Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit: Sozialethische Überlegungen [1 ed.] 9783428508990, 9783428108992

Globalisierung ist aus der nationalen Entwicklung nicht mehr wegzudenken. Ihr Ziel ist es, allen Völkern Wohlstand zu br

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German Pages 134 Year 2002

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Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit: Sozialethische Überlegungen [1 ed.]
 9783428508990, 9783428108992

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ROLF KRAMER

Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit

Sozialwissenschaftliche Schriften Heft 38

Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit Sozialethische Uberlegungen

Von

RolfKramer

Duncker & Humblot . Berlin

Bibliografische Infonnation Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrutbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0935-4808 ISBN 3-428-10899-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Das Unternehmen steht in einer doppelten Verantwortung. Es ist einerseits auf die innere Organisation und auf die Mitarbeiterschaft hin ausgerichtet. Ihre Förderung und Entwicklung stellt einen wesentlichen Bestandteil des Unternehmens dar. Mindestens ebenso wichtig sind andererseits die Außenbeziehungen. Denn zu diesem Zweck wird es ja überhaupt gegründet. Vom gesetzten Ziel her erfährt es seine Existenzberechtigung. Aus den Beziehungen nach innen und außen erwachsen dann die Unternehmenskultur und die Unternehmensphilosophie. Diese Dimensionen müssen analysiert und hinsichtlich ihrer ethischen Ausrichtung befragt werden, wenn das ganze unternehmerische Handeln erfaßt werden soll. Dazu ist heute vielfach eine weltweite Perspektive nötig. Der Prozeß der Globalisierung ist mehrschichtig. Die zu übernehmende Verantwortung ebenfalls. Sie umfasst wirtschaftliche, soziale oder politische Aspekte, kennt kulturelle Bezüge und muß schließlich auch auf die Erhaltung der Umwelt ausgerichtet sein. Es gilt darum, den Schutz der Ressourcen für die nachfolgenden Generationen zu bedenken. Und das heißt, der Zukunft einen Raum gewähren! Die Herausforderungen für das handelnde Unternehmen sind heute größer denn je. Das soll untersucht werden. Ich freue mich, daß der Verlag Duncker & Humblot erneut dieses Manuskript in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat. Ich danke dafür besonders dem Verleger Herrn Professor Dr. Norbert Simon. Ferner habe ich dem bewährten Freund Gerd Pogoda zu danken, daß er die elende Suche nach Druck- und Schreibfehlern übernommen hat. Aber alle übrig gebliebenen Fehler hat letztlich der Verfasser zu verantworten. Berlin, Frühjahr 2002

RolfKramer

Inhaltsverzeichnis Einleitung

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10 Kapitel

Der Wandel In Gesellschaft und Wirtschaft I. Gesellschaftliche Entwicklungen 20

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40

Strukturelles Wachstum

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Die Entwicklung virtueller Unternehmen

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Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschaftsethik 401

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Die materiale Seinsethik als Wertethik Die formale Sollensethik

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Die Forderung nach einer mehrdimensionalen Ethik Allgemeine sozialethische Orientierung Die christliche Verantwortung

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20 Kapitel

Globallslerung ethisch verantworten I. Globalisierung als Entwicklungsprozeß 20

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Rahmenordnung fUr die Märkte

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Strukturen in der Abgrenzung weltweiter Unternehmen Chancen der Globalisierung 401

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Abbau von Handelsschranken Globalisierte Finanzmärkte

Globalisierungsängste

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Inhaltsverzeichnis

6. Einrichtung von globalen Steuerungsorganen .......................................

43

7. Behandlung der Globalisierungsdefizite ............................................

45

7.1 Mindeststandards für die Entwicklungsländer ........... . . . ...... . .............

46

7.2 Wertekonsens in der Globalisierung .................................... . . . .....

48

7.3 Globalisierung und soziale Gerechtigkeit.......................................

48

8. Globalisierung und Migration .................... . ..................... . ...........

50

8.1 Migranten als Nomaden der Gegenwart ............................ . ...........

50

8.2 Theologische Überlegungen zur Migration .....................................

51

8.2.1 Der Fremde im Alten Testament .........................................

51

8.2.2 Aufhebung der Grenzen im Neuen Testament ......... . ..................

53

9. Ethische Grundlagen der Globalisierung ............................................

54

3. Kapitel NachhaItigkeit als Sozialprinzip

56

1. Der ökonomische Aspekt der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

2. Ökologische Aspekte der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit ............ . .............................

59

3.1 Nachhaltige Entwicklung gestalten .............................................

59

3.2 Kirchliche und theologische Implikationen .....................................

62

3.3 Die Leitbegriffe einer christlichen Soziallehre ..................................

64

3.4 Die Soziale Marktwirtschaft als Ordnungssystem ...............................

66

4. Umgang mit der nicht-menschlichen Kreatur.......................................

69

4. Kapitel UnternehmenskuItur

72

1. Der Kultur-Begriff .................................................................

72

2. Unternehmenskultur als soziales Phänomen ............ . .......... . ................

73

3. Merkmale der Unternehmenskultur .................................................

76

Inhaltsverzeichnis

9

4. Die Unternehmensphilosophie . .. .. ...... . . ..... .. ... .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

4.1 Organisationskultur . . . . . . . . .... ..... . . ........... . . ..... .. .. .. . ... ... .. . .......

79

4.2 Corporate Identity ......... . ...... . .. . ........... . ...... . .................. . ....

81

5. Ethik in der Personalentwicklung .. ... .. . ... .. . ... . . .. .. .. . . .. ... ... . ... .. . . . ..... ..

81

5.1 Doppelte Ausrichtung der Personalentwicklung ... .. ..... . . . . . ... . ... . . .. .. . .. .

82

5.2 Effektivität der Personalentwicklung ..... . ........ . ........ . . . ........ . . .. . . ...

85

5.3 Gesetzliche Bestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

5. Kapitel

Wirtschartsethik versus Unternehmensethik

89

1. Das Diskursmodell von Horst Steinmannl Albert Löhr .. ... . ....... . .. . . .. . .. . .... ..

91

2. Die integrative Vernunftethik von Peter Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

3. Die Ordnungs-Ethik bei Karl Homann und Mitautoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

3.1 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik ..... . ..... .. . . ..... . .... ... . .. ........

99

3.2 Individual- und Institutionen-Ethik ............. . ..... .. . . . . ............ .. ...... 102 4. Zusammenschau der drei Unternehmensethiken . . . . . . .. .. .. . .. .. .. ..... . . ... . ... . .. 104 5. Das Unternehmen unter dualen Strukturen ............. . ..... . ... . ...... . .. . . .. . .... 105 6. Unternehmensethik und Macht

108

7. Unternehmerische Ziele ... ...... .. . ..... .. .. ....... ...... . .... . . ... .. .. .... . ... . . .. 110 8. Führungsethik ..... . .... . . . . . . . . . .... .... ............. .. . . . ..... ......... . . .. .......

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6. Kapitel

Rückblick und Ausblick

114

1. Ethische Verhältnisbestimmungen .... .. .. .. ... . . . .... .. .. . ... .. ....... . .... . . ... .. . 114

2. Globalisierung als Herausforderung . ... . . . . . ... .. . .. ...... . .. ... . .. .... ... ...... ... 116

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Inhalts verzeichnis

3. G10balisierung und Nachha1tigkeit .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Wirtschaftsethik ..... ........... . ....................... .. ........... ... .. ... ..... . . 120

5. Untemehmenskultur und -ethik..................................................... 124

Llteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Stichwortverzeichnis ..... ......... . .... .. .... . ........... .. ................ . .... ... .. 130

Einleitung In der Bundesrepublik Deutschland hat man das Jahr 2001 zum Jahr der Lebenswissenschaften erklärt. Dazu gehören nicht nur Naturwissenschaften, sondern auch die Wissenschaften, die aus anderer Perspektive einen Zugang zum Leben haben. Darum sind Anthropologie, Kulturwissenschaften, Ethik und Religion hinzuzählen. Die gängige Ethik-Vorstellung besitzt sowohl eine individuelle bzw. personenbezogene als auch eine gesellschaftliche Ausrichtung. Es ist dabei keine Frage, daß in der Gesellschaft und in der Wirtschaft vorrangig die ethische Verantwortung des einzelnen in den Mittelpunkt zu setzen und danach erst die institutionelle oder gesellschaftliche Ethik zu berücksichtigen ist. Die Ethik des kollektiven Handeins darf nicht vernachlässigt werden. Denn in einem Unternehmen muß der einzelne Mitarbeiter und Vorgesetzte sich seiner ethischen Verantwortung bewußt sein. Dabei ist ein hohes Maß an Selbsterkenntnis bei jedem einzelnen zu erwarten. Er muß sich über sich und seinen einzuschlagenden Weg im klaren werden. Andererseits weiß jeder, daß die ethische Verantwortung von unterschiedlichem Gewicht ist, je nachdem er sich als Wirtschaftssubjekt oder als Glied seiner christlichen bzw. der bürgerlichen Gemeinde betätigt. Als Unternehmer ist es nämlich seine Aufgabe, etwa Mäntel herzustellen und zu verkaufen, aber nicht diese, mit dem Armen zu teilen. Aber als Einzelglied der Gesellschaft kann er durchaus seinen eigenen Mantel teilen und verschenken, wie es in der Legende des Heiligen Martin heißt! Als Unternehmer will er Gewinn machen, und darum sorgt er für die Herstellung und den Verkauf von Mänteln. Er wird deshalb alles dransetzen, den Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, daß sie sich selbst einen Mantel kaufen können! Im Mittelpunkt des vorgelegten sozialethischen Denkens steht die Gesellschaft oder besser das Handeln in der Gesellschaft. Gefragt wird auch nach ihren sozialethischen Aufgaben und Strukturen, etwa nach der weltweiten Verantwortung der Wirtschaft und der zukünftigen und sozialen Entwicklung. Die Wirtschaft hat sich im Laufe der Jahrhunderte von einer Hauswirtschaft über eine Volkswirtschaft bis hin zur Weltwirtschaft entwickelt. Für alle Menschen entsteht dabei die Sorge für die Umwelt und für den verantwortlichen Umgang mit den Ressourcen. Der Umweltschutz ist also ein globaler Auftrag. Nicht mehr einzelne Personen - weder ein Konsument noch ein Unternehmer oder ein Land, sondern viele internationale Akteure steuern heute den wirtschaftlichen Prozeß und verändern die ökonomischen und sozialen Strukturen. In einer

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Einleitung

weltweiten Vernetzung ist eine Globalisierung der Güter- und Investitionsentscheidungen notwendig. Die Globalisierung der Wirtschaft ist zum entscheidenden Schlagwort im ausgehenden 20. und im beginnenden 21. Jahrhundert geworden. Eine wesentliche Grundvoraussetzung für diese weltwirtschaftliehe Entwicklung ist, daß die Länder bereit sind, für Handel und Wahrung ein Mindestmaß an Freiheit zuzulassen. Die meisten Länder haben ihre Einfuhrzölle auf ein äußerst niedriges Niveau gesenkt. Außerdem sind viele Wahrungen konvertibel geworden. Transport- und Kommunikationsunternehmen können sich heute global betätigen. Multinationale Unternehmen investieren in einem weltweiten Ausmaß, sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern. Internationale Dienstleister haben deutlich zugenommen. Außerdem wurde spätestens mit dem Aufkommen des Gedankens der Nachhaltigkeit in der Volkswirtschaft nach einer ethischen und umweltgerechten Orientierung gefragt. Nachhaltigkeit der Wirtschaft war nur zeitweilig der bestimmende normative Begriff wirtschaftlichen Handeins. In der umwelt- und wirtschaftspolitischen Diskussion der Industrie- und der Entwicklungsländer wurde während der letzten zehn Jahre natürlich auch die nachhaltige Entwicklung als Problem diskutiert. Man hat eingesehen, daß ökologische Probleme die ökonomischen und sozialen Grundlagen des Wirtschafts gefüges bedrohen. Wer heute die Marktwirtschaft mit dem Kapitalismus gleichsetzt und hinter ihm reinen Materalismus, Egoismus und Ausbeutung der Natur sieht, der erliegt einem Trend der Zeit. Auch die Sozialethik konnte sich kaum dieser Ideologisierung verschließen. Es ist jetzt an der Zeit, gegenzusteuern und einer zukünftigen Entwicklung die Bahn zu ebnen. Dabei ist zu bedenken, daß man mit einem einzigen ethischen Begriff nicht weiterkommt. Die ethischen Ansätze sind mindestens ebenso vielseitig wie die Strömungen in der Gesellschaft. Selbst in der Betriebswirtschaft sind die ethischen Überlegungen differenziert vorangetrieben worden. Zwischenzeitlich haben sich unterschiedliche Konzepte entwickelt. Gleichzeit hat man ebenfalls aus ethischer Sicht die Makroökonomie von der Mikroökonomie getrennt. Damit hat sich dann die "spezielle" Unternehmensethik von der allgemeinen Wirtschaftsethik losgelöst. Den Zusammenhalt mit ihr hat sie freilich nicht aufgegeben. Wie sollte sie das auch! Zwar ist nach den unterschiedlichen ethischen Ansätzen zu fragen. Aber darf es eine Vormachtstellung der einen Seite gegenüber der anderen geben? In den hier dargelegten Überlegungen soll freilich von der vorgegebenen Norm einer christlichen Orientierung herkommend ausgegangen werden. Damit wird auch der Ökonomie kein Vorrecht eingeräumt.

1. Kapitel

Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft Die Gesellschaft des einundzwangzigsten Jahrhunderts befindet sich in einem grundlegenden Wandel und mit ihr die Wirtschaft in den europäischen und amerikanischen Industrieunternehmen. Die gegenwärtige Entwicklung erinnert stark an den Prozeß der ersten industriellen Revolution. Er ist mindestens ebenso wirksam und dauerhaft. Neue Techniken sind entwickelt worden. Hochmoderne computergesteuerte Informations- und Produktionssysteme gestalten den Betriebsalltag und verändern die Arbeitsabläufe. Der Dienstleistungssektor wird immer stärker ausgebaut. Service-Leistungen und Hilfsdienste werden intensiv organisiert. Der Dienst am Menschen und auch die Kreativität im ökonomischen Handeln wird an Stärke wachsen. Beratungsdienste werden immer stärker angeboten. Im Zuge einer allgemeinen wirtschaftlichen Verflechtung unter den Völkern und Nationen werden sich das gesellschaftliche Denken und Agieren verändern. Jedes einzelne Glied muß sich in der Wirtschaft und Gesellschaft darauf einstellen.

1. Gesellschaftliche Entwicklungen Heute ist außer einer strukturellen Veränderung zusätzlich eine andere Entwicklung deutlich zu erkennen: Unsere Zeit stößt an Grenzen des Wachstums. Die Menschen mußten in den letzten Jahrzehnten einsehen lernen: Die Machtbarkeit der Dinge hat ihre Grenzen. Früher oder später werden auch der Vernunft Grenzen gezogen werden. Ihre "Unfehlbarkeit" wird zunehmend in Frage gestellt und damit auch die der Wissenschaft und des Fortschritts. Der Mensch lebt in einem sozialen Zusammenhang, also in einem Wir-Bezug, der von bestimmten Strukturen charakterisiert wird. Aufgrund von Erfahrungen weiß man, daß die Strukturen sich verändern. Die Welt insgesamt macht große Veränderungen durch. Betroffen sind Gesellschaft, Wirtschaft und Staat. Hinter allen diesen Entwicklungen stecken unterschiedliche Interessen, denen wiederum Wertund Normvorstellungen zugrundeliegen. Personelle und gesellschaftliche Kräfte wirken auf sie. Der Geist der Zeit tut das Seine dazu. Indessen darf der Zeitgeist nicht mit einem ständigen Wechsel gleichgesetzt werden. Eher ist hierunter eine epochale Veränderung der Werte zu sehen. Darum sollte unter Zeitgeist kein kurzfristiger oder einem ständigen Wechsel unterzogener Wandel, sondern - frei nach

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1. Kap.: Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft

Hegel - die Emanation der Kultur (Peter Sloderdejk) verstanden werden. Ihr Inhalt enthält ganz unterschiedliche Aspekte, wie Schonung der Ressourcen, eine bessere Ausnützung der Natur, die Suche nach neuen Wettbewerbssystemen oder der Aufbau von effektiveren Führungssystemen. Joseph Alois Schumpeter hat nach den Bedingungen und Trägem der wirtschaftlichen Entwicklung gefragt. Von ihm stammt der Begriff der "schöpferischen Zerstörung", den er in Verbindung mit der Durchsetzung von "neuen Kombinationen" angewandt hat l . In der Regel setzen die dynamischen und schöpferischen Unternehmer und nicht die arrivierten diese in die Wirklichkeit um. Von den Verantwortlichen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung werden die Ergebnisse dieser Zerstörung je nach Einstellung unterschiedlich betont. Wer die Vorteile wahrnimmt, die durch die wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden, wird stärker das Positive sehen. Wer dagegen mehr unter dem Zerstörerischen zu leiden hat, wird eher das Negative betonen. Darum werden die einen den jeweiligen Prozeß annehmen, während die anderen ihn kritisch begleiten. Daraus ergibt sich eine mehr oder weniger fruchtbare Spannung.

2. Strukturelles Wachstum Im wirtschaftlichen Breich haben sich in der jüngeren Zeit starke Veränderungen abgezeichnet. Es ist der Unternehmer in der marktwirtschaftlichen Ordnung, der die technischen Erfindungen und die Veränderungen der Wirtschaftsstruktur rechtzeitig zu erkennen hat. Die Bedingungen, in denen sie sich ereignen, werden von der Politik geprägt und damit ihm vorgegeben. Sie setzt den Rahmen fest, in dem die unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden. Auf diesen muß der Unternehmer sich einstellen. Es ist die Aufgabe der Wirtschaftspolitik des Staates, den Einsatz und die Zuordnung der Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit zu regeln und den Änderungsbedarf möglichst zu koordinieren und zukünftig zu verbessern. Die Politik hat die Aufgabe, für eine optimale Steuerung der strukturellen Entwicklung zu sorgen. An herausragender Stelle der Wirtschaftspolitik steht das Ziel nach stetigem Wachstum der Wirtschaft. Gesamtwirtschaftlich versteht man darunter das Ansteigen des Sozialproduktes und nicht die anteilmäßige Teilhabe des einzelnen an dem Wachstum. Wachstum erfordert einen Wandel der Strukturen und entsprechend der wirtschaftlichen Verantwortung eine Flexibilität im Verhalten. Eine stetig wachsende Wirtschaft ist die Grundlage für einen steigen1 Schumpeter, Jose~h Alois, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, (zuerst erschienen Leipzig 1912), Berlin 1964, S. IOOff. Im einzelnen gehören - kurz gesagt - dazu: Die Herstellung eines noch nicht vorhandenen Konsumgutes, die Einführung einer neuen Produktionsmethode, die Erschließung eines neuen Absatzmarktes, die Eroberung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen, die Durchführung einer Neuorganisation oder die Schaffung einer Monopolstellung.

3. Die Entwicklung virtueller Unternehmen

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den Wohlstand aller Bevölkerungsteile, aber nicht ihre Garantie. Sie ist geradezu die Voraussetzung dafür. Im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Fortschritt spielt die Frage nach einem wachsenden Wohlstand für alle Menschen eine entscheidende Rolle. Wer diesen will, hat aber nicht unbedingt die Errichtung eines Sozialstaates zum Ziel. Über das Wohlbefinden des einzelnen sagt der allgemeine Wohlstand eben nichts aus. Das Steigen des Sozialproduktes bedingt diesen nicht automatisch. Wer jedoch nach einem höheren quantitativen Wachstum strebt, muß sich freilich mit der Erscheinung einer Wegwerfgesellschaft auseinandersetzen. Die Umweltkatastrophen der vergangenen Jahre haben nämlich die Industrienationen gelehrt, daß ein ständiger Raubbau an der Natur auch Folgeerscheinungen nachsichzieht. Das Modell Schumpeters der schöpferischen Zerstörung kann bei der Erklärung des Wachstumsprozesses hilfreich sein. Der technische Fortschritt trifft oft als Initiator auf. Neue Produktionsverfahren und die Erstellung neuer Produkte schaffen Veränderungen in der Produktions- und in der Bedarfsstruktur. Würde der Bedarf dabei allein proportional zur Produktion wachsen, würden weder soziale noch wirtschaftliche Probleme entstehen. Das aber geschieht nicht. Der Wandel in der Bedarfsstruktur tritt aufgrund einer Veränderung der Bevölkerungs- und Einkommensentwicklung, des Konsumverhaltens oder der Entwicklung von neuen Gütern und Dienstleistungen ein. Kann die Produktion dieser Entwicklung nicht nachkommen, zeigen sich ökonomische Verzerrungen. Die Produktionsstruktur verändert sich notwendigerweise durch die Entdeckung neuer Rohstoffe, durch die Entwicklung und Gestaltung neuer Güter oder Dienste, neuer Produktionsmethoden, durch Änderungen im Bedarf oder im Unternehmerverhalten 2 . Darum umschreibt man mit dem Begriff der Strukturveränderung die ökonomische Verschiebung in einer Volkswirtschaft.

3. Die Entwicklung virtueller Unternehmen Mit Hilfe der Informations- und Kommunikationsmedien entstehen neue Unternehmen und Organisationsstrukturen. Das Internet produziert virtuelle Unternehmen ohne einen realen Hintergrund, aber mit neuen Spielregeln. Der Begriff Virtualität rührt vom lateinischen Wort vir (Mann) bzw. virtus her, das Mannhaftigkeit, Tapferkeit, Tüchtigkeit, Mut, Stärke und Tugend bedeutet. Heute versteht man unter einem virtuellen Unternehmen eine wirtschaftliche, aber nur gedachte (künstliche) Einheit, die keine physische Größe darstellt und räumlich nicht erfaßt werden kann. Sie ist oft "nur" auf einen bestimmten Zeitraum und ein konkretes Projekt bezogen. ,,Ein virtuelles Unternehmen erfordert Innovations2 Vgl. Heinz-Dietrich Ortlieb und Friedrich-Wilhelm Dörge (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Strukturpolitik, Opladen 21970, S. 52.

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1. Kap.: Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft

und Risikofreude (Tapferkeit) sowie Unternehmergeist und Engagement (Tüchtigkeit). Ein virtuelles Unternehmen erfordert zudem Solidität (Stärke), die nichts mit Härte zu tun hat,,3. Dieses Unternehmen setzt ein erhebliches Maß an ethischer Verantwortung (Tugend) voraus. Wer sich näher mit dem Gegensatz zwischen einer gedachter und einer realer Größe befaßt, wird erkennen, daß der Begriff virtuell im heutigen Sprachgebrauch nur einen Ausdruck einer postmodernen Wirklichkeitsauffassung in den globalen Inforrnations- und Kommunikationssystemen darstellt. Das Adjektiv virtuell beschreibt, daß etwas der Kraft oder der Möglichkeit nach vorhanden ist. Man könnte ein virtuelles Unternehmen auch als ein scheinbares bezeichnen. Aber ein virtuelles Unternehmen braucht keineswegs so beschaffen zu sein, sondern kann eins sein, das im Internet mit entsprechender Stärke und darum mit voller Kraft vorhanden ist. Dazu freilich gehört Vertrauen in die Potenz dieses Unternehmens. Allgemein zugängliche Strukturen in der Inforrnations- und Kommunikationstechnik haben sich vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten herausgebildet4 . Die Entwicklung zur Inforrnationsgesellschaft ist nicht mehr aufzuhalten. Noch 1946 wog der erste Computer ENIAC dreißig Tonnen. Heute steht fast auf jedem Schreibtisch in den Industriegesellschaften ein Datenverarbeitungsgerät. Die entscheidende Technik ist auf einem Chip von wenigen Dollars verfügbar. Ebenso selbstverständlich sind für eine modeme Gesellschaft Funktelefone, Handys und damit eine Technik, die erst zwei Jahrzehnte alt ist. Das Internet und die Versendung von E-Mails sind aus dem gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Die Ausbreitung von unterschiedlichen Inforrnations- und Kommunikationstechnologien macht es notwendig, neue Arbeits- und Organisationsforrnen in Angriff zu nehmen (z. B. Telearbeiten, Telejobs als Finanzberater oder Firrnenkundenbetreuer, Homebanking etc.). Viele Menschen arbeiten bereits an virtuellen Arbeitsplätzen, in virtuellen Teams oder Teleteams. Aber die Virtualisierung der Arbeitswelt befindet sich erst in einem Anfangsstadium. Das Internet mit seiner Vernetzung bildet geradezu das Paradebeispiel für eine virtuelles Personalmanagement. Dort können keine Unternehmenskulturen entwickelt werden. Denn in dieser Betriebshierarchie gibt es weder einen "Kopf' oder ein Zentrum noch Strukturen. Insofern gehen ihm auch ein Willen oder ethische Wertvorstellungen ab. Schließlich begegnet man sich im Internet nicht persönlich. Aber sind darum die Mitarbeiter nicht in der Lage, ihre Aufgaben effektiver - also ohne großen Pindl, Theodor, Bilder wie Blicke, Wien 1998, S. 111. Noch Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren die Telefonverbindungen von Europa nach Nordamerika ein knappes Gut. 1956 erlaubte das erte transatlantische Telefonkabel, 36 Gespräche gleichzeitig zu führen, bis 1966 stieg die Zahl auf 138, zehn Jahre später - 1976 - wurden sechs neue Kabel verlegt; jetzt stieg die Anzahl der Gespräche auf 4000 Gespräche. 1988 erlaubte das erste Fiberkabel, 40.000 Gespräche zu führen. Anfang der neunziger Jahre stieg die Anzahl der Verbindungen auf 1,5 Millionen. Vgl. Straubhaar, Thomas, Globalisierung und nationale Arbeitsmärkte, in: Silvia Krömmelbein / Alfons Schrnid (Hrsg.), Globalisierung, Vernetzung und Erwerbsarbeit, Wiesbaden 2000, S. 23. 3

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3. Die Entwicklung virtueller Unternehmen

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Reibungsverlust - zu lösen? Denn es geht nicht mehr um das Verhalten des Personals; vielmehr ist das Unternehmen (einschließlich der technischen Ausgestaltung) allein arn Ergebnis orientiert. Man kann aufgabenbezogen weltweit, unabhängig von regionalen Feiertagsregelungen und von Arbeitsrhythmen, die anfallende Arbeit bewältigen. Das Internet überwindet Zeit- und Raumzonen. Virtuelle Organisationsstrukturen prägen vor allem globales Denken, Management und Wettbewerb 5 . Die betriebliche Arbeitsleistung ist zukünftig eher als eine Verknüpfung von externer und interner Arbeit anzusehen 6 . Obwohl ein virtuelles Unternehmen nur bedingt etwas mit dem Personalmanagement zu tun hat, sind dennoch Vertrauen, Kooperationsbereitschaft für Kunden und Lieferanten und der Umgang mit dem Personal gleichwohl wichtig. Der Kunde muß sich auf die Leistungsflihigkeit der virtuellen Anbieter verlassen können. Und das heißt, er muß dem Angebot, Service und den Abrechnungsmodalitäten Vertrauen entgegenbringen können. Die Ethik eines virtuellen Unternehmens aber darf keineswegs nur virtuell gesehen werden, sondern sie muß wirksam sein. Freilich muß man bei einer Unternehmensethik, die in der virtuellen Existenz eines Unternehmens herrschte, bedenken, daß nicht alle Veränderungen auf einem ethischen Fundament aufbauen, sondern auf betriebswirtschaftlichen Griinden, z. B. auf Effektivität oder auf der Bewahrung der Umwelt und dem Schutz der Natur. Zum Profil einer Ethik in einem virtuellen Unternehmen gehören Fairneß, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit, Inforrnationsbereitschaft, Verantwortungsbewußtsein oder Loyalität7 • Dazu lassen sich ebenfalls Partnerschaftlichkeit, Kommunikationsbereitschaft und die Bereitschaft zu Effektivität und Effizienz zählen. Neuerdings etablieren sich im Rahmen der Kooperation sogenannte Netzwerke. Die einzelnen Akteure führen über ein Netz auf freiweiliger Grundlage ihre partikularen Interessen und vorhandenenen Ressourcen zusammen. Sie sind im Netzwerk zwar autonom, aber bei der Zielerreichung ist die Abhängigkeiten von anderen Teilnehmern zu beriicksichtigen. "Netzwerke sind folglich für solche Beziehungen charakteristisch, in denen die Handlungen zwischen den unabhängigen Akteuren derart gekoppelt sind, daß der Erfolg eines Akteurs vom Erfolg anderer abhängt"s. Es besteht also ein Interdependenzverhältnis zwischen den einzelnen Netzwerkteilnehmern. Dabei bleibt ein Spannungsverhältnis zwischen den eigenen 5 Pindl (1998), S. 36f. schreibt: "Da "reist" man virtuell nach New York und besucht das Metropolitan Museum of Art, um sich dort die neueste Ausstellung anzusehen. Danach "unterhält" man sich in einer Chat-Ecke mit Mitgliedern einer virtuellen Gemeinschaft, "surft" nach Puerto Rico, "trifft" sich dort im Internetcafe, diskutiert anschließend mit anderen Netzbenutzern über die vergeblichen Versuche der UNESCO, Weiterbildungs-, Qualitätsstandards für das Internet zu schaffen, geht "shoppen" in einern digitalen Einkaufszentrum, und "entspannt" sich schließlich bei einern "Flirt" mit einer "Cyberella aus Tokio". 6 Vgl. Wilmes, Jörg, Illusion Sicherheit - Argumente für eine virtuelle Arbeitswelt, in: Die Bank, Nr. I Jg.2002, S. 26ff. 7 Vgl. Pindl, Theodor, Bilder wie Blicke, Wien 1998, S. 178 f.

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1. Kap.: Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft

Interessen und den gemeinsamen erhalten. Zwar existiert ein Interesse an der Dauerhaftigkeit der Beziehungen untereinander. Aber zugleich ist es jedem Akteur "erlaubt", seinerseits das Netzwerk wieder zu verlassen. Insofern ergibt sich daraus ein allgemeines Spannungsverhältnis zwischen einer Institutionalisierung und einer Offenheit der "Interaktionsbeziehungen"9. Um in diesem Spannungsfeld bestehen zu können, bedarf es allerdings sowohl einer starren Reglementierung als auch der Verhängung von Sanktionen. Das ist eine Frage der Macht.

4. Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschartsethik Moral ist eine kurzfristige, gesetzlich orientierte, spezielle Beschreibung der Werte, Normen und Handlungen, mit denen der Mensch es im privaten Leben und in der Gesellschaft zu tun hat. Ethik dagegen fragt nach, wie solche Werte, Normen und Tugenden begründet werden können. Sie ist Ausdruck einer theoretischen Reflexion. Zwar gilt es, sich der Differenz zwischen dem Sein und dem Sollen zu stellen. Darum unterscheidet man zwischen den beiden großen Gruppen einer materialen Seinsethik und einer formalen Sollensethik und damit auch zwischen der teleologischen und deontologischen Ethik. Die teleologische Ethik ist am Ziel (t6 telos), die deontologische Ethik an den Pflichten (t6 deon) ausgerichtet. Eine Unterscheidung beider Ethiken läßt allerdings die Frage aufkommen, ob diese Alternative zwingend durchzuhalten ist, oder ob sich nicht beide vermischen.

4.1 Die materiale Seinsethik als Wertethik Die praktische Philosophie des Aristoteles bezieht sich auf die Bereiche der Politik, Ökonomik und Ethik. Die Politik sucht als das Ziel das gute Leben und damit die beste Verfassung zu verwirklichen. Die Ökonomik will als Lehre von der Hauswirtschaft (oikonomia) die Menschen mit den notwendigen Gütern versehen. Dabei wird freilich zwischen dem naturgemäßen Wirtschaften (oikonomike ktesis) und der nicht-natiirlichen Erwerbskunst (oikonomike chrematistike) unterschieden IO • Die Ethik bei Aristoteles fragt nicht nach dem Guten an sich, sondern nach dem, was vom Menschen realisierbar ist. Es geht um das diesseitige Glück des Menschen, das in der Einheit der Tugenden besteht. Diese wiederum unterteilt er in ethische, sittliche Tugenden wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und 8 Krömmelbein, Silvial Schmid, Alfons, Zur Struktur und Funktionsweise von Arbeitsmarktnetzwerken, in: Silvia Krömmelbein lAlfons Schmid, Globalisierung, Vemetzung und Erwerbsarbeit, Wiesbaden 2000, S. 218f. 9 Krömmelbein, Silvia I Schmid, Alfons (2000), S. 220. 10 V gl. Kramer, Rolf, Soziale Gerechtigkeit, Berlin 1992, S. 35 ff.

4. Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschaftsethik

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die dianoetische Verstandestugend Klugheit. Für Aristoteles ist die Ethik allem anderen vorgeordnet. Sie ist teleologisch geprägt. Denn alles strebt schließlich nach dem Guten (hou pimt' ephfetai) 1I, und das ist das gute Leben (eü zen). Dieses höchste Gut wird um seiner selbst willen erstrebt. Das Endziel der Ethik besteht darin, dieses zu erreichen 12. Aber das Ziel einer teleologischen Ethik muß keineswegs eindeutig definiert sein. Es kann den Zweck, die Folge und den Erfolg umschreiben. Die teleologische Ethik ist oft utilitaristisch, also durch das Prinzip der Nützlichkeit geprägt. Gilt diese Form der Ethik, hat sie sich an den eigenen Zwecken zu orientieren. Sie ist an der Anwendung der Grundsätze auf die konkreten Situationen interessiert. Die deontologische Ethik orientiert sich dagegen am Sollen, an der Pflicht oder dem Erforderlichen. Wahrend die teleologische Ethik argumentierend verfahrt und im Rahmen eines Utilitarismus ein Höchstmaß an Glück für die gesamte Menschheit bzw. für jedes einzelne Glied der Gesellschaft realisieren möchte (vgl. John Stuart Mill), geht eine deontologische Ethik, wenn sie theologisch orientiert ist, von der Frage aus, was der unbedingte Wille Gottes ist. Aber schon Platon hat auf das darin liegende Dilemma aufmerksam gemacht: Ist etwas sittlich gut (fromm), weil es Gott geboten hat? Oder hat Gott es geboten, weil es sittlich richtig ist? Eine Wertethik beruft sich auf objektive Werte, um einer Entwicklung zum Utilitarismus zu entgehen. Sie huldigt also einem Objektivismus. Das hat eine ontologische Verankerung von Werten im Sein zur Folge. Allerdings hat im Laufe der letzten Jahrzehnte die Unklarheit des Wertebegriffs stark zugenommen. Der Wert ist zunächst ein ökonomischer Begriff. Man sprach vom Boden-, Gebrauchs-, Tausch- oder Mehrwert und stellte danach eine Werte-Hierarchie auf. Im Vordergrund stand eine Werte-Entwicklung, die den Unternehmer oder das Unternehmen reicher machte. Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde der Terminus zu einem Grundbegriff der Ethik. Daraus ergab sich dann eine enge Verpflechtung von Ethik und Wert. Werte zeigen sich als Güter oder als Tugenden. In diesen steckt meistens eine persönliche ,.Haltung". Sie weist auf die Verwirklichung von Werten hin. Heute unterscheidet man in Deutschland zwischen alten und neuen Tugenden. Dabei ordnet man gern die ..alten" Tugenden dem Osten, die ..neuen" Tugenden dem Westen zu. Zu den traditionellen, also zu den alten Tugenden sind vor allem die Kardinaltugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit zuzurechnen. Auch die zeitweilig als preußische Primär-Tugenden wie Pflichterfüllung oder das disziplinierte und zweckfreie Handeln als Erfüllung einer Norm werden gern dazugezählt. Die eher als Sekundärtugenden bezeichneten Handlungsweisen wie Fleiß, Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit oder Zielstrebigkeit werden ebenfalls I1 12



Aristoteies, Nikomachische Ethik, 1. Buch, I. Kapitel, Z. 3 f. 1094a. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1. Buch, 5. Kapitel, Z. 31 f. 1097a.

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darunter subsummiert. Als neuere Tugenden gelten: Weitblick, Kreativität, Anpassungs-, Kompromißfähigkeit oder Risikobereitschaft 13 . Man könnte auch Barmherzigkeit, Solidarität und Toleranz hinzuzählen. Allerdings fragt es sich, ob eine solche Aufgliederung zwischen alt und neu sinnvoll ist. Eins ist sicher, daß zu den alten neue Tugenden hinzukommen müssen. Eine Alternativentscheidung zwischen beiden ist nicht zweckmäßig. Da man die einen nicht als gewichtiger gegenüber den anderen betrachten kann, sondern alle in einer Abhängigkeit von der Zeiterscheinung und dem gesellschaftlichen Umfeld sehen muß, sind sie ständig zu erneuern bzw. zu verändern. Nun hat sich gezeigt, daß eine Werteskala oftmals sowohl interessengeleitet als auch geschichtsbezogen ist. Die Werte sollen zwar an sich zeitlos und unabhängig vom geschichtlichen Wandel sein. Sie sollten also unveränderlich feststehen. Aber sie sind nun einmal trotz allem langfristig auch von geschichtlichen und kulturellen Verhältnissen abhängig. Denn sie sind entwicklungsfähig und auslegungs bedürftig. Die Frage nach der Gültigkeit von Werten und Normen ist also nur unter Beriicksichtigung ihrer Geschichtlichkeit zu beantworten. Sie verändern sich im geschichtlichen Rahmen und müssen darum im Laufe der Zeit angepaßt werden. Deshalb können auch aus den überlieferten Texten nur im Zuge eines Diskurs-Verfahrens unternehmensethische Vorstellungen entwickelt und jeweils aufgrund ihrer geschichtlichen Veränderung neu gestaltet werden. Da die Menschen heute in einem Wertewandel leben und den Weg einer Integration von neuen Werten beschreiten, ist von relativen und dementsprechend veränderbaren Werten zu reden. Freilich darf man nicht allen Werten eine Wandlungsfähigkeit und Abhängigkeit von der geschichtlichen Existenz zusprechen. Infolgedessen könnte man die ethische Frage stellen, ob man vielleicht ganz auf den Wertebegriff verzichten soll? Oder ist nicht viel eher von einem Relationismus der Werte zu reden, ohne allerdings in einen prinzipiellen Relativismus zu verfallen 14? Indessen gibt es außer der Frage nach einem Relationismus auch eine nach der grundsätzlichen Wertebeständigkeit, die über Generationen und damit über die Zeit hinweg Gültigkeit hat. Nach der biblischen Tradition griindet etwa die Würde des Menschen in dessen Gottesebenbildlichkeit. Der Mensch wird vor seinem eigenen Tun bedingungslos geliebt. Das bedeutet, die Würde des Menschen ist unantastbar und sie kommt allen Menschen zu. Der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes konstatiert diese Würde ausdriicklich. Werte wie die Würde des Menschen können nicht einem Zweifel unterworfen sein. Wer jedoch einem Relativismus das Wort redet, gibt gleichzeitig die transzendente Bindung des Menschen an seinen Schöpfer und seine Bestimmung zur verantwortlichen Gestaltung der Welt auf.

13

Vgl. Berkel, Karl/Herzog, Rainer, Untemehmenskultur und Ethik, Heidelberg 1997,

s.77.

14 Vgl. Honecker, Martin, Einführung in die Theologische Ethik, Berlin/New York 1990, S.223.

4. Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschaftsethik

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In der protestantischen Theologie ist das Denken in Wertbegriffen umstritten. Aber allein schon die Verkündigung des Evangeliums ist eine Botschaft, die wertbezogen ist. Sie befreit den Menschen von den Mächten der Versklavung und der Entfremdung.

4.2 Die formale Sollensethik Norm ist aus dem Lateinischen norma (Maß) abgeleitet. Sie ist der Maßstab oder die Richtschnur, die das Verhalten einzelner Menschen oder Gruppen imperativisch regeln will. Normen sind darum Gestaltungsempfehlungen oder Aufforderungen zu einem bestimmten Handeln. Sie sind zwar verbindlich, aber nicht rechtlich einklagbar. Sie stellen den einzelnen vor einen Gewissensentscheid und geben oftmals den Werten eine verbindliche Form. Normen sind wie die Werte ähnlich abhängig von der Geschichte, der Erfahrung der Menschen, der Sitte oder Konvention. Sie gelten solange, bis man sie durch andere ablöst. Dementsprechend spricht alles zunächst für die Richtigkeit der überlieferten Norm. Aber sie können sich eben auch - wie die Werte! - wandeln. Neue Werte und Normen können die alten zerstören. Beide sind dementsprechend als wandlungsfähig anzusehen; denn sie sind der Geschichtlichkeit und damit der Veränderung unterworfen. Normen geben klar zu erkennen, was in einem Unternehmen gewollt wird oder was man zu vermeiden trachtet. Wie man die Werte der materialen Seinsethik zuordnet, lassen sich die Normen einer formalen Sollensethik zuweisen. Sie sind die formalen Merkmale der von einer Autorität, die gemeinhin Gott oder Natur sei kann, fixierten Größen. Normen gelten als Beurteilungskriterien der Werte. Heute werden freilich vielfach Werte mit den Normen gleichgesetzt. Aber es bleibt für uns die Differenzierung als notwendig bestehen. Denn Normen nehmen den Menschen in die Pflicht, während Werte durch das Sein bestimmt sind. Die Geschichte hat unterschiedliche Normen hervorgebracht. Neben der sogenannten "Goldenen Regel": "Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!" (Mat. 7,12), läßt sich wohl der Dekalog als reinste Form der deontologischen Ethik und damit einer Sollens- oder Gesetzesethik bezeichnen. Immanuel Kant war es, der die Gesetzgebung von außen (Gott, Natur) in den Menschen hinein verlagerte. Theologisch resultiert eine deontologische Ethik aus einer an den göttlichen Geboten orientierten Ethik. Die metaphysische Begründung dieser Ethik steckt in dem unabdingbaren Wort Gottes, in seinem Gebot. Insofern ist solche Ethik theologisch eingebettet in der ewigen Seinsordnung und loder im unveränderlichen Naturrecht. Aber sie kann auch ihre Letztbegründung im Kant'schen Grundsatz der Pflicht finden, die mit dem sittlichen Gesetz übereinstimmt. "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" lautet die Formulierung des kategorischen Imperativs in der "Kritik der praktischen Vernunft".

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In der Webersehen Kategorie entspricht der deontologischen Ethik eine Gesinnungsethik, die er bekanntlich von einer Verantwortungsethik unterscheidet und der in diesem Zusammenhang eine größere Berechtigung zuerkannt wird. Freilich hat bereits Weber davor gewarnt, beide Ethiken auseinanderzureißen. "Die Verantwortung braucht eine Verankerung in der verläßlichen Gesinnung. Die Gesinnung muß die Folgen erwägen, die das eigene Tun hervorruft,,15. Als neuere gleichsam demokratische Form einer Sollensethik gilt die von KarlOtto Apel (1988) und Jürgen Habermas (1983) entwickelte Diskurs- oder Konsensethik. Beide gingen davon aus, daß es keine für alle Menschen verbindliche letzte Instanz mehr gibt, die Normen setzt. Will man nicht einer Willkür erliegen, ist es notwendig, in einem vemüftigen und praktischen Diskurs rational festzulegen, was gelten soll. In einem Diskurs muß begründet werden, weshalb eine Regelung als für alle verbindlich erklärt werden und gelten soll. Gundlage ist die freie Zustimmung der Teilnehmer. Die beteiligten Menschen entwerfen also in einem ständigen Diskurs die Grundlagen der ethischen Entscheidungen. Die Normen können allerdings nur begründet werden, wenn man zur Kommunikation und zum Diskurs bereit ist. Freilich bleibt sicher richtig, daß man allein aufgrund eines Dialogs keinen ethischen Entwurf entwickeln kann. Im Speziellen besagt Habermas' Diskursethik, "daß nur diejenigen Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden könnten,,16. Also müssen auch alle Menschen, die von dem Sachverhalt oder der Entscheidung tangiert sind, miteinbezogen werden. Die Diskursethik verzichtet auf das Vorgegebensein von konkreten inhaltlichen Normen. Aber "bei gültigen Normen müssen Ergebnisse und Nebenfolgen, die sich voraussichtlich aus einer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden ergeben, von allen zwanglos akzeptiert werden"l7. Habermas empfielt ein Verfahren zur Bestimmung von Normen in praktischen Dingen. ,,Die einzige Norm, die vorgegeben wird, ist die Anweisung zur Etablierung eines Normjindungsprozesses, in welchem die Betroffenen sich über die zur Verhandlung anstehenden konfliktären Normen abstimmen ... Die Betroffenen müssen die konfliktären inhaltlichen Normen selber in den Normfindungsprozeß einbringen,,18. Für den Diskurs gelten folgende Spielregeln: - Jeder Betroffene darf am Diskurs teilnehmen. - Jeder Teilnehmer darf die Behauptung des anderen problematisieren. Die Auseinandersetzung muß herrschafts frei sein. 15 Berkel, Karl / Herzog, Rainer, Unternehmenskultur und Ethik, Heidelberg 1997, S. 49. Vgl. Habermas, Jürgen, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt/Main 1991, S. 12. Habermas, Jürgen, 1991, S. 12. 18 V gl. Gilbert, Ulrich / Grimm, Ulrich, Die Entscheidungsethik und ihre Anwendung in international tätigen Unternehmen, in: Gerd Rainer Wagner, Unternehmensführung, Ethik und Umwelt, Gabler 1999, S. 108. 16 17

4. Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschaftsethik

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- Jeder Teilnehmer darf jede These in den Diskurs einführen. - Jeder Teilnehmer darf seine Einstellungen und Wünsche äußern. - Die Teilnehmer müssen von einem Zeit- und Handlungsdruck frei sein. - Die Teilnehmer müssen sich auf den zur Diskussion stehenden Gegenstand beziehen und eine gemeinsame Definition aushandeln können. Die aufgrund des Diskurses erarbeiteten Ergebnisse werden nach der Konsensfindung fUr verbindlich erklärt. Allerdings muß man kritisch überlegen, ob es überhaupt Werte gibt, die man aufgrund einer formalen Diskussion erheben kann? Außerdem fragt es sich, ob es ökonomisch möglich ist, zeitlich so lange und damit unbegrenzt zu diskutieren, bis man zu einer Lösung kommt. Kann man davon ausgehen, daß es überhaupt - vor allem in der Wirtschaftsethik - herrschaftsfreie Zonen gibt, in denen man unbegrenzt und ohne Druck diskutieren kann? Schließlich muß nach einer bestimmten Zeit letztgültig entschieden werden? Und dann stellt sich das Problem, inwieweit der einzelne oder die Gruppe (evtl. nur die Mehrheit in ihr) die Verantwortung für die Entscheidungen trägt. Schließlich ist zu fragen, ob von den Vertretern einer solchen Wirtschaftsethik mit einer Diskurs-, Dialog- oder Konsensstruktur die Lenkungsfunktion der Preise und ihre Wirkung erkannt wird 19. Auch im Preis steckt nämlich eine ethische Implikation. Er ist der entscheidende Distributeur. Darum sind Preise mit Macht verbunden! Diese gewährt Handlungsspielraum oder engt ihn ein. Wer Geld hat, besitzt Macht. Preise und Geld gehören zusammen und sind fest miteiander verknüpft. Wer die Preise bestimmt, besitzt wirtschaftliche Potenz. Da heute hunderte von Milliarden Dollar täglich in andere Warnungen gewechselt werden, kommt dem Geld in Gestalt von Kapital eine immer stärkere Bedeutung zu. Normen können nicht aufgrund von Diskussionen zwischen den Mitarbeitern und dem Vorgesetzten in einem Unternehmen "erlassen" bzw. von einigen wenigen Menschen im Betrieb umgesetzt werden. Es bedarf einer gemeinsamen Verständigung. Darum muß es einen situationsgerechten, von vielen Menschen im Unternehmen akzeptierten und dann auch durchsetzbaren, Normenkanon geben. Dieser kann von außen auf das Unternehmen zukommen oder von innen durch einen langfristigen Suchprozeß gefunden werden. In Konfliktfällen ist es nur auf der Basis einer dialogischen Verständigung möglich, einen Konsens zu erzielen. Das hat im Fall Nestle, wie immer wieder Steinmann / Löhr betonen, bis heute gut funktioniert 2o• Bei diesem Konfliktfall aus den Jahren 1970 bis 1984 ging es um die Vermarktung von Ersatzprodukten für Muttermilch bei Babies in den Entwicklungsländern. Die "Konfliktlösungsidee" steht bei Steinmann / Löhr für die UnternehVgl. Karmasin, Matthias, Ethik als Gewinn, Wien 1996, S. 110. Vgl. Löhr, Albert, Unternehmensethik und Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1991, S. 230. 19

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mensethik. Denn sie hat einen relativ "dauerhaften und stabilen Frieden" hergestellt21 . 4.3 Die Forderung nach einer mehrdimensionalen Ethik

Weder eine teleologische noch eine deontologische Ausrichtung der Ethik garantiert "den" richtigen Weg. Ebenso wenig wird man in einer Diskurs- oder Konsensethik die Lösung der ethischen Frage sehen können. Heute lassen sich weder Werte noch Normen von einer übergeordneten Instanz für alle Völker oder für ein Volk in Kraft setzen. Sie bedürfen einer demokratischen Legitimation. Erst eine solche Willensbildung schafft ihr Geltung. Allerdings bedarf es für Menschen mit einer religiösen und an das biblische Wort Gottes gebundenen Überzeugung einer solchen demokratischen Struktur nicht. Diese sehen nach evangelischem Verständnis in dem überlieferten Wort Gottes oder nach röm.-katholischer Interpretation im päpstlichen Lehramt die Wegweisung. Allerdings weist die Erörterung der medizinethischen oder ökonomischen Fragen - etwa in der Behandlung des Schwangerschaftabbruchs, in der Embryonen-Diskussion, in der Globalisierungsfrage oder in der Unternehmensethik - in der evangelischen Theologie darauf hin, daß es auch hier keine einheitliche Haltung gibt. Dagegen ist in der katholischen Kirche - aufgrund des Lehramtes - in vielen Fragen eine übereinstimmende Beschlußfassung möglich. Ethik strebt das Wohl aller Menschen - eines Gebietes, eines Landes oder der Welt - an. Ob das Ziel allerdings erreichbar ist, ist eine ständige Frage. Jedenfalls sucht sie nach Begründungen und Legitimierungen von Werten und Normen und stellt die für eine kritische Würdigung des sozialen Verhaltens notwendigen Überlegungen an. Sie entwickelt Richtlinien für das zukünftige Handeln 22 • Im Verhältnis zur Ökonomie kann Ethik nicht durch die Wirtschaft bestimmt werden. Karl Homann spricht in diesem Zusammenhang von der "Ökonomik" und meint damit nicht die wirtschaftliche Praxis, sondern die wissenschaftliche Reflexion oder die Kunst wirtschafts wissenschaftlicher Haushaltsführung und damit die wissenschaftliche Analyse der Begrenzung wirtschaftlicher Handlungsmöglichkeiten. Dann könnte man aristotelisch von der oikonornike techne (Wirtschaftstechnik) oder von der episteme (Wissen) sprechen 23 . Das Verhältnis von Ethik und Wirtschaft ist nicht durch eine Implementierbarkeit von Ethik in die modeme Wirtschaft zu bestimmen, wie es von Karl Homann und seinen Mitautoren gewollt wird. Das kann keine Forderung der Ethik sein. Allerdings dürfen die Menschen nicht davon abgehalten werden, ethische Konzepte unabhängig von ihrer ökonomischen Durchsetzbarkeit zu verwirklichen. Natürlich ist ein Ökonomiedefizit oder 21 22 23

Vgl. Löhr, Albert (1991), S. 205. V gl. Kramer, Rolf, Ethik des Geldes, Berlin 1996, S. 15 f. Vgl. Aufderheide, Detlef, Unternehmer, Ethos und Ökonomik, Berlin, 1995, S. 35.

4. Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschaftsethik

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das Marktversagen durch die Ethik zu korrigieren. Sollte umgekehrt die Ethik scheitern, muß ihr aus den Wissenschaften, die dann Priorität besitzen, das entscheidende Korrektiv erwachsen. Für die christlichen Kirchen stellen solche Wissenschaften die Theologie, für alle Religionen die Religionswissenschaften und für die politisch-gesellschaftlichen Entscheidungen die über diese herrschenden Werte und Normen dar. Eine Letztbegründung der Ethik in der Theologie gilt selbtverständlich nur für den abendländischen Bereich mit seiner jüdisch-christlichen Kultur und innerhalb des überlieferten christlichen Glaubens. Wenn man sich zu einer anderen religiösen Richtung bekennt, bedarf es eines Konsenses zwischen den theologischen, religiösen oder weltanschaulichen Betrachtungen der übergeordneten Glaubensrichtung oder Wissenschaft. Eine solche Übereinstimmung ist natürlich auch erforderlich, wenn es sich um gesellschaftspolitische ethische Entscheidungen handelt. Das Streben nach einem weltumspannenden Ethos freilich wird Schwierigkeiten aufwerfen, da bereits national eine Übereinstimmung nur unter schwersten Bedingungen zu erzielen ist. Auch können die von Hans Küng im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Globalisierung und zum technologischen Fortschritt aufgestellten fünf Grundregeln keineswegs schon die ethischen Strukturen für das Zusammenleben der Menschen, die hier nur wegen ihrer Allgemeingültigkeit zitiert werden sollen, darstellen. Es soll also keine Zustimmung signalisiert werden. Eine Übereinstimmung in allen Punkten ist ohnehin kaum denkbar: "Zuerst die Problemlösungsregel: Wissenschaftlicher Fortschritt erzeugt heute mehr Probleme als er lösen hilft. Danach die Beweisregel: Wer wissenschaftlichen Fortschritt realisieren will, muß dessen soziale und ökologische Verträglichkeit nachweisen. Ferner die Gemeinwohlregel: Bei Wahrung der individuellen Würde hat Gemeinwohl Vorrang vor Eigeninteresse. Des weiteren die Dringlichkeitsregel: Überleben ist wichtiger als Selbstverwirklichung. Schließlich die Reversibilitätsregel: Bei wissenschaftlichem Fortschritt haben umkehrbare Prozesse Vorrang vor nicht umkehrbaren Prozessen,,24. Es kann zu Widersprüchen auch zwischen der Ethik und der Ökonomie kommen. Karl Homann und seine Mitautoren wollen sich gerade gegen solche Überlegungen und transzendenten Absicherungen, die ihrem Ansatz widersprechen, abgrenzen: "Normative Forderungen und Ideale lassen sich nicht gegen, sondern nur durch die modeme Wirtschaft und Gesellschaft geltend machen,,25. Aber vielleicht ist es nötig, die gegenwärtige Wirtschaft gemäß neuer und sozialer Zielsetzungen umzubauen. Für die Dimension Wirtschaft kann man nicht nur einen einzigen ethischen Begriff anwenden. Denn schließlich ist man ohnehin genötigt, zwischen einer makroökonomischen Wirtschaftsethik und den mikroökonomischen Unternehmensethiken zu unterscheiden. Generell geht es in der Wirtschaftsethik um Rahmenordnun24 Becker, Jörg, Dumm und frech, das paßt zusammen, in: FAZ vom 01. 11. 01. Nr. 245, S. 45. 25 Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 111.

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1. Kap.: Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft

gen und Wirtschaftsstrukturen, die den gesamtwirtschaftlichen Ablauf regeln und ordnen sollen. In diesem Sinn hat bereits Walter Eucken eine Ordnungstheorie vertreten, die zwischen institutionellen Rahmenbedingungen und einfachen Handlungen unterschied. "Der Begriff der Rahmenordnung definiert die Regeln, die gegeben sein müssen, damit sich ,Ordnung' als Ergebnis marktlicher Austauschprozesse einstellt. Die Rahmenordnung soll sicherstellen, daß die Akteure ihre privaten Interessen verfolgen können, ohne dabei das gesellschaftlich wünschenswerte Gesamtergebnis - wirtschaftlicher Wohlstand und sozialer Friede - eigens ins Kalkül zu ziehen. Für die Erreichung dieser Ziele würde dann die ,unsichtbare Hand des Marktes' sorgen,,26. Selbstverständlich kennt die Marktwirtschaft Probleme, Fehlentwicklungen, Schwächen und Defizite. Sie wird weder Armut, Hunger, Krieg oder Arbeitslosigkeit noch die Entwicklung der Bevölkerung, so glauben heute viele Ökonomen, in den Griff bekomrnmen. Dabei sind die einen der Meinung, es gäbe bei der Durchsetzung dieses oder jenes Zieles zuviel Wettbewerb und zu wenige staatliche Eingriffe. Andere dagegen argwöhnen, es gäbe zu viele staatliche Eingriffe und zu wenig Wettbewerb. Weiter vermutet man, daß der Markt bei öffentlichen Gütern, wie sauberem Wasser, gesunder Luft oder der öffentlichen Sicherheit erheblich versagt. In der Ethik geht es nicht um eine Verbesserung dieses Zustandes, sondern um eine Realisierung von Normen und Idealen an sich und darum, wie diese am ehesten und sinnvollsten im bestehenden marktwirtschaftlichen System durchgesetzt werden können. Eine systemkonforme Verständigung von Ethik und Ökonomik darf nicht auf Kosten der Ethik erfolgen. Im mikroökonomischen Bereich richtet sich die Ethik auf die Gestaltung der Unternehmensstruktur und Unternehmenskultur; das gesamte Unternehmensverhalten ist schließlich zu regeln. Dabei sind sowohl die Gewinnverhältnissse als auch die Managementethiken mit ihren personal wirtschaftlichen Gestaltungselementen (z. B. Führungsethik) mit in die Überlegungen einzubeziehen. Hinzuzuzählen ist der Bereich der Personalauswahl, Ausbildung, Personalentwicklung und Umschulung. In einem autoritär-patriarchalischen System wird Ethik von außen verordnet. Eine Konsens-Ethik sagt dagegen nicht direkt, was zu geschehen hat, damit ein Ziel oder eine bestimmte Unternehmenskultur erreicht wird. Der Erfolg hängt von der Bereitschaft aller daran Beteiligten ab, ein entsprechendes Handeln oder Unterlassen zu praktizieren. Das einzelne Unternehmen ist Teil der Gesamtwirtschaft. Diese wird durch die beiden Systemkräfte der Ordnungspolitik und der Ablaufspolitik geregelt. Beide Kräfte, die Ordnung und das tätige Handeln, stehen unter ethischer Einflußnahme. 26 Scherer, Andreas, Georg, Zur Verantwortung der multinationalen Unternehmung im Prozeß der Globalisierung, in: Dodo zu Knyphausen-Aufseß (Hrsg.), Globalisierung als Herausforderung der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 2000, S. 6.

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Das Unternehmen hat sich den Rahmenordnungen unterzuordnen und bestimmt nun seinerseits den Wirtschaftsablauf innerhalb der jeweils konkreten Ordnungen. Die Ordnungspolitik ist also in der Marktwirtschaft keineswegs allein der systematische Ort für die Morae7 • Dem Unternehmen wird vielmehr eine Ethik vorgegeben, nach der es sich zu verhalten hat. Die Ethik der Ordnung bedarf der Ergänzung durch die Ordnung der Handlung 28 • Die Ordnungsethik wird zwar von außen vorgegeben. Aber sie wird zugleich durch die Unternehmen selbst bestimmt und inhaltlich gefüllt. Für die Ethikansätze im personalen und im sozialen Bereich muß gelten, daß man sie verallgemeinern kann. Denn eine Ethik, die allein für das "stille Kämmerlein" bestimmt wird, bringt keine Veränderung der Welt hervor. Über den jeweiligen Ansatz muß also die Gesellschaft informiert werden, man muß mit den anderen Ansätzen kommunizieren. Denn gestalten und verändern ist immer nur unter Mithilfe anderer möglich. Freilich müssen die individuellen Gegebenheiten in den regionalen, nationalen und globalen Bereichen berücksichtigt werden.

4.4 Allgemeine sozialethische Orientierung Ethik ist als eine Reflexion über Werte und Normen zu begreifen. Man darf jedoch, wie des öfteren ausgeführt, im personalen Bereich nicht stehen bleiben, sondern muß das gesellschaftliche Leben mitbedenken. Ethik hat sich deshalb nicht nur am Individuum zu orientieren, sondern muß das Verhältnis zur Wirtschaft, zur Medizin, zum Umweltschutz, zur Technik oder zur Biotechnik etc. mit berücksichtigen. Ob die jeweils betroffenen Wissenschaften voneinander lernen, ist nicht wichtig. Denn die Ethik hat keine pädagogische Aufgabe und ist auch nicht als eine Korrektur eines Mangels oder als Kompensation des Marktversagens zu sehen. Ethik will zwar auch korrigieren. Aber ihre Aufgabe sieht sie eher darin, Ziele zu erreichen, die von außen - von der Politik, der Gesellschaft oder der Religion - gesteckt werden. Ethik steht nicht unter einem absoluten Maßstab. Sie will gelebt werden. Darum muß sie sich mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kräften im Unternehmen abstimmen, mit den Führungskräften, Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten und der unternehmerischen Zielsetzung. Es kann nur einen relativen und veränderbaren Maßstab geben. Das Unternehmen kennt von sich aus keinen Sollwert, der erreicht werden muß. Das Ziel ist durch Gespräche aufgrund eines Dialogs und einer Konsensfindung zu erreichen. Gerade eine Ethik in den Informationsund Kommunikationssystemen muß durch einen Dialog geprägt sein. Der Dialog hat mit Geduld zu tun; diese führt zum Vertrauen. Wo es zum Dialog kommt, So allerdings heißt es bei: Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 35. V gl. Waldkirch, Rüdiger, Zum Verhältnis von Ökonomik und Ethik - wider den Dualismus, in: Waldkirch I Wagner, Wirtschaftsethik, Stuttgart 1999, S. 30. 27

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I. Kap.: Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft

herrscht Vertrauen und Kooperationsbereitschaft. Und Vertrauen ist die Grundlage, Ausgangs- und Zielpunkt der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Der Dialog strebt in erster Linie nicht nach Einigung mit der Meinung des anderen, sondern eher nach einem umfassenden Verständnis. Er will darum nicht nur Meinungen austauschen, sondern auch die Position des anderen erkunden und so die Basis für Vertrauen schaffen. Dieses ist einerseits als eine Gabe zu sehen, die man selbst zu geben bereit ist, und andererseits als eine solche zu bestimmen, die man willens ist zu akzeptieren.

4.5 Die christliche Verantwortung Eine christliche Sozialethik wird nicht unmittelbar aus der Offenbarung heraus entwickelt. Sie kommt nicht gleichsam "über" den Menschen. Vielmehr wird sie aus den überlieferten Schriften und aus den Strukturen abgeleitet. Sie bleibt ein veränderbarer utilitaristischer Maßstab. Eine Unternehmensethik als spezielle Sozialethik will keine Lehre sein, nach der im Unternehmen in jedem Einzelfall gehandelt wird. Sie steht immer unter einer Wenn-Dann-Konsequenz. Wer ein bestimmtes Ziel erreichen will (oder soll), muß sich entsprechend verhalten und darauf einstellen. Darüber ist ein Konsens mit den anderen Beteiligten zu erzielen. Ein solcher Konsens ist also ein Prozeß, der sich erst nach einem internen Dialog ergibt. Der Mensch lebt nach christlichem Glauben als Person und als Glied der Gesellschaft in einer Verantwortung vor dem, der ihn geschaffen hat. In den Relationen seines Leben hat er diese zu erkennen. Er steht damit in Beziehung 1. zu sich selbst, 2. zu seinem sozialen Umfeld mit allen seinen Facetten und 3. zu seiner natürlichen Umwelt. Tritt er in Relation zu sich auf, wird er auf sich als Person Rücksicht zu nehmen haben. Denn er trägt Verantwortung für sich. Diese kann ihm niemand abnehmen. Tritt er in Beziehung zu seiner sozialen Mitwelt auf, hat er ein reichhaltiges Feld zu bestellen. Es gilt, die Beziehungen zur unmittelbaren Umgebung im familiären Rahmen und in den beruflichen Bereichen zu beriicksichtigen. Seine Sozialverträglichkeit hat er in mehrfacher Hinsicht zu priifen. Er hat, sein Handeln zur sozialen Gruppe, zur Gesellschaft und zum femen Nächsten in weltweiter Sicht zu bedenken. Ebenso sind die Auswirkungen des menschlichen Handeins auf den einzelnen Mitarbeiter des Unternehmens, der Wirtschaft und der Gesellschaft zu priifen. Umgekehrt ist außerdem, die Beziehung des Unternehmens und der Wirtschaft zur den verschiedenen Personen zu regeln. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach dem Verhältnis von Ökonomie zur Ethik und vice versa die nach der Relation der Ethik zur Ökonomie. Denn soziale Gerechtigkeit und ökonomisches Verhalten (Vernunft) brauchen keine Gegensätze zu sein.

4. Die Diskursethik als Grundlage einer Wirtschaftsethik

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Schließlich trägt der Mensch für seine natürliche Umwelt Verantwortung. Er besitzt sie in weltweiter Sicht. Dabei muß die Beziehung der Menschen untereinander und zugleich die umweltverträgliche Auswirkung ihres HandeIns auf die Natur gesehen werden. Der nachhaltige Schutz der Natur und die Sicherung der Ressourcen-Nutzung zum Wohle der Menschen sind Teile dieser sozialen Verantwortung. Wer die Werte und Normen in der biblischen Überlieferung als "durch Gott absolut festgelegt" und nicht als solche versteht, die in Form eines diskursiven Verfahrens entwickelt worden sind, will über beide nicht diskutieren. Für ihn ist die christliche Ethik dann auch keine Diskursethik. Denn er sieht in der Bibel ein "Wertereservoir". Deren Normen werden durch die Ethik allenfalls "erkannt, systematisiert und operationalisiert,,29. Aber in der Bibel sind Normen nicht vorgegeben. Ihre Gültigkeit ist nicht von der vernünftigen Einsicht der Menschen abhängig. Man muß einsehen lernen, daß die Bibel keine "Gebrauchsanweisung" für das Handeln des Menschen ist, selbst wenn sie generalisierende Anweisungen in Gestalt von Gesetzestexten gibt. Wer stattdessen die Bibel zu einer allgemeinen Gesetzlichkeit umfunktioniert, macht aus ihr einen gesetzgeberischen Text und erliegt einem religiösen Fundamentalismus. Denn die christliche Ethik geht von der Erlösungstat Christi aus, die inhaltlich besagt, daß Christus den Menschen von einer strengen Befolgung des biblischen Gesetzesanspruchs befreit hat. Darum muß vom Indikativ aus der Imperativ gedeutet werden. Bereits im Alten Bund (Alten Testament) folgt aus der Bundesschließung (Indikativ) der Imperativ, die Gesetzesverkündigung. Die Dialektik von Gesetz und Evangelium bleibt in der Geschichte für das Verhältnis des Menschen vor Gott kennzeichnend. Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium kann nicht darin bestehen, daß aus dem Evangelium unmittelbar politische, wirtschaftliche oder andere Handlungsanweisungen abgeleitet werden. Hier steht Martin Luther gegen Karl Barth. In der Frage des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium ist Luther mit seiner Verhältnis bestimmung zuerst Gesetz und dann Evangelium recht zu geben. Denn das Evangelium relativiert das Gesetz, ohne es abzuschaffen. Aber als Heilsweg hat es schon der Apostel Paulus abgelehnt. Trotzdem lebt der Christ weiterhin mit dem Gesetz, aber nicht mehr unter ihm. Das Evangelium enthält keine die Gesellschaft verändernden Aussagen. Programme zu Gunsten der Menschenrechte sind keineswegs unmittelbar aus der biblischen Überlieferung abzuleiten. Wie man weiß, gibt selbst der Dekalog nicht auf alle ethischen Probleme eine Antwort. Insofern kann er auch keine Grundlage für eine christliche Ethik liefern. Ebenfalls ist aus der Bergpredigt kein wirtschaftliches oder politisches Handlungskonzept abzuleiten.

29 Matten, Dirk, Moral im Unternehmen: Philosophische Zierleiste oder knappe Ressource?, in: Reinhard Haupt/Wemer Lachmann (Hrsg.), Unternehmensethik - Wahre Lehre oder leere Ware? Neuhausen-Stuttgart 1998, S. 29.

2. Kapitel

Globalisierung ethisch verantworten Bereits grenzüberschreitende Handelsbeziehungen reichen bis in die vorchristliche Zeit zurück. Phönizier, Griechen, Römer befuhren die Meere. Jahrhunderte später haben Portugiesen, Spanier die Weltmeere und die Welt entdeckt. Eine starke Europäisierung setzte auf unterschiedlichen Ebenen - wirtschaftlichen, kulturellen und politischen - schon vor fünfhundert Jahren ein. Der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama stach am 8. Juli 1497 von Rastello aus in See und entdeckte den Seeweg nach Indien. Er überwand die geographische Entfernung zwischen den Kontinenten. Später übernahmen Engländer, Franzosen, Belgier und Holländer die Entdeckerfunktion und sicherten sich so ein hohes Einkommen und großen Wohlstand. Die Rede von der Globalisierung ist also auch ökonomisch keine neue Erscheinung. Kolonialismus und christliche Mission haben diesen Prozeß entscheidend beeinflußt. Aber es wäre eine Fehlinterpretation, die Globalisierung im gegenwärtigen Verständnis als eine Folgeentwicklung der Kolonialisierung oder als deren modeme Erscheinung zu verstehen. Sie ist nämlich nicht durch Ausbeutung oder Mission zu interpretieren. Sie ist eher als ein internationaler Warenaustausch oder generell als internationale Beziehung zu verstehen. In der industriellen Revolution kam es dann zu einem weltweiten Austausch von Rohstoffen gegen Fertigwaren. Diese Entwicklung schuf Märkte für die unterschiedlichsten europäische Waren. Im ausgehenden neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert verfeinerte sich die internationale Arbeitsteilung. Heute ist darum die Verflechtung der Güter- und Dienstleistungsmärkte über die nationalen Grenzen hinausgehend ein allgemein bekanntes Phänomen. Kosten sparende Techniken setzen sich durch. Beispiel dafür ist das Fallen der Transportkosten; auch die Produktionsstätten werden mobiler. Die Rohstoffbeschaffung ist nicht mehr allein der Grund dafür, daß Industrien sich an Ort und Stelle ansiedeln. Es entstehen neue Chancen, mit den Produkten auf Auslandsmärkten auszuweichen. Die internationale Verflechtung wirkt sich auf die verschiedensten Lebensäußerungen der Völker aus. Globalisierung bedeutet, daß die Länder und Völker der Erde enger zusammenrücken, die Märkte einander näherkommen. Die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital wachsen über die nationalen Grenzen hinaus. Die Globalisierung aber entkleidet auch den Staat wirtschaftlicher Funktionen in seiner nationalen Wirt-

I. Globalisierung als Entwicklungsprozeß

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schafts- und Finanzpolitik. Die wachsende Verflechtung der Beziehungen schränkt sogar die nationale Wirtschafts- und Finanzpolitik ein. Globalisierung ist eine Bewegung, die sich von oben nach unten, von reich und wirtschaftlich entwickelt zu ann und industriell nicht entwickelt erstreckt. Tendenzen zur Globalisierung ergeben sich aus den übergeordneten Wirtschafts- oder Finanzorganisationen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht auch als eine demokratische Erscheinung eine Globalisierung von unten gibt. Schließlich könnten über das Internet auch internationale Beziehungen von unten aufgebaut und mit Hilfe einer Vernetzung zur Globalisierung führen.

1. Globalisierung als Entwickiungsprozeß G10balisierung ist als ein Prozeß zu verstehen, der nie abgeschlossen sein wird. Dieser einmal begonnene Prozeß läßt sich nicht umkehren oder aufhalten. Vor allem die modeme Kommunikationstechnik hat ihn in eine Einbahnstraße gebracht. Die technische Revolution auf dem Infonnations- und Kommmunikationsmarkt hat alle Sparten der Finanz-, Waren- und Dienstleistungsmärkte beschleunigt. Ohne die Digitalisierung wäre eine solche dynamische Entwicklung nicht vorangetrieben worden. Sie hat zur Verbilligung auf allen Märkten der PC-Güterindustrie, der Telekommunikation und der Netzwerktechniken geführt. Auch die modemen Finanzdienstleistungen wären ohne den technischen Fortschritt auf den Infonnations- und Telekommunikationsmärkten nicht denkbar. Globalisierung umschreibt sowohl das Zusammenwachsen der Gütennärkte wie die weltweite Mobilität der Güter und der Produktionsfaktoren. Zunächst hatten unterschiedliche Warengattungen (Genußmittel, Textilien, militärische Güter) den G10balisierungsbegriff bestimmt. Später kam dann in einem schier unenneßlichen Umfang die Globalisierung des Kapitals hinzu. Man kann heute davon ausgehen, daß unter diesem Begriff Güter, Dienste und Kapital international gehandelt, Güter grenzüberschreitend hergestellt und Kredite über globale Finanzmärkte "abgewickelt" werden I . Durch die Globalisierung entsteht eine weltweite Arbeitsteilung. Sie führt zur Effizienzsteigerung und zum Wachstum bisher nicht stark entwickelter Regionen und Länder. Mit zunehmender Globalisierung der Märkte stellt sich die Frage, ob und wie der Wettbewerb weltweit gewährleistet werden kann. Das gilt natürlich auch bei universalen Zusammenschlüssen von international tätigen Unternehmen. Sinkende oder aufgehobene Handelsschranken leisten das Ihre zur Globalisierung. Die wachsende Logistik, die neu entwickelten Transporttechniken und die vielfach genannten "gereiften" Infonnations- und Kommunikationstechniken sind die Grundlagen für eine rasante Entwicklung und weltweite Kostensenkung. Sie I Vgl. Beisheim, Marianne I Dreher, Sabine I Walter, Gregor I Zangl, Bernhard I Zürn, Michael, Im Zeitalter der Globalisierung?, Baden-Baden 1999, S. 264.

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

alle wirken auf die Mobilität des Kapitals, die untemehmerischen Investitionen, die technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten. Mit dem Begriff "Globalisierung" verbindet sich ein allgemeiner komplexer Prozeß auf unterschiedlichen Ebenen. Er ist sicher nicht allein auf den ökonomischen Aspekt zu beschränken, obwohl er hier am sichtbarsten wird. Politisch wurde die Globalisierung durch den Wegfall der Ost-West-Spannung hervorgerufen. Aber am stärksten wird sie wohl durch die ökonomischen Faktoren geprägt. Globalisierung unterstützt den Dienstleistungsbereich. Die privaten Dienste fördern den Wohlstand. Aber auch die unternehmensnahen Dienstleistungen sind ohne den globalen Produktionsprozeß nicht mehr denkbar. Es genügt heute nicht mehr, Produkte zu verkaufen. Es ist vielmehr nötig, ganze Problemlösungen anzubieten mit Beratung, Finanzierung, Wartung und Kundendiensten etc. Globalisierung und die Entwicklung der Gesellschaft zur umfassenden Dienstleistungsgesellschaft bedingen einander. Dienstleistungen sind eine wichtige Seite der globalen Märkte. Sie treiben andererseits sogar die Globalisierung voran 2 . Dienstleistungen und Globalisierung sind nicht nur die großen Trends unserer Zeit. Sie stehen auch in einer unmittelbaren Abhängigkeit voneinander. Der Erfolg der Globalisierung ist unstreitig mit einer Tertiarisierung der ganzen Wirtschaft verbunden. Durch die Globalisierung werden vor allem nationale Verhältnisse durchbrochen, so daß weltweit auf allen Märkten operiert werden kann. Das hat Konsequenzen für das allgemeine ökonomische Handeln. Da das Wissen sich international mit immer größerer Geschwindigkeit ausbreitet, lassen sich aus dem einstmals erzielten innovativen Vorsprüngen keine monopolähnlichen Marktpositionen mehr ableiten 3 .

2. Rahmenordnung für die Märkte Der Wettbewerb ist das grundlegende Ordnungsinstrument einer freiheitlich geprägten Wirtschaft. Von ihm gehen entscheidende Impulse für Wachstum und Beschäftigung aus. Das erfordert ein ständiges Beobachten des Marktgeschehens und ein Einhalten des Wettbewerbs. Immer mehr Länder treten am internationalen Markt als Wettbewerber auf. Dadurch werden Handel und Kapitalverkehr liberalisiert. Viele Güter und Dienstleistungen, die früher räumlich begrenzt waren, werden durch die Globalisierung handelbar4 . Die Rahmenbedingungen der Märkte müssen neu gesetzt werden. Die Politik hat diesen Strukturwandel durch die von ihr gesetzte Ordnung zu initiieren und zu 2 Vgl. Mangold, Klaus, Mit Dienstleistungen in die globale Wirtschaft, in: Klaus Mangold (Hrsg.), Dienstleistungen im Zeitalter globaler Märkte, Frankfurt am Main 2000, S. 38. 3 Donges, Juergen, Was heißt Globalisierung?, in: Juergen B. Dongesl Andreas Freytag (Hrsg.), Die Rolle des Staates in einer globalisierten Wirtschaft, Stuttgart 1998, S. 4. 4 Vgl. Jahresgutachten 1999/2000, Z. 234.

2. Rahmenordnung für die Märkte

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unterstützen. Ordnungspolitisch hat der Staat dafür zu sorgen, daß der Rahmen abgesteckt wird und die Märkte in der gewünschten Weise funktionieren können, so daß die Anbieter den ihnen gemäßen Zugang zum Markt finden. Der Ordoliberalismus betont international das ordnende Handeln des Staates und damit die Ordnungsfunktion des Staates gegenüber der Wirtschaft5 • In das System der Sozialen Marktwirtschaft als der Ordnung des Neoliberalismus ist das Handeln des Staates fundamental integriert. Seine Aufgabe als Ordnungsrnacht ist es, die Rahmenbedingungen zu installieren, damit die Marktwirtschaft funktioniert und der soziale Ausgleich geschaffen werden kann. Bei der Schaffung größerer Wirtschaftsräume können heute Handlungszusammenhänge über die Grenzen eines Nationalstaates hinausgehen. Sie umfassen sowohl den grenzüberschreitenden Austausch als auch die internationale Produktion. Damit durchbrechen sie die Existenz von Nationalstaaten. Soll die Soziale Marktwirtschaft auch in den Entwicklungsländern eingeführt und zum bestimmenden Wirtschaftssystem werden, das auch der Globalisierung gerecht wird, muß sie über die wirtschaftliche Orientierung hinauskommen und freiheitliche, politisch-demokratische, kulturelle und religöse Ziele mit gleicher Verve verteten. Wo das nicht geschieht, gerät dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Gefahr, zu einem reinen wirtschaftspolitischen Handlungsinstrument zu verkommmen. Die Globalisierung besitzt also eine mehrdimensionale Ausrichtung. Denn sie kennt außer der ökonomischen Seite eine politische, kulturelle und auch eine religiöse Dimension. Alle Veränderungen auf dem weltweiten Markt zeigen Auswirkungen sowohl auf den einzelnen Menschen als auch auf gesellschaftliche Einrichtungen. Einerseits entsteht aufgrund dieser Veränderung ein Prozeß stärkerer Individualisierung. Denn jedermann muß sich neuen Herausforderungen stellen. Der einzelne ist stärker als früher für sein Fortkommen verantwortlich und kann nicht mehr gesellschaftliche oder traditionelle Orientierung dafür in Anspruch nehmen. Andererseits hat sich gleichzeitig das menschliche Zusammenleben und speziell die Familienstruktur geändert. Im Laufe der letzten zwanzig bis dreißig Jahre ist der familiäre Zusammenhalt in Westeuropa immer stärker verloren gegangen. Dafür sind viele Gründe maßgeblich. Über die sexuelle Befreiung und die Emanzipation ist der allgemeine Werte-Wandel innerhalb der Gesellschaft mit heranzuziehen. Die überlieferte Form der Familie als Keimzelle des Staates wird als nicht mehr maßgeblich angesehen. Die vorindustrielle Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hat ihre Schutz- und Produktionsform des Zusammenlebens ebenso verloren wie die durch die industrielle Revolution einsetzende Trennung von Wohn- und Arbeitswelt. Wahrend das überlieferte Familienbild immer mehr seine alten Funktionen einbüßt, bleiben für die Eltern als Aufgabe in unterschiedlichen Gestal5 Vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1999/2000, Z. 248.

3 Kramer

2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

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tungsformen die Sozialisation der Kinder. Die Globalisierung fordert andererseits von den Kindern ein hohes Maß von Eigenaktivitäten und Nutzung ihrer Entwicklungschancen6 .

3. Strukturen in der Abgrenzung weltweiter Unternehmen Zwischen den internationalen, multinationalen und globalen Unternehmen bestehen zwar Unterschiede 7 . Aber die Globalisierung bezieht sich auf alle weltweit tätigen Unternehmen und nimmt alle genannten Begriffe auf. Bei einem intematioTUJl tätigen Unternehmen ist die Verankerung im Mutterland ausschlaggebend. Es betreibt Wettbewerb mit inländischen, also einheimischen Konkurrenten. Gleichzeitig strebt es über den Stammsitz hinaus und versucht, auf dem Weltmarkt Fuß zu fassen. Vor allem große Unternehmen sind Konstrukte zwischen unterschiedlichen Firmenniederlassungen. Die Firmenleitung übernimmt als Zentrale nur noch die Koordination der globalen Tätigkeit. Die multinationalen Unternehmen werden heute aufgrund der Praxis der UNO Transnationale Unternehmen (TNC = Transnationale Coporation) genannt. Sie sind an vielen Plätzen zu Hause und besitzen Tochtergesellschaften, die in gewisser Weise selbständig und dezentral geführt werden. Diese orientieren sich meistens an dem jeweils nationalen Markt. Globalisierung führt also nicht zu einem Erstarken der Nationalstaaten, sondern zu einem Herausbilden von Großunternehmen, die ihrerseits miteinander Wettbewerb betreiben. Das globale Unternehmen, der global Player oder das Weltunternehmen, orientiert sich am Weltmarkt. Die Philosophie, ihre Ziele und Strategien sind nicht mehr auf den nationalen Wettbewerb, sondern vor allem auf den globalen Markt bezogen. Auf ihm muß es sich durchsetzen. Dieses Unternehmen wird zentral gesteuert. Oft tritt ein solches Unternehmen mit Produkten auf, die einen internationalen Ruf besitzen und weltweit standardisiert sind. Seitdem die Staatsgrenzen an Bedeutung verloren haben, ist schließlich für die global Player die Bewegungsfreiheit weltweit gewachsen. Erst die neuen Verkehrs- und Kommunikationstechniken haben den universellen Austausch zwischen Produkten und Informationen ermöglicht.

4. Chancen der Globalisierung Die wirtschaftliche Entwicklung ist in den vergangenen Jahrzehnten immer internationaler geworden. Sie weist auf eine zunehmende Verflechtung der WeltVgl. dazu. Zuba, Reinhard, Fit für die Globalisierung?, Wien 1998, S. lOff. Vgl. Müller, Stefan/Kommeier, Martin, Streitfall Globalisierung, München/Wien 2001, S. 15 ff. 6

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4. Chancen der Globalisierung

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wirtschaft hin und erkennt in ihr eine breite Arbeitsteilung zwischen den entwikkelten Industrienationen und den Entwicklungsländern. Die globalisierten Märkte werden von Unternehmern und Verbrauchern immer stärker in Anspruch genommen. Für beide zeigt sich die Globalisierung als ein Zugewinn an ökonomischer, technischer und politischer Freiheit. Globalisierung greift auch in das Leben des einzelnen Bürgers entscheidend ein. Sie ruft positive wie negative Entwicklungen hervor. Mit ihnen treten Gewinner und Verlierer auf. Die qualifizierten Arbeiten werden zu den Gewinnern gehören, während man die unqualifizierte Arbeit zu den Verlieren zählen muß.

4.1 Abbau von Handelsschranken Die Mobilität von Menschen und Gütern ist nicht uferlos. Sie wird beim Menschen durch emotionale und bei Gütern durch natürliche Schranken eingegrenzt. Güter sind oft nur eng begrenzt durch andere Produkte des Wettbewerbs ersetzbar. Selbst im nationalen oder regionalen Raum sind Güter und Dienstleistungen oft gar nicht oder nur sehr eingeschränkt in ihrer Mobilität benutzbar. Denn manche sind gar nicht transportierbar. Der noch so gute Masseur in der Feme einer Nachbarstadt ist genauso wenig regelmäßig in Anspruch zu nehmen wie der Hausarzt oder die Dienstleistungen der öffentlichen Transport- oder Verwaltungsinstitutionen, wenn man sich ihrer nur weitab vom Zentrum bedienen kann. Natürlich hat die Nutzung von Gütern und Diensten weltweit zugenommen, wenn sie auch für den einzelnen eingeschränkt bleiben. Darum können deutsche Verbrauchsgüter (Autos, Motorräder) oder Investitionsgüter nur bedingt durch französische oder italienische gleichartige Produkte ausgetauscht werden. Die Globalisierung muß als ein Prozeß des Zusarnmenwachsens nationaler Wirtschaften gesehen werden. In früheren Jahrhunderten war sie vor allem eine Frage der Handelspolitik. Gegenüber den Zeiten der Abschottung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts haben sich nach dem zweiten Weltkrieg neue Tendenzen zur Liberalisierung durchgesetzt. Aufgrund der Erfahrung der Weltwirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen ist den letzten Jahrzehnten die Bereitschaft zum Freihandel unter den Volkern gewachsen. Als Grundlage dafür können die völkerrechtlichen Verträge gelten, insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, Gatt). Dieses stellte einen 1948 abgeschlossenen multilateralen Vertrag dar, der allgemeine und weltweit akzeptierte Regeln für den Welthandel festlegte. Nach zähem Ringen hatten dann 1994 die Verhandlungspartner den Entwurf einer neuen Welthandelsordnung beschlossen, die den alten Gatt-Vertrag ablöste. Dieses Rege1werk wurde 1995 in Kraft gesetzt und hat den Gatt-Vertrag in die World Trade Organization (WTO) überführt. Es geht dabei um die Prinzipien der Multilateralität (Reziprozität), der Nichtdiskriminierung (Inländerbehandlung) und der Meistbegünstigung. Nach dem Multilateralitätsprinzip (Reziprozitätspinzip) gewähren die Vertragsparteien sich 3·

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

gegenseitig den Marktzugang. Zwischen dem Multilateralitäts- und dem alten Regionalprinzip existiert eine enge Beziehung. Nach den Gatt-Verträgen besteht nämlich die Möglichkeit regionaler Zusammenschlüsse zur Zollunion und zu Freihande1szonen. Durch einen Abbau von Handelshemmnissen meint der Multilateralismus, zwischen Ländern einzelner Regionen den Handelsliberalismus fördern zu können. Die Nichtdiskriminierung (Inländerbehandlung) legt fest, daß inländische und ausländische Produkte gleichbehandelt werden sollen. Aufgrund der Meistbegünstigungsklausel muß die Handelserleichterung, die einem Vertragspartner eingeräumt wird, auch den anderen gewährt werden. Zwar läßt das WTO-Abkommen keine nichttariffaren Handelshemmnisse zu. Aber Anti-Dumping-Zölle sind weiterhin erlaubt. Außerdem sind freiwilige Exportselbstbeschränkungen für den Agrarbereich und die Textil- und Bekleidungsindustrie zulässig, obwohl beide Bereiche erst in der sogenannten Uruguay-Runde in die Gatt-Ordnung aufgenommen worden sind. Indessen sind sehr lange Übergangsfristen vorgesehen. Schließlich können Ländergruppen oder große Handelsnationen mit einer aggressiven Handelspolitik Druck auf andere Länder ausüben und den Marktzugang erschweren. Darum können einseitige Marktöffnungen zurückgenommen werden. Aufgrund der erfahrenen Taktik und Strategie der großen Nationen ist zu fragen, ob multilaterale Handelsordnungen wirklich zu einem globalen Freihandel führen werden. Man hat deshalb vorgeschlagen, Gatt-Regeln als nationales Recht zu kodifizieren. Gegenwärtig aber kann davon keine Rede sein. Darum wird man fordern müssen, in Zukunft auf eine weitere Liberalisierung zu drängen, selbst wenn manche Menschen meinen, die Liberalisierung ginge bereits heute zu weit. Eine große Zahl der weltweit in Seattle, Davos, Nizza (EU-Gipfel im Dez. 2000), Göteborg (EU-Gipfel im Juni 2001) oder Genua (G8-Gipfel im Juli 2(01) aufgetretenen Kritiker sind dieser Meinung. Dem aber ist entgegen zuhalten: Die Märkte müssen weltweit und uneingeschränkt funktionieren. Je mehr Hemmnisse vorhanden sind oder durch Regierungen bzw. Großunternehmen eingeführt werden, desto weniger effektiv kann eine Wohlstandsmehrung erreicht werden. Je mehr Länder sich gegen den Protektionismus wenden, umso mehr werden auch andere Länder dafür gewonnen werden könnnen. Die Geschichte der Gatt-Verträge ist ein Erfolg. Je freier der Welthandel, umso stärker wird sich weltweit der Wohlstand ausbreiten. Es ist nämlich - anders als die Globalisierungsgegner (z.B. Attac) behaupten - keine Frage, daß alle Länder, die sich der weltweiten Integration angeschlossen haben, einen größeren Wohlstand aufweisen als die, die nicht dazugehören. Vorsichtige Schätzungen lassen vermuten, daß der Abbau bestehender Handelshemmnisse um ein Drittel die weltweite Wirtschaftsleistung um 613 Milliarden Dollar erhöhen würde. Schon durch die Mitgliedschaft in der WTO werden die Mitglieder an einer protektionistischen Wirtschaft gehindert und leisten ihren Beitrag zum weltweiten Freihandel, auch wenn Skeptiker meinen, daß es im Rahmen der WTO niemals zu einem wirklichen weltweiten Freihandel kommen wird. Der Weg in die Deregulierung der Märkte und die Entwicklung zu einer fortschreitenden Liberalisierung des Handels darf

4. Chancen der Globalisierung

37

nicht aufgehalten werden. Das ist selbstverständlich vor allem an die Adresse der Industrieländer zu richten. Sie müssen den Entwicklungsländern Zugang zu den lukrativen einheimischen Märkten verschaffen. Bisher betragen die Ausfuhren der 49 ärmsten Ländern der Welt nur 0,1 Prozent der Importe der Industrieländer8 . Allerdings glauben neuerdings terroristische Gruppen, den Prozeß aufhalten und eine neue Weltordnung installieren zu können. Nur so ist der Anschlag gegen das World Trade Center und die Bombardierung des Pentagons zu verstehen. Auch die Behandlung der BSE-Krise in der jüngsten Geschichte hat nicht nur europaweit, sondern weltweit zusätzliche Erfahrungen gebracht. Nur eine Globalisierung des Fleischmarktes hätte eine Fehlentwicklung verhindern könne. Denn nicht überall wurde der Verbraucherschutz der Importländer gleich ernst genommmen. Was für den europäischen Markt Gültigkeit hat, hätte gleichzeitig global umgesetzt werden müsen. Eine Kennzeichnungspflicht der Produkte hätte darum nicht nur für die betroffenen Länder gelten dürfen, sondern hätte in derselben Güte für alle Exportländer eingefügt werden müssen. Nur eine Globalisierung der Märkte kann einen weltweiten Verbraucherschutz hervorbringen. Der Wegfall von Handeisbeschränkungen würde in solchen Fällen nicht nur den Industrie-, sondern auch den Entwicklungsländern Sicherheitsbeschränkungen aufdrängen, die letztlich auf dem hohen Niveau der Importländer lägen. Das wäre für alle Verbraucher gut. Wenn es in Zukunft darum geht, höhere Standards und damit eine größere Sicherheit im Verbraucherschutz europa- und weltweit durchzusetzen, haben natürlich supranationale Organisationen wie die WTO und die EU bessere Chancen als nationale Regierungen.

4.2 Globalisierte Finanzmärkte

Während die Bedeutung der Globalisierung für den einzelnen Menschen und dessen Güterbedarf relativ eingeschränkt bleibt, hat die Mobilität von Kapital in einem ungeahnten Ausmaß zugenommen. Finanztransaktionen können heute zu äußerst günstigen Kosten vorgenommen werden. ,,Das Herzstück der Globalisierung ist der weltweite Kapitaltransfer, dessen Volumen Wachstumsraten von über 4.000% in den letzten 25 Jahren erreicht hat9 ". Heute werden täglich annähernd 1,5 Billionen US-$ rund um den Erdball geschickt. Das entspricht etwa einem Jahresvolumen von 300 Billionen US-$. Dagegen stehen real wirtschaftliche Finanzflüsse im Handel und in den Investionenen, die gerade einmal 2,5% dieser Summe ausmachen. Die Liberalisierung der Finanzmärkte ist das Ergebnis bewußter Entscheidung. Aber trotzdem ist die Globalisierung in diesem Bereich in Verruf geVgl. Wirtschaftswoche vom 8. 11. 2001 Nr. 46, S. 30. "Unfug des Protektionismus". Kumar, Brij, Nino und Graf, Ina, Multinationale Unternehmen und die Herausforderungen einer neuen Weltwirtschaft, in: Dodo zu Knyphausen-Aufseß (Hrsg.), Globalisierung als Herausforderung der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 2000, S. 22. 8

9

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

kommen. Denn man meint, die Verarmung vieler Länder der Welt sei allein auf sie zurückzuführen. Globale Institutionen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds sollen dazu beigetragen haben. Um der Armut zu entgehen, haben einige dieser Länder wieder eine Devisenbewirtschaftung eingeführt, statt eine Neuordnung der internationalen Wahrungsbeziehungen zu veranlassen. Das internationale Finanzsystem müßte reformiert und vor allem liberalisiert werden 10. Wer von Globalisierung spricht, sieht zwar die internationale Verflechtung der Industrie- und Entwicklungsländer auf den Gebieten der Arbeitsteilung und der Güter- und Dienstleistungsströme. Aber er meint vor allem die stark entwickelten Kapitalströme. Auffallend ist die mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs verbundene Zunahme der Investitionen. Zwischen den Industrieländern und den Entwicklungs-, den Schwellen- und Reformländern hat sich ein immer stärkerer Handel entwickelt. Daneben ist auch der Kapitalverkehr in die Entwicklungs- und Reformländer stark angestiegen. Trotzdem wird vielfach vermutet, daß die ärmsten unter den armen Entwicklungsländern zum Spielball des "Turbokapitalismus" geworden seien. Und außerdem ist die durch die Globalisierung positiv auf den Weg gebrachte Entwicklung an einigen Ländern vorbeigegangen. Das gilt insbesondere für die Länder in Afrika. Der Grund dafür sind gefallenen Rohstoffpreise und die mangelnde politische Infrastrukur. Denn meistens herrscht hier weder Freiheit, Demokratie oder Soziale Marktwirtschaft. Darüber hinaus werden die Menschenrechte nicht geschätzt und geschützt, und die Menschenwürde wird nicht respektiert. Wer den Kapitalismus kritisch betrachtet, muß erkennen, daß eine Auf- und Abwertung der Währungen die Entwicklung begleitet. Besonders unter festen Wechselkursen treten Währungskrisen auf. Überwiegend ist die Ursache allerdings nicht in der Ökonomie, sondern im Politikversagen auf nationaler und internationaler Ebene zu suchen \1 . Die Fiskalpolitik ist zwar noch national geprägt, Ungleichgewichte müssen meistens national ausgeglichen werden. Aber die jüngsten Währungskrisen in Asien, Amerika und Europa haben deutlich gemacht, daß auf den globalisierten Finanzmärkten eine ordnende Hand nötig wäre, die international den Rahmen setzt. Diese fehlt jedoch heute. Die Finanzmärkte können weltweit schwanken und so das reale Wirtschaftsgeschehen unmittelbar beeinflusssen. Daraus entsteht in vielen Ländern bei den Menschen eine mehr oder weniger begründete Globalisierungsangst. Die nationalen Wirtschaften und die internationalen Organe versuchen, dem Rechnung zu tragen und sowohl die Weltwirtschaftsordnung als auch das Phänomen der 010balisierung der Finanzmärkte aufeinander abzustimmen 12.

10 V gJ. Kotios, Angelos, Wahrungskrisen in globalisierten Finanzmärkten und internationale Wahrungspolitik, in: Bernhard Duijm (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Weltwirtschaftsordnung, Hamburg 1999, S. 234. II VgJ. Kotios, Angelos (1999), S. 236. 12 VgJ. Kotios, Angelos (1999), S. 232.

5. Globalisierungsängste

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Globalisierte Finanzmärkte engen allerdings die Spielräume der nationalen volkswirtschaftlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik erheblich ein. Nationale Eingriffe in das internationale Finanzgeschehen sind bei der weltweiten Vernetzung kaum möglich. Das zeigt sich umso deutlicher, wenn diese Politiken bei festen Wechselkursen und gleichzeitiger Kapitalverkehrsfreiheit Anwendung finden. Kapitalverkehrsfreiheit, Wechse1kursstabilität und wirtschaftspolitische Autonomie sind in einer Volkswirtschaft nicht gleichzeitig zu verwirklichen. Um Währungskrisen bei festen Wechselkursen zu vermeiden, ist auf die Stabilität der Währung, auf eine Funktionstüchtigkeit der Märkte und auch auf die Effektivität des Bankensystems zu achten. Allerdings wird auch bei flexiblen Wechselkursen eine Wirtschaftspolitik, die den Anforderungen nicht genügt, durch Abwertung "bestraft,,13. Nationale Wabrungs- und Wirtschaftskrisen lassen sich nicht durch die Globalisierung vollkommen vermeiden. "Solange es freie Märkte, freie Staaten und diverse nationale Wabrungen gibt, solange wird die Welt mit Währungskrisen leben. Eliminierung dieser Krisen kann theoretisch nur bei einer Weltwährung erreicht werden. Trotzdem kann sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene vieles getan werden, um das Entstehen von Wabrungskrisen zu verhindern,,14. Die Diskussion um die Reform der internationalen Finanzstruktur ist seit Mitte der neunziger Jahre - mindestens seit der Asienkrise - in Gang gesetzt worden. Das Ziel besteht darin, die Risiken auf den weltweiten Finanzmärkten zu verkleinern. Man möchte verhindern, daß Länder gleichsam über Nacht in eine Finanzkrise geraten. Und gleichzeitg möchte man erreichen, daß die Krise des einen Landes nicht auf andere Länder übergreift. Da es keine We1tregierung oder -polizei gibt, liegt der entscheidende Schlüssel zur Vorbeugung bei den einzelnen Volkswirtschaften. Freilich wären auch internationale Aufsichtsinstanzen in den Bereichen der Banken, der Wertpapier- oder Terminmärkte denkbar 15 . Die Neugestaltung der Kompetenzen des Internationalen Wabrungsfonds und der Weltbank wäre in diesem Zusammenhang ein Anfang, um unerwartete Krisen soweit wie möglich abzugrenzen.

5. Globalisierungsängste Oft genug wird unter der Globalisierung der Einfluß des Fremdartigen gesehen, das in eine gewohnte Umwelt einbricht, eine nicht gewünschte Mobilität erzwingt oder gar gewachsene Bindungen zerstört. Globalisierung ruft also nicht nur Zustimmung, sondern auch Widerstand hervor. Man warnt vor einer Entfremdung und verteufelt die Einflüsse, die von außen kommen. Man kämpft nicht nur in der Landwirtschaft, sondern generell in der Gesellschaft - volkstümlich gesprochen 13 14

15

Vgl. Kotios, Angelos (1999), S. 232. Vgl. Kotios, Angelos (1999), S. 237. Vgl. Jahresgutachten 99/2000, Z. 49.

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

gegen eine "McDonalidisierung", die zur Nivellierung der Unterschiede und damit zur Eintönigkeit führt. Die Globalisierung ist weder aufzuhalten noch ist es möglich, sie umzukehren. Aber sie führt zu einer Fülle von Problemen. So gewinnt die Frage, wie der Wettbewerb bei zunehmender Globalisierung aufrecht erhalten werden kann, an Gewicht. Fusionen, die in der jüngsten Zeit vorgenommen wurden, weisen deutlich darauf hin. Mit den Zusammenschlüssen über nationale Grenzen hinaus wollen die Unternehmen den neuen Anforderungen der Märkte gerecht werden. Man meint weiter, wegen des verstärkten Wettbewerbs auf den Gütermärkten wird die Arbeitslosigkeit steigen. Die Weltwirtschaft befindet sich nun einmal in einer Umbruchsituation, in deren Prozeß viele überlieferte Arbeitsplätze fortfallen werden. Weiter wird befürchtet, daß die Arbeiter der Niedriglohnländer alsbald einen Druck auf die Löhne in den entwickelten Ländern ausüben werden. Das werden dann nicht nur die einfachen und nichtqualifizierten Arbeitnehmer, sondern auch die qualifizierten Arbeitskräfte zu spüren bekommen. Sie haben darum Angst vor Einkommenseinbußen oder vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Aber die Gewinne der Unternehmen können wieder investiert werden; und das führt zu neuen Arbeitsplätzen. Oft wird auch nur eine Umschulung der Arbeitskräfte nötig. Aufgrund einer erhöhten Mobilität der Produktionsfaktoren und der unternehmerischen Initiative verstärkt sich zwar der Standortwettbewerb. Manches würde sich indessen auch ohne Globalisierung erfolgreich durchsetzen. Aber diese beschleunigt den Prozeß sehr. Als Bedrohung wird wahrgenommen, daß die sozialen Sicherungsstandards nicht auf die Dauer zu halten sind. Viele Menschen sehen in der Globalisierung der Wirtschaft und des Wettbewerbs nicht nur die Ursache für die Arbeitslosigkeit. Sie erkennen in den weltweiten Fusionen von Firmen die große Gefahr, überlieferte Werte, gewachsene Traditionen in Produktionsverhältnissen, im Umgang mit Menschen, in der Kommunikation und Kooperation zu verlieren. Darum betrachten sie diese Entwicklung mit großer Skepsis, obwohl sie sich gleichzeitig über die positiven Folgen eines weltweiten Wettbewerbs bei den Investitions- und Konsumgütern im klaren sind. Sie wissen, daß sich durch ihn die wirtschaftliche Effektivität in Zukunft verstärken kann. Andererseits weiß man auch, daß sich im Zuge der Globalisierung der Wettbewerb erheblich verschärft hat. Viele Entwicklungsländer drängen mit ihren Produkten und Dienstleistungen vehement auf den weltweiten Markt, also auch auf den der Industrienationen. Die Entwicklungsländer sind sogar bereit, sich entgegen den eigenen Wertvorstellungen den Normen der politischen Überlegungen entwickelter Völker zu öffnen. Der weitgehend positiven ökonomischen Beurteilung der Globalisierung steht ein Unbehagen auf seiten humanistisch und sozial Denkender entgegen. Man erkennt, daß die Friichte des Wettbewerbs und speziell die der Globalisierung ungleich verteilt sind, so jedenfalls sieht es sogar der Internationale Wahrungsfonds. Ängste müssen noch in einem anderen Zusammenhang bedacht werden. Die Angst vor einer weltweiten Umweltzerstörung wird mit der Globalisierung in Ver-

5. Globalisierungsängste

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bindung gebracht. In den weniger entwickelten Ländern mit geringeren Umweltschutzregelungen wird man in der Umweltgesetzgebung eher bereit sein, um zu zusätzlichem Einkommen zu gelangen, zu Lasten der Natur und der jeweiligen inländischen Beschäftigung bestimmte "gefährliche" Industrien anderer Länder und die Entsorgung des dort anfallenden Mülls aufzunehmen. Anderenfalls würde man aufgrund der geringeren Steuerzuwächse ein Defizit an öffentlichen Gütern akzeptieren müssen. Vielfach argwöhnt man, daß sich durch die Globalisierung die Wohlstandskluft zwischen den reichen Industrie- und den ärmeren Entwicklungsländern vergrößern werde. Aber die Entstehung von mehr Armut ist nicht allein der Globalisierung zuzuschreiben. Denn in vielen Ländern fehlt für die Installation eines gesunden Investitionsklimas die notwendige Rechtssicherheit oder die politisch-demokratische Infrastruktur, die für die Entwicklung notwendig ist. In den Industrienationen dagegen befürchtet man einen Abbau des Sozialsystems und hat Angst, daß es zu einer Ohnmacht auf dem Gebiet der nationalen Wirtschaftspolitik und deren Zielsetzung kommen kann 16 • Die Treffen der Welthandelsorganisation WTO, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sind heute mehr denn je von Massenprotesten begleitet. Gegner haben, wie bereits dargelegt, an unterschiedlichen Orten besonders in den letzten zwei Jahren demonstriert. Die Proteste waren mannigfaltig und vielfach von Krawallen begleitet. Sie sind bis heute emotional gesteuert. In ihnen drückt sich tiefe Angst großer Bevölkerungsteile aus, die in der Globalisierung vor allem in den grenzüberschreitenden Transaktionen privater Unternehmer einen Angriff gegen die Verteilung der Güter sieht. Das Gewaltpotential ist gestiegen. Merkwürdig ist bei diesen Demonstrationen, daß die Globalisierungsgegner sich zwar gegen das Reicher-Werden der so genannten Kapitalisten wenden, aber wenig Interesse für die Armen zeigen. Mancher glaubt freilich, den aufgetretenen islamischen Terrorismus mit der Verarmung großer Bevölkerungsschichten und der entstandenen weltweiten Ungerechtigkeit in Verbindung zu bringen. Der Terrorimus, wie er sich in der Zerstörung der Gebäude der World Trade Centers und des Pentagons gezeigt hat, so meint man, sei nur zu erklären aus der langjährigen Unterdrückung und Verarmung in vielen Ländern des vorder- und mittelasiatischen Raumes. Im Auftreten von Armut und Arbeitslosigkeit und in der Ausbeutung der Ärmsten in den armen Länder sieht man internationale Organisationen und Institutionen am Werk. Aber dieser Zusammenhang ist nicht eindeutig nachgewiesen, sondern stellt nur eine Behauptung dar. Stattdessen gilt: Je mehr die Zahl derer steigt, die in der Globalisierung eine Chance für die Weltwirtschaft sehen, um so mehr wächst auch die Möglichkeit, in ihr den Weg zu erkennen, die weltweiten Verhältnisse zu verbessern. Man öffnet sich künftig eher anderen Völkern und deren Wertvorstellungen. Aus einer Umfrage der deutschen Banken aus dem Jahr 2000 geht hervor, daß 74,8 % aller in Deutschland Befragten glauben, daß Menschen aus verschiedenen 16

Vgl. Donges, Juergen (1998), S. 4.

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2. Kap. : Globalisierung ethisch verantworten

Ländern und Kulturen durch die Globalisierung mehr Verständnis füreinander entwickeln 17 • Andererseits aber ruft die Globalisierung Widerstand hervor. In Deutschland sind immerhin noch 46% der Befragten der Meinung, daß durch die Globalisierung die Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern eher zunehmen als sich verringern. Die Zahl der Menschen, die mit umgerechnet weniger als einem USDollar pro Tag ihr Auskommen fristen müssen, ist von 1987 bis 1998 um 1,3% auf 1,2 Milliarden gestiegen. Allerdings wuchs auch die Bevölkerung in den ärmsten Ländern um ein Vielfaches; sie nahm um 20 Prozent in ca. zehn Jahren zu. Viele Menschen - vor allem in den europäischen und amerikanischen Staaten streben deshalb nach einer anderen sozialeren und darum gerechteren Welt. Man meint, die Globalisierung reduziere die sozialen Besitzstände. In der erwähnten Umfrage glauben weiter 46% der Befragten, daß in Deutschland die soziale Sicherheit dadurch in Not geraten ist. Daß die Arbeitsplätze gefährdet seien, meinen immerhin noch 49,5%. Viele sehen eine Verstärkung der Zahl der Arbeitslosen voraus. Dagegen meinen wiederum andere, daß sich aufgrund des weltweiten Wettbewerbs und des freien Spiels der Marktkräfte der Wohlstand aller vervielfältigen werde! Die Globalisierungsgegner können heute mit ihren Massenprotesten viele Ängste schüren. Das liegt u.a. auch an dem weltweiten Informationsdefizit der Bürger in den Industrieländern. Es bedarf einer stärkeren Aufklärung über die Chancen und Vorteile der Globalisierung gegenüber den Ängsten und kritischen Bewertungen. Daß es in zahlreichen Ländern Armut gibt, liegt keineswegs nur an der Globalisierung, sondern vor allem an der Tatsache, daß es in diesen an politischer Kultur und Infrastruktur fehlt. Die weltweite Wirtschaft befindet sich außerdem in einem Umstrukturierungsprozeß, und die Globalisierung hat diese Wandlung nur beschleunigt. In der nationalen Politik ist darauf hinzuweisen, daß internationale Organisationen wie die WTO, die Weltbank oder der IWF heute die Verantwortung übernehmen müssen, die früher nationale Instanzen wahrgenommen haben. Die Europäische Vereinigung ist mit ihrem Rat und ihren Kommissionen ein Zeichen dafür. Ohne die weltweite Verflechtung der wirtschaftlichen Beziehungen ginge es sicher heute vielen Ländern schlechter. Ohne den internationalen Warenaustausch zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern hätte es den Erfolg der sogenannten Tigerstaaten gar nicht gegeben. Taiwan, Südkorea, Malaysia, Singapur und Thailand haben sich längst von der absoluten Armut befreit. Seit jeher steht der Mensch unter dem rasenden Vergehen der Zeit. Auch die Globalisierung steht unter einem Zeitdruck. Denn ihr Tempo beschleunigt sich ständig. Die Zeit und ihre Unwiederbringlichkeit wird zu einem Problem, das 17

Wirtschaftswoche Nr. 48 vom 23. 11. 2000.

6. Einrichtung von globalen Steuerungsorganen

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bereits heute zu einer beträchtlichen Veränderung der Kommunikation und Ökonomie geführt hat.

6. Einrichtung von globalen Steuerungsorganen Globalisierung ist keine Entwicklung, die nur nach oben führt. Sie muß als ambivalent angesehen werden. Denn sie kennt Gewinner und Verlierer. Zu den Aufund Absteigern gehören nicht nur Personen und Unternehmen, die aufgrund eines ruinösen Wettbewerbs dem Untergang geweiht sind, sondern auch Staaten, deren Entwicklung dadurch entscheidend beeinflußt werden. Die Globalisierung fordert eine Ordnung der Märkte durch die führenden Staaten. Hans Küng erhebt zusammen mit internationalen Ökonomen und Finanzfachleuten Forderungen zur Verbesserung und Stabilität der finanziellen und ökonomischen Struktur. Dazu zählt er, um zu einem Weltethos zu kommen, "eine zentrale Aufsicht über Finanzinstitute und -märkte (Henry Kaufmann), eine Weltzentralbank (Jeffrey Garten), eine einheitliche Weltwährung (Richard Coopers), eine internationale Schuldenversicherungsagentur (George Soros), eine internationale Konkursinstanz für Staatsschulden (Jeffrey Sachs), eine minimale Wechselkurssteuer (James Tobin),,18. Zwar ist eine Nützlichkeit einiger Organe nicht von der Hand zu weisen, aber es bleibt die Frage nach einer allgemein-politischen, wirtschaftlichen und ethischen Durchsetzbarkeit. Selbst wenn sie eingeführt würden, dürfen diese Organe die Freiheit der Märkte nicht strangulieren. Zu fragen wäre, wer dann bei Verstößen die Sanktionen übernähme? Und außerdem: wie können diese durchgesetzt und in nationales Recht umgemünzt werden, da die Einführung eines gemeinsamen Ethos zwischen den Völkern abhängig ist von einer weltweiten Übereinstimmung? Schließlich würden dirigistische Maßnahmen, die durch die internationalen ethischen Organe leicht eingeführt werden können, den Märkten schaden. Die Entwicklungsländer profitieren nämlich von dem internationalen Wettbewerb und Handelsaustausch. Würde dem nicht Rechnung getragen werden, müßten umfassende Importsubstitutionen eingeführt werden. Sucht man eine ,,zähmung" der Globalisierung durch entsprechende Organe zu erreichen, ergehen Forderungen nach Umwelt- und Sozialstandards. Aber diese können nicht überall helfen. Denn die Unternehmen suchen sich selbst aus, wo sie am besten, also am billigsten produzieren können. Eine Festlegung internationaler Mindeststandards brächte den ärmsten Entwicklungsländern keine Entlastung, weil ihnen dadurch kein Standortvorteil verschafft, sondern dieser gerade genommen wird. Entwicklungsländer sperren sich deshalb nicht zu Unrecht den Umwelt- und Sozialstandards. Das Argument der Globalisierungsgegner, daß sich das mobile Kapital der Besteuerung entzieht und den Standortvorteil der armen Länder zunichte macht, ist nicht stichhaltig. Denn ein Sozial18 Küng, Hans, Die ethische Dimension der Globalisierung, in: Klaus Mangold (Hrsg.), Dienstleistungen im Zeitalter globaler Märkte, Frankfurt am Main 2000, S. 55.

2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

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staat kann durchaus ein Standort sein, weil er zum sozialen Frieden beiträgt I 9. Schließlich weiß man sehr wohl bei internationalen Unternehmen das Funktionieren des Rechtssystems, eine korruptionslose Verwaltung und einen guten Ausbildungsstandard zu schätzen. Die Größenordnung der weltweiten Kapitalströme von mehr als einer Billion Dollar am Tag ruft Befürchtungen der Überschwemmung mit dieser großen Menge von Geld hervor, die die betroffenen Länder in die Krise stürzen könnten. Vom wirtschaftlichen Standpunkt ist dabei zu bedenken, daß das Kapital bei einem funktionierenden Wettbewerb dorthin fließt, wo es knapp ist, also in die kapitalärmeren Länder. Zwar kann das Weltsozialprodukt steigen. Da die Kapitalströme aber trotz des Bewußtseins der Gobalisierung Angst verbreiten und als Bedrohung empfunden werden, fordert man Beschränkungen und Kontrollen des internationalen Kapitalverkehrs 2o • Die Geldwertstabilität ist gefahrdet, wenn Gelder in großem Umfange unerwünscht zufließen und es so zu einer Aufwertung kommt. Bei Kapitalabflüssen kann es unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen zur Abwertung kommen. Mit der Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs können Kapitalbewegungen zunehmen und dadurch internationale Finanzkrisen hervorrufen. . Ein Land, das stark in den Welthandel einbezogen ist - wie Deutschland - kann und darf sich einer Tendenz zur Globalisierung nicht entziehen 21 . Aber der damit verbundene Vorgang verändert zwangsläufig die Handlungsweisen der Politik22 • Wahrend die nationale Wirtschaftspolitik trotz der Globalisierung und unabhängig von ihr die Aufgabe hat, nationale Fehlentwicklungen zu korrigieren, fordert die Globalisierung eine Abkehr vom Nationalstaatsdenken. Eine Internationalisierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist gefragt. Trotzdem aber wird es auch in Zukunft eine nationale Politik und eine nationale Finanzwirtschaft geben. Es ist notwendig, einen nationalen wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen zu erlassen. Dieser muß so gestaltet werden, daß die Märkte auch weiterhin funktionieren können. Denn man kann ihnen nicht vorschreiben, wie sie reagieren sollen. Sie funktionieren nach Vorgaben der einzelnen Marktteilnehmer. Es ist die Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen zu setzen, aufgrund derer der Wettbewerb zu ordnen ist. Die staatliche Politik muß bedenken, daß sie die Kräfte des Marktes nicht außer Kraft setzen kann - auch nicht, wenn sie meint, aus Griinden der sozialen Gerechtigkeit dieses tun zu müssen. Wer meint, die Konsequenzen ignorieren zu können, weil er um einer besseren Verteilungs gerechtigkeit willen notwendige Reformen Vgl. FAZ vom 26. Januar 2001, S. 13. Vgl. Willgerodt, Hans, Neue Kontrollen für den internationalen Kapitalverkehr?, in: Juergen B. Donges 1Andreas Freytag (Hrsg.), Die Rolle des Staates in einer globalisierten Wirtschaft, Stuttgart 1998, S. 122. 2\ Vgl. Jahresgutachten 1999/2000 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesarntwirtschaftlichen Entwicklung, Z. 234. 22 Vgl. Jahresgutachten 1997/98, Z. 306. \9

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7. Behandlung der Globalisierungsdefizite

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verweigert, handelt gegen die Gesetzmäßigkeit des Marktes und damit letztlich verantwortungslos 23 . Ob es dem Ordnungsrahmen gelingen wird, die nationalen und internationalen Interessen auszugleichen und z. B. auch die Umweltprobleme in den Griff zu bekommen, ist nicht von vornherein abzusehen. Eher wird man eine Diskrepanz zwischen nationalen und internationalen Interessen festzustellen haben und eine Verschärfung der Umweltprobleme befürchten müssen. Aufgrund der weltweiten Verflechtung entstehen auch auf dem Gebiet des Tourismus problematische Seiten der Globalisierung. Nicht nur der Wohlstand wird steigen, sondern auch Krankheiten können eingeschleppt werden. Die Verflechtung der Weltwirtschaft fördert darüber hinaus auch den Import bei den Entwicklungsländern von nicht erwünschten Gütern wie Müll, Giftstoffe, Rüstungsgüter, Drogen etc. Andererseits findet im Export eine weltweite Ausbeute der Natur statt (z. B. durch die Ausfuhr von Tropenholz, Verstöße gegen den Artenschutz etc.). In den Industrieländern treten andere Gefahren beispielsweise im Verhältnis von Globalisierung zum Wettbewerb auf. "Die Globalisierung bewirkt eine Zuspitzung der Probleme eines Landes, dem es nicht gelingt, die Angebotsbedingungen so zu gestalten, daß die verfügbaren Arbeitskräfte in marktorientierter Produktion Beschäftigung finden ... Globalisierung und internationaler Wettbwerb verändern aber die Handlungsbedingungen der Politik; zugleich verschärfen sie die Folgen von Unterlassungen,,24.

7. Behandlung der Globalisierungsdefizite Heute versuchen die Kritiker der Globalisierung die Freizügigkeit des internationalen Kapitalverkehrs infrage zustellen. Sie behaupten, die finanziellen Transaktionen würden vor allem von privaten Interessen geleitet. Die Globalisierungsgegner wollen darum vor allem bei den spekulativen Devisengeschäften Schäden für die Entwicklungsländer abmildern. Als Mittel glaubt man, die Tobin-Steuer einsetzen zu können. Diese will weltweit die Finanztransaktionen erschweren. Der Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin hat bereits 1971 die Idee einer Devisenumsatzsteuer geboren. Danach sollen die Umsätze im Devisengeschäft mit einem Prozent aller Umsätze belegt werden. Er wollte so den Währungs- und Finanzspekulationen Einhalt gebieten. Die erzielten Einnahmen sollen nach den heutigen Protagonisten der Bekämpfung der Armut in der dritten Welt zugute kommen. 23 V gl. Jahresgutachten 1999/200 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Z. 247 f. 24 Jahresgutachten 1997/98 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Z. 306.

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Die Gefahr, die mit einer Tobin-Steuer verbunden ist, liegt nicht allein in der Bekämpfung der Spekulation, sondern in der Steuer selbst. Sie soll nämlich gleichzeitig als Finanzierungsquelle der Entwicklungshilfe dienen. Weiter geht sie von der Voraussetzung aus, daß die weltweiten Devisenumsätze spekulativer Natur sind. Indes, immer mehr Devisengeschäfte dienen nur der Kurssicherung von Exporten. Außerdem werden die Wechselkursausschläge von ihr keineswegs zwangsläufig geglättet. Denn die Devisenumsätze verringern sich durch die Steuer. Außerdem verliert das Wechselkurssystem an Flexibilität. Die Wechselkurse können sich nunmehr nicht elastisch einstellen. Da die Transaktionskosten steigen, wird der Handel mit Waren und Dienstleistungen teurer. Damit schwächt sich auch der Handel der Entwicklungsländer ab, also gerade die Quelle, mit der diese Länder am Wohlstand teilhaben können. Die Befürworter der Tobin-Steuer sind der Meinung, daß es nicht sinnvoll sei, die Ressourcen durch Spekulationen im hektischen Tagesgeschäft zu "verschleudern". Das soll darum durch eine entsprechende Steuer verhindert werden. Auf dem freien Kapitalmarkt werden gerade die Vermögenswerte ständig neu bewertet. Die wichtigste Hilfe bei der Entscheidung ist für jeden Marktteilnehmer die Markteinschätzung durch die anderen Marktteilnehmer. Erst durch diese Beurteilung kommt es zu einem Kauf bzw. Verkauf der Aktie bzw. des Vermögens wertes. Eine Steuer auf diese Dienstleistung ist dann aber nichts anderes als eine Steuer auf die Fähigkeit des Marktes, die Werte recht zu beurteilen. Die Befürworter dieser Steuer glauben weiter, daß nur der internationale Kapital verkehr die Regierungen davon abhält, für die soziale Sicherheit zu sorgen. Ihre Kritiker dagegen meinen, daß der Kapitalverkehr die soziale Sicherheit gewährleistet; denn der Kapitalverkehr bringt diese Staaten zur Raison. Die Steuer aber tut gerade das Gegenteil. Allerdings könnte ihre Durchsetzung funktionieren. Aber dann müßte sie weltweit ohne Einschränkung eingeführt werden. Indessen, es wird immer wieder Steueroasen in der Welt geben, so daß man sich von ihrer Erhebung befreien kann. Hinter ihrer Ablehnung steht der Gedanke, daß es wenig Sinn hat, die Finanzmärkte zu strangulieren. Sie besagt indessen nicht, daß es überhaupt keine Eingrenzungen für den Zustrom von Auslandskapital geben darf. Bei Überschuldung oder starker Kapitalflucht können in bestimmten Entwicklungsländern durchaus protektionistische Maßnahmen ergriffen werden. Auch steuerpolitische Eingriffe sind zur Eindämmung von Kapitalzuflüssen denkbar.

7.1 Mindeststandards für die Entwicklungsländer Die Freiheit der Gesellschaft bildet in den Ländern dieser Welt die Grundvoraussetzung des politischen und gesellschaftlichen Fortschritts. Sie gewährt auch die Entfaltung wirtschaftlichen Handeins und wird einerseits als Freiheit von allzu

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straffer Gesetzlichkeit und staatlichem Dirigismus bzw. Protektionismus empfunden. Sie ist die Freiheit des Individuums, sein Schutz vor staatlicher Willkür und damit seine Bindung an Recht und Ordnung. Freiheit heißt aber auch Verpflichtung gegenüber den Menschen und der Gesellschaft. Die Forderung nach der praktizierten unternehmerischen Freiheit als Kampf gegen unnötiges Regelwerk und die Wahrnehmung der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bedingen einander. Zu der Realisierung der Freiheit gehört ferner ein freier Wettbewerb. Der Staat hat die Aufgabe, für diesen Wettbewerb und damit für die Freiheit des Marktes Sorge zu tragen. Zur Entwicklung ist ein politisch-demokratisches Regierungssystem nötig, in dem der Staat die Rahmenbedingungen für die Wirtschaftsordnung zu setzen hat. Ferner ist ein System mit einem intakten Justizapparat notwendig, das gegen Korruption und Mißwirtschaft in Gesellschaft und Verwaltung die notwendigen Schritte unternehmen kann. Zur Realisierung der Menschenwürde gehört schließlich, daß der Arbeitnehmer einen Lohn erhält, der ihn in die Lage versetzt, sich und seiner Familien ein Leben über dem Existenzminium zu sichern. Ein Marktlohn, der diesen Mindeststandard unterschreitet, ist ethisch nicht zu verantworten. Bereits Papst Leo XIII. hat in seiner Enzyklika Rerum Novarum um der Gerechtigkeit willen gefordert, daß der Arbeiter einen solchen Lohn verdienen muß, der es ihm ermöglicht, "sich mit Frau und Kind anständig zu erhalten,,25. Zu den Minimalbedingungen, die erfüllt sein müssen, gehören grundlegende spezielle und individuelle Arbeiterrechte, wie Redefreiheit, Versammlungsrechte und kollektive Rechte, Koalitions-, Tarifvertragsund Streikrecht. Alle diese sind heute in den Industrieländern zum guten Teil erfolgreich durchgesetzte Rechte. Aber sie müssen in den Arbeitsrechten der Entwicklungsländer eingefordert werden. Unternehmerisches Verhalten muß von einem Grundkonsens ausgehen, etwa von der Goldenen Regel aus Mat.l2 (s. S. 20). Die Einhaltung dieser Ordnung kann zwar mit Gewinnminderung und mit Kostenererhöhungen verbunden sein, aber bei einer Nicht-Einhaltung kann es sehr schnell zu noch höheren Gewinneinbußen oder einem starken Imageschaden führen. Der globale Markt strebt nach Wettbewerbsvorteilen. Zugleich bestraft er die Unternehmen, die sich langfristig über das moralische Verhalten nach der Goldenen Regel hinwegsetzen. International gibt es kaum ein unternehmerisches Fehlverhalten, das nicht Folgen zeitigt. Der "Sündenfall" einer Tochtergesellschaft schlägt heute schlechthin auf die Muttergesellschaft zurück. Waren in früheren Jahrhunderten in fremden Ländern begangene ökonomische Fehler fast unwichtig für die Muttergesellschaft, müssen sich die Unternehmer in der Zentrale diese heute direkt vorhalten lassen. 25 Papst Leo XIII. Rerum Novarum, n. 35, in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, Texte zur katholischen Soziallehre, Kevealer 4 1977.

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

7.2 Wertekonsens in der Globalisierung Die Globalisierung ist kein Naturereignis wie ein Vulkanausbruch oder ein Erdbeben, sondern ein durch Regierungen und Institutionen geschaffenes Phänomen, das mit Hilfe von Zentral banken und internationalen Körperschaften initiiert und gesteuert wird. Die Globalisierung bringt zwar Gewinner und Verlierer hervor, aber die positive Einschätzung hat mehr Anhänger als die negative. Man ruft nach einem Wertekonsens, der zwischen den Völkern, Nationen und Religionen als Verbindungslied herrschen soll. Aber die Frage stellt sich: wie soll ein solcher Konsens erreicht werden? Nicht einmal in derselben Gesellschaft ist eine Werte-Gemeinschaft herzustellen. Oft wird ein Konsens darüber nur aufgrund der Mehrheitsverhältnisse geschaffen. Man denke an die Abtreibungsdebatte, die Diskussion über die Gentechnologie und das Klonen von Menschen. Je pluralistischer die Gesellschaft wird, umso schwieriger ist es, eine weltweit gültige Werteskala herzustellen. Dazu sind die einzelnen Traditionsstränge in der Geschichte, der Philosophie, den Religionen und den Gesellschaftswissenschaften zu uneinheitlich. Die bereits auf dem politischen Gebiet vorhandenen Rivalitäten wirken sich auch auf den ökonomischen Rahmen aus. Zweifelhaft ist es sogar, ob ein Minimalkonsens bei den Wertvorstellungen zu erreichen ist. Weiter stellt sich die Frage, wie eine Ethik in den einzelnen Unternehmen realisiert werden kann. Nur ein florierendes Unternehmen kann am Markt bestehen und Kunden bzw. Lieferanten bedienen. Ein insolventes Unternehmen wird sich kaum einer Ethik verschreiben, die ihm keine Überlebenschance verspricht. Weder im nationalen noch im internationalen Rahmen läßt sich Ethik von oben her verordnen. Ethik muß sich herausbilden und auf Akzeptanz stoßen. Außerdem muß es sich für den einzelnen Menschen und das jeweilige Unternehmen lohnen oder, wie man heute gern sagt, "rechnen".

7.3 Globalisierung und soziale Gerechtigkeit Soziale Gerechtigkeit ist ein Ziel begriff. Man kann sie nicht objektiv bestimmen. Wenn eine soziale Größe nicht allgemein festgelegt werden kann, ist auch nicht zu beurteilen, wieweit der Grad der Zielerreichung durchgesetzt werden kann. Jedes Mitglied der Gesellschaft hat seine eigene Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Darum ist bei der Diskussion über sie auch keine aufs Ganze der Gesellschaft bezogene Definition von sozialer Gerechtigkeit voraussetzbar. Oft werden zur Bestimmung der sozialen Gerechtigkeit als Meß- oder Richtungsgrößen Vermögen oder Einkommen genommen. Dabei bleibt zu fragen, wie es mit den nicht-monetären Größen aussieht? Wie sind diese zu bestimmen etwa hinsichtlich des Gesundheitszustandes, der Beteiligung an Freiheit oder an der Freizeit? Soziale Gerechtigkeit ist nur verstehbar als ein Verhältnisbegriff. Ihr Maßstab ist nicht nur von individuellen Vorstellungen, sondern auch von regionaler, ökonomischer und kultureller Teilhabe abhängig. Sie ist eine andere, je nachdem, ob sie in

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den Industrieländern oder in den Entwicklungsländern definiert wird 26. Aber es bleibt das Ziel, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Man muß sich freilich im klaren sein, daß sie in den Ländern oder Völkern beträchtlich unterschiedlich aussieht. Ebenso ist sie in den einzelnen Wirtschaftssystemen zu unterscheiden. Auch die Marktwirtschaft schafft keine soziale Gerechtigkeit, wenn sie auch nach Leistungsgerechtigkeit entlohnt. Denn nach Leistung werden die Produktionsfaktoren gemäß ihrem Beitrag zum Sozialprodukt bezahlt27 . Diesen Ausgleich besorgt der Preismechanismus; "denn die Marktpreise reflektieren die allgemeine Wertschätzung der erbrachten Leistungen so, wie sie in der Zahlungsbereitschaft der Nachfrager zum Ausdruck kommen,,28. Die soziale Gerechtigkeit will Unausgeglichenheiten inerhalb der Marktwirtschaft korrigieren. Vom Staat verlangt sie, entstandene Ungleichgewichte auszubalanzieren. Die iustitia distributiva (Verteilungsgerechtigkeit) wird eine nachträgliche Verbesserung der schwächeren Glieder der Volkswirtschaften zu erreichen versuchen. In Rahmen der Globalisierung soll die Frage der sozialen Gerechtigkeit nicht mehr unter nationalstaatlichen Grenzen, sondern unter weltweiten Gesichtspunkten diskutiert werden. In Zukunft muß der Maßstab für die soziale Gerechtigkeit international sein. Wirtschaften bedeutet, mit knappen Ressourcen zu leben. Der Markt ist das Lenkungsinstrument für die effektive Nutzung der Güter und Dienste. Märkte sind die "Diagnostiker der Knappheit,,29. Da die Marktwirtschaft es mit Menschen zu tun hat, die aus weitgehendem Eigennutz handeln, bedarf es einer Ordnung, die diesem Rechnung trägt. Der Preismechanismus gleicht über den Markt den unvollständigen Wissensstand des einzelnen aus, "da die dezentral vorhandenen Informationen durch ihn verarbeitet werden und damit Signale an die Marktteilnehmer geben,,3o. Die Globalisierung muß, wenn man in ihr ein Streben nach der sozialen Gerechtigkeit sieht, als Entgrenzung verstanden werden. Denn die nationalen Grenzen werden wegfallen. Zugleich wird eine Entstaatlichung einsetzen. Denn nunmehr wird in der Sozialpolitik nicht der Staat für den Wohlstand der Bürger Sorge tragen können. An seine Stelle treten individuelle und familiäre Kräfte. Die Realisierung des Subsidiaritätsgesetzes liefert dabei die Grundlage für die persönliche Eigenvorsorge. Da Rentenversicherungen heute zusätzlich durch Kapitaldeckungsverfahren abgesichert werden sollen, wird die Suche nach Kapitalanlagen immer mehr zunehmen. Das bedeutet für das ganze Sozialsystem, daß seine Gestaltung nun nicht Vgl. Kramer, Rolf, Soziale Gerechtigkeit - Inhalt und Grenzen, Berlin 1992, S. 102 ff. Vgl. Walter, Norbert, Globalisierung - Ende der Gerechtigkeit, in: Kirche und Gesellschaft Nr. 282, Köln 2001, S. 7. 28 Walter, Norbert (2001), S. 7. 29 Walter, Norbert (2001), S. 14. 30 Walter, Norbert (2001), S. 15. 26 27

4 Kramer

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mehr primär durch die jeweiligen Staaten stattfinden kann, sondern durch Eigenvorsorge und familiäre Bindungen vorzunehmen ist. Denn bei globalisierten Märkten können die notwendigen Reformen nicht mehr durch sozialstaatliches Handeln erreicht werden. Globalisierung sollte also auf ökonomischem Gebiet ein doppeltes bedeuten: Verstärkung des Wettbewerbs und gleichzeitige Verminderung staatlicher Einflußnahme.

8. Globalisierung und Migration Globalisierung betrifft auch die Wanderung von Menschen, die über Staatsgrenzen hinweg mobil sein wollen oder es aus politischen beziehungsweise ökonomischen Gründen müssen. Globalisierung ist mit der Migration verbunden. Die Menschen wollen sich weltweit bewegen können. Sie müssen es sogar tun, wenn es zu einer Globalisierung kommen soll.

8.1 Migranten als Nomaden der Gegenwart Die Migranten von heute sind die Nomaden der Gegenwart. Man kann sie differenzieren nach Fremdarbeitern (Gastarbeitern) und nach solchen, die durch Kriege oder Umweltkatastrophen vertrieben wurden bzw. zu Flüchtlingen geworden sind. Darum spricht man auch von freiwilliger (z.B. Studentenwanderung, Familienzusammenführung) und erzwungener Migration (aufgrund von Verfolgung, Unterdrückung, Katastrophen), obwohl nicht immer zwischen beiden klar unterschieden werden kann. In Zeiten stabiler Grenzen werden Wanderungen von Menschen in größerem Ausmaß als Störung des Zusammenlebens empfunden. Das ist auch heute noch so. Da in unserer Welt kaum jemand an dem Ort stirbt, an dem er geboren wurde, ändert sich die Zusammensetzung der Weltbevölkerung unentwegt. Ortswechsel sind geradezu typisch für den modernen Menschen. Jährlich sind 90 bis 100 Millionen Menschen unterwegs. Davon können 75 Millionen als Arbeitsmigranten gezählt werden. Zugenommen hat ferner die Zahl der Menschen, die nach Umweltkatastrophen wie Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen ihre Heimat verlassen müssen. Gewachsen ist die Zahl der Flüchtlinge, die beim Bau von Staudämmen, infolge von Desertifikationen von Ackerland infolge von Abholzen ihre Heimat verlassen müssen. Der Flüchtling ist - wie der Migrant - ein Nomade. Aber er will meist dorthin zurück, woher er gekommen ist. Der Migrant dagegen ist ein Nomade widerwillen. Migranten haben alles versucht, um dort zu bleiben, wo sie eigentlich leben wollen, aber kaum noch bleiben können. Die Migration hat mindestens einen Vorlauf. Denn die Migranten haben ein Ziel. Sie dürfen, wenn es soweit ist, das an Hab und

8. GlobaIisierung und Migration

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Gut mitführen, was sie tragen können. Der Flüchting dagegen kann nur das mitnehmen, was die Flucht "erlaubt". Eine Flucht findet ohnehin Hals über Kopf statt. Die modeme Welt braucht den Gastarbeiter. Ohne das Können und den fleiß dieser modemen Nomaden läuft die Ökonomie nicht. Migration ist darum ein wichtiger Teil der Globalisierung. Diese kommt ohne eine globale Migration nicht aus. Andererseits ist die modeme Welt ohne den globalen Bürger nicht zu denken. Allein aufgrund einer Migration der Bürger gibt es das Fluchtkapital. Beide, Migration und capital flow, gehören zusammen. Die neue modeme Welt bringt den Bürger hervor, der ihr angemessen und gewachsen ise l . Globalisierung der Wirtschaft braucht einen global orientierten und mobilen Menschen.

8.2 Theologische Überlegungen zur Migration Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes. Der Fremde steht nach dem Alten und Neuen Testament unter dem besonderen Schutz Gottes.

8.2.1 Der Fremde im Alten Testament

Das Alte Testament kommt von der unmittelbaren Erfahrung des Volkes Israel als eines Fremdlings in Ägypten, seiner Unterdrückung und schließlich der Befreiung aus der Fremdlingsherrschaft her: "Mein Vater war ein Aramäer, dem Umkommen nahe, und zog hinab nach Ägypten und war dort ein Fremdling mit wenigen Leuten und wurde dort ein großes, starkes und zahlreiches Volk ... Und der Herr erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not und führte uns aus Ägyptenland mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder, und brachte uns an diese Stätte und gab uns dies Land, darin Milch und Honig fließt" (5. Mos. 26,5 ff.). Weil das Volk also selbst Sklaverei und Fremdlingsherrschaft erlebt hat, hat es gelernt, damit recht umzugehen. Daraus folgt das Gebot, andere Fremdlinge zu schützen. "Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisset um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid" (2. Mos. 23, 9). Ähnlich lautet es an anderer Stelle: "Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland" (3. Mos 19,33f.). Die Erde wurde nicht einem einzelnen Menschen, sondern allen anvertraut. Ihr Schutz und ihre Bewahrung ist eine Pflicht aller. "Und Gott segnete sie (seil. die Menschen als Mann und Frau) und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan ... " (1. Mos. 1,28). Schließ31

4*

Vgl. zum Ganzen: Schlögel, Karl, Planet der Nomaden, Vontobel Stiftung, Zürich 2000.

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

lich ist die Erde Gottes Eigentum, sie gehört ihm allein. "Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen" (Ps. 24, I). Die Begründung liegt in der Selbstoffenbarung Gottes. Er sagt von sich selbst im 1. Gebot: "Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt hat" (2. Mos. 20,2). Die Befreiung aus der Sklaverei ist ebenso wie der Schutz des Fremden ein wesentlicher Bestandteil der alttestamentlichen Gebotstafein. Gott ist der, der Schutz gewährt und zugleich den Menschen befreit. Daraus folgt der Auftrag für den Menschen. Er ist Ebenbild Gottes, wie es im ersten Schöpfungsbericht heißt: "Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau" (1. Mos. 1,27). Er ist als einzelner Gottes Geschöpf. Darin gründet die Würde des Menschen. Er ist Abbild seines Vaters. Die Urgeschichte des Menschen im Alten Testament will nicht die Geschichten aus der Vorzeit nacherzählen, sondern stellt die Erfahrungswelt unseres Lebens dar. Die ganze Geschichte Israels weist die "Bandbreite menschlicher Erfahrung" aue 2 . Flucht und auch Wanderung gehören zum menschlichen Dasein. Abraham, der Urvater Israels, gehorchte dem Herrn, seinem Gott, und zog aus seinem Vaterland und seiner Verwandtschaft und aus seines Vaters Haus in das Land, das der Herr ihm zeigen will (1. Mos. 12,1). Er zog ins Land Kanaan und von dort weiter ins Land der Ägypter33 . Auch Jakob mußte fliehen. Er suchte das Heil in seiner Flucht vor seinem Bruder Esau. Später wanderte er dann wegen der großen Hungersnot nach Ägypten (1. Mos. 27, 41 ff.). Israels Geschichte ist eine Geschichte der Migration. Ebenso kann auch die Geschichte der christlichen Kirche als eine der Migration betrachtet werden. Migration ist der Sache nach ambivalent. Wanderung bedeutet negativ Aufbruch, Lösung aus vertrauten Bindungen. Sie bedeutet gleichzeitig positiv die Chance der Entdeckungen und die Möglichkeit, Neues kennenzulernen. Migration heißt schließlich auch Flucht. Aus der Flucht wiederum wird, wenn sie gewaltsam erzwungen wird, Vertreibung. Das kann für ganze Völker Heimatlosigkeit (5. Mos. 9,4); 18,12) oder Genozid (Jos. 23,9) bedeuten. Der Mensch auf der Flucht oder in der Vertreibung verliert sein Zuhause. Er wird ruhe- und rastlos. Gottes Ruf lautet: "Wo ist dein Bruder Abel?" Aber Kain sprach: "Ich weiß es nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?" (1. Mos. 4,9). Der Glaube an den Gott des I. Gebots macht aus dem Fremden den Mitmenschen, der Schutz, Gastrecht und Liebe erwarten kann. Entsprechend dieser individuellen Gestaltungsaufforderung hat das Volk Israel seine Rechts- und Lebensordnung zu gestalten. "Die Rechtsordnung des Gottesvolkes, die im Glauben an Jahwe gründet, muß sich vor allem im Umgang mit den Fremden und Schwachen bewäh32 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland " ... und der Fremdling, der in deinen Toren ist" Gemeinsames Wort der Kirchen, Hannover 1997, Z. 123. 33 Gemäß der Überlieferung sollte nach einem alten Glaubensbekenntnis jeder Israeli bei der Darbringung der Erstlingsfrüchte die Worte aus dem Deuteronomium bekennen (5. Mos. 26,5 ff.).

8. Globalisierung und Migration

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ren. Gastfreundschaft, rechtliche Absicherung und Integration für den Fremden sind Verpflichtungen der Jahwegläubigen, ohne daß Israel seine eigene Identität als Gottesvolk aufgeben darf,34. Das Lebensrecht des einen ist zugleich das Lebensrecht des anderen. Der Mensch ist also nicht nur einfach Mensch, sondern auch Mit-Mensch. Das Personsein schließt die Verbindung zum anderen Menschen unmittelbar ein. Darum ist, wie bereits dargelegt, Personalethik immer zugleich Sozialethik.

8.2.2 Aufhebung der Grenzen im Neuen Testament

Jesus selbst hat in der Verkündung des Liebesgebotes, das er selbst zum höchsten Gebot erklärt, diesen Gedanken aus dem Alten Testament übernommmen. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird erwartet, daß der feme Nächste Liebe und Hilfe erfährt, und nicht der Mensch, der einem durch Geburt oder Abstammung nahesteht (Lk. 1O,25ff.). Der Apostel Paulus hat daraus die Konsequenzen gezogen. Es gibt zwar Grenzen zwischen den Geschlechtern, Rassen und Staaten. Aber diese Grenzen werden im Christsein relativiert. "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus (eis este en Christo, Ga!. 3,28). Jesus selbst identifiziert sich mit dem Bedürftigen, dem Fremden im Gleichnis vom Weltgericht: Ich bin ein Fremder (xenos) gewesen, und ihr habt mich aufgenommen" bzw. in negativer Abgrenzung: "Ich bin ein Fremder (xenos) und ihr habt mich nicht aufgenommen" (Mat. 25.35.43). Der Mensch wird nach seinem Handeln gegenüber Menschen in Not beurteilt: Was ihr (nicht) getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir (auch nicht) getan (Mat. 25,40.45). Jesus beschließt diese Aussagen mit der Strafandrohung auf das Weltgericht: "Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben" (Mat. 25,46). Die Christen leisten diesen Dienst an den Menschen in Not, weil Gott sie darum bittet. In der Frühzeit werden die Christen als Pilger (parepfdemoi) bezeichnet (1. Petr. 1,1). Sie sind Fremdlinge (parofkoi) und Pilger (parepfdemoi) in dieser Welt (1.Petr. 2,11). Sie sind, nach der Lehre der paulinischen Theologie, solange sie noch in diesem Leibe zu Hause sind (endemoüntes) fern vom Herrn in der Fremde (2. Kor. 5,6). Aber als Glaubende leben sie bereits in der Gemeinschaft mit ihrem Herrn. Aus dieser soll jedoch keine neue irdische Gesellschaft abgeleitet werden. Die Christen beziehen vielmehr ihre Kraft und Hoffnung aus dem neuen Sein! Die christlichen Gemeinden orientieren sich an den Geboten, Geschichten und Erfahrungen des Alten und Neuen Testamentes, wenn es um die Migrationsfrage geht. Speziell aus der Verkündigung Jesu entwickelten sie ihre Beziehungen zu der Personengruppe der Fremden und Flüchtlinge. Das Liebesgebot wird zur Leitlinie 34

Kirchenamt der EKD, Z. 102.

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2. Kap.: Globalisierung ethisch verantworten

christlicher Existenz - nicht nur gegenüber Christen, sondern gegenüber allen Menschen. Wo Rechtfertigung und Versöhnung erfahren wird, wird sie weitergegeben und den Menschen in Not, den Fremden und Pilgrimmen dieser Welt als befreiende und Schutz gebende Kraft gespendet. Diese Gedanken bilden die theologische Grundlage für den Umgang mit Flüchtlingen, Vertriebenen, Asylsuchenden, Zu- und Einwanderern. Christen besitzen ihr Bürgerrecht (Heimat, polfteuma) im Himmel, von dort erwarten sie Jesus Christus als ihren Retter (Phil. 3,20). "In dieser Welt sind sie deshalb in einem letzten Sinn immer "fremd". Das bringt sie in eine besondere Nähe zu Fremden und schafft eine innere Solidarität mit allen Heimatlosen,,35. Sie geben aus Liebe dem Fremden, was ihm fehlt und wessen er bedarf.

9. Ethische Grundlagen der Globalisierung Zwar gründet die ethische Perspektive in dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Aber da die Gottesliebe ohne Nächstenliebe abstrakt bleibt, muß als Konkretion für die christliche Ethik die Option für die Armen das Leitmotiv darstellen. Das ist nicht nur die Grundlage für das persönliche eigenverantwortliche Handeln, sondern gleichzeitig erfährt man "ethische Einsichten, die sich auf den institutionellen Rahmen der Gesellschaft beziehen,,36. Und dazu gehört besonders der Begriff der Gerechtigkeit. Freilich sollte sich dieser Begriff nicht darin erschöpfen, daß dem einzelnen eine würdige materielle Existenzweise zugesichert wird (Solidaritätsbegriff), sondern er soll gemäß der doppelten Struktur des Subsidiaritätsbegriffs in die Lage versetzt werden, für sich und die Seinen sorgen zu können 37 . Indessen bezieht sich die Solidarität nicht nur auf die gegenwärtige Generation, sondern schließt die kommenden Generationen mit ein. Die christliche Ethik muß in der Aufnahme des Gedankens der Nachhaltigkeit (s. u.) eine Vernetzung des sozialen, ökonomischen und ökologischen Denkens vollziehen 38 . Die Globalisierung muß auch national im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik gestaltet werden. Sie gibt den weniger entwickelten Ländern neue Chancen. Freilich nur dann, wenn die entwickelten und reichen Länder ihre Märkte für alle offen halten. "Durch die schrittweise Liberalisierung der Güter- und Finanzmärkte nach dem Zweiten Weltkrieg ohne gleichzeitige Herausbildung eines sozial verpflichteten Ordnungsrahmens ist es zur Ausbildung weitgehend autonomer, weder politisch noch sozial eingebundener Wirtschaftsbeziehungen gekommen,,39. Dar35 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Flüchtlinge und Asylsuchende in unserem Land, 1986, EKD Texte Nr. 16, S. 12. 36 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 108. 37 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 115 ff. 38 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 122 ff. 39 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 162.

9. Ethische Grundlagen der Globalisierung

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um wird eine weltweite Rahmenordnung für das soziale und wirtschaftliche Handeln dringend notwendig. Man verweist auf die ersten Ansätze in der Tätigkeit der UN, der Weltbank, des Weltwährungsfonds und der Welthandelsorganisation (WTO). Auf dem Boden des dargestellten Gemeinsamen Wortes zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen, speziell auf der Grundlage der Option für die Armen, der Gerechtigkeit als Teilhabe und dem Gedanken der Nachhaltigkeit ergeben sich Leitlinien für eine verantwortliche Gestaltung der Globalisierung: I. Der Wirtschaftsraum ist immmer eine Teildimension des gesamten Lebensraumes. Globalisierung darf darum niemals die Gesamtperspektive des Denkens und Handeins einnehmen. 2. Die Entwicklungsländer müssen mehr erfahren als eine Verbesserung ihrer materiellen Situation. Sie müssen eine Chance erhalten, am gesamten Markt teilzuhaben. 3. Globalisierung muß einhergehen mit einer Stärkung der sozialen und politischen Menschenrechte. 4. Globalisierung muß in Einklang mit Nachhaltigkeit der Wirtschaft stehen. 5. Globalisierung ist danach zu befragen, ob sie letztlich den Menschen auf der Erde dient40• Für den Alltag ist nötig, daß sich der einzelne darauf einstellt, daß sich das Leben weltweit grundlegend geändert hat. Er muß mit den neuen Koordinaten, die sein Leben bestimmen, zurechtkommen. Der Unternehmer und speziell das Unternehmen wird als Ganzes erfahren, daß sich mit der Globalisierung neue Perspektiven eröffnen. Einerseits kann sich die wirtschaftliche Entwicklung zu seinen Gunsten verschieben, andererseits können sich auch durch Fehlentscheidungen globale Zusammenbriiche ergeben, wie viele Fusionen bereits gezeigt haben. Die Meinung über die Globalisierung ist in der Öffentlichkeit keineswegs bereits festgelegt. Sie wird als ein Mittel verstanden, über das Armut verringert werden kann. Darum braucht sie einen wirtschaftspolitischen Rahmen, der ihrer Gestaltung freien Raum läßt. Man muß also auf ihre Gestaltung Einfluß nehmen, damit alle - auch die bisher Ausgeschlossenen - an diesem Prozeß teilnehmen können.

40 Vgl. "Grundinfonnation" des Vorbereitungsausschusses zum Schwerpunktthema "Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten" der 6. Tagung der 9. Synode der EKD vom 4.-9. Nov. 2001, S. 9f.

3. Kapitel

Nachhaltigkeit als Sozialprinzip Die Grundlage für eine zukünftige Entwicklung ist die Erhaltung der natürlichen Ressourcen. Auf dem Wege zu einer zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ist es notwendig, die Umweltbelastungen einzuschränken und den Ressourcenverbauch zu begrenzen. Nachhaltigkeit ist ein alter Gedanke. Bereits in der Wirtschaft des Mittelalters hatte man eine vernünftige Ressourcennutzung des Waldes ins Auge gefaßt. Die Forstordnung des Klosters Marmoutier (Mauermünster) im Elsaß hatte im Jahre 1144 eine Form der Nachhaltigkeit festgelegt. Danach durfte nicht mehr Holz eingeschlagen werden, als auf die Dauer nachwuchs. Die Ordnung einer Nachhaltigkeit hat sich dann im 18. und 19. Jahrhundert allgemein durchgesetzt. In Deutschland hat der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen in seinem Gutachten aus dem Jahr 1996 von einer "dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung" gesprochen l . In dem zur Unterrichtung der Bundesregierung erstellten Papier des "Rates" wird die Forderung nach einer Umsetzung dieser "dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung" und der nachhaltigen Entwicklung inhaltlich gleichgesetzt. Entwicklung ist meistens mit einem ökonomischen Wachstum verbunden, das wiederum mit einem höheren Ressourcen- und Energieverbrauch verknüpft ist. Durch ein anhaltendes Bevölkerungswachstum entsteht ein größerer Bedarf an Nahrungsmitteln, der wiederum zu einer Erschließung neuer aber schlechterer landwirtschaftlicher Flächen und zu einer Versalzung der Böden durch einen erhöhten Verbrauch von mineralischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln führt.

1. Der ökonomische Aspekt der Nachhaltigkeit Die Menschen des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts müssen lernen, mit den ihnen anvertrauten Gütern und Ressourcen so umzugehen, daß die Existenz der zukünftigen Generationen gesichert werden kann. Das Denken in unbegrenzten Zeiträumen, für die die natürlichen Quellen ausreichen werden, ist längst überholt. Darum widersetzt man sich einer Vereinheitlichung der Lebensformen, die besonders durch den amerikanischen Way of life und dessen Produkte geprägt I Rat der Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1996, Zur Umsetzung einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung, Bonn 1996, S. 15 u. 50.

1. Der ökonomische Aspekt der Nachhaltigkeit

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ist. Es wird gegen eine Vereinheitlichung von Waren, Gütern und kulturellen Lebensformen und damit gegen eine Verweltlichung gekämpft. Auf ökonomischem und ökologischem Gebiet sucht man nach Wegen, die nicht zur Ausbeutung der Erde führen, sondern sich in einer Harmonie mit ihr befinden und einen Ausgleich der Interessen anstreben. Man kennt heute die Endlichkeit der Ressourcen und muß schmerzhaft einsehen, daß der Mensch trotz technischen Wohlstandes an die Natur ausgeliefert und von ihr abhängig ist. Gerade der Ökonomie werden Grenzen gezogen. Sie wird sich immer stärker bewußt, von der Ökologie abhängig zu sein. Es fragt sich freilich, ob immer und überall der Ökonomie und der Schaffung von Arbeitsplätzen gegenüber der Ökologie und der Erhaltung der Natur und des kulturellen Erbes Vorrang zuerkannt werden muß 2 . Indessen besteht zwischen Ökonomie und Ökologie ein enger Zusammenhang, aber auch ein extremer Widerspruch. Der Streit zwischen beiden müßte den langfristigen Gesichtspunkt einbeziehen und dürfte nicht kurzfristig entschieden werden. Rohstoffe werden als Ressourcen aus der natürlichen Umwelt genommen und in den Produktionskreislauf eingebracht. Daraus gefertigte Produkte dienen entweder der weiteren Produktion oder dem Konsum. Aus beiden tauchen aber Stoffströme auf, die nicht als Produktions- oder Konsumgüter dem Handel zur Verfügung gestellt werden, sondern als Abfälle, die entweder verwertet oder beseitigt werden müssen. Sie sollten freilich nach Möglichkeit wieder als verwendbare und verkaufbare Wertstoffe und damit als Sekundär-Rohstoffe dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung gestellt werden. In allen Bereichen der Produktion, des Konsums und der Distribution wird die Umwelt in Anspruch genommen. Da man unter einer Kreislaufwirtschaft das Recycling versteht, heißt das, durch wiederholte Nutzung werden aufgrund des Stoffwechsels die Abfälle wieder zu Sekundär-Rohstoffen3 . Dadurch soll der Verbrauch von Primär-Rohstoffen verringert werden.

2 Als Beispiel sei an den Ausbau des Airbus-Geländes von Hamburg-Finkenwerder erinnert. Es stehen sich die Schaffung von mindestens viertauend Areitsplätzen auf dem Flughafen Finkenwerder und die Bewahrung von Nist- und Siedlungsmöglichkeiten bestimmter Vogelarten im Mühlenberger Loch an der Eibe und die Erhaltung des kulturellen Erbes der wunderbaren Arp-Schnitger-Orgel in der Kirche von St. Pankratius in Neuenfelde bei Hamburg gegenüber. Der Baumeister der Orgel, Arp Schnitger, fand hier auch 1719 seine letzte Ruhe. 3 Vgl. Wotte, Joris, Kreislaufwirtschaft als mögliche Realisierung von Nachhaltigkeit, in: H.-P. Böhm I H. Gebauer I B. Irrgang (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Leitbild für Technikgestaltung, Dettelbach 1996, S. 166.

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3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozialpnnzip

2. Ökologische Aspekte der Nachhaltigkeit Zu einer dauerhaften und umweltgerechten Entwicklung gehört die Pflege ausgewiesener Umweltbereiche. Dazu müssen der Natur- und Landschaftschutz, der Schutz des Bodens, die Reinhaltung der Luft und des Wassers hinzugezählt werden. Ebenfalls sind die Bekämpfung von Lärmbelästigung und der Schutz vor gefährlichen Stoffen, die für das Leben und die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzenwelt bedrohlich sein können, mit einzubeziehen. Hinzu kommt noch die Aufarbeitung der Abwässer und des gesamten Abfalls. Aus ökologischer Sicht bezieht sich die Forderung nach einer umweltgerechten und dauerhaften Entwicklung vor allem auf erneuerbare Ressourcen. Das sind "biologisch erzeugte", also nachwachsende Rohstoffe4 • In der vorindustriellen Zeit haben sich die Volkswirtschaften ausschließlich auf der Basis solcher biologischen Ressourcen entwickelt. Die Produkte konnten relativ leicht wieder abgebaut werden. Deswegen entwickelte sich kein Bewußtsein für die Stoffkreisläufe. Die Natur selbst wurde ingesamt nicht als Kosten- oder Produktionsfaktor in die Produktion einbezogen 5 . Heute dagegen ist weder die Produktion noch der Konsum ohne eine Absatzwirtschaft zu denken. Eine dauerhaft auf eine umweltgerechte Entwicklung ausgerichtete Produktion und ein sich daran orientierender Konsum kann nicht ohne eine nachhaltige Abfallwirtschaft gedacht werden. Abfallvermeidung und Abfallverwertung gehören als wesentliche Elemente zur Absatzpolitik und sind damit Instrumente einer umweltfreundlichen Produktentwicklung. In dem Brundtland-Report der unabhängigen "Weltkomission für Umwelt und Entwicklung" (WCED 1987) wird herausgestellt, daß Nachhaltigkeit keineswegs nur mit Entwicklung, sondern auch mit der Stabilität des ökonomischen Gleichgewichts und mit der Nutzung von Ressourcen und deren Beeinflussung zu tun hat. Für die Nutzung wurden folgende bedeutsame Regeln festgelegt: I. "Die Bevölkerungsentwicklung muß sich in Übereinstimmung mit der Tragfähigkeit und den Produktivkräften des Ökosystems befinden". 2. "Die Immissionsbelastung von Umweltmedien und Lebewesen darf ihre Aufnahme- und Regenerationsfähigkeit nicht übersteigen". 3. "Die Verbrauchsrate erneuerbarer Stoffe und Energien (z. B. Wasser, Biomasse, in gewisser Weise auch Böden) darf ihre gegebene Reproduktionsrate nicht übersteigen" . 4. ,,Die Verbrauchsrate erschöpflicher Ressourcen ... ist zu minimieren, und zwar durch - Substitution erschöpflicher durch erneuerbare Ressourcen, Haber, Wolfgang (1995), S. 26. 28. Vgl. Haber, Wolfgang (1995), S. 26. Vgl. auch Rat der Sachverständigen, Umweltgutachten 1996, Z. 66*. 4

S

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit

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- Steigerung der Stoff- und Energie-Effizienz, - Recycling, soweit ökologisch sinnvoll und ökonomisch vertretbar". 5. "Die Entwicklung und Einführung von nicht umweltbelastenden sauberen Ressourcen, Technologien und neuen Produkten ist verstärkt voranzutreiben,,6. Neu an den immer schon vorhandenen ökologischen Auswirkungen der Produktion und der generellen Inanspruchnahme der Natur ist ihre Globalisierung. Der immer stärkere Einsatz von COrEnergieträgem und die Verwendung von Ozon abbauenden Stoffen beschwören gefahrliche Situationen für viele Ökosysteme herauf. Das Ozonloch führt zur Erwärmung der Erdatmosphäre und damit zu klimatischen Veränderungen. Mensch, Tier und Pflanzen sind durch den Anstieg des Meeresspiegels und durch die verstärkten UV-Strahlen bedroht.

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit stellt ein Leitbild dar, das auf eine weltweite Umgestaltung der Gesellschaft hinausläuft. Aber sie wird gleichzeitig auch nur als eine "unverbindliche Formel" gebraucht, die erst noch in ein praxisnahes Handeln umgesetzt werden muß. 3.1 Nachhaltige Entwicklung gestalten Der Begriff der Nachhaltigkeit ist zu einem populärwissenschaftlichen Modewort geworden. Die Vorstellung einer "Nachhaltigkeit" und das Konzept einer "nachhaltigen Entwicklung" wurde aus dem englischen Begriff "Sustainable Development" abgeleitet und gelangte so in den allgemeinen Sprachgebrauch. Allerdings ergab sich bei der Übersetzung des Begriffs Sustainability ins Deutsche eine Schwierigkeit. Außer dem Wort Nachhaltigkeit bot sich kein deutsches Wort für Sustainability an. Man versuchte, es mit "Dauerhaftigkeit" wiederzugeben. Aber ganz trifft dieser Ausdruck den Sachverhalt nicht. Ein interpretierendes Wort für sustainable development ist darum die Aussage einer "zukunftsverträglichen Entwicklung" 7 • Huber, Joseph (1995), S. 35 f. Joseph Huber möchte die nachhaltige Entwicklung in folgende drei Strategien bündeln (S.39ff.): Suffizienz-Strategie: Sie steht unter der Fragestellung: Wann ist genug? Da man darauf keine genaue Antwort geben kann, ist Genügsamkeit angesagt. Effizienz-Strategie: Sie zielt darauf ab, die Wirtschaftlichkeitsprinzipien auch auf ökologische Zusammenhänge anzuwenden. Konsistenz-Strategie: Sie möchte unter dem Stichwort der Vereinbarkeit oder Verträglichkeit die umweltverträgliche Beschaffenheit von Stoff- und Energieströmen herstellen. 7 Haber, Wolfgang (1995), S. 19. 6

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3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozialprinzip

Die Ökologie steht ebenso wie die Ökonomie unter der Forderung nach Sustainable Development. Das Prinzip Sustainability besagt dabei, daß nur soviel von den Ressourcen in der Natur verbraucht werden soll, wie nachwachsen kann. Diese darf nur in dem Maße belastet werden, wie sie sich selbst reinigen kann. Mit der Einsetzung der "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" unter Leitung der ehemaligen Ministerpräsidentin von Norwegen Gro H. Brundtland im Jahre 1987 stellte man die zukünftige Umweltpolitik unter die Leitlinie von sustainable development. Einige Zeit vorher war dieser Begriff bereits in der Wold Conservation Strategie der Internationalen Naturschutz-Union benutzt worden. In der Agenda 21 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 (Klimakonvention, Konvention der Biologischen Vielfalt, Walderklärung) sprach man ebenfalls von Nachhaltigkeit und damit von einem gesellschaftspolitischen Leitbilds. Ähnlich auch in Johannesburg 2002. Der Begriff einer nachhaltigen Entwicklung ist sowohl auf die Umwelt als auch auf wirtschaftliches Handeln zu beziehen. Deshalb setzt sich Sustainable Development aus den bei den Aspekten Ecological Sustainability und Economic Development zusammen. Im Brundtland-Report werden heide Entwicklungstendenzen noch mit einer sozialen Komponente versehen. Denn es geht um eine gerechte Ressourcen-Verteilung, so daß zur sustainable noch eine equitable Entwicklung hinzukommt9 . Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist also nicht auf das ökonomische Denken allein ausgerichet. Der Zusammenhang mit sozialem Denken ist nicht zu verkennen. Denn ihre Verwirklichung betrifft die Zukunft der Bürgergesellschaft. Sie steht in der Solidarität mit den kommenden Generationen, also in der Berücksichtigung eines generationenübergreifenden Geselllschaftsvertrags, der Gestaltung von Familien-, Entwicklungs-, Forschungs und der Raumgestaltungspolitik. Die Raumplanung und Umweltpolitik ist ohne den Gedanken der Nachhaltigkeit nicht zu denken. Im Prinzip einer Nachhaltigkeit ist die ganze Gemeinschaft angesprochen. Denn Nachhaltigkeit ist kein ethisches Konzept, sondern vielmehr eine Herausforderung für die Gesellschaft insgesamt. Die Weltwirtschaft muß sich, wenn sie der sustainable development verpflichtet ist, bestimmten Handlungsregeln auf ökonomischem, ökologischem und sozialem Feld verbunden wissen. Auf diesen Gebieten sollen Mindeststandards eingehalten werden. Dazu gehören z. B. in der Ökonomie lO :

8 Vgl. Haber, Wolfgang, Das Nachhaltigkeitsprinzip als ökologisches Konzept, in: Fritz/ Huber/Levi (Hrsg.), Nachhaltigkeit, Stuttgart 1995, S. 18. 9 Vgl. Huber, Joseph, Nachhaltige Entwicklung durch Suffizienz, Effizienz und Konsistenz, in: Fritz/Huber/Levi (Hrsg.), Nachhaltigkeit, Stuttgart 1995, S. 32. 10 Vgl. Kumar, Brij, Nino und Graf, Ina, Multinationale Unternehmen und die Herausforderungen einer neuen Weltwirtschaft, in: Dodo zu Knyphausen-Aufseß (Hrsg.), Globalisierung als Herausforderung der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 2000, S. 30 ff.

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit

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- Sicherung der Leistungsfähigkeit der Unternehmen - auch für die nachfolgenden Generationen, - Erhaltung der Lenkungsfunktion der Preise, - Ausgleich von Individual- und Gemeinschaftsinteressen, - Förderung von Innovationsfähigkeit und -bereitschaft bei gleichzeitigem sozialen Wandel, - Einsatz für die soziale Gerechtigkeit; in der Ökologie: - Schonender Umgang mit den Ressourcen, - Reduktion der Umweltbelastung, - Ersatz für nicht erneuerbare Ressourcen, Vermeiden von Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier, - Globale ökologische Verantwortung; auf sozialem Gebiet: - Gewährleistung von sozialen Mindeststandards, z. B. der Menschenrechte und -würde, - Gewährleistung der freien Entfaltung der Persönlichkeit, - Chancengleichheit aller Mitarbeiter, - Leistung eines solidarischen Beitrags für die Gemeinschaft durch jedes Mitglied, - Im Notfall die Inanspruchnahme der solidarischen Leistungen durch jedes Mitglied, - Erhalt des sozialen Leistungspotenzials für die nachfolgenden Generationen. Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist also ein Problem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, das sich aufgrund von meßbaren Wirkungszusammenhängen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich ergibt. Zwischen diesen drei Bereichen besteht ein Spannungsverhältnis, das kaum auflösbar ist. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es eines allgemeinen Rahmenkonzepts, das eine tragfähige Entwicklung garantiert. Es geht bei allen drei Zielen um die Zukunft der Menschen und sogar in einem erweiterten Maße um die der ganzen Schöpfung. Nachhaltigkeit erweist sich weiter als Frage der philosophischen und ethischen Reflexion. Eine von außen gesetzte absolute Forderung gibt es nicht. Wer zu einer Lösung kommen will, muß nach Kompromissen suchen. "In vielen Situationen ist das ernsthafte Ringen um ausgewogene Kompromisse ethisch angemessener als die strikte Orientierung an Radikalforderungen und hochstehenden Idealen"ll. Bei der nachhaltigen Entwicklung geht es also um die Zukunft des Menschen und um die Berechtigung eines umfassenden ethischen Anspruchs. In ihr wird die 11

Die Deutschen Bischöfe, Kommission, H. 19 (1998), Z. 105.

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3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozialprinzip

Verantwortung für die ganze Schöpfung konkret. Nachhaltige Entwicklung ist darum nur ein Rahmenkonzept, das eine wichtige Ergänzung zu der Sozialordnung darstellt. Nachhaltigkeit ist mit ethischen Inhalten zu füllen. Sollte es zugleich mit christlich-ethischen Inhalten ausgefüllt werden, wird es sogar zu einem "Interpretationskontext der christlichen Botschaft,,12.

3.2 Kirchliche und theologische Implikationen Der Rat der Evangelischen Kirche und die Deutsche Bischofskonferenz haben sich in dem gemeinsamen Wort aus dem Jahr 1997 "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit", wie bereits ausgeführt, für eine "Verständigung über die Grundlagen und Perspektiven einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung von Staat und Gesellschaft" eingesetzt 13. Als ethische Leitlinien werden zwei Begriffe in den Vordergrund gestellt: "Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit". Beide bauen auf den sich ergänzenden Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität auf l4 . Denn für die nachfolgende Generation wird die Wahrnehmung von Solidarität und Gerechtigkeit gefordert. Über diese Begriffe und die anderen Sozialprinzipien wird weiter unten gesprochen werden. Sie alle schließen die Verantwortung für die kommende Generation mit ein. Die gegenwärtige Generation darf nicht auf Kosten ihrer Kinder und Kindeskinder die wirtschaftlichen Ressourcen verbrauchen und die Umwelt ausbeuten. Jede Generation existiert in einer Schicksalsgemeinschaft mit der ganzen Schöpfung und muß diese erhalten und bewahren! Darum steht sie in einer "umfassenden Vernetzung" von sozialen, ökonomischen und ökologischen Belangen. Nur so kann sie den Gedanken der Bewahrung der Schöpfung mit dem einer Weltgestaltung verbinden. Im Jahre 1985 haben beide Großkirchen in einer "Gemeinsamen Erklärung" unter dem Titel "Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung" die Verbindung des Menschen mit der übrigen Schöpfung herausgestellt l5 . Danach ist der Mensch gehalten, auch den Wert seiner Mitgeschöpfe zu erkennen, sie zu achten und sie nicht nur nach ihrem "Gebrauchswert zu bemessen" 16. Er muß erkennen: "Dinge und Tiere haben ihren Sinn und ihren Wert gerade auch in ihrem bloßen Dasein, ihrer Schönheit und ihrem Reichtum. Der Mensch ist schließlich gehalten, die Welt als Gleichnis Gottes zu verwalten und zu erhalten" 17.

12 Die Deutchen Bischöfe, Kommission, H. 19 (1998), Z. 108. Gemeinsame Texte Nr. 9, S. 5. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 1 u. 115 ff. und 122 ff. IS Gemeinsamen Erklärung des Rates der Ev. Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwonung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, Z. 63 ff. 13

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16

17

G. E. Z. 65. G. E. Z. 65.

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit

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In einer im Jahr 2000 erschienenen Studie "Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung" hat die Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt zenrale ethische Normen für die Nachhaltigkeit gesetzt. Sie schreibt: ,,Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit bezeichnet die Notwendigkeit der weltweiten Beachtung von Rückkoppelungen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen an die natürlichen Lebensgrundlagen, die erhalten werden sollen ... Soziale Gerechtigkeit und Partizipation als Gegenwartsaspekte von Nachhaltigkeit schließen die Grundversorgung für alle Menschen und die Teilhabe aller an den Gütern der Erde in der Gegenwart mit ein. Die politische beziehungsweise entwicklungspolitische Dimension von Nachhaltigkeit meint ein Entwicklungskonzept für alle Staaten und Länder ... ,,18. Ein solches Denken bezieht einerseits die Entwicklungsländer in seine Überlegungen mit ein und muß andererseits natürlich auch auf die inländische Wirtschaftsordnung seinen Einfluß ausüben. Die lehramtlichen Stellungnahmen der katholischen Kirche haben durchgängig ebenso wie die sozialethischen Verlautbarungen der EKD und die von bei den Kirchen herausgegebenen Schriften auf dem Boden biblischer Reflexionen über die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott die bevorrechtete Stellung des Menschen betont. Die Erdengüter sind zur Nutzung dem Menschen übergeben. Daraus folgt auch ihre gerechte Verteilung: "Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen,,19. Der Mensch und alle anderen Lebewesen erhalten einen gemeinsamen Lebensraum. Aber der Mensch wird zum Beauftragten Gottes für die Schöpfung. Ihm wird das dominium terrae (Herrschaft über die Erde) zugesprochen. Aber diese Herrschaft bedeutet keine uneingeschränkte Verfügungsrnacht über sie. Er soll die Erde nur bebauen und bewahren und darf sie nicht ausplündern. "Dem Menschen wird also von Gott in dem Herrschaftsauftrag aufgetragen, durch seine Arbeit das Angesicht der Erde zu schonen, zu gestalten, sie zu verändern, sie bewohnbar und fruchtbar zu machen,,2o. Aber der Mensch verkennt diesen Auftrag. Statt sich als ein Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verstehen, setzt er sich an die Stelle Gottes. Durch den Sündenfall erfolgt ein Bruch im Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer. Dieser Bruch wirkt sich auf die ganze Schöpfung aus. Der Mensch will in einer eigenen Machtvollkommenheit sein Leben gestalten. Die Selbstorientierung pervertiert die geschöpflichen Beziehungen. Alle Lebewesen sind nunmehr vom Fluch der Sünde getroffen (Gen. 37 ff.; Gen. 6,11 ff.). 18 Zitiert aus der "Grundinfonnation" des Vorbereitungsausschusses zum Schwerpunktthema "Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten" der 6. Tagung der 9. Synode der EKD vom 4.-9. Nov. 2001, S. 6. 19 Gaudium et Spes, Nr. 69, in: Texte zur katholischen Soziallehre. Vgl. dazu Kramer, Rolf, (1998), S. 60 ff. und Die Deutschen Bischöfe, Kommisssion für gesellschaftliche und soziale Fragen, Handeln für die Zukunft der Schöpfung, 22. Okt. 1998, H. 19, S. 30 ff. 20 Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischöfe, Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, Z. 50.

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3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozialprinzip

Nach dem Neuen Testament ist die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen (Röm. 8,19fff.) und darum auf die Vollendung in Christus ausgerichtet. Es gilt die Verheißung der noch ausstehenden - aber kommenden - Vollendung (Kol. 1,15ff.; Eph. 1,1Off.). Diese ist jedoch der Zukunft vorbehalten. Christus ist der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Damit wird in Jesus Christus der Schöpfung und damit dem ganzen Kosmos Heil verheißen 2 1. Die Schöpfung ist zwar ein Werk Gottes. Sie wird aber zugleich ambivalent gesehen. Denn sie wird einerseits von der Sünde beherrscht und ist doch zugleich anderseits der Ort des Erlösungswirkens Christi.

3.3 Die LeitbegrifTe einer christlichen Soziallehre Die Sozial prinzipien der katholischen Kirche haben sich seit der Enzyklika Leo XIII. Rerum Novarum aus dem Jahr 1891 bewährt. Sie sind den radikalen Herausforderungen einer sich wandelnden Welt gerecht geworden. Außerdem bieten sie für Christen und Nichtchristen eine gemeinsame Basis22 . In der evangelischen Theologie wird den Sozial prinzipien vorgehalten, daß sie allgemeine natürliche gesellschaftlich orientierte Gesetze sind, die das menschliche Zusammenleben gestalten wollen. Der Einwand gegen das Naturrecht aus der protestantischen Sicht kommt von der theologischen Grundposition her. Sie wendet sich gegen die Voraussetzung, daß der Mensch kraft seiner Natur (er ist Abbild Gottes) Einsicht in den Willen Gottes haben kann. Nach protestantischer Lehre ist das unmöglich. Der Mensch ist zugleich Sünder und Gerechter. Er ist also ganz Sünder und verderbt, so daß ihm ein natürliches Gottesverhältnis abgeht. Aber er ist sub specie dei (in den Augen Gottes) zugleich gerecht. Die Aufgaben, die Umweltprobleme der Erde in den Griff zu bekommen, die globale Armut zu bekämpfen und eine weltweite Gerechtigkeit zu erreichen, sind nur lösbar durch solidarisches Handeln der Menschen in der Welt. Das bedeutet, zur nachhaltigen Entwicklung ist die Anwendung des Personen- und des Solidaritätsprinzips notwendig. Dariiber hinaus sind für die Überlebensfähigkeit der Bevölkerung (sustainable society) das Gemeinwohl- und das Subsidiaritätsprinzip heranzuziehen. Ein Teil der katholischen Soziallehre will die Sozialethik heute durch das Prinzip der Retinität, abgeleitet vom lateinischen Wort für Netz (rete), erweitert sehen. Dieser Leitbegriff "steht für die ethisch gebotene Beachtung der für das Gesamtwohl von Mensch und Natur entscheidenden Grundbeziehungen und Vernetzungszusammenhänge zwischen allen Lebensbereichen,m. Danach kann der Mensch sich und seine Existenz in der Welt nur sichern, wenn er sich als ein Teil des Netzwerkes der Schöpfung begreift. Indessen fragt man sich, warum es dazu 21

22 23

Vgl. Kramer, Rolf(l998), S. 22ff. Vgl. Honecker, Martin (1990), S. 339. Die Deutschen Bischöfe, Kommission, H. 19 (1998), Z. 118 f.

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit

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des ethischen Leitbegriffs der Retinität bedarf. Als Lebewesen ist der Mensch immer Teil der Schöpfung. Nach dem Personenprinzi/4 ist der Mensch als Person Träger der Verantwortung. Alles ist auf Erden auf den Menschen "als seinen Mittel- und Höhepunkt hinzuordnen,,25. In der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils wird der Grund dafür geliefert: "Wurzelgrund nämlich, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist und muß auch sein die menschliche Person". Der Mensch geht also der Gesellschaft von Individuen voraus. Darum muß die Ordnung der Dinge "der Ordnung der Person dienstbar werden und nicht umgekehrt,,26. Das Gemeinwohlprinzip (bonum commune) kann als das umfassendste Prinzip gelten. "Das Gemeinwohl ist in der Gesellschaft nach Gott das erste und letzte Gesetz'.27. Es ist ein sozialethisches Ziel, das anzustreben ist. Denn es will die Gesamtheit der gesellschaftlichen Bedingungen geregelt sehen. Dabei geht es um ein qualitatives Ziel und nicht um den Zustand der Gesellschaft der Zahl nach. Also nicht das größte Glück der größtmöglichen Zahl ist anzustreben! Zwar müssen sich die gesellschaftlichen Ordnungen am Wohl der Person orientieren. Aber "jede Gruppe muß den Bedürfnissen und berechtigten Ansprüchen anderer Gruppen, ja dem Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie Rechnung tragen,,28. Wahrend die Pflicht zur Absicherung des Gemeinwohlprinzips beim einzelnen Menschen liegt, muß der Staat Sorge für die Durchsetzung tragen. Je stärker die Globalisierung fortschreitet, umso mehr ist diese dann auch Aufgabe der Staatengemeinschaft. Da heute mehr als früher an das Wohl der zukünftigen Generationen zu denken ist, erfährt das Gemeinwohl zugleich eine zeitliche Ausrichtung. Denn es hat das Wohl der Nachkommenschaft zu berücksichtigen. Das Gemeinwohl schließt auch noch den Schutz der Umwelt ein! Das Solidaritätsprinzip ist ein vielschichtiger Begriff. Es meint zunächst die Verbundenheit der Menschen untereinander und damit die Schicksalsgemeinschaft der Menschen. Das Prinzip der Solidarität soll die sozialen Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und Kräften prägen 29 . Die Menschen dürfen darum in der Erkenntnis existieren: Wir leben in einer Gesellschaft, in der alle in einem Boot sitzen. Darum enthält die Solidarität auch die Sorge um die zukünftigen Generationen. Sie fordert das Einstehen für den anderen, den Mitmenschen und für die Gemeinschaft. Aber die Übung der Solidarität im Innern einer jeden GeseIlschaf hat nur dann ihren Wert, "wenn sich ihre verschiedenen Mitglieder gegenKramer, Rolf, Sozialer Konflikt und christliche Ethik, Berlin 1988, S. 70 ff. Gaudium et Spes, Z. 12. 26 Gaudium et Spes, Z. 26. 27 Zitat von Leo XIII. Breve an den französichen Klerus vom 16.2. 1892, aus: Honecker, Martin, Einführung in die Theologische Ethik, Berlin I New York 1990, S. 344. 28 Gaudium et Spes, Z. 26, l. 29 Gern. Texte Nr. 9, Z. 117. Vgl. Johannes, Paul 11., Enzyklika Sollicitudo Rei Socialis, 1987, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 82, Z. 39. 24

25

5 Kramer

66

3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozialprinzip

seitig als Personen anerkennen,,3o. Ausbeutung oder Unterdrückung sind mit dem Begriff der Solidarität nicht zu vereinbaren. Hinter ihr muß die Entschlossenheit stehen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Denn die irdischen Güter gehören allen Menschen. Darum ist von einer globalen Solidarität zu sprechen, in der die Nachhaltigkeit beim Umweltschutz unverzichtbar ist. Das Subsidiaritätsprinzip enthält zwei unterschiedliche Aussagen. Einerseits soll der Staat oder die übergeordnete Gemeinschaft die Verantwortlichkeit des einzelnen und der kleinen Gemeinschaft ermöglichen bzw. fördern 3). Andererseits müssen die einzelnen und die kleineren Gemeinschaften die Hilfe (Subsidien) erhalten, die zum "eigenständigen, selbsthilfe- und gemeinwohlorientierten Handelns beflihigt,,32. Danach ist beim Subsidiaritätsprinzip von einem demokratischen Leitprinzip zu sprechen, das der nachhaltigen Entwicklung von Einzelpersonen, gesellschaftlichen Gruppen und Regionen dient. Es regelt die Zuständigkeit des Eingreifens und dadurch die Kompetenz des Handeins. Zutreffend kann es als "Vorfahrt für Eigenverantwortung" beschrieben werden 33 . Für die katholischen Soziallehre gilt dieses Prinzip als oberster Grundsatz (gravissimum principium)34. Die Sozialprinzipien werden nicht generell anerkannt. Man wirft ihnen von Seiten der katholischen Soziallehre beispielsweise vor, sie seien nur ein "Gefüge offener Sätze" (H. J. Walraff)35. Aufgrund der vom Schöpfer dem Menschen geschenkten Vernunft sind sie von jedermann erkennbar. Die Strukturgesetze der Gesellschaft sind also kraft der natürlichen Ordnung einsichtig. Sie fußen auf dem Naturrecht und begründen rational die Seinsordnung. Da aus katholischer Sicht das Naturrecht als oberstes Prinzip unverwandelbar ist, wandelbar sind nur die konkreten Ausformungen (vgl. Eigentumsfragen), trägt diese Unwandelbarkeit der geschichtlichen Entwicklung des Naturrechtsdenkens nicht Rechnung 36 . Die Sozialprinzipien gewähren auch der protestantischen Sozialethik bei der Erfassung sozialer Probleme eine sachgerechte Hilfestellung. Sie lassen sich also durchaus mit der evangelischen Theologie vereinbaren.

Johannes Paul 11., Solicitudo Rei Socialis vorn 30. Dezember 1987, Z. 39. Gern. Texte Nr. 9, Z. 115 ff.; speziell Z. 120. 32 Gern. Texte Nr. 9, Z. 120. 33 Gern. Texte Nr. 9, Z. 27. 34 Kramer, Rolf, Sozialer Konflikt und christliche Ethik, Berlin 1988, S. 77 ff. 35 Vgl. Honecker, Martin, Einführung in die Theologische Ethik, Berlin I New York 1990, S. 338ff. 36 Vgl. Honecker, Martin (1990), S. 122. 37 V gl. Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gemeinwohl und Eigennutz, Gütersloh 1991, Z. 3. 30

31

3. Ethische Verpflichtung zur Nachhaltigkeit

67

3.4 Die Soziale Marktwirtschaft als Ordnungssystem In der Denkschrift "Gemeinwohl und Eigennutz" hat sich die EKD mit den wirtschaftlichen Systemen der Nachkriegzeit auseinandergesetzt und das Scheitern des real existierenden Sozialismus festgestellt und in der Sozialen Marktwirtschaft die offenkundig leistungsfähigere Wirtschaftordnung gesehen 37 . Zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz hat der Rat der EKD sich "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" 1997 in einem gemeinsam herausgegebenen Wort geäußert 38 . Die Kirchen wollen dadurch ihren Beitrag zu einer Neuorientierung in Staat, Gesellschaft und speziell in der Sozialen Marktwirtschaft liefern. Es geht ihnen um eine Gestaltung einer "menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung,,39. Dabei spielen die beiden Begriff Solidarität und Gerechtigkeit eine besondere Rollen. Denn sie gehören "zum Herzstück jeder biblischen und christlichen Ethik,,4o. Die Synode der EKD in Amberg vom 4. bis 9. Nov. 2001 hat an alle Verantwortlichen appelliert, daß der Prozeß des wirtschaftlichen Zusammenwachsens nicht als unabänderliches Schicksal hingenomen werde; es müsse vielmehr verantwortlich gestaltet werden. Als Maßstab habe für Christen immer zu gelten, daß die Ökonomie den Menschen zu dienen habe. Die Kirchen haben immer wieder darauf hingewiesen, daß eine Wirtschafts- und Sozialordnung nicht ohne "rahmengebende rechtliche Normierungen und Institutionen" auskommt41 . Unter einer solchen Voraussetzung war auch die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik gegründet worden. Die beiden Kirchen, also nicht allein die katholische, sahen im Konzept dieser Wirtschaftsordnung den geeigneten Rahmen einer nachhaltigen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Soziale Marktwirtschaft gründet auf bestimmten Voraussetzungen. Sie geht von einem Menschenbild aus, das durch klare Aussagen geprägt wird: Freiheit des Individuums, Wahrnehmung der persönlichen Verantwortung, Solidarität mit anderen, insbesondere mit den Schwächeren. Sie setzt dementsprechend das Leitbild einer freien, sozialen und gerechten demokratischen Gesellschaft voraus. Diese Form von Gesellschaft will sie verwirklichen. Solche Besinnung auf die Grundwerte und das überlieferte Menschenbild der christlichen Verkündigung sind die Elemente, auf denen sich die Soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung und wirtschaftspolitisches Leitbild gründet42 . Bei der Durchsetzung und Realisierung geht die christliche Soziallehre nicht mit einem System von abstrakten Normen vor. Schließlich entspringt sie "vielmehr der immer wieder neuen Reflexion auf 38 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und Die Deutsche Bischofskonferenz, Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, Gemeinsame Texte 9, Vorwort. 39 Gemeinsame Texte Nr. 9, Vorwort. 40 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 2. 41 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 9. 42 Vgl. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 91.

5*

3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozialprinzip

68

die menschliche Erfahrung in Geschichte und Gegenwart im Licht des christlichen Menschenbildes. Sie gibt keine technischen Lösungen und konkreten Handlungsanweisungen, sondern vermittelt Perspektiven, Wertorientierungen, Urteils- und Handlungskriterien. Sie hat sowohl eine prophetischkritische als auch eine ermutigende, versöhnende und heilende Funktion,,43. Diese gesellschaftliche Lehre sucht den ökonomischen Wohlstand, die Befriedigung der Konsumentenwünsche, den sozialen Ausgleich und einen nachhaltigen ökologischen Ressourcenschutz. Sie muß also alle drei Dimensionen, die soziale, ökonomische und ökologische als umgreifendes Netzwerk verstehen und gleichzeitig einer globalen Weltgestaltung Rechnung tragen. Nichts anderes will der "Leitbegriff einer nachhaltigen, d.h. dauerhaft umweltgerechten Entwicklung zum Ausdruck bringen,,44. Diese und ähnliche Überlegungen bieten eine Grundlage für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Sie können in einer christlich geprägten europäischen Kultur sowohl von Christen als auch von Nichtchristen akzeptiert werden "und tragen damit zur Wiedergewinung des ethischen Grundkonsens bei, auf den Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind,,45. Dabei meint dieser nicht einfach "Harmonie", sondern vielmehr ein "ausreichendes Maß an Übereinstimmung trotz verbleibender Gegensätze,,46. Oft wird es dabei keinen Konsens, sondern nur einen Komprorniß in der Bevölkerung geben. Waren früher an einem solchen Konzept viele kleine übersichtliche Einheiten beteiligt, die oft noch dazu von außen abgegrenzt waren, so sind heutige Gesellschaften durch das "komplexe Zusammenwirken einer Vielzahl institutioneller Teilordnungen unterschiedlicher Reichweite gekennzeichnet,,47. Weder kann die Demokratie ohne einen solchen moralischen Grundkonsens "gedeihen", noch darf dieser in der Anwendung der Marktwirtschaft zugrunde gehen 48 . Dabei kann das ökonomische Denken keinesfalls allein den Aussschlag geben, sondern muß sich durch die in der christlichen Tradition gewachsenen Rechte und Pflichten ergänzen lassen. Aber für die Gestaltung der modernen Gesellschaft bedarf es der Sozialen Marktwirtschaft. In ihrer Schrift "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" haben der Rat der EKD und die deutsche Bischofskonferenz allerdings gemeint, es bedürfe für sie keiner Nachbesserung, sondern mehr einer Strukturreform. In diesem Zusammenhang werden einige Gestaltungselemente genannt, die für die Soziale Marktwirtschaft eine konstitutive Bedeutung haben. Danach sollten folgende Elemente eingeführt bzw. geschaffen werden 49 :

43 44 45

46 47 48

49

Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 102. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 125. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 126. Gemeinsame Tex te Nr. 9. Z. 127. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 128. Vgl. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 129. Gemeinsame Texte Nr. 9 Z. 149.

4. Umgang mit der nicht-menschlichen Kreatur

69

1. Die unternehmerische Initiative und persönliche Verantwortung. 2. Der Markt als effektives Steuerungsmittel. 3. Eine soziale Rahmenordnung.

4. Ein Steuersystem zur Finanzierung der Infrastruktur, der Staatsaufgaben, des Wachstums, der Beschäftigung und des sozialen Ausgleichs. 5. Die Stabilität der Währung. 6. Die verantwortliche Gestaltung der internationalen Herausforderungen. 7. Ein solidarisches Verhalten. Sicher müßte man heute eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft beriicksichtigen. Müller-Armack hatte bereits 1960, also in einer zweiten Phase der Marktwirtschaft, darauf hingewiesen, daß "verstärkt staatliche Aufgaben, die der einzelne aus seinem Einkommen für sich selbst nicht zu sichern vermag, wie der Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens, Städtebau, Landesplanung, Verkehr und Umweltschutz, beriicksichtigt werden müssen"so. Ausdriicklich ist damals schon der Umweltschutz in das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft aufgenommen worden! Außerdem hatte er bereits die Beziehung zwischen dem einzelnen und der gesellschaftlichen Ordnung herausgearbeitet, indem er die Soziale Marktwirtschaft als eine "irenische Formel" bezeichnet hat. "Sie ist der Versuch, die Kräfte freier Entfaltung des einzelnen, die sinnvoll nur vom Staat zu verwirklichenden Ziele des öffentlichen Lebens, sozialen Schutz, Wachstum und Vollbeschäftigung, auf der Basis einer stabilen Ordnung zu erreichen"sl. Als Fazit wird von bei den christlichen Kirchen festgehalten, daß es im Augenblick kein Wirtschaftssystem gibt, "das die komplexe Aufgabe, die Menschen materiell zu versorgen und sie sozial abzusichern, ebenso effizient organisieren könnte wie die Soziale Marktwirtschaft"s2.

4. Umgang mit der nicht-menschlichen Kreatur In der Umweltliteratur wurden unterschiedliche ethische Ansätze zur Unterscheidung und Einordnung nachhaltiger Entwicklung entworfen. Man differenziert zwischen einer anthropozentrischen, physiozentrischen, biozentrischen und pathozentrischen Sichtweise s3 . Der anthropozentrische Ansatz geht vom Menschen aus. Die Menschenwürde gibt den ethischen Maßstab ab. Wo aber der Mensch als einzige Meßgröße hinMülier-Armack, Alfred (1981), S. 174. Mülier-Armack, Alfred, Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, Hrsg. Egon Tuchtfeldt, Bem und Stuttgart 21981, S. 173. 52 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 145. 53 V gl. Kramer, Rolf, Umwelt, Wirtschaft und Technik, Berlin 1998, S. 41 ff. 50 51

70

3. Kap.: Nachhaltigkeit als Sozial prinzip

gestellt wird, verabsolutiert sie die menschliche GeschÖpflichkeit. Sollte es in diesem Ansatz allein um die Kreatürlichkeit des Menschen gehen, und sollten die anderen Geschöpfe nicht mit gemeint werden, verbietet sich eine solche den Menschen verabsolutierende Anthropozentrik. Der physiozentrische Ansatz bettet den Menschen in die Natur (Physis) ein. Er besitzt keine besondere Stellung. Alles Leben bildet zusammen mit anderen lebenden und nichtlebenden Elementen eine Rechtsgemeinschaft. Die biozentrische Denkweise leugnet die Differenz zwischen einer menschlichen und einer nicht nur am Menschen ausgerichteten Ethik. Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Die nichtmenschlichen Lebewesen besitzen vielmehr einen eigenen Wert. Der Mensch selbst hat ihnen gegenüber keinerlei Vorrechte. Beim pathozentrischen Ansatz geht es um die Leidensfähigkeit der Lebewesen. Alle Lebewesen empfinden Freude und Schmerz. Der Mensch hat gegenüber dem Tier keine Sonderstellung. Im Prinzip kann es für den Menschen nur um einen anthropozentrischen Ansatz gehen, der sich an dessen besonderer Stellung im Kosmos orientiert. Aber man wird diese nicht als eine absolute Größe anerkennen können. Die dem Menschen übertragene Herrschaft über diese Welt verlangt ein Bebauen und Bewahren und damit eine Ehrfurcht vor der Schöpfung. Danach besitzen die Menschen zwar im Kosmos eine besondere Stellung. Aber diese dürfen sie nicht ausnutzen. Sie ist zu relativieren und muß den Mitgeschöpfen gegenüber gerecht werden. Eine EUweite Tötung von anderthalbmillionen Rindern zwecks Marktbereinigung aufgrund der BSE-Krise zeugt allerdings nicht von einem geläuterten Anthropozentrismus! Stattdessen ist mit vollem Recht von einem ,,Eigenwert" der nichtmenschlichen Natur zu sprechen54 . Die Sonderstellung des Menschen darf sich trotz des Anthropozentrismus nicht gegen die "Eigenwertigkeit der Natur" richten. Vielmehr bezieht sie sich allein auf seine Gottesebenbildlichkeit und damit auf seine Würde. Sie weist ihn als sittliches Subjekt aus und verpflichtet ihn zu einem verantwortlichen Umgang mit der Mitkreatur55 . Während in der Geschichte dem christlichen Anthropozentrismus der Vorwurf gemacht wird, für die Umweltkrise und die Ausbeutung der Erde mitverantwortlich zu sein, genießen andere Religionsgemeinschaften wie der Hinduismus, Buddhismus, Shintoismus und Konfuzianismus in ihrem Verhältnis zur Natur eine weitaus positivere Wertschätzung. Viele Menschen halten sogar die archaischen Naturreligionen zur Lösung von ökologischen Fragen für besser geeignet als den christlichen Glauben. Bestimmte Regionen und Religionen bekämpfen die Dominanz des Westens und die christliche Welt. Gegen eine weltweite Nachhaltigkeit macht sich globaler Wi54 55

Vgl. Die Deutschen Bischöfe, Kommission, Heft 19 (1998), Z. 85. Vgl. Die Deutschen Bischöfe, Kommission, Heft 19 (1998), Z. 90.

4. Umgang mit der nicht-menschlichen Kreatur

71

derstand geltend. Entgegen einer immer stärker werdenden Modernisierung der Entwicklung besinnt man sich vor allem in der islamischen und in der hinduistischen Glaubensgemeinschaft im asiatischen Raum, aber auch in amerikanischen und europäischen Ländern, auf traditionelle Werte. Islamische Fudamentalisten, radikale Hindus und auch evangelikale Gruppierungen im christlichen Wirkungsfeld sind Träger solcher fundamentalistischen Orientierung. Indessen beschränkt sich der Fundamentalismus nicht auf die Religionen. Er ist vielmehr als eine "Reaktion auf neuartige globale Kommunikationsverhältnisse" zu sehen. "So kann es zum Beispiel einen familialen Fundamentalismus, einen Geschlechterfundamentalismus und einen ethnischen Fundamentalismus geben (und sogar einen ökologischen Fundamentalismus). In einer Welt der kosmopolitischen Kommunikation ist der Fundamentalismus stets potentiell gefährlich. Denn er ist eine Dialogverweigerung unter Umständen, in denen ein solcher Dialog das einzige Verfahren wechselseitigen Entgegenkommens darstellt,,56. Die christliche Theologie und die Kirchen haben viele Jahre die Gefahren der Umweltkrise nicht richtig wahrgenommen. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten haben beide Großkirehen die Herausforderung angenommen 57 . Jetzt bleibt für sie die Aufgabe, zukunftsfähige Verhältnisse auf ökonomischem, ökologischem und sozialem Gebiet mitzugestalten. Jedenfalls erkennen sie als ihre Aufgabe an, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu sorgen.

56 Zitat aus: Anthony Giddens, Jenseits von Links und Rechts, Frankfurt/M. 1997, S. 79, in: Pindl, Theodor, Bilder wie Blicke, Bausteine postmoderner Unternehmenskultur, Wien 1998, S. 19f. 57 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischöfe, Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, Z. 45.

4. Kapitel

Unternehmenskultur Mit der Rede von der Unternehmenskultur zu Beginn der achtziger Jahre versuchte man, den interkulturellen Unterschied zwischen der amerikanischen Wirtschaft und dem boomenden japanischen wirtschaftlichen Aufschwung zu begründen. In der Mitte der achtziger Jahre haben sich dann auch deutsche Autoren an der Diskussion über die Unternehmens- und Organisationskultur beteiligt. Eine Unternehmenskultur entwickelt sich nicht automatisch. Sie hängt von den handelnden Personen ab. Aus ihrem Handlungs- und Entscheidungsspielraum wächst ganz langsam die Unternehmenskultur heraus.

1. Der Kultur-Begriff Dem Wort Kultur liegt das lateinische Verb colere zugrunde. Dieses bedeutet: drehen, wenden, bebauen, pflegen. Damit drückte man in der Antike eine agrarische Tätigkeit aus. Der tiefere Sinn der Kultur lag darum zunächst nicht in einem kreativen Handeln, sondern in dem Bebauen des Ackerlandes. Später verwandten die Römer - vor allem Cicero - den Begriff cultura (Kultur) nicht nur für den Ackerbau, sondern auch im übertragenen Sinn als eine Pflege des Geistes: cultura animi 1. Cultura wurde jedoch nicht nur in Verbindung mit einem Genitiv-Attribut gebraucht. Vielmehr benutzte man das Substantiv cultura zur Unterscheidung zwischen Mensch und Tier und damit zur Differenzierung gegenüber der Natur (natura). Gemäß dem von Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) erstmalig verwandten "modernen Kulturbegrifr' ist unter Kultur eine lebendige "Gestalt eines Sozialgebildes" zu verstehen 2 • Herder befreite dann den Kulturbegriff von einem "linearen Fortschrittsdenken" und individualisierte ihn zugleich damit 3 . Da es keine Menschheitskultur gibt, entwickelt jedes soziale Gebilde stattdessen seine eigene Kultur. Kultur wird allmählich zum Synonym für Zivilisation, Bildung, Ausbil1 Vgl. Heinen, Edmund, Unternehmenskultur, München/Wien 1987, S. 51. Vgl. auch Dill, Peter, Unternehmenskultur, Bonn 1986, S. 19 ff. 2 Lay, Rupert, Über die Kultur des Unternehmens, Düsseldorf u. a. 1992, S. 23. 3 Lay, Rupert (1992), S. 23.

2. Unternehmenskultur als soziales Phänomen

73

dung und Vervollkommnung des Individuums. Der Begriff hat dann später eine erhebliche Wandlung erfahren. Einige Forscher versuchen die Unterschiede wieder zusammenzubringen und wollen unter Kultur den umfassenden "Zusammenhang des menschlichen Verhaltens" verstehen 4 . Der heutige Begriff zeichnet sich durch eine Fülle von Wortverständnissen aus. Von der Kulturtechnik in der Landwirtschaft über den Kulturkampf in der Bismarck-Ära bis hin zu den kulturellen Angeboten einer modemen Kommune kommen die unterschiedlichsten Wortverbindungen vor. Kultur ist im Unternehmens-Bereich als ein Ideensystem zu verstehen, das der Gesamtheit der unternehmensbezogenen Normen und Werte entspricht5 . Jedes soziale Gebilde entwickelt eine Summe von Überzeugungen und bildet seine eigene Kultur, die es gegen andere abgrenzt. So fördert es seinen Zusammenhalt und auch seine Überlebenschancen. Im Sozialgebilde "Unternehmen" werden die Formen ausgebildet, in denen die Menschen miteinander umgehen. Die Unternehmenskultur zeigt ihnen, mit welchen Werten sie arbeiten (nicht unbedingt leben). Zugleich weist das Wort darauf hin, wie das Unternehmen geführt wird. Dieses schafft eine Leistungsgesellschaft nach bestimmten Werten, Riten, Bedürfnissen und Strukturen. Diese wiederum legen ihrereits Werte und Bedürfnisse etc. fest. Aber Unternehmenskultur wird nicht isoliert von den Arbeitgebern oder von der Gemeinschaft der Arbeitnehmer eingeführt. Die Unternehmenskultur ist keine von außen gegebene Größe. Sie ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, aus einer überlieferten Tradition oder den Zielsetzungen der Arbeitgeber und den Vorstellungen, wie das Unternehmen nach innen und außen in Erscheinung treten soll, und schließlich aus den Wunsch- und Bedürfnisvorstellungen der Arbeitnehmer. Das Zusammenwachsen ist ein allmählicher Prozeß. An seinem Ende ergibt sich als Ergebnis die Unternehmenskultur. Sie ist nie statisch, sondern wird sich im Laufe der Zeit verändern und zu neuen Formen finden. Je stärker die Unternehmenskultur ist, um so kräftiger wird sie sich auf die Handlungsfähigkeit des einzelnen auswirken. Der Prozeß wird durch die Konkurrenzsituation beeinflußt, die den Entwicklungs- und Abgrenzungsprozeß mitbestimmt.

2. Unternehmenskultur als soziales Phänomen In der Mitte der achtziger Jahre entstand, wie gesagt, das betriebswirtschaftliche Interesse an der Unternehmenskultur und an der Organisationskultur6 . Werte, Normen und Verhaltensweisen wurden zu Schlüsselbegriffen. Um diese im Unternehmen und seiner Organistionstruktur durchzusetzen, sind notwendig: - die Förderung der Selbständigkeit der Mitarbeiter, Dill, Peter (1986), S. 22. Heinen, Edmund (1987), S. 50. 6 VgI. Beyer, Heinrich/Nutzinger, Hans. G., Unternehmenskultur, in: Hans G. Nutzinger (Hrsg.), Ökonomie der Werte oder Werte in der Ökonomie, Marburg 1996, S. 12 ff. 4

5

74

4. Kap.: Unternehmenskultur

- der Abbau hierarchischer Strukturen, die partnerschaftliche Zusammenarbeit, ein wechselseitiges Vertrauen zwischen den Mitarbeitern, der Betriebsleitung und dem Betriebsrat. Unternehmenskultur ist danach ein System sozialen Wissens; sie stellt etwas dar, das eine Art Miniaturgesellschaft ist, die ihr eigenes soziales Wissen mit entsprechenden Werten und Normen entwickelt. Die Unternehmenskultur definiert sich darum als eine an unternehmensbezogenen Werten und Normen orientiertes Sozialsystem. Von diesem Verständnis her erflihrt der Begriff der Unternehmensführung seine Besonderheiten. Denn den Mitarbeitern werden Ziele gesetzt und Handlungsanweisungen bzw. -beschränkungen diktiert, nach denen sie sich zu richten haben. Oder es werden mit ihnen Ziele vereinbart, die sie bereit sind, als Grundlage ihrer Entscheidungen zu akzeptieren. Alle notwendigen Entscheidungen, vor allem Strategiekonzepte werden zentral herbeigeführt. Die Verankerung der Planung, Ziele und Entscheidungen kann sehr wohl in der Unternehmenskultur liegen. Diese ist darum ein entscheidendes Führungsinstrument, die in einer umfassenden Weise kommunikations- und integrationsfördernd ist. Sie beeinflußt einerseits Handlungen und Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen. Andererseits wird sie durch Führungsverantwortung, Führungsstile, Führungsformen und Führungsinhalte geprägt. Es existiert also ein wechselseitiger Prozeß zwischen der Unternehmenskultur und den Führungsprozessen. Nach außen sichtbar wird eine Unternehmenskultur daran, wie das Unternehmen - mit seinen Mitarbeitern umgeht, sie aussucht und fördert, die Zusammenarbeit und Kommunikation intensiviert und Konflikte handhabt, - mit seinen Kunden umgeht, deren Interessen nachkommt, sich zu seinen Lieferanten verhält und die Kooperation mit ihnen sucht und fördert, sich den gesellschaftlichen Interessen gegenüber (z. B. gegenüber der Umwelt) verhält. Die Unternehmenskultur ist gleichsam das Ist des unternehmerischen Denkens und Handeins, die Unternehmensethik dagegen das Soll des Unternehmens 7. Die heute gebräuchliche Definition von Unternehmenskultur stammt von Oswald Neuberger und Ain Kompa (1987), nachdem "Business Week" 1980 den Begriff corporate culture zum ersten Mal eingeführt hat. Man verstand die Unternehmenskultur als ",die Summe der Überzeugungen, Regeln und Werte, die das Typische und Einmalige eines Unternehmens ausmachen' ... Folgerichtig wird daher 7 Vgl. Linneweh, Klaus, Unternehmensführung im Spannungsfeld von ökonomischer und ethischer Vernunft, in: Waldkirch/Wagner, Wirtschaftsethik, Stuttgart 1999, S. 187.

75

2. Unternehmenskultur als soziales Phänomen

im allgemeinen vom Geist, Stil, Linie, Charakter oder Profil eines Unternehmens gesprochen, und man meint damit immer den unverkennbaren, einmaligen Geist, Stil usw., der ein Unternehmen von anderen unterscheidet"s. Unternehmenskulturen existieren darum nicht außerhalb der gesamten gesellschaftlichen Kultur. Sie gehören in das allgemeine kulturelle Umfeld und sind immer zur gesamten kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft zu zählen. Die einzelnen Glieder sind Teile der jeweiligen Kultur. Um die Unternehmenskultur im engeren Sinn zu verstehen, ist es notwendig, sich das Unternehmen in seinen Abhängigkeiten vorzustellen. Kein Unternehmen arbeitet losgelöst von anderen Unternehmen. Nur im Wechselspiel zu ihnen trifft jedes Unternehmen seine Entscheidungen. Aber nicht dieser externe Einfluß allein bestimmt die Unternehmenspolitik. Denn Verhalten des Unternehmens ist zugleich von rechtlichen, tariflichen und politischen Normen abhängig. Sein Ziel ist es, heimische und fremde Märkte mit eigenen Produkten und Dienstleistungen zu versorgen. Andererseits läßt es sich selbst von Lieferantenmärkten bedienen. Der Gesamtzusammenhang stellt sich folgendermaßen dar:

Umwelt Tarifrecht ....- - r - -.. Allgemeiner rechtlicher Rahmen Wirtschaftspolitik

Personal-

Technische Entwicklung

Lieferanten-

Kunden-

Finanzmärkte

Umwelt

Die Unternehmenskultur stellt den Oberbegriff für andere Begriffe, die auf das Handeln des Unternehmens (Werte, Entscheidung, Führung etc.) bezogenen sind, dar. Jedes Unternehmen verfügt über eine eigene Unternehmenskultur. Sie verbindet sich mit anderen "ökonomischen" Kulturen und grenzt sich gleichzeitig von ihnen ab (z.B. Branchenkultur). Die Unternehmenskultur liefert die Grundlagen für die Unternehmensverfassung und die Führungsrichtlinien. Der wechselnde Einfluß sieht schematisch so aus: 8 Vgl. Bachinger, Richard, in: Richard Bachinger (Hrsg.), Unternehmenskultur, Frankfurt I M. 1990, S. 11.

76

4. Kap.: Unternehmenskultur

I I

I

Unternehmenskultur

~ Unternehmensphilosophie

~ Unternehmensverfassung

~

~

I

Unternehmensrichtlinien

I I I J

I I

I

... ...

3. Merkmale der Unternehmenskultur Unternehmenskulturen entstehen dort, wo Menschen zusammenkommen. Aus den Kulturen heraus bilden sich Normen und Werte, nach denen sich die Mitglieder der Kulturen verhalten. Diese können freilich auch schon vorgegeben sein! Heute sind Menschen eher als früher bereit, Kulturen selbst zu entwickeln und zu gestalten, statt sich von einer vorgegebenen Kultur vereinnahmen zu lassen 9 . Schematisch läßt sich das Entstehen von Kulturen folgendermaßen darstellen: Gesellschaft entwickelt Wert- und Normvorstellungen sie wirken auf konkretes Verhalten dieses entwickelt und wirkt auf

F'=1'

11 ",

diese wirkt wiederum auf

Die Unternehmenskultur ist nie abgeschlossen. Zwischen den Individuen und den sozialen Systemen findet eine ständige Interaktion statt. Eine Untemehmens9

Vgl. Rüttinger, Rolf, Unternehmenskultur, Düsseldorf 1989, S. 57 ff.

3. Merkmale der Untemehmenskultur

77

kultur bildet sich einerseits aus den gemeinsamen Werten, Normen und Einstellungen und führt gleichzeitig zu einem gemeinschaftlichen Verhalten aller Mitglieder. Viele Wertvorstellungen bleiben nicht unverändert. Sie verwandeln sich aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung. In den letzten fünfzig Jahren hat die Nachkriegsgeneration in Westeuropa ihre traditionellen Werte zu ganz neuen Wertvorstellungen gewandelt. Früher herrschten in einem Unternehmen Disziplin, Gehorsam, Hierarchie und Zentralisierung, heute dagegen Selbstbestimmung, Teamarbeit, Dezentralisierung. Waren früher die traditionellen Werte der Genügsamkeit und Sinnerfüllung in der Arbeit zentrale Punkte der Arbeitswelt, die in der Anerkennung der gegebenen Ordnung ihren Höhepunkt zeigten, so sind heute der Wunsch nach einer verantwortungsvollen Tätigkeit, der Wille zur Mitsprache oder zur Mitbestimmung und die Chance, genügend Freizeit wahrnehmen zu können, vorrangig. Das Eingebunden-Sein in den Entscheidungsspielraum innerhalb eines Unternehmens ist heute fast ebenso wichtig wie die Leistungsentlohnung. Es gibt keineswegs nur eine einzige Unternehmenskultur, sondern manigfaltige Entwicklungen sind möglich. Jede Unternehmenskultur kann sich mit anderen verbinden; sie können sich sogar überlappen. Da die Entwicklung nicht abgeschlossen ist, liegt die Möglichkeit nahe, dass sie sich mit der Zeit verändert und gegenüber neuen Einstellungen öffnet. Eine Unternehmenskultur sollte mindestens folgende Merkmale aufweisen: Sie muß sozial sein; viele Menschen tragen zu ihrem Werden bei. - Sie bestimmt das Verhalten der Menschen im Unternehmen. - Umgekehrt wird sie durch Menschen bestimmt. - Nach ihr soll gehandelt und gearbeitet werden. - Sie muß sich neuen Anforderungen und Organisationen anpassen. - Sie ist ein ständiger Prozeß, ohne daß das Ergebnis direkt im einzelnen faßbar ist. Die Unternehmenskultur ist mit der jeweiligen Führungsstruktur und mit Motivations-Elementen verbunden. Eine ausgeprägte Kultur in einem Unternehmen führt zu einer erhöhten Arbeitsmotivation. Die Unternehmenskultur hilft den Mitarbeitern, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Dadurch erfährt die Arbeit für den einzelnen Mitarbeiter mehr Sinnhaftigkeit. Eine ausgeprägte Unternehmenskultur ist nur bei erfolgreichen Unternehmen vorhanden. Ein Unternehmen mit mangelnder Effektivität hat große Schwierigkeiten, eine Unternehmenskultur zu entwickeln. Sie hilft zukünftig, das Einkommen der Mitarbeiter und deren Arbeitsplatz abzusichern. Fusionen werden nicht nur strategische, finanzielle Überlegungen anstellen. Sie werden sich auch mit der Kultur des jeweils anderen Unternehmens auseinandersetzen. Zwischen bei den wird es zu einem kulturellen Anpassungsprozeß kommen. Man spricht von Akkulturation. In den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhun-

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4. Kap.: Unternehmenskultur

derts wurde dieser Begriff von Kulturanthropologen in Nordamerika geprägt lO • Der heute übliche Begriff besagt: "Acculturation comprehends those phenomena which result when groups of individuals having different cultures come into continous firsthand contact, which subsequent changes in the original cultural patterns of either or both groups 11".

Bei einem Anpassungsprozess zweier Unternehmen wird sich die Akkulturation bei dem übernommenen Unternehmen stärker ausprägen als bei dem übernehmenden. Denn dieses wird seine Dominanz ausspielen.

4. Die Unternehmensphilosophie Die Unternehmenskultur steht in einer engen Verbindung zur Unternehmensphilosophie. Aber zwischen ihnen existieren Unterschiede. Beide Begriffe sind also nicht identisch. Aber sie werden dann und wann vermischt. Wahrend man unter Kultur die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Ausdrucksformen verstehen kann, will die Philosophie über den Ursprung, das Wesen und den Zusammenhang der Dinge nachdenken. Die Unternehmenskultur gibt auch die Vorlagen für die Entwicklung einer Unternehmensphilosophie ab. Die Unternehmensphilosophie besitzt im anglo-amerikanischen Raum eine lange Tradition, sonderlich im Bereich des Managements. Unter einer Unternehmensphilosophie können sowohl ein unternehmerisches Leitbild als auch unternehmerische Grundsätze verstanden werden l2 . Es geht um das Streben des Unternehmens nach einer eigenen Weisheit. Das Unternehmen will und soll die Probleme des Alltags richten und seinem Handeln Weisheit und Sinnn geben. Dabei muß die Bedeutung des Unternehmens von seinen Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden oder Wettbewerbern beriicksichtigt werden. In der Unternehmensphilosophie steht für den Mitarbeiter nicht das Erwirtschaften von Existenzmitteln im Vordergrund, sondern die Chance und Möglichkeit, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Von der Konsumerntenseite gilt dasselbe: Die Produkte des Unternehmens sollen vom Verbaucher und anderen Gruppen (Gemeinden, Gesellschaft) richtig genutzt werden. Die Unternehmensphilosophie kennt nicht nur monetäre Ziele, sondern auch andere immaterielle Werte wie Prestige, Macht, Unabhängigkeit. Eine Unternehmensphilosophie fragt nicht nur nach dem Was, Wann, Wie, sondern auch nach dem Wozu, Wodurch, Weshalb 13 . In der Literatur wird zwischen drei Verständnissen der Unternehmensphilosophie unterschieden. Nach der 1. Form steht die Unterneh10 Aßmann, Georg/Backhaus, Klaus/Hilker, Jörg (Hrsg.), Deutsch-deutsche Unternehmen, Stuttgart 1991, S. 40. 11 Aßmann, Georg u.a. (1991), S. 41. 12 Vgl. Dill, Peter, Unternehmenskultur, Bonn 1986, S. 103ff. 13 Vgl. Dill, Peter, Unternehmenskultur, Bonn 1986, S. 104.

4. Die Unternehmensphilosophie

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mensphilosophie neben der Religions-, Staats- oder Wirtschaftsphilosophie. Nach der 2. Deutung stellt sie auf das reine Philosophieren ab. Wird dagegen Pilosophie als das Ergebnis des unternehmerischen Handeins verstanden und so das Ziel aller Funktionen in einem Unternehmen ins Auge gefaßt, haben wir es schließlich mit einer 3. Art von Unternehmensphilosophie zu tun l4 . Im allgemeinen muß die Unternehmensphilosophie sich mit allen drei Formen abgeben. Diese gehen außerdem in den Kulturbegriff ein. Insofern sich die Unternehmensphilosophie im Verhalten und Erscheinungsbild des Unternehmens widerspiegelt, ist sie ein Teil der Unternehmenskultur. In ihr will man nicht in theoretischem Philosophieren stecken bleiben, sondern ganz bestimmte Werte und Ziele im Unternehmen erreichen. Deshalb ist ein unternehmerisches Philosophieren ein immer zugleich mit der Praxis verbundenes Denken und Handeln. Dazu gehört selbstverständlich der ganze Komplex der Führungsphilosophie. Außerdem sind noch die Sach- und Verhaltensstrukturen eines Unternehmens hinzuzurechnen. Die Unternehmenskultur dagegen gibt alles wieder, was tatsächlich - unter Umständen sogar im Gegensatz zur Führungsebene - vom Unternehmen heraus gelebt und praktiziert wird l5 .

4.1 Organisationskultur

Jedes Unternehmen ist ein lebendiger Organismus und damit eine Organisation, die durch die Mitglieder gestaltet wird. Oft ist das eins ihrer speziellen Unterscheidungsmerkmale gegenüber anderen Unternehmen. Gleich dem übergeordneten Verhältnis der Unternehmenskultur zur Unternehmensphilosophie steht die Organisationskultur als herrschender Begriff der Organisationsphilosophie gegenüber. Die Organisationsphilosophie stellt darum "nur" die Form in einer Organisationskultur dar. Aber auch zwischen der Unternehmenskultur und der Organisationskultur besteht eine Wechselwirkung. Häufig wird der Begriff der Unternehmenskultur mit dem der Organisationskultur gleichgesetzt. Dennoch sind beide Begriffe nicht identisch. Die Organisationsstruktur baut sich inhatlich durch die Arbeitsstrukturen und Arbeitsinhalte auf. Es kann zwischen festgelegten und nicht fixierten Inhalten der Arbeit unterschieden werden. Außerdem gibt es objektive und subjektive Spielräume der Arbeit, die durch die Organisationsstrukturen besonders eingeengt oder erweitert werden. Die Organisationsstruktur erfährt ihren Charakter durch die Integration in das Ganze des Unternehmens. Nach der lateinischen Wurzel aus dem Verb integrare (wiederherstellen) und dem Substantiv integratio (Erneuerung) ist zwischen der Integration als "Wiederherstellung einer Einheit" und "Eingliederung in ein größeres Herder-Dornreich, Philipp, Unternehmensphilosophie, Baden-Baden 2 1991, S. 11 f. Vgl. Weßling, Matthias, Unternehmensethik und Unternehmenskultur, Münster/New York 1992, S. 26. 14 IS

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4. Kap.: Unternehmenskultur

Ganzes" zu unterscheiden 16. Als Integrationsträger sind alle Unternehmens-Mitglieder, Gruppen, Stäbe und das Management denkbar. Bei den Integrations-Instrumenten ist an Macht, Autorität, Geld, oder an Werte oder Normen zu denken. Zu den Prozessen der Integration zählen rationale Austauschprozesse, soziales Handeln, Standardisierung, Mißtrauen und Vertrauen. Die Kultur eines Wirtschaftsunternehmens kann die betriebswirtschaftlich-technische Organisation umschließen. In diesem Fall erfaßt die Organisationskultur den strukturellen Teil betriebs wirtschaftlicher Abläufe. Organisationen sind Miniaturgesellschaften; sie entwickeln ihre eigene Kultur und bilden ihre eigenen Normen, Verhaltenskodices und Werte. Dann aber werden Wirtschaftsunternehmen und Organisationen als Kulturkörperschaften und nicht nur als soziale Systeme verstanden 17. "Historisch-gesellschaftliche Bedingungen und Entwicklungen" üben sowohl auf die Unternehmenskultur als auch auf die Unternehmensphilosophie ihren Einfluß aus. Die Gründer bzw. die dominanten Mitglieder der Unternehmen bringen ihre Visionen und Verhaltensweisen mit ein und gestalten die Unternehmens- und Organisationskultur aufgrund eigenen Erlebens und eigener Entwicklungen 18. Die Organisationsphilosophie wird sowohl von individuellen als auch von kollektiven Vorstellungen geprägt. Die einzelnen Mitglieder bilden eine individuelle Form aus, die kollektive Struktur wird von sozialen Gruppen geschaffen l9 . Die Einführung neuer Techniken und die Veränderung des Organisationsapparates und damit der Arbeitsaufgaben erfordern eine Änderung in der Organisation. Der Anlaß dafür kann sowohl in der Person des Mitarbeiters als auch in der Strategie der Unternehmung liegen. Organisationskultur bedingt gleichzeitig die Personalentwicklung. Ethische Entscheidungen werden umso mehr verwirklicht, je mehr die Organisation mitmacht. Opponiert die Organisationskultur gegenüber der Ethik, ist die Durchsetzungsmöglichkeit in Ethik-Kommissionen oder in Form von Ethik-Kodizes schwierig. Deshalb ist die soziale Gestaltung der Ethik im Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Denn die personale Ethik ist vielzu stark individuell geprägt, als daß sie auf die ganze Organisations struktur und -kultur einwirken kann.

Jöns, Ingela (1995), S. 40. Vg!. Grudowski, Stefan, Informationsmanagement und Unternehmenskultur, Diss. Phi!., Berlin 1995, S. 42 ff. 18 Vgl. Jöns, Ingela, Managementstrategien und Organisationswandel, Weinheim 1995, S.9. 19 Vg!. Jöns, Ingela (1995), S. 9. 16

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5. Ethik in der Personalentwicklung

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4.2 Corporate Identity

Der Begriff der Corporate Identity weist auf die durch die Zeichen symbolik festgelegte Identität des Unternehmens hin. Es gilt, die Gestaltungsmerkmale zu erfassen, die es den Mitglieder - aber auch den Nichtmitgliedern - ermöglicht, das Unternehmen als Einheit zu begreifen. Aufgrund der Corporate Identity weist es den Mitarbeitern die Möglichkeit zu, sich mit ihm zu identifizieren. Ebenso wie ein Mensch erst allmählich zu einer Persönlichkeit heranwächst, gewinnt eine Körperschaft oder ein Unternehmen erst langsam eine Persönlichkeitsstruktur2o . Freilich wird vielfach die Corporate Identity nach außen auf die Gestaltung von Briefköpfen, Firmensignets oder Image-Werbung reduziert. Aber solche Formen äußerer Gestaltung stellen häufig nur Aktionismus dar und erfassen keineswegs den ganzen Unternehmenskörper. Coporate Identity will ein Erscheinungsbild abgeben, das Ausdruck des Selbstverständnisses des Unternehmen ist. Nach innen wird erwartet, daß sich Führungskräfte und Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren können. Leistung, Inhalt und Form müssen übereinstimmen bzw. einander entsprechen. Die Zielsetzungen gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den innerbetrieblichen Interaktionen sollten durchsichtig und klar erkennbar sein. Die sprachliche Kommunikation (Marketing, Firmenbriefe und Werbung) hat mit dem visuellen Erscheinungsbild (Produkt-Designe, Dienstleistungen, Einrichtungen des Unternehmens etc.) übereinzustimmen.

5. Ethik in der Personalentwicklung Wo Werte und Normen im Spiel sind, muß auch von einer ethischen Orientierung der Unternehmung gesprochen werden. Die Auswahl, der Einsatz und die Entwicklung von Personal stellt einen Aspekt einer moralischen Ausrichtung dar.

In der Personalentwickung geht es darum, den richtigen Menschen für den richtigen Arbeitsplatz zu finden. Ihre Zielsetzung besteht darin, den beruflichen Status des Mitarbeiters zu entfalten. Dieser soll so gestaltet werden, daß durch ihn auch das Unternehmen eine bessere Zukunftschance erhält. Die Maßnahmen für die Personalentwicklung sind im Einklang mit der Unternehmenskultur vorzunehmen. Veränderungen in der Unternehmenstruktur und -kultur wirken sich auf die Beschäftigung der Mitarbeiter, ihre Einsatzmöglichkeiten, ihre Fähigkeiten und ihre Anforderungen aus. Schließlich verändern neue Arbeitssituationen auch Werte und Normen in einem Unternehmen, so daß sich selbst die Unternehmenskultur ändert. Mit ihr ergeben sich neue Herausforderungen an die Mitarbeiter. 20

Vgl. Herder-Dornreich, Philipp (1991), S. 125.

6 Kramer

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4. Kap.: Untemehmenskultur

Früher reichte es, wenn die Führungkraft aus der Vergangenheit heraus ablas, welche Anforderungen an das Personal in der Zukunft zu stellen waren. Heute in der Zeit der Globalisierung ist die Personalentwicklung in der Vorstandsetage zu verankern. Die künftige Entwicklung des Unternehmens und die der Märkte muß auch für die Personalentwicklung Berücksichtigung finden. Denn schließlich sind diese Entwicklungen für die Qualifizierung der Mitarbeiter von Wichtigkeit.

5.1 Doppelte Ausrichtung der Personalentwicklung Die Personalentwicklung muß sowohl auf die Erfordernisse des Betriebes als auch auf die Vorstellungen und Wünsche der Mitarbeiter Rücksicht nehmen. Die Erfüllung von persönlichen und betrieblichen Zielvorstellungen gehen bei der ethischen Ausrichtung der Personalentwicklung Hand in Hand. Die Vorstellungen in beiden Fällen sind vor allem ökonomisch ausgerichtet. Aber eine ethische Orientierung ist zweifelsohne erkennbar. In der Personalentwicklung ist auf die sachgerechte Beschäftigung der Mitarbeiter, die ihren Eignungen und möglichst auch ihren Wünschen entspricht, achtzugeben. Die Auswahl, Beschäftigung, Beurteilung oder Weiterentwicklung von Mitarbeitern implizieren ethische Kategorien. Die Situation der Unternehmung kann bei einer gleichzeitigen ethischen Wahrung des Personaleinsatzes verbessert werden. Zwischen den Vorstellungen des Betriebes und den Wünschen des Mitarbeiters herrscht ein Dualismus, dieser darf keineswegs zu einem Interessenkonflikt führen. Das eine Ziel bedingt zugleich das andere. Betrieb und Mitarbeiter sind aufeinander bezogen. Das bedeutet, daß eine Laufbahnplanung des Mitarbeiters und seine Karriereentwicklung unter dem Anspruch eines ethischen Prozesses stehen. Im persönlichen Bereich besteht das Ziel darin, die Dialogfähigkeit und die soziale Kompetenz des Mitarbeiters zu fördern. Aber gut ausgebildete und entwickelte Mitarbeiter haben nicht nur die Möglichkeit, ihre eigene Zielsetzung zu verwirklichen, sondern sind zugleich eine personale Reserve und damit eine bedeutsame Ressource für den betrieblichen Erfolg. Der soziale, wirtschaftliche und technische Wandel erfordert eine ständige Weiterbildung des Mitarbeiters. Die während der Ausbildungszeit erworbenen Kennntnisse reichen nicht, das Berufsleben vollständig auszufüllen. Eine Fortbildung der erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse und eine Weiterbildung in allen Bereichen, die nur mittelbar mit dem Beruf zu tun haben, ist notwendig. Die Personalentwicklung muß die ökonomischen Notwendigkeiten, das organisatorische Gefüge des Unternehmens mit den persönlichen Zielsetzungen der Mitarbeiter, ihren Erwartungen, Bedürfnissen und Wünschen verbinden. Unternehmen haben nur dann eine Chance, sich im Wettbewerb zu behaupten, wenn ihre Mitarbeiter zufrieden sind und sich den Marktchancen anpassen. Darum bedeutet Personalentwicklung für die Personalpolitik aus Sicht der Unternehmen:

5. Ethik in der Personalentwicklung

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- Abbau der Fluktuation und der Fehlzeiten. - Verbesserung des Betriebsklimas. - Höhere Motivation der Mitarbeiter. - Ausrichtung der Personalführung auf kollektive und delegative Führungskonzepte (Team- und Gruppenarbeit). - Förderung von individuellen und kollektiven Lernprozessen. - Sicherung des Mitarbeiterstammes. - Verbesserung des Images. Der Einsatz der Mitarbeiter steht unter einer wirtschaftlichen Anforderung. Sie haben ihre Qualifikationen, ihre Fertigkeiten, Kenntnisse, ihr Wissen und ihre Neigungen auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn ihren Bedürfnissen im Betrieb Rechnung getragen wird, steigt die Arbeitsmotivation. Der Mitarbeiter strebt nach der Verwirklichung seiner Bedürfnisse, also nach einer - beruflichen Selbstverwirklichung, - Arbeitsplatzsicherung, - Erhöhung des Verantwortungsspielraums, - Erhöhung der Motivation, - Verbesserung der Einstiegs- oder Aufstiegschancen, - höheren Eingruppierung, - Steigerung des individuellen Marktwertes. Die Personalentwicklung richtet sich an die Mitarbeiter in allen Funktionsebenen. Da ein breites Spektrum unterschiedlicher Motive bei der Gestaltung von Weiterbildungsmaßnahmen herrscht, dürfen nicht allein bereits Qualifizierte gefördert werden. Hinter der Personalentwicklung steckt mehr als nur eine Weiterbildung. Diese ist nur ein Mittel im Bereich der Personalentwicklung. Andere müssen hinzukommen: - Eine Entwicklung von Vorstellungen über die zukünftigen Ziele des Unternehmens. - Eine Übersicht der neu in Angriff zu nehmenden Aufgaben und der neu zu besetzenden Stellen. - Eine Aufstellung der Mitarbeiter, die besonders zu fördern sind, weil sie neue Aufgaben übernehmen sollen. - Eine Zusammenstellung der Stärken und Schwächen dieser Mitarbeiter. Die Personalentwicklung ist ein Teil der Personalplanung. Sie schafft in Abstimmung mit der Unternehmensplanung die Voraussetzung für die Erfüllung der Unternehmensziele. 6·

4. Kap.: Unternehmenskultur

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Da bei der Personalentwicklungsplanung die Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber berührt sind, ist ihre Zielsetzung zu berücksichtigen. Für die Arbeitnehmer geht es um das zielgerichtete Lernen. Sie wollen den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen in ihrem Aufgaben- und Anforderungsbereich gerecht werden. Das Motiv der Arbeitgeber für die Personalentwicklung liegt in dem Wunsch, dem Mitarbeiter die Chance zu geben, daß er seine Aufgaben besser erfüllen kann. Um das zu erreichen, ist zu prüfen, - wem was vermittelt werden soll, - welche Mittel für den einzelnen notwendig bzw. hilfreich sind, - von wem, wo und wann diese Maßnahmen durchgeführt werden sollen, welche Kosten in Anrechnung zu stellen sind. Die Förderung durch die Personalentwicklung und die Annahme von vorgeschlagenen Bildungsmaßnahmen sind die Voraussetzung zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und die Basis eines beruflichen Fortkommens. Das Unternehmen muß helfen, die Ziele des Mitarbeiters zu verwirklichen. Im einzelnen geht es dabei auch um eine ethische Ausrichtung. Denn es handelt sich um: - Erhaltung und Ausbau der Qualifikation der Mitarbeiter. Eingehen auf ihre Interessen und Wünsche hinsichtlich ihres Verantwortungsrahmens. Sicherung des Bestandes an Fach- und Führungskräften aus dem Betrieb. Verbesserung innerbetrieblicher Informations- und Kommunikationsstrukturen etc. Durch die Personalentwicklung sollen die persönlichen Erwartungen des Mitarbeiters im Blick auf sein berufliches Weiterkommen erfüllt werden. Dazu gehören: - Anpassung an den Arbeitsmarkt und die berufliche Entwicklung. Erhöhung der Mobilität. Sicherung des Arbeitsplatzes. - Vergrößerung des Verantwortungsspielraums. Bessere Chancen der Selbstverwirklichung. Um die personalpolitichen und organisatorischen Ziele zu erlangen, wie etwa Schaffen eines sozialen Betriebsklimas, Intensivierung der Information und Kommunikation, Veränderung der Arbeit und ihrer Methoden, ist eine langfristige Strategie notwendig. Wird diese Organisationsstruktur durchgesetzt, kommt es zu einer

5. Ethik in der Personalentwicklung

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Unternehmensentwicklung, zu einer Unternehmensphilosophie und für die Mitarbeiter zu einer Corporate Identity. Die Organisations- und Stellenpläne klären die Unter- und Überordnungsverhältnisse gegenüber den einzelnen Stellen. Wahrend der Organisationsplan nur die Leitungsstellen eines Unternehmens umfaßt und so eine Übersicht über den gesamten Organisationsaufbau vermittelt, enthält der Stellenplan sämtliche Stellen des Unternehmens. Personalentwicklung ohne das Instrument einer Mitarbeiterbeurteilung ist nicht vorstellbar. Diese dient einer qualitativen Analyse der Mitarbeiterschaft. Heute wird unter Mitarbeiterbeurteilung ein Verfahren verstanden, mit dessen Hilfe der Vorgesetzte seine Mitarbeiter in bestimmten vorgeschriebenen Zeitabständen anhand bestimmter formaler vorgegebener Kriterien beurteilt. Sie hat in den letzten beiden Jahrzehnten an Bedeutung zugenommen und wird in Deutschland bereits in verschiedenen Tarifverträgen beriicksichtigt. Ihr Zweck besteht in einer gerechteren leistungsabhängigen Lohn- und Gehaltsfestsetzung, in der Unterstützung von Personalentscheidungen, im Personaleinsatz und schließlich in der Entwicklung und Förderung von Mitarbeitern.

5.2 Effektivität der Personalentwicklung Um das Ziel einer effektiven Personalpolitik zu erreichen und den Anforderungen zu genügen, ist Mobilität auf allen Gebieten gefordert. Wer den Anforderungen auf die Dauer nicht genügt, weil er starr an seinem augenblicklichen Stand festhält, muß damit rechnen, daß sein Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist. Die Personalabteilung - zuständig für die Planung, Durchführung und Kontrolle der Förderungs- und Bildungsrnaßnahmen - wird gezielt auf die zukünftigen Anforderungen der Arbeitsplätze eingehen und notwendige Maßnahmen überlegen. Dabei spielt die Beurteilung des Mitarbeiters eine wichtige Rolle. Entwicklungsrnaßnahmen können sowohl im Arbeitsprozeß selbst (Training-on-the-job) als auch in Sonderveranstaltungen (Training-off-the-job) durchgeführt werden. In jüngster Zeit gibt es eine neuere Form von ethischer Personalentwicklung: Die neutestamentliche Aussage Jesu: "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Briidern, das habt ihr mir getan" (Mt. 25,40), findet eine aktuelle Anwendung in personalpolitischen Entwicklungsrnaßnahmen. Die Personalentwicklung bezieht sich nicht auf die direkte Förderungen von berufsbedingten Kompetenzen. Vielmehr soll die Sozialkompetenz der Mitarbeiter gestärkt und ausgebaut werden. Darum wird von den leitenden Mitarbeitern der Umgang mit Gestrauchelten, Kranken und Armen gefördert. Dieses - in der Schweiz Seitenwechse1 genannte Projekt, das 1991 ins Leben gerufen wurde 21 - gehört heute zu den Stan21 Ähnliche Programme etwa zu Gunsten des Umweltschutzes laufen schon seit langem in den USA als Caring-Day bekannt.

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4. Kap.: Unternehmenskultur

dardprograrnrnen bei Schulungen von Führungskräften. Man hofft, dadurch ihre Wahmehmens- und Kommunikationsfähigkeit zu stärken. Vorurteile sollen abgebaut und Verständnis für die Situation anderer aufgebaut werden. Die Führungskräfte sollen lernen, ihre Mitarbeiter nicht zu übermäßigem Handeln zu drängen, sondern ihre Leistungen zu optimieren. Dadurch möchte man das emotionale Handeln stärken und Blockaden einreißen 22 . Diese Art von Personalentwicklung erfordert gewisse organisatorische Veränderungen im Unternehmen. Die Mitarbeiter müssen erst langsam mit ihr vertraut gemacht werden. Es müssen Leitlinien gesetzt und I oder Rahmenbedingungen entwickelt werden. Die ethische Orientierung der Personalentwicklung, die unter dem Anspruch einer individualistischen Autonomie steht, funktioniert nur, wenn der einzelne bereit ist, die eigenen Wünsche und Pläne offen zu legen. Nur wenn unter den Mitarbeitern und der Unternehmensleitung Toleranz, Verläßlichkeit und Vertrauen herrschen, ist diese ethische Struktur einer Personalentwicklung durchzusetzen. 5.3 Gesetzliche Bestimmungen Bereits heute bestehen für die Durchsetzung der Personalentwicklung in Deutschland gesetzliche Vorschriften. Als wichtige juristische Quellen sind das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und das Berufsbildungsgesetz (BBiG) heranzuziehen. Im BetrVG ist allerdings die Personalentwicklung nicht ausdriicklich enthalten. Aber der Betriebsrat hat aufgrund seiner Mitwirkungs- und Mitbestimmungsfunktionen zahlreiche Einflußmöglichkeiten. Nach § 90 Abs 1 BetrVG ist der Betriebsrat durch den Arbeitgeber rechtzeitig vor der Planung VOn Neu-, Umund Erweiterungsbauten betrieblicher Räume, technischer Anlagen, Arbeitsverfahren und Arbeitsplätzen zu informieren. Weitere Einflußnahmen richten sich auf die Personalentwicklung, Personalplanung, Mitarbeiter-Beurteilung, Berufsbildung und die Stellenausschreibung. In den §§ 92 - 98 BtrVG sind die Mitwirkungsrechte bei der Personalplanung und der Berufsbildung geregelt. Der Betriebsrat hat gemäß §§ 96 - 98 BetrVG zusammen mit den Arbeitgebern die Möglichkeit, die Berufsbildung als ein Kernelement der Personalentwicklung mitzugestalten und zu fördern. Dazu gehören die Verpflichtung, den Betriebrat über Personalbedarfplanung zu unterrichten. Der Arbeitgeber und der Betriebsrat haben gemäß § 96 Abs 1 BetrVG im Rahmen der betrieblichen Personalplanung in Zusammenarbeit mit den infrage kommenden Stellen die Berufsbildung der Arbeitnehmer zu fördern. Wahrend die §§ 96 und 97 BetrVG den Betriebsrat nur die Möglichkeit einer Mitwirkung bei der Berufsbildung einräumen, enthält der § 98 echte Mitbestimmungsrechte. In ihm wird in Abs. I festgelegt, daß der Betriebsrat bei der Durchführung VOn Maßnahmen für die betriebliche Berufsbildung mitzubestimmen hat. Bei betrieblichen oder außerbetrieblichen Maßnahmen hat der Betriebrat das Recht, Vor22

Vgl. Wirtschaftswoche Nr 1/2 vom 4. 1. 2001, S. 74ff.

5. Ethik in der Personalentwicklung

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schläge für die Teilnahme von Arbeitnehmern zu machen (§ 98 Abs. 3 BtrVG). Bei der Stellenausschreibung hat er mitzubestimmen; das gilt auch gemäß § 94 Abs.2 BetrVG bei der Aufstellung von Beurteilungsgrundsätzen. Es soll so ein möglichst objektives Beurteilungswesen angewandt werden. Die Mitarbeiterbeurteilung gehört zwar zu den unverzichtbaren Teilen der Personalentwicklung. Aber dem Betriebsrat wird gemäß § 94 BetrVG nur das Recht zugestanden, die Beurteilungsgrundsätze zu akzeptieren oder sie abzulehnen. Er selbst hat kein Initiativrecht. Bei der Festsetzung von Auswahlkriterien für Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen wird gemäß § 95 Abs. 1 BetrVG die Zustimmung durch den Betriebsrat verlangt. Im Bereich der Berufsbildung hat nach § 99 BetrVG der Betriebsrat bei Versetzungen oder Umgruppierungen ein gewisses Mitsprache- und Mitwirkungsrecht. Außer dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht nach §§ 81 - 86 BetrVG ein Mitsprache- und Mitwirkungsrecht für den einzelnen Arbeitnehmer. Durch das BeruJsbildungsgesetz vom 14. Aug 1969 wurden gemäß § 1 BBiG die Berufsausbildung (§ 1 Abs. 2), die berufliche Fortbildung (§ 1 Abs 3 BBiG) und die berufliche Umschulung (§ 1 Abs 4 BBiG) geregelt. Danach ist es die Aufgabe der - Ausbildung, die notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. - Fortbildung, dem Mitarbeiter zu Kenntnissen und Fertigkeiten zu verhelfen, die es ihm ermöglichen, sich der technischen Entwicklung anzupassen und die Voraussetzung für einen beruflichen Aufstieg zu schaffen. - Umschulung, den Mitarbeiter zu einer anderen Tätigkeit zu befähigen.

Das Berufsbildungsgesetz will es gemäß § 1 Abs.3 den Mitarbeitern ermöglichen, "die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, der technischen Entwicklung anzupassen oder beruflich aufzusteigen". Darum kann zwischen Anpassungs-, Aufstiegs- und Ergänzungsqualifikation unterschieden werden. Es geht dabei im Bereich der Anpassung u.a. um die Einführung neuer Mitarbeiter oder um die Vermittlung von Wissen zur beruflichen Rückkehr ins Erwerbsleben. Im Bereich der AuJstiegsqualifikation soll dem Mitarbeiter der Aufstieg in der Hierarchie ermöglicht werden. Die Ergänzungsqualijikation liefert allgemeine Bildungsinhalte, die nicht unbedingt arbeitsplatzbezogen sind. Die Fortbildung und Weiterbildung wird nur dann Erfolg haben, wenn die Maßnahmen in ihrer Zielsetzung auf die betrieblichen und indivuellen Bedürfnisse und Notwendigkeiten abgestimmt werden. Zwar ist bislang in den Bereichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung wenig von Ethik zu lesen. Denn in ihnen ist kein Platz gelassen für eine ethische Konzeption. Aber sowohl in dem Personalbereich als auch in den Institutionen wird die ethische Kompetenz des Dialogisierens und die Suche nach einer moralischen Urteilskraft und Verantwortung gefragt. Zur ethischen und fast schicksalhaf-

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4. Kap.: Unternehmenskultur

ten Entscheidung ist der jeweils rechte Kairos vonnöten. Diesen Kairos als richtigen Zeitpunkt (nicht Zeitspanne, chronos) zu ergreifen, bewirkt mehr als eine noch so gut gemeinte Tat es vermag. Allerdings ist Zeit im Sinne des chronos nichts anderes als das "Medium der Handlungskoordination'.23.

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Zitat aus Kramer, Rolf, Phänomen Zeit, Berlin 2000, S. 115.

5. Kapitel

Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik Der Begriff Ethik umschreibt eine allgemeine Theorie des sittlichen Handeins. In ihr wird über die Prinzipien der Handlungen nachgedacht und die Möglichkeit untersucht, wie moralische Normen zu realisieren sind. Die Ethik ist also eine kritische Reflexion über Normen und Wertvorstellungen von Personen, Institutionen oder sozialen Gruppierungen. Sie hat sich um die Regeln des sittlichen Verhaltens (Moral) zu bemühen und damit um die "Prinzipien moralichen Handelns"l. Die Unternehmenskultur ist als die Gesamtheit des Denkens und Handeins zu verstehen. Die Unternehmensethik liefert ihre Begriindung dazu. Die Unternehmenskultur zeigt die generelle Orientierung für das moralische Handeln des Unternehmens auf, die Unternehmensethik gibt die inhaltliche Füllung des unternehmerischen Sollens an. Während die Unternehmenskultur deskriptiv vorgeht und die unternehmerische Tätigkeit untersucht, liefert die Unternehmensethik die Normen und Wertvorstellungen für die anstehenden und notwendigen Entscheidungen 2 . Es gibt unterschiedliche Unternehmenskulturen. Die ethischen Entscheidungen aber müssen in gleich gelagerten Fällen gleich sein. Die Kultur für alle Unternehmen gibt es nicht. Dagegen muß das Soll für die Unternehmensethik vergleichbar sein. Im Fall von unterschiedlichen Zielvorstellungen wird es natürlich Differenzierungen geben. Die Unterscheidung ergibt sich aus der Frage, was verwirklicht werden soll. Einer Unternehmensethik bleibt als Diskurs-Ethik nur "die bescheidene Rolle eines kritischen Regulativs, d.h. sie kann ethische Rationalitäts- und Verbindlichkeitanspriiche nur unablässig kritisch hinterfragen, nie jedoch im konkreten Fall positiv begriinden,,3. Anfang der achtziger Jahre wurde der Begriff der Unternehmensethik in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt. Aufgrund der Business Ethics sind ganze Ethik-Programme entstanden (z.B. Ethic Training, Ethic Code, Ethic Committee, Ethic Office etc. 4). Daraufhin richtete man Ethik-Büros ein. Dort wurde das personale Verhalten der Mitarbeiter gegenüber den Kollegen, Kunden, Lieferanten festgelegt. Gesundheits-, Sicherheits-, Umweltvorschriften wurden erlassen. I

2

3 4

Karmasin, Matthias, Ethik als Gewinn, Wien 1996, S. 250. Vgl. Weßling, Matthias (1992), S. 4; 30; 65. Ulrich, Peter eI991), S. 203. Vgl. Palazzo, Bettina, Interkulturelle Unternehmensethik, Wiesbaden 2000, S. 202 ff.

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5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

Daß solche ,,Empfehlungen" auch eingehalten bzw. durchgesetzt und befolgt werden, muß vom Unternehmen selbst überwacht werden. Dazu dient das Ethik-Büro. Zu seinen Aufgaben zählen Erarbeitung, Präsentation und Verbreitung von EthikCodices. In Europa erfuhr der Begriff der Unternehmensethik einen Bedeutungswandel. Manche Forscher sehen sie heute dort in der Nähe zur Unternehmensphilosophie5 . Die meisten jedoch kehren eher die enge Verbindung zur Unternehmenskultur heraus. Die Unternehmensethik widmet sich wie die Unternehmenskultur dem werteoder normbezogenen Handeln. In Deutschland haben die amerikanischen Business-Ethics-Ansätze in der sozialen Verantwortung der Unternehmen ihre Pendants gefunden 6 . Es gibt keinen globalen Konsens zwischen den beiden Ethik-Richtungen. Die amerikanischen und deutschen Programme sind grundverschieden. Die praktische Vorgehensweise der Amerikaner als Gehorsam gegenüber bestimmten Regeln erfahrt bei den deutschen Unternehmen eine Ablehnung7 • Umgekehrt stößt die systematisch orientierte deutsche Wirtschaftsethik mit ihrer Werte- und Normendiskussion bei dem Pragmatismus der Amerikaner auf Skepsis8 . Wahrend diese sich weniger mit der theoriebeladenen Systemfrage eines antagonistischen Streites über den Primat von Ethik und Ökonomie beschäftigen, liegt der deutschen Fragestellung besonders die Verhältnisbestimmung zwischen den ethischen und ökonomischen Disziplinen am Herzen. Außerdem sind die Amerikaner viel stärker invidual-ethisch orientiert als es die deutsche Wissenschaft ist9 . Der Ethik geht es um die Verwirklichung von Werten und damit um die Durchsetzung ethischer Normen im Unternehmen, wie z. B. die der Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit. Die Unternehmensethik ist immer eine Zielvorstellung unternehmerischen Handeins. Die angestrebten Ziele werden in der Gesellschaft erdacht und entwickelt. Man kann von einer wirtschaftlichen Durchsetzung von Leitbildern sprechen. Darum hat die Ethik einen unmittelbaren Einfluß auf das Tun und Handeln in allen Ebenen. Aber während die Unternehmenskultur täglich im Unternehmen praktiziert wird, tritt eine Unternehmensethik erst bei einem entsprechenden Willen zur Reflexion auf. Dabei ist der Dialog mit anderen Unternehmen oder Mitarbeitern notwendig. Unternehmensethik strebt besonders nach Richtlinien für das richtige, faire bzw. gerechte Handeln des Unternehmens. Fairneß, Loyalität und Vertrauen sind wesentliche Gestaltungsgrundlagen für das Kooperieren von Mitarbeitern und Unternehmensleitern. Dabei lohnt es sich für die Mitarbeiter ebenso wie für die Unternehmer, sich dieser Verhaltensweise wechselseitig zu bedienen. Sie alle müssen im Vgl. Bachinger, Richard (1990), S 312. Vgl. dazu die Dissertation von Palazzo, Bettina, Interkulturelle Unternehmensethik, Wiesbaden 2000, S. 57 ff. 7 V gl. Palazzo, Bettina (2000), S. 93 ff. und 230 ff. 8 Vgl. im einzelnen dazu Palazzo, Bettina (2000), S. 116ff. 9 Vgl. Palazzo, Bettina (2000), S. 189ff. 5

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1. Das Diskursrnodell von Horst Steinrnann / Albert Löhr

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Unternehmen und gegenüber den beschäftigen Personen verwirklicht werden. Sowohl die Old Economy als auch die New Economy sollten davon getragen werden. Die Moral als direkte Verhaltensweise enthält einen Komplex von menschlichen Regeln, die durch Tradition und Konvention entstanden sind. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre haben sich viele unterschiedliche Modelle von Unternehmensethiken entwickelt. Es sollen drei der am stärksten in Deutschland diskutierten Ethiken herausgegriffen werden. Diese ausgewählten Ethiken von Horst Steinmann, Peter Ulrich und Karl Homann sind Repräsentanten für die deutsche Art von Ethik-Entwürfen.

1. Das Diskursmodell von Horst Steinmannl Albert Löhr Die von Steinmann I Löhr lO vertretene Unternehmensethik gründet als eine praktische Methode auf dem Dialog mit allen Beteiligten. Deshalb ist sie als eine Ethik des Dialogs zu verstehen. "Unternehmensethik umfaßt alle durch dialogische Verständigung mit den Betroffenen begründeten bzw. begründbaren materialen und prozessualen Normen, die von einer Unternehmung zum Zwecke der Selbstbindung verbindlich in Kraft gesetzt werden, um die konfliktrelevanten Auswirkungen des Gewinnprinzips bei der Steuerung der konkreten Unternehmensaktivitäten zu begrenzen" \ \. Die Dialogstruktur der Ethik wird durch sechs Begriffsbestimmungen näher umrissen: 1. Sie ist eine Normenethik. In bestimmten konkreten Situationen sind entsprechende Verhaltensweisen anzuwenden bzw. zu unterlassen.

2. Die Normen müssen vemünjtigt, also mit guten Gründen zu verteidigen sein. 3. Die dialogische Struktur weist darauf hin, daß die Normen nicht ein für alle Male festgelegt werden, sondern durch einen Dialog mit den Betroffenen geändert werden können. Es wird also bestritten, daß es einen Katalog oberster, ewig gültiger Normen gibt. Vielmehr gilt, daß Normen je nach Situation der Betroffenen modifizierbar sein müssen. Der dialogische Ansatz unterscheidet sich ferner von einer personalistischen Ethik, die elitär konzipiert ist und auf die individuelle Wertvorstellung einzelner abstellt. 4. Sie ist eine Konfliktethik. Man will zwischen einer ethischen und ökonomischen Rationalität trennen. Zwar ist das Gewinnprinzip als Handlungsmaxime richtig und gerechtfertigt. Schließlich ist in der Marktwirtschaft die Gewinnerwirtschaftung durch die Unternehmen völlig gerechtfertigt. Aber andererseits ist das Gewinnprinzip rechtens einzuschränken, wenn es zu "ethisch bedenklichen 10 Albert Löhr steht als Beispiel für andere Mitautoren. In Zukunft wird zu Steinrnann alternativ auch et. al. hinzugesetzt. Denn Horst Steinmann hat vielfach zusammen mit Mitarbeitern und Schülern die unternehrnensethischen Ansätze vorgetragen. 11 Steinrnann, Horst I Löhr, Albert, Unternehmensethik, Stuttgart 2 1991 , S. 10.

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5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

(großflächigen) Auswirkungen führt',l2. Gleichzeitig ist die Unternehmensethik gegen Normen abzugrenzen, die bewußt zur Effizienzsteigerung konzipiert werden. Jeder Handlung, die allein der wirtschaftlichen Effizienz dient, ist eine ethische Qualität abzusprechen. Ware es anders, käme es zu einem "Etikettenschwindel,,13. Denn schließlich ist zwischen Ethik und Gewinn zu unterscheiden. Führungsgrundätze etwa oder eine besondere Gestaltung der Organisationsstruktur sind danach nicht mit dem Beiwort Ethik zu schmücken. In ihnen kommen keine ethischen Absichten zum Zuge l4 . In einer Wettbewerbsordnung hat ein Unternehmen nur die Wahl, den Gewinn zu maximieren oder aus dem Markt zu scheiden. Darum besitzt in einer Marktwirtschaft eine "gewinnbeschränkende Unternehmensethik" keine Existenzberechtigung.

5. Eine Unternehmensethik wird als ein Akt der Selbstverpjlichtung verstanden. Sie ist nicht nur ein situatives Korrrektiv zum Markt und dessen Gewinnprinzip, sondern auch ein situatives Korrektiv zum Recht. 6. Bei der Unternehmensethik muß es um ein sachorientiertes Handeln gehen und nicht um die Verfolgung unternehmensfremder Ziele (z. B. um die Spendenpraxis der Unternehmen) 15. Die Autoren weisen darauf hin, daß im Fall Nestle mit den Betroffenen aufgrund einer "Strategie des Dialogs" ein friedlicher Konsens erzielte wurde. Dadurch konnte der Konflikt beigelegt werden 16. Die Unternehmenstrategie wurde geändert. Es ging nunmehr um eine situationsgerechte Anwendung des Gewinnprinzips. Und das bedeutete: weg von der Gewinnmaximierungs-Politik hin zu einem Korrektiv dieser Planung durch eine moralische Obernorm, mittels derer das Unternehmen seiner moralischen Verantwortung gerecht werden kann. Aufgrund der situativen Beschränkung des Gewinnprinzips - also nicht seiner Eliminierung - ist eine Lösung des Konfliktes zwischen Moral und Gewinn möglich. Die Obernom liefert eine friedensstiftende Wirkung. "Nur der Frieden als freier Konsens aller Betroffenen über rationale Argumente kann in posttraditionalen Gesellschaften im Falle von Interessen- und Wertkonflikten als ethisches Ziel verstanden werden, das die Chance zu einer stabilen und dauerhaft tragfähigen Handlungskoordination in sich birgt" 17. Sollte auf einer Ebene ein Konflikt nicht gelöst werden, könnte (müßte) die Entscheidung auf der nächsthöheren Ebene herbeigeführt werden (Ethical Displacement). Steinmann, Horst I Löhr, Albert eI991), S. 13. Steinmann, Horst I Löhr, Albert eI991), S. 13. 14 Steinmann, Horst I Löhr, Albert eI991), S. 13. 15 Steinmann, Horst I Löhr, Albert e1991), S. 15. 16 Vgl. Löhr, Albert, Unternehmensethik und Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1991, S.214. 17 Zitiert aus: Matten, Dirk, Moral im Unternehmen: Philosophische Zierleiste oder knappe Ressource?, in: Reinhard Haupt/Werner Lachmann (Hrsg.), Unternehmensethik - Wahre Lehre oder leere Ware?, Neuhausen-Stuttgart 1998, S. 20. 12

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1. Das Diskursmodell von Horst Stein mann I Albert Löhr

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Das unternehmerische Handeln wird also nicht allein durch ökonomische und rechtliche Orientierung geprägt. Vielmehr können ergänzend moralische Zielsetzungen in das Konzept der Unternehmung einfließen und die Unternehmenspolitik bestimmen. Steinmann et alii plädieren zur Einhaltung und Durchsetzung der ethischen Normen gemäß der amerikanischen Praxis für die Einsetzung von Ethikkommissionen 18 • Solche Kommissionen sollen nicht ein verlängerter Arm der Unternehmen sein, sondern den Dialog unter den Beteiligten verstärken. Von ihnen wird erwartet, daß sie "Hüter des Dialogs" sind 19 . Nur wenn sie diese Kommunikation praktizieren, ist es möglich, einen Konsens zu finden und den Konflikt zu lösen. Dafür ist es notwendig, zwischen den Betroffenen Vertrauen zu stiften. Sie üben dann eine "Katalysatorfunktion" aus, die zur Verständigung zwischen den Partnern führt 2o . Es werden ferner Ethikbeauftragte im Aufsichtsrat vorgeschlagen, die eine Verarbeitung der ethischen Probleme ermöglichen und die Lösungen im Unternehmen integrieren sollen 21 . Allerdings fragt es sich, wie viele Beschränkungen des Gewinnprinzips ein Unternehmen verkraften kann, ohne sich zu schaden? Steinmann und Löhr wissen auf diese kritische Frage keine befriedigende Antwort22 • Je wettbewerbsfähiger ein Unternehmen ist, desto größer sind seine Handlungspielräume. "Moralisches Handeln wird so abhängig von kontingenten Umständen, von der Wettbewerbsund Gewinnsituation des Unternehmens und den Fähigkeiten seiner Manager,m. Darum ist den Überlegungen Steinmanns und dessen Mitautoren vorzuhalten, daß ihre Ethik nur dann einen Geltungsspielraum besitzt, wenn in einem Unternehmen ein großer Gewinn erzielt wird. In dieser Ethik ist das Verhältnis von Gewinn und Moral konfliktär. Solche Unternehmensethik kann nur sinnvoll für erfolgreiche Unternehmen sein. Von ihnen wird verlangt, im Konfliktfall ihren Gewinn zu beschränken. Andererseits wird von Steinmann/Löhr nach Homann/Blome-Drees ,jegliche Funktionalisierung der Moral zum Zweck der Gewinnerzielung" abgelehnt24 . Außerdem wird keine Normenbegründung durch die überlieferte Traditon oder Metaphysik vorgenommen. "In posttraditionalen und pluralistischen Gesellschaften ist ihrer Meinung nach eine derartige inhaltliche Begründung nicht mehr möglich und auch nicht wünschenswert,,25. Darum geben sie wie Peter Ulrich den 18 Steinmann, Horst! Löhr, Albert, Der Beitrag von Ethik-Kommissionen zur Legitimitation der Unternehmensführung, in: Steinmann, Horst I Löhr, Albert, Stuttgart 21991, S. 269 ff.; speziell S. 271. 19 Steinmann, Horst! Löhr, Albert e1991), S. 274. 20 Steinmann, Horst I Löhr, Albert e1991), S. 275. 21 Vgl. Palazzo, Bettina, Interkulturelle Unternehmensethik, Wiesbaden 2000, S. 53. 22 Vgl. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992, S. 176. 23 Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 176. 24 Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 178. 25 Palazzo, Bettina, Interkulturelle Unternehmensethik, Wiesbaden 2000, S. 55 .

94

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

Weg des Diskurses an, der den Weg zu den in einem vernünftigen Dialog gewonnenen Normen freimacht.

2. Die integrative Vernunftethik von Peter U1rich Peter UJrich orientiert seine Unternehmensethik an der Vernunft. Sie ist eine kritische Reflexion von vernünftigen Bedingungen im Unternehmen. Die Wirtschaft hat sich dem Erfolgsprinzip verschrieben und die Ethik hinausgedrängt. Darum muß es heute wieder um eine Verständigung zwischen der ökonomischen Rationalität und der ethischen Vernunft gehen26 • Die rationale ökonomische Vernunft (rein ökonomisches Handeln) muß an die ethische Vernunft (gutes Leben) herangeführt werden. UJrich will seine Vorstellung so verstanden wissen, daß der wirtschaftsethische Ansatz nicht gegen die ökonomische Vernunft, sondern in Verbindung mit ihr seine Wirksamkeit entfaltet. Wirtschaftsethik stellt danach eine kritische Reflexion der normativen und vernünftigen Grundlagen des wirtschaftlichen HandeIns dar27 . Die Vernunft sucht nichts anderes als die Übereinstimmung mit dem ökonomischen Prinzip28. Dieses System der integrativen Wirtschaftsethik will letztlich der von UJrich so genannten "Lebensdienlichkeit" nützen. Denn diese ist für ihn das Maß allen Wirtschaftens. Das ökonomische Rationalitätskonzept soll sich der Moral öffnen. Seine Rede von einer Vernunftethik, deren Existenz er gleichermaßen der Konzeption Steinmanns nachsagt, setzt eine möglichst metaphysikfreie und rationale Argumentation voraus 29 . Die Ethik hat für ihn den Primat vor der Ökonomik. Darum steckt das Grundproblem der Ethik darin, wie es ihr gelingen kann, das wirtschaftliche Denken mit dem des praktischen Vollzugs zusammenzudenken. Mit Steinmann stimmt er überein, daß "die methodische Vermittlung zwischen betriebs wirtschaftlicher Sachlogik und ethischmoralischen Ansprüchen gerade das konstitutive Problem der Unternehmensethik" ist3o • Homann und seine Mitautoren beurteilen diese Schwierigkeiten folgendermaßen: "Ulrich stellt sich das so vor, daß die ökonomische Rationalität mittels ethischer Reflexion zur Vernunft gebracht werden muß. Wir schlagen vor, dies als Domestizierungs-Ansatz zu bezeichnen,m. Denn die Ethik soll die Wirtschaft "domestizieren". Darum wird diese Ethik aus fundamentalistischer ökologischer oder religiöser Sicht auch als "Reparaturethik" bezeichnet (Jürgen Mittelstraß 32). Schließlich geben für UJrich Vgl. Kreikebaum, Helmut, Grundlagen der Unternehmensethik, Stuttgart 1996, S. 134. Vgl. Karmasin, Matthias, Ethik als Gewinn, Wien 1996, S. 117. 28 Vgl. Karmasin, Matthias (1996), S. 119. 29 Ulrich, Peter, Unternehmensethik - oder Führungsinstrument oder Grundlagenreflexion, in: Steinmann, H.lLöhr, A., Unternehmensethik, 21991, S. 190. 30 Ulrich, Peter e1991), S. 190. 31 Homann, Karl/ Pies, Ingo, Wirtschaftsethik und Ordnungspolitik - Die Rolle wissenschaftlicher Aufklärung, in: Helmut Leipold und logo Pies (Hrsg.), Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Stuttgart 2000, S. 331. 26

27

2. Die integrative Vernunftethik von Peter Ulrich

95

gesellschaftliche Realitäten die Grundlage zum Handeln ab; sie haben zu einer falschen Weiehenstellung in der Ökonomik geführt. Diese will er korrigiert sehen. Dabei hat die Ökonomik von der Ethik zu lernen. Den umgekehrten Gedanken, daß Ethik von der Ökonomie lernen könnte, sieht er niehe 3. Mit Hilfe einer Grundlagenreflexion will er "die Ökonomik darüber aufklären, daß eine Begrenzung des Eigeninteresses nicht nur moralisch gefordert, sondern auch gesellschaftlich bekömmlich wäre,,34. Ulrich will wie Steinmann und dessen Mitautoren "die ethische Qualität der unternehmenspolitischen Konfliktlösungsprozesse" aufgreifen. Dieser Problemlage zeigt sich die "kommunikative Unternehmensethik" angemessen 35 . Er stellt zusammen mit den anderen genannten Ethikern ordnungspolitisch fest, daß Unternehmen "strukturell angelegten "Sachgesetzlichkeiten" (Sachzwängen) des institutionalisierten Wirtschaftssystems" unterliegen 36. Den Entwürfen Steinmanns aber hält er vor, daß sie in den Handlungssituationen von "Obernormen" ausgehen, denen die Aufgabe zukommt, bei ethisch konfliktträchtigen "Nebenwirkungen" situativ einzugreifen. Das zeigt sieh besonders bei der Einschränkung des Gewinnzieles 37 . Zwar ist das Gewinnprinzip vorrangig vor der Unternehmensethik zu rechtfertigen. Aber trotzdem darf die Obernorm "Gewinnziel" im Konfliktfall begrenzt werden. Unternehmerische Normen müssen geradezu eine solche Beschränkung beinhalten. Dennoch ist für Ulrich die Unternehmensethik nicht auf ein "situatives Korrektiv" des "im Normalfall" hinreichenden Gewinnprinzips zu begrenzen38 . Ihm geht es vielmehr um eine systematische Überwindung des Gewinnprinzips39. Die ökonomische Rationalität ist nicht mehr darauf zu beschränken, sondern zu "entschränken" und "durch den Diskurs aller vom wirtschaftlichen Handeln Betroffenen wieder an eine Vernunft der gesamten Lebenspraxis" anzukoppeln 40. Das klassische Ordnungskonzept, durch das - gemäß Adam Smith - der Wohlstand gesteigert wird, wenn das Gewinnziel verfolgt wird, ist für Ulrich überholt. Denn das Gewinnprinzip ist eine zu starke Einschränkung der Unternehmensethik. Diese muß auf "die ethisch-normative Grundlegung einer gesellschaftsbezogenen Betriebswirtschaftslehre" zielen 41 . Während Steinmann et alii "die ethische Rechtfertigung des Gewinnprinzips" nicht zum Thema erheben, so daß sie letztlich die Ethik dem unternehmerischen Gewinnstreben unterordnen, hinterfragt Ulrich den Gewinn als Zielsetzung des 32 Vgl. Berkel, Karl/Herzog, Rainer, Unternehmenskultur und Ethik, Heidelberg 1997, S.56. 33 Vgl. Homann, Karl/Pies, Ingo (2000), S. 332. 34 Homann, Karl/Pies, Ingo (2000), S. 332. 35 Ulrich, Peter eI991), S. 191. 36 Ulrich, Peter eI991), S. 191. 37 Ulrich, Peter eI991), S. 192. 38 Ulrich, Peter eI991), S. 196. 39 Vgl. Aufderheide, Detlef, Unternehmer, Ethos und Ökonomik, Berlin, 1995, S. 160ff. 40 Palazzo, Bettina, Interkulturelle Unternehmensethik, Wiesbaden 2000, S. 45. 41 Ulrich, Peter eI991), S. 199.

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

96

Unternehmens. Der Gewinn darf für ihn nicht als ethischneutrales Ziel betrachtet werden. Wahrend Ulrich sich auf eine einzige integrative Rationalität bezieht, will Steinmann die ethische und ökonomische Rationalität voneinander trennen42 . Für Ulrich muß dagegen der gesamte strukturelle Kontext der Unternehmensverfassung hinterfragt werden. Steinmann / Löhr dagegen wollen die Unternehmensethik nur auf die handlungsethischen Fragen in der Unternehmensverfassung und im Gewinnprinzip bezogen wissen. Sie wollen die ethische und ökonomische Fragestellung getrennt erkennen und sind der Meinung, daß nur in Konfliktsituationen die Moral vor dem Gewinn rangieren kann, so daß eine situative Beschränkung in der Gewinnerzielung akzeptierbar ist. P. Ulrich dagegen sieht den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und ethischen Fragen integrativ. Er will in dieser Integration gerade die kollektiven Bedürfnisse berücksichtigt wissen. Die noch zu behandelnden Autoren Homann/Blome-Drees argumentieren dagegen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht: "Gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln kann seine moralische Rechtfertigung nicht in jedem Fall allein dadurch sicherstellen, daß es die bestehenden Gesetze und Weubewerbsregeln einhält. Die Legitimation hängt vielmehr von ordnungs politischen Voraussetzungen ab,,43. Diese können für die Soziale Marktwirtschaft in der Regel unterstellt werden. Aber es gibt auch Fälle, in denen eine ethische "Richtigkeitsvermutung" (Steinmann) für eine Gewinnmaximierung nicht unbedingt existiert. Bei solchen Defiziten in der Rahmenordnung ist nach Homann/Blome-Drees dann nicht die Politik, sondern das Unternehmen aufgerufen zu handeln. Denn dieses muß die Konflikte lösen. Homann et alii werfen Ulrich vor, er brauche die Rationalität als normatives Ideal und nicht als ein Analyseinstrument. "Aus ökonomischer Sicht wird auch ein Altruist versuchen, sein - gerade nicht im engen Sinne eigennütziges - Ziel durch einen klugen Mitteleinsatz möglichst gut zu erreichen, so daß die Rationalitätsannahme auch zur Analyse altruistischen Verhaltens herangezogen werden kann,,44. Die Betriebswirtschaft hat sich für P. Ulrich bei der Suche nach einer Unternehmensethik auf dem Boden der Kant'schen Selbstkritik aus der praktischen Vernunft zu stellen und eine nicht-autoritative Ethik zu konzipieren. Es geht deshalb für ihn nicht ohne ein deontologisches Element. Sein Ziel ist, zwischen den moralischethischen Ansprüchen im Unternehmen und der betriebswirtschaftlichen Sachlogik zu vermitteln. Weil Ulrich eine kommunikative Verständigung herbeiführen möchte, fordert er eine Diskursethik der betroffenen Entscheidungsträger entsprechend der Habermas'schen Theorie 45 . Für ihn ist der zu erzielende Konsens selbst kein moralisches Prinzip, sondern ein kritisches Regulativ und damit ein "Orientierungshorizont, auf den hin ... pragmatische Verbesserungen auszurichten ... 42

43 44 45

Vgl. Weßling, Matthias (1992), S. 81 f. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 126. Homann, Karl/Pies, logo (2000), S. 332. Vgl. Habermas, Jürgen, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt/Main 1991, S. 12.

2. Die integrative Vernunftethik von Peter Ulrich

97

sind,,46. Um Konflikten in einer Kommunikationsgemeinschaft eines Unternehmens begegnen zu können, befürwortet Ulrich den unternehmenspolitischen Diskurs. Vorzugehen ist nach einem Dreiphasenschema. In der ersten Phase geht es um die Information über den Konflikt. Denn zunächst muß der Konflikt wahrgenommen und die Konfliktursache erforscht werden. In der zweiten Phase setzt die Diskussion der Konfliktbetroffenen ein. Die Argumente der Beteiligten sind zu hören und auszutauschen. Die Kommunikationsbereitschaft muß aktiviert werden. In dieser Phase ist zu priifen, ob der Konflikt aufgrund bestehender Regeln und Richtwerte gelöst werden kann. Die dritte Phase ist die des Diskurses. Wollen die vom Konflikt Betroffenen ihn in Form eines Diskurses regeln, folgt ein Rückgriff auf die in der Unternehmensverfassung verankerten Regeln und Normen. Die Diskursregeln sind keine unumstößlichen Definitionsmerkmale zur Lösung von Konflikten. Sie stellen eine Anleitung zur Argumentationskultur dar47 . Andererseits sind die Diskurs-Ergebnisse keine endgültigen Resultate; sie sind dynamischer Natur. Mit Hilfe des diskursiven Prozesses nimmt Ulrich auch die Suche nach den Normen und ihre Begriindung vor, nachdem für ihn die klassische marktwirtschaftliche Ordnung überholt ist. Da P. Ulrich das Ordnungskonzept der Klassik überwinden will, vertritt er stattdessen ein Ordnungskonzept der Unternehmen, das gleichsam "vor Ort" greift. Nach ihm geht es in einer "wissenschaftlich und lebenspraktisch fruchtbaren Wirtschafts- und Unternehmensethik nicht um ein "rein" moralisches Korrektiv einer als solche nicht weiter hinterfragten betriebswirtschaftlichen Rationalität von außen her, sondern gerade umgekehrt um deren philosophisch-ethische Erweiterung von innen her,,48. Für Steinmann et alii dagegen ist, wie gezeigt, die Unternehmensethik als "situatives Korrektiv des Gewinnzieles" zu verstehen 49 . Der Grund für Ulrichs Skepsis gegenüber einer korrektiven und von außen herangetragenen Unternehmensethik liegt darin, daß in der Realität für ihn betriebswirtschaftliche Sachzwänge stärker sind als ethische Forderungen. Darum ist es in der Praxis unmöglich, mit ethischen Forderungen gegen die wirtschaftliche Sachlichkeit anzugehen. Für Peter Ulrich gibt es kein "anderes Kriterium sozialökonomischer Funktionsrationalität der Unternehmung" als die "Idee einer Konsensfindung" im Dialog zwischen den Betroffenen5o . Er setzt auf den Konsens des Managements und will an die Stelle der Gewinnorientierung eine Konsensorientierung plazieren. So kann er den marktwirtschaftlichen Zusammenhängen die Ordnungsfunktion nehmen. 46 47

48 49 50

Aufderheide, DetIef, Unternehmer, Ethos und Ökonomik, Berlin 1995, S. 169. V gl. Gilbert, Ulrich / Grimm, Ulrich (1999), S. 117. Zitat aus P. Ulrich nach Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 180. U1rich, Peter e1991), S. 201. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 183.

7 Kramer

98

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

Seine Ethik ist also kommunikationsorientiert. Zu Gunsten des Konsensprinzips kann er dann sogar auf das Gewinnprinzip verzichten. Weil es P. Ulrich nicht um eine von außen herangetragenes moralisches Korrektiv in der Unternehmensethik geht, sondern um eine Erweiterung von innen her, steht der Praxisbezugfür ihn in der Unternehmensethik im Vordergrund. Der Begriff "Praxis" darf aber nicht auf die ethischen Fragen verengt werden: Was sollen wir tun? Und: Wie kann das, was getan werden soll, verwirklicht werden? Im anderen Fall würde die Unternehmensethik als eine "Sozialtechnik für gute Zwecke" mißverstanden werden. Das Praktische an der Unternehmensethik muß zunächst in ihrer "ethisch-kritischen Orientierungsfunktion" selbst gesehen werdenS!. Diese Ethik wird nicht durch die "Sozialtechnik" (Spendenethik), sondern durch die "diskursive Begriindung legitimer unternehmerischer Handlungsorientierung" zu einer praktischen Ethiks2 . Peter Ulrich strebt einen Wirtschaftsbürger an, der seine Wirtschaftsinteressen hinter das Gemeinwohl des Staates stellt. Ohne eine Praxis "ist eine kritische Wirtschaftsethik, die zur Praxis kommt, nicht zu haben"s3.

3. Die Ordnungs-Ethik bei Kar) Hornann und Mitautoren Die behandelten Ethiken von Steinmann et alii und Peter Ulrich können als Institutionenethik aufgefaßt werden. Ebenso kann man auch Karl Homann mit Franz Blome-Drees als Vertreter einer "institutionentheoretischen" Ethik verstehen. Alle entwickeln in gewisser Weise "institutionelle Gestaltungsvorschläge". Sie gehen nicht von einem "moralischen Heroismus" einzelner Unternehmer aus S4 . Homann und Blome-Drees haben eine Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik im Blick, die festlegt, "welche moralischen Normen und Ideale unter den Bedingungen der modemen Wirtschaft und Gesellschaft (von den Unternehmen) zur Geltung gebracht werden können"ss. Es geht ihnen dabei um die Solidarität aller Menschen und um die "Implementation", oder besser, wie P. Ulrich mit Recht bemerkt, um die "Implementierbarkeit" der Norm "unter den Bedingungen der modemen Wirtschaft"s6. Im Konzept Homanns erkennen sich viele Ökonomen mit ihren Beiträ51 Ulrich, Peter, Zum Praxisbezug der Unternehmensethik, in: Gerd Rainer Wagner (Hrsg.), Unternehmensführung, Ethik und Umwelt, Wiesbaden, Gabler, 1996, S. 82. 52 Ulrich, Peter (1996), S. 85. 53 Zitat aus: Berkel, Karl/Herzog, Rainer, Unternehmenskultur und Ethik, Heidelberg 1997, S. 57. 54 Homann, Karl und B1ome-Drees, Pranz, S. 169. 55 Homann, Karl und Blome-Drees, Pranz, S. 14. 56 Homann, Karl und Blome-Drees, Pranz, S. 16 und: Ulrich, Peter, Zum Praxisbezug der Unternehmensethik, in: Gerd Rainer Wagner (Hrsg.), Unternehmensführung, Ethik und Umwelt, Wiesbaden 1996, S. 84 Anm. 30.

3. Die Ordnungs-Ethik bei Karl Homann und Mitautoren

99

gen des Ausschusses "Wirtschaftswissenschaft und Ethik" des "Vereins für Socialpolitik" wieder57 .

3.1 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik Wahrend Ulrich in seiner Wirtschaftsethik auf eine moralische Kritik der Gesellschaft und der Ökonomik als einer Gesellschaftswissenschaft zielt, sehen Homann et alii primär die Aufgabe der Wirtschaftsethik darin, eine gesellschafts wissenschaftliche Aufklärung der Moral zu betreiben58 • Ethik und Ökonomie werden nicht als antagonistische, sondern als gleichberechtigte Partner angesehen. Die Ethik drängt der Ökonomie neue Themen auf. Ethik und Ökonomie sind in der Wissenschaft als zwei Disziplinen zu verstehen, die sich für einen wechselseitigen Lernprozeß öffnen müssen. Obwohl es rein verbal in dieser Formulierung zu einer Verwechselung mit Peter Ulrichs Ansatz kommen kann, muß man von einem "integrativen Kooperations-Ansatz" sprechen59 . Nach Homann und Mitarbeiter soll die Ethik von der ökonomischen Anreizanalyse und die Ökonomie von der Ethik profitieren. Darum hat ein Unternehmen bei der Anwendung von moralischen Kategorien die Auswirkungen auf die Ökonomie zu berücksichtigen. Andererseits entwickelt die Ökonomie neue Formen wirtschaftlichen HandeIns, bei denen die Ethik die Überprüfung der Kompatabilität mit den überlieferten Normen vornimmt. Zwar muß Ethik sowohl die Außenbeziehungen als auch den Innenbezug eines Unternehmens bedenken 60 . Der Außenbereich bezieht sich auf den Wettbewerb, die Kunden und Lieferanten. Der Innenbereich berücksichtigt die Führungsebene und die Mitarbeiterschaft. Homann/Blome-Drees beschäftigen sich in der Wirtschaftsethik vor allem mit den Außenbeziehungen, weniger also mit der im Innenverhältnis auszugestaltenden Unternehmens-Ethik. Wahrend der Außenbereich geregelt wird, bleibt bei ihnen die Ethik im Innenbereich einer Unternehmung unausgarbeitet. Horst Steinmann und Peter Ulrich legen dagegen eine unternehmensethiche Konzeption im eigentlichen Sinne vor. Die moralischen Werte werden bei Homann/Blome-Drees nicht aus der Unternehmensethik heraus entwickelt, sondern diese bilden geradezu die Voraussetzung61 • Die Autoren bezeichnen ihren Ansatz als "nonkognitivistisch". Zur Bestimmung der Ethik übernehmen sie aus dem Sport den Unterschied zwischen 57 58

59 60

61 7'

Vgl. die Aufzählung bei Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 108. Vgl. Homann, KarllPies, Ingo (2000), S. 337. Homann, KarllPies, Ingo (2000), S. 345. Vgl. S. 333. Vgl. Weßling, Matthias (1992), S. 84. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 117.

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Untemehmensethik

100

"Spielregeln" und "Spielzügen,,62. In dieser Unterscheidung zeigt sich, daß "die moralischen Intentionen in den Spielregeln" liegen, "da diese für alle Wettbewerber gleichermaßen gelten und damit wettbewerbs neutral sind,,63. Der Wettbewerb selbst wird dagegen durch die Spielzüge gestaltet. Diese sind grundsätzlich moralfrei, aber nicht unmoralisch 64 . Bei der Gestaltung der modemen Wirtschaft ist die Moral nicht in den einzelnen Spielzügen, sondern nur in den Spiegelregeln zu finden. Allein so kann das von Homann / Blome-Drees zur Illustration des Unterschiedes zwischen Spielregeln und Spielzügen herangezogene gruppendynamische Spiel des Gefangenen-Dilemmas überwunden werden 65 . Die Spiel situation dieses Dilemmas ist zwar allgemein bekannt. Aber sie soll zum besseren Verständnis in aller Kürze nachgezeichnet werden: Zwei verdächtige Täter kommen getrennt vor den Richter. Es ist zwar eindeutig, daß sie schuldig sind. Aber die Beweise fehlen, um sie zu überführen. Von jedem Gefangenen fordert der Richter, entweder die Straftat zu gestehen oder zu leugnen. Gestehen beide, werden sie mit einer gegenüber der Höchststrafe geringeren Strafe - mit 8 Jahren - bestraft. Leugnen sie die Tat, werden sie aufgrund nachweisbarer geringfügiger Taten - zu zwei Jahren - verurteilt. Wenn aber nur einer gesteht, während der andere leugnet, wird der, der gesteht, frei kommen, während der andere die Höchststrafe - zehn Jahre - erhalten wird. Weder eine Kooperation noch eine Absprache zwischen den Gefangenen ist erlaubt. Bildlich läßt sich die Spielsituation folgendermaßen skizzieren: Gefangener 2 gesteht nicht ..............

gesteht nicht

Gefangener J gesteht

........

........

2 Jahre ..............

........

oJahre

........

gesteht

2 Jahre ........

........

........

10 Jahre ........

........

........

..............

........

........

10 Jahre ~

........

........

8 Jahre

........

oJahre ........

........

........

8 Jahre ........

........

........

Einschränkend ist zu sagen: die Spielmodelle sind von einer relativ simplen Natur. Eine direkte Übertragung auf reale Situationen bleibt letztlich problematisch. Nach Homann/Blome-Drees gilt, daß "die unter den Bedingungen der modernen Wettbewerbs wirtschaft handelnden Anbieter" sich in einer dem Gefangenen62

63 64 65

Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 20ff. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 114 (Hervorheb. d. Yerf.). Ygl. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 114. Ygl. Weßling, Matthias (1992), S. 86.

3. Die Ordnungs-Ethik bei Karl Homann und Mitautoren

101

Dilemma sehr ähnlichen Situation befinden66 . Auf dem Markt gibt es Rahmenbedingungen, die den Wettbewerb ordnen. Dieses sind die Spielregeln. Die einzelnen Wettbewerbshandlungen sind die Spielzüge67 . Die Anbieter haben zwar wie die beiden Gefangenen im Gefangenen-Dilemma ein großes Interesse, sich abzusprechen. Aber ähnlich den Gefangenen, die man im Gefangenen-Dilemma durch die Spielregeln an Absprachen hindert, werden die Wettbewerber durch das Kartellamt davon abgehalten, Preise und Mengen auszuhandeln. Aus dem Gefangenen-Spiel kann sich der einzelne Gefangene nicht allein befreien. Ähnliches gilt vom einzelnen Wettbewerber. Er kann sich nur aus dem genannten Dilemma lösen, wenn auch andere Unternehmer bereit sind, die moralisch gewünschten Verhaltensweisen zu praktizieren 68 . Anderenfalls gerät er ökonomisch ins Hintertreffen. Ein individuelles Opfer des einzelnen Marktteilnehmers ist sinnlos. Es müssen alle (oder fast alle) mitmachen 69 . Für Homann / Blome-Drees ist Wirtschaftsethik grundsätzlich Ordnungsethik. Der "systematische Ort" der Moral in der Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung (Spielregeln) 70. Diese wird durch die Spielregeln geprägt. Die Handlungen innerhalb der Rahmenordnung entsprechen den Spielzügen des Sportes. Die Moral hat nach Homann zwar ihren Ort in der Rahmenordnung, aber nicht ihren "alleinigen Ort". Denn schließlich benötigen "Märkte und Marktwirtschaft" zu ihrem Funktionieren eine gewisse Moral, z. B. Vertragstreue oder einen "ehrbaren" Kaufmann 71. Die Spielzüge dagegen erfahren ihre Ausprägung allein in Form von Anreizen und Sanktionen. Zur Marktwirtschaft gehört zwingend das unternehmerische Handeln, das durch die Rahmenordnung gesteuert und geregelt wird. Eine Unternehmensethik zeichnet also eine ordnungstheoretische Fundierung aus. Wirtschaft- und Unternehmensethik vollziehen sich unter der Ordnung einer modemen Marktwirtschaft72 . Die Dominanz der Rahmenordnung für den Wettbewerb ist vorgegeben. Die Unternehmensethik will die Handlungen innerhalb der Rahmenordnung regeln. Da die wirtschaftlichen Aktivitäten in einem Unternehmen abhängig von der erlassenen Ordnung sind, zielen die Autoren auf eine ordnungspolitische Verantwortung der Unternehmen ab. Moralische Werte werden für die spezielle Unternehmensethik nicht von dieser hervorgebracht, sondern bilden vielmehr ihre Voraussetzung. Bei dieHomann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 32. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 29. Vgl. auch: Pies, Ingo, Institutionenökonomik als Ordnungstheorie: Ein Ansatz wissenschaftlicher Politikberatung in der Demokratie, in: Helmut Leipold und Ingo Pies (Hrsg.), Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Stuttgart 2000, S. 349. 68 Vgl. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 35. 69 Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 172. 70 Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 37. 71 Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 37. 72 Vgl. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 20. 66

67

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5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

sem Ansatz geht es nicht um eine Letztbegründung der Moral aus der Vernunft; darum bezeichnen Homann et alii ihn als "nonkognitivistisch,m. Es geht vielmehr um ,,hypothetische Aussagen über die Realisierbarkeit moralischer Normen und Ideale 74 . Nach Meinung der Autoren um Karl Homann thematisiert eine Unternehmensethik speziell "das Verhältnis von Moral und Gewinn in der Unternehmensführung und befaßt sich mit der Frage, wie moralische Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft von den Unternehmen zur Geltung gebracht werden können,,75. Sie wollen in einer Wettbewerbswirtschaft die Moral in die Unternehmen geradezu "implementieren" (s.o.). Aber die Autoren um Homann engen die Aufgabe der Unternehmensethik dadurch ein, daß für sie die Ethik nicht entscheiden darf, was moralisch gut oder schlecht ist. Vielmehr gilt: "Sie kann allenfalls Wege aufzeigen, wie sich vermeintliche Widersprüche auflösen lassen. Wertentscheidungen bleiben jedoch stets den Individuen selbst vorbehalten und können ihnen nicht durch die Wissenschaft abgenommen werden,,76. Eine Ethik zeigt nicht den Weg zwischen alternierenden Werten auf. Sie kann nämlich allenfalls Wege darlegen, wie sich Widersprüche auflösen lassen. Der die Gesellschaft kennzeichnende Verfassungskonsens ist kein Wertekonsens. Denn "die Aufgabe der Verfassung besteht nicht darin, eine minimale Kernmoral zu kodifizieren, sondern Regeln und Prinzipien festzulegen, die es den Bürgern ermöglichen, trotz - präziser: gerade wegen - unterschiedlicher Wertvorstellungen friedlich und produktiv zusammenzuleben,,77. 3.2 Individual- und Institutionen-Ethik Homann und Mitautoren unterscheiden zwischen einer Invidualethik und einer Institutionenethik 78. Eine Individualethik versucht, "über Appelle an das Gewissen des einzelnen Managers / Unternehmers moralische Intentionen im Wirtschaftsprozeß durchzusetzen,,79. Diese Ethik beeinflußt direkt die Spielzüge "durch moralische Motive der Handelnden"so. Dagegen hat die Institutionenethik die Rahmenbedingungen im Auge. Sie "setzt auf eine indirekte Beeinflussung der unternehmerischen Spielzüge durch den moralisch ausgezeichneten Ordnungsrahmen, der für die Beurteilung der Spielzüge entscheidend ist"sl. Die Erfolge und die Mißerfolge in der Marktwirtschaft werden 73 74 75 76 77 78 79

80 81

s. o. S. 94. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 117. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 117. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 189. Homann, Karl/Pies, Ingo (2000), S. 344. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 118 f. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 119. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 119. Homann, Karl und Blome-Drees (1992), S. 119.

3. Die Ordnungs-Ethik bei Karl Homann und Mitautoren

103

den institutionellen Handlungsbedingungen und nicht etwa den Handlungsgesinnungen zugerechnet. Für die Erfolge und die Mißerfolge sind also Wettbewerbsbedingungen verantwortlich und nicht etwa normativ-transzendente (R. Lay, P. Koslowski) oder hierarchisch fixierte (Ulrich) Ansätze. Das liegt an dem genannten sozialen Dilemma, in das der Wettbewerb die handelnden Personen versetzt; denn es bringt sie "in eine Situation, in der nicht ihre gemeinsamen, sondern ihre konfligierenden Interessen dominieren"s2. In einem sozialen Dilemma ist nicht eine einzelne Person für das Ergebnis verantwortlich. Dieses ist immer zugleich vom Verhalten der Konkurrenten abhängig. "Unter den dilemmatischen Bedingungen des Wettbewerbs" riicken die "institutionellen Rahmenbedingungen zum systematischen Ort der Moral" auf, "weil sie - und nicht etwa individuelle Intentionen - das Ergebnis bestimmen"s3. Diese liefern der Gruppe um Homann die Grundlage für eine "ökonomische Theorie der Moral"s4. Peter Ulrichs Ethik-Auffasssung dagegen wird als eine Domestizierung der Moral aufgefaßt, die als eine "Begrenzung und Einschränkung individuellen Vorteilsstrebens" angesehen wird. Die von ihnen vertretene ökonomische Theorie der Moral kommt zu einer Feststellung mit einer "anreiz-ökonomische[n] Analyse sozialer Dilemmata"s5. Das Kennzeichen dieser Moral ist nicht darin zu sehen, "anderen zuliebe auf das eigene Interesse zu verzichten (Verzichtsethik, Opferethik), sondern darin, wechselseitige Besserstellungen zu erzielen, die auch im eigenen Interesse liegen (Investitionsethik, Anreizethik)"s6. Nach solchen Eigeninteressen kann beurteilt werden, ob das individuelle Streben nach Vorteilen zu Gunsten oder zu Lasten anderer erfolgt. Kein Mensch wird letztlich dauernd gegen seine eigenen Interessen verstoßen. Schließlich gilt immer noch der alten Grundatz: Ultra posse nemo obligatur (Das Sollen impliziert das Können). Bei Homann et alii darf nicht davon ausgegangen werden, daß nur innerhalb der Gestaltung einer Rahmenordnung eine ethische Anforderung denkbar ist. Die Erfüllung moralischer Forderungen ist keinesweg die alleinige Sache staatlicher Ordnungspolitik. Moral und moralische Motivation setzen nicht bei den unmittelbaren wirtschaftlichen Handlungen ein, diese werden sogar als moralfrei angesehen, sondern "bei der Gestaltung, bei der Akzeptierung und bei der Befolgung der Regeln für die Handlungen"s7. Das bedeutet für diese Autorengruppe, daß die Wirtschaftsethik auf das Ziel ausgerichtet ist, "die Institutionen so zu gestalten, daß Moral möglich ist"ss. Für die Untemehmensethik stehen zwei ganz bestimmte aber grundverschiedene Spielzüge zur Verfügung: 82

83 84 85 86

81 88

Homann, Homann, Homann, Homann, Homann, Homann, Homann,

Karl/ Pies, Ingo (2000), S. 336. Karl/ Pies, Ingo (2000), S. 345. Karl/Pies, Ingo (2000), S. 336. Karll Pies, Ingo (2000), S. 345. Karll Pies, Ingo (2000), S. 345. Karl und Blome-Drees, Franz, S. 40. Karl und Blome-Drees, Franz, S. 40 f.

104

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

Der eine Typ verfolgt unter den Bedingungen des Wettbewerbs die eigenen ökonomischen Interessen. Damit ist das gewinnorientierte Handeln in der Marktwirtschaft gemeint. Dieser Typus reagiert also ökonomisch. Der andere Typus dagegen reagiert politisch. Er will die Umgestaltungen des Unternehmensverhaltens erfassen, das auf eine Veränderung der Rahmenordnung zielt89 . Da heute die Öffentlichkeit von den Unternehmen erwartet, daß nicht nur ökonomische, sondern immer mehr gesellschafts politische Ziele verfolgt werden müssen, haben die Unternehmen sich dem Konflikt zwischen der Gewinnorientierung einerseits und der öffentlichen Erwartung andererseits zu stellen. Damit müssen sie den Weg zwischen Gewinnorientierung und ethischer Erwartung gehen. Zu berücksichten ist, daß die Gewinnmaximierung innerhalb einer geeigneten Rahmenordnung keineswegs ein Privileg der Unternehmen, sondern ihre moralische Pflicht ist, für die sie sich nicht zu entschuldigen brauchen90.

4. Zusammenschau der drei Unternehmensethiken Die Unterschiede der drei behandelten Ethiken lassen sich in Form einer Gegenüberstellung so darstelllen: H. Steinmann et aJ.

P. Ulrich

K. Homann et aJ.

Rolle der Ethik

Regelung von Konflikten

Begründung von formalen Zielen

Reparaturansatz

Vorgehensweise

Diskurs

Diskurs

Gestaltung der Rahmenordnung

Ansatzpunkt

Gewinnbeschränkung, Friedenssicherung

Gewinnrelativierung

Normenbegründung

vernunft-orientiert kognitivistisch

vernunft-orientiert kognitivistisch

Keine Begründbarkeit, non-kognitivistisch. Sie setzen auf Solidarität der Menschen

Verhältnis von Ökonomie und Ethik

Primat der Ethik

Primat der Ethik

Gleichwertigkeit von Ökonomie und Ethik

Ethikansatz

Unternehmens-Ethik

U nternehmens-Ethik

Vor allem makroökonomische Ethik/ Spielregeln, begrenzte mikroökonomische Ethik

89

90

Philosophis~h

reflektierte Okonomie

VgJ. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 41; 122. VgJ. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz, S. 38.

5. Das Unternehmen unter dualen Strukturen

105

Das Gewinnstreben bleibt in den drei behandelten ethischen Entwürfen für das moralische Geschehen von fundamentaler Bedeutung. Auch das Verhältnis von Ethik und Marktwirtschaft wird keineswegs als Widerspruch, sondern als durchaus zu vereinbarende Form gesehen! Homann et alii sehen in der Makroökonomie der Marktwirtschaft ihren ethischen Ansatz - in Gestalt der Spielregeln, verkennen allerdings nicht, daß auch in den Spielzügen die Ethik eine Rolle spielt.

5. Das Unternehmen unter dualen Strukturen Karl Popper hat den Unterschied zwischen geschlossener und offener Gesellschaft eingeführt91 . Er sieht die geschlossene Gesellschaft als "stammesgebundene oder kollektive Gesellschaft". Sie lebt in einem "Zauberkreis unveränderlicher Tabus, Gesetze und Sitten, die als unvermeidlich empfunden werden wie der Aufgang der Sonne, der Kreislauf der Jahreszeiten oder ähnliche klare Regelmäßigkeiten des Naturverlaufs,,92. Diese Gesellschaft muß zerbrechen, um für die offene Gesellschaft Platz zu machen. Popper versteht sie als eine Gesellschaftsordnung, "in der sich die Individuen persönlichen Entscheidungen gegenübersehen,m. Die freie und faire Ordnung des Westens ist für ihn eine solche offene Gesellschaft, die ökonomisch für Investitionen zugänglich ist. Auch sie ist freilich verbesserungsfahig und verbesserungswürdig. Aber sie ist auch reformfreudig, ja sogar die "reformfreudigste, die es je gegeben hat,,94. Als ihre Feinde werden die sozialen Utopisten gesehen, die in ihren praktischen Tatigkeiten autoritär und intolerant sind. Sie lehnen die Freiheit und die Verantwortung der einzelnen ab. Die Sozialutopien der großen Philosophen waren für geschlossene Gesellschaften entwickelt worden. Angefangen bei Platons Staat über Fichtes Handelsstaat bis hin zu den sozialistischen Gedanken, die von Karl Marx entwickelt wurden. Eine organisierte Gesellschaft bedarf der Reglementierung, Beschränkungen und der Planung. Die offene Gesellschaft dagegen lebt von der Freiheit und Verantwortung des einzelnen. Sie ist ein "Kind" der Marktwirtschaft und hat naturgemäß Probleme mit einem übersteigerten Wohlfahrtsstaat. Die Differenzierung zwischen einer geschlossenen und offenen Gesellschaft können in paralleler Übertragung auf die Unternehmen angewandt werden. Dabei ist zu fragen, inwieweit beide Formen insgesamt auf betriebswirtschaftlich geführte Unternehmen übertragen werden können. Vielfach wird die geschlossene Gestalt vorherrschen, während die offene Form, wie sie in Unternehmen der Marktwirtschaft verwirklicht wird, nur begrenzt realisierbar ist. In der Realität herrscht ein Ordnungssystem vor, das man nicht als 91

Popper, Kar! R., Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, Tübingen 71992, S. 207

u.o. 92 93 94

Popper, Kar! (1992), S. 69. Popper, Kar! (1992), S. 207. Popper, Kar! (1992), S. XIV.

106

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

frei oder fair, sondern eher als ein geschlossenes Unternehmen bezeichnen kann. In der Wirklichkeit bestehen beide Formen nebeneinander. Sie können sich sogar in einem einzigen Unternehmen zeigen. Aber sie bringen jeweils ihre eigene Besonderheiten mit: Aus der geschlossenen Gesellschaft Ungleichheit Interessengleichheit Sicherheitsbedürfnis Determiniertheit Eindeutigkeit

Aus der offenen Gesellschaft Gleichheit unterschiedliche Interessen Individualitätsbedürfnis Freizügigkeit Fehlbarkeit

Da jedes Unternehmen etwas von beiden Systemen in sich vereint, steht es unter einem Spannungsverhältnis zwischen geschlossenen und offenen Zügen. Ein anderes Spannungsverhältnis im Unternehmen ergibt sich aus dem Dualismus von Freiheitsraum und Ordnungsstruktur. Diesem Spannungsbogen kann sich auf die Dauer kein Unternehmen entziehen95 . Aber es sind nicht allein die Unternehmen, die unter diesem Dualismus stehen. Jeder Mitarbeiter des Unternehmens lebt und arbeitet in dieser Spannung. Sie herrscht in unterschiedlicher Ausprägung. Im Wunsch des Mitarbeiters nach Stabilität in der beruflichen Existenz und seinem gleichzeitigen Streben nach Flexibilität und Veränderung. Es ist eine bekannte Tatsache, daß der, der sich nicht mehr verändern will und sich nicht auf die neue Gegebenheit flexibel einstellen kann, beruflich nicht mehr kreativ ist. Doch gleichzeitig existiert eine panische Angst vor einer ständigen Veränderung. Schon in der Zunftgesellschaft herrschte diese Spannung. Man behielt damals das Wissen der Mitglieder und stand allem Neuen skeptisch gegenüber. Trotzdem war man Veränderungen zugetan und sperrte sich keineswegs gegenüber Modernismen. Selbst im personalen Ich des Menschen ist eine solche Spannung zu beobachten. Die eine Seite des Ich sucht nach Geborgenheit und will keinen Wechsel, die andere Seite des Ich ist permanent auf Veränderung aus. Dieser Teil ist mit keinem Zustand zufrieden, sondern strebt nach kreativer Zerstörung und damit auf Veränderung. Er ist bereit, Überliefertes über Bord zu werfen, traditionelle Wertvorstellungen aufzugeben und nach neuen Werten Ausschau zu halten. Aber wer allzu sehr dem Wechsel und der Veränderung unterworfen ist, wird mit der Zeit unberechenbar. Ferner steht der einzelne Mitarbeiter in einem Unternehmen unter der Spannung zwischen Freiheit und Ordnung. Dabei ist er verschiedenen Gegensatzpaaren aus95 Vgl. Kramer, Rolf, Arbeit, Göttingen 1982, S. 96ff. Vgl. dazu Homann, Karl und Blome-Drees, Pranz, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992, S. 118 ff.

5. Das Unternehmen unter dualen Strukturen

107

geliefert: 1. dem dualen Paar von Statik und Dynamik, 2. dem Gegensatz von Disziplin und Selbstentfaltung und schließlich 3. dem Gegenüber von Allgemeinbildung und Spezialisierung 96 • Der Freiheitsspielraum und der Ordnungsrahmen regeln das Unternehmen und bestimmrnen den Arbeitsablauf des Mitarbeiters. Im Freiheitsspielraum zeigt sich die offene Gesellschaft, im Ordnungsrahmen die geschlossene. Die Freiheit wird vom Unternehmen selbst organisiert, sofern sie sich nicht am Ordnungsrahmen stößt. Die Ordnung ist abhängig vom Staat bzw. von den gesellschaftlichen Vorstellungen. Beide Institutionen setzen die Ordnung fest, in der das Unternehmen zu wirtschaften hat. Eine Volkswirtschaft erhält allein durch die Politik den Rahmen, in dem sie sich betätigen darf und soll. Aber gleichzeitig mit seiner Einführung tritt die Gefahr eines Stillstandes auf, der sich immer leicht mit der Errichtung einer Ordnung verbindet. Homann und Blome-Drees sprechen, wie wir gesehen haben, von institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen der Unternehmer handeln muß97 • Aufgrund dieser Rahmenordnung findet das Erlaubte und zugleich Erwünschte seine Begrenzung. Damit werden die Grenzen für den Freiheitsspielraum in einer offenen Gesellschaft abgesteckt. Hilfreich ist es, sich das Verhalten des Mitarbeiters unter den drei Gegensatzpaaren näher anzusehen. Das 1. Gegensatzpaar. Dynamik versus Statik. Zum Freiheitsbereich gehört die dynamische Entwicklung des Unternehmens. Gemäß der offenen Gesellschaft bedeutet sie Flexibilität und damit also Anpassungsfähigkeit an den neuen Markt und / oder an neue Produkte. Flexibilisierung wird besonders auf dem Arbeitsmarkt erwartet, sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern, etwa beim Kündigungsschutz, bei der Zeitarbeit oder den befristeten Arbeitsverhältnissen. Freiheit und Stabilität sind heute mehr noch als früher gefragt. Nur wo man beides versucht zu verwirklichen, ist echter Wandel möglich, und kann der Stillstand überwunden werden. Damit wird der Starrheit oder der Statik eine Absage erteilt. Im anderen Fall entstünde die Gefahr der Erstarrung. Das 2. Gegensatzpaar besteht aus der Selbstentfaltung versus Disziplin. Jedes Unternehmen will Gewinn erwirtschaften und/ oder den Umsatz vergrößern. Diese Ziele sind personenabhängig. Gleichfalls sind Führungsstil, Führungstechniken und Führungsgrundlinien personengebunden. Dabei hat das Führungsverhalten der Vorgesetzten die Würde des Menschen zu berücksichtigen. Der einzelne Mitarbeiter muß die Chance zu Selbstverwirklichung erhalten. Zur Vorstellung der Freiheit gehört für den einzelnen damit auch die Möglichkeit zur Selbstentfaltung. Er soll in seiner beruflichen Entwicklung wachsen können. Das führt zur Stärkung des Individuums im Unternehmen. Da man nicht nur materielle Bedürfnisse gestillt 96 97

Vgl. Kramer, Rolf (1982), S. IOU. Vgl. Homann, Karl und Blome-Drees, Franz (1992), S. 119 f.

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5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

sehen möchte, sucht man nach Kommunikation, Kooperation und Verwirklichung. Der Ordnungsrahmen einer Gesellschaft ist die Disziplin, die für die Abwicklung der Produktion, Dienstleistung oder Verwaltung notwendig ist. Ökonomische, technische oder organisatorische Abläufe müssen eingehalten, Verantwortungsbereiche wahrgenommen und Informationswege dürfen nicht unterbrochen werden. Ohne ein gewisses statisches Element ist keine Kontinuität und Stabilität in einem Unternehmen denkbar. Produktion und Entwicklungsprozeß müssen ausreifen können. Als 3. Gegensatzpaar steht die Spezialisierung gegen die Allgemeinbildung. Zur Erfüllung der Arbeit braucht man nicht nur allgemeine Kenntnisse, sondern ganz spezielles Wissen. Dieses ist nötig, um den Anforderungen des Arbeitsplatzes gerecht zu werden. Facharbeiter sind in der mordemen Industrie oft wichtiger als Generalisten! Aber darum wird gleichzeitig auch Flexibilität gefordert. Der Mitarbeiter wird sein Spezialwissen einbringen (z. B. in der Telearbeit), aber zugleich den Wunsch haben, am gesamten Betriebsgeschehen beteiligt zu werden. Für ihn ist es wichtig, nicht den Anschluß ans Unternehmen und an die Kollegen zu verlieren. Dennoch gehören zur Ausfüllung des Ordnungsrahmens ein bestimmtes Maß von Allgemeinbildung oder allgemeines Wissen. Das sollte keineswegs nur aus der Kenntnis der betrieblichen Abläufe bestehen, sondern vor allem über die gesellschaftlichen Zusammenhänge Bescheid wissen.

6. Unternehmensethik und Macht Wirtschaft ist immer mit Macht verbunden gewesen. Unabhängig von jedem Wirtschaftssystem existiert in der Wirtschaft Macht. Lange Zeit war man davon überzeugt, daß in der Theorie Macht und ökonomisches Gesetz miteinander harmonieren. Mittlerweile aber weiß man, daß Macht die Wirtschaft und ihren Verteilungsprozeß bestimmt98 . Das Ziel der Wirtschaft besteht in der Deckung des menschlichen Bedarfs. Aber aufgrund der Knappheit der Güter, besteht ein Zwang zum Wirtschaften. Wirtschaften heißt, in einer Welt der Knappheit zu leben und gleichzeitig diese zu vermindern. Die Marktwirtschaft ist nichts anderes als das Koordinations-Instrument, eine effiziente Verwendung der knappen Ressourcen zu erreichen. Preise weisen auf diese Gebrauchs-Macht hin. Sie fungieren als Indikatoren für die Knappheit eines Gutes und symbolisieren so Macht. Das Ausmaß an Macht wird also von den Preisen und der Freiheit des Wettbewerbs bestimmt. Besitzt ein Unternehmen Markt-Macht, hat es sowohl die Möglichkeit als auch die Pflicht, auf dem Markt im Wettbewerb verantwortlich zu handeln 99 . Macht gewährt Einfluß und zwingt zur Verantwortung. Je mehr Macht ein Unternehmen besitzt, umso größer ist der Einfluß, umso stärker ist seine Verantwortung. 98 99

Vgl. Kramer, Rolf, Ethik der Macht, Berlin 1994, S. 76 ff. Vgl. Karmasin, Matthias (1996), S. 199.

6. Unternehmensethik und Macht

109

Ökonomische Macht herrscht in allen Wirtschaftssystemen. Sie ist die Potenz, über die ökonomischen Faktoren zu verfügen. Sie äußert sich sowohl im makroals auch im mikroökonomischen Bereich und zeigt sich bei Anbietern oder bei Nachfragern von Gütern, also bei Monopolisten bzw. Monopsisten. Macht stellt Wollen und Vermögen in einem dar. Volkstümlich läßt sich formulieren: Was der Markt macht, ist Marktmacht. Der Markt entscheidet über Angebot und Nachfrage. Für die Ethik ist die Markt-Macht des Unternehmens ein Ansatzpunkt. Die Ausübung von Macht tritt in unterschiedlichen Bereichen im Absatz, in der Qualität der Waren und Dientleistungen, im Transport oder im Kreditbereich auf. Heute zeigt sich Macht in Form von Informationsvorsprüngen. Deshalb versuchen besonders Großunternehmen, den erworbenen Informationsvorsprung zu bewahren, gegenüber anderen abzuschotten und möglichst eine Intransparenz des Marktgeschehens zu etablieren und / oder den Zugang zum Markt zu verschleiern. Macht ist auch mit im Spiel, wenn Unternehmen fusionieren, oder das eine Unternehmen über das andere herrschen will. Darum drücken Konzerne und Kartelle Machtzusammenballungen aus. Ferner wird durch Führung - im autokratischen wie auch im demokratischen Führungskonzept - Macht ausgeübt. In jeder Hierarchie ist die Macht entsprechend der Führungsposition verteilt. Macht steuert den betrieblichen Ablauf. Sie schafft die gewünschte oder notwendige Realität. In einer personal wirtschaftlichen Ethik geht es um die faire Verteilung der Macht und um ihre neutrale Anwendung. Die Ethik hat etwas mit einer gerechten Herrschaft im Unternehmen zu tun. Wo diese verwirklicht wird, geht es zwar nicht um die Selbstbestimmung des Mitarbeiters, sondern um seine Fremdbestimmung. Wo Herrschaft ausgeübt wird, ist Verantwortung mit im Spiel. Denn führen heißt, andere Menschen beeinflussen; und das ist nur durch Macht möglich. Aber sie muß eine dem Mitarbeiter gegenüber verantwortete sein. Ohne sie kann der Vorgesetzte weder Ziele festlegen noch die notwendige Führungs-Strategie entfalten. Zu befriedigenden Lösungen kommt es im Unternehmen ohne Macht nicht. Dabei wird immer zwischen seinen Interessen und denen seiner Mitarbeiter zu unterscheiden sein. Macht wird gegenüber Kunden, Lieferanten, gegenüber der Gesellschaft oder dem Staat ausgeübt. Aber Macht an sich ist noch nicht gefährlich. Das wird sie erst, wenn sie ohne Verantwortung gebraucht wird. Eine in einem letzten Sinn verantwortete Macht weist auf den rechten Gebrauch von Macht hin. Darum wird versucht, Macht durch ethische Normen und Zielvorstellungen einzuschränken. Eine Ethik muß so ausgerichtet sein, daß durch sie die Macht gesteuert werden kann. Macht dagegen widersetzt sich der praktischen Durchführung der Ethik. Der Staat kann zwar den Rahmen für das unternehmerische Handeln festlegen, aber nicht die Ethik durchsetzen. Auch dem Markt ist es von sich aus nicht möglich, Ethik zu realisieren.

110

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

7. Unternehmerische Ziele Unternehrnerisches Handeln ist durch die Erfüllung der erstrebten Ziele geprägt. In der Marktwirtschaft ist die Erwirtschaftung von Gewinn das oberste Ziel. Ohne Gewinne sind weder Arbeitsplätze zu schaffen noch zu sichern oder die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern!oo. Am Gewinn macht sich für viele die Einstellung zum Unternehmen fest. Denn der Gewinn stellt die Grenze zwischen ethischem und nichtethischem Handeln dar. Das Streben nach Profit (Profitdenken) ist nicht schon an sich schlecht und amoralisch. Das Ziel, Gewinn zu erwirtschaften, ist durch kein anderes Prinzip zu ersetzen. Höherer Wohlstand bzw. bessere Güterversorgung der Personen, die dem Unternehmen das "Eigenkapital und residualentlohnte Unternehmerleistung zur Verfügung stellen", sind umschreibende Aussagen des Gewinnprinzips !O!. Allerdings werden außer dem Ziel, Gewinn zu erwirtschaften, noch andere Ziele im Unternehmen angestrebt. Sie können ökonomischer und außerökonomischer Art sein. Das unternehmerische Handeln zielt außer auf Gewinn, auch auf Umsatz, Kosten, Rendite, Umwelt, Betriebsklima, Sicherheit des Arbeitsplatzes oder andere Größen. Das Trachten nach höherem Umsatz erfolgt aufgrund des Wunsches, die Marktposition zu verbessern oder den Markterfolg zu sichern. Wo eine höhere Wirtschaftlichkeit der Produktion und eine Kostenreduzierung verwirklicht werden sollen, sucht man meistens gleichzeitig nach einem sparsameren Umgang der Produktionsfaktoren. Unternehmenspolitisches Handeln wird durch die Produktionskraft bestimmt. Ihre Sicherung ist ein wichtiger Betimmungsgrund für wirtschaftspolitische Entscheidungen. Das Streben nach Sicherung von Unabhängigikeit und eine hohe Liquidität sind andere wichtige Ziele. Allerdings ist Unabhängigkeit im Zuge einer wirtschaftlichen Globalisierung keinesfalls immer eine vorrangige Zielsetzung. Für den einzelnen Unternehmer stellt dagegen das Trachten nach Macht oder nach Prestige und Anerkennung eine Zielsetzung dar, die im Unternehmen verwirklicht werden soll. Marktrnacht schlägt sich keineswegs allein in der Gestalt von Preisen nieder, sondern tritt im Befriedigen persönlicher Macht-, Prestigeoder Autoritätsbedürfnisse auf. Oft sind gerade diese Elemente die Antriebskräfte für das Handeln der Unternehmer (Manager). Aber auch das Streben nach sozialer Verantwortung kann Teil unternehmerischen Verhaltens sein, etwa beim Umweltschutz oder bei der Ressourcenschonung. Ein Unternehmen wird heute neben anderen Zielen auch seine Beziehung zum Standort und zu seiner Umwelt zu bedenken haben. Gerade letztere wird manche Entscheidung des Unternehmens beeinflussen. Zusätzliche Antriebskräfte sind finanztechnische Strukturen oder die Minimierung steuerlicher Belastungen.

Vgl. Kramer, Ro1f, Der Unternehmer und sein Gewinn, Berlin 1985, S. 40ft'. Heinen, Edmund, Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, Wiesbaden 21971, S. 59. 100

101

8. Führungsethik

111

Das Durchsetzen der Ziele ist keineswegs einfach. Um einzelne Ziele zu erreichen, wird es Kompromisse geben müssen. Etwa zwischen der Gewinnmaximierung und einer langfristigen Unternehmenssicherung, die auf bestimmte finanzielle Erträge verzichtet.

8. Führungsethik Personalethik findet im Unternehmen immer zugleich auch als Führungsethik statt. Das moralische Sollen ist in der Führungsebene zu verankern, zumal da es keine Führungsfragen ohne eine ethische Perspektive gibt. Ethik der Führung ist immer eine Ethik des Dialogs. Denn Personalführung hat es mit Kommunikation und Motivation zu tun. Führung steht darum in einem Spannungsverhältnis zwischen Personalethik und Unternehmensethik. Sie will die Ziele der Unternehmung mit denen der Mitarbeiter in Übereinstimmung bringen. Führung beruht nicht allein auf der Basis individueller Verantwortung, sondern hat immer etwas mit der sozialen Struktur des Unternehmens zu tun. Beide bedingen einander sogar. Führung muß zwischen den Zielen der Menschen und den angestrebten Sachzielen einen Ausgleich schaffen. Das kann sie nur, soweit sie Macht besitzt. Führung bedeutet Motivation. Denn Mitarbeiter motivieren, ist der Inhalt von guter Führung. Der Mitarbeiter soll sich mit dem Unternehmen identifizieren können und wollen. Selbstverständlich darf Motivation natürlich nicht in Manipulation umschlagen, so daß der Mitarbeiter gerade das tut, was er nicht will. Das Ziel der Motivation durch den Vorgesetzten muß sein, den Mitarbeiter die Erfüllung seiner eigenen Wünsche, Ansprüche, Bedürfnisse und Zielsetzungen erfahren zu lassen und gleichzeitig damit, die Zielvorstellung des Unternehmens in Übereinstimmung zu bringen. Sicher ist es für den Mitarbeiter wichtig, wenn das Unternehmen die Hierarchie seiner Bedürfnisse berücksichtigt. Nach der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow - wohl die bekannteste Aufstellung einer solchen Motivationshierarchie - sucht der Mitarbeiter zunächst seine existentiellen Grundbedürfnisse nach Essen, Trinken und Kleidung, anschließend die nach Sicherheit, in einer dritten Stufe die nach Kommunikation, in einer vierten die nach Anerkennung und in einer fünften die nach Selbstverwirklichung zu befriedigen. Gegen die Maslow'sche Motivationstheorie ist mit recht eingewandt worden, daß Geld eine viel wichtigere Rolle spielt, als Maslow ihr zubilligt. Wer zu wenig Geld erhält, besitzt nämlich keine hohe Leistungsmotivation. Dabei ist oft nicht einmal die absolute Höhe das Wichtigste, sondern der Vergleich mit anderen Arbeitskollegen und damit das relative Ausmaß des Gehaltes. Sind aber die Grundbedürfnisse gestillt, werden zusätzliche Geldbeträge, von einer bestimmrnten Höhe an, nicht mehr weiter motivieren. In jedem Fall benutzt die Führungskraft ihre (Geld-)Macht - mindestens ihren psychischen Einfluß - den Mitarbeiter zu motivieren.

112

5. Kap.: Wirtschaftsethik versus Unternehmensethik

Als motivierendes Führungsmittel gilt das Gespräch zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter. Der Dialog ist das Mittel zur Informationsweitergabe und zur Kommunikation. Ein offenes Gespräch ist das Zeichen des Vertrauens zwischen beiden Partnern. Zum Dialog gehört, wie schon bei Habermas' Diskursethik dargelegt worden ist 102, daß - alle Betroffenen hinzugezogen werden, - alle Bedürfnisse und Wünsche gehört werden, die Information für alle gleich, - die Verhandlungsmacht aller Beteiligten gleich groß, - eine Chancengleichheit beim Austausch der Argumente möglich, - eine argumentative Konsensbildung denkbar ist, - die Gegenargumente unvoreingenommen geprüft werden, - kein Zwang ausgeübt wird, - keine Sanktionen zu erwarten sind. Neuerdings wird jenseits des Dialogs und eines besonderen Kommunikationsklimas zusätzlich ein Weg der Wertevermittlung gegangen. Man versucht in vielen Schritten, die Mitarbeiter auf die schwierigere Zeit der Globalisierung vorzubereiten. Gedacht wird an interne und externe Maßnahmen. Denn: 1. Es werden positive visionären Erwartungen vermittelt werden.

2. Dieses Ziel wird mit moralischen Werten aus den allgemeinen gesellschaftlichen, betriebsbezogenen oder persönlichen Bereichen verknüpft. 3. Der Vorgesetzte trägt eine hohe Erwartungshaltung an die Mitarbeiter heran. 4. Die Führungskraft bezieht sich selbst mit ein. 5. Sie strahlt Selbstvertrauen und Zuversicht aus. 6. Gegegnüber der Belegschaft wird mit Vertrauen und Respekt gearbeitet. Einmal delegierte Kompetenzen bleiben erhalten. 7. Die Mitarbeiterschaft wird hinsichtlich ihrer Motivation gezielt aber unterschiedlich angesprochen. 8. Ein gesunder Wettbewerb zu anderen Gruppen (auch außerhalb des Betriebes) wird geschaffen. Sollten diese Motivationsmöglichkeiten und auch der Dialog nichts fruchten und auch ein Konsens zwischen den Partnern nicht hergestellt werden können, bleibt nur der Konflikt übrig. Dieser motiviert selbstvertändlich nicht. Er stabilisiert auch die Kooperation nicht. Er entsteht, wenn zwischen divergierenden intrapersonellen (in der eigenen Person liegenden), zwischen den interpersonellen (zwi\02

s. o. S. 22 ff.

8. Führungsethik

113

sehen verschiedenen Personen) oder zwischen persönlichen (des Mitarbeiters) und den sachlichen (des Unternehmens) Zielen, Bedürfnissen und Wünschen entschiedenen werden muß. Wer einen Konflikt lösen will, muß dessen Ursachen kennen. Es ist die Aufgabe des Vorgesetzten, hier helfend einzugreifen. Bei ihm liegt die Verantwortung. Bei den Führungsstilen ist zwischen einem autoritären und einem kooperativen zu unterscheiden. Der autoritäre ist durch eine hierarchische Struktur gekennzeichnet, die an der Unternehmens-Spitze die Macht zusammenballt. In diesem Unternehmen wird durch Befehl regiert. Vom autoritären unterscheidet man den patriarchalischen Stil, der auf die Fürsorge des Unternehmers für den Mitarbeiter abstellt. Beide sind gegenüber dem kooperativen Führstil abzugrenzen. Dieser stellt das Modell der Zusammenarbeit und damit das Miteinander zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern in den Mittelpunkt. Der kooperative Führungsstil ist derjenige, der im Sinne einer Führungsethik am stärksten dem Menschen und dessen Bedürfnissen und Wünschen gerecht wird. Die Bedürfnisse der Mitarbeiter nach Information und Kommunikation oder Partizipation wird ein solcher demokratischer Führungsstil am besten erfüllen. Allerdings ist er sehr zeitaufwendig.

8 Kramer

6. Kapitel

Rückblick und Ausblick Es geht um die Zusammenfassung der Ergebnisse und um das Aufzeigen von ungelösten Problemen und aporetischen Fragen.

1. Ethische Verhältnisbestimmungen Das Dilemma ethischer Fragen steckt in dem Problem, daß man nicht ohne weiteres zwischen einem guten und einem schlechten Handeln unterscheiden kann. Das Verhältnis von Ethik und Ökonomie muß als mehrschichtig angesehen werden. Es geht vielfach nicht um die Frage, was schlecht, und was gut ist. Die Ethik muß eher zwischen zwei gleichartigen Verhaltensweisen unterscheiden. Oft ist sowohl das eine als auch das andere als richtig anzusehen. Doch muß zwischen beiden eine Wahl getroffen werden. Von einem überlieferten festen Standpunkt und ewig gültigen Werten ist man mehr denn je entfernt. Vielmehr spielt bei der Suche nach Normen und Werten der Geist der Zeit eine Rolle. Sieht man diesen nicht als ein Phänomen, das kurzfristig Normen entwickelt, sondern erkennt in ihm vielmehr die Emanation einer Epoche, dann wird man durch ihn Werte und Normen festlegen können. Die notwendige Entscheidung ist allerdings nur über eine intensive Kommunikation zwischen den Beteiligten zu treffen. Zwischen Grund- und speziellen Werten ist zu differenzieren. Denn es ist in der Normenfrage nicht möglich, von einem allgemein akzeptierten Kanon von Normen auszugehen. Die Entscheidung wird individuell, institutionell, regional oder national getroffen. Die Lösung wird man mal in einer Wertevorgabe suchen, die in der Transzendenz verankert ist, mal wird die ethische Norm den Vorrang haben, die nicht aus absoluten Wertmaßstäben abzuleiten ist. Eine Richtigkeitsvermutung kann nicht allein für den einen oder den anderen Typus erhoben werden. Auch bei der Anwendung der sogenannten Tabubruch-(Dammbruch-)Argumentation ist Vorsicht am Platze. Diese besagt nämlich: Wer die eine Entscheidung zuläßt, muß sich darauf einstellen, auch andere Folge-Entwicklungen bzw. Entscheidungen zu akzeptieren. Auf ein fremdes Beispiel bezogen, hieße das: Wer zuläßt, befruchtete Eizellen für Experimente der therapeutischen Medizin freizugeben, wird nicht verhindern können, daß diese auch für die Reproduktionsmedizin gebraucht werden könnten. In der Wirtschaftsethik geht es nicht um die grundsätzliche Fragen des Lebens und Sterbens, wie in der Bioethik. Wirtschaftsethische Problemik ist eine

1. Ethische Verhältnis bestimmungen

115

rein praktische Frage. Wer glaubt, von außen Ethik in die Wirtschaft einführen zu sollen, wird fremde Einflüsse akzeptieren müssen. Wer den Primat der Ethik anerkennt, wird notwendigerweise die Effektivität der Wirtschaft infrage stellen müssen. Aber muß man nicht unter der Einschränkung des Dammbruch-Arguments darauf hinweisen, daß es durchaus legitim ist, dem Gewinnprinzip zu huldigen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen wahrzunehmen. Doch das darf keineswegs auf Kosten der Menschenwürde des anderen gehen. Die Frage nach dem Primat zwischen Ethik und Effektivität der Wirtschaft kann zu einer grundsätzlichen Veränderung der Werte-Hierarchie führen. Das zeigt sich an dem Verhältnis von Unternehmensethik und Gewinnprinzip. Das Verhältnis zwischen beiden ist mannigfacher Art: I. Dominiert das Gewinnstreben die Ethik, geht es allein um den Gewinn, und die Ethik bleibt gleichsam auf der Strecke. Beispiel: Man stellt den Konsumenten im Umweltschutz nur zum Schein zufrieden, um so einen höheren Gewinnn zu erzielen. 2. Dominiert die Ethik das Gewinnstreben, wird der Gewinn geschmälert. Denn Ethik kostet Geld. Beispiel: Man veranlaßt die Unternehmen, auf eine kostengünstigere, aber umweltschädliche Produktionsweise zu verzichten. Da beide Verhältnisse nicht genau vorherbestimmbar sind, wird gern eine dritte Lösung akzeptiert. 3. Ist die Gewinnerzielung bei der Planung von umweltgerechten Maßnahmen ungewiß, bleiben Unsicherheiten im Verhältnis von Gewinnerzielung und Berücksichtigung der Ethik bestehen.

In der Geschichte ist bis in die Gegenwart hinein der Primat der Ethik vor den Wirtschaftswissenschaften vertreten worden. Aber mittlerweile hat sich auch die entgegengesetzte Form in Gestalt des Primates der Ökonomie gegenüber der Ethik entwickeltl. Dahinter steht die Ökonomisierung der Ethik und damit eine individuelle vorteilsorientierte Argumentation. Es drängt sich freilich noch eine andere, eine dritte Form auf. Diese besteht in der Gleichrangigkeit von Ethik und Ökonomie. Sie kann auf ein Nebeneinander oder Miteinander beider Wissenschaften hinaus laufen 2 . Arthur Richs wirtschaftsethische Aussage, daß nicht menschengerecht sein könne, was nicht auch sachgerecht ist und umgekehrt, kann dafür herangezogen werden. Denn letzten Ende sind beide Bereiche derart aufeinander bezogen, "daß alles Ethische eine sachliche und alles Sachliche eine ethische Komponente hat,,3. Will man die Globalisierung sach- und menschengerecht gestalten, müssen Staat und Gesellschaft wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und rechtliche Voraussetzungen schaffen, um die sozialen Risiken zu vermeiden. Gleichzeitig sind I Vgl. Löhr, Albert, Unternehmensethik und Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1991, S. 261 ff. 2 Vgl. Löhr, Albert (1991), S. 265 ff. 3 Rich, Arthur, Wirtschaftsethik Bd. I, Gütersloh 1984, S. 81 f.

8*

116

6. Kap.: Rückblick und Ausblick

Rahmenbedingungen für sie einzuführen, daß sich eine Entwicklung sachgerecht und zu Gunsten der Menschen verwirklichen kann. Sachgemäßes Handeln ist Grundvoraussetzung für ökonomisches Handeln. Aber auch hier kann das Sachgemäße nicht allein maßgeblich sein. Das Menschengerechte muß hinzukommen. Beide Handlungsweisen sind zwar grundverschieden, aber doch aufeinander bezogen4 . Das gilt für das Wirtschaften im allgemeinen und für die Globalisierung im besonderen.

2. Globalisierung als Herausforderung Die Globalisierung ist aus der internationalen ökonomischen Entwicklung nicht wegzudenken. Sie ist als einmal gesetztes Faktum vorhanden und wird weiter voranschreiten. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Ihre Absicht ist, allen Volkern dieser Erde aufgrund ökonomischen Ausgleichs Fortschritt, Entwicklung und Wohlstand zu bescheren. Wer eine weltweite Ökonomie will, kommt also an der Globalisierung nicht mehr vorbei. Aber sie leidet unter dem Mangel an ethischer Orientierung. Welche Ziele kann und soll sie anstreben und an welchen kann sie scheitern? Ohne Freiheit und Demokratie und ohne Durchsetzung der Menschwürde wird die Globalisierung nicht erfolgreich sein können. Andererseits ist ohne sie die Entwicklung der Ökonomie nicht zu denken. Trotz aller Internationalisierung der Güter- und Finanzmärkte bringt sie ökonomische und soziale Ungleichgewichte hervor. Zwar wirft man ihr vor, nichts zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Verbesserung der Situation der ännsten der armen Länder getan und die Kluft der sozialen Gerechtigkeit unter den Ländern immer weiter geöffnet zu haben, aber ohne sie wäre alles noch schlimmer. Die Entwicklung der kleinen Tiger-Staaten in Asien ist dafür ein deutliches Beispiel. Da in dieser Welt keine vollkommenen Menschen existieren, ist das System der Wirtschaft allein nach dem real existierenden Menschen auszurichten. Es gibt kein ethisches Ideal, das als absoluten Maßstab gelten kann. Wenn der Mensch (oder die Politik) in seiner Verantwortung scheitert, muß man sich nach einer neuen Ordnung und einem gesellschaftlichen Rahmen umsehen, der dem wirklichen Menschen eher entspricht. Dieses war auf nationalem Gebiet schon immer so, und ist darum auch auf die internationale Ebene zu übertragen. Dabei wird es nicht um die Infragestellung der Marktwirtschaft gehen. Sie hat sich als die relativ beste Gestalt erwiesen, die Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigsten Gütern zu gewährleisten und den Wohlstand zu mehren. Sie tut das auf dem freien Markt über den Preis. Das bedeutet, daß der Markt nicht zu Lasten der Ärmsten der Annen geöffnet werden darf. Das bedeutet auch: Der Wohlstand der Reichen darf nicht auf Kosten der Annen erreicht werden. Freilich - und darauf ist besonders noch einmal hinzuweisen - ist das nicht allein eine Aufgabe der Industrienationen, sondern der Entwicklungsländer selbst. 4

V gl.

Rich, Arthur (1984), S. 76 ff.

2. Globalisierung als Herausforderung

117

Die nationale Wirtschaftspolitik trägt für die Globalisierung eine wichtige Verantwortung. Die Nationalstaaten sind die Träger der internationalen Abkommen. Allerdings haben sie über kurz oder lang gewisse Souveränitätsrechte auf die überstaatlichen Organisationen abzutreten. Solange es keine oder nur für wenige bestimmte Bereiche allgemeine überregionale Organisationen gibt, müssen die nationalen Regierungen sich um die Verwirklichung von Menschenrechten, um die Außen- und Sicherheitspolitik oder um die Entwicklungshilfe sorgen. Noch ist es Aufgabe der Industrienationen, sich um die Wirtschaftsstabilität und die Rahmenordnung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu kümmern. Auch die Nachhaltigkeit der Wirtschafts- und Strukturpolitik ist von ihnen zu steuern, damit die Ressourcen gehütet, also nicht überproportional von einer Generation in Anspruch genommen werden. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist für eine Migrationspolitik die Verantwortung zu übernehmen. Nur wenn genügend Fachkräfte ins Land geholt werden, ist eine Entwicklung und damit ein wirtschaftliches Wachstum, das zu neuen Arbeitsplätzen führt, erreichbar. Andererseits müssen die Entwicklungsländer auch so weit geschont werden, dass sie nicht die Kräfte verlieren, auf die ihr Wachstum aufbaut. Außerdem ist zum Erreichen des notwendigen stetigen Wachstums gerade in den Industrieländern eine Flexibilität der Arbeitssuchenden zu gewährleisten. Je flexibler die Arbeit insgesamt angesehen wird, umso leichter wird es sein, neue Arbeitskräfte einzustellen und das Wachstum zu vergrößern. Aber die Globalisierung ist durch national staatliche Korrekturen nur schwer zu regeln. Die nationalstaatliche Politik wird immer weniger Eingriffsmöglichkeiten haben. Das ökonomische Wachstum bekommt dort eine Chance, wo die Märkte sich entwickeln und notwendige Korrekturen vorgenommen werden können. Freilich ist vorrangiges Ziel der Globalisierung die Linderung der existentiellen Not und die Beteiligung der Ärmsten an der Wohlstandssteigerung. Dazu gehört selbstverständlich auch und in einem Atemzug der Ausbau der Ökonomie in einer nachhaltigen Verantwortung für die folgenden Generationen. Sicherlich können dazu manche multinationalen Unternehmen eine Menge in der Schaffung von besseren Arbeitsbedigungen, vermehrter Einstellung von Frauen, familienfreundlicher Produktion etc. beitragen. Das Kapital zeigt sich am mobilsten; darum kann es sich auch den staatlichen Regulierungsmaßnahmen am stärksten entziehen. Es kann sich am schnellsten auf die situativen Bestimmungen in den einzelnen Ländern einstellen und sich den nationalen ökonomischen Bedingungen von Produktivität, Lohnhöhe, Marktgröße etc. anpassen bzw. der jeweiligen Besteuerung ausweichen. Dabei wird es natürlich auch die politische Stabilität, die demokratisch-freiheitliche Verfassung und die soziale Zufriedenheit der Bürger beriicksichtigen. Die Globalisierung senkt die Grenzbeschränkungen nationalstaatlichen Denkens und braucht dabei im sozialen Denken keineswegs alle überlieferten Ausprägungen über Bord zu werfen. Trotz möglicher Korrekturen am Sozial system wird der Nationalstaat weiterhin noch lange der Hauptträger einer nationalen Sozialpolitik bleiben.

118

6. Kap.: Rückblick und Ausblick

Die Globalisierung trägt nicht die Schuld an der Verarmung und Unterentwicklung, sondern eher die jeweiligen Regierungen! Sie selbst ist als ein offener Prozeß zu verstehen, dessen Ergebnis davon abhängt, wie man ihn gestalten wird. Dabei ist zu berücksichtigen, daß möglichst alle Menschen daran teilnehmen können. Letztlich soll also keiner aus diesem Prozeß ausgeschlossen bleiben. Wichtig ist, daß in den ärmsten Länder ein politischer und wirtschaftlicher Rahmen für freie Märkte geschaffen wird. Diese Länder sind für die eigenen Einwohner und für Investoren so auszugestalten, daß in Ihnen Konsens zur Schaffung von Rechtssicherheit und Freiheit, von politischer und ökonomischer Stabilität und in der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität etc. besteht. Auch die Industrie1änder haben die Verpflichtung, sich national staatlich über ein solches Denken hinaus für die Verwirklichung von Menschenrechten und Menschwürde einzusetzen, die univeralsen Welthandels- und Wahrungsorganisationen zu fairen Partnern auch für die Entwicklungsländer umzugestalten. Aus einer Konfrontation über die Freiheit der Märkte etwa ist es nötig, mit ihnen zu einer Kooperation zu gelangen. Hierbei muß insbesondere eine Übereinstimmung zwischen Reden und Handeln erreicht werden.

3. Globalisierung und Nachhaltigkeit Die Globalisierung muß außer der ökonomischen Entwicklung die ökologische Zukunft mitbedenken. Die Menschen in den Industrieländern und in den Entwicklungsnationen müssen lernen, sich um den Erhalt der Lebensbedingungen für die künftigen Generationen Gedanken zu machen. Der Erhalt der natürlichen Ressourcen hat mit einer nachhaltigen umweltgerechten Entwicklung einherzugehen. Denn Ökonomie und Ökologie gehören zusammen. Die Globalisierung ist nicht der Grund für die Umweltverschmutzung oder den Treibhauseffekt. Denn oft sind es gerade die Großunternehmen, die in den Entwicklungsländern der Umweltvermutzung entgegenwirken und die notwendigen Standards einhalten, und nicht die nationalen oder lokalen Unternehmen. Die Umweltverschmutzung zeigt sich auch gerade in den Ländern, die sich dem Umweltschutz versagen. Da es in der nachhaltigen Entwicklung um das dauerhafte Überleben der Menschen geht, müssen Nachhaltigkeit und Globalisierung einander ergänzen. Die ethische Fundierung der Globalisierung gehört mit der Gestalt einer nachhaltigen Entwicklung zusammen. Solange man in der Wirtschaft ganze Maschinen nur deshalb wegwirft, weil kleine Teile eines Gerätes oder Aggregates verschlissen sind, oder eine Reparatur kostspieliger ist als ein Neukauf, bleibt das Verhältnis von Ressourcenausnutzung und menschlicher Arbeitskraft im Ungleichgewicht. In den westlichen Industrienationen wird man lernen müssen, daß ökonomisches Wachstum nicht automatisch Ressourcenschutz und Erhöhung der Lebensqualität bedeutet. Auch ein Beitrag

3. Globalisierung und Nachhaltigkeit

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des einzelnen Menschen in den entwickelten Ländern zur Minderung des Ozonverbrauchs könnte völlig vergessen werden, wenn man die zukünftige Motorisierung der Entwicklungsländer berücksichtigt (z.B. in Asien, besonders in China). Wer die Globalisierung will, muß für sie Verantwortung tragen. Sie dient nicht einem Selbstzweck. Wegen der Defizite und der Fehlentwicklungen muß nach einem Korrektiv gefragt werden. Will man Hunger oder Armut, Arbeitslosigkeit oder Umweltzerstörung bekämpfen, hat der einzelne allein kaum eine Chance. Nur im Verbund mit anderen Gruppen und Institutionen sind dafür Chancen gegeben. Dafür sind äußere Rahmenbedingungen notwendig, ohne die sich keine Veränderung des Gesellschaftsprozesses und der wirtschaftlichen Strukturen ergibt. Diese zu setzen, ist Aufgabe der staatlichen Ordnungspolitik. In ihr stecken ethische Normen. Auch im Handeln und Entscheiden des einzelnen ist ein solches ethisches Verhalten zu erwarten. Indes, der einzelne steht in einem Abhängigkeitsverhältnis von politischen Entscheidungen! Die Globalisierung kann nicht alles sein, was es ökonomisch national bzw. international zu erstreben gilt. Sie bedarf, und darauf haben in jüngster Zeit mit Recht immer mehr Menschen und Institutionen hingewiesen, einiger Ergänzungen. Es muß Sorge getragen werden, daß zusammen mit ihr eine gerechtere Verteilung der Güter und eine stärkere Solidarität unter den armen und reichen, zwischen den nichtentwickelten und den entwickelten Ländern angestrebt wird. Eines der Probleme einer Verwirklichung liegt freilich darin, daß sich genaue Meßzahlen nur in beschränkten Modellen festlegen lassen. Aber noch mehr fällt ins Gewicht, daß von den Kritikern einer strengen Liberalisierung ins Feld geführt wird, die Schutzinteressen der benachteiligten Bevölkerungsgruppen würden nicht genügend gewürdigt. Indessen ist zum einen zu betonen, daß nur bei weltweitem freien Handel ein hinreichender Anreiz besteht, sich auf dem Boden relativer Preisvorteile zu spezialisieren. Zum anderen wird aufgrund des internationalen Wettbewerbs hinreichend Kreativität freigesetzt, "Innovationen zu stimulieren, die die Kosten und Preise der Güter senken und die Angebotsvie1falt erhöhen,,5. Aber eins ist sicher: Nach einer Studie der Weltbank geht es vierundzwanzig Staaten, die sich in den vergangenen Jahren dem weltweiten Freihandel verschrieben haben, heute wesentlich besser als den Ländernm die sich gegen die Globalisierung ausgesprochen haben. Die Öffnung der Märkte hat die Lebensbedingungen von drei Milliarden Menschen nachhaltig verbessert. Also sind auch die Armen und nicht nur die Reichen insgesamt reicher geworden.

5 Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2001/2, Z. 329.

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6. Kap.: Rückblick und Ausblick

4. Wirtschaftsethik Im Nachgang von Adam Smith ist zu berücksichtigen, daß bei der ökonomischen Entscheidung Ziele, Motive und eigene Interessen der Menschen eine Rolle spielen. Smith hatte formuliert, daß nicht das Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers Ausschlag gebend für den Wohlstand des einzelnen sei, sondern daß dieses vom Durchsetzen ihrer eigenen Interessen und ihres eigenen Vorteils abhängig ist. Nur wer aus seinen Interessen handelt, tut etwas für den anderen. Allein über den Wettbewerb und damit über den Markt kann sich der Verbaucher vom reinen Wohlwollen anderer lösen. Bernard de Mandeville, Zeitgenosse von Adam Smith, pries zwar den Aspekt des wirtschaftlichen Egoismus. Aber in seiner berühmten Bienenfabel "Private Vices - Public Benefits" ironisierte er die von Smith hoch geschätzte Fähigkeit des Marktes, die wirtschaftliche Effizienz als eine Nebenwirkung einer individuellen Wohlstandsmehrung zu bezeichnen. Er eliminierte die individuelle Ethik als funktionslos auf dem Markt. Am Beispiel des Bienenstaates zeigte er auf, dass das moralische Verhalten geradezu schädlich ist. Denn wo man aus moralischem Bedenken den Luxus aufgibt, stirbt bald auch der Handel und das Handwerk: "Da man auf Luxus jetzt verzichtet, So ist der Handel bald vernichtet, Manch Handwerk mehr und mehr verfällt, Betriebe werden eingestellt Damieder liegt Kunst und Gewerb .. .,,6.

Das staatliche Zusammenleben und die Arbeitsteilung in der Wirtschaft beruhen nicht auf sozialen Trieben, sondern auf dem Egoismus der Menschen. Die Staatsmänner wenden die Leidenschaften, also die privaten Laster, zum Wohle der Gesamtheit an, wenn sie den Eigennutz durch geschickte moralische Forderungen verwerten. Die Wirtschaftsethik gilt als übergeordneter Begriff für die Ethik in der Ökonomie. Die politisch gesetzten Rahmenbedingungen zugunsten des ökonomischen Handeins bilden für die Wirtschaftsethik die Ansatzpunkte. Werden diese verändert, bedarf es auch neuer ethischer Handlungsanweisungen. Nach dem herkömmlichen Verständnis versteht man den Genetiv im Wort "Wirtschaftsethik" und in der "Unternehmensethik" im Sinne eines Genetivus objectivus als eine Ethik für die Wirtschaft und für das Unternehmen. Sie trägt von außen ethische VorteIlungen und Reflexionen an das Unternehmen heran. Zuträger dieser Art sind philosophische oder religiöse Wertvorstellungen. Ethik ist so eine der Wirtschaft von außen angelegte fremde Verhaltensweise.

6 Mandeville, Bernard, Die Bienenfabel oder Privater Laster, öffentliche Vorteile, Abschnitt T, Frankfurt/M. 1980, S. 91.

4. Wirtschaftsethik

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Der Genitivus subjectivus leitet die Handlungsmaxime aus der Wirtschaft bzw. aus dem Unternehmen selbst ab. Das bedeutet, die Ethik kommt von der Wirtschaft her. Sie ist eine der Wirtschaft eigene Verhaltensweise. Wirtschaftliche und branchenspezifische Überlegungen sind miteinander zu verbinden 7 • Wirtschaftsethik als Untemehmensethik ist sowohl im Sinne eines Genetivus objectivus als auch im Sinne eines Genitivus subjektivus zu verstehen. Die behandelten Wirtschaftsethiken lassen sich bildhaft folgendermaßen darstellen: WirtschaftsethikS I

vertikale Modelle Dominanz der Ethik gegenüber der Ökonomie

I H. Steinmann et al.

P. Ulrich

horizontale Modelle Identität von Ethik und Ökonomie Adam Smith Harmonie von Ethik und Ökonomie

K. Homann et al. Identität als Gestaltungsaufgabe 9

Unternehmensethik richtet sich im Außenverhältnis eines Unternehmens auf die Gesellschaft und die Partner (Kunden und Lieferanten, Wettbewerber am Markt) und im Innenverhältnis auf die Mitarbeiter und Betriebsstrukturen. Wirtschaftliche Ziele sind nicht aus der Institution abzuleiten. Sie werden von außen gesetzt. Peter Ulrich hat mit seinem Entwurf recht, wenn er ausdriicklich den Primat der Ethik hervorhebt. Treten durch eine falsche Weichenstellungen defizitäre Entwicklungen in der Ökonomie auf, sind sie zu Gunsten einer "lebensdienlicheren" Gesellschaft umzukehren. Sind die Entscheidungen in der Ethik personenabhängig, ist von der Personenethik zu sprechen. Geht es aber um die Natur des Menschen, steht die Individualethik im Mittelpunkt, aus der heraus der Mensch sich als Individuum und damit als Selbst (also auch als Sünder) erklären kann 10. 7 Vgl. Hesse, Helmut (Hrsg.), Wirtschaftswissenschaft und Ethik, Schriften des Vereins für Socialpolitik N.F. Bd. 171, Berlin 1988, S. 9 Anm. 2. Vgl. Enderle, Georges, Zum Zusammenhang von Wirtschaftsethik, Unternehmensethik und Führungsethik, in: Horst Steinmann / Albert Löhr, Unternehmensethik, Stuttgart 21990, S. 177 ff. S Vgl. Schramm, Michael, Spielregeln gestalten sich von selbst, in: Detlef Aufderheide und Martin Dabrowski, Wirtschaftsethik und Moralökonomik, Berlin 1997, Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 478, S. 162. 9 Um jeglichen "Dualismus schon im Ansatz zu vermeiden", konzipiert er "Ökonomik [... ] als Ethik mit anderen Mitteln". Das Zitat stammt aus: Schramm, Michael (1997), S. 164. 10 Vgl. Wieland, Josef, Ökonomische Organisation, Allokation und Status, Tübingen 1996, S. 64, 74.

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6. Kap.: Rückblick und Ausblick

Man kann von einer Unternehmensethik in einem dreifachen Sinn sprechen. 1. Die reine personale Ethik regelt das Verhalten des Vorgesetzten gegenüber dem Mitarbeiter und die Beziehung der Mitarbeiter untereinander. Dabei geht es um die Absicherung des Unternehmens und damit auch um die der Arbeitsplätze und die soziale Ausrichtung des Unternehmens. 2. Die Ethik im Unternehmen ordnet die Verhaltensweisen, nach denen im Unternehmen für Recht und Ordnung gesorgt wird. Der Charakter dieser Ethik wird geprägt durch das Verhalten des Unternehmens zu den einzelnen Mitarbeitern. 3. Die Ethik unternehmerischen Handelns will die Beziehung zwischen den Marktgrößen regeln. Hierbei geht es um die Beziehung zwischen dem Unternehmen gegenüber seinen Lieferanten, Kunden und Konkurrenten. Sie betrifft die institutionelle Ordnung. Darum wird man diese Ethik eher wegen ihres gesellschaftlichen Bezuges als Sozialethik verstehen, wenn letztlich auch die Personenethik im Sinne einer Sozialethik interpretiert werden kann. Aber hier steht natürlich der gesellschaftliche Kontext des Unternehmens im Vordergrund. Daher ist auch seine gesellschaftliche Verantwortung und seine Einbettung in die unterschiedlichsten Organisationen des Staates, der Parteien, der Gewerkschaften etc. wahrzunehmen. Die Partner am Markt sollen nach Möglichkeit durch sie erfaßt und zu entsprechendem Verhalten animiert werden. Die Unternehmensethik steht also, ob als Personen- oder Individualethik, in einem gewissen Gegensatz zur Sozialethik. Denn diese will das ethische Verhalten der Gemeinschaft oder Institution reflektieren. Unternehmensethik ist also keine allein auf das Individuum bezogene Ethik, sondern sie nimmt auch soziale Gruppen in die Pflicht. Die Menschen und die Gemeinschaften müssen die Möglichkeit und die Fähigkeit besitzen, danach handeln zu können. Dabei geht es auch um die Herstellung der sozialen Gerechtigkeit, was immer man darunter versteht. Wenn Friedrich August von Hayek zwar diesen Begriff als Unsinn bezeichnet, dann hat er aber nur in dem Maße recht, daß diese sich nicht automatisch durch den Markt oder den Wettbewerb herstellen läßt. Man kann von keiner ökonomischen Seite her die Lösung solcher ethischen Forderungen erwarten. Preise oder Gewinne können von sich aus dieses Ziel nicht anstreben. Sie dienen der Wirtschaftslenkung, aber nicht einer sozialen Norm! Wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, steht dahinter eine politische Zielsetzung. Sie will auf dem Grund von Menschenrechten Gleiche gleich und Ungleiche entsprechend ihrer Verschiedenheit behandeln. Bei der sozialen Gerechtigkeit ist die Durchsetzung von Interessen im Spiel. Sie will zwar zunächst einen Ausgleich oder mindestens eine gerechtere Verteilung der materiellen Güter unter den Menschen. Das ist Aufgabe der Staates gegenüber seinen Bürgern. Entsprechend der Menschenrechte und der Menschenwürde muß er dafür sorgen, daß ihre Grundbedürfnisse nach sozialen, ökonomischen und politischen bzw. kulturellen Mindeststandards befriedigt werden können. Alle Bürger sind an den Gütern des Gemeinwohls zu beteiligen. Alle müssen die gleiche Chance haben, am gesellschaftlichen und politischen Leben partizipieren zu können.

4. Wirtschaftsethik

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Zur sozialen Gerechtigkeit gehört darum auch der Besitz von Arbeit. Die Kluft zwischen Arbeit Besitzenden und Arbeitslosen darf nicht größer werden. Zwar wird wohl ein Unterschied zwischen Insidern als Arbeitenden und Outsidern als Arbeitslosen entstehen. Langfristig muß dieser Unterschied überwunden werden. Dann wird man beiden dieselben Rechte und Pflichten zuschreiben können. Aber die soziale Gerechtigkeit will noch mehr. Denn Sie mißt sich zum einen daran, wie man mit seinen Nachbarn umgeht, zum anderen wie man den Fremden in seiner Mitte behandelt. Den Unterschied zwischen dem Einheimischen und dem Fremden oder zwischen dem Insider und dem Outsider zu beseitigen und beiden dieselben Rechte und Pflichten zuzuerkennen, ist ihr Ziel. Sie will erreichen daß sich im Bewußtsein der Menschheit die Tatsache festsetzt: die Erde gehört allen Menschen. Sie will darum eine möglichst große Gerechtigkeit in der Verteilung der Güter für die jetztlebende und die zukünftigen Generationen. Alle näher analysierten Konzeptionen gehen von bestimmten idealen Voraussetzungen aus. Steinmann kommt von einem idealen Diskurs her, Ulrich arbeitet mit dem Ideal der ökonomischen Vernunft. Beide nehmen dabei den Diskurs mit seinem deontologischen Sollenscharakter hin. Sie versuchen, einen Konsens zu erringen. Homann arbeitet mit dem Ideal der Rahmenordnung. Wer aber den Inhalt der Rahmenordnung setzt, läßt er offen. Es ist der Wirtschafts- und Ordnungspolitik überlassen, die Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft so zu organisieren, wie es Homann et alii wollen. Danach sollen "Ethik und Ökonomik derart miteinander ins Gespräch" kommen, daß beide Disziplinen "wechselseitig voneinander lernen" 11. Der vorgestellte eigene Ansatz versucht, die gegebenen Ideale zu übernehmen und sie der Praxis anzugleichen, indem nicht zwischen der Werte-Ethik (teleologischen Ethik) und der Normen-Ethik (deontologischen Ethik) ein Konsens gebildet wird. Es sind ganz unterschiedliche Instanzen, die der Werte- und Normfindung die notwendige Kompetenz verleihen. Transzendente religiöse Instanzen bieten sich ebenso an wie die Natur als beherrschende Kraft, ebenso die Gesellschaft oder die demokratische Führung. Eine ethische Orientierung kann aus Vernunft- oder aus Überzeugungsgründen erfolgen. Ethik hat von sich aus keine Macht! Die Wirtschaftsethik darum auch nicht. Sie kann von sich aus die Ziele nicht erreichen. Ebenfalls kann auch die theologische Sozialethik keine fertigen Antworten liefern. Sie gibt keine Rezepte für die Gestaltung der ökonomischen Beziehungen und für die Ordnung der Gesellschaft. Sie fragt nach Wegen, die zu beschreiten sind l2 und sie fordert eine weltweite Akzeptanz von moralischen bzw. ethischen Einstellungen und Zielsetzungen, obwohl große religiöse, nationale bzw. historische Unterschiede bestehen. Moralische Apelle allein nützen nichts. Sie versiegen 11

12

Homann, KarllPies, logo (2000), S. 330. Vgl. dazu Schramm, Michael (1997), S. 169.

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6. Kap.: Rückblick und Ausblick

schnell und geraten in Vergessenheit. Es bedarf schon konkreter ökonomischer Vorschläge, um Veränderungen zu bewirken. Dabei hat die theologische Sozialethik ihre Nützlichkeit ständig neu unter Beweis zu stellen 13. Aber gleichgültig von welcher Ethik man ausgeht: Alle ethischen Entwürfen müssen miteinander kommunikabel sein, sonst können sie ihre Ziele nicht erreichen. Es kann nicht nur eine einzige Ethik geben, die dann etwa nur von afrikanischen, amerikanischen, asiatischen oder europäischen Bürgern getragen wird. Ohne eine Kommunikationsbereitschaft kann es mit den anderen Religionen der fünf Kontinente keine weltweite Verständigung geben. Das bedeutet indessen nicht, daß so etwas wie ein Weltethos gefordert werden müßte. Dieses Ethos könnte nur einen religiösen Wirrwar bedeuten. Weltweit wird es genügen, wenn man zu einer religiösen und zivilisatorisch-bürgerlichen Kommunikation käme.

5. Unternehmenskultur und -ethik Die Unternehmenskultur geht weitgehend vom Ist-Zustand des Unternehmens aus. Sie zeigt Strukturen auf, unter denen gearbeitet und das Unternehmen nach innen und außen geführt bzw. vertreten wird. Sie ist ein Konglomerat verschiedener Fakten, gewachsen aus der Tradition, den Zielsetzungen und Wunschvorstellungen der Arbeitgeber, den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und aus der Wettbewerbssituation am Markt. Lieferanten und Kunden tragen das Ihre zum KulturBild bei. Es ist ein dynamischer Prozeß, der sich immer von neuem einer Veränderung auszusetzen hat. In der Unternehmenskultur zeigt sich der Geist und Stil des Unternehmens. Die Unternehmensethik ist ein Teil der Unternehmenskultur. Alle vorgestellten Unternehmensethiken haben gezeigt, daß es nicht die eine Unternehmensethik gibt. Es wird immer eine Mehrzahl von Ansätzen existieren, ohne daß es zu einer Fassung einer Ethik kommt. Man muß auf den herrschenden Wertekanon, die wirtschaftliche Zielsetzung und ökonomische bzw. soziale Einbettung des Unternehmens und seine Geschichte Rücksicht nehmen! In der Unternehmensethik herrscht generell eine Diskursethik vor. Durch sie ist es möglich, die normativen Entscheidungen durch Partizipation der Mitglieder an der Willensbildung herbeizuführen und mit Hilfe eines Konsens für alle verbindlich herzustellen. Das Unternehmen bleibt in das Ordnungssystem der Gesellschaft und in die Gesetzesordnung des Staates eingebettet. Die Unternehmensethik stellt das Soll des Handeins dar. Ihr Ziel besteht in einem verantwortungsbewußten und normativ begriindeten Verhalten und Handeln. In der Wirtschaft und speziell in der Arbeitswelt zeichnen sich Entwicklungen ab, die die berufliche Existenz im Kern verändern. 13

Vgl. Schramm, Michael (1997), S. 170.

5. Untemehmenskultur und -ethik

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Werte weisen auf die generelle Zielsetzung des Unternehmens hin. Sie sind in ihrer grundsätzlichen Gestalt nicht veränderbar, wohl dagegen in ihrem geschichtsabhängigen Kanon. Normen zeigen den Weg auf, mit Hilfe dessen das Individuum den Weg beschreiten kann. Sie können aus gleichsam transzendentalen Begründungen stammen, indem man die Behauptung aufstellt, daß es Normen geben muß. Aber welche es sein sollen, kann auf diesem Wege nicht abgeleitet werden. Sie könnten aus der Natur des Menschen geschlußfolgert werden. Vielfach kommt man aufgrund einer Vernunftbehauptung zur Normbegründung. Steht dahinter ein demokratischer Willensbildungsprozeß, dann beruht ihre Geltung und Anerkennung auf Konvention, Geschichte oder Erfahrung. Ihre Veränderung und ihr Wandel ist damit von vornherein inbegriffen. Es bleibt die Frage nach einer Letztbegründung von Normen. Im religiösen Denken wird Gott als das Geheimnis der Wirklichkeit universal gedacht. Denn er ist die "Macht des Seins", wie es Paul Tillich formuliert. Damit ist auch die universelle Gültigkeit von Normen verbunden. Der universale Gottesgedanke und der universellle Normenanspruch bedingen einander l4 . Aber sowohl die Normen selbst als auch die Wege zu ihrer Durchsetzbarkeit sind relativ und stehen unter dem Anspruch eines Relationismus. Unter diesem Gesichtspunkt des Relationismus müssen auch die Normen einer Unternehmenskultur oder Unternehmensführung gesehen werden. Normen werden in der From von Pflichten und in Gestalt eines Verhaltenskodex mit den spezifischen Rechten abgefaßt. Sie erklären die Handlungsweisen im Unternehmen für verbindlich. Mit ihrer Hilfe werden die Mitarbeiter in die Lage versetzt, ihren Auftrag zu erfüllen und die Ziele zu erreichen. Hilfe dafür sind auch die Führungsoder Unternehmensleitlinien, die firmen internen Kodizes, die das Verhalten der Mitarbeiter oder der Führung bestimmen. Dazu gehören selbstverständlich auch die Führungsgrundsätze mit den entsprechenden Rechten und Pflichten.

14 Vgl. Honecker, Martin, Einführung in die Theologische Ethik, New York/Berlin 1990, S.222.

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9 Kramer

Stichwortverzeichnis Abraham 52 Akkulturation 77 f. Allgemeinbildung 107, 108 Altes Testament 29, 51 Anthropologie 11 Anthropozentrismus 69 f. Apel, Karl-Otto 22 Arbeit 30, 77, 123, 124 Arbeitgeber 84, 86 Arbeitnehmer 40, 73, 84, 86, 107 Arbeitslosigkeit41,116,119,123 Aristoteies 18, 19, 24 Armut (arm) 42, 54, 64, 116, 119 Barth, Karl 29 Bedürfnisse 73, 83, 111, 112, 113 Bergpredigt 29 Berufsbildung 82 ff. Betriebsrat 86 Betriebswirtschaft 12, 17, 96 Beurteilung 82 ff. Bevölkerung 15 Beweisregel 25 Bibel 29 Bischofskonferenz, katholische 62,67,68 Bismarck, Otto von 73 Blome-Drees, Franz 93, 96 ff., 99 ff., 101 ff., 107 Brundtland, Gro H. 58, 60 BSE37 Buddhismus 70 Cicero 72 Computer 13,16,31 Coopers, Richard 43 Corporate Identity 81 Darnmbruch (Tabubruch) 114 f. Dialog 23, 28, 112 Dirigismus 43, 47

Diskurs 20, 22, 23, 94, 96, 104, 124 Disziplin 107 Dominium terrae 63 Dringlichkeitsregel 25 Dualismus 105 ff. Dynamik 107 EKD - Evangelische Kirche in Deutschland 62 ff., 67 Elsaa 56 Entfremdung 21 EntwickJung 12, 26, 31, 59, 77 f., 107, 116 ff. EntwickJungsländer 12, 19, 33, 35, 37, 38, 41,42,43,46 ff., 55, 61,116,119 Esau 52 Ethik (personale, individuelle, soziale) 11, 17, 18, 19, 20, 24 ff., 26, 27 ff., 48, 53, 54 ff., 80, 81 ff., 89 ff., 91 ff., 94 ff. 98 ff., 101 ff., 104 f., 108, 109, 111 ff., 114 ff., 120 ff., 123 ff. - Bioethik 114 - Business Ethics 89 - Diskursethik 18 ff., 22, 29, 91 ff., 112, 124 - Ethic Committee 89 - Ethik-Büro 89 - Führungsethik 26, 111 - Institutionenethik 102 - Konsensethik 22 - Seinsethik 18 - Sollensethik 18, 21 - Untemehmensethik 12, 89 ff., 91 ff., 98 ff., 101 ff., 103, 108, 11, 120 ff., 124 - Wertethik 18, 19,123 - Wirtschaftsethik 12, 18 ff., 25, 89 ff., 94 ff., 98 ff., 101 f., 103, 114, 120 ff. Eucken, Walter 25 Evangelium 29

Stichwortverzeichnis Fichte, Johann Gottlieb 105 Finanzmarkt 37 ff., 46, 116 Flexibilisierung 107 Flüchtling 50 Fluktuation 83 Freiheit 106 f., 118 Fremdbestimmung 109 Fremdling 51, 53 Führung 74, 81, 84,86, 107, 111, 113, 123, 125 Fundamentalismus 70 Fusion 40 Garten, Jeffrey 43 GATI35,36 Gefangenen-Dilemma 100 f. Gemeinde (bürgerliche) 11 Gemeinwohl 25, 64, 65,122 Gerechtigkeit, soziale 48 ff., 54, 62, 68, 71, 122f. Gesellschaft 11, 13 ff., 19, 32, 33, 39, 47, 48,68, 74, 77, 78, 92, 94, 104, 105, 106, 121, 123 Gesetz 29, 86 f. Gesetzlichkeit 47 Gewinn, Gewinnprinzip 91 ff., 95, 96,104 f., 110,115 Globalisierung 5, 11, 24, 25, 30 ff., 34 ff., 39 ff., 42, 43 ff., 48 ff., 50 ff., 54 ff., 55, 59,65, 110, 112, 116 ff. Globalisierungsängste 39 Globalisierungsdefizite 45 Goldene Regel 21, 47 Grundgesetz 20 Güter 15, 19,31,45,51, 57, 116 Habermas, Jürgen 22, 96, 112 Hande1sschranken 35 ff., 37 Hauswirtschaft 18 Hayek, Friedrich August von 122 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 13 f., Herder, Johann Gottfried 72 Herrschaft 109 Hierarchie 74,109,111,113,115 Hinduismus 70 Homann, Karl 24, 25, 93, 94, 98 ff., 101 ff., 103, 104 f., 107, 121, 123 9·

131

Identität 81 Image 81, 83 Immissionsbelastung 58 Industriegesellschaft 12, 13, 116 f. Informationssystem 13, 15, 16,27,31,84, 112, 113 Institution 107 Integration 79 f. Internet 16 Investition 12 Johannesburg 60 Kant, Immanuel 21, 96 Kapital(verkehr) 31, 32, 37, 38, 44, 46 Kapitaldeckungsverfahren 49 Kardinaltugend 19 Kaufmann, Henry 43 Kirche/Gemeinde 24, 62, 67, 69, 71 Kommunikation 15, 27, 31, 74, 84, 97 f., 108, 112, 113, 114 Kompa, Ain 74 Kompetenz 82, 85 Kompromiß 111 Konflikt 22 f., 91, 92, 97, 104, 112, 113 Konsens 23, 27, 48, 68, 90, 96, 97, 98, 112, 118, 123, 124 Konsum 15,58,68, 78 Kontinuität 108 Kooperation 108, 112 Koslowski, Peter 103 Kosten 30, 31,110 Küng, Hans 25, 43 Kultur 5, 11, 25, 26, 68, 72 ff., 74 ff., 76 f., 78 f., 81, 89 ff., 124 Kunden 27, 74, 78, 89, 109, 121 ff., 124 Lay, Rupert 103 Lebensdienlichkeit 94, 121 Lebensqualität 118 Lebensrecht 53 Leistung 73 Leo XIII. 47, 64 Lieferanten 27, 74, 78, 89, 109, 121 ff., 124 Löhr, Albert 23, 91 ff., 96 ff. Luther, Martin 29

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Stichwortverzeichnis

~acht 18,23,78,108 Makroökonomie 12 Mandeville, Bemhard de 120 Markt 26,31,32,34,37,43,45,48,49,82, 83, 110, 122, 124 Marktwirtschaft 12, 14,26,33,66, 104 105, 108, 110 Marktwirtschaft, Soziale 33, 66 ff., 68 ff., 96 Marx, Karl 105 Maslow, Abraham 111 Mensch 81, 106, 109, 120, 125 Menschengerecht 115 Migrant 50 Migration 50 ff. Mikroökonomie 12 Mill, John, Stuart 19 Mitarbeiter 27, 73, 77, 78, 81 ff., 84, 85, 89, 109, 111, 112, 113 Mittelstraß, Jürgen 94 Monopolisten 109 Monopsisten 109 Moral 18,26,81,93,99, 102, 103, 110, 123 Motivation 83, 111 ~üller-Arrnack, Alfred 69 ~ultilateralität 36

Nachhaltigkeit 12, 55, 56 ff., 58 ff., 62 ff., 118 ff. Natur 17, 21, 41, 45, 58 f., 60, 63, 64, 66, 70,72,125 Naturrecht 64, 66 Nestle, 23, 92 Netzwerk 17, 31, 39, 62, 68 Neuberger, Os wald 74 Neues Testament 53 ff. Nichtdiskriminierung 36 Nomaden 51 Normen 13, 18, 20, 21, 22, 24, 26, 27, 28, 67, 73, 76 f., 80, 81, 92, 93, 102, 109, 114, 122, 123, 125 Ökologie 57, 58 ff., 60, 61, 63, 71 Ökonomie (Ökonomik) 18, 25, 26, 28, 60, 70, 71,90,99 ff., 103, 114, 116, 118, 123 Ordnung 25, 26, 33, 44, 45, 47, 66, 67, 105 f., 107, 116, 122 Ordoliberalismus 33

Organisation 5, 41, 77, 79 Organisationskultur s. Kultur Pastoralkonstitution 65 Paulus, Apostel 29, 53 Personalentwicklung 81 ff., 83 ff., 86 Personen prinzip 64 f. Philosophie 5, 18 Platon 19, 105 Politik 18 Popper, Karl 105 Problemlösungsregel 25 Produkt34,35,56,58,107 Produktion 13, 15,40,59, 108 Rahmenbedingungen, Rahmenordnung 25, 47, 61 f., 86, 102, 103, 104, 107, 116 f., 120, 123 ff. Rationalismus 20 Religion 11, 79 Religionsphilosophie 24 Rerum Novarum 47,64 Ressourcen 5, 49, 57, 58, 60, 68, 108, 110, 118 Retinität 64 Reversibilitätsregel 25 Revolution 13 Rieh, Arthur 115 Rohstoff 57 Sachgerecht 115 Sachs, Jeffrey 43 Schöpfung 63 Schumpeter, Joseph Alois 14, 15 Selbstentfaltung 107 Sloderdejk, Peter 14 Smith, Adam 95, 120, 121 Solidaritätsbegriff 54 Solidaritätsprinzip 62, 64, 65 f. Sorros, George 43 Soziallehre 64 ff., 67 Sozialpolitik 14 f., Sozialprodukt 14 Spannungsverhältnis 111 Spezialisierung 107, 108 Spielregel 100 f., 104 Spielzüge 100 f., 102, 103, 104 Staat 109, 122

Stichwortverzeichnis Stabilität 108 Statik 107 Steinmann, Horst 23, 91 ff., 94 f., 96 ff., 98, 104, 121, 123 Strukturen 13 Subsidiaritätsbegriff 54, 62, 64, 65 Subsidiaritätsgesetz 49 Tabubruch 114 Technik 16 Terrorismus 41 Tertiarisierung 32 Theologie 24, 25, 53, 64, 71 Tiger-Staaten 42, 116 Tillich, Paul 125 Tobin, James 43, 45 f. Transzendenz 114, 123 Tugend 16, 18, 19 Ulrich, Peter 93, 94 ff., 96 ff., 98 ff., 103, 104, 121 Umwelt 11, 17,28,39,40,45,57,69,71, 75 ff., 110 Umweltschutz 11,27,58,69, 115, 118 ff. UN, Vereinte Nationen 55 Unternehmen 5, 11, 19,28,96105 ff., 110 Unternehmen (multinationale) 12, 15,34 ff. Unternehrnensethik s. Ethik Unternehmenskultur s. Kultur Unternehmensphilosophie 78 ff., 90 Unternehmensstruktur 76 ff. Uruguay-Runde 36 Vatikanisches Konzil 65 Verantwortung 11, 14, 16, 21,28 ff., 62 ff., 67, 83, 84, 87, 90, 103, 105, 108, 109, 110, 113, 117, 118 ff.

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Vernunft 13,21,22,28,66,94 ff., 96,125 Verteilung 44 Vertrauen 112 Virtuell 15 ff. Wachstum 13, 14 ff., 117 Wahrungsfonds 38, 39, 40, 41, 42, 55 Walraff, Herrnann, J. 66 Wandel 13, 15, 21 Weber, Max 21 Wechselkurs 39 Weiterbildung 83 Weltbank 38, 39, 41, 42, 55, 119 Weltethos 124 Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 58 Werte 18, 19, 20, 24, 28, 33, 67, 73, 76 f., 80,81,114,120,123 f. Wertekonsens48,I02 Wettbewerb 26, 31, 35, 39, 43, 45, 47, 99, 101, 103, 108 Wirtschaft 11, 13 ff., 23, 24, 27, 28, 35,40, 41,57,66, 108, 115, 118, 120 Wirtschaftsethik, s. Ethik Wissenschaft 11 World Trade Center 37, 41 WTO 36,37,41,42,55 Würde 20, 47, 52 Zeit 13,42 Ziel 26, 27, 48, 75, 78 f., 74, 81 f., 83, 84, 89,95 f., 104, 107, 109, 110 ff., 116, 120, 122, 123 ff. Zivilisation 72