüllt, wenn eine Entscheidung offensichtlich unrichtig ist, stellte man sich dem Gesetzgeberwillen entgegen.1155 Es bleibt somit dabei: Die Revisionszulassung für Verfahrensfehler kommt allein nach Maßgabe des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO in Betracht.1156 Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO) erfordert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nur dann, wenn ein Fall der Entscheidungsdivergenz vorliegt. Das ist der Fall, wenn die Vorinstanz das Verfahrensrecht in einer Weise angewendet hat, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und gleichzeitig die Gefahr der Wiederholung begründet. Alternativ liegt Entscheidungsdivergenz auch dann vor, wenn der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, der von erheblichem Gewicht und deshalb geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.1157 b)  Die verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt sich nunmehr die Frage, ob nach dem geltenden Revisionszulassungsrecht eine verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung unter den Tatbestand des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO subsumiert werden kann. Ob im konkreten Fall ein Verfahrensfehler die Zulassung der Revision rechtfertigt, kann naturgemäß erst im Rahmen der Nichtzulassungsbe-

1155 

In diesem Fall könnte man die offensichtliche Unrichtigkeit der Entscheidung als eigenständigen Revisionszulassungsgrund nur noch dadurch konstruktiv rechtfertigen, dass man den (insoweit offenen) Wortlaut des Gesetzes als allein maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Rechtsanwendung erachtete. Tendiert man allerdings eher zu einer heuristischen Gesetzesinterpretation, darf bei einer streng normativen Sichtweise nicht stehen geblieben werden. Vgl. dazu: Heck, AcP  112 (1914), 1, 124. Wenig überzeugend ist es dagegen, wenn man sich dem Gedankengang des Gesetzgebers verschließt und das Verhältnis zwischen offensichtlicher Unrichtigkeit des Berufungsurteils und dem den Tatbestand des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO konkretisierenden Merkmal des Verfahrensfehlers von erheblichem Gewicht als „Scheinproblem“ abtut, Baukelmann, in: FS Erdmann, S.  767, 779. Es sind durchaus zahlreiche offensichtliche Verfahrensfehler denkbar, die nicht zwingend als schwer zu qualifizieren wären. Zu denken sind insbesondere an Verfahrensvorschriften, deren Außerachtlassen keine der Parteien übervorteilt. 1156  Siegmann, JZ 2017, 598, 599, bezeichnet trefflich den Zulassungsgrund des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 Alt. 2 ZPO als das „Einfallstor für Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit“. 1157  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104. Dazu: Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  30.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

schwerde geklärt werden (s. o.).1158 Es ist deshalb der iudex ad quem, der hierüber zu entscheiden hat, §  544 Abs.  4 S.  1 ZPO.1159 aa) Entscheidungsdivergenz Eine die Revisionszulassung begründende Entscheidungsdivergenz liegt vor, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, eines gleichgeordneten anderen Gerichts oder eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts aufgestellten, ebenfalls abstrakten Rechtssatzes abweicht.1160 Bei der Entscheidungsdivergenz handelt es sich somit um Fallgestaltungen, in denen das Gericht einen abstrakten Rechtssatz falsch oder zumindest anders als andere maßgebliche Gerichte auslegt. Für die verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung käme eine Revisionszulassung wegen Entscheidungsdivergenz überhaupt nur dann in Betracht, wenn der Tatrichter den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als solchen negiert. Bloße Rechtsanwendungsfehler werden hingegeben von dem Kriterium der Entscheidungsdivergenz nicht erfasst. bb)  Rechtsanwendungsfehler mit Wiederholungsgefahr Ein Rechtsanwendungsfehler mit Wiederholungsgefahr rechtfertigt die Revisionszulassung erst dann, wenn der Rechtsfehler „symptomatische Bedeutung“ hat. Voraussetzung dafür ist, dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass der konstatierte Rechtsfehler sich wiederholen wird oder Nachahmung durch andere Gerichte zu erwarten ist.1161 Entscheidend kommt es darauf an, dass der Rechtsanwendungsfehler über den konkreten Einzelfall hinausreicht.

1158  In diesem Sinne: Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104: „(…) – in diesen Fällen freilich regelmäßig erst aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde (§  544 E) – (…).“ 1159  Baukelmann, in: FS Erdmann, S.  767, 776; Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  34; Rimmelspacher, in: FS Schumann, S.  327, 350. 1160  Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  26; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  17; Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  8; Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  13; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  12; Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  14; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  36 ff. 1161  Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  27; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  28 ff.; Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  8b; Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  17; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., §  543 Rn.  17; Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  16; Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  45.

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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Auch insoweit wird davon auszugehen sein, dass eine verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung nicht als ein Rechtsanwendungsfehler mit symptomatischer Bedeutung angesehen werden kann. Schließlich handelt es sich bei der Entscheidung darüber, ob im konkreten Fall einem Beweisantrag stattgegeben wird, um eine nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallentscheidung. Auch im Hinblick auf andere Gerichte mag einer verfahrensfehlerhaften Beweisablehnung allenfalls eine gewisse Ausstahlwirkung zukommen. Eine konkrete Nachahmungsgefahr ist indes nicht erkenn- oder erwartbar, da kein Beweisantrag dem anderen gleicht. cc)  Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht, durch den das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet wird Ferner kann ein Rechtsanwendungsfehler die Revisionszulassung rechtfertigen, wenn er von erheblichem Gewicht ist und deshalb das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet wird.1162 Die Frage, wann ein Rechtsanwendungsfehler „von erheblichem Gewicht“ ist, lässt sich nicht leicht beantworten.1163 Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass ein schwerer, das Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionierende Rechtsprechung gefährdender Rechtsfehler erst dann vorliegt, wenn das Berufungsgericht bei der Rechtsanwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts in einer Weise abgewichen ist, dass hierin ein Verstoß gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen liegt und die Entscheidung deshalb von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf.1164 Vereinfacht ausgedrückt gibt der Bundesgerichtshof damit eine klare Tendenz zu erkennen, dass ein schwerwiegender Verfahrensfehler erst dann vorliegt, wenn die Schwelle zur Willkür überschritten ist.1165 Daraus wird überwiegend unter Verweis auf die Entwurfsbegründung des ZPO-RG1166 geschlussfolgert, dass für die Frage, ob ein schwerwiegender Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt, auf den präsumtiven Erfolg einer etwaigen 1162  Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  29; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  31 ff.; Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  8d; Krüger, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  543 Rn.  17; Ackermann, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  543 Rn.  17. 1163  Vgl. Rimmelspacher, in: FS Schumann, S.  327, 347 f.; Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 918 und 91; Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  24. 1164  Vgl. BGH, Urt. v. 27.03.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296; BGH, 01.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 192 f.; BGH, NJW  2002, 2075. 1165  BGH, Urt. v. 27.03.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296; BGH, 01.10.2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 192 f.; BGH, Urt. v. 11.05.2004 – XI ZB 39/03, NJW  2004, 2222, 2223. In diesem Sinne: Wenzel, NJW  2002, 3353, 3356; Vollkommer, in: FS Schlosser, S.  1009, 1013. Differenzierter: Ball, in: FS Musielak, S.  27, 43. 1166  Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 14/4722, S.  104.

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

Verfassungsbeschwerde abzuheben sei.1167 Richtig ist aber vielmehr seit dem Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003, dass es allein auf die präsumtive Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde ankommen kann.1168 Andernfalls wäre den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Revisionszulassung gestellt hat, nicht genüge getan.1169 Trägt man den hohen Anforderungen, die an einen Rechtsfehler „von erheblichem Gewicht“ gestellt werden, Rechnung, scheidet eine Revisionszulassung hinsichtlich einer „nur“ verfahrensfehlerhaften Beweisablehnung von vornherein aus. Eine Beweisablehnung dagegen, die sich überdies als willkürlich erweist, verletzt auch nach dem hier vertretenen Standpunkt nicht nur das einfachgesetzliche Verfahrensrecht, sondern darüber hinaus das Verfassungsrecht, namentlich Art.  103 Abs.  1 GG. In diesem Fall wäre eine Revisionszulassung ohne weiteres begründet. dd) Ergebnis Folgt man dem hier vertretenen Standpunkt und qualifiziert man eine verfahrensfehlerhafte Beweisablehnung im Grundsatz lediglich als einen bloßen Verfahrensfehler, nicht aber zugleich als einen Verfassungsverstoß, so wäre die revisions­rechtliche Überprüfung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in aller Regel ausgeschlossen. c) Stellungnahme Bloße Verfahrensfehler führen in aller Regel nicht zum Erfolg der Revisionszulassung. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht gleichwohl den Weg zum Bundesgerichtshof oder besser: über den Bundesgerichtshof zurück zur Berufungsinstanz fänden. Die Rechtspraxis hat längst das in jeder Hinsicht zweckdienliche Transportmittel der Rüge von Verfahrensgrundrechten für sich entdeckt. Der Verfassungsverstoß dient als Deckmantel, verfahrensfehlerhafte Entscheidungen der revisionsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Als Schlüsselnorm fungiert hierbei §  544 Abs.  7 ZPO, der mit dem Anhörungsrügengesetz vom 9. DeBall, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  543 Rn.  8d; Koch, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  543 Rn.  32; Kessal-Wulf, in: BeckOK, ZPO, 25. Ed. 15.06.2017, §  543 Rn.  29. 1168  Piekenbrock, AnwBl 2004, 329, 333. Jüngst: Siegmann, JZ 2017, 598, 600. Der gegenteilige Standpunkt des Gesetzgebers ist im Lichte des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts insoweit als überholt anzusehen. 1169  Vgl. BVerfG, Beschl., v. 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 418. 1167 

B.  Die Verhandlungsmaxime als normative Grundlage

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zember 2004 ins Gesetz gekommen ist.1170 Vordergründig wird hiermit lediglich ein vereinfachtes Verfahren für Nichtzulassungsbeschwerden geschaffen, die einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG zum Gegenstand haben. Darin erschöpft sich die Wirkung des §  544 Abs.  7 ZPO aber nicht. §  544 Abs.  7 ZPO wird dahingehend ausgelegt, dass der Gesetzgeber hierin zum Ausdruck bringen wollte, dass bereits die begründete Rüge eines entscheidungserheblichen Verstoßes gegen Art.  103 Abs.  1 GG eine erfolgreiche Nichtzulassung garantiert.1171 Soll eine Verfahrensrüge somit die Revisionszulassung begründen, ist der Praktiker gut darin beraten, dem Verfahrensverstoß einen verfassungsrechtlichen Anstrich zu „verpassen“.1172 Denn die präsumtive Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde genügt – wie gezeigt - nach richtigem Verständnis, die Revisionszulassung zu begründen.1173 Vom dogmatischen Standpunkt her betrachtet ist dieser Rechtszustand alles andere als befriedigend. Dem allgemeinen Trend zur Konstitutionalisierung (Hochzonung) des einfachen Verfahrensrechts wird damit weiter Vorschub geleistet, was zu einer weiteren Verwässerung der ehemals klaren Grenzen zwischen Verfahrens- und Verfassungsrecht führt. Da ein ganz offenkundiges und auch von der Rechtsprechungspraxis des Bundesgerichtshofs unterschwellig bestätigtes Bedürfnis besteht, Verfahrensfehler der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht per se zu entziehen, kann der aufgezeigte Zielkonflikt nur dadurch gelöst werden, dass der Gesetzgeber die längst überfällige Verfahrensrüge als eigenständigen Revisionszulassungsgrund in das Gesetz aufnimmt.1174 Gleichzeitig sollte der Gesetzgeber Farbe bekennen, indem er die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde aus dem Exil zurückholt und sie an gewohnter Stelle in die Zivilprozessordnung implementiert.1175 Die Diskussion über die erforRensen, MDR 2005, 181, 184; Zuck, NJW  2008, 2078, 2079; Bloching/ Kettinger, JR 2005, 441 ff.; Seiler, AnwBl 2006, 378 ff. 1171  Siegmann, JZ 2017, 598, 601. 1172  Winter, NJW  2016, 922, 924 spricht in diesem Zusammenhang von dem „Joker“ unter den Revisionszulassungsgründen. 1173  Piekenbrock, AnwBl 2004, 329, 333. 1174  Ebenso: Siegmann, JZ 2017, 598, 606 mit entsprechendem Textentwurf de lege ferenda. In diesem Sinne: Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 919 und 920 f., die rechtshistorische und rechtssystematische Gründe dafür liefern, warum die Verfahrensrüge als Revisionszulassungsgrund anzuerkennen ist. Der Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts orientiert sich am Parteiinteresse und damit letzten Endes an der Einzelfallgerechtigkeit (§§  545, 547, 561 ZPO). Ferner: Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  544 Rn.  36. Vgl. auch: Winter, NJW  2016, 922, 925. 1175  Ebenso: Prütting, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  7, 4.  Aufl., §  543 Rn.  47, der es justizpolitisch für „leichter vertretbar“ hält, wenn man die Frage der Revisionszulassung über die Streitwertgrenze reguliert, anstatt sie in die freie Einschätzungsprärogative der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs zu stellen; Winter, NJW  2016, 922, 925; Waclawik, NJW  2016, 1639, 1170 Allgemein:

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

derlichen Anpassungen des zivilprozessualen Revisionsrechts im Lichte der jüngeren Entwicklungen und unter wesentlicher Berücksichtigung jener verfassungsrechtlichen Implikationen befindet sich aber erst am Anfang. Abschließend anzumerken ist, dass etwaige Befürchtungen, wonach der hier vertretene Standpunkt zu einer erheblichen Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeit des Beweisführers führen könnte, da ein Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht in erster Linie als ein (nicht revisionszulassungsbegründender) Verfahrensverstoß und nicht stets als ein Verfassungsverstoß angesehen wird, unbegründet wären. Selbst wenn man nach richtiger Lesart einen Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit auch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung regelmäßig als einen reinen Verfahrensverstoß qualifizierte (von willkürlichen und mithin verfassungsrelevanten Beweisablehnungen abgesehen), müsste die Revision gleichwohl unter Berücksichtigung von §  544 Abs.  7 ZPO zugelassen werden. Der dort aufgenommene Verweis auf das „rechtliche Gehör“ ist im Lichte des damals einhelligen (wenn auch nach diesseitiger Auffassung unzutreffenden) Verständnisses des Gesetzgebers über den Gewährleistungsgehalt des Art.  103 Abs.  1 GG auszulegen. Hierunter fielen – wie dargelegt – auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Die mittelbare Bezugnahme des §  544 Abs.  7 ZPO auf den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht endet nicht dadurch, dass man diesen unter Rückbesinnung auf seine rechtshistorischen Wurzeln und nach Maßgabe der beweisverfahrensrechtlichen Strukturprinzipien des Zivilprozesses wieder im einfachen Verfahrensrecht verortet. Andernfalls würde man unterstellen, die in §  544 Abs.  7 ZPO enthaltene unmittelbare Bezugnahme auf das „rechtliche Gehör“ stelle eine dynamische Verweisung dar. Eine dahingehende Intention des Gesetzgebers ist ohne Zweifel nicht erkennbar.

C.  Gesamtergebnis Die Untersuchung hat zunächst den Versuch unternommen, die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht als normativen Ausgangspunkt für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nachzuvollziehen. Es konnte der Nachweis geführt werden, dass der Grundsatz 1641: „So wie die derzeitigen Verhältnisse liegen, müsste die Nichtzulassungsbeschwerde eigentlich gerichtsgebührenfrei sein, die Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof verbeamtet und den Parteien des Beschwerdeverfahrens – völlig unabhängig von der Frage ihrer Bedürftigkeit – beigeordnet werden.“

C. Gesamtergebnis

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der richterlichen Beweiserhebungspflicht keine beweisverfahrensrechtliche Selbstverständlichkeit ist. Je mehr die Rechtsgemeinschaft auf die Integrität und Neutralität der Richterschaft vertraute, desto weitreichender waren die Befugnisse des Richters, auf den Prozessgang und insbesondere auf die Beweiserhebung aktiv Einfluss zu nehmen. Misstrauen und Argwohn gegenüber dem Staat und seinen Institutionen ließen indes die richterliche Machtfülle stetig abnehmen. Ihren Tiefpunkt erreichte sie im gemeinen Prozess. Dem Richter war sowohl auf der Ebene der Beweiserhebung als auch auf der Ebene der Beweiswürdigung weitestgehend jeder Beurteilungsspielraum entzogen. Das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung wiesen dem Richter eine gänzlich passive Rolle zu. Richterliches Ermessen wurde mit richterlicher Willkür gleichgesetzt und stellte die Legitimität der Urteilsfindung in Frage. Ein zivilprozessuales Beweisverfahren dieses Zuschnitts bildet den Ausgangspunkt für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit gleichzeitig für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Es findet sein konzeptionelles Gepräge in der Verhandlungsmaxime. Ob und inwieweit der Richter zur Beweiserhebung verpflichtet war, richtete sich maßgeblich danach, welche Seite, Parteien oder Richter, im wechselseitigen Spannungsverhältnis die Oberhand gewann. Dies wiederum hing davon ab, ob die Rechtsgemeinschaft ihrer Richterschaft prinzipiell mit Vertrauen oder Misstrauen begegnete. Im Hinblick auf das zivilprozessuale Beweisverfahren hat sich gezeigt, dass ihm auf der Ebene der Beweiserhebung sowohl der Grundsatz der freien Be­weis­ ablehnung, (vermittelt durch §  439 ZPO a. F. (≈ §  448 ZPO) und §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.; §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO), als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht (vermittelt durch die Verhandlungsmaxime als beweisverfahrensrechtliches Strukturprinzip) zugrunde liegt. Das Gericht wäre demnach gleichermaßen berechtigt, von einer beantragten Beweisführung nach freiem Ermessen abzusehen, wie verpflichtet, ihr stattzugeben. Mit anderen Worten: Die Vorwegnahme der Beweiswürdigung war gleichzeitig zulässig und verboten. Die darin liegende Inkohärenz blieb dem Gesetzgeber indes verborgen. Sie lässt sich noch heute in der Zivilprozessordnung nachvollziehen. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der freien Beweisablehnung und dem der richterlichen Beweiserhebungspflicht löste das Reichsgericht schon kurz nach dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung zugunsten des Letzteren auf, indem es die Befugnis zur freien Beweisablehnung ganz wesentlich einschränkte. So durfte fortan eine beantragte Beweisführung nur dann abgelehnt werden, wenn mit Sicherheit ausgeschlossen war, dass diese auf die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der Beweiswürdigung Einfluss haben kann und wird. Die bloße Unwahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Beweisführung genügte dagegen nicht. Die Einschränkung der in §  286 ZPO angelegten

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Teil 1: Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung

freien richterlichen Beweisablehnungsbefugnis durch das Reichsgericht war die Geburtsstunde des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung im heutigen Zivilprozess. Vor dem Hintergrund des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung ging man schon bald davon aus, dass der Richter im Grundsatz verpflichtet sei, die beantragten Beweise zu erheben. Woraus aber der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht normativ gefolgert werden konnte, blieb offen. Diese Lücke wurde in der Folgezeit dadurch geschlossen, dass man den Regelungsgehalt des §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) kurzerhand ins Gegenteil verkehrte und ihn zur Grundlage der richterlichen Beweiserhebungspflicht erklärte. Aus einer richterlichen Befugnisnorm wurde eine richterliche Gebotsnorm. Das wiederum hatte zur Konsequenz, dass die Zulässigkeit einer Beweisablehnung fortan generell vor dem Hintergrund des §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) zu beurteilen war. Der Bundesgerichtshof nahm erst im weiteren Verlauf zusehends davon Abstand, (nunmehr) §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO zur Grundlage des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht zu erklären. Als normative Stütze wurde in diesem Zusammenhang auch die Zivilprozessordnung als solche und der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) in Ansatz gebracht. Letzteres ist freilich auf einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen. Spätestens nachdem sich das Reichsgericht eindeutig für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht – zunächst nur über das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung – und gegen den Grundsatz der freien Beweisablehnung ausgesprochen hatte, wurde dieser Standpunkt auch einhellig in der Literatur vertreten. Der Frage, woraus der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung normativ abgeleitet werden könnte, schenkte man nur geringe Beachtung. Die Tatsache, dass in §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) der Grundsatz der freien Beweisablehnung verankert war, geriet schon bald in Vergessenheit, weshalb man nicht lange zögerte, nach Vorbild der Rechtsprechung eben dort den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zu vermuten. Erst Walter scheint aufgefallen zu sein, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht nicht aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO gefolgert werden konnte. Anstatt aber auf der Ebene des Verfahrensrechts nach einer überzeugenden dogmatischen Grundlage für jenen Grundsatz zu suchen, leitete er diesen unmittelbar aus dem Beweisführungsrecht der Parteien ab, das seine Grundlage im Justizgewährleistungsanspruch finden soll. Walter leistete damit der Subjektivierung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht entscheidenden Vorschub. Der dogmatische Ansatz Walters bildet das gedankliche Fundament für die Lehre vom „Recht auf Beweis“ im deutschen Zivilprozessrecht.

C. Gesamtergebnis

237

Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ erfuhr insbesondere mit Habscheid namhaften Zuspruch und wurde von der Zivilprozessrechtswissenschaft und -praxis bald als allgemeingültiges beweisverfahrensrechtliches Institut adaptiert. Dafür gibt es nach der hier vertretenen Auffassung keinen triftigen Grund. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht findet seit jeher in der Verhandlungsmaxime als normatives Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens eine verlässliche verfahrensrechtliche Grundlage. Er bedarf weder der Subjektivierung, noch der verfassungsrechtlichen Unterlegung. Die eingangs aufgeworfene Frage lautete, woraus sich das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung normativ ableiten lässt. Hierüber herrscht nunmehr Klarheit: Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung als dessen Kehrseite finden ihre Grundlage sowohl im Verfahrensrecht, vermittelt durch die Verhandlungsmaxime als beweisverfahrensrechtliches Strukturprinzip, als auch ausnahmsweise im Verfassungsrecht, namentlich im Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG). Keine Stütze finden sie dagegen in Art.  6 Abs.  1 S.  1, Abs.  3 lit.  d EMRK. Die weitgehende Gleichstellung von Verfahrens- und Verfassungsrecht im Hinblick auf den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ist als rechtsdogmatische Fehlleistung des Bundesverfassungsgerichts abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht wäre gut beraten, sich der von den Straßburger Richtern seit jeher geübten Zurückhaltung im Hinblick auf die Überprüfung beweisverfahrensrechtlicher Grundsätze anzuschließen.

Teil 2

Die Bedeutung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung für die Beweisablehnung Nach Maßgabe des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung darf eine beantragte Beweisführung nur dann abgelehnt werden, wenn mit letzter Sicherheit feststeht, dass diese auf die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird.1 Damit stellt sich die Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen. Bisher wurde hierauf keine zufriedenstellende Antwort gegeben. Die Untersuchung beginnt bei der Frage, wo die Grenze zwischen dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und damit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und der zulässigen Beweisablehnung wegen objektiver oder subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung liegt (A.). Hierfür löst sich die Untersuchung von den bestehenden Begrifflichkeiten, die mehr deskriptiver als struktureller Natur sind, um ein allgemeingültiges Lösungskonzept zu entwickeln, mit Hilfe dessen eben diese Grenzen des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht zuverlässig abgesteckt werden können. Im Anschluss daran wird die praktische Funktionsfähigkeit des hier aufgestellten Lösungskonzepts anhand einer eingehenden Rechtsprechungsanalyse belegt (B.). In diesem Rahmen wird der praktische Geltungsbereich des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung zur Anschauung gebracht. Auch der zweite Teil der Untersuchung endet mit einem abschließenden Gesamtergebnis (C.).

1  Die Wörter „kann“ und „wird“ sind von großer terminologischer Bedeutung und dürfen keinesfalls zufällig verwendet werden. Sollte eine beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung keinen Einfluss haben können, so ist sie objektiv unerheblich. Ist hingegen davon auszugehen, dass eine beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung keinen Einfluss haben wird, so ist sie zwar objektiv erheblich, subjektiv aber unerheblich (vgl. Teil 1, B.II.1.a)bb)) Hierauf wird auch im weiteren Verlauf der Untersuchung nochmals näher eingegangen (vgl. Teil 1, B.III.1.a)).

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

A.  Die Erheblichkeit der Beweisführung als materielle Voraussetzung für die richterliche Beweiserhebung Nach dem eingangs Gesagten, läuft es dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung offenbar nicht zuwider, wenn der Richter eine beantragte Beweisführung unerhoben lässt, weil mit Sicherheit feststeht, dass diese auf die richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben kann und wird. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass der Richter nicht uneingeschränkt zur Be­weis­ erhebung verpflichtet ist. Dies wirft die Frage auf, wann und unter welchen Umständen der Richter einen ordnungsgemäßen Beweisantrag ablehnen darf. Immerhin könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass der Richter aufgrund des Prinzips der Parteiherrschaft und der Parteiverantwortung uneingeschränkt zur Beweiserhebung verpflichtet sei. Schließlich sind die Parteien „Herren des Verfahrens“.

I.  Die Zweckmäßigkeit der Beweisführung als Grundbedingung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht Der Zweck der Beweisführung liegt darin, mit Hilfe eines bestimmten Beweismittels auf die Überzeugung des Richters im Hinblick auf die Feststellung der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitentscheidenden und zugleich beweisbedürftigen Tatsachenbehauptung Einfluss zu nehmen.2 Dieser Grundsatz gilt so oder in vergleichbarer Form seit jeher.3 So heißt es bereits bei Endemann: „Beweisen, dem Richter die in Betracht kommenden Thatsachen bewahrheiten, heißt (…) den Richter nöthigen, jene Thatsachen, die bis dahin nur behauptet worden sind, als wirklich vorhanden oder vorgekommen anzuerkennen. (…) Der Beweis soll die Ueberzeugung des Urtheilenden herbeiführen.“4

Einen weitergehenden Zweck kennt das zivilprozessuale Beweisverfahren nicht. Die Beweisführung dient auch nicht, anders als unter Umständen im strafprozesStatt vieler: Teplitzky, JuS 1968, 71, 72; ders., DRiZ 1970, 280, 282; Söllner, MDR 1988, 363, 363; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  1; Ahrens, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  10; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  1. Die Rede ist auch von dem „Ziel des Beweises“, Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  8. 3  Grundlegend: Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  38 ff. Allgemein: Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  250 f., 253 f.; Bayer, Vorträge über den Civilproceß, 10.  Aufl., S.  681 f.; Fitting, Haupt- und Gegenbeweis, S.  25 ff.; Heffter, Civil-Proceß, S.  140; Linde, Lehrbuch des Civilprocesses, 7.  Aufl., S.  296 f.; Gensler, AcP  1 (1818), 339, 362; Grolmann, Theorie des gerichtlichen Verfahrens, 1.  Aufl., S.  106. 4  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 109 f. 2 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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sualen Beweisverfahren5, der Rehabilitierung des Beweisführers. Zwar steht auch im Strafprozess die Tatsachenerkenntnis im Mittelpunkt des Beweisverfahrens. Unerhebliche Tatsachen können und dürfen nicht zum Gegenstand des strafprozessualen Beweisverfahrens gemacht werden. Im Gegensatz zum zivilprozessualen Beweisverfahren unterstreicht der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung aber die „große psychologische Bedeutung“ der strafprozessualen Beweisführung des Angeklagten.6 Im Fall der richterlichen Verurteilung sollte dieser schon allein zum Zweck der Akzeptanzsteigerung in größerem Umfang stattgegeben werden, als es allein mit Rücksicht auf die Tatsachenfeststellung erforderlich wäre. Aus diesem Grund soll der Strafrichter im Gegensatz zum Zivilrichter unter Umständen eine vom Angeklagten beantragte Beweisführung auch dann in Erwägung ziehen, wenn von vornherein deren objektive oder subjektive Unerheblichkeit feststeht. Die Beweiserhebung dient in diesem Fall freilich nicht mehr der Tatsachenfeststellung, sondern „nur“ noch der inneren Genugtuung des beweisführenden Angeklagten. Eine derartige Beweiserhebung wäre im Zivilprozess unzulässig, da sie vom Zweck des zivilprozessualen Beweisverfahrens nicht gedeckt ist. Es kann kein vernünftiger Zweifel bestehen, dass eine zwecklose Beweisaufnahme im Zivilprozess keinen Platz findet und deshalb ausnahmslos zu unterbleiben hat. Dies gebietet nicht schon allein der verantwortungsbewusste Umgang mit den Ressourcen der Justiz. Auch ist der Richter im Rahmen seines materiellen Prozessleitungsamtes (§  139 ZPO)7 und nach Maßgabe der Konzentrationsmaxime8 angehalten, stets auf eine möglichst rasche Erledigung des Rechtsstreits zu drängen.9 Damit die Beweisführung zweckmäßig ist darf sie nicht irgendeine Tatsache betreffen. Gegenstand der Beweisführung muss eine solche sein, die auf die Überzeugung des Richters mit Rücksicht auf den Streitgegenstand Einfluss haben kann.10 Andernfalls würde jedes Beweisverfahren zu einem inzidenten objektiven Feststellungsverfahren pervertiert werden können, was schon allein mit 5 

Vgl. Teil 1, B.I.2.b)bb). Hahn/Stegemann, Materialien zur StPO, Bd.  3/2, 2.  Aufl., S.  848. 7  Statt vieler: Fritsche, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  139 Rn.  2. 8  Eingehend: Rauscher, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., Einl., Rn.  356 ff.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., Einl., Rn.  52. 9  Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  358: „Der Richter ist verpflichtet, auf schnellstmöglichem Weg zu einer Entscheidung zu gelangen.“ 10  Teplitzky, JuS 1968, 71, 74; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  111, Rn.  7 und §  116 Rn.  1; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  40; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  45; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  73; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  92; Foerste, in: Musielak/Voit, 12.  Aufl., §  284 Rn.  19; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  50; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  11, 96. 6 

242

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

Blick auf die besonderen Voraussetzungen des §  256 Abs.  1 ZPO gesetzlich nicht gewollt sein kann.11 Eine Beweisführung, die keine streitentscheidende Tatsache betrifft, ist somit zwecklos, selbst wenn sie im Ergebnis erfolgreich wäre.12 In diesem Fall läge nach heutigem Begriffsverständnis eine unerhebliche Beweisführung vor.13 Die Erheblichkeit der Beweisführung bezieht sich allein auf die unter Beweis gestellte Tatsache.14 Des Weiteren muss die unter Beweis gestellte Tatsache beweisbedürftig sein. Im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime15 fehlt es hieran insbesondere dann, wenn die beweisgegenständliche Tatsache nicht oder nicht wirksam bestritten wurde und daher als zugestanden gilt (§  138 Abs.  3 ZPO), sie ausdrücklich zugestanden wurde (§  288 ZPO), sie offenkundig ist (§  291 ZPO) oder gesetzlich vermutet wird (§  292 ZPO). Daneben kann sich die fehlende Beweisbedürftigkeit beispielsweise auch aus der Interventionswirkung des §  68 ZPO ergeben.16 In diesen Fällen ist die Beweisführung nicht mehr „notwendig“.17 Es bedarf ihrer nicht, um eine streitentscheidende Tatsache als erwiesen anzusehen. Und schließlich muss die Möglichkeit bestehen, dass das zur Beweisführung in Ansatz gebrachte Beweismittel die, wie Endemann es bezeichnete, „Ueberzeugung des Urtheilenden“ herbeiführt.18 Dieser Gesichtspunkt wird heute unter die Fallgruppe der „Ungeeignetheit des Beweismittels“ subsumiert (dazu sogleich). Sie erweist sich als besonders problematisch, da man eine dahingehende Feststellung per se für einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Be11  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 181: „Ebenso ist selbstverständlich, daß kein Beweis über unerhebliche Tatsachen zu erheben ist.“ Vgl. darüber hinaus Schmidt-Aßmann, in Maunz/ Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  86, der unter Bezug auf Art.  103 Abs.  1 GG klarstellt, dass die Parteien kein Recht darauf hätten, „Tatsachen vorzutragen oder Rechtsfragen zu erörtern, die in keinem denkbaren Zusammenhang mit dem Streitgegenstand des konkreten Verfahrens stehen.“ 12  So zutreffend für den Strafprozess: Alsberg, Beweisantrag im Strafprozeß, S.  59. 13  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  111, Rn.  7; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  40; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  45; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  92; Foerste, in: Musielak/Voit, 12.  Aufl., §  284 Rn.  19; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  50; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  96. 14  Zum objektiven Erheblichkeitsbegriff, Teil 1, B.I.1.b)dd). 15  Teil 1, B.I.2.a). 16  Vgl. dazu im Einzelnen: Söllner, MDR 1988, 363, 363; Störmer, JuS 1994, 238, 239; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  11, 94; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  112 Rn.  2 ff.; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  11 ff. m. w. N.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  159 ff. 17  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  112 Rn.  1. Ebenso: Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  159. 18  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 110.

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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weiswürdigung hält oder zumindest in dessen Nähe rückt. Das ist aber nicht richtig. Wie sich zeigen wird, ist generell eine Prognose über den möglichen Ausgang der Beweisführung aufzustellen. Ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung liegt erst und nur dann vor, wenn das Gericht eine beantragte Beweisführung unter Verweis auf deren vermutete, aber nicht sichere Erfolglosigkeit ablehnt.19 Sollte dagegen von vornherein mit letzter Sicherheit festgestellt werden können, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung keinen Einfluss haben wird, so ist in diesem Fall eine Beweisablehnung nicht nur zulässig; sie ist sogar zwingend. Denn eine Beweiserhebung, die keinen Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Richters hat, ist schlicht unnötig und zwecklos. Nach Maßgabe des ursprünglich verwendeten gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriffs des ausgehenden 19. Jahrhunderts war auch eine Beweisführung unerheblich, die von vornherein keinen subjektiven Überzeugungswert hatte. Die Erheblichkeit der Beweisführung bezog sich nicht nur auf die zu erweisenden Tatsachen, sondern auch auf das dafür verwendete Beweismittel.20 Die Aufgabe des subjektiven Erheblichkeitsbegriffs hatte für die Systematik des zivilprozessualen Beweisverfahrens ganz erhebliche Nachteile: Unter einer unerheblichen und damit zwecklosen Beweisführung versteht man heute nur noch eine objektiv unerhebliche Beweisführung - also eine Beweisführung, die eine objektiv unerhebliche Tatsache betrifft.21 Die subjektiv unerhebliche Beweisführung hat man dagegen ganz aus dem Anwendungsbereich der zwecklosen Beweisführung herausgenommen, sie künstlich aufgespaltet und ihr ohne jede dogmatische Stütze eigenständige Beweisablehnungsgründe zugewiesen. Diese sind 19 

Teil 2, A.II.3.a). So im Ergebnis zutreffend: Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  59. Zum subjektiven Erheblichkeitsbegriff, Teil 1, B.I.1.b)dd). 21  Vgl. Bunsen, Civilprozeßrecht, S.  398: „Erheblich ist eine thatsächliche Behauptung dann, wenn sie für die Entscheidung des Rechtsstreits oder eines Zwischenstreits unmittelbar oder mittelbar (z. B. als Indiz) maßgebend ist.“; Weismann, Zivilprozeßrecht, Bd.  1, S.  115: „Gegenstand eines Beweises können nur Tatsachen sein, und zwar erhebliche Tatsachen, d. h. solche, die auf die Entscheidung von Einfluß sind.“; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 1.  Aufl., §  117 I. 1: „Erheblich ist alles, was auf die Entsch. des Richters von Einfluß ist, bei dessen Berücksichtigung also die Entsch. anders ausfallen würde als ohne seine Berücksichtigung.“ Zum heutigen Verständnis: Teplitzky, JuS 1968, 71, 74; Störmer, JuS 1994, 238, 241; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  111, Rn.  7; Laumen, in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  40; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  45; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  92; Foerste, in: Musielak/Voit, 12.  Aufl., §  284 Rn.  19; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  50; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  96. Außerdem: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  86: „Die Erheblichkeit ist nach einem objektiven, aber nicht zu engen Maßstab zu bestimmen.“ 20 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

namentlich die Beweisablehnung wegen (1.) Ungeeignetheit des Beweismittels, (2.) Erwiesenheit der Beweisbehauptung und (3.) Erwiesenheit des Gegenteils der Beweisbehauptung.22 Dies führte dazu, dass aus einem Unterfall einer Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit eigenständige Beweisablehnungsgründe wurden. Mit dieser Umetikettierung versperrt man sich nicht nur den richtigen Zugang zu der Rechtsprechung des Reichsgerichts, das – jedenfalls zunächst – einen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff vertrat.23 Man verliert darüber hinaus ganz zwangsläufig den inneren Zusammenhang zwischen der objektiven und subjektiven Unerheblichkeit als Teil der zwecklosen Beweisführung aus den Augen, wodurch ein in sich schlüssiger, weil konsequenter, Umgang mit der Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung nicht mehr gewährleistet werden kann.24 Liegt der Zweck der Beweisführung darin, den Richter mittels eines bestimmten Beweismittels von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitentscheidenden und zugleich beweisbedürftigen Tatsachenbehauptung zu überzeugen, so bedeutet dies, dass die Beweisführung unter einer dreifachen Bedingung steht: Sie muss (1.) objektiv erheblich – eine streitentscheidende Tatsache betreffend –, (2.) subjektiv erheblich – ein überzeugungsbegründendes Beweismittel verwendend – und (3.) notwendig – eine beweisbedürftige Tatsache betreffend – sein. Erfüllt eine beantragte Beweisführung nur eine dieser drei Bedingungen nicht, so muss sie abgelehnt werden. Eine Beweiserhebung zum Selbstzweck ist unzulässig. Daraus folgt, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebung seinerseits unter der materiellen Bedingung einer zweckmäßigen Beweisführung steht.25 Fehlt es an einer zweckmäßigen Beweisführung, kommt der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht von vornherein nicht zum Zuge. Das wiederum bedeutet, dass eine Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit der Beweisführung keine Beweisablehnung im eigentlichen Sinne darstellt. Schließlich war es dem Richter von vornherein untersagt, den beantragten Beweis zu erheben. Schneider spricht in diesem Zusammenhang trefflich von einer „unechten Beweisablehnung“ und führt dazu aus:

22 

Teil 2, A.II.1. Teil 1, B.II.1.a)bb). 24  Teil 2, A.II.3. 25  Nicht weiter zu erwähnen braucht die Tatsache, dass der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht in formeller Hinsicht einen ordnungsgemäßen Beweisantritt voraussetzt, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  29–32; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  284 Rn.  9–12; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  82– 89; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  39–42; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  3–7. 23 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

245

„Von einer Beweisablehnung kann sinnvoll nur dort gesprochen werden, wo grundsätzlich eine Beweiserhebungspflicht des Gerichts besteht. Unterbleibt die Beweiserhebung, weil die Voraussetzungen der Beweiserhebungspflicht im Grundsätzlichen bereits zu verneinen sind, so handelt es sich nicht um eine Ablehnung im eigentlichen Sinne.“26

Diese Unterscheidung ist heute bedauerlicherweise nirgends anzutreffen. Sie ist aber für die erforderliche Systematisierung des Beweisablehnungsrechts von entscheidender Wichtigkeit.

II.  Die Unerheblichkeit der Beweisführung und ihre Feststellung Eine Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit der Beweisführung ist zulässig. Zwecklos ist die Beweisführung, wenn sie (1.) objektiv oder (2.) subjektiv unerheblich oder (3.) die Beweisführung von Gesetzes wegen nicht notwendig ist. Zwischen der Beweisablehnung wegen objektiver oder subjektiver Unerheblichkeit und der wegen fehlender Notwendigkeit besteht ein wesentlicher Unterschied: Im Falle der Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit kann es leicht dazu kommen, dass eine beantragte Beweisführung zum Nachteil des Beweisführers abgelehnt wird, nämlich dann, wenn der Richter zu Unrecht von der Unerheblichkeit der Beweisführung ausgeht. Zu denken ist etwa an eine beantragte Beweisführung, in der der Richter irrigerweise die unter Beweis gestellte Tatsache für nicht entscheidungsrelevant hält oder er dem Beweismittel keinen Überzeugungswert beimisst. Dem Beweisführer wird in diesem Fall die Möglichkeit entzogen, den für ihn günstigen Standpunkt unter Beweis zu stellen. Im Falle der Beweisablehnung wegen fehlender Notwendigkeit kann dieser Nachteil des Beweisführens nicht auftreten. Denn hier geht der Richter gerade von dem unter Beweis gestellten Standpunkt des Beweisführers aus. Die Beweisführung wird abgelehnt, weil der Richter keines Beweises mehr bedarf um von der Wahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache ausgehen zu können. Der Beweisführer hat sein Beweisziel bereits vor der Beweisführung erreicht. Die Frage, ob eine Beweisführung notwendig ist, wird nicht vom Gericht, sondern von den Parteien durch deren Prozessverhalten entschieden, vgl. §§  138 Abs.  3, 288, 291, 292 ZPO. Vor diesem Hintergrund ist nur die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit von weiterem Interesse. Nur hier kann es zu einer Beweisablehnung zum Nachteil des Beweisführers kommen; und nur hier ist ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweise denkbar.

26 

Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 178.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

1.  Die möglichen Erscheinungsformen der Unerheblichkeit einer Beweisführung Es wurde gezeigt, dass die Unerheblichkeit der Beweisführung sich in die der objektiven und die der subjektiven Unerheblichkeit untergliedern lässt. Diese Erkenntnis folgt nicht nur aus der logischen Deduktion des Zweckbegriffs,27 sondern sie findet auch ihre Bestätigung in dem herrschenden Begriffsverständnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts.28 a)  Die objektive Unerheblichkeit der Beweisführung Die Beweisführung ist objektiv unerheblich, wenn von vornherein mit letzter Sicherheit feststeht, dass sie keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung haben kann. Das ist bereits dann der Fall, wenn das Beweisthema der Beweisführung keine streitentscheidende Tatsache betrifft. b)  Die subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung Die Beweisführung ist subjektiv unerheblich, wenn von vornherein mit letzter Sicherheit feststeht, dass sie keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung haben wird. Das ist erst dann der Fall, wenn die Beweisführung durch ein die richterliche Überzeugung nicht beeinträchtigendes Beweismittel erfolgen soll. Innerhalb der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung lässt sich eine weiter Unterscheidung treffen – die absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung und die relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung. aa)  Die absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung Das zur Beweisführung verwendete Beweismittel wird keinen Beweiswert haben, wenn ihm eine besondere Eigenschaft innewohnt, aufgrund derer ihr der Richter von vornherein jeden Beweiswert mit Sicherheit absprechen kann und darf (sog. absolut-subjektive Unerheblichkeit). Das Beweismittel ist gewissermaßen aus sich heraus wertlos – daher „absolut“. Herkömmliche Beispiele für eine absolut-subjektiv unerhebliche Beweisführung sind der taube oder der blinde Zeuge, die über ihre auditive beziehungsweise visuelle Wahrnehmung berichten sollen. Freilich gibt es „den“ blinden Zeugen so nicht. Üblicherweise sind im konkreten Einzelfall zahllose Abstufungen zu 27 

Teil 2, A.I. Zum gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff in der Justizkommission der Zivilprozessordnung und der Rechtsprechung des Reichsgerichts, Teil 1, B.I.1.b)dd) und B. II.1. 28 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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machen. So ist nicht generell ausgeschlossen, dass ein Sehbehinderter gleichwohl Wahrnehmungen darüber machen kann, ob es an einem bestimmten Ort hell oder dunkel war. Gleiches gilt für „den“ tauben Zeugen. Auch hier ist nicht per se ausgeschlossen, dass er gegebenenfalls laute Geräusche oder einen Knall trotz seiner Hörbehinderung wahrnehmen konnte. Im Zweifel ist durch Sachverständigengutachten zu ermitteln, ob der Zeuge tatsächlich keine Wahrnehmungen machen konnte, die der Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung berücksichtigen muss. Eine vorschnelle, den jeweiligen Einzelfall nicht berücksichtigende Betrachtung verbietet sich ausnahmslos. Gleiches gilt auch für den unstreitig ortabwesenden Zeugen. Er kann zwingend keine Angaben aus eigener Wahrnehmung machen (von technischen Hilfsmitteln abgesehen). bb)  Die relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung Das zur Beweisführung verwendete Beweismittel wird ferner keinen Beweiswert haben, wenn mit Rücksicht auf die bisherige Verhandlung und Beweisaufnahme der Richter eine derart unerschütterliche Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache hat, dass er der Beweisführung von vornherein jeden Beweiswert mit Sicherheit absprechen kann und darf (sog. relativ-subjektive Unerheblichkeit). Das Beweismittel ist nicht schon aus sich heraus wertlos, sondern erst aufgrund äußerer Umstände. Die Wertlosigkeit resultiert aus dem Ins-Verhältnis-Setzen mit den bisherigen richterlichen Feststellungen – daher „relativ“. Dabei ist es ohne jede Bedeutung, ob der Richter nach Maßgabe der bisherigen Feststellungen von der unter Beweis gestellten Beweisbehauptung, oder dessen Gegenteil überzeugt ist. In beiden Fällen ist das Beweismittel wertlos, da es auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben wird. Im ersten Fall würde sich der Richter bestätigt, im zweiten Fall unbeeindruckt fühlen. Unter die Fallgruppe der relativ-subjektiv unerheblichen Beweisführung werden in erster Linie gegenteilige Zeugenaussagen gefasst, die dem Richter eine (vermeintlich) sichere Überzeugung von der Beweisbehauptung vermittelt haben. Relativ-subjektiv unerheblich kann eine Beweisführung aber auch dann sein, wenn der Richter aufgrund einer Inaugenscheinnahme oder durch die Auswertung von (als solche unstreitig authentische) Foto- oder Videoaufnahmen eine sicherer Bild von dem als solchen streitigen Geschehensablauf hat. Ein Zeuge, der zur Überzeugung des Richters angeblich die gegenteilige Wahrnehmung gemacht haben soll, kann dann unter Umständen relativ-subjektiv unerheblich sein.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

cc)  Das heutige Begriffsverständnis Nachdem der Erheblichkeitsbegriff zunehmend rein objektiv verstanden wurde, was der Tatsache geschuldet ist, dass das Reichsgericht eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit in aller Regel für unzulässig hielt,29 bedurften die eben genannten Kategorien der absolut- und relativ-subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung einer neuen definitorischen Zuweisung. Diese fanden sie in den rein funktionsbezogenen Begriffen der „Untauglichkeit des Beweismittels“30 (auch: „Ungeeignetheit des Beweismittels“31), dem „Bewiesensein der Behauptung“32 (auch: „Tatsache bereits erwiesen“33, „Beweisthema bereits erwiesen“34, „bereits bewiesene Tatsache“35, „bereits erfolgter Beweis“36) und der „Erwiesenheit des Gegenteils“37 (auch: „Gegenteil bereits erwiesen“38, „vom Gegenteil der Behauptung überzeugt“39). Wie eben angedeutet, bildet die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas die positive Kehrseite zur Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils. In beiden Fällen beurteilt sich die Relevanz der Beweisführung für die Überzeugungsbildung nach den bisherigen Feststellungen des Richters. Aus diesem Grund kann sich die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas im Ergebnis in gleicher Weise als unbegründet herausstellen, wie die wegen Erwiesenheit des Gegenteils; nämlich dann, wenn die bisherigen Feststellungen sich als falsch erweisen. Der einzige, aber bedeutende Unterschied zwischen beiden Beweisablehnungsgründen liegt darin, dass durch eine Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas das Ziel der Beweisführung aus Sicht des Beweisführers nicht vereitelt wurde. Es ist vielmehr bereits nach An29 

Teil 1, B.I.1. Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  284 Rn.  21. 31  Störmer, JuS 1994, 238, 242; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  36; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98; Laumen, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  53; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  64; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  97; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  167 f. 32  Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  12. 33  Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  99; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  50; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3 Rn.  45. 34  Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  51. 35  Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  77. 36  Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  95. 37  Störmer, JuS 1994, 238, 241; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  38. 38  Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  100. 39  Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  78. 30 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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sicht des Richters erreicht: Eine streitige und beweisbedürftige Tatsache konnte durch den Richter – ganz im Sinne des Beweisführers – als wahr oder unwahr festgestellt werden. Während die Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels oder Erwiesenheit des Gegenteils, auf den Gedanken der von vornherein feststehenden Zweckverfehlung der Beweisführung zurückzuführen ist, beruht die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas auf dem Gedanken der von vornherein feststehenden Zweckerreichung der Beweisführung. Unabhängig davon, ob eine Beweisführung den durch sie verfolgten Zweck nicht erreichen kann oder schon erreicht hat, stellt sie in jedem Fall eine zwecklose Beweisführung dar und ist infolgedessen abzulehnen. dd)  Kritik am heutigen Begriffsverständnis Was nach ursprünglicher und richtiger Lesart als Unterfall einer zwecklosen Beweisführung verstanden wurde, wird heute durch drei eigenständige und (vermeintlich) in keinem inneren Zusammenhang stehende Beweisablehnungsgründe zum Ausdruck gebracht. Diese Transformation erscheint schon aus strukturellen Gründen als völlig willkürlich und ist abzulehnen. Die Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit der Beweisführung stellt keine Beweisablehnung im eigentlichen Sinne dar. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht kommt, da er durch die Zweckmäßigkeit der Beweisführung bedingt ist, von vornherein nicht zur Entstehung.40 Gesetzlicher Beweisablehnungsgründe bedarf es erst dann, wenn der an sich entstandene Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aufgrund einer übergeordneten gesetzgeberischen Wertentscheidung zurückgedrängt werden soll. Über diesen strukturellen Unterschied zwischen Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit und Beweisablehnung wegen des Vorliegens eines Beweisablehnungsgrundes setzen sich Literatur und Rechtsprechung ganz bedenkenlos hinweg, was wohl auch an der unstrukturierten Kodifikation der Rechtsprechungspraxis des Reichsgerichts zur Beweisablehnung im Strafprozess (§  244 Abs.  3–5 StPO) geschuldet ist. Dies wird allzu gern unbesehen für die Beweisablehnung im Zivilprozess herangezogen.41 40 

Teil 2, A.I §  244 Abs.  3 bis 5 ZPO wird spätestens seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni 1956 zurückgegriffen, vgl. BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480. Im Anschluss daran, vgl. BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 f. („Anastasia“); BGH, Urt. v. 03.05.1983 – VI ZR 143/81, VersR 1983, 668, 669; BGH, Urt. v. 11.10.1983 – VI ZR 251/81, VersR 1984, 79, 80; BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10. Aus der Literatur: Störmer, JuS 1994, 238, 241; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  27; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  91; Foerste, in: Musielak/ 41  Auf

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

c) Ergebnis Nach Maßgabe des hier vertretenen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriffs ist eine Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung in den folgenden Fällen denkbar:42 Die Beweisführung ist (1.) objektiv unerheblich – sie betrifft eine nicht streitentscheidende Tatsache, (2.) absolutsubjektiv unerheblich – das zur Beweisführung angebotene Beweismittel hat aufgrund einer bestimmten Eigenschaft keinen Beweiswert oder (3.) relativsubjektiv unerheblich – das zur Beweisführung angebotene Beweismittel hat im Verhältnis zu sonstigen Beweismitteln oder anderweitigen Erkenntnissen des Richters keinen Beweiswert.43 Ist die Beweisführung unerheblich, kann sie ihren Zweck, namentlich die Herbeiführung einer bestimmten richterlichen Überzeugung über Tatsachen, von vorneherein nicht erfüllen. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gelangt aufgrund der Zwecklosigkeit der Beweisführung nicht zur Entstehung. Der Richter muss, da eine zwecklose Beweiserhebung im Zivilprozess keinen Platz hat, die Beweiserhebung ablehnen. 2.  Die Feststellung der Unerheblichkeit einer Beweisführung Nachdem nunmehr strukturelle Klarheit über die unterschiedlichen Erscheinungsformen der unerheblichen und infolgedessen zwecklosen Beweisführung Voit, ZPO, §  284 Rn.  21a; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  42; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  53; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  91; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  8b. Kritisch dazu: Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 179 ff., der den Katalog des §  244 StPO für weitestgehend überflüssig erachtet, mit Recht. 42  Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass die Anwendung dieser Unterkategorien ohne Weiteres zulässig wäre. An dieser Stelle soll allein das konstruktive Fundament der Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit gelegt werden, die ihrerseits eine Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit rechtfertigt, Teil 2, A.I. 43  Ein anschaulicher Beleg dafür, dass das Reichsgericht nicht einen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff vertreten hat, sondern darüber hinaus ebenfalls (gedanklich) zwischen der absoluten subjektiven Unerheblichkeit und relativen subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung unterschieden hat, liefert eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 17. Dezember 1912, RG, Urt. v. 17.10.1912 – VI 130/12, JW 1913, 43, 44: „Es ist allerdings zulässig, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn die Nutzlosigkeit des betreffenden Beweises in jeder Richtung von vornherein mit Sicherheit zu übersehen ist (absolute subjektive Unerheblichkeit), oder wenn das Gericht aus den bisherigen Verhandlungen und Beweiserhebungen die ganz bestimmte Überzeugung von der Wahrheit bzw. Unwahrheit einer Tatsache gewonnen hat und demgemäß mit näherer Begründung feststellt, daß diese seine Überzeugung durch den angebotenen Beweis auf keinen Fall erschüttert werden könne (relative subjektive Unerheblichkeit).“ (Hervorh. u. Erg. d. Verf.).

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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herrscht, stellt sich im Folgenden die Frage, wie das Gericht deren Vorliegen feststellen kann. Die Beweisführung erweist sich dann als unerheblich, wenn mit Sicherheit feststeht, dass sie auf die richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben kann und wird. Der Richter ist nach Maßgabe des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht nur dann zur Beweiserhebung verpflichtet, wenn sich die Beweisführung als zweckmäßig erweist. Dazu muss sie unter anderem objektiv und subjektiv erheblich sein. Dementsprechend hat der Richter vor der Beweiserhebung eine Zweckmäßigkeits- und damit eine Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Gegenstand der Erheblichkeitsprüfung ist die Frage, ob die Beweisführung auf die Überzeugungsbildung des Richters Einfluss haben kann und wird. Die eigentliche Überzeugungsbildung darf der Richter nach Maßgabe des §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO aber erst im Rahmen der Beweiswürdigung vornehmen, nicht vorher. Andernfalls erfolgt die Beweiswürdigung nicht frei, sondern voreingenommen. Die Beweiswürdigung ihrerseits setzt die Beweiserhebung voraus. Letztere geht ersterer zeitlich voran. Somit muss die Erheblichkeitsprüfung als Vorstufe der Beweiserhebung zwingend im Rahmen einer Beweisprognose stattfinden.44 Hierbei ergeben sich Unterschiede zwischen der objektiven und der subjektiven Erheblichkeitsprüfung: a)  Die Feststellung der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung Die objektive Unerheblichkeit der Beweisführung richtet sich danach, ob das Beweisthema eine streitentscheidende Tatsache betrifft. Streitentscheidend sind alle Tatsachen, die ein Tatbestandsmerkmal einer streitentscheidenden Norm unmittelbar („Haupttatsachen“45)46 oder mittelbar (sog. „tatbestandsfremde Tatsa-

44  Die Substantiierung des Beweisantrags wird an dieser Stelle als konstitutives Merkmal der ordnungsgemäßen Beweisführung vorausgesetzt. Andernfalls kann eine Beweisprognose mangels hinreichend präziser Information des Gerichts nicht stattfinden. Vgl. dazu: BGH, Urt. v. 23.04.1991 – X ZR 77/89, NJW  1991, 2707, 2708; BGH, Urt. v. 19.06.2000 – II ZR 319/98, NJW  2000, 3718, 3720. 45  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  16. 46  Sog. „unmittelbarer Beweis“ (auch: „direkter Beweis“ oder „natürlicher Beweis“), vgl. Endemann, Die Beweislehre des Zivilprozesses, S.  66; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  383; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap.  3 Rn.  9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  15.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

chen“47, „Hilfstatsachen“48, „Indizien“49 oder „Indiztatsachen“50)51, unter Zuhilfenahme weiterer mittelbarer Tatsachen oder sonstiger Erfahrungssätze,52 erfüllen.53 Welche Norm streitentscheidend ist, richtet sich nach dem Streitgegenstand.54 Der Streitgegenstand wird dem Richter in der Klageschrift mitgeteilt, §  253 Abs.  2 Nr.  2 1. Hs. ZPO. Der Richter kann durch bloße Wahrunterstellung der unter Beweis gestellten Tatsache eine sichere Prognose darüber aufstellen, ob diese ein Tatbestandsmerkmal einer streitentscheidenden Norm betrifft. Die vom Richter aufzustellende Prognose über die objektive Erheblichkeit des Beweisführers ist deshalb sicher, weil sie auf einem rein juristischen Subsumtionsvorgang ohne Rücksicht auf sonstige Lebensumstände beruht. Der Richter kann allein anhand des Streitgegenstands und in Kenntnis des materiellen Rechts (iura novit curia) darüber entscheiden, ob ein Beweis zum Gegenstand der Beweiswürdi47 

BGH, Beschl. v. 09.02.1998 – II ZB 15/97, NJW  1998, 1870 (1870). Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  1, 12.  Aufl., §  284 Rn.  19; Schellhammer, Zivilprozess, 14.  Aufl., Rn.  513. 49  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  15. 50  Jauernig/Hess, Zivilprozessordnung, 30.  Aufl., §  49 Rn.  8. 51  Sog. „mittelbarer Beweis“ (auch: „Indizienbeweis“, „indirekter Beweis“ oder „künstlicher Beweis“). Eingehend dazu: BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260 f. („Anastasia“). Vgl. ferner: Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  383; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  15; Jauernig/Hess, Zivilprozessordnung, 30.  Aufl., §  49 Rn.  8. Grundlegend dazu bereits Endemann, Die Beweislehre des Zivilprozesses, S.  66 und 68: „Der künstliche Beweis ist die Folgerung der Wahrheit aus anderen Thatsachen, aus Prämissen, welche ihrerseits allerdings juristisch bewiesen werden müssen, nach freier Logik.“ 52  Vgl. nur: BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1; BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 39/55, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261 („Anastasia“); BGH, Urt. v. 04.05.1983 – VIII ZR 94/82, NJW  1983, 2034, 2035; BGH, Urt. v. 10.02.1993 – XII ZR 241/91, BGHZ 121, 266, 271; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – I ZR 167/11, NJW-RR 2013, 743, 745. Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts im Prozess, S.  329 ff.; Nack, Indizienbeweisführung und Denkgesetze, NJW  1983, 1035; ders., Der Indizienbeweis, MDR 1986, 366; Jauernig/Hess, Zivilprozessordnung, 30.  Aufl., §  49 Rn.  8; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  24. 53  Vgl. dazu: Teplitzky, JuS 1968, 71, 74; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  15–17 und §  111 Rn.  7 – 9; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  73 ff.; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  2c. Kritisch zu der Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Beweistatsache äußerte sich Endemann, Die Beweislehre des Zivilprozesses, S.  69: „Es ist kaum zu begreifen, wie man da, wo keine Beweisregel existiert, doch mitunter wieder den Beweis aus direkten Beweisen und den (künstlichen) Beweis aus indirekten Beweisen (Thatsachen, Indizien) zu rechtlichen Folgen führen läßt, da doch die Wahrheitserkenntniß überall, auch bei dem Anhören des direkten Zeugnisses, ja bei eigener Wahrnehmung des Richters, ebenso logischer Schluß bleibt, wie bei der Folgerung aus anderem Beweisstoff.“ 54  Vgl. Schönke, in: FS Rosenberg, S.  218, 223; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  350; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  133. 48 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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gung gemacht werden muss oder nicht.55 Die Sicht des Prozessgerichts (iudex a quo) ist für die Frage einer etwaigen Fehleinschätzung die insoweit maßgeb­ liche.56 Fällt die Prognoseentscheidung negativ aus, muss der Richter die Beweisführung wegen objektiver Unerheblichkeit ablehnen. Für den Richter steht dann fest, dass die Beweisführung keinen Einfluss auf seine Überzeugung haben kann und sie mithin zwecklos wäre. b)  Die Feststellung der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung Die subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung richtet sich danach, ob dem in Ansatz gebrachten Beweismittel im konkreten Fall ein Beweiswert zuzuschreiben ist. Der Beweiswert eines Beweismittels beruht auf dem persönlichen Eindruck des Gerichts und kann deshalb – im Regelfall – erst im Rahmen der Beweiswürdigung festgestellt werden. Beurteilt der Richter den Beweiswert eines Beweismittels nicht anhand seines persönlichen Eindrucks, sondern anhand sonstiger Umstände, missachtet er seine Pflicht zur freien Beweiswürdigung und verstößt gegen §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO. c) Ergebnis Vor diesem Hintergrund tritt der Unterschied der jeweils anzustellenden Beweisprognose klar zum Vorschein: Während die Beweisprognose hinsichtlich der objektiven Erheblichkeit der Beweisführung mit Anhängigkeit der Klage in jeder Hinsicht sicher und endgültig aufgestellt werden kann, ist dies hinsichtlich der subjektiven Erheblichkeit der Beweisführung nicht in gleicher Weise oder in gleichem Umfang möglich. Um ein sicheres Ergebnis über den Ausgang der 55  Statt vieler: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  110 Rn.  16. Nach Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2.  Aufl., S.  416, „schielt“ das Gericht bei der objektiven Erheblichkeitsprüfung auf den nach seiner Ansicht nach einschlägigen Rechtssatz. Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 208, bezeichnet die Feststellung der objektiven Beweiserheblichkeit als eine reine „Subsumtionsfrage“. Sie unterliege „den Regeln der formalen Logik“. 56  Vgl. zu §  538 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO: BGH, Urt. v. 22.01.2016 – V ZR 196/14, NJW  2016, 2274, 2274 f.; BGH, Urt. v. 14.05.2013 – VI ZR 325/11, NJW  2013, 2601, 2601 f.; Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  538 Rn.  8; Wöstmann, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  538 Rn.  8. A. A. Rimmelspacher, in: MüKo, ZPO, 5.  Aufl., §  538 Rn.  29, der mit guten Gründen die Ansicht vertritt, dass es für die Frage, ob ein Verfahrensmangel tatsächlich vorliegt auf die Sicht des Rechtsmittelgerichts abgehoben werden muss. Andernfalls wird dem Rechtsmittelführer unter Umständen eine am Maßstab der objektiven Gerechtigkeit ausgerichtete Urteilskontrolle versagt. Dem wird indes entgegengehalten, dass unter §  538 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO lediglich der Verfahrensmangel (error in procedendo), nicht aber die materiell-rechtlich unrichtige Beurteilung (error in iudicando) fällt, Heßler, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  538 Rn.  10. Ein etwaiger Widerspruch zum Revisionszulassungsrecht wird dadurch freilich in Kauf genommen (s. o.).

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

richterlichen Überzeugungsbildung prognostizieren zu können, muss die Beweiswürdigung selbst abgewartet werden, was wiederum die Beweiserhebung bedingt. Würde der Richter gleichwohl auf der Grundlage einer ungewissen Beweisprognose die beantragte Beweisführung wegen subjektiver Unerheblichkeit ablehnen, stellte das nichts anderes als eine Vorwegnahme des noch ungewissen Ergebnisses einer künftigen Beweiswürdigung dar – der Richter verstieße dann (und nur dann) gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung.57 Damit kommt man im Hinblick auf die Prüfung der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung zu folgendem, etwas befremdlich scheinenden, aber dennoch richtigen Ergebnis: Die Feststellung, ob der Richter im konkreten Fall nach Maßgabe des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht zur Be­weis­ erhebung verpflichtet ist, wird im Rahmen der subjektiven Erheblichkeitsprüfung durch den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht vereitelt. Gelingt es nicht, einen Parameter der eben aufgestellten Gleichung zur subjektiven Erheblichkeitsprüfung zu ändern, so bedeutete dies aus Gründen der logischen Deduktion, dass eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit generell und ausnahmslos einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung begründe und somit unzulässig wäre. 3.  Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung trotz des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung Angestoßen durch die vorangegangene Feststellung zur subjektiven Erheblichkeitsprüfung stellt sich abschließend die Frage, ob eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung generell unzulässig ist. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist keiner Ausnahme zugänglich.58 Mit der konsequenten Einschränkung der freien richterlichen Be57  Angesichts des oben beschriebenen Begriffswandels nimmt es wenig wunder, dass in der heutigen Kommentarliteratur das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung allein im Zusammenhang mit der Beweisablehnung wegen „Ungeeignetheit des Beweismittels“ oder „Erwiesenheit des Gegenteils“ genannt wird, freilich ohne dass der innere Zusammenhang dieser beiden „Beweisablehnungsgründe“ erkannt worden wäre. Vgl. Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  36, 38; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98, 100; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  284 Rn.  21; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48, 50; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  51, 53; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  64, 78; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  97; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  10a. 58  Das Prozesskostenhilfeverfahren stellt diesen Befund nicht in Frage; a. A. Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98. Das Gesetz ordnet in §  118 Abs.  2 S.  2 und 3 ZPO ausdrücklich an, dass es in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, ob und inwieweit es Beweise zur Feststellung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (§  114 Abs.  1 S.  1 ZPO) erhebt. Aus diesem Grund gilt insoweit nicht die Verhandlungs-

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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weisablehnungsbefugnis, wie sie in §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO niedergelegt ist, ist der Richter nunmehr verpflichtet, einen Beweis zu erheben, wenn er nicht ausmaxime und mit ihr das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung. Dementsprechend gilt auch nicht der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und mit ihm das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Es kann deshalb Schneider darin Recht gegeben werden, dass die vorweggenommene Beweiswürdigung in gewisser Weise „gesetzlich vorgeschrieben“ ist, vgl. Schneider, MDR 1987, 22, 22. In diese Richtung ferner: Zuck, NJW  2012, 37, 38. Dies ist gerechtfertigt. Das Prozesskostenhilfeverfahren dient dazu, die Rechtsschutzmöglichkeiten zwischen einem Bemittelten und einem Unbemittelten anzugleichen, vgl. Fechner, JZ 1969, 349, 350 f.; Henke, ZZP 123 (2010), 193, 195 ff. Das Bundesverfassungsgericht hält dies unter Verweis auf Art.  3 Abs.  1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  3 GG) für verfassungsrechtlich geboten, vgl. nur: BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39, 48 f.; BVerfG, Beschl. v. 24.01.1995 – 1 BvR 1229/94, BVerfGE 92, 122, 124; BVerfG, Beschl. v. 13.03.1990 – 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 356; BVerfG, Beschl. v. 26.04.1988 – 1 BvL 84/86, BVerfGE 78, 104, 117; BVerfG, Beschl. v. 18.07.1984 – 1 BvR 1455/83, BVerfGE 67, 245, 248; BVerfG, Beschl. v. 12.04.1983 – 2 BvR 1304/80, BVerfGE 63, 380, 394. Gleichstellung heißt aber nicht Besserstellung. Soweit ein Bemittelter, der die Prozesskosten selbst zu tragen hätte, angesichts seiner persönlichen Erfolgsprognose und unter Berücksichtigung des Kostenrisikos von der Prozessführung absehen würde, muss dies auch für einen Unbemittelten gelten. Ob ein Bemittelter in der Situation des Unbemittelten von der Prozessführung absehen würde, muss das Gericht nach Maßgabe einer Erfolgsprognose entscheiden, die es gemäß §§  114 Abs.  1 S.  1, 118 Abs.  1 und 2 ZPO aufzustellen hat. Das Gericht wird dadurch, wie Franke trefflich feststellt, von Gesetzes wegen genötigt, die Ebene des aut-aut zu verlassen und eine Entscheidung auf Grundlage subjektiver Tendenz zu treffen, vgl. Franke, Zur Reform des Armenrechts, S.  113. Indes darf das Gericht die Anforderungen an die aufzustellende Erfolgsprognose nicht „überspannen“. Das Bundesverfassungsgericht stellte daher in ständiger Rechtsprechung klar, dass die zulässigen Grenzen des fachgerichtlichen Beurteilungsspielraums dann überschritten werden, wenn das verfassungsrechtlich gebotene Ziel der weitgehenden Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten verfehlt wird, vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.08.2014, 1 BvR 3001/11, juris, Rn.  12; BVerfG, Beschl. v. 03.09.2013, 1 BvR 1419/13, juris, Rn.  22; BVerfG, Beschl. v. 01.07.2009, 1 BvR 560/08, juris, Rn.  12; BVerfG, Beschl. v. 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, juris, Rn.  29; BVerfG, Beschl. v. 21.11.2008, 1 BvR 2504/06, juris, Rn.  12; BVerfG, Beschl. v. 28.11.2007, 1 BvR 68/07, 1 BvR 70/07, 1 BvR 71/07, juris, Rn.  9; BVerfG, Beschl. v. 02.02.1993 – 1 BvR 1697/91, FamRZ 1993, 664; BVerfG, Beschl. v. 13.03.1990 – 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358. Aus diesem Grund darf das Gericht keine negative Erfolgsprognose aufstellen, solange eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine solche mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird. In diesem Fall sei es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit unvereinbar, einer unbemittelten Partei die Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens abzusprechen und in der Folge die Prozesskostenhilfe zu versagen. Deshalb ist eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung nur „in eng begrenztem Rahmen“ zulässig, vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.08.2014, 1 BvR 3001/11, juris, Rn.  12; BVerfG, Beschl. v. 03.09.2013, 1 BvR 1419/13, juris, Rn.  23; BVerfG, Beschl. v. 01.07.2009, 1 BvR 560/08, juris, Rn.  13; BVerfG, Beschl. v. 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, juris, Rn.  30; BVerfG, Beschl. v. 21.11.2008, 1 BvR 2504/06, juris, Rn.  12; BVerfG, Beschl. v. 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07, NJW  2008, 1060, 1061 f.; BVerfG, Beschl. v. 28.11.2007, 1 BvR 68/07, 1 BvR 70/07, 1 BvR 71/07, juris, Rn.  10; BVerfG, Beschl.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

schließlich kann, dass der Beweis Einfluss auf seine Überzeugung haben wird. Dementsprechend ist eine Beweisablehnung unter Beobachtung des Verbots der vorweggenommenen Beweise immer dann zulässig, wenn der Richter vor der Beweiserhebung mit abschließender Sicherheit eben diese Feststellung treffen kann, nämlich dass die Beweisführung keinen Einfluss auf seine Überzeugungsbildung haben wird. Der Untersuchungsgegenstand lautet mithin: Ist eine Beweisablehnung wegen absoluter oder relativer subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung unter gleichzeitiger und uneingeschränkter Geltung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung zulässig, und wenn ja, wonach beurteilt sich dies aus Sicht des Richters? a)  Standpunkt der Literatur Der Zivilprozessrechtswissenschaft ist es, soweit ersichtlich, bis heute nicht gelungen, eine allgemeingültige Antwort auf die aufgeworfene Frage zu liefern. Der Grund hierfür ist schnell gefunden: Durch die künstliche Aufspaltung der Beweisablehnung wegen absolut- und relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung in die selbstständigen Beweisablehnungsgründe der Ungeeignetheit des Beweismittels, Erwiesenheit des Beweisthemas und Erwiesenheit des Gegenteils, kann es nicht gelingen, einen dem inneren System des zivilprozessualen Beweisverfahrens gerecht werdenden Lösungsansatz zu entwickeln. Man bleibt mangels Abstraktionsfähigkeit der genannten Fallgruppen auf die Orientierung an der bisherigen Kasuistik angewiesen und bewegt sich ansonsten im Ungefähren. v. 29.09.2004 – 1 BvR 1281/04, NJW-RR 2005, 140, 141; BVerfG, Beschl. v. 14.04.2003 – 1 BvR 1998/02, NJW, 2003, 2976, 2977; BVerfG, Beschl. v. 20.02.2002 – 1 BvR 1450/00, NJWRR 2002, 1069, 1070; BVerfG, Beschl. v. 07.05.1997 – 1 BvR 296/95, NJW  1997, 2745, 2746. Aus der Literatur: Henke, ZZP 110 (2010), 193, 206 f.; Motzer, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  114 Rn.  65; Fischer, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  114 Rn.  21; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  2, 22.  Aufl., §  114 Rn.  22; Geimer, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  114 Rn.  26; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., §  87 Rn.  31 m. w. N. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass die Sicht auf die vorweggenommene Beweiswürdigung im Prozesskostenhilfeverfahren eine grundverschieden ist, als im regulären Beweisverfahren: Im Prozesskostenhilfeverfahren gilt die Untersuchungsmaxime im Hinblick auf die Feststellung der Bewilligungsvoraussetzungen. Hier ist die vorweggenommene Beweiswürdigung bereits im Grundsatz zulässig. Im zivilprozessualen Beweisverfahren indes gilt die Verhandlungsmaxime und mit ihr das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung (vgl. Teil 1, B.I.2 und B.I.3.). Für das Prozesskostenhilfeverfahren wird die an sich zulässige vorweggenommene Beweiswürdigung lediglich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten eingeschränkt. Dies mag sich aus Sicht des Beweisverfahrens als eine „Ausnahme“ darstellen. Tatsächlich sind die unterschiedlichen Regelungsregime einander nicht vergleichbar.

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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aa)  Die Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels (absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) Um nicht gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zu verstoßen, rät beispielsweise Hartmann, dass man mit der Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels (nach diesseitigem Verständnis: „absolute subjektive Unerheblichkeit“) „bitte behutsam“ umgehen möge – was auch immer das heißen mag.59 Vergleichbares findet sich auch andernorts. Leipold fordert zu „größter Zurückhaltung“60 auf, Laumen mahnt „besondere Vorsicht“61 an und Foerste konstatiert plakativ wie nichtssagend: „Untaugliche Beweismittel sind unbeachtlich (…), aber selten.“62 Einer endgültigen Preisgabe jedes Systematisierungsversuchs kommt es gleich, wenn Strömer die Grenze zwischen Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und zulässiger Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels schlechterdings als „fließend“ bezeichnet.63 Etwas aufschlussreicher sind dagegen die Ausführungen Prüttings, der unter Bezugnahme auf Söllner64 (dazu sogleich) eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit ausnahmsweise für zulässig erachtet, wenn der Beweisführung ein „Erfahrungssatz mit naturgesetzlichem oder ähnlichem Beweiswert entgegensteht.“65 Entsprechendes findet sich bei Laumen66, Saenger67 und Ahrens68. Auch sie halten eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels für zulässig, wenn die „Lebenserfahrung die sichere Prognose“ hierauf zulasse. Weitergehende allgemeinverbindliche Regeln über den Umgang mit der Be­weis­ ablehnung wegen Ungeeignetheit werden indes nicht aufgestellt. Stattdessen zieht man sich auf den seit jeher geltenden Rechtssatz zurück, dass eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit nur dann zulässig sei, „wenn es im Einzelfall vollkommen ausgeschlossen erscheint, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches ergeben könne“ und zieht zur Erläuterung mehr oder weniger Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  36. Vgl. Teplitzky, JuS 1968, 71, 75; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  64 ff. Seine Diktion macht sich Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  168, zu Eigen. 61  Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48. 62  Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  284 Rn.  21. 63  Störmer, JuS 1994, 238, 242. 64  Söllner, MDR 1988, 363, 363 f. 65  Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98. 66  Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48, mit Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 02.10.2003 – 2 BvR 149/03, NJW  2004, 1443; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  42. 67  Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  53. 68  Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  98. 59  60 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

zusammenhangslos Beispiele aus der Rechtsprechung heran.69 Dies allein hilft indes wenig, wenn man auf der Suche nach einer abstrakten Rechtsregel für den richtigen Umgang mit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung (Ungeeignetheit des Beweismittels) ist.70 bb)  Die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) Eine Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas wird als generell zulässig erachtet, jedenfalls dann, wenn die Beweisführung des Beweisgegners abgeschlossen ist.71 Die Möglichkeit, dass auch hierin eine vorweggenommene Beweiswürdigung liegen kann, wird noch nicht einmal in Betracht gezogen. Gerade das ist aber der Fall. Immerhin wird der Richter den Beweiswert des in Ansatz gebrachten Beweismittels auch hier in aller Regel nicht im Vorhinein beurteilen können.

Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 192 ff.; ders., MDR 1969, 268, 268 f.; Teplitzky, JuS 1968, 71, 75; Störmer, JuS 1994, 238, 241 f.; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98. In diese Richtung auch: Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  42; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  65; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  97; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  10a. Vgl. ferner: Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.  Aufl., S.  399; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  116 Rn.  8. Der Satz geht zurück auf die Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. März 1881, RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377 f.: „Die Wahrscheinlichkeit eines erfolglosen Ausfalles der beantragen Vernehmung kann nicht zur Ablehnung derselben berechtigen; denn auch die größte Wahrscheinlichkeit läßt immer noch irgend eine Möglichkeit des Gegenteils bestehen, und da der Richter sich darüber, ob ein Zeuge Sachdienliches auszusagen vermag, durch die Vernehmung desselben volle Gewißheit verschaffen kann, so kann von dem Vorhandensein einer dies verneinenden Überzeugung des Richters solange nicht die Rede sein, als nicht jede Möglichkeit des Gegenteils schon anderweitig als ausgeschlossen erscheint.“ Dies ist freilich heute in Vergessenheit geraten, vgl. Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98, Fn.  104, der als älteste Fundstelle BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481 angibt. Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  65, Fn.  108 bezieht sich als frühesten Nachweis auf BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480. Ungeachtet dessen ist dies einmal mehr Beleg dafür, welche enorme Bedeutung diese Entscheidung für das zivilprozessuale Beweisverfahrenssystem hatte (vgl. dazu Teil 1, B.II.1.a)bb)). 70  In diesem Sinne sehr zu Recht Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5.  Aufl., Rn.  214. 71  Teplitzky, DRiZ 1970, 280, 282; Störmer, JuS 1994, 238, 241; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  99; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  50; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3 Rn.  45; Saenger, in: Saenger, ZPO, 7.  Aufl., §  284 Rn.  51; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, §  284 Rn.  77; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  95; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  12. 69 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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Das ist gleichwohl im Hinblick auf das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung unbedenklich. Dessen Funktion besteht nämlich darin sicherzustellen, dass die Parteien ihre Beweisführungsbefugnis uneingeschränkt ausüben können und dass der Richter dieses nicht aufgrund bloßer Vermutungen über das mögliche Ergebnis der Beweisführung unzulässigerweise abschneidet.72 Da im Falle der Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas der Zweck der Beweisführung aber bereits erreicht ist, bedarf es keiner weiteren Beweisführung, sog. Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit aufgrund Zweckerreichung.73 Der Beweisführer kann, trotz einer möglichen Vorwegnahme der Beweiswürdigung seitens des Richters, in seiner Beweisführungsbefugnis nicht verletzt werden, soll die Beweisführung nicht zum Selbstzweck erfolgen.74 cc)  Die Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) Ein wesentlich strengerer Umgang wird mit der Beweisablehnung wegen der Erwiesenheit des Gegenteils (nach diesseitigem Verständnis: der Beweisführung) gepflegt. Diese wird generell für unzulässig erachtet.75 Die bloße Möglichkeit, dass von vornherein feststehen könnte, dass eine Beweisführung den erwünschten Gegenbeweis nicht liefern könne, wird noch nicht einmal in Erwägung gezogen.76 Manche behaupten schlicht, eine Beweisablehnung wegen der 72 

Teil 1, B.II.1.c). Teil 2, A.I. 74  Schneider hat hierzu einen anderen Erklärungsansatz entwickelt. Seiner Ansicht nach dürfe die Beweiserhebung wegen Erwiesenheit des Beweisthemas deshalb unterbleiben, weil die Partei kein „Recht für sich beanspruchen (kann), daß ihre Behauptung nur übernommen werden dürfe, wenn sie durch die Beweisaufnahme bestätigt werde. Andernfalls würde die Partei sich dem Vorwurf aussetzen, daß sie bewußt die Unwahrheit gesagt oder Behauptungen aufs Geratewohl aufgestellt habe.“, Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 187. Im Verhältnis zu dem hier entwickelten Erklärungsansatz vermag Schneiders Begründung weniger zu überzeugen. 75  Teplitzky, DRiZ 1970, 280, 282; Störmer, JuS 1994, 238, 241; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  100; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  50; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3, Rn.  45; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  78; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  12; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  116 Rn.  8. Eine Beweisablehnung wegen relativer subjektiver Unerheblichkeit scheint indes Schneider unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts anzuerkennen, Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 191: „Die Beweisablehnung ist immer dann zulässig, wenn der beantragte Beweis hinter dem bereits erhobenen absolut an Überzeugungskraft zurücksteht. Auch dann wird zwar eine Beweisantizipation vorgenommen. Sie führt jedoch zu einer generellen Einsicht und ist unabhängig von den subjektiven Wertungen des Richters.“ 76  Dies müsste eigentlich überraschen. Schließlich hat das Reichsgericht diesen gerade im Kontext der Beweisablehnung wegen der Erwiesenheit des Gegenteils aufgestellt (s. o.). 73 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

Erwiesenheit des Gegenteils stelle per se eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar.77 Gewiss lehrt die allgemeine Erfahrung, dass eine einmal gefasste Überzeugung in aller Regel keine unerschütterliche ist und daher schon durch einen einzigen Gegenbeweis ins Wanken gebracht werden kann.78 Es bestehen jedoch Zweifel, dass dies ausnahmslos gilt. Schon bei Wach ist das Folgende zu lesen: „Niemals ist, wenn nicht Notorität, richterlicher Augenschein, Geständniss, Gewissheit gab, die richterliche Ueberzeugung einer bestrittenen und bestreitbaren Thatsache im Civilprocess eine unerschütterliche, eine Ueberzeugung von der Unmöglichkeit des Gegentheils. Wo diese Ueberzeugung fehlt, darf der Beweis des Gegentheils nicht abgeschnitten werden.“79

Bei genauerem Hinsehen sticht ins Auge, dass Wach eine Beweisführung unter anderem dann ausnahmsweise für aussichtslos erachtete, wenn das Gegenteil der Beweisbehauptung durch richterlichen Augenschein oder Gewissheit festgestellt worden war. Schon allein dies indiziert eine gewisse Durchlässigkeit der an sich unzulässigen Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils. Darüber hinaus bestehen schon allein aus systematischen Erwägungen Bedenken, dass eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels (absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) in engen Grenzen zulässig, während eine Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils (relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung) generell unzulässig sein soll. In beiden Fällen geht es um die Wertlosigkeit des Beweismittels. Sie unterscheiden sich nur im Hinblick auf die Ursache, die zu dieser Wertlosigkeit führt. Dass das aus den Augen verloren wurde, ist Folge der zu missbilligenden Aufgabe des subjektiven Erheblichkeitsbegriffs und der damit einhergehenden Umetikettierung zweier Unterkategorien einer unerheblichen Beweisführung in eigenständige Beweisablehnungsgründe. dd)  Die Bedeutung von Erfahrungssätzen für die Beweisablehnung Mit der hier aufgeworfenen Frage hat sich insbesondere Söllner im Rahmen seiner bereits erwähnten Dissertationsschrift eingehender auseinandergesetzt.80 Ohne das Wesen und den Ursprung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung näher zu untersuchen, versucht er anhand der vorhandenen 77  Störmer, JuS 1994, 238, 241; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen, S.  170. 78  So etwa: Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  78 unter maßgeblicher Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260 („Ana­stasia“). In diesem Sinne aber schon: Stein, Privates Wissen, S.  99. 79  Wach, Vorträge, 1.  Aufl., S.  161. 80  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  94–112.

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

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Rechtsprechung Fallgruppen zu bilden, in denen eine Beweisablehnung zulässig ist, ohne mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in Konflikt zu geraten.81 Söllner kommt zum Ergebnis, dass eine beantragte Beweisführung dann abgelehnt werden dürfe, wenn deren Unwert durch einen verbindlichen Erfahrungssatz vorab festgestellt werden könne.82 Dies führt ihn zu dem folgenden Schluss: „Das Verbot einer vorweggenommenen Beweiswürdigung will sicherstellen, daß der Tatrichter sich nicht auf seine freie Überzeugung beruft, ohne den unmittelbaren Eindruck einer Beweisaufnahme gewonnen zu haben. Ist die Tatsachenwürdigung des Richters aber gebunden, weil eine erschöpfende Beweiswürdigung die Berücksichtigung bestimmter Erfahrungssätze gebietet, so kann auch ohne Beweiserhebung über die Wahrheit von Tatsachen oder über die Eignung des Beweismittels entschieden werden. Die Beweisaufnahme hat für die Würdigung des Richters wegen der Bindung an Erfahrungssätze keine Bedeutung, ist also unnötig.“83

Diesen Standpunkt wiederholte er einige Jahre später.84 Allerdings hätte nicht jeder Erfahrungssatz dieselbe Beweiskraft. Während manche nur unterstützend innerhalb der Beweiswürdigung herangezogen werden könnten, seien andere von solcher Überzeugungskraft, dass sich der Richter innerhalb einer etwaigen Beweiswürdigung diesen nicht ernsthaft entgegenstellen dürfe.85 Hierunter fielen „naturgesetzliche“ oder „typische“ Erfahrungssätze.86 Dementsprechend dürfe laut Söllner eine Beweisführung beispielsweise dann abgelehnt werden, wenn nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung dem in Ansatz gebrachten Beweismittel jede Beweiskraft abgesprochen werden könne.87 Ebenso zulässig sei es, wenn der Richter beispielsweise eine Zeugenvernehmung mit der Begründung ablehnt, dass die unter Beweis gestellte Behauptung bereits durch eigenen richterlichen Augenschein

Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  94–104. Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  105 f.: „Gehört somit zu einer fehlerfreien Beweiswürdigung die Berücksichtigung der Erfahrungen des Lebens, so kann mit Hilfe von Erfahrungssätzen auch ohne Beweisaufnahme auf die Wahrheit oder Unwahrheit von Tatsachen oder auf die Nichteignung eines Beweismittels geschlossen werden.“ 83  Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  107. 84  Söllner, MDR 1988, 363, 363 ff. Bedauerlicherweise redet Söller hier von einer „Ausnahme“ des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung, was in der Sache unzutreffend ist. Denn der von Söllner in Ansatz gebrachte Erfahrungssatz schließt die Beweiswürdigung gerade von vornherein aus. Die Beweiswürdigung kann und wird allein durch die Befolgung eines Erfahrungssatzes nicht „vorweggenommenen“, denn sie kommt von vornherein nicht zum Zuge. 85  Söllner, MDR 1988, 363, 364. 86  Söllner, MDR 1988, 363, 364. 87  Söllner, MDR 1988, 363, 364. 81  82 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

erwiesen sei. Das sachnähere Beweismittel schließe daher ein sachfernes Beweismittel aus.88 Söllner glaubt aber, dass die genannten Erfahrungssätze nur eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels, nicht aber wegen Erwiesenheit des Gegenteils erlaubten. In dieser Hinsicht irrt Söllner, wobei er den Grund hierfür selbst liefert: Sollte aufgrund eines Erfahrungssatzes die Beweisablehnung eines Beweismittels gerechtfertigt sein, bedeutet dies nichts anders, als dass der Richter die Feststellungen des sachnäheren Beweismittels (richterliche Inaugenscheinnahme) in Bezug auf das weniger sachnahe Beweismittel (Zeugenvernehmung) für unerschütterlich erachtet. Dies stellt ganz zweifellos eine Beweisablehnung wegen Erwiesenheit des Gegenteils (nach diesseitigem Verständnis: relativ-subjektiver Unerheblichkeit) der Beweisführung dar. Die Beweiskraft der Zeugenvernehmung wird anhand der richterlichen Inaugenscheinnahme beurteilt, mit ihr also ins Verhältnis gesetzt.89 Söllners Lösungsansatz ist im Grunde genommen auch in der damaligen Zeit nichts Neues gewesen. Bereits Stein behauptete Ende des 19. Jahrhunderts unter Anerkennung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht, dass eine Beweiserhebung ausnahmsweise dann nicht in Betracht käme, „wenn Beweismittel angeboten werden, deren Unwerth durch ganz sicheren Erfahrungssatz im Voraus feststeht.“90 Im Ergebnis ist damit Folgendes festzustellen:

Söllner, MDR 1988, 363, 364. Der gleiche Denkfehler unterläuft aber auch Schneider und Teplitzky: Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5.  Aufl., Rn.  223 f., ist der Ansicht, dass sich ein Gericht, das einen Gegenstand selbst in Augenschein genommen hat, nicht von einem Zeugen über dessen Beschaffenheit belehren lassen müsse. Das sachnähere Beweismittel (Inaugenscheinnahme) schließe damit das weniger sachnahe Beweismittel (Zeugenvernehmung) aus. Gleichwohl äußert Schneider unmittelbar darauf die Ansicht, dass eine Beweisablehnung wegen der Erwiesenheit des Gegenteils „immer“ unzulässig sei. Dies ist ganz offensichtlich widersprüchlich. Für Abhilfe sorgt nicht, wenn Schneider andernorts behauptet, die Beweisablehnung beruhe nicht auf der Überzeugung vom Gegenteil, sondern auf der von der „Nutzlosigkeit weiterer Beweiserhebung.“, Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 189. Vordergründig hat Schneider damit Recht. Aber warum steht die „Nutzlosigkeit weiterer Beweiserhebung“ fest? Die Antwort kann in diesem Zusammenhang nur lauten: Weil das Gericht vom Gegenteil überzeugt ist. Bei Teplitzky, DRiZ 1970, 280, 282, ist ebenfalls zunächst zu lesen, dass eine Gegenbeweisführung „stets“ zugelassen werden müsse. Kurz darauf behauptet er, dass eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels unter anderem auch dann bejaht werden könne, wenn das in Rede stehende Beweismittel „hinter bereits erhobenen Beweisen an Überzeugungskraft absolut“ zurücksteht, Teplitzky, DRiZ 1970, 280, 283. Daraus folgt, dass auch Teplitzky im Grunde davon ausgeht, dass eine Gegenbeweisführung unter Bezugnahme auf die bisherigen Feststellungen des Gerichts abgelehnt werden kann, womit er letzten Endes sich selbst widerspricht. 90  Stein, Privates Wissen, S.  99. 88  89 

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

263

Durch die strikte Berücksichtigung von verbindlichen Erfahrungssätzen im Rahmen der vom Gericht aufzustellenden Beweisprognose kann ein richtiger Umgang mit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung in aller Regel gewährleistet werden. Allerdings genügen die bisherigen Denkansätze nicht, um das aufgezeigte Spannungsverhältnis zwischen einer zulässigen Beweisablehnung wegen feststehendem Unwert des Beweismittels und dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung in zufriedenstellender Weise auflösen zu können. b)  Die Grenzen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung als Ausgangspunkt für eine zulässige Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Bis heute ist nicht zufriedenstellend geklärt, ob und insbesondere wann eine Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung unter Beachtung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung zulässig ist. Eine allgemeingültige Antwort hierauf lässt sich nicht durch Empirie, sondern allenfalls durch dogmatische Deduktion finden. Ausgangspunkt der Überlegung muss die Frage sein, ob die richterliche Beweiswürdigung gem. §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO tatsächlich in jeder Hinsicht frei ist, oder ob ihr auch Grenzen gesetzt sind. Nur wenn Letzteres der Fall ist, besteht überhaupt die Möglichkeit, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung schon zu einem Zeitpunkt feststehen kann, der vor der eigentlichen Beweiswürdigung liegt: Die Rede ist von der Determinierung des Ergebnisses der Beweiswürdigung aufgrund äußerer Umstände. Bekanntlich gibt es diese Grenzen der freien Beweiswürdigung, wie unschwer an §  286 Abs.  2 ZPO (vormals: §  259 Abs.  2 ZPO a. F.) erkennbar ist. Der Gesetzgeber drückt sich in der Begründung des Entwurfs der Zivilprozessordnung insoweit eindeutig aus: „Der Grundsatz der freien richterlichen Würdigung bedarf für das Civilprozeßverfahren (…) einzelner Beschränkungen.“91

Gemeint sind dabei in erster Linie die gesetzlichen Beweisregeln, allen voran die für den Beweis durch Urkunden (§§  380–383 ZPO a. F.; ≈ §§  415–418 ZPO) und

91 

Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275.

264

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

durch Eid (§§  428, 429 ZPO a. F.)92.93 Soweit das Gesetz nicht ausnahmsweise eine anderweitige Beweisführung – insbesondere Gegenbeweisführung – zulässt, ist das durch eine gesetzliche Beweiswürdigungsregel vorgegebene Ergebnis der Beweisführung für den Richter bindend und unerschütterlich.94 Die Beweiswürdigung ist folglich determiniert. Daneben sollen auch die sogenannten Erfahrungssätze, die zum Teil vormals gesetzliche Beweisregeln waren, die freie richterliche Beweiswürdigung einschränken.95 In den Gesetzesmaterialien heißt es hierzu: „Die Regeln über Zulässigkeit und Werth des Beweises sollen aus dem Gesetzbuche verschwinden und der Rechtschule wie dem Gerichtsgebrauche überlassen bleiben, damit sie die klassische Gestalt bewahren, die für ihren heilsamen Gebrauch unentbehrlich ist.“96

Der Richter ist sonach an Erfahrungssätze im Rahmen der Beweiswürdigung gebunden.97 Erfahrungssätze sind gekennzeichnet durch das Element des Beobachtens, nicht des Denkens.98 Sie sind deshalb das Ergebnis einer empirischen Feststellung und nicht die Folge einer dogmatischen Ableitung.99 Innerhalb der Erfahrungssätze wird unterschieden zwischen solchen, die für den Richter zwingend sind und diesen in seiner Beurteilungsgewalt binden („allgemeiner Erfahrungssatz“100) und solchen, die dem Richter lediglich eine gewisse Indikation 92  Die formelle Beweiskraft des Parteieides wurde durch die Gesetzesreform im Jahr 1933 abgeschafft, weshalb noch heute §  453 Abs.  1 ZPO unnötigerweise anordnet, dass das Gericht eine Aussage der Partei im Rahmen der Parteivernehmung nach Maßgabe des §  286 Abs.  1 ZPO frei zu würdigen habe. Das Gesetz ordnet somit die Geltung des Regelfalls an. Vgl. zur Entwicklung: Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295, 296 ff.; Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, S.  284 m. w. N. 93  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  275 f. Als weitere gesetzliche Beweisregel der Zivilprozessordung kann aus heutiger Sicht beispielsweise die Beweiskraft des Protokolls (§  165 S.  2 ZPO) oder der Tatbestand des Urteils (§  314 S.  1 ZPO) genannt werden. Vgl. dazu allgemein: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  3; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  286 Rn.  27; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  286, Rn.  42; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  286 Rn.  3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  113 Rn.  7. 94  Eine solche Ausnahme sehen beispielsweise die §§  415 Abs.  2, 418 Abs.  2 ZPO (vormals: §§  380 Abs.  2, 383 Abs.  2 ZPO a. F.) vor. Diese ausdrückliche Zulassung der Gegenbeweisführung wäre sinnlos, wenn das Gericht diese ohnehin zulassen müsste. Hierin bestätigt sich, dass gesetzliche Beweiswürdigungsregeln die richterliche Beweiswürdigung determiniert und eine anderweitige Beweisführung dementsprechend subjektiv unerheblich ist. 95  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  276. 96  Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  276. 97  Eingehend: Hainmüller, Anscheinsbeweis und Fahrlässigkeitstat, S.  13 ff. 98  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  111 Rn.  11; Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, S.  273. 99  Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, S.  274. 100  Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, S.  273.

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

265

geben, ohne die richterliche Beurteilungsbefugnis auszuschließen („einfacher Erfahrungssatz“101).102 Ob es sich im jeweiligen Fall um einen allgemeinen oder einen einfachen Erfahrungssatz handelt, richtet sich nach dem Grad seiner Evidenz und danach, ob er Ausnahmen zugänglich ist.103 Die Zulässigkeit der aus den Erfahrungssätzen gezogenen Schlüsse, etwa was den Beweiswert eines Beweismittels betrifft, hängt somit entscheidend davon ab, ob der Erfahrungssatz ein allgemeiner oder nur ein einfacher ist.104 Bestehen Zweifel über das Vorliegen eines Erfahrungssatzes, kann der Richter Abhilfe schaffen, indem es nach Maßgabe des §  144 Abs.  1 S.  1 ZPO die Feststellung durch einen Sachverständigen anordnet.105 Neben allgemeinen Erfahrungssätzen hat der Richter stets wissenschaftliche Erkenntnisse, Denkgesetze und Naturgesetze (auch: „Lebensgesetze“106) zu beachten.107 Sie sind Ausdruck der menschlichen Logik, der sich auch der Richter nicht entziehen darf.108 101  Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  74. Zusammenfassend stellt Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  603, fest: „Die Erfahrungssätze übernehmen die Aufgabe der relativen Häufigkeit, die richterlichen Überzeugungen an eine empirische Basis zu binden.“ 102  Hainmüller, Anscheinsbeweis und Fahrlässigkeitstat, S.  26 ff.; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  286 Rn.  57; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  286 Rn.  13; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  286 Rn.  13b; Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, S.  276 f.; Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  378 ff. 103  Hainmüller, Anscheinsbeweis und Fahrlässigkeitstat, S.  29 f., 41; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S.  106 ff.; ders., in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  286 Rn.  56 ff.; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  286 Rn.  10. 104  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  111 Rn.  11. Mir Recht weist Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  75, darauf hin, dass die auch hier vorgenommene Unterscheidung von allgemeinen und einfachen Erfahrungssätzen sich in der Praxis nicht in gleicher Weise trennscharf vollziehen lässt, wie in der Theorie. Angesichts dessen, dass es für die weitere Untersuchung es aber allein auf allgemeine, nicht aber auf einfache Erfahrungssätze ankommt, kann es dahinstehen, ob und inwieweit die richterliche Einschätzungsfreiheit durch einfache Erfahrungssätze gelenkt wird. So zählt Ahrens, in: Wie­ czo­rek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  76, selbst die „zwingenden Erfahrungssätze“ – und nur auf diese kommt es hier an – zu der „verlässlichsten Gruppe“ der Erfahrungssätze. 105  Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  111 Rn.  12. Erfahrungssätze sind revisibel und können im Wege des Rechtsmittelverfahrens angegriffen werden, vgl. Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  398 ff. 106  Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  74. 107  Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  286 Rn.  7, 14; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  286 Rn.  10; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  286 Rn.  13b; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, S.  66; Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5.  Aufl., Rn.  819 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17.  Aufl., §  113 Rn.  3; Schellhammer, Zivilprozess, 14.  Aufl., S.  260. Induktiv: Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  83 ff. 108  Vgl. dazu bereits Endemann, AcP  41 (1858), 92, 111: „Das Feststellen der Ueberzeu-

266

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

Die richterliche Beweiswürdigung ist somit in dreifacher Hinsicht eingeschränkt, namentlich durch (1.) gesetzliche Beweiswürdigungsregeln, (2.) durch allgemeine Erfahrungssätze und (3.) durch wissenschaftliche Erkenntnisse, Denkgesetze und Naturgesetze. Damit bleibt die Frage, welche konkreten Schlussfolgerungen dies im Hinblick auf eine etwaige Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung zulässt. Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass für die Beweisablehnung wegen objektiver oder subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung generell eine Beweisprognose darüber aufzustellen ist, ob mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann, dass eine beantragte Beweisführung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung haben kann und wird. Während sich die Feststellung der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung (kann) als unproblematisch erweist, gestaltet sich die Feststellung der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung (wird) als schwieriger. Schließlich kann die Beweiskraft eines beantragten Beweismittels regelmäßig erst im Rahmen der Beweiswürdigung mit Sicherheit festgestellt werden. Eine Beweisablehnung, die dem nicht Rechnung trägt, stellt eine Vorwegnahme der noch ergebnisoffenen Beweiswürdigung und damit einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung dar.109 Ist jedoch das Ergebnis der Beweiswürdigung aufgrund (1.) einer gesetzlichen Beweiswürdigungsregel, (2.) eines allgemeinen Erfahrungssatzes oder (3.) wissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze und Naturgesetze ausnahmsweise determiniert, steht damit zugleich der Beweiswert eines im Rahmen der Beweisführung in Ansatz gebrachten Beweismittels in gleicher Weise sicher fest. In diesen Fällen besteht zwischen der Prognose der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung und der der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung kein Unterschied. Die Beweisprognose ist stets eine sichere. Eine darauf beruhende Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung steht nicht im Widerspruch zum Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, da eine freie Beweiswürdigung aufgrund ihres determinierten Resultats gerade nicht Platz greift.

gung ist eine logische Rechnung, die jeder denkende Mensch vorzunehmen befugt ist und wirklich vornimmt.“ Außerdem Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  634: „Die Ueber­zeugung soll das Ergebniß einer reinen und gründlichen Verstandsoperation darstellen.“ Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, §  286 Rn.  10; BGH, NJW  1987, 1557, 1558; BGH, NJW  1993, 935, 938. Kritisch dazu: Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  286 Rn.  13b. 109  Teil 2, A.II.2.

A.  Die Erheblichkeit als materielle Voraussetzung für die Beweiserhebung

267

c) Ergebnis Die eingangs aufgeworfene Frage, ob und gegebenenfalls wann eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung zulässig ist, ohne dass gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verstoßen wird, ist damit beantwortet: Eine solche Beweisablehnung ist zulässig, wenn das Ergebnis der Beweiswürdigung im Hinblick auf das in Ansatz gebrachte Beweismittel im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung aufgrund von gesetzlichen Beweiswürdigungsregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, Denkgesetzen und Naturgesetzen determiniert ist und damit vor der Beweiserhebung fest steht. Für diesen allgemeinen Rechtssatz ist ohne jede Bedeutung, ob es sich um eine Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung handelt. Er findet auf beide Unterkategorien der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung gleichermaßen Anwendung.110 4.  Zusammenfassung Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung hat zwei unterschiedliche Erscheinungsformen, die Beweisablehnung wegen objektiver und wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Die objektive Unerheblichkeit der Beweisführung bemisst sich danach, ob sie eine streitentscheidende Tatsache unter Beweis stellt. Die subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung bemisst sich danach, ob das in Ansatz gebrachte Beweismittel einen Beweiswert hat. Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung lässt sich ihrerseits in zwei Unterkategorien untergliedern, der der absolutund der der relativ-subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung. Innerhalb der ersten Unterkategorie folgt der Beweisunwert des Beweismittels aus dessen isolierter Betrachtung, gewissermaßen „aus sich heraus“. Innerhalb der zweiten Unterkategorie folgt der Beweisunwert des Beweismittels aus dem ins-Verhältnis-Setzen des Beweismittels mit dem Ergebnis der bisherigen Verhandlung und einer sonstigen Beweisaufnahme. Jede der genannten Kategorien einer Beweisa-

110  Und er gilt im Übrigen auch dann, wenn man sich die hier entwickelte Terminologie nicht zu Eigen machen will und weiterhin in den Kategorien der „Ungeeignetheit des Beweismittels“ und der „Erwiesenheit des Gegenteils“ denkt. Der darin liegende strukturelle Denkfehler bliebe damit aber bestehen. Die Beweisablehnung wegen absoluter und relativer subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist eine Unterkategorie der Beweisablehnung wegen Zwecklosigkeit der Beweisführung und daher kein Beweisablehnungsgrund im eigentlichen Sinne (vgl. Teil 2, A.II.1).

268

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

blehnung wegen Unerheblichkeit unterliegt den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Um feststellen zu können, ob eine Beweisführung sich als unerheblich darstellt, muss der Richter eine Beweisprognose aufstellen. Unerheblich ist die Beweisführung, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird. Ersteres (kann) betrifft die Bewei­ ableh­nung wegen objektiver, Letzteres (wird) die wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Eine Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist auch unter gleichzeitiger und uneingeschränkter Geltung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung zulässig, wenn aufgrund von Beweiswürdigungsregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, Denkgesetzen und Naturgesetzen mit Sicherheit der Beweisunwert des in Ansatz gebrachten Beweismittels festgestellt werden kann. In diesem Fall ist es ausgeschlossen, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung Einfluss haben wird. Aufgrund des determinierten Ergebnisses der richterlichen Beweiswürdigung wird durch die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht verletzt. Da eine Beweiswürdigung in den betreffenden Fällen aufgrund der genannten Kriterien von vornherein ausgeschlossen ist, liegt hierin auch keine Ausnahme vom Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung.111 Mit anderen Worten: Es kann begriffslogisch nichts vorweggenommen werden, was zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin nicht stattfindet, respektive stattfinden darf.

III. Gesamtergebnis Der Zweck der Beweisführung entscheidet in materieller Hinsicht darüber, ob der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zur Entstehung gelangt. Soweit sich eine Beweisführung als unerheblich erweisen sollte, ist sie aufgrund ihrer Zwecklosigkeit abzulehnen. Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung ist das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zwingend und uneinge111  Unzutreffend daher Schneider, der behauptet, es handele sich in diesem Zusammenhang um „Ausnahme“ vom „Verbot der Beweisantizipation“ (zum Begriff „Beweis­anti­zipa­tion“ sogleich, vgl. Teil 3, A), Schneider, MDR 1969, 268, 268. Schneider führt weiter aus: „Auch die Beweisantizipation (vorweggenommene Beweiswürdigung) ist deshalb erlaubt, wenn jede Möglichkeit, daß die Beweisaufnahme Sachdienliches ergeben werde, ausgeschlossen ist, weil von vornherein der völlige Unwert des Beweismittels ersichtlich ist.“ Vgl. ferner Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5.  Aufl., Rn.  223.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

269

schränkt zu beachten. Das ist nur möglich, wenn eben diese Prüfung im Rahmen der richterlichen Beweisprognose nach Maßgabe des hier entwickelten Lösungskonzepts erfolgt. Dieses setzt allerdings eine terminologische wie strukturelle Rückkehr zum gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff voraus. Die Entfremdung von den Grundstrukturen des zivilprozessualen Beweisverfahrenssystems sind Grund und Ursache dafür, dass bis heute kein zuverlässiger Umgang mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung herrscht. Die Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage, wann eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit zulässig ist, ohne dass gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verstoßen wird, lautet somit: Die Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist zulässig, wenn das Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung infolge von gesetzlichen Beweiswürdigungsregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, Denkgesetzen sowie Naturgesetzen determiniert und damit bereits vor der Beweiserhebung feststeht. Es ist Sache des beweisablehnenden Richters, rechtsmittelfest zu begründen, warum es die eigene Beweiswürdigung aus einem dieser Gründe für determiniert erachtet. Eine Beweisablehnung, die lediglich damit begründet wird, es sei völlig ausgeschlossen, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung Einfluss haben wird, ohne dass eines der genannten Determinationskriterien erfüllt ist, ist unzulässig und verstößt unweigerlich gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung in der Rechtsprechung Eine Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit und damit Zwecklosigkeit der Beweisführung ist zulässig, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass diese auf die richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben kann und wird. Das ist nach Maßgabe des hier in Ansatz gebrachten objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriffs112 der Fall, wenn die Beweisführung objektiv, absolut-subjektiv oder relativ-subjektiv unerheblich ist. Die Rechtsprechung hat bisher keinen vergleichbar allgemeingültigen Lösungsansatz entwickelt. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, den jeweils zur Entscheidung anstehenden Einzelfall unter Berücksichtigung der vorangegangenen Rechtsprechung einem sachgerechten Ergebnis zuzuführen. Unter gleichzeitiger Erprobung des hier aufgestellten Lösungskonzepts wird im Folgenden der 112 

Teil 2, A.I.

270

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

Frage nachgegangen, ob die Rechtsprechung das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung konsequent beachtet hat; auch in Fällen, in denen es eine Beweisablehnung für zulässig hielt.

I.  Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Reichsgericht hat sich bereits wenige Jahre nach dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung mit Entscheidung vom 21. März 1881 gegen die Geltung des Grundsatzes der freien Beweisablehnung, wie er der Zivilprozessordnung in §  259 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F. (§  286 Abs.  1 S.  1 ZPO) zugrunde lag, ausgesprochen. Dazu stellte es die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung unter die Bedingung, dass das Gericht diese im Zeitpunkt der Entscheidung – und damit vor der Beweiserhebung und erst recht vor der Beweiswürdigung – mit letzter Sicherheit feststellen konnte. Dies stellt das bis heute geltende Fundament des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung dar, das seinerseits den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht hervorgebracht hat.113 Im Folgenden gilt es zu klären, ob das Reichsgericht die eigens aufgestellten Anforderungen an eine zulässige Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung konsequent beachtet hat oder ob gewisse Unregelmäßigkeiten identifiziert werden können. Soweit tatsächliche Durchbrechungen vom Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung festzustellen sind, gilt es nach Maßgabe des hier entwickelten Lösungskonzeptes festzustellen, ob diese gerechtfertigt sind. 1.  Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Eine Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung war seit jeher uneingeschränkt zulässig.114 Einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung konnte dies nach richtiger Auffassung des Reichsgerichts von vorneherein nicht begründen, da sich die objektive Erheblichkeit der Beweisführung nach der Entscheidungsrelevanz der unter Beweis gestellten Tatsache und nicht nach der Beweiskraft des in Ansatz gebrachten Beweismittels richtet.115 So ist es nur folgerichtig, wenn das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 9. Februar 1920 schlicht feststellte:

113 

Teil 1, B.II.1.a)bb) und B.II.1.c). Vgl. nur: RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377; RG, Urt. v. 03.07.1899 – IV 130/99, JW 1899, 573; RG, Urt. v. 20.11.1930 – VI 107/30, Warneyer 23 (1931), 75. 115  Teil 2, A.II.2.a). 114 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

271

„Von einer unzulässigen Vorwegnahme der Würdigung eines erst zu erhebenden Beweises (…) kann da nicht gesprochen werden, wo von einer beantragten Beweisaufnahme wegen Unerheblichkeit des Beweissatzes Abstand genommen wird.“116

Dass das sowohl für unmittelbar, wie auch für mittelbar streitentscheidende Tatsachen gilt, bedurfte es hinsichtlich der letztgenannten Tatsachen (Indizien) offenbar einer eindeutigen Klarstellung durch das Reichsgericht: In einer Entscheidung vom 13. Februar 1886 musste sich das Reichsgericht – soweit ersichtlich – erstmals mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Indizienbeweis mit der Begründung abgelehnt werden darf, dass dieser, selbst dann, wenn er gelänge, die richterliche Überzeugung von der Haupttatsache nicht begründen könne.117 Im konkreten Fall hatte der Kläger auf dem Bahnhof in Cham Kisten mit bengalischen Zündhölzern zwischengelagert. Diese sind dort aus nicht näher geklärten Umständen verbrannt. Der Kläger forderte daraufhin vom beklagten Bahnfiskus Schadensersatz für den Verlust seiner Ware. Der Bahnfiskus behauptete, dass er als Frachtführer gem. Art.  395 Abs.  1 HGB a. F.118 (≈ §  425 Abs.  1 und 2 HGB) für den Schaden des Klägers ausnahmsweise nicht hafte, da dessen Ware sich selbst entzündet habe und infolgedessen der entstandene Schaden auf „inneren Verderb“ zurückzuführen sei. Zum Beweis hierfür beantragte der Bahnfiskus die Einholung eines Sachverständigengutachtens, durch das „die Möglichkeit der Selbstentzündung“ festgestellt werden sollte. Dieser Beweis blieb unerhoben, wogegen sich die Revision des Bahnfiskus richtete. Das Reichsgericht hielt die Beweisablehnung für gerechtfertigt und führte hierzu aus: „Wäre diese Thatsache (Selbstentzündung) bewiesen, so würde dadurch die Haftung des Beklagten aus dem Frachtvertrage nach Art.  395 H.G.B. beseitigt sein, denn der Untergang des Gutes wäre auf inneren Verderb zurückzuführen. Der Beweis dieser Thatsache hätte auch dann als geführt angesehen werden können, wenn der Beklagte, welchem die Beweislast obliegt, Umstände dargethan hätte, unter welchen eine andere Entstehungsursache des Schadens sich als ausgeschlossen darstellen würde. Der Berufungsrichter hat dies nicht etwa verkannt, wenn er den vom Beklagten angetretenen Beweis nicht erhebt. Er spricht nicht aus, daß in dieser Weise der Beweis nicht geführt werden könne, sondern nur, daß die Thatsachen, über welche Beweis angetreten ist (Möglichkeit der

116 

RG, Urt. v. 09.02.1920 – IV 456/19, Warneyer 13 (1920), 223. RG, Urt. v. 13.02.1886 – I 397/85, RGZ 15, 146, 146 f. 118  Art.  395 Abs.  1 HGB i. d. F. vom 5. Juni 1869: „Der Frachtführer haftet für den Schaden, welcher durch Verlust oder Beschädigung des Frachtguts seit der Empfangnahme bis zur Ablieferung entstanden ist, sofern er nicht beweist, daß der Verlust oder die Beschädigung durch höhere Gewalt oder durch die natürliche Beschaffenheit des Guts, namentlich durch inneren Verderb, Schwinden, gewöhnliche Leckage u. dgl., oder durch äußerlich nicht erkennbare Mängel der Verpackung entstanden ist.“, vgl. BGBl des Norddeutschen Bundes, 1869 S.  404, 484. 117 

272

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

Selbstentzündung), auch wenn sie erwiesen seien, einen Schluß auf die erfolgte Selbstentzündung nicht unumstößlich erscheinen ließen.“119(Hervorh. u. Erg. d. Verf.)

Die Entscheidung des Reichsgerichts ist richtig. Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit des Sachverständigenbeweises war zulässig, da die Beweisbehauptung – Möglichkeit der Selbstentzündung – selbst dann, wenn man sie als richtig unterstellte, nicht den sicheren Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der streitentscheidenden Tatsache – Selbstentzündung – zuließ. Der beweisführende Bahnfiskus hatte keine mittelbar entscheidungserhebliche Tatsache unter Beweis gestellt. Die Beweiserhebung hätte sich aufgrund ihrer objektiven Unerheblichkeit infolgedessen als zwecklos erwiesen. 2.  Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Nach Maßgabe der vom Reichsgericht mit Entscheidung vom 21. März 1881 aufgestellten Grundsätze wurde eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung grundsätzlich für unzulässig erachtet. Dies begründete das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 28. März 1888 folgendermaßen: „Was sie (Zeugen und Sachverständige) bekunden werden, kann der Richter nicht vorher wissen, er ist auch nicht im Stande vorher zu bestimmen, welche Wirkung diese Aussagen auf ihn haben, (…).“120

a)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Unzulässig sei es daher, einen Zeugen allein unter Verweis auf seine Verwandtschaft mit dem Beweisführer für unglaubwürdig zu halten und seiner Aussage daher von vornherein jeden Beweiswert abzusprechen.121 Ebenfalls unzulässig sei es, den Beweiswert einer Zeugenaussage vorab danach zu beurteilen, wie der Zeuge in einem vorangegangenen Verfahren aufgetreten ist und ob man ihn dort für glaubwürdig oder unglaubwürdig gehalten hat.122 Aus diesem Grund dürfe ein Zeugenbeweis auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der 119 

RG, Urt. v. 13.02.1886 – I 397/85, RGZ 15, 146, 147. RG, Urt. v. 28.03.1888 – V 20/88, Gruchot 32 (1888), 1186, 1188. 121  RG, Urt. v. 05.03.1931 – VI 529/30, JW 1931, 3333, 3335. In einer Entscheidung vom 15. Oktober 1914 war das Reichsgericht noch gegenteiliger Auffassung. Es billigte die Be­weis­ ablehnung, die im Wesentlichen darauf beruhte, dass der Zeuge mit dem Beweisführer verwandt war und er zudem ein „Interesse zur Sache“ hatte, vgl. RG, Urt. v. 15.10.1914 – VI 285/14, JW 1915, 37. 122  RG, Urt. v. 06.04.1911 – VI 177/10, JW 1911, 549. 120 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

273

Zeuge „nicht mehr als bisher sagen“ wird.123 Generell rechtfertigten bloße Zweifel über die subjektive Erheblichkeit der Beweisführung, wie etwa die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit eines Zeugen, keine Beweisablehnung.124 b)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung war jedoch zulässig, wenn der Richter „besondere Gründe“ angab, die belegen, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung keinen Einfluss haben wird.125 Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird in einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. November 1922, in der die Vorinstanz die Vernehmung eines Rechtsanwalts als Zeugen (RA. J.) aufgrund seines Näheverhältnisses zu dessen Mandanten und Beweisführers abgelehnt hat, wie folgt beschrieben: „Bei dieser Sachlage rügt die Revision mit Recht, daß das OLG. dem RA. J. als Zeugen von vornherein die Glaubwürdigkeit versagt, ohne ihn gehört zu haben. Eine derartige Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist allerdings nicht grundsätzlich unzulässig, bedarf aber zum mindesten einer besonderen aus der gesamten Sachlage oder der Person des Zeugen herzunehmende Begründung, (…).“126

Unklar bleibt auch, wann ein solch besonderer Ausnahmefall angenommen werden darf. Die Aussage, dass eine „Vorwegnahme der Beweiswürdigung (…) nicht grundsätzlich unzulässig“ sei, erweist sich als falsch und entspricht auch inhaltlich nicht dem, was das Reichsgericht damit aussagen wollte. Das Reichsgericht wollte zum Ausdruck bringen, dass eine Beweisablehnung wegen fehlen123 

RG, Urt. v. 01.11.1934 – IV 163/34, Warneyer 26 (1934), 386, 387. RG, Urt. v. 30.07.1937 – VII 29/37, Warneyer 29 (1937), 318, 320 f. 125  In diese Richtung: RG, Urt. v. 01.06.1893 – VI 67/93, JW 1893, 345, 346; RG, Urt. v. 04.04.1895 – IV 331/94, JW 1895, 293; RG, Urt. v. 03.07.1899 – IV 130/99, JW 1899, 573; RG, Urt. v. 27.10.1903 – II 106/03, JW 1903, 420; RG, Urt. v. 30.11.1903 – VI 145/03, JW 1904, 67; RG, Urt. v. 27.10.1904 – VI 602/03, JW 1905, 26; RG, Urt. v. 25.09.1906 – II 45/06, JW 1906, 688, 689; RG, Urt. v. 04.02.1909 – VI 116/1908, Gruchot 53 (1909), 1111, 1111 f.; RG, Urt. v. 04.12.1909 – V 27/09, JW 1910, 68; RG, Urt. v. 03.10.1910 – V 625/09, Warneyer 3 (1909/1910), 499; RG, Urt. v. 09.05.1912 – VI 479/11, JW 1912, 800, 801; RG, Urt. v. 13.05.1912 – IV 500/11, Warneyer 5 (1912), 365, 366; RG, Urt. v. 15.10.1914 – VI 285/14, JW 1915, 37; RG, Urt. v. 16.04.1920 – VII 351/19, Warneyer 13 (1920), 154; RG, Urt. v. 08.11.1922 – VI 43/22, LZ 1923, 228, 229; RG, Urt. v. 28.01.1925 – III 852/23, JR 1925, Sp.  646; RG, Urt. v. 04.02.1930 – VII 225/29, JW 1930, 1061; RG, Urt. v. 16.09.1930 – VII 631/29, Warneyer 22 (1930), 404, 405; RG, Urt. v. 10.01.1931 – V 103/30, HRR 1931 Nr.  794; RG, Urt. v. 13.12.1935 – V 157/35, JW 1936, 813; RG, Urt. v. 30.07.1937 – VII 29/37, Warneyer 29 (1937), 318, 321; RG, Urt. v. 13.01.1938 – IV 207/37, Warneyer 30 (1938), 218, 219. 126  RG, Urt. v. 08.11.1922 – VI 43/22, LZ 1923, 228, 229. 124 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

der Glaubwürdigkeit nicht generell ausgeschlossen ist. Die fehlende Glaubwürdigkeit (besser wohl: Glaubhaftigkeit in Bezug auf bestimmte Angaben) kann fehlen, wenn naturgesetzlich ausgeschlossen ist, dass der Zeuge die unter Beweis gestellte Wahrnehmung machen konnte. Zu denken wäre etwa an den blinden Zeugen, der über eine visuelle Wahrnehmung berichten soll. Gleiches gilt für einen Zeugen, der eine angebliche Wahrnehmung gemacht haben soll, obwohl er nachweislich nicht ortsanwesend war. In diesen Fällen darf der Richter die Zeugenaussage nicht frei würdigen. Denn eine gegen Naturgesetze verstoßende Beweiswürdigung ist dem Richter auch nach Maßgabe der freien Beweiswürdigung nicht gestattet. Eine diesem Umstand Rechnung tragende Beweisablehnung kann dann aber auch keine Ausnahme vom Verbot der vorweggenommenen Beweise, wie sie das Reichsgericht irrigerweise andeutete, begründen. Denn der Richter bringt durch die Beweisablehnung lediglich zum Ausdruck, dass er nicht willens ist, einem von Gesetzes wegen aussichtslosen Beweisantrag und damit einer zwecklosen Beweisführung stattzugeben. Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang der seit einer Entscheidung vom 4. Februar 1930 verwendete Begriff des „völligen Unwerts“: „Nach der Rspr des RG darf eine Beweisaufnahme nicht deshalb abgelehnt werden, weil die betreffende Behauptung bereits widerlegt sei, sondern nur dann, wenn jede Möglichkeit, dass die Beweiserhebung Sachdienliches ergeben werde, ausgeschlossen ist, weil von vornherein der völlige Unwert des Beweismittels ersichtlich ist.“127 (Hervorh. d. Verf.)

Zu dessen Erläuterung heißt es dort weiter: „Das muß aber dann unter eingehender Würdigung der besonderen Umstände des Falles, und bezüglich eines angetretenen Zeugenbeweises namentlich mit Rücksicht auf die Person der Zeugen (ihre völlige Unglaubwürdigkeit auf Grund ganz besonderer Tatsachen) oder mit Rücksicht auf die Art der Beweistatsache (besonders eine bloß negative Tatsache, oder eine solche, die sich dem Gedächtnis wegen ihrer Bedeutungslosigkeit nicht einzuprägen pflegt) näher dargetan werden.“128 (Hervorh. d. Verf.)

Demnach scheint dem Richter im Hinblick auf die absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung im jeweiligen Einzelfall ein gewisser Beurteilungsspielraum zu verbleiben. Der Richter dürfe beispielsweise auch dann vorab von der Unglaubwürdigkeit eines Zeugen ausgehen, wenn dieser ein besonderes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe und er in der Vergangenheit durch gewerbliche Unzuverlässigkeit in Erscheinung getreten ist.129 Ferner sei eine Zeugenbeweisablehnung ausnahmsweise dann zulässig, wenn das Erinnerungs127  RG, Urt. v. 04.02.1930 – VII 225/29, JW 1930, 1061. Für die Folgezeit, vgl. RG, Urt. v. 10.01.1931 – V 103/30, HRR 1931 Nr.  794; RG, Urt. v. 13.12.1935 – V 157/35, JW 1936, 813. 128  RG, Urt. v. 04.02.1930 – VII 225/29, JW 1930, 1061. 129  RG, Urt. v. 17.04.1930 – VI 384/29, HRR 1930 Nr.  1660.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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vermögen des Zeugen „infolge einer Operation beeinträchtigt“ wäre und er überdies „wegen fortgesetzten Betrugs zu vier Jahren Gefängnis verurteilt“ worden sei.130 Auch das Alter des Zeugen im Zeitpunkt seiner Wahrnehmung oder die zwischenzeitlich verstrichene Zeit zwischen Wahrnehmung und Vernehmung kann das Gericht bei seiner subjektiven Erheblichkeitsprüfung berücksichtigen.131 c) Ergebnis Anhand der genannten Entscheidungen lässt sich die Vermutung aufstellen, dass das Reichsgericht von dem „völligen Unwert“ eines Beweismittels tendenziell dann ausging, wenn dies durch einen allgemeingültigen Erfahrungssatz gestützt werden konnte, etwa Alter, Zeitraum zwischen Wahrnehmung und Vernehmung oder Erinnerungsverlust des Zeugen. Ferner stützt die Wendung, „sich dem Gedächtnis (…) nicht einzuprägen pflegt“, diese Annahme. Der Richter sollte nicht allein aufgrund seines subjektiven Dafürhaltens vom Beweisunwert einer beantragten Beweisführung ausgehen dürfen, sondern vielmehr einen objektivierten Maßstab seiner Beurteilung zugrunde legen. Dem steht im Übrigen nicht per se entgegen, dass das Reichsgericht teilweise auch aus einem Verhalten des Zeugen in der Vergangenheit auf dessen Beweisunwert schloss, beispielsweise bei Vorverurteilung, anderweitig festgestellter Unglaubwürdigkeit oder bisheriger Unzuverlässigkeit im Geschäftsverkehr. Nach Maßgabe des im beginnenden 20.  Jahrhundert vorherrschenden Menschenbilds ließ wohl auch dies auf eine unumstößliche Charaktereigenschaft einer Person schließen.132 „Der“ Lügner oder „der“ Verbrecher verdiente von vornherein kein richterliches Vertrauen. Insgesamt bleibt es aber dennoch höchst ungewiss, unter welchen konkreten Voraus­setzungen der Richter ausnahmsweise von einer Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung absehen durfte. Eine verlässliche Regel sucht man in der Rechtsprechung des Reichsgerichts vergeblich.

130 

RG, Urt. v. 04.12.1936 – VII 132/36, HRR 1937 Nr.  339. RG, Urt. v. 06.04.1940 – IV 402/39, Warneyer 32 (1940), 251, 252. In diese Richtung bereits: RG, Urt. v. 02.11.1906 – II 111/06, JW 1906, 755. 132  Allgemein zum Menschenbild der Aufklärung und den damit verbundenen Folgen für die legale Beweistheorie: Schweizer, Beweiswürdigung und Beweismaß, S.  51 f. Soweit das Reichsgericht eine Kategorisierung von Menschentypen vornimmt, wird gut erkennbar, dass die Überzeugungen, die der legalen Beweistheorie zugrunde lagen, allein durch deren Abschaffung nicht ausgeräumt waren. 131 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

3.  Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Über die Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Uner­ heblichkeit der Beweisführung herrschte zunächst Unklarheit. Bis Ende des 19.  Jahrhunderts ging das Reichsgericht häufig davon aus, dass eine derartige Beweisablehnung aufgrund des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung zulässig sei. So heißt es beispielsweise in einer Entscheidung des VI. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 23. April 1891 folgendermaßen: „Der von dem Kl. in der Berufungsinstanz neu angebotene Zeugenbeweis ist deshalb nicht aufgenommen worden, weil das Gericht durch die bisher erhobenen Beweise von dem Ungrunde der Behauptungen, welche zur Rechtfertigung des Klageantrags dienen sollten, bereits vollständig überzeugt war. (…); vielmehr wird schon jetzt für gewiß erklärt, daß die Zeugen, auch wenn sie dem Kl. vollständig beitreten würden, die Ansicht über das ihm ungünstige Ergebniß des Klagebeweises nicht zerstören oder auch nur erschüttern könnten. (…) Nach dem Grundsatze der freien Beweiswürdigung (§  259 der C.P.O.) darf der Thatrichter das Beweisanerbieten einer Partei in der Regel dann ohne Weiteres zurückweisen, wenn er befindet, daß auch bei Annahme der Wahrheit der von den neu vorgeschlagenen Zeugen zu bestätigenden Thatsachen das Ergebniß der Beweisführung nicht geändert werden würde.“133

Ähnlich lautet eine Entscheidung des II. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 22. März 1892: „(…) denn, indem der Richter ausspricht, daß seine durch das Attest des Hauptmannes O.D. begründete Ueberzeugung durch eine etwaige gegentheilige Meinung anderer Personen nicht erschüttert werden könne, erkennt er die Möglichkeit an, daß die Zeugen das bekunden würden, was sie sollen, macht aber (…) von der ihm zustehenden freien Beweiswürdigung Gebrauch.“134

Aber auch der III. Zivilsenat des Reichsgerichts hielt in einer Entscheidung vom 10. Februar 1893 eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung für zulässig: „(…) wenn aber das O.L.G. aus den von ihm weiter angeführten Gründen angenommen hat, daß die beantragte weitere Beweiserhebung das bereits vorliegende Beweisergebniß nicht mehr zu ändern vermöge, so kann nach Lage der Sache in der Zurückweisung jenes Beweisantrags eine unzulässige Beschränkung des Gegenbeweises nicht gefunden werden.“135

Gleiches gilt für eine Entscheidung vom 17. März 1893: „Nur ausnahmsweise, beim Vorhandensein besonderer Umstände, insbesondere dann, wenn der Richter auf Grund anderweiter Beweiserhebung bereits eine bestimmte Ueberzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Thatsache gewonnen hat und der Ansicht ist, daß die Aus133 

RG, Urt. v. 23.04.1891 – VI 26/91, JW 1891, 306. RG, Urt. v. 22.03.1892 – II NN., Annalen Großh. Bad. Ger. 58 (1892), 331, 333. 135  RG, Urt. v. 10.02.1893 – III 279/92, JW 1893, 183. 134 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

277

sage eines neuen Zeugen wegen Unglaubwürdigkeit desselben auf diese Ueberzeugung keinen Einfluß ausüben werde, würde er in Ausübung des dem Richter nach §  259 zur C.P.O. zustehenden freien Ermessens die Vernehmung unterlassen können.“136

Der darin liegende Widerspruch zu den in der Entscheidung vom 21. März 1881 aufgestellten Grundsätzen über die Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit blieb unerkannt.137 a)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Nach anfänglichem Wanken setzte sich doch allmählich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts die Überzeugung durch, dass eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit grundsätzlich unzulässig sei. Als Argument stützte sich das Reichsgericht auch hier im Wesentlichen darauf, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung vorab schlechterdings nicht abgesehen werden könne: „Mag eine Behauptung auch recht unwahrscheinlich erscheinen, so ist doch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sie durch die Erhebung des angebotenen Beweises eine Aufklärung erhält, die geeignet ist, die bisherige Überzeugung des Gerichts zu erschüttern.“138

Ergänzend stützte das Reichsgericht seinen Standpunkt auf einen aus §  411 ZPO a. F.139, (ab 1. Januar 1900 §  446 ZPO a. F.140) abgeleiteten Umkehrschluss: „Wenn man selbst in dieser Begründung (Begründung der Beweisablehnung) den Ausspruch des Gerichts annehmen wollte, daß das Gegenteil von dem, was zum Beweise erboten worden, bereits als bewiesen anzunehmen sei, so würde auch dadurch der neu erbotene Zeugenbeweis rechtlich nicht abgeschnitten sein, da (…) der im §  411 C.P.O. enthaltene Grundsatz nur von der Eideszuschiebung gilt.“141 (Einschub d. Verf.)

Die Gegenbeweisführung musste somit grundsätzlich zugelassen werden, soweit sie nicht mittels Eid geführt wurde.142 Die für den Eid geltende Beweisaufnahme 136 

RG, Urt. v. 17.03.1893 – III 321/92, JW 1893, 234. In diesem Sinne auch: RG, Urt. v. 19.05.1899 – VII 11/99, JW 1899, 433, 434. 137  RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377 f.: „Die Wahrscheinlichkeit eines erfolglosen Ausfalles der beantragten Vernehmung kann nicht zur Ablehnung derselben berechtigen; denn auch die größte Wahrscheinlichkeit läßt immer noch irgend eine Möglichkeit des Gegenteiles bestehen (…).“ 138  RG, Urt. v. 04.12.1909 – V 27/09, JW 1910, 68. 139  §  411 ZPO i. d. F. vom 30. Januar 1877: „Die Eideszuschiebung über eine Thatsache, deren Gegentheil das Gericht für erwiesen erachtet, ist unzulässig.“, RGBl.  1877, S.  83, 158. 140  §  446 ZPO i. d. F. vom 20. Mai 1898: „Die Eideszuschiebung über eine Thatsache, deren Gegentheil das Gericht für erwiesen erachtet, ist unzulässig.“, RGBl.  1898, S.  369, 495. 141  RG, Urt. v. 11.10.1889 – II 173/89, RGZ 24, 332, 336. 142  Ebenso: RG, Urt. v. 23.05.1892 – VI 64/92, JW 1892, 331, 332; RG, Urt. v. 15.04.1891 – V 13/91, JW 1891, 307; RG, Urt. v. 23.11.1892 – I 267/92, JW 1889, 17; RG, Urt. v.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

ist auf die ursprüngliche formelle Beweiskraft des Eides zurückzuführen. Fortan erblickte das Reichsgericht auch in der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung im Regelfall einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, wie eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 28. Februar 1910 anschaulich belegt: „Der BerR. war nicht berechtigt, den (…) angebotenen Zeugenbeweis deshalb unerhoben zu lassen, weil das Gegenteil von dem, was die Zeugen bekunden sollten, bereits als feststehend anzusehen sei. Eine derartige Vorwegnahme der Beweisprüfung ist, wie auch das RG. in beständiger Rechtsprechung anerkannt hat, nicht zulässig.“143

b)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Obwohl das Reichsgericht spätestens mit der Jahrhundertwende einhellig der Auffassung war, dass eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung grundsätzlich unzulässig war, behielt es sich dennoch gewisse Ausnahmen vor. In einer Entscheidung vom 11. Juli 1912 heißt es beispielweise: „Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung es für unzulässig erklärt, einen Zeugenbeweis lediglich deshalb unerhoben zu lassen, weil das Gegenteil von dem, was die Zeugen bekunden sollen, bereits als feststehend anzusehen sei. Es hat die Ablehnung eines Zeugenbeweises für die Wahrheit einer vom Gericht als widerlegt angesehenen Behauptung nur dann für zulässig erachtet, wenn die Beweiserhebung, möge sie ausfallen, wie sie wolle, nach der eingehend zu begründenden Auffassung des Gerichts nicht imstande sein würde, die Überzeugung des Gerichts zu ändern.“144

Demnach kann eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Richter es für ausgeschlossen hält, dass die Beweisführung auf seine bereits gefasste Überzeugung vom Gegenteil Einfluss haben wird.145 Jedoch ist, wie schon im Fall der Beweisablehnung we27.06.1893 – II 95/93, JW 1893, 384; RG, Urt. v. 05.03.1894 – IV 322/93, JW 1894, 180; RG, Urt. v. 31.03.1894 – I 486/93, JW 1894, 240; RG, Urt. v. 03.07.1899 – IV 130/99, JW 1899, 573; RG, Urt. v. 25.09.1906 – II 45/06, JW 1906, 688, 689; RG, Urt. v. 28.02.1910 – IV 236/09, JW 1910, 339; RG, Urt. v. 01.06.1910 – I 244/09, JW 1910, 759, 760; RG, Urt. v. 16.04.1912 – III 3393/11, Warneyer 5 (1912), 365; RG, Urt. v. 09.05.1912 – VI 479/11, JW 1912, 800, 801; RG, Urt. v. 24.04.1913 – IV 644/12, JW 1913, 749, 750; RG, Urt. v. 22.02.1915 – IV 410/14, JW 1915, 522 f.; RG, Urt. v. 16.04.1920 – VII 351/19, Warneyer 13 (1920), 154. 143  RG, Urt. v. 28.02.1910 – IV 236/09, JW 1910, 339. 144  RG, Urt. v. 11.07.1912 – II 222/12, Gruchot 57 (1913), 164, 166. 145  In diese Richtung: RG, Urt. v. 03.01.1885 – I 379/84, Gruchot 29 (1885), 1100, 1101; RG, Urt. v. 25.09.1906 – II 45/06, JW 1906, 688, 689; RG, Urt. v. 04.12.1909 – V 27/09, JW 1910, 68; RG, Urt. v. 28.02.1910 – IV 236/09, JW 1910, 339; RG, Urt. v. 01.06.1910 – I

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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gen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung,146 auch hier völlig unklar, wann der genannte Ausnahmetatbestand im jeweiligen Einzelfall vorliegt. In einer Entscheidung vom 25. September 1906 führt das Reichsgericht hierzu das Folgende an: „Nur insoweit darf das Gericht die Beweiserhebung ablehnen, als es die Überzeugung erlangt hat, daß selbst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen bewiesen werden könnten, dadurch seine Auffassung nicht erschüttert und an seiner Beweiswürdigung nichts geändert werden würde. Das gilt namentlich dann, wenn das Gericht die Wahrheit der Behauptungen, die bewiesen werden sollen, unterstellt und dann ihre Bedeutung würdigt, aber zu der Ansicht gelangt, sie seien nicht geeignet, ein anderes Ergebnis herbeizuführen.“147

Was hierunter konkret verstanden werden könnte, lässt sich anhand einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 19. Dezember 1931 vermuten. Dort hatte das Reichsgericht zu entscheiden, ob eine Zeugenbeweisführung mit der Begründung abgelehnt werden durfte, dass der Richter aufgrund eines vorangegangenen Urkundenbeweises vom Gegenteil der Beweisbehauptung unerschütterlich überzeugt sei. Das Reichsgericht bejahte dies: „Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts ist die Ablehnung eines Zeugenbeweises statthaft und verstößt nicht gegen §  286 ZPO., wenn durch die Vernehmung des Zeugen, wie sie auch ausfallen würde, nach eingehend zu begründender Auffassung des Gerichts ein Beweis für eine als widerlegt angesehene Behauptung nach den besonderen Umständen des Falles nicht würde erbracht werden können. So liegt es hier. Die Überzeugung des OLG.s (…) gründet sich auf den Inhalt der vorgetragenen Urkunden. Es hält offensichtlich dafür, daß diese Überzeugung auch dann nicht erschüttert werden würde, wenn der Zeuge D. die Behauptung des Beklagten bestätigen sollte.“148

Damit scheint es dem Richter gestattet zu sein, dem Urkundenbeweis einen höheren Beweiswert zusprechen zu dürfen als dem Zeugenbeweis und infolge dessen den Zeugenbeweis bei erfolgreichem Urkundenbeweis von vornherein ablehnen zu dürfen. c) Ergebnis Dies allein lässt aber noch keinen Schluss auf eine allgemeingültige Regel im Umgang mit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit 244/09, JW 1910, 759, 760; RG, Urt. v. 09.05.1912 – VI 479/11, JW 1912, 800, 801; RG, Urt. v. 18.10.1912 – II 264/12, Gruchot 59 (1914), 482, 483; RG, Urt. v. 22.02.1915 – IV 410/14, JW 1915, 522 f.; RG, Urt. v. 16.04.1920 – VII 351/19, Warneyer 13 (1920), 154; RG, Urt. v. 11.07.1924 – VII 772/23, Warneyer 16 (1923/1924), 229, 320; RG, Urt. v. 20.11.1930 – VI 107/30, Warneyer 23 (1931), 75; RG, Urt. v. 19.12.1931 – I 283/31, Seuff. Arch. 86 (1932), 87. 146  Teil 2, B.I.2. 147  RG, Urt. v. 25.09.1906 – II 45/06, JW 1906, 688, 689. 148  RG, Urt. v. 19.12.1931 – I 283/31, Seuff. Arch. 86 (1932), 87.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

der Beweisführung zu. In welchen Fällen daher eine derartige Beweisablehnung ausnahmsweise zulässig war, blieb in der Rechtsprechung des Reichsgerichts weitestgehend offen. 4.  Zusammenfassung Trotz anfänglicher Schwankungen ging das Reichsgericht spätestens mit Beginn des 20. Jahrhunderts davon aus, dass eine Beweisablehnung nur dann zulässig war, wenn von vornherein mit letzter Sicherheit feststand, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung keinen Einfluss haben kann und wird.149 Da der Richter ohne weiteres vor der Beweiserhebung prüfen konnte, ob sich diese als objektiv erheblich erwies, war eine Beweisablehnung aus diesem Grund wenig fehleranfällig. Anders lagen die Dinge jedoch im Bereich der Beweisablehnung wegen absolut- und relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Zwar betonte das Reichsgericht immer wieder, dass eine solche nur „ausnahmsweise“ zulässig sei und der Richter in diesem Fall seine Entscheidung besonders begründen müsse. Wann aber im konkreten Fall eine Ausnahme tatsächlich vorlag, blieb bis zuletzt ungewiss. Einen allgemeinverbindlichen Maßstab entwickelte das Reichsgericht hierfür nicht. Nach Maßgabe der vom Reichsgericht anerkannten Ausnahmefälle lässt sich jedoch eine dahingehende Tendenz erkennen, dass es die Entscheidung darüber, ob eine Beweisführung subjektiv unerheblich war, nicht gänzlich in das freie Ermessen des Tatrichters stellen wollte.150 Im Rahmen einer Plausibilitäts­kon­ trolle legte das Reichsgericht offenbar besonderen Wert darauf, dass die Erwägungen des Richters eine gewisse Allgemeinverbindlichkeit aufwiesen. Ein in sich geschlossener Denkansatz liegt dem jedoch nicht zugrunde, was gerade daran erkennbar wird, dass das Reichsgericht bis zuletzt von echten „Ausnahmen“ vom Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung spricht, die es bei genauerem Hinsehen nicht gibt. Auf der Grundlage des hier entwickelten Lösungskonzepts lässt sich eine zufriedenstellende und zugleich dogmatisch stringente Antwort darauf geben, warum einerseits das Alter eines Zeugen oder dessen fehlendes Erinnerungsvermö149 

Teil 1, B.II.1.a)bb) und B.II.1.c). ist, dass die genannten Beispiele bedauerlicherweise nur einen bruchstückhaften Ausschnitt davon liefern können, wie das Reichsgericht mit der Beweisablehnung wegen absoluter oder relativer subjektiver Unerheblichkeit tatsächlich umgegangen ist. Grund hierfür ist hauptsächlich, dass die ausgewerteten Fundstellen regelmäßig nur die rechtliche Würdigung des Reichsgerichts wiedergeben. Die Begründung in tatsächlicher Hinsicht fehlt jedoch in den meisten Fällen. 150  Anzumerken

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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gen151, andererseits aber auch ein an sich unzweifelhafter Urkundenbeweis eine beantragte Beweisführung wegen absolut oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung rechtfertigt152: Ist die Beweiswürdigung aufgrund von Beweiswürdigungsregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, Denkgesetzen und Naturgesetzen determiniert, ist die Beweisführung der freien Beweiswürdigung von vorneherein entzogen. Sie wird daher keinen Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Richters haben, wenn dieser die Grenze der freien Beweiswürdigung beachtet. Die Beweisführung ist genau aus diesem Grund subjektiv unerheblich und demzufolge zwecklos. Vor diesem Hintergrund gewährt das entwickelte Lösungskonzept nicht nur einen sicheren Umgang mit der Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung; es lässt darüber hinaus Fehler, die den Tatsacheninstanzen in diesem Zusammenhang unterlaufen sind, unschwer identifizieren. Überprüft man mittels dieses Lösungskonzepts die eben dargestellten Entscheidungen des Reichsgerichts, treten Verstöße gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung offen zu Tage. 151  An

dieser Stelle soll nicht weiter der Frage nachgegangen werden, unter welchen Voraussetzungen gerade beim Zeugenbeweis von einem allgemeinen und damit zwingenden Erfahrungssatz ausgegangen werden kann. In diesem Sinne hat sich Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 192 f., eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob und unter welchen Voraussetzungen aussagepsychologische Erkenntnisse bei der Beurteilung eine Rolle spielen dürfen, ob eine unter Beweis gestellte Wahrnehmung tatsächlich gemacht werden konnte und ab wann von einem fehlenden Erinnerungsvermögen ausgegangen werden muss. In diesem Zusammenhang ist indes größte Vorsicht geboten. Solange aufgrund aussagepsychologischer Erkenntnisse eine Wahrnehmung nur unwahrscheinlich nicht aber zwingend ausgeschlossen ist, begründet sie keine Beweisablehnungsbefugnis. Die in Ansatz gebrachten aussagepsychologischen Erkenntnisse müssen frei von jedem vernünftigen Zweifel sein. Andernfalls dürfen sie nicht als allgemeiner Erfahrungssatz oder als wissenschaftliche Erkenntnis im oben genannten Sinne verstanden werden. Eine darauf beruhende Beweisablehnung erwies sich als rechtsfehlerhaft, da sie mangels determinierter Beweiswürdigung gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verstieß. Zum minderjährigen Zeuge vgl. ferner: Findeisen, Der minderjährige Zeuge, S.  31 ff. Ein für den konkreten Fall einzuholendes Eignungsgutachten erweist sich zwar als unmöglich. Die allgemeine Eignung, das heißt die Verstandsreife, Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft, können indes sehr wohl Aufschluss darüber geben, ob es auf die Zeugenaussage im konkreten Fall ankommen wird, vgl. Findeisen, Der minderjährige Zeuge, S.  37 ff.; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 14.  Aufl., §  373 Rn.  2; Damrau, in: MüKo, ZPO, Bd.  2, 5.  Aufl., §  373 Rn.  6; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., §  373 Rn.  3. Sollte dem Zeugen diese allgemeine Eignung abgesprochen werden können, so muss eine Beweiserhebung aufgrund absoluter subjektiver Unerheblichkeit unterbleiben. 152  Freilich soll das nicht bedeuten, dass es für die Zeugenfähigkeit feste Altersgrenzen gäbe. Das Reichsgericht hat eine Beweisablehnung unter Bezugnahme auf das Alter des Zeugen nicht per se für zulässig erachtet. Dafür: RG, Urt. v. 06.04.1940 – IV 402/39, Warneyer 32 (1940), 251, 252; RG, Urt. v. 02.11.1906 – II 111/06, JW 1906, 755; dagegen: RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 378 f.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

So existiert nach heutigem Verständnis kein zwingender Erfahrungssatz, wonach aufgrund vorangegangener Straffälligkeit, anderweitig überführter Prozesslüge oder gewerblicher Unzuverlässigkeit einem Zeugen von vornherein jeder Beweiswert abgesprochen werden muss. In diesen Fällen wird die Beweiswürdigung, da deren Ergebnis gerade nicht determiniert ist, durch die Beweisablehnung vorweggenommenen.

II.  Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der britischen Besatzungszone Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (im Folgenden: „Oberster Gerichtshof“153) bestätigte in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 24. Februar 1949 die vom Reichsgericht aufgestellten Grundsätze.154 In der zugrundeliegenden Entscheidung wollte der Beweisführer den konkreten Inhalt eines zwischen ihm und dem Kläger stattgefundenen Gesprächs nachweisen. Dazu beantragte er die Vernehmung seiner Ehefrau, die dem Gespräch beigewohnt hatte. Das Gericht wies diesen Antrag zurück, da es der Aussage der Zeugin von vornherein keine Beweiskraft beimaß. Der Oberste Gerichtshof hielt die Beweisablehnung aus den schon oben genannten Gründen für unzulässig.155 Diese sollen hier nochmals in Erinnerung gerufen werden: „Grundsätzlich ist es aber unzulässig, den Beweiswert einer Aussage zu würdigen, bevor die Aussage gemacht worden ist. Nur wenn der Tatrichter aus besonderen Gründen vom völligen Unwert des angebotenen Beweismittels ausgeht und seine Überzeugung eingehend begründete, darf er sich ausnahmsweise über das Beweisangebot hinwegsetzen. Bloße Unwahrscheinlichkeit des Beweiswerts genügt nicht und die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen darf nicht allgemein auf Verwandtschaft – oder das Band der Ehe – zu einer Partei gestützt werden, sondern muß aus besonderen Gründen herzuleiten sein.“156

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshof stellte allein die Tatsache, dass die Zeugin zugleich die Ehefrau des Beweisführers war, keinen besonderen Grund dar, um vom „völligen Unwert“ des Beweismittels ausgehen zu dürfen. Aus diesem Grund die vom Beweisführer erhobene Rüge „unzulässiger Vorwegwürdigung des durch Benennung der Ehefrau des Beklagten angetretenen Beweises gerechtfertigt.“157 Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist gemessen an dem hier aufgestellten Lösungskonzept richtig. Es existiert weder eine Beweiswürdigungsregel, 153 

Teil 1, B.II.2. OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 351 ff. 155  Teil 1, B.II.2. 156  OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 353. 157  OGH, Urt. v. 24.02.1949 – I 190/48, OGHZ 1, 347, 351 f. 154 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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noch ein allgemeiner Erfahrungssatz, oder eine wissenschaftliche Erkenntnis, ein Denk- oder Naturgesetz, wonach der Zeugenaussage eines Ehegatten von vornherein jede Beweiskraft abgesprochen werden könnte. Das Ergebnis der Beweiswürdigung war deshalb nicht determiniert und das Gericht durfte sich dieser nicht durch vorangehende Beweisablehnung verschließen. Der Oberste Gerichtshof nahm somit zu Recht einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung an.

III.  Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte Der Bundesgerichtshof bekannte sich seit jeher zum Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht. Zweifel hieran ließ er nie aufkommen.158Nachdem dem Reichsgericht Verstöße gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung attestiert werden mussten, ist im Folgenden zu untersuchen, ob der Bundesgerichtshof einen konsequenten Umgang im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit pflegte. In diesem Zusammenhang ist der Frage nachzugehen, ob es dem Bundesgerichtshof gelungen ist, eine allgemeingültige Formel zu entwickeln, mit Hilfe derer zuverlässig die Unerheblichkeit einer Beweisführung unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung festgestellt werden kann. Der Bundesgerichtshof vertritt, anders als noch das Reichsgericht ursprünglich, einen rein objektiven Erheblichkeitsbegriff.159 Aus Gründen der systematischen Einheit und Folgerichtigkeit wird der Untersuchung gleichwohl weiterhin der gemischt objektiv-subjektive Erheblichkeitsbegriff zugrunde gelegt. 1.  Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Es wurde bereits dargelegt, dass aus sachlogischen Gründen eine Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung, selbst dann, wenn sie sich als ungerechtfertigt erwies, keinen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nach sich ziehen kann. Die objektive Erheblichkeit einer Beweisführung richtet sich danach, ob die unter Beweis gestellte Tatsache entscheidungserheblich ist. Dazu muss der Richter die Beweisbehauptung als wahr unterstellen und sie an den streitentscheidenden Normen und deren Tat158 

Teil 1, B.II.3. BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481, 482; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 39755, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847, 848 f.; BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252; BGH, Urt. v. 18.01.1962 – III ZR 155/60, DRiZ 1962, 167 f.; BGH, Urt. v. 20.09.1962 – III ZR 84/61, DRiZ 1963, 28; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381. In diesem Sinne ebenfalls: H. Schneider, NJW  1951, 481. 159 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

bestandsvoraussetzungen spiegeln.160 Ob das in Ansatz gebrachte Beweismittel in der Lage ist, diese Tatsache zu belegen, ist für die objektive Erheblichkeitsprüfung ohne jede Bedeutung. Sie beruht vielmehr auf einer reinen Rechtsreflexion nach Maßgabe des Streitgegenstands.161 Wie schon das Reichsgericht, stellt auch der Bundesgerichtshof die Beweiserhebung unter die Bedingung, dass sie eine „erhebliche Tatsache“ betrifft.162 Dies gilt für den unmittelbaren Beweis gleichermaßen wie für den mittelbaren Beweis (Indizienbeweis).163 Dass die Erheblichkeitsprüfung auch im Bereich des Indizienbeweises nicht dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zuwider­läuft, stellte der Bundesgerichtshof bereits in einer Entscheidung vom 20. Oktober 1952 klar: „In der Würdigung dieser Indizien unter dem Gesichtspunkt, ob sie geeignet seien, einen solchen Schluß im Sinne der Behauptungen der Kl. zu rechtfertigen, war das LG nach §  286 ZPO frei, ohne dabei an Beweis- oder sonstige Verfahrensregeln gebunden zu sein. Diese Würdigung bedeutete keineswegs, wie die Kl. meint, eine Vorauswürdigung der von ihr angebotenen Beweise.“164

Damit hat er zweifellos Recht.165 Und dennoch scheint die Erheblichkeitsprüfung im Bereich des Indizienbeweises strukturelle wie gedanklich besonders fehleranfällig zu sein.

160  BGH, Urt. v. 25.11.1992 – XII ZR 179/91, NJW-RR 1993, 443, 444; BGH, Urt. v. 13.07.2004 – VI ZR 136/03, WM 2004, 1768, 1770; BGH, Urt. v. 05.03.2009 – III ZR 17/08, WM, 2009, 739; BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, 163; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – I ZR 167/11, NJW-RR 2013, 743, 745. 161  Teil 2, A.II.2.a). 162  Vgl. nur: BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481, 481 f.; BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 39755, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381. 163  BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 397/55, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 25.11.1992 – XII ZR 179/91, NJW-RR 1993, 443, 444; BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, 163; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – I ZR 167/11, NJW-RR 2013, 743, 745. 164  BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 68/52, LM §  539 ZPO Nr.  1. 165  Vgl. ferner: BGH, Urt. v. 12.07.1956 – III ZR 397/55, BGHZ 21, 256, 262; BGH, Urt. v. 19.04.1961 – IV ZR 217/60, LM §  286 (A) Nr.  20: „Da es sich bei den Beweisbehauptungen nur um Beweisanzeichen (Indizien) handelt, ist ein derartiges Verfahren nicht schon unter dem Gesichtspunkt der Vorwegnahme der Beweiswürdigung unzulässig.“; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261 („Anastasia“); BGH, Urt. v. 10.02.1993 – XII ZR 241/91, BGHZ 121, 266, 271.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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a)  Der Nachweis der eigenen Identität, BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245 ff. („Anastasia“) Der Bundesgerichtshof hatte sich im Rahmen der sog. Anastasia-Entscheidung vom 17. Februar 1970 nicht nur über das erforderliche Maß der richterlichen Überzeugung zur Tatsachenfeststellung grundlegend geäußert166 – wofür die Entscheidung hauptsächlich bekannt ist –, sondern auch über die Zulässigkeit der Ablehnung von Indizienbeweisen.167 Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin und Beweisführerin behauptete im Rahmen einer vermögensrechtlichen Auseinandersetzung, die letzte noch lebende Tochter des russischen Zaren Romanow zu sein. Zum Nachweis beantragte sie die Erhebung einer ganzen Reihe an Indizienbeweisen, darunter ein erbbiologischer Abstammungsvergleich, ein Fotogesichtsvergleich, ein Schriftgutachten und ihr persönliches Sprach- und Erinnerungswissen. Letzteres stelle ein detailtiefes Einzelwissen über Menschen, Sachen und Vorgänge aus dem Leben der Zarenfamilie dar, das nur jemand haben könne, der es selbst erlebt habe. So indiziere unter anderem die Tatsache, dass die Klägerin auf einem Foto eine sogenannte „pfeifenartige Zigarettenspitze“ wiedererkannt habe, die „ihr Vater“, Zar Nikolaus II., geraucht habe, dass sie die Tochter des Zaren sein müsse. Das Berufungsgericht lehnte den dahingehenden Beweisantrag mit der Begründung ab, dass selbst dann, wenn man die Beweisbehauptung als zutreffend unterstellte, nicht zweifelsfrei festzustellen sei, ob diese Kenntnis auf einer selbst gemachten Erinnerung beruhe. Aus diesem Grund sei die Beweisführung „unerheblich“.168 Auf die Rüge der Revision führte der Bundesgerichtshof wie folgt aus: „Weiter war zu bedenken, daß es sich bei dem sogenannten Erinnerungswissen der Klägerin um Teile eines Indizienbeweises handelte; für die Behandlung von Beweisanträgen im Rahmen einer Indizienbeweisführung gelten im Zivilprozeßverfahren wiederum Besonderheiten: (…) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Richter im Zivilprozeß bei Beweisanträgen im Rahmen eines Indizienbeweises freier gestellt als bei sonstigen Beweisanträgen. Gewiß sind im weiteren Sinne diese Indiztatsachen auch „erhebliche“ Tatsachen, aber wie der Richter beim unmittelbaren Beweis prüft, ob die behauptete Tatsache für den Rechtsstreit rechtlich von Bedeutung, also rechtlich erheblich ist, muß der Richter bei einem Indiz dessen tatsächliche, denkgesetzliche Erheblichkeit überprüfen, nämlich seine Bedeutung für die weitere Schlußfolgerung auf die Haupttatsache. Das bedeutet, daß der Richter bei einem Indizienbeweis vor der Beweiserhebung prüfen darf und muß, ob der Indizienbeweis schlüssig 166 

Vgl. dazu: BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 256: „Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.“ 167  BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 ff. 168  BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, juris, Rn.  236 (nicht abgedruckt).

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

ist, ob also die Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien – ihre Richtigkeit unterstellt – ihn von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen würde. Deshalb ist es kein Verfahrensfehler, wenn der Tatrichter bei einem Indizienbeweis von einer beantragten Beweiserhebung im Zivilprozeß deshalb absieht, weil die unter Beweis gestellte Hilfstatsache für den Nachweis der Haupttatsache nach der Überzeugung des Tatrichters nicht ausreicht. Sie reicht dann nicht aus und ist also unerheblich, wenn das Indiz für sich allein und im Zusammenhang mit den weiteren Indizien sowie dem sonstigen Sachverhalt für den Richter nach seiner Lebenserfahrung nicht den ausreichend sicheren Schluß auf die beweisbedürftige Haupttatsache zuläßt. Das ist keine verbotene vorweggenommene Beweiswürdigung, sondern die denkmäßige Anwendung richterlicher Erfahrungssätze, wie der Richter sie ähnlich bei der Rechtsanwendung immer vor jeder Beweisaufnahme vornehmen muß.“169 (Hervorh. d. Verf.) „(…) Es handelt sich wiederum um ein kleines Beweisanzeichen im Rahmen eines umfangreichen Indizienbeweises. Die Ablehnung des Beweisantrages unterlag daher dem Ermessen des Tatrichters. Ein Fehler bei Ausübung dieses Ermessens ist nicht ersichtlich.“170(Hervorh. d. Verf.)

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs kommt zum richtigen Ergebnis. Der Bundesgerichtshof bestätigt damit einmal mehr die bereits vom Reichsgericht in dessen Entscheidung vom 13. Februar 1886 in Ansatz gebrachten Grundsätze.171 Und dennoch weist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zwei terminologische Schwächen auf, denen sich im Folgenden angenommen wird: Der Bundesgerichtshof behauptet, das Gericht sei „im Rahmen eines Indizienbeweises freier gestellt als bei sonstigen Beweisanträgen“172 und die Beweisablehnung unterliege daher dem tatrichterlichen „Ermessen“. Das ist streng genommen falsch. Denn sollte die Erheblichkeitsprüfung zum Ergebnis kommen, dass der Indizienbeweis den Schluss auf eine streitentscheidende Tatsache zulässt, so muss der Beweis erhoben werden. Im umgekehrten Fall muss der Be­ weis­antrag abgelehnt werden. Es besteht, wie auch bei Hauptbeweisen, kein Raum für richterliches Ermessen. Was der Bundesgerichtshof wohl eigentlich sagen wollte, ist, dass der Richter für die Erheblichkeitsprüfung eines Indizienbeweises anderweitige Begleitumstände oder sonstige Erfahrungssätze mit in den Blick nehmen kann und darf, da der Indizienbeweis gerade nicht den unmittelbaren Nachweis einer streitentscheidenden Tatsache liefert. Des Weiteren behauptet der Bundesgerichtshof, der Richter müsse im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung bei Indizienbeweisen feststellen, ob „die Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien – ihre Richtigkeit unterstellt – ihn von der Wahrheit 169 

BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260 f. BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, juris, Rn.  237 (nicht abgedruckt). 171  Ob der Beklagte weitere Beweisanträge über Indizien gestellt hat, die den Schluss auf die Selbstentzündung der bengalischen Zündhölzer zulassen sollten, erfährt man aus der Entscheidung des Reichsgerichts nicht. 172  Diese Formulierung ist in einer späteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs abermals anzutreffen, vgl. BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401. 170 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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der Haupttatsache überzeugen würde.“ Auch diese Formulierung ist bei genauerem Hinsehen hoch problematisch. Durch die Verwendung des Wortes „wird“ könnte leicht der Eindruck entstehen, das Gericht dürfe den Beweiswert des Indizienbeweises prognostizieren. Nimmt man den Bundesgerichtshof beim Wort, bedeutete dies, dass der Richter im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung nicht nur feststellen müsste, ob der Indizienbeweis den Schluss auf eine streitentscheidende Tatsache zulässt und infolgedessen Einfluss auf die richterliche Überzeugung in der noch ausstehenden Beweiswürdigung haben kann. Darüber hinaus dürfte der Richter prognostizieren, ob der Indizienbeweis aus seiner Sicht einen überzeugungsbegründenden Beweiswert hätte und aus diesem Grund Einfluss auf die richterliche Überzeugung haben wird. Das Wort „kann“ bezieht sich auf die objektive Erheblichkeit, das Wort „wird“ auf die subjektive Erheblichkeit der Beweisführung. Der sprachliche Unterschied zwischen „kann“ und „wird“ mag ein geringer sein; im Rahmen der richterlichen Erheblichkeitsprüfung ist er das nicht. Richtigerweise hätte es daher lauten müssen: „Das bedeutet, daß der Richter bei einem Indizienbeweis vor der Beweiserhebung prüfen darf und muß, ob der Indizienbeweis (…) ihn von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen könne.“ Jede weitergehende Feststellung kann der Richter grundsätzlich nicht treffen, ohne gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zu verstoßen. In diesem Zusammenhang hat er die Regeln zur subjektiven Erheblichkeitsprüfung zu beachten.173 b)  Die Widerlegung der Vaterschaft, BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348 ff. In einer Entscheidung vom 12. Januar 1994 hatte sich der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine DNA-Analyse zur Widerlegung der Vaterschaft zulässigerweise abgelehnt werden durfte.174 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem durch drei unabhängige Gutachten zu einer Wahrscheinlichkeit von 99,99999999999 Prozent nachgewiesen war, dass der Beklagte der Vater des Klägers war, beantragte der Beklagte zum Nachweis des Gegenteils eine ergänzende DNA-Analyse. Das Gericht kam unter Bezugnahme auf eine überzeugende Stellungnahme eines in der mündlichen Verhandlung vernommenen Sachverständigen zum Schluss, dass die DNA-Analyse keinen weitergehenden Aufschluss über die in Rede stehende Abstammungsfrage liefern könne. Infolgedessen lehnte es den Beweisantrag des Beklagten ab. Die Revision rügte dies ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof führte zur Begründung wie folgt aus: 173  174 

Teil 2, A.II.2.b) BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348 ff.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

„Einen solchermaßen gestellten Beweisantrag darf das Gericht grundsätzlich nur ablehnen, wenn es die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt oder wenn das angebotene Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, den Beweis für die behauptete Tatsache zu erbringen (…). Als völlig ungeeignet kann ein Beweismittel allerdings nicht bezeichnet und ein Beweisantrag demgemäß nicht zurückgewiesen werden mit der Begründung, die beantragte Beweisaufnahme werde aller Wahrscheinlichkeit nach erfolglos bleiben. Darin läge eine unzulässige vorweggenommene Würdigung eines noch nicht erhobenen Beweises. Ebenso unzulässig ist die Ablehnung eines Antrags auf Erhebung eines Beweises über eine bestimmte Tatsache mit der Begründung, das Gericht sei bereits vom Gegenteil der aufgestellten Behauptung überzeugt. Hiervon zu unterscheiden ist die – verfahrensrechtlich zulässige – Ablehnung eines Beweisantrags, weil besondere Gründe für die völlige Ungeeignetheit des Beweismittels vorliegen. Das kann speziell im Abstammungsverfahren der Fall sein, in dem es stets (nur) um die Feststellung bestimmter, einzelner Indizien geht. (…). In diesem Sinn kann ein Beweismittel als ungeeignet zurückgewiesen werden, wenn es lediglich zum Ziel hat, einen festgestellten hohen Wahrscheinlichkeitswert für die Vaterschaft des in Anspruch genommenen Mannes zu relativieren, ohne daß sonst Umstände dargetan sind, die zu einem Vaterschaftsausschluß führen können (…).“175(Hervorh. d. Verf.)

Die Entscheidung ist im Ergebnis richtig. Die Begründung weist jedoch erhebliche Rechtsfehler auf: Der Bundesgerichtshof wirft in der Entscheidung die Grundsätze der objektiven und subjektiven Erheblichkeitsprüfung – man wäre fast geneigt zu sagen: „mustergültig“ – durcheinander. Zunächst ist die Rede von der „völligen Ungeeignetheit des Beweismittels“, eine Kategorie, die der absolut-subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung entspricht.176 Um von der absolut-subjektiven Unerheblichkeit der DNA-Analyse ausgehen zu dürfen, müsste das Gericht in der Lage gewesen sein, nach Maßgabe allgemeiner Erfahrungssätze oder sonstiger wissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze oder Naturgesetze feststellen zu können, dass die DNA-Analyse keinerlei Beweiswert im Hinblick auf die Feststellung der Vaterschaft hat. Sie müsste per se wertlos sein. Davon geht der Bundesgerichtshof offenbar aber nicht aus. Des Weiteren stellt der Bundesgerichtshof mit Recht fest, dass die Feststellung der Vaterschaft generell nur durch „Indizien“ erwiesen werden könne. Dies wäre aber noch kein Grund, die beantragte DNA-Analyse nicht durchführen zu lassen. Denn für die objektive Erheblichkeit einer Beweisführung kommt es allein darauf an, dass sie Einfluss auf die richterliche Überzeugung haben kann. Ohne jede Bedeutung ist dagegen, ob sich das Gericht infolge der DNA-Analyse von der unter Beweis gestellten Behauptung auch überzeugen wird. Aus diesem Grund

175  176 

BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f. Teil 2, A.II.1.b).

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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spielte es für die Beweisablehnung im konkreten Fall keine Rolle, dass die DNA-Analyse „nur“ ein Indizienbeweis war. Die Beweisablehnung beruhte, und das wird auch aus den sonstigen Entscheidungsgründen ersichtlich, vielmehr auf der Feststellung der relativ-subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung. Das Gericht hat offenbar aufgrund der bisherigen Verhandlung und Beweisaufnahme eine derart unerschütterliche Überzeugung von der unter Beweis gestellten Tatsache erlangt (Vaterschaft des Beweisführers), dass es der Gegenbeweisführung durch DNA-Analyse von vornherein jeden Beweiswert absprach. Die Beweisablehnung ist unter Verweis auf die Erwiesenheit des Gegenteils im konkreten Fall nur deshalb zulässig, weil nach dem allgemeinen wissenschaftlichen Kenntnisstand, was gutachterlich bestätigt wurde, eine gegenteilige Beweisführung nicht gelingen werde.177 Allein aus diesem Grund stellt die Beweisablehnung keinen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung dar. Diese Entscheidung ist kein Einzelfall.178 Da in solch gelagerten Prozessen der Beweis der Vaterschaft stets durch Indizien geführt werden muss, besteht über die Vaterschaft letzten Endes nie eine absolut sichere Gewissheit. Eine weitergehende Beweisführung wird dann regelmäßig unter Verweis auf die größere Freiheit und das Ermessen des Gerichts im Umgang mit Indizienbeweisen abgelehnt. Solange aber nicht feststeht, dass ein Indiz den Schluss auf die streitentscheidende Tatsache nicht zulässt, kann die Beweisführung nicht wegen objektiver Unerheblichkeit, sondern allenfalls wegen subjektiver Unerheblichkeit abgelehnt werden. 2.  Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Der Bundesgerichtshof führt die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Be­weis­ ablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit im Wesentlichen unverändert fort. So gilt bis heute, dass eine Beweisablehnung wegen völliger Ungeeignetheit (auch: „völligem Unwert“) des Beweismittels in der Regel unzulässig ist.179 Der Richter könne hiervon erst dann ausgehen, wenn gänzlich ausge177 

Teil 2, B.III.3. Vgl. BGH, Urt. v. 05.12.1973 – IV ZR 77/72, NJW  1974, 606, 607; BGH, Urt. v. 04.05.1983 – VIII ZR 94/82, NJW  1983, 2034, 2035; OLG Brandenburg, Urt. v. 23.03.2000 – 9 UF 289/98, MDR 2000, 888, 889. A. A.: BGH, Urt. v. 13.07.1988 – IVb ZR 77/87, FamRZ 1988, 1037, 1039; BGH, Urt. v. 19.12.1990 – XII ZR 31/90, NJW  1991, 2961, 2963; BGH, Urt. v. 13.06.1996 – IX ZR 233/95, BGHZ 133, 110, 115. Für die unzulässige Ablehnung eines Zeugenbeweises im Vaterschaftsprozess, vgl. BGH, Urt. v. 03.05.2006 – XII ZR 195/03, BGHZ 168, 79, 85 f. 179  Vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.; BGH, Urt. v. 178 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

schlossen sei, dass die Beweisführung „sachdienliche Erkenntnisse erbringen“ wird.180 Die bloße Unwahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Beweisführung genüge nicht, um eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit zu rechtfertigen.181 Vor diesem Hintergrund mahnte der Bundesgerichtshof regelmäßig „größte Zurückhaltung“ an.182 Soweit der Richter diese Vorgaben nicht beachtet, sei von einer unzulässigen „vorweggenommene Beweiswürdi-

06.12.2007 – I ZR 174/04, NJW-RR 2008, 1209; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188. 180  So bereits: BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481, 482; BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252; BGH, Urt. v. 18.01.1962 – III ZR 155/60, DRiZ 1962, 167 f. Aus heutiger Sicht: BAG, Urt. v. 05.11.2003 – 5 AZR 562/02, AP Nr.  106 zu §  615 BGB; BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.; BGH, Urt. v. 02.04.2009 – I ZR 16/07, TranspR 2009, 410, 411; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10; BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188; BGH, Beschl. v. 22.03.2016 – VI ZR 163/14, juris, Rn.  11; BGH, Beschl. v. 11.10.2016 – VI ZR 547/14, juris, Rn.  11. Bemerkenswerterweise hat sich die Formel des Reichsgerichts, die es in seiner Grundsatzentscheidung vom 21. März 1881 aufgestellt hat, bis heute bewährt. Das Reichsgericht machte die richterliche Be­ weis­ablehnungsbefugnis entscheidend davon abhängig, dass das Gericht „nach freier Überzeugung als bereits feststehend ansieht, daß durch die Vernehmung desselben (Zeugen) Sachdienliches nicht erbracht werden kann.“, RG, Urt. v. 21.03.1881 – III 663/80, RGZ 4, 375, 377. Der Bundesgerichtshof nahm insoweit lediglich eine terminologische Veränderung vor, als dass er nicht mehr vom „völligen Unwert“ eines Beweismittels, sondern von der „völligen Ungeeignetheit“ desselben sprach, was wohl auch dem Wortlaut des 244 Abs.  3 S.  2 4. Var. StPO geschuldet ist, vgl. BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252: „Deshalb gestattet auch §  244 StPO die Ablehnung nur solcher Beweismittel, die „völlig ungeeignet“ sind. Entsprechend hat der BGH es als zulässig erachtet, daß der Tatrichter einen Beweisantrag ablehnt, wenn der „völlige Unwert des Beweismittels“ feststeht, was ausnahmsweise auch dann der Fall sein kann, wenn (…).“ 181  BGH, Urt. v. 04.12.1961 – III ZR 179/60, VersR 1962, 177, 178; BGH, Urt. v. 20.09.1962 – III ZR 84/61, DRiZ 1963, 28: „(…) doch kommt es für die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme im Zivilprozeß nur auf die rechtliche Erheblichkeit und nicht auf die Wahrscheinlichkeit einer Behauptung an.“ Ebenso: BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII. ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f.; BAG, Urt. v. 05.11.2003 – 5 AZR 562/02, AP Nr.  106 zu §  615 BGB; BGH, Beschl. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, NJW-RR 2008, 414; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10. 182  So schon: BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225, 226. Vgl. ferner: BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401; BGH, Urt. v. 19.05.1998 – XI ZR 216/97, NJW  1998, 2673, 2674; BGH, Urt. v. 19.06.2000 – II ZR 319/98, NJW  2000, 3718, 3819; BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02, NJW  2003, 2527, 2528; BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.; BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 199/03, WM 2005, 1847, 1849; BGH, Beschl. v. 24.05.2006 – XII ZR 164/05, juris, Rn.  18; BGH, Urt. v. 02.04.2009 – I ZR 16/07, TranspR 2009, 410, 411; BGH, Urt. v. 03.07.2009 – V ZR 58/08, RNotZ, 2010, 133, 134; BGH, Beschl. v. 11. Oktober 2016 – VI ZR 547/14 –, juris, Rn.  11.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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gung“183 oder „Beweisantizipation“184 auszugehen, wobei beide Begriffe heutzutage synonym verwendet werden (zum Begriff der „Beweisantizipation“185). a)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Nach Maßgabe dieser Grundsätze geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen vor der Beweiswürdigung in jeder Hinsicht verboten sind. Entscheidend komme es auf den persönlichen Eindruck des Richters an, den sich dieser erst im Rahmen der Beweiswürdigung machen könne.186 Aus diesem Grund indiziere weder Verwandtschaft noch wirtschaftliche oder emotionale Nähe zwischen Beweisführer und Beweismittel (Zeuge oder Sachverständige) eine strukturelle Unglaubwürdigkeit.187 Gleiches gilt für den Zeugen vom Hörensagen188 – mag man ihm auch im Rahmen der Beweiswürdigung gegenüber anderen Zeugen, die über eine unmittelbare Wahrnehmung Bekundungen machen können, einen geringeren Beweiswert zusprechen dürfen.189Ein Beweismittel ist auch nicht als wertlos einzustufen, weil es gegenüber anderen Beweismitteln weniger sachnah ist.190 Deshalb kann das Ge183 

BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341; BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847, 848 f.; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260; BGH, Urt. v. 01.10.1985 – VI ZR 18/84, NJW  1986, 1541, 1542; BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1350; BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073; BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.; BGH, Urt. v. 13.09.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28, 29; BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 199/03, WM 2005, 1847, 1849; BGH, Beschl. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, NJW-RR 2008, 414; BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 235/07, NJW-RR 2008, 1380, 1381; BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728, 729; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188; BGH, Beschl. v. 22.03.2016 – VI ZR 163/14, juris, Rn.  8. 184  BGH, Urt. v. 13.09.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28, 29; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188. 185  Vgl. nur: BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188. Vgl. Teil 3, A. 186  BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847. 187  BGH, Urt. v. 26.03.1952 – II ZR 53/51, BGHZ 5, 285, 288; BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847; BGH, Urt. v. 04.06.1962 – VIII ZR 24/61, ZMR 1962, 310, 311; BGH, Urt. v. 13.11.1963 – IV ZR 65/63 – BGHZ 40, 367, 374 f.; OLG München, Urt. v. 26.06.1990 – 5 U 7178/89, NJW-RR 1991, 17. 188  BGH, Urt. v. 10.05.1984 – III ZR 29/83, NJW  1984, 2039, 2040; BGH, Urt. v. 01.10.1985 – VI ZR 18/84, NJW  1986, 1541, 1542; BGH, Urt. v. 02.05.1990 – IV ZR 310/88, NJW-RR 1990, 1276; BGH, Urt. v. 03.05.2006 – XII ZR 195/03, BGHZ 168, 79, 85 f. 189  OLG Naumburg, Urt. v. 08.05.2012 – 1 U 1/11, NJW-RR 2012, 1423, 1424. 190  BGH, Urt. v. 11.02.1992 – XI ZR 47/91, NJW  1992, 1899, 1890; BGH, Urt. v. 08.05.2002

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

richt beispielsweise eine Ortsbegehung durch Fotografien oder Videoaufnahmen, die ihm einen ebenso sicheren Eindruck vom streitgegenständlichen Augenscheinsobjekt vermitteln, substituieren.191 Ferner kann aus einer vorangegangenen Vernehmung in einem Strafverfahren, nicht auf den Aussagegehalt oder -wert eines Zeugen geschlossen werden,192 geschweige denn unterstellt werden, der Zeuge werde das Gleiche aussagen, wie vor dem Strafrichter.193 Die Ablehnung einer Zeugenvernehmung kann auch nicht damit begründet werden, dass das Vernehmungsprotokoll des vorangegangenen Strafverfahrens als Beweisurkunde herangezogen werden könne und die Zeugenvernehmung daher wertlos sei:194 „Diese Erwägungen stellen (…) eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. (…) Die Beweiserhebung darf nicht durch Vermutungen über das, was die Beweisaufnahme ergeben könnte, ersetzt werden (…).“195

Des Weiteren hält es der Bundesgerichtshof für unzulässig, die Geeignetheit eines Zeugenbeweises danach zu beurteilen, wieviel Zeit zwischen der Wahrnehmung und der gerichtlichen Wiedergabe der Wahrnehmung liegt.196 In einer Entscheidung vom 4. März 1958 hat der Bundesgerichtshof dies sogar für einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren angenommen: „Eine unzulässige Vorwegnahme der Beweisaufnahme stellt es auch dar, wenn sich das Gericht auf die wahrscheinlich geschwundene Erinnerung der Zeugen beruft. Erfahrungsgemäß kann dies erst beurteilt werden, wenn die Zeugen ihre Aussagen gemacht und gegebenenfalls erklärt haben, warum sie vielleicht nach längerer Zeit noch eine feste Erinnerung zu haben glauben. Es mag durchaus sein, daß eine Beweisaufnahme so ausgeht, wie es das Berufungsgericht angenommen hat. Aber antizipiert werden kann das nicht.“197 (Hervorh. d. Verf.) – I ZR 28/00, NJW-RR 2002, 1433, 1435; BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 199/03, WM 2005, 1847, 1849; OLG Jena, Urt. v. 29.11.2011 – 4 U 588/11, MDR 2012, 542, 543. Dahingehend wohl tendierend: Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Rn.  873 ff.; Ahrens, JZ 1996, 738, 740; Bachmann, ZZP 118 (2005), 133, 140 ff. 191  BGH, Urt. v. 23.06.1987 – VI ZR 296/86, NJW-RR 1987, 1237, 1238; OLG Köln, Urt. v. 23.10.1993 – 11 U 89/93, NZV 1994, 279, 280. In diese Richtung: BGH, Urt. v. 30.10.1998 – V ZR 64/98, BGHZ 140, 1, 8 f. 192  BGH, Urt. v. 07.06.1963 – VI ZR 184/62, VersR 1963, 1035; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10; OLG Celle, Urt. v. 22.03.2000 – 9 U 184/99, OLGR 2000, 195, 156 f. 193  BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340. 194  BGH, Urt. v. 14.06.1952 – IV ZR 25/52, BGHZ 7, 117, 121. Ebenso: BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480. 195  BGH, Urt. v. 07.06.1963 – VI ZR 184/62, VersR 1963, 1035. 196  BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341; BGH, Urt. v. 30.09.1958 – VI ZR 268/57, VersR 1958, 847; BGH, Urt. v. 13.11.1963 – IV ZR 65/63 – BGHZ 40, 367, 374 f.; BAG, Urt. v. 05.11.2003 – 5 AZR 562/02, AP Nr.  106 zu §  615 BGB. 197  BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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Aus diesem Grund ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. April 1959 rechtsfehlerhaft, in der er eine Zeugenbeweisablehnung unter Verweis auf die zwischenzeitlich verstrichene Zeit für zulässig erachtet hat.198 Dagegen hat der Bundesgerichtshof zu Recht eine Beweisablehnung für unzulässig gehalten, in der der Richter einem beantragten Beweismittel aufgrund eigener Erfahrung die erforderliche Wahrnehmungs- oder Beurteilungsfähigkeit absprach, ohne dass er diese Einschätzung auf eine allgemeingültige Grundlage stellte.199 Die Annahme der absolut-subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung darf im Übrigen auch nicht auf vollkommen sachfremden Erwägungen beruhen. So stelle es eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar, wenn der Richter ohne weiteres annehme, es sei „nicht ersichtlich oder lebensfremd“, dass die beantragten Zeugen die Beweisbehauptung erweisen könnten.200 Gleiches gilt, wenn der Richter ohne jeden sachlichen Grund unterstellt, die Beweisbehauptung könne durch Sachverständigenbeweis nicht erwiesen werden,201 oder einem bestimmten Zeugen komme geringere Aussagekraft zu.202 Unzulässig sei es auch, wenn der Richter einen Zeugenbeweis allein deshalb für „völlig ungeeignet“ halte, weil der benannte Zeuge in einem Parallelverfahren von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat203 oder weil ihm ein solches generell zusteht.204 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur teilweise auf die mittlerweile aufgegebene „Beifahrerrechtsprechung“ hingewiesen.205 Danach sollte den Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Fahrzeuge „nur dann Beweiswert zuerkannt werden, wenn sonstige objektive Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit sprechen.“206 Der Bundesgerichtshof hat diese von den Untergerichten gepflegte Rechtsprechungspraxis mit Entscheidung vom 3. November 1987 für unzulässig erklärt, da

198 

BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252. BGH, Urt. v. 13.01.1986 – II ZR 76/85, VersR 1986, 545; BGH, Urt. v. 12.10.1998 – II ZR 164/97, NJW  1999, 143; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188. 200  BGH, Beschl. v. 29.10.2008 – IV ZR 272/06, VersR 2009, 517, 518. 201  BGH, Urt. v. 19.05.1998 – XI ZR 216/97, NJW  1998, 2673, 2674; BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385. 202  BGH, Urt. v. 13.09.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28, 29. 203  BGH, Beschl. v. 21.09.2011 – IV ZR 38/09, NJW  2012, 296, 297. 204  BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10. 205  Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  39; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 12.  Aufl., §  284 Rn.  21; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3 Rn.  42; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  68; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  10a. 206  BGH, Urt. v. 03.11.1987 – VI ZR 95/87, NJW  1988, 566, 567. 199 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

es sich hierbei um eine unzulässige Beweisregel handele, die mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung und §  286 Abs.  2 ZPO unvereinbar sei.207 „Es geht jedoch nicht an, einer Zeugenaussage aus solchen Gründen ohne weitere Würdigung von vornherein jeglichen Beweiswert abzusprechen, wenn ihre Richtigkeit nicht durch sonstige Umstände bestätigt wird.“208(Hervorh. d. Verf.)

Dagegen ist nichts einzuwenden. In der Sache handelte es sich bei der sog. Beifahrerrechtsprechung aber um eine unzulässige Beweiswürdigungsregel und nicht um eine unzulässige Beweisablehnungsregel. Mit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung hat die Beifahrerrechtsprechung im Grunde nichts zu tun.209 b)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Der Bundesgerichtshof hat im Laufe seiner Rechtsprechungspraxis eine Be­weis­ ablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit nicht ausnahmslos für unzulässig gehalten. Die hier zu beachtenden Grenzen steckte der Bundesgerichtshof bereits in einer Entscheidung vom 4. Juni 1956 ab.210 In der Sache stritten die Parteien über den Schadenshergang in einem Hafenbecken. Die Klägerin hat vergebens versucht, mittels zweier Zeugen den Nachweis zu führen, dass der Beklagte für den Schadenshergang verantwortlich gewesen sei. Das Berufungsgericht lehnte die Zeugenvernehmung mit der Begründung ab, dass den benann207 

BGH, Urt. v. 03.11.1987 – VI ZR 95/87, NJW  1988, 566, 567. Vgl. ferner: BGH, Urt. v. 30.09.1974 – II ZR 11/73, NJW  1974, 2283. A. A.: OLG Köln, Urt. v. 14.06.1972 – 2 U 121/71, MDR 1972, 957. 208  BGH, Urt. v. 03.11.1987 – VI ZR 95/87, NJW  1988, 566, 567. 209  A. A. offenbar Walter, NJW  1988, 567. Er ist der Ansicht, dass die Beifahrerrechtsprechung zu einem „a-priori-Ausschluß fragwürdiger Beweismittel“ führe. Das tut sie gerade nicht. Reineckes, MDR 1989, 114 bemerkt hierzu, dass sich die Praxis über die „überzogene Kritik Walters vom grünen (Professoren-)‌Tisch nur wundern“ könne. Schließlich sei es lebensfern, anzunehmen, dass derartige Zeugen gleichermaßen glaubwürdig seien, wie sonstige. Diese Kritik ist indes verfehlt. Schließlich sprechen sich weder der Bundesgerichtshof noch Walter gegen einen besonders behutsamen Umgang bei der Würdigung von Zeugenaussagen aus, bei denen eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese die Unwahrheit sagen könnten. Doch mehr als besondere Sorgfalt darf das Gericht bei der Beweiswürdigung nicht walten lassen. Jede verallgemeinernde Betrachtung solcher Zeugen ist mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung unvereinbar. Dahingehende Gedanken, wie sie Reinecke, MDR 1989, 114 f., bemüht, sind systemwidrig und deshalb abzulehnen. Im Ergebnis ist Greger, NZV 1988, 13 darin zuzustimmen, dass durch die Ablehnung der Beifahrerrechtsprechung der Tatrichter einmal mehr daran erinnert wird, dass er seine Überzeugung nach individuellen Gesichtspunkten und frei von jeder Voreingenommenheit zu bilden hat. 210  BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

295

ten Zeugen von vornherein keinerlei Beweiswert zugesprochen werden könne. Das Bundesgericht teilte im konkreten Fall die Einschätzung des Berufungsgerichts: „Der Tatrichter darf auch regelmäßig keinen Beweisantrag mit der Begründung ablehnen, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen. Denn das enthielte eine unzulässige vorweggenommene Würdigung eines nicht erhobenen Beweises. Andererseits braucht ein Richter nicht völlig wertlose und überflüssige Beweismittel heranzuziehen. Deshalb darf der Tatrichter einen Beweisantrag ausnahmsweise ablehnen, wenn auch unter Berücksichtigung der bisherigen Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß die beantragte neue Beweisaufnahme Sachdienliches ergeben kann, wenn also von vornherein der völlige Unwert des Beweismittels ersichtlich ist. Danach durften die Schiffahrtsgerichte ausnahmsweise die Vernehmung des Zeugen W. über die Behauptung eines Zusammenstoßes zwischen dem Signalnachen und dem Kahn der Kl. ablehnen, weil alle anderen vernommenen Zeugen übereinstimmend das Gegenteil bestätigt hatten, der Signalnachen keine Beschädigungen aufwies und der Standort des Zeugen sowie seine Entfernung vom Unfallort eine sichere Beobachtung nach dieser Richtung ausschlossen.“211(Hervorh. d. Verf.)

Der Bundesgerichtshof verbindet in seiner Entscheidung die Beweisablehnung wegen absolut- und wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Letzteres betrifft den Verweis auf die „anderen vernommenen Zeugen“, die das Gegenteil bestätigt hätten und der Verweis auf die fehlende Beschädigung des Signalnachen. Auf diese Erwägungen wird später zurückzukommen sein.212 An dieser Stelle interessiert allein die Begründung, dass die beantragten Zeugen deshalb völlig wertlos seien, weil sie von ihrem „Standort“ und ihrer „Entfernung vom Unfallort“ nicht in der Lage sein konnten, sichere Beobachtungen zum Unfallhergang zu machen. Diese Begründung überzeugt, sofern man unterstellt, dass die Zeugen tatsächlich keine Beobachtungen im konkreten Fall machen konnten. Steht die fehlende Wahrnehmungsmöglichkeit eines Zeugen fest, beispielsweise, weil zwischen ihm und dem wahrzunehmenden Geschehen eine blickdichte Wand stand, so ist es naturgesetzlich ausgeschlossen, dass der Zeuge das Geschehen hinter eben dieser Wand wahrnehmen konnte. Der Zeuge ist in diesem Fall einem Blinden gleichzusetzen. Die visuelle Wahrnehmung ist gleichermaßen nicht vorhanden. Damit steht von vornherein fest, dass die Beweisführung auf die richterliche Überzeugung keinen Einfluss haben wird. Die Beweisablehnung war mit dieser Begründung somit zulässig. Ein möglicher Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweise scheidet aus. Vergleichbares gilt in Fallgestaltungen, in denen eine Beweisbehauptung mit Hilfe eines Beweismittels nachgewiesen werden soll, dem die kognitive Eignung 211 

212 

BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480. Teil 2, B.III.3.b).

296

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

oder Befähigung hierfür fehlt. So ist es ausgeschlossen, dass eine Befundtatsache, die durch Sachverständigenbeweis festgestellt werden muss, durch Zeugenbeweis erwiesen werden kann. Mit Ausnahme von sachverständigen Zeugen scheidet deshalb eine gewöhnliche Zeugenvernehmung von vornherein aus, wenn es um Feststellungen zum medizinischen Facharztstandard einer Behandlung213, zur medizinischen Notwendigkeit einer stationären Heilbehandlung214, zum regionalen Mietwagenmarkt215, zum Charakter und Verhaltensmuster einer Person216 oder zum voraussichtlichen Erlös eines Grundstücks in der Zwangsversteigerung217 geht.218 Gleiches gilt für den Beweis durch Sachverständige, wenn sich der zu begutachtende Zustand mittlerweile derart verändert hat, dass eine Begutachtung mangels Rekonstruierbarkeit des ursprünglichen Zustands von vornherein ausscheidet219 oder wenn es auszuschließen ist, dass die Beweisbehauptung durch Sachverständigenbeweis erwiesen werden kann.220 In den genannten Fällen ist eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit gerechtfertigt, da angesichts der fehlenden Wahrnehmungs- oder Beurteilungsfähigkeit des in Ansatz gebrachten Beweismittels ausgeschlossen ist, dass eine entsprechende Beweisführung auf die richterliche Überzeugung Einfluss haben wird. Diesen Grundsätzen entsprechend hat der Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 24. Juni 2003 die Beweisführung mittels Polygraphentests (sog. Lügendetektortest) für völlig ungeeignet und daher absolut-subjektiv unerheblich erachtet:221 „Nachdem die Strafsenate des Bundesgerichtshofs auf der Grundlage von drei wissenschaftlichen Gutachten zu der psychophysiologischen Aussagebeurteilung diese Untersuchungsmethode als völlig ungeeignet eingestuft haben, ist nicht ersichtlich, warum man im Zivilverfahren zu einem anderen Ergebnis kommen sollte. Im Zivilprozeß werden an die Eignung eines Beweismittels die gleichen Anforderungen gestellt wie im Strafprozeß. Wenn ein Beweismittel 213 

KG, Urt. v. 02.12.2013 – 20 U 292/12, MDR 2014, 717, 718. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.07.2009 – 10 U 959/08, NJW-RR 2010, 41, 42. 215  BGH, Urt. v. 20.03.2007 – VI ZR 254/05, NJW  2007, 2122, 2124. 216  BGH, Urt. v. 24.02.1994 – IX ZR 227/93, NJW  1994, 1341, 1344. 217  BGH, Urt. v. 18.03.1993 – IX ZR 198/92, NJW  1993, 1796, 1797. 218  Weitere Beispiele: BGH, Urt. v. 17.12.1957 – VI ZR 279/56, VersR 1958, 167, 168; BGH, Urt. v. 26.09.1961 – VI ZR 61/61, VersR 61, 1021, 1022. 219  OLG Frankfurt, Urt. v. 30.01.2008 – 23 U 38/05, ZIP 2008, 774, 777. In diese Richtung ebenfalls: LG Aachen, Urt. v. 14.02.2007 – 11 O 91/06, MedR 2007, 734, 735. Für den Strafprozess: OLG Hamm, Beschl. v. 24.08.2001 – 2 Ss 688/01, NZV 2002, 139, 140. 220  BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 235/07, NJW-RR 2008, 1380, 1381; OLG Koblenz, Beschl. v. 03.07.2012 – 5 U 285/12, VersR 2013, 1276, 1277. So schon: OLG Köln, Urt. v. 28.02.1973 – 2 U 21/72, VersR 1973, 643. Für den Strafprozess: Völlige Ungeeignetheit eines Sachverständigenbeweises, wenn die Untersuchungsmethode nach aktuellem Kenntnisstand keine zuverlässige ist, BGH, Beschl. v. 13.03.1997 – 4 StR 45/97, NStZ 1997, 304. 221  BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02, NJW  2003, 2527, 2528. 214 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

297

aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozeß ungeeignet angesehen wird, gilt dies demgemäß in gleicher Weise für die Beweisführung im Zivilprozeß.“222

Auch hier ist von vornherein ausgeschlossen, dass das Ergebnis eines Poly­ graphentests und dessen gutachterliche Auswertung auf die richterliche Überzeugungsbildung Einfluss haben wird.223 Dem Gericht ist es nach dem derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik versagt, hierauf seine Überzeugung zu stützen.224 Und schließlich ist noch auf eine ältere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. Dezember 1959 hinzuweisen. Der Bundesgerichtshof hat eine Parteiver222 

BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02, NJW  2003, 2527, 2528. In einer früheren Entscheidung vom 16. Februar 1954 ging der Bundesgerichtshof lediglich davon aus, dass die „Zuverlässigkeit der Prüfungsergebnisse“ einer polygraphischen Untersuchung „bisher keineswegs gesichert“ seien, vgl. BGH, Urt. v. 16.02.1954 – 1 StR 578/53, BGHSt, 5, 332, 335 f. Eine konkrete Schlussfolgerung für den Wert des Beweismittels als solches zog der Bundesgerichtshof damals noch nicht. Das Bundesverfassungsgericht hingegen sprach in diesem Zusammenhang von einem unzulässigen „Durchleuchten“ einer Person, und hielt deshalb den Einsatz eines Lügendetektors mit Art.  2 Abs.  1 GG i. V. m. Art.  1 Abs.  1 GG für unvereinbar, vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.08.1981 – 2 BvR 166/81, NJW  1982, 375. Vgl. ferner: BVerfG, Beschl. v. 07.04.1998 – 2 BvR 1827/97, NJW  1998, 1938, 1938 f. Ungeachtet dessen machte die Rechtsprechung in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren hiervon eine Ausnahme, wenn Beweismittelführer sich Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zu entlasten versuchte, vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 14.03.1995 – 7 WF 122/94, NJW  1995, 1684; OLG München, Beschl. v. 25.11.1998 – 12 UF 1147/98, FamRZ 1999, 674, 675. Ebenso in diese Richtung wohl: OLG Dresden, Beschl. v. 14.05.2013 – 21 IF 787/12, FamRZ 2013, 501. Anders dagegen und unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 17.12.1998 – 1 StR 156/98, NJW  1999, 657, 658: KG, Beschl. v. 11.10.2010 – 19 WF 136/10, FamRZ 2011, 839. Spätestens aber seit der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1998 gilt jedoch gemeinhin, dass die polygraphische Untersuchung ein „völlig ungeeignetes“ Beweismittel im Sinne des §  244 Abs.  3 S.  2 4. Var. StPO darstelle, vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1998 – 1 StR 156/98, NJW  1999, 657, 658; BGH, Urt. v. 10.02.1999 – 3 StR 460/98, NStZ-RR 2000, 35; BGH, Beschl. v. 30.11.2010 – 1 StR 509/10, NStZ 2011, 474, 475. Diese Rechtsprechung macht sich der Bundesgerichtshof in der hier zitierten Entscheidung ausdrücklich zu eigen, vgl. BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02, NJW  2003, 2527, 2528. Für die Folgezeit vgl. KG, Beschl. v. 11.10.2010 – 19 WF 136/10, FamRZ 2011, 839; OLG Hamm, Beschl. v. 07.09.2012 – I-9 W 4/12, NJW-RR 2013, 221, 222. 224  Bemerkenswerterweise ist in diesem Zusammenhang bisher noch nicht der Frage nachgegangen worden, ob und inwieweit durch eine polygraphische Untersuchung die Voraussetzungen des §  447 ZPO verfahrenswidrig umgangen werden. Schließlich handelt es sich bei einer solchen Beweisführung um nichts anderes, als eine Parteivernehmung in eigener Sache durch einen Sachverständigen, ohne dass diese vom Gericht durchgeführt werden müsste und sich die gegnerische Partei damit zuvor einverstanden erklärt hätte. Sollte es sich bei der polygraphischen Untersuchung um eine verfahrenswidrige Umgehung des §  447 ZPO handeln, so handelte es sich schon um eine Beweisführung mittels unzulässigem und nicht „nur“ völlig ungeeignetem Beweismittel. 223 

298

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

nehmung des Klägers für absolut-subjektiv unerheblich erachtet, da dieser aufgrund der schweren Folgen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls nachweislich nicht in der Lage war, sich an Umstände oder Ereignisse in der Unfallnacht zu erinnern.225 Der Bundesgerichtshof führte hierzu aus: „Es ist dem Beklagten zwar zuzugeben, daß ein Beweisantrag nur unter besonderen Umständen abgelehnt werden darf. Nicht ausreichend wäre eine Ablehnung, weil der Beweisantrag aller Wahrscheinlichkeit nach erfolglos sein würde. Wohl aber rechtfertigt eine Zwecklosigkeit der beantragten Beweisaufnahme, wie z. B. bei Ungeeignetheit des bezeichneten Beweismittels, die Ablehnung. (…) Zwar ist bei der Beurteilung eines Beweismittels als ungeeignet größte Zurückhaltung geboten, damit nicht der Vorwurf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung begründet ist. Ist aber eine Partei, vor allem auch wegen einer psychogenen Überlagerung, zur Unterscheidung zwischen Tatsachen und Vorstellungen nicht mehr in der Lage, so bestehen gegen die Ablehnung ihrer Vernehmung keine Bedenken.“226

Auch diese Entscheidung stellt eine zulässige Ausnahme von der grundsätzlich unzulässigen Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung dar. Aufgrund des nachweislichen Verlusts des Erinnerungsvermögens fehlt dem Beweismittel jede Wiedergabefähigkeit. Gleiches gilt beispielsweise für einen gelöschten Datenträger oder eine nachträglich vernichtete Urkunde. Sie haben ihre Beweismittelqualität nachträglich verloren und kommen für die Beweisführung von vornherein nicht in Betracht. c) Ergebnis Die ausgewerteten Entscheidungen lassen, mit Ausnahme einer Entscheidung vom 20. April 1959, keinen rechtsfehlerhaften Umgang mit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit und dem gleichzeitig zu beachtenden Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung erkennen. In der genannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aufgrund der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit auf den Beweisunwert der beantragten Zeugen geschlossen.227 Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um einen Einzelfall handelte. Immerhin hat der Bundesgerichtshof noch in der Entscheidung vom 4. März 1958 klargestellt, dass dies allein nicht genüge, um den Beweiswert des Zeugen zu „antizipieren“.228 In den sonstigen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof von einer zulässigen Beweisablehnung ausgegangen ist, 225  BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225 ff. Ebenso: BAG, Urt. v. 14.07.1966 – 5 AZR 2/66, NJW  1966, 2426, 2426 f. 226  BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225, 226. 227  BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252. 228  BGH, Urt. v. 04.03.1958 – VI ZR 73/57, VersR 1958, 340, 341.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

299

war das Ergebnis der Beweisführung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse oder naturgesetzlich determiniert. Von einer „Vorwegnahme“ der Beweiswürdigung kann somit nicht die Rede sein. 3.  Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung grundsätzlich unzulässig.229 Der Richter kann eine Beweisablehnung nicht damit begründen, dass er bereits vom Gegenteil der Beweisbehauptung überzeugt sei. Der Bundesgerichtshof begründet seinen Standpunkt in der Anastasia-Entscheidung folgendermaßen: „Verboten ist es dagegen, einen Beweisantrag deshalb abzulehnen, weil das Gericht das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits als erwiesen ansieht; denn die Erfahrung lehrt, daß oft ein einziger Zeuge oder ein einziges sonstiges Beweismittel eine gewonnene Überzeugung völlig erschüttern kann; eine Ablehnung mit dieser Begründung wäre eine verbotene vorweggenommene Würdigung eines nicht erhobenen Beweises.“230

Daher stellt die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine unzulässige „vorweggenommene Beweiswürdigung“231 oder „Beweisanti­zipa­ tion“232 dar, wobei jene Begriffe auch hier synonym verwendet werden.233 229  BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481, 482; BGH, Urt. v. 01.02.1956 – IV ZR 224/55, FamRZ 1956, 147, 149 f.; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 07.01.1965 – Ia ZR 151/63, Warneyer 1965, 71; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261 („Anastasia“); OLG Nürnberg, Urt. v. 19.09.1973 – VIII ZR 102/72, Warneyer 1974, 565; BGH, Urt. v. 18.10.1973 – III ZR 192/71, DRiZ 1974, 27; BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401; BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1350; BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073; BGH, Urt. v. 17.02.2010 – IV ZR 259/08, NJW-RR 2010, 1038, 1039; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384, 1385. 230  BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261 („Anastasia“). 231  BGH, Urt. v. 12.04.1951 – IV ZR 22/50, NJW  1951, 481, 482; BGH, Urt. v. 01.02.1956 – IV ZR 224/55, FamRZ 1956, 147, 149 f.; BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 22.09.1966 – III ZR 224/64, DRiZ 1966, 381; BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260 („Anastasia“); BGH, Urt. v. 19.03.2002 – XI ZR 183/01, NJWRR 2002, 1072, 1073; BGH, Beschl. v. 19.11.2008 – IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BGH, Urt. v. 17.02.2010 – IV ZR 259/08, NJW-RR 2010, 1038, 1039; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384, 1385; BGH, Urt. v. 16.11.2012 – V ZR 179/11, ZIP 2013, 384, 385. 232  BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749, 750. 233  BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 182/10, juris Rn.  10 f.

300

Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

a)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Bereits in einer Entscheidung vom 1. Februar 1956 stellte der Bundesgerichtshof klar, dass eine Zeugenbeweisführung nicht mit der Begründung abgelehnt werden dürfe, dass das Gegenteil der Beweisbehauptung durch Sachverständigengutachten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen sei: „Regelmäßig wird zwar auch ein eindeutiges Gutachten über die Zeugungsunfähigkeit ähnlich wie ein erbbiologisches Gutachten die Glaubwürdigkeit entgegenstehender Zeugenaussagen zu erschüttern vermögen. Aber damit ist nicht gesagt, daß von Anfang an der völlige Unwert des durch den Antrag auf Vernehmung der Zeugin erfolgten Beweisangebotes ersichtlich ist. Mit Recht sieht die Revision deshalb in der Ablehnung des Beweisantrages eine unzulässige Vorauswürdigung des Beweisergebnisses.“234

Generell gilt, dass nicht ohne weiteres eine Beweisführung durch Zeugen abgelehnt werden darf, weil das Gegenteil der Beweisbehauptung durch Sachverständigengutachten bereits festgestellt worden sei. Das gilt insbesondere für Fälle, in denen durch Zeugenbeweis die Tatsachengrundlage, auf der das Gutachten beruht, widerlegt werden soll.235 Dass eine (Gegen-)‌Beweisführung durch Zeugen nicht mit der Begründung abgelehnt werden darf, dass die Beweisbehauptung bereits durch Privatgutachten erwiesen sei, versteht sich indes von selbst.236 Schließlich handelt es sich bei einem Privatgutachten ohnehin „nur“ um einen qualifizierten Parteivortrag. Der Richter darf sich auch aufgrund jeder noch so naheliegenden Vermutung über den Ausgang der beantragten Beweisführung nicht verleiten lassen, sie deshalb abzulehnen.237 Ferner kann eine Zeugenbeweisführung auch nicht allein unter Verweis auf Lichtbilder von vornherein abgelehnt werden, wenn diese nicht über die Beweisbehauptung hinreichend Aufschluss geben. Einen solcherart gelagerten Fall betraf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 1961: „Das Berufungsgericht gründet seine Überzeugung von der Beschaffenheit der Unfallstelle allein auf Lichtbilder, die von der Unfallstelle nach Tagesanbruch aufgenommen worden sind. Nach den Lichterbildern ist der Auffälligkeitswert wenigstens des weißen Begrenzungsstreifens durch Splittbelag in beträchtlichem Grade gemindert gewesen, und es erscheint immerhin denkbar, daß die unmittelbar neben dem betonierten Straßenkörper und von vor den Rückstrahl-

234 

BGH, Urt. v. 01.02.1956 – IV ZR 224/55, FamRZ 1956, 147, 149 f. BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749, 750. 236  BGH, Urt. v. 08.07.2009 – VIII ZR 314/07, NJW  2009, 2894, 2895. 237  Vgl. BGH, Beschl. v. 19.11.2008 – IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BGH, Beschl. v. 11.05.2010 – VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217, 1218; BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 182/10, juris Rn.  11 f. 235 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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steinen gelagerten weißen Leitplanken (…) für den Kraftfahrer irreführend wirken konnten; (…).“238

In jüngerer Zeit hatte der Bundesgerichtshof des Öfteren über die Frage zu entscheiden, ob eine Beweisführung mit der Begründung abgelehnt werden dürfe, dass das Gegenteil der unter Beweis gestellten Beweisbehauptung durch den vorangegangenen Vortrag des Beweisführers (einschließlich seines Prozessbevollmächtigten) als feststehend angesehen werden könne.239 Der Bundesgerichtshof hält eine Beweisablehnung aus diesen Gründen für unzulässig: „Der Umstand, dass der Vortrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 15. Juli 2004 mit seinen Angaben im Schriftsatz vom 10. Oktober 2003 in Widerspruch stehen mag, rechtfertigt die Nichterhebung des angebotenen Beweises ebenfalls nicht. Auch hierin liegt eine vorweggenommene Beweiswürdigung, die im Prozessrecht keine Stütze findet. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere auch zu berichtigen; dies kann nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.“240

Diese Entscheidung erweist sich als richtig. Gerade, weil es einer Partei mit Blick auf ihre Dispositionsbefugnis unbenommen bleibt, ihren ursprünglichen Vortrag aufzugeben oder zu modifizieren,241 ist es nicht zu rechtfertigen, eine Partei an ihrem bisherigen Vortrag festzuhalten. Dementsprechend darf eine Beweisführung nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der Beweisführer habe sich durch sein vorangegangenes Verhalten selbst widerlegt. Die Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen Selbstwiderlegung gilt erst recht im Hinblick auf das vorprozessuale Verhalten des Beweisführers.242 Der Bundesgerichtshof hatte in jüngerer Zeit Gelegenheit, diese Grundsätze zu bestätigen. Das Berufungsgericht hat den Zeugenbeweisantritt des Klägers mit der Begründung abgelehnt, dass der Vortrag des Klägers „ersichtlich falsch“ sei.243 Diese Auffassung stützte das Berufungsgericht unter anderem auf den bisherigen Vortrag des Klägers und auf den Schlussbericht des klägerischen Amts238 

BGH, Urt. v. 04.12.1961 – III ZR 179/60, VersR 1962, 177, 178. In diese Richtung: BGH, Urt. v. 18.01.1962 – III ZR 155/60, DRiZ 1962, 167 f. 239  BGH, Urt. v. 05.07.1995 – KZR 15/94, NJW-RR 1995, 1349, 1341; BGH, Urt. v. 01.07.1999 – VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208; BGH, Urt. v. 17.02.2010 – IV ZR 259/08, NJW-RR 2010, 1038, 1039; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384, 1385; BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728, 729. Soweit das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung an dem früheren Vortrag des Klägers unbeirrt festhält, stellt dies einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung dar: BGH, Urt. v. 12.12.2001 – X ZR 141/00, NJW  2002, 1276, 1277; BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728, 729. 240  BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384, 1385. 241  BGH, Urt. v. 05.07.1995 – KZR 15/94, NJW-RR 1995, 1349, 1341. 242  BGH, Urt. v. 29.01.2002 – XI ZR 86/01, NJW-RR 2002, 774. 243  BGH, Beschl. v. 15.12.2016 – IX ZR 224/15, ZIP 2017, 139.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

vorgängers.244 Der Kläger rügte im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG, da das Berufungsgericht einen erheblichen Beweisantrag unberücksichtigt gelassen hat. Der Bundesgerichtshof teilte diese Rechtsauffassung: „Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art.  103 Abs.  1 GG. (…) Eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung liegt vor, wenn ein angebotener Zeugenbeweis deshalb nicht erhoben wird, weil das Gericht dessen Bekundungen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst. Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises mit der Begründung, es sei bereits das Gegenteil erwiesen, ist grundsätzlich unzulässig. (…) Das Berufungsgericht durfte das Bestreiten des Klägers, sein Amtsvorgänger habe Kenntnis von der streitgegenständlichen Forderung gehabt, nicht übergehen. Selbst wenn es aus dem Schlussbericht des Amtsvorgängers des Klägers entnahm, dass dieser Anfechtungsunterlagen an den Kläger übergeben und Kenntnis von dem streitgegenständlichen Anspruch gehabt hätte, hätte das Berufungsgericht über diese streitigen Tatsachen Beweis erheben müssen, weil der Kläger sich dann gegenbeweislich auf das Zeugnis seines Amtsvorgängers berufen hätte. Ohne diesen angebotenen Beweis zu erheben, durfte das Berufungsgericht seinen Vortrag nicht als ersichtlich falsch ansehen und deshalb als unbeachtlich abtun. Ob der entsprechende klägerische Vortrag glaubhaft ist, ist vom Tatrichter erst nach Vernehmung des angebotenen Zeugen in Verbindung mit den sonstigen Umständen und Indizien zu würdigen. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung ist demgegenüber unzulässig“245

Bloße Vermutungen über das Beweisergebnis, mögen diese auch naheliegend sein, können eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung nicht rechtfertigen. Hierin läge ein klarer Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. b)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Anders, als dies weitgehend in der Literatur behauptet wird,246 ist eine Beweis­ ableh­nung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit nicht ausnahmslos unzulässig. Die Rechtsprechung hat auch hier Ausnahmen anerkannt. In der bereits erwähnten Entscheidung vom 1. Februar 1956 hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass ein Zeugenbeweis unter Verweis auf Sachverständigengutachten abgelehnt werden dürfe, dem nach Maßgabe der konkreten Fallgestaltung „absolute Beweiskraft“ zukomme.247 Das gilt ferner dann, wenn die bisherigen gutachterlichen Feststellungen nach Maßgabe wissenschaftlicher Erkenntnisse den 244 

BGH, Beschl. v. 15.12.2016 – IX ZR 224/15, ZIP 2017, 139. BGH, Beschl. v. 15.12.2016 – IX ZR 224/15, ZIP 2017, 139, 140. 246  Teil 2, A.II.3.a)cc). 247  BGH, Urt. v. 01.02.1956 – IV ZR 224/55, FamRZ 1956, 147, 149. 245 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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zwingenden und zweifelsfreien Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache zulassen, sodass eine Gegenbeweisführung, insbesondere mittels Sachverständigengutachten, von vornherein ohne jeden Erfolg ist.248 Des Weiteren war der Bundesgerichtshof in der ebenfalls bereits erwähnten Entscheidung vom 4. Juni 1956 der Auffassung, dass ein Zeugenbeweis mit der Begründung abgelehnt werden dürfe, dass „alle anderen vernommenen Zeugen übereinstimmend das Gegenteil bestätigt hatten“ und die angeblichen Beobachtungen schon deshalb nicht hätten gemacht werden können, weil „der Signalnachen keine Beschädigungen aufwies.“249 Hier ist zu differenzieren: Der Verweis auf bereits vernommene Zeugen erweist sich als unbegründet. Es gibt keinen zwingenden Erfahrungssatz und keine wissenschaftliche Erkenntnis, wonach durch Zeugenaussagen eine streitige Tatsache mit derart abschließender Gewissheit erwiesen wäre, dass jede Gegenbeweisführung von vornherein ausscheiden müsse. Was jedoch den Verweis auf die Beschädigung betrifft, so kann diese die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit begründen. Es ist naturgesetzlich nachweisbar, dass die Kollision eines Schiffes mit einem Signalnachen eine Beschädigung an Letzterem verursacht. Ist der Signalnachen jedoch unbeschädigt, so ist zwingend davon auszugehen, dass keine Kollision an dortiger Stelle stattgefunden hat. Die Gegenbeweisführung durch Zeugen ist aus diesem Grund von vornherein abzulehnen. Sie erweist sich aufgrund determinierter Beweiswürdigung des Gerichts als relativ-subjektiv unerheblich und damit als zwecklos. Sollte das Gericht gleichwohl anders entscheiden und damit gegen Naturgesetze verstoßen, so überschreitet es die zulässigen Grenzen der freien Beweiswürdigung und verstößt gegen §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO. Ähnlich gestaltet sich auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. April 1959.250 Die Parteien stritten über den Zustand der Straßenoberfläche am Unfallort und über die Frage, inwieweit dieser zu der Unfallverursachung beigetragen hat. Der Revisionsführer behauptete, dass sich die Straße in einem verkehrssicheren Zustand befunden habe. Als Beweis hierfür beantragte er die Vernehmung des Wegmeisters und weitere Gemeindearbeiter, die vier Jahre vor dem Unfall die Straße angelegt hatten. Das Berufungsgericht lehnte die Beweisaufnahme mit der Begründung ab, dass inzwischen fast vier Jahre seit dem Unfall vergangen seien und dass mit Rücksicht auf Lichtbilder der Polizei von der Unfallstelle die beantragten Zeugen außerstande sein werden, die Überzeugung des Gerichts vom verkehrswidrigen Zustand des in Rede stehenden Straßenab248  Vgl. zum Vaterschaftsprozess: BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XII ZR 155/92, NJW  1994, 1348, 1349 f. 249  BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480. 250  BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

schnitts zu erschüttern. Der Bundesgerichtshof hielt die Beweisablehnung mit dieser Begründung für gerechtfertigt: „Im vorliegenden Fall kann man dem Urteil aber entnehmen, daß nach der Überzeugung des Berufungsgerichts die Beweismittel ‚völlig ungeeignet‘ waren. Denn die bei den Akten befindlichen und von der Polizei am Tage nach dem Unfall hergestellten Lichtbilder der Unfallstelle lassen ganz eindeutig gefährliche Vertiefungen auf der Straße erkennen. Bei der Art des Beweisthemas durften diese amtlichen Feststellungen der unmittelbar nach dem Unfall mit der Aufklärung befaßten Amtspersonen und die Aussagen der Augenzeugen des Unfalls so sicher erscheinen, daß gegenteilige Aussagen der Straßenarbeiter ‚völlig ungeeignet‘ sein mußten, wenn sie sich erst vier Jahre nach dem Unfall äußern sollten, ohne daß dargelegt war, weshalb sie an dieses bestimmte Straßenstück eine Erinnerung über den damaligen Zustand haben konnten.“251

Die Vernehmung der beantragten Zeugen wurde zu Recht abgelehnt. Zwar kann das nicht unter Verweis auf die zwischen Wahrnehmung und Wiedergabe liegende Zeit gerechtfertigt werden.252 Die Beweisablehnung ist aber deshalb gerechtfertigt, weil der Zustand der Straße kurz nach dem Unfallgeschehen durch Lichtbildaufnahmen dokumentiert worden ist. Soweit anhand der Lichtbilder der Straßenzustand hinreichend deutlich erkennbar wird, ist ausgeschlossen, dass eine Gegenbeweisführung durch Zeugen gelingen wird. Der die Beweisablehnung stützende Erfahrungssatz ließe sich notfalls gutachterlich belegen. In diesem Sinne fiel auch eine Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 17. Mai 1988 aus.253 Die Parteien stritten um Schadensersatzansprüche wegen erlittener Verletzungen im Rahmen eines Fußballspiels. Der Kläger wollte zur Begründung seines Anspruchs den Nachweis eines regelwidrigen Verhaltens des Beklagten durch Zeugenbeweis führen. Das Landgericht Stuttgart sah von der beantragten Zeugenvernehmung indes ab, da durch Lichtbilder und eine Videoaufzeichnung mit abschließender Sicherheit festgestellt werden konnte, dass ein Regelverstoß des Beklagten nicht vorlag. Im Einzelnen: „Die Kammer hat eine Videoaufzeichnung, die die strittige Spielszene zeigt, sowohl in normalem Tempo als auch in verlangsamtem Tempo sowie als Einzelbildaufnahme mehrmals angeschaut. Ergänzend wurden die von der Kl.-Seite vorgelegten sechs Lichtbilder verwertet, die die Spielszene aus einer anderen Perspektive zeigen. Videoaufzeichnung und Lichtbilder zeigen die Spielszene so hinreichend deutlich, daß nach Ansicht der Kammer allein aus ihnen, ohne weitere Zeugenvernehmung, der tatsächliche Ablauf entnommen werden kann. Ihr großer Vorteil, der sie als einer Zeugenvernehmung weit überlegene Beweismittel erscheinen läßt, besteht darin, daß die umstrittene Szene beliebig oft angeschaut werden kann, während ein Zeuge die Szene unmittelbar nur ein einziges Mal gesehen hat und nur diesen einen Eindruck, den er in diesem Moment erhalten hat, wiedergeben kann und soll. Hinzu kommt, daß sich 251 

BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252. Teil 2, A.II.2.a). 253  LG Stuttgart, Urt. v. 17.05.1988 – 25 O 29/88, NJW-RR 1988, 1241. 252 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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beim Zeugen infolge Zeitablaufs Erinnerungslücken und Ungenauigkeiten ergeben können, abgesehen davon, daß auch emotionale Einflüsse, je nach Sympathiezuwendung, die Aussage beeinflussen können, ohne daß der Zeuge aus seiner Sicht etwas Unrichtiges sagt.“254(Hervorh. d. Verf.)

Die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart kann als Vorbild für einen korrekten Umgang mit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung herangezogen werden. Es begründet die Ablehnung der Zeugenvernehmung nicht etwa damit, dass diese aufgrund Zeitablaufs keine Erinnerung an die konkrete Spielszene mehr hätten, oder dass ihnen aus emotionaler Verbundenheit zu den Spielern nicht zu glauben wäre. Es sah sich aufgrund von Lichtbildern und einer Videoaufzeichnung in der Lage, die umstrittene Spielszene abschließend zu bewerten, sodass eine Gegenbeweisführung durch Zeugen die Überzeugung des Gerichts nicht hätte erschüttern können. c) Ergebnis Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist zwar regelmäßig unzulässig. Doch auch hier sind Ausnahmen möglich. Vor dem Hintergrund des dieser Untersuchung zugrundeliegenden systematischen Ansatzes verwundert dies freilich nicht. Regeln über die Beweisablehnung wegen absolut- und relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung sind zwingend die gleichen. Ihre Anwendung war jedoch nicht immer fehlerfrei. So ist es unzulässig, wenn der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 4. Juni 1956 die Zeugenablehnung unter anderem damit rechtfertigt, dass das Gegenteil der Beweisbehauptung durch anderweitige Zeugen bereits erwiesen sei.255 In der Anastasia-Entscheidung vom 17. Februar 1970 stellt der Bundesgerichtshof selbst fest, dass eine „Ablehnung mit dieser Begründung (…) eine verbotene vorweggenommene Würdigung eines nicht erhobenen Beweises (wäre).“256 Abgesehen davon geht der Bundesgerichtshof – zu Recht – immer dann von der relativ-subjektiven Unerheblichkeit einer Beweisführung aus, wenn das Ergebnis der Beweiswürdigung aufgrund zwingender Erfahrungssätze oder Naturgesetze vorab feststeht. Um möglichen Irritationen vorzubeugen, sei abschließend darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof in seiner älteren Rechtsprechung die Begriffe „völliger Unwert“ oder „völlige Ungeeignetheit“, anders als heute, sowohl im Zusammenhang mit der absolut- als auch mit der relativ-subjektiven Unerheb-

254 

LG Stuttgart, Urt. v. 17.05.1988 – 25 O 29/88, NJW-RR 1988, 1241. BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480. 256  BGH, Urt. v. 17.02.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261 („Anastasia“). 255 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

lichkeit der Beweisführung verwendet hat.257 Nach seinem Begriffsverständnis war der „völlige Unwert“ gleichbedeutend mit der subjektiven Unerheblichkeit, der sich seinerseits untergliedern lässt in die Gründe, die zum Unwert des Beweismittels führen: einerseits Eigenschaften, die dem Beweismittel selbst innewohnen (absolut-subjektive Unerheblichkeit) oder andererseits Umstände, die Rückschlüsse auf das Beweismittel zulassen (relativ-subjektive Unerheblichkeit). Wann der Begriff der „völligen Ungeeignetheit“ diese Zweideutigkeit – man könnte auch von einer Janusköpfigkeit sprechen – abgelegt hat und nur noch im Zusammenhang der absolut-subjektiven Unerheblichkeit verwendet wurde, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr sicher rekonstruieren. 4.  Zusammenfassung Sobald das Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze oder wissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze oder Naturgesetze determiniert ist, ist kein Raum für freie richterliche Beweiswürdigung. Die Beweisführung als solche stellte dann bloße Förmelei dar, da das von ihr zu erreichende Ergebnis ohnehin von vornherein feststeht. Der eigentliche Zweck der Beweisführung, nämlich das Einflussnehmen auf die richterliche Überzeugungsbildung, ist nicht mehr erreichbar. Die Beweiserhebung hat infolge der Zwecklosigkeit zu unterbleiben. Die ausgewertete Rechtsprechung zeigt, dass der Bundesgerichtshof und – soweit ersichtlich – die Obergerichte die zulässigen Grenzen einer Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung unter gleichzeitiger Beachtung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung einhalten. Gleichwohl ist es bisher nicht gelungen, eine allgemeinverbindliche Formel aufzustellen, wodurch diese Grenzen verlässlich abgebildet werden könnten. Dies hätte für die tägliche Rechtspraxis einen bedeutenden Wert. Immerhin ließe sich dadurch für die Untergerichte verlässlich absehen, wann eine Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung zulässig ist und wann nicht. Gleichzeitig könnte dem in der Literatur vorherrschenden Meinungsbild, wonach die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit generell, die wegen absolut-subjektiver der Beweisführung Unerheblichkeit in aller Regel unzulässig sei, feste Konturen verliehen werden. Damit wird die Beweisablehnung wegen subjektiver 257 

Vgl. nur: BGH, Urt. v. 04.06.1956 – III ZR 238/54, NJW  1956, 1480; BGH, Urt. v. 20.04.1959 – III ZR 41/58, DRiZ 1959, 252; BGH, Urt. v. 08.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 1960, 225, 226; BGH, Urt. v. 07.01.1965 – Ia ZR 151/63, Warneyer 1965, 71; OLG Nürnberg, Urt. v. 19.09.1973 – VIII ZR 102/72, Warneyer 1974, 565; BGH, Urt. v. 16.09.1986 – VI ZR 128/85, NJW-RR 1986, 1400, 1401; BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02, NJW  2003, 2527, 2528; BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 182/10, juris, Rn.  13.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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Unerheblichkeit der Beweisführung, die stets und ausnahmslos das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zu beachten hat, auf eine dogmatisch nachvollziehbare und damit verallgemeinerungsfähige Grundlage gestellt.

IV.  Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder Die Anerkennung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht durch das Bundesverfassungsgericht ist vergleichsweise jung.258 Über dessen Inhalt und Grenzen ist nur wenig bekannt. Vor diesem Hintergrund wurde der Versuch unternommen, anhand des „Stütze“-Kriteriums dem verfassungsrechtlich unterlegten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ein verfassungsspezifisches Gepräge zu verleihen, das ihn von dessen verfahrensrechtlichem Pendant unterscheidbar werden lässt.259 Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob und in welchen Fällen das Bundesverfassungsgericht eine Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung nach Maßstab des Art.  103 Abs.  1 GG für zulässig erachtet. 1.  Die Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags mit Art.  103 Abs.  1 GG unvereinbar, wenn diese im Prozessrecht „keine Stütze“ findet.260 Das gilt aber nur, soweit der Beweisantrag „erheblich“ ist. Ist ein Beweisantrag indes „unerheblich“, bedarf es für dessen Ablehnung auch keiner weitergehenden „Stütze“. Die258 

Teil 1, B.II.4.a). Teil 1, B.V.2.b). 260  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247, 249; BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 1 BvR 1429/81, BVerfGE 60, 250, 252; BVerfG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305, 307; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW  1990, 3259, 3260; BVerfG, Beschl. v. 18.06.1993 – 2 BvR 1815/92, NVwZ 1994, 60, 61; BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, 311; BVerfG, Beschl. v. 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, BVerfGE 106, 28, 49; BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW-RR 2003, 1655; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f.; BVerfG, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 BvR 2441/10, juris, Rn.  11; BVerfG, Beschl. v. 26.10.2011 – 2 BvR 320/11, FamRZ 2012, 185, 186; BVerfG, Beschl. v. 24.05.2012 – 1 BvR 3221/10, juris, Rn.  38; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, juris, Rn.  32; BVerfG, Beschl. v. 14.03.2013 – 1 BvR 1457/12, juris, Rn.  10; BVerfG, Beschl. v. 06.05.2015 – 1 BvR 2724/14, JZ 2015, 1053, 1054. Das „Stütze“-Kriterium findet seinen Ursprung in BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 259 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

sen Grundsatz wiederholte das Bundesverfassungsgericht erst wieder in einer Entscheidung vom 19. Dezember 2016: „Zwar verbietet Art.  103 Abs.  1 GG den Gerichten nicht, Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt zu lassen. Jedoch verstößt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots gegen Art.  103 Abs.  1 GG, wenn es im Prozessrecht keine Stützte mehr findet.“261

Dementsprechend stellt die bloße Nichtberücksichtigung einer objektiv erheblichen Beweisführung einen Verstoß gegen Art.  103 Abs.  1 GG dar.262 Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine objektiv erhebliche Zeugenvernehmung ohne ersichtlichen Grund übergangen wird.263 Ist der Beweisantrag indes objektiv unerheblich, darf und muss das Gericht von dessen Erhebung absehen.264 Gleiches gilt, wenn das Gericht die Beweiserheblichkeit aufgrund der unsubstantiierten Beweisführung nicht beurteilen kann265 oder wenn die Beweisbehauptung erkennbar aufs Geratewohl und damit „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist.266 2.  Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Ausgehend von dem hier vertretenen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff,267 müssten die eben genannten Grundsätze auch für die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung gelten. Der verfassungsrechtlich unterlegte Grundsatz der richterlichen Beweiserhe261 

BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15. BVerfG, Beschl. v. 22.01.1993 – 1 BvR 1433/92, juris, Rn.  8; BVerfG, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 BvR 2441/10, juris, Rn.  11; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, juris, Rn.  32, 39; BVerfG, Beschl. v. 06.05.2015 – 1 BvR 2724/14, JZ 2015, 1053, 1054; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  15, 19. 263  BVerfG, Beschl. v. 14.09.1989 – 1 BvR 674/89, NJW  1989, 3007; BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW  1990, 3259, 3260; BVerfG, Beschl. v. 30.06.1993 – 2 BvR 459/93, NJW  1993, 2165; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  17 ff. Vgl. ferner: StGH BW, Urt. v. 23.03.2015 – 2/15, 1 VB 2/15, NJW  2015, 1869, 1870 für die unterlassene Einholung einer amtlichen Auskunft. 264  BVerfG, Urt. v. 19.03.1959 – 1 BvR 295/58, BVerfGE 9, 223, 231; BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 187; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, 311; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586. Speziell für Baden-Württemberg unter Bezugnahme auf Art.  2 Abs.  1 LV: StGH BW, Urt. v. 02.02.2015 – 1 VB 45/14, juris, Rn.  55. 265  BVerfG, Beschl. v. 30.07.1996 – 1 BvR 634/94, ZIP 1996, 1761, 1762; BVerfG, Beschl. v. 14.03.2013 – 1 BvR 1457/12, juris, Rn.  10. 266  BVerfG, Beschl. v. 29.08.1995 – 2 BvR 175/95, NJW  1995, 183, 184. 267  Teil 2, A.II.1.b) und A.II.1.c). 262 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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bungspflicht kommt somit nicht nur bei objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung, sondern auch bei absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung nicht zur Entstehung. Denn die Beweisführung ist auch in diesem Fall zwecklos; eine Beweiserhebung muss unterbleiben.268 Das Bundesverfassungsgericht verwendet indes im Anschluss an das heute in Literatur und Rechtsprechung gängige Begriffsverständnis einen objektiven Erheblichkeitsbegriff.269 Aus diesem Grund bedarf die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit einer „Stütze“ im Prozessrecht. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang, in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der Beweisablehnung wegen „völligen Unwerts“270 oder „Ungeeignetheit“271 des Beweismittels,272 „wobei bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet größte Zurückhaltung geboten ist.“273 Von der Ungeeignetheit eines Beweismittels könne erst dann ausgegangen werden, wenn durch die Beweisführung im Einzelfall sachdienliche Erkenntnisse im Hinblick auf die Beweisbehauptung nicht zu erwarten sind.274 a)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Wie bereits das Reichsgericht,275 der Oberste Gerichtshof276 und der Bundesgerichtshof,277 vertritt auch das Bundesverfassungsgericht die Ansicht, dass die Ableh­nung einer Zeugenvernehmung nicht damit begründet werden darf, dass 268 

Teil 2, A.I. Vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f.; BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144; BVerfG, Beschl. v. 22.01.1993 – 1 BvR 1433/92, juris, Rn.  7 f.; BVerfG, Beschl. v. 17.09.1999 – 1 BvR 47/99, NJW  2000, 1327; BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, BVerfGK 3, 143, 145; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11, juris, Rn.  34, 39; BVerfG, Beschl. v. 19.12.2016 – 2 BvR 1997/15, juris, Rn.  18. Ebenso: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 48. Lfg. November 2006, Art.  103 Rn.  86. 270  BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254, 255. 271  BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254, 255; BVerfG, Beschl. v. 02.10.2003 – 2 BvR 149/03, NJW  2004, 1443; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586. 272  Wie bereits festgestellt, handelt es sich hierbei um Beweisablehnungsgründe, die die Folge eines sich zusehendes gewandelten Erheblichkeitsbegriffs sind (vgl. Teil 2, A.II.1.b)cc)). 273  BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254, 255. 274  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254, 255; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586. 275  Teil 2, B.I.2.a). 276  Teil 2, B.II. 277  Teil 2, B.III.2.a). 269 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

aufgrund der persönlichen Nähe des Zeugen zum Beweisführer keine weitere Sachaufklärung zu erwarten sei.278 Im konkreten Fall führte das Bundesverfassungsgericht Folgendes aus: „Das Amtsgericht erhob den Beweis nicht, weil es sich wegen der persönlichen Nähe der Zeugen zu den Beteiligten davon keine Aufklärung des Sachverhalts versprach. Hierbei handelt es sich um eine typische vorweggenommene Beweiswürdigung, die im Prozeßrecht keine Stütze findet.“279

Obwohl das Bundesverfassungsgericht in der Sache Recht hat, ist die Begründung terminologisch etwas unglücklich formuliert. Die Beweisablehnung beruht im konkreten Fall auf der rechtsfehlerhaften Annahme des Amtsgerichts, dass das Beweismittel ungeeignet sei, etwas zur Sachaufklärung beizutragen. Der in Ansatz gebrachte Beweisablehnungsgrund ist somit die „Ungeeignetheit des Beweismittels“. Diese muss im Prozessrecht eine Stütze finden. Da aber nicht von vornherein mit letzter Sicherheit feststeht, dass die Beweisführung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung haben wird, stellt dessen Ablehnung eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar. Wenn das Bundesverfassungsgericht nunmehr ausführt, dass die „vorweggenommene Beweiswürdigung“ keine Stütze im Prozessrecht findet, geht es irrig davon aus, dass die „vorweggenommene Beweiswürdigung“ ihrerseits einen Beweisablehnungsgrund darstelle. Das ist falsch. Das Bundesverfassungsgericht verwechselt hier offenbar Ursache und Wirkung. Die Ursache (der Beweisablehnungsgrund) findet im Prozessrecht eine Stütze, wenn sie nicht zur Wirkung hat, dass die Beweiswürdigung vorweggenommen wird. In gleicher Weise verstößt es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gegen Art.  103 Abs.  1 GG, wenn das Gericht von einer Beweiserhebung absieht, weil es aufgrund bloßer Vermutungen davon ausgeht, dass die unter Beweis gestellten Bekundungen oder Wahrnehmungen durch das Beweismittel nicht gemacht werden konnten280 oder können.281 Kein Fall einer Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist es dagegen, wenn das Gericht eine beantragte Beweisfüh278  BVerfG, Beschl. v. 18.07.1994 – 1 BvR 1177/93, NJW-RR 1995, 441. Im Anschluss daran für die Inaugenscheinnahme einer privaten Videoaufzeichnung und deren unzulässige Ablehnung, vgl. VerfGH Berlin, Beschl. v. 15.01.2014 – 179/12, NJW  2014, 1084, 1085. 279  BVerfG, Beschl. v. 18.07.1994 – 1 BvR 1177/93, NJW-RR 1995, 441. 280  Für den Zeugenbeweis: BVerfG, Beschl. v. 24.10.2007 – 1 BvR 1086/07, BVerfGK 12, 346, 350 f. 281  Für den Sachverständigenbeweis: BVerfG, Beschl. v. 25.10.2002 – 1 BvR 2116/01, NJW  2003, 1655, 1656; BVerfG, Beschl. v. 10.02.2009 – 1 BvR 1232/07, NJW  2009, 1585, 1586. Im Anschluss daran, vgl. VerfGH Berlin, Beschl. v. 16.12.2008 – 121/03, NJW-RR 2009, 1362, 1363.

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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rung mit der Begründung ablehnt, dass diese in Relation zum Streitwert „höchst unökonomisch“ sei.282 Die Geeignetheit des Beweismittels steht hier außer Frage. In dem vom Bundesverfassungsgericht am 8. November 1978 zu entscheidenden Fall beruhte die Beweisablehnung nicht etwa darauf, dass es aufgrund einer bestimmten Eigenschaft, die dem Beweismittel innewohnt, diesem von vornherein jeden Beweiswert abgesprochen hätte.283 Das Gericht bemühte vielmehr einen Beweisablehnungsgrund (unökonomische Beweisführung), der der Zivilprozessordnung gänzlich und in jeder Hinsicht fremd ist.284 Vergleichbares gilt auch für den Fall, dass ein Gericht unter Bezugnahme auf §  379 S.  2 ZPO von einer Beweiserhebung absieht, weil der Auslagenvorschuss für eine Zeugenvernehmung nicht rechtzeitig erstattet worden ist.285 Nach dem eindeutigen Wortlaut des §  379 S.  2 ZPO erlaubt ein Fristsäumnis nur die Nichtladung des Zeugen durch das Gericht. Ob der Zeuge tatsächlich von der Beweisaufnahme ausgeschlossen ist, beurteilt sich nach Ansicht der Rechtsprechung allenfalls nach §  296 Abs.  2 ZPO.286 Um einen Fall einer Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung (völliger Ungeeignetheit des Beweismittels) handelt es sich hierbei nicht. b)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Steht dagegen mit Sicherheit fest, dass ein beantragter Zeuge die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nicht wahrgenommen haben kann oder nicht beurteilen können wird, so ist eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  36; Prütting, in: MüKo, ZPO, Bd.  1, 5.  Aufl., §  284 Rn.  98; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 12.  Aufl., §  284 Rn.  21; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3 Rn.  42. Anders dagegen Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd.  4, 22.  Aufl., §  284 Rn.  71, der die genannte Fallgruppe als eine unzulässige Beweisablehnung wegen „Überflüssigkeit des Beweises“ behandelt. Lediglich Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  6, verortet die unzulässige Beweisablehnung wegen unökonomischer Beweisführung richtig. Er erwähnt sie gesondert und außerhalb von den Fällen der zulässigen Beweisablehnung nach Maßgabe zivilprozessualer Grundsätze, vgl. hierzu Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd.  4, 4.  Aufl., §  284 Rn.  91 ff. 283  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 284  BVerfG, Beschl. v. 08.11.1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 33 f. 285  BVerfG, Beschl. v. 30.01.1985 – 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141, 144. In diese Richtung: BVerfG, Beschl. v. 17.09.1999 – 1 BvR 47/99, NJW  2000, 1327; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 743/03, BVerfGK 3, 143, 145. 286  BGH, Beschl. v. 10.02.2011 – VII ZR 155/09, NJW-RR 2011, 526. Zum Meinungsstreit: vgl. Damrau, in: MüKo, ZPO, Bd.  2, 5.  Aufl., §  379 Rn.  10 m. w. N. 282  A. A.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise in einer Entscheidung vom 16. Dezember 2008 eine Beweisablehnung für zulässig erachtet, die sich im Wesentlichen darauf stützte, dass die Beweisbehauptung – Nachweis eines Kausalzusammenhangs – durch das Beweismittel – Zeuge – nicht erwiesen werden kann.287 Der entsprechende Nachweis könne nur durch Sachverständigenbeweis geliefert werden.288 Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 2. Oktober 2003 eine Beweisablehnung für zulässig erachtet, die das Gericht (Strafgericht) damit begründete, dass die beantragte Zeugenvernehmung mit Blick auf die zwischenzeitlich verstrichene Zeit und die unbedeutenden Vorgänge völlig ungeeignet sei, die Beweisbehauptung zu belegen.289 Das Bundesverfassungsgericht begründete dies wie folgt: „Völlig ungeeignet ist ein Beweismittel, wenn ohne Rücksicht auf das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme die Lebenserfahrung die sichere Prognose zulässt, dass die Beweiserhebung mit dem beantragten Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erbringen kann. Angesichts dessen, dass die Zeugen für einen im Zeitpunkt ihrer Benennung bereits mehr als neun Monate zurückliegenden Vorgang benannt wurden, der für sie völlig unbedeutend war, ist die Annahme des Landgerichts, die Zeugen seien ungeeignet, nicht willkürlich. Weder aus dem fachgerichtlichen noch aus dem Beschwerdevortrag lassen sich Anhaltspunkte entnehmen, die es zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen ließ, dass sich die Zeugen (in) außergewöhnlicher Weise an die Anwesenheit bestimmter Personen an einem bestimmten Abend zu erinnern vermögen.“290

Die im konkreten Fall vom Gericht vorgenommene Prognose genügte offenbar den strafprozessualen Anforderungen, die an eine Beweisablehnung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels gestellt werden.291 Den zivilprozessualen Anforderungen genügte eine solche Prognose jedenfalls nicht. Sie erfordert mehr als nur eine allgemeine Lebenserfahrung im Sinne eines einfachen Erfahrungssatzes. Der Beweisprognose muss zumindest ein allgemeiner Erfahrungssatz zugrunde liegen, damit die Beweiswürdigung gänzlich determiniert und damit Beweiserhebung obsolet ist. Die allgemeine Lebenserfahrung bietet allenfalls eine 287 

VerfGH Berlin, Beschl. v. 16.12.2008 – 121/03, NJW-RR 2009, 1362, 1363. VerfGH Berlin, Beschl. v. 16.12.2008 – 121/03, NJW-RR 2009, 1362, 1363. 289  BVerfG, Beschl. v. 02.10.2003 – 2 BvR 149/03, NJW  2004, 1443. 290  BVerfG, Beschl. v. 02.10.2003 – 2 BvR 149/03, NJW  2004, 1443. 291  Das Kriterium der „Lebenserfahrung“ ist der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen entlehnt, worunter offenbar auch die persönliche Lebenserfahrung des Gerichts fällt, vgl. nur: BGH, Beschl. v. 15.09.1994 – 1 StR 424/94, NStZ 1995, 45; BGH, Beschl. v. 06.03.2008- 5 StR 617/07, NStZ 2008, 351, 352; BGH, Beschl. v. 27.05.2009 – 1 StR 218/09, NStZ 2010, 52; BGH, Beschl. v. 05.10.2011 – 4 StR 465/11, NStZ-RR 2012, 51, 52; BGH, Urt. v. 30.01.2013 – 2 StR 468/12, NStZ-RR 2013 185. Hierzu zu Recht kritisch: Trüg/ Habertha, in: MüKo, StPO, Bd.  2, §  244 Rn.  280 ff. 288 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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gewisse Indikation, die die Beweiswürdigung als solche aber nicht entbehrlich werden lässt.292 Da keinesfalls mit abschließender Sicherheit ausgeschlossen ist, dass ein Zeuge Angaben zu einer streitentscheidenden Tatsache machen kann, die aus Sicht eines Dritten sich als unbedeutend darstellt und an die man sich für gewöhnlich auch nicht länger als neun Monate erinnert, wäre der beantragten Zeugenvernehmung im Zivilprozess stattzugeben. Es ist Sache des Richters, im Rahmen der freien Beweiswürdigung festzustellen, ob der Zeuge tatsächlich keine Angaben zur Sache machen kann. Steht dies von vornherein nicht mit letzter Sicherheit fest, wird durch die Beweisablehnung die Beweiswürdigung vorweggenommen. Soweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der zivilprozessualen Kommentarliteratur auf Zustimmung stößt,293 ist dem entschieden entgegenzutreten. Solange nicht – hilfsweise mittels Sachverständigengutachtens – von vornherein und mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann, dass die unter Beweis gestellten Beobachtungen durch den zu vernehmenden Zeugen nicht gemacht werden konnten, darf die Beweisführung nicht abgelehnt werden. Andernfalls liegt mangels determinierter Beweiswürdigung ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung vor. c) Ergebnis Abgesehen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Oktober 2003, sind die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit stellt, deckungsgleich mit denen des Bundesgerichtshofs. Sie werden im Übrigen dem hier entwickelten Lösungsansatz gerecht. 3.  Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher selten über Fälle zu entscheiden, in denen der Beschwerdeführer eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung als unzulässig rügte. Dass das Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass eine beantragte Beweisführung grundsätzlich nicht mit Verweis auf eine bereits gegenteilig getroffene Feststellung abgelehnt werden darf, stellt es in einer Entscheidung vom 292 

Teil 2, A.II.3.b). Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 75.  Aufl., §  286 Rn.  36; Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9.  Aufl., §  284 Rn.  48; ders., in: Handbuch der Beweislast, 3.  Aufl., Kap.  3 Rn.  42; Greger, in: Zöller, ZPO, 31.  Aufl., Vor §  284 Rn.  10a. 293 

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

28. Februar 1992 ausdrücklich klar.294 Der Beschwerdeführer hat zum Beweis dafür, dass er durch seinen Prozessbevollmächtigten noch fristgerecht eine Berufungsschrift in den Nachtbriefkasten des zuständigen Landgerichts eingeworfen hat, seinen Prozessbevollmächtigten und dessen Fahrer als Zeuge benannt. Das Berufungsgericht lehnte die Beweisanträge indes ab, da es nach amtlicher Auskunft der Justizbediensteten davon überzeugt gewesen sei, dass die Berufungsschrift verspätet in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden war. Diese Begründung hielt der verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand: „Die Auffassung des Gerichts im angegriffenen Beschluß, der vom Beschwerdeführer angebotene Zeugenbeweis für die Richtigkeit seiner Behauptung des rechtzeitigen Eingangs der Berufungsschrift habe unberücksichtigt bleiben dürfen, beruht auf einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung und vermag deshalb die angegriffene Entscheidung im Hinblick auf rechtsstaatliche Erfordernisse eines wirksamen Rechtsschutzes in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht zu tragen. (…) Es ist auch nicht offensichtlich wertlos. Sollten sich aufgrund der Urkunden und dienstlichen Äußerungen der Justizbediensteten Zweifel an der Glaubwürdigkeit von etwaigen – den Vortrag des Beschwerdeführers bestätigenden – Aussagen der beiden benannten Zeugen ergeben, so könnten diese zwar vom Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung aufgezeigt und der Entscheidung zugrundegelegt werden. Ohne die Erhebung der angetretenen Beweise durfte das Gericht die vorgefundene Beweislage jedoch aufgrund der schon zutagegetretenen Unwägbarkeiten nicht von vornherein als durch jeden anderen Beweis unerschütterlich qualifizieren.“295

Das Bundesverfassungsgericht konstatiert, dass allein aufgrund der gegenteiligen Äußerungen der Justizbediensteten nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die benannten Zeugen die bisherige Überzeugung des Gerichts zu erschüttern vermögen. Die Entscheidung ist richtig. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn das Ergebnis der Beweiswürdigung durch die vorangegangenen Feststellungen determiniert gewesen wäre. Da die Richtigkeit der Äußerungen der Justizbediensteten weder durch eine gesetzliche Beweisregel, noch durch einen allgemeinen Erfahrungssatz, oder durch wissenschaftliche Erkenntnisse, Denkgesetze oder Naturgesetze feststeht, durfte die Gegenbeweisführung nicht abgelehnt werden. Zu demselben Ergebnis kam das Bundesverfassungsgericht in einer etwas später ergangenen Entscheidung vom 22. Januar 2001. Auch hier hielt es die Ablehnung verschiedener Zeugenvernehmungen mit Verweis auf eine gegenteilige behördliche Mitteilung für unvereinbar mit Art.  103 Abs.  1 GG.296 Dies begründete das Bundesverfassungsgericht im Kern folgendermaßen: 294 

BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254. BVerfG, Beschl. v. 28.02.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW  1993, 254. 296  BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007. 295 

B.  Die Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung

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„Das Oberlandesgericht erhob die weiteren angebotenen Beweise nicht, da es den von der Beschwerdeführerin benannten Zeugen in Anbetracht der behördlichen Mitteilung offensichtlich nicht mehr allzu viel Gewicht beimaß. Hierin ist der Fall einer vorweggenommenen Beweiswürdigung zu sehen, die im Prozessrecht keine Stütze findet. (…) Denn mag eine Behauptung auch recht unwahrscheinlich erscheinen, so ist doch die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass durch die Erhebung des angebotenen Beweises die bisherige Überzeugung des Gerichts erschüttert wird.“297

4.  Zusammenfassung Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung orientiert sich ganz wesentlich an der des Bundesgerichtshofs. Eigene Prüfkriterien, insbesondere im Umgang mit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung, sind nicht erkennbar. Obwohl dem Bundesverfassungsgericht, mit Ausnahme der Entscheidung vom 2. Oktober 2003 (s. o.), nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, es missachte das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, gelingt es auch ihm nicht, allgemeinverbindliche Grundsätze aufzustellen, wann eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung zulässig ist und wann nicht. Nach dem hier vertretenen gemischt objektiv-subjektiven Erheblichkeitsbegriff bedarf weder die Beweisablehnung wegen objektiver, noch die wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung einer „Stütze“ im Prozessrecht. Erweist sich eine Beweisführung als unerheblich, ist ihr von vornherein nicht stattzugeben. Auch der verfassungsrechtlich unterlegte Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht gelangt insoweit nicht zur Geltung. Ungeachtet dessen ist nochmals auf eine terminologische Unstimmigkeit des Bundesverfassungsgerichts aufmerksam zu machen: In den Entscheidungen vom 18. Juni 1994 und 22. Januar 2001 (s. o.) ist die Rede davon, dass die vorweggenommene Beweiswürdigung „im Prozessrecht keine Stütze findet“. Der Begriff „vorweggenommene Beweiswürdigung“ wird vom Bundesverfassungsgericht offensichtlich falsch verwendet. Denn das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist kein Ablehnungsgrund und wird von den Fachgerichten auch nicht als ein solcher verstanden. Lediglich durch eine Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung (Ungeeignetheit des Beweismittels oder Erwiesenheit des Gegenteils) kann gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verstoßen werden, wenn das Gericht irrigerweise davon ausgeht, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung ein determiniertes sei und damit die Beweisführung auf das Ergebnis der richterlichen Überzeugung Einfluss haben wird. 297 

BVerfG, Beschl. v. 22.01.2001 – 1 BvR 2075/98, NJW-RR 2001, 1006, 1007.

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Teil 2: Die Bedeutung des Verbots für die Beweisablehnung

C.  Gesamtergebnis Die Grenze zwischen dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und einer zulässigen Beweisablehnung, die ihrerseits nicht gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verstößt, liegt dort, wo die Beweisführung aus Sicht des Richters von vornherein zwecklos erscheint. Die Zweckmäßigkeit der Beweisführung bedingt die richterliche Beweiserhebungspflicht. Die Beweisführung ist zweckmäßig, wenn sie (1.) notwendig ist und sie darüber hinaus (2.) objektiv und (3.) subjektiv erheblich ist. Die Notwendigkeit zur Beweiserhebung kann aus prozessualen Gründen fehlen (vgl. §§  138 Abs.  3, 288 Abs.  1, 291 ZPO). Objektiv unerheblich ist die Beweisführung, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache keine streitentscheidende ist. Auf deren Feststellung kommt es zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht an. Subjektiv unerheblich ist die Beweisführung, wenn sie mit Hilfe eines Beweismittels erfolgen soll, das für den Richter keinen Beweiswert haben wird. Das ist der Fall, wenn für die Beweisführung ein Beweismittel in Ansatz gebracht wird, das entweder aus sich heraus (absolut-subjektive Unerheblichkeit) oder im Verhältnis zu sonstigen Erkenntnisquellen, einschließlich anderer Beweismittel, keinen Beweiswert hat (relativ-subjektive Unerheblichkeit). Während die objektive Unerheblichkeit der Beweisführung allein unter Berücksichtigung des Streitgegenstands mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann, bereitet die Feststellung der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung größere Schwierigkeiten. Der Beweiswert eines Beweismittels kann grundsätzlich erst im Rahmen der Beweiswürdigung mit letzter Sicherheit festgestellt werden. Andernfalls wird das Beweismittel vorweggewürdigt. Ist allerdings das Ergebnis der Beweiswürdigung infolge gesetzlicher Beweiswürdigungsregeln oder allgemeiner Erfahrungssätze oder wissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze oder Naturgesetze determiniert, ist der Richter in der Lage, den Beweiswert eines Beweismittels schon vor der eigentlichen Beweiswürdigung mit letzter Sicherheit abzusehen. Eine Beweisablehnung auf Basis der genannten Kriterien kann somit keine Vorwegnahme der Beweiswürdigung darstellen. Sie ist vielmehr zwingend, da das Ergebnis der Beweisführung von Gesetzes wegen nicht frei gewürdigt werden darf. Wann das Ergebnis der Beweiswürdigung seinerseits ein determiniertes ist, soll an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden. Freilich ist dessen Feststellung weit schwieriger, als es auf Anhieb den Eindruck zu machen scheint. Gerade im Bereich der Erfahrungssätze ist die Grenze zwischen einfachen (indiziellen) und allgemeinen (zwingenden) Erfahrungssätzen schwer zu ziehen.298 298 

Wenig gewinnbringend ist in diesem Bereich die allgemeine Aufforderung Schneiders,

C. Gesamtergebnis

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Im Lichte dieser Grundsätze stellt sich die ausgewertete Rechtsprechung als weitestgehend konsistent dar, auch wenn vereinzelt Verstöße gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung eindeutig identifiziert werden konnten. Während eine Beweiserhebung im Bereich der objektiven Unerheblichkeit der Beweisführung durchweg konsequent und mit schlüssiger Begründung abgelehnt wird, fällt das Urteil im Hinblick auf die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit weniger positiv aus. Zwar hält die Rechtsprechung in diesem Bereich – unbesehen ob wegen absolut-subjektiver oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit – eine Beweisablehnung für unzulässig. Der Grund hierfür ist aber nicht, dass die Rechtsprechung an dieser Stelle einen allgemeingültigen Rechtssatz (wie er durch das hier entwickelte Lösungskonzept entwickelt wurde) in Ansatz bringt, sondern dass sie in diesem Bereich eine Beweisablehnungsbefugnis nur mit „größter Zurückhaltung“ bejaht. Der auch in der Literatur häufig anzutreffende Verweis auf die „größte Zurückhaltung“ ist jedoch in zweierlei Hinsicht irreführend: Er suggeriert zum einen, dass eine präzise Bestimmung der zulässigen Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung nicht möglich sei. Zum anderen vermittelt er den Eindruck, der Richter habe im Bereich der Beweisablehnung einen gewissen Ermessensspielraum. Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, wäre beides falsch.

man möge ich im Beweisverfahren stärker aussagepsychologische Erkenntnisse zu Nutzen machen, vgl. Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 192 f. Konkret bezieht sich Schneider auf die folgenden psychologischen Erkenntnisse: 1. Zeitangaben und Zeiteinschätzungen sind immer unzuverlässig; 2. Kurze Tätigkeiten, deren Dauer fünf bis zehn Minuten nicht überschreitet, werden regelmäßig überschätzt; 3. Bei Nacht können Farben nicht erkannt werden; 4. Alkohol mindert die Wahrnehmungsfähigkeit; 5. Die Reproduktionsfähigkeit des Gedächtnisses ist weitgehend von der Zeit abhängig, die zwischen der ursprünglichen Wahrnehmung und dem späteren erneuten Bewusstwerden liegt; 6. Wahrnehmungslücken oder Erinnerungslücken werden in der Aussage nicht kenntlich gemacht, sondern unbewusst durch Fremdvorstellungen ausgefüllt. Auch wenn Schneider in diesem Zusammenhang von „psychologischen Gesetzmäßigkeiten“ spricht, darf man sich von dieser Diktion nicht täuschen lassen. Die genannten Faktoren mag man gerne im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen. Geht es dagegen um die Frage der Beweiserhebung, sollten derartige psychologische Erkenntnisse keine Rolle spielen. Hiervon nimmt es keine Ausnahme, dass eine Beweisablehnung nach Maßgabe des dritten Punktes durchaus in Betracht kommt. Denn die Tatsache, dass das menschliche Auge bei völliger Dunkelheit nicht in der Lage ist, Farben zu erkennen ist kein Resultat der Aussagepsychologie, sondern eine naturgesetzlich feststehende Begebenheit. So bedeutsam die Aussagepsychologie auf der Ebene der Beweiswürdigung ist, so wertlos ist sie auf der Ebene der Beweiserhebung. Entgegen der Ansicht Schneiders ist es daher keineswegs „zu bedauern“, dass die Erkenntnisse der Aussagepsychologie im Rahmen der Beweisablehnung in der Rechtsprechung bisher keine Berücksichtigung gefunden haben, vgl. Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 193.

Teil 3

Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung versteht sich ganz offenbar nicht von selbst. Das belegt eine erst in jüngerer Zeit veröffentlichte Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts (im Folgenden: „Bundesgericht“) vom 27. Januar 2017, die die bisherige ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts im Wesentlichen bestätigt: „Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  29 Abs.  2 BV) umfasst insbesondere das Recht der Parteien, für entscheiderhebliche Sachvorbringen zum Beweis zugelassen zu werden, und dementsprechend die Pflicht des Gerichts, die ihm rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen, wenn sie geeignet sind, den zu treffenden Entscheid zu beeinflussen. Das Gericht darf indessen auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichten, wenn es auf Grund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde.“1

Noch deutlicher wird das Bundesgericht in einer Entscheidung vom 6. Mai 2015. Hier werden die Kategorien der Beweisablehnung wegen absolut- und relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung besonders gut erkennbar: „Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Rechts auf Beweis (Art.  152 ZPO (…)) rügen, übersehen sie, dass dieser Anspruch eine vorweggenommene (antizipierte) Würdigung von Beweisen nicht ausschliesst. Es bleibt dem Sachgericht unbenommen, von beantragten Beweiserhebungen abzusehen, weil es sie von vornherein nicht für geeignet hält, die behaupteten Tatsachen zu beweisen, oder weil es seine Überzeugung bereits aus anderen Beweisen gewonnen hat und davon ausgeht, dass weitere Abklärungen am massgeblichen Beweisergebnis nichts mehr zu ändern vermöchten.“2

Auch der schweizerische Gesetzgeber3 und der ganz überwiegende Teil der Literatur4 halten eine „antizipierte Beweiswürdigung“ (auch: „Beweisantizipation“) 1 

BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1. BG, Urt. v. 06.05.2015 – II ZA, 5A_658/2014, E. 5.2. 3  BBl.  2006, 7221, 7312. 4  Siehe unten, Teil 3, B.I. 2 

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

und damit eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess für zulässig. Im Folgenden ist zunächst auf den Begriff der „Beweisantizipation“ einzugehen, der der in der Schweiz wohl üblichere für eine „vorweggenommene Beweiswürdigung“ ist (A.). Anschließend ist der Frage nachzugehen, wodurch sich der strukturelle Wertungsunterschied im Hinblick auf den Umgang mit Beweisanträgen im Zivilprozess erklären lässt (B.). Möglicherweise ist die Pflicht des Richters zur Beweiserhebung im Schweizer Zivilprozess, wie sie aus Art.  29 Abs.  2 sBV und Art.  152 sZPO abgeleitet wird, wesentlich geringer ausgeprägt als im deutschen Zivilprozess.5 Das wiederum kann zum Anlass genommen werden, den Umfang der richterlichen Beweiserhebungspflicht im deutschen Zivilprozess kritisch zu hinterfragen und auf fortdauernde Plausibilität hin zu überprüfen. Die möglichen Konsequenzen aus der rechtsvergleichenden Analyse werden in einem Gesamtergebnis zusammengefasst (C.).

A.  Der Begriff der Beweisantizipation Der Begriff der „Beweisantizipation“ tritt im schweizerischen Zivilprozess neben dem der vorweggenommenen Beweiswürdigung ganz regelmäßig in Erscheinung. Für den deutschen Zivilprozess kann das erst in jüngerer Zeit behauptet werden.6 Das war aber längst nicht immer der Fall. Die bisherige Untersuchung hat daher bewusst davon abgesehen, das „Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung“ als ein „Verbot der Beweisantizipation“ zu bezeichnen. Die Gründe hierfür werden im Folgenden erläutert: Der Begriff der Beweisantizipation hat in deutscher Zivilprozessgeschichte sehr weit zurückreichende Tradition. Er war fester Bestandteil des zivilprozessualen Beweisverfahrens des gemeinen Prozesses und lässt sich terminologisch bis weit ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Der gemeine Prozess war, ähnlich wie in den römischen Legisaktionen- und Formularprozessen, in zwei Verfah5  Diese These hat Piekenbrock bereits im Jahr 2009 aufgestellt, noch bevor die Schweizerische Zivilprozessordnung am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist (AS.  2010, 1739, 1836); allerdings unter Bezugnahme auf Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK, vgl. Piekenbrock, in: FS Krämer, S.  513, 516. 6  Vgl. etwa: Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 179, 187, 188, 189; ders., MDR 1969, 268, 268 f.; ders., VersR 1977, 593, 598; ders., MDR 1987, 22, 22 f.; Teplitzky, JuS 1968, 71, 75; ders., DRiZ 1970, 280, 283; Söllner, Beweisantrag im Zivilprozeß, S.  94 ff.; Störmer, JuS 1994, 238, 242. Aus der Rechtsprechung: BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 182/10, juris Rn.  10 f.; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187, 188.

A.  Der Begriff der Beweisantizipation

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rensabschnitte aufgeteilt:7 dem des ersten Schriftenwechsels8 und dem der Beweisinstanz.9 Sollte innerhalb des ersten Verfahrensabschnitts der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht abschließend und einvernehmlich festgestellt werden können, bedurfte es dessen Aufklärung durch Beweis. In diesem Fall endete der erste Verfahrensabschnitt mit dem Erlass eines sog. Beweisinterlokuts (auch: Beweis-Resolut10), ein der Rechtskraft fähiges Urteil.11 Im Rahmen des Beweis­ inter­lokuts traf das Gericht in der Regel dreierlei Anordnungen: (1.) Worüber ist Beweis zu erheben (Beweisthema), (2.) wem obliegt die Beweisführung (Beweislast)12 und (3.) innerhalb welcher Frist hat die Beweisführung zu erfolgen (Beweisfrist).13 Wollte eine Partei den Abschluss des ersten Verfahrensabschnitts samt abschließendem Beweisinterlokut nicht abwarten, etwa, weil sie den Inhalt des Beweisinterlokuts zu erahnen glaubte, so konnte sie schon vorab und bereits während des ersten Verfahrensabschnitts Beweise anbieten.14 Diesen freiwilligen Beweisantritt nannte man „Beweisanticipation“15 (auch: „Anticipation des Beweises“16, „antizipirte Beweisführung“17 oder „anticipirtes Beweisverfahren“18). Unter „Antizipieren“ verstand man, „etwas früher erledigen, was später am Plat7  Rau, AcP  38 (1855), 203, 206; Mittermeier, AcP  1 (1818), 120, 120; Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess, S.  25; Dahlmanns, Neudrucke, Bd.  1, S.  38 f.; Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  317 ff. 8  Mittermeier, AcP  1 (1818), 120, 120. 9  Rau, AcP  38 (1855), 203, 206; Mittermeier, AcP  1 (1818), 120, 120. 10  Silberschlag, Die Deutsche Civil-Proceß, S.  18, verwandt wird ebenfalls der Begriff des „Beweisdekrets“ oder des „Beweisurteils“, vgl. Heffter, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  113 ff. 11  Im Einzelnen: Levy, ZGRP, Bd.  3 (1869), 501, 522; Heffter, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  113, 115 f.; Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung, S.  68. 12  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  315, 321: Wenn Gönner davon spricht, dass sich niemand „mit einer unnöthigen Last“ beladen wolle, wird erkennbar, dass der Gegenbeweis im gemeinen Recht ein eher selten geführter war. Hierin liegt ein wesentlicher, freilich strukturell begründeter Unterschied zum heutigen Beweisverfahrensrecht, der schlussendlich in der freien Beweiswürdigung mündet. 13  Eine eingehendere Darstellung verbietet sich an dieser Stelle um das Erkenntnisziel nicht aus den Augen zu verlieren. Insoweit sei auf die ausführliche Aufbereitung in Patermann, Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung, S.  26 ff. verwiesen. Vgl. ferner: Endemann, Beweislehre des Zivilprozesses, S.  27 ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  29 ff., 75 ff.; Backenhoeft, AcP  28 (1845), 206 ff. 14  Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  320. 15  Heffter, System des römischen und deutschen Civil-processrechts, 2.  Aufl., S.  478; Dahlmanns, Neudrucke, Bd.  2, S.  14 f.; Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  315; Puchta, Dienst der deutschen Justizämter, Bd.  2, S.  198; Rau, AcP  38 (1855), 203, 213. 16  Mittermeier, AcP  1 (1818), 120, 121. 17  Planck, Lehre von dem Beweisurtheil, S.  357. 18  Rau, AcP  38 (1855), 203, 213.

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

ze wäre.“19 Da die gemeinen Prozessgesetze ein solches Verhalten zuließen, entstand laut Gönner „der Unterschied zwischen einem auferlegten und (einem) anticipierten Beweise“.20 Treffend beschreibt Ahrens die Beweisantizipation deshalb als eine Umkehr des „Reihenfolgeprinzips“,21 denn der Beweisantritt wurde auf Parteiinitiative künstlich vorgezogen, nahm also die richterliche Beweisauflage vorweg.22 Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich zunehmend die Auffassung durch, dass das Beweisinterlokut den Anforderungen eines dynamischen, auf dem Mündlichkeitsprinzip beruhenden, Zivilprozesses nicht mehr gerecht werden würde. Wesentlicher Kritikpunkt war insbesondere die als impraktikabel empfundene Bindungswirkung des Beweisinterlokuts, die dem Gericht die effektive Verfahrensleitung während des Beweisverfahrens weitestgehend aus der Hand nahm.23 In Rückbesinnung auf römische und germanische Verfahrensformen, die kein dem Beweisinterlokut vergleichbares Institut kannten, mehrten sich die Stimmen derer, die sich für eine sog. Beweisverbindung aussprachen.24 Danach sollte der Beweisantritt gemeinsam mit der Tatsachenbehauptung erfolgen. Für dieses Konzept entschied sich der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung.25 Mit der Einführung der Beweisverbindung in der ZPO wurde letztlich die Beweisantizipation des gemeinen Rechts zum gesetzlichen Regelfall.26 Rau, AcP  38 (1855), 203, 213. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  315. Im Weiteren heißt es bei Gönner (S.  323): „Ein anticipierter Beweis unterscheidet sich vom auferlegten nur darin, daß bei ihm ein Beweisinterlocut nicht voaus gieng.“ 21  Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess, S.  26. 22  Heffter, System des römischen und deutschen Civil-processrechts, 2.  Aufl., S.  478. 23  Heffter, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  113 ff. 24  Vgl. Levy, ZGRP, Bd.  3 (1869), 501, 522; Heffter, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  113, 116 m. w. N.: „Es war das wohl, wie man annehmen darf, ein Nothbehelf, wozu die gräuliche, inhalts- und lichtlose Form der schriftlichen, jedes Maß überschreitenden Parteivorträge Anlaß gab. Es war nöthig, nachdem eine Sache längere Zeit verhandelt worden und dergestalt, wie Friedrich der Große sagte, in Konfusion gerathen war, daß kein vernünftiger Mensch daraus noch klug werden konnte, nun doch einmal durch einen richterlichen Akt Licht in die Sache hineinzutragen und den Parteien zu sagen, was sie oder doch ihre Rechtsbeistände selbst hätten wissen müssen, nämlich, worauf es doch eigentlich ankomme und was ferner zu geschehen habe. Bei einer einfachen Prozeßform und Verhandlungsweise, bei gehöriger Bildung des Richterstandes und der Advokatur ist ein solches Zwischending (= Beweisinterlokut) durchaus entbehrlich; ja es muss wegen der damit verbundenen Nachtheile beseitigt werden.“ 25  Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess, S.  631. 26  Heffter, Gutachten zum 3. DJT, Bd.  1, S.  113, 116: „Selbstfolge ist, daß mit der ersten vollständigen Sachverhandlung eine spezielle Beweisangabe oder Antretung über die von jeder Partei zu beweisenden Thatsachen cumuliert werden muß.“ (Hervorh. d. Verf.) Welche revolutionäre Leistung die Einführung der Beweisverbindung unter Aufgabe des Beweisinterlokuts gewesen sein muss, zeigt folgender Ausspruch Gönners: „Mit dem Geiste des gemeinen Pro19  20 

A.  Der Begriff der Beweisantizipation

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In der Folgezeit verschwand der Begriff „Beweisantizipation“ ganz aus dem zivilprozessualen Sprachgebrauch. Dies änderte sich erst im Jahr 1962, als Schneider jenen Begriff wieder zurück auf die Bühne der Zivilprozessrechtswissenschaft brachte. In Anlehnung an den strafprozessualen Sprachgebrauch,27 verwendete Schneider die „Beweisantizipation“ nunmehr als Synonym für die „vorweggenommene Beweiswürdigung“.28 Dabei nahm er Bezug auf das Begriffsverständnis Alsbergs, der schon seit 1922 neben der vorweggenommenen Beweiswürdigung von der Beweisantizipation sprach.29 Die Rechtsprechungspraxis nahm von Schneiders neuem Begriffsverständnis zunächst keine ­Kenntnis. Die entscheidende Wende brachte dann das Jahr 1981, als Schneider die 13. Auflage der Kommentierung der §§  114 ff. ZPO zum Prozesskostenhilferecht in

zesses, und mit den Maximen einer guten Gesetzgebung kann ich die Verbindung der Beweise mit den ersten Verhandlungen niemals vereinbaren. Das erste Verfahren in einem Rechtsstreit kann keine andere Absicht haben, als durch die Wechselsweisen Erklärungen beider Theile den eigentlichen Streitpunkt auf das genauste herzustellen (…) Der Antritt des Beweises eröffnet das Beweisverfahren, wobei ganz eigene Perioden, eigen Einreden, und eine besondere Verfahrungsart Statt finden. Welche Verwirrungen und Inconsequenzen müssen aus der Verbindung des Beweisverfahrens mit dem ersten Verfahren entstehen? Der ganze Zweck des ersten Verfahrens wird vereitelt, die erweise werden ohne Noth vervielfältigt, unnütze Streitigkeiten veranlaßt, da man am Ende nicht weiß, ob die Vorlegung der Beweise ein Üebernahme der Beweislast ist: (…).“, Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd.  2, 2.  Aufl., S.  317 f. 27  Der gemeine deutsche Inquisitionsprozess kannte kein „Beweisinterlokut“. Der Begriff der „Beweisantizipation“ taucht daher bis zu dessen Verwendung durch Alsberg im Strafprozess nicht auf. Als weitere Erklärungsmöglichkeit kann – neben der genannten – das Wesen des Inquisitionsprozesses selbst herangezogen werden. Dieser legte die gesamte Verantwortung für die Tatsachenermittlung in die Hände des Gerichts. Eben diese Verantwortung führte das Gericht aber dazu, die Verteidigung des Angeklagten zu ermöglichen und „die Abhörung von Vertheidigungszeugen“ durchzuführen. Vgl. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.  52 ff.; Feuerbach, Lehrbuch, 11.  Aufl., S.  395. Insbesondere die Frage der Beweislast, die durch das Be­ weis­inter­lokut im gemeinen Zivilprozess zunächst vom Gericht festgelegt werden musste, stand im Strafprozess von Anfang an zweifelsfrei fest. Die Anklage hat den sog. Anschuldigungsbeweis zu führen, die Verteidigung den Beweis der strafrechtlichen Einrede (Exception). Er Zweifel ging jeweils zu Lasten der Partei, die den Beweis zu erbringen hatte. Vgl. Glaser, Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozess, S.  85 ff. 28  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 192 ff.; ders., MDR 1969, 268, 268 f.; ders., VersR 1977, 593, 598; ders., MDR 1987, 22, 22 f.; ders., Beweis und Beweiswürdigung, 2.  Aufl., S.  58 ff. 29  Alsberg, JW 1922, 258 ff. Die von Alsberg angegebenen Fundstellen des Reichsgerichts oder des Reichsmilitärgerichts verwenden dagegen die Terminologie „Beweisantizipation“ nicht. Vgl. Alsberg, JW 1922, 258, Fn.  2. Ob man aber daraus schlussfolgern kann, dass Alsberg selbst den Begründer des modernen Begriffsverständnisses der Beweisantizipation ist, ist fraglich und soll an dieser Stelle offenbleiben.

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

dem von Zöller begründeten gleichnamigen Kommentar übernahm.30 Schneider führte sein bis dahin in Aufsätzen und Monographien vertretenes Begriffsverständnis von der „Beweisantizipation“ als Synonym für die „vorweggenommene Beweiswürdigung“ ein und machte dieses damit offenbar einer breiteren Leserschaft zugänglich. Spätestens seit 1987 gebrauchten die Obergerichte und schließlich auch der Bundesgerichtshof den Begriff „Beweisantizipation“ für die Auslegung des §  114 ZPO im Prozesskostenhilfeverfahren.31 Ganz im Sinne Schneiders verstanden sie unter der Beweisantizipation eine vorweggenommene Beweiswürdigung. Innerhalb der §§  284 ff. ZPO fand der Begriff der Beweisantizipation indes bis dahin keine Anwendung, was als weiterer Beleg für die Urheberschaft Schneiders am Begriff der Beweisantizipation spricht. Der Begriff der „Beweisantizipation“ konnte sich über den Weg der Nichtzulassungsbeschwerde nach §  544 Abs.  7 ZPO schlussendlich im allgemeinen zivilprozessualen Beweisverfahrensrecht Bahn brechen.32 Hierauf folgten weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen Gleiches zu beobachten ist.33 Diese Entwicklungen hätte Schneider sicherlich begrüßt. Schließlich war er es, der schon im Jahr 1962 eine gleichbedeutende Verwendung der Begriffe „Vorweggenommene Beweiswürdigung“ und „Beweisantizipation“ übte. Hätte 30  Schneider, in: Zöller, ZPO, 13.  Aufl., §§  114 ff. In der 12. Auflage desselben Kommentars ist der Begriff der „Beweisantizipation“ noch nicht anzutreffen. 31  Vgl. OLG Köln, Beschl. v. 13.08.1986 – 2 U 57/86, MDR 1987, 62, mit Bezug auf: Schneider, in: Zöller, 14.  Aufl., §  114 Rn.  35; BGH, Urt. v. 16.09.1987 – IVa ZR 76/86, VersR 1987, 1186, mit Bezug auf: Schneider, in: Zöller, 15.  Aufl., §  114 Rn.  35; ders., MDR 1987, 22; BGH Urt. v. 16.09.1987 – IVa ZR 76/86, NJW  1988, 266, 267, mit Bezugnahme auf: Schneider, in: Zöller, 14.  Aufl., §  114 Rn.  35; Schneider, MDR 1987, 22; OLG Hamm, Beschl. v. 13.02.1990 – 20 W 16/89, VersR 1990, 1393, mit Bezugnahme auf: OLG Köln Beschl. v. 13.08.1986 – 2 U 57/86, MDR 1987, 62; BGH Urt. v. 16.09.1987 – IVa ZR 76/86, NJW  1988, 266, 267, und Schneider, MDR 1987, 22; LG Stendal, Beschl. v. 08.01.1993 – 22 T 45/92, WuM 1993, 267, 268, mit Bezugnahme auf: Schneider, in: Zöller, 14.  Aufl., §  114 Rn.  35; OLG Köln, Beschl. v. 14.08.1995 – 2 W 129/95, NJW-RR 1995, 1405, mit Bezugnahme auf: BGH Urt. v. 16.09.1987 – IVa ZR 76/86, NJW  1988, 266. 32  Vgl. nur: BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 182/10 –, juris, Rn.  10 f.; BGH, Beschl. v. 19.01.2012 – V ZR 141/11, WuM 2012, 164, 165; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, FamRZ 2012, 1938, 1939; BGH, Beschl. v. 21.032013 – V ZR 204/12 –, juris, Rn.  5, 10; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, NJW-RR 2015, 158, 160; BGH, Beschl. v. 16.04.2015 – IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829, 831; BGH, Beschl. v. 15.10.2015 – V ZR 52/15 –, juris, Rn.  9; BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749, 750. 33  BGH, Beschl. v. 19.01.2012 – V ZR 141/11, WuM 2012, 164, 165; BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – IV ZR 177/11, FamRZ 2012, 1938, 1939; BGH, Beschl. v. 21.03.2013 – V ZR 204/12 –, juris, Rn.  5, 10; BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749, 750; BGH, Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, NJW-RR 2015, 158, 160; BGH, Beschl. v. 16.04.2015 – IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829, 831; BGH, Beschl. v. 15.10.2015 – V ZR 52/15 –, juris, Rn.  9.

A.  Der Begriff der Beweisantizipation

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Schneider im Jahr 1981 nicht „nur“ die Kommentierung zu den §§  114 ff. ZPO, sondern zu den §§  284 ZPO übernommen, wäre mit einiger Sicherheit zu erwarten gewesen, dass dieser begriffliche Durchbruch sich schon weit eher vollzogen hätte. Vergleicht man das damalige Begriffsverständnis der Beweisantizipation mit dem heutigen Begriff der vorweggenommenen Beweiswürdigung, zeigen sich ganz erhebliche Unterschiede: Zum einen waren es nach dem ursprünglichen Begriffsverständnis die Parteien, die die Beweisantizipation vornahmen und nicht das Gericht. Des Weiteren bezog sich die Beweisantizipation inhaltlich auf die Frage nach dem entscheidungsrelevanten Beweisthema. Heute dagegen betrifft die vorweggenommene Beweiswürdigung den Beweiswert eines im Rahmen der Beweisführung in Ansatz gebrachten Beweismittels. Und schließlich konnte sich durch die ursprüngliche Beweisantizipation die prozessuale Lage der Parteien nur verbessern, nie aber verschlechtern. Auch dies ist heute völlig anders, da die Parteien infolge einer vorweggenommenen Beweiswürdigung in ihrer Beweisführungsbefugnis eingeschränkt, wenn nicht gar verletzt werden. Alleinige Gemeinsamkeit beider Begriffe ist die, dass sie ihrer Zielrichtung nach zur Verfahrensbeschleunigung beitragen wollen. Nach diesseitigem Verständnis sollte die synonyme Verwendung des Begriffs „Beweisantizipation“ für „Vorwegnahme der Beweiswürdigung“ aus den folgenden Gründen unterbleiben: Zum einen würde man hierdurch der historischen Bedeutung der Beweisantizipation, die sie noch im gemeinen Prozess hatte, nicht gerecht werden. Dem ließe sich zwar entgegenhalten, dass mit dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung die historische Beweisantizipation in dem Prinzip der heutigen Beweisverbindung restlos aufgegangen ist, was wiederum eine terminologische Neubelegung des Begriffs „Beweisantizipation“ erlaubt. Dazu bedürfte es aber einer gewissen Notwendigkeit. Diese besteht nicht. Denn mit dem Begriff „Vorwegnahme der Beweiswürdigung“ ist terminologisch wie sprachlich der Kern des in Rede stehenden Problemkreises hinreichend erfasst. Zum anderen könnte man sich durch die Wendung „Verbot der Beweisantizipation“ geneigt sehen, die richterliche Prognose über die objektive und subjektive Erheblichkeit der Beweisführung für unzulässig zu erachten. Das ist sie aber gerade nicht. Unzulässig ist nicht die Beweisprognose, sondern diese zum Anlass zu nehmen, eine beantragte Beweisführung trotz bestehender subjektiver Erheblichkeit abzulehnen. Denn allein darin läge dann eine (unzulässige) Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Dieser Unterschied kann leicht aus den Augen verloren werden. Und schließlich spricht gegen die Verwendung des Begriffs „Beweisantizipation“, dass er konturenlos und deshalb in höherem Maße fehleranfällig ist. So behauptet beispielsweise Schneider selbst, dass „die zulässige Beweisableh-

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

nung (…) im Regelfall auf eine Beweisantizipation gegründet (ist)“,34 während er noch kurz zuvor ausführt: „Es wird ein Beweisantrag abgelehnt, weil der angebotene Beweis negativ bewertet wird (sogenannte Beweisantizipation).“35 Hier tritt eine gewisse begriffliche Unschärfe offen zutage. Eine zulässige Beweisablehnung wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels oder Absicht der Prozessverschleppung hat nichts mit einer vorweggenommenen Beweiswürdigung zu tun. Schneider überhöht schlussendlich die Bedeutung des Begriffs der Beweisantizipation und stilisiert ihn über die Grenzen der vorweggenommenen Beweiswürdigung hinaus zu einem Zentralbegriff der Beweisablehnung, der er zweifellos nicht ist. Ebenso wenig gewinnbringend wie nichtssagend ist Schneiders nachgeschobene Relativierung, wonach die Beweisantizipation „ein Mittel aus dem juristischen Giftschrank“ sei.36 Auch mit diesem Hinweis ist nichts als dogmatische Verwirrung gestiftet, die sich zum Aufruf zur „Zurückhaltung“ gesellt. Der sachlichen Auseinandersetzung ist damit jedenfalls nicht gedient. Aus den genannten Gründen sollte – jedenfalls im deutschen Zivilprozess – auf die Verwendung des Begriffes „Beweisantizipation“ ganz verzichtet werden. Diese Kritik an einer unreflektierten Verwendung des Begriffs „Beweisantizipation“ muss freilich für das schweizerische Begriffsverständnis relativiert werden. Schließlich ist eine vergleichbare historisch-terminologische Determination jenes Begriffs für den Schweizer Zivilprozess nicht erkennbar.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess Den Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchung bildet die Frage, ob und wenn ja, aus welchem Grund die Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Schweizerischen Zivilprozess für zulässig gehalten wird. Nach Maßgabe des deutschen Rechtsverständnisses darf das Gericht eine Beweisführung nicht ablehnen, wenn nicht mit letzter Sicherheit feststeht, dass diese auf die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird. Diese Sicherheit kann der Richter im Bereich der subjektiven Unerheblichkeit der Beweisführung nach richtiger Auffassung nur dann haben, wenn das Ergebnis der Beweiswürdigung aufgrund einer gesetzlichen Beweiswürdigungsregel, eines allgemeinen Erfahrungssatzes oder wissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze und Naturgesetze ausnahmsweise Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 190. Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 182. 36  Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 190. 34  35 

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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determiniert ist. Ist das Ergebnis der Beweiswürdigung dagegen noch ein ungewisses, weil nicht determiniertes, darf der Richter die Beweisführung nicht unter Verweis auf dessen subjektive Unerheblichkeit ablehnen. Andernfalls beruhte die Beweisablehnung auf einer unsicheren Vermutung über das mögliche Ergebnis der Beweiswürdigung und verstieße damit gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und den daraus abgeleiteten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht.37 Angesichts dessen steht fest, dass aus verfahrensstrukturellen Gründen die aufgeworfene Problematik überhaupt nur im Bereich der Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung auftritt – nach deutschem Begriffsverständnis im Bereich der Beweisablehnung wegen „Ungeeignetheit des Beweismittels“, „Erwiesenheit des Gegenteils“ und „Erwiesenheit des Beweisthemas“. Letzteres kann vernachlässigt werden, da der Beweisführer hierdurch in seinem Beweisführungsrecht nicht beeinträchtigt werden kann (Beweisablehnung wegen Zweckerreichung). Anders gestaltet sich das nur in den Fällen der Beweisablehnung wegen Zweckverfehlung.38

I.  Der Standpunkt des Schweizer Bundesgesetzgebers Die Gesetzgebungskompetenz für das Zivilprozessrecht stand ursprünglich den Kantonen zu.39 Die kantonalen Zivilprozessordnungen gewährten, mit Ausnahme des Kantons Waadt,40 den Parteien kein Beweisführungsrecht. Ob indes der Richter umgekehrt zur Vorwegnahme der Beweiswürdigung berechtigt war, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Gleichwohl finden sich vereinzelt Indizien hierfür in den kantonalen Zivilprozessordnungen. Als Beispiel sei etwa Art.  213 Abs.  2 ZPO BE genannt: „Der Richter ist aber jederzeit berechtigt, Beweismittel, welche er nach der Lage der Akten und seiner eigenen Kenntnis der Streitsache als überflüssig erachtet, auch wenn sie zu erheblichen Tatsachen angerufen sind, abzulehnen.“

Ähnlich lautete Art.  152 Abs.  1 ZPO ZH:

37 

Teil 2, A.I und A.II. Teil 2, A.II.3.a). 39  Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 753. Grundlegend dazu: H. Waldner, SJZ 1982, 105 ff.; Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S.  3 ff.; Sutter-Somm, in: FS Leipold, S.  753 ff. 40  Art.  168 CPC, vom 14. Dezember 1966 sah in dessen Absatz 1 unter der Überschrift „Droit à la preuve“ folgende Regelung vor: „Chaque partie a le droit d’entreprendre la preuve des faits qui sont propres à justifier ses conclusions.“ 38 

328

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

„Der Richter ist jederzeit berechtigt, Beweismittel, welche er nach der Lage der Akten und seiner eigenen Kenntnis der Sache als überflüssig ansieht, abzulehnen, auch wenn sie zu erheblichen Tatsachen angerufen sind.“

Auch Art.  200 Abs.  1 ZPO FR gestattete ausdrücklich eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung: „Der Richter ist nicht an die Beweisanträge der Parteien gebunden. Er tritt auf Beweismittel nicht ein, die er nach Einsicht in die Akten und auf Grund seiner Kenntnis des Rechtsstreites ohne Bedenken für überflüssig hält, selbst wenn sie angerufen werden, um erhebliche Tatsachen zu beweisen.“

Überdies sah Art.  37 sBZP folgende Regelung vor: „Der Richter ist an die von den Parteien angebotenen Beweismittel nicht gebunden; er berücksichtigt nur die notwendigen.“

Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass die Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Schweizerischen Zivilprozess auf kantonaler Ebene – jedenfalls vereinzelt – eine langjährige Tradition hat. Stellt sich deshalb zu einem späteren Zeitpunkt die Frage, welche Überlegungen für die Entscheidung des Bundesgesetzgebers tragend gewesen sein könnten, als er sich für die Geltung der Beweisantizipation in der neuen Bundeszivilprozessordnung entschieden hat, so ist eben diese Tradition mit im Blick zu behalten. Den Grundstein für die Schaffung einer bundeseinheitlichen Schweizerischen Zivilprozessordnung legte die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (im Folgenden: „Bundesversammlung“) mit Beschluss vom 8. Oktober 1999.41 Nach der revidierten Fassung des Art.  122 Abs.  1 sBV sollte fortan die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts Sache des Bundes sein. Die Verfassungsänderung wurde in der Volksabstimmung vom 12. März 2000 mit großer Mehrheit angenommen42 und trat auf Beschluss der Bundesversammlung am 17. Juni 2005 in Kraft.43 Von dieser Gesetzgebungskompetenz machte der Bundesgesetzgeber Gebrauch. Die Bundesversammlung verabschiedete am 19. Dezember 2008 die Schweizerische Zivilprozessordnung.44 Sie trat auf Beschluss des Bundesrats vom 31. März 2010 am 1. Januar 2011 in Kraft.45 Art.  152 sieht in dessen Absatz 1 unter der amtlichen Überschrift „Recht auf Beweis“ folgende Regelung vor: 41  AS.  2002,

3148. Volksabstimmung vom 12. März 2000, abrufbar auf der Homepage der Schweizerischen Bundeskanzlei, https://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20000312/index.html (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 43  AS.  2002, 3147 und AS  2006, 1059. 44  AS.  2010, 1739. 45  AS.  2010, 1739, 1836. 42 

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

329

„Jede Partei hat das Recht, dass das Gericht die von ihr form- und fristgerecht angebotenen tauglichen Beweismittel abnimmt.“46

Ob dieses Recht der Parteien indes, wie es das Bundesgericht in der eingangs erwähnten Entscheidung vom 6. Mai 201547 annimmt, tatsächlich durch „vorweggenommene (antizipierte) Würdigung von Beweisen“ eingeschränkt werden kann und darf, lässt sich dem Gesetzestext nicht entnehmen. Wie auch sonst kann generell erst dann von einem abschließenden Gesetzesverständnis gesprochen werden, wenn man sich mit dessen Entstehungsgeschichte und den gesetzgeberischen Motiven näher auseinandergesetzt hat. Das wird ein völlig neues Licht auf die Interpretation des Art.  152 Abs.  1 sZPO werfen. 1.  Der Vorentwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung Bereits am 26. April 1999 hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement eine Expertenkommission damit beauftragt, einen Vorentwurf einer bundeseinheitlichen Schweizerischen Zivilprozessordnung auszuarbeiten.48 Diesen legte die Expertenkommission Anfang 2003 samt Begleitbericht dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement vor. Der Vorentwurf sah in dessen Art.  147 ­sZPO-VE unter der Überschrift „Recht auf Beweis“ folgende Absätze 1 und 2 vor: „1Jede Partei hat das Recht, dass das Gericht die von ihr form- und fristgerecht angebotenen tauglichen Beweismittel abnimmt.“ „2Das Gericht kann Beweismittel ablehnen, wenn es auf Grund des bisherigen Beweisergebnisses seine Überzeugung schon gebildet hat.“49

Die Expertenkommission begründete die Textfassung des Vorentwurfs folgendermaßen: „Das Recht auf Beweis ist wesentlicher Ausfluss des rechtlichen Gehörs (Art.  48). Es schliesst die Befugnis ein, für rechtserhebliche Sachvorbringen zum Beweis zugelassen zu werden, sofern das Beweismittel tauglich ist und nach Inhalt, Form und Frist der ZPO entspricht (Abs.  1). Ein Anspruch auf Abnahme von Beweisen besteht allerdings nur in Bezug auf das jeweilige Beweisthema. Absatz 2 betrifft die so genannte antizipierte Beweiswürdigung: Damit ist gemeint, dass das Gericht beantragte Beweismitteln ablehnen darf, wenn es sie entweder zum vorneherein nicht 46  AS.  2010,

1739, 1772. BG, Urt. v. 06.05.2015 – II ZA, 5A_658/2014, E. 5.2. 48  Zum Gesetzgebungsverfahren im Einzelnen: Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6.  Aufl., Rn.  1805 ff. 49  Vorentwurf für eine Schweizerische Zivilprozessordnung, S.  33, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/entw-zpo-d.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 47 

330

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

für geeignet hält oder weil es seine Überzeugung bereits aus andern Beweismitteln gewonnen hat und davon ausgeht, dass weitere Abklärungen am massgebenden Beweisergebnis nichts mehr zu ändern vermögen.“50

Die Expertenkommission bezieht sich in diesem Zusammenhang auf mehrere Entscheidungen des Bundesgerichts.51 Nach dem hier zugrundeliegenden Begriffsverständnis52 soll es nach Maßgabe des Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE dem Richter gestattet sein, eine beantragte Beweisführung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit ablehnen zu dürfen, ohne dass es hierbei durch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung gehindert oder eingeschränkt wäre. Dazu ist Folgendes anzumerken: Die Entscheidungen des Bundesgerichts, auf die sich die Expertenkommission bezieht, um die Regelung des Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE zu rechtfertigen, sprechen zwar von einer „vorweggenommenen Beweiswürdigung“. Tatsächlich aber beruhte die gerügte und für zulässig befundene Beweisablehnung in keiner der genannten Entscheidungen tatsächlich auf einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung.53 Soweit die Expertenkommission aufgrund der genannten Entscheidungen zur Überzeugung gelangte, die Vorweg50  Begleitbericht für eine Schweizerische Zivilprozessordnung, S.  76 f., abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/vn-ber-d.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 51  Vgl. Begleitbericht für eine Schweizerische Zivilprozessordnung, S.  77 Fn.  155, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/vn-ber-d.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). Die zitierten Entscheidungen sind namentlich: BG, Urt. v. 02.11.1999 – II ÖA, BGE 125 I 417, 430, E. 7a) und b); BG, Urt. v. 19.011998 – N.N., BGE 124 V 90, 94, E. 5b) und c); BG, Urt. v. 25.08.1998 – I ÖA, BGE 124 I 208, 211, E. 4.; BG, Urt. v. 04.06.1996 – I ZA, BGE 122 III 219, 223, E. 3c); BG, Urt. v. 07.11.1996 – II ÖA, BGE 122 II 464, 469, E. 4a); BG, Urt. v. 09.06.1995 – I ZA, BGE 121 I 108, 111 f., E. 3a); BG, Urt. v. 17.11.1995 – I SA, BGE 121 I 306, 308, E. 1 b). 52  Teil 2, A.II.1.b). 53  BG, Urt. v. 02.11.1999 – II ÖA, BGE 125 I 417, 430, E. 7a) und b): Beweisablehnung erfolgte wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Der angetretene Zeugenbeweis betraf keine streitentscheidende Tatsache; BG, Urt. v. 19.011998 – N.N., BGE 124 V 90, 94, E. 5b) und c): Der Beschwerdeführer rügte lediglich die Versagung des Anwesenheits- und Fragerechts; BG, Urt. v. 25.08.1998 – I ÖA, BGE 124 I 208, 211, E. 4.: Versagung der Zeugenvernehmung, nachdem die schriftliche Stellungnahme zur Kenntnis und im Sinne des Beweisführers berücksichtigt wurde; BG, Urt. v. 04.06.1996 – I ZA, BGE 122 III 219, 223, E. 3c): in der Sache wurde keine Beweisablehnung gerügt; BG, Urt. v. 07.11.1996 – II ÖA, BGE 122 II 464, 469, E. 4a): Versagung der persönlichen Anhörung des Gutachters, nachdem dessen Sachverständigengutachten zur Kenntnis und im Sinne des Beschwerdeführers berücksichtigt wurde; BG, Urt. v. 09.06.1995 – I ZA, BGE 121 I 108, 111 f., E. 3a): Beweisablehnung erfolgte wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. BG, Urt. v. 17.11.1995 – I SA, BGE 121 I 306, 308, E. 1 b): Beweisablehnung wegen des Vorliegens eines gesetzlichen Beweisablehnungsgrundes.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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nahme der Beweiswürdigung müsse zulässig sein, hat sie sich offenbar mit den Entscheidungen inhaltlich nicht näher auseinandergesetzt.54 Gleicht man den gesetzgeberischen Ausgangpunkt mit den Grundlagen der deutschen Zivilprozessordnung aus dem Jahr 1877 ab, so zeigt sich eine verblüffende Parallele. Auch ihr lag sowohl der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, abgleitet aus der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens auf der Ebene der Beweiserhebung, als auch der Grundsatz der freien Beweisablehnung, verankert in §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. (§§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO), zugrunde.55 Der entscheidende Unterschied zwischen dem damaligen deutschen und dem heutigen schweizerischen Rechtsverständnis besteht allein darin, dass sich der schweizerische Gesetzgeber über das darin liegende Spannungsverhältnis im Klaren war (dazu sogleich) und dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im Zweifel den Vorzug einräumte. Stünde indes der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht unterschiedslos und ohne inneren Zusammenhang neben dem Grundsatz der freien Beweisablehnung, wäre dem schweizerischen Gesetzgeber ebenfalls die Inkorporierung eines inkohärenten Beweisverfahrenssystems in die Schweizerische Zivilprozessordnung zu attestieren gewesen.56 Dieser Denkfehler unterlief dem Schweizer Gesetzgeber aber nicht. 2.  Die Stellungnahmen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens Der Bundesrat bemächtigte mit Beschluss vom 25. Juni 2003 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, das Vernehmlassungsverfahren über den Vorentwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung einzuleiten. In diesem Rahmen wurde die Textfassung des Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE nahezu einhellig kritisiert. Der Kanton Zürich wandte gegen die Regelung ein, dass „zur Sicherstellung der materiellen Wahrheitsfindung“ es empfehlenswert sei, eine Formulierung in diesem Punkt zu wählen, „die sich näher an die Rechtsprechung des Bundesgerichts (…) anlehnt.“57 Die Fachgruppe ZPO/SchKG der Advokatenkammer Basel und der ASA-Lokalgruppe Basel für das Schiedsverfahren empfahl unter 54  Die Universität Zürich kommt in ihrer Stellungnahme im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zu gleicher Einschätzung (dazu sogleich), vgl. Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  401, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin. ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 55  Teil 1, B.I.1 und B.I.2. 56  Teil 1, B.I.3. 57  Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  399, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilpro zessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018).

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

Verweis auf die Gefahr der Parteilichkeit des Gerichts, den zweiten Absatz „ersatzlos zu streichen.“58 Das Kassationsgericht Zürich stellte in diesem Zusammenhang klar, dass „richtigerweise (…) die vorweggenommene Beweiswürdigung (nur) dann zulässig (ist), wenn mit Sicherheit gesagt werden kann, dass die Abnahme des Beweismittels auch dann an der richterlichen Überzeugung nichts mehr ändern könnte, wenn ihr Ergebnis die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung stützen würde (Wahrunterstellung).“59 Aus diesem Grund eröffne die in Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE gewählte Formulierung „dem Richter zu viel Ermessensspielraum.“60 Noch deutlicher wurde die Universität Zürich: „Scharf abzulehnen ist die vorgesehene Bestimmung des Art.  147 Abs.  2: in dieser Bestimmung wird dem Gericht das Recht eingeräumt, Beweismittel abzulehnen, wenn es aufgrund des bisherigen Beweisergebnisses seine Überzeugung schon gebildet hat. (…) Eine antizipierte Beweiswürdigung in dem von Art.  147 Abs.  2 zugelassenen Sinne wird (nach)61 bundesgerichtlicher Praxis in einer Reihe von obiter dicta als zulässig erklärt, tatsächlich aber nur sehr selten und mit größter Zurückhaltung angewandt. (…) Es trifft also nicht zu, dass Art.  147 Abs.  2 die bisherige Rechtstradition fortschreibt. Vielmehr schafft diese Bestimmung eine – grenzenlose – Ermächtigung für das Gericht, im Rahmen des Beweisverfahrens Willkür zu üben. Auf dieser Grundlage kann das Gericht nämlich das Beweisverfahren willkürlich abbrechen und das Urteil aufgrund eines im Beweisverfahren erreichten „Zwischenstandes“ fällen; jene Partei, deren relevante und objektiv taugliche Beweismittel vom Gericht abgelehnt wurden, könnte sich dann nicht über einen etwaigen Verfahrensmangel beschweren, da das Gericht ja im Rahmen der weiten Ermächtigung nach Art.  147 Abs.  2 geblieben ist. (…) Es ist mit Deutlichkeit festzuhalten: In einem rechtsstaatlichen Zivilprozess hat eine solche Bestimmung nichts verloren.“62

58 

Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  399, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilpro zessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 59  Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  400, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 60  Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  400, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilpro zessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 61  Grammatikalische Korrektur durch den Verfasser. Die Fundstelle lautet im Original an dieser Stelle: „(…) wird zu einer bundesgerichtlicher Praxis (…)“, vgl. Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  401, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https:// www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 62  Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  401, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018).

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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Einziger Befürworter des Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE war das Obergericht des Kantons Zürich, das die Regelung für eine begrüßenswerte Klarstellung der bisherigen Praxis hält.63 Sieht man von der letztgenannten Stellungnahme ab, überwogen die Stimmen derer, die sich entschieden gegen Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE und damit gegen die Implementierung der Befugnis zur Vorwegnahme der Beweiswürdigung in die Zivilprozessordnung ausgesprochen haben. Als wesentliche Begründung wurde vorgebracht, dass die Gerichtspraxis, obwohl sie sich im Grundsatz für die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung ausspreche, diese nur äußerst selten tatsächlich zur Anwendung bringe. Darüber hinaus entstehe die Gefahr richterlicher Willkür, was mit einem rechtsstaatlichen Zivilprozess unvereinbar wäre. 3.  Der Entwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung Der Bundesrat nahm am 15. September 2004 von den Stellungnahmen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens Kenntnis und beauftragte daraufhin das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement mit der Ausarbeitung eines Entwurfs einer Schweizerischen Zivilprozessordnung.64 Der Entwurf verzichtete in dessen Art.  150 sZPO-E (vormals: Art.  147 sZPO-VE) auf eine dem Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE entsprechende Regelung.65 Der Bundesrat begründete dies in seiner Botschaft vom 28. Juni 2006 folgendermaßen: „Das Recht auf Beweis – der sog. Beweisanspruch – ist ein wesentlicher Ausfluss des rechtlichen Gehörs (Art.  5166). Es gewährleistet den Parteien, für rechtserhebliche Sachvorbringen zum Beweis zugelassen zu werden, sofern das beantragte Beweismittel tauglich ist sowie formund fristgerecht vorgebracht wird (Abs.  1). Dieses zentrale Parteirecht steht im Spannungsfeld zu der sog. antizipierten Beweiswürdigung: Danach kann das Gericht Beweisanträge ablehnen, wenn es seine Überzeugung durch andere Beweismittel bereits gewonnen hat oder wenn es das

63  Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  400, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 64  Medienmitteilung EJPD vom 15. September 2004, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/aktuell/news/2004/14.html (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 65  Vgl. BBl.  2006, 7413, 7446. 66  Art.  51 sZPO-E: „Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. Insbesondere können sie die Akten einsehen und Kopien anfertigen lassen, soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.“, BBl.  2006, 7413, 7424; Art.  53 Abs.  1 sZPO: „Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. Insbesondere können sie die Akten einsehen und Kopien anfertigen lassen, soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.“, AS.  2010, 1739, 1750.

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

offerierte Beweismittel als untauglich hält. Der Vorentwurf hatte eine entsprechende Regelung vorgesehen (Art.  147 Abs.  2 VE), die jedoch in der Vernehmlassung stark kritisiert wurde. Der Entwurf trägt dieser Kritik Rechnung und erwähnt die antizipierte Beweiswürdigung nicht mehr.“67

Der Bundesrat schloss sich in der Abfassung des Art.  150 Abs.  1 sZPO-E der Expertenkommission und dessen Art.  147 Abs.  1 sZPO-VE an. Auch er folgerte das Recht auf Beweis der Parteien aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, wie er in Art.  51 Abs.  1 sZPO-E und Art.  29 Abs.  2 sBV verankert ist. Was die Vorwegnahme der Beweiswürdigung betrifft, so konstatierte der Bundesrat an dieser Stelle lediglich, dass es in einem gewissen „Spannungsfeld“ zum Beweisführungsrecht der Parteien stehe. Allein die Tatsache, dass die Regelung des Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE in den Art.  150 sZPO-E nicht übernommen wurde, bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber die vorweggenommene Beweiswürdigung für unzulässig gehalten hätte. So heißt es in der Botschaft vom 28. Juni 2006 weiter: „Das bedeutet jedoch nicht, dass sie (antizipierten Beweiswürdigung) künftig von Bundesrechts wegen ausgeschlossen wäre. Vielmehr ist sie der freien Beweiswürdigung inhärent: Kein Gericht ist nach heutiger Praxis gezwungen, allen Beweisanträgen unbesehen und unbeschränkt stattzugeben (Verweis auf BG, Urt. v. 17.11.2005 – II ZA, 5P.296/2005 in Fn.  157). Vielmehr kann eine Partei aufgefordert werden, aus einer Vielzahl von Anträgen eine Selektion zu treffen. Falls sie dieser Aufforderung nicht nachkommt, kann das Gericht selber eine Triage vornehmen und die Beweisabnahme auf ein vernünftiges Mass beschränken. Wenn das Gericht seine Überzeugung schliesslich gebildet hat und das Beweisverfahren abschliessen will, so muss es neuen Beweisanträgen grundsätzlich nur Folge geben, wenn sie zulässige Noven betreffen oder wenn das Gericht seine Feststellungen einzig auf Indizien oder allgemeine Erfahrungssätze zu stützen vermag (Verweis auf BG, Urt. v. 17.03.2005 – I ZA, 4C.469/2004 in Fn.  158). In Interesse eines konzentrierten Verfahrens ist die antizipierte Beweiswürdigung ein notwendiger Ausgleich zum Recht auf Beweis.“68 (Erg. d. Verf.)

Diese Ausführungen bedürfen einer näheren Auseinandersetzung: Der Bundesrat nennt zwei Gründe, warum er eine vorweggenommene Beweiswürdigung für zulässig hält. Zum einen sei die Vorwegnahme der Beweiswürdigung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung selbst „inhärent“. Zum anderen sei es im „Interesse eines konzentrierten Verfahrens“ eine vorweggenommene Beweiswürdigung zuzulassen. Was den Umfang der vorweggenommenen Beweiswürdigung betrifft, so stellt sich der Bundesrat zunächst recht plakativ auf den Standpunkt, dass das Gericht nicht gezwungen werden könne, „allen Beweisanträgen unbesehen und unbeschränkt stattzugeben.“ Dazu beruft sich der Bundesrat auf eine Entscheidung des Bundesgerichts vom 17. November 2005. Ob aber die gerügte Beweisablehnung in der genann67  68 

BBl.  2006, 7221, 7312. BBl.  2006, 7221, 7312.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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ten Entscheidung tatsächlich auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhte, lässt sich anhand der Entscheidung nicht nachvollziehen, da die Rüge des Beschwerdeführers insoweit unsubstantiiert ist.69 Überdies liegt der Entscheidung ein summarisches Arresteinspracheverfahren zugrunde, das von vornherein nicht den gleichen Regeln unterliegt wie das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren.70 Die allgemeingültige Aussage, die der Bundesrat daraus ableiten will, stützt die Entscheidung jedenfalls nicht. Ebenso wenig kann aus der Entscheidung des Bundesgerichts gefolgert werden, dass der Richter befugt sei, die Beweisanträge der Parteien willkürlich auf ein „vernünftiges Mass“ zu beschränken. Der Bundesrat lässt unbegründet, wie er zu dieser rechtlichen Schlussfolgerung gelangt.71 Ebenso unverständlich ist es, wenn der Bundesrat unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesgerichts vom 17. März 2005 die Behauptung aufstellt, dass das Gericht nur dann das Ergebnis der Beweiswürdigung nicht vorwegnehmen darf, wenn seine bisherige Überzeugung auf Indizien beruhe. Damit hat die Entscheidung nichts zu tun. Im konkreten Fall handelte es sich um eine ohne Weiteres zulässige Beweisablehnung wegen objektiver Unerheblichkeit der Beweisführung.72 Nach Maßgabe der vorweggenommenen (antizipierten) Beweiswürdigung sei dem Gericht nach Ansicht des Bundesrats zweierlei gestattet: Zum einen dürfe es einen Beweis mit der Begründung ablehnen, es habe seine Überzeugung durch andere Beweismittel bereits gewonnen. Nach dem diesseitigen Begriffsverständnis stellt dies eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung dar, wobei zu Recht offenbleibt, ob das Gericht von der Beweisbehauptung oder dessen Gegenteil überzeugt ist. Ersteres stellt im Kern eine Beweisablehnung wegen Zweckerreichung, Letzteres wegen Zweckverfehlung 69 

BG, Urt. v. 17.11.2005 – II ZA, 5P.296/2005, E. 4.2.2. BG, Urt. v. 17.11.2005 – II ZA, 5P.296/2005, E. 4.2.1. 71  In der Literatur herrscht die Ansicht, dass eine Beweisführung mittels einer übermäßig großen Zahl von Beweismitteln als missbräuchlich erweist, und infolgedessen vom Gericht ganz oder teilweise abgelehnt werden darf. Dabei handelt es sich aber, wie Brönnimann feststellt, nur der Rechtsfolge nach um eine vorweggenommene Beweiswürdigung. Die Beweis­ ableh­nung als solche beruht aber nicht auf einer solchen, vgl. Brönnimann, in: FS Vogel, 161, 170. Brönnimann ist Recht zu geben. Soweit ein Gericht eine Beweisführung allein aufgrund ihres Umfangs ganz oder teilweise ablehnt, beruht diese Erwägung gerade nicht darauf, dass es die Beweisführung als solche für absolut- oder relativ-subjektiv unerheblich hält. Mit der vorweggenommenen Beweiswürdigung hat diese vom Bundesrat angesprochene Fallgruppe, deren grundsätzliche Legitimität unterstellt, nichts zu tun. Vgl. ferner: Brändli, Rn.  500 ff.; Leuenberger/Uffer-Tobler, Rn.  9.158; Hasenböhler, in: ZürKom, sZPO, 3.  Aufl., Art.  152 Rn.  20 ff.; Gasser/Rickli, in: KurzKom, sZPO, 2.  Aufl., Art.  152 Rn.  3; Schmid, in: KurzKom, sZPO, 2.  Aufl., Art.  157 Rn.  17. 72  BG, Urt. v. 17.03.2005 – I ZA, 4C.469/2004, E. 1.3 f. 70 

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

dar.73 Zum anderen dürfe der Richter einen Beweis mit der Begründung ablehnen, das in Ansatz gebrachte Beweismittel sei „untauglich“. Dies stellt eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung dar. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ein merkwürdiges Bild ab. Wenn die vorweggenommene Beweiswürdigung eigentlich dem Grundsatz der Beweiswürdigung „inhärent“ sei, dann müsste sie eigentlich zum Gegenstand des Art.  154 sZPO-E74 (Art.  157 sZPO75) gemacht werden. Stattdessen aber wird sie im Rahmen des Beweisführungsrechts der Parteien und damit auf der Ebene der Beweiserhebung angesprochen. In Art.  150 Abs.  1 sZPO-E (Art.  152 Abs.  1 sZPO) ist aber wiederum nur die Rede von „untauglichen Beweismitteln“, was bedeutet, dass das Gesetz ausdrücklich nur die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung gestattet. Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist damit unter den Tisch gefallen. Diese unbegründete Aufspaltung hat in der Literatur dazu geführt, dass die vorweggenommene Beweiswürdigung zum einen Teil in Art.  152 Abs.  1 sZPO und zum anderen Teil in Art.  157 sZPO verankert gesehen wird.76 4.  Zusammenfassung Die Bundesversammlung verabschiedete am 19. Dezember 2008 die Schweizerische Zivilprozessordnung.77 Sie trat auf Beschluss des Bundesrats vom 31. März 2010 am 1. Januar 2011 in Kraft.78 Art.  150 sZPO-E wurde unverändert in Art.  152 sZPO übernommen.79 Der Gesetzgeber hat sich somit ausdrücklich für die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung ausgesprochen. Sie soll es dem Gericht erlauben, eine Beweisführung ablehnen zu dürfen, wenn es seine Überzeugung von der Beweisbehauptung bereits gewonnen hat (Be­weisa­ blehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung) oder wenn es das in Ansatz gebrachte Beweismittel für ungeeignet hält (Be­weis­ ablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung). Entscheidendes Motiv hierfür waren – neben dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung – prozessökonomische Erwägungen.

73 

Teil 2, A.II.3.a). BBl.  2006, 7413, 7447. 75  AS.  2010, 1739, 1773. 76  Vgl. etwa: Hasenböhler, in: ZürKom, sZPO, 3.  Aufl., Art.  152 Rn.  21 ff.; Leu, in: Brunner/Gasser/Schwander, ZPO, 2.  Aufl., Art.  152 Rn.  26. 77  AS.  2010, 1739. 78  AS.  2010, 1739, 1836. 79  AS.  2010, 1739, 1772. 74 

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

337

Ob und inwieweit der vorweggenommenen Beweiswürdigung auch Grenzen gesetzt sind, beantwortete der Gesetzgeber nicht. Darüber hinaus setzte er sich mit der im Vernehmlassungsverfahren geäußerten Kritik nicht auseinander, obwohl er sie ganz offenbar zur Kenntnis genommen hat. Die vorgebrachten Bedenken, wonach mit der vorweggenommenen Beweiswürdigung die Gefahr richterlicher Willkür entstehe und die Rechtsstaatlichkeit des Beweisverfahrens insgesamt in Frage gestellt werden konnte, blieben unkommentiert.

II.  Der Standpunkt des Bundesgerichts Obwohl das Recht der Parteien auf Beweisführung und damit der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht erst mit Art.  152 Abs.  1 sZPO eine bundesrechtliche Regelung erfahren hat, hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung schon vorher ein derartiges Recht aus Art.  8 sZGB80 abgeleitet.81 So heißt es bereits im Leitsatz einer Entscheidung des Bundesgerichts vom 2. Juni 1942: „Recht zum Beweis. Wer ein Recht geltend macht, das an das Vorhandensein einer bestimmten Tatsache gebunden ist, muss zum Beweis dieser Tatsache zugelassen werden. Dieser Grundsatz ist in den auf der Bundesgesetzgebung beruhenden Rechten sowie in Art.  8 ZGB implicite enthalten.“82

80  Art.  8 sZGB i. d. F. vom 10. Dezember 1907: „Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.“, AS.  24, 244, 2. 81  BG, Urt. v. 12.071962 – II ZA, BGE 88 II 185, 190, E. 2b); BG, Urt. v. 13.051965 – II ZA, BGE 91 II 159, 161, E. 5.; BG, Urt. v. 06.05.1969 – I ZA, BGE 95 II 461, 467, E. 3.; BG, Urt. v. 07.10.1971 – II ZA, BGE 97 II 193, 196 f., E. 3.; BG, Urt. v. 17.02.1983 – I ZA, BGE 109 II 26, 31, E. 3b); BG, Urt. v. 04.06.1985 – I ZA, BGE 111 II 156, 158, E. 1b); BG, Urt. v. 30.09.1988 – I ZA, BGE 114 II 289, 290 f. E. 2a); BG, Urt. v. 27.09.1989 – I ZA, BGE 115 II 305 f.; BG, Urt. v. 28.11.1989 – I ZA, BGE 115 II 441, 450, E. 6b); BG, Urt. v. 14.07.1992 – I ZR, BGE 118 II 365, 366, E. 1.; BG, Urt. v. 28.12.1992 – I ZA, E 118 II 441, 443, E. 1.; BG, Urt. v. 04.06.1996 – I ZA, BGE 122 III 219, 223, E. 3c); BG, Urt. v. 01.10.2001 – I ZA, BGE 128 III 22, 25 E. 2. d); BG, Urt. v. 17.03.2005 – I ZA, 4C.469/2004, E. 1.3 f.; BG, Urt. v. 17.03.2005 – I ZA, 4C.469/2004, E. 1.3; BG, Urt. v. 20.08.2008 – I ZA, 4A_216/2008, E. 4.2; BG, Urt. v. 11.07.2012 – I ZA, 4A_410/2011, E. 6.2.3; BG, Urt. v. 25.02.2014 – II ZA, 5A_641/2013, E. 1; BG, Urt. v. 15.07.2014 – II ZA, 5A_695/2013, E. 4.1; BG, Urt. v. 18.03.2015 – I ZA, 4A_540/2014, E. 2.1; BG, Urt. v. 28.10.2016 – I ZA, 4A_308/2016, E. 4.1 f.; BG, Urt. v. 15.12.2016 – I ZA, 4A_301/2016; 4A_311/2016, E. 8.3.1; BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1 82  BG, Urt. v. 02.07.1942 – II ZA, BGE 68 II 136, 139 E. 1.

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

Darüber hinaus leitete das Bundesgericht auch aus dem Gleichheitsgebot des Art.  4 sBV a. F.83 ein entsprechendes Beweisführungsrecht her:84 „Art.  4 BV gewährt einer Prozesspartei den Anspruch auf die Abnahme von erheblichen Beweisen, die sie rechtzeitig und formrichtig angetragen hat.“85

Mit der Einführung des Art.  152 Abs.  1 sZPO hat das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zu Art.  8 sZGB für entsprechend anwendbar erklärt. Gleiches gilt für die nunmehr verfassungsrechtliche Anerkennung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Art.  29 Abs.  2 sBV86.87 So hat das Bundesgericht in einer Entscheidung vom 28. Oktober 2016 festgestellt: „Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art.  29 Abs.  2 BV gewährleistet unter anderem den Beweisführungsanspruch, der sich für das Bundesprivatrecht besonders aus Art.  8 ZGB ergibt, sowie seit Inkrafttreten der ZPO auch in Art.  152 ZPO verankert ist. Er verschafft der beweispflichtigen Partei in allen bundesrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeiten einen Anspruch darauf, für rechtserhebliche Vorbringen zum Beweis zugelassen zu werden, soweit entsprechende Anträge im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht gestellt worden sind.“88

Das Beweisführungsrecht der Parteien erfährt nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichts durch die Vorwegnahme der Beweiswürdigung eine Einschränkung. Dazu sei nochmals auf die eingangs bereits erwähnte Entscheidung des Bundesgerichts vom 6. Mai 2015 verwiesen, in der es heißt: „Es bleibt dem Sachgericht unbenommen, von beantragten Beweiserhebungen abzusehen, weil es sie von vornherein nicht für geeignet hält, die behaupteten Tatsachen zu beweisen, oder weil es seine Überzeugung bereits aus anderen Beweisen gewonnen hat und davon ausgeht, dass weitere Abklärungen am massgeblichen Beweisergebnis nichts mehr zu ändern vermöchten.“89 83  Art.  4 sBV i. d. F. vom 20. April 1999: „Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich. Es gibt in der Schweiz keine Untertanenverhältnisse, keine Vorrechte des Orts, der Geburt, der Familien oder Personen. ann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.“, AS.  1999, 2556, 2557. 84  BG, Urt. v. 25.07.1975 – N.N., BGE 101 Ia 102, 104, E. 4.; BG, Urt. v. 03.10.1980 – II ÖA, BGE 106 Ia 161, 162, E. 2b); BG, Urt. v. 30.09.1988 – I ZA, BGE 114 II, 289, 291, E. 2a); BG, Urt. v. 31.05.1991 – II ÖA, BGE 117 Ia 262, 269 f., E. 4c); BG, Urt. v. 09.06.1995 – I ZA, BGE 121 I 108, 111 f., E. 3a); BG, Urt. v. 02.11.1999 – II ÖA, BGE 125 I 417, 430, E. 7a) und b). 85  BG, Urt. v. 22.06.1980 – I ZA, BGE, 106 II 170, 171 f., E. 6b). 86  Art.  29 Abs.  2 sBV i. d. F. vom 18. Dezember 1998: „Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör.“, AS.  1999, 2556, 2561. 87  BG, Urt. v. 18.08.2005 – I ZA, 4P.143/2005, E. 2.1 f.; BG, Urt. v. 09.05.2007 – I ZA, 4P.288/2006, E. 3.1; BG, Urt. v. 31.03.2014, 4A_452/2013, E. 3.1; BG, Urt. v. 30.04.2014 – II ZA, 5A_71/2014, E. 4. 1 f.; BG, Urt. v. 06.05.2015 – II ZA. 5A_658/2014, E. 5.2; BG, Urt. v. 04.10.2016 – II ZA, 5A_100/2016, E. 8.3. 88  BG, Urt. v. 28.10.2016 – I ZA, 4A_308/2016, E. 4.1 f. 89  BG, Urt. v. 06.05.2015 – II ZA. 5A_658/2014, E. 5.2. Wortgleich: BG, Urt. v. 20.08.2008

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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Der Richter ist somit von seiner grundsätzlichen Beweiserhebungspflicht befreit, wenn er die Beweisführung für „ungeeignet“ hält (absolut-subjektive Unerheblichkeit) oder er bereits vom Gegenteil der Beweisbehauptung überzeugt ist (relativ-subjektive Unerheblichkeit). Letzteres gilt freilich erst recht dann, wenn der Richter von der Beweisbehauptung selbst überzeugt ist. Diese Grundsätze galten schon vor dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung und sie gelten noch heute.90

– I ZA, 4A_216/2008, E. 4.2. Ferner: BG, Urt. v. 18.08.2005 – I ZA, 4P.143/2005, E. 2.2; BG, Urt. v. 09.05.2007 – I ZA, 4P.288/2006, E. 3.1. 90  Vgl. nur: BG, Urt. v. 15.05.1964 – II ZA, BGE 90 II 219, 224, E. 4b); BG, Urt. v. 11.07.1972 – I ZA, BGE 98 II 231, 244, E. 8; BG, Urt. v. 03.10.1980 – II ÖA, BGE 106 Ia 161, 162, E. 2b); BG, Urt. v. 22.06.1980 – I ZA, BGE, 106 II 170, 171 f., E. 6b); BG, Urt. v. 17.02.1983 – I ZA, BGE 109 II 26, 31, E. 3b); BG, Urt. v. 04.06.1985 – I ZA, BGE 111 II 156, 158, E. 1b); BG, Urt. v. 30.09.1988 – I ZA, BGE 114 II, 289, 291, E. 2a); BG, Urt. v. 26.04.1989 – I ÖA, BGE 115 Ia 8, 11 f., E. a); BG, Urt. v. 28.11.1989 – I ZA, BGE 115 II 441, 450, E. 6b); BG, Urt. v. 31.05.1991 – II ÖA, BGE 117 Ia 262, 269 f., E. 4c); BG, Urt. v. 17.11.1995 – I SA, BGE 121 I 306, 308, E. 1 b); BG, Urt. v. 09.06.1995 – I ZA, BGE 121 I 108, 111 f., E. 3a); BG, Urt. v. 07.11.1996 – II ÖA, BGE 122 II 464, 469, E. 4a); BG, Urt. v. 04.06.1996 – I ZA, BGE 122 III 219, 223, E. 3c); BG, Urt. v. 25.08.1998 – I ÖA, BGE 124 I 208, 211, E. 4.; BG, Urt. v. 19.011998 – N.N., BGE 124 V 90, 94, E. 5b) und c); BG, Urt. v. 02.11.1999 – II ÖA, BGE 125 I 417, 430, E. 7a) und b); BG, Urt. v. 01.10.2001 – ZA, BGE 128 III 22, 25 E. 2. d); BG, Urt. v. 23.11.2004 – I ZA, 4C.378/1999, E. 5.3; BG, Urt. v. 17.03.2005 – I ZA, 4C.469/2004, E. 1.3 f.; BG, Urt. v. 18.08.2005 – I ZA, 4P.143/2005, E. 2.1 f.; BG, Urt. v. 21.12.2005 – I ZA, 4P.254/2005, E. 4.2; BG, Urt. v. 25.10.2007 – II ZA, 5A_403/2007, E. 3.1; BG, Urt. v. 22.11.2010 – I ZA, 4A_375/2010, E. 2.1; BG, Urt. v. 17.01.2011 – II ZA, 5A_648/2010, E. 2.3.1; BG, Urt. v. 29.03.2011 – I ZA, 4A_69/2011, E. 2.1; BG, Urt. v. 22.08.2011 – II ZA, 5A_312/2011, E. 4.3; BG, Urt. v. 11.07.2012 – I ZA, 4A_410/2011, E. 6.2.3; BG, Urt. v. 17.12.2012 – II ZA, 5A_574/2012, E. 2.; BG, Urt. v. 18.06.2013 – I ZA, 4A_169/2013, E. 3.4; BG, Urt. v. 29.08.2013 – II ZA, 5A_66/2013, E. 3.; BG, Urt. v. 04.03.2014 – II ZA, 5A_720/2013, E. 4.1; BG, Urt. v. 28.03.2014 – I ZA, 4A_340/2013, E. 9.; BG, Urt. v. 31.03.2014, 4A_452/2013, E. 3.1; BG, Urt. v. 04.04.2014 – II ZA, BGE 140 III 264, 266, E. 2.2; BG, Urt. v. 30.04.2014 – II ZA, 5A_71/2014, E. 4. 1 f.; BG, Urt. v. 12.05.2014 – II ZA, 5A_813/2013, E. 4.3; BG, Urt. v. 28.05.2014 – I ZA, 4A_106/2014, E 2.1; BG, Urt. v. 15.07.2014 – II ZA, 5A_695/2013, E. 4.1; BG, Urt. v. 05.11.2014 – II ZA, 5A_423/2014, E. 3.4; BG, Urt. v. 18.02.2015 II ZA, 5A_529/2014, E. 2.3 f.; BG, Urt. v. 12.03.2015 – I ZA, 4A_600/2014, E. 4.1; BG, Urt. v. 18.03.2015 – I ZA, 4A_540/2014, E. 2.1; BG, Urt. v. 12.08.2015 – II ZA, 5A_367/2015, E. 3.1; BG, Urt. v. 02.10.2015 – ZA I, 4D_5/2015, E. 2.1; BG, Urt. v. 11.11.2015 – I ZA, 4A_320/2015, E. 3.3; BG, Urt. v. 15.12.2016 – I ZA, 4A_301/2016; 4A_311/2016, E. 8.3.1; BG, Urt. v. 21.12.2016 – II SA, 9C_93/2016, E. 1; BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1; BG, Urt. v. 06.02.2017 – II ZA, 5A_367/2016, E. 5.

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

1.  Die Bundesrechtliche Überprüfung der vorweggenommenen Beweiswürdigung Da das Beweisführungsrecht der Parteien sowohl bundesrechtlich durch Art.  152 Abs.  1 sZPO als auch verfassungsrechtlich durch Art.  29 Abs.  2 sBV abgesichert ist – auf einen möglichen Verstoß gegen Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK wird gesondert eingegangen – kann gegen eine für unzulässig gehaltene Beweisablehnung entweder Beschwerde gemäß Art.  72 ff. sBGG91 oder subsidiär Verfassungsbeschwerde gemäß Art.  113 ff. sBGG92 eingelegt werden. a)  Die Sachverhaltsrüge nach Art.  97 Abs.  1 sBGG Vor dem Bundesgericht können nach Maßgabe der Art.  72 ff. sBGG grundsätzlich nur Rechtsbeschwerden vorgebracht werden, vgl. Art.  95 sBGG. Im Rahmen seiner Prüfung ist das Bundesgericht dabei an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, vgl. Art.  97 i. V. m. Art.  105 Abs.  1 sBGG. Aus diesem Grund kann nur ausnahmsweise und unter erschwerten Bedingungen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung vor dem Bundesgericht gerügt werden. Gemäß Art.  97 Abs.  1 sBGG kann die Feststellung des Sachverhalts nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.  95 sBGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. Soweit der Beschwerdeführer die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung rügt, hat er substantiiert die Voraussetzungen des Art.  97 Abs.  1 sBGG darzulegen.93 Die Zulässigkeit einer Beweisablehnung nach Maßgabe der vorweggenommenen Beweiswürdigung stellt nach Ansicht des Bundesgerichts eine Sachfrage dar, die der bundesgerichtlichen Überprüfung nur unter den besonderen Voraussetzungen Art.  97 Abs.  1 sBGG unterliegt.94 Das gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer geltend macht, durch eine unzulässige Beweisablehnung in seinem Beweisführungsrecht aus Art.  152 Abs.  1 sZPO verletzt zu sein.95 Will der Beschwerdeführer die Zulässigkeit einer Beweisablehnung, die auf einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung beruht, bundesgerichtlich überprüfen lassen, so muss er substantiiert darlegen, warum sich die Beweisablehnung im 91  AS.  2006,

1205, 1224 ff. 1205, 1237 ff. 93  Statt vieler: BG, Urt. v. 06.12.2012 – I ZA, 4A_505/2012, E. 1.2. 94  Statt vieler: BG, Urt. v. 04.06.1996 – I ZA, BGE 122 III 219, 223, E. 3c); BG, Urt. v. 11.03.2010 – II ÖR, BGE 136, 304, 315 E. 3.3; BG, Urt. v. 06.02.2017 – II ZA, 5A_367/2016, E. 5. 95  Vgl. Brönnimann, in: BernKom, sZPO, Bd.  2, Art.  152 Rn.  65; Schwander, in: Haftpflichtprozess 2012, Rechtsmittel nach neuer ZPO und BGG, S.  141. 92  AS.  2006,

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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konkreten Fall als offensichtlich unrichtig erweist. Das Tatbestandsmerkmal der offensichtlichen Unrichtigkeit hält das Bundesgericht dann für erfüllt, wenn die Sachverhaltsfeststellung willkürlich erfolgte. Dies stellte das Bundesgericht unlängst mit Entscheidung vom 6. Februar 2017 erneut klar: „Die Beschwerdeführerin kann die Feststellung des Sachverhalts rügen, wenn diese offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.  95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann; ‚offensichtlich unrichtig‘ bedeutet dabei ‚willkürlich‘ (Art.  97 Abs.  1 BGG; (…)).“96

Wann die Vorwegnahme der Beweiswürdigung willkürlich und damit offensichtlich unrichtig im Sinne des Art.  97 Abs.  1 sBGG ist, erläuterte das Bundesgericht beispielsweise in einer Entscheidung vom 6. Februar 2012: „Das Bundesgericht greift in eine antizipierte Beweiswürdigung nur ein, wenn sie willkürlich und damit offensichtlich unhaltbar ist, namentlich wenn sie eine prozessuale Vorschrift oder einen unumstrittenen Grundsatz des Beweisrechts krass verletzt oder sonst wie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.“97

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass die Überprüfung der vorweggenommenen Beweiswürdigung der kantonalen Gerichte durch das Bundesgericht an hohe Voraussetzungen geknüpft ist. b)  Die Gehörsrüge nach Art.  117 i. V. m. Art.  106 Abs.  2 sBGG Die Vorwegnahme der Beweiswürdigung kann ferner als eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art.  29 Abs.  2 sBV qualifiziert und infolgedessen im Wege der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach Art.  113 ff. sBGG gerügt werden. Aber auch hier beschränkt sich das Bundesgericht auf eine bloße Willkürkontrolle, wie sich anhand der bereits eingangs erwähnten Entscheidung vom 27. Januar 2017 erkennen lässt: „Derart vorweggenommene Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht auf Willkür hin.“98 96  BG, Urt. v. 06.02.2017 – II ZA, 5A_367/2016, E. 2.3. Vgl. ferner: BG, Urt. v. 15.08.2016 – I ZA, 4A_118/2016, E. 4; BG, Urt. v. 02.10.2015 – ZA I, 4D_5/2015, E. 2.1: „Das Bundesgericht greift in eine antizipierte Beweiswürdigung nur ein, wenn sie willkürlich und damit offensichtlich unhaltbar ist.“; wortgleich: BG, Urt. v. 28.05.2014 – I ZA, 4A_106/2014, E 2.1; BG, Urt. v. 12.03.2015 – I ZA, 4A_600/2014, E. 4.1; BG, Urt. v. 18.03.2015 – I ZA, 4A_540/2014, E. 2.1. Vgl. ferner: BG, Urt. v. 17.01.2011 – II ZA, 5A_648/2010, E. 2.3.1; BG, Urt. v. 29.03.2011 – I ZA, 4A_69/2011, E. 2.1; BG, Urt. v. 22.08.2011 – II ZA, 5A_312/2011, E. 4.3; BG, Urt. v. 31.03.2014, 4A_452/2013, E. 3.1. 97  Urt. v. 06.02.2012 – I ZA, 4A_431/2011, E. 2.1. 98  BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1. Ebenso bereits: BG, Urt. v. 24.09.2014 – II ÖA, BGE 140 I 285, 299, E. 6.3.1; BG, Urt. v. 18.02.2015 II ZA, 5A_529/2014, E. 2.3 f.; BG, Urt. v. 11.03.2015 – I ÖA, BGE 141 I 60, 64, E. 3.3.

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

Die verfassungsrechtliche Willkürkontrolle unterscheidet sich in diesem Zusammenhang hinsichtlich ihrer Prüfungsintensität und -tiefe nicht von der im Bereich des Art.  152 Abs.  1 sZPO respektive Art.  8 sZGB. So stellte das Bundesgericht in der eben genannten Entscheidung ferner klar: „Aus dem bundesgesetzlichen Beweisführungsanspruch (Art.  8 ZGB) folgt nichts Abweichendes.“99

Der Sache nach ist von einer willkürlichen und damit verfassungswidrigen Vorwegnahme der Beweiswürdigung nach Maßgabe der folgenden Gesichtspunkte auszugehen: „Willkür in der (vorweggenommenen) Beweiswürdigung liegt vor, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges Beweismittel, das für den Entscheid wesentlich sein könnte, unberücksichtigt gelassen hat oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen getroffen hat. Vorausgesetzt ist dabei, dass die angefochtene Tatsachenermittlung den Entscheid im Ergebnis und nicht bloss in der Begründung als willkürlich erscheinen lässt.“100

Die Gleichartigkeit der bundesrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Willkürkontrolle im Bereich der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist somit schwerlich von der Hand zu weisen.101 Soweit sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt stellt, Art.  152 Abs.  1 sZPO sei von den Kantonsgerichten willkürlich unrichtig angewandt worden, kann eine vorweggenommene Beweiswürdigung darüber hinaus unter Bezugnahme auf Art.  9 sBV102 als verfassungswidrig beanstandet werden.103 Auch dies verdeutlicht die vom Bundesgericht in Ansatz gebrachte Prüfungsparallelität.

99 

BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1. Ebenso: BG, Urt. v. 26.04.2012 – II ZA, BGE 138 III 374, 375 f., E. 4.3.1 f. 100  BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1. 101  Noch mehr an der im Bereich der Sachverhaltsrüge nach Art.  97 Abs.  1 sBGG verwendeten Willkürformel orientiert sich eine Entscheidung des Bundesgerichts vom 18. Mai 2004: „Willkürlich ist ein Entscheid vielmehr erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, insbesondere mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.“, BG, Urt. v. 18.05.2004 – I ZA, 4P.48/2004, E. 3.1. 102  Art.  9 sBV i. d. F. vom 18. Dezember 1998: „Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.“, AS.  1999, 2556, 2558. 103  BG, Urt. v. 13.04.2010 – 1 ZA, 4D_33/2010, E. 4.; BG, Urt. v. 22.03.2012 – I ZA, 4A_510/2011, E. 4.; BG, Urt. v. 27.01.2017 – II ZA, 5A_369/2016, E. 4.1

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

343

c)  Die Vereinbarkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung mit Art.  6 Abs.  1 EMRK Das Bundesgericht ist in ständiger Rechtsprechung der Ansicht, dass eine Be­ weis­ablehnung, die auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht, im Einklang mit Art.  6 Abs.  1 EMRK steht. Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen der vorangegangenen Untersuchung. Wenn durch Art.  6 Abs.  1 S.  1 und Abs.  3 lit.  d EMRK schon nicht der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht verbürgt ist, dann kann sich daraus konsequenterweise auch nicht die Unzulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung ergeben.104 In diesem Sinne stellte das Bundesgericht in einer Entscheidung vom 2. Juni 2016 Folgendes fest: „Die Beschwerdeführer monieren, Art.  6 Ziff.  1 EMRK räume ihnen einen Anspruch ein, vom gesamten Spruchkörper angehört zu werden. Sie irren. Die EMRK enthält keine Vorschriften zum Beweisrecht (…), weder über die Beweislast, die Zulässigkeit von Beweismitteln, den Beweiswert derselben (…) noch darüber, wie Beweise zu würdigen sind ((…); zur antizipierten Beweiswürdigung vgl. Urteil Centro Europa 7 S.r.l. und Di Stefano gegen Italien Nr.  38433/09 vom 7. Juni 2012 §  198).“105

Vergleichbares ist in einer Entscheidung vom 5. November 2014 anzutreffen: „Angesichts der verfassungskonformen antizipierten Beweiswürdigung liegt auch keine Verletzung von Art.  6 Ziff.  1 EMRK vor.“106

d) Ergebnis Für die Frage, ob ein kantonales Gericht im Rahmen einer Beweisablehnung die zulässigen Grenzen der vorweggenommenen Beweiswürdigung überschritten hat, macht es aus Sicht des Bundesgerichts im Grunde keinen Unterschied, ob die Ausgangsentscheidung im Wege des ordentlichen Beschwerdeverfahrens nach Art.  72 ff. sBGG oder im Wege der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach Art.  113 ff. sBGG angegriffen wird. Das Bundesgericht beschränkt sich in beiden Fällen auf eine bloße Willkürkontrolle. Aus diesem Grund kann im FolDieser Standpunkt wird in der Schweizer Literatur geteilt, vgl. Kofmel, Recht auf Beweis, S.  44; Walter, ZBJV 1991, 316, 319; Schenk, Die antizipierte Beweiswürdigung, Rn.  76 f. Vgl. Teil 1, B.II.5 und B.V.3. 105  BG, Urt. v. 02.06.2016 – II ZA, BGE 142 I 188, 194, E. 3.3.2. 106  BG, Urt. v. 05.11.2014 – II ZA, 5A_423/2014, E. 3.4. Vgl. ferner: BG, Urt. v. 18.09.2009 – SA, 8C_283/2009, E. 2.2.2: „Diese Beurteilung beruht, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, auf einer einlässlich begründeten, überzeugenden antizipierten Beweiswürdigung. Dies verstösst nicht gegen Art.  6 Ziff.  1 EMRK.“; BG, Urt. v. 09.05.2011 – I SA, 8C_979/2010, E. 4.4: „Sofern das Gericht eine Parteibefragung als unnötig erachtet und dies auf einer einlässlich begründeten, überzeugenden antizipierten Beweiswürdigung beruht, liegt kein Verstoss gegen Art.  6 Ziff.  1 EMRK vor.“ 104 

344

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

genden vernachlässigt werden, ob das Bundesgericht über die Zulässigkeit einer vorweggenommenen Beweiswürdigung aus Anlass einer Sachverhaltsrüge nach Art.  97 Abs.  1 sBGG oder einer Gehörsrüge nach Art.  117 i. V. m. Art.  106 Abs.  2 sBGG entschieden hat. 2.  Die Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Um Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den deutschen Gerichten und dem Schweizerischen Bundesgericht im Umgang mit der vorweggenommenen Beweiswürdigung identifizieren zu können, bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung mit der vom Bundesgericht in Ansatz gebrachten Willkürkontrolle. Konkret soll in Erfahrung gebracht werden, ob es bereits Fälle gab, in denen das Bundesgericht eine auf einer vorweggenommen Beweiswürdigung bestehende Beweisablehnung für zulässig erachtet hat, die der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht für unzulässig gehalten hätten. Es hat sich gezeigt, dass die bundesgerichtliche Überprüfung der kantonsgerichtlichen Tatsachenfeststellung hohen Zugangsvoraussetzungen unterliegt. Insbesondere was die Vorwegnahme der Beweiswürdigung betrifft, wäre es nicht ausreichend, wenn diese sich nur als bundesrechtswidrig erwiese; es müssen vielmehr Gründe vorgebracht werden, die die Beweisablehnung willkürlich erscheinen lassen. Vor diesem Hintergrund darf wohl gemeinhin davon ausgegangen werden, dass eine Beweisablehnung, die auf einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung beruht, nur in seltenen Fällen dem Bundesgericht zur Kontrolle vorgelegt wird. Aus diesem Grund kann die kursorische Rechtsprechungsanalyse des Bundesgerichts keine abschließende Einschätzung darüber liefern, ob und inwieweit die Vorwegnahme der Beweiswürdigung in der schweizerischen Gerichtspraxis tatsächlich zulässig ist. Eine gewisse Tendenz ist aber eindeutig zu erkennen. Die nachfolgende Untersuchung erfolgt, um nicht aus dem System herauszufallen, streng nach Maßgabe des dieser Arbeit zugrundeliegenden Begriffsverständnisses in den Kategorien der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung (auch: „Ungeeignetheit des Beweismittels“) und wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung (auch: „Erwiesenheit des Gegenteils“). a)  Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Die Beweisführung ist absolut-subjektiv unerheblich, wenn das zur Beweisführung verwendete Beweismittel keinen Beweiswert im Sinne eines richterlichen Überzeugungsgehalts haben wird, weil ihm eine besondere Eigenschaft inne-

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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wohnt, aufgrund derer ihr der Richter von vornherein jeden Beweiswert mit Sicherheit absprechen kann und darf.107 aa)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Für offensichtlich willkürlich und damit unzulässig hielt das Bundesgericht in einer Entscheidung vom 12. Dezember 2005 die Ablehnung der beantragten Vernehmung des Hausarztes des Beweisführers, die das kantonale Gericht damit begründete, dass dem Hausarzt ohnehin von vornherein jegliche Glaubwürdigkeit fehle. Der Beweisführer wollte durch die Vernehmung des Hausarztes seine Arbeitsunfähigkeit im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nachweisen.108 bb)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Dagegen erachtete das Bundesgericht es in einer Entscheidung vom 3. Mai 2006 für zulässig, wenn das kantonale Gericht von einer beantragten Zeugenvernehmung absieht, weil die unter Beweis gestellte Wahrnehmung schon längere Zeit – neun Jahre – zurückliege und die Zeugen mit der Beweisführerin in einem Vertragsverhältnis stünden. All dies lasse auf die Wertlosigkeit der beantragten Zeugenvernehmung schließen.109 Ein vergleichbarer Fall lag einer Entscheidung des Bundesgerichts vom 13. April 2010 zugrunde. Der Beweisführer wollte eine im Streit stehende Lohnzahlung durch Zeugenvernehmung nachweisen. Das Kantonsgericht lehnte die Zeugenvernehmung mit der Begründung ab, dass sich der Zeuge wohl kaum an die in Rede stehende Lohnzahlung werde erinnern können, da diese acht Monate zurückliege und der Zeuge aufgrund seiner ander­

107 

Teil 2, A.II.1.b)aa). BG, Urt. v. 21.12.2005 – I ZA, 4P.254/2005, E. 4.2: „Das Kantonsgericht hält in seiner ausführlichen Begründung nunmehr klar fest, dass es die mündliche Befragung des Hausarztes ablehnt, weil es in antizipierter Beweiswürdigung seine möglichen Aussagen für nicht glaubwürdig hält. Es weist dem Hausarzt mehrere Widersprüche in seinen Zeugnissen bzw. zwischen seinen schriftlichen Angaben und jenen anderer Ärzte nach und schliesst daraus auf seine Unglaubwürdigkeit.“ 109  BG, Urt. v. 03.04.2006 – I ZA, 4P.28/2006, E. 2.3: „Das Obergericht führte aus, das Kantonsgericht habe die Herren D. und E. einerseits deshalb nicht als Zeugen einvernommen, weil es nach neun Jahren kaum mehr möglich sei, einen Sachverhalt im Detail zu rekonstruieren; andererseits handle es sich bei den angerufenen Zeugen um solche, die in einem Vertragsverhältnis zur Bauherrschaft stünden und somit nicht völlig unabhängig seien. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge der willkürlichen antizipierten Beweiswürdigung sei nicht stichhaltig.“ Vgl. ferner: BG, Urt. v. 11.07.1972 – I ZA, BGE 98 II 231, 244, E. 8. 108 

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

weitigen Beschäftigung mit einer Vielzahl von derartigen Lohnzahlungen betraut sei.110 Ebenfalls willkürfrei sei es, wenn das kantonale Gericht von einer Zeugenvernehmung mit der Begründung absieht, dass zwischen dem Zeugen und dem Beweisführer ein Näheverhältnis bestehe.111 Ein solches kann beispielsweise darin liegen, dass der Zeuge vorangegangene Vertragsverhandlungen für den Beweisführer führte.112 Ferner dürfe die Parteivernehmung eines Geschäftsführers des Beweisführers mangels Beweiswerts in einem Rechtsstreit abgelehnt werden, der aus einem bestehenden Abhängigkeitsverhältnis resultiere.113 Gleiches gelte für Stellvertreter und Büromitarbeiter des Beweisführers,114 oder schlicht für 110 

BG, Urt. v. 13.04.2010 – 1 ZA, 4D_33/2010, E. 4.1 ff.: „Zwar ist ihr darin beizupflichten, dass der Schluss der Vorinstanz, der angerufene Zeuge werde sich nicht an das behauptete Vorkommnis erinnern, nicht zwingend ist. Indessen ist an die bestehenden Ungereimtheiten hinsichtlich der vorliegenden Urkunden zu erinnern (fehlende Datierung; Unterschrift der Arbeitnehmerin deckt den nicht von ihrer Hand stammenden Barzahlungsvermerk nicht; dieser fehlt auf dem Exemplar der Arbeitnehmerin). Inwiefern eine zu Gunsten der Beschwerdeführerin lautende Aussage die dadurch hervorgerufenen Zweifel an der Version der Beschwerdeführerin hätte beseitigen können, legt die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenügend dar und kommt insoweit ihrer Begründungsobliegenheit nicht nach.“ 111  Vgl. BG, Urt. v. 13.05.2009 – I ZA, 4A_182/2009, E. 4.3: „So sei die offerierte persönliche Befragung der Beschwerdeführer unzulässig bzw. jedenfalls von geringem Beweiswert, da absehbar sei, dass sie zu ihren eigenen Gunsten aussagen würden. Auch der Beweiswert der Aussagen der als Zeugen angerufenen C.E. und D.E. wäre angesichts deren Nähe zu den Beschwerdeführern gering. Ebenso könne auf die persönliche Befragung der Beschwerdegegnerinnen verzichtet werden, da auch bei ihnen absehbar wäre, dass sie nicht zu ihren eigenen Ungunsten aussagen würden. (…) Die Beschwerdeführer vermögen diese plausiblen Erwägungen nicht als willkürlich auszuweisen (…).“ 112  BG, Urt. v. 27.05.2008 – I ZA, 4A_480/2007, E. 2.4: „Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers hat das Obergericht nicht auf die Befragung von C. verzichtet, weil er mit dem Beschwerdeführer verwandt ist, sondern weil er für ihn die Vertragsverhandlungen führte. Daraus ergibt sich offensichtlich, dass die beiden Brüder in Bezug auf den Prozessgegenstand in einer engen Beziehung zueinander standen, weshalb das Obergericht nicht in Willkür verfiel, wenn es annahm, seine Aussage könnte nur als Parteibehauptung gewürdigt werden.“ 113  BG, Urt. v. 26.06.2007 – I ZA, 4P.37/2007, E. 4.1: „Die Vorinstanz hat zu Recht erkannt, dass eine im Sinne der Beschwerdeführerin lautende Aussage den Behauptungen des Beschwerdegegners widersprechen würde, so dass sich insoweit Aussage gegen Aussage von Personen gegenüberständen, von denen eine (der Beschwerdeführer) ein direktes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, während die Beweiskraft der Aussage der anderen Person wegen des möglichen Einflusses der Beschwerdeführerin im Rahmen des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses eingeschränkt ist. (…).“ 114  BG, Urt. v. 07.10.2004 – I ZA, 4P.157/2004, E. 3.1: „Die Beschwerdeführerin erblickt insofern eine willkürliche antizipierte Beweiswürdigung, als sich das Kantonsgericht mit der Zeugeneinvernahme von C. begnügt und die Einvernahme der weiteren, von ihr angebotenen vier Zeugen abgelehnt habe. Dazu ist zu bemerken, dass das Kantonsgericht die Einvernahme

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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dessen Angestellte.115 Ein die Beweisablehnung begründendes Näheverhältnis wird vom Bundesgericht aber nicht nur dann angenommen, wenn zwischen dem Beweisführer und dem zu vernehmenden Zeugen ein Rechtsverhältnis, sei es gesetzlich oder vertraglich begründet, besteht. Auch ein früherer Rechtsvertreter und Büropartner des Beweisführers könne als von vornherein völlig unglaubwürdig und dessen Aussage mithin als wertlos angesehen werden.116 Ferner kann eine Beweisablehnung auch dadurch gerechtfertigt sein, dass der zu vernehmende Zeuge am Ausgang des Rechtsstreits ein finanzielles Eigeninteresse hat.117 Muss ein Zeuge beispielsweise im Falle des Prozessverlusts des Beweisführers mit einer Inanspruchnahme durch diesen rechnen, so erweise sich dessen Aussage als von vornherein wertlos, da inhaltlich ohnehin absehbar.118 dieser Zeugen in erster Linie mit der Begründung abgelehnt hat, als Stellvertreter bzw. Büromitarbeiter von C. sei von diesen nichts Neues zu erwarten.“ 115  4P.151/2004, E. 3.2: „Vorliegend hat das Obergericht auf die Einvernahme der von der Beschwerdeführerin angerufenen Zeugen verzichtet mit der Begründung, dass es sich um Angestellte der A.-Gruppe handle, sodass nicht entscheidend auf ihre Aussagen abgestellt werden könne.“; BG, Urt. v. 18.08.2005 – I ZA, 4P.143/2005, E. 2.2: „So wurde ausgeführt, dass die Zeugin als Arbeitnehmerin der Beschwerdeführerin nicht neutral sei und sich durch ihre Aussage selbst belasten könnte, weshalb auf ihre Aussagen ohnehin nicht entscheidend abgestellt werden könnte. Diese antizipierte Beweiswürdigung ist nicht willkürlich. Es ist auf jeden Fall nicht offensichtlich unhaltbar, wenn es der Sachrichter ablehnt, als ausschliessliches Beweismittel auf die Aussagen einer Zeugin abzustellen, die als Angestellte einer Prozesspartei über ihre eigene Arbeitstätigkeit befragt wird.“ 116  BG, Urt. v. 18.05.2004 – I ZA, 4P.48/2004, E. 3.2: „Da es sich beim dazu angerufenen Zeugen, Fürsprecher P., um den damaligen Rechtsvertreter und Büropartner der gegenwärtigen Anwältin des Beschwerdegegners handle, sei anzunehmen, er werde als Zeuge angeben, der Beschwerdeführer habe bis zum Schreiben vom 3. November 2003 die Verrechnung nie erwähnt.“; BG, Urt. v. 04.11.2013 – II ZA, 5A_714/2013, E. 4.3.2: „En l’espèce, procédant à une appréciation anticipée des preuves, l’autorité cantonale a jugé que le témoignage sollicité par le recourant, du fait des vraisemblables liens hiérarchiques entre celui-ci et la potentielle témoin, n’était pas de nature à pouvoir apporter, en toute objectivité, la preuve qu’il avait respecté le délai pour former opposition.“ 117  BG, Urt. v. 22.03.2012 – I ZA, 4A_510/2011, E. 4.2: „B habe ein erhebliches eigenes Interesse daran zu behaupten, er habe die Mittel an die A. AG weitergeleitet, da er ansonsten riskieren würde, selbst vom Beschwerdeführer belangt zu werden. Er entlaste sich durch eine entsprechende Aussage auch moralisch. Einer Aussage im Sinne des Beschwerdeführers käme unter diesen Umständen nur ein sehr beschränkter Beweiswert zu, weshalb auf sie zum Vornherein nur in Verbindung mit weiteren in die gleiche Richtung weisenden Indizien abgestellt werden könnte. Solche Indizien mit objektivem Beweiswert lägen indessen nicht vor.“ 118  BG, Urt. v. 27.10.2010 – I ZA, 4D_93/2010, E. 3.2: „Inwiefern diese antizipierte Beweiswürdigung willkürlich sein soll, legt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dar und ist auch nicht ersichtlich. Auf die Einvernahme von Z. als Zeugen konnte die Vorinstanz ohne Willkür verzichten, da dieser ein offensichtliches Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens hat, riskiert er doch, bei Doppelzahlung von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommen zu werden.“ Ebenso: BG, Urt. v. 31.03.2009 – II ZA, 5A_11/2009, E. 2.5: „Quant à l’audition

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

Die Wertlosigkeit einer Zeugenvernehmung kann auch aus einer Gesamtschau von finanziellem Eigeninteresse und emotionalem Näheverhältnis resultieren. Diese rechtfertigt insbesondere die Ablehnung der Ehefrau als Zeugin.119 Das Bundesgericht hat eine Beweisablehnung auch in dem Fall für zulässig erachtet, in dem die bei der in Rede stehenden missglückten Operation behandelnden Ärzte Angaben zum Operationsverlauf hätten machen sollen.120 Und schließlich kann von einer beantragten Zeugenvernehmung abgesehen werden, wenn der Zeuge sich durch diese in einen Widerspruch zu einer vorangegangenen Vernehmung setzen würde.121 Vergleichbares gilt auch dann, wenn von einer Zeugenvernehmung abgesehen wird, weil der Zeuge bereits in einem vorangegangenen Strafverfahren Aussagen gemacht hat und das kantonale Zivilgericht diese aktenkundigen Aussagen berücksichtigen kann.122

de l’époux de la recourante, il n’était à l’évidence pas arbitraire de considérer qu’elle était inutile, vu l’intérêt de cette personne à soustraire une partie de ses actifs aux saisies dont il faisait l’objet.“ 119  BG, Urt. v. 18.04.2007 – I ZA, 4A_10/2007, E. 2.9: „Nach dessen Darstellung war bei der behaupteten Abrede mit den Beschwerdegegnern von den genannten Zeugen nur seine Ehefrau anwesend, von deren Einvernahme das Gericht aufgrund der Eigeninteressen und der engen Verbindung zum bereits angehörten Zeugen ohne Willkür absehen konnte.“ 120  BG, Urt. v. 23.11.2004 – I ZA, 4C.378/1999, E. 5.3: „Die vom Beklagten als Auskunftspersonen bzw. Zeugen angerufenen Dr. A. und Dr. B. können wegen Befangenheit nicht befragt werden. Sie waren massgeblich an der missglückten Operation beteiligt und haben ein erhebliches Interesse am Ausgang dieses Prozesses, der sich negativ auf ihre berufliche Zukunft auswirken kann. Die Befangenheit besteht in Bezug auf sämtliche in diesem Verfahren interessierenden Fragen, also nicht nur hinsichtlich der Frage gehöriger Aufklärung der Patientin, sondern auch hinsichtlich der Frage des Operationsverlaufs. Der Antrag des Beklagten, diese Personen als Zeugen bzw. Auskunftspersonen zu befragen, ist deshalb abzuweisen.“ 121  BG, Urt. v. 11.09.2006 – I ZA, 4P.126/2006, E. 3.2: „Falls der Zeuge das behauptete Treuhandverhältnis bestätigen würde, stünde dies in völligem Widerspruch zu seiner Korrespondenz und den übrigen Prozessakten.“ 122  BG, Urt. v. 10.06.2008 – I ZA, 4A_90/2008, E. 3.6: „Les juges cantonaux ont ajouté que la recourante ne contestait pas que le dossier pénal, qui avait implicitement été produit, pouvait être invoqué comme moyen de preuve, ce que la loi prévoyait du reste expressément. A. B. et C. avaient déjà été entendus comme témoins dans la procédure pénale et l’examen du dossier pénal démontrait que la plupart des pièces fiscales et de poursuites requises par la recourante avaient été versées au dossier pénal, dont les actes avaient été produits dans la procédure d’annulation. Le juge civil n’était certes pas lié par les constatations, dépositions ou rapports ressortant d’une procédure pénale et il pouvait faire administrer à nouveau ces preuves. En l’espèce, la cour ne discernait toutefois aucune raison de renouveler cet exercice; il avait déjà été amplement effectué et il n’existait aucun indice qui justifierait que d’autres points soient examinés, d’autant que les faits remontaient à bon nombre d’années et que la recourante avait déjà eu largement le temps de rechercher toutes pièces dont la production aurait pu être utile.“

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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cc) Ergebnis Das Bundesgericht sieht in einer Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung regelmäßig keinen Willkürverstoß. Ein über die Willkürkontrolle hinausgehender konkretisierbarer Prüfungsansatz liegt der ausgewerteten Rechtsprechung nicht zugrunde. Es läuft letzten Endes immer auf eine Einzelfallprüfung hinaus. Nach Maßgabe des in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Lösungskonzepts besteht kein Zweifel, dass das Bundesgericht eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung in weiten Teilen zulässt. Die vom Bundesgericht als zulässig erachtete Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung hielte dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nach deutschem Rechtsverständnis in jedem der genannten Fälle nicht stand. Beurteilte man die genannten Fälle nach Maßgabe des hier entwickelten Lösungskonzepts, hätte eine Beweisaufnahme stets stattfinden müssen. Aus diesem Grund hätte sich eine entsprechende Beweisablehnung durch ein deutsches Gericht als Verfahrens- und Verfassungswidrig dargestellt, da sie dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht zuwidergelaufen wäre und im Prozessrecht nicht im Ansatz eine Stütze gefunden hätte.123 Wie die vorangegangene Rechtsprechungsanalyse gezeigt hat, erachtet es der Bundesgerichtshof beispielsweise für unzulässig, wenn eine Beweisablehnung damit begründet wurde, dass zwischen Wahrnehmung und Wiedergabe eine längere Zeit liege,124 während das Reichsgericht dies noch für zulässig erachtet hatte.125 Das Bundesverfassungsgericht scheint diesen Punkt – allerdings für den Strafprozess – ebenfalls etwas großzügiger zu handhaben.126 Gleiches gilt auch für die Beweisablehnung wegen emotionaler Nähe zwischen Zeuge und Beweisführer oder eines Interesses am Ausgang des Rechtsstreits. Das Reichsgericht hat eine derartige Beweisablehnung noch ausnahmsweise akzeptiert, während der Bundesgerichtshof ihre Zulässigkeit strikt verneint (vgl. Teil 2, B.I.2.b) und B. III.2.a)). b)  Die Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Die Beweisführung ist relativ-subjektiv unerheblich, wenn mit Rücksicht auf die bisherige Verhandlung und Beweisaufnahme der Richter eine derart unerschütterliche Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der unter Beweis ge123 

Teil 1, B.V.1 und B.V.2. Teil 2, B.III.2.a). 125  Teil 2, B.I.2.b). 126  Teil 2, B.IV.2.b). 124 

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

stellten Tatsache hat, dass er der Beweisführung von vornherein jeden Beweiswert mit Sicherheit absprechen kann und darf.127 aa)  Unzulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Das Bundesgericht hielt es in einer Entscheidung vom 13. Mai 1965 für unzulässig, dass das kantonale Gericht für die Vaterschaftsfeststellung die Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens unter anderem mit der Begründung ablehnte, dass die Vaterschaft des Beweisführers schon allein deshalb feststehe, weil er im Zeitraum der Empfängnis der Mutter des Klägers beigewohnt habe und eine Blutuntersuchung positiv ausgefallen sei. Das Kantonsgericht verneinte vor diesem Hintergrund eine weitergehende Aufklärung durch das beantragte Gutachten.128 bb)  Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung Soweit das kantonale Gericht vom Gegenteil einer unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptung überzeugt ist und dies entsprechend begründen kann, darf es nach Ansicht des Bundesgerichts indes von einer gegenbeweislichen Zeugenvernehmung absehen.129 Beruhte die Überzeugung des Gerichts beispielsweise auf vier unterschiedlichen Zeugenaussagen und habe bisher erst ein fünfter Zeuge das Gegenteil ausgesagt, so könne von der Vernehmung eines sechsten Zeugen, 127 

Teil 2, A.II.1.b)bb). BG, Urt. v. 13.051965 – II ZA, BGE 91 II 159, 161 ff., E. 4 ff.: „Wenn, wie im vorliegenden Falle, das Ergebnis des AEG gänzlich ungewiss ist, kommt nicht in Frage, den vom Beklagten angetretenen Beweis durch antizipierte Beweiswürdigung als aussichtslos zu erklären. Anders könnte es sich allenfalls beim Vorliegen übereinstimmender auffälliger Merkmale des Kindes und des Beklagten verhalten.“ 129  BG, Urt. v. 03.04.2006 – I ZA, 4P.28/2006, E. 2.5: „Damit ist das Obergericht nicht in Willkür verfallen, wenn es der Zeugenaussage von G. auf Grund anderer Beweise keinen Glauben schenkte. Unter diesen Umständen konnte das Obergericht willkürfrei annehmen, auch mögliche Aussagen der von der Beschwerdeführerin zusätzlich beantragen Zeugen E. und D. könnten am Beweisergebnis nichts mehr ändern, zumal seit dem Materialeinbruch über zehn Jahre vergangen sind und die Zeugen in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Bauherrschaft stehen, was nach der zutreffenden Annahme des Obergerichts die Beweiskraft ihrer Aussagen reduziert.“ Vgl. ferner: BG, Urt. v. 12.03.2015 – I ZA, 4A_600/2014, E. 4.1: „Die Vorinstanz ging demnach davon aus, weder die Befragung der Sachbearbeiterin der Beschwerdegegnerin, noch die der Beraterin der Beschwerdeführerin bzw. deren Aktennotiz hätten entscheidrelevante Erkenntnisse gebracht, welche die bereits gewonnene Überzeugung umstossen könnten.“ Vgl. ferner: BG, Urt. v. 04.06.1985 – I ZA, BGE 111 II 156, 158, E. 1b); BG, Urt. v. 30.04.2014 – II ZA, 5A_71/2014, E. 4. 1 f.; BG, Urt. v. 11.11.2015 – I ZA, 4A_320/2015, E. 3.3. 128 

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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der ebenfalls das Gegenteil der bisherigen Feststellungen bestätigen sollte, abgesehen werden. Schließlich werde die richterliche Überzeugung immer noch durch vier Zeugen gestützt. Das Verhältnis könne sich durch die beantragte Zeugenvernehmung von bisher vier zu eins auf lediglich vier zu zwei ändern.130 Willkürfrei sei es ferner, einen Zeugen vom Hörensagen mit der Begründung abzulehnen, dass ein unmittelbarer Zeuge eine gegenteilige Wahrnehmung bereits bekundet habe.131 Des Weiteren dürfe von einer Parteivernehmung abgesehen werden, wenn sich das Gericht vom Gegenteil der Beweisbehauptung durch Urkunden überzeugen konnte.132 Vergleichbares gilt für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auch davon könne abgesehen werden, wenn sich der Richter aufgrund von Akten und Zeugenvernehmungen eine hinreichende Überzeugung bilden konnte.133

130 

BG, Urt. v. 03.12.2007 – I ZA, 4A_321/2007, E. 5.2: „En l’occurrence, dans le cadre des enquêtes conduites devant les premiers juges, trois témoins directs et un témoin indirect ont déclaré de concert, contredisant un témoin isolé, que l’obtention d’une température de 16° dans certaines chambres de l’immeuble n’était qu’un souhait de la recourante manifesté en cours de travaux, mais aucunement une exigence de sa part. Il appert, dans ce contexte, que l’audition d’un unique témoin supplémentaire n’était pas à même de faire basculer la conviction des premiers juges, laquelle reposait de toute manière sur les dires d’une majorité de témoins, comme l’ont bien vu les juges cantonaux. Le grief pris d’une violation du droit d’être entendu est sans consistance.“ 131  BG, Urt. v. 07.06.2004 – II ZA, 5P.67/2004, E. 6.1: „Das Kantonsgericht hat auf die Einvernahme von M.A. mit der Begründung verzichtet, diese könne aus eigener Wahrnehmung weder über die Kollision noch über das Bremsverhalten des Rodels Angaben machen. Weiter würde ihre Aussage ebenfalls nicht als solche einer unbeteiligten Drittperson erscheinen. Diese antizipierte Beweiswürdigung weist keine Willkür auf. Es ist haltbar, eine Zeugin nicht einzuvernehmen, welche den Unfall unstreitig nicht aus eigener Wahrnehmung schildern kann, zumal die direkt Beteiligten (insbesondere S.A. und T.A. angehört worden sind. Ebenfalls die Schlussfolgerung, M.A. würde ohnehin nicht als unbefangene Zeugin erscheinen, hält dem Willkürverbot stand.“ 132  BG, Urt. v. 26.06.2007 – I ZA, 4P.37/2007, E. 4.: „Es sei aber willkürlich, deren Inhalt allein aufgrund der Schreiben zu eruieren, in welchen auf die Besprechung Bezug genommen wird, und davon auszugehen, die Parteibefragung der Person, welche das Schreiben mitunterzeichnet hatte, vermöchte am Beweisergebnis nichts zu ändern.“ 133  BG, Urt. v. 18.02.2015 II ZA, 5A_529/2014, E. 2.3 f.: „Das Obergericht hat (…) hat die Entscheidgrundlage aufgrund der in den Akten liegenden Berichte der Beiständinnen, Schreiben der Betreuungspersonen und Arztberichte sowie der Anhörung des Kindes als genügend bezeichnet und keine besonderen Umstände im obgenannten Sinne erkennen können, die die Einholung eines Gutachtens notwendig machten.“ Vgl. ferner: BG, Urt. v. 17.12.2012 – II ZA, 5A_574/2012, E. 2.

352

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

cc) Ergebnis Auch eine Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung erachtet das Bundesgericht ganz regelmäßig für zulässig. Solange das kantonale Gericht hinreichend begründet, warum es eine unumstößliche Überzeugung aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme gewonnen hat, stellt die Beweisablehnung wegen der Erwiesenheit des Gegenteils der Beweisbehauptung keinen Willkürverstoß dar. In diesem Punkt ist der Unterschied zwischen der Rechtsprechungspraxis des Bundesgerichts und der des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts noch größer als im Bereich der Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Denn nach deutschem Rechtsverständnis ist eine Beweisablehnung wegen des Erwiesenseins des Gegenteils generell unzulässig.134 c) Ergebnis Die in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts betonte Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, wie dies die Universität Zürich in ihrer Stellungnahme des Vernehmlassungsverfahrens zum Vorentwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung insinuiert.135 Die kursorische Rechtsprechungsanalyse hat gezeigt, dass das Bundesgericht eine Beweisablehnung, die auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht, für zulässig erachtet, soweit sie von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen wird. Das Bundesgericht nennt keinen Grund, warum das Beweisführungsrecht der Parteien durch eine auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhenden Beweisablehnung eingeschränkt werden kann und darf. Leitend wird hierbei wohl der Gedanke sein, dass es aus Sicht des Richters sinnlos erscheint, eine Beweisaufnahme durchzuführen, der man von vornherein keinen Erkenntnisgewinn beimisst. Immerhin kommt es letzten Endes allein auf die Kognition des Richters an. Für die Frage aber, ob der Richter im jeweiligen Einzelfall von der Nutzlosigkeit der Beweisführung ausgehen darf, lässt das Bundesgericht den kantonalen Gerichten weitestgehend freie Hand. Es macht ihnen gerade keine verbindlichen Vorgaben, wie sie ihre Beweisprognose aufzustellen haben und insbesondere wie weitreichend sie Vermutungen über das zu erwartende Beweisergebnis anstellen dürfen. Die den kantonalen Gerichten gewährte Freiheit im 134 

Teil 2, B.III.3.a) und B.IV.3. Zusammenfassung der Vernehmlassungen, S.  401, abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Justiz, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilpro zessrecht/ve-ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am: 8. Juli 2018). 135 

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

353

Umgang mit Beweisanträgen scheint ganz offenbar in der Gerichtspraxis wenige Probleme zu machen. So konnten im Rahmen der kursorischen Rechtsprechungsanalyse nur selten Fälle identifiziert werden, in denen eine auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhende Beweisablehnung sich tatsächlich als grob anstößig und daher willkürlich erwies. All das lässt auf einen sehr bedachten und rücksichtsvollen Umgang der kantonalen Gerichte mit der Befugnis zur Vorwegnahme der Beweiswürdigung schließen. 3. Zusammenfassung Unterzöge man die ausgewerteten Entscheidungen des Bundesgerichts einer rechtlichen Überprüfung nach Maßgabe der bereits vom Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 31. März 1881 aufgestellten Anforderungen, hielten diese einer solchen in aller Regel nicht stand. Eine Beweisablehnung wäre – wie dargelegt – nur dann zulässig, wenn der Richter von vornherein mit letzter Sicherheit feststellt, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben wird.136 Diese Grundsätze prägen das deutsche Rechtsverständnis über die Zulässigkeit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung bis heute. Die hier in den Blick genommenen Entscheidungen des Bundesgerichts lassen zwar zum Teil sehr vernünftige Gründe erkennen, warum es die Beweisablehnung durch die kantonalen Gerichte für zulässig erachtet hat, auch wenn diese auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhten. Gleichwohl ist in keinem dieser Fälle mit letzter Sicherheit ausgeschlossen gewesen, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung anders ausgefallen wäre, wenn die jeweiligen Gerichte der beantragten Beweisführung stattgegeben hätten. Denn das Ergebnis der Beweiswürdigung war – nach Maßgabe des hier in Ansatz gebrachten Lösungskonzepts – weder durch gesetzliche Beweiswürdigungsregeln, noch durch allgemeine Erfahrungssätze oder durch wissenschaftliche Erkenntnisse, Denkgesetze oder Naturgesetze determiniert.137 Ob sich in den ausgewerteten Entscheidungen das Ergebnis der Sachverhaltsfeststellung durch die Beweisaufnahme geändert hätte, kann freilich nicht mit Sicherheit beurteilt werden. Das mag vielleicht nicht einmal wahrscheinlich sein. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist nämlich allein, ob es möglich war, dass sich das Ergebnis der Sachverhaltsfeststellung durch die (abgelehnte) Beweisaufnahme geändert hätte. Allein das genügte – jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis –, um den Richter zur Beweiserhebung für verpflichtet zu ­halten. 136  137 

Teil 1, B.II.1.a)bb). Teil 2, A.II.3.b).

354

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

III.  Der Standpunkt der Literatur Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung wird in der schweizerischen Literatur kontrovers diskutiert. Eine eingehende Auseinandersetzung soll an dieser Stelle jedoch unterbleiben. Es genügt, das in der Literatur anzutreffende Meinungsspektrum grob zu umreißen.138 138  Auch

in der Schweizer Literatur wird zwischen verschiedenen Kategorien, in denen eine vorweggenommene Beweiswürdigung in Betracht kommen kann, unterschieden, vgl. Schenk, Die antizipierte Beweiswürdigung, Rn.  28 ff., 36 ff., 51 ff., 57 ff. m. w. N. Diese sind namentlich die Beweisablehnung wegen „Untauglichkeit des Beweismittels“ oder wegen „Feststehen des Beweisergebnisses“. Die erstgenannte Kategorie entspricht der der absolut-subjektiv unerheblichen Beweisführung, die zweitgenannte Kategorie entspricht der der relativ-subjektiv unerheblichen Beweisführung. Freilich sind die gewählten Begriffe keine feststehenden. Geringfügige terminologische Abweichungen sind, da die genannten Kategorien nicht dem Gesetz selbst entnommen werden, unausweichlich. Innerhalb der Kategorie „Untauglichkeit des Beweismittels“ wird gemeinhin weiter zwischen der „objektiven Untauglichkeit des Beweismittels“ und der „subjektiven Untauglichkeit des Beweismittels“ unterschieden. Als Beispiel für die erste Unterkategorie wird klassischerweise der blinde Zeuge, der über seine visuelle Wahrnehmung berichten soll, genannt. Beispiele für die zweite Unterkategorie sind der unglaubwürdige Zeuge, oder der Zeuge, der über eine längst vergangene Wahrnehmung berichten soll, vgl. Schenk, Die antizipierte Beweiswürdigung, Rn.  29 ff. Diese letzte Unterscheidung in die zwei genannten Unterkategorien überzeugt nicht. Ebenso wie es „den Blinden“ nicht gibt und im jeweiligen Einzelfall der Grad der Sehbehinderung ins Verhältnis mit der unter Beweis gestellte Wahrnehmung gesetzt werden muss, gibt es „den unglaubwürdigen Zeugen“ nicht. Abgesehen von einem notorischen, krankhaften Lügner – wenn es so etwas nach dem aktuellen medizinischen Wissensstand überhaupt gibt – ist niemand strukturell unglaubwürdig. Und wenn doch, wäre dies durch eine entsprechende medizinisches Sachverständigengutachten zu belegen, bevor der Richter von sich aus einen Zeugen von vornherein als unglaubwürdig einstuft. Einen dahingehenden allgemeinen Erfahrungssatz gibt es jedenfalls nicht. Wenn man sich auf die Vorstellung des „unglaubwürdigen Zeugen“ überhaupt einlassen möchte, kann allenfalls von einer von vornherein unglaubhaften Wahrnehmung die Rede sein. Diese kann sich wiederum aus anderweitigen Erkenntnissen, wie etwa aus einem eindeutigen Foto- oder Videobeweis oder dem richterlichen Augenschein ergeben. Dann aber ist die Fallgruppe des „unglaubwürdigen Zeugen“ (richtigerweise: „unglaubhaften Zeugen“) der Beweisablehnung wegen „Feststehen des Beweisergebnisses“ zuzuordnen (nach diesseitigem Verständnis: „Beweisablehnung wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung“). Umgekehrt fällt der Zeuge, der sich aufgrund zwischenzeitlich verstrichener Zeit an die unter Beweis gestellte Wahrnehmung nicht mehr erinnern können soll, schlicht in die Kategorie der Beweisablehnung wegen „Untauglichkeit des Beweismittels“ (nach diesseitigem Verständnis: „Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung“). Voraussetzung ist allerdings, dass – notfalls mittels Sachverständigem – feststeht, dass eine entsprechende Erinnerung des Zeugen aufgrund der verstrichenen Zeit ohne verbleibenden Zweifel ausgeschlossen ist. Andernfalls dürfte er nicht von vornherein als „untaugliches Beweismittel“ qualifiziert werden – jedenfalls nach dem deutschen Prozessrechtsverständnis. Festzuhalten bleibt: Aus den genannten Gründen überzeugen die in der Schweizer Literatur regelmäßig anzutreffenden Unterkategorien der „Objektiven Untauglichkeit“ und der „Subjektiven Untauglichkeit“ nicht.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

355

Gegen die Zulässigkeit der Vorwegnahme der Beweiswürdigung in der Schweiz spricht sich in erster Linie Habscheid aus.139 Seiner Ansicht nach ist sie mit dem Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht („Recht auf Beweis“) unvereinbar, da eine Beweiswürdigung sich zwingend der Beweiserhebung, zu der der Richter gerade verpflichtet ist, anschließe.140 Diese Ansicht vertritt ebenso Hafter.141 Auch er ist davon überzeugt, dass eine Beweiswürdigung überhaupt erst nach der Beweiserhebung in Betracht komme.142 Aus diesem Grund könne es eine Beweiswürdigung vor der Beweiserhebung nicht geben. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung lasse somit keinen Schluss auf den Umgang mit Beweisanträgen zu. Guyan wendet gegen die vorweggenommene Beweiswürdigung ein, dass ihr eine gesetzliche Grundlage fehle.143 Unter Bezugnahme auf den Gewährleistungsgehalt des „Rechts auf Beweis“ lehnt auch Kofmel die Vorwegnahme der Beweiswürdigung ab.144 Der Richter sei, sofern ein ordnungsgemäßer Beweisantrag über eine streitentscheidende Tatsache gestellt worden sei, verpflichtet, diesen zu erheben.145 Das impliziere, dass eine Beweisablehnung, die auf einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung beruht, unzulässig ist. Deutliche Kritik an der vorweggenommenen Beweiswürdigung übt ferner Oberhammer. Er bezeichnet die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung als ein „Musterbeispiel für prozessuale Willkür“.146 Seiner Ansicht nach komme eine Beweisablehnung nur dann in Betracht, wenn mit letzter Sicherheit feststehe, dass die Beweisführung auf die richterliche Überzeugungsbildung keinen Einfluss haben wird. Dieser Grad an Gewissheit werde jedoch in aller Regel nicht erreicht werden können, weshalb die Vorwegnahme der Beweiswürdigung grundsätzlich unzulässig sein müsse.147 Für die Zulässigkeit der Vorwegnahme der Beweiswürdigung streiten dagegen unter anderem Hasenböhler und Leu.148 Sie verteidigen die vorweggenommene Beweiswürdigung als Instrument der Verfahrensbeschleunigung, auch wenn sie die Bedenken, die gegen die Vorwegnahme der Beweiswürdigung erhoben werden, nicht leugnen. Gleichwohl überwiegen nach herrschender Auffassung die Habscheid, SJZ 1984, 381, 383. Habscheid, SJZ 1984, 381, 383. 141  Hafter, Strategie und Technik des Zivilprozesses, 2.  Aufl., Rn.  2301 ff. 142  Hafter, Strategie und Technik des Zivilprozesses, 2.  Aufl., Rn.  2301. 143  Guyan, in: BasKom, sZPO, 3.  Aufl., Art.  157 Rn.  14. 144  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  263 ff. 145  Kofmel, Recht auf Beweis, S.  263. 146  Oberhammer, in: FS Rechberger, S.  507, 512. Er führt weiter aus, dass mit Art.  147 Abs.  2 sZPO-VE eine „Einladung zur Willkür“ ausgesprochen worden sei. 147  Oberhammer, in: FS Rechberger, S.  507, 522. 148  Hasenböhler, in: FS Rutz, S.  105, 109 f.; ders., in: ZürKom, 3.  Aufl., Art.  152 Rn.  18 ff.; Leu, in: Brunner/Gasser/Schwander, sZPO, 2.  Aufl., Art.  152 Rn.  107 ff. 139  140 

356

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

prozessökonomischen Vorteile der Vorwegnahme der Beweiswürdigung gegenüber einer uneingeschränkten richterlichen Pflicht zur Beweiserhebung. Brönnimann, Nonn und Brändli halten eine vorweggenommene Beweiswürdigung ebenfalls für zulässig, allerdings unter der Maßgabe, dass der Richter im Rahmen seiner Entscheidung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anstelle.149 Dabei soll das Interesse des Beweisführers an der Sachverhaltsaufklärung dem Interesse an einem raschen und kostengünstigen Prozessgang gegenübergestellt werden. Haberbeck unterstreicht in diesem Zusammenhang die große Bedeutung des sowohl bundesrechtlich (Art.  142 Abs.  1 S.  2 sZPO150) als auch verfassungsrechtlich (Art.  29 Abs.  1 sBV151) verankerten Beschleunigungsgebots.152 Jedenfalls bei einer Vielzahl von Beweisofferten soll nach Ansicht von Schenk eine antizipierte Beweiswürdigung des Richters zulässig sein, wenn die Parteien zuvor Gelegenheit hatten, eine bestimmte Auswahl unter den zur Verfügung stehenden Beweismitteln zu treffen.153 Ansonsten will Schenk innerhalb der Kategorie der untauglichen Beweismittel (hier: „absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung“) differenzieren: Soweit ein Fall der subjektiven Untauglichkeit des Beweismittels vorliege – hierunter fallen beispielsweise die „unglaubwürdigen Zeugen“ – dürfe eine vorweggenommene Beweiswürdigung nicht stattfinden, da es Sache des Richters sei, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen festzustellen.154 Das überzeugt, lässt aber ein inneres System einer möglicherweise zulässigen oder unzulässigen Beweisablehnung nicht erkennen. Denn – wie erwähnt – gibt es auch so etwas wie „den blinden Zeugen“ oder „den tauben Zeugen“, die auch von Schenk als objektiv untaugliches Beweismittel qualifiziert werden, nicht. Wie müsste man sich verhalten, wenn ein Zeuge lediglich schwerhörig ist? Wäre in diesem Fall eine Beweisablehnung im Wege der vorweggenommenen Beweiswürdigung zulässig? Es kann wohl nicht kategorisch ausgeschlossen werden, 149  Brönnimann, in: FS Vogel, S.  161, 179 f.; ders., in: BernKom, sZPO, Bd.  2, 1.  Aufl., Art.  152 Rn.  62; Nonn, in: Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Bd.  37, S.  75 ff.; Brändli, Prozessökonomie im schweizerischen Recht, S.  231 f. 150  Art.  124 Abs.  1 S.  2 sZPO i. d. F. vom 19. Dezember 2008: „Es erlässt die notwendigen prozessleitenden Verfügungen zur zügigen Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens.“, AS.  2010, 1739, 1766. 151  Art.  29 Abs.  1 sBV i. d. F. vom 18. April 1999: „Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.“, AS.  1999, 2556, 2568. 152  Haberbeck, Es erlässt die notwendigen prozessleitenden Verfügungen zur zügigen Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens, in: Jusletter 3. Februar 2014, S.  8, abrufbar unter der Homepage von Jusletter.ch, http://www.haberbeck.ch/assets/jusletter_12januar_2015.pdf (zuletzt abgerufen, am: 8. Juli 2018). 153  In diesem Sinne: Schenk, Die antizipierte Beweiswürdigung, Rn.  89. 154  Schenk, Die antizipierte Beweiswürdigung, Rn.  90.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

357

dass auch ein Schwerhöriger oder ein Sehbehinderter unter Umständen brauchbare Wahrnehmungen machen können. Zufriedenstellende Ergebnisse lassen sich daher nicht über eine wenig überzeugende Kategorisierung der Beweismittel erzielen. Insgesamt überwiegen wohl die Stimmen derer, die sich für die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung aussprechen. Sie begründen ihren Standpunkt im Wesentlichen mit prozessökonomischen Erwägungen. Solange der Richter im Umgang mit der Vorwegnahme der Beweiswürdigung Augenmaß behält, dürfe es ihm nicht versagt bleiben, aussichtslose Beweisantritte von vornherein abzulehnen. Dieser eher pragmatische Ansatz kann freilich den dogmatischen Angriffen nichts entgegensetzen. Die Befürworter der vorweggenommenen Beweiswürdigung stellen auch nicht in Abrede, dass eine möglicherweise erfolgsversprechende Beweisführung verfrüht und damit die Rechte des Beweisführers verletzend abgelehnt werden könnte. Diese Gefahr sei jedoch zugunsten der Fälle, in denen sich die Vorwegnahme der Beweiswürdigung als ein probates Mittel der Prozessbeschleunigung erweise, schlicht hinzunehmen.

IV. Ergebnis Nach dem schweizerischen Prozessrechtsverständnis besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung zulässig ist. Sie dient dem primären Zweck, auf der Grundlage prozessökonomischer Erwägungen die Beweisführungsmöglichkeit der Parteien maßvolle einzuschränken. Aus diesem Grund darf der Richter eine beantragte Beweisführung mit der Begründung ablehnen, dass er das in Ansatz gebrachte Beweismittel von vornherein für untauglich halte (Art.  152 Abs.  1 sZPO) oder dieses an seiner bereits feststehenden Überzeugung nichts mehr ändern werde. Im ersten Fall liegt eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung vor, im zweiten Fall eine solche wegen relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung. Die dabei von den kantonalen Gerichten zu beachtende Willkürschwelle ist äußerst hoch. Erst dann, wenn kein plausibler Grund ersichtlich ist, warum der Richter eine beantragte Beweisführung für wertlos erachtet hat, kann eine Beweisablehnung, die auf einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung beruht, gegen Bundesrecht (Art.  152 Abs.  1 sZPO) oder Verfassungsrecht verstoßen (Art.  29 Abs.  2, und Art.  9 sBV). Die Befürworter einer Beweisablehnung, die auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht, stützen ihre Ansicht im Wesentlichen auf die folgenden zwei Gesichtspunkte: Zum einen werden prozessökonomische Erwägungen angestellt. Jede Beweisaufnahme verlangsamt und verteuert den Prozess, unge-

358

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

achtet des damit verbundenen Erkenntnisgewinns. Dem kann mit Hilfe einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung effektiv begegnet werden. Zum anderen wird der Grundsatz der freien Beweiswürdigung angeführt. Insbesondere der Gesetzgeber rechtfertigt hiermit die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung: Ist der Richter nach der Beweisaufnahme zur freien Beweiswürdigung befugt, so muss Gleiches auch vor der Beweisaufnahme gelten. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich jedoch beide Gründe als nicht durchschlagend: Prozessökonomische Vorteile, die mit der vorweggenommenen Beweiswürdigung verbunden werden, können diese nur aus der Perspektive ihrer rechtspraktischen Konsequenz heraus bewerten. Führte etwa die vorweggenommene Beweiswürdigung dazu, dass die darauf beruhende Entscheidung auf fehlende Akzeptanz in der Rechtsgemeinschaft stieße, so wären die prozessökonomischen Vorteile der vorweggenommenen Beweiswürdigung wertlos. Ein Prozess und eine darauf beruhende Entscheidung, die von dem Adressatenkreis nicht akzeptiert und als rechtens anerkannt wird, ist ohne jeden Wert – unabhängig davon, wie schnell die Entscheidung erging. Darüber hinaus, bleibt völlig unklar, wo die vernünftigen Grenzen prozessökonomischer Erwägungen liegen. Je weitreichender man prozessökonomischen Überlegungen Raum lässt, desto größer wird die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, man wolle ohnehin nur „kurzen Prozess“ machen. Deshalb können prozessökonomische Erwägungen nur eingeschränkt zur Rechtfertigung von verfahrensrechtlichen Strukturprinzipien herangezogen werden. Diese ihnen innewohnende latente Gefahr für das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ist nicht aus dem Blick zu verlieren. Das zweite vorgebrachte Argument betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Dass dieser die Vorwegnahme der Beweiswürdigung nicht zu legitimieren vermag, hat bereits Kurlbaums II im Rahmen der parlamentarischen Debatte zur Zivilprozessordnung im 19. Jahrhundert trefflich erkannt (s. o.): „Der Richter, der eine Beweisaufnahme ablehne, würdige den Beweis nicht, sondern verschließe sich demselben.“155

Es handelt sich mithin bei dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zur Rechtfertigung der Vorwegnahme der Beweiswürdigung um nicht mehr als ein Scheinargument. Weder die Prozessökonomie, noch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung können die Zulässigkeit der Vorwegnahme der Beweiswürdigung überzeugend begründen. Die eigentliche Legitimationsbasis der vorweggenommenen Beweiswürdigung kann nach Maßgabe der bereits gewonnenen Erkenntnisse nur im 155 

Hahn, Materialien zur CPO, Bd.  2/1, S.  669.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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strukturellen Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Integrität und Neutralität des Richters liegen. Dieses Vertrauen allein vermag es zu rechtfertigen, dass die Beweisführung der Parteien durch das Gericht beschnitten werden darf, ohne dass damit ein Akzeptanzverlust im Hinblick auf die darauf beruhende Entscheidung einhergeht.156 Damit verbleibt nur noch, der Frage auf den Grund zu gehen, warum in der Schweiz das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Richterschaft ein wesentlich ausgeprägteres ist als in Deutschland. Eine den wissenschaftlichen Ansprüchen restlos genügende Antwort kann hierauf freilich nur die Rechtssoziologie liefern. Vorsichtige Vermutungen sind mit Blick auf die entwicklungsgeschichtlichen Feststellungen zum zivilprozessualen Beweisverfahren gleichwohl ­möglich. Die Rolle des Richters in der schweizerischen Rechtsgemeinschaft unterscheidet sich ganz erheblich von der in der deutschen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Das Richteramt pflegt in der Schweiz eine gewisse Würde zu tragen, die es in Deutschland bedauerlicherweise (!) weitgehend verloren hat. Dem Richter kommt in der Gesellschaft nicht nur allgemeines Ansehen zu; auch hohe Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen zeugen von großer Wertschätzung.157 Des Weiteren herrscht in der Schweiz nach der Wahrnehmung von Oberhammer eine andere „Konfliktkultur“ als in Deutschland.158 Die mündliche Verhandlung findet in wesentlich engerer Abstimmung mit dem Richter statt. Konfrontative Rede und Gegenrede sind im schweizerischen Zivilprozess eher selten anzutreffen. Auch die richterlichen Freiheiten, die dem Schweizer Richter andernorts im Zivilprozess zuteil werden, lassen auf eine hohe Wertschätzung des Richteramts schließen. Dazu führt Oberhammer trefflich aus: „Wer Prozessleitung und – daraus resultierend - -konzentration in hohem Maße in das richterliche Verfahrensermessen stellt, geht dabei vom Bild einer den Prozessgegenstand souverän überblickenden Richterpersönlichkeit aus, (…).“159

Das bedeutsamste legitimationsstiftende Element des Schweizer Richters ist aber freilich dessen Wahl. Auch wenn diese in jüngerer Zeit oftmals durch die Parteiangehörigkeit vorbestimmt und dadurch mediatisiert ist, so ist in der Schweiz die demokratische Rückkoppelung der Justiz gleichwohl weit ausgeprägter als in Deutschland.160 Der mit der Richterwahl einhergehende Vertrau156 

Teil 1, C. Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 772. 158  Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 771. 159  Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 771. 160  Dazu eingehend: Kiener, betrifft: Justiz 2002, 378 ff.; dies., Richterliche Unabhängigkeit, S.  228 ff.; Gass, AJP 2010, 1143 ff.; ders., AJP 2007, 593 ff.; Bühler, in: FS Rey, S.  521 ff.; Livschitz, Die Richterwahl im Kanton Zürich, S.  8 ff., 256 ff. 157 

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

ensvorschuss der Rechtsgemeinschaft mag weiterhin dadurch verstärkt werden, dass Schweizer Richter als „Diener des Gemeinwesens ganz allgemein weniger obrigkeitlich aufzutreten pflegen als anderswo.“161 Gerade im Hinblick auf die Richterwahl besteht eine unverkennbare Parallele zum Richterbild der römischen Legisaktionen- und Formularprozesse. Auch hier wählten die Parteien ihren Richter; auch hier war das Vertrauen in die Integrität und Neutralität des Richters besonders ausgeprägt; und auch hier war die Vorwegnahme der Beweiswürdigung zulässig.162 Die Wahl des Richters durch die Rechtsgemeinschaft stellt sich vor diesem Hintergrund als ein ganz wesentliches legitimations- und vertrauensstiftendes Element des Schweizerischen Zivilprozesses dar. Die Vorwegnahme der Beweiswürdigung hat sich in der schweizerischen Gerichtspraxis als ein durchaus funktionstüchtiges Instrument bewährt, die gegenläufigen Interessen an einer umfassenden Sachaufklärung und an einer raschen Prozessbeendigung in einen weitestgehend gerechten Ausgleich zu bringen. Der eigentliche Grund aber dafür, dass das Bundesgericht, die herrschende Literatur und der Gesetzgeber sich teils mit Nachdruck für die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung aussprechen, liegt in einem – soviel ist jedenfalls zu vermuten – tief verwurzelten Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Richterschaft.

V. Stellungnahme Der Umgang mit der vorweggenommenen Beweiswürdigung im schweizerischen Zivilprozess kann und soll Anlass geben, das bislang strikte Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung im deutschen Zivilprozess kritisch zu hinterfragen. Die Vorteile, die mit einer zumindest partiellen Öffnung jenes Verbots nach schweizerischem Vorbild einhergingen, sind nicht von der Hand zu weisen. Dem Richter würde ein flexibles, den jeweiligen Umständen des Einzelfalls gerecht werdendes Instrument an die Hand gegeben werden, wodurch er auf den Gang der mündlichen Verhandlung einschließlich der Beweisaufnahme schon im Vorfeld einen größeren Einfluss nehmen könnte. Welche Beweisanträge erfahrungsgemäß die richterliche Überzeugung zu begründen vermögen, kann letzten Endes der Richter selbst am besten entscheiden. Eine Beweisaufnahme um ihrer selbst willen soll schließlich auch nach deutschem Prozessrechtsverständnis nicht stattfinden. Glaubt der Richter von vornherein, sich sicher zu sein, dass eine weitergehende Beweisführung an seiner bisherigen Überzeugung nichts ändern 161  162 

Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 773. Teil 1, A.I.1 und A.I.3.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

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werde oder dass diese schlicht wertlos sei, kann das eigentliche Ziel der Beweisführung von vornherein nicht erreicht werden. Die Beweiserhebung erfolgte dann aufgrund reiner Formalität. Überdies darf nicht übersehen werden, dass die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung auch disziplinierend auf die Parteien und deren Prozessbevollmächtigte wirken kann. Diese werden versuchen, ihre Beweisführung möglichst schlank und plausibel zu gestalten, sehen sie sich doch der ständigen Gefahr ausgesetzt, dass der Richter ihre Beweisführung von vornherein abschneidet. Auch aus Sicht des Praktikers sprechen deshalb gute Gründe für die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Wie sich das aufgezeigte Dilemma aus Sicht des Tatrichters darstellt, illustriert Schneider anschaulich wie folgt: „Der Kläger hat beispielsweise drei gute, glaubwürdige Zeugen benannt, die vernommen worden sind und seine Behauptungen bestätigt haben. Die Sachdarstellung des Klägers ist auch innerlich folgerichtig und paßt sich in den Gesamtablauf des Geschehens ein. In dieser prozessualen Lage beantragt der Beklagte, gegenbeweislich seine Ehefrau zu vernhemen. – Kein Richter liebt solche Beweisanträge, denn dabei kommt nichts heraus. Gleichwohl muß die Ehefrau des Beklagten vernommen werden. Es könnte nämlich so sein, daß sie eine Schilderung gibt, die das bisherige Beweisergebnis erschüttert. Mag das auch unwahrscheinlich sein; es ist denkbar.“163

Anders als in Deutschland, dürften nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die kantonalen Gerichte der Schweiz in einem solchen Fall von der Beweiserhebung ohne weiteres absehen.164 Ob man das durchweg begrüßen kann, ist indes zweifelhaft. Selbst wenn in neun von zehn Fällen bei der Gegenbeweisführung „nichts herausgekommen würde“, könnte sich doch im zehnten Fall das Blatt zugunsten des Beweisführers wenden. Der Richter müsste dann eine Entscheidung auf Basis der Beweislast treffen, da eine Tatsachenfeststellung zu seiner Überzeugung nicht möglich war (non liquet). Der Preis für die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung aus Gründen der Prozessökonomie kann daher im Einzelfall ein sehr hoher sein. Die rechtspolitischen Folgen, die es hätte, wenn dem Richter tatsächlich das Zepter in die Hand gegeben werden würde und er nach freiem Ermessen vorab beurteilen dürfte, ob eine Beweisführung Aussicht auf Erfolg hat oder nicht, sind in ihrer ganzen Tragweite völlig unkalkulierbar. Die Prozessrechtsgeschichte lehrt, dass die Grenze zwischen Freiheit und Willkür des Richters schon Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5.  Aufl., Rn.  201. BG, Urt. v. 18.04.2007 – I ZA, 4A_10/2007, E. 2.9: „Nach dessen Darstellung war bei der behaupteten Abrede mit den Beschwerdegegnern von den genannten Zeugen nur seine Ehefrau anwesend, von deren Einvernahme das Gericht aufgrund der Eigeninteressen und der engen Verbindung zum bereits angehörten Zeugen ohne Willkür absehen konnte.“ 163  164 

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Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

immer eine fließende war. Solange die Rechtsgemeinschaft, wie etwa zu Zeiten der römischen Legisaktionen- und Formularprozesse, uneingeschränkt auf die Integrität und Neutralität des Richters vertraut, stellt sich ein mit weitreichenden Befugnissen ausgestattetes Richteramt als wahrer Segen jeder richterlichen Kognition dar.165 Wandeln sich aber die Zeiten und geht das Vertrauen in das Richteramt verloren, erweist sich eben diese richterliche Freiheit als Fluch für die gesellschaftliche Akzeptanz des Richterspruchs. Der Vorwurf, durch korrumpierte Richter der eigenen Rechte beraubt worden zu sein, kann dann nur schwer ausgeräumt werden. Das gefährdet letzten Endes nichts Geringeres als den Rechtsfrieden selbst. Hierin wird letztlich auch der entscheidende Grund gelegen haben, warum man dem Richter auf der Ebene der Beweiserhebung jede prozessgestaltende Befugnis entzogen und sie – vermittelt durch die Verhandlungsmaxime – den Parteien übertragen hat. Sollte Schaffrath tatsächlich Recht behalten, wenn er in den Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862 sagte, dass das Volk nichts mehr hasst, als Willkür,166 so wäre diese auch nicht damit zu rechtfertigen gewesen, dass sie in neun von zehn Fällen die Beweisablehnung zu einem richtigen Ergebnis geführt hätte. Denn soviel steht fest: in zehn von zehn Fällen hätte der Richter mit Willkür gehandelt, und zumindest die unterlegene Partei würde sich nicht davon freimachen können, den Richter für den Prozessverlust mitverantwortlich zu machen – ungeachtet dessen, ob das Urteil letzten Endes ein gerechtes war. Wieviel richterliche Freiheit der Zivilprozess „verträgt“, kann nicht pauschal beantwortet werden. Das hängt letztlich entscheidend davon ab, wieviel Vertrauen die Rechtsgemeinschaft in ihre Richter setzt. Solange durch mehr richterliche Freiheit die generelle Akzeptanz des Richterspruchs nicht in Frage gestellt wird, sprechen gute Gründe dafür, das darin liegende Potential für einen schnelleren und kostengünstigeren Zivilprozess auszuschöpfen. Besteht aber die Gefahr, dass die Rechtsgemeinschaft die Objektivität des Richters in Zweifel zieht und dessen Urteil von vornherein mit Argwohn begegnen könnte, sollte es tunlichst vermieden werden, dem Richter mehr Freiheit im Bereich des zivilprozessualen Beweisverfahrens einzuräumen. Schlussendlich handelt es sich bei dem aufgezeigten Spannungsverhältnis um eine rechtspolitische Wertungsfrage. Sie wurde gerade im Vorfeld der Zivilprozessordnung Mitte des 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert. Schlussendlich setzten sich die Stimmen derer durch, die sich für das Prinzip der Parteiherrschaft

165  166 

Teil 1, A.I.1. Schaffrath, Verhandlungen zum 3. DJT, Bd.  2, S.  541.

B.  Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

363

und Parteiverantwortung aussprachen.167 Das war aber keineswegs zwingend. Schon während der Verhandlungen zum Dritten Deutschen Juristentag im Jahr 1862 forderte Endemann, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und damit das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung auf der Ebene der Beweiserhebung zu implementieren. Das hätte zur Folge gehabt, dass man dem Richter im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung weitestgehend freie Hand gelassen hätte.168 Der Standpunkt des Schweizer Gesetzgebers, wonach die Vorwegnahme der Beweiswürdigung den Grundsatz der freien Beweiswürdigung „inhärent“ sei, ist, soweit jener Grundsatz nur auf der Ebene der Beweiswürdigung, nicht aber auch auf der Ebene der Beweiserhebung gilt, in mehrfacher Hinsicht widerlegt. Dieses Argument wurde in der Debatte über das zivilprozessuale Beweisverfahren der deutschen Zivilprozessordnung bereits vor 150 Jahren – glücklicherweise vergebens – bemüht. Gleichwohl wäre es vor diesem Hintergrund unsachlich und verfehlt, den von der schweizerischen Prozessrechtspraxis eingeschlagenen Weg für falsch oder denkgesetzlich unzulässig zu halten. Auch im Rahmen der dogmatischen Auseinandersetzung darf nicht aus den Augen verloren werden, dass dieses Rechtsverständnis in erster Linie der schweizerischen Rechtstradition Rechnung trägt. In dieser hat sich das Institut der vorweggenommenen Beweiswürdigung über die Zeit zweifellos bewährt. Dass das Prinzip der Richterherrschaft und Richterverantwortung sowohl auf der Ebene der Beweiswürdigung, als auch – und hierauf kommt es konkret an – auf der Ebene der Beweiserhebung funktionieren kann, prophezeite Endemann bereits in einem Beitrag aus dem Jahr 1858. Ein Funktionieren hinge letztlich allein von der Person des Richters ab, der das ihm anvertraute Amt verantwortungsvoll ausfüllen müsse: „Die Beurtheilung nach freier Ueberzeugung bedarf und hat nur eine Bürgschaft, das sind die Richter selbst. Allein ist das eine Schwäche? (…) Die Geschichte mag es beantworten, ob zur Zeit des größten Formalismus die Justiz unabhängiger, sicherer und gerechter war, als jetzt.“169

Nach diesseitiger Überzeugung darf all das keineswegs als ein Aufruf zu mehr richterlicher Freiheit auch im deutschen Zivilprozess verstanden werden. Ein dem schweizerischen Zivilprozess vergleichbares Konzept wäre mit den deutschen Rechtsgewohnheiten nicht in Einklang zu bringen. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die deutsche Rechtsgemeinschaft ein vergleichbares Vertrauen in die 167 

Teil 1, B.I.3. Teil 1, B.I.3.c). 169  Endemann, AcP  41 (1858), 92, 114 f. Bekanntlich versteht Endemann unter „Beurtheilung nach freier Ueberzeugung“ nicht nur die freie Beweiswürdigung, sondern auch die freie Beweiserhebung und -ablehnung, vgl. dazu ebenfalls Teil 1, B.I.3.a) und B.I.3.c). 168 

364

Teil 3: Die vorweggenommene Beweiswürdigung im Schweizer Zivilprozess

Richterschaft hat, wie es in der Schweiz vorzufinden ist. Eine Beweisablehnung, die zugleich die Beweiswürdigung vorwegnimmt, würde vermutlich nicht als rechtens akzeptiert werden. Wenn dem so sein sollte, was in Erfahrung zu bringen letzten Endes Sache der Rechtssoziologie ist, ist man gut darin beraten, am Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung uneingeschränkt festzuhalten. Denn das wünschenswerte Ziel eines schnellen und kostengünstigen Prozesses darf niemals die Akzeptanz der Ziviljustiz aufs Spiel setzen. Trefflich führte hierzu Koch unlängst aus: „Zugleich ist die Verfahrensökonomie nicht zum Selbstzweck zu erheben; sie darf richtige Entscheidungen nicht gefährden. (…) Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ist über Effizienzgesichtspunkte zu stellen, denn der Zivilprozess dient vor allem der Durchsetzung subjektiver Rechte, die Vorrang vor einer Schonung der Ressourcen der staatlichen Gerichtsbarkeit haben.“170

Dem schließt sich der Verfasser an.

C.  Gesamtergebnis Die eingangs aufgestellte Vermutung hat sich durch die vorangegangene Untersuchung bestätigt: Der Gewährleistungsgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör reicht im deutschen Zivilprozess wesentlich weiter als im Schweizer Zivilprozess. Letzterer gestattet es in nicht unerheblichem Umfang, den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht im Wege einer zulässigen Vorwegnahme der Beweiswürdigung einzuschränken. Schlussfolgerungen für das zivilprozessuale Beweisverfahren in Deutschland, das vom strikten Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung ausgeht, können hieraus indes keine gezogen werden. Die Schweizer Rechtstradition weicht im Hinblick auf die Stellung des Richters im Zivilprozess und dessen Achtungsanspruch gegenüber den Parteien derart von der deutschen ab, dass eine dahingehende Anpassung oder Angleichung beider Prozessrechtssysteme weder vorstellbar noch wünschenswert wäre. Der deutsche Zivilprozess ist bis heute von einer im frühen 19. Jahrhundert angelegten Grundskepsis der Rechtgemeinschaft gegenüber dem Richter beseelt. Diese Grundskepsis kommt – unter anderem – durch die konsequente und weiträumige Geltung der Verhandlungsmaxime zum Ausdruck. Angesichts dessen wäre es, vorbehaltlich einer gegenteiligen empirischen Erhebung, verfehlt, das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung aus Gründen der Prozessökonomie aufzuweichen. Bevor in diese

170 

Koch, Mitwirkungsverantwortung, S.  353.

C. Gesamtergebnis

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Richtung gedacht werden darf, müsste zuvor feststehen, dass die deutsche Rechtsgemeinschaft dem Richter mit einem vergleichbar hohen Maß an Vertrauen begegnet, wie das in der Schweiz der Fall ist – quod sit demonstrandum.

Teil 4

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die im Laufe der Abhandlung gewonnenen Erkenntnisse sollen an dieser Stelle nicht nochmals im Einzelnen zusammengetragen werden. Hierfür kann auf die zahlreichen Zwischen- und Gesamtergebnisse verwiesen werden, die den jeweiligen Untersuchungsgegenstand beschließen. An dieser Stelle soll lediglich im Rahmen eines knappen Fazits die Kernaussage der Arbeit nochmals besonders hervorgehoben werden (A.). Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung in Thesen (B.).

A.  Fazit Wie in der Einleitung bereits konstatiert, zählt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zu den Grundprinzipien des deutschen zivilprozessualen Beweisverfahrens – wie diese Untersuchung belegen konnte: zu Recht. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung ist die negative Kehrseite des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht, der seine verfahrensrechtliche Grundlage in der Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens auf der Ebene der Beweiserhebung findet. Während der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht darüber hinaus auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht durch den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) abgesichert ist, fehlt es hingegen an einer konventionsrechtlichen Verbürgung. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung gilt absolut und ausnahmslos. Eine Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist nur zulässig, wenn deren Ergebnis im Rahmen der Beweiswürdigung infolge von gesetzlichen Beweiswürdigungsregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Denkgesetzen oder Naturgesetzen determiniert ist. Eine Beweisablehnung wegen absolut- oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist verfahrens- und (unter Umständen) verfassungswidrig, wenn deren Ergebnis kein nach Maßgabe der genannten Kriterien feststehendes ist. Raum für richterliches Ermessen besteht insoweit nicht.

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Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Prozessökonomische Erwägungen nach schweizerischem Vorbild sollten nicht zum Anlass genommen werden, das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung aufzuheben oder zu relativieren, solange aus rechtssoziologischer Sicht ungeklärt ist, ob sich dies mit dem Maß an Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Integrität und Neutralität des Richters vereinbaren lässt. Die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Das Gut des Rechtsfriedens ist ein höheres als das des schonungsvollen Umgangs mit Justizressourcen. Davon abgesehen wäre in rechtlicher Hinsicht eine stärkere Berücksichtigung von prozessökonomischen Erwägungen auch im deutschen Zivilprozess nach Schweizer Vorbild ohne weiteres möglich. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht und dessen Kehrseite, das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, sind originär verfahrensrechtliche Gewährleistungen. Sie zu relativieren, indem der Geltungsgehalt der Verhandlungsmaxime auf der Ebene der Beweiserhebung eingeschränkt wird, fällt in die Einschätzungsprärogative des einfachgesetzlichen Gesetzgebers. Verfassungsrechtliche Bedenken stünden dem nur und erst dann entgegen, wenn es den Parteien in unverhältnismäßiger Weise erschwert oder gar vereitelt werden würde, ihre subjektiven Rechte gerichtlich durchzusetzen. Wo die zulässigen Grenzen in diesem Bereich liegen, hätte dann wiederum das Bundesverfassungsgericht zu beurteilen.

B.  Thesen Teil 1: 1. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht als ein Eckpfeiler des zivilprozessualen Beweisverfahrens versteht sich aus rechtshistorischer Sicht nicht von selbst. Ob und inwieweit das Gericht zur Beweiserhebung verpflichtet war, hing entscheidend von dem innerprozessualen Kräfteverhältnis zwischen Parteien und Richter ab. Je weitreichender das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung Geltung fand, desto geringer war der richterliche Entscheidungsspielraum im Umgang mit Beweisanträgen. Die Zulässigkeit der Beweis­ ablehnung wegen vermuteter Aussichtslosigkeit der Beweisführung war überhaupt nur dort denkbar, wo die Parteien eine solche Entscheidung nicht zum Anlass genommen hätten, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. 2. Die Verhandlungsmaxime als Strukturprinzip einer Verfahrensordnung beruht ihrerseits auf dem Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung und war getragen von einem grundsätzlichen Misstrauen der Rechtsgemeinschaft gegenüber der Richterschaft. Die Verhandlungsmaxime unterscheidet sich von der

B. Thesen

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Untersuchungsmaxime nicht nur durch den Gesichtspunkt der Effizienz. Aus der Verhandlungsmaxime können als Strukturprinzip einer Verfahrensordnung zweierlei Gewährleistungen abgeleitet werden – eine inkludierende und eine exkludierende. Die inkludierende Gewährleistung der Verhandlungsmaxime bewirkt, dass die Parteien das Recht haben, größtmöglichen Einfluss auf den Prozess zu nehmen. Die exkludierende Gewährleistung der Verhandlungsmaxime bewirkt, dass dem Richter die Pflicht auferlegt wird, einerseits die wahrgenommenen Einflussrechte der Parteien zu berücksichtigen und andererseits sich einer weitergehenden Einflussnahme auf den Prozess zu enthalten. 3. Der historische Gesetzgeber folgerte aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung den Grundsatz der freien Beweisablehnung. Danach war der Richter nicht verpflichtet, einer beantragten Beweisführung stattzugeben. Er durfte vielmehr, insbesondere wenn er davon ausging, den streitigen Sachverhalt hinreichend aufgeklärt zu haben, eine beantragte Beweisführung nach freiem Ermessen ablehnen. Der Grundsatz der freien Beweisablehnung fand seine normative Verankerung in §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. („etwaigen Beweisaufnahme“). Er wurde, wie auch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, durch das Vertrauen in die Bildung, Integrität und Unabhängigkeit der Richterschaft begründet. Daraus folgt, dass nach der gesetzgeberischen Grundkonzeption des zivilprozessualen Beweisverfahrens eine vorweggenommene Beweiswürdigung durch den Richter zulässig war. Das gilt, nimmt man den Gesetzeswortlaut ernst, noch heute, vgl. §§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO („etwaigen Beweisaufnahme“). 4. Ungeachtet der §§  259 Abs.  1 S.  1, 437 ZPO a. F. liegt dem zivilprozessualen Beweisverfahren auf der Ebene der Beweiserhebung auch die Verhandlungsmaxime zugrunde. Sie implementiert damit das Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung in das zivilprozessuale Beweisverfahren, was dazu führt, dass der Richter zur Beweiserhebung grundsätzlich verpflichtet ist und ihm dementsprechend eine vorweggenommene Beweiswürdigung verboten war. 5. Das zivilprozessuale Beweisverfahren ist normativ inkohärent. Ihm liegt auf der Ebene der Beweiserhebung sowohl der Grundsatz der freien Beweisablehnung (vermittelt durch §§  259 Abs.  1 S.  1, 439 ZPO a. F.; §§  286 Abs.  1 S.  1, 448 ZPO), als auch der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht (vermittelt durch die Verhandlungsmaxime als beweisverfahrensrechtliches Strukturprinzip) zugrunde. Beide Prinzipien gelten auf gleicher Stufe und negieren damit einander. Das darin liegende Spannungsverhältnis bleibt dem Gesetzgeber verborgen. Es ist – entsprechend der Beschlussfassung des Vierten Deutschen Juristentages aus dem Jahr 1863 – zugunsten des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht aufzulösen. Die Implementierung des Grundsatzes der

370

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

freien Beweisablehnung in das zivilprozessuale Beweisverfahren beruht auf einem gesetzgeberischen Irrtum. 6. Das Reichsgericht korrigierte die gesetzgeberische Fehlleistung kurze Zeit nach dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung. Fortan sollte eine Beweisablehnung nur noch dann zulässig sein, wenn von vornherein mit letzter Sicherheit feststand, dass die beantragte Beweisführung auf die richterliche Überzeugung im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Einfluss haben kann und wird. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung war dem Richter dementsprechend verboten. Hieraus folgerte das Reichsgericht die grundsätzliche Pflicht des Richters zur Beweiserhebung. 7. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht übernahmen die Rechtsprechung des Reichsgerichts unverändert. Sie leiteten den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht hauptsächlich aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO oder aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) ab. 8. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte folgert aus Art.  6 Abs.  1 S.  1, Abs.  3 lit.  d EMRK weder den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht, noch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. 9. Die Literatur schloss sich, nach anfänglichem Zögern, bald der Rechtsprechung des Reichsgerichts an und sprach sich ebenfalls für das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und damit für den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht aus. Sie bemühte sich jedoch nicht um eine normative Begründung. Vielmehr leitete sie den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht mit Rücksicht auf die Rechtsprechung ganz überwiegend aus §  286 Abs.  1 S.  1 ZPO und dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) ab. Walter und Habscheid begründeten flankierend die Lehre vom „Recht auf Beweis“, wonach der Grundsatz der richterlichen Be­weis­ erhebungspflicht eine Folge des Justizgewährleistungsanspruchs sei. 10. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht werden verfahrens- und verfassungsrechtlich, nicht aber konventionsrechtlich gewährleistet. Auf der Ebene des Verfahrensrechts finden sie ihre Grundlage in der Verhandlungsmaxime als partielles Strukturprinzip des zivilprozessualen Beweisverfahrens. Auf der Ebene des Verfassungsrechts finden sie ihre Grundlage im Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG). Nur durch die Auslegung des „Stütze“-Kriteriums im formellen Sinne kann eine strukturelle und qualitative Unterscheidung zwischen der Fach- und der Verfassungsgerichtsbarkeit im Hinblick auf die Überprüfung einer tatrichterlichen Beweisablehnung gewährleistet werden. Demnach findet eine

B. Thesen

371

Beweisablehnung nach verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten schon dann im Prozessrecht eine Stütze, wenn sie auf einem an sich anerkannten Beweisablehnungsgrund beruht, unbeschadet dessen, ob sie nach Maßgabe des Verfahrensrechts auch tatsächlich gerechtfertigt wäre. Bloße Subsumtionsirrtümer sind verfassungsrechtlich unbedenklich. 11. Die Lehre vom „Recht auf Beweis“ ist abzulehnen. Sie bietet keinen Mehrwert und missachtet die strukturellen Unterschiede zwischen dem verfahrensund dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht. 12. Ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht stellt in erster Linie einen reinen Verfahrensverstoß dar. Dieser ist prima facie der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Reine Verfahrensfehler begründen (bedauerlicherweise) keine Revisionszulassung. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beweisführers würden, wenn man dem hier vertretenen Standpunkt folgte, gleichwohl nicht verkürzt werden. Die in §  544 Abs.  7 ZPO enthaltene Bezugnahme auf das „rechtliche Gehör“ ist als ein statischer, und nicht als ein dynamischer Verweis zu verstehen. Nach Vorstellung des Reformgesetzgebers der Zivilprozessordnung sollten Verstöße gegen sogenannte Verfahrensgrundrechte der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich sein. Hierunter fallen nach hiesiger Lesart auch Verstöße gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht. Teil 2: 13. Der Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht ist in materieller Hinsicht bedingt durch die Zweckmäßigkeit der Beweisführung. Die Beweisführung ist zweckmäßig, wenn sie objektiv und subjektiv erheblich, und darüber hinaus notwendig ist. Die Beweisführung ist objektiv erheblich, wenn sie eine streitentscheidende Tatsache betrifft, subjektiv erheblich, wenn sie ein überzeugungsbegründendes Beweismittel verwendet, und notwendig, wenn sie eine beweisbedürftige Tatsache betrifft. Ist die Beweisführung objektiv unerheblich, subjektiv unerheblich oder nicht notwendig, ist die Beweiserhebung zwecklos und muss aus diesem Grund abgelehnt werden. 14. Die subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung lässt sich ihrerseits untergliedern in die absolut-subjektive Unerheblichkeit und die relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung. Die Kategorien erfassen die unterschiedlichen Ursachen einer voraussichtlich wertlosen Beweisführung. Die Beweisführung ist absolut-subjektiv unerheblich, wenn das zur Beweisführung verwendete

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Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Beweismittel keinen Beweiswert hat, weil ihm eine besondere Eigenschaft innewohnt, aufgrund derer ihr der Richter von vornherein jeden Beweiswert absprechen muss. Die Beweisführung ist relativ-subjektiv unerheblich, wenn der Richter mit Rücksicht auf die bisherige Verhandlung und Beweisaufnahme eine derart unerschütterliche Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache hat, dass er ihr von vornherein jeden Beweiswert absprechen muss. 15. Die Feststellung der Erheblichkeit der Beweisführung setzt eine Beweisprognose voraus. Das Ergebnis der Beweisprognose ist bei der subjektiven Erheblichkeitsprüfung – anders als bei der objektiven Erheblichkeitsprüfung, in aller Regel kein feststehendes. Der Beweiswert eines Beweismittels hängt entscheidend von dem persönlichen Eindruck des Richters ab. Aus diesem Grund kann und darf sich der Richter grundsätzlich nicht auf den Standpunkt stellen, das Ergebnis der Beweiswürdigung stehe von vornherein fest. Andernfalls würde er das Ergebnis der Beweiswürdigung vorwegnehmen und damit gegen den Grundsatz der richterlichen Beweiserhebungspflicht verstoßen. 16. Die Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung, unter gleichzeitiger Beachtung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung, ist gleichwohl zulässig, wenn das Ergebnis der Beweiswürdigung im Hinblick auf das in Ansatz gebrachte Beweismittel im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung aufgrund von gesetzlichen Beweiswürdigungsregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, Denkgesetzen und Naturgesetzen feststeht. Ist das Ergebnis der Beweiswürdigung aufgrund der genannten Kriterien determiniert und folgt daraus die absolut-subjektive oder relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung, muss die Beweisführung wegen Zwecklosigkeit abgelehnt werden. Dieses Lösungskonzept ermöglicht einen zuverlässigen und zielsicheren Umgang mit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung unter gleichzeitiger Beachtung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung. 17. Gemessen an dem hier entwickelten Lösungskonzept, lassen sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts gewisse Unregelmäßigkeiten im Umgang mit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit identifizieren, die einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nach sich ziehen. Dem Bundesgerichtshof unterlaufen, abgesehen von geringfügigen terminologischen Unschärfen, hingegen keine derartigen Rechtsverstöße. Die Ursache hierfür liegt aber nicht darin, dass der Bundesgerichtshof die Grenzen zwischen zulässiger und unzulässiger Beweisablehnung wegen subjektiver Un-

B. Thesen

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erheblichkeit der Beweisführung nach Maßgabe einer allgemeingültigen Formel klar definiert hätte, sondern darin, dass er eine derartige Beweisablehnung höchst restriktiv beurteilt. Vergleichbares gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, wobei diesem auch in jüngerer Zeit beachtliche Fehler im Umgang mit der Beweisablehnung wegen subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung unterlaufen, die letztlich einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung begründen. Teil 3: 18. Der Begriff „Beweisantizipation“, der im Schweizer Zivilprozessrecht als Synonym für den Begriff „Vorweggenommene Beweiswürdigung“ verwendet wird, sollte im deutschen Zivilprozessrecht nicht verwendet werden. Damit würde man der historischen Bedeutung des Begriffs „Beweisantizipation“, die er im gemeinen Prozess hatte, nicht gerecht werden. Außerdem erweist sich der Begriff „Beweisantizipation“ im Unterschied zur „Vorweggenommenen Beweiswürdigung“ in terminologischer Hinsicht als in hohem Maße fehleranfällig. 19. Nach dem traditionellen schweizerischen Prozessrechtsverständnis gehen Gesetzgeber, Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur davon aus, dass dem Richter eine vorweggenommene Beweiswürdigung in weitem Umfang gestattet ist. Eine Beweisablehnung wegen absolut-subjektiver oder relativ-subjektiver Unerheblichkeit der Beweisführung ist bereits dann zulässig, wenn der Richter willkürfrei dessen Aussichtslosigkeit feststellt. 20. Die Schweizerische Zivilprozessordnung erweist sich, trotz der gleichzeitigen Geltung des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht und der Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung, nicht als inkohärent. Der Gesetzgeber hat das darin liegende Spannungsverhältnis identifiziert und mittels einer Zweifelsregelung zugunsten des Grundsatzes der richterlichen Beweiserhebungspflicht aufgelöst. Die Pflicht des Richters zur Beweiserhebung ist im Schweizer Zivilprozess jedoch signifikant geringer als im deutschen Zivilprozess. 21. Die Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung im schweizerischen Zivilprozess geht auf eine langjährige Rechtstradition zurück. Offenbar ist das Maß an Vertrauen, das die schweizerische Rechtsgemeinschaft ihrer Richterschaft entgegenbringt, ein wesentlich höheres als in Deutschland. Hätte die Akzeptanz der richterlichen Entscheidungen unter der Zulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung gelitten, wäre sie – das lehrt die Geschichte – zwischenzeitlich abgeschafft worden.

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Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

22. Das strikte Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung im deutschen Zivilprozess sollte nicht nach schweizerischem Vorbild aufgeweicht werden. Das gilt jedenfalls solange, bis hinreichend geklärt ist, dass die Akzeptanz der richterlichen Entscheidung hierdurch keinen Schaden nimmt. Das Ziel, durch den Zivil­prozess den Rechtsfrieden unter den Parteien wiederherzustellen, darf nicht durch prozessökonomische Erwägungen gefährdet oder gar vereitelt werden.

Literaturverzeichnis Die Zitierung von Aufsätzen im Haupttext erfolgt ohne Nennung des Vornamens des Autors und des Titels des Aufsatzes in der folgenden Form: Nachname des Autors, Kurzschreibweise der Zeitschrift mit Erscheinungsjahr, Anfangsseite, Zitatseite. Die Zitierung von Festschriftbeiträgen erfolgt ohne Nennung des Vornamens des Autors, des Titels des Beitrags, der Herausgeber und des Erscheinungsdatums der Festschrift in der folgenden Form: Nachname des Autors, FS Name des Geehrten, Anfangsseite, Zitatseite. Bei der Zitierung von Zeitschriften und von Festschriftbeiträgen wird auf die Abkürzung „S.“ für Seite vor Nennung der Anfangsseite verzichtet. Im Übrigen wird auf die Kurzzitatdefinition in den runden Klammern nach Angabe der Quelle im Literaturverzeichnis verwiesen. Ahrens, Hans-Jürgen, Der Beweis im Zivilprozess, Köln 2015. (zitiert als: Ahrens, Beweis im Zivilprozess) Alleweldt, Ralf, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, Habilitation, Tübingen 2006. (zitiert als: Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit) Alsberg, Max, Das Verbot der Beweisantizipation, JW 1922, S.  258 ff. Ders., Der Beweisantrag im Strafprozeß, Berlin 1930. (zitiert als: Alsberg, Beweisantrag im Strafprozeß) Altenberg, Stephan/Leister, Thomas, Die Verwertbarkeit mitbestimmungswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess, NJW  2006, S.  469 ff. Arens, Peter, Zur Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei im Zivilprozeß, ZZP 96 (1983), S.  1 ff. Ders., Der Einfluß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf das Zivilprozeßrecht, in: Reiner, Frank (Hrsg.), 40 Jahre Grundgesetz – Der Einfluß des Verfassungsrechts auf die Entwicklung der Rechtordnung – Ringvorlegung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Br., Heidelberg 1990, S.  87 ff. (zitiert als: Arens, in: 40 Jahre Grundgesetz) Arndt, Adolf, Das rechtliche Gehör, NJW  1959, S.  6 ff. Ders., Die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs, NJW  1959, S.  1297 ff. Backenhoeft, T., Über das Beweis-Interlocut, AcP  28 (1846), S.  206 ff. Ball, Wolfgang, Die Zulassung der Revision wegen offensichtlicher Unrichtigkeit des Berufungsurteils und wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten, in: Heinrich, Christian (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Musielak zum 70. Geburtstag, München 2004, S.  27 ff. (zitiert als: Ball, in: FS Musielak) Bar, Carl L. v., Recht und Beweis im Civilprozesse, Leipzig 1867. (zitiert als: v. Bar, Recht und Beweis)

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Sachregister Auferlegter Eid  57–64 Aussichtslosigkeit der Beweisführung  78, 83, 259, 350, 354 Begründungserfordernis  110 Beweisablehnung wegen Unerheblichkeit der Beweisführung  254–260 – Deutschland Bundesgerichtshof  283–307 Bundesverfassungsgericht  307–316 Literatur  256–260 Reichsgericht  270–282 – Schweiz Bundesgericht  344–353 Literatur  354–357 Beweisantizipation  320–326, siehe auch Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung Beweisinterlokut  41–44, 320 Beweisprognose  78, 250–253, 260, 280, 320 Beweisregel  14, 21, 41, 84–97, 263–267 Beweisthema bereits erwiesen, siehe relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung Beweisverfahren – historischer Gesetzgeber  55–67 – im altdeutschen Zivilprozess  36–38 – im gemeinen Zivilprozess  41–44 – im römischen Zivilprozess Legisaktionen- und Formular­ prozess  14–16 Kognitionsprozess  21–22 – im romanisch-kanonischen Zivil­ prozess  29–30 Beweiswürdigungsregel  21, 29, 41, 263–267

Bewiesensein der Behauptung, siehe relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung – Erfahrungssätze  260 Determinierte Beweiswürdigung  263–267, 280, 306, 315, 316 Deutscher Juristentag  91–100 Entscheidungsdivergenz  230 Erhebliche Beweisführung  – absolut-subjektiv ~  18–247 – objektiv ~  246 – Feststellung der ~  250–254 – relativ-subjektiv ~  247–248 Erheblichkeitsbegriff  61, 64–67, 104–110, 240–245, 246, 249 Erwiesenheit des Gegenteils, siehe relativ-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte  133–145, 169, 213 – Legisaktionenprozess  12–20 – Lösungskonzept,  268, 316, 316 Faires Verfahren  138–143, 214–216 Freie Beweisablehnung  53–57, 67, 104–111, 146–152 Freie Beweiswürdigung  53, 83–100, 173, 360–364 – Grenzen der ~  263–267 Formularprozess, siehe Legisaktionen­ prozess Facultas probationum non est angustanda  9, 16–19, 25 Grenzen der freien Beweiswürdigung, siehe Determinierte Beweiswürdigung

402

Sachregister

Grundsatz der freien Beweiswürdigung, siehe Freie Beweiswürdigung Inkohärenz des zivilprozessualen Beweisverfahrensmodells  83–102 Iudex  12 f. Justizkommission  56–68 – Erste Lesung der ~58–61 – Zweite Lesung der ~ 61–62 – Verhandlung der ~ 62–64 Konfrontationsrecht  135–138, 213–214 Maximendenken  77–78, 175–180 Misstrauen gegenüber dem Richter  12, 21–25, 29, 56, 83, 234 Notwendigkeit der Beweiserhebung  240, 245, 316 Ökonomie  64, 126, 309, 327, 354, 360–364 Parteiherrschaft  22, 29, 50, 76–83, 360–364 Prozessökonomie, siehe Ökonomie Richterliche Beweiserhebungspflicht – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte  133–143 – im altdeutschen Zivilprozess  33–39 – im gemeinen Zivilprozess  40–50 – im römischen Zivilprozess  11–25 – im romanisch–kanonischen Zivilprozess  27–31 – Deutschland Gesetzgeber  53–102 Literatur  145–168 Rechtsprechung  103–143 – Schweiz Gesetzgeber  327–336 Literatur  354 Rechtsprechung  344–352 Recht auf Beweis – Lehre vom ~  164 – Kritik an der Lehre vom ~  218 Rechtliches Gehör  126–133, 159, 198

Rechtsanwendungsfehler  230–232 Rechtsfrieden  195, 196, 360 Rechtsschutzmöglichkeit bei Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung – siehe auch Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung – Deutschland  222–234 – Schweiz  340–343 Revision  222 Richterherrschaft  12, 56, 68, 360–364 Stütze-Kriterium  204–207, 313, 315 Subsumtionsfehler  126, 132, 212 Superrevisionsinstanz  207–210 Unerheblichkeit der Beweisführung – Beweisablehnung wegen ~ in Deutschland  269–315, 283–306 (Bundesgerichtshof), 307–315 (Bundesverfassungsgericht), 256–260 (Literatur), 282 (Oberster Gerichtshof der Britischen Zone), 270–280 (Reichsgericht), in der Schweiz  337–354, 344–352 (Bundesgericht), 354–357 (Literatur) – Erscheinungsformen  246 – objektive ~  246 – subjektive ~  246–250 – absolut-subjektive ~  18 – relativ-subjektive ~  247 Ungeeignetes Beweismittel – Deutschland  248, siehe auch absolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung – Schweiz  354 Untauglichkeit des Beweismittels, siehe a­ bsolut-subjektive Unerheblichkeit der Beweisführung Untersuchungsmaxime  50, 68–69, 84, 93 Verfahrensfehler 223 Vertrauen in den Richter als Grundbedingung richterlicher Freiheit  19–25, 56, 64, 83–102, 357–364

Sachregister – siehe auch Misstrauen gegenüber dem Richter Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung – im deutschen Zivilprozess  51–234 – rechtshistorische Grundlagen  9–50 – Rechtsschutzmöglichkeit bei Verstoß gegen ~ Deutschland  222–232 Schweiz  340–343

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Verhandlungsmaxime  41–44, 50, 83–100, 360–364 – Gewährleistungsgehalt im 19. Jh.  69–76 – Gewährleistungsgehalt heute  174–196 Wertlosigkeit  146 Zweck der Beweiserhebung  240–245