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German Pages 195 Year 2010
Schriften zum Prozessrecht Band 218
Das Verbot der reformatio in peius im Zivilprozessrecht Von Axel Kuhlmann
a Duncker & Humblot · Berlin
AXEL KUHLMANN
Das Verbot der reformatio in peius im Zivilprozessrecht
Schriften zum Prozessrecht Band 218
Das Verbot der reformatio in peius im Zivilprozessrecht Von Axel Kuhlmann
a Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Wintersemester 2008/2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 739 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-13259-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Zum Gedenken an meinen Vater Dr. Holmer Kuhlmann
Vorwort Das Verbot der reformatio in peius im Zivilprozessrecht – ein Thema, das die Prozessrechtswissenschaft schon seit weit mehr als 100 Jahren beschäftigt und zahlreiche Publikationen namhafter Autoren hervorgebracht hat. Was kann eine Dissertation bescheidenen Umfangs schon Neues bringen? Doch gerade im Zuge der tiefgreifenden Veränderungen der vergangenen 30 Jahre haben sich viele neue Aspekte ergeben. Vor diesem Hintergrund erscheint eine neuerliche Auseinandersetzung mit dem bisherigen Meinungsstand ebenso spannend wie geboten. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Meinem hochverehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Wolfgang Hau, danke ich für seine Ermutigung, mich mit einem so grundlegenden Thema zu befassen und für seine jederzeit hilfsbereite und weitblickende Betreuung. Herrn Professor Dr. Hans-Joachim Musielak danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich vor allem Herrn Prof. Dr. Fabian Klink für viele anregende Gespräche und zahlreiche Hinweise, die ganz maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Ich danke außerdem Frau Irmgard Schliephack für die gewissenhafte Durchsicht des Manuskripts, welche für eine Nichtjuristin sicherlich nicht nur mit Freude verbunden war. Der Studienstiftung des deutschen Volkes e. V. danke ich für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums, das es mir ermöglichte, mich voll auf die Dissertation zu konzentrieren. Mein besonderer Dank gilt aber meinen Eltern, die mich auf meinem gesamten bisherigen Lebensweg liebevoll unterstützt haben. „Mein lieber Hoinz, Du hast das Entstehen meiner Dissertation von Anfang an mit großem Interesse verfolgt und noch die erste Version des Manuskripts kritisch durchgesehen. Ich weiß, wie gerne Du auch die endgültige Fassung gelesen hättest. Leider war Dir das nicht mehr vergönnt. Diese Arbeit widme ich Dir, da es mich ohne Dich nicht gäbe.“ Hamburg, im November 2009
Axel Kuhlmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Teil 1
1
Grundlagen § 1 Der Begriff „reformatio in peius“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
§ 2 Die historische Entwicklung der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
I.
Die Römische Republik und die Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
II.
Justinian und die „lex ampliorem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
III.
Rezeption des römischen Rechts – Wandel der Auffassungen . . . . . . . . . . . . .
26
Teil 2
2
Systematische Einordnung § 3 Die gesetzlichen Regelungen der einzelnen Prozessordnungen . . . . . . . . . . . . . .
28
I.
Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
II.
Das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
III.
Das Verwaltungsgerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
IV.
Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
V.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
§ 4 Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
I.
Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
II.
Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
§ 5 Dogmatische G rundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
I.
Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
II.
Das Institut des Anschlussrechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
1. Anschlussrechtsmittel als Gebot der Billigkeit und Waffengleichheit . . . . .
34
2. Anschlussrechtsmittel und materiell richtige Entscheidung . . . . . . . . . . . . .
37
3. Anschlussrechtsmittel als Grundlage des Verschlechterungsverbots . . . . . .
38
4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
Inhaltsverzeichnis
10 III.
Die Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
1. Die Lehre von der relativen Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
2. Die Theorie der wohlerworbenen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
3. Die Teilrechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
IV.
Materielle Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
V.
Dispositionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
VI.
1. Begriffliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
3. Die Rolle der konkreten Parteiverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
a) Disposition des Rechtsmittelgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
b) Disposition des Rechtsmittelführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
4. Die abstrakte Verfügungsbefugnis der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2. Einfluss auf die Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
3. Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
a) (Verwaltungs-)Gerichtliches Verfahren als Rechtsschutzeinrichtung . . .
59
b) Reformatio in peius als Zugangshindernis zu effektivem Rechtsschutz . .
63
4. Einfluss der Verfahrensgrundrechte im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
5. Einfluss der materiellen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
a) Grundrechte des Rechtsmittelgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
b) Grundrechte des Rechtsmittelführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
VII. Gewaltenteilung und richterliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
1. Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
2. Richterliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
VIII. Gerechtigkeit als Teil des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
IX.
74
Vertrauensschutz als rechtsstaatliches Gebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
2. Vertrauensschutz im Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
3. Sinn und Zweck des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
b) Bewährung der objektiven Rechtsordnung oder Schutz subjektiver Rechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Bedeutung der tatsächlichen materiellen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . .
82
d) Rechtsfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
Inhaltsverzeichnis
X.
11
4. Rolle der Rechtsmittel im System des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
a) „Wesen der Rechtsmittel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
b) Rechtsmittel als Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
c) Beteiligte Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
d) Sonderrolle der Revision? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
5. Bedeutung für das Verbot der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
Teil 3
3
Verbotsumfang und Geltungsbereich § 6 Verbotsmaßstab i m Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
98
Bedeutung der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
2. Bedeutung der Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
a) Entscheidungsgründe und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Konsequenzen für das Verbot der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II.
Die innerprozessuale Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
III.
Die Vollstreckungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
IV.
Tatbestands- und Gestaltungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
V.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
§ 7 Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I.
Eigene Entscheidung der Rechtsmittelinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
II.
Urteil der Vorinstanz nach Zurückverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
III.
Verweisung des Rechtsstreits wegen Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
IV.
Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
V.
Einspruch gegen Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
VI.
Rechtsbehelfe gegen Mahnbescheid/Vollstreckungsbescheid . . . . . . . . . . . . . . 115
VII. Widerspruch gegen Arrestbefehl und einstweilige Verfügung . . . . . . . . . . . . . 116
4
Inhaltsverzeichnis
12
Teil 4
5
Fallgruppen § 8 Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I.
Nichtbestehen der Klageforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
II.
Nichtbestehen der Gegenforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
III.
Nichtbestehen von Klage- und Gegenforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
IV.
Teilweise Stattgabe bei Verneinung der Gegenforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
V.
Sonderfall: Aufrechnung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
§ 9 Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I.
Kumulative Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
II.
Eventualklagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Abweisung des Hauptantrags und Erkennen nach Hilfsantrag . . . . . . . . . . . 125 2. Erkennen nach dem Hauptantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Abweisung von Haupt- und Hilfsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
III.
Uneigentliche Eventualklagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
§ 10 Eventualwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 § 11 Zur Zeit unbegründet – endgültig unbegründet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I.
Die Abweisung als „zur Zeit unbegründet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
II.
Rechtskraftwirkung und Beschwer der Abweisung als zur Zeit unbegründet . . 135 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Sonderfall: Klageabweisung durch Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
III.
Entscheidungsumfang der Vorinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Feststellungen zu den übrigen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Bindungswirkung von vorinstanzlichen Feststellungen . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Rollenverständnis der Berufung nach der Zivilprozessreform 2001 . . . . 142 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Offenlassen der übrigen Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Die Hürde des § 538 ZPO in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
IV.
Aufgabe des Besitzstandes durch Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
V.
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
§ 12 Prozessurteil – Sachurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I.
Vergleich der unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
II.
Besitzstand in der Sache durch Prozessabweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Inhaltsverzeichnis
13
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Verhältnis von Zulässigkeit und Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III.
Eigene Sachentscheidung der Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Eigene Sachentscheidung der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Eigene Sachentscheidung der Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
IV.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
§ 13 Sachabweisung – Prozessabweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 § 14 Teilweise Stattgabe – vollständige Abweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. II.
Fehlen nachholbarer Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Fehlen nicht nachholbarer Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . 165 1. Absolute Unverzichtbarkeit von Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . 165 2. Differenzierende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Vorrang des Verbots der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
III.
Entscheidung des Rechtsmittelgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
§ 15 Weitere Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 I.
Die Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
II.
Das Grundurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
III.
Kapital-/Rentenbetrag; Vorbehaltsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
IV.
Vorläufige Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
V.
Sorgerechtsangelegenheiten und Versorgungsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
VI.
Entscheidung nach § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Teil 5
6
Schlussbemerkungen § 16 Behandlung v on Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I.
Ordentliche Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
II.
Urteilsberichtigung nach § 321 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
III.
Gehörsrüge nach § 321a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
IV.
Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
§ 17 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Zum Verständnis der Abkürzungen siehe Kirchner, Hildebert/Butz, Cornelie, Abkürzungsverzeichnis der deutschen Rechtssprache, 5. Aufl., Berlin 2003. Abweichend/ergänzend gelten folgende Abkürzungen: abl. AG-ZPO AR-ZPO BAG BayVerfGHE BayVGH BBl. begr. BE-ZPO BGG Bspl. BV COJ CPC CPO dens. ders. EG etc. FR-ZPO HdbStR Hrsg. Hs. i.E. insb. i. S. i. Ü. i. V. JU-ZPO Lit. LU-ZPO m. w. Nachw. Nachw.
ablehnend Zivilprozessordnung des Kantons Aargau Zivilprozessordnung des Kantons Appenzell-Ausserrhoden Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesblatt begründet Zivilprozessordnung des Kantons Bern Bundesgerichtsgesetz Beispiel/Beispiele Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft Code de l’Organisation Judiciaire (Frankreich) Code de Procedure Civile (Frankreich) Civilprozessordnung vom 30. Januar 1877 denselben derselbe Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft et cetera Zivilprozessordnung des Kantons Freiburg Handbuch des Staatsrechts (siehe Literaturverzeichnis) Herausgeber Halbsatz im Ergebnis insbesondere im Sinn e im Ü brigen in Verbindung Zivilprozessordnung des Kantons Jura Literatur Zivilprozessordnung des Kantons Luzern mit w eiteren N achweisen Nachweise
Abkürzungsverzeichnis OG OW-ZPO RAO SchKG SO-ZPO SZ-ZPO TG-ZPO u. a. UNO-Pakt II UR-ZPO u. U. v. a. ZH-GVG ZH-ZPO Ziff. ZPO-Entw ZZPInt z. Zt.
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Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 Zivilprozessordnung des Kantons Obwalden Reichsabgabenordnung Schweizerisches Bundesgesetz über Schuldbeitreibung und Konkurs Zivilprozessordnung des Kantons Solothurn Zivilprozessordnung des Kantons Schwyz Zivilprozessordnung des Kantons Thurgau unter a nderem Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 Zivilprozessordnung des Kantons Uri unter U mständen vor allem Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich Zivilprozessordnung des Kantons Zürich Ziffer(n) Entwurf einer schweizerischen Zivilprozessordnung; BBl. 2006, 7221 Zeitschrift für Zivilprozess International zur Zeit
Einleitung und Gang der Darstellung Einleitung und Gang der Darstellung Das Verbot der reformatio in peius ist ein Phänomen des Prozessrechts, das sowohl Wissenschaft als auch Gerichtspraxis seit längerem beschäftigt. Wenn man wie hier die (zivil-)prozessuale Figur der reformatio in peius im Blick hat, geht es im Grundsatz um die Frage, inwieweit das Rechtsmittelgericht ein Urteil auf alleinige Rechtsmitteleinlegung des Klägers zu dessen Nachteil abändern darf. Es gilt also zu beurteilen, was eine Partei durch das allein von ihr mit einem Rechtsmittel angegriffene Urteil bereits als unantastbaren „Besitzstand“ erlangt hat. Zur Verdeutlichung wird – in verschiedenen Variationen – gern folgender Beispielsfall gewählt1: Der in erster Instanz mit einer Leistungsklageüber € 5.000,- nur in Höhe von € 2.500,durchgedrungene Kläger legt wegen der Abweisung in Höhe des Restbetrages Berufung ein. Der Beklagte verzichtet auf (Anschluss-)Berufung und beantragt lediglich Abweisung der Berufung.
Wenn nun das Berufungsgericht zu der Einsicht gelangt, bereits die erstinstanzlich zugesprochenen € 2.500,- stünden dem Kläger nicht zu, darf es dann die Klage auch ohne (Anschluss-)Berufung des Beklagten vollständig abweisen? Oder unterliegt das Rechtsmittelgericht vielmehr einem Verschlechterungsverbot? Sollte letzteres zu bejahen sein, schließen sich vielerlei Fragen an. Es ist dann zu klären, wann genau eine verbotene reformatio in peius vorliegt, warum sie grundsätzlich unzulässig ist und ob es Ausnahmen von dem Verbot gibt. Beinahe jeder dieser das Problem eingrenzenden Aspekte ist in der Vergangenheit diskutiert worden, und bereits die Begriffsbildung bereitet Schwierigkeiten.2 Ähnliche Fallkonstellationen können sich zudem im Verwaltungs- bzw. Verwaltungsgerichtsverfahren3 oder im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergeben.4 Während der Problemkreis der reformatio in peius vor allem in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eingehend und kontrovers erörtert wurde, ist heute weitgehend Ruhe eingekehrt. Die wesentlichen Fragen scheinen geklärt und man hat sich an einen gewissen nonchalanten, vielleicht auch resignierten Umgang mit der Problematik gewöhnt. Wissenschaftlich-dogmatische Grundlagenargumentation macht einer eher einzelfallorientierten, prozessökonomischen Handhabung des Verbots Platz. Freilich ist sich die bislang wohl herrschende Meinung hinsichtlich der grundsätzlichen Geltung des Verbotes und seiner dogmatischen Herlei1 Wohl zum ersten Mal verwandt von Mehlen, S. 25 f.; später u. a. auch von Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (86); Fenn, S.63, Fn. 82; Ricci, S. 22; in umgekehrter Konstellation von v. Arnold, AcP 28 (1846), 73 (93). 2 Hierzu sogleich unten Teil 1 § 1 (Seiten 20 ff.). 3 Vgl. die Beispiele bei Hufen, § 9 Rn. 15. 4 Guter Beispielsfall: BayObLGZ 81, 69.
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tung einig und begründet die Unzulässigkeit einer reformatio in peius mit dem in der Regel kommentarlosen Hinweis auf die den Zivilprozess beherrschende Dispositionsmaxime bzw. den Antragsgrundsatz.5 Demnach bestimme der Rechtsmittelführer durch seinen Antrag den Entscheidungsumfang des Rechtsmittelgerichts und verhindere auf diese Weise, dass eine Entscheidung zu seinem Nachteil ergeht. Diese Argumentation versagt jedoch in den Fällen, wo eine entsprechende Konkretisierung des Entscheidungsumfangs nicht stattfindet, sei es, dass der Antrag zwar den Entscheidungsumfang bestimmt, aber nicht jede Form der Verschlechterung ausschließt,6 sei es, dass der Antrag von vornherein ganz unbestimmt ist, wie etwa im Beschwerdeverfahren nach dem FGG. Um auch in diesen Fällen dem Verbot der reformatio in peius Geltung zu verschaffen, behilft man sich allgemein mit einer dahingehenden Auslegung des Rechtmittelantrags im Hinblick auf das dahinterstehende Begehren. Hierfür reicht ein schlichter Hinweis auf die Dispositionsmaxime jedoch nicht aus. Vielmehr bedarf es eines zusätzlichen Arguments, warum den Interessen des Rechtsmittelführers in dieser Weise entgegen gekommen wird, zumal dies in der Regel und zumindest aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts dem Auffinden der materiellen Wahrheit zuwiderläuft. Der zweite Problemkreis, mit dem sich diese Arbeit beschäftigen soll, betrifft den konkreten Verbotsumfang. Im Gegensatz zur dogmatischen Herleitung des Verbots besteht hierzu in der herrschenden Literatur weniger Einigkeit. Als abstrakter Maßstab des Verbotsumfangs wird allgemein der rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung herangezogen. So umfangreich wie die Erörterungen zur Figur der Rechtskraft an sich sind auch die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten der Bestimmung des Verbotsumfangs. Es betrifft dies vor allem die Fälle, in denen gegen eine Prozessabweisung7 oder eine Abweisung als zur Zeit unbegründet8 Rechtsmittel eingelegt wird. Beide Konstellationen haben gemeinsam, dass in erster Instanz über den Rechtsstreit noch nicht endgültig entschieden wurde. Sowohl die bei der Prozessabweisung fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung9 als auch das zur Abweisung als zur Zeit unbegründet führende fehlende Tatbestandsmerkmal könnten nachträglich eintreten oder durch den Kläger erfüllt werden, so dass eine endgültige Entscheidung in einem Folgeprozess gefällt werden muss. Genauso bedarf es noch einer endgültigen Entscheidung, wenn der Kläger Rechtsmittel einlegt und das Rechtsmittelgericht entgegen der Vorinstanz zu dem Ergebnis kommt, die Klage sei zulässig bzw. das fehlende Tatbestandsmerkmal sei zu bejahen. Dies wirft zunächst die Frage auf, ob die Klage dann 5
Hierzu sogleich unter § 5 VI. (Seiten 49 ff.). So entspräche es der Praxis, im erwähnten Beispielsfall die Berufung nicht ausdrücklich auf die nicht zuerkannten € 2.500,- zu beschränken, sondern (erneut) die Zuerkennung des gesamten Klagebetrags von € 5.000,- zu verlangen, vgl. das Beispiel bei Fenn, S. 63 Fn. 82. 7 Hierzu unter § 12 (Seiten 150 ff.). 8 Hierzu unter § 11 (Seiten 133 ff.). 9 Zum Begriff neuerdings Hau, ZJS 2008, 33 ff. (insb. Fn. 11), der zu Recht darauf hinweist, dass gegenüber dem Begriff Sachurteilsvoraussetzungen hiervon auch die Verfahren erfasst werden, in denen durch Beschluss entschieden wird. 6
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noch als (endgültig) unbegründet abgewiesen werden kann und ob das Rechtsmittelgericht selbst zu dieser Entscheidung berufen ist. Denn wird die endgültige Sachabweisung in der Rechtsmittelinstanz ausgesprochen, verliert der Rechtsmittelführer immerhin eine komplette Instanz. Im Fall der ursprünglichen Abweisung als zur Zeit unbegründet wird dies von der bislang herrschenden Meinung damit gerechtfertigt, dass in der Vorinstanz lediglich die Abweisung der Klage rechtskraftfähig entschieden wurde und dass Entscheidungsgründe, also die Spezifizierung der Abweisung als zur Zeit unbegründet, nicht an der Rechtskraft teilnähmen.10 Auch soll die Abweisung als unzulässig durch das Rechtsmittelgericht in eine solche als unbegründet abgeändert werden dürfen, da das Prozessurteil keinen Besitzstand in der Sache vermittle11 und dies zudem der Prozessökonomie diene.12 Angesprochen sind damit zum einen die Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Abweisungsarten, zum anderen aber auch das Verhältnis der einzelnen Instanzen untereinander. Gerade letztere Fragestellung erfährt durch die Umgestaltung des Rechtsmittelrechts im Wege des Zivilprozessreformgesetzes von 200113 eine neuerliche Akzentuierung. Denn der vormals als vollwertige zweite Tatsacheninstanz ausgestalteten Berufung soll nunmehr die Rolle einer Fehlerkontrollinstanz mit begrenzten Möglichkeiten zur Einführung neuer Tatsachen zukommen.14 Neben den betroffenen Interessen des Rechtsmittelführers drängt also auch die Neugestaltung des Rechtsmittelrechts auf eine neuerliche Überprüfung des bisherigen Meinungsstandes zum Verbot der reformatio in peius. Im Folgenden sollen die bisher zum Verbot der reformatio in peius gefundenen Ergebnisse näher dargestellt und auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden. Dabei gilt es zunächst den Begriff der reformatio in peius zu klären (Teil 1 § 1) und einen kurzen Blick auf die historische Entwicklung des Verbots zu werfen (Teil 1 § 2). Im Anschluss sollen dessen gesetzliche Verortung und dogmatische Grundlage näher untersucht werden (Teil 2). Teil 3 widmet sich der Darstellung des allgemeinen Verbotsumfangs, so dass in Teil 4 auf dessen konkrete Ausprägung in der Prozessrechtspraxis anhand einzelner besonders problematischer Fallgruppen eingegangen werden kann. Abschließend soll die Frage der rechtlichen Behandlung von Verstößen gegen das Verbot behandelt werden (Teil 5 § 16). 10 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 46; Kapsa, S. 153 f.; in diesem Sinne auch Musielak/Ball6, § 528 Rn. 19; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 9; Saenger, § 528 Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald16; § 138 Rn. 12; Walchshöfer, FS Schwab S. 521 (531 f.) und wohl auch Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 25. 11 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 18; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 32; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 55; AK-ZPO-Ankermann, § 536 a. F. Rn. 5; Zimmermann/Walther7, § 528 Rn. 8; Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (466 ff.); Kapsa, S. 120 ff.; BGHZ 23, 36 (50); BGH NJW 1989, 393 (394). 12 In diese Richtung auch Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 55; AK-ZPO-Ankermann, § 538 a. F. Rn. 10; vgl. auch BGH NJW 1954, 150 (151), wonach die Zurückverweisung in diesem Fall lediglich als eine „verfahrensrechtlich doktrinäre Maßnahme“ erscheine. 13 Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887 ff.). 14 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722 S. 58, 61 f., 97, 100 f.
Teil 1
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Grundlagen Teil 1: Grundlagen
§ 1 Der Begriff „reformatio in peius“ Um den Gegenstand der Darstellung zu präzisieren, muss der Begriff reformatio in peius1 zumindest in seinen groben Zügen definiert werden. Schwierigkeiten tauchen dabei durch den recht weit gefassten Wortlaut auf, der übersetzt nichts weiter heißt als „Abänderung zum Schlechteren“2. Auf das Rechtsmittelsystem des Zivilprozesses bezogen bedeutet das die Abänderung einer vorinstanzlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht zum Schlechteren. Damit ist aber noch nichts gewonnen. Es stellt sich die Frage, für wen und durch wen das Urteil zum Schlechteren geändert wird und was genau mit „Schlechterem“ gemeint ist. Diese Frage beantwortet sich nicht allein aus dem Begriff heraus, und es scheint kaum möglich, bei der Suche nach dem genauen Inhalt des Bergriffs einer petitio principii zu entgehen. Vielmehr wird mit reformatio in peius eine bestimmte Problemlage beschrieben, wie sie sich aus den verschiedenen zum Teil entgegen gesetzten Interessen der Prozessbeteiligten ergibt. Der Begriff wird also mit normativen Erwägungen aufgeladen, wobei er sich je nach Akzentuierung weiter oder enger fassen lässt. In einer der ersten umfassenden Untersuchungen zum Verbot der reformatio in peius im schweizerischen Zivilprozessrecht wird etwa folgende Definition angeboten: „Der Begriff der reformatio in peius […] lässt sich umschreiben als jede von einer neu urteilenden Instanz vorgenommene, von Amts wegen erfolgte und die Hauptsache betreffende Änderung einer Entscheidung zum Nachteil desjenigen, der gegen diese ein Rechtsmittel eingelegt hat.“3
Die Begrenzung auf Verschlechterungen des Rechtsmittelführers erscheint sinnvoll, denn da die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils immer mit einer Verschlechterung zumindest für eine der beteiligten Parteien verbunden ist, ließe der Begriff reformatio in peius anderenfalls keine Unterscheidung mehr zu.4 Ande1
Synonym verwandt werden auch die Begriffe „Verschlechterung“, „Schlechterstellung“ und „Verböserung“. 2 Heumann/Seckel, „reformare“; Ausführungen zu dem Paradoxon der Kombination des an sich positiv belegten Reformatio-Begriffs mit dem negativen Zusatz „in peius“ macht Lauckner, S. 3 ff. 3 Ricci, S. 3. 4 So auch Kapsa, S. 22; Lieb, S. 7.
§1 Der Begriff „reformatio in peius“
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rerseits stellt sich das Problem der reformatio in peius nicht zwangsläufig nur bei Rechtsmitteln, also bei solchen Rechtsbehelfen, die mit Devolutiv- und Suspensiveffekt ausgestattet sind.5 Nicht Devolutiv- und Suspensiveffekt sind für das Verbot der reformatio in peius entscheidend. Vielmehr kommt es allein auf die Überprüfung bzw. Abänderung der Entscheidung, ganz gleich durch welches Gericht, an,6 denn für die von der Verschlechterung betroffene Partei ist es unerheblich, durch welches Gericht die Verschlechterung erfolgt. Im Laufe seiner Entwicklung wurden dem Begriff reformatio in peius immer wieder neue Aspekte normativen Charakters abgerungen. So wird beispielsweise vertreten, dass das Verbot der reformatio in peius nur dort eine Rolle spielen kann, wo eine Entscheidung auf Antrag des Betroffenen geändert wird. Es könne demnach nur bei förmlichen Rechtsbehelfen gelten. Dabei sei es jedoch unerheblich, ob den Rechtsbehelfen aufschiebende Wirkung zukomme oder wer zur Entscheidung berufen sei. Im Gegensatz hierzu seien die formlosen Rechtsbehelfe wie Dienstaufsichtsbeschwerde und Gegenvorstellung zu sehen, die keinen Anspruch auf Überprüfung in der Sache begründeten.7 Des Weiteren dürfe der dem Rechtsmittelkläger zugefügte Nachteil nur in der Hauptsache und nicht in einer Nebenentscheidung liegen8 und müsse die Rechtsstellung9 des Rechtsmittelklägers nachteilig verändern. Andere wiederum halten das Problem der reformatio in peius nur bei einer Abänderung von Urteilen für relevant.10 Diese Reihe ließe sich noch weiter fortsetzen, was jedoch in der Sache wenig zielführend wäre. Derlei Ausführungen und Streitigkeiten haben jedoch weniger eine sinnvolle Begriffsbestimmung als vielmehr die Frage der Zulässigkeit einer reformatio in peius zum Gegenstand.11 So wurde schon früh die „Überbetonung des Begrifflichen“ moniert und festgestellt, dass nicht der Begriff, sondern die Sache für das Prozessrecht von Wichtigkeit sei.12 Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass der Begriff reformatio in peius überhaupt nicht definiert werden müsste. Um die be5 Für die Notwendigkeit einer reformatorischen Entscheidung durch eine höhere Instanz aber Mittermaier, AcP 7 (1824), 86, der vom „Obergerichte“ spricht; ebenso; Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (84); Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (3) und Ricci, S. 11, der zwingend voraussetzt, dass ein vorinstanzliches Urteil durch ein oberinstanzliches zum Nachteil des Rechtsmittelführers abgeändert wird. Denn Reformatio in peius sei ein Verhältnisbegriff, der Urteile verschiedener Instanzen voraussetze. Schwierigkeiten bereitet diese enge Definition aber u. a. dann, wenn es um die Gel-tung des Verbots nach Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz geht, siehe hierzu noch unten § 7 II (Seiten 107 ff.). 6 Lieb, S. 8. 7 Lieb, S. 8 ff. 8 Lieb, S. 11; vgl. auch Ricci, S. 2; Lauckner, S. 10 f. (für die Kostenentscheidung); Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (85). 9 Lieb, S. 11. 10 Mittermaier, AcP 7 (1824), 86. 11 Kapsa, S. 21 f. 12 v. Linde, AcP 33 (1850),149 (154, 159 f.).
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stehenden Probleme lösen zu können, muss zumindest ein gewisser Rahmen abgesteckt werden, in dem sich die Erörterung bewegen soll.13 Kapsa schlägt hierfür eine die Problemlage umschreibende Begriffsbestimmung vor. Alle weiteren Fragen wären dann solche der Zulässigkeit. Eine reformatio in peius läge demnach „[…] in jeder Abänderung oder auch Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung zum Nachteil desjenigen, der hiergegen einen Rechtsbehelf eingelegt hat.“14 Diese weitgefasste Definition soll für den weiteren Gang der Darstellung gelten, schließt sie doch alle vom nackten Begriff reformatio in peius als solchen miterfassten unproblematischen Konstellationen aus, ohne gleichzeitig strittige Anwendungsfälle auszugrenzen.15
§ 2 Die historische Entwicklung der reformatio in peius I. Die Römische Republik und die Kaiserzeit Das Problem der reformatio in peius, wie es Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein soll, setzt die Möglichkeit einer reformatorischen Entscheidung voraus, also eine Entscheidung, die das angefochtene Urteil nicht nur aufheben, sondern auch inhaltlich abändern kann.1 Mit den zu Zeiten der Römischen Republik2 bestehenden Rechtsmitteln der appellatio und provocatio konnte jedoch lediglich die Nichtvollstreckung eines Urteils verlangt werden. Eine reformatorische Entscheidung war nicht vorgesehen.3 Somit konnte es auch nicht zu einer reformatio in peius kommen. Die Frage nach deren Zulässigkeit oder Unzulässigkeit stellte sich damals also gar nicht.4
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In diesem Sinne auch Kapsa, S. 22. Kapsa, S. 22. 15 Eine Ausnahmestellung nehmen in diesem Zusammenhang die von Natur aus zweigeteilten Verfahren ein. Hierzu gehören sowohl der Erlass eines Grundurteils und das sich anschließende Verfahren über die Beitragshöhe (siehe hierzu unten § 15 II.) als auch die Abweisung einer Klage als zur Zeit unbegründet (siehe hierzu unten § 11) oder als unzulässig (hierzu untern § 12) und die erneute Klageerhebung vor der selben Instanz nach Eintritt des noch fehlenden Tatbestandsmerkmals bzw. der fehlenden Sachentscheidungsvoraussetzung. 1 Dies gilt zumindest dann, wenn eine Schlechterstellung durch die Rechtsmittelinstanzen in Rede steht (vgl. § 1 Fn. 15). 2 Beginn mit dem Übergang vom lebenslangen Königtum zum einjährigen Oberamt zu Beginn des 5. Jh. v. Chr., Ende mit der Machtergreifung Octavians am 13. Januar 27 v. Chr., vgl. Wieacker, 1. Abschn. S. 221, 2. Abschn. S. 7 ff. 3 Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (87 f.); v. Linde, AcP 33 (1850), 149 (150 f.), jeweils m. w. Nachw. 4 Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (87); v. Linde, AcP 33 (1850), 149 (151, 154). 14
§ 2 Die historische Entwicklung der reformatio in peius
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Erst zu Zeiten der Machtentfaltung Kaiser Augustus5 gab es einen Instanzenzug nach unserem heutigen Verständnis6 und konnten Urteile durch appellatio oder provocatio angefochten werden, was nicht nur die Kassation des angegriffenen Urteils, sondern auch eine reformatorische Entscheidung der Rechtsmittelinstanz nach sich ziehen konnte.7 Die erste bekannte Erwähnung des Begriffs der reformatio in peius findet sich jedoch erst einige Zeit später bei dem römischen Juristen Ulpian.8 Heute ist diese Fundstelle nur im Corpus Iuris Civilis Justinians9 überliefert. Dort heißt es: „Appelandi usus quam sit frequens quamque necessarius, nemo est qui nesciat, quippe cum iniquitatem iudicantium vel imperitiam recorrigat: licet nonnumquam bene latas sententias in peius reformet, neque enim utique melius pronuntiat qui novissimus sententiam laturus est.“10 Wie aber aus dem Text ersichtlich wird, meinte Ulpian mit „in peius reformare“ lediglich, dass qualitativ hochwertige Entscheidungen in der Appellationsinstanz qualitativ verschlechtert werden, bzw. dass das Urteil des oberen Richters im Vergleich zu der vorinstanzlichen Entscheidung materiell unrichtig sein konnte.11 Auch wenn damit nicht die hier interessierende Form der reformatio in peius gemeint war, kann man wohl davon ausgehen, dass dem damaligen Rechtsmittelsystem diese Rechtfigur bekannt war und sie als unzulässig angesehen wurde, wenn nicht der Appellat selbst Appellation ergriffen hatte. Denn der obere Richter hatte nur zu entscheiden, ob das Rechtsmittel „iusta“ oder „iniusta“ war. Im ersten Fall wurde das Urteil aufgehoben und dem Appellationsantrag des Appellanten stattgegeben, im Letzteren wurde die Appellationsbitte abgewiesen. Eine Änderung zu Gunsten des Appellaten war nur möglich, wenn auch dieser förmlich appelliert hatte.12
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Ab etwa 27 v. Chr., Wieacker, 2. Abschn. S. 7 ff. Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (88), m. w. Nachw. 7 Kaser/Hackl, S. 501 f. m . w. Nachw. 8 Domitius Ulpianus, gestorbenn 228 n.Chr., vgl. Kunkel, S. 246. 9 Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus, ca. 482–565, war von 527 bis zu seinem Tod im Jahre 565 oströmischer Kaiser und verkündete 533 n. Chr. die Digesten als Gesetzbuch, das seit dem Mittelalter Corpus Iuris Civilis genannt wird, vgl. Wieacker, 2. Abschn. S. 287 ff., Manthe, S. 113. 10 D. 49, 1, 1, pr.; Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis/Feust, Bd. IV S. 1055: „Wie häufig, und wie nothwendig der Gebrauch des Appellierens sei, ist Jedermann bekannt; weil sie nemlich die Unbilligkeit oder Unwissenheit der Richter wieder gut macht, wenn sie gleich manchmal wohl gesprochener Urtheile in schlechtere ändert; denn der spricht noch nicht besser, wer zuletzt das Urtheil fällt.“ 11 Vgl. mit jeweils unterschiedlichen Formulierungen Egger, S. 6; Ricci, S.10 f; Klamaris, S. 112; Lauckner, S. 2 f.; Lieb, S. 3; Mittermaier, AcP 7 (1824), 86 (90); Schultzenstein, ZZP 31, 3, Fn. 2; Wetzell3, S. 746 Fn. 51 (der von einem „ganz anderen Sinne“ spricht). 12 C. 7, 62, 6: „[…] quum super omni causa interpositam provocationem vel iniustam tantum liceat pronuntiare, vel iustam.“; vgl. auch v. Bayer, S. 1063 f.; v. Linde, AcP 19 (1836), 462 f.; 33 (1850), 149 (155); Sartorius, 31 (1848), 83 (88 f.); Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (7); Walsmann, S. 9; Ricci, S. 12; Kapsa, S. 27, m . w. Nachw. 6
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II. Justinian und die „lex ampliorem“ Dieser Grundsatz, dass der Rechtsmittelbeklagte selbst ein eigenständiges Rechtsmittel einlegen musste, um eine Verbesserung seiner Position zu erreichen, wurde durch die Gesetzgebung Justinians aufgegeben. Es geschah dies durch eine später als „lex ampliorem“ bekannte Stelle aus einer Konstitution vom 27. März 530 n.Chr.:13 „Mit grösster Fürsorge (Ampliorem providentiam)14 für Unsere Unterthanen wachend, als sie vielleicht selbst es zu thun im Stande sein möchten, verbessern Wir eine alte Gewohnheit, indem das Appellationsverfahren blos für Denjenigen nach des Richters Erkenntniss einen Vortheil herbeiführte, der selbst zur Hilfe der Appellation gegriffen hatte, während die andere Partei, die dies nicht gethan hatte, genöhtigt ward, sich mit dem Urtheil, es mochte ausgefallen sein, wie da wolle, zu begnügen. Verordnen daher, dass, sobald der Appellirende einmal in’s Gericht gegangen, und die Gründe seiner Appellation vorgelegt hat, auch seinem Gegner gestattet sein soll, wenn er dem Inhalt des Erkenntnisses etwas entgegensetzen will, und gegenwärtig gewesen, dies zu thun, auch er rechtliches Gehör erhalten soll. Ist er aber abwesend gewesen, so soll der Richter nichts desto weniger aus Amtspflicht (per suum vigorem) [das Erforderliche] für ihn erfüllen.“15
Justinian hatte damit erstmals das Institut des (unselbstständigen) Anschlussrechtsmittels geschaffen.16 Darüber hinaus ließ die lex ampliorem – wenngleich nur bei Abwesenheit des Appellaten – eine reformatio in peius zu.17 Durch spätere Novellen wurde diese Möglichkeit einer reformatorischen Entscheidung zu Gunsten des (abwesenden) Appellaten weiter ergänzt, so dass auch bei Abwesenheit des Rechtsmittelführers zu dessen Gunsten entschieden werden konnte. So heißt es in der Nov. 49, 1 pr.: „[…] Geschieht es nun durch einen Zufall, dass der Appellant, obwohl er zur gehörigen Zeit die Appellation einlegte, ferner zu erscheinen und dieselbe fortzustellen nicht vermochte […], so soll zwar nach Vorschrift des früheren Gesetzes das vorige Erkenntniss dem Sie13 C. 7, 62, 39: „Ampliorem providentiam subiectis conferentes, quam forsitan ipsi uigilantes non inueniunt, antiquam observationem emendamus, cum in appellationum auditoriis is solus post sententiam iudicis emendationem meruerat, qui ad provocationis convolasset auxilium, altera parte, quae hoc non fecisset, sententiam sequi, qualiscumque fuisset, compellenda. Sancimus itaque, si appellator semel in iudicium venerit et causas appellationis suae proposuerit, habere licentiam et adversarium eius, si quid iudicatis opponere maluerit, si praesto fuerit, hoc facerer et iudiciale mereri praesidium: sin autem absens fuerit, nihilominus iudicem per suum vigorem eius partes adimplere.“ 14 Klammerzusätze vom Verfasser. 15 Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, Bd. VI S. 129. 16 Walsmann, S. 9. 17 Ricci, S. 13; v. Linde, AcP 33 (1850), 149 (157); Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (7 f.); a. A. Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (317 f.); der den Richter hier als gesetzlichen Stellvertreter des abwesenden Appellaten ansieht, der demnach für diesen und nicht von Amts wegen tätig wird. Hiergegen v. Linde, AcP 33 (1850), 149 (163 ff.), der in dem partes adimplere gerade keine Stellvertretung oder Parteihandlung zu Gunsten des Appellaten sieht. Vermittelnd und mit Hinweis auf das unzureichende Quellenmaterial Lauckner, S. 32 f.
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ger bestätigt werden, jedoch mit einer Beschränkung, die Wir jetzt einführen. […] Wir befehlen nämlich, dass der Sieger im ersten Erkenntnisse, wenn er auf den Fall, dass der Appellant seine Appellation nicht fortstellt, die Bestätigung jenes Erkenntnisses zu erlangen wünschte, nicht hinterhältlich und erst nach Ablauf eines längeren Zeitraumes, sondern mit der Gerechtigkeit seines Anspruches noch innerhalb der zweijährigen Frist und zwar längstens vor Beginn des letzten Monats hervortrete, über den Gegner sich beschwere (ihn des Ungehorsams beschuldige) und ihn aufsuche, dafern dieser aber nicht aufzufinden ist oder nicht erscheint, seine Rechte auseinandersetze. Beweist er sein Recht, so wird das Erkenntnis bestätigt, beweist er es nicht, so wird die Angelegenheit, wenn schon der Appellant die gehörig eingewendete Appellation nicht fortgestellt hat, den Rechten gemäss entschieden, […].“18
Dem Richter oblag es nun auch bei Abwesenheit des Appellanten, die Sache nicht ruhen zu lassen, sondern nach Lage der Gesetze zu entscheiden. In Zusammenschau mit der lex ampliorem19 blieb es aber bei der grundsätzlichen Zulässigkeit einer reformatio in peius zu Lasten des Rechtsmittelklägers.20 Schultzenstein kritisiert dabei mit Recht, dass Justinian die Zulässigkeit einer reformatio in peius an dem willkürlich erscheinenden Kriterium der Abwesenheit des Appellaten festmachte und zudem der lex ampliorem widersprechende Fragmente in den Digesten des Corpus Iuris Civilis stehen ließ,21 wie etwa die oben zitierte lex 6 pr. l. 32.22
18 Nov. 49, 1 pr. in der Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis/Freiesleben, Bd. VII S. 283 f. Die Entscheidungsbefugnis des Gerichtes auch zu Gunsten einer Abwesenden Partei wurde zudem in der Nov. 126, 2 erneut bekräftigt; vgl. hierzu v. Linde, AcP 33 (1850), 149 (171) 19 Siehe oben bei Fn. 13. 20 Grundsätzlich a. A. Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (107 f.), nach dem in den einschlägigen Gesetzestexten immer vom Appellaten als „Sieger“ des erstinstanzlichen Verfahrens die Rede ist. Ein siegreicher Appellat bedürfe aber einer reformatio in peius nicht, denn was er bestenfalls erreichen könne, sei die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung. Von der Möglichkeit eines teilweisen Obsiegens in erster Instanz, das eine reformatio in peius erst möglich und für den Appellaten erstrebenswert mache, sei hingegen nirgends die Rede. Hiergegen schon v. Linde, AcP 33 (1850), 149 (157 ff.), der die Möglichkeit eines teilweisen Obsiegens nicht für ausgeschlossen und damit eine reformatio in peius für möglich und unter Geltung von Nov. 49 und lex ampliorem (C. 7, 62, 39) für zulässig hält. 21 Schultzenstein, ZZP 31 (1931), 1 (27 f.); a. A. v. Linde, AcP 33 (1850 ), 149 (170 ff.), der die Gesetze Justinians weit auslegt und davon ausgeht, Justinian habe in jedem Fall eine nur an der materiellen Rechtslage orientierte Entscheidung der Appellationsinstanz gewollt, unabhängig von der An- oder Abwesenheit einer der Parteien und unabhängig von Parteianträgen. 22 Siehe oben Seite 23, Fn. 12.
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Teil 1: Grundlagen
III. Rezeption des römischen Rechts – Wandel der Auffassungen Die mittelalterlichen Rechtsschulen übernahmen den Inhalt der lex ampliorem und gingen sogar noch einen Schritt weiter: Aus dem Satz, „sin autem absens fuerit, nihilominus iudicem per suum vigorem eius partes adimplere“, wurde gefolgert, dass durch Appellation auch nur einer Partei eine Appellationsgemeinschaft (communio appellationis) entstünde, in der beide Parteien gleichermaßen ihre Rechte geltend machen könnten. Benutzte der Rechtsmittelgegner das ihm zustehende Recht nicht und blieb den Verhandlungen fern, konnte der Richter trotzdem zu seinen Gunsten entscheiden. Die communio appellationis hatte zur Folge, dass der Richter die Interessen des Rechtsmittelgegners an dessen Stelle wahrnahm, solange (und nur solange) dieser nicht selbst Gelegenheit hatte, Abänderungsanträge zu seinen Gunsten zu stellen.23 Die Interpretation der lex ampliorem erfuhr im Laufe der Zeit eine derartige Verdichtung, dass man das Institut der Anschlussberufung 127 für überflüssig hielt.24 Nach damaliger Auffassung sei durch die communio appellationis das Rechtsmittel gemeinschaftlich geworden, und dem anwesenden Appellaten stünde somit ohnehin ein Recht zu, Gegenanträge zu stellen.25 Dies führte in einigen Partikulargesetzen zur gänzlichen Abschaffung der Anschlussberufung.26 Fast noch größer war die Verdichtung bei dem „partes adimplere“. So hielt man – wenngleich nicht ohne Gegenmeinungen – eine reformatio in peius nicht länger nur bei Abwesenheit des Appellaten, sondern generell für zulässig.27 Etwa ab dem 17. Jh. änderten sich allmählich die Auffassungen. Aufklärung und Humanismus führten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem rezipierten römischen Recht, die in diversen Kodifikationen28 ihren Höhepunkt fand. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung mit der Redigierung des Allgemeinen Landrechts für die preussischen Staaten von 1794 (ALR) und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für Österreich (ABGB) 1811. Im Rahmen der zivilprozessrechtlichen Entwicklung gewann der Grundsatz „ne eat iudex ultra petita partium“ zumindest in der Lehre mehr und mehr an
23 Walsmann, S. 11, m. w. Nachw. auch zur mittelalterlichen Literatur; Schultzenstein, ZZP 31 (1931), 1 (8 f.); Gönner, S. 164 ff. 24 Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (336); Walsmann, S. 12, weist darauf hin, dass unter der damaligen „adhaesio appellationis“ lediglich die Berufung des Nebenintervenienten, „appellatio tertii“ verstanden wurde. 25 Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (336). 26 Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (336) mit Verweis auf v. Linde, AcP 20 (1836), 53 (66 ff.). 27 Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (8); v. Linde AcP 19 (1836), 462 (497); an einer einheitlichen Gerichtspraxis zweifelnd Ricci, S. 16. 28 Vgl. z. B. Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756, Corpus Iuris Fridericiani von 1749.
§ 2 Die historische Entwicklung der reformatio in peius
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Boden.29 Die communio appellationis verschwand, wodurch die Anschlussberufung wieder in den Vordergrund trat. Die vier letzten Länderkodifikationen vor Entstehen der ZPO, die badische,30 württembergische,31 bayerische32 und hannoversche33 Zivilprozessordnung kannten bereits das Verbot der reformatio in peius und die Anschließung.34
29 Erste kritische Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der reformatio in peius finden sich etwa bei Püttmann, S. 482 (für das Strafrecht) und Leyser, Meditationes ad pandectas, S. 639 (zitiert nach Egger, S. 12 Fn. 35). 30 Von 1864. 31 Von 1868. 32 Von 1869. 33 Von 1850. 34 Walsmann, S. 40; Ricci, S. 16 f.
Teil 2
2
Systematische Einordnung Teil 2: Systematische Einordnung
§ 3 Die gesetzlichen Regelungen der einzelnen Prozessordnungen § 3: Die gesetzlichen Regelungen der einzelnen Prozessordnungen
In den deutschen Prozessordnungen findet sich ein wörtlich als solches bezeichnetes Verbot der reformatio in peius nur für den Strafprozess.1 Es gilt dort sowohl für Berufung und Revision als auch für die Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn das jeweilige Verfahren nur durch den Beschuldigten eingeleitet wurde. In den übrigen Prozessordnungen kommt das Verbot nicht immer in aller Deutlichkeit zum Ausdruck. Doch gibt es vielfach Hinweise auf seine Geltung. Dies geschieht insbesondere durch die Bindung des entscheidenden Gerichtes an die Parteianträge.
I. Zivilprozessordnung In § 308 ZPO wird für das Verfahren im ersten Rechtszug der Grundsatz der Antragsbindung festgelegt. § 308 ZPO „1Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. 2Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen. Über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, hat das Gericht auch ohne Antrag zu erkennen.“
Der Grundsatz der Antragsbindung ergibt sich zudem indirekt aus den verschiedenen Möglichkeiten der Parteien, auf den Prozessverlauf Einfluss zu nehmen. Zu nennen ist hier allen voran der Prozessvergleich, nach dem die Parteien das Verfahren auch ohne ein der tatsächlichen materiellen Rechtslage entsprechendes Ergebnis beenden können. Ebenso Korrelat der Antragsbindung sind Klagerücknahme (§ 269 ZPO), Erledigungserklärung, Klageverzicht (§ 306 ZPO) und Anerkenntnis (§ 307 ZPO).2 Für die Berufung wird in § 525 ZPO auf die entsprechende Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des ersten Rechtszuges verwiesen, also auch auf die Antragsbindung nach § 308 ZPO, die in § 528 ZPO auch noch einmal 1
Vgl. §§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO. Statt vieler Musielak9, Rn. 102; vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 76 Rn. 3, die in der Möglichkeit des Klägers, durch Säumnis ein Versäumnisurteil (ohne jegliche materiellrechtliche Prüfung) gegen sich ergehen zu lassen, eine Ausprägung des Dispositionsgrundsatzes sehen. 2
§ 3: Die gesetzlichen Regelungen der einzelnen Prozessordnungen
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ausdrücklich normiert wird. Der Wortlaut des § 528 Abs. 2 ZPO macht die Bindung noch einmal besonders deutlich. § 525 ZPO „1Auf das weitere Verfahren sind die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Abschnitts ergeben. […].“ § 528 ZPO „1Der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts unterliegen nur die Berufungsanträge. 2Das Urteil des ersten Rechtszuges darf nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.“
Auch für die Revision wird in § 555 ZPO auf die Vorschriften für das Verfahren im ersten Rechtszug verwiesen und in § 557 Abs. 1 ZPO die Antragsbindung festgelegt. § 557 Abs. 1 ZPO „Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge.“
II. Das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Für die einzelnen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet sich keine gesonderte Normierung der Antragsbindung bzw. des Verbots der reformatio in peius.
III. Das Verwaltungsgerichtsverfahren Für die Berufung im Verwaltungsgerichtsverfahren sieht § 129 VwGO vor, dass das erstinstanzliche Urteil nur insoweit geändert werden darf, als eine Änderung beantragt ist. § 129 VwGO entspricht damit § 528 Satz 2 ZPO und gilt durch die Verweisung in § 141 VwGO auch für die Revision. Die Antragsbindung gilt gemäß § 88 VwGO auch für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, das in Bezug auf verwaltungsaktbezogene Streitigkeiten zumindest in den Fällen einer Rechtsmittelinstanz ähnlich ist, in denen ein (behördliches) Widerspruchsverfahren vorgesehen ist.3 Demnach entspricht es der heute herrschenden Meinung, dass das Verbot der reformatio in peius auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt.4 Ebenfalls anerkannt ist die Geltung des Verbots im Bereich des § 113 Abs. 2 VwGO.5 Begehrt demnach der Kläger die Änderung eines Verwaltungsaktes, der 3
Vgl. etwa Kapsa, S. 93. Statt vieler Redeker/von Oertzen/Kothe14, Art. 88 Rn. 4; Art. 129 Rn. 1; Kopp/Schenke14, Art. 88 Rn. 6, Art. 129 Rn. 1, Art. 141 Rn. 1. 5 Gleiches gilt für die parallele Vorschrift des § 100 Abs. 2 FGO, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. 4
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Teil 2: Systematische Einordnung
einen Geldbetrag festsetzt oder diesbezügliche Feststellungen trifft, soll das Gericht den Betrag bzw. die Feststellungen dem Wortlaut der Vorschrift nach scheinbar unabhängig vom Inhalt des Klageantrages abändern können. Da dem Verbot allgemein jedoch als allgemeinem Verfahrensgrundsatz Vorrang eingeräumt wird, ist § 113 Abs. 2 VwGO in seiner Aussage entsprechend zu reduzieren.6
IV. Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO Eine Besonderheit stellt das rein behördliche Verwaltungsverfahren dar. Gemeint ist damit der Fall, dass gegen einen Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt wird und die Ausgangs- bzw. Widerspruchsbehörde den angegriffenen Verwaltungsakt aufheben und durch einen (noch) belastenderen ersetzen möchte.7 Die Regelungen der sedes materiae, §§ 68 ff. VwGO enthalten keinerlei Hinweis, inwieweit eine reformatio in peius hier zulässig ist. Sowohl die Befürworter der Zulässigkeit einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren als auch deren Gegner machen sich diese Nichtregelung gleichermaßen zunutze. Während erstere davon überzeugt sind, dass Sachherrschaft und Selbstkontrolle der Verwaltung die Zulässigkeit einer reformatio in peius voraussetzt und demnach deren Unzulässigkeit in den §§ 68 ff. VwGO ausdrücklich hätte normiert werden müssen,8 argumentieren letztere genau umgekehrt. Demnach sei das Verbot der reformatio in peius prozessualer Regelfall und die Zulässigkeit einer Schlechterstellung hätte ausdrücklich geregelt werden müssen. Zweiter Anknüpfungspunkt der Gegner des Verschlechterungsverbots sind die §§ 49 f. VwVfG, die es der Verwaltung auch ohne Widerspruch des Betroffenen ermöglichten, einen Verwaltungsakt in belastender Weise aufzuheben bzw. abzuändern und dies sogar nach Eintritt der Bestandskraft. Allerding soll die Widerspruchsbehörde bei der schlechterstellenden Abänderung auch an die in §§ 48 f. VwVfG festgelegten Hürden gebunden sein.9 Außerdem gehe aus § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO hervor, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer zusätzlichen selbstständigen Beschwer zu Lasten des Widerspruchsführers voraussetze. Für die Geltung des Verschlechterungsverbots werden hingegen auch für das Widerspruchsverfahren die hinter §§ 88, 129, 141 VwGO stehenden Rechtsgedanken herangezogen.10 Dies alles sind jedoch lediglich „Sekundärnormen“, die für sich genommen keine direkte Regelung des Problems bereit halten.
6 Redeker/v. Oertzen/Redeker14, Art. 113 Rn. 8; Kopp/Schenke14, Art 113 Rn. 153; vgl. zum früheren Meinungsstreit Lieb, S. 67 f. m . w. Nachw. 7 Vgl. oben Fall 3 (Seite 18). 8 Hufen, § 9 Rn. 16. 9 Hufen, § 9 Rn. 16, 19, 20; Schenke11, Rn. 694 f. 10 Vgl. etwa Ule, § 24 III 1.
§ 4 Motive des Gesetzgebers
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V. Zusammenfassung Die genauere Durchsicht der einzelnen Prozessordnungen zeigt, dass das Verbot in den wenigsten eine ausdrückliche Normierung erfährt. Wohl wird in den meisten übrigen Prozessordnungen aber der Grundsatz der Antragsbindung festgelegt oder es finden sich andere Normen, die gewisse Rückschlüsse hinsichtlich des Verschlechterungsverbots nahelegen. Ob und inwieweit sich hieraus tatsächlich zwingend die Unzulässigkeit einer reformatio in peius ergibt, ist eine Frage der dogmatischen Grundlage des Verbots (dazu sogleich unter § 5) und seines Umfangs (dazu unten Teil 3). Zunächst soll jedoch ein Blick auf die Motive des (Zivilprozess-) Gesetzgebers geworfen und geprüft werden, welche Rolle die Behandlung der reformatio in peius bei Kodifizierung der Zivilprozessordnung gespielt hat.
§ 4 Motive des Gesetzgebers § 4 Motive des Gesetzgebers
Wenn an dieser Stelle die Motive des Gesetzgebers bei der Schaffung der Zivilprozessordnung hinsichtlich der reformatio in peius-Problematik untersucht werden sollen, so geht es dabei nicht darum, hieraus den letzten Schluss für die Auslegung der entsprechenden prozessualen Regelungen zu ziehen. Immerhin verdienen aber die Beweggründe des damaligen Gesetzgebers insoweit Beachtung, als hinter den Gesetzen des Rechtsmittelrechts auch immer eine bestimmte Regelungsabsicht sowie gewisse Wertungen stehen. Zu weit ginge es jedoch, diesen historischen Absichten Vorrang vor dem tatsächlichen, objektiven Aussagegehalt des Gesetzes einzuräumen.1 Vielmehr gilt es, beide Elemente der rechtlichen Aussage des Gesetzes – subjektive Regelungsabsichten des Gesetzgebers und objektive Gesetzesaussage – in Einklang zu bringen.2
I. Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 Die Möglichkeit einer reformatio in peius durch das Rechtsmittelgericht wurde bei der Entstehung der heutigen Zivilprozessordnung kontrovers diskutiert. § 477 des dem Reichstag am 29. Oktober 1874 vorgelegten vom Bundesrat beschlossenen Entwurfs lautete: „Das Urtheil erster Instanz darf nur insoweit abgeändert werden, als ein Abänderung beantragt ist.“3 Obwohl dem heutigen § 528 ZPO schon recht ähnlich, sollte mit dieser Regelung – der Begründung des Entwurfs zufolge – lediglich der Devolutiveffekt der Berufung festgelegt werden.4 In der 1
So jedoch die (streng) subjektive Theorie, vgl. die Nachw. bei Larenz/Canaris, S. 137. Im Gegensatz dazu streitet die sogenannte objektive Theorie jegliche Bedeutung der gesetzgeberischen Motive für die Gesetzesauslegung ab und greift allein auf den dem Gesetz selbst innewohnenden Sinn zurück, Vgl. zum Ganzen Larenz/Canaris, S. 137 ff. 3 Hahn, 1. Abt., S. 61. 4 Hahn, 1. Abt., S. 358. 2
Teil 2: Systematische Einordnung
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anschließenden Reichstagsdebatte zum Entwurf von 1874 wurde hingegen die Ansicht vertreten, dass eine Abänderung des Urteils im Rahmen des devolvierten Teils auch zu Ungunsten des Rechtsmittelführers möglich sein solle. Es wurde deshalb gefordert, entweder den § 477 ganz zu streichen oder entsprechend zu ergänzen: „Eine Abänderung zu Ungunsten des Berufungsklägers ist jedoch statthaft, wenn dieselbe als Folge der durch die gestellten Anträge veranlassten Beurtheilung sich ergiebt.“5
Begründet wurde diese Forderung damit, dass man anderenfalls das Gericht dazu nötige, eine in sich „völlig unlogische“ Entscheidung zu treffen und führte hierfür einige Beispiele an, wie etwa den Fall, dass die Klage in erster Instanz (als unzulässig) abgewiesen werde, in zweiter Instanz die Klage für begründet6 erachtet und Beweis erhoben, dieser aber nicht erbracht werde. Die zweite Instanz handle nun „unlogisch“, wenn sie die Klage nicht endgültig abweise.7 Dem wurde entgegengehalten, dass derartige Ausführungen der Dispositionsmaxime widersprächen und sich der über die Parteianträge hinaussehende Richter zum „dominus litis“ mache. Es wäre nicht Sache der zweiten Instanz, eine „allseitig erschöpfende materiell richtige Entscheidung“ zu treffen, sondern festzustellen, ob die Rechtsmittelanträge des Appellanten begründet seien oder nicht.8 Hieraufhin wurde der Änderungsantrag mit dem Hinweis zurückgezogen, die Sache solle der Praxis überlassen werden.9 § 477 wurde angenommen und als § 498 CPO in die Civilprozessordnung vom 30. Januar 1877 aufgenommen.10 Für die Revision wurde die Antragsbindung in § 522 CPO festgelegt: „Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge.“11 Das Verbot der reformatio in peius wurde in diesem Zusammenhang nicht erörtert.12 II. Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 In der Begründung des Entwurfs zum Zivilprozessreformgesetz13 wird zum Verbot der reformatio in peius nicht ausdrücklich Stellung genommen. Die Hinweise zu der in §§ 528, 557 ZPO geregelten Antragsbindung erschöpfen sich in der Wiederholung des Wortlautes. Man scheint insofern die bis dahin durch Rechtsprechung und Literatur zum Verschlechterungsverbot entwickelten Grundsätze nicht für ergänzungsbedürftig gehalten zu haben. 5
So der Abgeordnete Bähr, Hahn, 1. Abt., S. 716. Anm. d. Verf.: Meint hier wohl zulässig. 7 Abgeordneter Bähr, Hahn, 1. Abt., S. 716. 8 Abgeordneter Schwarze, Hahn, S. 716. 9 Abgeordneter Bähr, Hahn, S. 717. Bähr begründete seinen Rückzug damit, dass die Bedeutung seines Antrags anscheinend nicht leicht verständlich sei. 10 Hahn, S. 1382. 11 Hahn, S. 1385. 12 Hahn, S. 738 f. 13 Zivilprozessreformgesetzt vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887 ff.). 6
§ 5 Dogmatische Grundlage
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§ 5 Dogmatische Grundlage § 5 Dogmatische Grundlage
I. Allgemein Untersucht man den Problemkreis der reformatio in peius, stößt man unweigerlich auf die Frage, ob das allseits angenommene grundsätzliche Verbot derselben allein eine prozesspolitische Billigkeitsentscheidung darstellt, oder es sich auf eine – oder mehrere – gewissermaßen „höher stehende“ dogmatische Grundlage(n) zurückführen lässt. Die Beantwortung dieser Frage ist in zweierlei Hinsicht von entscheidender Bedeutung. Zum einen wäre eine dogmatische Verankerung des Verbots grundsätzlich in der Lage, dessen Geltung auch in den Fällen zu erklären, wo es an einer ausdrücklichen Normierung des Verbots fehlt wie etwa im Beschwerdeverfahren der ZPO oder des FGG. Des Weiteren kann die dogmatische Grundlage Aufschluss über Umfang und Reichweite des Verbotes geben. Denn hier versagen auch die ausdrücklichen Normierungen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Dennoch gibt es Stimmen in der Literatur, die die Notwendigkeit einer dogmatischen Verankerung des Verbotes ablehnen und allein dessen ausdrückliche Festsetzung im Gesetzestext gelten lassen wollen. Fehle es an einer entsprechenden Normierung, so solle dies jedoch nicht automatisch die unbedingte Zulässigkeit einer Schlechterstellung bedeuten, sondern sich deren Unzulässigkeit aus der Auslegung der gesetzlichen Regelungen ergeben, die in der Regel einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers erkennen lassen. Dies würde alle dogmatische Diskussion erübrigen, die ohnehin wohl nur in den Zeiten berechtigt gewesen sei, als man das Verbot gegen den Willen des Gesetzgebers durchzusetzen suchte.1 Immerhin solle eine positiv-rechtliche Anordnung, wie sie etwa mit §§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO erfolgte, eine dahinter stehende dogmatische Grundlage nicht ausschließen.2 Für die Entscheidung, ob das Verbot gelten solle oder nicht, sei jedoch allein der „auf einen bestimmten Rechtszustand gerichtete Wille des Gesetzgebers“, nicht aber dessen dogmatische Vorstellungen maßgeblich.3 Diese Argumentation erscheint widersprüchlich.4 Einerseits solle das Verschlechterungsverbot keine Frage der Prozessdogmatik sein, andererseits solle dort, wo eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehle, das Verbot durch Auslegung ermittelt werden können. Für Gesetzesauslegungen jeglicher Art sind aber immer auch die dogmatischen Vorstellungen des Gesetzgebers zumindest mit heranzuziehen.5 Der auf 1 Kapsa S. 65 ff.; für das Verfahren nach FGO stellt auch Hübschmann/Hepp/Spitaler/ Lange06/01, § 96 Rn. 196, auf den Wortlaut des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO ab, der die Antragsbindung festlegt. 2 Kapsa, S. 24. 3 Kapsa, S. 66. 4 In diese Richtung auch die Kritik von Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (223). 5 Allgemein zur Problematik von Gesetzgebungsmotiven und Gesetzesauslegung oben § 4 (Seite 31).
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Teil 2: Systematische Einordnung
einen bestimmten Rechtszustand gerichtete Wille des Gesetzgebers steht zudem nicht frei im Raum, sondern beruht seinerseits zumeist – jedenfalls bei so grundlegenden Regelungen wie dem Verbot der reformatio in peius – auf dogmatischen Überlegungen.6 Alles andere hieße, einer willkürlichen, nicht auf sachgerechten Kriterien beruhenden Gesetzgebung Raum zu geben. Die Ablehnung einer dogmatischen Verankerung des Verbots mag aber daher rühren, dass zum Teil versucht wird, eine für alle Prozessarten einheitliche Grundlage zu finden. Vor allem im Hinblick auf Zivil- und Strafprozess wird dies mit der „gleichartigen und gleichzeitigen“ Entstehungsgeschichte des Verbots in den beiden Verfahrensarten begründet.7 Dies allein erfordert aber noch nicht zwingend eine bis ins Detail gleichartige Grundlage. Insbesondere bei Verfahren mit so unterschiedlichen Strukturen und Zielsetzungen, wie dem Zivilprozess und dem Strafverfahren bereitet die Suche nach gemeinsamen Grundsätzen mitunter große Schwierigkeiten.8 Das Fehlen einer einheitlichen Grundlage bedeutet jedoch nicht, dass auch für die einzelne Prozessordnung keine „eigene“9 dogmatische Grundlage zu finden ist. Erst wenn dieses Unterfangen scheitert, kann der Rückgriff auf die positiv-rechtliche Anordnung des Verbots Bedeutung erlangen. Somit ist festzuhalten, dass die Suche nach einer dogmatischen Grundlage nicht von vornherein abgelehnt werden kann und dass sie sich nicht darauf beschränken muss, eine für alle Prozessarten gleichartige Grundlage zu finden. Die im Rahmen dieser Suche vertretenen Ansätze gehen in verschiedene Richtungen. Sie alle sind geeignet, einzelne Aspekte des Problemkreises zu beleuchten und sollen deshalb im Folgenden dargestellt und auf ihren Erkenntnisgewinn und ihre Brauchbarkeit zur Begründung des Verbots der reformatio in peius hin untersucht werden.
II. Das Institut des Anschlussrechtsmittels 1. Anschlussrechtsmittel als Gebot der Billigkeit und Waffengleichheit Zum Teil wird vertreten, dass die Existenz von Anschlussrechtsmitteln unweigerlich die Unzulässigkeit einer reformatio in peius bedeuteten, da es ihre Aufgabe sei, eben dieses auszuschalten und sie anderenfalls sinnlos wären.10 Dies gibt An6 Vgl. wiederum Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (223), der darauf hinweist, dass der Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze wegen ihres hohen Abstraktionsgrades als „Orientierungs- und Auslegungshilfe“ anders als Kapsa es seiner Meinung nach nahezulegen scheint, auch dann geboten sei, wenn es bereits positiv-rechtliche Regelungen gäbe. 7 Kapsa, S. 25 ff. 8 Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (223). 9 So die Formulierung von Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (223). 10 v. Boecklin, S. 40 f.; Freitag, S. 35 f. und S. 142, Fn. 34; Fenn, S. 68 Fn. 98; Ricci, S. 57; vgl. auch Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl15, § 16 Rn. 115 für das Beschwerdeverfahren des FGG; a. A. Kapsa, S. 72 f. und im Anschluss an diesen auch Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (224 f.).
§ 5 Dogmatische Grundlage
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lass, den Zusammenhang zwischen Anschlussrechtsmitteln und Verbot der reformatio in peius näher zu beleuchten. Anschlussrechtsmittel sind im deutschen Zivilprozessrecht die Anschlussberufung, die Anschlussrevision und die Anschlussbeschwerde. Sie alle sind Anträge des Rechtsmittelgegners in einem bereits eröffneten Rechtsmittelverfahren mit dem Ziel, das angefochtene Urteil auch zu seinen Gunsten abzuändern und nicht lediglich das Rechtsmittel der anderen Partei abzuwenden.11 Das Anschlussrechtsmittel überbrückt dabei für den Rechtsmittelgegner einen möglichen Ablauf der Rechtsmittelfrist. Ist die Frist noch nicht abgelaufen, kann noch ein eigenes, selbstständiges Rechtsmittel eingelegt werden. Diese Fristüberbrückung ist notwendig, denn legt etwa der Kläger des erstinstanzlichen Verfahrens zum letztmöglichen Zeitpunkt nach § 517 ZPO Berufung ein, wird der Berufungsgegner dieses eventuell erst mit Zustellung der Berufungsschrift nach § 521 ZPO erfahren. Dann kann es aber sein, dass die Rechtsmittelfrist für ihn bereits abgelaufen ist. Hat der Kläger aber im Ausgangsprozess nur teilweise obsiegt, ist es denkbar, dass die Gegenpartei aus verschiedenen Gründen vom Einlegen eines Rechtsmittels absieht. Sei es, dass sie die Kosten eines weiteren Verfahrens scheut, sei es, dass sie schlicht nicht weiter prozessieren will.12 Hiermit ist in aller Regel die Annahme verbunden, dass auch die andere Partei kein Rechtsmittel ergreifen werde. Wenn sich die Gegenpartei nun aber ohnehin noch auf einen Berufungsprozess einlassen muss, kann es in ihrem Interesse liegen, nicht nur die Berufung des Klägers abzuwenden, sondern das erstinstanzliche Urteil darüber hinaus zu ihren Gunsten zu verändern, also etwa eine vollständige Abweisung der Klage zu erreichen. Dies ist ihr bei Geltung des Verschlechterungsverbots nur dann möglich, wenn sie selbst offensive Anträge stellen kann. Anderenfalls könnte sie als Berufungsbeklagte nur Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung verlangen.13 Das Risiko der Verschlechterung läge in diesem Fall allein beim Rechtsmittelgegner.14 Anschlussrechtsmittel geben dem Rechtsmittelgegner also die Möglichkeit, mit einem eigenen Rechtsmittelangriff auf das Rechtsmittel der anderen Partei zu reagieren, wenn die Frist für ein eigenes Rechtsmittel abgelaufen ist.15 Es entspricht dies der Billigkeit und ist darüber hinaus auch ein Gebot der Waffengleichheit,16 11 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 2; Stein/Jonas/Grunsky21, § 521 a. F. Rn. 2; Zöller/Heßler27, § 524 Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 136 Rn. 2, § 142 Rn. 1 und § 146 Rn. 9. Vgl. zu der interessanten, für die hier in Rede stehende Thematik aber nicht relevanten Frage, ob Anschlussrechtsmittel lediglich angriffsweise wirkende Anträge innerhalb des Hauptrechtsmittels oder selbst Rechtsmittel sind, dies., § 136 Rn. 6 m. w. Nachw. (letzteres entgegen der h. M. bejahend), siehe auch die Nachw. unten in Fn. 51, 52. 12 Weitere Gründe bei Fenn, S. 67. 13 Zöller/Heßler27, § 524 Rn. 2 mit Hinweis auf BGH NJW-RR 88, 185. 14 Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2396). 15 Statt vieler Wieczorek/Schütz/Gerken3, § 524 Rn. 2 und Wieczorek/Schütz/Prütting3, § 554 Rn. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 136 Rn. 3, § 142 Rn. 1. 16 Vgl. etwa MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 2, § 554 Rn. 1; MünchKomm ZPO-Lipp3, § 567 Rn. 34; Stein/Jonas/Grunsky21, § 521 a. F. Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gott-
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das die in Deutschland herrschende Meinung aus dem Rechtsstaatsprinzip unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 1 GG und dem Gebot eines fairen Verfahrens ableitet.17 Hierin allein erschöpft sich die Funktion der Anschlussrechtsmittel jedoch nicht. Denn bietet das Hauptrechtsmittel darüber hinaus die Möglichkeit der Klageänderung bzw. -erweiterung oder kann mit ihm Widerklage erhoben werden (vgl. etwa für die Berufung § 533 ZPO), so muss dies im Hinblick auf das Gebot der Waffengleichheit auch dem Rechtsmittelgegner gewährt werden.18 Dies ist auch der Grund, warum zumindest Anschlussberufung und Anschlussbeschwerde keine Beschwer des sich Anschließenden voraussetzen.19 Im Gegensatz dazu muss bei der Anschlussrevision eine Beschwer vorliegen, denn eine Änderung des Verfahrensgegenstandes ist hier nicht möglich.20 Da auch mit der (Haupt-)Revision grundsätzlich keine Klageänderung, -erweiterung oder Widerklage verbunden werden kann,21 ist dies auch mit dem Gebot der Waffengleichheit vereinbar.22 Darüber hinaus können Anschlussrechtsmittel auch dann eingelegt werden, wenn auf wald16, § 136 Rn. 3; Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2396); Lieb, S. 123 f.; Fenn, S. 65 ff. (insb. S. 69); BGHZ 88, 360 (362); BGH NJW 1984, 2951 (2952). A. A. Kapsa, S. 73; differenzierend Klamaris, S. 59 ff., der den Sinn der Anschließung in einer Mischung aus prozessualer Billigkeit und Prozessökonomie sieht. I. Ü. sei der Waffengleichheit schon dadurch Genüge getan, dass der sich Anschließende Gelegenheit gehabt habe, innerhalb der eigenen Rechtsmittelfrist eine selbstständige Berufung einzulegen (S. 63). Vgl. auch Musielak/Ball6, § 524 Rn. 2, der zusätzlich einen „Abschreckungseffekt“ anführt, der die leichtfertige Einlegung eines Rechtsmittels verhindere, da immer mit einer Anschließung zu rechnen sei; ähnlich Wieczorek/Schütz/Gerken3, § 554 Rn. 3. 17 Vgl. etwa in Dreier/Schulze-Fielitz2, Art. 20 Rn. 202; Jarass/Pieroth9, Art. 20 GG Rn. 96; BVerfGE 52, 131 (144, 156 f.); 69, 248 (254). 18 Vgl. etwa MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 22 und MünchKommZPOLipp3, § 567 Rn. 34; Stein/Jonas/Grunsky21, § 521 a. F. Rn. 11; Musielak/Ball6, § 524 Rn. 2; Wieczorek/Schütz/Gerken3, § 524 Rn. 27 ff.; Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2396); RGZ 156, 240 (242); BGH NJW 1952, 384; 1962, 1249 f.; 1982, 1708 (1709); in diesem Sinne auch Zöller/Heßler27, § 524 Rn. 2. 19 Für die Anschlussberufung MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 13; Musielak/ Ball6, § 524 Rn. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 524 Rn. 13; Thomas/Putzo/ Reichold29 § 524 Rn. 17; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 524 Rn. 22; Zimmermann7, § 524 Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald16 § 136 Rn. 15; Musielak9, Rn. 519; Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2396); BGH NJW 1952, 384; in diesem Sinne auch Blomeyer2, § 100 I 1; für die Anschlussbeschwerde etwa MünchKommZPO-Lipp3, § 567, Rn. 36; Thomas/Putzo/Reichold29, § 567 Rn. 22; Wieczorek/Schütze/Peters/Jähnich § 567 Rn. 30; a. A. Stein/Jonas/Grunsky21, § 521 a. F. Rn. 6; Zöller/Heßler27, § 524 Rn. 31; AK-ZPO-Ankermann, § 521 a. F. Rn. 3.; Gilles, S. 47; ders. ZZP 92 (1979), 152 (159 ff., 182 ff.); Klamaris, S. 235 ff. 20 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 554 Rn. 5; Stein/Jonas/Grunsky21, § 556 a. F. Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartman67, § 554 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold29, § 554 Rn. 2; Zöller/Heßler27, § 554 Rn. 3; Musielak/Ball6, § 554 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Prütting3, § 554 Rn. 8; AK-ZPO-Ankermann, § 556 a. F. Rn. 2; Zimmermann7, § 554 Rn.1; Gleiches gilt für die Anschlussbeschwerde. 21 MünchKommZPO-Wenzel3, § 557 Rn. 4; Musielak/Ball6, § 555 Rn.2; Zöller/Heßler27, § 559 Rn. 10, jeweils mit Nachw. zur Rspr.; zu den Ausnahmen Thomas/Putzo/Reichold29, § 559 R n. 1 ff. 22 Zu möglichen Ausnahmen noch unten § 9 II. 2., III. (Seiten 128 ff.).
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ein selbstständiges Rechtsmittel verzichtet wurde, §§ 524 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1, 554 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1, 567 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 ZPO. Da die Adhäsionsmöglichkeit zu einer gleichmäßigen Verteilung des Verschlechterungsrisikos führen soll und ein Institut der Billigkeit und Waffengleichheit darstellt, ist es nur konsequent, wenn die Anschließung ihre Wirkung verliert, sobald eine Schlechterstellung des sich Anschließenden nicht mehr zu befürchten ist. Dies ist der Fall, wenn mit einer Sachentscheidung des Hauptrechtsmittels nicht mehr zu rechnen ist,23 denn dadurch wird der durch die Adhäsionsmöglichkeit bewirkten Fristverlängerung die Legitimation entzogen. Folgerichtig sieht das heutige reformierte Zivilprozessrecht nur noch eine unselbstständige Anschließung vor.24 Mit Wegfall des Hauptrechtsmittels entfällt somit auch die Wirkung der Anschließung, vgl. §§ 524 Abs. 4, 554 Abs. 4, 567 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Während die Abänderung des angefochtenen Urteils nach beiden Seiten in der communio appellationis25 selbstverständlich war, bedarf es hierfür also nach der heutigen Konzeption des Rechtsmittelrechts des Instituts des Anschlussrechtsmittels.
2. Anschlussrechtsmittel und materiell richtige Entscheidung Das Reichsgericht hielt die Adhäsionsmöglichkeit für unerlässlich zur Herbeiführung einer materiell richtigen Entscheidung und zur Eröffnung der vollen Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts, damit „der Sieg der Wahrheit 23 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 53; Stein/Jonas/Grunsky21, § 522 a. F. Rn. 2; Musielak/Ball6, § 524 Rn. 27; Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2396). Wann dies über den in §§ 524 Abs. 4, 554 Abs. 4 und 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO geregelten Anwendungsbereich hinaus der Fall sein soll, ist insbesondere im Hinblick auf einseitige Erledigungserklärung und Rechtsmittelverzicht strittig, weil beide zu einem Sachurteil führen, vgl. etwa Musielak/Ball6, § 524 Rn. 29; MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 55, jeweils m. w. Nachw. sowie Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2396). 24 Problematisch erweist sich bei der Neuregelung allerdings der Umstand, dass nur die (unselbstständige) Anschlussberufung weder Berufungssumme noch Beschwer verlangt, die Anschließung aber erst nach Fristablauf erfolgen kann. Wird eine Anschlussberufung innerhalb der eigenen Rechtsmittelfrist erhoben, ist hierin in der Regel eine selbstständige (wert- und beschwerabhängige) Berufung zu sehen (vgl. zur Problematik etwa v. Olshausen, NJW 2002, 802 ff.). Auflösen ließe sich diese allein vom Zeitpunkt der Einlegung abhängige Ungleichbehandlung, wenn der Berufungsbeklagte auch innerhalb der eigenen Rechtsmittelfrist eine (unselbstständige) Anschlussberufung einlegen kann. Da ein Zuwarten bis zum Ablauf der eigenen Rechtsmittelfrist kaum sinnvoll erscheint und dem Berufungsbeklagten wohl auch nicht zugemutet werden kann, dürfte dies eine angemessene Lösung darstellen (vgl. auch Wieczorek/ Schütze/Peters/Jähnich3, § 567 Rn. 26). Hingegen kommt ein Verzicht auf Erreichen der Berufungssumme bzw. auf das Vorliegen einer Beschwer bei einer innerhalb der eigenen Rechtsmittelfrist eingelegten „Gegenberufung“ nicht in Betracht. Denn das hieße, die durch die Zivilprozessreform abgeschaffte selbstständige Anschlussberufung wieder einzuführen. 25 Siehe oben § 2 III. (Seiten 26 ff.).
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und des Rechts nicht an prozessrechtlichen Bedenken scheitere“.26 Demnach wäre die Unzulässigkeit einer reformatio in peius ohne Anschlussmöglichkeit zumindest im Hinblick auf diese Zielsetzung nicht denkbar. Doch auch wenn das Anschlussrechtsmittel grundsätzlich zum „Sieg der Wahrheit und des Rechts“ beitragen kann, ist es hierfür kein probates Instrument. Abgesehen davon, dass es nur in den (begrenzten) Fällen zum Tragen kommt, in denen der Rechtsmittelgegner kein eigenes Rechtsmittel einlegen kann, wird es der sich anschließenden Partei vornehmlich auf die Verbesserung der eigenen Rechtsposition ankommen. Die Herstellung materieller Wahrheit spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Aus der Parteidisponibilität der (Anschluss-)Rechtsmittel folgt ja gerade, dass Urteile auch dann in Rechtskraft erwachsen können, wenn sie der materiellen Rechtslage eben nicht entsprechen. Disponible Prozessinstrumente in den Dienst der materiellen Wahrheit zu stellen, erscheint vor diesem Hintergrund sinnwidrig. Dem Sieg der Wahrheit und des Rechts würde man allenfalls mit einer uneingeschränkten Zulässigkeit der reformatio in peius näher kommen können.
3. Anschlussrechtsmittel als Grundlage des Verschlechterungsverbots Auch wenn es u. a. die Aufgabe der Anschlussrechtsmittel ist, das Verbot der reformatio in peius auszuschalten,27 kann allein vom Vorhandensein von Adhäsions-Regeln noch nicht zwingend auf die Geltung eines Verschlechterungsverbots geschlossen werden. Man unterläge selbst dann einer petitio principii, wenn es alleinige Aufgabe der Adhäsion wäre, das Verschlechterungsverbot auszuschalten. Denn dann schlösse man – vergleichbar einem medizinischen „Antikörpertest“ – von der Existenz des „Gegenmittels“ auf das Vorhandensein der Ursachen. Gewiss sind Anschlussrechtsmittel, deren einzige Aufgabe die Neutralisierung des Verschlechterungsverbots ist, ohne dieses sinnlos.28 Dies bedeutete zunächst aber nur, dass Anschlussrechtsmittel in diesem Fall von der Existenz eines Verschlechterungsverbots abhängig sind und nicht umgekehrt. Geht man andererseits davon aus, dass ein gesetzlicher Regelungskomplex grundsätzlich in sich stimmig sein sollte, sind derart beschränkte Anschlussrechtsmittel immerhin als Indiz für ein geltendes Verbot der reformatio in peius brauchbar,29 gehen hierüber aber nicht hinaus. Doch auch diese Indizwirkung ist im geltenden Anschlussrecht einge26
RGZ 158, 1 (45), zitiert von Fenn, S. 65 ff., der offensichtlich auch dieser Ansicht ist. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 136 Rn. 2; Kapsa, S. 72; Fenn, S. 68; Musielak9, Rn. 519; Blomeyer2, S. 556 f.; MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 1; Zöller/Heßler27, § 524 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 524 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann676, § 528 Rn. 13; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 14; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 4.; Fenn, S. 68; in diesem Sinne auch v. Boecklin, S. 40 f. 28 Vgl. etwa Ricci, 56 f.; Freitag, S. 35 f.; Egger, S. 25 ff. 29 v. Boecklin, S. 40 f.; Freitag, S. 35 f. und S. 142, Fn. 34; Fenn, S. 68 Fn. 98; Ricci, S. 57; vgl. auch Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl15, § 16 Rn. 115 für das Beschwerdeverfahren des FGG; a. A. Kapsa, S. 72 f. und im Anschluss an diesen auch Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (224 f.). 27
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schränkt. Dient die Adhäsion doch nicht ausschließlich der Beseitigung des Verschlechterungsverbots, sondern genauso der Herstellung von Waffengleichheit im Hinblick auf die Erweiterung des Verfahrensgegenstandes, wie bereits oben dargelegt wurde.30 Wenn die Anschließung aber (auch) zur Änderung des Streitgegenstandes genutzt werden kann, besteht keine unmittelbare Abhängigkeit der Adhäsion vom Verschlechterungsverbot.31 Eine andere Frage ist es, ob das Fehlen von Anschlussrechtsmitteln automatisch die Zulässigkeit einer reformatio in peius bedeutet. Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Möglichkeit einer Rechtsmittelanschließung vor allem im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot ein Gebot der Billigkeit und Waffengleichheit ist.32 Es spricht also einiges dafür, dass bei fehlender Anschlussmöglichkeit eine reformatio in peius zulässig sein muss, um Waffengleichheit zu gewährleisten.33 Dies wird in der Schweiz ausdrücklich anders gesehen. So sieht das schweizerische Bundesgerichtsgesetz für die mit dem deutschen Rechtsmittelrecht insbesondere der Revision vergleichbare Einheitsbeschwerde ausdrücklich keine Möglichkeit der Anschlussbeschwerde vor.34 Auch bei der ebenfalls revisionsähnlichen Beschwerde nach Art. 316 ff. ZPO-Entw ist eine Adhäsion ausgeschlossen (Art. 321 ZPO-Entw.). Trotzdem soll in beiden Verfahrensarten zumindest bei reformatorischer Entscheidung – also bei Aufhebung und Zurückverweisung – eine reformatio in peius unzulässig sein.35 Nach dem bisher gesagten wirft dies naturgemäß die Frage nach der Begründung einer solchen Regelung auf, die gleichzeitig unmittelbar das Verhältnis von reformatio in peius und Anschlussrechtsmittel berührt. Bereits für die staatsrechtliche Beschwerde hat das BGE darauf hingewiesen, dass dem Gebot der Waffengleichheit durch die Möglichkeit der Vernehmlassung Genüge getan werde.36 Die Begründung zum BGG hält die Möglichkeit der Ver-
30 Siehe oben unter 1. (Seiten 34 ff.). Kapsa, S. 72 f., geht deshalb zu weit, wenn er sagt, das Gesetz setze mit der Regelung der Anschließung grundsätzlich ein geltendes Verbot der reformatio in peius voraus (S. 73 oben). 31 Vgl. auch Freitag, S. 35 f und S. 142 Fn. 34, der zwar einen Schluss von Adhäsionsmöglichkeit auf ein Verbot der reformatio in peius nicht zwingend annimmt, die Adhäsionsmöglichkeit aber nur bei Geltung des Verbots für sinnvoll hält. Trotz der über die Beseitigung des Verschlechterungsverbots hinausgehenden Bedeutung begegnen sowohl im deutschen als auch im schweizerischen Recht keine Prozessordnungen, die Anschlussrechtsmittel und Zulässigkeit einer reformatio in peius vorsehen; vgl. zu dem historischen Beispiel in der RAO Kapsa, S. 72, Fn. 23. 32 Siehe hierzu oben unter 1. (Seiten 34 ff.). 33 So BVerwGE 14, 175 (180), jedoch im Hinblick auf die strittige Problematik der reformatio in peius im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren, vgl. hierzu auch unten X. 1. (Seiten 74 ff.). 34 Siehe bereits oben § 3 IV. 1. (Seiten 30 ff.). 35 In diesem Sinne die Botschaften des Bundesrates zum BGG, BBl. 4202 (4345) und zum ZPO-Entw, BBl. 2006, 7221 (7379). 36 BGE 122 I 253 (255 f.).
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nehmlassung nach Art. 102 Abs. 1 BGG wohl ebenfalls für ausreichend,37 obwohl diese lediglich eine Stellungnahme des Rechtsmittelgegners zum Antrag des Rechtsmittelführers darstellt und somit keine Abänderung zu dessen Nachteil veranlassen kann. Begründet wird der Verzicht auf die Möglichkeit einer Anschlussbeschwerde weiterhin mit dem Argument, bereits bei der eidgenössischen Berufung38 wäre von der Möglichkeit einer Anschlussberufung nach Art. 59 OG kaum Gebrauch gemacht worden. Darüber hinaus bevorteile eine Anschlussbeschwerde diejenige Partei einseitig, die wisse, dass die Gegenpartei Beschwerde vor dem Bundesgericht erheben werde, denn jene hätte dadurch mehr Zeit zur eigenen Vorbereitung. Zudem sei mit einem beträchtlichen Anstieg der Beschwerdezahl zu rechnen und würde das Verfahren unnötig verlängert.39 Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Zum einen steht die Annahme einer beträchtlich steigenden Beschwerdezahl im Widerspruch zu dem Hinweis, bereits bei der eidgenössischen Berufung sei von der Anschlussmöglichkeit kaum Gebrauch gemacht worden. Außerdem gilt auch im schweizerischen Zivilprozessrecht das Gebot der Waffengleichheit, das sich aus Art. 29 Abs. 1 BV ergibt.40 Das Institut des Anschlussrechtsmittels ist aber, wie bereits dargelegt wurde, unmittelbare Konsequenz des Gebots der Waffengleichheit. Auf ein verfassungsrechtlich gebotenes Verfahrensinstitut kann auch nicht einfach mit dem Hinweis auf eine mögliche Überlastung der Gerichte bzw. eine unnötige Verfahrensverlängerung verzichtet werden. Eine Anschlussbeschwerde bevorteilt auch nicht einseitig die Gegenpartei. Vielmehr könnte der Rechtsmittelführer ohne Anschlussmöglichkeit der Gegenpartei bis kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zuwarten, um die Gegenpartei zu überraschen und so am überlegten Einlegen eines eigenen Rechtsmittels zu hindern. Dementsprechend steht der Verzicht auf die Möglichkeit einer Adhäsion im Beschwerdeverfahren nach dem BGG mit dem Gebot der Waffengleichheit nicht im Einklang. Umgekehrt wäre es aber ebenso wenig richtig, vom Fehlen von Anschlussrechtsmittel auf die Zulässigkeit einer reformatio in peius schließen zu wollen. Dem Gebot der Waffengleichheit kann nicht dadurch Genüge getan werden, dass das Gericht die Interessen des Rechtsmittelbeklagten vertritt,41 denn woher soll es wissen, wie sich diese im Einzelnen darstellen? Darüber hinaus würde dies zumindest dann gegen die Dispositionsmaxime verstoßen, wenn das Gericht quasi im Namen des Rechtsmittelgegners den Verfahrensgegenstand erweitern könnte.42 37
Botschaft des Bundesrates, BBl. 4202 (4342). Die eidgenössische Berufung war bis zum Erlass des BGG die Vorgängerin der Beschwerde, vgl. Art. 43 ff. OG sowie Vogel/Spühler8 Kap. 13 Rn. 227i ff. und Reetz SJZ 2007, 1 (29). 39 Botschaft des Bundesrates, BBl. 4202 (4342). 40 Vgl. hierzu auch Häfelin/Haller6, Rn. 829, die zusätzlich auf Art. 6 EMRK und Art. 14 UNO-Pakt II (Beitritt der Schweiz am 08.06.1992) verweisen. 41 Derselben Ansicht, wenngleich mit nicht ganz klarer Begründung, Kapsa, S. 73 f. 42 Zum Zusammenhang von Verbot der reformatio in peius und Dispositionsmaxime sogleich noch ausführlich unter V. (Seiten 50 ff.). 38
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4. Zwischenergebnis Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Anschlussrechtsmittel unter der Geltung eines Verschlechterungsverbots ein Gebot der Billigkeit und Waffengleichheit darstellen. Sie sind bei der Gestaltung einer (zivilprozessualen) Verfahrensordnung unverzichtbar, soll diese rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Das Fehlen von Anschlussrechtsmitteln bedeutet aber für sich genommen noch keine Zulässigkeit einer reformatio in peius. Umgekehrt kann allein aus dem Vorhandensein von Adhäsions-Regeln noch nicht auf ein Verbot der reformatio in peius geschlossen werden. Ein solcher aus der Medizin bekannter „Antikörpernachweis“ verkennt die weitergehende Aufgabe der Anschlussrechtsmittel, mit denen nicht nur das Verbot ausgeschaltet wird, sondern auch der Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens erweitert werden kann.
III. Die Rechtskraft 1. Die Lehre von der relativen Rechtskraft Verschiedentlich wurde versucht, das Verbot der reformatio in peius aus dem Institut der Rechtskraft abzuleiten.43 Formelle Rechtskraft i. S. von § 705 ZPO tritt ein, wenn eine Entscheidung weder durch ein ordentliches Rechtsmittel noch durch einen befristeten Rechtsbehelf angefochten werden kann, § 19 EGZPO.44 Die vor allem vom Preußischen Obertribunal für den Strafprozess vertretene45 Lehre der relativen Rechtskraft ging davon aus, dass eine Entscheidung des Gerichts, soweit sie den Rechtsmittelführer begünstigt (freispricht) und nicht vom Rechtsmittelgegner angefochten wurde, (nur) letzterem gegenüber in Rechtskraft erwächst.46 Auf den ersten Blick erscheint die Konstruktion einer relativen Rechtskraft verblüffend und entbehrt auch als dogmatische Grundlage des Verbots der reformatio in peius nicht eines gewissen Reizes. Immerhin ist nach gängiger Auffassung des Verbots die Abänderung des Urteils zum Nachteil des Rechtsmittelführers nur 43
Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (345); vgl. i. Ü. die Nachw. bei Kapsa, S. 41 Fn. 1. Vgl. statt vieler MünchKommZPO-Krüger3, § 705 Rn. 1; für das Schweizer Recht Vogel/ Spühler8, Kap. 8 Rn. 61 ff. mit Nachw. zu den entsprechenden Vorschriften. 45 GA 1856, S. 69 ff.; 1860, S. 314 ff., wobei nicht ganz deutlich wird, ob relative Rechtskraft tatsächlich im Sinne eines nur einer Partei gegenüber rechtskräftig werdenden Teils des Urteils gemeint ist oder nicht vielmehr Teilrechtskraft, die sich – in subjektiver Hinsicht absolut – nur auf einen Teil des Urteils bezieht; dazu unten unter 3. (Seiten 47 ff.); vgl. auch Gerber, S. 98. 46 Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (345); v. Grolman, S. 339 f.; siehe i. Ü. die Nachw. bei Kapsa, S. 41 Fn. 1, und Mittermaier, AcP 7 (1824), 86 (91 ff.), der allerdings zwischen relativer Rechtskraft und Teilrechtskraft nicht deutlich trennt; nicht ganz eindeutig ebenfalls v. Arnold, AcP 28 (1846), 73 (93). 44
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dann möglich, wenn auch die Gegenpartei ein (Anschluss-)Rechtsmittel einlegt. Das Verbot ist also in gewisser Weise von dem Verhalten der Gegenpartei abhängig.47 Wenn die Gegenpartei aber kein Rechtsmittel (mehr) einlegen kann, das Urteil für sie also unanfechtbar geworden ist, Unanfechtbarkeit aber Voraussetzung für Rechtskraft ist, könnte man meinen, dass ihr gegenüber Rechtskraft eingetreten ist, die die Abänderung zu ihren Gunsten hindert. Die andere Partei hätte unabhängig davon den Eintritt der Rechtskraft für sich durch Einlegung eines Rechtsmittels verhindert. Eine in diesem Sinne relative, also parteibezogene Rechtskraft scheint somit zumindest denklogisch nicht ausgeschlossen. Folglich sollte diese Konstruktion nicht vorschnell als „Unding“48 und mit dem schlichten Hinweis verworfen werden, sie sei dem geltenden Recht fremd und ein Urteil so lange nicht rechtskräftig, wie es – gleich von wem – angefochten werden könne.49 Insbesondere ist die Feststellung, Rechtskraft sei die jede Anfechtung und Abänderung ausschließende Kraft des autoritativen Rechtsspruchs,50 nicht zwingend. Diese Annahme mag für die Rechtskraft als solche gelten; der Zusatz „relativ“ zeigt aber gerade, dass eben nicht die Rechtskraft im herkömmlichen Sinne gemeint ist. Dennoch bestehen gegen die Annahme einer relativen Rechtskraft in mehrerlei Hinsicht Bedenken. Denn wenn relative Rechtskraft immer nur dort eintreten kann, wo es dem Rechtsmittelgegner nicht mehr möglich ist, eigene Rechtsmittel einzulegen, bzw. sich dem Rechtsmittel der anderen Partei anzuschließen, träte sie erst mit Ablaufen der Rechtsmittel- bzw. Anschlussfrist der Gegenpartei ein, wenn das (Anschluss-)Rechtsmittel nicht bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich außerdem die Frage, ob Anschlussrechtsmittel überhaupt als Rechtsmittel51 oder nur als Antragstellung innerhalb der Berufung der anderen Partei52 zu qualifizieren sind und welche Rolle diese Unterscheidung im Rahmen von § 705 ZPO spielt. Doch selbst wenn man annähme, Anschlussrechtsmittel seien im Hinblick auf § 705 ZPO nicht relevant, bleibt immer noch die Frist für ein selbstständiges Rechtsmittel der Gegenpartei zu beachten. Wenn aber die relative Rechtskraft Grundlage des Verbots der reformatio in peius sein soll, müsste eine reformatio in peius bis zum Ablauf dieser Frist zulässig 47
In diesem Sinne auch Kapsa, S. 42 m . w. Nachw. Wach, Gruchot 37 (1893), 465 (480 f.). 49 Kapsa, S. 43; Ricci, S. 102 f.; Lieb, S. 18, Schultzenstein, ZZP 31 (1903),1 (35 f.), alle auf die Argumente von Wach, Gruchot 37 (1893), 465 (480 f.) verweisend. 50 Wach, Gruchot 37 (1893), 465, (480 f.). 51 Klamaris, S. 126 ff.; Gilles, ZZP 91 (1978), 128 (132 ff.) und ZZP 92 (1979), 152 ff.; ebenfalls in diese Richtung tendierend Stein/Jonas/Grunsky21, § 521 a. F. Rn. 3. 52 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 524 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold29, § 524 Rn. 1; Zöller/Heßler27, § 524 Rn. 4; Musielak/Ball6, § 524 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 524 Rn. 5; Zimmermann7, § 524 Rn. 2; BGHZ 4, 229 (233); BGH MDR 84, 569; BGHZ 80, 146, (149); BGHZ 83, 371 (376); BGHZ 109, 41 (45); BGH NJW 1984, 1240 (1241); für die Unerheblichkeit dieser Frage MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 524 Rn. 3; AK-ZPOAnkermann § 521 a. F. Rn. 8. 48
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sein. Anders verhielte es sich nur, wenn man in dem bloßen Nichtergreifen eines Rechtsmittels durch den Rechtsmittelgegner einen Verzicht sähe.53 Dem beiderseitigen Rechtsmittelverzicht als möglicher Voraussetzung der „absoluten“ Rechtskraft54 stünde dann bei der relativen Rechtskraft der einseitige Verzicht des Rechtsmittelgegners gegenüber. Da das Gesetz den Parteien aber eine Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels und damit auch eine gewisse Bedenkzeit einräumt, stellt sich die Frage, ab wann von einem (möglicherweise konkludenten) Verzicht auszugehen ist. Gerade wegen der mit der Rechtsmittelfrist eingeräumten Bedenkzeit kann nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung von dem Rechtsmittel der anderen Partei abgestellt werden, die regelmäßig mit der Zustellung der Rechtsmittelschrift gegeben sein dürfte. Dasselbe gilt für die Anschlussrechtsmittel, zu deren Einlegung ebenfalls eine Frist eingeräumt wird.55 Ohnehin muss ein (Anschluss-) Rechtsmittelverzicht aber schon aus Rechtssicherheitsgründen eindeutig geäußert werden.56 Allein die Tatsache, dass kein Gegenrechtsmittel eingelegt wurde und sich der Appellat auch nicht angeschlossen hat, begründet also noch keinen wirksamen Verzicht. Die Theorie der relativen Rechtskraft könnte somit ein Verschlechterungsverbot lediglich für die Fälle begründen, in denen eine Anfechtung durch den Rechtsmittelgegner nicht (mehr) möglich ist. Für den Zeitraum zwischen Rechtsmittelergreifung und Ablauf der gegnerischen Rechtsmittel- bzw. Anschlussfrist taugt die relative Rechtskraft als Begründung des Verbots nicht. Hier könnte man einwenden, dass spätestens mit Erlass des Urteils durch das Rechtsmittelgericht ein Rechtsmittel der Gegenpartei unmöglich geworden ist und somit relative Rechtskraft spätestens dann eintritt. Dem ist entgegenzuhalten, dass vor Erlass des Rechtsmittelurteils zunächst ein Entscheidungsfindungsprozess stattfindet, der sich notwendigerweise in den selben Grenzen bewegt, wie das später zu erlassende Urteil. Während der Entscheidungsfindung können Rechtsmittel der Gegenpartei aber immer noch möglich sein. Orientiert man sich für das Verschlechterungsverbot allein am Gedanken der relativen Rechtskraft, so müsste man den Zeitpunkt ihres Eintritts auf den Entscheidungsprozess vorverlagern und dies für den Fall wieder revidieren, wenn die Gegenpartei Rechtsmittel einlegt. Dies erscheint dogmatisch unsauber, denn Rechtskrafteintritt muss als Ausprägung von Rechtssicherheit ein feststehender Zeitpunkt sein. Zudem ist aber auch fraglich, ob sich die Figur einer relativen Rechtskraft mit dem System des Zivilprozessrechts vereinbaren lässt. Dies muss vor allem anhand 53 So ausdrücklich v. Arnold, AcP 28 (1848), 73 (91); Gönner, S. 163; in diesem Sinne auch Mittermaier, AcP 7 (1824), 86 (93). 54 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 149 Rn. 7. 55 § 524 Abs. 2 Satz 2 i. V. mit § 521 Abs. 2 ZPO (Anschlussberufung); § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO (Anschlussrevision). Die Anschlussbeschwerde ist gemäß § 567 Abs. 3 Satz 1 ZPO an keine Frist gebunden und daher so lange möglich, wie die Hauptbeschwerde nicht zurückgenommen oder verbeschieden wurde, vgl. statt vieler MünchKommZPO-Lipp3, § 567 Rn. 36. 56 Vgl. nur Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 134 Rn. 46 ff.
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des Zwecks, den die Rechtskraft im Zivilprozess – unabhängig von ihrer Erscheinungsform – erfüllt, überprüft werden.57 Nach allgemeinem Verständnis dient die Rechtskraft vor allem zwei Dingen: Zum einen soll sie im Interesse der Parteien die zwischen ihnen streitigen Rechtsbeziehungen endgültig feststellen. Zum anderen soll sie aber auch den individuellen Justizgewährungsanspruch der Parteien gegenüber dem Staat abgelten und so eine wiederholte Inanspruchnahme der Gerichte in derselben Sache vermeiden. Sie dient also auch dem öffentlichen Interesse.58 Braun gibt vor allem dem ersten Aspekt noch eine etwas differenziertere Bedeutung. Demnach ist zwischen der Rechtskraftfunktion, „Ruhe und Ordnung“59 zu schaffen, und dem „inneren Zweck“ der Rechtskraft zu unterscheiden. Letzterer bestehe darin, dem Recht seine ihm innewohnende Unsicherheit zu nehmen und ihm den Charakter einer Tatsache, die man nicht einfach leugnen könne, zu geben.60 Brauns Äußerungen dürfen nicht mit der (überwundenen) materiellen Rechtskrafttheorie verwechselt werden. Diese sah in dem Urteil die materielle Neugestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien.61 Braun bezieht die durch das Urteil beseitigte Unsicherheit allein auf den Streit der Parteien als solchen. Bezogen auf die Theorie der relativen Rechtskraft ist festzustellen, dass sie zwar keinesfalls zur endgültigen Beendigung des Rechtsstreits und auch nicht zu einer Beseitigung der dem Recht innewohnenden Unsicherheit beiträgt, wenn sie die zwischen zwei Parteien bestehende Rechtsbeziehung nur einer gegenüber verbindlich festschreibt. Das will sie aber auch nicht, denn sie ist relativ, kann den Streit also nicht in gleicher Weise beenden wie die „volle“ Rechtskraft. Sicherheit bringt die relative Rechtskraft aber jedenfalls dahingehend, dass das Urteil zumindest durch eine der beiden Parteien nicht mehr angefochten werden kann. Damit liefe der Begriff relative Rechtskraft aber entgegen der wohl herrschenden Ansicht62 dem geltenden Recht nicht zuwider. Eine andere Frage ist aber, ob hieraus etwas für die Begründung des Verbots der reformatio in peius gefolgert werden kann. Dies scheint fraglich, denn relative Rechtskraft bedeutet nur, dass das Urteil durch den Rechtsmittelgegner nicht mehr abänderbar ist. Da sie sich aber eben nur auf den Rechtsmittelgegner bezieht, trifft sie keine Aussage darüber, ob das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen abändern darf. Anderenfalls wäre der Begriff der relativen Rechtskraft sinnlos, da er die gleichen Konsequenzen hätte wie schon die volle Rechtskraft. Es ist also der Aussage zuzustimmen, dass relative Rechtskraft ein Begriff der Theorie ist, an den sich keine praktischen Konsequenzen
57 58 59 60 61 62
So auch Egger, S. 30 f. Statt vieler Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 32. Braun, S. 37 f. Braun, S. 40. Vgl. Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 23 ff. Siehe die Nachw. oben Fn. 49.
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knüpfen.63 Vielmehr beschreibt relative Rechtskraft lediglich den Umstand, dass ein Urteil von einer der beiden Parteien nicht mehr angefochten werden kann. So wurde denn teilweise auch vertreten, dass nicht die relative Rechtskraft die Grundlage des Verbots der reformatio in peius darstelle, sondern umgekehrt aus diesem die relative Rechtskraft folge.64 Weitere Erkenntnisse, insbesondere im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius, können aus der Figur der relativen Rechtskraft nicht gewonnen werden.
2. Die Theorie der wohlerworbenen Rechte Quasi von der anderen Seite, nämlich der des Rechtsmittelführers, nähert sich die Theorie der wohlerworbenen Rechte oder des ius quaesitum dem Problem der reformatio in peius. Nach dieser Auffassung ist in der Nichtanfechtung des Urteils durch den Rechtsmittelgegner eine unbedingte Billigung zu sehen, wodurch der Rechtsmittelführer ein wohlerworbenes Recht (ius quaesitum) erlange, welches durch das Rechtsmittelgericht nicht mehr beeinträchtigt werden dürfe.65 Der Unterschied zur relativen Rechtskraft besteht darin, dass das ius quaesitum (und auch die Rechtskraft bzw. Rechtsgültigkeit) allein aus dem Parteiwillen abgeleitet und in dem Stillschweigen der Parteien bei Urteilsverkündung eine unbedingte Urteilsbilligung gesehen wurde.66 Schon Mittermaier bezeichnete diese Ansicht als „völlig irrig“, da der Appellant selbst durch die Einlegung eines Rechtsmittels gezeigt habe, dass er das vorinstanzliche Urteil gar nicht anerkenne, und sich somit auch nicht auf ein hieraus abzuleitendes ius quaesitum berufen könne.67 Diese Argumentation fand im Laufe der Zeit vereinzelt Anhänger68 und wird heute in etwas abgewandelter Form auch für die Zulässigkeit der reformatio in peius im verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren vertreten. Demnach habe der Widerspruchsführer durch Einlegung des Widerspruches das Vertrauen in den Fortbestand des Verwaltungsaktes abgeschwächt.69 Was den Zivilprozess anbelangt, ist Mittermaier70 die heutige Auffassung der Rechtsmittel entgegenzuhalten. Demzufolge erwächst nur der Teil des vorinstanz63
Kapsa, S. 43, m. w. Nachw.; Ricci, S. 102 f.; Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (35); Wach, Gruchot 37 (1893), 463 (480 f.); Egger, S. 30. 64 Vgl. etwa v. Bülow, § 498, Anm. 1; siehe i. Ü. die Nachw. bei Kapsa, S. 41 Fn. 1. 65 Hoch § 87 (S. 65). 66 Harscher v. Almendingen, S. 160 ff. Beachtlich ist dabei der Umstand, dass diese willensabhängige Rechtsgültigkeit nur für die untergeordneten Instanzen, nicht aber für die oberste Instanz galt. Hier wurde die Gültigkeit durch rechtliches Postulat begründet, also durch den Anspruch willensunabhängiger Richtigkeit. 67 Mittermaier, AcP 7 (1824), 86 (93). 68 Ricci, S. 102 unter Bezugnahme auf Mittermaier, AcP 7 (1824), 86 (93). 69 Schenke11, Rn. 691. 70 Im Gegensatz zu Ricci, wie noch zu zeigen sein wird.
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lichen Urteils in die Rechtsmittelinstanz, der auch durch den Appellaten angefochten wurde.71 Da aber die Urteilsanfechtung nur insoweit möglich ist, als der Rechtsmittelführer durch das Urteil beschwert ist,72 kann man den zusprechenden Teil des Urteils nicht als ebenfalls zur Disposition gestellt ansehen. Ohnehin wird es auch dem Willen des Rechtsmittelführers entsprechen, seine Anfechtung auf den ihn belastenden Teil zu beschränken. Damit macht er aber deutlich, dass er das Urteil, soweit es ihn begünstigt, durchaus anerkennt und nur den beschwerenden Teil anficht. Dies entsprich wohl auch eher der tatsächlichen Interessenlage des Appellanten. Anders ist die Argumentation Mittermaiers aus Sicht von Ricci zu beurteilen, da die Gesamtkassation des angefochtenen Urteils in der Mitte des 20. Jh. im schweizerischen Zivilprozessrecht zumindest für die bundesrechtliche Berufung nach Art. 43 ff. OG anerkannt war.73 Da der Rechtsmittelführer mit Einlegung dieses Rechtsmittels also grundsätzlich eine Gesamtkassation des angefochtenen Urteils in Kauf nahm, könnte man hier schon eher auf die Idee kommen, er erkenne auch das Urteil insgesamt nicht an. Andererseits erwachsen die mit der kantonalen Berufung nicht angefochtenen Teile nach einigen kantonalen Prozessordnungen sofort in Rechtskraft,74 was eher für ein diesbezügliches ius quaesitum des Rechtsmittelführers spricht. Allerdings wird man aus einer gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge wohl kaum auf den Willen der Parteien schließen können. Das Abstellen auf den Willen des Rechtsmittelgegners begegnet hingegen den gleichen Bedenken, wie die oben erörterte Annahme eines (konkludenten) Rechtsmittelverzichts. Für ein – wie auch immer geartetes – ius quaesitum allein auf den Parteiwillen abzustellen, ist auf Grund der damit verbundenen Unsicherheiten mit dem heutigen Rechtskraftverständnis aber ohnehin kaum vereinbar.
71 Vgl. nur MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 5; Stein/Jonas/Grunsky21, Einleitung I (vor §§ 511) Rn. 3, § 518 a. F. Rn. 28, § 536 a. F. Rn. 1; Blomeyer2; § 101 II 1; ausführlich zu dem hiermit verbunden Problemkreis der Teilrechtskraft sogleich unter 3. (Seiten 47 ff.). 72 Statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 134 Rn. 7. 73 Vgl. etwa Egger, S. 64 f. Gleiches gilt heute für Berufung und Beschwerde der für 2010 erwarteten bundeseinheitlichen Zivilprozessordnung der Schweiz (vgl. Art. 315, 325 Abs. 3 lit. a ZPO-Entw.), bei denen zumindest im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung eines angefochtenen Urteils eine Gesamtkassation statt findet, so für die Beschwerde ausdrücklich die Botschaft des Bundesrates, BBl. 2006, 7221 (7379). Auf Grund der vielen Gemeinsamkeiten von Berufung und Beschwerde, die sich im wesentlichen gegen die gleichen gerichtlichen Entscheidungen richten und zur Behebung der selben Fehler dienen, sich nur hinsichtlich Prüfungsumfang und Zulässigkeitsschwelle unterscheiden, wird man für die Berufung wohl zu dem selben Ergebnis kommen müssen. 74 Vgl. etwa § 260 Abs. 1 ZH-ZPO; § 246 Abs. 2 LU-ZPO; Art. 242 UR-ZPO; § 191 SZ-ZPO; Art. 262 Abs. 3 Satz 1 OW-ZPO; Art. 299 Abs. 1 FR-ZPO; § 291 Abs. 4 SO-ZPO; Art. 270 Abs. 1 AR-ZPO; § 320 AG-ZPO; § 244 TG-ZPO, sowie Vogel/Spühler8, Kap. 13 Rn. 35, 74.
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3. Die Teilrechtskraft Von der relativen Rechtskraft und der Theorie des ius quaesitum ist die sogenannte Teilrechtskraft zu unterscheiden. Gemeint ist damit die Rechtskraft der nicht angefochtenen Teile eines Urteils gegenüber allen am Verfahren beteiligten Parteien. Grundsätzlich hemmt ein eingelegtes Rechtsmittel die Rechtskraft des gesamten Urteils, also auch in Bezug auf dessen nicht angefochtene oder nicht beschwerende Teile.75 Denn bei Einlegung eines (beschränkten) Rechtsmittels ist immerhin noch mit einer Rechtsmittelerweiterung bzw. mit einem (Anschluss-)Rechtsmittel der Gegenpartei zu rechnen, durch die auch ursprünglich nicht angegriffene Teile zur Disposition gestellt werden. Ein ursprünglich auf einen Teil der Beschwer begrenztes Rechtsmittel kann grundsätzlich bis zum Ablauf der Begründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO erweitert werden, da in der Begrenzung des Rechtsmittels grundsätzlich kein Rechtsmittelverzicht zu sehen ist.76 Eine Erweiterung ist bis zum Schluss der letzen mündlichen Verhandlung immer noch zulässig, soweit sie von den rechtzeitig vorgebrachten Anfechtungsgründen gedeckt ist.77 Dem steht für die Berufung auch § 533 ZPO nicht entgegen, da die Erweiterung des Berufungsantrags in entsprechender Anwendung des § 264 Ziff. 2 ZPO nicht als Klageänderung bzw. als sachdienlich anzusehen ist.78 Innerhalb der Rechtsmittelfrist kann auch die Gegenpartei ein Rechtsmittel einlegen bzw. sich bis zum Ablauf der entsprechenden Adhäsionsfrist anschließen. Erst mit Wegfall dieser Möglichkeiten beschränkt sich die Rechtskrafthemmung auf den vom Rechtsmittelführer angefochtenen Teil des Urteils.79 Damit birgt aber auch die Teilrechtskraft als Grundlage für ein Verbot der reformatio in peius zumindest für das deutsche Prozessrecht einige Schwierigkeiten. Denn auch eine nur teilweise Anfechtung des vorinstanzlichen Urteils führt 75 MünchKommZPO-Krüger3, § 705 Rn. 9 ff.; Stein/Jonas/Münzberg21, § 705 Rn. 4; Musielak/Lackmann6 § 705 Rn. 7 f.; Zöller/Stöber27 § 705 Rn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann67, § 705 Rn. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege29, § 705 Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Heß3, § 705 Rn. 14; AK-ZPO-Schmidt-von Rhein, § 705 Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 132 Rn. 5; BGH NJW 1994, 657 (659) und 2896 (2897); BGHZ 7, 143 (144); OLG Oldenburg NJW-RR 2005, 368. 76 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 132 Rn. 5; vgl. auch MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 511 Rn. 51; BGH NJW 1992, 2296. 77 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 520 Rn. 43 m. w. Nachw. auch zur Gegenmeinung; MünchKommZPO-Wenzel3, § 551 Rn. 19; MünchKommZPO-Lipp3, § 571 Rn. 14 f.; Musielak/ Ball6 § 520 Rn. 25, § 551 Rn. 3 und § 571 Rn. 5; Zöller/Heßler27 § 520 Rn. 31; Zöller/Heßler27, § 551 Rn. 7 und § 571 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 520 Rn. 19, § 551 Rn. 8 und § 571 Rn. 4; Thomas/Putzo/Reichold29, § 520 Rn. 19 und § 551 Rn. 3; BGHZ 12, 52 (67 f.); BGH NJW 1994, 2896 (2897); BGH NJW-RR 2005, 714 (715); a. A. Stein/Jonas/ Grunsky21, § 519 Rn. 49; ders. ZZP 88 (1975), 49 ff. 78 Statt vieler MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 533 Rn. 13. 79 Siehe die Nachw. in Fn. 75.
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zunächst zu einer vollständigen Suspendierung der Rechtskraft. Bis zum Eintritt der Teilrechtskraft wäre das Verbot folglich ohne Grundlage.80 Die Problemlage wäre mit derjenigen bei der relativen Rechtskraft vergleichbar. Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Berufung nach einigen kantonalen Prozessordnungen der Schweiz, nach dem ZPO-Entw und hinsichtlich der Einheitsbeschwerde des BGG, die den Umfang der Rechtskrafthemmung grundsätzlich nach dem gestellten Rechtsmittelantrag bemessen.81 Hier scheint die Teilrechtskraft als Grundlage des Verschlechterungsverbots schon eher erörterungswürdig. Legt nur eine Partei ein Rechtsmittel ein, bemisst sich der Umfang der Rechtskrafthemmung allein nach deren Rechtsmittelantrag. Doch auch hier verbleibt grundsätzlich ein gewisser Zeitraum, in dem mit einem eigenen Rechtsmittel oder der Adhäsion des Gegners zu rechnen ist. Die auf der nur partiell aufschiebenden Wirkung des (Haupt-)Rechtsmittels basierende Teilrechtskraft kann demnach auch hier frühestens nach Ablauf dieser Frist eintreten.82 Erst dann ist eine reformatio in peius endgültig ausgeschlossen. Tatsächlich weichen die Auffassungen zur Rechtskrafthemmung nicht so weit voneinander ab, wie es den Anschein haben mag. Die Annahme, das Verschlechterungsverbot fuße auf der Teilrechtskraft, greift aber auch schon deshalb zu kurz, weil Teilrechtskraft und Verschlechterungsverbot zwar unmittelbar miteinander verbunden zu sein scheinen, dies aber nicht bedeutet, dass die Teilrechtskraft Grundlage des Verbots einer reformatio in peius ex officio ist.83 Vielmehr besteht dieser Zusammenhang nur in dem endgültigen Ausschluss einer zulässigen Verschlechterung auf Grund eines (Anschluss-)Rechtsmittels der Gegenpartei. Dies sagt nichts darüber aus, inwieweit das Gericht aus eigenem Antrieb, etwa im Allgemeininteresse an materiell richtigen Urteilen, zu Ungunsten des Rechtsmittelführers entscheiden darf. Dass damit in der Regel auch eine Begünstigung des Rechtsmittelgegners einhergeht, ist dann lediglich Reflex der Durchsetzung des objektiven Rechts. Die Teilrechtskraft scheidet also als Grundlage für ein Verbot der reformatio in peius ebenfalls aus.
4. Zwischenergebnis Damit steht fest, dass das Institut der Rechtskraft unabhängig von seinen verschiedenen Ausprägungen nicht als dogmatische Grundlage für das Verbot der reformatio in peius eignet. Zwar bedeutet Rechtskraft Unabänderlichkeit, jedoch 80
In diese Richtung auch Egger, S. 32. Vgl. § 260 Abs. 1 ZH-ZPO; § 246 Abs. 2 LU-ZPO; Art. 242 UR-ZPO; § 191 SZ-ZPO; Art. 262 Abs. 3 Satz 1 OW-ZPO; Art. 299 Abs. 1 FR-ZPO; § 291 Abs. 4 SO-ZPO; Art. 270 Abs. 1 AR-ZPO; § 320 AG-ZPO; § 244 TG-ZPO; Art. 312 Abs. 1 ZPO-Entw und Art. 103 Abs. 2 BGG. 82 Vgl. etwa Frank/Sträuli/Messmer3, § 260 ZH-ZPO Rn. 1. 83 In diesem Sinne auch der Entscheid des Züricher Kassationsgerichtes vom 12. Januar 1982, SJZ 78 (1982), 347. 81
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bezieht sich diese nach der gesetzlichen Konzeption der Rechtskraft auf Abänderungen durch die Parteien und nicht durch das Gericht ex officio. Dass die Rechtskraft bzw. der rechtskraftfähige Entscheidungsinhalt jedoch in anderem Zusammenhang, nämlich hinsichtlich des Verbotsumfangs, Bedeutung haben kann, soll an der entsprechenden Stelle in Teil 3 dieser Arbeit dargelegt werden.84 Weiter unten dargelegt werden. Hier bleibt festzuhalten, dass das Verbot selbst nicht aus dem Institut der Rechtskraft folgt.
IV. Materielle Verfügungsbefugnis Erwähnenswert scheint die für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit teilweise vertretene Ansicht, das Verbot richte sich nach der Frage, ob und inwieweit die einzelne Partei über die ihr zustehenden (materiellen) Rechte verfügen könne. Dem wird entgegengehalten, es könne schon deshalb nicht auf die materielle Verfügungsbefugnis ankommen, weil es bei dem Verbot gerade darum ginge, einer materiell bestehenden Rechtslage keine prozessuale Geltung zu verschaffen.85 Zwar ist dem im Ergebnis zuzustimmen, doch trifft diese Auffassung nicht ganz den Kern der Kritik an der eingangs geschilderten Argumentation. Das Verschlechterungsverbot kann und wird in der Regel zwar dazu führen, dass eine der materiellen Rechtslage nicht entsprechende Entscheidung gefällt werden muss. Die materielle Rechtslage hat aber mit dem Verbot der reformatio in peius nichts zu tun. Eine Verschlechterung soll nicht explizit entgegen der materiellen Rechtslage verhindert werden, sondern unabhängig von dieser. Die Grundlage des Verbots kann also generell nicht in Gegebenheiten des materiellen Rechts gesucht werden. Dass prozessualer und materiell-rechtlicher Anspruch grundsätzlich von einander unabhängige Dinge sind,86 wird auch von der dargestellten Gegenauffassung nicht verkannt.87 Dass aber die materielle Verfügungsbefugnis zumindest mittelbar für das Verbot der reformatio in peius eine gewisse Rolle spielen mag, ergibt sich aus ihrem Zusammenhang mit der prozessualen Verfügungsbefugnis und deren Aussagekraft im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot unter dem Stichwort Vertrauensschutz, was im Folgenden und auch noch weiter unten88 darzustellen sein wird. Allein reicht die materielle Verfügungsbefugnis jedoch zur Begründung des Verbots der reformatio in peius nicht aus.
84 85 86 87 88
Siehe unten § 6 I. (Seiten 99 ff.). Kapsa, S. 46. Vgl. nur Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 92 Rn. 8 ff. Kapsa, S. 46. Vgl. § 5 IX. (Seiten 74 ff.).
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V. Dispositionsmaxime 1. Begriffliche Abgrenzung Wie bereits in der Einleitung geschildert, sieht die heute herrschende Meinung das Verschlechterungsverbot in der Dispositionsmaxime bzw. der hieraus folgenden Antragsbindung begründet.89 Deshalb gilt es an dieser Stelle zunächst, den Begriff Dispositionsmaxime inhaltlich zu fassen. Unter Dispositionsmaxime versteht man den Vorrang der Verfügungsfreiheit der Parteien über den Streitgegenstand, sei es durch Ingangsetzen des Verfahrens mittels Klageerhebung, Bestimmung des Streitgegenstandes durch den Klageantrag, Stellung von Anträgen oder vorzeitiger Beendigung durch Klagerücknahme, Erledigungserklärung etc.90 Blomeyer gliedert die Dispositionsmaxime anschaulich in drei Grundsätze: „Ne procedat iudex ex officio“, „Ne eat iudex ultra petita partium“ und das Recht der Parteien, den Rechtsstreit jederzeit zu beenden.91 Die Dispositionsmaxime findet in zahlreichen Vorschriften des Zivilprozessrechts ihren Niederschlag.92 Zu ihr gehört auch das Recht der Parteien, entsprechend der gesetzlichen Regelung die Überprüfung einer ungünstigen Entscheidung durch das nächsthöhere Gericht vornehmen zu lassen.93 Die Verfügungsfreiheit der Parteien über den Streitgegenstand entspricht ihrer Verfügungsfreiheit über private Rechte (Privatautonomie).94 Von der Dispositionsmaxime zu unterscheiden aber teilweise synonym verwandt95 ist der Begriff des Verhandlungs- bzw. Beibringungsgrundsatzes, der besagt, dass es Aufgabe der Parteien ist, die für die Verhandlung erheblichen Tatsachen vorzutragen.96 Die Verhandlungsmaxime weist nach heutigem Verständnis jedoch keinen direkten Zusammenhang97 zur Dispositionsmaxime auf.98 Zwar ist 89 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 34; AK-ZPO-Ankermann, § 536 a. F. Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 4 f.; Lieb, S. 48 f.; Egger, S. 32 ff.; Arens, AcP 161 (1962), 177 (186); Bötticher ZZP 65 (1952), 464 (466); Fenn, S. 62 ff., 209; 177 (186); Gilles, ZZP 91 (1978), 128 (159); so auch schon Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (344 f.); vgl. auch die zahlreichen Nachw. zur älteren Lit. bei Kapsa, S. 45 Fn. 14. A. A. mit unterschiedlicher Begründung Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (41 ff.); Ricci, S. 104 f.; Kapsa, S. 45 ff. und S. 169. 90 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 76 Rn. 1; Musielak9, Rn. 102. 91 Blomeyer2, § 13 I; ähnlich auch Lieb, S. 48. 92 Etwa in §§ 253, 269, 306, 307, 308 Abs. 1 ZPO. 93 Musielak9, Rn. 102. 94 Hierzu sogleich unter 2. (Seiten 51 ff.). 95 So v. a. die frühere Lit., vgl. Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (41 ff.); ausführlich hierzu auch Leipold, JZ 1982, 441, 442 m. w. Nachw. 96 Vgl. nur Stein/Jonas/Leipold21, vor § 128 Rn. 138; Musielak9, Rn. 104, sowie Rosenberg/ Schwab/Gottwald16, § 76 Rn. 2 (allgemein zum Verhandlungsgrundsatz § 77). 97 Dass die Verhandlungsmaxime jedoch einen mittelbaren Zusammenhang mit dem Verbot der reformatio in peius aufweist, soll noch weiter unten gezeigt werden, vgl. IX. 3. b) (Seiten 79 ff.) sowie § 17 (Seiten 180 ff.). 98 Fenn, S. 59 ff.; Lieb, S. 40 f.
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dem Rechtsmittelgericht die Berücksichtigung von dem Rechtsmittelführer ungünstiger Tatsachen bereits durch den Verhandlungsgrundsatz für den Fall verwehrt, dass die Tatsachen nicht bereits Gegenstand der vorinstanzlichen Verhandlung gewesen sind und auch nicht von einer der Parteien im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens eingeführt wurden. Eine auf solchen Tatsachen beruhende Verschlechterung bildet jedoch nur einen Teilaspekt einer möglichen reformatio in peius. So wird etwa die Berücksichtigung von Rechtsanwendungsfehlern oder von falscher Tatsachenwürdigung zu Lasten des Rechtsmittelführers hierdurch nicht gehindert.99 Überzeugend ist auch das Argument, dass eine reformatio in peius im Umkehrschluss dort zulässig sein müsste, wo der Untersuchungsgrundsatz herrscht, wo der Tatsachenstoff also durch das Gericht ermittelt wird. Dass das Verbot aber auch dort gelte, sei etwa für den Strafprozess anerkannt und zudem gesetzlich angeordnet.100
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Wie bereits dargelegt, besteht heute Einigkeit, dass die Dispositionsmaxime das prozessuale Korrelat der materiell-rechtlichen Verfügungsfreiheit darstellt.101 Die Frage, ob die Dispositionsmaxime auch verfassungsrechtlich geboten sei, wird hingegen kaum beantwortet. Stürner weist darauf hin, dass die Verfügungsbefugnis über vermögensrechtliche und persönliche Ansprüche grundgesetzlich durch Art. 14 bzw. 2 Abs. 1 GG geschützt sei. Als Korrelat der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis sei die Dispositionsmaxime ebenfalls bei diesen Grundrechten anzusiedeln.102 Andererseits müsse der verfassungsrechtlichen Garantie der materiellen Verfügungsbefugnis keine verfassungsrechtliche Garantie einer prozessualen Dispositionsbefugnis in gleichem Umfang gegenüberstehen, da die Rechtsprechung als staatliche Gewalt auch noch anderen Rechtsgütern Rechnung tragen müsse. Dementsprechend bedürfe es einer differenzierten Prüfung, welche Elemente der Dispositionsmaxime verfassungsfest seien.103 Stürner ist insoweit zuzustimmen, dass jedenfalls die gerichtliche Durchsetzung subjektiver Rechte, die unter die materiell-rechtliche Verfügungsfreiheit der Parteien fallen, grundrechtlich 99 Vgl. nur Fenn, S. 59 ff., der zusätzlich das Argument anführt, dass das Verbot in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz dann keine Geltung haben dürfte, was etwa im Hinblick auf den Strafprozess nicht der Fall sei. 100 Fenn, S. 60 f. 101 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 76 Rn. 1; Grunsky, S. 18 f.; Gaul, AcP 168 (1968), 27 (51); in diese Richtung auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, Grdz § 128 Rn. 19; Thoms/Putzo/Reichold29 Einl I Rn. 1; Schmidt, S. 35; Egger, S. 39; vgl. auch Lieb, S. 39 f.; differenzierend Bötticher, ZZP 85 (1972), 1 (25). 102 Vgl. hierzu abweichend Bettermann, JBl. 1971, 57 (61 f.), der zumindest das Antragsprinzip (Ne eat iudex ex officio) durch den Grundsatz der richterlichen Neutralität geboten sieht und damit auch die Antragsbindung, soweit es um die eigenmächtige Abänderung des Streitgegenstands durch das Gericht geht. 103 Stürner, FS Baur, S. 647 (650 f.).
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geschützt ist.104 Anderenfalls würde die grundrechtliche Garantie materiell-rechtlicher Verfügungsfreiheit konterkariert bzw. leerlaufen. Ob und inwieweit sich aus den Grundrechten auch direkte Vorgaben hinsichtlich des Verbots der reformatio in peius ableiten lassen, wird noch an anderer Stelle zu untersuchen sein.105 Hier gilt es zunächst zu klären, ob allein schon die Dispositionsmaxime zwingend ein Verbot der reformatio in peius nach sich zieht. Dabei ist zwischen den einzelnen Ausprägungen der Maxime zu unterscheiden.
3. Die Rolle der konkreten Parteiverfügungen Bereits aus dem Wortlaut des § 528 ZPO geht hervor, dass das Berufungsgericht in seiner Prüfung an die Berufungsanträge gebunden ist. So liegt es denn auch nahe, das Verbot der reformatio in peius direkt aus den konkreten Dispositionen der Parteien abzuleiten. Hierfür kommen sowohl die Verfügungen des Rechtsmittelgegners als auch des Rechtsmittelführers in Frage.
a) Disposition des Rechtsmittelgegners Das Verbot könnte zunächst daher rühren, dass der Rechtsmittelführer durch Nichteinlegen eines eigenen (Anschluss-)Rechtsmittels deutlich gemacht hat, dass er eine Abänderung des Urteils zu seinen Gunsten nicht wünsche.106 Diese Sichtweise erinnert stark an die Theorie der wohlerworbenen Rechte bzw. des ius quaesitum,107 die in dem Nichtergreifen eines eigenen oder eines Anschlussrechtsmittels des Appellaten einen Rechtsmittelverzicht hineinlas. Dass hierdurch jedoch kein ius quaesitum des Rechtsmittelführers entsteht, wurde bereits oben erläutert. Jedoch muss an dieser Stelle eingeräumt werden, dass auch das Nichteinlegen eines Rechtsmittels vom Dispositionsgrundsatz geschützt wird. Ob der Rechtsmittelgegner Rechtsmittel einlegt oder nicht, ist dessen eigene Sache, und die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Gericht.108 Wäre eine reformatio in peius zulässig, könnte das Gericht die Wahrnehmung der Interessen des Rechtsmittelgegners diesem zumindest insoweit aus der Hand nehmen, als es vorinstanzliche Fehler auch zu dessen Gunsten korrigieren dürfte. Sartorius hat dies in sehr eindrücklicher Diktion dargelegt. Demnach ist es „ein starkes Stück barmherziger und bevormundender Justiz, wenn der Richter dem Appellaten, welcher seiner 104
Stürner, FS Baur, S. 647 (651 f.). Siehe unten unter VI. (Seiten 57 ff.). 106 Vgl. Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (344 f.); Mittermaier, AcP 7 (1824), 86 (94 ff.). 107 Siehe oben III. 2. (Seiten 45 ff.). 108 Vgl. nur Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 76 Rn. 3. Anders freilich unter Geltung der „lex ampliorem“ Justinians, hierzu oben unter § 2 II. (Seiten 24 ff.). 105
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Beschwerden wegen nicht einmal den Mund nur zu einem ‚Adhaereo‘ aufthun mag, zuvorkommend die Arznei gleichsam auf dem Kredenzteller nachtragen und je nach Umständen einschütten soll.“109 Zumindest insoweit könnte man der Nichteinlegung eines (Anschluss-)Rechtsmittels des Rechtsmittelgegners für das Verbot der reformatio in peius eine gewisse Bedeutung beimessen.110 Damit scheidet eine Schlechterstellung des Rechtsmittelführers zur Wahrung der Interessen des (passiv gebliebenen) Rechtsmittelgegners von vorneherein aus. Doch kann es bei der reformatio in peius im hier verstandenen Sinne nicht um die aktive Wahrnehmung der Interessen der Gegenpartei gehen. Anderenfalls müsste das Gericht nämlich auch im Namen des Rechtsmittelgegners Anträge stellen oder neue Tatsachen zu seinen Gunsten beibringen dürfen, will es den Interessen des Rechtsmittelgegners wirklich umfassende Geltung verschaffen. Vielmehr geht es um die Fälle, in denen das Gericht eine Entscheidung zu Ungunsten des Rechtsmittelführers erlässt, weil es einen Fehler der Vorinstanz korrigieren und ein Urteil erlassen will, dass dem materiellen Recht entspricht. Dies geschieht allein anhand des vorgebrachten Sachverhaltsmaterials und der gestellten Anträge der Parteien. Geschützt wird damit lediglich das Allgemeininteresse an der materiellen Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen, was durch eben diese Begrenzung des zu beurteilenden Prozessstoffes deutlich wird. Dass damit in aller Regel auch dem Rechtsmittelgegner gedient ist, stellt dann ein reines Nebenprodukt dar und ist mangels Finalität lediglich als Reflex des Strebens nach einer materiell richtigen Entscheidung anzusehen. Eine in diesem Sinne verstandene reformatio in peius verstieße somit auch nicht gegen das zur Dispositionsmaxime gehörende Recht der Gegenpartei, ihre Interessen nicht wahrzunehmen.111
b) Disposition des Rechtsmittelführers Schon eher kann in dem konkreten Rechtsmittelantrag des Rechtsmittelführers die Grundlage des Verschlechterungsverbots gesehen werden. Mit Hilfe des Rechtsmittelantrags hat der Rechtsmittelführer grundsätzlich die Möglichkeit, den 109
Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (345). Vgl. auch Fenn, S. 59. Falsch wäre es demnach, wenn man mit Ricci, S. 107, annähme, das Verbot der reformatio in peius bestünde vor allem deshalb, weil das Rechtsmittelgericht anderenfalls die Interessen der Gegenpartei zu wahren hätte und sich deshalb an der Ermittlung des Sachverhaltes beteiligen müsse, was zum angestrebten Ziel der Wiederherstellung des Rechtsfriedens in keinem Verhältnis stünde. 111 Doch selbst wenn man in einer reformatio in peius eine Verletzung des Dispositionsrechtes des Rechtsmittelgegners sähe, könnte eine im Rahmen der Eingriffssrechtfertigung vorzunehmende Interessengewichtung ohne weiteres zu Gunsten des Allgemeininteresses an materiell richtigen Entscheidungen ausfallen. Gegen die Brauchbarkeit der Dispositionen des Rechtsmittelgegners als dogmatische Grundlage für das Verbot der reformatio in peius auch Kapsa, S. 48 ff., der vornehmlich darauf abstellt, dass das Nichteinlegen eines (Anschluss-) Rechtsmittels nicht als Verzicht gedeutet werden könne. Doch selbst wenn man einen Verzicht annähme, hätte dieser keinen Einfluss auf den Inhalt des gegnerischen Rechtsbehelfs. 110
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Beurteilungsrahmen für das Rechtsmittelgericht abzustecken. So entspricht es der herrschenden Meinung, dass das Ausgangsurteil nur insoweit zur Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz anhängig wird, als es auch angefochten wurde.112 Über die nichtangefochtenen Teile hat die Rechtsmittelinstanz gar nicht zu entscheiden, wodurch dieser Teil bereits vor einer reformatio in peius sicher ist. Jedoch würde etwa der Kläger im oben geschilderten Fall 1113 den Berufungsantrag nicht ausdrücklich in dieser Weise formulieren und die Anfechtung explizit auf den die Klage in Höhe von € 2.500,- abweisenden Teil beschränken. Vielmehr entspricht es der Praxis, die Zuerkennung des gesamten Klagebetrags von € 5.000,- zu verlangen. Aber auch in diesem Fall würde der Antrag im Sinne einer Teilanfechtung ausgelegt werden,114 denn es entspräche nicht dem Interesse des Klägers, auch den zu erkennenden Teil des erstinstanzlichen Urteils in der Berufungsinstanz „aufs Spiel zu setzen“. Hiermit entfernt man sich aber bereits einen Schritt von der Anknüpfung des Verschlechterungsverbots an die konkreten Parteidispositionen. Denn der rechtsmittelgerichtliche Entscheidungsumfang wird nicht mehr direkt dem Antrag entnommen, sondern unter Hinzuziehung der (vermeintlichen) Interessen des Rechtsmittelführers und durch entsprechende Auslegung bestimmt. Diese interpretationsbedürftige Antragsbindung wäre zwar durchaus noch hinnehmbar, häufig wird es aber gar nicht möglich sein, zwischen Zugesprochenem und Aberkanntem in dieser Schärfe zu trennen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich eine Schlechterstellung erst aus der Änderung der Entscheidungsgründe ergibt.115 Veranschaulicht wird dies durch folgender Beispielsfall:116 Der Kläger wird in erster Instanz wegen wirksamer Aufrechnung des Beklagten abgewiesen und legt gegen dieses Urteil Berufung ein, da ihn das Urteil auf Grund der Aberkennung seiner Klageforderung beschwert. Immerhin wurde aber auch der Verbrauch der Gegenforderung des Beklagten gemäß § 322 Abs. 2 ZPO rechtskraftfähig festgestellt. Um nun diese dem Kläger günstige Feststellung des Forderungsverbrauchs der Überprüfung des Berufungsgerichts in der oben beschriebenen Weise zu entziehen, müsste der Kläger in seinem Berufungsantrag die Einwendung der Aufrechnung von der Anfechtung ausnehmen. Diese Aufspaltung des Rechtsmittelantrags ist aber wohl schwer möglich. Gleichwohl geht die herrschende Meinung davon aus, dass das Gericht die Berufung nicht mit der Begründung zurückweisen darf, dass bereits die Klageforderung unbegründet sei, da hierdurch auch die Verneinung der Gegenforderung aufgehoben würde.117
112
MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 5; Blomeyer2, § 101 II 1. Siehe oben in der Einleitung (Seite 17). 114 Vgl. das Beispiel bei Fenn, S. 63 Fn. 82. 115 Zur Bedeutung der Entscheidungsgründe für die Bestimmung des Konkreten Verbotsumfangs noch unten § 6 I. 2. (Seiten 99 ff.). 116 Beispiel nach Kapsa, S. 53 f. 117 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 12; ausführlich zu den verschiedenen Aufrechnungs-Konstellationen auch MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 34 ff., sowie zur Geltung des Verbots in den verschiedenen Aufrechnungssituationen unten § 8 (Seiten 119 ff.). 113
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Dass der konkrete Rechtsmittelantrag als Grundlage des Verbots ungeeignet ist, tritt noch augenfälliger in den Fällen in Erscheinung, wo es eines konkreten Antrags gar nicht bedarf wie etwa bei der Beschwerde des FGG. Teilweise hilft man sich hier mit einem Abstellen auf das hinter dem Rechtsmittelantrag stehende Begehren,118 bzw. lässt eine stark eingeschränkte Dispositionsmaxime ausreichen.119 Wobei im Ergebnis wohl ebenfalls auf das (mutmaßliche) Begehren des Rechtsmittelführers abgestellt werden muss. Die einzelnen Fallgruppen unterscheiden sich jedoch kaum voneinander. Denn auch der konkret gefasste Rechtsmittelantrag, der den Gegenstand des Angriffs genau beschreibt, ist lediglich Ausdruck des dahinter stehenden Begehrens. Auf Grund dieser „Behelfskonstruktionen“ werden die konkreten Parteidispositionen und der Dispositionsgrundsatz als dogmatische Grundlage des Verschlechterungsverbots zum Teil vollständig abgelehnt.120 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Denn ganz gleich, ob man auf den konkreten Rechtsmittelantrag oder – als Auslegungshilfe bzw. im Fall des unspezifizierten Rechtsmittelantrags notgedrungen – auf das dahinter stehende Parteibegehren abstellt, lassen sich damit allenfalls Fragen des Verbotsumfangs beantworten. Ob der Gesetzgeber eine Bindung der Rechtsmittelinstanz an den konkreten Antrag hätte normieren müssen bzw. ob in den Fällen eines unspezifischen Rechtsmittelantrags ein Rückgriff auf das Begehren des Rechtsmittelführers zu erfolgen hat, ist damit noch nicht entschieden. Erst mit diesen Fragen dringt man aber in den Bereich der dogmatischen Grundlage des Verbots vor. Die Ansicht, nach der eine stark eingeschränkte Dispositionsmaxime zur Begründung des Verbotes im Verfahren nach FGG ausreicht, trifft mit ihren Ausführungen – freilich ohne es zu merken – den Kern des Problems. Denn wenn dort mangels konkreten Antrags eine „stark eingeschränkte Dispositionsmaxime“ zur Begründung des Verbots ausreicht,121 kann es auf konkrete Parteidispositionen ohnehin nicht ankommen. Wenn es aber dort nicht darauf ankommen kann, dann können auch die konkreten Dispositionen im Zivilprozess allenfalls eine Hilfe zur Bestimmung des konkreten Verbotsumfangs, nicht aber die Dogmatische Grundlage des Verbots überhaupt sein. Die konkreten Dispositionen scheiden als dogmatische Grundlage folglich aus. Erst die Frage, warum das Rechtsmittelgericht an Dispositionen der Parteien – soweit vorhanden – bzw. an ein Parteibegehren gebunden sein soll, zielt auf die Begründung des Verschlechterungsverbots ab. Dass sich eine solche Bindung nicht ohne weiteres aus dem Vorhandensein eines Antrags ergibt, zeigt ein Blick auf die neue schweizerische Zivilprozessordnung. Zumindest bei der Beschwerde nach Art. 316 ff. ZPO-Entw soll im Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der anschließenden Neu118 119 120 121
Fenn, S. 208; Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (3). Lieb, S. 49. Kapsa, S. 57. Lieb, S. 49.
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entscheidung durch die Vorinstanz auch bei einer Teilanfechtung eine Gesamtkassation erfolgen können und der komplette Rechtsstreit erneut in der Vorinstanz zur Entscheidung stehen, die auch ungünstiger für den Beschwerdeführer ausfallen darf.122
4. Die abstrakte Verfügungsbefugnis der Parteien Es bleibt die abstrakte Verfügungsbefugnis der Parteien, also das Recht der Parteien, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, ganz gleich in welchem Umfang. Hierbei geht es in erster Linie um die negative Abgrenzung zum Offizialprinzip. Die Dispositionsmaxime besagt demnach zunächst, dass das Gericht nur auf Antrag tätig wird und nicht ex officio. Soweit der Dispositionsgrundsatz reicht, ist dem Gericht ein eigenständiges Einschreiten verwehrt.123 Diese Facette des Dispositionsgrundsatzes bezieht sich jedoch nur auf den Umstand, dass überhaupt ein Verfahren in Gang gesetzt wird. Ob die Entscheidungsbefugnis des angerufenen Gerichts bei einem einmal in Gang gesetzten Verfahren in irgendeiner Weise eingeschränkt ist, kann damit noch nicht festgestellt werden. Denn es ist zumindest denkbar, dass das Antragserfordernis für sich genommen allein der prozessökonomischen Begrenzung der Zahl der Rechtsmittelverfahren dient.124 Da es unmöglich und auch nicht notwendig ist, dass jedes erstinstanzliche Urteil ex officio einer weiteren gerichtlichen Überprüfung unterzogen wird, muss eine Auswahl getroffen werden.125 Wird diese Auswahl den Parteien überlassen, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass Fehlentscheidungen statt richtiger Urteile angefochten werden, größer, als wenn man eine zufällige Auswahl vornähme.126 Betrachtet man das Antragserfordernis isoliert und losgelöst von der übrigen Struktur und Zwecksetzung des Rechtsmittelrechts, erscheint diese Deutung zumindest nicht komplett abwegig. Man wird aber wohl zugeben müssen, dass die Auslesefunktion parteiseitiger Rechtsmittelanträge faktisch stark eingeschränkt wäre, wenn das Rechtsmittel zudem mit dem Risiko einer Schlechterstellung des Antragstellers behaftet 122 So die Botschaft des Bundesrates, BBl. 2006, 7221 (7379). Da sich die Beschwerde gegen erstinstanzliche Zwischen- und Endurteile richtet, die nicht schon mit der Berufung nach Art. 304 ff. ZPO-Entw angegriffen werden können, sei es, dass ein bestimmter Streitwert nicht erreicht wird oder dass die Berufung gesetzlich ausgeschlossen ist, grundsätzlich aber denselben Prüfungsumfang aufweist, ist wohl davon auszugehen, dass die Ausführungen auch auf die Berufung übertragen werden können. Generell zur Geltung des Verbots der reformatio in peius bei Aufhebung und Zurückverweisung Recht unten § 7 II. (Seiten 107 ff.). 123 Statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 76 Rn. 1 ff. 124 In diesem Sinne Kapsa, S. 61; a. A. Lieb, S. 44 f. (zum Antragsverfahren in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit). 125 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 132 Rn. 21; vgl. hierzu auch Rimmelspacher, FS Schumann S. 327 (328 ff.). 126 So auch Unberath, ZZP 120 (2007), 323 (330).
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wäre. Die Bereitschaft, angesichts dieses Risikos bei zumindest teilweisem Obsiegen in der Vorinstanz Rechtsmittel einzulegen, wäre wohl eher gering.127 Hinzu kommt die Möglichkeit des Rechtsmittelführers, das Rechtsmittel jederzeit zurückzunehmen.128 Hiervon dürfte der Rechtsmittelführer immer dann Gebrauch machen, wenn sich im laufenden Verfahren abzeichnet, dass ihn das zu erwartende Urteil schlechter stellen wird.129 Dass ein als Selektionsmechanismus verstandenes Antragsprinzip ohne Verschlechterungsverbot weniger sinnvoll erscheint, bedeutet indes noch nicht, dass zwischen beiden ein zwingender Zusammenhang besteht.130 Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die Einbettung des Antragsgrundsatzes in den Zivilprozess und seine Zwecksetzung und Ausgestaltung gewisse Erwartungen hinsichtlich des Entscheidungsumfangs in den Parteien weckt, die das Gericht nicht enttäuschen darf.131 Für den Moment bleibt jedoch festzuhalten, dass aus dem Antragsgrundsatz jedenfalls keine direkten Folgen132 für das Verbot der reformatio in peius abgeleitet werden können.133
VI. Grundrechte 1. Allgemein Bislang kaum diskutiert wurde die Frage, ob sich das Verbot der reformatio in peius unmittelbar aus den Grundrechten ableiten lässt. Obwohl die herrschende Meinung das Verbot aus der Dispositionsmaxime ableitet und sich diese letz127 Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (57), hat diesbezüglich keine Bedenken. Denn die Partei könne auch bei Zulässigkeit eine reformatio in peius „niemals ungünstiger gestellt werden […], als sie schon nach der früheren Entscheidung nicht nur hätte stehen können, sondern, wenn diese Entscheidung nicht unrichtig ausgefallen wäre, hätte stehen müssen.“ An der faktisch hieraus folgenden Zurückhaltung hinsichtlich der Einlegung von Rechtsmitteln vermag diese Sichtweise allerdings nichts zu ändern. 128 Dies ergibt sich für Berufung und Revision ausdrücklich aus §§ 516, 565 ZPO. Für die Beschwerde gilt das Gleiche, was aus der generellen Dispositionsbefugnis der Parteien über die Rechtsmittel gefolgert wird, statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 146 Rn. 12. 129 Lieb, S. 45, folgert aus der Rücknahmemöglichkeit, dass den Rechtsmittelanträgen eine über die bloße Verfahrenseinleitung hinausgehende Funktion zukommen muss. Dem könnte immerhin entgegengehalten werden, dass dem Rechtsmittelführer hiermit nur die Möglichkeit einer Kostenersparnis gegeben werden soll, wenn sich im Verfahren herausstellt, dass sein Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat. 130 Zu der Frage, inwieweit eine solche Funktion des Antragsprinzips mit der bisherigen Ausgestaltung des Zivilprozesses, insbesondere des Rechtsmittelrechts, harmoniert, unten unter IX. 5. (Seiten 92 ff.). 131 Hierzu unten unter IX. (Seiten 74 ff.). 132 Zum mittelbaren Zusammenhang von Dispositionsmaxime und Verbot der reformatio in peius unten unter IX. 3. b) (Seiten 79 ff.) und § 17 (Seiten 180 ff.). 133 So i. E. auch Kapsa, S. 47 f., der freilich darauf abstellt, dass alle auf der Dispositionsmaxime beruhenden Einwirkungsmöglichkeiten der Parteien auf den Prozess von der konkreten Ausübung dieser Befugnis abhängig sind.
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ten Endes auf Grundrechte zurückführen lässt,134 wird eine direkte grundrechtliche Verankerung des Verbots nicht näher untersucht. Dass der Gesetzgeber bei der Kodifizierung einer Prozessrechtsordnung und auch der auf ihrer Grundlage rechtsprechende Richter grundsätzlich an die Grundrechte gebunden ist, ergibt sich aber zweifelsfrei aus Art. 1 Abs. 3 GG.135 Dem Richter kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu, da er zum einen die Wahrung der Grundrechte durch die anderen Staatsgewalten zu überwachen hat, andererseits aber selbst Staatsgewalt i. S. von Art. 1 Abs. 3 GG ausübt. Überwiegend wird diesem bipolaren Verhältnis der Rechtsprechung zu den Grundrechten durch eine differenzierende Betrachtungsweise begegnet. Zu unterscheiden ist demnach zwischen dem gerichtlichen Verfahren einerseits und der gerichtlichen Entscheidung andererseits.136 Während das Gericht bei Ersterem den Parteien in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit gegenübertritt, insoweit der direkten Grundrechtsbindung unterliegt und diese bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen und für ein rechtsstaatliches Verfahren zu sorgen hat,137 ist die Lage im Hinblick auf die gerichtliche Entscheidung selbst nicht ganz so einfach zu beurteilen. Denn hier ist das Gericht nicht schon deshalb an die Grundrechte gebunden, weil auch der Urteilsspruch als solcher eine hoheitliche Maßnahme darstellt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang vielmehr der Einwirkungsgrad der Grundrechte auf die durch das Urteil betroffenen Rechtsbeziehung zwischen den Parteien.138 Dieser Problemkreis wird allgemein unter dem Stichwort „(mittelbare) Drittwirkung von Grundrechten“ diskutiert.139 Bei dem Verbot der reformatio in peius handelt es sich jedoch grundsätzlich um ein rein prozessuales Phänomen, das zwar Auswirkungen auf die Durchsetzung materieller Rechte hat, im Übrigen aber unabhängig von der konkreten materiellen Rechtslage besteht. Ausnahmen können lediglich für die Fälle angenommen werden, wo die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten unmittelbare Schutzpflichten des Gerichtes begründet, wie etwa in Sorgerechtsangelegenheiten.140 Im Übrigen geht es aber nicht um die gerichtliche Berücksichtigung einer grundrechtlichen (Dritt-)Wirkung zwischen den Parteien, denen allein die Geltendmachung ihrer Rechte obliegt,141 sondern allein um die prozessuale Frage, ob das angefochtene Urteil zum Nachteil des Rechtsmittelführers unabhängig von dementsprechenden Anträgen abgeändert werden darf oder nicht. Die hierfür möglicherweise relevante grundrechtliche Beziehung besteht nicht zwischen den Parteien unter134
Siehe oben V. 2. (Seiten 51 ff.). Vgl. hierzu statt vieler Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 1 Rn. 72 ff. 136 Sachs/Höfling4, Art. 1 GG Rn. 105; Rüfner, in HdbStR Bd. V2, § 117 Rn. 27; Stern, Staatsrecht Bd. III/1, § 75 II 2, jeweils m. w. Nachw. 137 BVerfGE 52, 203 (207). 138 Stern, Staatsrecht Bd. III/1, § 75 II 2. 139 Vgl. stellvertretend für die unüberschaubare Menge der Lit. zu diesem Thema etwa Canaris AcP 184 (1984), 201 ff. und Schwabe (mit Erwiderung Canaris) AcP 185 (1985), 1 ff. 140 Hierzu noch ausführlich unten unter § 15 V. (Seiten 174 ff.). 141 Hierzu bereits oben V. 3. a) (Seiten 52 ff.) und sogleich unter 5. (Seiten 66 ff.). 135
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einander, sondern zwischen den Parteien und dem Gericht. Entscheidend ist die Frage, ob das Gericht durch eine reformatio in peius Grundrechte der Parteien verletzt, die diesen gegenüber dem Gericht zustehen. Wäre dies der Fall, verstieße das Gericht gegen die Verfassung und wäre auch eine die Verschlechterung zulassende Prozessordnung verfassungswidrig. Umgekehrt ausgedrückt wäre in diesem Fall die gesetzliche Anordnung eines Verschlechterungsverbots bzw. die entsprechende Auslegung der Prozessordnungen durch die Gerichte grundrechtlich geboten. Die Frage der grundrechtlichen Gebotenheit stellt sich also im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Verfahrens.
2. Einfluss auf die Verfahrensgestaltung In welcher Weise Grundrechte Einfluss auf die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens nehmen können, bedarf ebenfalls einer differenzierten Betrachtungsweise. Hilfreich erscheint hier eine Untergliederung in drei Teilbereiche.142 Zum einen ist bereits die Frage der Verfahrenseröffnung grundrechtsrelevant, nämlich im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch, wie er für (Grund-)Rechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG festgelegt ist.143 Hiervon zu unterscheiden ist der Problemkreis der unmittelbaren Verfahrensdetermination durch Grundrechte, vor allem durch die prozessualen Garantien der Art. 103 ff. GG, aber auch durch materielle Grundrechte. Darüber hinaus eröffnet sich der Bereich der mittelbaren Verfahrensdetermination. Hierbei wird das Verfahren in der Weise durch Grundrechte beeinflusst, als diese für das dem Verfahren zugrunde liegende materiell-rechtliche Rechtsverhältnis der Parteien maßgeblich sind und nach einer entsprechenden Verfahrensgestaltung verlangen. Dass das Verbot unabhängig von einer eventuell zwischen den Parteien bestehenden Grundrechtswirkung zu beurteilen ist und somit nicht in die letztere Gruppe fällt, wurde bereits oben dargestellt.144 Bleiben der Justizgewährungsanspruch und die unmittelbare Verfahrensdetermination durch die prozessualen Garantien und materiellen Grundrechte.
3. Justizgewährungsanspruch a) (Verwaltungs-)Gerichtliches Verfahren als Rechtsschutzeinrichtung Im Zusammenhang mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, insbesondere dem finanzgerichtlichen, hält sich bis heute die Ansicht, das Verbot der reformatio in peius ergebe sich (u. a.) aus dem Justizgewährungsanspruch des Art. 19 Abs. 4 142 143 144
Vgl. hierzu Lorenz, NJW 1977, 866 (869 f.). Statt vieler Jarass/Pieroth9, Art. 19 GG Rn. 32 f. Siehe oben VI. 1. (Seiten 57 ff.).
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GG.145 Die Vertreter dieser Ansicht haben jedoch den Fall vor Augen, dass der durch einen auf Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt Beschwerte diesen mit einer Anfechtungsklage zu beseitigen sucht. Es geht hier also um das Verhältnis zwischen Behörde und Gericht und nicht um dasjenige zwischen verschiedenen gerichtlichen Instanzen. Doch unterscheiden sich die Konstellationen nicht so wesentlich voneinander, als dass ein Blick auf die hierzu vertretenen Argumentationslinien hinsichtlich des Verschlechterungsverbots von vornherein auszuschließen ist.146 Denn auch hier geht es um die Schlechterstellung des Beschwerten in einem gerichtlichen Verfahren, das eben dieser durch seinen Klageantrag angestoßen hat. Die in der Literatur vertretenen Auffassungen stützen sich zwar zumeist auf Art. 19 Abs. 4 GG, setzen dabei jedoch durchaus unterschiedliche Akzente. I. d. R. wird auf den Rechtsschutzcharakter des finanzgerichtlichen Verfahrens abgestellt, ohne näher darauf einzugehen.147 Der Verweis auf den Rechtsschutzcharakter kann aber verschiedenes bedeuten. Zum Teil wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsschutzfunktion des finanzgerichtlichen Verfahrens dem Bürger und nicht der Verwaltung diene.148 Damit wird auf den Umstand angespielt, dass Hoheitsträger durch Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht geschützt werden.149 Problematisch erscheint bei dieser Argumentation jedoch, dass eine reformatio in peius in erster Linie Verschlechterung für den Rechtsschutzsuchenden und erst mittelbar Rechtsschutz für die Gegenpartei bedeutet.150 Eine reformatio in peius dient weniger der Gewährung subjektiven Rechtsschutzes als vielmehr der Durchsetzung der wahren materiellen Rechtslage, also der objektiven Rechtsordnung. Doch selbst wenn man der dargestellten Argumentation folgte, ließe sie sich doch auf den Zivilprozess nicht übertragen. Denn hier wirkt sich die Verschlechterung i. d. R. nicht zu Gunsten der Verwal145
BFHE 101, 470 (473); 102, 202 (206); Kühn/v. Wedelstädt/Wagner19, § 96 FGO Rn. 15; Gräber/v. Groll6, § 96 FGO Rn. 5; Ziemer/Birkholz3, § 100 FGO Rn. 100; nicht explizit auf Art. 19 Abs. 4 GG, wohl aber auf den Rechtsschutzcharakter des gerichtlichen Verfahrens stellen ab Schwarz, DStR 1966, 397 (398); Beermann/Gosch/Schmidt-Troje07/06, § 96 FGO Rn. 14; Bittner07/06, § 96 Rn. 14; nicht eindeutig insoweit Naumann, NJW 1963, 1701 (1704); a. A. Hübschmann/Hepp/Spitaler/Lange03/08, § 96 FGO Rn. 196, der auf die positive Regelung des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO und dessen Entstehungsgeschichte abstellt (hierzu unten Seite 61 f.). 146 A. A. Lieb, S. 22, und Kapsa, S. 39, die Art. 19 Abs. 4 GG zur einheitlichen Begründung des Verschlechterungsverbots wegen der Unvergleichbarkeit der beiden Situationen für ungeeignet halten. 147 Vgl. etwa Beermann/Gosch/Schmidt-Troje07/06 § 96 FGO Rn. 14; Gräber/v. Groll6, § 96 FGO Rn. 5; Kühn/v. Wedelstädt/Wagner19, § 96 FGO Rn. 15. 148 Tipke/Kruse/Seer10/06, § 96 Rn. 101; Bittner07/06, § 96 FGO Rn. 14.; wohl in die gleiche Richtung tendierend, wenngleich eine Verfahrensgestaltung mit Möglichkeit einer reformatio in peius nicht schlechterdings ausschließend, wenn diese ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist Ziemer/Birkholz3, § 100 FGO Rn. 95 ff. (insb. Rn. 100). 149 Statt vieler Jarass/Pieroth9, Art. 19 Rn. 22 ff. 150 Vgl. in diesem Zusammenhang bereits die Ausführungen zur Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelgegners oben V. 3. a) (Seiten 52 ff.).
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tung als nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützte151 Hoheitsträgerin aus, sondern zu Gunsten einer Privatperson, die sich ohne weiteres auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen kann. Andere Stimmen stützen sich hingegen auf Art. 19 Abs. 4 GG, um das gerichtliche Verfahren von der Verwaltungstätigkeit abzugrenzen. Mache demnach ein durch einen Bescheid belasteter Staatsbürger vor dem Finanzgericht geltend, er werde durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt, so mache er von der verfassungsrechtlichen Befugnis Gebrauch, die ihm Art. 19 Abs. 4 GG garantiere. Wesentliches Kennzeichen einer Rechtsschutzeinrichtung i. S. von Art. 19 Abs. 4 GG sei der Satz ne ultra petita. Ließe man zu, dass das Finanzgericht den angefochtenen Bescheid auch zum Nachteil des Anfechtungsklägers abändern kann, zeige dies, dass man das Finanzgericht nicht als Rechtsschutzeinrichtung, sondern als verlängerten Arm der Verwaltung ansehe.152 Dem wird entgegengehalten, dass das Problem der reformatio in peius damit eher im Bereich der Gewaltenteilung,153 also des Art. 20 Abs. 2 GG, angesiedelt würde.154 Dies versteht sich aus dem historischen Kontext, in dem der die Antragsbindung festschreibende § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO (bzw. § 94 FGO a. F.) zu sehen ist. Denn der FGO-Entwurf vom 2. August 1963155 sah eine solche Regelung noch nicht vor. Bis dahin war das finanzgerichtliche Verfahren als verlängertes Verwaltungsverfahren mit dem Ziel, „das Bemühen des Finanzamtes fortzusetzen, die zutreffende Steuer zu ermitteln und festzusetzen“,156 ausgestaltet. Erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde Abs. 1 Satz 2 mit der Begründung eingefügt, dass die noch in § 243 Abs. 3 RAO ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit einer reformatio in peius nicht mehr der heutigen Auffassung vom Verwaltungsprozess entspräche, der auf Grundlage des Art. 19 Abs. 4 GG am Rechtsschutzinteresse des Betroffenen auszurichten sei.157 Die früher vertretene Auffassung, dass das (Finanz-)Gericht auf Grund des Neeat-Grundsatzes als Rechtsschutzeinrichtung anzusehen sei, bedeutet aber noch nicht, dass sich auch das Verbot der reformatio in peius aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt. Vielmehr wurde es als gegeben vorausgesetzt, dass Rechtsschutzeinrichtungen i. S. von Art. 19 Abs. 4 GG der Ne-eat-Grundsatz und deshalb auch ein Verschlechterungsverbot zueigen ist. Letzten Endes wird das Verschlechterungsverbot also nach dieser Argumentation auch auf den Ne-eat-Grundsatz, also auf die Dis-
151
Vgl. nur v.Mangoldt/Klein/Starck/Huber4, Art. 19 Rn. 395. Naumann, NJW 1963, 1701 (1704) 153 Hierzu noch unten unter VII. 1. (Seiten 70 ff.). 154 Kapsa, S. 39 f.; Lieb, S. 21 f., wobei dieser zudem darauf hinweist, dass Art. 19 Abs. 4 GG nur dann verletzt sei, wenn das Gericht Verwaltungsermessen ausübe. 155 BT-Drucks. IV/1446. 156 So die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. IV/3523, S. 10. 157 BT-Drucks. IV/3523, S. 10; vgl. zum Ganzen auch Hübschmann/Hepp/Spitaler/Lange06/01, § 96 Rn. 171 f. 152
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positionsmaxime bzw. die Antragsbindung gestützt. Dass dies allein aber als Grundlage für das Verbot nicht genügt, wurde bereits oben erörtert.158 Im Gegensatz dazu stellt der Bundesfinanzhof ausdrücklich fest, dass das Verbot (im Falle erstinstanzlicher Entscheidungen) zumindest teilweise aus dem Gewaltenteilungsprinzip hervorgehe. Darüber hinaus verweist der Bundesfinanzhof jedoch auf „den allgemeinen Rechtsschutzgedanken […], der insbesondere in Art.19 Abs. 4 GG zum Ausdruck gekommen ist.“ Das „Verböserungsverbot“ solle es demnach dem Bürger erleichtern, von seinem Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber Eingriffen der Verwaltung Gebrauch zu machen, ohne befürchten zu müssen, dadurch seine Lage zu verschlechtern.159 Diese Argumentation mit der die Einlegung eines Rechtsmittels behindernden Angst vor Verschlechterung ist in der Literatur auf Widerspruch gestoßen. So lägen ihr rein rechtspolitische Erwägungen160 zu Grunde und seien Rechtsmittel mit Möglichkeit zur reformatio in peius im öffentlichen Interesse einer materiell richtigen Entscheidung rechtspolitisch ebenso gut vertretbar.161 Ebenso könnte es im rechtspolitischen Interesse des Gesetzgebers liegen, den Prozessfreudigen an der Einlegung aussichtsloser162 bzw. „frivoler“163 Rechtsmittel zu hindern. Darüber hinaus müsse der Rechtsmittelführer immer mit der Anschließung der Gegenpartei rechnen.164 Ganz so einfach wird man die Einschlägigkeit des Justizgewährungsanspruchs jedoch nicht verneinen können. Insbesondere ist dem letzten Argument entgegenzuhalten, dass es bei dem Verbot der reformatio in peius um eine Verhaltenspflicht des Gerichts geht, die ganz unabhängig vom Verhalten Dritter, insbesondere der Gegenpartei, beurteilt werden muss. Inwieweit ohnehin mit einer Verschlechterung auf Grund eines Anschlussrechtsmittels zu rechnen ist, kann dabei also keine Rolle spielen. Rein faktisch ist die Befürchtung, unabhängig vom Verhalten der Gegenpartei eine reformatio in peius hinnehmen zu müssen, geeignet, den Rechtsschutz suchenden Bürger vom Einlegen eines Rechtsmittels abzuhalten.165 Im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs kann diese Befürchtung bei der Frage des Zugangs zu effektivem Rechtsschutz eine Rolle spielen. Sollte dies der Fall sein, wäre die Frage nach Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer reformatio in peius aber nicht mehr bloß eine Frage der Rechtspolitik.
158
Siehe hierzu die Ausführungen oben unter V. (Seiten 50 ff.). BFHE 101, 470 (473); vgl. auch BFHE 102, 202 (206), sowie neuerdings BFH BStBl. II 1997, 727 (729), (bezugnehmend auf BFHE 102, 202 (206). 160 Kapsa, S. 62 (m. w. Nachw.); Freitag, S. 71 ff.; Lieb, S. 16; Egger, S. 22 f.; Ricci, S. 101. 161 In diesem Sinne Egger, S. 22, und Ricci, S. 101. 162 Egger, S. 23. 163 v. Linde, AcP 33 (1859), 149 (161); vgl. auch Ricci, S. 101. 164 Kapsa, S. 62; Egger, S. 23; Lieb, S. 16; Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (32 f.). 165 Z. T. wurde dieses Argument auch von denen angeführt, die das Verschlechterungsverbot im Wesen des Rechtsmittels begründet sahen, vgl. die Nachw. bei Kapsa, S. 62 Fn. 24; siehe hierzu noch unten IX. 4. a) (Seiten 84 ff.), systematisch gehört es aber, wie gezeigt, eher in den Bereich des Justizgewährungsanspruchs. 159
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b) Reformatio in peius als Zugangshindernis zu effektivem Rechtsschutz Grundsätzlich gilt der in Art. 19 Abs. 4 GG speziell für Akte der Verwaltung ausgestaltete Justizgewährungsanspruch auch im Bereich des Zivilrechts, wo er als Konsequenz eines weitgehenden Selbsthilfeverbots direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (und unter Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG subjektiviert) wird. Wo der Staat Selbsthilfe verbietet, muss er Alternativen zur Verwirklichung der subjektiven Rechte bieten und diese selbst schützen und durchsetzen, sollen diese nicht entwertet werden.166 Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dass der Justizgewährungsanspruch „das Recht auf Zugang zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter“ umfasst.167 Auch wenn der Justizgewährungsanspruch der gesetzgeberischen Ausgestaltung bedarf168 und sich hieraus gewisse Einschränkungen ergeben können, müssen diese mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den Rechtssuchenden nicht unverhältnismäßig belasten. Insbesondere darf dem Einzelnen der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden.169 Als mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht mehr vereinbare Hindernisse kommen etwa zu strenge formale Anforderungen an Klage- und Berufungsschrift,170 zu 166 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 20 Rn. 60; Sachs/Sachs4, Art. 20 Rn. 162; Dreier/Schulze-Fielitz2, Art 20 Rn. 197; Jarass/Pieroth9, Art. 20 Rn. 91; Papier, in HdbStR Bd. VI1, § 154 Rn. 12; Schmidt-Aßmann, in HdbStR Bd. II3, § 26 Rn. 71; Stern, Staatsrecht Bd. III/1, § 75 II 1.; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569 (2571); BVerfGE 54, 277 (291); 80, 103 (107); 85, 337 (345); 88, 118 (123); 93, 99 (107); BVerfG NJW 2001, 812 (813) und 3473; 2005, 814 (815); z. T. werden zusätzlich zum Rechtsstaatsprinzip auch die den materiellen Grundrechten beigeordneten Rechtsschutzansprüche hinzugezogen, soweit die betreffenden Grundrechte auf das streitige Verhältnis anwendbar sind, vgl. hierzu Maunz/Dürig/ Schmidt-Aßmann02/03, Art. 19 Abs. 4 Rn. 16; ähnlich v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber4, Art. 19 Abs. 4 Rn. 363 ff. und BVerfGE 107, 395 (406 f.). Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 285 (292), stellen zur Begründung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auf eine „Zusammenschau der rechtsstaatlichen Rechtsschutzvorschriften der Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 20, 28, 92 GG“ ab, ebenso AK-ZPO-Schmidt, Einl. Rn. 17. Vgl. i. Ü. MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 8 und 16 f.; Zöller/Vollkommer27, Einleitung Rn. 48 ff.; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann67, Einl III Rn. 1. 167 BVerfGE 85, 337 (345); ständige Rspr., vgl. auch 54, 277 (291); 97, 169 (185); 108, 341 (347). 168 Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann02/03, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 17; Dreier/Schultze-Fielitz2, Art. 20 Rn. 198; Jarass/Pieroth9, Art. 19 Rn. 51 und Art. 20 Rn. 92; BVerfGE 85, 337 (345 f.); 88, 118 (123 f); 93, 99 (107). 169 Sachs/Sachs4 Art. 20 Rn. 162; ständige Rspr. BVerfGE 10, 264 (267 f.); 85, 337 (347); 88, 118 (124); 93, 99 (107 f.); neuerdings BVerfG NJW 2005, 814 (815). 170 BVerfG NJW 1991, 3140; 2005, 814 (815). Vgl. auch BVerfGE 88, 118 (125), zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Nachholung des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil.
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strenge Anforderungen hinsichtlich der Veranlassung des Zugangs fristwahrender Schriftsätze,171 übersteigerte Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Parteien172 oder die zu kurzfristige Benachrichtigung über eine Fristverlängerung, die wesentlich hinter der beantragten Verlängerung zurückbleibt, in Betracht.173 Darüber hinaus kann aber auch die Festlegung einer Kostenlast, die außer Verhältnis zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg steht, den Rechtssuchenden an der gerichtlichen Durchsetzung seines Anspruchs in unzulässiger Weise hindern.174 Fraglich ist, ob auch eine durch die Rechtsmittelinstanz drohende reformatio in peius den Zugang zu effektivem Rechtsschutz in einer Weise hinderte, der mit dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch nicht mehr zu vereinbaren wäre. Zunächst ist festzustellen, dass der allgemeine Justizgewährungsanspruch die Einrichtung eines Instanzenzugs nicht zwingend erfordert.175 Sehen die Verfahrensordnungen jedoch mehrere Instanzen vor, so darf auch hier dem Rechtsschutzsuchenden der Zugang nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht gerechtfertigter Weise erschwert werden.176 Dass in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer reformatio in peius eine solche unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz bedeutete, ist aus mehreren Gründen fraglich. Zwar könnte die Angst, das durch das anzufechtende Urteil bereits Zugesprochene wieder zu verlieren, durchaus eine gewisse psychologische Hemmschwelle177 bei der Einlegung eines Rechtsmittels begründen. Hier ist jedoch zu differenzieren: Entspricht das vorinstanzliche Urteil der materiellen Rechtslage, bestünde die Angst des Rechtsmittelführers darin, bei Zulässigkeit einer reformatio in peius eine ihn schlechter stellende Entscheidung zu erhalten, die gleichzeitig materiell unrichtige wäre. Diese Angst vor einer unrichtigen Entscheidung kann aber kein unzumutbares Hindernis i. S. des Justizgewährungsanspruchs sein. Denn sie besteht ganz unabhängig von der Zulässigkeit einer reformatio in peius immer, wenn Ge171
BVerfG NJW 2000, 2657; 2001, 3473 f. BVerfG NJW 1997, 2941 ff. 173 BVerfG NJW 2001, 812 (813 ff.). 174 BVerfGE 85, 337 (347). 175 Jarass/Pieroth9.Art. 20 Rn. 93; Sachs/Sachs4 Art. 20 Rn. 164; Papier, in HdbStR Bd. VI1, § 154 Rn. 50 (zu Art. 19 Abs. 4 GG) m. w. Nachw.; ständige Rspr., vgl. etwa BVerfGE 4, 74 (94 f.); 11, 232 (233); 28, 21 (36); 54, 277 (291); 74, 228 (234); 87, 48 (61); 89, 381 (390). Dies entbindet den Gesetzgeber jedoch nicht von der Pflicht, im Falle schwerwiegender Verfahrensfehler eine einmalige fachgerichtliche Kontrollmöglichkeit zu gewähren. v. Münch/ Kunig/Krebs5 Art. 19 Rn. 63 ist ganz anderer Auffassung und zählt die Rspr. zur öffentlichen Gewalt i. S. von Art. 19 Abs. 4 GG. Der Gesetzgeber sei deshalb verpflichtet, auch gerichtliche Entscheidungen einer dem Justizgewährungsanspruch genügenden gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Vgl. neuerdings zum Ganzen auch Unberath, ZZP 120 (2007), 323 (334). 176 BVerfGE 54, 277 (291 ff.); 69, 381 (385 f.); 74, 228 (234), 77, 275 (284); 93, 99 (108). 177 Dass auch psychologische Hindernisse den Justizgewährungsanspruch verletzen können, stellen Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 285 (294), klar. 172
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richtsschutz in Anspruch genommen wird. Schon eher beachtlich ist der Fall, dass das Ausgangsurteil der materiellen Rechtslage nicht entspricht und das Rechtsmittelgericht dieses durch eine materiell richtige Entscheidung korrigiert. Ob diese Angst vor einer „richtigen“ Entscheidung allerdings eine im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs beachtliche Rechtsmittelhürde darstellt, muss vor dem Hintergrund der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems beurteilt werden. Das BVerfG hat ausgeführt, dass es „(in) der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (liegt), ob er in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten Rechtsmittelzüge einrichtet, welche Zwecke er damit verfolgt wissen will und wie er sie im einzelnen regelt. […] Entschließt sich der Gesetzgeber, einen Rechtsmittelzug einzurichten, so hat er weitgehende Freiheit, den Zugang zum Rechtsmittelgericht wie den Verfahrensgang nach seinen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszurichten.“178 Erst im Rahmen dieser Zweckbestimmung also darf der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden. So könnte der Gesetzgeber das Rechtsmittelverfahren etwa nicht als dispositives Verfahren zum Rechtsschutz der Parteien ausgestalten, sondern als allgemeines Überprüfungsverfahren zur Gewährung einheitlicher Rechtsprechung oder größtmöglicher materieller Urteilsrichtigkeit.179 Zu denken wäre dabei auch an eine (zusätzliche) Vorlagebefugnis des Ausgangsrichters180 oder eines Vertreters des öffentlichen Interesses. Dies bedeutete aber, dass die Rechtsmittelinstanz das Ausgangsurteil unabhängig vom Begehren einer der Parteien (welcher?) einer vollständigen Überprüfung zu unterziehen hätte. Geschähe dieses erst nach Erlass des Urteils und nicht im Laufe des anhängigen Verfahrens (wie etwa die Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG oder das Vorabentscheidungsverfahren des EuGH nach Art. 234 EG),181 könnte eine hierauf folgende abändernde Entscheidung eine reformatio in peius zu Lasten einer der Parteien darstellen. Da dies aber unmittelbare Folge der Zwecksetzung wäre, würde der Justizgewährungsanspruch hierdurch nicht verletzt. Die Zulässigkeit einer reformatio in peius ließe sich also mit dem Argument der höheren 178 BVerfGE 54, 277 (291 f.). Nach dem BVerfG wäre es etwa auch denkbar, dass die Verfahrensordnungen Vorlagebefugnisse der Ausgangsgerichte eröffneten; vgl. auch neuerdings BVerfG NJW 2005, 1768 (1769). 179 BVerfGE 54, 277 (291); vgl. auch Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann02/03, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9; sowie Lieb, S. 22 (m. w. Nachw.), der ausführt, Art. 19 Abs. 4 GG garantiere zwar Schutz durch den Richter, aber nicht Schutz vor dem Richter; so auch das BVerfG in BVerfGE 22, 106 (110), das allerdings den Fall der gerichtlichen Kontrolle eines den Bürger nicht verletzenden Verwaltungsaktes auf Initiative der Verwaltung hin vor Augen hat. 180 BVerfGE 54, 277 (292); zu einem Vorlageverfahren des Berufungsgerichts neuerdings auch Roth, JZ 2006, 9 (17). 181 Eine vergleichbare Regelung findet sich etwa im französischen Rechtsmittelrecht. Dort sehen Art. 441-1 ff. COJ vor, dass erst- und zweitinstanzliche Gerichte das Verfahren aussetzen und der Cour de Cassation rechtliche Fragen vorlegen können, die noch nicht entschieden wurden („saisine pour avis“). Eine strikte Bindung an die abstrakte Beantwortung der Frage durch die Cour de Cassation besteht gemäß Art. 441–3 COJ jedoch nicht, wenngleich die unteren Gerichte in der Regel der Ansicht des obersten Gerichtes folgen, vgl. Couchez14, § 43 bis; Leipold, Rechtsstaat – Rechtsmittelstaat?, S. 79, mit Hinweis auf Ferrand, ZZPInt 1997 II, 43 (66).
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Urteilsrichtigkeit rechtfertigen, so dass auch bei grundsätzlicher Bejahung eines Zugangshindernisses die Schwelle der Unzumutbarkeit nicht erreicht wäre. Das Verbot einer reformatio in peius lässt sich also nicht auf den Justizgewährungsanspruch zurückführen.
4. Einfluss der Verfahrensgrundrechte im Übrigen Soll das Verbot durch Grundrechte geboten sein, so kann es also nur noch auf deren unmittelbarer Verfahrensdetermination beruhen. Hier ist zunächst an die sogenannten Verfahrensgrundrechte182 der Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG zu denken, deren Wortlaut bereits deutlich macht, dass sie unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens haben.183 Doch weder das Recht auf den gesetzlichen Richter noch das auf rechtliches Gehör können für das Verbot der reformatio fruchtbar gemacht werden.184
5. Einfluss der materiellen Grundrechte a) Grundrechte des Rechtsmittelgegners Es bleiben die materiellen Grundrechte der Art. 1 ff. GG. Die Geltendmachung subjektiver Rechte ist im Zivilrecht weitestgehend in das freie Ermessen der Parteien gestellt. Ihnen obliegt es, zur Durchsetzung ihrer Rechte ein Gericht anzurufen, und sie bestimmen durch ihre Anträge den Entscheidungsumfang. Wie bereits oben dargelegt, lässt sich dies auf Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 14 GG zurückführen.185 Die durch die Grundrechte vermittelte Schutzpflicht des Staates186 setzt grundsätzlich erst dann ein, wenn der Einzelne diesen Schutz in Form der Anrufung eines Gerichtes nachsucht. Aus diesem Grunde kann es bei der antragsunabhängigen reformatio in peius nicht um den Schutz der Interessen des Rechtsmittelgegners gehen, sondern allein um die Durchsetzung des allgemeinen Interesses an einer materiell richtigen Entscheidung. Dass hierdurch in aller Regel auch der Rechtsmittelgegner Rechtsschutz erfährt, ist lediglich Reflex der von Amts wegen erfol182 Zwar sind die grundgesetzlichen Verfahrensgarantien nicht Grundrechte im engeren Sinne, worunter nur Art. 1 bis 19 GG fallen. Doch stellen auch die Verfahrensgarantien subjektivöffentliche Rechte dar, die mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können (vgl. Art 93 Abs. 1 Ziff. 4a GG). Folgerichtig werden die Verfahrensgarantien auch „grundrechtsgleiche“ Rechte genannt, statt vieler Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Schmahl11, Art. 103 Rn. 1; Jarass/Pieroth9, Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 1. 183 Stern, Staatsrecht Bd. III/1, § 69 V 4. 184 Zu dem speziellen Fall, dass eine zu Unrecht erfolgte reformatio in peius ausnahmsweise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, siehe unten § 16 III. (Seiten 179 ff.). 185 Siehe oben unter V. 2. (Seiten 51 ff.). 186 Vgl. etwa Jarass/Pieroth9, Vorb. vor Art. 1 Rn. 6.
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genden Durchsetzung des tatsächlichen materiellen Rechts. Wie bereits oben dargestellt, wäre eine solche Entscheidung zumindest im Hinblick auf die Rechte des Rechtsmittelgegners nicht als Eingriff einzusehen.187
b) Grundrechte des Rechtsmittelführers Anders gestaltet sich die Sachlage bezüglich des Rechtsmittelführers. Denn hier ist fraglich, ob und inwieweit dieser durch das vorinstanzliche Urteil bereits eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition in Händen hält, die gegebenenfalls in den sachlichen Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fällt. Art. 14 GG schützt nicht nur das Eigentum im bürgerlich rechtlichen Sinne, sondern alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse in eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.188 Hierunter fallen auch obligatorische Rechte.189 Zumindest ein teilweise zuerkennendes Leistungsurteil wäre als vermögenswerte Position in diesem Sinne anzusehen. Neben der offiziellen Feststellung eines Anspruchs stellt es auch einen Titel dar, der die gerichtliche Einziehung des Anspruchs ermöglicht.190 Problematisch erscheint hierbei der Umstand, dass das Urteil diesen Vermögenswert ganz unabhängig von seiner materiellen Richtigkeit besitzt.191 Fraglich ist also, ob auch solche Vermögenswerte rein prozessualen Ursprungs von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt werden, oder ob in dessen Schutzbereich nur solche Urteile fallen, die sowohl formell als auch materiell-rechtlich richtig sind. Hierbei ist zu beachten, dass das grundrechtlich geschützte Eigentum von vornherein durch Sozialbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) und Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) einge-
187
Siehe hierzu auch oben unter V. 3. a) (Seiten 52 ff.). Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 14 Rn. 2; Sachs/Wendt4, Art. 14 GG Rn. 22 f.; Jarass/Pieroth9 Art. 14 Rn. 7; v. Münch/Kunig/Bryde5, Art. 14 Rn. 11 f.; BVerfGE 83, 201 (209); 79, 174 (191). 189 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 14 Rn. 12; Sachs/Wendt4, Art: 14 Rn. 24; Jarass/Pieroth9, Art. 14 Rn. 7; v. Münch/Kunig/Bryde5, Art. 14 Rn. 13.; BVerfGE 83, 201 (208). 190 Vgl. § 704 ZPO. 191 Vor diesem Problem dürften auch die Vertreter der sogenannten materiellen Rechtskrafttheorie stehen, nach der durch das rechtskräftige Urteil die rechtliche Beziehung der Parteien untereinander verbindlich und mit Wirkung für das tatsächliche materielle Recht festgelegt wird. Da das rechtskräftige Urteil die materiell-rechtliche Lage somit direkt beeinflussen kann, kann es auch nicht zu einem Widerspruch zwischen Urteil und materieller Rechtslage kommen. Dies soll jedoch nur für das rechtskräftige Urteil gelten, vgl. hierzu Stein/ Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 23 ff. und oben unter IV. 1. (Seite 30). Die reformatio in peiusProblematik stellt sich jedoch in der Rechtsmittelinstanz und damit regelmäßig vor Eintritt der Rechtskraft. Zur reformatio in peius im Wiederaufnahmeverfahren siehe unten § 7 IV. (Seiten 111 ff.). 188
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schränkt und ausgestaltet wird.192 Die Reichweite der Eigentumsgarantie bemisst sich danach, welche Befugnisse einem Eigentümer kraft der einschlägigen eigentumskonstituierenden Normen des privaten und/oder öffentlichen Rechts zustehen.193 Der Gesetzgeber hat dabei eine Eigentumsordnung zu schaffen, die sowohl den privaten Interessen des Einzelnen als auch denen der Allgemeinheit gerecht wird.194 Es liegt folglich im Ermessen des Gesetzgebers,195 bei der Ausgestaltung des Eigentumsschutzes das Interesse des Einzelnen am Fortbestand der ihm günstigen, materiell aber unrichtigen Entscheidung höher zu bewerten oder aber das allgemeine Interesse an deren materieller Richtigkeit. Bei der Ermessensausübung sind dem Gesetzgeber jedoch Grenzen durch die Einrichtungsgarantie des Eigentums und das Übermaßverbot gesetzt. Die Einrichtungsgarantie soll verhindern, „dass solche Sachbereiche der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, und damit der durch das Grundrecht geschützte Freiheitsbereich aufgehoben oder wesentlich geschmälert wird“.196 Bei einer Schlechterstellung des Rechtsmittelführers durch die Rechtsmittelentscheidung wird man wohl nicht so weit gehen können, eine Verletzung der Einrichtungsgarantie anzunehmen. Denn durch (Leistungs-)Urteil gewährte Rechtspositionen werden hierdurch nicht generell beseitigt. Doch auch im Bereich des Übermaßverbotes bzw. der Verhältnismäßigkeit begegnen keine grundlegenden Bedenken gegen eine Beschränkung des Eigentumsschutzes auf materiell richtige Urteile. Die Möglichkeit einer antragsunabhängigen reformatio in peius wäre grundsätzlich geeignet, das Interesse der Allgemeinheit an materiell richtigen Urteilen durchzusetzen. Eine mildere, gleich wirksame Alternative scheint kaum vorstellbar, da die Kontrolle der materiellen Richtigkeit des Urteils auf die Fälle beschränkt würde, in denen der Betroffene (= der Rechtsmittelführer) ohnehin selbst eine Überprüfung des Urteils wünscht und eine hiermit verbundene Verlängerung des Prozesses in Kauf nimmt. Würde jedes Urteil antragsunabhängig überprüft, bedeutete dieses eine generelle Verfahrensverlängerung und würde damit zu einer stärkeren Beeinträchtigung der Beteiligten führen, ohne unbedingt eine insgesamt höhere Zahl materiell richtiger Urteile zu garantieren. Letztlich bleibt die Vereinbarkeit einer reformatio in peius mit Art. 14 GG eine Frage der Interessengewichtung. Wird das Interesse an materiell richtigen Urteilen höher gewichtet als das Interesse des Rechtsmittelführers an einer ihm günstigen Entscheidung, müsste sich die durch ein Gerichtsurteil vermittelte vermögenswerte Position auch am materiellen Recht messen lassen. Besteht sie diese Prüfung nicht, wäre bereits die Eröffnung des Schutzbereiches von
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Sachs/Wendt4 Art. 14 Rn. 54 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth9, Art. 14 Rn. 6; v. Münch/Kunig/ Bryde5, Art. 14 Rn. 11. 193 So Sachs/Wendt4, Art. 14 Rn. 44; vgl. auch BVerfGE 70, 191 (201). 194 Sachs/Wendt4, Art. 14 Rn. 54; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 14 Rn. 4; BVerfGE 58, 300 (335). 195 Sachs/Wendt4, Art. 14 Rn. 57. 196 BVerfGE 24, 367 (389); ähnlich BVerfGE 58, 300 (339).
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Art. 14 Abs. 1 GG abzulehnen.197 Andererseits wäre der Schutzbereich eröffnet, wenn das Interesse des Einzelnen höher gewichtet würde. Zwingend vorgegeben ist diese Art der Gewichtung jedoch nicht. Auch hier steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu und gibt Art. 14 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Zulässigkeit einer reformatio in peius keine eindeutigen vorgaben. Sieht man in der antragsunabhängigen reformatio in peius nicht schon eine das Eigentum ausgestaltende Inhaltsbestimmung, sondern einen Eingriff in den grundsätzlich eröffneten Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG, müsste eine ganz ähnliche Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Rechtfertigungsebene vorgenommen werden, wo die beteiligten Interessen ebenfalls gegeneinander abzuwägen wären. Auch hier steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, so dass dies zu keinem anderen Ergebnis führte.198 Aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt somit kein Verbot der reformatio in peius, soweit die Schlechterstellung zur Herbeiführung einer materiell richtigen Entscheidung dient. Aber auch aus Art. 2 GG kann keine Unzulässigkeit der reformatio in peius abgeleitet werden. Denn zum einen ist bei Einschlägigkeit von Art. 14 Abs. 1 GG ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG als „Auffanggrundrecht“ verwehrt,199 so dass zumindest für Urteile über vermögensrechtliche Ansprüche Art. 2 Abs. 1 GG nicht als Verbotsgrundlage dienen kann. Zum anderen unterliegt die allgemeine Handlungsfreiheit einem Gesetzesvorbehalt dergestalt, dass sie nur gewährt wird, soweit sie weder die Rechte anderer noch die verfassungsmäßige Ordnung noch das Sittengesetz verletzt (Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG). Selbst wenn also der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet wäre, müssten auch hier einschränkende Gesetze dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.200 Die Zulassung einer reformatio in peius zur Ermöglichung einer materiell richtigen Entscheidung ist aber zumindest in diesem Zusammenhang ein legitimer Zweck, der geeignet und – v. a. gegenüber einer parteiunabhängigen Kontrolle von Gerichtsurteilen durch die höhere Instanzen – das mildeste unter den gleichwirksamen Mitteln ist. Auch insoweit ist zu beachten, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einer einschränkenden Norm vor allem im Hinblick auf die Gewichtung der beteiligten Interessen eine Einschätzungsprärogative zukommt,201 so dass man hier zum gleichen Ergebnis käme wie bei Art. 14 Abs. 1 GG. 197
Man könnte mit Jarass/Pieroth9, Art. 14 Rn. 6 und 22, auch sagen, die durch ein materiell unrichtiges Urteil geschaffene Rechtsposition sei nicht „gesichert“, wobei diese Diktion nicht unbedingt weiterführend ist. Jarass nutzt denn den Terminus „gesicherte Rechtsposition“ auch in etwas anderem Zusammenhang, nämlich zur Ausscheidung von Chancen und Verdienstmöglichkeiten aus dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG. 198 Die Differenzierung zwischen Inhalts- und Schrankennormen ist jedoch strittig, vgl. hierzu etwa ausführlich Sachs/Wendt4, Art. 14 Rn. 55 ff. mit zahlreichen Nachw. zur Rspr. 199 Vgl. nur Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 2 Rn. 65 f.; Sachs/Murswiek4, Art. 2 Rn. 137; Jarass/Pieroth9, Art. 2 Rn. 1, jeweils mit Nachw. zur Rspr. 200 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 2 Rn. 12; Jarass/Pieroth9, Art. 2 Rn. 21; BVerfGE 19, 342 (348 f.). 201 Jarass/Pieroth9, Art. 20 Rn. 87 ff.
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6. Zwischenergebnis Wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, kann weder aus den Verfahrensgrundrechten noch aus den materiellen Grundrechten die Unzulässigkeit einer reformatio in peius abgeleitet werden. Zwar spielen vor allem die materiellen Grundrechte für das Verbot der reformatio in peius insbesondere im Hinblick auf die Dispositionsfreiheit der Parteien eine gewisse Rolle, jedoch sind sie nicht geeignet, direkte Vorgaben für die Behandlung der reformatio in peius im Zivilprozess zu geben.
VII. Gewaltenteilung und richterliche Neutralität 1. Gewaltenteilung Vor allem früher wurde für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, insbesondere das sozial- und finanzgerichtliche, das Prinzip der Gewaltenteilung als Grund für ein Verbot der reformatio in peius angeführt.202 Da sich im Zivilverfahren in der Regel Privatpersonen oder zumindest Parteien auf gleicher Ebene gegenüberstehen, wird der Grundsatz der Gewaltenteilung hier in keiner Weise berührt. Die folgenden Ausführungen sollen aber vor allem im Hinblick auf die zum Teil geforderte einheitliche Grundlage des Verbots für alle Prozessarten203 aufzeigen, dass das Verbot oder die Zulässigkeit einer reformatio in peius in den einzelnen Verfahrensarten durchaus unterschiedliche Aspekte berühren kann und insoweit als Ergänzung dienen. Nach der früher vertretenen Meinung übte ein (erstinstanzliches) Gericht, wenn es den angegriffenen Bescheid in peius reformierte, originäre Verwaltungstätigkeit aus. Diese Argumentation passt aber höchstens für den Fall, dass bereits das erstinstanzliche Urteil den angegriffenen Bescheid zum Nachteil des Klägers abändern will. In der Rechtsmittelinstanz kann diese Sichtweise nur Platz greifen, wenn das angegriffene Urteil in der Weise abgeändert wird, dass auch der angegriffene Bescheid in seiner ursprünglichen Gestalt zum Nachteil des Rechtsmittelführers abgeändert wird. Ein einfaches Beispiel – wenngleich in einer etwas anderen Konstellation – soll dies verdeutlichen: Der Kläger, der bereits mehrere baurechtliche Dispense erhalten hat, beantragt im Wege der Verpflichtungsklage, die Verwaltung zur Gewährung weiterer Dispense zu verurteilen. Lehnt nun das Gericht die Verpflichtungsklage ab, so bewegt es sich damit in seinem ureigenen Tätigkeitsbereich, indem es dem Kläger 202 Vgl. die Nachw. bei Kapsa, S. 38 Fn. 10.; auch der BFH, BFHE 101, 470; 102, 202 (206), verweist auf das Gewaltenteilungsprinzip, zusätzlich aber auch auf den Rechtsschutzgedanken, wie er u. a. in Art. 19 Abs. 4 GG niedergelegt sei; hierzu bereits oben VI. 3. (Seiten 59 ff.). 203 Vgl. bereits oben unter I. (Seiten 33 ff.).
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den beantragten Rechtsschutz versagt. Will es darüber hinaus auch die nicht angefochtenen Dispense aufheben, verlässt es diesen Bereich. Die Aufhebung von Verwaltungsakten liegt zunächst in der Kompetenz der Verwaltungsbehörde, wie aus §§ 48 f. VwVfG deutlich wird.204 Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn das erstinstanzliche Gericht der Klage stattgibt und die Rechtsmittelinstanz die Klage als unbegründet abweisen will. Hier wird man dem Rechtsmittelgericht wohl kaum den Vorwurf machen, es übe Verwaltungstätigkeit aus. Und doch würde der Kläger durch eine solche Rechtsmittelentscheidung schlechter gestellt. Der Unterschied zu der ersten Konstellation besteht darin, dass das Gericht hier zu einer Entscheidung über das angefochtene Urteil durch das Rechtsmittel berufen war, im ersten Fall jedoch nicht. Die übrigen Dispense waren nicht Verfahrensgegenstand, und die alleinige Abänderung- bzw. Aufhebungskompetenz lag bei der Behörde, die hierzu auch von Amts wegen tätig werden darf. Das Gewaltenteilungsprinzip kann also auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren das Verbot der reformatio in peius nicht in allen Fällen erklären. Folgte man der für das verwaltungsgerichtliche Verfahren vertretenen Ansicht, müsste man konsequenterweise in jedem gerichtlichen Urteil, das eine Verwaltungsentscheidung aufhebt oder ändert, einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip sehen. Dies führte die Argumentation aber ad absurdum. Doch selbst wenn man den Verstoß gegen das Gewaltenteilungssystem nur für solche Entscheidungen annimmt, die für den Kläger eine reformatio in peius bedeuten, ist dem entgegenzuhalten, dass das Grundgesetz Gewaltenteilung ad absolutum vorsieht. Vielmehr besteht ein System der Gewaltenverschränkung, in dem die gerichtliche Kontrolle hoheitlicher Akte ihren festen Platz hat.205
2. Richterliche Neutralität Würde das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil auch ohne ein Rechtsmittel der Gegenpartei zu Ungunsten des Rechtsmittelführers abändern, bedeutete dies, wie schon mehrfach aufgezeigt, in der Regel eine Besserstellung der Gegenpartei. Man könnte sich also auf den Standpunkt stellen, mit einer nicht durch den Rechtsmittelgegner veranlassten reformatio in peius ergriffe das Gericht für diesen Partei. Unter Geltung der lex ampliorem206 mag dies auch tatsächlich der Fall gewesen sein, da der Appellationsrichter bei Abwesenheit der Gegenpartei deren 204
Beispiel nach Redecker/v. Oertzen/Kothe14, § 88 VwGO Rn. 4. Statt vieler Maunz/Dürig/Herzog1980, Art. 20 V Rn. 8 ff., 36; Sachs/Sachs4 Art. 20 Rn. 83 ff.; so auch Kapsa, S. 38 f. Gleiches gilt für die Schweizer Bundesverfassung, wenngleich die Gewaltenteilung hier nicht ausdrücklich in der Verfassung erwähnt wird. Gleichwohl ist sie fester Bestandteil des schweizerischen Verfassungsrechts, vgl. nur Thürer/Aubert/Müller/Mahon, § 65 Rn. 20. 206 Siehe oben § 2 II. (Seiten 24 ff.). 205
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Interessen aktiv wahrzunehmen, also auch nicht vorgetragene Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Prozess einzuführen und zu berücksichtigen hatte. Dass dies mit dem Neutralitätsgrundsatz, der mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit „untrennbar“ verbunden ist,207 nicht vereinbart werden kann, liegt auf der Hand. Unter diesen Umständen könnte das Gericht kaum als nichtbeteiligter und Distanz zu Parteien und Streitgegenstand wahrender Dritter208 bezeichnet werden. Allerdings wird man dem Richter keine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes vorwerfen können, wenn die reformatio in peius der Fällung eines materiell richtigen Urteils dienen soll und sich die hierfür notwendigen Feststellungen bereits aus dem im Rechtsmittelprozess in zulässiger Weise beigebrachten Prozessstoff bzw. dem des vorinstanzlichen Prozesses ergeben.209 Die Begünstigung der passiven Gegenpartei ist dann lediglich als Reflex anzusehen.210 Das Gebot der richterlichen Neutralität würde durch eine antragsunabhängige reformatio in peius demnach nicht berührt. Somit kann auch das Verbot derselben nicht aus dem Gebot richterlicher Neutralität abgeleitet werden.
VIII. Gerechtigkeit als Teil des Rechtsstaatsprinzips Vor allem die Rechtsprechung vertrat früher für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, das Verbot der reformatio in peius ergebe sich direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip.211 Allerdings sucht man vergeblich nach einer genaueren Erklärung. Geht man von der Zulässigkeit einer reformatio in peius aus, widerspräche es nach v. Boecklin dem Gerechtigkeitsgefühl, „dass zwar der Rechtsmittelbeklagte nicht schlechter gestellt werden dürfte, als der Rechtsmittelkläger beantragt, wohl aber die Rechtslage des Rechtsmittelklägers auch ohne dahingehenden Antrag des Rechtsmittelbeklagten verschlechtert werden dürfte.“212 Dieser Hinweis ist berechtigt, denn tatsächlich stellt sich die Frage, ob eine Antragsbindung im Interesse des Rechtsmittelführers noch Sinn hat, wenn sie nur dazu führt, dass der Rechtsmittelbeklagte nicht über das beantragte Maß hinaus benachteiligt werden darf, das Gericht in der Benachteiligung des Rechtsmittelführers aber frei ist. Bezogen auf die vergleichbare Rechtslage in der Schweiz wird vertreten, dies sei mit dem aus Art. 4 BV (a. F.) folgenden Gleichbehandlungsgrundsatz durchaus vereinbar. Dieser gebiete nur eine verhältnismäßige Gleichbehandlung, so dass dem Grundsatz Genüge 207
Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 1 Rn. 27. Statt vieler in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 92 Rn. 33. 209 Vgl. hierzu aber auch Bettermann, JBl 1972, 57 (61 f), der dem Gebot richterlicher Neutralität jedenfalls das verfassungsrechtliche Verbot einer Offizialmaxime entnimmt (siehe bereits oben VI. Fn. 102); a. A. Stürner, FS Baur, S. 647 (653 f. sowie Fn. 27), der hieraus jedenfalls kein „striktes“ Verbot der Offizialmaxime ableiten will, da anderenfalls für wesentliche Teile der freiwilligen Gerichtsbarkeit Rechtsprechungsqualität verneint werden müsste. 210 Hierzu bereits mehrfach oben, vgl. etwa III. 3. (Seiten 47 ff.) und V. 3. a) (Seiten 52 ff.). 211 BayVGH DÖV 1953, S. 93 (Ziff. 73); vgl. i. Ü. die Nachw. bei Kapsa, S. 37 Fn. 1. 212 v. Boecklin, S. 132; Hervorhebungen im Original. 208
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getan sei, wenn in einem Rechtsmittelverfahren alle Rechtsmittelkläger und alle Rechtsmittelbeklagten gleich behandelt würden.213 Auch nach der für Art. 3 GG entwickelten Gleichbehandlungsdogmatik besteht nur das Gebot, vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich zu behandeln.214 Eine Unterscheidung zwischen Rechtsmittelführer und Rechtsmittelgegner erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Betrifft das Rechtsmittelverfahren beide Parteien doch in gleicher Weise und gehören diese folglich dem gleichen rechtlichen „Ordnungsbereich“215 an. Für beide geht es um die Frage, ob Rechtsschutz gewährt, erweitert oder verkürzt wird. Einziger Unterschied ist, dass der Rechtsmittelführer das Verfahren aktiv in Gang gesetzt hat. Dies allein rechtfertigte jedoch noch keine Ungleichbehandlung in dem beschriebenen Sinn. Hält man also eine reformatio in peius grundsätzlich für zulässig, dürfte das Rechtsmittelgericht konsequenterweise überhaupt nicht an den Rechtsmittelantrag gebunden sein. In der deutschen Prozessrechtswissenschaft nähert man sich dem Gedanken der Gerechtigkeit auf andere Weise. So wird zum Teil versucht einen Zusammenhang herzustellen zwischen „verfahrensmäßiger Gerechtigkeit“ und „materieller Gerechtigkeit“, wobei das Verschlechterungsverbot der ersteren diene und letztere durch das Rechtsstaatsprinzip geboten sei. Die verfahrensmäßige Gerechtigkeit sei aber gewissermaßen Teil der materiellen Gerechtigkeit, woraus jedoch noch keine rechtsstaatliche Notwendigkeit des Verschlechterungsverbots folge. Denn genauso gehöre zur Rechtsstaatlichkeit auch die der Rechtssicherheit dienende Bindung der Gerichte an das materielle Recht. Zwischen diesen beiden Zielen – Gerechtigkeit und Rechtsbindung – bedürfe es einer Abwägung, die dem Gesetzgeber überlassen sei.216 Dunkel bleibt bei diesen Ausführungen, welcher Zusammenhang zwischen verfahrensmäßiger und materieller Gerechtigkeit bestehen soll. Dass Erstere Teil der Letzteren sein soll, leuchtet nicht ein. Denn die beiden Ausformungen der Gerechtigkeit verfolgen unterschiedliche Ziele. Materielle Gerechtigkeit wird einzig durch eine Entscheidung herbeigeführt, die der materiellen Rechtslage entspricht. Im Vordergrund steht hier die Durchsetzung der materiellen Rechtsordnung. Das Prozessrecht berücksichtigt darüber hinaus den Umstand, dass die materielle Rechtsordnung nicht um jeden Preis durchzusetzen ist, sondern dass auch andere Dinge wie etwa Rechtssicherheit, Rechtsbeständigkeit und Verfahrensbeschleunigung, die letztlich auch der (baldigen) Rechtssicherheit dient, für eine „gerechte“ Entscheidung eine Rolle spielen können. Augenfälliges Beispiel hier213 Egger, S. 24 f., Hervorhebungen durch den Verfasser. Der Gleichheitssatz des Art. 4 BV a. F. findet sich nun in Art. 8 BV; ausführlich zum Inhalt des Gleichheitssatzes nach schweizerischem Verfassungsrecht etwa Thürer/Aubert/Müller/Weber-Dürler, § 41 Rn. 8 ff. (zur verhältnismäßigen Gleichbehandlung durch die Rspr. siehe speziell Rn. 16). 214 Sogenannte „Neue Formel“, statt vieler v. Mangoldt/Klein/Starck4, Art. 3 Rn. 10; SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Kannengießer11, Art. 3 Rn. 14; Sachs/Osterloh4, Art. 3 Rn. 13; Dreier/Heun 2, Art. 3 Rn. 19; Jarass/Pieroth9, Art. 3 Rn. 4 f. 215 Begriff in diesem Zusammenhang von Jarass/Pieroth9, Art. 3 Rn. 4. 216 Kapsa, S. 37.
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für sind etwa die Präklusionsregeln der §§ 282, 767 Abs. 2 ZPO, die das Vorbringen von Tatsachen auch dann ausschließen, wenn erst durch deren Berücksichtigung eine materiell richtige Entscheidung getroffen werden könnte. Ein weiteres Beispiel ist die Rechtskraft, deren Eintritt nicht von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung abhängt. Verfahrensmäßige Gerechtigkeit und materielle Gerechtigkeit sind demnach zwei verschiedene Dinge. Dass das Verbot nicht der materiellen Gerechtigkeit dienen kann, liegt auf der Hand. Um aber feststellen zu können, ob und inwieweit das Verbot einer verfahrensmäßigen Gerechtigkeit dient, muss zunächst geklärt werden, nach welchen Maßstäben verfahrensmäßige Gerechtigkeit im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius zu beurteilen ist. Einen Hinweis gibt die im Rahmen dieser Arbeit schon mehrfach angeklungene Frage, ob der Rechtsmittelführer mit dem erstinstanzlichen Urteil bereits irgendetwas in Händen hält, das ihm das Rechtsmittelgericht nicht mehr nehmen darf, ohne sich dem Vorwurf der (verfahrensmäßigen) Ungerechtigkeit auszusetzen. Dass es hierbei nicht um ein Recht geht, das direkt dem Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts zugeordnet werden kann, wurde bereits dargelegt.217 Löst man sich aber von der streng grundrechtlichen Gerechtigkeitsbeurteilung, so bleibt zu untersuchen, ob der Rechtsmittelführer nicht einen gewissen prozessualen und rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz genießt, den zu verletzen man als ungerecht bezeichnen müsste.
IX. Vertrauensschutz als rechtsstaatliches Gebot 1. Bisherige Auffassungen Das BVerwG hat für das verwaltungsrechtliche Vorverfahren ausgeführt, dass das Verbot der reformatio in peius auf dem Gedanken der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips beruhe. Demnach vertraue der Einzelne im Widerspruchsverfahren auf den Fortbestand des begünstigenden Teils der behördlichen Entscheidung, so dass eine Parallele zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes zu ziehen sei. Dieses Vertrauen sei gegen das (öffentliche) Interesse an der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes abzuwägen. Das Vertrauen des Widerspruchsführers sei aber insoweit eingeschränkt, als er mit dem Widerspruch selbst die Ursache für die erneute Überprüfung des Verwaltungsaktes gesetzt habe. Deshalb seien die staatlichen Interessen an der Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes in der Regel höher zu bewerten.218 Dem wird in der Literatur entgegengehalten, dass das Verbot zwar letztlich auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes basiere, es aber ein Vertrauen in eine „gerechte“ Neuentscheidung sei und nicht in die Beständigkeit 217 218
Siehe oben VI. (Seiten 57 ff.). BVerwGE 14, 175 (179); BayVGH DÖV 1972, 318.
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des staatlichen Aktes. Der Rechtsmittelkläger vertraue nicht in den Fortbestand der ergangenen Entscheidung, sondern auf eine „billige, weil seine Anfechtung nicht gegen ihn selbst kehrende Entscheidung der Rechtsmittelinstanz.“219 Demnach könne aber die Schutzwürdigkeit dieses Vertrauens nicht aus dem Gedanken der Rechtssicherheit bzw. aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet werden und somit auch der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht Ursprung des Verschlechterungsverbots sein.220 Dem ist insoweit zuzustimmen, als aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. aus dem Gedanken der Rechtssicherheit für sich genommen noch keine direkten Vorgaben hinsichtlich des Verschlechterungsverbots gefolgert werden können.221 In Bezug auf das Verwaltungsverfahren kommt noch hinzu, dass ein möglicherweise bestehendes Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes dadurch eingeschränkt ist, dass die Ausgangsbehörde unter gewissen Umständen auch ohne Widerspruch befugt ist, begünstigende Verwaltungsakte zurück zu nehmen, vgl. §§ 48 f. VwVfG. Diese Einschränkung besteht freilich nur im Hinblick auf eine Abänderung durch die Verwaltungsbehörde selbst. Auch im Verwaltungsverfahren darf das Gericht nicht von sich aus tätig werden. Im Zivilverfahren gibt es kein mit dem Verwaltungsakt vergleichbares Institut, so dass es von vornherein nur um gerichtliche Entscheidungen und deren Änderung durch das Gericht geht. Zur erneuten Befassung des Gerichtes mit einer einmal ergangenen Entscheidung bedarf es immer eines Parteiantrags. Im Hinblick auf einen möglicherweise bestehenden Vertrauensschutz liegt hier ein gravierender Unterschied zum Verwaltungsverfahren, das darüber hinaus in wesentlich stärkerem Maße auch Allgemeininteressen zu berücksichtigen hat. Ob und inwieweit im Hinblick auf eine gerichtliche Abänderung auch nach der parteiseitigen Ingangsetzung des Rechtsmittelverfahrens ein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der begünstigenden Teile bzw. der hierdurch eröffneten (prozessualen) Handlungsmöglichkeiten der Entscheidung besteht, ist eine Frage der konkreten Ausgestaltung des Zivilprozesses und der darin zum Ausdruck kommenden Zwecksetzung. Auch die Dispositionsmaxime kann in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein. Zunächst soll jedoch der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Allgemeinen näher beleuchtet werden.
219 Kapsa, S. 38 (Hervorhebungen im Original). Dunkel bleibt allerdings, wie sich die Anfechtung nicht gegen den Anfechtenden selbst wenden soll, wenn sie ihm das in der angefochtenen Entscheidung bereits Anerkannte wieder aberkennt. Zudem bleibt unklar, was Kapsa mit einer „gerechten“ Neuentscheidung meint. Es ist anzunehmen, dass er eine materiell-rechtlich richtige Neuentscheidung vor Augen hat. Demnach kann der Rechtsmittelführer nach Kapsa nur darauf vertrauen, dass materiell richtig entschieden wird. 220 Kapsa, S. 38. 221 So auch für das Verbot der reformatio in peius im Strafrecht BGHSt 9, 324 (332) = NJW 1956, 1725; BayVerfGHE 11, 195 = NJW 1959, 285.
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2. Vertrauensschutz im Prozessrecht Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt ein direkter Anspruch des Bürgers auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz.222 Vertrauensschutz meint dabei „individuelle Erwartungssicherheit“.223 Das heißt, dass das Vertrauen des Einzelnen auf den (Fort-)Bestand bestimmten staatlichen Handelns (Gesetzgebung, Verwaltungshandeln oder Rechtsprechungspraxis) in der Weise geschützt wird, dass er seine eigenen Dispositionen an diesem Handeln ausrichten darf, und dass diesen Dispositionen die Vertrauensgrundlage nicht wieder entzogen werden kann.224 Ein solcher Vertrauensschutz hat generell drei Voraussetzungen. Zum einen muss eine hinreichende Grundlage bestehen, an die das Vertrauen des Einzelnen anknüpfen kann.225 Dies wäre etwa nicht der Fall, wenn mit einer Veränderung der die Dispositionen beeinflussenden Umstände, etwa einer Gesetzesänderung, gerechnet werden muss. Des Weiteren muss sich das Vertrauen auch manifestiert haben, d. h. es müssen Dispositionen im Vertrauen auf den Fortbestand der gegebenen Umstände bzw. der rechtlichen Gegebenheiten gemacht worden sein.226 Abschließend bedarf es einer Abwägung des Vertrauensschutzes gegen möglicherweise entgegenstehende öffentliche Interessen.227 Das Phänomen des Vertrauensschutzes wird zwar vor allem im Bereich des Erlasses rückwirkender Gesetze virulent, spielt aber auch bei der Aufhebung und/ oder Verkürzung gesetzlich gewährter Vorteile durch andere Akte hoheitlicher Ge-
222
Maunz/Dürig/GrzeszickNov 06, Art. 20 VII Rn. 50, 69, mit umfangreichen Hinweisen zur Rspr.; in v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann5, Art. 20 Rn. 288, 292; Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf11 Einl. Rn. 133; Sachs/Sachs4, Art. 20 Rn. 131; Dreier/Schulze-Fielitz2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 146 f.; Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 156; in diesem Sinne auch Jarass/Pieroth9 Art. 20 Rn. 67; v. Münch/Kunig/Schnapp5, Art. 20 Rn. 30 f.; BVerfGE 7, 89 (92); 13, 261 (271); 14, 288 (300); 15, 313 (324); 18, 429 (439); 88, 384 (403); 105, 48 (57). Teilweise werden auch die Grundrechte zur Herleitung des Vertrauensschutzes bemüht, soweit deren Schutzbereich betroffen ist. An den Voraussetzungen solle dies freilich nichts ändern; vgl. etwa Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 156; Kisker, VVDStRL 32 (1974), 149 (161); umfassend auch die Darstellung bei Schwarz, S. 145 ff., 561. 223 Maunz/Dürig/GrzeszickNov 06, Art. 20 VII Rn. 69; Sachs/Sachs4, Art. 20 Rn. 131; Dreier/ Schulze-Fielitz2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 147, alle im Anschluss an Kisker, VVDStRL 32 (1974), 149 (161 ff.), nach dem das Prinzip des Vertrauensschutzes „sinnvolles Disponieren“ schützen soll und der hierfür folgerichtig auch auf Art. 2 Abs. 1 GG verweist (vgl. hierzu auch die Ausführungen oben V. 2., Seiten 51 ff.). 224 Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 155; Sachs/Sachs4, Art. 20 Rn. 131; in diesem Sinne auch Maunz/Dürig/GrzeszickNov 06, Art. 20 VII Rn. 69; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf11, Art. 20 Rn. 80. 225 v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann5, Art. 20 Rn. 295; Sachs/Sachs4, Art. 20 Rn. 134; Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 155; Schwarz, S. 37; 295 ff.; BVerfGE 13, 261 (271 f.); 88, 384 (404); 89; 48 (67); 95, 64 (86 f.); 97, 378 (389); 103, 392 (404); 108, 370 (402 f.). 226 Sachs/Sachs4 Art. 20 Rn. 134; Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 155; Schwarz, S. 37; 307 f.; BVerfGE 108, 370 (403). 227 Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 155; Schwarz, S. 309 ff.
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walt eine Rolle. Dabei bewahrt der Vertrauensschutz den Einzelnen nicht vor jeder Enttäuschung,228 wie auch das BVerfG ausgeführt hat: „Der verfassungsrechtlich verbürgte Vertrauensschutz gebietet nicht, den von einer bestimmten Rechtslage Begünstigten vor jeglicher Enttäuschung seiner Hoffnungen oder Erwartungen betreffend die Dauerhaftigkeit der bestehenden Rechtslage zu bewahren.“229
Es ist zu fragen, ob ein objektiver Betrachter mit einer Änderung der Rechtslage rechnen musste.230 Und auch wenn dies nicht der Fall ist, muss zwischen dem Vertrauen des Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage und der Bedeutung, die z. B. das gesetzgeberische Änderungsanliegen für das Allgemeinwohl hat, abgewogen werden.231 Grundsätzlich kann der Gesetzgeber hierbei dem Gedanken der Rechtssicherheit Vorrang zu Lasten der (materiellen) Einzelfallgerechtigkeit geben. Hieraus erklären sich auch die Phänomene der Rechtskraft von Gerichtsurteilen bzw. der Bestandskraft von Verwaltungsakten.232 Die Frage, ob und inwieweit der Grundsatz des Vertrauensschutzes über das Institut der Rechtskraft hinaus im Prozessrecht eine Rolle spielt, wurde bislang vor allem im Hinblick auf die (rückwirkende) Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung und einer möglichen Selbstbindung der obersten Gerichte erörtert.233 In diesem Zusammenhang wurde eingewandt, dass Vertrauensschutz nicht gelten könne, da das Gericht nicht am materiellen Rechtsverhältnis der Parteien beteiligt sei. Vielmehr sei das Gericht objektiver Dritter, und eine Änderung der Rechtsprechung betreffe nicht das vom Vertrauensschutz geprägte Verhältnis Bürger – Staat, sondern allein das materiell rechtliche Verhältnis Bürger – Bürger.234 Die Argumentation kann aber in umgekehrter Weise auf die hier interessierende Problemstellung des Verbots der reformatio in peius übertragen werden. Denn wie bereits oben bei der Erörterung einer möglichen grundrechtlichen Gebotenheit des Verschlechterungsverbots dargelegt, geht es hierbei nicht unmittelbar um die Beurteilung materiell-rechtlicher Gegebenheiten, die das Gericht in jedem Fall als unbeteiligter Dritter vorzunehmen hat. Vielmehr geht es um die Frage, ob und inwieweit der materiellen Rechtslage auch prozessrechtliche Geltung verschafft 228 v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann5 Art. 20 Rn. 297; BVerfGE 43, 242 (286); 67, 1 (15); 68, 287 (307); 70, 69 (84); 71, 255 (272). 229 BVerfGE 76, 256 (349 f.) m. w. Nachw. zur Rspr. 230 v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann5, Art. 20 Rn. 297; Dreier/Schulze-Fielitz2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 147; BVerfGE 76, 256 (350); allgemein Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 155. 231 v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann5, Art. 20 Rn. 297; BVerfGE 63, 152 (175); 76, 256 (359); in diesem Sinne auch Kisker, VVDStRL 32 (1974), 149, 167; kritisch Schwarz, S. 31 1 ff. 232 Dreier/Schulze-Fielitz2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 150; BVerfGE 22, 322 (329); 47, 146 (161); 60, 253 (270). 233 Vgl. nur Burmeister, S. 25 ff.; Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 137 ff. mit zahlreichen Nachw. zur weiteren Lit. 234 Vgl. etwa Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 150; Burmeister, S. 32 ff.
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werden soll oder nicht.235 In diesem Fall ist das Gericht aber nicht mehr unbeteiligter Dritter, sondern direkt in seinem eigenen (prozess-)rechtlichen Bereich betroffen, in dem der Grundsatz des Vertrauensschutzes durchaus Geltung verlangt.236 Denn das Prozessrecht entscheidet über die Frage, ob und inwieweit das Gericht als staatliche Einrichtung der objektiv zu bestimmenden materiellen Rechtslage zu Gunsten oder zu Ungunsten einer privaten Partei hoheitlich geschützte Effektivität geben soll oder nicht. Geht man aber grundsätzlich von der Geltung des Vertrauensschutzes im Prozessrecht aus, so muss sich auch das Phänomen der reformatio in peius hieran messen lassen. Im Sinne der oben entwickelten Grundsätze237 ist zu fragen, ob der Rechtsmittelführer aus der Gestaltung des Zivilprozesses und der damit verfolgten Zwecksetzung einen Anknüpfungspunkt für sein Vertrauen in die Beständigkeit der ihm günstigen Teile des angefochtenen Urteils und der damit verbundenen Handlungs- und Dispositionsmöglichkeiten ableiten kann, auch wenn ein Verbot der reformatio in peius nicht ausdrücklich angeordnet ist. Gelingt dieses Unterfangen, wären die auf Grundlage dieses Vertrauens getroffenen Dispositionen, also auch das Einlegen eines Rechtsmittels, in der Weise geschützt, dass mit einer Schlechterstellung nicht gerechnet zu werden bräuchte, soweit überwiegende Belange des öffentlichen Interesses nicht entgegenstehen. Zunächst muss also die Ausgestaltung und Zwecksetzung des Zivilprozesses untersucht werden.
3. Sinn und Zweck des Zivilprozesses a) Allgemein Die Natur des Zivilprozesses und die damit verbundene Frage, ob und wenn ja, welcher Sinn ihm innewohnt hat die Prozessrechtslehre schon frühzeitig beschäftigt.238 Allein das Wort Zivilprozess sagt nur sehr wenig über dessen Natur aus. Folgerichtig sagte Stein: „Der Prozess ist für mich das technische Recht in seiner allerschärfsten Ausprägung, von wechselseitigen Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeitswerte bar.“239 Noch schärfer formulierte es Nettelbladt. Er sah im Prozess „die Kunst, mit Acten umzugehen“.240 Demgegenüber war schon der Savigny-Schüler v. Bethmann-Hollweg der Auffassung, dass es unrichtig sei, das gerichtliche Verfahren als etwas rein Äußerliches, „etwa wie Posteinrichtungen“, 235
Vgl. hierzu auch oben VI. 1. (Seiten 57 ff.). Burmeister, S. 39 ff.; Maurer, in HdbStR Bd. IV3, § 79 Rn. 152. 237 Siehe oben unter 2. (Seiten 76 ff.). 238 Allgemein zum Begriff „Zivilprozess“ statt vieler Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 1 ff. 239 Stein, Grundriß, Vorwort S. III. 240 Nettelbladt, § 8 S. 18, der unter „Acten“ jedoch nicht „Prozessakten“ meinte, sondern die sich im materiell-rechtlichen Bereich abspielenden, den Gegenstand des Prozesses bildenden, tatsächlichen Gegebenheiten, vgl. § 8 S. 17. 236
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nur durch Zweckmäßigkeitsrücksichten Bedingtes zu betrachten.241 Vielmehr sei der Prozess „ein Rechtsverhältnis organischer Natur, [das] nach einem ihm einwohnenden Gesetz entsteht, sich fortschreitend entwickelt und erlischt.“242 Auch heute wird die Suche nach Sinn und Zweck des Zivilprozesses nicht mehr ernsthaft infrage gestellt, denn es ist allgemeinhin anerkannt, dass der Prozess nicht Selbstzweck ist.243 Dies heißt jedoch nicht, dass aus einem bestimmten verfolgten Ziel gleich eine komplette Verfahrensordnung abgeleitet werden kann.244 Einzelne Verfahrensfragen – wie etwa auch die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer reformatio in peius – müssen sich jedoch an der Zwecksetzung des Zivilprozesses messen und sich in diese einordnen lassen. Im Wesentlichen werden heute drei für das Verbot der reformatio in peius möglicherweise relevante Prozessziele diskutiert: Der Schutz subjektiver Rechte, die Bewährung des objektiven Rechts und die (Wieder-)Herstellung des Rechtsfriedens.245
b) Bewährung der objektiven Rechtsordnung oder Schutz subjektiver Rechte? Vor allem die Prozessrechtslehre des ausgehenden 19. Jh. sah den Zweck des Zivilprozesses in der „Verwirklichung des objektiven Privatrechts […] zum Zwecke des Schutzes privatrechtlicher Interessen.“246 Die Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche sei hingegen nicht Ziel des Prozesses, sondern der einzelnen Klage. Vielmehr sei die Auffassung, Ziel des Prozesses sei der Schutz bzw. die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche, noch im römischen (Aktionen-) Recht verwurzelt und verwechsele Klageziel und Prozessziel.247 Weiterhin wurde vertreten, die Aufgabe des Zivilprozesses sei nicht die Durchsetzung subjektiver 241
v. Bethmann-Hollweg, Vorrede S. IX. v. Bethmann-Hollweg, S. 22. 243 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, Einl III Rn. 10; Thomas/Putzo/Reichold29, Einl VI Rn. 3. Anders etwa v. Hippel, ZZP 65 (1952), 424 (431 ff.), der jegliche Zwecksuche mit dem Argument ablehnt, sie führe entweder zu einer zu engen Definition, unter die sich nicht alle Erscheinungsformen des Prozesses fassen ließen, oder zu einer zu weiten, nichtssagenden Formel. Die Orientierung des Prozesses an seiner Aufgabe und seinem Zweck tut v. Hippel als „prozessuale Philosophie im Westentaschenformat“ (S. 432) ab. Hiergegen Stein/ Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 8. Vgl. auch Goldschmidt, S. 150 ff, 188 f, der in dem Prozess „das auf die Herbeiführung von Rechtskraft gerichtete Verfahren“ sieht und die Suche nach einem “idealen Ziel des metaphysischen Prozessbegriffs“ ablehnt; bezugnehmend auf Goldschmidt auch Rimmelspacher, S. 15, und Schmidt, S. 11 Fn. 15. 244 Vgl. etwa Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 8; Jauernig, JuS 1971, 329; Gaul, AcP 168 (1968), 27 (34 f. und 62). 245 Hinzu kommen noch weitere „sekundäre“ Zielsetzungen, wie etwa Rechtsfortbildung und Wahrung der Rechtseinheit oder die Schaffung von Rechtsgewissheit zwischen den Parteien, vgl. nur Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 14 ff. und 18 ff.; siehe auch Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (384 ff.), mit eigenwilliger Ansicht zur Herstellung von Rechtsgewissheit. 246 Wach, Handbuch, S. 1. 247 Wach, Handbuch, S. 4 f. 242
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Rechte des Einzelnen, sondern der Privatrechtsordnung zur „vollen Bewährung und Durchführung“ zu verhelfen.248 Die Festsetzung und Durchführung subjektiver Rechte sei lediglich Folge der mit der Prozessinstitution bezweckten Bewährung des objektiven Rechts.249 Heute ist man sich überwiegend einig, dass der Zivilprozess die Bewährung des objektiven Rechts nicht zum vornehmlichen und schon gar nicht zum alleinigen Ziel hat, sondern dass Prozesszweck vielmehr der Schutz subjektiver Rechte ist.250 Denn auch in der Privatrechtsordnung, deren Durchsetzung das Prozessrecht dient, stehen Anspruch und subjektives Recht im Mittelpunkt. Als Konsequenz aus dem grundsätzlichen Verbot der Selbsthilfe251 muss das vornehmliche Ziel des Zivilprozesses demnach subjektiver Rechtsschutz sein.252 Anderenfalls mangelte es subjektiven Rechten an ihrer effektiven Durchsetzbarkeit und wären diese als lediglich gedachte Ansprüche wertlos. Ausprägungen des Ziels des subjektiven Rechtsschutzes sind Antragsgrundsatz und Antragsbindung nach §§ 308, 528 etc. ZPO, Dispositionsmaxime,253 Verhandlungsgrundsatz,254 sowie die Begrenzung der Rechtskraftwirkung auf die Parteien.255 Dieses hohe Maß der Parteiherrschaft wäre kaum erklärlich, wenn es im Zivilprozess nicht gerade um den Schutz subjektiver Rechte ginge.256 Auch hinter der Verbandsklage257 stehen grundsätzlich 248
Bülow, ZZP 27 (1900), 201 (221); Schönke, AcP 150 (1949), 216 ff. In diesem Sinne Schönke, AcP 150 (1949), 216 f., mit der Einschränkung, dass im einzelnen Prozess (im Gegensatz zum Prozess als Institution) die Bewährung des objektiven Rechts durch den Schutz des auf seinem Boden sich ergebenden subjektiven Rechts als Prozesszweck angesehen werden kann. Schönke greift insoweit also wieder Wachs Unterscheidung zwischen Klagezweck und Prozesszweck auf. 250 MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 8; Stein/Jonas/Brehm-ZPO22, vor § 1 Rn. 12 (zur historischen Entwicklung dieser Ansicht Rn. 13); Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 1 Rn. 9; Stürner, FS Baumgärtel, S. 545 ff.; Rimmelspacher, S. 19 ff.; Unberath, ZZP 130 (2007), 323 (325 ff., 334); Vogel/Spühler8, Kap. 1 Rn. 14.; Grunsky, S. 5 ff.; ähnlich auch Schmidt, S. 9 ff. (insb. S. 38), der jedoch die Formulierung „Durchsetzung subjektiver Rechte“ ablehnt, da auch der Beklagte gleichberechtigter Beteiligter am Verfahren sei, dem es in der Regel nur um Klageabweisung ginge und ein Rückgriff auf Art. 2 GG hier nicht weiterführe. Schmidt schlägt vor, vom „Schutz rechtlicher Belange“ zu sprechen (S. 29). Anders wiederum Gaul, AcP 168 (1968), 27 (46 ff.), der subjektiven Rechtsschutz und Bewährung des objektiven Rechts als gleichwertige Prozessziele ansieht. Vgl. auch Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 6, der die Bewährung der Rechtsordnung durch den Umstand verwirklicht sieht, dass eine funktionierende Zivilrechtspflege Fernwirkung auf die außergerichtliche Abwicklung von Rechtsverhältnissen hat. 251 Zum Zusammenhang zwischen grundsätzlichem Selbsthilfeverbot und Justizgewährungsanspruch bereits oben unter VI. 3. (Seiten 59 ff.). 252 MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 8, Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 9; Musielak/Musielak6, Einl. Rn. 5; AK-ZPO-Schmidt, Einl. Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 1 Rn. 5. 253 Zur Dispositionsmaxime als möglicher dogmatischer Grundlage des Verschlechterungsverbots bereits oben unter V. (Seiten 50 ff.). 254 Siehe zum Verhandlungsgrundsatz bereits oben unter V. 1. (Seiten 50 ff.). 255 Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 10. 256 Rimmelspacher, S. 13. 257 Etwa nach § 1 ff. UKlaG oder § 13 Abs. 2 Ziff. 2 bis 4 UWG. 249
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subjektive Rechte, denn sie dient nicht (primär) dem Schutze eines öffentlichen Interesses, sondern des Interesses der Verbandsmitglieder.258 Vereinzelt wird der Prozesszweck des subjektiven Rechtsschutzes gar aus der Verfassung abgeleitet. Demnach entspreche der Individualrechtsschutz als zentraler Prozesszweck der zentralen Bedeutung der Grundrechte als Individualrechte.259 Hierzu wird richtig ausgeführt, dass die Bewährung der objektiven Rechtsordnung nur Folgeerscheinung des Schutzes subjektiver Rechte sei. Eine Verschiebung der Akzentsetzung sei hinsichtlich der verschiedenen Zielrichtungen des Prozesses zwar möglich, da die Gewichtung im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs Sache des einfachen Gesetzgebers sei und diesbezüglich keine verfassungsrechtlichen Vorentscheidungen getroffen würden.260 So wäre es denkbar, dass zusätzlich zum Individualrechtsschutz die Bewährung des objektiven Rechts durch einen Vertreter des öffentlichen Interesses gestärkt würde. Die Umgewichtung dürfe jedoch den Individualrechtsschutz wegen seiner grundrechtlichen Bedeutung261 nicht wesentlich beschneiden. Es wäre demnach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn der Schutz der objektiven Rechtsordnung so weit in den Mittelpunkt des Prozesses gerückt würde, dass der Schutz subjektiver Rechte lediglich als Reflexwirkung erschiene.262 Demnach soll die objektive Rechtsordnung nicht allein um ihrer selbst Willen geschützt werden.263 Denn würde es im Zivilprozess allein um die Bewährung der objektiven Rechtsordnung gehen, würden die Parteien zu bloßen Objekten des Verfahrens degradiert.264 Diese Argumentation bildet sozusagen das Gegenstück zu der oben dargelegten grundrechtlichen Verankerung der Dispositionsmaxime.265 Zum Teil wird hinsichtlich der Zwecksetzung des Zivilprozesses eine etwas andere Formulierung gewählt. Demnach sei das Ziel des Prozesses zunächst zwar die Durchsetzung des (objektiven) materiellen Rechts. Soweit dieses jedoch sub258
Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 11 m. w. Nachw.; a. A. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 1 Rn. 8 und AK-ZPO-Schmidt, Einl. 13, der diesbezüglich einen „neuartigen Prozesszweck“ in Form einer „Kombination von publizistischen Belangen und privatrechtlicher Kontrollkompetenz“ vorschlägt. 259 Stürner, FS Baumgärtel S. 545 (546.). 260 Vgl. (für die Zwecksetzung im Revisionsverfahren) BVerfGE 54, 277, 291 ff. 261 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Grundlage des Dispositionsgrundsatzes oben V. 2. (Seiten 59 ff.). 262 Stürner, FS Baumgärtel, S. 545 (546). Die von Stürner dargelegte Möglichkeit der Akzentverschiebung kann anschaulich mit einem v. Bethmann-Hollweg, S. 23, entwickelten Bild beschrieben werden. Demnach seien – wie bei allem Organischen – auch beim Prozess „Kern“ und „Schale“ zu trennen. Der Kern wäre dann als „das Bleibende“, die Schale als „das Vergängliche“ anzusehen. 263 Nach MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 8, ist Wahrung des objektiven Rechts gar nicht Aufgabe des Zivilprozesses. 264 So etwa Gaul, AcP 168 (1968), 27 (47 f.), der in der Bewährung der objektiven Rechtsordnung und dem Schutz subjektiver Rechte gleichwertige Prozessziele sieht (vgl. bereits oben Fn. 250); ausführlich zu Pawlowskis Ansicht unten in Fn. 268. 265 Siehe oben unter V. 2. (Seiten 51 ff.)
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jektive Rechte entstehen lasse, diene auch der Prozess der Verwirklichung dieser subjektiven Rechte.266 Auch wenn nach dieser Auffassung der Schutz der objektiven Rechtsordnung im Vordergrund zu stehen scheint, führt die Verknüpfung von Ausgestaltung des materiellen Rechts und Prozesszweck dazu, dass es letztlich doch um den Schutz subjektiver Rechte gehen soll, denn der Schutz des objektiven Rechts stellt sich in diesem Zusammenhang wieder nur als unmittelbare Folge des subjektiven Rechtsschutzes dar; ihm wird in Wahrheit keine eigenständige Bedeutung beigemessen: „Die Rechtsordnung ist um der einzelnen Staatsbürger willen da, denen sie ein gedeihliches Zusammenleben ermöglichen will.“267 Dieses nachrangige Verhältnis der Bewährung des objektiven Rechts gegenüber dem subjektiven Rechtsschutz ist heute allgemeinhin anerkannt268 und bildet das genaue Gegenteil der eingangs geschilderten, zum Ende des 19. Jh. vertretenen Ansicht.
c) Bedeutung der tatsächlichen materiellen Rechtslage In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Rolle der materiellen Wahrheit bzw. der tatsächlichen materiellen Rechtslage im Zivilprozess zukommt. Nach allgemeiner Ansicht bildet sie die Grundlage für die Verwirklichung der subjektiven Rechte, ohne dass die Wahrheitsermittlung damit zum eigenen Prozesszweck erhoben würde.269 Das Postulat der materiellen Wahrheit als Grundlage des subjektiven Rechtsschutzes verbindet subjektiven und objektiven Rechtsschutz. 266
Grunsky, S. 15; in diesem Sinne auch Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 9. Grunsky, S. 5 ff. 268 Vgl. die Nachw. in Fn. 250.Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (353 ff., 389), hingegen wählt einen ganz anderen Weg. Seiner Meinung nach besteht zwischen dem Individualinteresse am subjektiven Rechtsschutz und dem allgemeinem Interesse an der Bewährung der objektiven Rechtsordnung kein Gegensatz. Er macht dies am Beispiel der Revision deutlich, die nicht etwa einseitig dem Interesse der Allgemeinheit diene. Vielmehr habe der Einzelne genauso ein Interesse an der Rechtsfortbildung anhand seines Falls, wie die Allgemeinheit ein Interesse an der richtigen Entscheidung des Einzelfalls habe. Pawlowskis Ansicht wird verständlich, wenn man, wie er, eine Trennung von materiellem und prozessualem Recht ablehnt. Vielmehr sei der Prozess eine „besondere Seinsform“ des Rechts. Erst im Prozess würde das “hic et nunc“ (S. 354) anwendbare Recht, das vorher nur in abstrakter Form vom Gesetzgeber umrissen wurde, unter Zugrundelegung der Auffassungen aller Beteiligten gemeinsam entwickelt (S. 384 ff.). Gegen Pawlowskis Gleichsetzung von Einzel- und Parteiinteressen Lieb, S. 35; vgl. auch die Auseinandersetzung mit Pawlowskis Ansicht von Schmidt, S. 28 ff. 269 Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 25 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, Einl III Rn. 9; Schmidt, S. 38. Rimmelspacher, S. 16 ff.; BGHZ 10, 350 (359) verweist auf das Ziel des Zivilprozesses, das materielle Recht durchzusetzen. Nach Wach, Vorträge S. 149, ist „die Feststellung der Wahrheit […] nicht das Ziel des Civilprocesses und kann es nicht sein. Sie ist sein zufälliges Resultat. Die materielle Wahrheit ist als Processzweck nur denkbar in einem Officialverfahren […].“ Gegen diese scharfe Formulierung hat sich mit Recht Gaul, AcP 168 (1968), 27 (49) gewandt: Wach negiere durch seine Annahme den Zivilprozess als Rechtsschutzeinrichtung, da ohne Wahrheitsfindung niemandem „das Seine“ zugesprochen werden 267
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Erst hierdurch wird die Bewährung der objektiven Rechtsordnung durch den subjektiven Rechtsschutz überhaupt möglich. Auch wenn die Wahrheitsfindung gegenüber dem eigentlichen Zweck des Prozesses, dem Schutz subjektiver Rechte, nur eine dienende Funktion hat,270 spielt sie eine gewichtige Rolle,271 die nicht zuletzt durch die in § 138 Abs. 1 ZPO angeordnete Wahrheitspflicht ihren Niederschlag gefunden hat. Dass die Wahrheitsfindung aber genauso wenig wie die Bewährung der objektiven Rechtsordnung selbstständiger Prozesszweck sein kann, ergibt sich schon aus den zahlreichen Hindernissen, die die ZPO in dieser Hinsicht bereit hält. Allen voran sei hier der Verhandlungsgrundsatz genannt.272 Aber auch die Präklusionsregeln der §§ 282, 767 Abs. 2 ZPO oder die Berufungshürden nach § 511 ZPO stehen der Wahrheitsfindung eher entgegen. Augenfälliger Kulminationspunkt der nicht vorrangigen Bedeutung der materiellen Wahrheit ist aber wohl die Möglichkeit einer rechtskräftigen materiell aber unrichtigen Entscheidung.273 Betrachtet man die genannten Konzessionen an die materielle Wahrheit näher, so wird deutlich, dass sie in der Regel um eines anderen Prozessziels willen bestehen und die Wahrheitsfindung nicht ohne Grund hintangestellt wird. Vielmehr scheint es nicht wünschenswert, dass die Wahrheitssuche um jeden Preis und bis in die zeitliche und wirtschaftliche Unendlichkeit fortgesetzt wird. Denn durch den Prozess soll gleichfalls der Rechtsfrieden wieder hergestellt werden.274
d) Rechtsfrieden Auch das Bestreben nach Wiederherstellung des Rechtsfriedens muss zum vornehmlichen Ziel des Prozesses, dem Schutz subjektiver Rechte ins Verhältnis gesetzt werden. Hierzu haben sich verschiedene Lösungsansätze herausgebildet. Teilweise wird in der Herstellung des Rechtsfriedens der „ideale“ Prozesszweck gesehen. Rechtsfrieden sei dabei „der Zustand, bei dem die Rechtsgemeinschaft und in ihr der einzelne Rechtsgenosse auf der Grundlage der Persönlichkeits-, vor allem aber der Güter- und Verkehrsordnung, bestehen kann.“ Dies führe unkönne. Spätestens mit Einführung der Wahrheitspflicht (durch die Novelle vom 27.10.1933, RGBl. I, S. 780) scheint Wachs Ansicht ohnehin überholt. 270 Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 28; in diesem Sinne auch MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 8. 271 Stein/Jonas/Brehm22, vor § 1 Rn. 25; Unberath, ZZP 120 (2007), 323 (327), wählt deshalb die Formulierung, dass wesentlicher Zweck des Zivilverfahrens die möglichst genaue Feststellung subjektiver Rechte und ihre zwangsweise Durchsetzung sei (Hervorhebung im Original). 272 Hierzu oben unter V. 1. (Seiten 50 ff.). 273 Auf die verschiedenen Konzeptionen zur Vereinbarkeit vom Prinzip materieller Wahrheit mit der Rechtskraft (und Vollstreckbarkeit) materiell unrichtiger Urteile einzugehen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ein guter Überblick findet sich etwa bei Gaul, AcP 168 (1968), 27 (53 ff.). 274 MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 9; Musielak/Musielak6, Einl. Rn. 5; Zöller/Volkommer27, Einleitung Rn. 39; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, Einl III Rn. 9; Blomeyer2, § 1 I 4; Vogel/Spühler8, Kap. 1 Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 1 Rn. 10.
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weigerlich zur Privatrechtsordnung und den in ihr vorherrschenden subjektiven Rechten, deren Schutz der „reale“ Prozesszweck im Rahmen des „idealen“ sei.275 Im Zusammenhang mit den oben genannten Konzessionen an das Prinzip der materiellen Wahrheit wird andererseits deutlich gemacht, dass die Herstellung von Rechtsfrieden eine notwendige Konsequenz aus dem Prozesszweck, subjektive Rechte effektiv zu schützen, sei. Denn deren endgültige Durchsetzung würde einerseits durch ständiges Wiederaufrollen des Prozesses durch den unterlegenen Gegner, andererseits auch durch Überlastung der Gerichte durch endlose Prozessdauer bedroht.276 Letzteres Argument wird auch von denjenigen vertreten, die Rechtsgewährung als „knappes Gut“ bezeichnen, das nach einer möglichst gerechten Zuteilung von Rechtsfindungsressourcen verlangt. Zulässigkeitskriterien seien möglicherweise auch unter diesem Aspekt zu sehen.277 Welche der angebotenen Formulierungen den Vorzug verdient, ist für die hier interessierende Frage nicht von Bedeutung. Festzuhalten ist die allen Ansichten gemeinsame Aussage, dass Rechtsfrieden zwar als ein wünschenswertes Ziel des Prozesses erscheint, aber immer in Abhängigkeit zum Schutz subjektiver Rechte zu sehen ist.278
4. Rolle der Rechtsmittel im System des Zivilprozesses a) „Wesen der Rechtsmittel“ Wurde im vorigen Abschnitt die generelle Zielsetzung des Zivilprozesses beleuchtet, stellt sich nun die Frage, wie die Rechtsmittel hierin einzuordnen sind. Zudem haben verschiedene Stimmen in Literatur und Rechtsprechung versucht, dass Verbot der reformatio in peius direkt, also ohne Hinzuziehung des Vertrauensschutzgrundsatzes, aus dem „Wesen der Rechtsmittel“ abzuleiten.279 Dieser Schluss scheint angesichts der gesetzgeberischen Freiheit hinsichtlich der Gestal275
Rimmelspacher, S. 10 ff., insb. S. 23. Grunsky, S. 3 f. 277 Benda, DRiZ 1979, 357 (362); ihm folgend Stürner, FS Baumgärtel, S. 545 (551). 278 Musielak/Musielak5, Einl. Rn. 5; Rimmelspacher, S. 23 ff., 101. Schmidt, S. 14, geht sogar noch weiter und bezeichnet den Rechtsfrieden als „positives Abfallprodukt“ bei der Einrichtung des staatlichen Prozesses und warnt (im Hinblick auf rechtskräftige aber materiell unrichtige Urteile) davor, die Schaffung von Rechtsfrieden zum eigenständigen Prozesszweck zu erheben, da hierdurch von der „pathologischen“ Situation des unrichtigen Urteils auf den Zweck des Prozesses geschlossen würde; ebenso Gaul, AcP 168 (1968), 27 (59), der darauf hinweist, dass Rechtsfrieden weder Haupt- noch alleiniger Zweck des Prozesses sei; ähnlich Rosenberg/ Schwab/Gottwald16, § 1 Rn. 10, Unberath, ZZP 130 (2007), 323 (Fn. 27). Schönke, AcP 150 (1949), 216, geht hingegen davon aus, dass neben der Bewährung des Rechts die Wahrung des Rechtsfriedens selbstständiger Zweck des Zivilprozesses sei. 279 Gilles, ZZP 91 (1978), 128 (159); Reincke, S. 504; Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (345 f.); Preußisches Obertribunal Entscheidungen, Bd. 3, S. 284, 291; vgl. auch die Nachw. bei Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (29), Fn. 31–34, und Kapsa, S. 58 Fn. 1. 276
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tung der Rechtsmittel280 bedenklich. Denn es geht hierbei um eine Folgerung, die sich unmittelbar aus den Rechtsmitteln selbst ergeben soll. Die Ansicht, dass der Rechtsmittelführer durch sein Rechtsmittel aber ausschließlich begünstigt werden darf und eine reformatio in peius daher unzulässig sei, ist schon früh auf Widerstand gestoßen und wurde als petitio principii abgelehnt.281 Ohne auf die konkrete Ausgestaltung des Zivilprozessrechts und auch des Zivilrechts insgesamt zurückzugreifen, wird man das „Wesen der Rechtsmittel“ kaum erfassen können und bleibt der Begriff „Rechtsmittel“ lediglich eine leere Hülse. Anknüpfungspunkt für den Vertrauensschutz sind denn auch nicht die Rechtsmittel als quasi übergesetzliche Idee, sondern die Rechtsmittel, wie sie sich in ihrer konkreten Ausgestaltung durch den Gesetzgeber darstellen. Wenn man das „Wesen der Rechtsmittel“ in dieser Weise versteht, könnte man also auch von einer Begründung des Verbots der reformatio in peius im „Wesen der Rechtsmittel“ sprechen. Dieses Wesen, also die positivrechtliche Ausgestaltung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertungen und Gewichtungen, kann jedoch durchaus geeignet sein, ein bestimmtes schützenswertes Vertrauen in Art und Weise der zu erwartenden gerichtlichen Entscheidung in den Rechtssuchenden zu wecken.
b) Rechtsmittel als Klage Vor allem in der älteren Literatur wurde die Auffassung vertreten, Rechtsmittel seien einer (erneuten) Klage gleichzusetzen. Genauso wie der Kläger in erster Instanz schlimmstenfalls mit Abweisung seiner Klage rechnen müsse, müsse auch der Rechtsmittelführer schlimmstenfalls mit der Abweisung seines Rechtsmittels rechnen, nicht aber mit einer „Verurteilung“ im Sinne einer Schlechterstellung.282 Der Prozess würde in der Rechtsmittelinstanz nicht auf der Grundlage der Vorinstanz wiederholt oder fortgeführt, sondern entsteht mit einem neuen Streitgegen-stand, nämlich der „angeblichen Ungerechtigkeit der ersten Entscheidung“, neu.283 Auch in der aktuelleren Prozessrechtsdogmatik finden sich ähnliche Argumentationen. So wird hier das Rechtsmittel als Anfechtungsmittel gegen die ergangene Entscheidung284 und damit als „prozessuale Gestaltungsklage“ ge280 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Justizgewährungsanspruch oben unter VI. 3. b) (Seiten 63 ff.). 281 Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (31); ihm folgend Ricci, S. 101; differenzierend Lieb, S. 14 ff. 282 Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (345 f.); nicht ganz eindeutig insoweit Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 4, nach dem das Verschlechterungsverbot darauf beruhe, dass das Rechtsmittel „wie die Klage“ einseitiger Angriff sei und den „Angreifer“ nicht mehr treffen könne als die Zurückweisung des Angriffs. Grunsky verweist aber in der selben Rn. auch auf die Dispositionsmaxime als Grundlage des Verschlechterungsverbots. 283 Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (346). 284 Gilles, S. 28 ff.
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sehen.285 Der Streitgegenstand wird dabei als „Begehren einer Partei gegenüber dem angerufenen Gericht nach Aufhebung einer bestimmten richterlichen Entscheidung“ definiert.286 Das eigentliche Rechtsmittelverfahren erschöpfe sich danach in der Überprüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht mit der Möglichkeit zur Kassation.287 Mit der Vernichtung der Entscheidung sei das Prozessziel der Rechtsmittel als Anfechtungsmittel erreicht.288 Die Entscheidung in der Sache ergehe dann in einer Art separatem „Wiederaufnahmeverfahren“.289 Nach dieser Auffassung kann es aber zu einer Verschlechterung des Rechtsmittelführers nicht kommen, da die Aufhebung des angefochtenen Urteils nur erfolge, soweit sie vom Rechtsmittelführer begehrt wurde (§§ 528, 557 ZPO) und die Entscheidung diesen quantitativ beschwere. Ein Verbot der reformatio in peius werde also nur dort notwendig, wo man die Vor- und Nachteile einer Entscheidung auch anhand der Entscheidungsgründe messe.290 Diese neuere Auffassung kommt damit zwar zum selben Ergebnis wie die eingangs geschilderte, stellt aber zusätzlich noch auf die Beschwer und den in §§ 528, 557 ZPO zum Ausdruck kommenden Dispositionsgrundsatz als Barrieren für eine reformatio in peius ab.291 Die Gleichsetzung von Rechtsmittel und Klage wird von der heute herrschenden Meinung jedoch aus verschiedenen Gründen abgelehnt.292 Sich im Einzelnen hiermit auseinanderzusetzen, würde zu weit führen und bringt für den hier untersuchten Gegenstand keine weiteren Erkenntnisse. Denn selbst wenn man Rechtsmittel als Klagen begriffe und als deren Streitgegenstand die „Ungerechtigkeit“ der angefochtenen Entscheidung bzw. deren Aufhebung, ließe sich hieraus nichts im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius folgern. Ein Urteil kann auch dann unrichtig sein, wenn es den Rechtsmittelführer begünstigt.293 Wäre also die Richtigkeit des angefochtenen Urteils Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens, stünde man erneut vor der Frage, warum in diesem Fall keine Schlechterstellung 285
Gilles, S. 33, 49 ff. Gilles, S. 37. An anderer Stelle differenziert Gilles hingegen zwischen Streitgegenstand, der im Rechtsmittelverfahren derselbe sei, wie im Ausgangsverfahren, und „Streitstoff“, der abweichen könne, vgl. S. 68. Gegen die Annahme eines unterschiedlichen Streitgegenstandes in Ausgangs- und Rechtsmittelverfahren etwa Stein/Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor §§ 511 ff.) Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 137 Rn. 14; Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395 (2395 f.). D ifferenzierend Blomeyer2, S. 559 ff. 287 Gilles, S. 33 ff.; vgl. auch Fenn, S. 207, für das Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 288 Gilles, S. 35. 289 Gilles, S. 91 ff., 102 ff., 106. 290 Gilles, S. 67, Fn. 138; S. 95. 291 Zur Unzulänglichkeit der Dispositionsmaxime als dogmatische Grundlage des Verschlechterungsverbots bereits oben V. (Seiten 50 ff.). 292 Vgl. etwa MünchKommZPO-Rimmelspacher3, Vor §§ 511 ff. Rn. 3; Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (30 f.); Kapsa, S. 64 f. m. w. Nachw.; vgl. auch Stein/Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor §§ 511 ff.) Rn. 6. 293 Kapsa, S. 64 f. 286
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erfolgen soll. Folgerichtig greift auch die zweite der beiden eingangs geschilderten Auffassungen zur Erklärung der Unzulässigkeit einer reformatio in peius auf die Antragsbindung bzw. die (quantitative) Beschwer des Rechtsmittelführers zurück.294
c) Beteiligte Interessen Nach einer weiteren Auffassung, die das Verschlechterungsverbot aus dem Wesen der Rechtsmittel ableiten will, dienen Rechtsmittel vornehmlich – wenn nicht gar ausschließlich – dem Interesse des Rechtsmittelklägers. Diesem dürfte deshalb aus der Einlegung eines Rechtsmittels kein Nachteil entstehen.295 Die Vertreter der Gegenauffassung sehen hierin eine petitio principii.296 Eine petitio principii kann aber nur annehmen, wer die Rechtsmittel nicht im Zusammenhang mit dem Gesamtsystem Zivilprozess sieht. Begreift man Sinn und Zweck des Zivilprozesses als Institution darin, subjektiven Rechtsschutz dort zu gewähren, wo er von einer Partei beantragt wurde, so ist die Annahme, auch die Rechtsmittel dienten vornehmlich dem subjektiven Rechtsschutzinteresse des Rechtsmittelführers, wenn der Rechtsmittelgegner untätig bleibt, a priori nicht von der Hand zu weisen. Eher befindet sich die Begründungslast bei den Vertretern der Gegenauffassung,297 die annehmen, Rechtsmittel dienten immer auch dem öffentlichen Interesse an einer materiell richtigen Entscheidung und dem Vertrauen des Bürgers in die Rechtspflege als solcher. Denn dass die Bewährung des objektiven Rechts lediglich durch den subjektiven Rechtsschutz mit erfüllt wird, wurde bereits oben dargelegt.298 Neben dem im Rechtsmittelverfahren ebenfalls geltenden Dispositions- und Verhandlungsgrundsatz kommt als weiteres Indiz für die vorrangige Bedeutung des subjektiven Rechtsschutzes noch das Erfordernis einer subjektiven Beschwer hinzu.299 Folgerichtig dienen die Rechtsmittel „der Beseitigung einer Verletzung der Rechte einer Partei durch einen richterlichen Spruch.“300 Ob allein hieraus bereits ein generelles Verbot der reformatio in peius zu folgern ist, soll weiter unten geklärt werden. Zunächst muss noch ein Blick auf die Rolle der 294 Gilles, S. 42 f., 67, Fn. 138; S. 95. Bei Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (345 f.), tritt dieser Rückgriff hingegen nicht so deutlich zu Tage, steckt wohl aber in der Formulierung, Streitgegenstand der Rechtsmittel sei die „Ungerechtigkeit“ des angefochtenen Urteils; vgl. hierzu auch Kapsa, S. 65. 295 Gilles, ZZP 91 (1978), 128 (159 f.); so auch noch Stein/Jonas/Grunsky20, § 536 a. F. Rn. 3 (vgl. aber Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 4); siehe. i. Ü. die Nachw. bei Kapsa, S. 60, Fn. 12. 296 Vgl. nur Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (30 f.); Kapsa, S. 60; Egger, S. 23; wohl auch Ricci, S. 101. 297 Kapsa, S. 60 f. m. w. Nachw. Vgl. auch Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (31 ff.). 298 Siehe oben IX. 3. (Seiten 78 ff.). 299 So auch Lieb, S. 34. 300 Unberath, ZZP 120 (2007), 323 (332), (Hervorhebung durch den Verfasser).
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Revision im Rechtsmittelgefüge geworfen und die Frage beantwortet werden, ob das soeben Ausgeführte auch dort gilt.
d) Sonderrolle der Revision? Anders als die übrigen Rechtsmittel nimmt die Revision eine gewisse Sonderstellung ein, dient sie doch nach ihrer Konzeption nicht nur dem Interesse des Einzelnen an einer richtigen Entscheidung, sondern auch dem staatlichen Interesse an Rechtsfortbildung und Wahrung der Rechtseinheit301 und des Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtsprechung als Ganzes.302 Besonders augenfällig wird diese Zwecksetzung, wenn man die Ausgestaltung der Revision betrachtet, die sie durch das ZPO-Reformgesetz vom 27. Juli 2001303 erfahren hat. Die Beschränkung auf eine reine Zulassungsrevision zeigt in Verbindung mit den einzelnen Zulassungsgründen des § 543 Abs. 2 ZPO – Rechtssache grundsätzlicher Bedeutung (Ziff. 1), Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Ziff. 2) –, dass nur solche Fälle in die Revisionsinstanz gelangen sollen, an deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse besteht.304 Die gesonderte Aufführung der Zulassungsgründe Rechtsfortbildung und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung weisen darauf hin, dass der Tatbestand der grundsätzlichen Bedeutung weiter zu fassen ist, als dies in der 301 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, Vor §§ 511 ff. Rn. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 132 Rn. 23. Nach der Begründung des Entwurfs für die spätere Civilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 (Hahn, S. 141) war die Revision sogar vornehmlich der Notwendigkeit der Wahrung der Rechtseinheit und nicht in erster Linie dem Interesse der Parteien an einer weiteren Instanz geschuldet, vgl. hierzu auch Arens, AcP 161 (1962), 177 (181); zur Civilprozeßordnung von 1877 auch oben § 4 I. (Seiten 31 ff.). 302 MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 3, 12; Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 14; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 543 Rn. 8; Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722, S. 66, 104; BGHZ 151, 221 (227); in diesem Sinne auch BGH NJW 2005, 153. 303 BGBl. I 1887 ff. 304 MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 3; Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 3; Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. Vgl. aber auch Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 140 Rn. 8, mit dem Hinweis auf die bislang vom BGH uneinheitlich behandelten Fälle der offensichtlichen Unrichtigkeit an sich nicht revisionsfähiger Urteile. Demnach brächte die Korrektur offen-sichtlicher Verfahrensfehler meist keinen Erkenntnisgewinn für die Allgemeinheit, sondern läge primär im Interesse der einzelnen Partei. Es sei jedoch mit dem institutionellen Zweck eines obersten Gerichts, Rechtseinheit zu gewähren, kaum vereinbar, wenn die Korrektur klar erkennbarer Rechtsfehler mit dem Hinweis abgelehnt werden könne, die Rechtsfrage sei durch den BGH bereits definitiv entschieden. Diese Auslegung der Zugangskriterien sei kaum mit dem Justizgewährungsanspruch vereinbar; vgl. auch Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 10a ff.; Nassall, NJW 2003, 1345 ff.; Gottwald, Verhandlungen 65. DJT Bd. II/1 S. M10 f.; Musielak/Ball6, § 543 Rn. 8a ff.; ders. (differenzierend), Verhandlungen 65. DJT Bd. II/1 S. M22 ff. a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 543 Rn. 4; Thomas/Putzo/ Reichold29, § 543 Rn. 5; zum Justizgewährungsanspruch auch schon oben unter VI. 3. (Seiten 59 ff.).
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bisherigen Handhabung des § 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO a. F. der Fall gewesen ist. Nach damaliger Vorstellung beschränkte sich die Annahme grundsätzlicher Bedeutung auf die – nun in § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO genannten – Fälle der Rechtsfortbildung, und Rechtsvereinheitlichung.305 Nach heute herrschender Auffassung hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann306 und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.307 Grundsätzliche Bedeutung liegt aber auch dann vor, wenn andere Auswirkungen der Sache das Interesse der Allgemeinheit in besonderem Maße berühren und eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Dies soll etwa dann der Fall sein, wenn eine Vorlage an den EuGH in Betracht kommt, es also um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht.308 Demnach darf sich die Sache nicht in der Regelung der Beziehungen der Parteien erschöpfen, sondern muss Rechtsfragen beinhalten, die für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung hat bzw. deren Entscheidung Leitbildcharakter zukommt.309 Vielmehr sollen Rechtsfragen von allgemeinem Interesse Zugang zur Revisionsinstanz erhalten.310 Dass Rechtsfortbildung und Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung (auch) im Allgemeininteresse stehen, ergibt sich ohne weiteres aus sich selbst heraus. Denn die im Zuge eines Revisionsverfahrens mögliche richterliche Rechtsfortbildung gibt Leitsätze für die Auslegung der Gesetze oder schließt Regelungslücken311 über den konkreten Rechtsstreit hinaus. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung soll verhindern, dass schwerwiegende Unterschiede in der Rechtsprechung das Vertrauen in die Rechtsordnung als Ganzes erschüttern.312
305 Vgl. hierzu MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 3, 5 (mit missverständlicher Formulierung in Rn. 3, klarstellend in Rn. 5); Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 8; Ball, Verhandlungen 65. DJT Bd. II/1 S. M21; Nassall, NJW 2003, 1345 (1348); Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722 S. 104. 306 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 140 Rn. 5; Musielak/Ball6, § 543 Rn. 5; BGHZ 151, 221 (223). 307 Vgl. etwa MünchKommZPO-Wenzel3, Musielak/Ball5 § 543 Rn. 6; § 543 Rn. 6; Zöller/ Heßler27, § 543 Rn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 543 Rn. 5; Wieczorek/ Schütze/Prütting3, § 543 Rn. 12 ff.; BGHZ 154, 288 (291); BGH NJW 2004, 2222 (2223); 2005, 153; vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. 308 MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 6. 309 So ausdrücklich die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 14/4722, S. 67, 104; vgl. auch MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 8; Musielak/Ball6 § 543 Rn. 6; Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 543 Rn. 5, BGH-NJW 2002, 3029 f. (für die Rechtsbeschwerde); 2004, 2222 (2223); 2005, 153. 310 Wieczorek/Schütze/Prütting3, § 543 Rn. 12. 311 MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 11.; Musielak/Ball5 § 543 Rn. 7. 312 MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 12; Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 13; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 543 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold29, § 543 Rn. 4b; Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722, S. 104; BGHZ 151, 221 (227); in diesem Sinne auch Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 140 Rn. 8 m. w. Nachw.
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Doch auch wenn der Revision durch die Zivilprozessreform mehr denn je die im Allgemeininteresse stehende Aufgabe der Rechtsfortbildung und Wahrung der Rechtseinheit zukommt, so ändert dies nichts daran, dass sie ein dem subjektiven Rechtsschutz und der Einzelfallgerechtigkeit verpflichtetes Parteirechtsmittel bleibt.313 Beide Aufgaben stehen zueinander auch nicht notwendig im Widerspruch. Vielmehr ist das öffentliche Interesse als eine Art Auswahl- und Begrenzungskriterium zu verstehen.314 Die Zulassungsvoraussetzungen dienen dabei der quantitativen Begrenzung des Rechtsmittels, die Ausgestaltung des Verfahrens (v. a. die Begrenzung auf rechtliche Fragen) soll den Verfahrensumfang im Einzelfall einschränken. Primäres Ziel der Revision bleibt der subjektive Rechtsschutz.315 Auch hier lässt sich die oben dargestellte Ansicht316 anführen, die den Zweck des Zivilprozesses, subjektiven Rechtsschutz zu gewähren, aus dem Grundgesetz ableitet, und feststellt, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Zielsetzung des Zivilprozesses zwar gewisse Akzentsetzungen vornehmen kann, was im Falle der Revision in Richtung Allgemeininteresse geschehen ist. Diese Akzentsetzung darf jedoch nicht dazu führen, dass das eigentliche Ziel, der subjektive Rechtsschutz, nur noch als Reflex anzusehen ist.317 Dass die Revision nach wie vor der Einzel313
Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 132 Rn. 23 und § 140 Rn. 1; vgl. auch Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 6, 8 f. und Vorbemerkung zu §§ 542 ff. Rn. 5 ff; Nassall, NJW 2003, 1345 (1349). Gottwald, Verhandlungen 65. BJT Bd. II/1 S. M9. Auf die diesbezüglich gegenläufigen Tendenzen der Rechtsprechung weist Roth, JZ 2006, 9 (16 f.), hin. Vgl. aber noch zur Revision nach altem Recht BVerfGE 54, 277 (288), wonach „der Fall der Parteien entschieden [wird] – nicht ‚die Rechtsfrage‘“. Missverständlich Arens, AcP 161 (1962), 177 (181). 314 In diesem Sinne auch MünchKommZPO-Wenzel3, § 543 Rn. 3 (individuelles Interesse an der Einzelfallentscheidung wird nur insoweit geschützt, als Inanspruchnahme des Revisionsgerichts auch im Interesse der Allgemeinheit liegt); Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 132 Rn. 23 und § 140 Rn. 1; Rimmelspacher, FS Schumann S. 327 (329). 315 Anders als etwa bei der cassation des französischen Rechts, die gemäß Art. 618–1 CPC eine zeitlich und umfänglich unbegrenzte Überprüfung „dans l’intérêt de la loi“ oder „dans l’intérêt public“ durch die Staatsanwaltschaft zulässt; vgl. Leipold, Rechtsstaat – Rechtsmittelstaat, S. 79; Couchez14, § 450. 316 Siehe oben bei Fn. 262. Zöller/Heßler27, Vor § 542, Rn. 6 führt darüber hinaus an, dass § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO gerade zur Vermeidung einer zu starken Akzentverschiebung Richtung Allgemeininteresse eingeführt worden sei und nunmehr die Möglichkeit vorsehe, nur im Einzelfall unrichtige Entscheidungen zu korrigieren, ohne dass der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommen müsse. Zu beachten ist dabei jedoch, dass § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO immerhin vorsieht, dass die Revisionsentscheidung dann der Rechtsfortbildung bzw. der Wahrung der Rechtseinheit dienen muss, die ebenfalls vornehmlich im Allgemeininteresse stehen. 317 So auch Zöller/Heßler27, § 543 Rn. 8 und Vor § 542 Rn. 5 ff. Nicht ganz eindeutig insoweit Unberath, ZZP 120 (2007), 323 (332 ff.), nach dessen Ansicht bei der Revision Allgemeininteressen und nicht Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund stehen und über ein rechtsmittelunabhängiges Vorlageverfahren zumindest nachzudenken sei. Letztlich entscheidet sich aber auch Unberath für eine parteiinitiative dritte Instanz, jedoch mit der Begründung, dass die betroffenen Parteien am ehesten in der Lage seien „praktische Bedürfnisse für Rechtsfortbildung und Rechtseinheit“ festzustellen. Rimmelspacher, FS Schumann S. 327 (350), lehnt ein Vorlageverfahren oder die Einführung eines Vertreters öffentlicher Interessen im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich ab, da auch die Parteiinitiativen genügend Revisionsverfahren in Gang setzten, damit dieses seiner Aufgabe gerecht würde.
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fallgerechtigkeit dient, beweist aber nicht zuletzt die Notwendigkeit eines parteiseitigen Rechtsmittelantrags und einer Beschwer des Antragstellers sowie die parteiseitige Kostenlast.318 Zudem wird dies mittelbar durch die Neuregelung der Anhörungsrüge in § 321a ZPO319 deutlich,320 der im Gegensatz zu § 321a ZPO a. F. alle anfechtbaren instanzbeendenden Entscheidungen der Rüge unterwirft, also auch Revisionsentscheidungen oder etwa die Abweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde.321 Hierdurch wird klargestellt, dass es den Parteien auch in der Revisionsinstanz möglich sein muss, ihre subjektiven Rechte geltend zu machen und es nicht nur auf die Wahrung von Allgemeininteressen ankommt. Im Vergleich dazu sei die Rolle der Einheitsbeschwerde des schweizerischen Bundesrechtsmittelrechts nach Art. 72 ff. BGG ausdrücklich anders aufzufassen. Sie soll in erster Linie einer einheitlichen Rechtsanwendung, der Rechtsfortbildung und Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung dienen. Der Bundesrat hat bei der Schaffung der Einheitsbeschwerde deutlich gemacht, dass sie eben keine letzte Appellationsinstanz für den Einzelnen darstelle, sondern der subjektive Rechtsschutz allein durch die Vorinstanzen zu gewähren sei, was auch den fehlenden Suspensiveffekt der Einheitsbeschwerde erkläre.322 Ob allein aus der Vernehmlassung des Bundesrates gefolgert werden kann, dass die Einheitsbeschwerde tatsächlich und ihrer Ausgestaltung nach nicht dem subjektiven Rechtsschutz dient, scheint fraglich. Immerhin wird auch hier das Gericht nicht ex officio tätig und wiegt das Antragserfordernis und die Antragsbindung des Art. 107 BGG schwer. Zudem fordert Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG ein individuelles Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers. Allein der fehlende Suspensiveffekt als einzig positiv-rechtlich greifbarer Nachweis für die vom Bundesrat unterstellte Zwecksetzung reicht zur Beseitigung eines in den Bestand der günstigen Entscheidungsteile gesetzten Vertrauens wohl nicht aus. Wäre die Einheitsbeschwerde tatsächlich allein ein Instrument zu den vom Bundesrat erwähnten objektiven Rechtszwecken, müssten mit ihr grundsätzlich alle Fehler der angefochtenen Entscheidung korrigiert werden dürfen.
318
So auch Lieb, S. 34. Eingeführt durch das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf recht-liches Gehör vom 9.12.2004 (BGBl. 3220); vgl. für das Revisionsrecht § 544 Abs. 7 und i. Ü. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/3706 S.15 ff. 320 Zöller/Heßler27, Vor § 542 Rn. 7. 321 MünchKommZPO-Musielak3, § 321a Rn. 1 f.; Zöller/Vollkommer27, § 321a Rn. 5; differenzierend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 321a Rn. 4, der darauf hinweist, dass § 321a ZPO auf Grund seiner Stellung eigentlich nur in der ersten Instanz gelte. In der Praxis werde sich aber wegen des Wegfalls der Worte „vor dem Gericht des ersten Rechtszugs“ eine Ausweitung des Geltungsbereichs durchsetzen, die im Grunde aber auch sinnvoll sei. 322 Botschaft des Bundesrates, BBl. 4202 (4342); Seiler/v. Werdt/Güngerich, Art. 103 Rn. 4; siehe hierzu bereits oben § 3 IV. 1. (Seiten 30 ff.). 319
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5. Bedeutung für das Verbot der reformatio in peius Damit steht also fest, dass primäres Ziel des Zivilprozesses – und folglich auch der Rechtsmittel – der Schutz und die Durchsetzung subjektiver Rechte ist und sich die weiteren Zwecksetzungen wie Wahrheitsfindung, Bewährung der objektiven Rechtsordnung, Sicherung des Rechtsfriedens etc. diesem Ziel unterzuordnen haben. Die Beantwortung der Frage nach Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer reformatio in peius muss demnach auch beim subjektiven Rechtsschutz ansetzen. Dass es wegen des Dispositionsgrundsatzes jedenfalls dann nicht um den subjektiven Rechtsschutz des Rechtsmittelgegners323 gehen kann, wenn dieser nicht auch selbst (Anschluss-)Rechtsmittel eingelegt hat, wurde bereits dargelegt.324 Wenn es aber um den subjektiven Rechtsschutz des Rechtsmittelführers geht, so scheint eine reformatio in peius diesem zunächst entgegen zu stehen, verkürzt sie doch den durch die Vorinstanz gewährten Schutz. Es darf hierbei jedoch nicht unterschlagen werden, dass subjektiver Rechtsschutz nur auf Grundlage materieller Wahrheit gewährt werden soll. Weicht aber das angefochtene Urteil zu Gunsten des Rechtsmittelführers von der tatsächlichen materiellen Rechtslage ab, so dürfte er auch keinen gerichtlichen Schutz verlangen. So wurde denn auch früher die Auffassung vertreten, dass die Suche nach der materiellen Wahrheit325 dann nicht zu Gunsten einer bloß formellen Wahrheit auf der Strecke bleiben kann, wenn die materielle Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils lediglich auf einem Fehler des Gerichts beruht. Die Möglichkeit der Gegenpartei, ein (Anschluss-)Rechtsmittel einzulegen und so die Beseitigung des Fehlers herbeizuführen, reiche als Korrektiv nicht aus, da es nicht ungewöhnlich sei, dass die Parteien „ihren Vortheil nicht gehörig wahrnehmen.“ Im Falle einer falschen Gerichtsentscheidung bestehe aber ein öffentliches Interesse an der Fehlerkorrektur, weswegen den Parteien ihre grundsätzliche Prozessherrschaft aus der Hand genommen werden müsse. Diese bestehe nämlich gerade auf Grund der (bis dahin herrschenden) „Interessenlosigkeit“ des Staates. Ließe man nun aber eine reformatio in peius zu, so würde man damit die Schwierigkeiten der Adhäsion aus dem Weg räumen und dem Ziel des Prozesses – dem Auffinden der materiellen Wahrheit – näher kommen.326 323
Vgl. hierzu Schmidt, S. 28 f., der ein Recht der Gegenpartei aus Art. 2 Abs. 1 GG erwägt, letzt-lich aber verwirft und vorschlägt, vom „Schutz rechtlicher Belange“ zu sprechen (siehe bereits oben Fn. 250). 324 Siehe oben V. 3. a) (Seiten 52 ff.) und V. 5. b) (Seiten 53 ff.). 325 Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (53), spricht von „materiellem und formellen Recht“, meint damit aber das heute gebräuchliche Begriffspaar „materielle und formelle Wahrheit“. 326 Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (51 ff.). Indem Schultzenstein Verschlechterungsverbot und materielle Wahrheit auf diese Weise zusammenführt, macht er jedoch deutlich, dass das Verbot der reformatio in peius – entgegen seinen Äußerungen auf S. 46 – nicht allein eine Frage der „praktischen Zweckmäßigkeit“ ist, sondern eben doch eine „wissenschaftliche Prinzipienfrage“; a. A. Ricci, S. 105, und Zimmermann, RPfleger 1959, 251 (255 f.), die aber beide im Ergebnis auf den Dispositionsgrundsatz zurückgreifen.
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Auch wenn das Auffinden der materiellen Wahrheit nicht primäres Ziel des Prozesses ist, sondern die tatsächliche materielle Rechtslage lediglich den Rahmen für den durch den Prozess zu gewährenden subjektiven Rechtsschutz bildet, ist der dargestellten Auffassung zumindest im Ansatz durchaus zuzustimmen. Soll subjektiver Rechtsschutz auf Grundlage materieller Wahrheit gewährt werden, entsprechen unrichtige Urteile nicht dieser Zwecksetzung und verlangen grundsätzlich nach Korrektur. In ihrem rigorosen Wahrheitsansatz ist die dargestellte Argumentation dennoch nicht ganz stimmig. Denn selbst wenn man annimmt, dass die Parteiherrschaft dann aufhört, wenn ein Gericht ein falsches Urteil erlassen hat, müsste das Rechtsmittelgericht konsequenterweise über den gesamten Streitstoff der Vorinstanz entscheiden dürfen. Eine Begrenzung durch den Rechtsmittelantrag käme dann nicht in Frage. Trotzdem hält die dargestellte Auffassung an der Möglichkeit der Begrenzung des devolvierten Streitstoffes durch die Parteien fest, so dass sich dort die Frage nach der Zulässigkeit einer reformatio in peius nur im Hinblick auf den devolvierten Teil stellt.327 Zudem müsste bereits die Einleitung des Korrekturverfahrens von Amts wegen erfolgen. Denn wenn die Zulässigkeit der reformatio in peius gerade aus dem durch den Fehler des Gerichts begründeten öffentlichen Korrekturinteresse abgeleitet werden soll, sollte die Geltendmachung dieses öffentlichen Interesses konsequenterweise auch nicht in die Hände der Parteien sondern in die des Gerichtes oder eines anderen Sachwalters des öffentlichen Interesses gelegt werden.328 Dass zudem die Einleitung einer solchen Korrektur gerade dann, wenn ein Verbot der reformatio in peius nicht gilt, auch aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht den Parteien überlassen werden sollte, wurde bereits oben dargelegt.329 Die Argumentation beruht zudem auf der Annahme, dass die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts grundsätzlich die bessere sei als die des Ausgangsgerichts. Dies ist jedoch lediglich eine Vermutung, die keine Verankerung im Gesetzt findet. Konnte man für diese Vermutung früher noch den Umstand anführen, dass das Rechtsmittelgericht im Gegensatz zur Vorinstanz als Kollegialorgan (bzw. im Falle der Revision mit einer größeren Richterzahl) entscheidet, so hat sich dies durch die Zivilprozessreform330 geändert. Denn § 526 ZPO sieht nunmehr vor, dass die Berufungsentscheidung grundsätzlich ebenfalls durch einen Einzelrichter gefällt wird. Es ist aber keineswegs anzunehmen, dass der Einzelrichter in der Berufungsinstanz grundsätzlich besser qualifiziert wäre und damit eine „richtigere“ Entscheidung träfe als der Ausgangsrichter.331 Dass die höhere Instanz generell den besseren juristischen Fachverstand habe, erscheint recht zweifelhaft.332
327
Schultzenstein, ZZP 31 (1903), 1 (56 f.). Vgl. hierzu auch die entsprechenden Ausführungen Stürners, oben unter IX. 3. b) (Seiten 79 ff.). 329 Siehe oben unter V. 4. (Seiten 56 ff.). 330 Zivilprozessreformgesetzt vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887 ff.). 331 Vgl. hierzu auch Hau, NJW 2005, 712. 332 Diese Annahme aber zumindest erwägend Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569 (2572). 328
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Der moderne Zivilprozessgesetzgeber hat sich jedoch auch bewusst gegen eine lex ampliorem und gegen eine communio appellationis entschieden und den privaten Rechtsschutz in die Hände der Parteien gelegt. Denn die oben geschilderte Ansicht räumt der materiellen Wahrheit einen zu großen eigenen Stellenwert ein. So ist das „Untätigbleiben“ der Gerichte bei materiell unrichtigen Urteilen auch nicht einer „Interessenlosigkeit“ des Staates geschuldet, sondern der Pflicht, sich der eigenmächtigen Rechtsschutzgewährung (oder -entziehung) zu enthalten. Wenn es vornehmliches Ziel des Zivilprozesses ist, subjektiven Rechtsschutz und nicht materielle Richtigkeit um jeden Preis zu gewährleisten, kann eine parteiunabhängige Fehlerkorrektur nicht Aufgabe der Rechtsmittel sein.333 Insoweit unterscheidet sich der Zivilprozess maßgeblich vom Verwaltungsverfahren, insbesondere vom Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO. Denn dort spielen Aspekte des öffentlichen Interesses eine ungleich größere Rolle. Folgerichtig werden für die Zulässigkeit einer reformatio in peius die Selbstkontrollfunktion des Widerspruchsverfahrens und die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 GG als Argumente ins Feld geführt, die in dieser Weise für den Zivilprozess keine Geltung beanspruchen können. Immerhin könnte man einwenden, dass es auch in einem Rechtsmittelverfahren mit antragsunabhängiger Fehlerkorrektur um die subjektiven Rechte des Rechtsmittelführers gehe. Auch das Rechtsmittelgericht beschäftigt sich mit der Frage, ob das in der Vorinstanz geltend gemachte Recht tatsächlich in der im angefochtenen Urteil zum Ausdruck kommenden Weise zu schützen ist oder nicht. Entscheidender Unterschied ist jedoch, dass vor Beginn des Rechtsmittelverfahrens ein Urteil ergangen ist, das das Gericht ohne Initiative einer Partei nicht mehr verändern kann. Der Erlass des (erstinstanzlichen) Urteils bildet eine Zäsur und einen Tatbestand, an den das Vertrauen des Rechtsmittelführers in die Beständigkeit des Urteils anknüpfen kann. Würde man die Kontrolle der Rechtsmittelinstanz in das vorinstanzliche Verfahren integrieren,334 stellte sich das Problem einer reformatio in peius überhaupt nicht, da eine definitive Entscheidung, ob Rechtsschutz gewährt wird oder nicht, noch gar nicht getroffen wurde. Erst mit Verkündung der Entscheidung wird Rechtsschutz gewährt, und zwar in einer nicht mehr allein durch das Gericht veränderbaren Weise. Entscheidet sich der Rechtsmittelführer aber, es nicht bei dem ergangenen Urteil bewenden zu lassen, und legt Rechtsmittel ein, so kann er darauf vertrauen, dass es auch in dem darauf folgenden (Rechtsmittel-)Verfahren um seinen subjektiven Rechtsschutz geht und nicht um eine Reduzierung des bereits erreichten Schutzes im Allgemeininteresse. Anderenfalls hieße das, den Rechtsmittelführer zum „Prozess-
333 In diesem Sinne auch MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 2, der das Verbot der reformatio in peius zumindest „letztlich“ auch auf den Gedanken des Vertrauensschutzes zurückführt. 334 Zu denken wäre etwa an die bereits oben auf Seiten 65 ff. erwähnten Vorlageverfahren bei schwierigen Sach- oder Rechtsfragen.
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standschafter des objektiven Rechts“335 bzw. eines öffentlichen Korrekturinteresses zu machen. Das BVerwG führt zwar aus, der Kläger habe kein Recht auf risikolose Rechtsmittel, und Korrelat zum Verbot der reformatio in peius sei die Anschlussmöglichkeit der Gegenpartei.336 Diese Aussage betrifft jedoch nur das Risiko einer Verschlechterung auf Grund des Anschlussrechtsmittels der Gegenpartei und eben nicht das Risiko einer amtswegigen Verschlechterung. Die Zielsetzung des Anschlussrechtsmittels fügt sich auch bündig in den hier dargelegten Zweck des Zivilprozesses ein. Denn mit der Anschließung sollen in erster Linie die subjektiven Rechte der Gegenpartei gerichtlich geschützt und durchgesetzt werden. Dass Anschlussrechtsmittel das Fällen materiell richtiger Entscheidungen unterstützen können, hierfür aber grundsätzlich keine probaten Mittel sind, wurde bereits oben dargelegt.337 Dass aber der Rechtsmittelführer im Übrigen mit einer Anschließung zu rechnen hat, geht anders als die Möglichkeit einer amtswegigen reformatio in peius eindeutig aus dem Gesetz hervor. Mit der gesetzlichen Regelung der Adhäsion fehlt einem eventuell bestehenden Vertrauen in die diesbezügliche Risikolosigkeit des eigenen Rechtsmittels aber der Anknüpfungspunkt. Wollte der Gesetzgeber darüber hinaus eine Urteilskorrektur zu Lasten des Rechtsmittelführers ermöglichen, müsste er auch hier den Anknüpfungspunkt für das Vertrauen des Rechtsmittelführers beseitigen und die Möglichkeit einer antragsunabhängigen reformatio in peius ausdrücklich gesetzlich verankern. Dem Rechtsmittelantrag käme dann nur noch die oben erwähnte, nicht unbedingt zweckmäßige Auslesefunktion zu.338 Dass dies eine Änderung der gesetzgeberischen Wertentscheidung, wie sie in der heutigen Konzeption des Zivilprozesses und des Rechtsmittelrechts zum Ausdruck kommt, bedeutete und einen dogmatischen Bruch darstellte, haben die bisherigen Ausführungen deutlich gemacht. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, dem Rechtsmittelrecht eine andere Zwecksetzung zukommen zu lassen. Solange dies nicht geschehen ist, darf sich der Rechtsmittelführer aber auf die Risikolosigkeit des Rechtsmittels hinsichtlich einer adhäsionsunabhängigen reformatio in peius ex officio verlassen. Entsprechend den obigen allgemeinen Ausführungen zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutz339 kann eine Ausnahme nur dort gemacht werden, wo höherrangige Allgemeininteressen oder besonders schutzwürdige Interessen der Gegenpartei bzw. Dritter, die nicht durch die Betroffenen selbst geltend gemacht werden können 335 Vgl. Grunsky, S. 5; ihm folgend Lieb, S. 31. Nach MünchKommZPO-Rauscher3, Einleitung Rn. 8, ist Wahrung der objektiven Rechtsordnung überhaupt nicht Zweck des Zivilprozesses. 336 BVerwGE 14, 175, 180. 337 Dass hierdurch auch der materiellen Wahrheit gedient sein kann, wurde oben bereits dargelegt, vgl. II. 2. (Seiten 37 ff.). 338 Siehe oben unter VI. 3. b) (Seiten 63 ff.). 339 Siehe oben unter X. (Seiten 96 ff.).
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oder regelmäßig nicht von ihnen geltend gemacht werden, dem Schutz des Rechtsmittelführers entgegenstehen.340 Auch für die Geltung des Verschlechterungsverbots im Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird bei Antragsverfahren überwiegend danach differenziert, welchen Interessen das jeweilige Verfahren dient. Stehen öffentliche Interessen oder solche schutzwürdiger Dritter im Vordergrund, wird eine reformatio in peius für zulässig gehalten. Geht es hingegen vornehmlich um die subjektiven Rechte der Parteien, soll eine reformatio in peius verboten sein. Auf die Antragsbindung allein kommt es hierbei nicht an.341 Es sind dies dann aber eher Fragen des Verbotsumfangs im Einzelfall.342
X. Zusammenfassung Somit ist festzuhalten, dass eine reformatio in peius dem Sinn und Zweck des Zivilprozesses nach seiner momentanen Konzeption und wie er sich für den Einzelnen darstellt, in den Fällen nicht entspricht, in denen nur eine Partei ein Rechtsmittel einlegt. Dies bedeutet zwar nicht, dass es dem Gesetzgeber generell verwehrt wäre, eine reformatio in peius positiv-rechtlich anzuordnen.343 Jedoch darf der Einzelne, sofern eine solche Anordnung fehlt, darauf vertrauen, dass sein (alleiniges) Rechtsmittel im Sinne des ihm günstigen subjektiven Rechtsschutzes allenfalls ergebnisneutral für ihn ausfällt und dass die Gegenpartei selbst für ihren gerichtlichen Rechtsschutz zu sorgen hat. Dürfte die Rechtsmittelinstanz die angefochtene Entscheidung auch ohne positiv-rechtliche Anordnung zu seinen Ungunsten abändern, verletzte dies das berechtigte Vertrauen des Rechtsmittelführers in die Beständigkeit der ihm günstigen Teile der Entscheidung344 und die ihm hieraus erwachsenden Dispositions- und Handlungsmöglichkeiten. Dies gilt ganz unabhängig von der materiellen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Das Verbot der reformatio in peius ist also weder eine dem Rechtsmittelführer gewährte Rechtswohltat345 noch eine aus bloßer Prozesspolitik bestehende Regelung, sondern ein rechtsstaatliches Gebot des Vertrauensschutzes, der seinerseits nur zum Teil auf der Dispositionsmaxime beruht. Hieraus folgt auch, dass ent340 Vgl. nur Kapsa, S. 117, in Anlehnung an Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (468), der auch hier, diesmal aber zu Recht, von einem „Besitzstand auf unhaltbarer Grundlage“ spricht. 341 Statt vieler Bumiller/Winkler8, § 25 Rn. 5; Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl15, § 19 Rn. 115 f.; Jansen/Briesenmeister3, § 25 Rn. 15; Bassenge/Roth11, § 24 Rn. 13; Zimmermann, RPfleger 1959, 251 (256 f.); Lieb, S. 83 ff.; a. A. Hofmann, S. 212 f.; Kapsa, S. 95 ff. 342 Hierzu sogleich in Teil 3. 343 I. E. ähnlich auch Sartorius, AcP 31 (1848), 313 (346), der allerdings eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme zum grundsätzlichen Verbot der reformatio in peius ausreichen lässt. 344 In diese Richtung BGH NJW 1986, 1494 (1496), allerdings unter Rückgriff auf BGH NJW 1983, 173 (174), wo das Verbot noch als „Rechtswohltat“ bezeichnet wurde. 345 BGH NJW 1983, 173 (174).
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gegen einer häufig vertretenen Ansicht346 das Verbot nicht generell dort ausscheidet, wo das Gericht über eine Sache antragsunabhängig von Amts wegen zu entscheiden hat. Der Umstand, dass eine gerichtliche Entscheidung von Amts wegen vorzunehmen ist, stellt lediglich ein Indiz dafür dar, dass nicht die Parteiinteressen im Vordergrund stehen und deshalb auch kein hierauf basierender Vertrauensschutz entstehen kann. Doch auch wenn eine ex officio erfolgende Entscheidung diese Indizwirkung haben mag, so muss dennoch im Einzelfall überprüft werden, ob die Entscheidung tatsächlich losgelöst vom Parteiinteresse getroffen wird oder ob andere Gründe eine Entscheidung von Amts wegen erfordern, die den Vertrauensschutz unberührt lassen. Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass sich entgegen anderslautender Ansichten in der Literatur347 das Verbot der reformatio in peius – zumindest für den Zivilprozess – auf eine dogmatische Grundlage in Form des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes zurückführen lässt, die in ihrer Anwendung auch zu brauchbaren Ergebnissen führt. Wie weitreichend der Schutz des Verschlechterungsverbots geht, richtet sich generell danach, welche Handlungsmöglichkeiten dem Rechtsmittelführer durch das angefochtene Urteil unverrückbar eröffnet wurden, wenn man etwaige Rechtsmittel der Gegenpartei außer acht lässt. Umfang und Reichweite des Verbots sollen Gegensand der weiteren Ausführungen sein.
346 Vgl. etwa Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 15; ähnlich auch MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 52; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 35, jeweils zur Begründung, warum das Verbot bei der Kostenentscheidung nicht gelte; hierzu noch ausführlich unten § 15 I. (168 ff.). 347 Siehe oben unter I. (Seiten 33 ff.).
Teil 3
3
Verbotsumfang und Geltungsbereich Teil 3: Verbotsumfang und Geltungsbereich
§ 6 Verbotsmaßstab im Allgemeinen § 6 Verbotsmaßstab im Allgemeinen
Nachdem im vorangegangenen Teil die dogmatische Verankerung des Verbots der reformatio in peius im Zivilprozessrecht untersucht wurde, muss nun der Verbotsumfang bestimmt werden. Dabei geht es im Wesentlichen um zwei Fragestellungen: Zum einen soll geklärt werden, welche Entscheidungsinhalte geeignet sind, einen durch das Verbot geschützten Besitzstand1 des alleinigen Rechtsmittelführers darzustellen, welcher Maßstab also in dieser Sache anzulegen ist (hierzu sogleich). Zum anderen muss aber auch der Frage nachgegangen werden, in welchen Entscheidungskonstellationen das Verbot virulent werden kann (hierzu unter § 8). Zwar herrscht hinsichtlich der generellen Bestimmung des Verbotsmaßstabs heute weitgehend Einigkeit. Abgestellt wird in erster Linie auf den rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Teilweise werden auch die innerprozessuale Bindungswirkung, die Gestaltungs- bzw. Tatbestandswirkung und die Vollstreckungswirkung als Verbotsmaßstab mit hinzugezogen.2 Hinsichtlich der Behandlung einzelner Fallkonstellationen tauchen jedoch immer wieder Fragen auf. Es scheint daher sinnvoll, den Verbotsmaßstab zunächst generell zu bestimmen, bevor in einem zweiten Schritt die gefundenen Ergebnisse auf die strittigen Fälle angewendet werden (hierzu in Teil 4).
1 Die Verwendung des Begriffs „Besitzstand“ in diesem Zusammenhang geht vermutlich auf Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (466 ff.) zurück; vgl. ferner MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 27; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 14; Kapsa, S. 116 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald16, § 138 Rn. 12. Freitag, S. 10 Fn. 16, bevorzugt indessen den Begriff „Rechtsstellung“, da dieser neutraler sei. 2 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 28 ff.; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 5 ff.; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 15 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 4 ff.; Wieczorek/Schütz/Gerken3, § 528, Rn. 40 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 141 II 2; Blomeyer2, § 99 I 1; Schellhammer11, Rn. 1033; Kapsa, S. 117 ff.; ähnlich auch Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 ff., wenngleich ohne ausdrückliche Bezug-nahme auf die Rechtskraft. Eine einzelfallorientierte Bestimmung des Verbotsumfangs favorisiert Lieb, S. 93, der hierfür aber auch Rechtskraftaspekte heranzieht (vgl. etwa dens., S. 97).
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I. Bedeutung der Rechtskraft 1. Allgemein Die Rechtskraft einer Entscheidung scheint im Hinblick auf den Vertrauensschutzgrundsatz als dogmatische Grundlage des Verschlechterungsverbots als probater Maßstab zur Bestimmung des Verbotsumfangs. Geht es doch um die Frage, was der Rechtsmittelführer schon gewonnen hat, auf was er vertrauen kann, ließen er und die Gegenpartei es bei dem Urteil bewenden und legten keine Rechtsmittel ein und welche (prozessualen) Handlungsmöglichkeiten ihm durch die Feststellungen des Urteils gegeben wurden. Gewonnen hat der Rechtsmittelführer aber in erster Linie das, was nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in materielle Rechtskraft erwüchse. Denn die (materielle) Rechtskraft bindet jedes Gericht an die einmal rechtskräftig gewordene Entscheidung.3 Sind Streitgegenstand des Vorprozesses und eines neuen Verfahrens identisch, ist die neue Klage unzulässig, weshalb die Rechtskraft auch als negative Sachurteilsvoraussetzung bezeichnet wird.4 Folglich geht auch die heute herrschende Meinung von einer zentralen Bedeutung der materiellen Rechtskraft für das Verbot der reformatio in peius aus.5 Allgemein hält man das Verschlechterungsverbot immer dann für betroffen, wenn und soweit eine dem Rechtsmittelkläger günstige, rechtskraftfähige Entscheidung aufgehoben oder abgeändert wird oder ihm rechtskraftfähige Belastungen auferlegt werden.6
2. Bedeutung der Entscheidungsgründe Mit dem Verweis auf den rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung ist jedoch nur vordergründig Klarheit gewonnen. Denn es gibt wohl wenige Dinge in der Rechtswissenschaft, um die sich so viele Streitigkeiten ranken, wie das Phänomen der Rechtskraft. Besonders augenfällig wird dies bei den gerichtlichen Entscheidungen, bei denen sich der Umfang ihrer Rechtskraftwirkung nicht allein aus dem Tenor ergibt. Als Beispiel seien hier zwei Fallkonstellationen genannt, auf die noch an späterer Stelle ausführlich eingegangen werden soll: Es betrifft dies zum einen den Fall, dass eine Klage in erster Instanz mangels Fälligkeit als zur Zeit unbegründet abgewiesen wurde. Zum anderen ist an den Fall zu denken, dass die Klage in erster Instanz als unzulässig abgewiesen wurde. Zwar wurde die Klage in beiden Fällen vollständig abgewiesen, doch die Frage, warum abgewiesen wurde und welche prozessualen bzw. materiell-rechtlichen Möglichkei3 Statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 150 Rn. 5, auch zu den verschiedenen Rechtskrafttheorien; vgl. auch Musielak9, Rn. 562 ff. 4 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 150 Rn. 10 ff., mit zahlreichen Nachw. zur Rspr. 5 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 2. 6 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 28.
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ten mit der Abweisung vernichtet wurden bzw. hiervon unberührt bleiben, kann erst unter Hinzuziehung der Urteilsgründe beantwortet werden. Denn im Gegensatz zur Abweisung als endgültig unbegründet ist es hier zumindest denkbar, dass zu einem späteren Zeitpunkt Umstände eintreten, die der Klage bei erneuter Erhebung doch noch Erfolg bescheren. Demnach muss zunächst geklärt werden, ob und inwieweit ein Zusammenhang zwischen Rechtskraft und Entscheidungsgründen besteht.
a) Entscheidungsgründe und Rechtskraft Gemäß § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile insoweit der (materiellen) Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden ist. Nach dem Sinnzusammenhang des § 322 Abs. 1 ZPO ist damit der prozessuale Anspruch, also der Streitgegenstand, und nicht der materiell-rechtliche Anspruch i. S. von § 194 Abs. 1 BGB gemeint.7 Mit Blick auf den eng gefassten Wortlaut des § 322 Abs. 1 ZPO erwächst nach der heute herrschenden Meinung nur die vom Gericht festgestellte Rechtsfolge, also das Ergebnis der Anwendung eines Rechtssatzes auf den der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt, in Rechtskraft.8 Eine etwas rechtstechnischere Formulierung sieht in der Entscheidung einen Subsumtionsschluss, der auf einem Obersatz (Anwendung des Rechts) und einem Untersatz (Feststellung von Tatsachen) beruht. Dieser Subsumtionsschluss sei Gegenstand der Rechtskraft, nicht jedoch seine Einzelglieder wie Vorfragen und Folgen der Entscheidung, überschießende Feststellungen oder sonstige obiter dicta.9 Für die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft ist an den Urteilstenor bzw. die Urteilsformel anzuknüpfen,10 was zur eindeutigen Bestimmung des Entscheidungsinhalts aber häufig nicht ausreicht. In dem Fall sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, nötigenfalls sogar das Parteivorbringen mit heranzuziehen.11 7 Dies entspricht der wohl h. M., statt vieler MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 84 ff.; Zöller/Vollkommer27, Vor § 322 Rn. 35, Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 152 Rn. 1 ff.; Musielak9, Rn. 564; ders., NJW 2000, 3593; BGH NJW 1996, 3151 (3152). Gegen eine Identität von Urteils- und Streitgegenstand jedoch Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 103 ff.; Blomeyer2, § 89 III, vgl. i. Ü. die Nachw. bei Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 152 Rn. 2 Fn. 2. 8 Mit unterschiedlichen Formulierungen MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 86; Stein/ Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 79; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 16; Musielak9, Rn. 564; Zöller/ Vollkommer27, Vor § 322 Rn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 322 Rn. 9. 9 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 152 Rn. 7 f.; ähnlich auch MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 86 unter Bezugnahme auf Schwab, S. 148; Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 79; Musielak9, Rn. 564; Blomeyer2, § 89 I 2; BGH NJW 1983, 2032. 10 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 87; vgl. auch BGH NJW 1983, 2032; 1976, 1095; 1962, 1109. 11 Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 179; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 16; Zöller/Volkommer27, Vor § 322 Rn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 322 Rn. 9 ff.; Wieczorek/ Schütze/Büscher3, § 322 Rn. 122; Zimmermann7, § 322 Rn. 22; Musielak9, Rn. 565 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 152 Rn. 22 ff.; Blomeyer2, § 89 I 2; Lindacher, ZZP 88 (1975), 64
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Die pauschale Aussage, Entscheidungsgründe erwüchsen nicht in Rechtskraft,12 ist demnach zumindest ungenau.13 Im Falle eines klageabweisenden Urteils entspricht es denn auch der herrschenden Meinung, dass zur Bestimmung des rechtskräftigen Entscheidungsinhalts neben dem Tatbestand auch die Entscheidungsgründe mit herangezogen werden müssen. Die Klageabweisung allein trifft keine Aussage über den Subsumtionsschluss des Gerichtes.14 Der abweisende Urteilstenor allein ist nichtssagend.15 Erst aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, ob die Klage als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen wurde. Diese Abgrenzung ist aber auf Grund der unterschiedlichen Wirkung von Prozessurteil und Sachabweisung unbedingt notwendig. Denn im Falle einer Prozessabweisung besteht immer noch die Möglichkeit, die Klage nach Beseitigung des Zulässigkeitshindernisses erneut zu erheben. Deshalb erwächst hier die Feststellung der Unzulässigkeit auf Grund des einschlägigen Zulässigkeitsmangels, in Rechtskraft.16 (68 f, 73); BGH NJW 1961, 917; 1962, 1109; 1981, 2306; 1983, 2032; 1986, 2508 (2509); 1990, 1795 (1796); 1993, 333 ( 334); 1995, 967; BVerfG NJW 2003, 3759; vgl. zum Ganzen auch Schwab, FS Bötticher, S. 321 ff., nach dem der in einer gerichtlichen Entscheidung zum Ausdruck kommende Subsumtionsschluss aus „Grund“ und „Folge“ bestehe, die untrennbar miteinander verbunden seien. Zum „Grund“ gehörten aber auch die Elemente, die nicht hinweg gedacht werden können, ohne dass die „Folge“ beeinträchtigt würde. Diese tragenden Entscheidungsgründe erwüchsen somit zumindest in eine relative Rechtskraft, bezogen auf den selben Streitgegenstand. 12 Insoweit missverständlich Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 152 Rn. 8. 13 Gegen diese Formulierung auch Zöller/Vollkommer27, Vor § 322 Rn. 31. Auch das entstehungsgeschichtliche Argument, der Reichstag habe seinerzeit die Streichung des Satzes „Die Rechtskraft ist nicht davon abhängig, dass die der Rechtskraft fähige Entscheidung in die Urteilsformel aufgenommen ist“ in § 283 Abs. 3 des Entwurfs von 29. Oktober 1874 (Hahn, S. 38, 608 f.) allein deshalb angeordnet, weil sich die Rechtskraft nach § 322 ZPO lediglich auf die Urteilsformel beziehen sollte, verfängt nicht. So verweist Lindacher, ZZP 88 (1975), 64 (68 f.) darauf, dass für die Streichung des Satzes auch zahlreiche andere Argumente, wie etwa Klarheit der Gesetzesfassung infrage kommen (so auch die Abgeordneten Dr. Gneist und Dr. Schwarze in der Lesung des Entwurfs, Hahn, S. 609). Die zum Streichungs-Antrag des Abgeordneten Dr. Bähr getätigten Ausführungen der Abgeordneten lassen indes vielmehr eine gewisse Unsicherheit und Uneinigkeit hinsichtlich der Rechtskraftgrenzen erkennen. 14 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 88; Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 185 f.; vgl. auch Rn. 114; 116 ff., 136 ff.; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 16; Zöller/Vollkommer27,Vor § 322 Rn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 322 Rn. 27, 60 und Übers § 300 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold29, § 322 Rn. 17; Zimmermann7, § 322 Rn. 27; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 152 Rn. 24; Blomeyer2, § 89 I 2; in diese Richtung geht bereits RGZ 159, 173 (176); vgl. weiterhin BGH NJW 1983, 2032; 1985, 2535; 1986, 1046 und 2508 (2509); 1990, 1795 (1796), 1993, 333 (334); 1995, 1757; 1999, 287 (288); vgl. auch BVerfG NJW 2003, 3759. 15 Musielak9, Rn. 565. 16 Wurde die Klage aus mehreren Gründen als unzulässig abgewiesen, wird jeder dieser Gründe in die rechtskräftige Entscheidung mit einbezogen, Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 136; Thomas/Putzo/Reichold29, § 322 Rn. 17; Wieczorek/Schütze/Büscher3, § 322 Rn. 152; Walchshöfer, FS Schwab S. 521 (532); vgl. auch Hau, ZJS 2008, 33 (37). Zurückhaltender MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 88; Zeuner, S. 33 f.; siehe i. Ü. die Nachw. oben in Fn. 14.
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Im Gegensatz hierzu soll das in der Sache abweisende Urteil rechtskräftig feststellen, dass die begehrte Rechtsfolge aus dem vorgetragenen Lebenssachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hergeleitet werden könne.17 Zumindest im Falle einer Abweisung als zur Zeit unbegründet18 stößt diese Annahme aber an ihre Grenzen. Wird etwa eine Klage auf Kaufpreiszahlung wegen mangelnder Fälligkeit abgewiesen, stünde nach dieser Auffassung einer erneuten Klage bei Eintritt der Fälligkeit die Rechtskraft der ersten Klage entgegen. Dies kann nicht richtig sein. Auch hier erwächst die Abweisung nur wegen des festgestellten Grundes in Rechtskraft.19 Denkbar wäre es höchstens, früher anzusetzen und von unterschiedlichen Lebenssachverhalten auszugehen. Im Eintritt der Fälligkeit wäre dann also eine den ursprünglichen Streitgegenstand ändernde Tatsache zu sehen. Aber auch dann müsste der Abweisungsgrund der mangelnden Fälligkeit zur Feststellung des rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalts mit herangezogen werden, um die unterschiedlichen Streitgegenstände voneinander abzugrenzen und dem abgewiesenen Kläger die Möglichkeit einer erneuten Klageerhebung nach Fälligkeitseintritt zu erhalten und nicht durch entgegenstehende Rechtskraft abzuschneiden. Einer derartigen Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe begegnen auch keine Bedenken hinsichtlich ihrer Präjudizialität. Denn es spricht nichts dagegen, diese nur auf den in Rede stehenden Streitgegenstand zu beziehen und insofern entgegen der „absoluten“ Rechtskraft des § 322 Abs. 1 ZPO, die lediglich den entschiedenen Anspruch als solchen erfasst, eine „relative“ Rechtkraftwirkung anzunehmen.20
b) Konsequenzen für das Verbot der reformatio in peius Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Entscheidungsgründe bei der Frage nach dem rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalt nicht ganz ausgeblendet werden können. Obwohl dem rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalt überwiegend eine 17 BGH NJW 1989, 393 (394); 1990, 1795, 1997, 2954 (2955); 2000, 3492 (3493); vgl. auch Musielak, NJW 2000, 3593 (3594); MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 177; Stein/Jonas/ Leipold21 § 322 Rn. 108 f.; Zöller/Vollkommer27, Vor § 322 Rn. 41; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 322 Rn. 27; Thomas/Putzo/Reichold29, § 322 Rn. 31 f.; a. A. Lent, ZZP 65 (1952); 315 (333 ff. insb. 338); Blomeyer2, § 89 III 3. 18 Ausführlich hierzu unten § 11 (Seiten 133 ff.). 19 So auch Walchshöfer, FS Schwab, S. 521 (533); a. A. Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (588 ff.). K ritisch Braun, NJW 1982, 148 (149). 20 In diesem Sinne auch Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (175 f.), der das „insoweit“ des § 322 Abs. 1 ZPO auch auf Tatbestandsmerkmale ausdehnen will; vgl. auch Zeuner, S. 34; a. A. Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (590) und wohl auch Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, S. 130 ff. Eine so verstandene „relative“ Rechtskraft hat selbstverständlich mit der oben unter § 5 III. 1. (Seiten 41 ff.) erwähnten, sich nur gegen eine Partei richtende Rechtskraft nichts gemein.
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primäre Rolle zur Bestimmung des Umfangs des Verschlechterungsverbots eingeräumt wird, stößt die Hinzuziehung der Entscheidungsgründe in diesem Zusammenhang auf Ablehnung.21 Nach Rimmelspacher sind die Gründe zwar unter Umständen zur Ermittlung des Entscheidungsinhalts erforderlich, erwachsen aber selbst nicht in Rechtskraft. Sie seien auch maßgebend für den Umfang der Bindungswirkung. Aber dies sei kein Hindernis für ihre Änderung, wenn nur die Bejahung oder Verneinung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers als solche unverändert bleibe.22 Rimmelspacher gesteht damit nur der „absoluten“ Rechtskraftwirkung des Urteils Bedeutung für den Verbotsumfang zu, geht auf die Gründe hierfür aber nicht näher ein. Gilles ist gleicher Ansicht und will etwa dem Revisionsgericht die Möglichkeit geben, die Revision auch dann als unbegründet abzulehnen, wenn es die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als die vorige Instanz für richtig hält. Eben diesen „anderen Gründen“ sei, wie Entscheidungsgründen überhaupt, im Prinzip zumindest kein Einfluss auf die Bindungswirkungen einer Entscheidung, insbesondere nicht auf die materielle Rechtskraft, zuzubilligen.23 Zwar lässt sich Gilles durch die einschränkende Formel „im Prinzip zumindest“ eine Hintertür offen und ist generell bereit, Ausnahmen zuzulassen,24 jedoch lehnt er anders als Rimmelspacher25 einen Einfluss der Entscheidungsgründe sogar hinsichtlich der Bindungswirkung des Urteils grundsätzlich ab. Dass dem nicht gefolgt werden kann, wurde bereits dargelegt. Wenn aber hinsichtlich der Reichweite des Verschlechterungsverbots auf das Kriterium des Rechtskraftumfangs abgestellt werden soll, ist nicht einzusehen, warum in dieser Hinsicht nicht auch die gleichen Maßstäbe gelten sollten.26 Vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes geht es zudem nicht um die eher dogmatisch-wissenschaftliche Frage, ob die Entscheidungsgründe ebenfalls in Rechtskraft erwachsen oder ob sie lediglich zur „Interpretation“ des rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalts dienen. Maßgeblich ist, welche Dispositions- und Handlungsmöglichkeiten den Parteien nach Erlass des Urteils noch verbleiben und welche ihnen genommen wurden. Es geht also um die durch die Rechtskraft vermittelte Bindungswirkung, zu deren näherer Bestimmung die Urteilsgründe unerlässlich sein können. Zudem ist zur Schaffung eines Besitzstandes eine „absolute“ Rechtskraftwirkung gar nicht erforderlich, denn das Verbot wird ausschließlich in Bezug auf den selben Streitgegenstand relevant. Abzulehnen ist insoweit auch der Einwand, die Berücksichtigung der Entscheidungsgründe zur Bestimmung des Rechtskraftumfangs im Hinblick auf das Ver21 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 33; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 15; Zöller/ Heßler27, § 528 Rn. 25; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 4; Kapsa, S. 153 f. m. w. Nachw. zur älteren Lit.; Lieb, S. 97 ff.; a. A. Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 5. 22 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 33. 23 Gilles, S 82 ff.; vgl. auch dens. ZZP 91 (1978), 128 (150 f.). 24 Gilles, S. 83. 25 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 33. 26 In diesem Sinne auch Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6 und 8 ff.
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bot der reformatio in peius entspreche der Annahme prozessualer Anspruchsmehrheit bei materiell-rechtlicher Anspruchskonkurrenz.27 Denn es geht zumindest in den geschilderten Fällen nicht um die Geltendmachung mehrerer materiell-rechtlicher Ansprüche, die sich aus dem selben Lebenssachverhalt ergeben, sondern um die Rechtskraftwirkung abweisender Urteile, die grundsätzlich anders zu beurteilen ist als die stattgebender Urteile. Dies haben die obigen Ausführungen gezeigt.
3. Zwischenergebnis Der rechtskraftfähige Entscheidungsinhalt, wie er sich aus der Urteilsformel und gegebenenfalls aus den Urteilsgründen ergibt, scheint damit als primärer Maßstab zur Bestimmung der Reichweite des Verschlechterungsverbots durchaus brauchbar. Denn hierdurch werden die Handlungsmöglichkeiten der Parteien unmittelbar und in erster Linie determiniert, so dass sie ihre Entscheidungen hieran auszurichten haben und auch ausrichten werden. Entscheidend ist dabei, welche Handlungsmöglichkeiten den Parteien nach Erlass des Urteils offenstehen, wenn sie es bei der gerichtlichen Entscheidung bewenden lassen.
II. Die innerprozessuale Bindungswirkung Analog zum rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalt ist auch die innerprozessuale Bindungswirkung geeignet, einen Besitzstand zu schaffen, auf dessen Beständigkeit vertraut werden darf.28 Demnach ist etwa das Ausgangsgericht bei Aufhebung und Zurückverweisung seines Urteils durch die Rechtsmittelinstanz gemäß §§ 538 Abs. 2, 563 Abs. 1 ZPO an seine ursprünglichen Feststellungen insoweit gebunden, als diese nicht durch die Rechtsmittelentscheidungen aufgehoben wurden. Zum Teil wird die innerprozessuale Bindungswirkung zwar im Hinblick auf den Verbotsmaßstab für beachtlich gehalten, in diesem Zusammenhang aber von einem durch eine Verfahrensentscheidung vermittelten Besitzstand gesprochen.29 Hier bildet jedoch nicht die Entscheidung über die Zurückverweisung, sondern die angefochtene (Sach-)Entscheidung der Vorinstanz den Besitzstand.30
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Lieb, S. 98 ff.; ihm folgend Kapsa, S. 153 f. Vgl. v. a. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 29 und Kapsa, S. 118. Kapsa, S. 118. Ausführlich zu dieser Konstellation noch unten § 7 II. (Seiten 107 ff.).
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III. Die Vollstreckungswirkung Die Vollstreckungswirkungen des Urteils können den Parteien ebenfalls Handlungsmöglichkeiten und damit einen schützenswerten Besitzstand eröffnen, zumal sie sich in der Regel direkt aus der rechtskraftfähigen Urteilsformel ergeben. Sie dürfen dem Rechtsmittelführer nicht genommen werden. Legt der Kläger ein Rechtsmittel ein, darf der Tenor des Urteils nicht in der Weise umformuliert werden, dass es nicht mehr vollstreckbar ist oder dass die Vollstreckbarkeit in anderer Weise eingeschränkt wird. Umgekehrt darf auf ein Rechtsmittel des Beklagten der ursprünglich unvollstreckbare Tenor nicht vollstreckbar gemacht oder die Vollstreckbarkeit des Urteils erweitert werden.31 Einen Sonderfall bilden Vollstreckungswirkungen, die sich nicht unmittelbar aus der rechtskraftfähigen Urteilsformel, sondern erst aus den Entscheidungsgründen ergeben. Dies ist etwa bei der Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz auf Grund einer unerlaubten Handlung der Fall. Denn § 850f Abs. 2 ZPO sieht je nachdem, ob wegen vorsätzlich oder fahrlässig begangener Handlung verurteilt wurde, unterschiedliche Vollstreckungsmöglichkeiten vor. Wird auf das Rechtsmittel des Klägers die ursprüngliche Verurteilung wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung in eine solche wegen Fahrlässigkeit geändert, behält der Rechtsmittelführer zwar seinen ihm ursprünglich zugesprochenen Anspruch, verliert aber u. U. Vollstreckungsmöglichkeiten, die er ohne sein Rechtsmittel hätte nutzen können. Umgekehrt darf nicht von Fahrlässigkeit auf Vorsatz umgestellt werden, wenn allein der Beklagte Rechtsmittel einlegt. Auch in dieser Hinsicht besteht also ein schützenswerter Besitzstand des Rechtsmittelführers.32 Eine vergleichbare Konstellation findet sich im Bereich der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO. § 302 Nr. 1 und Nr. 3 InsO sehen vor, dass Forderungen von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden, wenn sie aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrühren und als solche nach § 174 Abs. 2 InsO beim Insolvenzverwalter angemeldet wurden.33 Freilich ist die Anmeldung einer Forderung nicht mit einem gerichtlichen Urteil gleichzusetzen.34 So reicht es etwa aus, dass der Gläubiger bei der Anmeldung Tatsachen angibt, aus denen sich nach seiner Ansicht schließen lässt, dass der Forderung eine vorsätzlich be-
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Kapsa, S. 119; MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 31. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 31; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 9; Kapsa, S. 155; Lieb, S. 98. a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13, der darauf abstellt, dass Entscheidungsgründe nicht in Rechtskraft erwachsen, hiervon aber für den Fall der Änderung von zur Zeit unbegründet in endgültig unbegründet selbst eine Ausnahme macht. 33 Gleiches gilt gemäß § 302 Nr. 3 InsO auch für Forderungen aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden. 34 Vgl. zur Rechtsnatur der Anmeldung nach § 174 InsO MünchKommInso-Nowak2, § 174 Rn. 2. 32
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gangene unerlaubte Handlung zugrunde liegt.35 Der Schuldner kann hiergegen jedoch Widerspruch erheben, der seinerseits durch entsprechende Feststellungsklage über den Rechtsgrund des Gläubigers gemäß § 184 InsO beseitigt werden kann.36 In diesem Fall entwickelt die durch Urteil festgestellte Charakterisierung der Forderung genauso Wirkung für deren Vollstreckungsmöglichkeiten wie im Falle des § 850f Abs. 2 ZPO und darf auf Rechtsmittel des Gläubigers nicht mehr geändert werden. Der zum Teil vertretenen Ansicht, der Beklagte stelle mit der Rechtsmitteleinlegung den Anspruch insgesamt erneut zur Entscheidung,37 kann nicht gefolgt werden. Stellt man auf den Willen des Rechtsmittelführers ab, so wird er die ihm günstigen Vollstreckungswirkungen nicht angreifen wollen. Im Hinblick auf den Vertrauensschutz kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Vollstreckungswirkungen allein deshalb wieder zur Disposition stehen, weil sie sich erst aus den Entscheidungsgründen ergeben.
IV. Tatbestands- und Gestaltungswirkung In manchen Konstellationen kann ein schützenswerter Besitzstand auch durch Tatbestands- und Gestaltungswirkungen des angefochtenen Urteils vermittelt werden. Zu denken wäre hier etwa an die Einengung des Umgangsrechts auf ein Rechtsmittel des nicht sorgeberechtigten Elternteils oder die weitere Begrenzung der Vertretungsbefugnis des Komplementärs einer KG, die bereits durch das angefochtene Urteil begrenzt wurde. Auch diese Veränderungen sind als unzulässige reformatio in peius anzusehen.38 Denn auch hier wird ein eröffneter Handlungsspielraum, auf dessen Bestand ohne Einlegung eines Rechtsmittels hätte vertraut werden dürfen, eingeengt.
V. Zusammenfassung Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass verschiedene Bestandteile des vorinstanzlichen Urteils geeignet sind, dem Rechtsmittelführer einen durch das Verbot der reformatio in peius gesicherten Besitzstand zu verschaffen. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich das Verschlechterungsverbot auf Grund seiner komplexen dogmatischen Herleitung nicht einfach in die Form anderer prozessualer Figuren wie etwa die der Rechtskraft pressen lässt. Geht es 35
MünchKommInsO-Stephan2, § 302 Rn 11. MünchKommInsO-Stephan2, § 302 Rn. 19 f. Hierfür ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass für die geltend gemachte Forderung bereits ein vollstreckbarer Titel vorliegt, vgl. MünchKomm-InsO-Schumacher2, § 184 Rn. 3. 37 Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 46 mit Hinweis auf BGH LM § 322 ZPO Ziff. 2. 38 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 30; vgl. auch Kapsa, S. 119. 36
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doch bei der Bestimmung des Verbotsumfangs um die Frage, welche Dispositions- und Handlungsspielräume den Parteien durch das betreffende Urteil eröffnet werden. So können die dargestellten Maßstäbe lediglich als erster Anhaltspunkt zur Bestimmung des vermittelten Besitzstandes dienen und bedarf es immer einer genauen Überprüfung des Einzelfalls, ob sich bestimmte Entscheidungen des Rechtsmittelgerichts durch das Verbot der reformatio in peius als unzulässig erweisen oder nicht.
§ 7 Geltungsbereich § 7 Geltungsbereich
I. Eigene Entscheidung der Rechtsmittelinstanzen Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, gilt das Verbot der reformatio in peius unproblematisch dann, wenn Berufungs- bzw. Revisionsinstanz selbst ein Prozess- oder Sachurteil fällen.1 Auch im Beschwerdeverfahren genießt der Beschwerdeführer grundsätzlich Vertrauensschutz und braucht mit einer Schlechterstellung nicht zu rechnen. Dies ergibt sich aus der Gesamtschau der Rechtsmittel, die alle dem subjektiven Rechtsschutz des Rechtsmittelführers dienen und die immer eines entsprechenden Antrags bedürfen.2
II. Urteil der Vorinstanz nach Zurückverweisung Auch die Entscheidung der Vorinstanz nach Zurückverweisung der angefochtenen Entscheidung durch Berufungs- bzw. Revisionsgericht kann eine reformatio in peius enthalten. Denn wie bereits oben ausgeführt kommt, es für eine reformatio in peius nicht darauf an, dass unterschiedliche Instanzen entschieden haben.3 Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob und inwieweit die Vorinstanz bei Zurückverweisung dem Verbot der reformatio in peius unterliegt. Nach der früher herrschenden Meinung besteht eine solche Bindung in keiner Weise. Die Begründungen fallen jedoch unterschiedlich aus. Vor allem im Bereich des schweizerischen Zivilprozessrechts wurde argumentiert, eine reformatio in peius sei in diesem Fall schon deshalb zulässig, da es durch die rechtsmittelgerichtliche Aufhebung des Urteils zu dessen vollständiger „Ver1 Ganz h. M., vgl. statt vieler MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 26 ff. und § 557 Rn. 7; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 4 ff. und § 559 a. F. Rn. 5; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 14 ff. und § 557 Rn. 7; Kapsa, S. 79 f. 2 Auch die grundsätzliche Geltung des Verbots im Beschwerdeverfahren nach §§ 567 ff. ZPO entspricht der ganz h. M., vgl. nur MünchKommZPO-Lipp3, § 572 Rn. 31 ff.; Stein/Jonas/Grunsky21, § 576 a. F. Rn. 6; Musielak/Ball6, § 572 Rn. 14; Kapsa, S. 80 f.; BGHZ 159, 122 (124). 3 Siehe oben § 1 (Seiten 20 ff.).
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nichtung“ komme. Der vorinstanzliche Richter könne deshalb sein Urteil so fällen, als stünde der Streit zum ersten Mal zur Entscheidung an. Diese Auffassung knüpft ihre Argumentation jedoch an Rechtsmittel an, die keine Teilanfechtung vorsahen, wie etwa die Nichtigkeitsbeschwerde nach §§ 344 ff. a. F. ZH-ZPO.4 Da der Nichtigkeitskläger nach der aktuellen Gestaltung der Nichtigkeitsbeschwerde auch eine Teilanfechtung vornehmen kann (vgl. § 288 Ziff. 2 ZH-ZPO), ist heute allgemein anerkannt, dass sich die Aufhebung durch das Kassationsgericht in den Grenzen der Teilanfechtung zu bewegen hat.5 Zumindest in diesem Umfang ist eine Verschlechterung somit ausgeschlossen. Dies entspricht auch den Regelungen des deutschen Rechtsmittelrechts, nachdem bei einer Teilanfechtung nur der angefochtene Teil in die Rechtsmittelinstanz erwächst. Dann ist aber auch Aufhebung und Zurückverweisung nur in diesem Umfang möglich und das vorinstanzliche Gericht an seine ursprünglichen, nicht angefochtenen Entscheidungen gemäß § 318 ZPO gebunden; die Frage nach einem Verbot der reformatio in peius stellt sich hier nicht.6 Anders verhält es sich jedoch bei den Rechtsmitteln, die keine Teilanfechtung vorsehen bzw. vorsahen, wie die besagte Nichtigkeitsbeschwerde nach §§ 344 ff. a. F. ZH-ZPO.7 Zumindest im Bereich des schweizerischen Zivilprozessrechts erfährt diese Ansicht neuerdings Aufwind vor allem im Hinblick auf Berufung und Beschwerde nach ZPO-Entw, die bei eigener Entscheidung der Beschwerdeinstanz zwar ein Verbot der reformatio in peius vorsehen, im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung jedoch eine Totalkassation.8 Abgesehen hiervon wird das Verschlechterungsverbot aber nur in den Fällen relevant, wo eine Begrenzung des anfallenden Streitstoffs durch Rechtsmittelantrag nicht greift.9 Doch auch die für Berufung und Beschwerde nach ZPOEntw angenommene Differenzierung danach, ob zurückverwiesen wird oder nicht, vermag nicht zu überzeugen und hält in zu starkem Maße an dem Kassationsgedanken fest. Sie steht außerdem im Widerspruch zur Regelung der vergleichbaren Situation bei der Einheitsbeschwerde nach Art. 72 ff. BGG. Auch dort kann das Gericht in der Sache selbst entscheiden, oder die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverweisen. Zumindest nach der für die vormalige bundesrechtliche Berufung vertretenen Auffassung soll aber auch im Falle 4 Ricci, S. 34 ff.; allgemein zur Nichtigkeitsbeschwerde siehe oben Seite 30 ff.; vgl. auch die weiteren Nachw. zu ähnlichen Ansichten bei Kapsa, S. 135 Fn. 52. 5 Frank/Sträuli/Messmer3, § 291 Rn. 3. 6 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 60; klarstellend Musielak/Ball6, § 528 Rn. 23; zur innerprozessualen Bindungswirkung in diesem Zusammenhang bereits oben § 6 II. (Seiten 104 ff.); vgl. auch die Ausführungen zur Rechtskraft oben § 5 III. (Seiten 41 ff.). 7 Vgl. die Nachw. bei Ricci, S. 34. Inzwischen sieht die Nichtigkeitsbeschwerde nach §§ 281 ff. n. F. ZH-ZPO auch eine Teilanfechtung vor, vgl. § 288 Ziff. 2 n. F. ZH-ZPO; siehe hierzu auch Egger, S. 121 ff., der deutlich macht, dass auf Grund einer Teilanfechtung auch nur der angefochtene Teil aufgehoben und zurückverwiesen werden kann, selbst wenn die gesamte Entscheidung vom Nichtigkeitsgrund erfasst wird. 8 Art. 325 Abs. 3 lit. a ZPO-Entw; vgl. die Botschaft des Bundesrates, BBl. 2006 7221 (7379); siehe hierzu bereits oben § 5 III. 3. (Seiten 52 f.). 9 Siehe hierzu oben § 5 V. 3. b) (Seiten 53 ff.).
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einer kassatorischen Entscheidung das Verschlechterungsverbot in der Vorinstanz gelten.10 Nach anderer auch für das deutsche Zivilprozessrecht vertretener Ansicht muss für die Zulässigkeit einer Reformatio in peius nach Zurückverweisung an die Vorinstanz auf die mangelnde Antragsbindung hinsichtlich verfahrensrechtlicher Entscheidungen abgestellt werden. Demnach sei der Umfang der Zurückverweisung eine verfahrensrechtliche Frage und falle somit nicht in den Geltungsbereich der Dispositionsmaxime.11 Die Wirkung der Antragsbindung ist aber schon früher anzusetzen, nämlich bei der Frage, welche Teile des Rechtsstreits überhaupt in die Rechtsmittelinstanz erwachsen. Schon dort setzt die Beschränkung durch die Rechtsmittelanträge ein. Der Umfang der Zurückverweisung hat sich hieran zu orientieren, ohne dass es erneut auf eine Antragsbindung ankäme. Nur soweit das Rechtsmittelgericht selbst zu einer eigenen Sachentscheidung im Einklang mit dem Verbot der reformatio in peius befugt wäre, wird durch Zurückverweisung auch der Entscheidungsspielraum der Vorinstanz wieder eröffnet. Bötticher formuliert dies anschaulich, indem er fragt, was denn das Verbot nütze, wenn die wiedereröffnete erste Instanz freie Hand haben solle. Sie erhielte „neues Leben“ doch nur durch die Berufungsentscheidung und dürfe auch nur in gleichem Maße wiedereröffnet werden wie die Rechtsmittelinstanz.12 Die dritte in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung sieht das Verfahren nach Zurückverweisung als nicht mehr mit dem eigentlichen Rechtsmittelverfahren zusammenhängendes und völlig neues Verfahren an. Der in der neueröffneten Vorinstanz entscheidende Richter sei zwar an die rechtliche Beurteilung des Rechtsmittelgerichts gebunden, im Übrigen aber in seiner Entscheidung frei. In diesem Fall könne aber auch das für das Rechtsmittelverfahren entwickelte Verschlechterungsverbot nicht gelten.13 Gegen diese strickte Trennung von Rechtsmittelverfahren und wiedereröffnetem Verfahren in der Vorinstanz wird eingewandt, dass das Verfahren in der wiedereröffneten Vorinstanz zwar nicht als Teil des Rechtsmittelverfahrens anzusehen sei, trotzdem sei es hiervon nicht vollständig losgelöst. Vielmehr bestehe zwischen beiden Verfahren eine Verbindung durch den gemeinsamen Zweck, dem Rechtsmittelführer Rechtsschutz zu gewähren. Erst mit der Entscheidung der Unterinstanz finde der Rechtsschutz seine Vollendung.14 Dem ist insoweit zuzustimmen, als es sich der Sache nach in beiden Instanzen immer noch um denselben Verfahrensgegenstand handelt und es vor dem Hinter10
Spühler/Vock, S. 130 f.; BGE 116 II 222 E. 4a. Egger, S. 119; vgl. auch Kapsa, S. 113. 12 Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (465). 13 Vgl. Lieb, S. 15 f., der diese Sichtweise auf S. 115 jedoch wieder einschränkt; siehe auch die weiteren Nachw. zu dieser Ansicht bei Kapsa, S. 135 Fn. 51. Ähnlich auch Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (225 f.), der in dem Verfahren vor dem verwiesenen Gericht die Fortsetzung des ur-sprünglich vor diesem Gericht geführten Verfahrens sieht, zur Geltung des Verschlechterungsverbots in diesem Zusammenhang aber keine Stellung nimmt. 14 Kapsa, S. 138. 11
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grund des Vertrauensschutzes keinen Unterschied machen kann, ob der Rechtsmittelführer eine Verschlechterung durch ein Urteil des Rechtsmittelgerichts oder der Vorinstanz erfährt. Die Qualität der Entscheidung erfährt hierdurch keinen Unterschied, der eine Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius rechtfertigte, denn die Gründe für eine Aufhebung und Zurückverweisung bestehen ganz unabhängig vom Sinn und Zweck des Verbots der reformatio in peius.15 Zudem liegt die Entscheidung über die Zurückverweisung, zumindest was die Berufungsinstanz anbelangt, (weitgehend) im Ermessen des Gerichts.16 Es hinge demnach allein vom Zufall (v. a. von der Aufbereitung des Prozessstoffs durch die Vorinstanz) ab, ob der Rechtsmittelführer in den Genuss des Verbotes käme oder nicht.17 Das Verbot könnte zudem auf diese Weise ausgehöhlt und somit nutzlos werden.18 So entspricht es der heute herrschenden Meinung, dass das verwiesene Gericht an das Verbot der reformatio in peius gebunden ist.19
III. Verweisung des Rechtsstreits wegen Unzuständigkeit In der Literatur findet sich weiterhin der Hinweis, das Verbot der reformatio in peius müsse auch in dem Fall gelten, dass eine Klage wegen Unzuständigkeit an ein anderes Gericht verwiesen wird. Dem ist zwar insoweit zuzustimmen, als die Wirkungen des vor dem unzuständigen Gericht geführten Verfahrens auch vor dem angewiesenen Gericht fortbestehen. So beginnt etwa die Rechtshängigkeit der Klage bereits mit der Einreichung bei dem unzuständigen Gericht und bleiben richterliche Akte und Beweisaufnahmen, Prozesshandlungen, Anträge20 aber auch Entscheidungen des verweisenden Gerichts wie etwa Teilanerkenntnis- und Versäumnisurteile21 bestehen. Hierfür verantwortlich ist aber nicht das Verbot einer reformatio in peius. Vielmehr hängt die Fortwirkung des begonnenen Verfahrens mit dem Umstand zusammen, dass die Verweisung grundsätzlich keinen neuen 15
In diesem Sinne auch Kapsa, S. 137. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 66; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 538 Rn. 22; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 19; BGH NJW-RR 2005, 928; a. A. Musielak/Ball6, § 538 Rn. 2 (Zurückverweisung „praeter legem“). Für die Revisionsinstanz stellt § 563 Abs. 4 ZPO die Entscheidung über eine Zurückverweisung zumindest in bestimmten Fällen in das Ermessen des Gerichts; vgl. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 563 Rn. 28; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 563 Rn. 13; siehe hierzu auch noch unten § 11 III. 2. (Seiten 145 ff.) und § 12 III. (Seiten 158 ff.). 17 Kapsa, S. 137; hierzu noch ausführlich unten § 11 III. 2. b) (Seiten 148 ff.) und § 12 III. 1. (Seiten 152 ff.). 18 Hierauf hat bereits Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (465 f.) hingewiesen; ebenso Kapsa, S. 13 7 m . w. Nachw. 19 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 32; Stein/Jonas/Grunsky21, § 539 a. F. Rn. 20; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 23; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 14; BGH NJW-RR 1989, 1404; BGH NJW 1994, 586 (588); vgl. auch schon RGZ 58, 248 (256). 20 MünchKommZPO-Prütting3, § 281 Rn. 43; Stein/Jonas/Leipold21, § 281 Rn. 36. 21 Musielak/Foerste6, § 281 Rn. 13. 16
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Prozess in Gang setzt, sondern das angewiesene Gericht vielmehr an das Verfahren in der Lage anknüpft, in der es sich vor der Verweisung befunden hat.22 Das Gleiche muss auch in der Rechtsmittelinstanz gelten, wenn die Verweisung erst hier beantragt wird.23 Die Sache ist dann an das tatsächlich zuständige (vorinstanzliche) Gericht zu verweisen, dessen Verfahren dann an das vorinstanzliche Verfahren des unzuständigen Gerichts anknüpft, es sei denn das angefochtene Urteil wurde zudem aus anderen Gründen durch die Rechtsmittelinstanz aufgehoben.24
IV. Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren Bei Nichtigkeits- und Restitutionsklage stellt sich die Frage nach einem Verbot der reformatio in peius ebenfalls nur, soweit die Anfechtung nicht auf bestimmte Teile des Urteils begrenzt werden kann, vgl. § 588 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO. Hierbei ist zu beachten, dass die betroffene Partei die Wiederaufnahme auch dann auf einen Teil der Entscheidung begrenzen kann, wenn der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund das gesamte Urteil erfasst. Da hierdurch die Entscheidungskompetenz des zuständigen Gerichts beschränkt wird, bleibt der nichtangefochtenen Teil somit bestehen.25 Aber auch in Bezug auf den angefochtenen Teil muss ein Verschlechterungsverbot gelten, denn die Wiederaufnahme steht ebenfalls im Zeichen des subjektiven Rechtsschutzes, wie sich schon an der allgemein angenommenen Voraussetzung einer Beschwer26 der betreffenden Partei und dem Antragserfordernis zeigt. Zwar sind Nichtigkeits- und Restitutionsklage auf die Fälle beschränkt, in denen schwerwiegende Verfahrensmängel vorliegen bzw. das Urteil auf einer falschen Grundlage beruht, so dass hier auch das allgemeine Interesse an der Wahrung des Vertrauens in die Rechtsprechung berührt wird. Jedoch führt dies nicht dazu, dass ein derart mangelhaftes Urteil der Parteidisposition entzogen wird. Ähnlich wie bei der Revision sollen auch die Wiederaufnahmegründe lediglich der Begrenzung des Rechtsbehelfs dienen. Da das Wiederaufnahmeverfahren bei stattgebendem Urteil im Gegensatz zu den ordentlichen Rechtsmitteln zur Durchbrechung der formellen Rechtskraft führt, erfährt das Argument der Ressourcenschonung 22
Stein/Jonas/Leipold21, § 281 Rn. 35. Dies setzt voraus, dass noch keine Zuständigkeit durch rügelose Einlassung oder nach dem Prinzip der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO) begründet wurde; vgl. hierzu etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 37 Rn. 25 ff.; § 97 Rn. 30. 24 I. E. a uch Kapsa, S. 140 f., wenngleich die Begründung etwas missverständlich ist. 25 MünchKommZPO-Braun3, § 590 Rn. 3 f.; im Anschluss an Braun Stein/Jonas/Grunsky21, § 588 Rn. 6; Musielak/Musielak6, § 588 Rn. 4; vgl. i. Ü. auch Gilles, S. 112, 121 f.; ders., ZZP 80 (1967), 391 (407) sowie LAG Köln DB 2000, 1084. 26 Zum Erfordernis der Beschwer MünchKommZPO-Braun3, § 578 Rn. 31, Stein/Jonas/ Grunsky21, § 578 Rn. 3; Gilles, S. 109; BGHZ 39, 179 (181). 23
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hier zusätzliche dogmatische Unterstützung. Denn die Rechtskraftdurchbrechung läuft dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit zuwider und soll deshalb grundsätzlich eine Ausnahme bleiben.27 Anders verhält es sich hinsichtlich der mit der Wiederaufnahme vergleichbaren „Kassation von Amts wegen“ nach Art. 90 BE-ZPO. Hiernach kann der Appellationshof „ein Prozessverfahren, in welchem wesentliche Grundsätze des Verfahrens derart verletzt worden sind, dass die richtige Beurteilung unmöglich oder wesentlich erschwert wird“, von Amts wegen aufheben. Eine Aufhebung ist ebenso möglich, wenn eine untere Gerichtsbehörde zum Erlass eines Entscheids offensichtlich sachlich nicht zuständig war. Verblüffend ist dabei der Umstand, dass es keines Parteiantrags bedarf. Es reicht aus, wenn der Appellationshof „irgendwie“ Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhält.28 Wenn jedoch kein parteiseitiger Antrag notwendig ist, kann auch das Verbot einer reformatio in peius zum einen nicht greifen, weil kein schützenswertes Vertrauen entstehen konnte. Die Parteien müssen in den durch Art. 90 BE-ZPO geregelten Fällen auf Grund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung immer mit einer Kassation von Amts wegen rechnen. Zum anderen ist in diesem Fall auch nicht eindeutig zu ermitteln, zu Gunsten welcher Partei das Verbot eingreifen soll. Selbst wenn man hierfür auf ein eventuelles Verschulden einer der Parteien abstellen will,29 ist dies zumindest dann nicht zielführend, wenn der Kassationsgrund durch das Gericht selbst oder andere parteiunabhängige Personen verschuldet wurde oder überhaupt kein Verschulden vorliegt.30
V. Einspruch gegen Versäumnisurteil Das Verschlechterungsverbot wird u. U. auch beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil nach § 338 ZPO relevant. Zwar wird bei Säumnis des Klägers die Klage – Zulässigkeit und entsprechender Antrag des Beklagten vorausgesetzt – immer gemäß § 330 ZPO vollständig als unbegründet abgewiesen.31 Jedoch kann 27 Vgl. nur Musielak/Musielak6, § 578 Rn. 1 und allgemein zu Wiederaufnahme und Rechtskraft MünchKommZPO-Braun3, .Vor §§ 578 ff. Rn. 1 ff. 28 Vgl. Leuch, Art. 90 Anm. 1, mit dem Hinweis (Anm. 5), dass hinter Art. 90 BE-ZPO der gemeinrechtliche Grundgedanke stehe, nachdem Urteile des sachlich unzuständigen Richters Nichturteile und ipso iure nichtig seien. 29 Auf das Verschulden stellt auch Art. 90 Abs. 2 BE-ZPO hinsichtlich der Kostentragungspflicht ab. 30 Im Gegensatz dazu ist die mit der Wiederaufnahme ebenfalls vergleichbare Revision nach Art. 326 ff. ZPO-Entw antragsabhängig und erfordert ein subjektives Rechtsschutzinteresse des Revisionsführers sowie eine Beschwer und steht damit im Zeichen des subjektiven Rechtsschutzes. Das Revisionsgericht ist also auch bei Aufhebung seines früheren Entscheides an dessen dem Revisionsführer günstigen Teil gebunden. 31 Dies gilt nach § 332 ZPO auch dann, wenn bereits in der Sache verhandelt wurde; vgl. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 104 Rn. 27.
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es umgekehrt bei Säumnis des Beklagten auch nur zu einer teilweisen Stattgabe kommen, weil etwa nur ein Teil des geltend gemachten Anspruchs schlüssig dargelegt wurde (vgl. § 331 Abs. 2 ZPO). Hier wäre also bei Einspruch des Beklagten eine reformatio in peius zu dessen Lasten denkbar, wenn der Klage nun vollständig stattgegeben werden könnte. Da auch der Einspruch nur gegen einen Teil des Versäumnisurteils möglich ist, vgl. § 340 Abs. 2 ZPO, kann der Beklagte schon im Vorfelde einer reformatio in peius durch Beschränkung des Einspruchs auf den ihn belastenden Teil begegnen. Der angefochtene Teil muss aber Gegenstand eines Teilurteils sein können.32 Ein Verbot der reformatio in peius wäre demnach auch hier nur für die zugegebenermaßen seltenen Fälle zu diskutieren, wo eine entsprechende Begrenzung des Einspruchs nicht möglich ist.33 Eine reformatio in peius kann zudem nur dann erfolgen, wenn dem Einspruch stattgegeben wird. Denn wird der Einspruch als unzulässig verworfen, bleibt es bei dem erlassenen Versäumnisurteil. Hier wird die Auffassung vertreten, dass eine reformatio in peius bei der Entscheidung über den Einspruch zulässig sein müsse, da dieser keine Anfechtung des Versäumnisurteils enthalte. Dem ist insoweit zuzustimmen, als der Einspruch selbst lediglich dazu führt, dass das Verfahren gemäß § 342 ZPO – soweit der Einspruch reicht – in die Lage zurückversetzt wird, in der es sich vor der Säumnis befand. Erst in dem sich anschließenden streitigen Verfahren kann es zu einer reformatio in peius kommen. Der Einspruch ist also als Antrag auf nunmehrige Verhandlung des Rechtsstreits anzusehen.34 Die Zulässigkeit einer reformatio in peius kann aber nicht durch eine solche, rein technische Zweiteilung begründet werden. Dem Beklagten geht es bei Einlegung des Einspruchs immer um die Aufhebung des Versäumnisurteils, was auch dem Wortlaut des § 343 Satz 2 ZPO zu entnehmen ist. Dort heißt es, dass das Versäumnisurteil, wenn das nach der Verhandlung zu erlassende Urteil hiervon abweicht, insoweit in dem neuen Urteil „aufgehoben“ wird. Hierfür ist aber zumindest eine inzidente Überprüfung des Versäumnisurteils notwendig.35 Es wäre denn auch wohl zu sehr in formal-juristischen Kategorien gedacht, spräche man dem Einspruch den Anfechtungscharakter nur deshalb ab, weil die Überprüfung des Versäumnisurteils nicht sein primäres 32 MünchKommZPO-Prütting3, § 338 Rn. 15; Stein/Jonas/Grunsky22, § 338 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 104 Rn. 56. 33 Vgl. hierzu auch Kapsa, S. 81. 34 Stein/Jonas/Grunsky22, § 338 Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 104 Rn. 49. 35 A. A. etwa Rosenberg/Schwab11, § 108 VII, wo aus dem mangelnden Erfordernis einer Einspruchsbegründung geschlossen wird, dass eine Überprüfung des Versäumnisurteils nicht stattfindet. Hier ist jedoch bereits der Ansatz nicht ganz richtig gewählt. Denn der Einspruch kann lediglich zulässig, nicht aber begründet sein. Die Frage der Begründetheit stellt sich erst in dem sich anschließenden streitigen Verfahren (in diesem Sinne MünchKommZPO-Prütting3, § 342 Rn. 1 und 8 sowie § 338 Rn. 3; Musielak/Stadler6, § 342 Rn. 1). Bei Rosenberg/Schwab/ Gottwald16, § 104 Rn. 49, wird dieser Schluss auch nicht mehr gezogen.
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Ziel darstellt.36 Darüber hinaus spricht auch § 340 Abs. 2 ausdrücklich von „anfechten“. Aber auch im Übrigen überzeugt die dargestellte Auffassung nicht. Dass das Verbot der reformatio in peius nur in Anfechtungssituationen zum Zuge kommen soll, leuchtet nicht ein. Es kann dies nur gefolgert werden, wenn der Begriff der reformatio in peius im Vorfelde entsprechend verengt wurde. Hierfür entbehrt es aber einer sachlichen Begründung. Für die Beurteilung des zu gewährenden Vertrauensschutzes kommt es aber nicht darauf an, ob eine ergangene Entscheidung regelrecht „angefochten“ wird37 oder ob der Einzelne sonst im Rahmen eines von ihm in Gang gesetzten Verfahrens den Verlust eines Vorteils erleiden kann. Wie eingangs beschrieben, ist dies im Einspruchsverfahren zumindest für den Beklagten aber durchaus möglich. Es sprechen jedoch andere Argumente für die Zulässigkeit einer reformatio in peius. § 341 lit. a ZPO bestimmt, dass bei Zulässigkeit des Einspruchs Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache zu bestimmen ist. Durch den Einspruch wird der Prozess gemäß § 342 ZPO „in die Lage zurückversetzt, in welcher er sich vor Eintritt der Versäumnis befand.“ Damit macht der Gesetzgeber klar, dass, soweit der Einspruch reicht, eine Bindung an das im Versäumnisurteil Erkannte nicht gegeben sein soll. Es soll im Hinblick auf das Versäumnisurteil gerade keine innerprozessuale Bindung gemäß § 318 ZPO bestehen.38 Durch die klare Fassung des Wortlauts von § 342 ZPO wird ein eventuell bestehendes Vertrauen in die Beständigkeit günstiger Teile des angefochtenen Versäumnisurteils und der damit eröffneten Handlungsmöglichkeiten beseitigt. Der Beklagte verdient demnach auch keinen Schutz durch das Verbot einer reformatio in peius.39 Gegen diese gesetzliche Anordnung ist auch aus dogmatischer Sicht nichts einzuwenden. Denn die durch ein nur teilweise stattgebendes Versäumnisurteil erlangten Vorteile des Beklagten sind nur zufälliger Natur, da sie nicht auf dessen Parteivortrag beruhen.40 Darüber hinaus wird in aller Regel auch die Gegenpartei zur Sache verhandeln, wodurch das Verbot der reformatio in peius ohnehin aufgehoben wird.
36 Heute wird die Anfechtungsfunktion des Einspruchs nicht weiter problematisiert. Vgl. etwa die Formulierungen bei MünchKommZPO-Prütting3, § 338 Rn. 4, sowie die Ausführungen von Bettermann, ZZP 88 (1975), 365 (418); nicht ganz eindeutig insoweit Gilles, S. 95, 133 ff., der den Einspruch als Anfechtung charakterisiert und eine reformatio in peius bei Anfechtungen grundsätzlich für unzulässig hält. Auf die § 342 ZPO zu entnehmende, anders lautende gesetzgeberische Entscheidung, geht Gilles indes nicht ein. 37 So auch Kapsa, S. 81 f. 38 Jedoch werden mit Aufhebung des Versäumnisurteils nur die im Säumnistermin vorgenommenen Prozesshandlungen der Parteien beseitigt. Alles, was vor Erlass des Versäumnisurteils geschehen ist, bleibt bestehen, vgl. MünchKommZPO-Prütting3, § 342 Rn. 4; Musielak/ Stadler6, § 342 Rn. 2; Zöller/Herget27, § 342 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 342 Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 104 Rn. 62. 39 A. A. Gilles, S. 133 ff. 40 Kapsa, S. 82 f.
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Anders verhält es sich, wenn die Einspruch einlegende Partei in der daraufhin anberaumten mündlichen Verhandlung erneut säumig ist und ein sogenanntes „technisch zweites“41 Versäumnisurteil nach § 345 ZPO erlassen wird. Hiergegen steht der säumigen Partei kein erneuter Einspruch, sondern nur noch Berufung nach § 514 Abs. 2 ZPO zu. Im Berufungsverfahren gilt dann wieder das Verbot der reformatio in peius, solange die andere Partei kein (Anschluss-)Rechtsmittel einlegt.
VI. Rechtsbehelfe gegen Mahnbescheid/Vollstreckungsbescheid Im Mahnverfahren ist eine reformatio in peius nur zu Lasten des Antragsgegners denkbar. Denn er ist es, der gegen Mahn- und Vollstreckungsbescheid Wider- bzw. Einspruch einlegt und damit die Initiative zur Überprüfung des geltend gemachten Anspruchs ergreift. Eine reformatio in peius wird im Mahnverfahren mit unterschiedlichen Begründungen für zulässig gehalten. Nach einer in anderem Zusammenhang bereits oben dargestellten Auffassung führe der Widerspruch auch hier nicht zu einer Überprüfung des Mahnbescheids und deshalb gelte auch das Verbot der reformatio in peius nicht.42 Gegen diese Argumentation wurde bereits Stellung bezogen.43 Nach anderer Ansicht wird bereits die Möglichkeit einer reformatio in peius im streitigen Verfahren nach Wider- bzw. Einspruch für ausgeschlossen gehalten. Dem ist zuzustimmen, denn Gegenstand des streitigen Verfahrens nach Einlegung eines Widerspruchs ist der im Mahnbescheid geltend gemachte Anspruch und die nach § 697 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche Anspruchsbegründung.44 Wenn nicht der Antragsteller mit der Anspruchsbegründung eine Klageerweiterung vornimmt,45 ist das Gericht wie bei jeder Klage an den geltend gemachten Anspruch gebunden. Auch ist eine nur teilweise Ablehnung des Mahnantrags gemäß § 691 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Anderenfalls wäre daran zu denken, dass das Gericht einen Mahnantrag zunächst teilweise ablehnt, um im streitigen Verfahren ohne Antrag des Klägers doch noch den gesamten Betrag zuzusprechen, weil es etwa einen bei der Bearbeitung des Antrags begangenen Fehler erkannt hat. Doch selbst dann wäre dies eine zulässige reformatio in peius zu Lasten des Beklagten. Denn die materielle Rechtskraft der Abweisung kann auf Grund des beschränkten Prüfungsumfangs nicht über die Entscheidung der Zulässigkeit des konkreten Mahnantrags hinaus41
Zum Begriff etwa Musielak9, Rn. 182. Lieb, S. 59, kommt zum selben Ergebnis, 43 Vgl. die Ausführungen zu Lieb oben § 7 V. (Seiten 112 ff.). 44 Statt vieler MünchKommZPO-Schüler3, § 697 Rn. 6. 45 Da für das streitige Verfahren grundsätzlich die Vorschriften des ordentlichen Erkenntnisverfahrens gelten, ist eine Klageerweiterung i. S. von § 264 Ziff. 2 ZPO ohne weiteres zulässig, MünchKomZPO-Rimmelspacher3, § 697 Rn. 8; Stein/Jonas/Schlosser21, § 697 Rn. 1; Musielak/ Voit6, § 697 Rn. 3. 42
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gehen.46 Dies bestätigt auch § 691 Abs. 2 ZPO, der eine Klageerhebung in derselben Sache trotz Abweisung des Mahnantrags zulässt.47 Hieraus folgt aber, dass der Antragsgegner im Mahnverfahren zu keinem Zeitpunkt über einen gesicherten Besitzstand verfügt, auf dessen Beständigkeit er vertrauen darf. Für den Vollstreckungsbescheid und das durch einen Einspruch des Beklagten eingeleitete streitige Verfahren gilt im Prinzip das Gleiche. Auch hier ist eine Verschlechterung des Beklagten auf Grund der eingeschränkten Prüfungskompetenz des Gerichts nicht möglich. Der Vollstreckungsbescheid ist zudem ausweislich des § 700 Abs. 1 ZPO einem Versäumnisurteil gleichzusetzen. Somit wird auch für den Einspruch grundsätzlich auf §§ 338 ff. ZPO verwiesen und gilt im Übrigen das bereits zum Versäumnisurteil Ausgeführte entsprechend.48
VII. Widerspruch gegen Arrestbefehl und einstweilige Verfügung Auch im Arrestverfahren ist die Vorstellung einer reformatio in peius zu Lasten des Vollstreckungsschuldners eher hypothetisch. Denn das Gericht ist auch im Widerspruchsverfahren an den ursprünglichen Arrestantrag, insbesondere an die Angabe des Geldbetrags bzw. des Geldwertes gebunden.49 Nach anderer Ansicht soll sich aus § 925 Abs. 2 ZPO, der dem Gericht neben Aufhebung und Bestätigung auch die Abänderung des Arrests erlaubt, ergeben, dass eine reformatio in peius nicht nur möglich, sondern auch zulässig sein muss.50 Da das Gericht auch insoweit an die Anträge der Parteien gebunden ist,51 wäre eine Verschlechterung aber allenfalls denkbar, wenn der Gläubiger dinglichen Arrest beantragt hat, im Arrestbefehl auch dinglicher Arrest angeordnet wurde und das Gericht im Widerspruchsverfahren statt dessen oder zusätzlich persönlichen Sicherheitsarrest anordnet. Wegen des verschärften Begründungserfordernisses bei der Anordnung eines persönlichen Sicherheitsarrests gemäß § 918 ZPO wird dieser Fall wohl kaum eintreten. Vielmehr ist der persönliche Sicherheitsarrest als subsidiär gegenüber dem dinglichen Arrest anzusehen und darf nur verhängt werden, wenn die Sicherung des Gläubigers nicht allein durch dinglichen Arrest erreicht werden kann.52 Möglich, aber sehr unwahrscheinlich wäre es auch, dass das Gericht hinter dem gestellten Arrestantrag zurückbleibt und diesen Fehler nun im Widerspruchs-
46 Thomas/Putzo/Hüßtege29, § 691 Rn. 8, ihm folgend MünchKommZPO-Schüler3, § 691 Rn. 28. Hierauf stützt auch Kapsa, S. 83 Fn. 17, die Zulässigkeit einer reformatio in peius. 47 Stein/Jonas/Schlosser21, § 691 Rn. 11. 48 Siehe oben § 7 V. (Seiten 112 ff.). 49 Zöller/Volkommer27, § 920 Rn. 3. In diesem Sinne auch Thomas/Putzo/Hüßtege/Reichold29, Vorbem § 916 Rn. 2. 50 Kapsa, S. 83 f. 51 Zöller/Volkommer27, § 925 Rn. 5. 52 Zum Verhältnis von persönlichem zum dinglichen Arrest Zöller/Volkommer27, § 918 Rn. 1.
§ 7 G eltungsbereich
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verfahren korrigieren möchte oder dass ein anderer Arrestgegenstand verarrestiert werden soll.53 In diesen eher theoretischen Fällen wird eine reformatio in peius deshalb für zulässig gehalten, weil der Arrestbefehl ebenso wie Versäumnisurteil und Vollstreckungsbefehl auf einer „unvollständigen Grundlage“ beruhten, da es an einer mündlichen Verhandlung fehle.54 Dies ist aber kein Argument für die Zulässigkeit einer reformatio in peius, denn der Arrestbefehl hat eine ganz andere Zielsetzung als Versäumnisurteil und Vollstreckungsbescheid.55 Letztere können rechtskraftfähig über den Streitgegenstand entscheiden. Eine „unvollständige Grundlage“, d. h. ein eingeschränkter Prüfungsumfang ist im Hinblick auf die Beständigkeit der durch Versäumnisurteil und Vollstreckungsbescheid eröffneten Handlungsmöglichkeiten erheblich, denn beides sind finale Maßnahmen, die grundsätzlich auf dauerhafte Resultate (rechtskräftige Verurteilung bzw. Vollstreckung) gerichtet sind. Der Arrestbefehl stellt hingegen nur eine vorläufige Sicherungsmaßnahme dar, deren Auswirkungen grundsätzlich nicht von Dauer sind und die etwa dann entfallen, wenn der Anspruch in der Hauptsache abgewiesen wird. Da es im Gegensatz zu Versäumnis- und Mahnverfahren an einer ausdrücklichen Regelung fehlt, die auf die Zulässigkeit einer reformatio in peius schließen lässt, muss diese im Arrestverfahren unzulässig sein.56 Ist das Gericht fälschlicherweise hinter dem Arrestantrag zurückgeblieben, ist es Sache des Arrestgläubigers, sich hiergegen zu wehren.57 Die Verarrestierung eines anderen Gegenstandes müsste ebenfalls von einer der beteiligten Parteien beantragt werden. Gemäß § 936 ZPO sind die Vorschriften über die Anordnung von Arresten und über das Arrestverfahren grundsätzlich auch auf die einstweilige Verfügung anzuwenden, soweit keine Sonderbestimmungen gelten. Demnach gilt für den Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung prinzipiell das Gleiche wie für den Widerspruch gegen einen Arrestbefehl. Nach § 938 Abs. 1 ZPO entscheidet das Gericht jedoch nach freiem Ermessen, welche Anordnungen erforderlich sind. 53 Hinsichtlich der Auswahl des Arrestgegenstandes ist das Gericht frei, zumal im Arrestgesuch kein bestimmter Arrestgegenstand angegeben werden muss, vgl. Baur/Stürner/Bruns16, Rn. 51.12. 54 Kapsa, S. 84. 55 Vgl. zur Abgrenzung des Arrest- vom Erkenntnisverfahren etwa Hau, PDW-Zwangsvollstreckungsrecht, Frage 339. 56 So im Ergebnis auch Lieb, S. 59, der das Verbot wieder aus dem Umstand herleitet, dass der Widerspruch zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses führt (hiergegen schon oben § 7 V. (Seiten 112 ff.). Zusätzlich führt Lieb die Bindung des Gerichts an den Antrag des Schuldners an. A. A. wohl MünchKommZPO-Drescher3, § 925 Rn. 3, wenngleich ohne nähere Begründung. 57 Statthafter Rechtsbehelf wäre hier die sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO bzw. die Berufung, wenn der Arrestbefehl auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil erlassen wurde, vgl. Baur/Stürner/Bruns16, Rn. 51.25 f. Das Gericht darf dann jedoch den Arrestbefehl nicht ganz aufheben. Dies wäre eine unzulässige reformatio in peius zu Lasten des Arrestgläubigers.
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Teil 3: Verbotsumfang und Geltungsbereich
Doch auch hier besteht eine gewisse Antragsbindung. So darf nicht etwa ein anderer Anspruch gesichert oder mehr zugesprochen als beantragt werden.58 § 938 Abs. 1 ZPO hebt die Antragsbindung nicht auf, sondern stellt lediglich eine Lockerung dar. Der Gläubiger braucht nur sein Rechtsschutzziel aber keine konkreten Maßnahmen anzugeben. So hat das Gericht etwa die Wahl, ob es zur Sicherung eines Übertragungsanspruchs ein Verfügungsverbot, einen Widerspruch oder eine Vormerkung ins Grundbuch einträgt.59 Wenn das Gericht in seiner Entscheidung hinsichtlich der zu treffenden Maßnahme grundsätzlich frei ist, kann sich der Schuldner auch nicht auf den Bestand einer bestimmten Maßnahme verlassen. Stellt sich die ursprünglich angeordnete Maßnahme etwa als völlig ungeeignet dar, hätte das Gericht im Widerspruchsverfahren anderenfalls keine Möglichkeit, diese abzuändern, da der Gläubiger diesbezüglich keinen bindenden Antrag stellen kann. Eine Schranke bildet hier lediglich das Willkürverbot.
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Thomas/Putzo/Reichold29, § 938 Rn. 3. Vgl. Zöller/Volkommer27, § 938 Rn. 2; Baur/Stürner/Bruns16, Rn. 54.2.
Teil 4
4
Fallgruppen Teil 4: Fallgruppen
§ 8 Aufrechnung § 8 Aufrechnung
Da sich bei einer Aufrechnung des Beklagten im Prozess zwei Forderungen gegenüber stehen, die entweder verneint oder bejaht werden können, ergeben sich ganz unterschiedliche Situationen, in denen das Verbot der reformatio in peius relevant werden kann. Grundsätzlich gilt dabei, dass bei einseitigem Rechtsmittel nur die positive Entscheidung über die Forderung der Gegenpartei überprüft wird, eine Verschlechterung hinsichtlich der positiven Entscheidung über die eigene Forderung hingegen ausgeschlossen ist.1 Was dies für die einzelnen Konstellationen bedeutet, soll im Folgenden dargestellt werden.
I. Nichtbestehen der Klageforderung Wird eine Klage auf Grund der Aufrechnung des Beklagten abgewiesen, erwächst nach § 322 Abs. 2 ZPO auch die Feststellung des Erlöschens der Gegenforderung wegen der Aufrechnung in Rechtskraft.2 Legt der Kläger gegen ein solches Urteil Rechtsmittel ein, kann eine Abweisung der Klage aus einem anderen Grund als der Aufrechnung nicht erfolgen, da hierdurch auch die Verneinung der aufgerechneten Gegenforderung aufgehoben würde. Bei dieser Verneinung wäre es aber ohne das Rechtsmittel geblieben, so dass der Kläger darauf vertrauen darf, auch nach der Rechtsmittelentscheidung nicht hinsichtlich der Gegenforderung in Anspruch genommen zu werden. Insoweit muss das Rechtsmittelgericht vom Bestehen der Klageforderung ausgehen und es bei der ursprünglichen Abweisung wegen Aufrechnung belassen.3
1
Musielak/Ball6, § 528 Rn. 21. Dies entspricht der heute herrschenden weiten Auffassung von § 322 Abs. 2 ZPO, statt vieler MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 196 ff.; Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 169, jeweils mit Nachw. zur Rspr.; ausführlich zur Problematik der Prozessaufrechnung Musielak, JuS 1994, 817 ff. (hier insbesondere S. 825). Früher wurde hingegen angenommen, § 322 Abs. 2 ZPO bezöge sich nur auf die Fälle, in denen die Gegenforderung schon vor der Aufrechnungserklärung nicht bestanden habe, vgl. hierzu etwa Lieb, S. 116. 3 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 35; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 45; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 7; v. Gerkan, ZZP 75 (1962), 214; Freitag, S. 12; so auch BGHZ 109, 179 (186 ff.), in ausdrücklicher Abweichung von seiner bisherigen, 2
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Teil 4: Fallgruppen
Auf ein Rechtsmittel des Beklagten ist bei Nichtbestehen der Klageforderung die Verneinung der Gegenforderung aufzuheben und die Klage abzuweisen,4 denn für ihn bedeutet es ja eine Erweiterung seines Handlungsspielraums, wenn seine ursprünglich durch Aufrechnung erloschene Gegenforderung wieder auflebt.
II. Nichtbestehen der Gegenforderung Hält das Rechtsmittelgericht die Klageforderung für begründet, die Gegenforderung aber für unbegründet, muss es der Klage auf Rechtsmittel des Klägers stattgeben. Legt der Beklagte Rechtsmittel ein, steht einer Stattgabe der Klage das Verbot der reformatio in peius entgegen, da das angefochtene Urteil die Klageforderung in rechtskraftfähiger Weise verneint hatte.5 Ein Rechtsmittel des Beklagten wäre in diesem Fall abzuweisen. Dieses Ergebnis wird z. T. unterschiedlich begründet. Einerseits wird allein auf das Verbot der reformatio in peius und die rechtskraftfähige Verneinung der Klageforderung durch das angefochtene Urteil abgestellt.6 Andererseits soll in diesem Fall § 322 Abs. 2 ZPO entgegen seinem Wortlaut auch zu Gunsten des Beklagten Anwendung finden. Demnach solle auch die Feststellung des Bestehens der Gegenforderung in Rechtskraft erwachsen, so dass es bei der Klageabweisung bleiben müsse, wenn nur der Beklagte Rechtsmittel einlege.7 Diese unterschiedlichen Begründungen basieren auf verschiedenen Ansichten zum Umfang der Rechtskraft, auf die bereits oben eingegangen wurde.8 Für das Verbot der reformatio in peius kommt es hierauf aber nicht an, da allein der durch das angegriffene Urteil eröffnete Handlungsspielraum des Rechtsmittelführers von Belang ist. Dieser wird aber durch keinen der beiden dargestellten Lösungsansätze berührt. In beiden Fällen enthielt das vorinstanzliche Urteil eine Verneinung sowohl der Klage- als auch der Gegenforderung. Hieran ändert sich durch die Abweisung des Rechtsmittels nichts.
noch auf der engen Auffassung zu § 322 Abs. 2 ZPO beruhenden Rspr. in BGHZ 16, 394 (395); vgl. auch Lieb, S. 117 f., der von einer in diesem Fall notwendigen „Fiktion“ der Klageforderung spricht. Nicht ganz eindeutig Kapsa, S. 157 f. 4 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 35, auch zur Beschwer des Beklagten in diesem Fall. In diesem Sinne auch Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 7. 5 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 7; Kapsa, S. 168. 6 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 36. 7 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 12. 8 Siehe hierzu bereits oben § 6 I. 2. a) (Seiten 100 ff.).
§ 8 Aufrechnung
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III. Nichtbestehen von Klage- und Gegenforderung Schwieriger wird es, wenn das Rechtsmittelgericht sowohl Klage- als auch Gegenforderung für unbegründet hält. Legt der Kläger Rechtsmittel ein, ändert sich am gefundenen Ergebnis grundsätzlich nichts und ist wie oben unter I. zu entscheiden. Auch hier darf das Rechtsmittelgericht die Klageabweisung nicht wegen Unbegründetheit der Klageforderung aufrechterhalten, da es sonst auch das Erlöschen der Gegenforderung wegen der Aufrechnung korrigieren müsste. Das Rechtsmittel ist in dem Fall abzuweisen.9 Fraglich erscheint hierbei jedoch, ob die Abweisung der Klageforderung als unbegründet unter Korrektur der Entscheidung zur Aufrechnung überhaupt als Verschlechterung darstellt. Greift der Rechtsmittelführer die Entscheidung nur im Hinblick auf seine eigenen Forderung und die Aufrechnung an, so ist diese Frage zu bejahen. Denn das Bestehen der Gegenforderung wird dann nur im Hinblick auf die Aufrechnung überprüft. Wird die Klageforderung aus anderen Gründen abgewiesen und die Entscheidung zur Aufrechnung korrigiert, käme es zu keiner weiteren Überprüfung der Gegenforderung. Dies bedeutete aber einen gravierenden Nachteil für den Kläger als Rechtsmittelführer, da er sich im Anschluss erneut der Gegenforderung ausgesetzt sähe und das dann zuständige Gericht die Gegenforderung anders als das Rechtsmittelgericht, das über die Klageforderung zu entscheiden hatte, für begründet halten kann. Anders wäre höchstens zu entscheiden, wenn der Kläger mit seinem Rechtsmittel gleichzeitig eine negative Feststellungsklage hinsichtlich der Gegenforderung verbände. In diesem Falle dürfte das Rechtsmittelgericht nicht daran gehindert sein, die Klageforderung als unbegründet abzuweisen und gleichzeitig die Unbegründetheit der Gegenforderung festzustellen. Für den Kläger bleibt es bei der Verneinung von Forderung und Gegenforderung. Nach anderer Ansicht ist (in der Konstellation ohne negative Feststellungsklage des Klägers als Rechtsmittelführer) vom Bestehen der Klageforderung auszugehen und lediglich die Gegenforderung zu überprüfen. Bestehe diese nicht, sei der Klage in der Rechtsmittelinstanz stattzugeben, auch wenn die Klageforderung selbst unbegründet sei.10 Diese Ansicht führt jedoch zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass einer an sich unbegründeten und auch bereits in der Vorinstanz (wenngleich aus anderen Gründen) verneinten Klageforderung allein auf Grund der Aufrechnungskonstellation in der Rechtsmittelinstanz doch noch zum Durchbruch verholfen würde. Dies ist aber nicht Sinn und Zweck des Verbots der reformatio in peius. Schützenswerter Besitzstand des Klägers ist in diesem Fall allein die rechtskraftfähige Feststellung des Verbrauchs der Gegenforderung. Mehr hält er mit dem vorinstanzlichen Urteil nicht in Händen. Das Bestehen der Klageforde-
9 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 37; Lieb, S. 119, nimmt eine Fiktion von Klage- und Gegenforderung an. 10 Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 45; in diesem Sinne wohl auch Musielak/Ball6, § 528, Rn. 9.
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rung wird in diesem Fall denn auch nur im Hinblick auf die Gegenforderung und nicht generell fingiert.11 Anders verhält es sich jedoch, wenn über die Klageforderung durch Vorbehaltsurteil nach § 302 ZPO entschieden wurde. In diesem Fall bindet die positive Entscheidung über die Klageforderung die nachfolgenden Gerichte und wird der Kläger bei Einlegung eines Rechtsmittels durch das Verbot der reformatio in peius geschützt.12 Legt hingegen der Beklagte gegen das die Klageforderung auf Grund der Aufrechnung abweisende Urteil Rechtsmittel ein, muss das Rechtsmittelgericht das Erlöschen der Gegenforderung in Höhe der Aufrechnung aufheben und die Klage insoweit wegen Unbegründetheit der Klageforderung abweisen.13 Dies gilt auch für den Fall, dass die Vorinstanz der Klage teilweise stattgegeben, die Klageforderung im Übrigen aber auf Grund der Aufrechnung abgewiesen hat. Die Gegenauffassung hält in diesem Zusammenhang jedoch eine Verneinung der Gegenforderung durch das Rechtsmittelgericht für möglich, soweit es die Klageforderung aus anderen Gründen für mindestens in dem Maße für unbegründet hält, als es auch die Vorinstanz getan hat, da es hierdurch im Ergebnis zu einer Klageabweisung in der gleichen Höhe käme und der Kläger nicht mehr erhalte als durch das angefochtene Urteil.14 Es ist jedoch nicht einzusehen, warum dieser Fall anders behandelt werden sollte, als der einer vollständigen Abweisung in der Vorinstanz.15
IV. Teilweise Stattgabe bei Verneinung der Gegenforderung Einen speziellen Fall stellt die vorinstanzliche teilweise Stattgabe unter Verneinung der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung dar. Auf ein Rechtsmittel des Klägers darf das Rechtsmittelgericht die Verneinung der Gegenforderung nicht aufheben.16 11 Gegen Gerkens Ansicht auch v. Gerkan, ZZP 75 (1962), 214 (217 ff.) und ihm folgend Kapsa, S. 158, und Lieb, S. 119. 12 vgl. v. Gerkan, ZZP 75 (1962), 214 (221) und ihm folgend MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 40; allgemein zur Entscheidung durch Vorbehaltsurteil Musielak, JuS 1994, 817 (823 f.). 13 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 36; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 10. 14 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 38, vgl. auch Rn. 39 zu der umgekehrten Konstellation, dass die Vorinstanz der Klage unter Verneinung der Gegenforderung teilweise stattgegeben hat. 15 Vgl. hierzu im Einzelnen auch Kapsa, S. 156 f. 16 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 39. Anders verhält es sich etwa im Zürcher Zivilprozessrecht, das die Verneinung der Gegenforderung nicht in Rechtskraft erwachsen lässt. In diesem Fall müsste der Kläger auch unabhängig vom Rechtsmittelverfahren mit einer erneuten Geltendmachung der Gegenforderung rechnen und hat demnach auch keinen schützenswerten Besitzstand erlangt, vgl. Egger, S. 138.
§ 8 Aufrechnung
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Legt hingegen der Beklagte Rechtsmittel ein, und hält das Rechtsmittelgericht die Gegenforderung für begründet, muss es eine Aufrechnung in Höhe des für begründet erachteten Teils des Klageanspruchs zulassen. Das Verbot der reformatio in peius hindert das Rechtsmittelgericht jedoch daran, den Bestand der Klageforderung höher anzusetzen, als es die Vorinstanz getan hat.17
V. Sonderfall: Aufrechnung des Klägers Ein besonderes Problem stellt die Aufrechnung des Klägers im Prozess dar. Anknüpfungspunkt ist auch hier die Frage, welche Möglichkeiten die Parteien nach Erlass eines Urteils hinsichtlich Haupt- und Gegenforderung haben, bzw. inwieweit durch das angefochtene Urteil Vertrauenstatbestände geschaffen wurden. Wie bereits gezeigt, kommt dabei § 322 Abs. 2 ZPO besondere Bedeutung zu. Inwieweit sich die Rechtskraftregelung dieser Norm trotz ihres auf die Aufrechnung des Beklagten begrenzten Wortlauts auch auf eine Aufrechnung des Klägers anwenden lässt, ist strittig. Anerkannt ist eine entsprechende Anwendung von § 322 Abs. 2 ZPO lediglich in den Fällen der negativen Feststellungsklage und der Vollstreckungsgegenklage. Hier sind die Rollen von Kläger und Beklagten lediglich vertauscht, so dass der Umstand, dass die Aufrechnung durch den Kläger erfolgt, der Anwendung des § 322 Abs. 2 ZPO nicht entgegensteht.18 Es gelten demnach die obigen Ausführungen zum Verbot der reformatio in peius entsprechend. Etwas komplizierter ist die Sachlage, wenn der Beklagte dem Anspruch des Klägers mit einer Aufrechnung begegnet und der Kläger dieses Verteidigungsmittel seinerseits mit Aufrechnung mit einer anderen ihm gegen den Beklagten zustehenden Forderung abwehren will. Braun hat sich mit dieser Konstellation auseinandergesetzt und festgestellt, dass mit der herrschenden Meinung, die in der Prozessaufrechnung einen Doppeltatbestand sieht, dem neben der prozessualen auch materiell-rechtliche Wirkung zukommt, bereits die Möglichkeit einer solchen Aufrechnung verneint werden müsste. Denn sobald der Beklagte eine Aufrechnungserklärung abgibt, erlischt seine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung, setzt man ihr ursprüngliches Bestehen voraus. Eine zeitlich notwendigerweise nachfolgende Aufrechnung des Klägers ginge dann ins Leere.19 Braun weist jedoch darauf hin, dass auch die herrschende zivilistische Theorie von der sofortigen materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Prozessaufrechnung Ausnahmen macht. So könne das Gericht etwa die Aufrechnungserklärung des Beklagten nach § 282 Abs. 1 ZPO zurückweisen und sei an ein vom Beklagten angegebenes Eventualverhältnis etwa zwischen Aufrechnung und Verjährungseinrede nicht gebun17
MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 39. Statt vieler MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 206; Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 177; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 79 m. Nachw. zur Rspr. 19 Vgl. hierzu etwa Braun, ZZP 89 (1976), 93 (100 f.), mit entsprechender Kritik an der zivilistischen Theorie. 18
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den. Wenn aber die materiell rechtliche Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung in diesen Fällen nicht eintreten soll, dann könne auch eine mögliche Gegenaufrechnung des Klägers nicht mit dem Argument verneint werden, die Forderung des Beklagten sei bereits durch dessen Aufrechnung untergegangen.20 Geht man mit Braun von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Aufrechnung durch den Kläger aus, dann muss auch in diesem Fall § 322 Abs. 2 ZPO entsprechende Anwendung finden, da der Kläger seine Gegenforderung in einem erneuten Prozess geltend machen könnte, wenn es ihm gelänge, darzulegen, dass die Gegenforderung des Beklagten in Wahrheit gar nicht bestanden habe. Da deren Bestehen im Vorprozess lediglich nicht rechtskraftfähige Vorfrage ist, besteht in dieser Hinsicht keine Bindungswirkung für den Folgeprozess.21 Es ist jedoch nicht einzusehen, warum dem aufrechnenden Kläger eine solche Erleichterung zuteil werden soll, dem aufrechnenden Beklagten hingegen nicht. In diesem Fall müssen also die obigen Ausführungen zum Verschlechterungsverbot genauso gelten.
§ 9 Klagehäufung § 9 Klagehäufung
I. Kumulative Klagehäufung Werden mehrere Ansprüche mit einer Klage geltend gemacht, gilt das Verbot der reformatio in peius für jeden einzelnen der Ansprüche. D. h., dass auf Rechtsmittel des Klägers einzelne Ansprüche nicht zu Gunsten anderer Ansprüche gekürzt werden dürfen.1 Dies ergibt sich schon daraus, dass der Kläger nicht unbedingt gezwungen ist, die Ansprüche im Wege der Klagehäufung geltend zu machen. Werden die Ansprüche voneinander getrennt verfolgt, bestünde gar nicht die Möglichkeit, einen Anspruch zu Gunsten des anderen zu kürzen. Allein die Geltendmachung im Wege der Klagehäufung, deren Zweck lediglich die ökonomische Abhandlung mehrerer Ansprüche gegen den selben Beklagten ist,2 kann keine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Unselbstständige Rechnungsposten innerhalb eines einheitlichen Anspruchs können im Gegensatz hierzu jedoch gekürzt werden, soweit sich der Gesamtbetrag nicht verringert.3 Hieraus entstehen dem Rechtsmittelführer keinerlei Nachteile.4 Vielmehr kann auf diese Weise ein im Zweifel eher der materiellen Wahrheit ent20
Braun, ZZP 89 (1976), 93 (101 ff.), mit weiteren Ausnahmen zur zivilistischen Theorie. Braun, ZZP 89 (1976), 93 (104). 1 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 11; Kapsa, S. 133, 154 f. 2 Statt vieler Musielak/Foerste5, § 260 Rn. 1. 3 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 11; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 28; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13; diesbezüglich abstellend auf ein enges Rechtskraftverständnis MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 33; wohl auch Musielak/Ball6, § 528 Rn. 15; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 40; Kapsa, S. 133, 154 f. 4 So argumentiert auch Kapsa, S. 154. 21
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sprechendes Urteil gefunden werden, ohne den subjektiven Rechtsschutz des Klägers zu beeinträchtigen. In diesem Fall kann eine allein aus Gründen der Wahrheitsfindung vorgenommene Änderung des angefochtenen Urteils ausnahmsweise hingenommen werden.5
II. Eventualklagehäufung Macht der Kläger neben seinem Hauptantrag hilfsweise auch einen anderen Anspruch im Wege einer objektiven Eventualklagehäufung nach § 260 ZPO geltend,6 wird das Verbot der reformatio in peius nur für den Fall relevant, wo sowohl Haupt- als auch Hilfsantrag in die Rechtsmittelinstanz devolviert werden. Denn nur dann wird dem Rechtsmittelgericht überhaupt die Möglichkeit eröffnet, eine nachteiligere Entscheidung zu treffen.7
1. Abweisung des Hauptantrags und Erkennen nach Hilfsantrag Hat die Vorinstanz den Hauptantrag abgewiesen und nach dem Hilfsantrag erkannt, so fällt auf Rechtsmittel des Beklagten nur der Hilfsantrag in der Rechtsmittelinstanz an. Dies entspricht der wohl herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung, wobei der Hauptantrag auch dann nicht anfallen soll, wenn das Rechtsmittelgericht den Hilfsantrag gerade wegen Begründetheit des Hauptantrags für unbegründet hält. Denn in die Rechtsmittelinstanz erwächst nur der angefochtene Teil der Entscheidung, also der Teil, der dem Hilfsantrag stattgibt.8 Die Entscheidung über den Hauptantrag wäre in dem Fall nur eine nicht rechtskraftfähige Inzidententscheidung. Will der Kläger auch den Hauptantrag im Rechtsmittelverfahren geltend machen, muss er selbst Rechtsmittel einlegen oder sich dem Rechtsmittel des Beklagten anschließen.9 Nach der Gegenauffassung erwächst der Hauptantrag auch ohne Anschluss des Klägers in die Rechtsmittelinstanz. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass der vorinstanzliche Besitzstand des Beklagten lediglich in der Abweisung eines der 5
Gleiches gilt i. Ü. auch für reine Urteilsberichtigungen im Sinne des § 319 ZPO, vgl. etwa Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 15. 6 Zur Zulässigkeit eines solchen Vorgehens etwa Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 ff. 7 So auch Kapsa, S. 147. 8 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 43; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 11 und § 537 a. F. Rn. 9; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 48; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 137 Rn. 17; Merle, ZZP 83 (1970), 436 (448); BGHZ 41, 38, (40 ff.). 9 In diesem Falle wäre auch ein Eventualanschlussrechtsmittel bedingt durch die Abweisung des Hilfsantrags möglich, Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (132); Merle, ZZP 83 (1970), 436 (448); allgemein zur Möglichkeit bedingter Anschlussrechtsmittel MünchKomm ZPO-Rimmelspacher3, § 524, Rn. 27 ff. und § 554 Rn. 4; BGHZ 41, 38 (42).
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Teil 4: Fallgruppen
beiden Anträge bestünde. Käme die Rechtsmittelinstanz jedoch zu dem Ergebnis, dass auch der Hilfsantrag abzuweisen sei, begünstige dies den Beklagten in ungerechtfertigter Weise. Vielmehr müsse es dem Rechtsmittelgericht gestattet sein, auch nach dem Hauptantrag zu erkennen.10 Da der Beklagte hierdurch jedoch auch nach der geschilderten Auffassung nicht schlechter stehen darf als durch das angefochtene Urteil, ist ein Erkennen nach dem Hauptantrag nur dann möglich, wenn dem Beklagten hierdurch kein größerer Nachteil als vorher entsteht. Für die diesbezüglich notwendige Abwägung wird ein nach objektiven Maßstäben differenzierendes System vorgeschlagen, bei dem im Zweifel auf die Gegebenheiten des Einzelfalls abzustellen sei.11 Diese Sicht der Dinge kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen. So ist schon die Darstellung des durch das angefochtene Urteil vermittelten Besitzstandes des Beklagten nicht einleuchtend, denn dieser hat hierdurch nicht nur die Abweisung eines Antrags erreicht, sondern ganz konkret die Abweisung des Hauptantrags. An dieser individualisierten Abweisung kann das Rechtsmittelgericht nichts mehr ändern, es sei denn, auch der Kläger legt ein Rechtsmittel ein. Wird nun in der Rechtsmittelinstanz auch der Hilfsantrag abgewiesen, bedeutet dies ohne Zweifel eine Besserstellung des Beklagten. Ist der Hilfsantrag aber unbegründet, so bewegt sich diese Besserstellung im Rahmen dessen, was durch ein Rechtsmittel erreicht werden kann. Ein Erkennen nach dem Hauptantrag, solange dies den Beklagten nicht schlechter stellt, erfordert eine letztlich nicht objektivierbare und damit auch nicht vorhersehbare Abwägungsentscheidung. Es ist mit dem Sinn und Zweck des Rechtsmittelverfahrens auch kaum vereinbar, den Hauptantrag im Rahmen einer solchen Abwägungsentscheidung in die Rechtsmittelinstanz einzuführen. Dies liefe auf den Versuch hinaus, einen Kompromiss zwischen materieller Wahrheit und subjektivem Rechtsschutz zu finden.12 Dies ist aber nicht Sinn des Rechtsmittelverfahrens und zudem auch nicht notwendig. Vielmehr obliegt es allein dem Kläger, seinen subjektiven Rechtsschutz zu verfolgen, indem er den Hauptantrag in der Rechtsmittelinstanz anhängig macht. (Nur) Hierdurch kann dann auch der materiellen Wahrheit zum Durchbruch verholfen werden. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass, wenn allein der Kläger gegen die Abweisung des Hauptantrags Rechtsmittel einlegt, das Rechtsmittelgericht, wenn es dem Hauptantrag stattgeben will, die Entscheidung über den Hilfsantrag aufheben muss, da beide durch die Eventualklagehäufung in einem Alternativverhältnis stehen. Zudem bestünde sonst die Möglichkeit, dass der Kläger wegen des Hauptanspruchs aus dem Rechtsmittelurteil und wegen des Hilfsanspruchs aus dem vorinstanzlichen Urteil vollstreckt.13 Denkbar wäre aber immerhin, dass der 10
Kapsa, S. 150. Kapsa, S. 150 f. 12 Zum Verhältnis von materieller Wahrheit und subjektivem Rechtsschutz im Zivilprozess siehe bereits oben IX. 3. c) (Seiten 82 ff.). 13 In diesem Sinne auch Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (136). Merle, ZZP 83 (1970), 436 (456), hält eine gesonderte Aufhebung des Urteils über den Hilfsantrag für über11
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Kläger das Alternativverhältnis in der Rechtsmittelinstanz nicht weiter aufrecht erhalten und beide Ansprüche nebeneinander geltend machen will. Dies setzt jedoch voraus, dass beide Ansprüche unabhängig voneinander bestehen können.14 Zudem wendet die herrschende Meinung auf die nachträgliche Anspruchshäufung die Regelungen über die Klageänderung entsprechend an.15 Zwar ist die Aufhebung des Eventualverhältnisses keine nachträgliche Anspruchshäufung im eigentlichen Sinne, jedoch ist auch hier eine entsprechende Anwendung der §§ 263 ff., 533 ZPO gerechtfertigt, da sich der Beklagte nun beiden Ansprüchen gleichermaßen ausgesetzt sieht und seine Verteidigung entsprechend auszurichten hat, was darüber hinaus zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen kann. Anders ist zu entscheiden, wenn das Rechtsmittelgericht die Abweisung des Hauptantrags aufheben, die Sache aber zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverweisen will. Hier muss die positive Entscheidung über den Hilfsantrag bestehen bleiben, da die Vorinstanz nach wie vor zu dem Ergebnis kommen kann, dass der Hauptantrag abzuweisen sei. Es bestünde somit die Gefahr, dass der Kläger mit beiden Anträgen scheitert. Die Entscheidung über den Hilfsantrag ist jedoch auflösend bedingt durch die endgültige Bejahung des Hauptantrags, es sei denn, der Kläger will das Eventualverhältnis nicht weiter aufrecht erhalten.16 Nach anderer Ansicht soll das gesamte Urteil, also auch die positive Entscheidung über den Hilfsantrag, durch die Rechtsmittelinstanz aufgehoben werden können, die Vorinstanz bei ihrer Neuentscheidung jedoch an das Verbot der reformatio in peius gebunden sei, und mindestens dem Hilfsantrag stattgeben müssen.17 Diese Konstruktion erscheint sowohl technisch als auch dogmatisch wenig überzeugend. Zum einen kann es auf diese Weise zu einem (unnötigen) Hin und Her von Kassation und Neuerlass der Entscheidung über den Hilfsantrag kommen. Zum anderen sollte das Verbot dort eingreifen, wo zum ersten Mal die Schlechterstellung des Rechtsmittelführers droht. Das ist aber bereits in der Rechtsmittelinstanz der flüssig. Dessen Wirkungslosigkeit ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Rechtshängigkeit des Hilfsanspruchs durch Rechtskraft des dem Hauptantrag stattgebenden Urteils rückwirkend entfiele. Allenfalls sollte dies auf Antrag des Beklagten durch Beschluss ausgesprochen werden. 14 Nach h. M. müssen Haupt- und Hilfsanspruch rechtlich oder wirtschaftlich dasselbe oder ein gleichartiges Ziel verfolgen, MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, § 260 Rn. 12; Stein/ Jonas/Schumann20, § 260 Rn. 16 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 96 Rn. 21; Jauernig, Zivilprozessrecht29, § 88 III. Dies führt in der Regel dazu, dass beide Ansprüche nicht nebeneinander bestehen können, wie etwa bei einer Klage auf Beseitigung eines Mangels, hilfsweise auf Lieferung einer mangelfreien Sache (Bspl. nach Jauernig, Zivilprozessrecht29, § 88 III.); a. A. Merle, ZZP 83 (1970), 436 (439 ff.). 15 Statt vieler MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, § 263 Rn. 21 m. zahlreichen Nachw. zu Lit. und Rspr.; a. A. Stein/Jonas/Schumann21, § 264 Rn. 11; Musielak/Foerste6, § 263 Rn. 4. 16 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 43; Stein/Jonas/Grunsky21, § 537 a. F. Rn. 9; Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (137 f.); Merle, ZZP 83 (1970), 436 (456). 17 Kapsa, S. 149.
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Fall. Bereits die Aufhebung der positiven Entscheidung über den Hilfsantrag begründet die Gefahr einer Schlechterstellung und darf somit nur auf Antrag des Beklagten geschehen.
2. Erkennen nach dem Hauptantrag Weniger Einigkeit besteht bei der Beurteilung des umgekehrten Falls, wenn also dem Hauptantrag stattgegeben und deshalb über den Hilfsantrag nicht mehr entschieden wurde. Die wohl herrschende Meinung, allen voran die Rechtsprechung, bejaht hier ein automatisches Anwachsen des abgewiesenen Hilfsantrages in der Rechtsmittelinstanz, wenn allein der Beklagte Rechtsmittel einlegt.18 Begründet wird dies damit, dass die Erledigung des Hilfsantrags Teil der vorinstanzlichen Entscheidung sei.19 Der Hilfsantrag gehöre außerdem zum Klagebegehren, das der Beklagte durch sein Rechtsmittel nicht einschränken könne.20 Zudem könne es nicht angehen, dass der Kläger gegen das seiner Klage stattgebende Urteil selbst Rechtsmittel einlegen müsse, um die vollständige Überprüfung seines Klagebegehrens sicherzustellen.21 Durch den Umstand, dass über den Hilfsantrag noch nicht entschieden wurde, sei dem Beklagten diesbezüglich auch kein Besitzstand entstanden.22 Dem kann aus verschiedenen Gründen nicht gefolgt werden. Es ist zwar richtig, dass auch der Hilfsantrag zum Klagebegehren gehört, jedoch wurde über ihn noch überhaupt nicht sachlich entschieden.23 Insofern besteht tatsächlich ein Unterschied zu der soeben erörterten Konstellation, wo durch das angefochtene Urteil sowohl über Haupt- als auch über Hilfsanspruch in der Sache entschieden wurde. Dies allein rechtfertigt jedoch noch keine Ungleichbehandlung.24 Vielmehr steht es dem Beklagten frei, sein Rechtsmittel auf einen bestimmten Teil des ursprünglichen klägerischen Begehrens zu beschränken und allein gegen die Stattgabe des Hauptantrags zu richten. Denn es ist mit dem Verbot der reformatio in peius nicht 18 Musielak/Ball6, § 528 Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 137 Rn. 21; Kapsa, S. 147 f.; RGZ 77, 120 (126 f.); BGH NJW 1954, 1398 (1399); BGHZ 41, 38 (41); BGH NJW-RR 1990, 518 (519); 2005, 220; a. A. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 46; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 11 und § 537 a. F. Rn. 10. 19 RGZ 77, 120 (124 ff.); weitergehend BGH LM § 525 ZPO Ziff. 1, wonach in dem Erkennen nach dem Hauptantrag eine „Aberkennung des Hilfsanspruchs“ liegt. 20 BGH NJW-RR 2005, 220. 21 Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 20. 22 Kapsa, S. 148. 23 Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (133 f.); in diese Richtung auch MünchKomm ZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 46; dies wird auch vom BGH in BGHZ 41, 38 (41) ausdrücklich anerkannt. Kapsa, S. 148, schließt sich ebenfalls dieser Argumentation an, stellt deshalb aber auf einen mangelnden Besitzstand ab. 24 Auf den in dieser Ungleichbehandlung steckenden Widerspruch weist auch Merle, ZZP 83 (1970), 436 (449 f.) hin.
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vereinbar, dass allein auf Bestreben des Beklagten über einen gegen ihn gerichteten Anspruch entschieden wird, der in der Sache bisher noch nicht Gegenstand des Verfahrens war.25 Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Hilfsantrag für den Beklagten in jedem Fall günstiger ist als der Hauptantrag und eine Abweisung des Hauptantrags unter Erkennen nach dem Hilfsantrag besser sei als ein Erkennen nach dem Hauptantrag,26 auch wenn diese Vermutung in umgekehrter Richtung für den Kläger nahe liegt. Es kann aber auch im Interesse des Klägers liegen, den Hilfsanspruch nicht mehr zum Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens zu machen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der Erkenntnisse des vorinstanzlichen Verfahrens dessen Durchdringen unwahrscheinlich erscheint und der Kläger kein unnötiges Kostenrisiko eingehen möchte. Da zumindest die Anschlussberufung keine Beschwer voraussetzt,27 ist es ihm andererseits unbenommen, den Hilfsanspruch durch Einlegen eines eigenen Rechtsmittels bzw. durch Anschluss28 an das Rechtsmittel des Beklagten in die Rechtsmittelinstanz zu ziehen.29 Der Antrag müsste dann auf die Erkennung nach dem Hilfsantrag für den Fall, dass der Hauptantrag abgewiesen wird, lauten. Problematisch erscheint dies allenfalls im Revisionsverfahren, da hier wiederum eine Beschwer des Anschlussrevisionsführers erforderlich ist.30 Da das Zulässigkeitskriterium der Beschwer als Sonderform des Rechtsschutzbedürfnisses31 jedoch vornehmlich dazu dient, das Einlegen sinnloser Rechtsmittel zu verhindern, kann und muss von dem Erfordernis hier eine Ausnahme gemacht werden. Zumal der Kläger spätestens dann beschwert ist, wenn der Hauptantrag in der Revision abgelehnt und dann auch nicht mehr nach dem Hilfsantrag erkannt werden kann. Da auf diese Weise die Entscheidung, ob der Hilfsantrag weiter verfolgt werden soll oder nicht, allein in den Händen des Klägers liegt, entspricht diese Lösung auch eher dem vom Dispositionsgrundsatz bestimmten Charakter des Zivilprozesses. Wenn aber bereits die 25 In diese Richtung auch Brox, FS Carl Heymanns Verlag S. 120 (135) und Merle, ZZP 83 (1970), 436 (448 ff.), der sich dabei freilich auf § 537 a. F. ZPO stützt, wonach Gegenstand des Berufungsverfahrens nur solche prozessualen Ansprüche sind, über die in erster Instanz entschieden worden ist. 26 Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (135), mit dem einleuchtenden Beispiel, dass der Hauptantrag auf Naturalleistung, der Hilfsanspruch hingegen auf Zahlung gerichtet ist, die dem Beklagten u. U. schwerer fällt. 27 Siehe hierzu bereits oben § 5 III. 1. (Seiten 41 ff.), insb. die Nachw. in Fn. 19. 28 Auch hier ist an ein Eventualanschlussrechtsmittel zu denken, bedingt durch die Abweisung des Hauptantrags, Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (134, 136); a. A. Merle, ZZP 83 (1970), 436 (451), 29 A. A. Merle, ZZP 83 (1970), 436 (451), der auch bei der Anschlussberufung eine Beschwer fordert. 30 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 554 Rn. 5; Stein/Jonas/Grunsky21, § 556 a. F. Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 554 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold29, § 554 Rn. 2; Zöller/Heßler27, § 554 Rn. 3; Musielak/Ball5, § 554 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Prütting3, § 554 Rn. 8; AK-ZPO-Ankermann, § 556 a. F. Rn. 2; Zimmermann7, § 554 Rn.1; Gleiches gilt für die Anschlussbeschwerde. 31 Statt vieler MünchKommZPO-Rimmelspacher3, Vor §§ 511 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 134 Rn. 7 jeweils m. w. Nachw. zu Lit. und Rspr.
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Erkenntnismöglichkeiten der Rechtsmittelinstanz in dieser Weise eingeschränkt sind, muss Gleiches für den Fall gelten, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und an die Vorinstanz zurückverwiesen wird.
3. Abweisung von Haupt- und Hilfsantrag Wurden sowohl Haupt- als auch Hilfsantrag abgewiesen und will das Rechtsmittelgericht dem Hauptantrag stattgeben, muss es auch die Entscheidung über den Hilfsantrag aufheben, da anderenfalls dessen Abweisung rechtskräftig würde, obwohl über den Hilfsanspruch bei Stattgabe des Hauptanspruchs gar nicht entschieden werden sollte. Dem Kläger würde anderenfalls ein Anspruch aberkannt, über den er gar nicht entschieden haben wollte. Hält die Rechtsmittelinstanz dagegen den Hilfsantrag für begründet, bleibt es bei der Abweisung des Hauptantrags, da über den Hilfsantrag nur bei Abweisung des Hauptanspruchs entschieden werden sollte. Soll die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, und hält das Rechtsmittelgericht den Hauptantrag für begründet, muss es auch die Abweisung des Hilfsantrags aufheben, da anderenfalls die Vorinstanz an die Abweisung gemäß § 318 ZPO gebunden wäre.32
III. Uneigentliche Eventualklagehäufung Die uneigentliche oder auch unechte Eventualklagehäufung kommt immer dann in Betracht, wenn der Kläger die Entscheidung über einen Hilfsantrag nur für den Fall begehrt, dass seinem Hauptantrag stattgegeben wird.33 Im Unterschied zu der eigentlichen Eventualklagehäufung sollen hier also beide Ansprüche nebeneinander bejaht werden. Wird der Hauptantrag abgewiesen, so erwächst auf Rechtsmittel des Klägers nur jener in die Rechtsmittelinstanz. Wird dem Hauptanspruch dort stattgegeben, ist über den Hilfsantrag in der ersten Instanz (erstmalig) zu entscheiden. Dies ergibt sich schon allein aus dem Umstand, dass über diesen Anspruch bisher noch gar nicht entschieden wurde.34 Wurde erstinstanzlich über Haupt- und Hilfsanspruch entschieden, haben die Parteien mehrere Möglichkeiten. Wurde dem Hauptantrag stattgegeben, der Hilfsantrag aber abgewiesen und legt allein der Kläger hiergegen Rechtsmittel ein, so 32 Vgl. etwa MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 42, auch zu weiteren Varianten. Ähnlich auch Brox, FS Carl Heymanns Verlag, S. 120 (139); a. A. Musielak/Ball6, § 528 Rn. 5, der die Abweisung des Hilfsantrags in diesem Fall für gegenstandslos hält und auch eine Aufhebung zu Klarstellungszwecken ablehnt. 33 Vgl. nur MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, § 260 Rn. 16 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 96 Rn. 20. 34 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 47, im Anschluss an Hipke, S. 325 ff.; vgl. auch BGH NJW 1991, 1683 (1684).
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richtete sich dieses allein gegen die Entscheidung über den Hilfsantrag. Legt hingegen allein der Beklagte Rechtsmittel ein, bleibt es bei der Abweisung des Hilfsantrags und steht nur die Entscheidung über den Hauptantrag zur Überprüfung an. Wurde erstinstanzlich beiden Anträgen stattgegeben und legt nur der Beklagte Rechtsmittel ein, so muss nach der wohl herrschenden Meinung das Urteil über den Hilfsantrag von Amts wegen auch dann aufgehoben werden, wenn das Berufungsgericht (nur) den Hauptantrag für unbegründet hält und abweisen will und der Beklagte auch lediglich die Entscheidung über diesen angefochten hat.35 Dem ist nicht zuzustimmen. Zwar hat der Kläger die Entscheidung über den Hilfsantrag von der positiven Entscheidung über den Hauptantrag abhängig gemacht. Dieses Eventualitätsverhältnis hat sich jedoch mit Entscheidung der Anträge zunächst erledigt. Richtet der Beklagte sein Rechtsmittel ausdrücklich nur gegen die Bejahung des Hauptantrags, kann es schon auf Grund der fehlenden Anfallwirkung und der damit verbundenen alsbald eintretenden formellen Rechtskraft der Entscheidung über den Hilfsantrag nicht zu einer Aufhebung von Amts wegen kommen. Diese müsste sonst auch entgegen einer inzwischen eingetretenen formellen Rechtskraft möglich sein.36 Das an sich rechtskräftige Urteil wäre dann nur ein bedingtes, was den Grundsätzen der Rechtssicherheit eindeutig zuwiderliefe.37 Anders muss jedoch entschieden werden, wenn der Kläger die Eventualität auch in der Rechtsmittelinstanz aufrecht erhalten will. Denn in der Regel wird der Beklagte beide Entscheidungen angreifen und werden somit auch beide Entscheidungen in der Rechtsmittelinstanz anhängig. Dann bestehen jedoch keine Bedenken mehr hinsichtlich eines Widerspruchs von Rechtskraft und Bedingung, und es wäre zu rechtstechnisch, nähme man an, das Interesse des Klägers an einer Eventualität der Anträge habe sich mit der erstmaligen Entscheidung erledigt.38 Vielmehr wird dieses Interesse auch in der Rechtsmittelinstanz fortbestehen, und es ist nicht einzusehen, warum es nicht dadurch berücksichtigt werden soll, dass bei Zuerkennen des Hauptantrags der Hilfsantrag abgewiesen wird.39 Hält man aber eine Aufrechterhaltung des Eventualverhältnisses in der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich für möglich, dann darf dies nicht allein davon abhängen, ob der Beklagte 35
MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 47; BGH NJW 1996, 2862 (2864) m. w. Nachw. zur Rspr.; a. A. Hipke, S. 338 ff. 36 Anders bei der echten Eventualklagehäufung, wo bei Abweisung beider Anträge auf Rechtsmittel des Klägers auch beide Anträge in die Rechtsmittelinstanz erwachsen, so dass sich das Rechtskraftproblem nicht stellt. Eine Aufhebung kann dort aber schon aus dem Grunde notwendig werden, weil Haupt- und Hilfsanspruch nicht nebeneinander bestehen können, siehe hierzu bereits oben Fn. 13. 37 So auch Hipke, S. 337 ff. 38 In diese Richtung aber Hipke, S. 338 f.; 341. 39 Da es sich bei der Eventualklagehäufung um eine auflösend bedingte Klagerhebung handelt, die mit Aberkennen des Hauptantrags entfällt, muss der Hilfsantrag als mangels Klageerhebung unzulässig abgewiesen werden (vgl. die Nachw. oben in Fn. 16).
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auch den Hilfsantrag in die Rechtsmittelinstanz zieht. Dies muss vielmehr auch dem Kläger durch Einlegung eines eigenen Rechtsmittels oder durch Anschließung möglich sein, und zwar selbst dann, wenn dem Hilfsantrag voll stattgegeben wurde.40 Der Kläger müsste dann als Rechtsmittelgegner nicht nur die Abweisung des Rechtsmittels des Beklagten beantragen, sondern auch für den Fall der Abweisung seines ursprünglichen Hauptantrages die Abweisung seines Hilfsantrags. Freilich wäre ein solcher Antrag kurios, aber erst durch diese Konstruktion würde man den Parteiinteressen41 in systemkongruenter Weise gerecht. Dass dies zu dem bemerkenswerten Ergebnis führt, dass der Kläger im Nachhinein ein seiner Klage stattgebendes Urteil zu Fall bringen und somit quasi Rechtsmittel gegen sich selbst einlegen kann, ist nur die Konsequenz aus der Zulassung einer bedingten Klageerhebung. Eine quasi automatische Aberkennung des Hilfsantrags, ohne dass dies von einer der beiden Parteien beantragt wurde, kommt jedenfalls nicht in Betracht.
§ 10 Eventualwiderklage § 10 Eventualwiderklage
Bei einer Eventualwiderklage ist genauso wie bei der uneigentlichen Eventualklagehäufung die Abhängigkeit von der Hauptsache zu beachten. Das bedeutet, dass die Aufhebung einer der Klage stattgebenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz immer auch eine Aufhebung des Urteils über die Widerklage verlangt, wenn der ursprüngliche Beklagte als Rechtsmittelführer an dem Eventualverhältnis festhält.1 Anders verhält es sich nur, wenn die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen wird. Hier muss das Urteil über die Widerklage bestehen bleiben, da die Vorinstanz zu dem Ergebnis kommen kann, dass der Klage stattzugeben ist.2 Ficht allein der Kläger ein die Klage abweisendes Urteil an, muss der Beklagte (Anschluss-)Rechtsmittel einlegen, um die Widerklage auch in der Rechtsmittelinstanz geltend zu machen.3 Denn in der Vorinstanz wurde über die Widerklage auf Grund der Abweisung in der Hauptsache (noch) nicht entschieden.
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An einer mangelnden Beschwer des Klägers darf dies hier genauso wenig scheitern wie im Falle der echten Eventualklagehäufung, wo nur der Beklagte gegen den Hauptantrag Rechtsmittel einlegt, siehe oben unter II. 2. (Seiten 128 ff.). 41 Zu Recht weist Hipke, S. 340, darauf hin, dass es Sache des Beklagten sei, sich (auch) gegen den Hilfsantrag zu wehren. Hält der Kläger das Eventualverhältnis nicht aufrecht, so kann der Beklagte auch nicht darauf vertrauen, dass mit Abweisung des Hauptantrags auch der Hilfsantrag hinfällig wird. 1 A. A. (Aufhebung auch ohne entspr. Antrag) MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 48. 2 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 48. Dies entspricht in umgekehrter Weise auch der für die Eventualklagehäufung gefundenen Lösung, vgl. oben § 9 II. 1. (Seiten 125 ff.). 3 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 48.
§ 11 Zur Zeit unbegründet – endgültig unbegründet
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§ 11 Zur Zeit unbegründet – endgültig unbegründet § 11 Zur Zeit unbegründet – endgültig unbegründet
I. Die Abweisung als „zur Zeit unbegründet“ Wie bereits in der Einleitung angekündigt, erweist sich die Handhabung des Verbots der reformatio in peius im Falle einer Abweisung als zur Zeit unbegründet als besonders schwierig. Doch nicht nur im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius bietet die Abweisung als zur Zeit unbegründet mancherlei Tücken auf, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die Zivilprozessordnung sieht eine Abweisung als „zur Zeit unbegründet“ zwar nicht ausdrücklich vor, jedoch wird sie allgemeinhin für zulässig gehalten.1 Die Abweisung als zur Zeit unbegründet fügt sich auch stimmig in die Systematik der zivilprozessualen Klageabweisungen ein, da sie neben der Abweisung als unzulässig und der Sachabweisung keine eigenständige dritte Form der Abweisung darstellt, sondern letzterer zuzuordnen ist. Durch die Abweisungsbegründung wird lediglich verdeutlicht, dass eine erneute Klageerhebung in der selben Sache nach Eintritt eines bestimmten Umstandes möglich ist, dass die Abweisung also nicht endgültig erfolgte. Ein einfaches Beispiel für eine solche Klageabweisung ist der Fall, dass der Kläger im Ausgangsverfahren eine Forderung aus Kaufvertrag eingeklagt hat und die Klage mangels Fälligkeit der Forderung als zur Zeit unbegründet abgewiesen wurde. Tritt nun Fälligkeit ein, kann der Kläger ohne weiteres erneut Klage auf Kaufpreiszahlung erheben. Ebenfalls als zur Zeit unbegründet abgewiesen wird eine Klage, wenn die Parteien vereinbart haben, dass bestimmte Aspekte eines Anspruchs durch ein Sachverständigengutachten festgestellt werden sollen und dieses Gutachten bei Klageerhebung noch nicht vorliegt.2 Es wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass es eine Unterscheidung zwischen zur Zeit unbegründet und endgültig unbegründet in Wirklichkeit gar nicht gebe. Denn jede Klageabweisung stelle lediglich fest, dass das geltend gemachte Recht zum Zeitpunkt des Urteilserlasses nicht bestehe oder nicht durchsetzbar sei. Treten hinsichtlich des Abweisungsgrundes nach Urteilserlass neue Umstände ein, stehe einer erneuten Klageerhebung nichts entgegen.3 Dem ist grundsätzlich zwar zuzustim1
Vgl. hierzu vor allem Walchshöfer, FS Schwab S. 521 ff. mit Hinweis auf die wohl erste gericht-liche Entscheidung zu diesem Thema: RGZ 7, 64 ff.; vgl. auch BGHZ 24, 279 (284); 104, 212 ff. 2 OLG Bremen, VersR 1960, 842 (843 f.); Walchshöfer, FS Schwab S. 521 (526 ff), verweist zusätzlich auf den Fall, dass die Parteien eine Schiedsgutachterabrede getroffen haben und das Gutachten bei Klageerhebung noch nicht vorliegt. Rspr. und Teile der Lit. nehmen auch hier an, dass die Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen werden kann, während die wohl herrschende Meinung in der Lit. diese Möglichkeit ablehnt. Vielmehr müsse die Klage in diesem Fall als unzulässig abgewiesen werden, vgl. die Nachw. bei Walchshöfer, FS Schwab S. 521 (526 ff.). 3 Heute ganze h. M., ausführlich hierzu Dietrich, ZZP 83 (1970), 201 ff.; vgl. auch Stein/ Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor § 511 ff.) Rn. 95; und Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 247, jeweils mit Nachw. zur Rspr., sowie Zeuner, S. 34.
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men, jedoch darf die „Nachholung“ des betreffenden Tatbestandsmerkmals nicht zu einer Veränderung des Streitgegenstandes führen.4 Wird eine Klage auf Kaufpreiszahlung etwa wegen Nichtbestehens des Kaufvertrages als unbegründet abgewiesen, und schließen die Parteien danach einen neuen Kaufvertrag gleichen Inhalts, so handelt es sich bei einer hierauf gestützten Klage nicht mehr um eine „Fortsetzung“ der abgewiesenen Klage, sondern um einen neuen Streitgegenstand. Die ursprüngliche Klage ist demnach tatsächlich als endgültig abgewiesen anzusehen.5 Richtig ist es jedoch, dass durchaus weitere Konstellationen denkbar wären, in denen zwar eine endgültige Abweisung ausgesprochen wurde, faktisch aber die Möglichkeit besteht, den selben Streitgegenstand unter veränderten Umständen erneut geltend zu machen. Auf eine ausdrücklich Abweisung als zur Zeit unbegründet kommt es folglich nicht an.6 Zu denken wäre etwa an den Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit nach § 275 BGB, wenn die zeitliche Begrenzung der Unmöglichkeit bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht erkennbar war.7 Rechtsprechung und Literatur fassen unter dem Stichwort „zur Zeit unbegründet“ jedoch lediglich die Fälle zusammen, in denen das Eintreten des fehlenden Tatbestandsmerkmals in naher Zukunft zu erwarten ist. Gerade in diesen Fällen wird die Frage nach der Zulässigkeit einer reformatio in peius besonders virulent. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die folgenden Ausführungen grundsätzlich für jede Klageabweisung gelten, solange der zur Abweisung führende Umstand später noch wegfallen kann. Wurde eine Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen, stellt sich die Frage, in welchem Umfang das Rechtsmittelgericht zur Entscheidung befugt ist, wenn allein der unterlegene Kläger hiergegen Rechtsmittel einlegt. Kann das Rechtsmittelgericht etwa die Klage als endgültig abweisen, wenn es der Meinung ist, es fehle bereits an einem wirksamen Kaufvertragsschluss, so dass es auf die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs gar nicht mehr ankommt? Diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur unter Ablehnung eines schützenswerten Besitzstandes des Rechtsmittelführers weitgehend bejaht. Die Begründungen fallen jedoch recht unterschiedlich aus.
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Dietrich, ZZP 83 (1970), 201 (203 ff.); vgl. auch Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (588). 5 Hierauf weist auch Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (593), hin. 6 Vgl. Hau, NJW 2003, 1157. 7 Anderenfalls würde die Klage ausdrücklich als zur Zeit unbegründet abgewiesen oder der Beklagte auf künftige Leistung verurteilt, vgl. etwa MünchKommBGB-Ernst4, § 275 Rn. 134; Palandt/Heinrichs68, § 275 Rn. 10.
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II. Rechtskraftwirkung und Beschwer der Abweisung als zur Zeit unbegründet 1. Allgemein Die ablehnende Haltung gegenüber einem aus der Abweisung als zur Zeit unbegründet folgenden Besitzstand des Klägers wird vornehmlich mit einer insoweit mangelnden Rechtskraftwirkung des abweisenden Urteils begründet.8 Der abgewiesene Kläger habe demnach durch die Abweisung keinerlei schützenswerten Besitzstand erlangt, da es allein auf die Abweisung seines Rechtsschutzbegehrens ankomme. Diese Ansicht wird heute nur noch von wenigen angezweifelt.9 Als Gegenargument wird angeführt, dass die Rechtskraftwirkung der endgültigen Abweisung die der Abweisung als zur Zeit unbegründet übersteigt, weshalb der Kläger in diesem Falle schlechter gestellt würde.10 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Die obigen Ausführungen zur Bedeutung der Entscheidungsgründe für die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraftwirkung eines Urteils haben gezeigt, dass der Abweisungsgrund nicht gänzlich gleichgültig ist. Zumindest für die Unterscheidung von Prozess- und Sachabweisung ist eine Berücksichtigung der Entscheidungsgründe unerlässlich. Doch auch im Falle eines klageabweisenden Sachurteils kann der Abweisungsgrund für den Kläger von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf seine hierdurch beschränkten Handlungsmöglichkeiten sein. Deutlich wird dies, wenn man sich parallel hierzu den Charakter der aus einem abweisenden Urteil folgenden Beschwer vor Augen hält. Die Frage, ob eine Partei durch ein Urteil beschwert ist, richtet sich nach ähnlichen Grundsätzen wie der Umfang des Verschlechterungsverbots. Auch hier wird in erster Linie auf den rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung abgestellt11 und 8 Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 46; Kapsa, S. 153 f.; in diesem Sinne auch Musielak/Ball6, § 528 Rn. 19; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 9; Saenger, § 528 Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald16; § 138 Rn. 12; Walchshöfer, FS Schwab S. 521 (531 f.) und wohl auch Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 24. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 33 verneint hingegen ein Verbot der reformatio in peius für diese Konstellation in der aktuellen Auflage zwar nicht mehr ausdrücklich (vgl. aber noch MünchKommZPO-Rimmelspacher1, § 536 a. F. Rn. 14), jedoch ist die Verneinung logische Konsequenz aus seiner rigorosen Ablehnung jeglicher Bedeutung der Entscheidungsgründe für das Verschlechterungsverbot; einschränkend Zimmermann7, § 528 Rn. 8; vgl. auch Dietrich, ZZP 83 (1970), 201 (210 ff.). Eine unterschiedliche Rechtskraftwirkung nimmt hingegen der BGH an, BGHZ 104, 212 (214 f.), lehnt ein Verbot der reformatio in peius jedoch aus anderen Gründen ab, siehe auch unten Fn. 76. 9 AK-ZPO-Ankermann, § 536 a. F. Rn. 9, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13 (vgl. aber auch Rn. 13 a. E.); Hau, JuS 2003, 1157 (1159); Schellhammer11, Rn. 1035. 10 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 13. 11 Ganz h. M., statt vieler MünchKommZPO-Rimmelspacher3, Vor §§ 511 ff. Rn. 14; Stein/ Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor §§ 511 ff.) Rn. 89; Musielak/Ball6, vor § 511 Rn. 22, jeweils mit Nachw. zur Rspr.
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nötigenfalls Tatbestands- oder Vollstreckungswirkung mit herangezogen.12 Die wohl herrschende Meinung geht heute vom Grundsatz der formellen Beschwer aus, nimmt also einen Vergleich zwischen dem gestellten Rechtsschutzantrag und dem rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalt vor.13 Folgerichtig sehen diejenigen, die den Entscheidungsgründen keinerlei Rechtskraftwirkung beimessen, zwischen einer Abweisung als zur Zeit unbegründet oder endgültig unbegründet keinen Unterschied hinsichtlich der damit verbundenen Beschwer des Klägers.14 Wenn man hingegen den Entscheidungsgründen in gewissem Umfang zumindest im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand (relative) Rechtskraftwirkungen zukommen lässt,15 muss sich dies auch auf die Beurteilung der Beschwer auswirken. Grunsky16 hat sich ausführlich mit diesem Problemkreis beschäftigt. Er nähert sich der Frage zunächst von der anderen Seite und untersucht, inwieweit der Beklagte durch eine Abweisung als zur Zeit unbegründet beschwert ist. Da die Klage abgewiesen wurde, kann sich eine Beschwer hier ausschließlich aus den Entscheidungsgründen ergeben. Denn stellt man allein auf die Entscheidungsformel ab, kann es für den Beklagten keinen Unterschied machen, ob die gegen ihn gerichtete Klage zur Zeit oder endgültig abgewiesen wurde, da diese Unterscheidung im Entscheidungstenor nicht auftaucht. Ausgangspunkt ist für Grunsky dabei die Bindungswirkung des als zur Zeit unbegründet abweisenden Urteils hinsichtlich seiner übrigen Feststellungen zum geltend gemachten Anspruch. Es entspricht aber der ganz herrschenden Meinung, dass das Gericht in einem Folgeprozess an diese Aussagen gebunden ist und ein Folgeprozess nur angestrebt werden kann, wenn neu eingetretene Tatsachen sich gerade auf das Tatbestandsmerkmal beziehen, dessentwegen die Klage abgewiesen wurde.17 Hieraus folgert Grunsky zutreffend, dass die Abweisung als zur Zeit unbegründet für den Beklagten einen Sieg bedeute, der „lediglich auf dem Papier“ bestehe, da der Kläger etwa nach Eintritt der Fälligkeit erneut Klage erheben könnte und nur noch die Fälligkeit des Anspruchs nachweisen müsste. Grunsky spricht in diesem Fall von einem rein formellen Sieg des Beklagten, den dieser nicht in einen materiellen Sieg umwandeln könne, wenn man allein in der Bejahung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen 12
MünchKommZPO-Rimmelspacher3, Vor §§ 511 ff. Rn. 14. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 134 Rn. 8; Zöller/Heßler27, Vor § 511 Rn. 10 m. Nachw. zur Rspr. 14 In diesem Sinne muss v. a. Rimmelspacher, S. 200 f., verstanden werden, der in concreto zwar gegen eine unterschiedliche Beschwer von Prozess- und Sachabweisung Stellung bezieht, dessen Argumentation aber auf die Unterscheidung von zur Zeit und endgültig unbegründet übertragen werden kann. 15 Vgl. zum Begriff relative Rechtskraft in diesem Zusammenhang die Ausführungen oben § 6 I. 2. a) (Seiten 100 ff.). 16 Stein/Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor §§ 511 ff.) Rn. 97 f.; ders., ZZP 76 (1963), 165 ff. 17 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 154; Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 147 f.; Zöller/Volkommer27, § 322 Rn. 55; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 29; Zeuner, S. 35 ff.; Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (167); BGH NJW 1981, 2306; 1984, 126 (127). 13
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keine Beschwer des Beklagten sähe und ihm damit den Zugang zur Rechtsmittelinstanz verwehrte. Deshalb müsse in diesen Fällen auch hinsichtlich der Entscheidungsgründe eine Beschwer angenommen werden.18 Der BGH geht sogar soweit, im Falle einer Abweisung als zur Zeit unbegründet den Beklagten als „teilweise unterlegen“ anzusehen.19 Nichts anderes kann aber in dem umgekehrten Fall für den Kläger gelten. Nimmt ihm doch die endgültige Abweisung im Gegensatz zu einer Abweisung als zur Zeit unbegründet die Möglichkeit, nach Eintritt des noch fehlenden Ereignisses erneut zu klagen und dann mit seinem Anspruch durchzudringen.20 Dies ist heute weitgehend anerkannt,21 so dass auch dem Kläger ein gesteigertes Interesse daran, dass die Klage aus einem ganz bestimmten Grund abgewiesen wird, zuzubilligen ist.22 Doch kann dem Kläger die Erfüllung verschiedener nachholbarer Tatbestandsmerkmale unterschiedlich schwer fallen.23 So wird das Abwarten der Fälligkeit dem Kläger in der Regel weniger Probleme bereiten als etwa das Beibringen eines (ihm günstigen) Sachverständigengutachtens. Jedoch sind solche Aussagen nicht unbedingt verallgemeinerungsfähig. Schwieriger wird es etwa, wenn Klageabweisungen mangels beigebrachten Sachverständigengutachtens bzw. mangels Leistungsangebots in Rede stehen. Was dem Kläger hier leichter nachholbar erscheint, lässt sich kaum generell und für alle Fälle gleich beantworten. Umgekehrt kann für den Beklagten die Abweisung mangels Fälligkeit des Anspruchs sogar günstiger sein als die Abweisung wegen eines unwirksamen Vertragsschlusses,24 wenn der Beklagte nämlich durchaus zur Erfüllung des Vertrages bereit und seinerseits an der Gegenleistung interessiert ist. Konsequenterweise geht es bei der
18 Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (172); a. A. Rimmelspacher, S. 200 f. (explizit gegen Grunsky); Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (591 ff.). 19 BGHZ 24, 279 (284). 20 Siemon, MDR 2004, 301 (305), spricht deshalb mit Bezug auf die Formulierung in BGHZ 24, 279 (284) folgerichtig vom teilweisen Obsiegen des Klägers, wenn die Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen wird. 21 Vgl. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 134 Rn. 14; differenzierend Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (591 ff.), der dies nicht aus einer etwaigen Rechtskraftwirkung des Abweisungsgrundes ableitet, da es sich bei diesem lediglich um eine Nebenwirkung handele und es in den seltensten Fällen um eine echte Rechtsposition, sondern um „Rechtsrudimente“ bzw. „Rechtsmöglichkeiten“ ginge, so dass hiergegen auch nicht zwingend eine weitere Instanz vorgehalten werden müsse. Vielmehr könne der Kläger die Auswechslung des Entscheidungsgrundes bereits mit dem „gewöhnlichen“ Rechtsmittel erreichen, das ihm bereits deshalb zustünde, weil seine Klage abgewiesen wurde. Eines speziellen „Grundauswechslungs-Rechtsmittels“ bedürfe es hingegen nicht. 22 Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (168); a. A. Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (593) und Kapsa, S. 123; siehe hierzu noch unten 2. a) (Seiten 145 ff.). 23 Stein/Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor § 511 ff.) Rn. 95; in diesem Sinne auch Stein/Jonas/ Leipold21, § 322 Rn. 247; vgl. die Ausführungen oben unter I. (Seiten 133 ff.). 24 Stein/Jonas/Grunsky21, Einleitung (vor §§ 511 ff.) Rn. 97, ders., ZZP 76 (1963), 165 (173). Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Beklagte grundsätzlich zur Erfüllung des Vertrags bereit ist.
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Feststellung der Beschwer nicht darum, zu beurteilen, welche Abweisung eine größere bzw. eine weniger große Rechtskraftwirkung entfaltet, sondern allein, ob den unterschiedlichen Abweisungsgründen andere Rechtskraftwirkungen zukommen.25 Im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius kann aber nichts anderes gelten. Beschwer und Vertrauensschutztatbestand sind nur zwei Seiten derselben Medaille. Denn gesteht man den Parteien allein durch die Veränderung der Entscheidungsbegründung eine Beschwer und damit die Möglichkeit zur Ergreifung eines Rechtsmittels zu, erkennt man damit an, dass ihnen bereits bestimmte Entscheidungsgründe nachteilig sein können. Sinn des Verschlechterungsverbotes ist es aber gerade, den alleinigen Rechtsmittelführer vor (zusätzlichen) Nachteilen durch die Rechtsmittelentscheidung zu schützen und ihm sozusagen die aus der „Nicht-Nachteilhaftigkeit“ erwachsenden Vorteile des angefochtenen Urteils zu erhalten. Ein zu enges Festhalten an dem Institut der Rechtskraft als Verbotsmaßstab und eine zu enge Auslegung des Rechtskraftumfangs laufen dem zuwider. Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, dass das Verbot der reformatio in peius in diesem Fall zu einer einseitigen Begünstigung des Klägers führte, da dieser im äußersten Fall mit der Zurückweisung seines Rechtsmittel zu rechnen habe und dem Bedürfnis des Klägers nach Rechtssicherheit im Gegenzug nicht Rechnung getragen würde.26 Wie die Ausführungen zur Dispositionsmaxime und zur Zwecksetzung des Zivilprozesses27 deutlich gemacht haben, ist es Sache des Beklagten, seine Interessen zu vertreten, und dies ist ihm durch Einlegung eines (Anschluss-)Rechtsmittels jederzeit möglich. Hierdurch kann er auch auf eine endgültige Sachabweisung hinwirken.28 Unterlässt er dies, muss die „Risikolosigkeit“ des Rechtsmittels der Gegenpartei in Kauf genommen werden.
2. Sonderfall: Klageabweisung durch Versäumnisurteil Wird eine Klage auf Grund der Säumnis des Klägers durch Versäumnisurteil nach § 330 ZPO abgewiesen, stellt sich die Sachlage anders dar. Selbst wenn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch (zusätzlich) mangels eines bestimmten 25 In diesem Sinne auch Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (173). U. a. wegen der zum Teil schwierigen Feststellung, welcher Abweisungsgrund für die jeweilige Partei nachteiliger ist, lehnt Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (588) jegliche Teilnahme des Abweisungsgrundes am rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalt ab. 26 So aber Lieb, S. 109, im Anschluss an Bötticher, ZZP 65, (1952), 464 (467), der in diesem Zusammenhang von einer „Deformierung“ des Prozessganges spricht. 27 Vgl. oben § 5 VI. 3. a) und 4. (Seiten 59 ff., 66 ff.) und § 5 IX. 3. (Seiten 78 ff.). 28 Vgl. auch Siemon, MDR 2004, 301 (305), der im Anschluss an Hau, JuS 2003, 1157 (1159), fragt, warum dem Beklagten die Wohltat der endgültigen Abweisung zu Teil werden soll, „ohne dass er sich durch eigene Berufung oder Anschlussberufung darum auch nur bemüht hätte.“ (Hervorhebung im Original)
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Tatbestandsmerkmals zur Zeit unbegründet ist, erfolgt die Abweisung endgültig.29 Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass das die Klage auf Grund der Säumnis des Klägers abweisende Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe ergeht, eine möglicherweise zeitlich begrenzte Unbegründetheit der Klage dem Urteil also nicht entnommen werden kann. RG und BGH folgern aus dem Argument der Rechtssicherheit, dass es für den Beklagten aber erkennbar sein müsse, ob mit einer erneuten Geltendmachung des Anspruchs zu rechnen ist.30 Dieser Ansicht hat sich mit gewissen Vorbehalten Hau angeschlossen. Hau leitet die Notwendigkeit einer endgültigen Abweisung jedoch aus dem Justizgewährungsanspruch des Beklagten ab. Dieser habe bei Säumnis des Klägers in der Regel keine Möglichkeit, selbst für eine endgültige Abweisung der Klage zu sorgen. Etwas anderes gelte nur, wenn der Beklagte durch Beantragung einer Entscheidung nach Aktenlage eine endgültige Abweisung erreichen könnte. Eine „Flucht in die Säumnis“ des Klägers müsse aber im Interesse des Beklagten ausgeschlossen sein.31 Die in der endgültigen Abweisung trotz Nachholbarkeit des fehlenden Tatbestandsmerkmals liegende Härte für den Kläger könne dieser außerdem durch fristgerechte Einlegung eines Einspruchs abwenden.32 Diese Einspruchsobliegenheit ist dem Kläger auch zuzumuten, denn auch wenn er den Eintritt des fehlenden Tatbestandsmerkmals nicht herbeiführen bzw. nachweisen kann, so zwingt er mit dem Einspruch das Gericht immerhin, eine die Abweisung als nur zur Zeit unbegründet deutlich machende Urteilsbegründung zu erlassen.33 Erfolgt das Versäumnisurteil gegen den Kläger erst in der Rechtsmittelinstanz, kommt es auf eine entsprechend begrenzte Rechtskraftwirkung nicht an. Denn das Versäumnisurteil geht dann dem eindeutigen Wortlaut des § 539 Abs. 1 ZPO, der nach herrschender Meinung gemäß § 565 ZPO auch für das Revisionsverfahren gilt, nicht über die Zurückweisung des Rechtsmittels hinaus.34 Wird dem Kläger durch das angefochtene Urteil ein Besitzstand vermittelt, wird dieser durch das abweisende Versäumnisurteil in der Rechtsmittelinstanz nicht berührt.
29 In diesem Sinne bereits RGZ 7, 395 (397) und BGHZ 35, 338 (341); vgl. hierzu Siemon, MDR 2004, 301. 30 BGH NJW 2003, 1044 (1045); a. A. wohl Siemon, MDR 2004, 301 (304 f.). 31 Hau, JuS 2003, 1157 (1158); kritisch Siemon, MDR 2004, 301 (304 f.). 32 So auch BGH NJW 2003, 1044 (1045). 33 Siemon, MDR 2004, 301 (304). Auf die Irrelevanz des Kostenarguments weist richtigerweise Hau, JuS 2003, 1157 (1158), hin. Der Kläger müsse die höhere Kostenlast hinnehmen, da er den Beklagten in jedem Fall zu früh mit einer Klage überzogen habe. 34 Hau, JuS 2003, 1157 (1159); Siemon, MDR 2004, 301 (306 f.), mit Hinweis auf BAG AP Nr. 1 zu § 542 ZPO a. F. und der Formulierung, dass „die Klage […] bei Säumnis des Berufungsklägers überhaupt nicht zu interessieren (hat).“
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III. Entscheidungsumfang der Vorinstanz 1. Feststellungen zu den übrigen Tatbestandsmerkmalen a) Bindungswirkung von vorinstanzlichen Feststellungen Ob und inwieweit die Rechtsmittelinstanz an einer Veränderung der Urteilsbegründung gehindert ist, hängt vornehmlich davon ab, was in der ersten Instanz bereits entschieden worden ist und welche Fragen offen gelassen wurden. Denn nur soweit die angefochtene Entscheidung zum geltend gemachten Anspruch überhaupt Stellung nimmt, findet das Vertrauen des Rechtsmittelführers einen Anknüpfungspunkt. Auch im Falle eines Folgeprozesses nach Eintritt der Fälligkeit in gleicher Instanz reicht die Bindung des Gerichtes nur soweit, wie über Tatbestandsmerkmale bereits im Vorprozess entschieden wurde. Wird etwa bei einer Klage auf Kaufpreiszahlung der Wirksamkeit des Kaufvertragsschluss festgestellt und die Klage mangels Fälligkeit abgewiesen, kann der Beklagte im Folgeprozess nicht geltend machen, es gebe gar keinen wirksamen Kaufvertrag, es sei denn, diesbezüglich hätten sich zwischenzeitlich Änderungen ergeben.35 Denn wie bereits oben dargelegt kann mit der herrschenden Meinung ein erneuter Prozess nur dann angestrengt werden, wenn sich hinsichtlich des konkreten Abweisungsgrundes Änderungen ergeben haben.36 Diese für den Folgeprozess aufgestellten Überlegungen können aber auch auf das Rechtsmittelverfahren übertragen werden. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob der Kläger seine Sache in erster Instanz weiterverfolgt, oder ob er dies in der Rechtsmittelinstanz tut, weil er von der Unrichtigkeit der Abweisung als zur Zeit unbegründet überzeugt ist. Auch in der Rechtsmittelinstanz muss das Gericht durch die (relativen) Rechtskraftwirkungen der Feststellungen zu den dem Kläger günstigen Tatbestandsmerkmalen gebunden sein, wenn nicht der Beklagte ebenfalls Rechtsmittel ergreift. Diese Bindungswirkung gilt grundsätzlich für alle festgestellten, dem Rechtsmittelführer günstigen Tatbestandsmerkmale. Zum Teil wird vertreten, dass sich die Bindungswirkung der Feststellungen des ersten Urteils allein auf die das Urteil tragenden Gründe beschränken. Wäre demnach etwa ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB mangels Fälligkeit abgewiesen worden, wäre das Gericht im Prozess nach Fälligkeitseintritt an seine Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal Eigentum nicht gebunden. Diese seien lediglich nicht bindende „obiter dicta“.37 Tatsächlich sind die Ausführungen zum Eigentum für den Entscheidungsinhalt (Abweisung der Klage) nicht maßgeblich oder gar tragend. Jedoch gehen sie über das Stadium eines bloßen obiter dictum insoweit hinaus, als sie durch den Abweisungsgrund „mangelnde Fälligkeit“ nicht
35 36 37
Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (170). Vgl. die Nachw. oben in Fn. 17. Dietrich, ZZP 83 (1970), 201 (210 ff.).
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obsolet geworden sind. Das vom Kläger beantragte Prüfungsprogramm beinhaltet alle Tatbestandsmerkmale des geltend gemachten Anspruchs, wobei die Abweisung mangels eines bestimmten Tatbestandsmerkmals die positiven Feststellungen zu den übrigen nicht berührt. Vielmehr erwecken diese in der Person des Klägers gewisse Erwartungen in Bezug auf die gerichtliche Beurteilung seines Rechtsschutzanliegens. Nimmt das Gericht zu den nicht tragenden Tatbestandsmerkmalen Stellung, so bringt es damit zum Ausdruck, dass es diese für gegeben hält oder eben nicht. Die Parteien trotz dieses Ausspruchs im Ungewissen zu lassen, indem man hierin lediglich unverbindliche Feststellungen sieht, widerspräche in erheblichem Maße dem Gedanken der Rechtssicherheit. Zudem prüfen die Rechtsmittelgerichte nicht, ob das Urteil aus Sicht der Vorinstanz richtig ist, sondern ob es dies in objektiver Betrachtung ist. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Rechtsmittels als objektive Richtigkeitskontrolle.38 Es besteht außerdem auch kein Bedürfnis, dem Ausspruch über nicht tragende Tatbestandsmerkmale weniger Bindungswirkung zukommen zu lassen als der Feststellung der mangelnden Fälligkeit. Würde man einen Besitzstand des Klägers lediglich für die Feststellungen des Gerichts bejahen, die über den konkreten Streitgegenstand hinaus in „absolute“ Rechtskraft erwachsen, wäre der Kläger gezwungen, über alle ihm günstigen präjudiziellen Rechtsverhältnisse wie etwa das grundsätzliche Bestehen des Kaufvertrages, Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO zu erheben.39 Dies ist wohl kaum als prozessökonomisch anzusehen,40 müsste dem Kläger – und umgekehrt auch dem Beklagten hinsichtlich des Nichtvorliegens von Tatbestandsmerkmalen – jedoch zugebilligt werden, um sich die Vorteile solcher Aussprüche zu sichern. Im Zweifel hilft aber die Zwischenfeststellungsklage gar nicht weiter, da mit ihr lediglich Rechtsverhältnisse, nicht aber deren einzelne Elemente oder tatbestandliche Voraussetzungen festgestellt werden können.41 Durch die Annahme einer erweiterten, aber eben relativen Rechtskraftwirkung verlöre die Zwischenfeststellungsklage auch nicht ihren Sinn, denn sie kann immerhin dazu dienen, die Feststellung über das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtsverhältnissen in absolute Rechtskraft erwachsen zu lassen, so dass sich deren präjudizielle Wirkung auch über den konkreten Streitgegenstand hinaus entfaltet.42 Allenfalls kann die Klage nach § 256 Abs. 2 ZPO dazu genutzt werden, das Gericht zu einem weitestgehenden Ausspruch über den geltend gemachten Anspruch zu bewegen und sich nicht 38 Vgl. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 529 Rn. 11, 17; ders., NJW 2002, 1897, der diesbezüglich für die Berufung auf das Zusammenspiel der §§ 529 Abs. 1 und 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO und für die Revision auf § 561 ZPO verweist; a. A. noch zur Rechtslage vor der Zivilprozessreform 2001 BGH NJW 1984, 2353 (2354). 39 In diese Richtung gehen wohl die Ausführungen Jürgen Blomeyers, NJW 1969, 587 (589). 40 Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (183). 41 Wenngleich diesbezüglich einige Stimmen für eine weniger restriktive Handhabung im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes plädieren, vgl. etwa MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, § 256 Rn. 79 und 24 f. 42 Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (182, Fn. 67).
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mit einer Abweisung als „jedenfalls“ zur Zeit unbegründet43 zu begnügen. Im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes sollte das Gericht den Anspruch aber von sich aus in jeglicher Beziehung prüfen und dies nicht auf einen Folgeprozess nach Eintritt des fehlenden Tatbestandsmerkmals verschieben, bzw. es dem Rechtsmittelgericht überlassen.44 Dies gilt umso mehr für die Fälle, wo mit einer erneuten Geltendmachung des Anspruchs von vornherein zu rechnen ist, die übergangenen Tatbestandsmerkmale also ohnehin irgendwann zur Prüfung anstehen werden. In diesem Fall würde diese Überprüfung lediglich verzögert bzw. in eine höhere Instanz abgeschoben werden.
b) Rollenverständnis der Berufung nach der Zivilprozessreform 2001 Dass bereits in erster Instanz eine umfassende Prüfung aller Tatbestandsmerkmale zu erfolgen hat, gebietet auch die Rollenverteilung der Instanzen, die durch die Zivilprozessreform 200145 noch schärfer differenziert wurde und nach der nun auch der Berufungsinstanz lediglich die Funktion einer Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung zukommt und der Streitstoff so weit wie möglich in der ersten Instanz aufbereitet werden soll.46 Diese Zielsetzung ergibt sich vor allem aus dem gegenüber der ursprünglichen Gestaltung eingeschränkten tatsächlichen und rechtlichen Prüfungsumfang, wie er durch § 529 ZPO bestimmt wird.47 So ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz gebunden.48 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststel43
Hierzu sogleich unter 2. So auch Hau, NJW 2003, 1157 (1158), der dies aus dem Justizgewährungsanspruch des Beklagten folgert, welcher vor allem dadurch zum Ausdruck komme, dass § 269 Abs. 1 ZPO die Befugnis des Klägers zur Klagerücknahme begrenzt. Gegen eine durch das materielle Recht vorgegebene Prüfungsreihenfolge (bei der vor der Fälligkeitsprüfung Ausführungen zu den Entstehungsvoraussetzungen des Anspruchs notwendig wären) Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (589 f.), mit der Begründung, dass dann jedes vorrangige Tatbestandsmerkmal rechtskraftfähig, d. h. urteilsgleich entschieden werden müsse. Folgt man Jürgen Blomeyers Ansicht, dass Entscheidungsgründe keinerlei Rechtskraftwirkung entfalten, ist diese Argumentation konsequent. 45 Zivilprozessreformgesetzt vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887 ff.). Zur Funktionsdifferenzierung bereits oben in der Einleitung (Seiten 17 ff.) und auch noch unten 2. und 3. sowie § 12 II. 2. (Seiten 154 ff.). 46 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722, S. 58, 61 f., 97, 100 f.; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz, Vor § 511 Rn. 1 ff. 47 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 529 Rn. 1; Hannich/Meyer-Seitz, Vor § 511 Rn. 2. 48 Diese Bindung unterliegt grundsätzlich nicht den Parteidispositionen. Die Bindung hindert die Parteien jedoch nicht, ihr in erster Instanz festgestelltes Vorbringen in der Berufung fallen zu lassen, vgl. nur MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 529 Rn. 14; a. A. Hannich/ Meyer-Seitz, § 529 Rn. 17, der die Parteien an ihr Vorbringen in der ersten Instanz festhalten will. 44
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lungen begründen.49 Die unbestimmte Formulierung des § 529 ZPO hat dafür gesorgt, dass es im Einzelnen streitig ist, wann eine erneute Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht zu erfolgen hat.50 Diese Frage rührt aber unmittelbar an das Rollenverständnis der Berufungsinstanz: Je geringer die Schwelle für erneute Tatsachenfeststellungen gesetzt wird, desto eher erhält die Berufung den Charakter einer zweiten Tatsacheninstanz und desto weniger wird sie auf die Aufgabe der Fehlerkorrektur beschränkt. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dass „bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen, die sich schon aus der Möglichkeit einer unterschiedlichen Wertung ergeben können, […] nach der gesetzlichen Neuregelung eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten“ ist.51 Wenn aber bereits die unterschiedliche Wertung von Beweismitteln das Berufungsgericht zu einer erneuten Beweisaufnahme verpflichtet, wird die grundsätzliche Bindung an die Feststellungen der ersten Instanz stark eingeschränkt, da Beweismittel fast immer unterschiedlich bewertet werden können.52 In die gleiche Richtung tendiert auch der VIII. Senat des BGH im Hinblick auf gerichtliche Vertragsauslegung. Demnach seien neue Tatsachenfeststellungen immer dann zu treffen, wenn die erstinstanzliche Entscheidung in dieser Hinsicht nicht „überzeuge“. Es bestünde keine Bindung des Berufungsgerichts an eine nach den gesetzlichen Auslegungsregeln zwar vertretbare, unter dem Gesichtspunkt einer materiell gerechten Entscheidung des Einzelfalls aber nicht überzeugende Auslegung des erstinstanzlichen Gerichts.53 Wann aber eine erstinstanzliche Entscheidung nicht „überzeugt“ und wann genau ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen eine erneute Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht rechtfertigen, wird aber weder vom BVerfG noch vom BGH näher erläutert.54 Damit läge es allein im Ermessen des Berufungsgerichts, ob und in welchem Umfang es eine neue Beweisaufnahme vornimmt, zumal eine erneute Tatsachenfeststellung laut BGH keine diesbezügliche Rüge voraussetzt und das Berufungsgericht den gesamten erstinstanzlichen Prozessstoff auf Zweifel an der Richtigkeit von Amts
49
MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 529 Rn. 15 ff.; Hannich/Meyer-Seitz, § 529 Rn. 17. Die Begründung des Regierungsentwurfs nennt lediglich den Fall objektiv begründeter Zweifel an der Fehlerfreiheit von Feststellungen, wenn widersprechende gerichtsbekannte Tatsachen nach § 291 ZPO vorliegen, BT-Drucks. 14/4722, S. 100. 51 BVerfG, NJW 2003, 2524. 52 Vgl. Greger, NJW 2003, 2882 (2883), der die Reichweite des BVerfG-Beschlusses jedoch einschränkt, da es in concreto nicht um die Auslegung von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ging, insgesamt aber vor einer extensiven Auslegung dieser Norm und einer Verkehrung des Reformansatzes ins Gegenteil warnt. 53 BGH, NJW 2004, 2751 (2753). 54 BGHZ 159, 254 (258) gibt immerhin eine etwas konkretere Definition. Demnach ist ein konkreter Anhaltspunkt für Zweifel „ jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte“ genügen nicht. 50
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wegen zu überprüfen hat.55 Hierdurch wird aber das Ziel der Zivilprozessreform, die Berufung auf Fehlerkontrolle zu beschränken, unterlaufen und eine Berufung nach dem alten Muster des § 525 ZPO a. F. „durch die Hintertür“ wieder eingeführt.56 Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung lehnt eine solche weite Auslegung von § 529 ZPO zu Recht ab. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel seien demnach nur gegeben, wenn entweder ein erstinstanzlicher Verfahrensfehler bei der Feststellung des Sachverhaltes vorliegt, der nach §§ 529 Abs. 2 Satz 1, 520 Abs. 3 ZPO geltend gemacht wurde, nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit §§ 530, 531 Abs. 2, 532 Satz 2 ZPO zulässigerweise vorgebrachte neue Angriffs- und Verteidigungsmittel mit den erstinstanzlichen Feststellungen in Widerspruch stehen oder ein von Amts wegen zu berücksichtigender Umstand die Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen in Zweifel zieht.57 Darüber hinaus unterstreicht auch die Einführung von Berufungsgründen in § 513 ZPO die Beschränkung der Berufung auf Fehlerkontrolle.58 Demnach kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i. S. von § 546 ZPO beruht oder dass eine nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsache eine andere Entscheidung rechtfertigt.59 Durch die Bezugnahme auf § 529 ZPO wird ein Zusammenhang mit dem der Berufung zugrundeliegenden Prüfungsumfang hergestellt.60 Auch die umfangreichen Präklusionsregeln des § 531 ZPO sollen gewährleisten, dass die Aufarbeitung des Sachverhalts in der ersten Instanz konzentriert wird.61 55
BGH, NJW 2005, 1583 (1585). Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 (1901 f.). 57 So Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 (1901 f.), der gleichzeitig deutlich macht, dass zwar auch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit §§ 530, 531 Abs. 2, 532 Satz 2 ZPO zulässigerweise in die Berufungsinstanz eingeführt werden, geeignet sind, konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit bzw. Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung zu bilden (so auch BGHZ 164, 330 [333]). Dies könne jedoch nicht für nicht nach §§ 530 ff. ZPO zulässiges neues Vorbringen gelten, da anderenfalls die Präklusionsregeln unterlaufen werden. Verbiete das Gesetz den Parteien solches Vorgehen, ließe man aber die Berücksichtigung seitens des Berufungsgerichtes zu, liefe dies auf eine unterschwellige Prüfung von Amts wegen hinaus, die nicht einmal in erster Instanz Platz greife; kritisch im Hinblick auf die Auffassung der Rspr. auch Unberath, ZZP, 120 (2007), 323 (342 ff.); Stackmann, NJW 2007, 9 ff.; Greger, NJW 2003, 2882 ff. Da die Bindung des Berufungsgerichts an die Sachverhaltsfeststellungen der ersten Instanz den Parteien entzogen ist, könne auch diese das Berufungsgericht nicht über das in § 529 Abs. 1 ZPO festgesetzte Maß hinaus ermächtigen oder verpflichten, erstgerichtlich festgestellte Tatsachen erneut festzustellen, MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 529 Rn. 14. 58 Vgl. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 513 Rn. 1; dens., NJW 2002, 1897. 59 Zur Abgrenzung der beiden Berufungsgründe ebenfalls Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 (1898 ff.). 60 BT-Drucks. 14/4722, S. 101. 61 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 531 Rn. 1; Hannich/Meyer-Seitz, Vor § 511 Rn. 4. 56
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Dies macht deutlich, dass es nicht Aufgabe der Berufungsinstanz ist, erstinstanzliche Aufgaben in größerem Umfang wahrzunehmen, als es die Fehlerbeseitigung verlangt. Umgekehrt darf auch das Ausgangsgericht eigentlich ihm zufallende Aufgaben nicht in die Berufungsinstanz verlagern. In der parallelen und doch wieder anders gelagerten Konstellation im verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren wird dies unter dem Stichwort „Kompetenzkonflikt“ diskutiert und betrifft die Fälle, in denen die Widerspruchsbehörde durch den verschlechternden Verwaltungsakt in die Kompetenz der Ausgangsbehörde eingreift, was etwa im Bereich von Selbstverwaltungsangelegenheiten geschehen kann.62 Zwar wird man für den Zivilprozess nicht so weit gehen können, in der durch das reformierte Rechtsmittelrecht zum Ausdruck kommenden stärkeren Instanzendifferenzierung eine Art Kompetenzregelung mit absoluten und scharf gezogenen Grenzen zu sehen. Dies ist aber auch nicht notwendig, denn es geht nicht um einen interinstanziellen Kompetenzkonflikt und damit nicht um „Rechte“ der Instanzen untereinander, sondern um die grundsätzliche Abgrenzung der Instanzen, wie sie sich für den Rechtsmittelführer darstellt und um die Erwartungen, die hierdurch in ihm geweckt werden.
c) Zwischenergebnis Auch wenn in der Praxis Bestrebungen deutlich sind, die durch die Reform ins Werk gesetzte Funktionsdifferenzierung rückgängig zu machen oder zumindest abzuschwächen, bleibt Anknüpfungspunkt für die Erwartungen und das Vertrauen des Rechtsmittelführers die gesetzliche Regelung. Hieraus ergibt sich zum einen, dass die möglichst umfassende Feststellung des Sachverhalts in der ersten Instanz zu erfolgen hat. Zum anderen darf das Rechtsmittelgericht, soweit das angefochtene Urteil über die übrigen Tatbestandsmerkmale des geltend gemachten Anspruchs in positiver Weise entscheidet, hiervon nur dann abweichen, wenn auch der Beklagte ein Rechtsmittel ergreift und entsprechende Abänderung beantragt.
2. Offenlassen der übrigen Tatbestandsmerkmale a) Ausgangslage Problematisch wird es jedoch, wenn das Gericht entgegen der soeben geschilderten Gesetzeslage nicht zu allen übrigen Tatbestandsmerkmalen Stellung genommen und die Klage „jedenfalls“ mangels Fälligkeit abgewiesen hat. Da das Urteil nur hinsichtlich der gerichtlich festgestellten Tatbestandsmerkmale Bin62
Vgl. etwa Hufen, § 9 Rn. 19; Schenke11, Rn. 693.
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dungswirkung entfalten kann, darf und muss das (erstinstanzliche) Gericht in einem Folgeprozess nach Eintritt der Fälligkeit die noch unbeurteilten Anspruchsvoraussetzungen prüfen und kann die Klage dann auch aus anderen Gründen, etwa mangels wirksamen Kaufvertrags, abweisen.63 Auch wenn der Kläger gleich Rechtsmittel gegen das als zur Zeit unbegründet abweisende Urteil einlegt und das Rechtsmittelgericht zu der Erkenntnis kommt, dass die Fälligkeit des Anspruchs zu Unrecht verneint wurde, bedarf es hinsichtlich der übergangenen Tatbestandsmerkmale noch einer gerichtlichen Entscheidung. Fraglich ist jedoch, ob dies durch das Rechtsmittelgericht zu geschehen hat oder ob die Sache zur erneuten Entscheidung an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen ist. Dies ist im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius vor allem deshalb relevant, da die Frage der instanziellen Zuständigkeit unmittelbaren Einfluss darauf hat, welche Rechtsmittel dem Betroffenen im weiteren Verlauf zur Verfügung stehen. Entscheidet etwa das Berufungsgericht über die noch unbeurteilten Tatbestandsmerkmale und weist die Klage ebenfalls ab, steht dem Rechtsmittelführer hiergegen nur noch die Revision offen. Eine weitere Tatsacheninstanz ist ihm also verwehrt. Hätte der Kläger den Eintritt des fehlenden Tatbestandsmerkmals herbeigeführt und es auf einen (erstinstanzlichen) Folgeprozess ankommen lassen, stünden ihm gegen eine erneute Sachabweisung noch alle Rechtsmittel offen. Für die Revisionsinstanz stellt sich die Rechtslage in diesem Zusammenhang recht einfach dar. Da ihr eigene Sachverhaltsfeststellungen gemäß §§ 559, 536 Abs. 1, 3 ZPO nicht möglich sind,64 muss die Sache ohnehin schon aus diesem Grund an die Vorinstanz nach § 536 Abs. 1 Satz 1 ZPO zurückverwiesen werden. Wie bereits oben ausgeführt ist es aber auch ein Gebot von Rechtsicherheit und Prozessökonomie, dass der geltend gemachte Anspruch soweit als möglich durch das Ausgangsgericht geprüft und alle notwendigen Feststellungen getroffen werden.65 Das Argument der Prozessökonomie wird hier jedoch insoweit eingeschränkt, als eine Zurückverweisung und erneute Befassung des Ausgangsgerichts mit der Sache in der Regel aufwendiger ist als das Durchentscheiden der Rechtsmittelinstanz. Die gilt zumindest dann, wenn es zur Herbeiführung der Spruchreife keiner aufwändigen Verhandlungen mehr bedarf. Auch wird durch eine Zurückverweisung kein höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet. So wird es zumindest in der Berufungsinstanz häufig prozessökonomischer erscheinen, wenn das Berufungsgericht die Sache nicht zurückverweist, sondern selbst in der Sache entscheidet.
63
Vgl. etwa Grunsky, ZZP 76 (1963), 165 (169) im Anschluss an Zeuner, S. 37. MünchKommZPO-Wenzel3, § 563 Rn. 21; vgl. zu dieser früher durchaus strittigen Frage etwa Arens, AcP 161 (1962), 177 ff. 65 Siehe oben unter III. 1. (Seiten 140 ff.). 64
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Verfahrensbeschleunigung ist jedoch niemals Selbstzweck,66 zumal dem Rechtsmittelführer bei einer eigenen die Klage als unbegründet67 abweisenden Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts, wie oben dargelegt, ein Instanzverlust droht, der seine bis dahin bestehenden Dispositions- und Handlungsmöglichkeiten empfindlich einschränkt. Zwar besteht kein Recht auf den Zugang zu einer Rechtsmittelinstanz, wird jedoch ein Instanzenzug eingerichtet, darf der Zugang nicht unverhältnismäßig erschwert werden.68 Eine unverhältnismäßige Erschwerung bedeutete es auch, wenn der Zugang zu einer Instanz willkürlich gewährt würde. Im vorliegenden Fall hinge die Frage, ob und inwieweit dem Rechtsmittelführer weitere Instanzen zustünden, allein davon ab, ob und inwieweit die Ausgangsinstanz über den geltend gemachten Anspruch entschieden hat. Wurde der Prozessstoff von der Vorinstanz umfassend aufbereitet und bedarf es zur endgültigen Sachentscheidung nur noch eines geringen prozessualen Aufwandes in der Rechtsmittelinstanz, geböte es die Prozessökonomie, dass die Sachentscheidung ebendort gefällt würde. Wurde die Klage unter Offenlassen vieler Tatbestandsmerkmale als „jedenfalls“ zur Zeit unbegründet abgewiesen, spricht einiges für eine Zurückverweisung. Es kann aber nicht von der persönlichen Einstellung des Richters oder von der allgemeinen Arbeitsbelastung der Gerichte abhängen, ob das Ausgangsoder erst das Rechtsmittelgericht über alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale entscheidet und inwieweit gegen diese Entscheidung Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Vielmehr muss auch aus diesem Grunde die Sache zur erneuten – bzw. erstmaligen – Beurteilung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. Diese Lösung wird zudem am ehesten der instanziellen Funktionsdifferenzierung gerecht.69 Nach der Gegenauffassung stellt der Erhalt des Instanzenzuges keinen schützenswerten Besitzstand dar. Vielmehr habe der Kläger die Wahl, das fehlende Tatbestandsmerkmal nachzuholen (bzw. die Fälligkeit des Anspruchs abzuwarten), erneut Klage vor der Ausgangsinstanz zu erheben und sich so den vollen Instanzenzug zu sichern.70 Es kann dem Kläger aber zumindest bei einer fälschlichen Abweisung als zur Zeit unbegründet wohl kaum zugemutet werden, trotzdem den Eintritt des angeblich fehlenden Tatbestandsmerkmals abzuwarten, um dann erneut Klage zu erheben. Dies hieße im Zweifel, sich auf das unrichtige Urteil einzulassen und es als richtig anzunehmen, obwohl man von dessen Unrichtigkeit überzeugt ist und Rechtsmittel offenstehen. Der Rechtsmittelzugang würde so durch sachfremde Kriterien beschränkt. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Rechtsmittelinstanz zu dem Ergebnis kommt, dass der Klage stattzugeben sei. In diesem Fall stünde dem Kläger man66
Vgl. neuerdings Unberath, ZZP 120 (2007), 323 (338). Denkbar wäre eine endgültige Sachabweisung, aber auch eine erneute Abweisung als zur Zeit unbegründet mangels eines anderen, von der Vorinstanz noch nicht beurteilten Tatbestandsmerkmals. 68 Siehe hierzu bereits oben § 5 VI. 3. b) (Seiten 63 ff.). 69 Siehe hierzu bereits oben unter 1. b) (Seiten 142 ff.). 70 Kapsa, S. 123 f., vgl. auch Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (593). 67
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gels Beschwer ohnehin kein weiteres Rechtsmittel mehr zu, so dass ein Instanzverlust nicht zu befürchten wäre. Hier kann die Sache unproblematisch und prozessökonomisch in der Rechtsmittelinstanz zum Abschluss gebracht werden.
b) Die Hürde des § 538 ZPO in der Berufungsinstanz In der Berufungsinstanz besteht für die Zurückverweisung jedoch noch die Hürde des § 538 ZPO, wonach das Berufungsgericht grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden hat. Hierin wird u. a. auch der Grund gesehen, warum eine endgültige Sachabweisung durch das Berufungsgericht zulässig sein soll.71 Diese der Prozessökonomie dienende Vorschrift soll jedoch auch davor schützen, dass den Parteien durch Fehler des Ausgangsgerichts eine Instanz verloren geht,72 so dass § 538 Abs. 2 ZPO dem Berufungsgericht für bestimmte Ausnahmen Zurückverweisungen ermöglicht. Eine Zurückverweisung kommt demnach in Betracht, wenn sie durch mindestens eine der Parteien beantragt wurde, weitere Verhandlungen erforderlich sind und einer der in Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 bis 7 genannten Fälle vorliegt. Da der Zurückverweisungsantrag nur von einer Partei gestellt zu werden braucht, kann diese Voraussetzung vom Rechtsmittelführer ohne weiteres erfüllt werden. Auch sind bei der Abweisung als „jedenfalls“ zur Zeit unbegründet noch weitere Verhandlungen zu den übrigen Tatbestandsmerkmalen erforderlich. Fraglich ist jedoch, welcher der in Abs. 2 Ziff. 1 bis 7 genannten Fälle hier einschlägig ist, da vom Wortlaut her keiner zu passen scheint. Auf Grund dieser Regelungslücke wäre an eine Analogie zu denken. Auch wenn die Beschränkung der Zurückverweisungsmöglichkeiten des § 538 ZPO vor allem der Prozessökonomie dienen soll, wollte der Gesetzgeber dieses Ziel sicher nicht um den Preis eines willkürlichen Instanzverlustes erzielen, so dass von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist. Am ehesten wird wohl § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 ZPO der hier in Rede stehenden Konstellation gerecht. Zwar ist die Abweisung als „jedenfalls“ zur Zeit unbegründet kein Prozessurteil, sondern echte Sachabweisung. Jedoch sind die beiden Fälle insoweit vergleichbar, da jeweils über einen bestimmten Teil der Klage noch nicht entschieden wurde. Bei Letzterem betrifft dies die Begründetheit als Ganzes, bei Ersterem zumindest einen Teil derselben. Für den vergleichbaren Fall, dass der Anspruch in der Berufungsinstanz fällig wird, wird zudem ebenfalls eine Zurückverweisungsmöglichkeit analog § 538 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 3 ZPO vertreten.73 Sollte also das Berufungsgericht zu der Erkenntnis kommen, dass das 71
Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 32. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 538 Rn. 2; in diese Richtung auch Münch KommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 2. 73 Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 33; Walchshöfer, FS Schwab S. 521 (530 f.); OLG Frankfurt MDR 1985, 150; für den Fall, dass ein fehlendes Schiedsgutachten im Berufungsverfahren beigebracht wird Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 538 Rn. 11; a. A. MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 50; Stein/Jonas/Grunsky21, § 538 Rn. 13; und Musielak/Ball6, § 538 Rn. 23, der eine Zurückverweisung als „praeter legem“ auch dann 72
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Ausgangsgericht die Fälligkeit des Anspruchs zu Unrecht verneint hat, muss es das Urteil ohne Prüfung der weiteren Tatbestandsmerkmale aufheben und zur erneuten Entscheidung an die erste Instanz zurückverweisen. Eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts kommt nur für den Fall in Frage, dass dies ausdrücklich beantragt, bzw. ein Rückverweisungsantrag nicht gestellt wurde. Gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird man hier von einer entsprechenden Hinweispflicht des Berufungsgerichts ausgehen müssen,74 um den Rechtsmittelführer vor einem Instanzverlust zu bewahren.
IV. Aufgabe des Besitzstandes durch Rechtsmitteleinlegung Zuletzt sei noch auf die von Grunsky vertretene Auffassung eingegangen. Wie oben dargestellt75 verwendet dieser zwar ebenfalls einen weiten Rechtskraftbegriff und müsste aus diesem Grunde die Zulässigkeit einer reformatio in peius grundsätzlich ablehnen. Er hält eine Schlechterstellung aber aus einem anderen Grunde dennoch für zulässig. Eine Bindung des Rechtsmittelgerichts könne demnach nur für den Fall angenommen werden, dass der Kläger, wenn er mit seiner Klage schon abgewiesen wird, auf einem bestimmten Abweisungsgrund besteht und gerade deshalb Rechtsmittel einlegt. Verfolgt der Kläger seinen Anspruch jedoch in der Rechtsmittelinstanz weiter, bringe er damit zum Ausdruck, dass das Gericht über alle Tatbestandsmerkmale (erneut) entscheiden soll. Dann könne sich der Rechtsmittelführer jedoch auch nicht beschweren, wenn seine Klage in der Rechtsmittelinstanz aus einem anderen Grund abgewiesen wird als in der Vorinstanz.76 Diese Interpretation des Klägerwillens erstaunt. Grunsky selbst hat in seinen Ausführungen zur Beschwer durch Entscheidungsgründe deutlich gemacht, dass das Gericht in einem Folgeprozess an seine bereits zu Gunsten des Klägers getätigten Aussagen gebunden ist. Nichts anderes kann dann aber für den Fall gelten, dass der Kläger nicht bis zum Eintreten des Ereignisses, das die Klage als begründet erscheinen lässt, wartet, sondern gegen das Urteil Rechtsmittel einlegt, weil er der Meinung ist, dass der Anspruch sehr wohl fällig sei, denn hinsichtlich des klägerischen Begehrens bestehen hier keine Unterschiede. Zwar ergibt sich die Bindungswirkung nicht wie im von Grunsky geschilderten Fall aus § 308 Abs. 1 ZPO, wohl aber aus der Rechtskraftwirkung der die Klageabweisung spezifizierenden Entscheidungsgründe. Letzten Endes macht Grunsky das Verbot der reformatio ablehnt, wenn sich dadurch die gesamte Sachaufklärung in die zweite Instanz verlagert; wohl auch Zöller/Heßler27, § 538 Rn. 41. 74 Allgemein für eine Hinweispflicht bei gegebener Zurückverweisungslage MünchKomm ZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 19. 75 Vgl. oben Seiten 135 ff. 76 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 10; in diesem Sinne auch Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 32 und BGHZ 104, 212 (214).
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in peius trotz weitem Rechtskraftverständnis an dem gestellten Rechtsmittelantrag fest. Dem Kläger wird es aber keineswegs darum gehen, den Anspruch erneut und zur Gänze auf den Prüfstand zu stellen. Vielmehr sollen ihm die in der Vorinstanz getroffenen günstigen Aussagen erhalten bleiben. Da eine solche Spezifizierung des Rechtsmittelantrags aber nicht möglich ist, kommt es auch nicht auf dessen Inhalt an.77
V. Fazit Das Gesagte lässt sich wie folgt zusammenfassen: Legt nur der Kläger gegen eine Klageabweisung als zur Zeit unbegründet Rechtsmittel ein, so darf die Rechtsmittelinstanz die Klage nicht als endgültig unbegründet abweisen. Dies ergibt sich aus der auf den konkreten Streitgegenstand bezogenen Rechtskraft- bzw. Bindungswirkung des angefochtenen Urteils, die sich auch auf die dem Kläger günstigen Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen erstreckt. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie sowie der instanziellen Rollenverteilung sollte der Streitfall bereits im erstinstanzlichen Ausgangsverfahren soweit wie möglich entschieden werden. Wird die Klage als „jedenfalls“ zur Zeit unbegründet abgewiesen, darf das Rechtsmittelgericht über die noch nicht beurteilten Tatbestandsmerkmale nicht selbst entscheiden, sondern hat die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, da dem Rechtsmittelführer anderenfalls eine Schlechterstellung durch willkürlichen Instanzverlust droht. Anders verhält es sich, wenn das Rechtsmittelgericht der Klage stattgeben will oder der Rechtsmittelführer eine eigene Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts beantragt bzw. keinen Zurückverweisungsantrag gestellt hat.
§ 12 Prozessurteil – Sachurteil § 12 Prozessurteil – Sachurteil
I. Vergleich der unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen Um eine ähnliche Problematik wie bei der unterinstanzlichen Abweisung als zur Zeit unbegründet geht es in dem Fall, dass die Klage in erster Instanz als unzulässig abgewiesen wurde, der Kläger hiergegen Rechtsmittel einlegt und das Berufungsgericht die Klage zwar für zulässig aber unbegründet hält. Nach der herrschenden Ansicht ist die Rechtsmittelinstanz durch das Verbot der reformatio in peius nicht daran gehindert, die Klage dann auch tatsächlich als unbegründet abzuweisen.1 Dies wird zum Teil wie im Fall der Abweisung als zur Zeit unbegrün77
Siehe hierzu bereits oben § 5 V. 3. b) (Seiten 53 ff.). MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 55, 33; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 18; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 55; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 9; AK-ZPO-Ankermann, § 536 a. F. 1
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det mit der Annahme begründet, dass es mangels Rechtskraftwirkung auf den Abweisungsgrund nicht ankomme, solange es nur um die Verneinung bzw. Bejahung des Rechtsschutzbegehrens gehe. Dies würde für die Revisionsinstanz insbesondere aus § 561 ZPO ersichtlich, nach dem die angefochtene Entscheidung auch mit einer anderen Begründung aufrecht erhalten werden könne.2 Dass dieser Auffassung nicht gefolgt werden kann, haben bereits die obigen Ausführungen gezeigt.3 Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachurteil sind – wie auch die Vertreter der Gegenauffassung einräumen4 – zumindest hinsichtlich des konkreten Abweisungsgrundes unterschiedlich,5 wenngleich die Rechtskraft des abweisenden Sachurteils nicht unbedingt weiter reicht als die des Prozessurteils.6 Im Gegensatz zur Abweisung als (endgültig) unbegründet bedeutet ein Prozessurteil zumindest im Falle einer nachholbaren Sachentscheidungsvoraussetzung7 kein endgültiges Scheitern des Rechtsschutzgesuchs und schränkt den prozessualen Handlungsspielraum des Klägers nicht in gleichem Maße ein, wie eine Sachabweisung. Vielmehr kann der selbe Streitgegenstand nach Beseitigung des Zulässigkeitshindernisses erneut geltend gemacht werden.8 § 561 ZPO muss denn auch in dem Sinne verstanden werden, dass „Entscheidung“ die Entscheidung des Gerichtes meint, wie sie sich nach ihrem rechtskraftfähigen Inhalt darstellt. Soweit die Entscheidungsgründe Auswirkungen auf Art und Umfang der Rechtskraftwirkung und den damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten haben, ändert sich bei deren Auswechslung auch die Entscheidung i. S. von § 561 ZPO.9 Betrachtet man allein die Rechtskraftwirkungen von Prozessurteil und Sachabweisung, müsste man jedenfalls in dieser Konstellation von der Einschlägigkeit des Verbots der reformatio in peius ausgehen.10
Rn. 5; Saenger/Wöstmann, § 528 Rn. 7; Zimmermann/Walter7, § 528 Rn. 8; Rosenberg/Schwab/ Gottwald16, § 138 Rn. 9; Musielak9, Rn. 505; Jauernig, Zivilprozessrecht29, § 72 VIII; BGHZ 23, 36 (50); 46, 281 (284); BGH NJW-RR 2003, 931 (933). 2 Rimmelspacher, S. 208 ff. (vgl. auch S. 107 f.) sowie MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 55, 33; vgl. aber auch dens., S. 143, wo er feststellt, dass „Prozeß- und Sachurteil in gleicher Art nur nach Maßgabe des einzelnen Abweisungsgrundes wirken.“ 3 Siehe oben § 11 II. (Seiten 135 ff.) sowie § 6 I. 2. (Seiten 99 ff.). 4 Vgl. etwa Rimmelspacher, S. 99, 143. 5 Vgl. hierzu ausführlich Jauernig, FS Schiedermair S. 289 (292 ff.). 6 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 18 und § 322 Rn. 44; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 32; Jauernig, FS Schiedermair S. 289 (292 ff.). 7 Zum Begriff neuerdings Hau, ZJS 2008, 33 ff. 8 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 172; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 44; vgl. auch Hau, ZJS 08, 33 (37) m. w. Nachw. Siehe auch oben § 6 I. 2. a) (Seiten 100 ff.). 9 In diesem Sinne auch Jauernig, FS Schiedermair S. 289 (294 ff.), mit dem augenfälligen Hinweis auf die unterschiedlichen Auswirkungen von Prozess- und Sachabweisung im Falle klägerischer Säumnis hinsichtlich der hiergegen statthaften Rechtsbehelfe (S. 305). 10 Vgl. Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6; Schellhammer11, Rn. 1034. So auch die früher wohl h. M., vgl. hierzu die Nachw. bei Kapsa, S. 120 Fn. 22.
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II. Besitzstand in der Sache durch Prozessabweisung 1. Allgemein Die wohl herrschende Meinung spricht sich jedoch entgegen den obigen Ausführungen für die Zulässigkeit einer Sachabweisung in der Rechtsmittelinstanz aus. Begründet wird dies damit, dass der Kläger durch das Prozessurteil keinen schützenswerten Besitzstand erlangt habe.11 Dem ist insoweit zuzustimmen, als der Kläger mit dem Prozessurteil – ungeachtet der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachabweisung – jedenfalls in der Sache noch nichts erlangt hat.12 Denn über den geltend gemachten Anspruch wurde noch nicht entschieden. Bötticher warnt in diesem Zusammenhang davor, dass der Kläger ein „risikoloses“ Rechtsmittel einlegen könne, wenn er nicht mit einer Sachabweisung zu rechnen hätte.13 Dem ist zwar entgegenzuhalten, dass diese „Risikolosigkeit“ immerhin damit begründet werden kann, dass eben nur der Kläger Rechtsmittel einlegt und der Beklagte untätig bleibt.14 Jedoch ist dem Argument der Risikolosigkeit zumindest im Ergebnis zuzustimmen. Denn auch der alleinige Rechtsmittelführer bringt mit Einlegung seines Rechtsmittels zum Ausdruck, dass er sich mit der Prozessabweisung eben nicht zufrieden geben möchte, sondern eine Sachent11 Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 18; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 32; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 55; AK-ZPO-Ankermann, § 536 a. F. Rn. 5; Zimmermann/Walther7, § 528 Rn. 8; Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (466 ff.); Kapsa, S. 120 ff.; BGHZ 23, 36 (50); BGH NJW 1989, 393 (394). 12 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob positive Feststellungen zu bestimmten Sachentscheidungsvoraussetzungen in einem die Klage letztlich doch als unzulässig abweisenden Urteil Rechtskraft entfalten. Letzteres ist zu verneinen, da mit dem Prozessurteil nur der bestimmte Abweisungsgrund in Rechtskraft erwächst. Wohl besteht für das Gericht eine Bindungswirkung aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, denn der abgewiesene Kläger muss davon ausgehen, dass seine Klage unter den sonst unveränderten Umständen zugelassen wird, wenn er die fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung nachholt und i. Ü. auf die positiven Feststellungen des Gerichtes vertraut. Dies gilt freilich nicht, wenn die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen wurde. Denn das Vertrauen richtet sich lediglich auf die Entscheidungsstringenz des einen Gerichts. Ist dieses jedoch unzuständig und bringt dies im Urteil zum Ausdruck, kann nicht darauf vertraut werden, dass das zuständige Gericht ebenso über die Zulässigkeit entscheidet. Anders wiederum, wenn sich die Unzuständigkeit erst in der Rechtsmittelinstanz herausstellt, vgl. oben § 7 III (Seiten 110 ff.). Hier besteht ein schützenswertes Vertrauen in die Zuständigkeit des die angefochtenen Entscheidung erlassenden Gerichts, so dass im Falle einer Zurückverweisung an dieses und nicht an das tatsächlich zuständige zu verweisen ist. Eine konkludente Bejahung bestimmter Sachentscheidungsvoraussetzungen durch die Abweisung „erst“ wegen einer nachrangig zu prüfenden Voraussetzung kann hingegen nicht angenommen werden. Zwar kann man wohl eine gewisse „Rangfolge“ der Sachentscheidungsvoraussetzungen hinsichtlich ihrer Bedeutung annehmen, hieraus lässt sich jedoch keine bindende Prüfungsreihenfolge ableiten, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 93 Rn. 43 f. Zu der Frage, ob das Prozessurteil einen prozessualen Besitzstand durch positiv beschiedene Sachentscheidungsvoraussetzungen vermittelt, siehe unten § 13 (Fn. 2). 13 Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (466 ff.). 14 So auch Rimmelspacher, S. 209; vgl. auch Arens, AcP 61 (1962), 177 (188 f.).
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scheidung herbeizuführen wünscht. In diesem Fall kann er aber nicht darauf vertrauen, dass seiner Klage ausschließlich stattgegeben wird oder es bei der Prozessabweisung bleibt, denn einem Vertrauen dieser Art fehlt der Anknüpfungspunkt.15 Anders könnte es sich jedoch verhalten, wenn sich in dem Prozessurteil ausnahmsweise Ausführungen zur Begründetheit der Klage finden. Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn materiell-rechtliche Aspekte bereits bei der Zulässigkeitsprüfung eine Rolle spielen, wie etwa bei der Frage, ob der Zulässigkeit ein wirksamer Prozessvergleich oder eine Schiedseinrede entgegenstehen. Die wohl herrschende Meinung lehnt eine Rechtskraft- bzw. Bindungswirkung der in diesem Zusammenhang getroffenen materiell-rechtlichen Ausführungen mit dem Argument ab, es handele sich hierbei lediglich um „materielle Vorfragen“.16 Dem ist insoweit zuzustimmen, dass materiell-rechtlich Feststellungen höchstens als Teil der Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage Rechtskraftwirkung entfalten können. Diese beschränkt sich aber auf den konkreten Streit- und Urteilsgegenstand, also auf die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Klage. Für die Schiedseinrede bedeutet dies, dass die Klageabweisung wegen des Bestehens eines Schiedsvertrages dessen Bestehen als Zulässigkeitskriterium für das Schiedsverfahren bindend feststellt. Denn auch dort geht es um die Zulässigkeit desselben Streites.17 Genauso wird die Wirksamkeit des Prozessvergleichs im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung allein für die Zulässigkeitsfrage beantwortet.18 Des Weiteren kann es vorkommen, dass ein Zulässigkeitsmangel erst im Nachhinein bekannt wird, wenn also bereits zur Sache verhandelt wurde.19 Auch hier stellt sich die Frage, wie die Ausführungen zur Sache einzuordnen sind.20 Anders als im eben beschriebenen Fall geht es hierbei nicht mehr um materielle Vorfragen der Zulässigkeitsprüfung, sondern um „echte“ Bestandteile der Begründetheitsprüfung, die sich erst im Nachhinein als potentiell unerheblich herausstellen. Ob und inwieweit diesen Ausführungen Rechtskraft- bzw. Bindungswirkung zukommen kann, hängt davon ab, wie man das Verhältnis von Zulässigkeit und Be15 Auch in der ersten Instanz kann der Kläger seine Klage nicht nur für den Fall erheben, dass ihr stattgegeben wird. 16 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 173 m. w. Nachw.; a. A. BGH NJW 1985, 2535 mit abl. Anm. Dunz, der auf die Möglichkeit, durch Zwischenfeststellungsklage Wirkung für die Begründet-heit herzustellen hinweist; vgl. ferner zur umgekehrten Konstellation, dass das Fehlen eines materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmals (als sogenannte doppelt relevante Tatsache) bereits die Zulässigkeit entfallen lässt auch Hau, ZJS 2008, 33 (39). 17 In diesem Sinne Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 141, 144; Zeuner, S. 72 ff. 18 Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 141. 19 Zu denken wäre dabei etwa an den klassischen Fall des unerkannt Geisteskranken, der den Prozess ohne Vertretung anstrengt. Aber auch jeder andere Zulässigkeitsmangel kann sich grundsätzlich auch erst im Laufe der Verhandlungen zur Sache herausstellen. 20 Im Falle des unerkannt Geisteskranken wäre diese Frage leicht zu beantworten, da die Ausführungen zur Begründetheit auf den Prozesshandlungen des Geisteskranken basierten und somit unwirksam wären.
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gründetheit einer Klage beurteilt. Denn lehnt man die Trennung von Zulässigkeit und Begründetheit der Klage und insbesondere den Vorrang der Zulässigkeitsprüfung ab, so werden Ausführungen zur Begründetheit bei Unzulässigkeit der Klage nicht automatisch obsolet. Aber auch den „materiell-rechtlichen Vorfragen“ käme unter diesen Umständen eine andere Qualität zu. Sie wären dann nämlich nicht mehr Bestandteil einer Zulässigkeitsprüfung und in ihrer Rechtskraftwirkung auf diese beschränkt, sondern fügten sich in eine Art „Gesamtprüfung“ ein, müssten also hinsichtlich ihrer Rechtskraftwirkung auf die Erfolgsaussichten der Klage als ganzes, insbesondere auch auf deren Begründetheit bezogen werden.
2. Verhältnis von Zulässigkeit und Begründetheit Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass, sobald eine Klage als unzulässig abgewiesen wird, auf die Begründetheit nicht mehr eingegangen werden darf. Ausführungen hierzu wären dann bloße obiter dicta, denen keinerlei rechtliche Bedeutung zukäme.21 Schellhammer wählt die markante Formulierung, jede Feststellung eines Prozessurteils zur materiellen Rechtslage sei „Schall und Rauch.“22 Warum dies so sein soll, wird unterschiedlich begründet. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, der Vorrang der Zulässigkeitsprüfung sei aus dem „sich aus der Natur der Sache ergebenden Stufenaufbau des Prozesses“ bzw. aus einem „Ordnungsprinzip, über dass der Gesetzgeber nicht unbeschränkt verfügen kann,“ abzuleiten. Zudem komme der Vorrang auch im Gesetz selbst zum Ausdruck, wie §§ 280, 522, 574 ZPO zeigten.23 Diese Argumentation ist jedoch recht allgemein gehalten und kann deshalb nur wenig überzeugen.24 Zwar klingt eine vorrangige Prüfung der Zulässigkeit in den genannten Normen an und wird allgemeinhin auch beachtet, jedoch erscheint sie deshalb noch nicht zwingend.25 Konkreter ist da schon der Hinweis auf die unterschiedliche Rechtskraftwirkung von Prozess- und 21 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 175; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 46; Wieczorek/Schütze/Büscher3, § 322 Rn. 156; Stein/Jonas/Leipold21, § 300 Rn. 14 und § 322 Rn. 136, 149; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 93 Rn. 46. BGHZ 11, 222 (225); neuerdings weitreichend BGH NJW 2008, 1227 (1228), wo bereits die Zulässigkeit des Klageantrags fraglich war; für einen Vorrang der Zulässigkeitsprüfung ferner Jauernig, FS Schiedermair, S. 289 ff.; Arens, AcP 61 (1962), 177 (189); Jürgen Blomeyer, NJW 1969, 587 (590, Fn. 22). 22 Schellhammer11, Rn. 353. 23 MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, Vor §§ 253 ff. Rn. 3; vgl. auch Sauer, S. 27 ff., der den Vorrang der Sachentscheidungsvoraussetzungen aus §§ 274 f. ZPO ableiten will. Die hiernach mögliche abgesonderte Verhandlung der Zulässigkeit steht aber im Ermessen des Gerichts und ist nur für die in § 274 ZPO genannten Sachentscheidungsvoraussetzungen möglich, so zu Recht Sauers Argumentation ablehnend Lindacher, ZZP 90 (1977), 131 (134). 24 Hau, ZJS 08, 34 (38); vgl. gegen Argumente der Logik und des „folgerichtigen Denkens“ auch Lindacher, ZZP 90 (1977), 131 (133 f.) im Anschluss an Sauer, S. 65 ff. 25 Gegen eine sich aus der Systematik der ZPO zwingend ergebende Vorrangigkeit der Sachentscheidungsvoraussetzungen auch Stein/Jonas/Schumann20, Einl Rn. 326.
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Sachurteil, die eine vorrangige Prüfung der Zulässigkeit verlange.26 Doch auch hieraus lässt sich kein absoluter Vorrang der Zulässigkeitsprüfung ableiten. Die unterschiedliche Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachurteil fordert lediglich, dass das Urteil erkennen lassen muss, über welche Punkte es entschieden hat und aus welchem Grund die Klage abgewiesen wurde.27 Beachtung ist aber dem Argument zu schenken, dass einigen Sachurteilsvoraussetzungen wichtige Schutzfunktionen zukommen, die im Interesse der Gerechtigkeit eingehalten werden müssen.28 Hinzu kommt, dass durch die Sachurteilsvoraussetzungen zum Teil auch verfassungsrechtliche Vorgaben konkretisiert werden, wie etwa das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Rechtsweg- und Zuständigkeitsregeln oder das Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG durch Prozessfähigkeits- und Vertretungsregeln.29 Manche Sachentscheidungsvoraussetzungen, wie etwa die Bezeichnung der Parteien, des angerufenen Gerichts und die Stellung eines bestimmten Antrags in der Klageschrift, müssen hingegen schon aus rein praktischen Gründen erfüllt sein.30 Die Gegenauffassung,31 die den Vorrang der Zulässigkeitsprüfung allgemein anzweifelt, hält alle prozessualen und materiellen Erfolgsvoraussetzungen der Klage für gleichrangig, so dass keine Prüfungsvorrang verlangt. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass das zivilprozessuale Urteil allein die Frage beantworte, „ob eine vom Kläger behauptete, aus einem Lebenssachverhalt hergeleitete […] Rechtslage besteht und als gerichtlichen Schutzes würdig anzuerkennen ist.“32 Folgte man dieser Ansicht, müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass Ausführungen zur Begründetheit in jedem Fall einen Besitzstand des Klägers bildeten, ganz gleich, ob die Klage nun aus sachlichen Gründen oder mangels einer bestimmten Sachentscheidungsvoraussetzung abgewiesen wurde. Zwischen der Prozessabweisung mit 26
MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, Vor §§ 253 ff. Rn. 3; Stein/Jonas/Schumann20, Einl Rn. 326; Schellhammer11, Rn. 353. 27 Das Argument der unterschiedlichen Rechtskraft ebenfalls ablehnend Lindacher, ZZP 90 (1977), 131 (134) sowie Jauernig, FS Schiedermair, S. 289 (292 ff.). Zur genauen Bestimmung des objektiven und subjektiven Rechtskraftumfangs ist freilich eine ordnungsgemäße Klageschrift unabdinglich, da sie Parteien und Streitgegenstand festlegt, Stein/Jonas/Schumann20, Einl Rn. 326; in diesem Sinne auch Wieser, ZZP 84 (1971), 304 (307 f.). 28 Musielak/Foerste6, vor § 253 Rn. 12; in diesem Sinne auch Stein/Jonas/Schumann20, Einl Rn. 326. 29 MünchKommZPO-Becker-Eberhard3, Vor §§ 253 ff. Rn. 4; Hau, ZJS 08, 34 (38); vgl. auch Stein/Jonas/Schumann20, Einl Rn. 326, der zudem auf den hohen Gerechtigkeitsgehalt der Sach-entscheidungsvoraussetzungen hinweist. Kritisch hingegen Lindacher, ZZP 90 (1977), 131 ( 135 ff.). 30 Vgl. hierzu Wieser, ZZP 84 (1971), 304 (307 ff.). 31 Rimmelspacher, S. 92–145. Den Vorrang der Zulässigkeitsprüfung weniger kategorisch ablehnend und eine differenzierende Lösung vertretend etwa Braun, Bülow – Vorlesungsnachschrift, Einl. S. 5 ff. Grunsky, S. 323 f.; ders. ZZP 80 (1967), 55 (70 ff.); vgl. neuerdings Hau, ZJS 08, 34 (38 f.). 32 Rimmelspacher, S. 102, 144.
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Ausführungen zur Begründetheit und der Abweisung als zur Zeit unbegründet mit Feststellungen zu den bereits erfüllten Tatbestandsmerkmalen gäbe es dann insoweit keinen Unterschied. Käme es allein auf Bejahung oder Verneinung des Rechtsschutzbegehrens an, wäre dem auch ohne weiteres zuzustimmen. Da jedoch die Sachentscheidungsvoraussetzungen bestimmte vom konkreten Rechtsschutzbegehren unabhängige Zwecke erfüllen, muss zumindest hinsichtlich der oben genannten verfassungskonkretisierenden Sachentscheidungsvoraussetzungen eine Gleichrangigkeit abgelehnt werden. Aus dogmatischer Sicht spräche hingegen nichts gegen eine differenzierende Betrachtungsweise, die zwischen Sachentscheidungsvoraussetzungen mit (verfassungsrechtlich begründetem) Vorrang und solchen ohne Vorrang unterscheidet.33 So ist es heute allgemein anerkannt, dass Klagbarkeit des Anspruchs, Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse als sogenannte „Rechtsschutzvoraussetzungen“ zumindest für den Fall ausnahmsweise dahinstehen können, dass sich die Unbegründetheit der Klage leichter als das Vorliegen der genannten Sachentscheidungsvoraussetzungen feststellen lässt, dienten diese Sachentscheidungsvoraussetzungen doch lediglich dazu, das Gericht von aussichtslosen Prozessen zu entlasten.34 Aus den unterschiedlichen Schutzfunktionen die den einzelnen Sachentscheidungsvoraussetzungen zukommen folgt jedoch die Einschränkung, dass es für ein Dahinstehenlassen nicht ausreicht, wenn dies mit weniger Aufwand verbunden ist, sondern das darüber hinaus auch keine durch die jeweilige Sachentscheidungsvoraussetzung geschützten Interessen verletzt werden dürfen.35 Geht man aber grundsätzlich von einem möglichen Dahinstehenlassen der Rechtsschutzvoraussetzungen aus, stellt sich die 33
So auch Hau, ZJS 08, 34 (38 f.); differenzierend danach, ob die in Rede stehende Sachentscheidungsvoraussetzung dem Privat- oder Allgemeininteresse dient Grunsky, S. 323 f.; ders. ZZP 80 (1967), 55 (70 ff.); vgl. auch Braun, Bülow – Vorlesungsnachschrift, Einl. S.5 ff. 34 Stein/Jonas/Schumann20, Einl Rn. 327, 333, m.w.Bspl.; Wieser, ZZP 84 (1971), 304 (310 ff.); Hau, ZJS 08, 33 (38 f.) m. w. Nachw. zu Lit. und Rspr. Dies erkennt auch Sauer, S. 96 ff., zumindest für das Rechtsschutzbedürfnis an, wenngleich er grundsätzlich am Vorrang der Sachentscheidungsvoraussetzungen als „einheitlicher und ungeteilter Gruppe“ festhält. Vgl. auch Lindacher, ZZP 90 (1977), 131 (137 ff.); der für bestimmte Ausnahmefälle das Vorrangdogma auch hinsicht-lich der deutschen Gerichtsbarkeit, des Rechtswegs und der Partei- und Prozessfähigkeit durchbrechen will. 35 In diesem Sinne Braun, Bülow – Vorlesungsnachschrift, Einl. S. 7 f., der darauf hinweist, dass etwa das Vorliegen des Rechtsschutzinteresses auch den Beklagten vor unangemessenem Einlassungszwang schützen soll. Braun geht indes noch weiter und schlägt neben einer „vertikalen Zweiteilung“ von Zulässigkeit und Begründetheit eine „horizontale Zweiteilung“ je nach dem durch die betreffende Sachentscheidungsvoraussetzung berührten Interesse vor. So soll einer Klage auch dann stattgegeben werden können, wenn sich während des Prozesses die Prozessunfähigkeit des Klägers herausstellt und umgekehrt. Andere Sachurteilsvoraussetzungen wie etwa die absolute Zuständigkeit seien hingegen unabhängig davon zu prüfen, ob die Sachentscheidung für den Kläger oder den Beklagten ausfiele. Ob diese auf den ersten Blick durchaus einleuchtende Differenzierung Brauns einer genaueren Überprüfung standhält, muss an dieser Stelle dahinstehen. Es sei jedoch angemerkt, dass man dem Kläger, ließe man seine Prozessunfähigkeit unbeachtet und gäbe der Klage statt, auch die Möglichkeit einer Klagerücknahme nimmt. Der Kläger wird eine erfolgreiche Klage wohl in selte-
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Frage, ob ein Besitzstand des Klägers durch Ausführungen zur Begründetheit zumindest dann bejaht werden muss, wenn die Klage „jedenfalls“ aus eben solchen, nicht vorrangig zu prüfenden Zulässigkeitsmängeln abgewiesen wird. Hierbei würde jedoch verkannt, dass das Dahinstehenlassen bestimmter Sachentscheidungsvoraussetzungen aus prozessökonomischen Gründen nicht bedeutet, dass ihnen die gleiche Qualität zukäme wie den Elementen der Begründetheit. Zwar sind sie für eine (positive) Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren genauso unerlässlich wie die materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmale. Stellt das Gericht jedoch das Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung fest, so wird das materiell-rechtliche Prüfungsprogramm der Begründetheit gar nicht erst eröffnet36 und den diesbezüglich schon getätigten Feststellungen die prozessuale Grundlage entzogen. Anderenfalls hinge es mehr oder weniger vom Zufall ab, ob und inwieweit die Parteien Gelegenheit hatten, sich zur Sache einzulassen und diesbezüglich Besitzstände zu schaffen. Denn einerseits käme es auf die Art der fehlenden Sachentscheidungsvoraussetzung an und andererseits auf den Feststellungszeitpunkt. Ganz entscheidend gegen einen von der Art des jeweiligen Abweisungsgrundes abhängigen sachlichen Besitzstands durch Prozessurteil spricht jedoch der Umstand, dass es auf diese Weise Prozessabweisungen unterschiedlicher Qualität hinsichtlich ihrer Rechtskraftwirkung gäbe, je nachdem, aus welchem Grunde die Klage als unzulässig abgewiesen wurde. Die Entscheidung, ob Ausführungen zur Begründetheit Rechtskraftwirkung entfalten oder nicht, darf nicht von der häufig schwer zu beurteilenden Frage abhängen, ob der Prüfung des zur Abweisung führenden Zulässigkeitsmangels Vorrang vor der Begründetheitsprüfung zukommt oder nicht. Die Rechtsicherheit gebietet es also, Ausführungen zur Begründetheit in diesem Zusammenhang tatsächlich als obiter dicta zu behandeln und es bei dem Grundsatz zu belassen, dass die Begründetheit im Falle der Unzulässigkeit einer Klage nicht zum gerichtlichen Prüfungsprogramm gehört. Für die bereits im Rahmen der Zulässigkeit auftauchenden materiell-rechtlichen Fragen37 bleibt es ebenfalls bei ihrer auf die Zulässigkeitsfrage beschränkten Rechtskraftwirkung. Damit steht fest, dass das Prozessurteil in keinem Fall einen Besitzstand in der Sache vermitteln kann. Die Entscheidung über die Begründetheit muss also noch gefällt werden, und kann das Gericht der Klage stattgeben, diese aber ebenso auch als unbegründet ablehnen. Damit ist jedoch noch nicht festgelegt, welches Gericht die Sachentscheidung zu fällen hat.
nen Fällen zurücknehmen wollen, jedoch kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass andere Erwägungen wie etwa das Verhältnis zum Beklagten den Kläger zu diesem Schritt bewegen. 36 In diesem Sinne auch Wieser, ZZP 84 (1971), 304 (316 ff.) sowie BAG NJW 1967, 648. 37 Siehe oben II. 1. (Seiten 152 ff.).
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III. Eigene Sachentscheidung der Rechtsmittelinstanz Hält das Rechtsmittelgericht im Gegensatz zum Ausgangsrichter die Klage für zulässig, muss es das angefochtene Urteil zunächst aufheben, da eine schlichte Auswechslung der Entscheidungsgründe von unzulässig in unbegründet nicht möglich ist.38 Hierin allein ist noch keine unzulässige reformatio in peius zu sehen, denn auch im Falle des vom Kläger angestrebten günstigen Sachurteils müsste das angefochtene Urteil zunächst aufgehoben werden. Fraglich ist jedoch, ob das Rechtsmittelgericht selbst zur Sachentscheidung berufen ist oder ob es die Sache zur (erstmaligen) Sachentscheidung an die Vorinstanz zurückverweisen muss. Die obigen Ausführungen39 haben gezeigt, dass vor allem die durch die Zivilprozessreform ausgeprägte instanzielle Rollenverteilung gegen eine eigene Sachentscheidung der Rechtsmittelinstanz spricht. Dies gilt im vorliegenden Fall, wo im Gegensatz zur Abweisung als derzeit unbegründet in der Regel noch keinerlei Feststellungen hinsichtlich des prozessualen Anspruchs getroffen wurden, in besonderem Maße. Es ist nicht die Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen, sämtliche Tatsachenfeststellungen, die eigentlich in die erste Instanz gehören, selbst vorzunehmen. Zudem ist im Falle eines abweisenden Sachurteils des Rechtsmittelgerichts auch hier ein Instanzverlust des Rechtsmittelführers zu besorgen.40 Trotzdem hat das Berufungsgericht gemäß § 538 Abs. 1 ZPO grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden und die hierfür notwendigen Beweise zu erheben. Für den hier in Rede stehenden Fall sieht § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 ZPO zwar eine Ausnahme vor, doch auch hier steht die Zurückverweisung im Ermessen des Berufungsgerichts41 und ist zudem von einem Antrag des Rechtsmittelführers abhängig. Anders verhält es sich in der Revisionsinstanz, die gemäß §§ 559, 536 Abs. 1, 3 ZPO zu einer eigenen Sachentscheidung ohnehin nur in der Lage wäre, wenn die von den Vorinstanzen festgestellten Tatsachen hierfür ausreichen.42 Wann dies der Fall sein soll, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Inwieweit also die Rechtsmittelinstanzen zu einer eigenen Sachentscheidung in dem hier interessierenden Fall berufen sind, bedarf einer genaueren Untersuchung.
38 Siehe bereits oben I (Seiten 150 ff.); vgl. ferner Jauernig, in FS Schiedermair, S. 289 (296). 39 Siehe oben § 11 III. 2. (Seiten 145 ff.). 40 Vgl. hierzu Schwab, ZZP 74 (1961), 215 (218) und v. Boecklin, S. 73. 41 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 66; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 538 Rn. 22; BGH MDR 2005, 921. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 9, fassen denn die Zurückverweisungsmöglichkeit des § 538 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO auch als Beleg für die eigene Sach-entscheidungskompetenz des Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf; so bereits Schwab, ZZP 74 (1961), 215 (217 f.); Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 (466); a. A. Kapsa, S. 161, der mit Recht darauf hinweist, dass § 538 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verbot der reformatio in peius aufweist; differenzierend Arens, AcP 161 (1962), 177 (187 ff.). 42 Grundlegend hierzu Arens, AcP 161 (1962), 177 ff.
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1. Eigene Sachentscheidung der Berufungsinstanz Gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 ZPO kann das Berufungsgericht das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an das Ausgangsgericht zurückverweisen, wenn nur über die Zulässigkeit entschieden wurde und zumindest eine Prozesspartei die Zurückverweisung beantragt hat.43 Das Antragserfordernis stellt also im Hinblick auf eine zu besorgende Schlechterstellung des Rechtsmittelführers durch Instanzverlust kein Hindernis dar, da er die Zurückverweisung auch allein beantragen kann. Vielmehr geben die Parteien ohne Antragstellung zu erkennen, dass es ihnen auf den Instanzenerhalt nicht ankommt und sie eine rasche Sachentscheidung des Berufungsgerichts vorziehen. Folgerichtig hat das Berufungsgericht ohne Zurückverweisungsantrag auch dann selbst in der Sache zu entscheiden, wenn dies umfangreiche Beweisaufnahmen notwendig macht.44 Problematischer erweist sich jedoch der Umstand, dass die Zurückverweisungsentscheidung zusätzlich in das Ermessen des Gerichts gestellt ist.45 § 538 ZPO gibt jedoch einige Vorgaben zu dieser Ermessensausübung.46 So hat das Berufungsgericht trotz Zurückverweisungsantrag selbst in der Sache zu entscheiden, wenn die Sache entscheidungsreif ist oder Entscheidungsreife mit zumutbarem Aufwand herbeigeführt werden kann, vgl. § 538 Abs. 1, 2 Satz 1 und § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO.47 In der Regel wird man davon ausgehen können, dass bei einer erstinstanzlichen Prozessabweisung keine Ausführungen zur Sache gemacht worden sind, so dass grundsätzlich immer eine weitere Verhandlung im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO nötig ist. In diesem Fall gebietet die Ratio des § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor dem Hintergrund der instanziellen Rollenverteilung immer eine Zurückverweisung, und zwar auch dann, wenn die Entscheidungsreife durch das Berufungsgericht in zumutbarer Weise herbeigeführt werden kann,48 denn die Parteien hatten bisher noch überhaupt keine Gelegenheit, zur Sache zu verhandeln. Wie oben gezeigt, kann es jedoch vorkommen, dass das Ausgangsgericht trotz letztendlicher Prozessabweisung Ausführungen zur Begründetheit der Klage ge-
43 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 19; Musielak/Ball6, § 538 Rn. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 538 Rn. 22. 44 Musielak/Ball6, § 538 Rn. 2 und 5; a. A. BGH NJW-RR 2005, 928, wonach die Zurückverweisung auch ohne Parteiantrag im Ermessen des Gerichts steht. 45 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 36; Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 19. 46 Nach Musielak/Ball5, § 538 Rn. 2, steht die Zurückverweisungsentscheidung deshalb auch nicht im Ermessen des Berufungsgerichts. Gleichwohl eröffnet die Frage, wann etwa Entscheidungsreife mit „zumutbarem Aufwand“ herbeigeführt werden kann, einen gewissen Beurteilungsspielraum. 47 Statt vieler MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 17; Musielak/Ball6, § 538 Rn. 4. 48 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Parteien durch einfache Bezugnahme auf bereits in erster Instanz eingereichte Schriftstücke – insbesondere Klage und Klageerwiderung – Entscheidungsreife herbeiführen können.
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macht hat.49 Dass diese Ausführungen grundsätzlich keinen Besitzstand bilden und zumindest im Hinblick auf die Begründetheit keine Rechtskraftwirkung entfalten, hindert die Berufungsinstanz nicht, sie als Grundlage für die weitere Verhandlung heranzuziehen. Der Begriff der erstinstanzlichen Feststellungen des § 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO wird denn auch weit gefasst und bezieht sich auf den gesamten Akteninhalt, somit etwa auch auf sogenannte „tatbestandliche Feststellungen“, d. h. auf die bloße Wiedergabe des tatsächlichen mündlichen Vorbringens der Partei in Gestalt eines Sach- und Streitstandes.50 Es könnte sich dann bei insoweit unproblematischen Fällen als prozessökonomisch erweisen, dass das Berufungsgericht selbst eine Sachabweisung ausspricht.51 Allerdings hängt es auch in diesem Fall allein vom Zufall ab, ob die Vorinstanzen „hilfsweise“ Ausführungen zur Begründetheit gemacht haben oder nicht, womit auch die Zurückverweisung allein zufallsabhängig wäre. Wie in dem Fall der angefochtenen Abweisung als zur Zeit unbegründet muss eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts also auch hier ausscheiden, da dem Rechtsmittelführer anderenfalls willkürlich eine Instanz entzogen würde.52
2. Eigene Sachentscheidung der Revisionsinstanz Abgesehen von dem auch bei einer eigenen Sachentscheidung der Revision zu befürchtenden Instanzverlust53 scheint eine Zurückverweisung hier bereits aus rechtstechnischen Gründen zwingend notwendig, da das Revisionsgericht gemäß 49
Siehe oben II. 1. (Seiten 152 ff.). Ausführlich MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 529 Rn. 5 ff.; Musielak/Ball6, § 529 Rn. 2 f. 51 In diese Richtung auch Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 55; AK-ZPO-Ankermann, § 538 a. F. Rn. 10; zurückhaltend Arens, AcP 61 (1962), 177 (195 f.); BGHZ 46, 281 (284); vgl. auch BGH NJW 1954, 150 (151), wonach die Zurückverweisung in diesem Fall lediglich als eine „verfahrensrechtlich doktrinäre Maßnahme“ erscheine. So i.E. auch Kapsa, S. 122, der das Argument der Prozessökonomie jedoch ablehnt; a. A. Schwab, ZZP 74 (1961), 215, 215 ff., der die Möglichkeit einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts jedoch auf § 540 a. F. ZPO stützt. 52 A. A. Kapsa, S. 123 f., 161 f., der auch hier im Erhalt des Instanzenzuges keinen schützenswerten Besitzstand sieht (vgl. bereits oben § 11 Fn. 70); ebenso Schwab, ZZP 74 (1961), 215 (216 ff.), der sich hierfür auf die ausdrücklich vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts nach § 540 a. F. ZPO stützt. Allein die rechtstechnische Möglichkeit der eigenen Sachentscheidung bedeutet jedoch nicht, dass diese keine unzulässige reformatio in peius durch Instanzverlust darstellen kann. 53 v. Boecklin, S. 73; Schwab, ZZP 74 (1961), 215 (217 f.), der den Instanzverlust in der Revision als Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius wertet, da es eine § 540 ZPO a. F. ähnliche Regelung nicht gebe. Auch Arens, AcP 61 (1962), 177 (193), räumt die Benachteiligung des Rechtsmittelführers durch Instanzverlust ein, hält eine eigene Sachentscheidung allein aus diesem Grund aber nicht für ausgeschlossen, da das Prozessurteil grundsätzlich keinen Besitzstand vermittele und die bloße Chance auf eine erneute Geltendmachung des Anspruchs nicht schützenswert sei (S. 187 ff.). Arens schließt sich insoweit Böttichers Standpunkt an, vgl. Bötticher, ZZP 65 (1952), 464 ff. 50
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§ 559 ZPO keine eigenen Sachverhaltsfeststellungen trifft. Hier kommt auch die Charakterisierung der Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Begründetheit bzw. zur materiell-rechtlichen Frage als bloße obiter dicta ohne Rechtskraftwirkung zum Tragen. Zwar könnte auch das Revisionsgericht diese Ausführungen zur Grundlage der weiteren Verhandlung machen, jedoch bedürfte es dann noch einer eigenen verbindlichen Feststellung zur Tatsachenbasis,54 welche für die Revisionsinstanz nicht vorgesehen ist.55 Im Übrigen stehen aber auch für die Revisionsinstanz die bereits für die Berufung angeführten Argumente einer eigenen Sachentscheidung entgegen.
IV. Zusammenfassung Im Wesentlichen gilt also auch für diese Konstellation im Ergebnis das Gleiche wie für den Fall, dass das angefochtene Urteil die Klage als zur Zeit unbegründet abweist. Legt der Kläger gegen die Prozessabweisung Rechtsmittel ein, braucht er mit einer Sachabweisung in der Rechtsmittelinstanz und einem damit verbundenem Instanzverlust nicht zu rechnen. Vielmehr muss die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit der Klage an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. Dies ergibt sich für die Revisionsinstanz zusätzlich aus dem Umstand, dass sie keine eigenen Sachverhaltsfeststellungen vornehmen kann. Die Vorinstanz ist nach Zurückverweisung hinsichtlich der zu treffenden Sachentscheidung frei und kann die Klage als unbegründet abweisen. In dieser Hinsicht besteht keine Bindung an bereits von ihr oder vom Rechtsmittelgericht getätigten Aussagen zur Begründetheit, deren Prüfung erst mit Zulassung der Klage eröffnet wird.
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Vgl. hierzu insb. Arens, AcP 61 (1962), 177 (189 f.), der darauf hinweist, dass es für die unmittelbare Verwendung des vorinstanzlichen Prozessstoffes – anders als in der Berufungsinstanz – darauf ankommt, dass dieser durch das Gericht tatsächlich festgestellt worden ist (sei es, dass er erkennbar unstreitig war oder hierüber Beweis erhoben wurde). 55 Ausführlich hierzu Arens, AcP 61 (1962), 177 (193 ff.), der noch einen Schritt weiter geht und annimmt, dass im Falle eines angefochtenen Prozessurteils die Frage der Begründetheit gar nicht erst in der Revisionsinstanz anhängig geworden sei, hierüber also vom Revisionsgericht gar nicht entschieden werden dürfe; in die gleiche Richtung zumindest für die Revision Schwab, ZZP 74 (1961), 215 (218) (siehe auch oben Fn. 53). In dem von Schwab besprochenen Urteil, ZZP 74 (1961), 213 ff., hatte der BGH vertreten, dass, wenn eine Widerklage in der Berufungsinstanz fälschlicherweise nicht zugelassen wurde, sich deren Gegenstand vollständig mit dem der (Feststellungs-)Klage in der Hauptsache deckte und der Beklagte bereits gegen diese nichts vorzubringen wusste, so dass die Widerklage „nach jeder Richtung hin“ unschlüssig erschien, die Prozessabweisung durch das Revisionsgericht in eine Sachabweisung geändert werden dürfe. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Beklagte eine eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichts jedoch ausdrücklich beantragt und somit seinen Bestandsschutz aufgegeben. In BGH JZ 1954, 325 f. (mit Anm. Baur), hatte der BGH hingegen noch eine Zurückverweisung wegen der unterschiedlichen Tragweite von Prozess- und Sachabweisung vertreten.
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Teil 4: Fallgruppen
§ 13 Sachabweisung – Prozessabweisung § 13 Sachabweisung – Prozessabweisung
Auf Grund der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachabweisung erscheint die Abänderung einer Sachabweisung in eine Prozessabweisung in der Rechtsmittelinstanz unmöglich.1 Die Sachabweisung vermittelt dem Kläger zumindest in der Weise einen schützenswerten Besitzstand, als sie die Zulässigkeit der Klage rechtskraftfähig feststellt.2 Diese Ansicht ist jedoch nicht unumstritten. Die Vertreter der Gegenauffassung sehen in der Bejahung der Zulässigkeit lediglich eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage.3 Das dem nicht gefolgt werden kann, macht ein Umkehrschluss deutlich, denn auch die Prozessabweisung entfaltet Rechtskraftwirkung in Bezug auf den konkreten Abweisungsgrund.4 Dann ist aber nicht einzusehen, warum die positive Entscheidung über das Vorliegen aller Sachentscheidungsvoraussetzungen nicht ebenfalls Rechtskraftwirkung entfalten soll. Dies gilt auf Grund des oben dargestellten Verhältnisses von Zulässigkeit und Begründetheit5 auch für das abweisende Sachurteil. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob positive Feststellungen zu bestimmten Sachentscheidungsvoraussetzungen in einem die Klage letztlich doch als unzulässig abweisenden Urteil Rechtskraft entfalten. Letzteres ist zu verneinen, da mit dem Prozessurteil nur der bestimmte Abweisungsgrund in Rechtskraft erwächst. Wohl besteht für das Gericht eine Bindungswirkung aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, denn der abgewiesene Kläger muss davon ausgehen, dass seine Klage unter den sonst unveränderten Umständen zugelassen wird, wenn er die fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung nachholt und i. Ü. auf die positiven Feststellungen des Gerichtes vertraut. Dies gilt freilich nicht, wenn die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen wurde. Denn das Vertrauen richtet sich lediglich auf die Entscheidungsstringenz des einen Gerichts. Ist dieses jedoch unzuständig und bringt dies im Urteil zum Ausdruck, kann nicht darauf vertraut werden, dass das zuständige Gericht ebenso über die Zulässigkeit entscheidet. Anders wiederum, wenn sich die Unzuständigkeit erst in der Rechtsmittelinstanz herausstellt.6 Hier besteht ein schützenswertes Vertrauen in die Zuständigkeit des die angefochtene Entscheidung erlassenden Gerichts, so dass im Falle einer Zurückverweisung an dieses und nicht an das tatsächlich zuständige zu verweisen ist. Eine konkludente Bejahung bestimmter Sachentscheidungsvoraussetzungen durch die Abweisung „erst“ wegen einer nachrangig zu prüfenden Vor1 Sie hierzu bereits oben § 6 I. 2. a) (Seiten 100 ff.) und § 12 I. (Seiten 150 ff.); a. A. freilich MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 56; BGH NJW 1999, 1113 (1114). 2 Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 145; in diesem Sinne auch RGZ 40, 401 (404). 3 MünchKommZPO-Gottwald3, § 322 Rn. 175; Musielak/Musielak6, § 322 Rn. 45; Wieczorek/Schütze/Büscher3, § 322 Rn. 157. 4 Siehe hierzu bereits oben § 11 II. (Seiten 135 ff.) sowie § 6 I. 2. a) (Seiten 100 ff.). 5 Siehe oben § 12 II. 1. (Seiten 150 ff.). 6 Vgl. oben § 7 III. (Seiten 110 ff.).
§ 13 Sachabweisung – Prozessabweisung
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aussetzung kann hingegen nicht angenommen werden. Zwar kann man wohl eine gewisse „Rangfolge“ der Sachentscheidungsvoraussetzungen hinsichtlich ihrer Bedeutung annehmen, hieraus lässt sich jedoch keine bindende Prüfungsreihenfolge ableiten.7 Die Abänderung der Klageabweisung als unbegründet in eine Prozessabweisung wird teilweise trotzdem für zulässig gehalten. Dies ergebe sich aus der Erwägung, dass der Kläger durch das Prozessurteil allenfalls bessergestellt werde, da die Rechtskraft der Prozessabweisung weniger weit reiche.8 Zwar mag es für den Kläger zumindest in der Regel nicht stärker belastend sein, wenn seine Klage statt als unbegründet als unzulässig abgewiesen wird. Diese Überlegung lässt sich aber nicht verallgemeinern. So kann es für den Kläger einfacher sein, ein fehlendes Tatbestandsmerkmal nachzuholen als etwa eine fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung.9 Wenn im Falle der angefochtenen Prozessabweisung argumentiert wurde, dass der Kläger eine Sachprüfung anstrebe, so darf ihm auch hier nicht die Chance auf eine erneute Sachprüfung in der Rechtsmittelinstanz durch eine Prozessabweisung genommen werden. Vielmehr hat das Rechtsmittelgericht die Begründetheit zu prüfen und darf die Frage der (ursprünglichen) Zulässigkeit erst dann stellen, wenn dies durch den Beklagten beantragt wurde. Schwieriger ist hingegen der Fall zu beurteilen, dass die Klage in erster Instanz als „jedenfalls“ unbegründet unter Offenlassung etwa des Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen wurde. Hier konnte hinsichtlich des Vorliegens des Rechtsschutzbedürfnisses kein Vertrauen aufgebaut werden. Will das Rechtsmittelgericht der Klage stattgeben, so muss es zunächst das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses prüfen, da ein ausnahmsweises Dahinstehenlassen nur bei einer ohnehin erfolgenden Abweisung als unbegründet zulässig ist.10 Dies erscheint auch sachgerecht, da das prozessökonomische Argument für das Dahinstehenlassen dann nicht mehr greift, wenn positiv in der Sache entschieden wird. Ob eine positive Sachentscheidung erfolgen kann, hängt also vom Vorliegen der in der Vorinstanz offengelassenen Sachentscheidungsvoraussetzungen ab.
7
Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 93 Rn. 43 f. Kapsa, S. 147; Lieb, S. 108; in diesem Sinne wohl auch Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 6. 9 Zu denken wäre hier etwa an den Fall der Abweisung mangels Fälligkeit, die lediglich abgewartet werden muss und die Abweisung mangels internationaler Zuständigkeit, wo die Klage bei einem ausländischen Gericht womöglich in einer anderen Sprache und unter Hinzuziehung ausländischer Anwälte eingereicht werden muss. 10 Siehe oben § 12 II. 2. (Seiten 154 ff.). 8
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Teil 4: Fallgruppen
§ 14 Teilweise Stattgabe – vollständige Abweisung § 14 Teilweise Stattgabe – vollständige Abweisung
Wird einer Klage zumindest teilweise stattgegeben, auf alleiniges Rechtsmittel des Klägers jedoch die Klage wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung vollständig abgewiesen, bedeutet dies ohne Frage eine Schlechterstellung des Klägers.1 Trotzdem wird diese reformatio in peius nicht einhellig für unzulässig gehalten, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden. Dabei muss zwischen dem Fehlen nachholbarer und nicht nachholbarer Sachentscheidungsvoraussetzungen unterschieden werden.
I. Fehlen nachholbarer Sachentscheidungsvoraussetzungen Wird (erst) in der Rechtsmittelinstanz festgestellt, dass bereits im Verfahren der Vorinstanz eine nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung gefehlt hat, so muss die Klage ungeachtet des Verschlechterungsverbots nicht unbedingt als unzulässig abgewiesen werden. Vielmehr kann dem stattgebenden Urteil durch Nachholen der fehlenden Sachentscheidungsvoraussetzung auch im Nachhinein noch prozessuale Rechtmäßigkeit verliehen werden. Der BGH2 macht dies jedoch davon abhängig, dass der Mangel dort behoben wird, wo er entstanden ist. Dies bedeutet, dass die Sache mindestens an die Vorinstanz zurückverwiesen werden muss.3 Dies erscheint jedoch als ein zu starkes Festhalten an Formvorschriften, zumal der Prozessökonomie damit kaum gedient ist. Wegen des Verbots der reformatio in peius dürfte die jeweilige Vorinstanz dem Rechtsmittelführer nun nicht weniger zusprechen, als sie es vorher getan hat.4 Somit scheint es ausreichend, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzung in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt wird. 1 Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob die Sachentscheidungsvoraussetzungen für das Rechtsmittel als solches vorliegen. Ist dies nicht der Fall, wird dieses selbstverständlich als unzulässig zurückgewiesen, da das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (§ 56 Abs. 1 ZPO); vgl. statt vieler Musielak/Ball6, vor § 511 Rn. 12, 19. Dies ergibt sich für die speziellen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Berufung aus § 522 Abs. I S. 2 ZPO und für die der Revision aus § 552 Abs. I ZPO. Ob die Sach-entscheidungsvoraussetzungen in den vorinstanzlichen Verfahren vorgelegen haben, ist hingegen eine Frage der Begründetheit des Rechtsmittels, Musielak/Ball6, vor § 511 Rn. 19. 2 BGH NJW 1986, 1494 (1495); vgl. auch Blomeyer2, § 99 II. 3. (Seiten 552 f.), wenngleich nur für die Zurückverweisung durch das Revisionsgericht. 3 Stellt sich das Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung erst in der Revision heraus und fehlte die entsprechende Voraussetzung bereits im erstinstanzlichen Verfahren, müsste das Revisionsgericht an das Berufungsgericht verweisen und dieses dann an das Gericht erster Instanz. 4 RGZ 58, 248 (255); vgl. auch Blomeyer2, § 99 II 3 und BGH NJW 1961, 1813. Siehe hierzu noch unten § 7 II. (Seiten 107 ff.).
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II. Fehlen nicht nachholbarer Sachentscheidungsvoraussetzungen 1. Absolute Unverzichtbarkeit von Sachentscheidungsvoraussetzungen Für den Fall, dass die fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung nicht nachgeholt werden kann, wurde vor allem von der früher herrschenden Lehre5 und Rechtsprechung6 die Auffassung vertreten, eine in der Vorinstanz erfolgte Teilabweisung könne in der Rechtsmittelinstanz ohne weiteres in eine vollständige Prozessabweisung geändert werden. Begründet wurde dies damit, dass das auf dem Dispositionsgrundsatz beruhende Verbot der reformatio in peius dort versagen müsse, wo das Gericht ohne Antragsbindung von Amts wegen zu prüfen habe.7 Im Übrigen müsse es der Kläger, wenn er sich mit dem vorinstanzlichen Teilurteil nicht begnügt, in Kauf nehmen, dass das Rechtsmittelgericht das Vorliegen zwingender Sachentscheidungsvoraussetzungen überprüft.8 Bötticher benutzt zur Umschreibung des Phänomens den Begriff des durch ein trotz Unzulässigkeit der Klage stattgebendes Urteil vermittelten „scheinbaren Besitzstandes“. Das vorinstanzliche Urteil beruhe in diesem Fall nämlich auf einer unhaltbaren Grundlage.9 2. Differenzierende Betrachtung Die heutige Rechtsprechung und Teile der Literatur vertreten eine nach Gewicht der fehlenden Sachentscheidungsvoraussetzungen differenzierende Betrachtungsweise.10 Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 18.12.198511 der schon damals im Vordringen befindlichen Lehre angeschlossen und einen absoluten Vorrang der Sach5 Berg, JR 1971, 161, Bötticher, ZZP 65 (1952) 464 (467 f.); Baumbach/Lauterbach/ Albers44, § 536 a. F., Anm. 3d (zurückhaltender Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann67, § 528 Rn. 17); Stein/Jonas/Pohle18, § 536 a. F. Anm. II. 2.; Sydow/Busch22, § 536 a. F. Anm. 1; Thomas/Putzo/Reichold12, § 536 a. F., Anm. 3 a) aa); Zöller/Schneider14, § 536 a. F. Rn. 13; Bruns2, Rn. 149d, 265a, 283; Rosenberg9 § 183 I 2 b (vgl. aber Rosenberg/Schwab11, § 141 II 2 d; wieder zurückhaltender Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 138 Rn. 11); Nikisch2, § 123 I 2. 6 RGZ 22, 3; 40, 268 (271); 53, 1 (4); 58, 248; 143, 130;145, 131; 151, 45; BGH NJW 1952, 1137; 1967, 114; BGHZ 18, 98 (106). 7 Berg, JR 1970, 159 (161). 8 Berg, JR 1970, 159 (161). 9 Bötticher ZZP 65 (1952) 464 (468). 10 Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 33 f.; Thomas/Putzo/Reichold29, § 528 Rn. 6; Saenger/Wöstmann2, § 528 Rn. 6; BGH NJW 1986, 1494 (1496); BGHZ 101, 134 (142). 11 BGH NJW 1986, 1494 ff.
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entscheidungsvoraussetzungen abgelehnt. Argument war dabei die Möglichkeit des Klägers, es bei dem Teilurteil bewenden und dieses in Rechtskraft erwachsen zu lassen, so dass es trotz des Mangels einer Sachentscheidungsvoraussetzung wirksam würde. Wenn schon diese Möglichkeit bestehe, könne es keinen absoluten Vorrang der Sachentscheidungsvoraussetzungen geben. Vielmehr sei eine Abwägung vorzunehmen, in der das Gewicht der jeweils fehlenden Sachentscheidungsvoraussetzung der Bedeutung des Verschlechterungsverbots gegenübergestellt werde. Nur wenn Ersteres schwerer wiege, müsse das Verbot der reformatio in peius weichen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn es um eine Verfahrensnorm gehe, deren Verletzung eine Wiederaufnahme begründen würde.12
3. Vorrang des Verbots der reformatio in peius Die wohl überwiegende Literaturmeinung räumt dem Verbot der reformatio in peius unabhängig vom Gewicht der fehlenden Sachentscheidungsvoraussetzung Vorrang ein.13 Zur Begründung wird hier ebenfalls die Möglichkeit des Klägers herangezogen, das Urteil trotz Verfahrensmangels wirksam werden zu lassen, indem er kein Rechtsmittel ergreift.14 Soweit der Rechtsmittelführer seine Anfechtung auf den abweisenden Teil des Urteils beschränken kann, ist eine reformatio in peius schon aus diesem Grunde ausgeschlossen, da der nicht angefochtene Teil gar nicht in die Rechtsmittelinstanz erwächst.15 Der Vorrang des Verbots der reformatio in peius entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck des Verschlechterungsverbots und seiner dogmatischen Grundlage. Ist das Gericht ohne entsprechenden Parteiantrag nicht in der Lage, das Urteil wegen fehlender Sachentscheidungsvoraussetzungen zu revidieren, darf es dies erst recht nicht tun, wenn die Sache zwar wieder verhandelt wird, dies aber zu Lasten des alleinigen Rechtsmittelführers ginge. Denn dieser setzt durch die Möglichkeit, das Urteil rechtskräftig bzw. wirksam werden zu lassen, ein berechtigtes Vertrauen in dessen Bestand, dessen Schutz höher zu bewerten ist als die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen und die dahinterstehenden Partei- und Allgemein12 BGH NJW 1986, 1494 (1495 f), in conreto ging es um die Zulassung einer „Anschlussbeschwerde“ des Ehemannes an die Anschlussberufung der Ehefrau im Versorgungsausgleichsverfahren. Eine Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius wurde hier abgelehnt. 13 Bereits in der Diskussion des Entwurfs einer Zivilprozessordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes wurde eine reformatio in peius für den Fall, dass „Vorschriften verletzt seien, über deren Befolgung das Gericht von Amts wegen zu wachen habe“ zumindest in Bezug auf den nicht angefochtenen Teil abgelehnt, vgl. Protokolle CPO-Norddeutscher Bund, S. 1528 f. 14 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 56; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 7; Blomeyer2, § 99 II 2; Schellhammer11, Rn. 1034; Kapsa, S. 131 f. 15 Allein hierauf stützen Gilles, S. 95 Fn. 266, ders., ZZP 91 (1978), 128 (149) und Lieb, S. 96, die Unzulässigkeit einer vollständigen Prozessabweisung. In diesem Sinne wohl auch Musielak/Ball6, § 528 Rn. 17.
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interessen, deren Durchsetzung noch im vorinstanzlichen Verfahren Priorität verlangten.16 Die Bindung des Rechtsmittelgerichts hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung der Vorinstanz ergibt sich aber auch schon aus der in dieser Hinsicht bestehenden Rechtskraftwirkung. Durch das Sachurteil wurde die Zulässigkeit der Klage rechtskraftfähig festgestellt.17 Etwas anderes gilt jedoch, wenn das angefochtene Urteil an einem so schweren Mangel leidet, dass es als unwirksam anzusehen ist. Denn entfaltet das Urteil auf Grund des schweren Mangels keine Wirksamkeit, fehlt dem Vertrauen des Rechtsmittelführers auch ein entsprechender Anknüpfungspunkt.18 Das unwirksame Urteil eröffnet dem Begünstigten keine Handlungsmöglichkeiten. Es hat weder Tatbestandswirkung noch kann es vollstreckt werden,19 und die Unwirksamkeit ist von Amts wegen zu beachten.20 Unwirksamkeit ist aber nicht schon immer dann gegeben, wenn ein Wiederaufnahmegrund vorliegt, denn nicht das Vorliegen des Grundes, sondern erst seine Geltendmachung führt zu der Beseitigung des angefochtenen Urteils.21 Da die Zulässigkeit jedoch in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen ist,22 kann sich die Rechtskraftwirkung nur auf das durch das Sachurteil abgeschlossene Verfahren beziehen. In einem Folgeprozess, etwa nach Fälligkeitseintritt,23 muss für diesen – und nur für diesen – das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen erneut geprüft werden.24
III. Entscheidung des Rechtsmittelgerichts Die oben dargestellten Konstellationen ziehen unterschiedliche Entscheidungen des Rechtsmittelgerichts nach sich. Stellt sich heraus, dass bei der Ausgangsentscheidung eine nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung fehlte, die nun vorliegt, kann grundsätzlich in der Sache entschieden werden.25 Handelt es sich hingegen um eine nicht nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung, muss das Rechtsmittel als unzulässig abgewiesen werden. Denn ist die Sachentscheidungsvoraussetzung nicht nachholbar, fehlt sie nun auch im Rechtsmittelverfahren und 16
So auch die im Vordringen befindliche Lehre in der Schweiz, vgl. Egger, S. 102 f. Siehe oben § 13 (Seiten 162 ff.). 18 Zu denken wäre etwa an das Fehlen der Gerichtsbarkeit, MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 56; vgl. i. Ü. Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 7; Musielak/Ball6, § 528 Rn. 17; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 42; Kapsa, S. 125; OLG Hamm NJW 1972; 2047; BGH NJW 1986, 1494 (1495). 19 Zöller/Vollkommer27, Vor § 300 Rn. 19. 20 Stein/Jonas/Grunsky21, vor § 578 Rn. 20; BGHZ 5, 240 (246). 21 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 58; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 7. 22 Vgl. oben Fn. 1. 23 Siehe hierzu oben § 11 (Seiten 133 ff.). 24 Stein/Jonas/Leipold21, § 322 Rn. 146. 25 Es sei denn, §§ 538, 563 ZPO gebieten aus anderen Gründen eine Zurückverweisung. 17
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macht bereits dieses als solches unzulässig. Keinesfalls darf das Rechtsmittelgericht die Entscheidung der Vorinstanz zur Gänze aufheben und die gesamte Klage als unzulässig abweisen. Denn dies verstieße gegen das Verbot der reformatio in peius.
§ 15 Weitere Fallgruppen § 15 Weitere Fallgruppen
I. Die Kostenentscheidung Allgemeinhin wird in der dem Rechtsmittelführer nachteiligen Änderung der Kostenentscheidung keine unzulässige reformatio in peius gesehen.1 Hauptargument ist dabei die Abhängigkeit der Kostenentscheidung von der Hauptsache und der Umstand, dass sie von Amts wegen zu treffen sei (vgl. § 308 Abs. 2 ZPO). Sie begründe deshalb keinen schützenswerten Besitzstand.2 Hiergegen wird eingewandt, dass die gemäß § 308 Abs. 2 ZPO fehlende Antragsbindung vor Erlass des Urteils noch nichts darüber aussage, ob auch im Hinblick auf das ergangene Urteil von Amts wegen zu entscheiden sei.3 Vielmehr könne es lediglich im fiskalischen Interesse liegen, hinsichtlich der Kostenentscheidung eine Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius anzunehmen. Dies sei aber kein hinreichendes Argument, da ein entgegenstehendes öffentliches Interesse generell nicht geeignet sei, die Geltung des Verbots einzuschränken. Die Kostenentscheidung sei bindende Kostengrundentscheidung für den nachfolgenden Kostenfestsetzungsbeschluss. Eine Richtigkeitsüberprüfung findet nicht mehr statt. Auf Grund dieser Bindung entstehe dem Rechtsmittelführer ein Besitzstand.4 Um feststellen zu können, ob das Verbot der reformatio in peius auch die Entscheidung über die Kosten erfasst, muss man sich zunächst vor Augen führen, wann den Rechtsmittelführer überhaupt eine ungünstigere Kostenentscheidung treffen kann. Hier ist zu differenzieren: Wird dem Rechtsmittel stattgegeben und eine neue Entscheidung gefällt, muss wegen der Abhängigkeit von der Hauptsache auch eine neue Kostenentscheidung getroffen werden. Da gemäß § 91 ZPO maß-
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Bereits Justinian, C. 7, 64, 10, hatte die Adhäsion ausschließlich zur Abänderung der vorinstanzlichen Kostenentscheidung verboten. Über die Kosten hatte der Appellationsrichter von Amts wegen zu entscheiden, vgl. Sartorius, AcP 31 (1848), 83 (92 f). 2 Ganz h. M., vgl. nur MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 52; Stein/Jonas/ Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 15; Zöller/Heßler27, § 528 Rn. 35; Freitag, S. 136; a. A. Kapsa, S. 116 ff. Z. T. wird eine Ausnahme für den Fall angenommen, dass die Kostenentscheidung zur Hauptsache geworden ist, vgl. Freitag, S. 136; Zimmermann, RPfleger 1959, 251 (259). 3 Kapsa greift insoweit auf den Satz von Blomeyer2, § 99 II. 2. (in der von Kapsa zitierten Vorauflage am selben Ort) dass „der Vorrang zwingenden Prozessrechts gegenüber der Parteidisposition vor Urteilserlass keineswegs auch für die Disposition gegenüber dem ergangenen Urteil gelten“ müsse, zurück (Hervorhebungen im Original). 4 Kapsa, S. 164 ff., wohl unter Zustimmung Klamaris, ZZP 91 (1978), 222 (227).
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gebliches Kriterium für die Verteilung der Kostenlast das Unterliegen im Rechtsstreit ist, kann die Kostenentscheidung der Rechtsmittelinstanz auf Grund des Verbots der reformatio in peius hinsichtlich der Hauptsache zumindest dann keine Verschlechterung für den Rechtsmittelführer darstellen, wenn die Kostenentscheidung der Vorinstanz richtig gewesen ist. Anders verhält es sich, wenn die Kostenentscheidung der Vorinstanz den Rechtsmittelführer fälschlicherweise begünstigt. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Klage in der Ausgangsinstanz teilweise abgewiesen, die Kostenlast aber vollständig dem Beklagten auferlegt wurde. Legt der Kläger gegen das Urteil Rechtsmittel ein und erreicht eine geringere Abweisung seiner Klage, ohne dass ihr vollständig stattgegeben wird, müssten ihm die Kosten hinsichtlich des abgewiesenen Teils auferlegt werden, wenn die Kostenentscheidung von Amts wegen zu erfolgen hat und auch von Amts wegen zu korrigieren ist (vgl. § 525 i. V. mit §§ 308 Abs. 2, 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO).5 Der Kläger stünde unter diesen Umständen im Hinblick auf die Kostenentscheidung schlechter, als wenn er es bei dem angegriffenen Urteil belassen hätte. Nur in diesem begrenzten Bereich wäre also eine Schlechterstellung überhaupt denkbar. In diesem Fall ist die Schlechterstellung aber auch gerechtfertigt, da für die Kostenentscheidung nicht die gleichen Besitzstands-Maßstäbe angesetzt werden können wie für die Entscheidung in der Hauptsache. Denn bei ersterer geht es nicht um subjektiven Rechtsschutz, der grundsätzlich in die Hände der Parteien gelegt ist und deren Korrektur zu Lasten des Rechtsmittelführers nur durch die Gegenpartei im Wege der Anschließung veranlasst werden kann. Vielmehr bringen die in §§ 91 ff. ZPO getroffenen Regelungen zum Ausdruck, dass bei der Kostenentscheidung eine gerechte, an der Entscheidung in der Hauptsache orientierte Verteilung der Kostenlast im Vordergrund steht. Dies ist ein legitimes Anliegen, da die Kostenentscheidung nicht nur die Partei-, sondern auch die Gerichtskosten beinhaltet und somit auch fiskalische Rechte des Staates berührt,6 zu deren Schutz objektive Verteilungskriterien erforderlich sind. Das Vertrauen auf den Bestand der Kostenentscheidung auch bei erneuter gerichtlicher Befassung mit der Sache ist demnach schon durch die gesetzlichen Regelungen deutlich eingeschränkt. Entgegen der eingangs geschilderten Auffassung sind aber die mit der Kostenentscheidung verbundenen fiskalischen, also öffentlichen Interessen durchaus geeignet, im Rahmen einer zu treffenden Interessenabwägung eine Ausnahme von der grundsätzlichen Geltung des Verbots der reformatio in peius zu begründen. Demnach kann auch kein schützenswerter Besitzstand entstehen und ist eine 5
Die anderen Möglichkeiten der Kostenteilung des § 92 ZPO sollen hier außer Acht bleiben. Stein/Jonas/Leipold21, § 308 Rn. 13. Man könnte den durch eine falsche Kostenentscheidung vermittelten Besitzstand zumindest insoweit mit dem durch einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt vergleichen, als dieser unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls nach § 48 f. VwVfG aufgehoben werden darf. Allerdings wird die Aufhebungsmöglichkeit im Verwaltungsprozess anders als im zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren ausdrücklich gesetzlich angeordnet. 6
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Schlechterstellung hinsichtlich der Kosten jederzeit möglich. Dies gilt auch dann, wenn die Kostenentscheidung selbst zur Hauptsache geworden ist,7 da sich auch dann am Charakter der Kostenentscheidung nichts ändert.
II. Das Grundurteil Das Grundurteil (§ 304 ZPO) entscheidet allein über die Frage, ob ein bestimmter Anspruch dem Grunde nach gegeben ist. Allein hierauf erstreckt sich die Bindungswirkung nach § 318 ZPO für das anschließende Betragsverfahren. Ausführungen zur Anspruchshöhe gehören nicht zum gesetzlich vorgesehenen Inhalt des Grundurteils und entfalten somit keine Bindungswirkung, die geeignet wäre, ein Vertrauen in den Bestand solcher Ausführungen zu wecken.8 Im Betragsverfahren ist das Gericht daher nicht daran gehindert, die Anspruchshöhe anders festzulegen.9 Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn sich aus der rechtlichen Qualifikation des Anspruchs Folgen für dessen Höhe ergeben, die im Betragsverfahren zu berücksichtigen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Kläger einen Schadensersatzanspruch sowohl auf § 823 Abs. 1 BGB als auch auf § 7 StVG stützt, denn der Anspruch aus Gefährdungshaftung nach § 7 StVG ist der Höhe nach durch § 12 StVG begrenzt. Dies wirft zunächst die Frage auf, ob die im Grundverfahren getroffene rechtliche Qualifikation des Anspruchs Bindungswirkung i. S. von § 318 ZPO entfaltet und somit Anknüpfungspunkt für ein hierauf bezogenes Vertrauen darstellt. Dies wird heute wohl überwiegenden bejaht.10 Die Trennung in Grund- und Betragsverfahren soll gerade dazu dienen, das Betragsverfahren von Fragen hinsichtlich des Anspruchsgrundes zu entlasten.11 Umso mehr muss dies gelten, wenn die rechtliche Einordnung des Anspruchs Konsequenzen für dessen Höhe hat. Einer anderen Auffassung zufolge soll sich die betragsmäßige Bindungswirkung nicht aus einer ebenfalls bindenden rechtlichen Qualifikation des Anspruchs – also quasi mittelbar – ergeben, sondern aus einer direkten quantitativen Begrenzung der Anspruchshöhe im Urteilsspruch. Dementsprechend müsse das Grundurteil ausdrücklich aussprechen, dass der Anspruch dem Grunde nach „bis zu der nach § 12 StVG zulässigen Höchstgrenze“ gerechtfertigt sei. Im Betragsverfahren könne der Anspruch dann ohne weiteres auch auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden, sei jedoch der Höhe nach durch § 12 StVG begrenzt.12 Dogmatisch kann diese Lösung nicht überzeugen. Da die rechtliche Qualifikation des Anspruchs zum gesetzlich 7
Vgl. §§ 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 269 Abs. 5 i. V. m. Abs. 3 ZPO. Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 137 Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 51. 9 MünchKommZPO-Musielak3, § 304 Rn. 12; Zöller/Volkommer27, § 304 Rn. 21. 10 MünchKommZPO-Musielak3, § 304 Rn. 14; Stein/Jonas/Leipold21, § 304 Rn. 47; Zöller/ Volkommer27, § 304 Rn. 20; Schwab, FS Bötticher, S. 321 (331 und 339); Kapsa, S. 160. 11 MünchKommZPO-Musielak3, § 304 Rn. 14. 12 Bötticher, JZ 1960, 240 (241). 8
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vorgesehenen Inhalt des Grundurteils gehört, bewegt sich auch die hierdurch vorgenommene mittelbare Festlegung der maximalen Anspruchshöhe in diesem Rahmen. Die von der Gegenauffassung vorgeschlagene Formulierung fällt im Gegensatz dazu als direkte Angabe zur Anspruchshöhe aus diesem Rahmen heraus. Ungeachtet dessen käme man damit ohnehin zum selben Ergebnis wie die herrschende Meinung. Ein gegen das Grundurteil eingelegtes Rechtsmittel hat wiederum allein den Anspruchsgrund zum Gegenstand und kann nicht über den Betrag entscheiden, es sei denn, die Sache ist in dieser Hinsicht bereits entscheidungsreif.13 Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 538 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO.14 Zwar wäre es im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius dogmatisch wohl stringenter, die Entscheidung über den Anspruchsbetrag dem Ausgangsgericht zu überlassen, da den Parteien auf diese Weise eine weitere Instanz erhalten bliebe. Jedoch ist § 538 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO eine ausdrücklich normierte Konzession an die Prozessökonomie,15 die ein auf Grund der Ausgestaltung von Grund- und Betragsverfahren eigentlich gerechtfertigtes Vertrauen beseitigt. Das Rechtsmittelgericht ist ebenfalls nicht an etwaige Ausführungen im Grundurteil zur Betragshöhe gebunden, es sei denn, dass bereits die rechtliche Einordnung des Anspruchs Folgen für die Anspruchshöhe hat.16 Der Wortlaut des § 538 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO gestattet es dem Berufungsgericht auch, eine Klage als unbegründet abzuweisen, wenn es sie zwar dem Grunde nach für begründet erachtet, nicht jedoch vom Betrag her.17 Hiergegen wird eingewandt, dass die Betragsfrage in diesem Fall nicht in die Berufungsinstanz gelangt sei und hierüber nur entschieden werden dürfe, wenn beide Parteien dies beantragten. Die Berufung sei in diesem Fall vielmehr als unbegründet abzuweisen, wenn das Berufungsgericht an der Bejahung des Anspruchs dem Grunde nach festhalte.18 Folgt man der wohl herrschenden Ansicht und hält sich an den Wortlaut des § 538 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO, muss man den Einwand zurückweisen. Denn wenn das Berufungsgericht ausdrücklich auch über den Betrag entscheiden darf, wenn die Sache insoweit spruchreif ist, dann muss diese Entscheidung auch negativ ausfallen dürfen. Schon oben wurde jedoch darauf hingewiesen, dass sich dies mit dem Gedanken eines grundsätzlichen Verschlechterungsverbots sowie der dogma13
Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 13. Vgl. aber auch Musielak/Ball6, § 538 Rn. 29, der für den Fall, dass das Rechtsmittel unbegründet ist, eine Entscheidung über den Betrag nur dann für zulässig hält, wenn die Parteien mit dem „Heraufholen“ des eigentlich in der Vorinstanz verbliebenen Streits zur Anspruchshöhe einverstanden sind und vor dem Rechtsmittelgericht die vorinstanzlichen Anträge geltend machen. 14 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 538 Rn. 59; Stein/Jonas/Grunsky21, § 538 a. F. Rn. 24. 15 So auch Stein/Jonas/Grunsky21, § 538 a. F. Rn. 25 („eine an sich nicht ins System passende Ausnahmevorschrift“); BGH NJW 1986, 182. 16 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 49. 17 Ausführlich Stein/Jonas/Grunsky21, § 538 Rn. 25 ff.; in diese Richtung auch BGH NJW 1986, 182 ff. 18 Musielak/Ball6, § 538 Rn. 29.
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tischen Konzeption der Rechtsmittel und des Grundurteils kaum vereinbaren lässt und allein prozessökonomische Gründe für § 538 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO ins Feld geführt werden können. Da es dem Gesetzgeber aber unbenommen ist, im Rahmen einer Interessengewichtung der Prozessökonomie im Hinblick auf eine funktionsfähige Zivilrechtspflege Vorrang vor dem Vertrauensschutz der einzelnen Partei einzuräumen19 und dies auch einen ausdrücklichen Niederschlag im Gesetz gefunden hat, kann hiergegen nichts eingewandt werden.
III. Kapital-/Rentenbetrag; Vorbehaltsurteile Wird dem Kläger durch das angefochtene Urteil ein Kapitalbetrag zuerkannt, darf dieser auf alleiniges Rechtsmittel des Klägers nicht in einen Rentenbetrag abgeändert werden. Die dem Kläger ungünstige Abänderung des Urteils ergibt sich hier bereits aus der Urteilsformel, so dass auch die herrschende Meinung hierin eine unzulässige reformatio in peius sieht.20 Aus dem selben Grund darf ein Zug-um-Zug-Urteil auf Rechtsmittel des Beklagten nicht in ein Urteil auf unbeschränkte Leistung geändert werden und umgekehrt.21 Wurde der Beklagte unter dem Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung verurteilt und legt allein er hiergegen Rechtsmittel ein, so darf nur die Klageforderung, nicht aber der Vorbehalt geprüft werden.22
IV. Vorläufige Vollstreckbarkeit Zwar wird auch die vorläufige Vollstreckbarkeit23 nach §§ 708 ff. ZPO von Amts wegen angeordnet,24 jedoch sagt dies auch hier nichts über ein Verbot der reformatio in peius aus.25 Die bereits oben dargestellte Auffassung zur Kostenentscheidung, wonach eine antragsunabhängige Entscheidung vor Erlass des Urteils nicht zwingend bedeutet, dass auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu entscheiden ist,26 ließe sich insoweit auch auf die vorläufige Vollstreckbar19
Vgl. hierzu bereits oben unter § 5 IX. 5. (Seiten 92 ff.). MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 51; BGH NJW 1998, 3411 f. 21 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 53; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 14, m. Nachw. zur Rspr. 22 Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 49; Kapsa, S. 145. 23 Hiervon zu unterscheiden ist die Vollstreckungswirkung des Urteils und der hierdurch vermittelte Besitzstand, hierzu oben § 6 III. (Seiten 105 ff.). 24 MünchKommZPO-Krüger3, § 708 Rn. 3; Zöller/Herget27, § 708 Rn. 1. 25 A. A. Lieb, S. 121. 26 Kapsa, S. 165; vgl. die Ausführungen zur Kostenentscheidung oben unter I. (Seiten 168 ff.). 20
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keit übertragen. Zudem steht die vorläufige Vollstreckbarkeit in deutlich engerem Zusammenhang mit dem subjektiven Rechtsschutz der Parteien als die Kostenentscheidung und kann durch Anträge der Parteien beeinflusst werden (vgl. §§ 710, 711 Satz 3, 712 ZPO),27 was generell für einen schützenswerten Besitzstand spricht. Denn unzweifelhaft stellt die vorläufige Vollstreckbarkeit der Sache nach insoweit einen Vorteil des Klägers dar, als sie eine schnellere Vollstreckung des Urteils ermöglicht. Umgekehrt bedeutet es einen Vorteil des Beklagten, wenn keine vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet wird. Gleiches gilt für Anordnungen hinsichtlich erforderlicher Sicherheitsleistungen nach §§ 709 f. ZPO bzw. hinsichtlich möglicher Abwendungsbefugnisse nach §§ 711 f. ZPO.28 Trotzdem lehnt die wohl herrschende Meinung ein Verbot der Schlechterstellung in diesem Zusammenhang ab.29 Vornehmliches Argument ist dabei die Abhängigkeit der Vollstreckbarkeitserklärung von der Entscheidung in der Hauptsache. Demnach entscheide das Rechtsmittelgericht über die vorläufige Vollstreckbarkeit für „sein eigenes Urteil“ auf Grund der neuen Sachlage neu.30 Es ist folglich zu untersuchen, wie sich diese Abhängigkeit der Vollstreckbarerklärung von der Entscheidung in der Hauptsache darstellt und was hieraus für das Verbot der reformatio in peius zu folgern ist. Zunächst sind die Fälle zu betrachten, in denen in der ersten Instanz keine vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet wurde. Legt der Beklagte gegen das Urteil Berufung ein und erklärt das Berufungsgericht nun die vorläufige Vollstreckbarkeit, bedeutet dies eine Schlechterstellung des Beklagten. Hätte dieser kein Rechtsmittel eingelegt, hätte er bis zum Eintritt der Rechtskraft mit einer Vollstreckung nur zu rechnen brauchen, wenn der Kläger seinerseits Rechtsmittel eingelegt hätte. Zwar entscheidet das Rechtsmittelgericht über die vorläufige Vollstreckbarkeit seines Urteils, jedoch darf der alleinige Rechtsmittelführer hierdurch nicht schlechter gestellt werden. Durch die Nichtanordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit werden (im, Gegensatz zur Kostenentscheidung) allein die Rechte des Klägers berührt, der sich hiergegen selbst durch Ergreifen eines Rechtsmittels wehren kann.31 Im umgekehrten Fall spricht jedoch auch ohne entsprechenden Rechtsmittelantrag des Beklagten theoretisch nichts gegen eine Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit, da diese für ein nicht vollstreckungsfähiges Urteil ohnehin keinen Wert hat. Immerhin wird mit dem Urteil regelmäßig auch eine Kostenentscheidung verbunden sein, so dass zumindest in dieser Hinsicht ein vollstreckungsfähiger Inhalt vorliegt. 27
MünchKommZPO-Krüger3, § 538 Rn. 3. Kapsa, S. 168, spricht hingegen nur von einem Besitzstand des Klägers auf Grund der Verbindlichkeit der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit für die Zwangsvollstreckung. 29 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 59; Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 53; differenzierend Lieb, S. 121 f. 30 Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 53. 31 So i.E. auch Haehnel, S.17. 28
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Des Weiteren ist gemäß §§ 708 f. ZPO auch die Entscheidung, ob vorläufige Vollstreckbarkeit gegen oder ohne Sicherheitsleistung angeordnet wird, ebenso wie die Höhe der Sicherheitsleistung von Art und Inhalt des Urteils in der Hauptsache abhängig. Dieser Zusammenhang spiegelt jedoch lediglich die typisierten Sicherheitsinteressen der jeweils anderen Partei wider.32 Dies zeigt etwa auch § 108 ZPO, nach dem die Parteien Art und Höhe der Sicherheitsleistung frei vereinbaren können. Eine solche Vereinbarung geht nach herrschender Meinung der Anordnung des Gerichts vor und bindet dieses.33 Wenn aber schon Art und Höhe der Sicherheitsleistung frei vereinbart werden können, dann müssen die Parteien auch einvernehmlich ganz auf Sicherheitsleistung verzichten dürfen.34 Ein zwingender Zusammenhang zwischen der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und der Hauptsache in dem Sinne, dass fehlerhafte Entscheidungen in der Rechtsmittelinstanz ohne entsprechende Parteiinitiative korrigiert werden müssten, besteht demnach nicht.35 Grundsätzlich entscheidet zwar auch das Rechtsmittelgericht in Bezug auf das Ob und die Art und Höhe der Sicherheitsleistung für sein eigenes Urteil. Doch kann dies nur unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots geschehen, d. h. eine Abänderung wäre nur zu Gunsten des Rechtsmittelführers denkbar. Auch die Anordnungen hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit stellen also einen schützenswerten Besitzstand dar und ist eine reformatio in peius in diesem Zusammenhang unzulässig.36
V. Sorgerechtsangelegenheiten und Versorgungsausgleich Wie bereits dargelegt, scheidet das Verbot der reformatio in peius in den Fällen aus, wo ihm vorrangige Interessen Dritter entgegenstehen. So wird in Sorgerechtsangelegenheiten eine Schlechterstellung des Rechtsmittelführers zum Wohle des Kindes allgemein für zulässig gehalten.37 Dabei wird vornehmlich auf die 32 Vgl. nur Stein/Jonas/Bork22, vor § 108 Rn. 2 und § 108 Rn. 2, der betont, dass die Vorschriften zur Sicherheitsleistung nicht dem Schutz der Staatskasse, sondern dem des Sicherungsberechtigten dienen. 33 Ganz h. M., vgl. nur MünchKommZPO-Giebel3, § 108 Rn. 18; Stein/Jonas/Bork22, § 108 Rn. 11; Musielak/Foerste6, § 108 Rn.14. 34 So auch MünchKommZPO-Giebel3, § 108 Rn. 19. 35 Ähnlich auch Lieb, S. 121 f., der jedoch ein Verbot der reformatio in peius im Hinblick auf die Frage der Sicherheitsleistung nur dann befürwortet, wenn auch tatsächlich Parteivereinbarungen (bzw. die Entscheidung des Gericht beeinflussende Anträge nach §§ 710 ff. ZPO) vorliegen. Dass es aber nicht auf das tatsächliche Vorliegen von Parteivereinbarungen ankommt, sondern lediglich auf die hinter der bloßen Möglichkeit solcher Vereinbarungen stehende Wertung, haben die obigen Ausführungen gezeigt. 36 In diesem Sinne, wenngleich mit etwas abweichender Begründung, auch Kapsa, S. 168. Vgl. auch Haehnel, S. 17. 37 Vgl. etwa MünchKommZPO-Finger3, § 621e Rn. 46; Musielak/Borth5, § 621e Rn. 21; Zöller/Philippi27, § 621e Rn. 63; Gutjahr, FPR 2006, 433 (436); BGHZ 85, 180 (186).
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mangelnde Antragsbindung abgestellt,38 was in diesem Fall auch zutreffend ist. Denn hier ist die mangelnde Antragsbindung Ausdruck der generellen Höherbewertung des Kindeswohls gegenüber den Parteiinteressen und den Parteien deshalb die (inhaltliche) Disposition über das Verfahren aus den Händen genommen. So kann auf Beschwerde eines Elternteils gegen eine Sorgerechtsentscheidung das Sorgerecht nicht nur einem der Elternteile zugesprochen, sondern auch Vormundschaft angeordnet bzw. Umgangsbefugnisse beliebig zu Gunsten des Kindeswohls abgeändert werden.39 Auch bei der Anfechtung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich zwischen Ehegatten kann in besonderen Fällen eine andere Interessengewichtung eine Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius begründen. Die Interessen von Versorgungsberechtigtem und Versorgungsverpflichtetem verhalten sich zueinander zwar grundsätzlich spiegelbildlich, d. h. ersterem ist an einem möglichst niedrigen Versorgungsanspruch, letzterem an einem möglichst hohen gelegen. Dies kann sich aber ändern, wenn Versicherungs- oder Versorgungsträger Rechtsmittelgegner sind. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass in diesem Fall nicht nur subjektive Rechte der Parteien im Spiel seien, sondern auch die Interessen der Solidargemeinschaft der Versicherten, weshalb in diesem Fall die schutzwürdigen Interessen des Rechtsmittelführers allein darauf gerichtet seien, dass eine sachgemäße und richtige Entscheidung ergeht.40 Ein allein im Eigeninteresse des Rechtsmittelführers stehendes Vertrauen in ihm günstige Bestandteile der angefochtenen Entscheidung gäbe es unter diesen Umständen nicht. Die Gegenauffassung geht hingegen auch in umgekehrter Konstellation davon aus, dass das Interesse eines Versicherungs- oder Versorgungsträgers als Rechtsmittelführer lediglich auf eine sachgemäße und richtige Entscheidung gerichtet sei.41 Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend. Denn auch Versicherungen oder Versorgungsträger haben ein Interesse daran, ihre Verpflichtungen möglichst gering zu halten und in diesem Sinne Besitzstände zu schützen. Dieses Interesse könnte ihnen allenfalls dann abgesprochen werden, wenn sie als reine Wohlfahrtsorganisationen die Verteilung von Leistungen gewähren. Zumindest bei privaten Versicherungsträgern, die mit Gewinnerzielungsabsicht am Markt auftreten, kann dies jedoch nicht angenommen werden. Die Gegenauffassung stützt sich bei ihrer Argumentation zum einen auf das bereits oben dargestellte BGH-Urteil,42 wo der Versorgungsträger jedoch Rechtsmittelgegner ist. Folgt man dem BGH, müsste das Verbot der reformatio in peius in die38 Dass die Antragsbindung auch im Rechtsmittelverfahren nach § 621e ZPO nicht gilt, ergibt sich sowohl aus der generellen Ausgestaltung des Sorgerechtsverfahrens als auch aus dem Umstand, dass § 621e Abs. 3 ZPO nicht auf § 528 ZPO verweist, Musielak/Borth5, § 621e Rn. 21; vgl. auch BGHZ 92, 5 (9). 39 Bspl. nach MünchKommZPO-Finger3, § 621e Rn. 46; vgl. auch Zöller/Philippi27, § 621e Rn. 63. 40 BGHZ 92, 5 (9 f.); vgl. auch Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 52; differenzierend für öffentlich rechtliche Versorgungsträger MünchKommZPO-Finger3, § 621e Rn. 48. 41 Wieczorek/Schütze/Gerken3, § 528 Rn. 52. 42 BGHZ 92, 5 (9 f.).
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ser Konstellation schon allein wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der hinter der Versicherung stehenden Solidargemeinschaft greifen. Daneben wird noch ein weiteres Urteil des BGH angeführt, in dem zwar ebenfalls festgestellt wird, dass das Verbot der reformatio in peius nicht gelte, wenn Versorgungs- oder Versicherungsträger Rechtsmittelführer seien. Jedoch konnte in dem Fall wegen des noch ungewissen weiteren Versicherungsverlaufs noch gar nicht festgestellt werden, ob sich eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil auswirken würde.43 Auch diese Entscheidung kann demnach die dargestellte Auffassung nicht stützen.
VI. Entscheidung nach § 308a ZPO Hält das Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum für unbegründet, hat es gemäß § 308a ZPO und entgegen dem Grundsatz des § 308 ZPO von Amts wegen auszusprechen, für welche Dauer das Mietverhältnis fortgesetzt werden soll. Es handelt sich bei § 308a ZPO nach allgemeiner Meinung um eine Ausprägung des „sozialen Zivilprozessrechts“, dessen vornehmliches Ziel es in diesem Zusammenhang ist, den Parteien auch ohne entsprechenden Antrag Klarheit über die Dauer und die Bedingungen des Mietverhältnisses zu verschaffen und somit den Rechtsfrieden zu sichern.44 Im Vordergrund steht dabei also weniger die Erwägung, dass das Gericht Dauer und Bedingungen des fortgesetzten Mietverhältnisses am besten festsetzen kann, ohne inhaltlich an Anträge gebunden zu sein, sondern dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wird. Aus diesem Grund kann aber allein der Umstand, dass der Ausspruch von Amts wegen erfolgt, das Vertrauen in den inhaltlichen Bestand des Ausspruchs nicht erschüttern. Denn eine generelle, auch inhaltliche Entkoppelung des Ausspruchs vom Parteiwillen soll durch § 308a ZPO gerade nicht stattfinden. Das Rechtsmittelgericht45 ist demnach an die durch die Vorinstanz ausgesprochene Dauer und die Bedingungen des Mietverhältnisses in der Weise gebunden, dass es nicht zum Nachteil des alleinigen Rechtsmittelführers hiervon abweichen darf.46 Legt etwa der Mieter gegen den Ausspruch Rechtsmittel ein, darf die festgestellte Dauer nicht gekürzt und dürfen die Mietbedingungen nicht erschwert werden. Umgekehrt darf auf Rechtsmittel des Vermieters die Mietdauer nicht verlängert bzw. die Bedingungen nicht zu dessen Nachteil geändert werden.
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BGH FamRZ 1990, 273 (275). MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 308a Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold22, § 308a Rn. 10; Musielak/Musielak6, § 308a Rn. 1. 45 Gemäß § 308a Abs. 2 ZPO kann der Ausspruch nach Abs. 1 isoliert, also unabhängig von der übrigen Entscheidung, angefochten werden. Da der Ausspruch antragsunabhängig erfolgt, ist hierfür nur eine materielle Beschwer erforderlich, MünchKommZPO-Musielak3, § 308a Rn. 9 m. w. Nachw. 46 MünchKommZPO-Rimmelspacher3, § 528 Rn. 54. 44
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Schlussbemerkungen Teil 5: Schlussbemerkungen
§ 16 Behandlung von Verstößen § 16 Behandlung von Verstößen
I. Ordentliche Rechtsmittel Da es sich bei der unzulässigen reformatio in peius um einen Rechtsverstoß handelt, der zur Fehlerhaftigkeit der Entscheidung führt, stehen dem Betroffenen hiergegen grundsätzlich die ordentlichen Rechtsmittel zur Verfügung. Die Situation ist insoweit vergleichbar mit dem (erstinstanzlichen) Verstoß gegen die Antragsbindung nach § 308 ZPO, wenngleich sich die Unzulässigkeit der reformatio in peius nicht allein aus der (inhaltlichen) Antragsbindung ergibt. Da das Verbot der reformatio in peius den Entscheidungsumfang der Rechtsmittelinstanz regelt, handelt es sich hierbei um sogenanntes materielles Prozessrecht und nicht um eine das Verfahren betreffende Vorschrift im Sinne von § 295 Abs. 1 ZPO. Denn hierzu zählen diejenigen Vorschriften nicht, die den Inhalt der Parteiund Gerichtsverhandlungen näher bestimmen.1 Deshalb ist ein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius auch von Amts wegen und nicht erst auf Rüge der betroffenen Partei hin zu beachten.2
II. Urteilsberichtigung nach § 321 ZPO Für § 308 ZPO wird zum Teil die Auffassung vertreten, ein Verstoß gegen diese Norm könne auf einfacherem Wege durch schlichte Urteilsberichtigung nach § 321 ZPO geheilt werden, wenn der Verstoß aus Versehen geschehen ist.3 Unter Zuhilfenahme dieser Ansicht wird Ähnliches auch im Hinblick auf versehentliche Verstöße gegen das Verbot der reformatio in peius postuliert.4 Hierbei stützt man sich auf die Argumente zu § 308 ZPO, wonach die Fälle, in denen über Beantragtes nicht entschieden wurde, und die, in denen über nicht Beantragtes entschieden wurde, gleich zu behandeln und § 321 ZPO auf letztere analog anzuwenden sind. 1
MünchKommZPO-Prütting3, § 295 Rn. 2. Vgl. auch § 557 Abs. 3 ZPO; Stein/Jonas/Grunsky21, § 536 a. F. Rn. 16; Schellhammer11, Rn. 1033; BGHZ 36, 316 (319); a. A. Lieb, S. 136. 3 Klette, ZZP 82 (1969), 93 ff.; ihm folgend Rosenberg/Schwab/Gottwald16, § 131 Rn. 9; Zöller/Vollkommer27, § 308 Rn. 6. 4 Lieb, S. 138 ff. 2
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Grund hierfür sei der Umstand, dass sowohl das Gebot umfassender Entscheidung als auch der Grundsatz ne eat iudex ultra petita partium Ausfluss ein und desselben zivilprozessualen Grundsatzes, nämlich der Dispositionsmaxime seien. Zudem sei § 321 ZPO trotz seines engen Wortlautes durch Verweisung in anderen Vorschriften etwa auch auf den Fall anzuwenden, dass in einem nach § 302 ZPO zu erlassenden Vorbehaltsurteil der Vorbehalt fehlt, vgl. § 302 Abs. 2 ZPO.5 Hierdurch sei der eigentliche Anwendungsbereich des § 321 ZPO aber erweitert und müsse auch der für die Analogie notwendige gemeinsame Grundgedanke erweitert aufgefasst werden.6 Verstößt das Gericht gegen die Antragsbindung, könne dem unter Umständen nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln begegnet werden, was eine Analogie zu § 321 ZPO notwendig mache. Dass dieser Fall von § 321 ZPO nicht ausdrücklich erfasst würde, liege an der geringeren praktischen Bedeutung. Zudem sei mit Schaffung des § 321 ZPO einer gemeinrechtlichen Gepflogenheit begegnet worden, nach der die Nebenansprüche, auf die das Urteil über den Hauptanspruch nicht einging, als aberkannt anzusehen gewesen seien. Im Übrigen entspreche eine analoge Anwendung auch dem öffentlichen Interesse an einer ökonomischen Rechtspflege.7 Lieb zieht nun eine Parallele zu dem Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius, ohne dies näher zu begründen. Dass ein Verstoß gegen § 308 ZPO aber nicht unbedingt und in jedem Fall gleichzusetzen ist mit einem Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius, da sich letzteres zumindest nicht ausschließlich am gestellten Parteiantrag orientiert, wurde bereits in den vorangegangenen Ausführungen dargelegt.8 Doch selbst wenn das Verbot der reformatio in peius als eine Art „Antragsbindung im weitesten Sinne“ aufgefasst wird, begegnet bereits die Grund-Analogie erheblichen Bedenken. Wie Musielak richtig ausführt, besteht der gravierende Unterschied zwischen den in § 308 und § 321 ZPO geregelten Situationen darin, dass bei § 321 ZPO der Sache nach richtig entschieden wurde und lediglich ein Teil der Entscheidung fehlt. Bei einem Verstoß gegen § 308 ZPO wurde aber bereits der Sache nach nicht richtig entschieden. Vielmehr müssen die Entscheidungen hier insgesamt aufgehoben und neu ausgefällt werden, was schon im Hinblick auf § 318 ZPO nicht durch bloße Berichtigung geschehen kann.9 Genauso verhält es sich auch im Falle eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius. Auch hier leidet die gesamte Entscheidung an einem Fehler und ist insgesamt aufzuheben. Besonders augenfällig wird dies dann, wenn die falsche Instanz entschieden hat.10 Eine Urteilskorrektur wäre in diesem Fall schon rein tech5
Klette, ZZP 82 (1969), 93 (108 ff.), m. w. Verweisungsbeispielen. Klette, ZZP 82 (1969), 93 (109). 7 Klette, ZZP 82 (1969), 93 (104 ff.). 8 Siehe hierzu insbesondere § 5 V. 3. b) (Seiten 53 ff.). 9 Musielak, FS Schwab, S. 349 (361 f.); ebenso Wieczorek/Schütze/Rensen3, § 308 Rn. 34; differenzierend jedoch ohne Stellungnahme zu § 321 ZPO Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, S. 156 ff. 10 Vgl. hierzu die Fälle der angefochtenen Abweisung als zur Zeit unbegründet bzw. als unzulässig oben § 11 III. (Seiten 140 ff.) und § 12 III. (Seiten 158 ff.). 6
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nisch gar nicht möglich, da die Korrektur nach § 321 ZPO durch dasselbe Gericht zu geschehen hat, das auch die fehlerhafte Entscheidung erlassen hat. Abgesehen davon scheint es schwer vorstellbar, dass ein Gericht versehentlich gegen das Verbot der reformatio in peius verstößt. Ein solcher Verstoß wird seine Ursache in der Regel darin haben, dass der Parteiantrag falsch ausgelegt wurde oder sich das betreffende Gericht falsche Vorstellungen von der Reichweite des Verbotes gemacht hat. Auslegungsfehler und Rechtsirrtümer sind aber nicht als Versehen i. S. von § 321 ZPO anzusehen.11
III. Gehörsrüge nach § 321a ZPO Problematisch erweist sich das Vorgehen mit ordentlichen Rechtsmitteln dann, wenn diese nicht statthaft sind, sei es, dass die Zulassungsvoraussetzungen zur Revision nicht erreicht werden oder dass kein weiteres ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung steht, weil der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot erst in der Revision erfolgte. Hier bietet die Gehörsrüge nach § 321a ZPO einen möglichen Ausweg, wenn durch den Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius auch das Recht auf rechtliches Gehör verletzt wurde. Dies kommt jedoch wohl nur für den Fall in Betracht, dass der Beklagte als Rechtsmittelführer durch das Rechtsmittelgericht zu mehr verurteilt wird als durch das angefochtene Urteil und dieses Mehr nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist, der Beklagte also auch während des Rechtsmittelverfahrens nicht mit einer Verschlechterung zu rechnen brauchte.12 Bei einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot zu Lasten des Klägers wird es zu einer solchen Situation hingegen nicht kommen, da ihm in diesem Fall weniger zugesprochen wird. Das Weniger wird aber in der Regel Verfahrensgegenstand gewesen sein.13 Anders kann es sich höchstens dann verhalten, wenn der Kläger lediglich eine Teilabweisung anficht und das Rechtsmittelgericht auch den vorinstanzlichen Teilzuspruch aufhebt. Hier war nur die Teilabweisung in der Rechtsmittelinstanz angefallen. Freilich darf die Abweisung des in der Vorinstanz verbliebenen Teilanspruchs nicht aus dem selben Grund erfolgen, wie die Aufrechterhaltung der angefochtenen Teilabweisung, denn hierzu konnte der Kläger Stellung nehmen.
11 Statt vieler MünchKommZPO-Musielak3, § 321 Rn. 6 mit Nachw. zur Rspr.; ders., FS Schwab, S. 349 (362); Stein/Jonas/Leipold21, § 321 Rn. 6 (FN. 11); Wieczorek/Schütze/Rensen3, § 321 Rn. 11. 12 Bspl nach Lieb, S. 137. 13 Vgl. ebenfalls Lieb, S. 138.
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IV. Verfassungsbeschwerde Ein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius kann im Wege der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG geltend gemacht werden, wenn der Betroffene in seinen Grundrechten verletzt ist und der fachgerichtliche Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zuvor erschöpft wurde. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn erst in der Revisionsinstanz gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen wurde. Der Verstoß muss jedoch eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts darstellen, da die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall allein Sache der Fachgerichte ist.14 Das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“, die den fachgerichtlichen Instanzenzug erweitert, sondern seiner Konzeption nach auf die spezielle Prüfung von Verfassungsfragen begrenzt.15 Im Zusammenhang mit dem Verbot der reformatio in peius kommt ein solcher Verstoß lediglich in Form der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör als elementares Verfahrensgrundrecht16 in Betracht.17 Hier ist jedoch das Gebot der vorherigen Rechtswegerschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu beachten, so dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zunächst mit der Gehörsrüge nach § 321a ZPO geltend gemacht werden muss. Erst wenn dies nicht zum Erfolg führt, steht der Weg zum Verfassungsgericht frei.18
§ 17 Ergebnisse § 17 Ergebnisse
Der Zivilprozess dient dem Schutz und der Durchsetzung subjektiver Rechte des Einzelnen und bildet hierdurch das Gegengewicht zum allgemeinen Selbsthilfeverbot. Die Geltendmachung subjektiver Rechte ist weitestgehend in die Hände der einzelnen Parteien gelegt, denn der Staat will es seiner freiheitlichen Grundordnung entsprechend den Bürgern grundsätzlich selbst überlassen, ihre privaten Belange zu regeln. Der Schutz und die Durchsetzung parteiunabhängiger Ziele ist lediglich die Konsequenz aus dieser primären Zwecksetzung und niemals eigenständiges Ziel des Prozesses. Wird staatlicher Gerichtsschutz verlangt, muss sich der Einzelne auf die Stringenz und Konsequenz des staatlichen Gerichtsschutzes verlassen können. Das zivilprozessuale Verfahren hat sich an der Zielsetzung des Prozesses als Institution zu orientieren, und seine Entscheidungsmaßstäbe müssen für die Parteien grundsätzlich vorhersehbar sein, will es rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. 14 BVerfGE 1, 418 (420); 18, 85 (92); vgl. auch v.Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle4, Art. 93 Rn. 54 15 v.Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle4, Art. 93 Rn. 55. 16 v.Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle4, Art. 93 Rn. 60. 17 Siehe hierzu bereits oben unter III. 18 Noch zur alten Rechtslage vor Einführung von § 321a ZPO Lieb, S. 136 ff.
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Vor dem Hintergrund dieser Grundannahmen ist auch die Frage der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer reformatio in peius durch eine Rechtsmittelentscheidung zu beantworten. Eine Schlechterstellung kommt dementsprechend nur dann in Betracht, wenn dies dem subjektiven Rechtsschutz der Gegenpartei dient und diese den Rechtsschutz auch beantragt hat. Darüber hinaus kann eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu Ungunsten des Rechtsmittelführers zum Schutz von Dritt- und/oder Allgemeininteressen nur geschehen, wenn sich deren Vorrang aus der Art des Entscheidungsgegenstandes ergibt, wie etwa im Falle der Kostenentscheidung, oder dies ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist. Eine reformatio in peius allein um der materiellen Wahrheit Willen ist mit dem Sinn und Zweck des Zivilprozesses nicht vereinbar und stellte einen Fremdkörper dar, mit dem die Parteien nicht zu rechnen brauchen. Die dogmatische Grundlage des Verschlechterungsverbots ist folglich im rechtsstaatlichen Prinzip des Vertrauensschutzes zu sehen, der an die konkrete Ausgestaltung des Zivilprozesses als parteidispositives Instrument des subjektiven Rechtsschutzes anknüpft. Für den Verbotsumfang kommt es darauf an, was der Rechtsmittelführer mit der angefochtenen Entscheidung bereits in der Hand hat. Maßgeblich ist hierfür in erster Linie der rechtskraftfähige Entscheidungsinhalt. Genau wie bei der Beurteilung von Bindungswirkung und Beschwer kommt es jedoch nicht immer allein auf die Entscheidungsformel, sondern auf den gesamten rechtskraftfähigen „Aussagegehalt“ der angefochtenen Entscheidung an. Alle hierzu gehörenden Elemente, also unter Umständen auch die Entscheidungsgründe, determinieren die (prozessualen) Handlungsmöglichkeiten der Parteien. Die bisher herrschende Meinung greift insoweit zu kurz. In einigen Fällen wird der Umfang des Verbots zudem durch Tatbestands-, Gestaltungs- und/oder Vollstreckungswirkung der Entscheidung bestimmt. Besondere Bedeutung erlangt dieser weit gefasste Verbotsumfang, wenn eine Klageabweisung als zur Zeit unbegründet oder als unzulässig in Rede steht. Hier ist das Rechtsmittelgericht daran gehindert, die Klage als (endgültig) unbegründet abzuweisen, wenn nur der Kläger Rechtsmittel einlegt. Denn hierdurch werden ihm (prozessuale) Handlungsmöglichkeiten genommen, die er ohne Rechtsmitteleinlegung behalten hätte. In diesem Zusammenhang muss konstatiert werden, dass entgegen der wohl herrschenden Meinung auch ein Instanzverlust durch eigene Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts eine grundsätzlich unzulässige reformatio in peius darstellt. Dies gilt umso mehr, als das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 für eine schärfere Aufgabendifferenzierung zwischen den Instanzen gesorgt hat. Im Gegensatz hierzu können manche im Bezug auf das Verbot der reformatio in peius bedeutsame Regelungen der geplanten einheitlichen Zivilprozessordnung der Schweiz nicht überzeugen. Insbesondere kann es für das Verbot keinen Unterschied machen, ob das Rechtsmittelgericht selbst in der Sache entscheidet, oder ob es die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverweist. Auch muss dem Rechtsmittelgegner die Möglichkeit gegeben werden, dem Angriff der anderen Partei durch einen Gegenangriff in Form der Anschließung zu begegnen.
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Sachverzeichnis Anerkenntnis 28 Angriffs- und Verteidigungsmittel 72, 144 Anschlussberufung 26, 27, 35, 36, 37, 40, 43, 129, 138, 166, 184, 186, 188 Anspruchskonkurrenz 104 Arrest 116, 117 Aufrechnung 54, 119, 120, 121, 122, 123, 183, 184, 187 Bedingung 131 Berufung 17, 18, 19, 26, 28, 29, 31, 35, 36, 37, 40, 42, 46, 47, 48, 54, 56, 57, 108, 115, 117, 138, 141, 142, 143, 144, 161, 164, 171, 173, 189 Beschwer 30, 36, 37, 47, 86, 87, 91, 111, 112, 120, 129, 132, 135, 136, 138, 148, 149, 176, 181, 184 Beschwerde 39, 40, 46, 55, 56, 57, 108, 117, 175, 188, 189 Besitzstand 17, 19, 96, 98, 104, 105, 106, 116, 121, 122, 125, 128, 135, 139, 141, 147, 152, 155, 157, 160, 162, 168, 169, 172, 173, 174 Beweis 32, 158, 161 Beweisaufnahme 110, 143, 159 Beweismittel 143 BGB 100, 134, 140, 170 Devolutiveffekt 31 Devolutiv- und Suspensiveffekt 21 Dispositionsmaxime 18, 32, 40, 50, 51, 52, 53, 55, 56, 57, 62, 75, 80, 81, 96, 109, 138, 178 Dritte 62, 72, 77, 78, 95, 96, 174 Ehe 175 Eigentum 67, 69, 140 Einheitsbeschwerde 39, 48, 91, 108 Einspruch 112, 113, 114, 115, 116, 139 Einstweilige Verfügung 116, 117 Einzelrichter 93
Einziehung 67 Entscheidungsgründe 19, 54, 86, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 135, 137, 138, 139, 142, 149, 151, 158, 181, 189 Erbenhaftung, beschränkte 172 Eventualitätsverhältnis 131 Eventualklagehäufung 125, 126, 130, 131, 132, 185 Eventualverhältnis 123, 127, 132 Eventualwiderklage 132 faires Verfahren 36 Feststellungsklage 106, 121, 123 FGG 18, 33, 34, 38, 55, 185 Freiwillige Gerichtsbarkeit 17, 29, 49, 72, 86, 96, 182, 191 Gefährdungshaftung 170 Gehörsrüge 179, 180 Gerichtskosten 169 Gestaltungsklage 85 Grundbuch 118 Grundrechte 51, 52, 57, 58, 59, 63, 66, 67, 70, 76, 81, 180 Grundurteil 170, 171, 183 Herausgabeanspruch 140 Hilfsantrag 125, 126, 127, 128, 130, 131, 132 Hinweispflicht 149 Insolvenzordnung 105, 106 Justizgewährungsanspruch 44, 59, 63, 64, 85, 88, 139, 142 Kindeswohl 175 Klageänderung 36, 47, 127 Klageerweiterung 36, 115 Klagehäufung 124, 187 Klagerücknahme 28, 50, 142, 156
Sachverzeichnis Kostenentscheidung 21, 97, 168, 169, 172, 173, 181 Leistungsklage 17 Leistungsurteil 67 Mahnbescheid 115 Mahnverfahren 115, 116, 117 Mietverhältnis 176 Nichtigkeitsbeschwerde 108 Nichtzulassungsbeschwerde 91 Öffentliches Interesse 44, 62, 74, 76, 78, 81, 87, 93, 94, 96, 178 Offizialprinzip 56 perpetuatio fori 111 Prozesskosten 28 Prozessökonomie 19, 36, 146, 147, 148, 150, 160, 164, 171, 172 Prozessstandschafter des objektiven Rechts 95 Prozessurteil 19, 101, 148, 150, 151, 152, 153, 157, 160, 162, 163, 183 Prozessvergleich 28, 153 Rechtliches Gehör 24, 66, 155, 179, 180 Rechtsbehelf 21 Rechtsfortbildung 79, 82, 88, 90, 91 Rechtshängigkeit 110, 127 Rechtskraft 18, 19, 38, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 67, 74, 77, 79, 83, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 106, 108, 111, 112, 115, 119, 120, 122, 127, 131, 136, 138, 141, 150, 151, 152, 153, 155, 162, 163, 166, 173, 182, 183, 184, 191 Rechtsmittelerweiterung 47 Rechtsmittelfrist 35, 36, 37, 40, 43, 47, 99 Rechtsschutzbedürfnis 129, 156, 163, 189 Rechtssicherheit 43, 73, 74, 75, 76, 77, 112, 131, 138, 139, 141, 146, 150 Rechtswegerschöpfung 180 Restitutionsklage 111 Revision 28, 29, 32, 36, 39, 57, 82, 88, 90, 93, 103, 111, 112, 129, 141, 146, 160, 161, 164, 179 richterliche Neutralität 70, 71, 72
193
Sachentscheidungsvoraussetzung 18, 22, 151, 152, 154, 155, 156, 157, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 185 Sachurteil 37, 107, 135, 150, 151, 155, 158, 162, 167, 184 Sachurteilsvoraussetzungen 18, 99, 155, 156 Sachverständigengutachten 137 Säumnis 28, 112, 113, 138, 139, 151 Schadensersatzanspruch 170 Schiedseinrede 153 Schiedsvertrag 153 Sittengesetz 69 Streitgegenstand 39, 50, 63, 72, 86, 87, 99, 100, 101, 102, 103, 117, 134, 136, 141, 150, 151, 155, 186, 189 Suspensiveffekt 21, 91 Tatbestand 100, 101, 139 Tatbestands- oder Vollstreckungswirkung 136 Tatbestandswirkung 98, 106, 167 Tatsacheninstanz 19, 143, 146 Teilurteil 113, 165, 166 Tenor 99 Untersuchungsgrundsatz 51 Urteilsberichtigung 177 Urteilstenor 100, 101, 105, 186 Verfahrensbeschleunigung 73, 147 Verfahrensmängel 111 Verfassungsbeschwerde 180 Verfügungsbefugnis, materielle 49, 51 Verfügungsbefugnis, prozessuale 49 Verfügungsverbot 118 Verhandlungsgrundsatz 51, 80, 83, 87 Verjährungseinrede 123, 187 Versäumnisurteil 110, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 138, 139 Versicherungs- oder Versorgungsträger 175 Versicherungs- und Versorgungsträger 176 Vertreter des öffentlichen Interesses 65 Verzögerung des Rechtsstreits 127 Vollstreckungsbescheid 115, 116, 117 Vorbehaltsurteil 122, 172, 178 vorläufige Vollstreckbarkeit 172, 173, 174 Wahrheit, materielle 18, 38, 82, 83, 84, 92, 93, 94, 124, 126, 181
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Sachverzeichnis
Widerklage 36, 132 Widerspruchsverfahren 29, 30, 45, 74, 94, 116, 118, 145 Wiederaufnahmeverfahren 111 Willkürverbot 118
Zurückverweisung 39, 104, 107, 108, 109, 110, 146, 147, 148, 150, 158, 159, 160, 161, 162 Zuständigkeit 110, 146, 162 Zwischenfeststellungsklage 141