Jenseits des konventionellen Kultursponsorings: Chancen alternativer Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen [1. Aufl.] 9783839426418

Cooperations between companies and cultural players thus far contain underused potential: activities beyond conventional

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German Pages 376 [370] Year 2014

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Jenseits des konventionellen Kultursponsorings: Chancen alternativer Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen [1. Aufl.]
 9783839426418

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Nina Johanna Haltern Jenseits des konventionellen Kultursponsorings

Nina Johanna Haltern (Dr. phil.) war nach dem Studium der Kulturwissenschaften in Leipzig für die Kulturpartnerschaften des dortigen BMW-Werks zuständig und ist aktuell im Bereich Personalentwicklung tätig.

Nina Johanna Haltern

Jenseits des konventionellen Kultursponsorings Chancen alternativer Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2641-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2641-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorbemerkung | 9 Einleitung | 11

MODELLE DER KOOPERATION ZWISCHEN UNTERNEHMEN UND K ULTURORGANISATIONEN E INE B ESTANDSAUFNAHME Die Vielseitigkeit der Kooperationslandschaft Einleitung | 33 Außenkommunikation und Profilierung von Unternehmen Kultursponsoring | 49 Corporate Citizenship im Kulturbereich Das ‚neue Mäzenat‘ | 61

Exkurs: Mäzenatentum historisch | 66 Vorrangig materielle Leistungen des Corporate Citizen | 71 Vorrangig immaterielle Leistungen des Corporate Citizen | 77 Beispiel 1: Kölner KulturPaten | 83 Zwischenrésumé | 87 Einsatz von (Mitteln der) Kunst zur Entwicklung von Unternehmen und Mitarbeitern | 89

Organisationsentwicklung im Allgemeinen und unter Hinzuziehung kunstbasierter Mittel | 95 (Bildende) Kunst als Schule der Wahrnehmung erster und zweiter Ordnung | 100 Beispiel 2: Kunstkurse der Frick Collection, New York | 103 Beispiel 3: Kunst und Unternehmensberatung | 104 Unfreezing, Reframing und ernstes Spiel mit Mitteln der (darstellenden) Kunst | 109 Erlebnis von Teamgeist und Führungsqualität als perfektem (musikalischen) Zusammenspiel | 117 Beispiel 4: Das Orpheus Chamber Orchestra als Beispiel für Führung und Einbindung | 121

Beispiel 5: Kollektive Perkussion als Sinnbild gelungener Handlungskoordination | 124 Zusammenfassung | 127 Exkurs: Organisationsentwicklung in Kulturorganisationen | 133 Fazit der Bestandsaufnahme | 143

DER MEHRWERT SEKTORENÜBERGREIFENDER KOOPERATIONEN E INE THEORETISCHE ANNÄHERUNG Einleitung | 147 Brücken über strukturelle Löcher Soziales Kapital in Netzwerken | 149 Irritierende Variationen und Koevolution Sektorenübergreifende Kooperation systemtheoretisch gedacht | 157

Systemtheoretische Grundlagen | 159 Veränderung von Organisationen als Koevolution | 168 Steuerung einer „vorausschauenden Selbsterneuerung sozialer Systeme“ | 171 Implikationen für die sektorenübergreifende Kooperation | 176 Beispiel 6: SeitenWechsel – „Instrument der Managemententwicklung, aber auch sozialpolitische Intervention“ | 181 Beispiel 7: Common Purpose – Erleben unterschiedlicher „Führungskontexte“ | 185 Besonderes Irritationspotential der Kunst? Systemtheoretische und evolutionsästhetische Argumente | 187

Kunst als Beobachtungsverhältnis | 189 Kunst als adaptives Spiel mit dem Überschuss | 212 Zusammenfassung | 223

E RFAHRUNGEN MIT ‚KULTUR -KOOPERATIONEN‘ DES BMW WERKS LEIPZIG V IER FALLSTUDIEN  Kulturpartnerschaften des BMW Werks Leipzig Kontext | 229

Kooperation mit dem „a cappella-Festival“ Leipzig Erste Fallstudie | 239 Kooperation mit dem Festival „euro-scene Leipzig“ Zweite Fallstudie | 263 Workshop-Reihe „Führungskultur gestalten“ in Zusammenarbeit mit „die naTo e.V.“ Dritte Fallstudie | 277 Runder Tisch mit Vertretern des Leipziger Kultursektors Vierte Fallstudie | 297 Reflexion der ‚Kultur-Kooperationen‘ des BMW Werks Leipzig | 325 Zusammenfassung und Ausblick | 331 Literaturverzeichnis | 341 Verzeichnis der Internetquellen | 371

Vorbemerkung

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die eine leicht überarbeitete Version meiner Dissertationsschrift, die im Juli 2013 von der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig angenommen wurde. Bei Ingenieuren durchaus gängig, im kulturwissenschaftlichen Bereich hingegen eher ungewöhnlich, habe ich die Arbeit in enger Anbindung an ein Unternehmen und zwar ein sehr technologieorientiertes verfasst. Diese Konstellation war mitunter erklärungsbedürftig (und zwar sowohl innerhalb der Universität als auch des Unternehmens!), passt aber an sich ganz hervorragend zum Thema des Dissertationsprojektes. Denn eine der treibenden Fragen hinsichtlich der Chancen der Kooperation zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen war immer, was und inwiefern aus Verschiedenheit und aus unterschiedlichen Denkweisen zu lernen sei. Dass es sehr lohnenswert ist, sich auf Andersartigkeit bewusst einzulassen, habe ich ganz deutlich während meiner Tätigkeit in einem Industriebetrieb, dem BMW Werk Leipzig, erfahren dürfen. Hier war ich als Absolventin geisteswissenschaftlicher Studienfächer gewissermaßen ‚allein unter Ingenieuren und Betriebswirten‘ bzw. in eine mir bis dahin fremde, dann aber als sehr faszinierend erlebte, technik- und zahlengetriebene Welt gelangt. Ausgehend von meiner anfänglichen Tätigkeit dort, der Unterstützung des Werkleiters bei der Gestaltung der regionalen Außenkontakte des Werks im Selbstverständnis eines korporativen Bürgers und eines lernenden Unternehmens, entstand die vorliegende Arbeit. Die Veröffentlichung dieses Buches gibt mir nun die Möglichkeit, mich endlich ganz offiziell bei einigen Menschen zu bedanken, die in unterschiedlicher Weise einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Dissertationsprojekts geleistet haben. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hannes Siegrist, der mich über den gesamten Entstehungszeitraum der Arbeit hinweg in der ihm eigenen, freundlichen Zugewandtheit begleitete und die eine oder andere Verschiebung des thematischen Fokus’ mit Interesse und Gelassenheit nahm. Besonders zu für mich schwierigen Zeitpunkten half er nicht nur mit Worten

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des Encouragements, sondern zeigte mir auch mögliche und notwendige nächste Schritte auf. Frau Jun.-Prof. Dr. Nina Tessa Zahner danke ich sehr für ihre Aufgeschlossenheit und die Übernahme des Zweitgutachtens. Meinem ehemaligen Vorgesetzten im BMW Werk Leipzig, Herrn Dr. Peter Claussen, gilt ein ganz spezieller Dank, denn er schaffte nicht nur die initialen Rahmenbedingungen für die Entstehung der Arbeit, sondern forderte auch deren Fortschritt beharrlich ein, stand zur Diskussion der Inhalte stets zur Verfügung und unterzog sie einer kritischen Prüfung. Der BMW AG als Arbeitgeber bin ich dankbar dafür, dass ich in meinen ersten Anstellungsjahren das Forschungsinteresse mit einer spannenden Erwerbstätigkeit habe verbinden können. Dem Leiter der Kommunikationsabteilung des Leipziger BMW Werks, Herrn Jochen Müller, danke ich für die Freigabe des Manuskripts. Ein ganz herzliches Dankeschön geht aus demselben Grunde an die Teilnehmer der im dritten Teil des Bandes geschilderten Fallstudien. Eine überaus große Hilfe waren meine Freunde Dr. Vera Glas und Stephan Schwarze, die das Last-Minute-Lektorat vor Einreichung der Dissertationsschrift übernommen haben. Vielen Dank dafür! Meinem Lebensgefährten Dr. Daniel Adler und meiner Mutter Barbara Haltern danke ich für ihre gleichermaßen optimistische und geduldige Begleitung des Dissertationsprojekts. Widmen möchte ich das Buch meinem Vater, der dessen Fertigstellung nicht mehr miterleben konnte.

Einleitung Dem Verdacht, dass die Begegnung mit der Kunst von der Wirtschaft nur gesucht wird, wenn und weil sie entweder schmückt oder verkauft werden kann, und dass die Begegnung mit der Wirtschaft von der Kunst nur gesucht wird, wenn und weil sie, so oder so, bezahlt, kann man, gerade weil er berechtigt ist und bleibt, nur entgegentreten, wenn man für diese Begegnung auf beiden Seiten andere, aber mindestens genau so gute Gründe findet.1 DIRK BAECKER

Die Phänomenologie des Alltags legt eine Grundverschiedenheit der Sektoren Wirtschaft und Kunst nahe, die sich in ganz gegensätzlichen Zuschreibungen spiegelt: hier Optimierung, Standardisierung und Profitstreben, dort Freiheit und Individualismus und Sinnlichkeit; kühle Köpfe, graue Anzüge und schnöder Mammon auf der einen, Grenzgänger2, Paradiesvögel und Egozentriker auf der anderen Seite. Weniger im Klischee verhaftet, doch als fundamental unterschiedlich wurden beide Sektoren auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur beschrieben. Wenn von Wirtschaft und Kultur resp. Kunst die Rede ist, dann sind damit in der Regel Teilbereiche der funktional differenzierten Gesellschaft gemeint, die sich in der Moderne herausgebildet haben und die relativ autonom sind: von Pierre Bourdieu konzipiert als soziale Felder mit einer ihnen spezifischen Eigenlogik und einer speziellen

1

Baecker, Dirk (2001): Etwas Theorie. In: Wirtschaftsvisionen 2. Hrsg. von Dirk Luckow. München: Siemens Kulturprogramm. S. 3-6, hier: S. 3.

2

Im Sinne der Lesbarkeit ist, sofern nicht anders gekennzeichnet, mit Nennung der männlichen Bezeichnung immer auch die weibliche Form eingeschlossen.

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Konstellation von Kapitalformen3, von Niklas Luhmann als geschlossene, autopoietische Systeme mit exklusiver Funktion und spezifischem Code.4 Diese gesellschaftlichen Teilbereiche haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und sind somit unabhängig voneinander, andererseits aber – und sei es nur durch ihre gegenseitige Abgrenzung – auch stets miteinander verbunden bzw. aufeinander bezogen. Während Luhmann insbesondere auf die unterschiedlichen Funktionslogiken und die Geschlossenheit der beiden Systeme abhebt, sind bei Bourdieu Feld der Wirtschaft und Feld der Kultur auch normativ unvereinbar. Mit Kunst und Wirtschaft, mit Kulturorganisationen und Unternehmen, um die es im vorliegenden Band insbesondere geht, prallen mitunter ganze ‚Welten‘ aufeinander, die verschiedenen Regeln zu gehorchen scheinen und deren Protagonisten mit einem breiten Repertoire an Vorurteilen gegenüber der jeweils ‚anderen Seite‘ ausgestattet sind. Somit wird fortwährend ein Spannungsverhältnis reproduziert, das über viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gewachsen ist. Insbesondere der Bereich der Kultur bezieht nicht zuletzt aus dieser Polarität seine Attraktivität. Eine klassische Zuschreibung gegenüber den ‚schönen Künsten‘ ist auf Seiten der Wirtschaft einerseits die wertevermittelnde Funktion der bereits etablierten Kunst im Sinne eines ‚Kulturgutspeichers‘ und Komplement zur schnelllebigen Wirtschaftskultur, die die Werte, derer sie zum Funktionieren bedarf, selbst nicht bereitzustellen vermag.5 In diesem Zusammenhang wird meist rekurriert auf 3

Vgl. Bourdieu, Pierre (2010 [1999]): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt/Main: Suhrkamp; Zembylas, Tasos (2006): Modelle sozialer (Un)Ordnung. Überlegungen zur Konstitution der Forschungsgegenstände der Kulturbetriebslehre. In: Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Perspektiven der Kulturbetriebslehre. Hrsg. von Tasos Zembylas; Peter Tschmuck. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. S. 17-45, hier: S. 28-32.

4

Vgl. Luhmann, Niklas (2010 [1985]): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

5

Vgl. Blum, Ulrich: „Kultur in Deutschland – ein ökonomisches Thema?“. Studie des IWH Halle im Auftrag des Mitteldeutschen Presseclubs. Rede anlässlich der Verleihung der „Heißen Kartoffel“ 2005 an Kurt Masur. http://conrad04.ewerk.com/pressec/sites/ pressec/live/uploads/58c3bb6850cafe7fbb43316f847d7281.pdf (17.5.2007). In ähnlicher Weise argumentiert zum Beispiel auch Peter Bendixen, „dass die Kultur in ihren zahlreichen Facetten eine grundlegende Bedeutung für die Wirtschaft besitzt, und zwar nicht nur in materieller, sondern v.a. in geistiger Hinsicht. Die im Wertesystem der Kultur (hier umfassender als die Künste gedacht) verankerten Kräfte des Gemeinsinns, der gesellschaftlichen, mehr noch der schichten- und elitenspezifischen Identitäten, der Motivationen der persönlichen Lebensgestaltung sind zugleich fundamentale Faktoren der Wirtschaftsentwicklung: Sie sind quasi ihr Lebenssaft.“ (Bendixen, Peter (1998): Einführung in die Kultur- und Kunstökonomie. Opladen; Wiesbaden: Westdeutscher Verl., S. 12).

E INLEITUNG | 13

die traditionell in der Kunst verortete Aisthesis, die sinnliche Wahrnehmung, als Basis eines Erkenntnisprozesses, bei dem es um das Schöne und Wahre geht, das sich im (Unternehmens-)Alltag allzu oft verlöre. Andererseits und eher zukunftszugewandt wird der (avantgardistischen) Kunst eine Art Seismographenfunktion beigemessen. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, Künstler seien in besonderer Weise sensibel für gesellschaftliche Entwicklungen, und diese würden hier besonders frühzeitig aufgenommen, verarbeitet und sichtbar gemacht. Avantgarde-Kunst wird in diesem Zusammenhang zur „Grundlagenforschung“6, zur „Entwicklungsabteilung der Gesellschaft“7 erklärt, oder ihr wird zumindest eine „marktforschende Funktion“8 beigemessen – eine These, die auch von Vertretern der kulturhistorischen Forschung, freilich ohne Denken an marktliche Verwertbarkeit unterstützt wird, wenn etwa der Kunstsoziologe und -historiker John Manfredi konstatiert, in der Kunst zeichneten sich gesellschaftliche Veränderungen immer bereits im Vorfeld ab: „If one wishes to study the development of any cultural system without the distractions of transitory disorder, it is hard to find better subjects than the fine arts. Viewing the changes they have undergone has an added advantage, because their changes foreshadow developments in the rest of the cultural system.“9

Auf beide Modelle (Wertehort10 und Zeitgeist-Seismograph11) baut teilweise auch die Argumentation auf, wenn es darum geht, Aktivitäten der Kulturförderung und Skeptischer hierzu: Haselbach et al.: Kultur werde allenthalben „als eine bewahrende Kraft gegen die ökonomistische Zerstörung der Lebenswelt gepriesen“ (Haselbach, Dieter; Klein, Armin et al. (2012): Der Kulturinfarkt. Von allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention. München: Knaus, S. 142). 6

Vgl. Ebker, Nikola (2000): Politische Ökonomie der Kulturförderung. Entwicklungen zwischen Staat, Markt und 3. Sektor. Bonn: ARCult-Media, S. 91.

7

Rossbroich, Joachim (1999): Kultur als Entwicklungsabteilung der Gesellschaft. In: Die Kultur-AG. Neue Allianzen zwischen Wirtschaft und Kultur. Hrsg. von Andreas Grosz; Daniel Delhaes. München: Carl Hanser. S. 145-157.

8

Emundts, Ruth (2003): Kunst- und Kulturförderung – Symbol der Unternehmenskultur? Eine interdisziplinäre Untersuchung. Berlin: Rhombos, S. 127.

9

Manfredi, John (1982): The Social Limits of Art. Amherst, Mass.: Univ. of Massachusetts Press, S. 4.

10 Haselbach et al. sehen in der Ausprägung dieses Musters übrigens ein Spezifikum der „Kulturnation“ Deutschland, mit dem sie die Akzeptanz des einzigartigen, da sehr umfangreichen deutschen Kultursubventionsbetrieb ableiten: „Überall hier und […] durchgehend in der Kultur erscheint der Bürger nicht als ein Handelnder, der selbstbewusst die

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des -sponsorings nicht nur mit der Bedürftigkeit des Kultursektors zu begründen. Überdies wird die Kunst oft als die Heimstatt der Kreativität gesehen, einer unermüdlichen Schöpfer- und Innovationskraft also, die als vorbildlich auch für Unternehmen gilt, wobei hier „gerade eine widerspenstige Kultur eine wesentliche Bedingung [...] für die Aufladung der Wirtschaft mit Phantasie, Kreativität“12 zu sein scheint. In diesem Tenor vermerkt z.B. Ludger Hünnekens: „Die große Vielfalt der kunst- und kulturgeschichtlichen Leistungen der Vergangenheit gleichermaßen wie der Elfenbeinturm der zeitgenössischen Künste mit seinen vermeintlichen ‚Chaoten, Scharlatanen und überdrehten Intellektuellen‘ ist aus Sicht der Wirtschaft eine Ressource für Kreativität und Innovation geworden, eine akzeptable Plattform für Repräsentanz und Dialoge, ein erhaltens- und förderungswürdiger Freiraum unserer Gesellschaft.“13

Kreativität muss dabei gar nicht kunstnah sein, wie es etwa in den Branchen der Kulturwirtschaft oder Creative Industries der Fall ist, sondern wird dann eher wie von Richard Floridas in The Rise of the Creative Class14 als das verbindende Elemente aller intellektbasierten Arbeiten15 angenommen, die für die Wissensgesellschaft so typisch sind, denn „[i]m Zuge des Wandels von der Industrie- zur Wissensgesellschaft beobachten wir eine allmähliche Verschiebung von den materiellen zu den immateriellen, ausschließlich im Kopf des Menschen vorkommenden Res-

Geschicke der Gesellschaft in die Hand nimmt (wie in England, der Schweiz oder wie in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert), sondern als jemand, der durch Kunst und Kultur gerettet werden muss, der durch sie befreit und mit ihr ästhetisch erzogen wird.“ (Haselbach et al. 2012, S. 94). 11 Vgl. Wöllert, Anja (1994): Kulturconsulting. In: Kulturmanagement. Theorie und Praxis einer professionellen Kunst. Hrsg. von Hermann Rauhe; Christine Demmer. Berlin; New York: Walter de Gruyter. S. 391-402, hier: S. 402. 12 Bendixen 1998, S. 24. 13 Hünnekens, Ludger: Art Investing – Kultur, Wirtschaft und neue Allianzen (2002). In: manager magazin, H. 12. Hünnekens war damals geschäftsführendes Mitglied des Stiftungsrates der neu gegründeten Allianz Kulturstiftung (https://kulturstiftung.allianz.de/, 01.01.2013). 14 Florida, Richard (2004): The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life. Cambridge, Mass.: Basic Books. Vgl. anschließend an Florida unter der Fragestellungen „Wo sind die Kreativen?“ in Bezug auf Deutschland: Fritsch, Michael; Stützer, Michael (2006): Die Geografie der Kreativen Klasse in Deutschland. Freiberg. 15 In der DDR hätte man von „Geistesarbeitern“ gesprochen.

E INLEITUNG | 15

sourcen der Ökonomie“.16 Zu den im Florida’schen Sinne „Kreativen“ gehören somit nicht nur Werber, Redakteure und Galeristen, sondern gerade auch Ingenieure, Manager, Banker etc. Vor diesem Hintergrund überrascht es dann kaum noch, wenn eine Bank kokett mit Kreativität als „Tugend“ wirbt: „Halt, warten Sie – Sie sind hier völlig richtig. Wir wissen natürlich, dass Sie den Begriff ‚Kreativität‘ normalerweise nicht mit Banken verbinden – aber er beschreibt genau die Eigenschaft, die unsere Kundenberater benötigen. Sie beschäftigen sich täglich damit, aus einer Fülle von innovativen Anlageformen die jeweils passenden für Sie herauszufiltern. Darunter zum Beispiel unsere mehrfach ausgezeichnete HVB KombiAnlage. Und das erfordert viel – 17

wie lautete der Begriff noch mal?“

Wenngleich kaum im Wortsinne der schöpferischen Tätigkeit erscheint Kreativität in diesem Zusammenhang (anders als die Komplexe Wertehort und Innovationssonde) als verbindendes Element, eine Brücke zwischen den so unterschiedlichen Sektoren, die sowohl der Kunst als auch der Wirtschaft zugeschrieben wird. Diese Verknüpfung erscheint bemerkenswerterweise nicht nur aus Sicht der Wirtschaft, sondern auch für Akteure des Kulturbereichs anziehend. So sieht beispielsweise die ehemalige Direktorin des Künstlerhauses Wien, Doris Rothauer, in Kreativität den Schlüssel zu einer neuen „Netzwerkqualität“ zwischen Kunst, Wirtschaft und Politik, mit deren Hilfe es gelingen könnte, klassische Dichotomien wie „elitär/ massenkompatibel, Hoch-/Sub-, unterstützungswürdig/kommerziell“ aufzuheben und die Kunst aus ihrer „(wenn auch gleichzeitig beneidete[n]) Außenseiterrolle der Gesellschaft“ zu befreien.18 Diese ambitionierte Argumentation zeigt zumindest, dass dem Kreativitätsbegriff eine gehörige Attraktivität und Suggestionskraft innewohnt. Dabei ist die Rolle der Kunst als Kreativitätsressource (für andere gesellschaftliche Bereiche) alles andere als neu, ebenso wenig die Annahme, dass Wirtschaftssubjekte kreativ sein müssten, um erfolgreich zu sein: Bereits Joseph A. Schumpeter ging davon aus, dass wirtschaftliche Entwicklung stets von „neue[n]

16 Mutius, Bernhard von (o.J.): „Crossing Borders“. Zukunftsfähigkeit als grenzüberschreitendes Lernprogramm. http://www.kulturkreis.eu/images/stories/downloads/pb_csr_und_ ccr/ccr_hintergruende/theorie-mutius.pdf (15.8.2012). 17 http://www.hypovereinsbank.de/portal?view=/privatkunden/195357.jsp (1.1.2014). Der Text wird illustriert von einem männlichen Porträt, das zur Hälfte aus einem Foto, zur anderen Hälfte aus einer einfachen Filzstiftskizze zusammensetzt. Spätestens seit der Finanzkrise 2007 haftet der Kombination von Banking und Kreativität freilich ein unguter Beigeschmack an. 18 Vgl. Rothauer, Doris (2005): Kreativität & Kapital. Kunst und Wirtschaft im Umbruch. Wien: WUV, S. 14.

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Kombinationen“ der Produktionsfaktoren sowie der „schöpferische[n] Zerstörung“ der alten getrieben werde.19 In den 1980er Jahren wurde Kreativität jedoch verstärkt zum Topos kulturpolitischer Diskussionen, nachdem in den Jahren zuvor insbesondere die gesellschaftspolitische Funktion der Kultur den Diskurs dominiert hatte.20 Werner Heinrichs zufolge wird im Kulturbereich „seither […] ein Potential von Kreativität und Phantasie“ gesehen, „das gleichermaßen in der Freizeit der Entfaltung der individuellen Persönlichkeit wie auch im Beruf der Förderung beruflicher Möglichkeiten dient“.21 Als ganz offensichtlichen Modebegriff der Managementliteratur und -praxis entlarven Colin Tweedy und John Knell die Kreativität: „Creativity has become one of those management buzz words capable of generating enthusiasm and cynicism in equal measure. Enthusiasm in that many people aspire to be more creative and most recognise that ideas-rich environments are more fun to work in. But cynicism to the extent that at the airport book-end of business publishing, no area of business practice tends to attract more wacky and overblown treatments than creativity.“22

Die Inflation des Kreativitätsbegriffs, der mittlerweile Gegenstand eines ganzen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Diskurses ist, wird denn vielfach auch weniger amüsiert gesehen, nämlich als ein rhetorisches Instrument, eine

19 Schumpeter, Joseph Alois (2006 [1912]): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin: Duncker & Humblot, S. 88f. 20 Vgl. Heinrichs, Werner (1993): Einführung in das Kulturmanagement. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 40f. 21 Ebd., S. 40f. Vgl. auch Schraut, Elisabeth (2002): Kultur und Wirtschaft. Zwei Welten oder Partner in Sachen Kreativität und Innovation? In: Kultur und Wirtschaft. Kultursponsoring international. Hrsg. von Stadt Karlsruhe. Karlsruhe: G. Braun. S. 21-25, hier: S. 24f. Auf den häufigen Vorwurf der Instrumentalisierung bezugnehmend fährt Heinrichs an der genannten Stelle fort: „Vor allem Kulturpolitiker aus dem Umfeld einer gesellschaftspolitisch orientierten Kultur sehen darin die Gefahr einer Instrumentalisierung: Kultur fördert unser kreatives Potential, dieses solchermaßen geförderte Potential nutzt der Produktivität unserer Arbeitsplätze. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass Kultur gerade auch in den siebziger Jahren in hohem Maße instrumentalisiert war, nur zu jener Zeit eben für gesellschaftspolitische Zwecke.“ 22 Tweedy, Colin; Knell, John: Art works. Why Business Needs the Arts. An Arts & Business Report. http://www.aandbcymru.org.uk/uploads/Arts_Works.pdf (8.1.2013), S. 9. Eine Google-Suche mit den Stichworten „Manager Magazin“ und „Kreativität“ oder „Harvard Business Manager“ und „Kreativität“ bestätigt diese Einschätzung.

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„Weltanschauung“23 gar, mit dem eine Klammer geschaffen werden sollte, um „die historisch tradierte[n] Grabenkämpfe zwischen Kunst und Ökonomie zu unterbinden“ wie es der von New Labour in Großbritannien geprägte Ansatz der Creative Industries nahelege.24 Die Kreativität wird in dieser kritischen Argumentation zur Komplizin des Neoliberalismus oder – in Anlehnung an Bourdieu – der konservativen Revolution, in der es einzig um ein „Humankapitalförderungsprogramm“, den „Zugang zu den kreativen Ressourcen des einzelnen“ gehe – ganz im Gegensatz zum Programm der 1970er Jahre, mit dem ein Zugang aller zur (Hoch-)Kultur intendiert worden sei.25 Unabhängig von ideologischen Wertungen ist festzuhalten, dass das Thema Kreativität offenbar ein Leitmotiv im Verhältnis von Wirtschaft und Kultursektor geworden ist. Bemerkenswert ist, dass mit Zuschreibungen wie der einer Seismographenqualität oder besonders ausgeprägter Kreativität zunehmend der Prozess der Werksentstehung und noch allgemeiner: die Bedingungen der Kunstproduktion ins Blickfeld rücken (gegenüber dem Kunstwerk bzw. dem finalen Ergebnis des Schaffensprozess’). Hier werden offenbar Anknüpfungspunkte für andere gesellschaftliche Sektoren auf einer eher methodisch-instrumentellen Ebene vermutet, die das Kunstwerk per se und als bereits fertig Gestelltes nicht unbedingt zu liefern vermag.26 Die Ten23 Behnke, Christoph (2008): Künstlerrollen in den Creative Industries. In: Kultur und Wirtschaft. Eine lukrative Verbindung. Hrsg. von Arvid Boellert; Inka Thunecke. MössingenTalheim: Talheimer Verl. S. 140-152, hier: S. 143. Behnke problematisiert in seinem Aufsatz die Creative Industries, die die Cultural Industries ablösten, als eine rhetorische Strategie der Blair-Regierung. Dazu gehörten dann auch Computer- und Software-Industrie, weswegen das Wachstum des so zugeschnittenen Sektors tatsächlich enorm war und als Zugpferd der britischen Wirtschaft positioniert werden konnte. Vgl. hierzu auch Garnham, Nicholas: From Cultural to Creative Industries (2005). In: International Journal of Cultural Policy 11, H. 1. S. 15-29; Selwood, Sara (1999): Über den Preis von allem und den Wert von nichts – Quantifizierung des Kultursektors. In: Die organisierte Kreativität. Kulturpolitik an der Wende zum 21. Jahrhundert. Hrsg. von Franz Morak. Wien: Edition Atelier. S. 78-105. 24 Behnke 2008, S. 141. 25 Ebd., S. 147. 26 Diese Tendenz ist womöglich auch eine nachziehende Reaktion auf die Entwicklungen der Kunst(geschichte), insofern doch verschiedene künstlerische Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert eine (Entstehens-)Prozessorientierung aufweisen (nachdem die Kunstbetrachtung als solche bereits gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend in der Kunst thematisiert wird, am prominentesten vermutlich im kubistischen Versuch der Multiperspektive). Beispiele liefern etwa die Aktionskunst ab Mitte der 50er und die daraus hervorgegangenen Happenings und Performances, aber auch das Action Painting und die Konzeptkunst. Im Theater gibt es Bühnenbilder, die die

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denz zur Beschäftigung mit den Entstehungsbedingungen künstlerischer Erzeugnisse spiegelt sich auch in einem seit einigen Jahren gesteigerten Interesse für Arbeitsformen des Kulturbetriebes wider, die sich in Schlagworten wie dem „Culturalpreneur“,27 dem Kulturunternehmer also, zumeist in Form der „Ich-AG“, wiederfinden, aber auch der (Selbst-)Stilisierung einer „digitalen Bohème“28 als prägend für einen neuen, der Form nach an den Kunstbetrieb angelehnten und mit den Fazilitäten neuer Kommunikationstechnologien ausgestatteten Arbeitnehmer- bzw. besser: Kleinunternehmertypus. Die Merkmale, die, zum Beispiel in Bezug auf Kreativitäts- und Innovationsbedarf sowie die Relevanz einer besonderen Wahrnehmungskompetenz und geistigen Flexibilität, häufig als kennzeichnend für eine neue Wirtschaftskultur hervorgehoben werden, finden ein Gegenstück in den für den Kunstbereich typischen Arbeitsverhältnissen und Erwerbsstrukturen.29 Carroll Haak Bühnentechnik bewusst sichtbar werden lassen, und die Live Electronic lässt den Zuhörer an der Entstehung eines Stücks direkt teilhaben. 27 Vgl. z.B. Mandel, Birgit (2007): Die neuen Kulturunternehmer. Ihre Motive, Visionen und Erfolgsstrategien. Bielefeld: Transcript; Eikhof, Doris; Haunschild, Axel (2004): Arbeitskraftunternehmer in der Kulturindustrie. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater. In: Typisch Arbeitskraftunternehmer? Befunde der empirischen Arbeitsforschung. Hrsg. von Hans J. Pongratz; G. Günter Voß. Berlin: Ed. Sigma. S. 93-113. Im Sinne einer Anleitung: Rohrberg, Andrea; Schug, Alexander (2010): Die Ideenmacher. Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Bielefeld: Transcript. 28 Friebe, Holm; Lobo, Sascha (2006): Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung. München: Heyne. 29 Die insbesondere von sich dem politischen Spektrum links der Mitte zugehörig fühlenden Kritikern oft als prekär gebrandmarkten Arbeitsverhältnisse, die Arbeit in „Projekten“ (d.h. in befristeten Arbeitsverhältnissen) und als selbstausbeuterischer Ich-Unternehmer sowie die Erledigung von Standardtätigkeiten durch gar nicht oder nur schlecht bezahlte Praktikanten u.ä., die im Kulturbereich weit verbreitet (und zum Beispiel über die Künstlersozialkasse abgesichert) sind, scheinen auch in anderen Branchen zuzunehmen, wo Zeitarbeitskräfte und ‚feste Freie‘ gegenüber einer langfristig beschäftigten Kernbelegschaft für Arbeitgeber oft attraktiv sind, insbesondere, wenn sich diese in einem volatilen Marktumfeld bewegen – Flexibilisierung und Entstetigung von Arbeitsverhältnissen sind die Schlüsselwörter dieses Diskurses. Vgl. hierzu arbeitswissenschaftlich: Dörre, Klaus; Neis, Matthias (2008): Zum Beispiel Kulturakteure. Der Bedeutungswandel von Erwerbsarbeit und seine Verarbeitung. In: Kultur und Wirtschaft. Eine lukrative Verbindung. Hrsg. von Arvid Boellert; Inka Thunecke. Mössingen-Talheim: Talheimer Verl. S. 196203; Röbke, Thomas (2000): Kunst und Arbeit. Künstler zwischen Autonomie und sozialer Unsicherheit. Essen: Klartext; kapitalismuskritisch: Behnke 2008; Lorey, Isabell (2007): Vom immanenten Widerspruch zur hegemonialen Funktion. Biopolitische Gouvernementalität und Selbstprekarisierung von KulturproduzentInnen. In: Kritik der

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und Günther Schmid, die sich intensiv mit dem Künstlerarbeitsmarkt beschäftigt haben, vermerken: „Sollte das gesamte Beschäftigungssystem seine momentane Dynamik beibehalten und dabei das Normalarbeitsverhältnis weiter erodieren, so können Strukturmerkmale von Künstlerarbeitsmärkten zumindest teilweise paradigmatisch für den zukünftigen Arbeitsmarkt sein.“30 Während Haak und Schmidt offenlassen, „inwieweit sich in diesem Segment Problemlösungen andeuten, die zukunftsweisend sind“,31 vermuten verschiedene andere Autoren im Kulturbereich nicht nur ein neues Paradigma, sondern auch die Kompetenz und „Vorreiterfunktion zum Umgang damit“, die in anderen Bereichen erst noch gelernt werden müsse,32 oder ein Laboratorium, in dem die „Anpassung

Kreativität. Hrsg. von Gerald Raunig; Ulf Wuggenig. Wien: Turia & Kant. S. 121-136; McRobbie, Angela: Everyone is Creative. Artists as Pioneers of the New Economy? http: //www.k3000.ch/becreative/texts/text_5html (9.1.2013); McRobbie, Angela (2004): Kreatives London – kreatives Berlin. Anmerkungen zum Erwerb des Lebensunterhalts in der neuen kulturellen Ökonomie. In: Atelier Europa. Hrsg. von Kunstverein München. München. S. 22-33; Messner, Bettina (2003): Die beherrschte Freiheit Kunstschaffender. In: Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus. Hrsg. von Elisabeth Katschnig-Fasch. Wien: Löcker. S. 182-186; enger in Bezug auf Künstler: Saehrendt, Christian (3.2.2007): Das Ende der Bohème. Modernes Künstlerproletariat in Berlin. In: Neue Zürcher Zeitung; aus eigener Erfahrung: Bunz, Mercedes: Meine Armut kotzt mich an. http://www.mercedes-bunz.de/texte/urbaner-penner (8.1.2013). 30 Haak, Carroll; Schmid, Günther (1999): Arbeitsmärkte für Künstler und Publizisten. Modelle einer zukünftigen Arbeitswelt. Berlin: WZB Discussion Paper. http://skylla.wz-ber lin.de/pdf/1999/p99-506.pdf (8.1.2013), S. 22. 31 Ebd. Zukunftsnotwendig könnten diese Beschäftigungsformen tatsächlich insofern sein, als dass das Repertoire möglicher Optionen für Organisationen, die auf den möglichen Märkten wettbewerbsfähig sein müssen, um überleben zu können, nicht sonderlich groß ist. Spätestens in einem globalen Kontext wäre zu fragen, ob das eigentlich Prekäre nicht die Situation einer Gesellschaft darstellt, die gesamthaft über ihre Verhältnisse lebt. 32 Bauer-Volke, Kristina: Ostdeutschlands Problem mit der kulturellen Substanz (2003). Gesellschaftliche Dimensionen des kulturellen Wandels. In: kulturation, H. 2. Zugleich Einleitung zu: Bauer-Volke, Kristina; Dietzsch, Ina (Hrsg.) (2004): Labor Ostdeutschland. Kulturelle Praxis im gesellschaftlichen Wandel. Berlin: Bundeszentrale für Politische Bildung. S. 37-58. Mit ähnlicher Stoßrichtung Doris Rothauer: „Im Zuge des Wandels unserer Arbeitsverhältnisse und des damit verbundenen Wertesystems müssen neue Modelle entwickelt werden, für die der Kunstbereich exemplarisch stehen kann.“ (Rothauer 2005, S. 10); Torsten Blanke: „Künstler […] werden sich in Aufgaben, die sich ihnen stellen […] schnell eingewöhnen können. Sie sind gewissermaßen Profis im Anfangen, Abenteurer auf unbekanntem Terrain.“ (Blanke, Torsten (2002): Unternehmen nut-

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einer Gesellschaft an ihre Zukunft“ erfolge.33 Der Angst vor unsicheren Arbeitsverhältnissen und einer ‚Pauperisierung der akademischen Klasse‘34 stehen denn auch Konzepte gegenüber, die solche künstlerischen und kunstnahen Arbeitsformen überaus positiv sehen – am prominentesten Holm Friebe und Sascha Lobo unter dem Motto: „Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir überall.“35 Diese bewusst kursorisch gehaltenen Ausführungen zeigen, dass Aspekte auf unterschiedlichen Ebenen die Welt der Kunst für die Wirtschaft interessant machen bzw. eine gewisse, vielfach noch sehr diffuse Attraktivität mit Blick auf Entwicklungsperspektiven von und in Unternehmen bieten – über das dem Sponsoring meist zugrundeliegende, auratische Moment hinaus. Das Grenzgeschehen zwischen Wirtschaft und Kultur zeigt dabei: Verdacht und Vorwurf der Ökonomisierung der Kunst sind immer gegenwärtig36 – sei es in Form oder Folge der Kulturindustriethezen Kunst. Neue Potentiale für die Unternehmens- und Personalentwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 43). 33 Wicke, Peter (1994): Kultur – Politik – Wirtschaft. Eine Studie zu Problemen und Perspektiven der Kulturförderung angefertigt im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg. http://www2.hu-berlin.de/fpm/texte/kupowi.htm (1.1.2013). 34 Hier v.a. der geisteswissenschaftlichen Akademiker. 35 Holm Friebe und Sascha Lobo zelebrierten 2006 in ihrem Buch Wir nennen es Arbeit die „digitale Bohème“ als Lebens- und Arbeitsform, vgl. Friebe et al. 2006. Vgl. außerdem Lotter, Wolf (2008): Wechseljahre. Vom Künstler zum kreativen Unternehmer. In: Kultur und Wirtschaft. Eine lukrative Verbindung. Hrsg. von Arvid Boellert; Inka Thunecke. Mössingen-Talheim: Talheimer Verl. S. 153-159. Auch Haak und Schmid sehen diese Arbeitsverhältnisse nicht nur negativ, sondern differenzierter als „mehr selbstbestimmt und kompetitiv; wechselhafter in Art und Umfang des Beschäftigungsverhältnisses und im stärkeren Maße projekt- oder teamorientiert; zunehmend in Netzwerken und weniger in Betrieben integriert; mit vielfältigeren und wechselnden Arbeitsaufgaben, die zu lebenslangem Lernen anspornen; aber auch mit schwankender Entlohnung oder Vergütung und kombiniert mit anderen Einkommensquellen oder unbezahlter Eigenarbeit“ (Haak et al. 1999, S. 33). 36 Wobei es durchaus auch Gegenstimmen gibt: Hermsen beispielsweise kommen nach einer ausführlichen historischen Analyse verschiedener Formen der Kunstförderung Zweifel, „ob, von Einzelfällen einmal abgesehen, tatsächlich nachweisbar ist, dass sich die Kunst in der modernen Gesellschaft immer mehr unter das Diktat der Wirtschaft begibt und damit der künstlerische Schaffensprozess massiv durch Interessen des Wirtschaftssystems beeinflusst wird“ (Hermsen, Thomas: Die Kunst der Wirtschaft und die Wirtschaft der Kunst (2001). In: Soziale Systeme 7, H. 1. S. 156-176, hier: S. 157). Luhmann betont positiv und gegenüber der Abhängigkeit von Fürstmäzenen und Kirche die durch den Kunstmarkt eher mögliche thematische Unabhängigkeit des Künstlers, seine weniger starke Abhängigkeit von (persönlichen) Interaktionen aufgrund anderer möglicher Markt-

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se Theodor W. Adornos und Max Horkheimers, die Warenförmigkeit und den inhärenten Transport kapitalistischer Ideologie kritisieren, womit die Kunst (insbesondere in der Ausprägung der Popkultur) ihren vormals emanzipatorischen und autonomen Charakter verliere,37 oder aber der Kritik am Sponsoring, mit dessen Umsichgreifen die Kunst den Gesetzen des Marktes unterworfen werde, während die öffentlichen Haushalte wegen der Steuererleichterung Verluste machten.38 Gleichzeitig scheint es jedoch so, als gebe es in jüngerer Vergangenheit eine Tendenz hin zu einem wachsenden Bewusstsein für die Attraktivität des jeweils ‚Fremden‘ und zu einer Perspektive der (Suche nach) Gemeinsamkeiten. Eine weniger gesuchte als gegebene Gemeinsamkeit ist der Anpassungsdruck, der aus den teilweise sehr rapiden Veränderungen der Umwelt resultiert, und die steigende Ungewissheit über noch kommende Veränderungen. Unternehmen suchen nach Möglichkeiten, ihre Innovationsfähigkeit und Flexibilität zu steigern, um in einem globalisierten Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, und Kulturanbieter sehen sich mit Forderungen nach managerialer Exzellenz konfrontiert,39 während Facebook, YouTube und Co. sie vor ungeahnte Herausforderungen hinsichtlich der Attraktion und Bindung ihres jeweiligen Publikums stellen. In diesem Kontext ist der Gegenstand des vorliegenden Bandes angesiedelt:

zugänge, die Nachfrage des Kunstmarkts, die Kunstkritik und die Herkunftsunabhängigkeit. Vgl. Luhmann, Niklas (1995): Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 266f. 37 Vgl. Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W. (2010): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 19. Aufl. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verl., hier: Kap. Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug. Vgl. zur Kulturindustriethese auch die polemische Darstellung ihrer Rezeption und Auswirkungen bei Haselbach et al.: „Die kritische Theorie erlaubte [ihren Anhängern in den späten 1960er und 1970er Jahren], einen elitären Standpunkt zu behaupten und sich gleichzeitig links zu fühlen – und trotzdem die Produkte von Kulturindustrie und Massenkultur als Befreiung zu genießen.“ Die heutigen Probleme des (deutschen) „Kulturstaats“ sehen Haselbach et al. nicht zuletzt darin begründet, „dass der moderne Staat das von Adorno und Horkheimer kritisierte Prinzip der Entwertung der Kultur durch ihre Überbewertung auf die Spitze trieb“ (Haselbach et al. 2012, S. 108). 38 Vgl. z.B. Bourdieu, Pierre; Haacke, Hans et al. (1995): Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens. Frankfurt/Main: S. Fischer. 39 Vgl. Klein, Armin (2011a): Der exzellente Kulturbetrieb. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. Sehr plakativ und mit großem medialen Echo: Haselbach et al. 2012. Die Quintessenz: „mehr Unternehmergeist, mehr Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen des Publikums, weniger Allmachtsphantasien“ (S. 14).

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Partnerschaften zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen bergen, so die grundlegende These, ein Potential, das mit den konventionellen, bislang üblicherweise und überwiegend praktizierten Erscheinungsformen des Sponsorings längst nicht ausgeschöpft wird: Allzu häufig bewegen sich diese ausschließlich in den engen Bahnen des Tausches von Geld gegen Image, einer Verabredung zwischen Marketingabteilung und Fund Raiser, bei der es um die Höhe einer Summe und die dafür zu erbringenden, öffentlichkeitswirksamen Gegenleistungen geht. Treiber scheint auf Seiten der Kulturorganisationen v.a. der Wunsch nach einer Ergänzung bzw. einem Ausgleich der Kürzung öffentlicher Gelder durch sozial ‚verantwortliche‘ Unternehmen zu sein, wenngleich deren Anteil an der Kulturfinanzierung im Verhältnis zur öffentlichen in Deutschland noch immer marginal ist. Dies spiegelt sich auch im kulturmanagerialen Diskurs wider, der vom Umgang mit dem Rückgang der öffentlichen Mittel dominiert wird40 und sich dementsprechend perpetuiert: „Die Diskussion im Fach wird auf das Monetäre verkürzt und äußert sich in einer Publikationsflut zu Kultur-Sponsoring, Kultur-Fund&Friend-Raising, Kultur-Finanzierung, PublicPrivate-Partnership etc. Das Rezeptwissen kopiert sich viele Male von selbst; das breite Diskussionsfeld Kulturmanagement wird auf das ökonomische Kalkül verengt.“41

Dabei gibt es eine Menge Herausforderungen für Kultureinrichtungen, die nicht nur mit Geld, sondern auch oder sogar besser mit anderen Ansätzen und Leistungen angegangen werden können, die wiederum bestenfalls nicht nur einmaliger Effekt bleiben, sondern längerfristige, positive Auswirkungen haben können. Unternehmen verfügen schließlich über ganz andere Ressourcen als ‚nur‘ finanzielle (in der Regel sogar über andere mehr), die für den Kulturbereich hilfreich sein können – zum Beispiel Management-Know-how im weitesten Sinne, d.h. von der Strategieentwicklung und Marktanalyse über die Prozessverbesserung und Personalentwicklung bis zur Kundenbindung, aber auch über Beziehungskapital, Einflussmöglichkeiten in bestimmten Sphären also oder sogenannte ‚gute Kontakte‘. Neben der überwiegenden Verengung auf das Monetäre wird das Zusammenwirken von Kultur und Wirtschaft zumeist unilateral, das heißt mit einer klaren Rollenverteilung zwischen Geber und Nehmer konzipiert. Tatsächlich reziprok angelegte Verhältnisse, die auf Augenhöhe gelebt werden und aus beiden Perspektiven

40 Vgl. z.B. ebd., S. 19, 62. Tatsächlich sind die Pro-Kopf-Ausgaben für den Kulturbereich vielerorts (wie beispielsweise in Sachsen) in den letzten Jahre zurückgegangen (vgl. Deutscher Bundestag (2009): Bundestagsdrucksache 16/13348). 41 Tröndle, Martin (2006): Entscheiden im Kulturbetrieb. Integriertes Kunst- und Kulturmanagement. Bern: Hep, S. 16.

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gleichermaßen attraktiv sind, scheinen bislang eher die Ausnahme zu sein. Denn Ziel ist es in der Regel, so bemängelt beispielsweise Michael Bockemühl, „die Wirtschaft noch stärker für die Kultur zu aktivieren. Welche Bedeutung in einem Zusammenwirken die Kultur für die Wirtschaft hat, wird dagegen fast nicht beachtet. Von einer produktiv gestalteten Interaktion beider Bereiche kann jedoch erst die Rede sein, wenn nicht allein die Möglichkeiten der Wirtschaft für die Kultur, sondern umgekehrt auch die der Kultur für die Wirtschaft zur Wirkung gebracht werden.“42

Diese Facette ist sowohl auf Seiten der Wirtschaft als auch der Kultur bis dato eher unterbelichtet geblieben bzw. beschränkt sich auf wenig unterfütterte Proklamationen. „Produktiv gestaltete Interaktionen“ sind zwar sporadisch vorhanden, bleiben aber letztlich noch immer der Sonderfall. Dabei kann in einer Wirtschaft, die wissensbasiert und innovationsgetrieben und in der Kreativität ein erheblicher Wettbewerbsfaktor ist, die Kunst tatsächlich wertvolle Anregungen auch für Unternehmen liefern, sei es aufgrund von Avantgardismus und Experimentierfreude, dem Schaffen von sinnlichen Erlebnissen oder der Sensibilisierung für andere Wahrnehmungsformen und abweichende Perspektiven. Solche neuen Formen des ‚Profitierens‘ gilt es – konkret – zu entdecken und zu erproben sowie – abstrakt – auf ein theoretisches Fundament zu stellen, das dann wiederum auch Ausgangsbasis für weitere Kooperationsformen und deren Erfolg ist. Bislang gibt es hierzu kaum belastbare Literatur.43 Die vorliegende Arbeit versteht sich in zweierlei Hinsicht als ein Beitrag zu einer Erweiterung der Perspekti42 Bockemühl, Michael (2003a): Kultur und Wirtschaft – Grundfragen und Aspekte einer produktiven Interaktion. In: Kultur und Wirtschaft. Hrsg. von Erhard Busek; Dagmar Abfalter. Innsbruck: Studien Verl. S. 13-36, S. 13. 43 In eine ähnliche Richtung gehen Berthoin Antal, Ariane: Plädoyer für das Dazwischen (2006). Orte, Institutionen, Denkweisen: Innovation braucht Wechsel und Austausch. In: WZB-Mitteilungen, H. 112. S. 13-16 sowie einige Beiträge in den Sammelbänden Götz, Klaus (Hrsg.) (2006): Führung und Kunst. München, Mering: Hampp; Grosz et al. 1999; John, Ruediger; Heid, Klaus (Hrsg.) (2003): Transfer. Kunst – Wirtschaft – Wissenschaft. Baden-Baden: Sic!; Renker, Clemens (Hrsg.) (1998): Produktive Kreativität und Innovation. Stuttgart: Dt. Sparkassenverl. In einigen interessanten und prägnanten, jedoch wenig ausgeführten Thesen: Mutius (o.J.). Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat 2008 die Forschungseinheit Kulturelle Quellen von Neuheit ins Leben gerufen, das sich mit „kulturelle[n] Faktoren“ beschäftigt, „die Kreativität fördern und kulturelle Bedingungen, unter denen Neuheit erkannt und wertgeschätzt wird“. Auch hier wird von möglichen positiven Effekten des Zusammenwirkens unterschiedlicher gesellschaftlicher Sektoren ausgegangen (vgl. http://www.wzb.eu/de/forschung/gesellschaftund-wirtschaftliche-dynamik/kulturelle-quellen-von-neuheit/, 1. 1.2013).

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ven – und zwar einerseits der des Kulturmanagements, das häufig auf den Umgang mit sinkenden Zuschüssen beschränkt bleibt und andererseits der von Unternehmen, die mit Kunst und Kultur insbesondere bedürftige Zielobjekte ihres ‚gesellschaftlichen Engagements‘ verbinden. Es wird dargestellt, inwiefern Kooperationsmodelle, die im Sinne reziproker Partnerschaften funktionieren fruchtbar sind. Dabei zeigt sich deutlich, dass Kulturorganisationen und -akteure mehr anzubieten haben, als den Abglanz ihres guten Images, der auf den Sponsor fällt, wie auch Unternehmen mehr anzubieten haben als Spendengelder. Darüber hinaus wird argumentiert, dass Diversität – hier in der Form intersektoraler Kooperation zwischen Wirtschaft und Kunst – per se einen Mehrwert bringen kann, da der Kontakt mit Andersartigem, seien es unterschiedliche Disziplinen oder Kulturen, ein ‚Mehr‘ an Möglichkeiten offeriert. Der Zugang zum Thema ist einerseits praxisorientiert, indem eruiert wird, welche Formen der Kooperation zwischen Unternehmen und Kulturakteuren resp. -organisationen es bereits gibt, und unter welchen Umständen diese erfolgreich sind. Andererseits geht es auf einer abstrakteren Ebene darum, warum es überhaupt lohnenswert sein kann, über die Grenzen von Sektoren hinweg zu kooperieren und inwieweit dies (aus Unternehmenssicht) insbesondere für Kooperationen zwischen Wirtschaft und Kulturbereich gilt. Abgeleitet aus den zwei Zugängen werden vorderhand und wiederum praxisbezogen Anregungen und Handlungsempfehlungen für Kooperationsmodelle jenseits des Spendenwesens und Sponsorings44 geliefert. Darüber wird aber auch ein Theorieangebot gemacht, das als Erklärung und Grundlage für die Sinnhaftigkeit solcher Kooperationen fungieren kann. Folgendermaßen ist der Band aufgebaut: Nach ein paar wenigen begrifflichen Klärungen am Ende dieser Einleitung werden im ersten Teil (Modelle der Koopera44 Sponsoring bezeichnet im Deutschen eine Geschäftsbeziehung, d.h. Leistung und Gegenleistung sind klar definiert, und das Unternehmen kann die Sponsoringsumme als Betriebsausgabe steuerlich geltend machen,. Demgegenüber sind Spenden Zuwendungen ohne Gegenleistungen, die im Falle der Gemeinnützigkeit des Spendenempfängers als solche steuerlich geltend gemacht werden können. Vgl. Bundesministerium der Finanzen (1998): Ertragssteuerliche Behandlung des Sponsoring. In: Bundessteuerblatt 1998, Teil 1, Nr. 4, S. 212-213. Entgegen dieser klaren Definitorik auf Basis des Steuerrechts fehlt es im umgangssprachlichen Gebrauch und teilweise auch in Veröffentlichungen zum Kulturmanagement mitunter an Trennschärfe – bis hin dazu, dass (insbesondere Kultur-) Sponsoring pauschal als eine Art Sammelbegriff für jedwede Kooperation zwischen Unternehmen und Kultureinrichtung genutzt wird. Wenn hier von Sponsoring die Rede ist, dann ist grundsätzlich das steuerrechtliche Begriffsverständnis zugrundegelegt. Wenn im Titel und an anderen Stellen dieser Arbeit von konventionellem oder klassischem Kultursponsoring gesprochen wird, so ist dies zu einem gewissen Grad tautologisch, aber ein Verweis auf die häufig anzutreffende Begriffsunschärfe.

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tion zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen) zunächst unterschiedliche Kooperationsmodelle und die dazu passenden Deutungsmuster im Sinne einer Bestandsaufnahme dargestellt. Zur Systematisierung dient das Spektrum vom klassischen Sponsoring bis hin zum Einsatz von Mitteln der Kunst in der Organisationsentwicklung. Die hier verorteten Kooperationsformen werden teilweise eher allgemein, teilweise auch anhand von konkreten Beispielen beschrieben. Mit dieser Inventur wird ein Überblick geschaffen, der als solcher eine Lücke in der Literatur des Kulturmanagements schließt, aber auch als Kontext für die Fallstudien auf der Basis teilnehmenden Beobachtung im dritten Teil der Arbeit dient (Erfahrungen mit ‚Kultur-Kooperationen‘ des BMW Werks Leipzig). Diesem empirischen Teil vorangestellt ist eine Reflexion von bekannten Theoriekonzepten im zweiten Teil des Bandes (Der Mehrwert sektorenübergreifender Kooperationen). Hier wird ein Erklärungsmodell für den angenommenen Mehrwert sektorenübergreifender Kooperation im Allgemeinen und mit dem Kulturbereich im Besonderen entwickelt. Dazu wird neben der netzwerktheoretischen Idee von der Überbrückung struktureller Löcher im Wesentlichen auf einen systemtheoretischen Ansatz der Organisationsforschung zurückgegriffen, der mit dem Konzept der KoEvolution von System und Umwelt ein adäquates Instrumentarium bereithält. Überdies wird die gesellschaftliche Funktion der Kunst im Verständnis Niklas Luhmanns und der evolutionären Ästhetik hinzugezogen, um aufzuzeigen, welcher spezifische Nutzen dabei insbesondere in einer Auseinandersetzung mit Kunst liegen könnte. Im Anschluss daran werden vier Fallbeispiele – allesamt Kooperationserfahrungen explorativen Charakters des BMW Werks Leipzig mit Kulturorganisationen bzw. einzelnen -akteuren – geschildert und vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen bewertet. Da es sich bei den Fälle nicht um eigens konstruierte Idealtypen oder ein repräsentatives Sample, sondern um unterschiedlich zustande gekommene Beispiele der Unternehmenspraxis handelt, ist der Abgleich von Theorie und Praxis nicht durchgängig gewährleistet. Vielmehr liefert die Theorie eher einen Sinnzusammenhang, in den die Fallbeispiele eingeordnet werden. Gelesen werden können die einzelnen Teile des Bandes je nach Erkenntnisinteresse daher auch ganz unabhängig voneinander. In der abschließenden Zusammenfassung werden Chancen der Kooperation in Anregungen und Empfehlungen für neue Formen wechselseitigen ‚Profitierens‘ kondensiert, die sich sowohl aus der theoretischen Betrachtung als auch aus den geschilderten, eigenen und fremden Fällen, ergeben. Da das Thema mit verschiedenen Zugängen erschlossen wird, ist die Darstellung in Gänze schwerlich einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin zuzuordnen, sondern es fließen organisationssoziologische, betriebswirtschaftliche, kulturhistorische wie auch kunsttheoretische Ansätze ein. Dieser Umstand ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass es keine für die Ausgangsfrage zur Verfügung stehende,

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genau ‚passende‘ Theorie gibt – bleiben die Ansätze des Kulturmanagements doch häufig und ihrer Bestimmung entsprechend in der reinen Anwendungsorientierung verhaftet, während theoretische Modelle etwa zu interorganisationaler Zusammenarbeit in der Regel nicht auf den Kulturbereich bezogen sind. Folgerichtig wird mit der soziologischen Systemtheorie Luhmann’scher Prägung ein Gedankenmodell herangezogen, dessen Selbstverständnis das einer Metatheorie ist, die ihre Stringenz auch aus ihrer nahezu unbegrenzten Anwendbarkeit auf soziale Phänomene bezieht. Das Changieren zwischen verschiedenen Zugängen zum Thema ist letztlich Spiegel des Untersuchungsgegenstandes, denn auch hier geht es um ein Dazwischen, um das nämlich, was im Rahmen von Kooperationen zwischen Akteuren aus Kultur und Wirtschaft entstehen, und inwiefern dies von Interesse für beide Seiten (wiederum zwei Sichten also) sein kann. Um terminologischer Verwirrung und inhaltlichen Missverständnissen vorzubeugen, gleich vorweg einige Begriffsklärungen zum Geleit: Kunst und Kultur. Sowohl der Kultur- als auch der Kunstbegriff sind in vielerlei Hinsicht höchst voraussetzungsvoll und ihre Definition Gegenstand zahlreicher Debatten. Für den hier interessierenden Zusammenhang ist insbesondere die Abgrenzung beider Begriffe voneinander von Bedeutung. Verstanden in einem anthropologischen, ethnographischen oder allgemein soziologischen Sinne wie ihn z.B. Clifford Geertz, auf den bei dieser Frage häufig rekurriert wird, repräsentiert, ist Kultur der Rahmen für alles nicht biologisch determinierte, menschliche Handeln, nämlich „a historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes toward life“.45 Ein solcher Kulturbegriff reicht bereits – und spätestens seit dem Aufschwung der Cultural Studies – weit über die Verhaltensmuster und sozialen Strukturen der von Geertz untersuchten pazifischen Ureinwohner hinaus, nämlich zur Fußballkultur, Esskultur, Reisekultur usw. und auch zu Organisations- und Unternehmenskulturen.46 Unbestritten ist die Beschreibung zahlreicher sozialer Phänomene als Resultate und Konstituenten spezifischer Kulturen ein höchst fruchtbarer Ansatz. 45 Geertz, Clifford (2006 [1973]): The interpretation of cultures. Selected essays. New York: Basic Books, S. 89. 46 Vgl. zur Unternehmenskultur z.B. mit Fokus auf Führung Schein, Edgar H. (2004): Organizational Culture and Leadership. 3rd ed. Hoboken: John Wiley & Sons; mit Fokus auf national unterschiedliche Unternehmenskulturen Hofstede, Geert H; Hofstede, Gert Jan et al. (2010): Cultures and organizations. Software of the mind. Intercultural cooperation and its importance for survival. Rev. and expanded 3. ed. New York, NY: McGrawHill.

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Der im Gegensatz dazu hier verwendete, landläufig häufig als ‚enger‘ bezeichnete Kulturbegriff ist weniger wissenschaftlich, sondern ein eher an der Alltagssprache (‚kulturelles Interesse‘, ‚Kulturreise‘, ‚Kulturpolitik‘, ‚Kulturbanause‘) orientierter, der in weiten Teilen kongruent ist mit dem der Kunst. Kunst allein würde allerdings immer nur einen Teil dessen abbilden, was für diese Arbeit relevant ist. Denn auf einer formalen Ebene wird Kunst mitunter – das ist die größte Beschränkung – mit bildender Kunst gleichgesetzt und anderen Kunstformen wie Musik und Theater gegenübergestellt; oder aber Kunst wird ideologisch eingegrenzt, so dass womöglich Mozart und Picasso dazu gerechnet werden, Beuys und Jazz aber nicht mehr; oder Kunst wird nur dann als Kunst anerkannt, wenn sie funktionslos bleibt, angewandte Kunst fällt dann heraus; oder Kunst wird nur als solche wahrgenommen, wenn sie an den speziell für sie vorgesehenen ‚heiligen‘ Orten (in diesem Kontext zumeist identisch mit bürgerlichen Institutionen) stattfindet,47 Performance im öffentlichen Raum fällt dann heraus; oder Kunst umfasst – das wäre hier besonders irreführend – nur das künstlerische Werk an sich, aber keine angrenzenden Felder wie den gesamten Bereich der Kunstvermittlung, die ästhetische Erziehung u.v.m. Unabhängig davon, welchen Blickwinkel man sich zu eigen macht: „the label ‚art‘ is never neutral“,48 für die hier interessierenden Themen zu eng und nicht minder erklärungsbedürftig als der ‚nächstweitere‘ Begriff Kultur. Verschiedene Autoren, die sich mit demselben Problem konfrontiert sahen, haben sich mit Neologismen oder speziellen Konstrukten beholfen, die der Lesbarkeit jedoch nicht eben dienlich sind – zum Beispiel „Kunst/Kultur“49 oder „Literatur (usw.)“50. Wenn im 47 Zur Relevanz des Rahmens einer Kunstdarbietung sei auf ein Experiment des bekannten Geigers Joshua Bell verwiesen, der als vermeintlicher armer Straßenmusikant in einer belebten Washingtoner U-Bahn-Station auf seiner Stradivari mit seiner musikalischen Darbietung in einer Stunde noch nicht einmal den Betrag einnahm, den normalerweise nur eine Konzertkarte kosten würde. Vgl. Schreiber, Wolfgang (13.4.2007): Kleingeld für den Star. Der weltberühmte Violinist Joshua Bell verkleidet sich als Straßenmusiker und geigte in der Washingtoner Metro. Bilanz: In 43 Minuten verdiente er vor 1070 Zuhörern 32,17 Dollar. In: Süddeutsche Zeitung. 48 Inglis, David (2005): Thinking „Art“ Sociologically. In: The Sociology of Art. Ways of Seeing. Hrsg. von David Inglis; John Hughson. Hampshire, New York: Palgrave Macmillan. S. 11-29, hier: S. 12. Eine Sammlung verschiedenster Versuche, Kunst zu definieren oder zu explizieren liefert Mäckler, Andreas (Hrsg.) (2003): 1460 Antworten auf die Frage: was ist Kunst? Köln: DuMont. 49 Wie Birger P. Priddat sie nutzt: Priddat, Birger P. (1999): Kultur unternehmen. Skizze zu einigen weniger erwogenen Aspekten des Verhältnisses von Kultur und Wirtschaft. In: Grosz et al. 1999. S. 105-114. 50 Wie Pierre Bourdieu sie nutzt: Bourdieu 2010.

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Folgenden der Begriff Kultur verwendet wird, sind also sowohl der Kunstsektor als auch die daran angrenzenden Bereiche gemeint, wie etwa Kunstvermittlung, die sogenannte Soziokultur, ästhetische Erziehung etc. Kultur deckt dann sowohl Theater, Konzert und Museum, aber – beispielweise – auch den Filmkurs im soziokulturellen Zentrum, das Theaterprojekt mit Asylanten und die Stadtbibliothek ab.51 Wird der Kulturbegriff hingegen in seiner sozialwissenschaftlichen Ausprägung intendiert, dann wird dies explizit gemacht werden bzw. anhand der jeweiligen Wortkombination (z.B. Unternehmenskultur) verdeutlicht. Wenn von Kunst die Rede ist, dann sind tatsächlich – etwas enger – Kunstwerke und künstlerisches Schaffen (weniger die angegliederten, umgebenden Aktivitäten zur Vermittlung und Bereitstellung) gemeint. Kulturorganisation und Kulturakteure. Von dem skizzierten Kulturbegriff ist hier auch der Begriff der Kulturorganisation abgeleitet. Mit dem relativ allgemein gehaltenen Terminus Organisation soll eine zweckgerichtete soziale Struktur bezeichnet werden, die von ihrer Umwelt unterschieden werden kann.52 Damit sollen Spezifizierungen vermieden werden, wie sie die Begriffe Kultureinrichtung, Kulturinstitution und Kulturbetrieb nahelegen. Einer kleinen, als Verein verfassten und hauptsächlich ehrenamtlich getragenen Initiative zum Beispiel sind diese nicht adäquat. Auch bei Festivals mit wechselnden Spielorten scheinen Einrichtung, Institution und Betrieb nicht recht zu passen, da sie (gefühlsmäßig) das Bestehen eines dazugehörigen Hauses oder zumindest einen hohen Grad an Institutionalisierung suggerieren. Der Kulturbetrieb hat zudem eine Doppelbedeutung: Es kann unterschieden werden „zwischen einem Gattungsbegriff ‚Kulturbetrieb‘ (die Summe aller institutionellen Erscheinungsformen von Kultur) und einem Einzelbegriff ‚Kulturbetrieb‘ (das konkrete Theater, Museum oder Orchester)“.53 Der Verfasserin erscheint der Begriff der Organisation aufgrund seiner Reichweite am sinnvollsten, auch wenn damit in einem Alltagsverständnis von Organisation womöglich größere soziale Gebilde verstanden werden. Überdies ist die Rede von der Organisation hilfreich, weil hiermit der Anschluss an die (systemtheoretische) Organisationsfor51 Dies entspricht auch dem Schutzbereich der Kunst gemäß Art. 5 Abs. 3 GG, der sowohl für den Werkbereich (d.h. die künstlerische Tätigkeit als solche) als auch den Wirkbereich (die Darstellung/Verbreitung der Kunst) gilt, wie das Bundesverfassungsgericht erstmals in der sogenannten Mephisto-Entscheidung vom 24.02.1971 ausführte (Bundesverfassungsgericht: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 30. Tübingen: Mohr. S. 173, S. 188 f.). 52 Vgl. Luhmann, Niklas (2006): Organisation und Entscheidung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften, S. 46ff. 53 Heinrichs, Werner (2006): Der Kulturbetrieb. Bildende Kunst, Musik, Literatur, Theater, Film. Bielefeld: Transcript, S. 13.

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schung, auf die später ausführlicher rekurriert wird, auch begrifflich gegeben ist. Gleichwohl wird verschiedentlich auch von Kulturakteuren gesprochen werden, nämlich immer dann, wenn es auch um einzelne Personen geht, die auch nicht unbedingt eine Organisation, der sie angehören,54 repräsentieren. In dem hier interessierenden Zusammenhang wird insbesondere auf nicht gewinnorientierte Kulturorganisationen fokussiert, wobei mit Peter Bendixen festgestellt werden muss, dass nicht gewinnorientierter und gewinnorientierter Bereich „nicht strikt voneinander zu trennen sind, sondern sich vielfältig gegenseitig durchdringen“.55 Die Konzentration auf den Non-Profit-Bereich ergibt sich aus der Perspektive des kulturfördernden Unternehmens, wobei zahlreiche der im Folgenden untersuchten Aspekte und gewonnenen Erkenntnisse gleichermaßen für den gewinnorientierten Bereich gelten könnten. Der empirische Teil beschränkt sich jedoch auf Kulturorganisationen und Kulturakteure in Deutschland, die als Teil der deutschen Kulturlandschaft wenngleich nicht ausschließlich, so doch sehr intensiv durch öffentliche Gelder finanziert werden. Dieser Umstand spielt insofern eine Rolle, als die Organisationen in einem Umfeld angesiedelt sind, in dem staatlicher Geldzufluss der Normalfall und dessen Reduktion oder gar Entfall folglich als besonders gravierend wahrgenommen werden (wohingegen die Eigenfinanzierung in anderen Ländern Usus ist, dort aber in der Regel auch weniger flächendeckend dichte und institutionalisierte Kulturlandschaften hervorbringt).56 54 Die Zugehörigkeit von Personen zu einer Organisation ist im systemtheoretischen Verständnis nicht als Teil dieser, sondern als deren Umwelt konzipiert, darauf wird an späterer Stelle noch eingegangen werden. 55 Bendixen 1998, S. 19. 56 Dass die deutsche Kulturlandschaft als eine der ‚dichtesten‘ weltweit gilt, hat freilich historische Gründe in der Kleinstaaterei bis zur Gründung des deutschen Reiches, aber eben auch in der anhaltenden Kulturförderung in einem föderalistischen Staat mit vielen Zentren: „Deutschland ist nach wie vor das Land mit der höchsten Theaterdichte der Welt. Das gilt ebenso für die Museen, Literaturhäuser, Archive, Bibliotheken und Festivals. Die Hälfte aller professionellen Symphonieorchester der Welt spielen hier […]“ (Grütters, Monika (26.4.2011): Musik für Millionen. In: Der Tagesspiegel). Andere Länder können z.B. bei der Theaterdichte mithalten, jedoch immer nur mit Blick auf einzelne, nicht repräsentative Standorte (wie etwa New York oder Buenos Aires). Vgl. z.B. Leuchtenmüller, Thomas (11.3.2006): Am Puls der Zeit. Amerikanisches Drama und Theater heute. In: Neue Zürcher Zeitung; Philipps-Krug, Anne (24.8.2012): Weg von der Postkarte. In: die tageszeitung. „Selbst in kleinen Städten wie Meiningen oder Coburg gibt es Theater und Orchester; in Großstädten wie München, Berlin, oder Hamburg können die Zuhörer unter den Konzerten von mehreren weltweit renommierten Orchester auswählen. Mit den etwa 130 Sinfonieorchestern und zahlreichen Kammerorchestern gehört Deutschland, bezogen auf die Einwohnerzahl, zu den Ländern mit der höchsten Orchesterdichte.“ (Wun-

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Wirtschaft und Unternehmen. Wenn hier der Begriff Wirtschaft gebraucht wird, so ist im Wesentlichen der privatwirtschaftliche, profitorientierte Bereich der Gesellschaft (etwa in Abgrenzung von Politik oder Kultur) gemeint. Unternehmen werden dabei als nach Gewinnmaximierung strebende, erwerbswirtschaftliche Organisationen verstanden. Im vorliegenden Zusammenhang geht es dabei ausdrücklich um solche Unternehmen, die sich nicht originär im kunstnahen Bereich betätigen, was wiederum dem Blickwinkel des den Kunstkontakt suchenden Unternehmens geschuldet ist. Kooperation und Partnerschaft. Unter Kooperation wird hier ganz allgemein das zielgerichtete Zusammenwirken von Personen oder Organisationen verstanden. Der Begriff wird zur Beschreibung der Interaktion von Akteuren aus Wirtschaft und Kultur eingesetzt, da er vergleichsweise neutral ist und an sich keine Hierarchie zwischen den Kooperierenden birgt (wie etwa die Begriffe Kulturförderung oder Kulturengagement). Längerfristige Kooperationen bzw. solche, die nicht nur einmaliges Zusammenwirken sind, werden auch als Partnerschaften bezeichnet. Systemtheorie. Wenn im Rahmen dieser Arbeit von Systemtheorie die Rede ist, so ist stets die sogenannte ‚neuere‘, sozialwissenschaftliche Systemtheorie gemeint, die im Wesentlichen von Niklas Luhmann begründet und ausgearbeitet wurde. Mit der Systemtheorie verbundene Termini technici werden erst im Rahmen des zweiten Teils kontextbezogen erläutert, da sie zum Verständnis der Bestandsaufnahme im ersten Teil nicht erforderlich sind. Dennoch fließen Allusionen systemtheoretischer Denkfiguren stellenweise bereits vorher ein, allerdings zumeist in Form von ergänzenden Fußnoten.

derlich, Johannes: Orchester und Konzertwesen in Deutschland. http://www.buehnenver ein.de/de/theater-und-orchester/19.html (31.8.2012)). In Bezug auf den USA-Deutschland-Vergleich fasst Peter Laudenbach zusammen, „[d]ie Deutschen bewundern den Geschäftssinn in den USA, die Amerikaner die deutsche Kultur“ (Laudenbach, Peter (2006): Spiel mir kein Lied vom Tod. Klassische Orchester und Opernhäuser haben ein Problem: Wenn sie kein neues Publikum finden, haben sie demnächst gar keines mehr. Deshalb entdecken sie etwas, was früher in der Hochkultur verpönt war: Marketing. In: brand eins, H. 5. S. 130-136, S. 134).

Die Vielseitigkeit der Kooperationslandschaft Einleitung

Zur Kooperation von Unternehmen mit Kulturorganisationen oder auch mit einzelnen Künstlern gibt es kaum fundierte, systematische Darstellungen. Es finden sich vielmehr Darstellungen mit Handbuchcharakter oder Lehrwerke des Kulturmanagements, die Hinweise zu erfolgreichem Fund Raising, Sponsoring oder Public Private Partnerships geben.1 In diesem Sinne sind auch zahlreiche Best-practice-Beispiele zu verstehen, die etwa bei Konferenzen und Tagungen präsentiert und in den entsprechenden Dokumentationen abgedruckt sind.2 Darüber hinaus gibt es viele Veröffentlichungen eher proklamatorischen Charakters, die die Vorzüge der Kooperation zwischen Akteuren aus der Wirtschaft und solchen aus der Kultur loben, ohne jedoch deren Wirkungsweise zu klären. Es wird somit selten deutlich, worin genau der erlebte oder erhoffte Gewinn der Kooperation aus Sicht der Beteiligten – sei sie retrospektiv, sei sie schlicht normativ – sich zeigt. Hierbei scheint es sich um eine ganz grundsätzliche Schwierigkeit zu handeln: Welcher Nutzen in der Kooperation zwischen Unternehmen und Akteuren aus dem Kulturbereich liegt, lässt sich nicht nur schwer messen, sondern ist auch nicht ganz einfach zu beschreiben. Allzu viel empirisches Material, auf das man sich in diesem Zusammenhang berufen könnte, gibt es ebenfalls nicht, und dies gilt noch mehr für Darstellungen, in denen auf einer abstrakteren Ebene Bedingungen und Erfolgsfaktoren von Kooperationen mit Kulturpartnern analysiert werden. Hier liegen Herausforderung und Chance der vorliegenden Arbeit, der zwar die These zugrundeliegt, dass ein Austausch zwi1

Hinweise zur Betriebswirtschaft im Theater finden sich übrigens schon bei Epstein, M. (1928): Theater, Rechnungswesen in ihm. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft. Hrsg. von H. Nicklisch. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. S. 385-400.

2

Vgl. z.B. Arbeitskreis Kultursponsoring (Hrsg.) (2005): Kultursponsoring. Zwischen gesellschaftlichem Engagement & Marketingstrategie. Dokumentation des Kongresses am 9. November 2004 im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin; verschiedene Beiträge in Stadt Karlsruhe 2002.

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schen beiden Bereichen im Rahmen von Kooperationen sinnvoll ist, die sich dabei aber nicht auf ein vorhandenes Theoriegerüst zu diesem Thema stützen kann. In Ermangelung eines solchen theoretischen Gerüstes erscheint es opportun, zunächst Material zum Thema zusammenzutragen und strukturiert darzustellen. Im Folgenden werden daher verschiedene Formen der Kooperation vorgestellt. Dies erfolgt einerseits deskriptiv, also als Schilderung der typischen Erscheinungsformen der Zusammenarbeit von Kulturakteuren und Unternehmen, und andererseits unter dem Blickwinkel der Motive für Kooperationen sowie, davon abgeleitet, den Potentialen der Kooperation. Vielfach sind die Grenzen zwischen unterschiedlichen Kooperationsformen fließend, und noch mehr gilt dies für die Gründe, aus denen Kooperationen oder Partnerschaften eingegangen werden. Je nach persönlichen Interessen der beteiligten Akteure, je nach Erfahrungsschatz und Professionalisierungsgrad auf beiden Seiten wird man von Einzelfall zu Einzelfall zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Zahlreiche Autoren haben über unterschiedliche Zugänge bereits den Versuch unternommen, Kategorien zu bilden, denen sie unterschiedliche Formen der Kooperation zwischen Kunst und Wirtschaft oder enger: die Kulturförderungsaktivitäten von Unternehmen zugeordnet haben. Die allzu einfache und eher ideologisch-interpretative als analytisch hilfreiche Unterteilung zwischen ‚egoistischer‘ und ‚altruistischer‘ Kulturförderung ist zwar längst überholt. Dennoch bleibt die Kategorisierung schwierig, wie anhand zweier Modelle im Folgenden exemplifiziert werden soll. Ekkehard Bechler und Martin Weigel beispielsweise unterteilen die Kulturförderung anhand von drei Motivkategorien, nämlich (1) nach unternehmensbezogenen, (2) nach kultur- und gesellschaftsbezogenen Motiven und (3) nach auf einen individuellen Nutzen (das heißt den Nutzen einzelner Personen) bezogenen Motiven.3 Zur ersten Kategorie des unternehmensbezogenen Nutzens zählen •

die „Aufwertung des Standorts, um den Wert des Anlagevermögens zu steigern“ (wobei ein sehr erheblicher investiver Aufwand vonnöten scheint, um dies einzulösen);4

3

Bechler, Ekkehard; Weigel, Martin (1995): Rahmenbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten privater Kulturförderung und -finanzierung in der Bundesrepublik Deutschland. Glücksburg, S. 51ff., zitiert nach: Naumann, Stefan (2002): Kulturförderpolitik. Ein systemtheoretischer Ansatz zur Identifikation von Effizienzkriterien beim Vergleich öffentlicher und unternehmenspolitisch motivierter Kulturförderung. Marburg/Lahn, S. 24. Angemerkt sei, dass Naumanns „systemtheoretische“ Darstellung nicht dem hier unterstellten Verständnis von Systemtheorie entspricht.

4

Zu vermuten ist, dass je weniger ein Standort in Bezug auf sein Kulturangebot zu bieten hat, desto größer die Möglichkeiten seiner Aufwertung durch private Kulturförderung sind. Besteht bereits ein Grundstock an Angeboten, so ist eine allgemeine Aufwertung

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die „Qualifikation, Motivation und Identifikation der Mitarbeiter“, Kulturförderung also verstanden als Beitrag zur Personalentwicklung; der „Aufbau eines Unternehmensimages zur Besetzung von absatzrelevanten Themen, zur Steigerung des immateriellen Firmenwertes“ und die „Verbesserung des Marktzugangs durch Kundenpflege und PR-Maßnahmen“.5

Die beiden letztgenannten Aspekte ließen sich auch als ‚Unterstützung der Außenkommunikation des Unternehmens mittels Kulturförderung‘ zusammenfassen. Die zweite Kategorie der Kultur- und gesellschaftsbezogenen Motive umfasst • •



die „Förderung einer Kunstrichtung“ bzw. „eines Künstlers wegen besonderer Unternehmenspräferenzen“ sowie die „Wahrnehmung kultureller Verantwortung“, womit – etwas irreführend ausgedrückt – eine Förderung von Kultur zum gesellschaftlichen Wohle gemeint ist, und die „Förderung von Kunst zur Anregung gesellschaftlicher Innovationskraft und Produktivität“.6 durch eine singuläre Kulturförderungsaktivität eher unwahrscheinlich. Ob sich eine Standortaufwertung auch mit Blick auf den Tourismus auswirkt, ist wiederum eine andere Frage, die auch mit Erreichbarkeit u.a. Faktoren in Verbindung steht. So wäre beispielsweise zu fragen, ob der ‚Bilbao-Effekt‘ auch dann gelungen wäre, wenn die Stadt nicht in der Nähe des Seebades San Sebastian läge und in der Nähe eines auch von günstigen Fluglinien angesteuerten Flughafens. In Städten, die von einem sehr großen Unternehmen dominiert werden, trägt deren – sehr umfängliche – Kulturfördertätigkeit mitunter jedoch deutlich zur Aufwertung des Standortes alle mal für seine Bewohner bei. Bemerkenswerterweise gibt es eine eigene Website, die offensichtlich allein dem Schulterschluss des Unternehmens Bayer und der Stadt Leverkusen gewidmet ist. Vgl. http://www.bayer-und-leverkusen.de/de/kulturangebote.aspx (1.6.2012). Vgl. zu Kultur als Standortfaktor die empirischen Studien Kessler-Lehmann, Margrit (1993): Die Kunststadt Köln. Von der Raumwirksamkeit der Kunst einer Stadt. Köln; Funck, Rolf H; Sahner, Heinz (1994): Regionalentwicklung: Kultur als Standortfaktor. Halle und sein Umland – unterschätzte Möglichkeiten. Halle; Dziembowska-Kowalska, Jolanta; Funck, Rolf H.: Cultural activities as a location factor in European competition between regions (2000). Concepts and some evidence. In: The Annals of Regional Science 34, H. 1. S. 112; für Österreich z.B. Hofecker, Franz-Otto (1996): Der Kunstbereich als Wirtschaftsfaktor? Grundsatzüberlegungen und einige Fakten für Österreich dazu. In: Struktur und Strategie im Kunstbetrieb. Tendenzen der Professionalisierung. Hrsg. von Doris Rothauer; Harald Krämer. Wien: WUV. S. 87-93.

5

Bechler et al. 1995, S. 51ff.

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Die in dieser Kategorie aufgeführten Motive können zusammengefasst werden unter dem seit einigen Jahren auch im deutschsprachigen Raum verbreiteten Label der Corporate Citizenship, der verantwortungsvollen korporativen Bürgerschaft eines Unternehmens also, das sich mit seinem Handeln zum Wohl des Gemeinwesens und somit auch des kulturellen Lebens einbringt. Die dritte Kategorie Bechlers und Weigels gilt den auf einen individuellen Nutzen bezogenen Motiven, nämlich • •

• •

„der Verfügbarkeitsverbesserung von persönlich präferierter Kunst“ und dem „Kauf von Kunst zur Erfüllung persönlicher Konsumwünsche und zur Profilierung“ (beides wäre beispielsweise der Fall, wenn der Geschäftsführer eines Unternehmens Kulturförderung betreibt, indem er Kunstwerke, mit denen er sich selbst gern umgeben würde, kauft oder etwa als Mitglied einer Jury für den Kauf auswählt); der „Widmung des zu vererbenden Vermögens in einem selbstbestimmten Zweck“ (in der Regel in Form einer Stiftung) und „die selbstbestimmte Förderung des Gemeinwohls“ „[i]m Rahmen von steuerlich begünstigten Bedingungen“, zu der etwa Spenden gehören, die steuerlich abzugsfähig sind.7

Es steht zu vermuten, dass diese dem „individuellen Nutzen“ zugeordneten Motive sich auf private und nicht unternehmerische, also aus Privat- und nicht Unternehmensvermögen finanzierte, Aktivitäten beziehen, da anderenfalls die beiden letztgenannten Aspekte auch der ersten Kategorie zugeordnet werden könnten. Zumindest offen können diese individuellen Motive in Kapitalgesellschaften keinesfalls zum Zuge kommen, da diese immer den Nutzen der Anteilseigner als Gesamtgruppe verfolgen müssen, das heißt Geld niemals zum Nutzen einzelner Personen, sondern immer nur zum Nutzen des Unternehmens investieren dürfen.8 Ausgaben für 6

Ebd.

7

Ebd.

8

In diesem Sinne stellt beispielsweise Reinhold Würth klar, dass ein Unternehmen „keine gemeinnützige Sache“ sei: „Es hat per definitionem die Aufgabe, Geld zu verdienen, um im nächsten Schritt auch sozial handeln zu können. Ein Unternehmen, das kein Geld verdient, hat in der westlichen Wirtschaftsordnung keine Daseinsberechtigung, weil es ansonsten subventioniert und am Ende auf Kosten der Steuerzahler vielleicht mühsam am Leben erhalten werden muss. Ein Unternehmen ist nach unseren Begriffen nur dann sozial, wenn es profitabel arbeitet und damit zunächst die Arbeitsplätze seiner MitarbeiterInnen sichert und Steuern in das Gemeinwesen bezahlen kann.“ (Würth, Reinhold (2002): Vom Nutzen des Kultursponsorings für die Unternehmensgruppe Würth. In: Stadt Karlsruhe 2002. S. 143-149, hier: S. 149). Dass das Thema Vereinbarkeit von Sponsoring und

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Kunst und Kultur, die eben nicht dem eigentlichen Unternehmenszweck dienen, also auch keinen Bezug zur Imageverbesserung oder Steigerung der Profitabilität aufweisen, müssen gerechtfertigt werden, und ihrer Vergabe sind aus (gesellschaftsund auch straf-)rechtlichen Gründen Grenzen gesetzt. Jedoch kann, wie Max von Troschke darlegt, mit der „Sozialbindung des Eigentums […] argumentiert werden, dass zu umfassenden Leitungsfunktion des Managers auch Bereiche der Corporate Citizenship gehören, selbst wenn diese nicht unmittelbar mit dem Geschäftszweck verbunden sind“.9 Umgekehrt bedeutet dies jedoch auch, dass es nicht gerechtfertigt ist, Kulturförderung, die außerhalb des eigentlichen Tätigkeitsbereiches eines Unternehmens liegt, einzufordern. Für Deutschland gilt aus rechtlichen Gründen vielmehr, dass Unternehmen, insbesondere Kapitalgesellschaften, zunächst zum eigenen Nutzen handeln müssen und eben nicht die ihnen vielerorts angediente Statistenrolle eines Ausfallbürgen in ausgewählten Bereichen der öffentlichen Sozial- und Bildungspolitik übernehmen können.10 Ein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes privatwirtschaftliches Unternehmen muss einen erzielten Gewinn grundsätzlich ungeschmälert durch unternehmensfremde Ausgaben an seine Gesellschafter ausschütten.11 Eine motivbezogene Unterteilung von Kulturförderung bzw. Kooperationen wie sie von Bechler und Weigel vorgenommen wird, ist zwar insofern hilfreich, als ein Spektrum verschiedener Motivationen der Kulturförderung aufgerissen wird, allerdings ist sie nur auf den ersten Blick trennscharf und kann überdies aufgrund der Aktienrecht alles andere als trivial ist, legt Jens Wolff in seiner rechtswissenschaftlichen Dissertation dar: Wolff, Jens (2003): Die aktienrechtliche Zulässigkeit von Sponsoringaktivitäten. Eine Untersuchung anhand der Zuständigkeit und insbesondere der allgemeinen Berechtigung des Vorstands einer Aktiengesellschaft bei der Entscheidung über die Planung und Durchführung von Sponsoringaktivitäten. Berlin: Gerstmeyer. 9

Troschke, Max von (2005): Unternehmen fördern Kunst. Grundlagen – Analyse – Anwendung. Berlin: Vdm Verl. Dr. Müller, S. 65. Aus der rechtswissenschaftlichen Literatur vgl. zur Sozialbindung der AG auch Spindler, Gerald (2008): § 76 Rn. 68. In: Münchner Kommentar zum Aktiengesetz. Hrsg. von Wulf Goette; Mathias Habersack. München: C.H. Beck. Zur Sozialbindung der GmbH Altmeppen, Holger (2012): § 43 Rn. 7. In: Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG). Kommentar. Hrsg. von Holger Altmeppen; Günter H. Roth. München: C.H. Beck.

10 Backhaus-Maul, Holger: Corporate Citizenship in den USA (2005). Innovationen beim Engagement. In: Ökologisches Wirtschaften, H. 3. S. 48-50, S. 50. Es handelt sich hierbei um eine spezifisch deutsche Gesetzeslage. 11 Säcker, Franz Jürgen: Gesetzliche und satzungsmäßige Grenzen für Spenden und Sponsoringmaßnahmen in der Kapitalgesellschaft (2009). Eine Nachbetrachtung zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.10.2008 – 1 StR 260/08. In: Betriebs-Berater. Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft 64, H. 7. S. 282-286, S. 282f.

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unterschiedlichen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen auch nicht bei allen Unternehmenstypen (Aktiengesellschaft, Gesellschaft bürgerlichen Rechts etc.) gleichermaßen geltend gemacht werden. Zu den genannten rechtlichen Grenzen, die im Rahmen einer nicht unternehmensbezogenen Kulturförderung bei Kapitalgesellschaften zu beachten sind, zählt insbesondere die Ausschaltung unsachlicher Motive, die z.B. in der Auswahl des Förderobjekts nach persönlichen Präferenzen des Geschäftsführers oder Vorstands zu sehen wäre.12 Eine andere Unterteilung von Kulturförderungsaktivitäten bietet Ruth Emundts an, die sich in ihrer Dissertation mit Kunstförderung durch Unternehmen beschäftigt hat. Sie führt den Begriff der „strategischen Kunstförderung“ ein, die sie von „klassischem Sponsoring“ anhand von verschiedenen Merkmalen abgrenzt:13 Während das Hauptmotiv des klassischen Sponsorings in der Verbesserung des Unternehmensimages im Sinne eines „Geld-Image-Transfers“ liegt, wird ihrer Konzeption nach strategische Förderung aus gesellschaftlicher Verantwortung und zugunsten eines „Kulturtransfers“ vorgenommen. Zielpunkt der Förderung ist auf der einen Seite die Marke bzw. das Produkt, wohingegen die strategische Förderung auf das eigene Unternehmen und dessen interne (Organisations-)Kultur abzielt. Klassisches Sponsoring kommt Emundts zufolge eher punktuell, kurzfristig und sporadisch zum Einsatz, wohingegen eine von ihr favorisierte strategische Förderung „nachhaltig“ und „programmatisch“ ist. Erscheint diese Unterscheidung bis hierher der Intention nach14 noch nachvollziehbar und sinnhaft, so sind die Unterscheidungen nach der Art der Umsetzung und der Organisation eher kritisch zu hinterfragen. Betreibt ein Unternehmen klassisches Sponsoring, dann sei es dabei eher passiv, das heißt die Initiative hierzu komme von außerhalb, und es arbeite nicht mit einem festen Team, unterstellt Emundts. Strategische Förderung sei demgegenüber vom Unternehmen

12 Ebd. In Bezug auf den Geschäftsführer einer GmbH siehe auch Haas, Ulrich; Zöllner, Wolfgang et al. (2010): § 43 Rn. 21 und 22c. In: GmbHG. Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Hrsg. von Adolf Baumbach; Alfred Hueck u.a. München: C.H. Beck. Denkbar ist, dass dies dann nicht gilt, wenn der Geschäftsführer alleiniger Gesellschafter ist, also keinen anderen Teilhabern gegenüber rechenschaftspflichtig wäre. 13 Emundts 2003, S. 117. 14 Die gewählten Begriffe (strategisch, nachhaltig, programmatisch) scheinen hierbei etwas unpräzise eingesetzt zu sein und eher die Funktion positiv besetzter Schlagwörter zu haben. Zumindest dem reinen Wortsinn nach könnte es auch eine (sogar nachhaltige) Strategie sein, alle fünf Jahre eine Kulturförderaktivität mit einem festgelegten Betrag und jeweils neuem Partner zu unternehmen, doch Emundts meint offenbar eher langfristige Partnerschaften, die bewusst an inhaltlichen Anknüpfungspunkten („programmatisch“) zwischen Unternehmens- und Kulturorganisation orientiert sind.

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selbst initiiert und greife auf eine festes Team bzw. sogar eine eigene Abteilung zurück (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Der Begriff der „strategischen Kulturförderung“ nach Emundts. Klassisches Sponsoring

Strategische Förderung

Hauptmotiv

Image (Geld-Image-Transfer)

Ausgangs-/Zielpunkt

Produkt/Marke

Kulturtransfer; gesellschaftliche Verantwortung Unternehmen(skultur)

Abteilung/ Organisation

Marketing /Werbung/ PR; kein festes Team

PR; eigene Abteilung/ festes Team

Ausrichtung

kurzfristig, punktuell, sporadisch passiv, fremdinitiativ

nachhaltig, strategisch, programmatisch eigeninitiativ

Umsetzung Emundts 2003, S. 117.

Diese Zuweisung von Charakteristika erscheint insofern problematisch, als gerade auch ganz konventionelles Sponsoring sehr professionell, nämlich mit eigens dafür eingerichteten Stellen betrieben und durchaus selbst- nämlich gezielt initiiert ist. Die begriffliche Unterscheidung ist ebenfalls unglücklich, da sie suggeriert, klassisches Sponsoring sei per se nicht strategisch. Klassisches Sponsoring (ob nun im Kultur-, Sport- oder sozialen) Bereich kann jedoch sehr wohl als Bestandteil der strategischen Unternehmenskommunikation geplant und durchgeführt werden, und je nach Größe des Unternehmens gibt es auch ganze Abteilungen bzw. feste Teams (in der Regel innerhalb von Kommunikations-, Marketing oder Vertriebsabteilungen), die sich hiermit beschäftigen. Neuere Erhebungen lassen sogar den Schluss zu, dass gerade das klassische Sponsoring von allen Formen des unternehmerischen ‚Engagements‘ am besten in die Gesamtstrategie des jeweiligen Unternehmens eingebunden ist.15 Wie in der oben dargestellten Kategorisierung von Bechler und We-

15 Vgl. Heusser, Hans-Jörg; Wittig, Martin; Stahl, Barbara (2003): Kulturengagement von Unternehmen – integrierter Teil der Strategie? Ergebnisse einer Umfrage bei kulturell engagierten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Anregungen für einen übergreifenden Diskurs. http://www.kulturmanagement.net/downloads/roland berger2.pdf (9.1.2013), S. 6ff. Das Sample der Studie bilden deutsche, österreichische und schweizerische Unternehmen verschiedener Branchen, die auf Basis einer Literatur-

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gel versucht auch Emundts eine Abgrenzung von Kulturförderung als bloßem Kommunikationsinstrument gegenüber einer Kulturförderung, die mehr sein will bzw. mehr sein soll als das klassische oder konventionelle Sponsoring und die bewusster bzw. in einem anderen Bewusstsein vorgenommen wird: der Vermutung nämlich, dass aus der Zusammenarbeit mit Kulturakteuren möglicherweise mehr zu machen ist als es das klassische Sponsoring einlöst. Dieses Bewusstsein ist jedoch (noch) diffus. Es scheint aber in der Praxis durchaus eine Tendenz zu geben, über das klassische Sponsoring hinauszudenken,16 jedoch ist noch nicht ganz klar, welche Konsequenzen daraus folgen oder zu ziehen sind, geschweige denn welcher Nutzen generiert wird. Hier wird der Charakter des Begriffs Kulturpartnerschaft als black box evident und die Forschungslücke, die bereits einleitend erwähnt wurde, offenkundig. Bezeichnend ist, dass die einfache Unterteilung zwischen ‚schlechtem‘, weil profitorientierten und kunstökonomisierenden Sponsoring auf der einen Seite und ‚gutem‘, weil interesselosen und philanthropischen Mäzenatentum17 auf der anderen Seite an Wirkungskraft verliert, während Konzepte (oder Labels) wie das der Corporate Citizenship oder des Good Corporate Citizen hier als attraktivere Alternativen in den Vordergrund rücken. Diese erscheinen als die eher zeitgemäßen Varianten gegenüber der Rede vom Mäzenat und schaffen gewissermaßen den Rahmen dafür, Unternehmen ihr Kulturengagement glaubwürdig darstellen zu lassen: nämlich als eine Mischung aus Kommunikationsinstrument und Philanthropie, von der beide Seiten profitieren, ein ‚win-win-Modell‘ also.18 Diese Absicht kommt nicht zulietzt in Slogans wie „doing well by doing good“19, „making money by doing

recherche ausgewählt wurden, und „die einer breiteren Öffentlichkeit als vorbildlich für ihr Kulturengagement bekannt sind“ (ebd., S. 4). 16 Vgl. Kap. Einsatz von (Mitteln der) Kunst zur Entwicklung von Unternehmen und Mitarbeitern oder auch exemplarisch: Ramge, Thomas: Gefühle in der Nasszelle (2005). Kultur-Sponsoring ist für die meisten Firmen ein: So-was-machen-wir-eben-auch. Für den Badarmaturenhersteller Dornbracht erwies es sich als Schlüssel für die Zukunft. In: brand eins, H. 1. S. 86-91; Willenbrock, Harald: Profit mit Non-Profit (2004). Spenden tun viele, sponsern sowieso. Bei der Augsburger Pharmafirma Betapharm aber ist soziales Engagement der Kern des Geschäfts. Aus purem Eigennutz. In: brand eins, H. 10. S. 56-62. 17 Vgl. zu Mäzenatentum den historischen Exkurs im Kap. Corporate Citizenship im Kulturbereich. 18 Vgl. Braun, Sebastian: Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland (2008). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 31. S. 6-14, hier: S. 14. 19 Heidbrink, Ludger: Wie moralisch sind Unternehmen? (2008). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 31. S. 3-6, hier: S. 3.

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good“20, „tue Gutes und profitiere davon“21 oder „Profit mit Non-Profit“22 zum Ausdruck. Anders als reines Sponsoring erscheint das Engagement des Unternehmens insgesamt als stärker unternehmerisch; das Modell des Corporate Citizen erlaubt dem Unternehmen gewissermaßen die Demonstration von Unternehmertum auch im Bereich der Philanthropie.23 Dies deckt sich nicht zuletzt mit dem US-amerikanischen Deutungsmuster bzw. dem Selbstverständnis vieler US-amerikanischer Unternehmer und Manager, das ausdrücklich nicht als selbstlos konzipiert ist, wie Janes Jackson und Tim Stuchtey klarstellen: Es gelte vielmehr, „durch das Engagement des Unternehmens bzw. seiner Mitarbeiter die Unternehmensumwelt so zu gestalten, dass dies auch für die Unternehmensentwicklung positiv ist“.24 In der für den deutschen Kontext noch neueren Zulässigkeit und unterstellten Realisierbarkeit der Verknüpfung von Unternehmenszielen und Kulturförderung, also dem Handeln zugunsten eines beiderseitigen Nutzens (vormals negativ ausgedrückt: einer Instrumentalisierung der Kunst) kommt ein Paradigmenwechsel im Sinne eines ‚sowohl 20 Janes, Jackson; Stuchtey, Tim: Making Money by Doing Good (2008). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 31. S. 20-25. 21 Vgl. Nährlich, Stefan: Euphorie des Aufbruchs und Suche nach gesellschaftlicher Wirkung (2008). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 31. S. 26-31, hier: S. 26, Fußnote 3. 22 Willenbrock 2004. 23 Vgl. z.B. Acs, Zoltan J; Phillips, Ronnie J.: Entrepreneurship and Philanthropy in American Capitalism (2002). In: Small Business Economics 19. S. 189-204: Die Autoren sehen im Nexus von Unternehmertum und Philanthropie „a potent force in explaining the long run dominance of the American economy. What differentiates American capitalism from all other forms of capitalism (Japanese, French, German, and Scandinavian) is its historical focus on both the creation of wealth (entrepreneurship) and the reconstitution of wealth (philanthropy).“ (ebd., S. 189). 24 Janes et al. 2008, S. 22. Der Artikel ist auch aufschlussreich hinsichtlich der für die USA genannten Zahlen bezüglich unternehmerischen Engagements für gemeinnützige Zwecke: Das Milton’sche Paradigma, Unternehmen hätten ausschließlich möglichst hohe Gewinne für ihre Eigentümer zu erwirtschaften, wird von immerhin 75 Prozent der Unternehmen gelebt, indem sie sich ausdrücklich nicht an Wohltätigkeitsprogrammen beteiligen. An dieser Stelle ist die Unterscheidung von Unternehmer und Unternehmen hervorzuheben, denn „im Jahr 2006 betrug der Umgang der wohltätigen Schenkungen in den USA 295 Milliarden US-Dollar – davon kamen 75,6 Prozent von Privatpersonen. ‚Nur‘ 12,72 Milliarden US-Dollar wurden unmittelbar durch Unternehmen oder Unternehmensstiftungen gespendet“ (ebd., S. 22). Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass es in den USA nicht unüblich ist, bei entsprechend hoher Unterstützungsleistung auch (mittelbaren) Einfluss auf das Handeln der Geförderten zu nehmen – etwa über „Mitentscheidungsmöglichkeiten“ von Unternehmensvertretern „in relevanten Fragen und Gremien“ (ebd., S. 21).

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als auch‘ zum Ausdruck, der sich aktuell auch in anderen Zusammenhängen beobachten lässt.25 Freilich haben sich Horror-Szenarien der Sponsoringkritiker der 1980er Jahre überwiegend nicht bewahrheitet. So finden sich zwar auf zahlreichen Programmheften, Plakaten und Flyern kultureller Veranstaltungen Logos von Unternehmen verbunden mit dem Hinweis auf die ‚freundliche Unterstützung von …‘, doch Werbung zum Beispiel im Sinne eines gezielten Product Placement zumindest im Kunstumfeld im engeren Sinne ist eher verpönt und gilt als kontraproduktiv für den erhofften Werbeeffekt (einmal abgesehen von der Filmbranche). Dem Image der meisten Unternehmen wird es dienlicher sein, als zurückhaltender Unterstützer bei einer Pressekonferenz in Erscheinung zu treten, denn als aggressiver Vermarkter zulasten der künstlerischen Freiheit oder Ausdruckskraft negativ aufzufallen. Auch wenn, wie die exemplarisch dargestellten Ansätze zeigen, eine verallgemeinernde Charakterisierung der unterschiedlichen Formen von Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturakteuren schwierig ist, soll hier der Versuch unternommen werden, die beobachteten Erscheinungsformen, Motive und Potentiale von Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturakteuren weitest möglich übersichtlich strukturiert und nachvollziehbar darzustellen. Da jedoch eine trennscharfe Abgrenzung von Kulturförderungsaktivitäten nach Motiven oder organisatorischer Ausgestaltung im Sinne von Strukturen und Ressourcen – wie die vorhergehenden Beispiele zeigen – kaum gelingen kann, werden hier keine strikt definierten Kategorien gebildet, sondern stattdessen wird ein polares Feld aufgezeigt, in dem Kulturförderungsaktivitäten entsprechend verschiedener Merkmale verortet werden. Dass die jeweiligen Darstellungen der Einzelaktivitäten durch die Unternehmen je nach Kooperationsform, Kommunikationsanlass und (Rolle der) Person, die diese kommuniziert, divergieren, erschwert ebenfalls eine systematische Grenzziehung und konterkariert das Bemühen um eine objektive Beschreibung. Schließlich werden mitunter auch (Kultur-)Sponsorings, die in erster Linie der Außenwirkung eines Unternehmens dienen, als eher uneigennützige Förderung dargestellt 25 So gelten etwa die Kombination von ökologischer und hedonistischer Lebensführung heutzutage nicht mehr als Gegensätze. Inbegriffe dieses Trends sind beispielweise die vor einigen Jahren entdeckte bzw. konzipierte Zielgruppe der LOHAS, Akronym für Lifestyle of Health and Sustainability, deren Konsumverhalten der Spiegel als Kombination von „Grünkern und Gucci“ kennzeichnete. Mit dem Slogan „Freude ist und. Nicht oder.“ bewarb BMW sein energiesparendes und den CO2-Ausstoß reduzierendes „Efficient Dynamics“-Programm. Vgl. Kronsbein, Joachim (28.6.2005): Grünkern und Gucci. In: Der Spiegel; BMW Group (2009): Joy is BMW. München. https://www.press.bmwgroup.co m/pressclub/p/de/pressDetail.html;jsessionid=D4JWQjmJgPhYhQqH6FCFwm6MhQHdt fjJJwPLvTXyp92wpGbXB5NL!870507457?title=joy-is-bmw&outputChannelId=7&id =T0022953DE&left_menu_item=node__2205 (1.1.2013).

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und auch wahrgenommen. Umgekehrt gibt es zahlreiche Unternehmensaktivitäten in diesem Bereich, die nicht oder nur sehr eingeschränkt aktiv bzw. gezielt kommuniziert werden. Daher wird hier letztlich gegliedert nach den Argumentationsmodellen der Unternehmen, die von eigentlichen bzw. nicht nach außen kommunizierten Beweggründen abweichen können. Überdies wird hier die Annahme zugrundegelegt, dass Unternehmen Kooperationen mit Kulturakteuren letztlich immer im eigenen Interesse wahrnehmen.26 Das heißt wiederum nicht, dass nicht auch solche Motive eine Rolle spielen, die in der obigen Unterteilung nach Bechler und Weigel als „kultur- und gesellschaftsbezogen“ oder dem „individuellen Nutzen“ zuträglich auftauchen. Geht man davon aus, dass Unternehmen und Unternehmensvertreter nicht im sprichwörtlich luftleeren Raum, sondern immer in einem bestimmten gesellschaftlichen oder persönlichen Kontext agieren, so sind auch gesellschaftsbezogene Aktivitäten zumindest mittelbar immer auch unternehmensbezogen – wenigstens in einer langfristigen Perspektive. Unterschieden wird hier daher nicht nach unternehmensbezogenen und gesellschaftsbezogenen Motiven, sondern erstens nach solchen, die eher auf die Kommunikation und Darstellung des Unternehmens nach außen bezogen sind und zweitens solchen, die sich eher auf das Innere des Unternehmens richten, also etwa auf dessen Organisation und Struktur, seine Mitarbeiter und Prozesse. Diese zwei Ansätze bilden die Pole eines Feldes, auf dem – mit jeweils fließenden Grenzen – unterschiedliche Kooperationsaktivitäten angesiedelt werden. Im ersten Falle (siehe Abb. 1, linke Seite des Feldes) dient die als Kulturförderung dargestellte Kooperation der Kundenkommunikation, dem Marketing, der passgenauen Ansprache bestimmter Zielgruppen oder der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Herstellung eines positiven Unternehmensimages bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Es ist dabei durchaus denkbar, dass diese Art der Kulturförderung nicht zuletzt 26 So verstanden in Anlehnung an Fritz B. Simons Idee der radikalen Marktwirtschaft, „die eigentlich nicht so radikal [ist] wie der Namen suggeriert. Sie hebt nur die gewohnte, oftmals illusionsbeladene Trennung von Ökonomie und Gefühl auf und macht auch vor dem geheiligten Reich emotionaler zwischenmenschlicher Beziehungen nicht halt. Sie bietet die Chance, ein Modell zu entwickeln, das die heimliche Vernunft und Ökonomie des Verhaltens von Individuen, Gruppen und Organisationen verdeutlicht. […] Wer handelt, der handelt. Das heißt, wer Handlungen setzt, betreibt damit auch immer Handel. Oder anders ausgedrückt: Menschliche Verhaltensweisen lassen sich als Waren betrachten, die bewertet und getauscht werden. […] Allerdings […] heißt dies nicht, dass sich alle Verhaltensweisen bzw. ihre Bewertung in Geldwert umrechnen lässt. […] Die Bewertung der eigenen und fremden Verhaltensweise erfolgt jeweils egozentrisch durch die Beteiligten nach ihren unverwechselbaren, subjektiven und sich voneinander unterscheidenden Maßstäben“ (Simon, Fritz B. (2005): Radikale Marktwirtschaft. Grundlagen des systemischen Managements. 5., aktualisierte Aufl. Heidelberg: Carl Auer, S. 13f.).

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deswegen betrieben wird, weil das Fehlen von Sponsoringaktivitäten negativ auffallen würde. Denn von großen Unternehmen erwarten Teile der Öffentlichkeit ein Minimum an Kulturförderungsaktivitäten geradezu. Klassische Erscheinungsform solchermaßen motivierter Kooperationen ist das Sponsoring, bei dem dem Kulturakteur Geld- oder Sachmittel überlassen werden, wofür dieser dem Unternehmen im Gegenzug eine Plattform für seine öffentlichkeitswirksame Darstellung bietet. Ähnlich ist dies bei Spenden der Fall, die das Unternehmen steuerlich wirksam machen kann (allerdings fällt es hier aufgrund der implizierten Asymmetrie schwerer, in diesem Fall noch von Kooperationen zu sprechen, zumindest ist das Ko-operieren des Spendenempfängers eine eher passive Operation). Das Interesse des Sponsors gilt dabei vorrangig dem fertigen Kunstwerk als einem Produkt, an dessen öffentlicher Wirkung er partizipieren kann. Abbildung 1: Schematische Darstellung der Motive und Erscheinungsformen von Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturakteuren.

Teilweise greift hier auch das Selbstverständnis von Unternehmen als sogenannte (Good) Corporate Citizens, das in der Darstellung oberhalb angesiedelt wurde. Als Konzept, das heißt ideologisch, ist die Corporate Citizenship nicht im Sinne klassischer Kommunikationsmaßnahmen nach außen gerichtet, sondern ist eher als Bindeglied zwischen Unternehmen und (einer kundenunabhängigen) Öffentlichkeit

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bzw. Gesellschaft zu verstehen. Die Idee ist hier, dass sich das Unternehmen wie ein verantwortungsvoller Bürger, aber eben als Korporation verhält. Zumindest in der Wahrnehmung der Unternehmen nimmt die Bedeutung dieses Konzeptes zu.27 Über seine steuerlichen Abgaben hinaus macht sich das Unternehmen zugunsten des Gemeinwohls verdient, indem es zum Beispiel gemeinnützige Akteure unterstützt oder selbst gemeinnützig – zumeist vor Ort – tätig wird.28 Auf die rechtlichen Grenzen eines solchen Engagements wurde bereits hingewiesen. Es versteht sich, dass Unternehmen ihr Selbstverständnis als Corporate Citizen zugunsten einer gelungenen Positionierung in der Öffentlichkeit nutzen können,29 etwa um damit Sympathiewerte zu verbessern und bestenfalls sogar Kunden zu überzeugen oder einen Beitrag zur Akquisition qualifizierter Mitarbeiter zu leisten. Denkbar ist ebenfalls die gezielte Mitarbeiterkommunikation von Aktivitäten im Rahmen der Corporate Citizenship, die idealerweise einen Beitrag zur Identifikation der Mitarbeiter mit dem Arbeitgeber leisten – schließlich fällt diese bei einem als positiv und verantwortungsbewusst wahrgenommenen Unternehmen leichter. Die Idee der Corporate Citizenship wirkt dann sowohl innen als auch außen und ist in diesem Sinne mittig über der die Pole verbindenden Achse angesiedelt. Das gilt insbesondere dann, wenn etwa Erscheinungsformen wie die Unterstützung der Freiwilligenarbeit von Mitarbeitern oder Corporate Volunteering zum Zuge kommen, die auch einen Beitrag zur Personalentwicklung leisten sollen. Als /abel kann Corporate Citizenship nahezu jede Form von Kooperation zwischen Unternehmen und Kulturakteuren bezeichnen, weswegen sie als zeitgemäße Variante des Mäzenatentums auch zunehmend für Selbstdarstellungen von Unternehmen bemüht wird. Am rechten Pol der Achse finden sich diejenigen Motive, die sich ins Unternehmen hinein richten, also auf die Entwicklung des Unternehmens im Inneren orientiert sind. Klassisches Sponsoring allein kann diesen Zweck kaum erfüllen, jedoch das Zusammenbringen von Künstlern oder anderen Akteuren aus dem Kulturbetrieb mit den Mitarbeitern (zum Beispiel im Rahmen von Artist in ResidenceProgrammen oder Theatervorstellungen im Unternehmen), der Austausch zu bestimmten Themen mit Partnern aus der Kultur sowie Dienstleistungen von Kulturorganisationen zum Beispiel im Rahmen von Unternehmenstheater oder ähnlichem. Diese Arten der Kooperation sind wohl in erster Linie ins Unternehmensinnere ge27 Vgl. Herrmanns, Arnold; Leman, Fritjof (2010): Sponsoring Trends 2010. Bonn, S. 35. 28 Vgl. ebd., S. 26. 29 Dreiviertel der Unternehmen in Deutschland, die ein wie auch immer geartetes „CSR-Engagement“ pflegen, geben denn auch an, dieses „aktiv in der externen Kommunikation“ zu nutzen (Heusser et al. 2003, S. 28). Als Ziele geben sie dabei der Studie zufolge an: „Kommunikation sozialer Verantwortung“ (80 %), „Imageverbesserung“ (65 %), „Integration in das gesellschaftliche Umfeld“ (67 %) und auch „Mitarbeitermotivation“ (43 %). Vgl. Herrmanns et al. 2010, S. 33.

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richtet. Dennoch ist es möglich, auch solche Aktivitäten zugunsten des Unternehmensimages öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren, allerdings ist dies dann nicht das Hauptmotiv der Kooperation. Diese Darstellung ist eine aus der Perspektive des Unternehmens und spiegelt somit auch verschiedene Modi der Präsentation durch Unternehmen wider. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass es hierzu mehr Material gibt. Die Perspektive des Kulturschaffenden ist sowohl in der historischen Forschung als auch in der Betrachtung aktuellen Geschehens bis auf wenige Ausnahmen30 leider eher vernachlässigt worden. Wie für Unternehmen gilt für Kunstschaffende und Kulturorganisationen, dass jedwede Form hilfreich und adäquat sein kann – in Abhängigkeit von besonderen Bedarfen und Kompetenzen.31 Nutzen und Nutzenpotentiale der jeweiligen unterschiedlichen Kooperationsformen werden an späteren Stellen detaillierter dargestellt und teilweise auch anhand der Fallstudien konkretisiert werden. Im Folgenden werden Motive und Erscheinungsformen der Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturakteuren entlang der soeben eingeführten Zuordnung, das heißt letztlich anhand von Argumentationsmodellen oder Darstellungsrahmen der Unternehmensseite erläutert. Besonderes Augenmerk liegt auf den eher oder zumindest auch auf die Unternehmensentwicklung bezogenen Aktivitäten, die

30 Z.B. Schieder, Martin (1998): Mäzenatisches Handeln aus der Sicht des Künstlers. Ernst Ludwig Kirchner und sein Verhältnis zu Carl Hagemann. In: Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft. Festschrift für Günter Braun zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Thomas W. Gaehtgens; Martin Schieder. Berlin: Fannei & Walz. S. 125-144. Schieder liefert mit seinem Aufsatz eine biographische Skizze, in der er das Künstler-Förderer-Verhältnis exemplarisch beschreibt. Jedoch bleibt es bei einer Einzelstudie. Die Schwierigkeiten hierbei formuliert Schieder selbst: „Zum einen scheint das Bild vom Künstler, das eine Abhängigkeit vom Förderer zeichnet, unserer Vorstellung vom autonomen Künstler der Moderne zu widersprechen, der sich professionalisiert und sich als ‚Ausstellungskünstler’ scheinbar frei im ‚Kunstsystem’ bewegt. Zum anderen ist die Perspektive des Schaffenden methodisch schwieriger zu fassen als die des Mäzens.“ (ebd., S. 125f.). Eine empirische Analyse, die sich mit der Rolle des Künstlers in Bezug auf Kunstsponsoring befasst: Landsperger, Cornelia (2002): Der Künstler zwischen Sponsoring und Mäzenatentum. Die Bedeutung der privatwirtschaftlichen Kunstförderung für den künstlerischen Nachwuchs. Stuttgart: VDG. 31 Vgl. auch Hoepfner, Friedrich Georg (2002): Sponsoring – aber mit System! In: Kultur und Wirtschaft. Kultursponsoring international. Hrsg. von Stadt Karlsruhe. Karlsruhe: G. Braun. S. 165-175, hier: S. 165.

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allerdings noch weit weniger gängig sind, auch wenn ihnen vereinzelt besondere Bedeutung beigemessen wird.32. Um eine Folie zur späteren Abgrenzung anderer Aktivitäten zu schaffen – wird zunächst die Form des klassischen Kultursponsorings durch beleuchtet. Im Anschluss werden Konzept und Phänomen des Corporate Citizens genauer erläutert. Nach einem Zwischenrésumé wird der Einsatz von Kunst und Kultur als Beitrag zur Unternehmensentwicklung in den Blick genommen, wobei nach verschiedenen Argumentationsmustern und entsprechenden Praxisbeispielen differenziert wird.

32 Vgl. z.B. Mutius, Bernhard von (1999): „Cross over“ oder: Die Kunst der Erneuerung. 12 Thesen zur Veränderung von Unternehmen im Wechselspiel zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. In: Grosz et al. 1999. S. 97-104; Lau, Peter (2005): Bewegung. Kunst und Wirtschaft sind keine Gegensätze. Sie sind zwei Teile eines Ganzen: des Menschen. Und können gemeinsam den wichtigsten Rohstoff fördern: Wissen. In: brand eins, H. 3. S. 124-131; Rothauer 2005.

Außenkommunikation und Profilierung von Unternehmen Kultursponsoring

Kultursponsoring ist in Deutschland seit den 1980er Jahren in besonderer Weise populär1 und verbindet idealiter Förderung von Kultur mit wirtschaftlichem Erfolg des sponsernden Unternehmens. Denn im Gegensatz zur Spende ist Sponsoring keine ‚milde Gabe‘, sondern basiert auf einem Vertragsverhältnis zwischen einem Unternehmen und einer anderen Organisation (häufig einer gemeinnützigen Einrichtung), das auf Leistung und Gegenleistung beruht. Zwar zählen einige Autoren jedwede Form der Interaktion von Unternehmen mit Kultureinrichtungen oder Künstlern zum Kultursponsoring, doch dieses weite Begriffsverständnis ist für eine differenzierte Betrachtung wenig zielführend und kaum zu operationalisieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird Sponsoring denn auch enger und in seiner (steuer)rechtlichen Bedeutung für Unternehmen verstanden als „die Gewährung von Geld oder geldwerten Vorteilen durch Unternehmen zur Förderung von Personen, Gruppen und/oder Organisationen […], mit der regelmäßig auch eigene unternehmensbezogene Ziele der Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit verfolgt werden. Leistungen des Sponsors beruhen häufig auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Sponsor und dem Empfänger der Leistungen (Sponsoring-Vertrag), in dem Art und Umfang der Leistungen des Sponsors und des Empfängers geregelt sind.“2

Der Unterschied zur Spende geht hieraus klar hervor: Die Aufwendungen des Sponsors gelten als Betriebsausgabe. Ziel des Sponsorings auf Unternehmensseite ist die positive Wirkung in der Öffentlichkeit im Sinne der Werbung bzw. Öffent-

1

Eine der ersten Veröffentlichungen im deutschen Sprachraum hierzu ist Roth, Peter (1989): Kultursponsoring. Meinungen, Chancen und Probleme, Konzepte, Beispiele. Landsberg am Lech: Verl. Moderne Industrie.

2

Bundesministerium der Finanzen 1998.

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lichkeitsarbeit. Dies schließt nicht aus, dass das Sponsoring überdies einen positiven Impuls im Inneren des Unternehmens, also auf die Mitarbeiter ausüben kann, jedoch ist dies eben nicht das vorrangige Ziel des Kultursponsorings. Leistung und Gegenleistung beim Kultursponsoring In den meisten Fällen von Kultursponsoring greift das einfache ‚Geld-gegen-LogoVerfahren‘, das heißt ein Unternehmen stellt eine Summe X zur Verfügung, und im Gegenzug sorgt die gesponserte Einrichtung für die Wiedergabe des Logos, einer Wort-Bild-Marke o.ä. des Unternehmens auf ihren Werbemitteln. Im Kulturbereich handelt es sich hierbei zumeist um Druckerzeugnisse zur Bewerbung der gesponserten Einrichtung bzw. der gesponserten Veranstaltung wie Flyer und Plakate, um Programmhefte, den Internetauftritt der Einrichtung resp. des Projekts etc. Darüber hinaus wird häufig Firmenvertretern die Gelegenheit gegeben, bei Pressekonferenzen in Erscheinung zu treten oder ein Grußwort in Programmheften zu placieren. Meistens wird auch ein Kontingent an Freikarten und/oder ermäßigten Eintrittskarten für Ehrengäste des Unternehmens bzw. seine Mitarbeiter3 als Gegenleistung vereinbart. Im Rahmen des Corporate-Citizen-Ansatzes und entsprechenden Vokabulars wird das Sponsoring häufig als (Teil des) Corporate Giving bezeichnet. Streng genommen kann das Sponsoring jedoch nicht zum Corporate Giving4 gezählt werden – schließlich handelt es sich um eine Geschäftsbeziehung zum Zwecke der Werbung. De facto ist Kultursponsoring allerdings in vielen Fällen einer Spende ähnlich, da nur sehr schwer messbar ist, ob die Gegenleistungen den vom Unternehmen eingebrachten Betrag wirklich aufwiegen. Bemerkenswerterweise spricht auch das Bundesministerium der Finanzen in oben zitierter Definition von

3

Die aktuelle Steuergesetzgebung wertet die Möglichkeit des Erwerbs von ermäßigten Eintrittskarten aufgrund von Unternehmenszugehörigkeit als geldwerten Vorteil. Da es für Unternehmen nur schwerlich nachzuhalten ist, ob Mitarbeiter diesen in ihrer Einkommensteuererklärung ordnungsgemäß ausweisen und der administrative Aufwand für einen Direktabzug mit dem individuellen Einkommensteuersatz vom Entgelt unverhältnismäßig erscheint, wird mitunter Abstand von dieser ,Gegenleistung‘ der Kulturbetriebe genommen bzw. diese Möglichkeit nur für die Pflege der Kundenbeziehungen eingesetzt. Dies ist insofern bedauerlich, als dass es im Interesse vieler Unternehmen ist, ihre Mitarbeiter mit Kunst in Kontakt zu bringen und hier mit vergünstigten Karten einen Anreiz zu schaffen.

4

Siehe Folgekapitel zum Thema Corporate Citizenship.

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dem „Sponsor“ auf der einen und dem „Empfänger der Leistungen“ auf der anderen Seite, obwohl de jure auch der Sponsor ein Leistungsempfänger ist.5 Öffentliche Wirkung und Akzeptanz von Kultursponsoring Dass Kultursponsoring positive öffentliche Wirkung erzielen kann, ist die Grundannahme der entsprechend aktiven Unternehmen6 und das Ergebnis einer schon älteren, in Ermangelung belastbaren neueren Materials jedoch immer noch häufig zitierten Studie von Manfred Schwaiger.7 Aufgabe des Sponsorings ist Schwaigers Verständnis nach, „Verständigungs-, Glaubwürdigkeits- und Sympathiepotenziale“ auf- und auszubauen, mithin zur guten „Reputation“ des Unternehmens beizutragen. Diese schlägt sich letztlich auch in der Akquisition und Bindung qualifizierter

5

Nikodemus Herger vertritt demgegenüber die Auffassung, dass sich das Verhältnis von Empfänger und Geber über kurz oder lang umkehren werde. Unter dem Titel „Abschied von der Kunstförderung“ erklärt er: „Die Kraft der Kunst in der Kommunikation der Dienstleister stellt den Förderungsgedanken grundsätzlich in Frage. Die Kunst entwickelt sich zu einem substantiellen Teil in der Wertkette von Dienstleistungsunternehmen. Das Verhältnis wird nicht mehr Förderer und Geförderter sein – sondern symbiotisch: Die Dienstleistungsunternehmen werden ästhetischer, und die Kunst wird wirtschaftlicher.“ Jedoch scheint hier Skepsis geboten, argumentiert Herger doch eher normativ als empirisch und reiht sich somit ein in zahlreiche Lobeshymnen auf die vermeintliche Unverzichtbarkeit der Kunst für die Wirtschaft – ganz abgesehen einmal von dem zugrunde gelegten Kunst- und Ästhetikbegriff (Herger, Nikodemus (1999): Die Kunstförderung in der Wertkette von Dienstleistungsunternehmen. In: Nützt die Kulturförderung den Förderern? Neue Aspekte des Kunst- und Kultursponsorings. Hrsg. von Norberto Gramaccini; Michael Krethlow. Frauenfeld; Stuttgart; Wien: Huber. S. 13-32, hier: S. 28).

6

In einer Roland-Berger-Studie (Sample: 193 Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) geben knapp 37 Prozent der befragten Unternehmensvertreter „Kommerzielle und kommunikative Ziele“ als Hauptzielsetzung von Kultursponsoring an, die Kommunikation gesellschaftlicher Verantwortung wird von gut 41 Prozent genannt. Vgl. ebd., S. 8f. Über 90 Prozent der befragten Unternehmen halten die Verbesserung des Unternehmensimages und knapp 80 Prozent gesellschaftliches Wohlwollen für Wettbewerbsvorteile, die mit Kultursponsoring erzielt werden können (vgl. ebd., S. 11).

7

Schwaiger, Manfred (2001): Messung der Wirkung von Sponsoringaktivitäten im Kulturbereich. Zwischenbericht über ein Projekt im Auftrag des AKS/Arbeitskreis Kultursponsoring. In: Schriften zur Empirischen Forschung und Quantitativen Unternehmensplanung, H. 3.

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Mitarbeiter positiv nieder,8 in Verhandlungsvorteilen gegenüber unterschiedlichen Stakeholdern, in der Kundenbindung u.a.9 Mit seinem vom Arbeitskreis Kultursponsoring des BDI (AKS) geförderten Forschungsprojekt zur Wirkung von Kultursponsoring will sich Schwaiger jedoch bewusst von zahlreichen Veröffentlichungen abgrenzen, die Sponsoring zwar propagieren, über dessen tatsächliche Wirkung aber nur Mutmaßungen anstellen können. Er kritisiert denn auch, „dass trotz permanenter Hinweise auf die Notwendigkeit einer Wirkungs- oder Erfolgsmessung von Sponsoringaktivitäten […] bis heute aussagekräftige, wissenschaftlich fundierte empirische Untersuchungen fast vollständig fehlen“.10 Einige Erkenntnisse gibt es jedoch auf Seiten der Kulturkonsumenten bzw. der unmittelbaren Zielgruppe des Sponsorings in Bezug auf deren Rezeption und Bereitschaft zur Akzeptanz von Kultursponsoring. So wird das Kultursponsoring überwiegend durchaus befürwortet bzw. für sinnvoll erachtet,11 nachdem insbesondere mit Beginn der Sponsoring-Wachstumsphase oft noch Skepsis vorherrschte. Präziser: Namensnennungen werden von einer großen Mehrheit der Kulturkonsumenten für akzeptabel gehalten,12 und mitunter wird Sponsoring sogar für „sympathischer“ als Werbung erachtet.13 Strikt abgelehnt, wenn nicht als Gefahr gesehen, werden jedoch die inhaltliche Einflussnahme durch den Sponsor bzw. Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Sponsor und Kulturakteur, die sich auf das künstlerische Produkt selbst niederschlagen könnten.14 Die Gewährleistung der künstlerischen Unabhängigkeit hat denn auch der Arbeitskreis Kultursponsoring des BDI (AKS) in 8

Knapp 19 Prozent der in der bereits genannten Roland-Berger-Studie befragten Unternehmen nennen Mitarbeitermotivation als eine der „Hauptzielsetzungen von Kulturengagement“. Nur 14 Prozent vermuten hingegen eine positive Wirkung gegenüber potentiellen Mitarbeitern. Vgl. Heusser et al. 2003, S. 10.

9

Schwaiger 2001, S. 6f.

10 Ebd., S. 8. Dies bestätigt auch die Studie Herrmanns et al. 2010, S. 15. Demnach findet eine Erfolgskontrolle bei noch nicht einmal einem Drittel der sponsernden Unternehmen statt. 11 Vgl. Schwaiger 2001, S. 9. Einer älteren Studie zufolge sind 86 Prozent der Befragten der Meinung, dass viele Veranstaltungen ohne die Unterstützung eines Sponsors nicht stattfinden könnten (Krekeler, Michael: Szenenwechsel im Sponsoring – Sponsoring-Boom hält an (1995). In: Markenartikel, H. 6. S. 276-277). 12 1989 hatte sich in einer Umfrage von WP-Online (Info-Service für Wirtschaft und Politik der Dr. Doeblin Gesellschaft für Wirtschaftskommunikation mbH) bei Kulturjournalisten noch knapp die Hälfte der Befragten gegen eine Namensnennung des Sponsors ausgesprochen (vgl. Schwaiger 2011, S. 9). 13 Vgl. Krekeler 1995. 14 Vgl. Tschechne, Martin: ART-Leser formulieren den Knigge für Sponsoring (1999). In: art, H. 11. S. 142-143.

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einem Codex zum Kultursponsoring verankert. Schließlich gilt: „Nur wenn Kulturinteressierte einen positiven Effekt von einem Sponsoringengagement für die Kultur erwarten, wird sich dieses auch vorteilhaft auf die Durchsetzungsfähigkeit auswirken.“15 Schwaiger kommt auf der Basis einer qualitativen Studie zu dem Ergebnis, dass mittels Kultursponsoring Aufmerksamkeit für den Sponsor generiert werden kann – und zwar in relativ hohem Maße: In den untersuchten Beispiele konnten bei einem ungestützten Recall Aufmerksamkeitswerte bis zu über 80 Prozent gemessen werden.16 Auch attraktive Fernsehspots hingegen erreichen bei ähnlichen Messverfahren gerade einmal 45 Prozent. Im Gegensatz zur klassischen Werbung oder aber dem Sportsponsoring ist die absolute Kontakthäufigkeit im Kulturbereich freilich ungleich niedriger, doch unter dem Aspekt der Kontaktqualität (Erreichen von bestimmten Personen in einem bestimmten Umfeld und speziellen Lebensmomenten) schneidet das Kultursponsoring möglicherweise besser ab17 – dafür gibt es allerdings bis dato keine belastbaren Befunde.18 In Deutschland ist es anscheinend mittlerweile bei zahlreichen Unternehmen Standard, Kultursponsoring zu betreiben,19 doch wird dieser Einsatz „als Entlastung und zusätzliche Einnahmequelle […] in der Öffentlichkeit allerdings auch weit überschätzt“.20 Dies gilt umso mehr, da die Ausgaben im Kultursponsoring in den letzten Jahren einen leichten Abwärtstrend verzeichnen. Bei der Studie Sponsoring Trends 2010 gaben zwar über 66 Prozent der befragten Unternehmen an, Kultursponsoring zu betreiben, wohingegen das dafür aufgewendete Budget nur 18 Prozent der gesamten Sponsoringaufwendungen (zu denen auch Sportsponsoring, Soziosponsoring etc. gehört) entspricht.21 Davon entfallen wiederum durchschnittlich

15 Schwaiger 2011, S. 20. 16 Vgl. ebd., S. 18f. 17 Im Allgemeinen werden weniger Streuverluste im Kultursponsoring vermutet (vgl. z.B. Wöllert 1994, S. 392). Herger zufolge entsprechen „Veranstaltungen der Kunst […] hochgradig den Merkmalen der Below-the-Line-Kommunikation: hohe Zielgruppenaffinität, in spezifischen Kundensituationen einsetzbar, szeneauthentisch und hohe Eigenständigkeit“ (Herger 1999, S. 22). 18 Vgl. Schwaiger 2011, S. 22f. 19 Über die Hälfte der befragten Unternehmen (52 %) gaben 1997 in einer Studie an, Kulturförderung/Kultursponsoring zu betreiben: (Kohtes & Klewes (1997): Kulturinvest Top 500 1997. Kohtes & Klewes Studie zum Status quo von Kulturförderung und Kultursponsoring in 15 Branchen und den 500 größten Unternehmen Deutschlands. Düsseldorf, S. 6). 20 Hünnekens 2002. 21 Herrmanns et al. 2010, S. 11ff.

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nur knapp 80 Prozent auf Leistungen für den Gesponserten, während gut 20 Prozent in Aufwendungen für die Sponsoringumsetzung im Unternehmen fließen.22 Ein oft vorgebrachter Vorwurf in Bezug auf Kultursponsoring ist, dass nur solche Akteure und Projekte gefördert würden, die es ‚sowieso leicht‘ auf dem Anbietermarkt haben. Unterstellt wird somit, Unternehmen förderten in erster Linie etablierte oder besonders populäre Programme. Margrit Kessler-Lehmann kommt in einer Studie von 1993 (!) zu dem Schluss, „dass wirtschaftliche Förderer mit Eigeninteresse die gefällige gegenüber der ‚unbequemen‘ Kunst bevorzugen“,23 und Ruth Emundts formuliert zehn Jahre später vorsichtig, „[w]ie weit subversiver Kunst wirklich ein Forum gegeben“ werde, sei „schwierig zu beurteilen“.24 Aus Sicht des Marketings kann eine Orientierung hin zu eher populärer Kunst je nach Zielgruppe freilich Sinn ergeben.25 Denn die sponsernden Unternehmen sollten sich mit ihrem Engagement in dem Segment bewegen, das entweder den Vorlieben ihrer (potentiellen) Kunden entspricht. Das wäre der werberische Ansatz. Im Sinne der Markenpflege kann es hingegen mindestens so erfolgsversprechend sein, nicht an die tatsächlichen (gelebten) Vorlieben von Kunden anzuknüpfen, sondern sich bewusst zum Beispiel als innovativ, mutig, offen für avantgardistische Strömungen zu positionieren und damit dann eher ein (vom Kunden selbst nicht verwirklichtes oder gelebtes) Ideal, eine ‚Sehnsucht‘ oder bestimmte innere Bilder (etwa Vorstellungen davon, wie ein modernes Unternehmen zu sein hat) zu adressieren.26 Für den konsequenten Einsatz für Zeitgenössisches und Nicht-Gefälliges argumentieren v.a. solche Autoren, die nicht nur den Geld-Image-Tausch im Auge haben, wenn sie von Sponsoring sprechen. Bockemühl beispielsweise ist der Meinung, dass ein allein auf populäre Vorlieben ausgerichtetes Sponsoring letztlich auch für die Wirtschaft nicht zielführend, da zu wenig zukunftsorientiert sei: „Eine rein marktgängige Kultur und eine selbstläufige Wirtschaft sind schlechte Voraussetzungen für die fälligen Zukunftsgestaltungen im kulturellen Bereich – wie in

22 Ebd., S. 19. 23 Kessler-Lehmann 1993, S. 16. 24 Emundts 2003, S. 109. 25 Elisa Bertoluzzi Dubach vertritt die Meinung, die Aufgabe von eventorientiertem Kultursponsoring sei es, „Kommunikation zwischen der ‚elitären‘ Form von Kultur und breiten Kreisen der Bevölkerung her[zu]stellen“ (Bertoluzzi Dubach, Elisa (1999): Für eine neue Form des Kultursponsoring. In: Gramaccini et al. S. 49-61, hier: S. 57). Dies scheint jedoch als Anspruch eher abwegig bzw. kann maximal ein positiver Nebeneffekt sein. 26 BMW hatte beispielsweise den X1 als jugendliches Modell beworben, was (in Kombination mit den Produkteigenschaften) dazu führte, dass insbesondere Menschen im Rentenalter sich angesprochen fühlten.

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Wahrheit auch für die weitere Wirtschaftsgestaltung, die selbst vor nicht geringeren Problemen steht.“27 Birger P. Priddat sieht in einer Ausrichtung auf das bereits Bekannte und Bewährte den Zweck des Sponsorings ad absurdum geführt, wenn er erklärt: „Sponsoring ist eine Form der Mitnutzung der Kunst/Kultur in dem, was sie auch ohne diese Mitnutzung leistet. Man vergisst, dass das Sponsoring auf die eigenständige Qualität der Kultur/Kunstproduktion angewiesen ist. Ohne diese Qualität würde das Sponsoring gar nicht den Nutzen erbringen, für den gezahlt wird. Man kann es auch so formulieren: Ein Sponsoring, das die Qualität der Kunst/Kulturproduktion beeinträchtigen würde, würde sich selbst beeinträchtigen in dem, was es vorhat.“28

Ob Innovation und Avantgarde gegenüber Konservatorischem und Tradition, ob schwierig zugängliche Kunst gegenüber der sogenannten leichten Muse überwiegen oder nicht, ist wesentlich begründet in der Zielsetzung des einzelnen Sponsoringverhältnisses sowie – falls vorhanden – eines richtungsweisenden Sponsoringkonzeptes auf Seiten des Unternehmens. Einige Unternehmen setzen bewusst auf einen Mix sowohl populärer Sponsoringprojekte zur Erzielung eines breiten kommunikativen Wirkungsgrades (größtmögliche Kongruenz mit den angenommenen Kundenvorlieben) mit solchen, die in erster Linie der künstlerischen Innovation verpflichtet sind im Sinne einer gezielten, und gerade auf das Besondere setzenden Außenwirkung und Markenpflege. Womöglich ist es dieser Mix, der mitunter als mangelnde Durchgängigkeit oder Spezifität des Sponsorings wahrgenommen wird.29 Wichtig ist für Unternehmen die Möglichkeit, „sinnstiftend“ zu kommunizieren, um sich im „Kampf um Aufmerksamkeit“ und in der „Konkurrenz der Informationen“ zu behaupten.30 So ist auch zu erklären, dass die meisten Sponsoren unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung des Sponsorings einmalige und periodische Veranstaltungen bevorzugen, während sich bei den permanenten Einrichtungen das Kultursponsoring noch nicht so durchgängig durchgesetzt hat.31 Schließlich können einmalige bzw. nur in bestimmten Abständen wiederkehrende Ereignisse (etwa Festivals) eine größere Öffentlichkeitswirkung erzielen als das ‚Standardprogramm‘ 27 Bockemühl 2003a. 28 Priddat 1999, S. 106. 29 Vgl. Heusser et al. 2003, S. 17. Die Autoren konstatieren eine überraschend geringe Differenzierung: „Der ‚Kulturkonsument‘ kann nur in seltenen Fällen über die spezifische Kulturaktivität das Unternehmen, das dahinter steht, ausmachen.“ (ebd., S. 16). 30 Herger 1999, S. 16. 31 Vgl. Höffinger, Stefan (2006): Kulturinstitutionen müssen umdenken. Wettbewerbsdruck erfordert neue Strategien und Einnahmequellen. Wien. http://www.atkearney.at/content/ veroeffentlichungen/pressemitteilungen_detail.php/id/49811 (9.1.2013).

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zum Beispiel eines städtischen Schauspiels oder Konzerthauses – ebenso wie Museen mit Sonderausstellungen mehr Aufmerksamkeit generieren können als mit ihren ständigen Sammlungen – es sei denn, es handelt sich um spektakuläre (Wieder-) Eröffnungen, Einweihungen o.ä. Häufig kann die Aufmerksamkeitshürde eben erst mit Hilfe einer solch speziellen und ‚außergewöhnlichen‘ Information genommen und zum Publikum wie auch zur Presse durchgedrungen werden. Glaubt man den Aussagen von Unternehmensvertretern, so ist – wenig überraschend – der Vorwurf der konservativen Auswahl von Sponsoringpartnern nicht gerechtfertigt: In einer 1997 veröffentlichten Studie von Kohtes & Klewes gaben 71 Prozent der befragten Unternehmensvertreter an, Nachwuchsförderung zu betreiben, – dicht gefolgt allerdings von der „etablierten Kunst“ (65 %).32 Eine Untersuchung Manfred Bruhns und Julia Pristaffs hingegen ergab im Jahre 1993 (!), dass Unternehmen in erster Linie Interesse an bereits etablierten und anerkannten Kunstformen sowie traditionellen Kunstveranstaltungen mit eingeschränktem Risiko zeigen.33 Eine gewisse Einseitigkeit lässt sich auch in den gesponserten Kunstsparten erkennen. Die Spitzenreiter bilden der Studie von 1997 zufolge die klassische34 Musik (60 %) und die Malerei (55 %). In der bereits zitierten Roland-Berger-Studie von 2003 hingegen bildet die Bildende Kunst den größten Anteil am Kultursponsoring (knapp 40%), gefolgt von Musik (gut 24 %). Darstellende Kunst, Film/Foto/ Video und Literatur sind mit jeweils unter 10 Prozent deutlich unterrepräsentiert.35 Wie repräsentativ diese Zahlen sind, ist fraglich, wenngleich von einer gewissen Kontinuität und somit Dominanz der bildenden Kunst und Musik doch auszugehen ist. Der Wahrnehmung der Verfasserin zufolge sind jedoch die Sponsoringengagements im Bereich der sogenannten Education-Programme, also der kulturellen 32 Kohtes & Klewes 1997. Nachwuchsförderung kann im Übrigen ebenfalls im Dienste der etablierten Kunst sein, wenn es z.B. um die Förderung des Solisten-Nachwuchses im Bereich der klassischen Musik geht. 33 Bruhn, Manfred; Julia Pristaff (1993): Sponsoring in Deutschland. Ergebnisse einer Unternehmensbefragung. Oestrich-Winkel: Institut für Marketing an der European Business School, Schloss Reichartshausen (zitiert nach Fehring, Kirsten Marei (1998): Kultursponsoring – Bindeglied zwischen Kunst und Wirtschaft? Eine interdisziplinäre und praxisorientierte Analyse. Freiburg im Breisgau: Rombach, S. 75). 34 Nicht klar ist, ob hier v.a. die klassische Musik insbesondere bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts oder aber auch die zeitgenössische E-Musik gemeint ist. 35 Vgl. Heusser et al. 2003, S. 16f. Aus der Quelle geht nicht klar hervor, ob es sich um eine Messung anhand des Budgets oder aber der Häufigkeit handelt, wobei letzteres wahrscheinlicher ist (denn Aufwendungen für den hier wenig vertretenen Bereich der Bühnenkunst sind in der Regel vergleichsweise hoch). Zu hinterfragen wäre auch die Bildung der Sparten, insofern sich möglicherweise hinter „bildender Kunst“ eher das Gemälde als die Videoinstallationen verbirgt.

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Bildung oder ästhetischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen zahlreicher (oder auch nur ihre mediale Präsenz stärker) geworden – möglicherweise ein Effekt der Aufregung um die Ergebnisse der Pisa-Studie zum einen und öffentlichkeitswirksamer Pionierprojekte wie Rhythm is it zum anderen.36 Wenn sich das Sponsoring-Interesse zunehmend auch auf weniger glamouröse und/oder unkonventionellere Felder richtet, so wäre dies im Zuge der bereits geschilderten wachsenden (Selbst-)Ansprüche an Unternehmen als Corporate Citizens durchaus folgerichtig.37 Im Zweifelsfalle werden wohl wie oben beschrieben mehrere SponsoringEngagements verknüpft, die jeweils unterschiedliche Ziele in der öffentlichen Wahrnehmung verfolgen. Eine solche Differenzierung argumentiert Kirsten Marei Fehring eingängig: „Während beispielsweise bei einem ‚Galaabend‘ mit berühmten Künstlern der unmittelbare Image-Transfer einer Spitzenleistung, Medienwirkung und Werbeinteressen im Vordergrund stehen, das Unternehmen bewusst als Sponsor auftritt, soll mit einer Veranstaltung wie etwa ‚Jugend musiziert‘ der Aspekt der Förderung als das zentrale Element der unternehmerischen Aktivität mittelbar durch ein von der Zielgruppe als positiv empfundenes, gesellschaftliches Engagement kommuniziert werden.“38

Unter welchen Bedingungen ein sponserndes Unternehmen und ein gesponsertes Kultur-Projekt zusammenpassen bzw. zueinanderfinden, hat Babette Dorn an den Beispielen der Sponsorings der bayerischen Staatsoper München durch die BMW AG und die AUDI AG untersucht und veranschaulicht, indem sie jeweils Markenpositionierung, Ziele, in der Corporate Identity verankerte „Werte“ und „Verhalten“, Markenanspruch sowie Kultursponsoringziele und -schwerpunkte von AUDI 36 Es handelt sich um das erste große Education-Projekt der Berliner Philharmoniker, das mit seinem gleichnamigen Dokumentarfilm und unter dem Motto „You Can Change Your Life in a Dance Class“ große Aufmerksamkeit erzielte. Vgl. zu Projekt und Film http://www.rhythmisit.com/ (30.6.2012). Ein anderes, der Stoßrichtung nach ähnliches Projekt beschreibt Tönnesmann, Jens: Soziale Innovation (2008). Folge 18: Eine fruchtbare Verbindung. Die weltberühmte Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist in einer Gesamtschule in einem Problemviertel gezogen. Zum Vorteil der Schüler. Und der Musiker. In: brand eins, H. 7. S. 34-41. 37 Der Studie Sponsoring Trends 2010 zufolge hat es zum einen eine Verschiebung der Sponsoringaufwendungen zugunsten von Bildungs-/Wissenschaftssponsoring und Soziosponsoring zulasten des Kunst-/Kultursponsorings gegeben. Zum anderen werden vormalige Sponsoringbudgets oder zumindest Teile davon in CSR-Etats überführt. Vgl. Herrmanns et al. 2010, S. 36ff. 38 Fehring 1998, S. 73f. Fehring untersucht hier im Besonderen die Sponsoringaktivitäten der Credit Suisse und deren Wirkungen auf ihre Kundenberater.

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und BMW auf Schnittmengen mit der Positionierung und der Corporate Identity der Staatsoper überprüft hat.39 Sowohl bei der Partnerschaft mit Audi (Sponsoring des Ring des Nibelungen: „Die Firma mit dem Logo aus vier Ringen sponsert die Produktion von vier Opern“)40 als auch mit BMW (Veranstaltungsformat Oper für alle)41 identifiziert Dorn Kongruenzen von CI-Bestandteilen auch über pauschale Begrifflichkeiten (wie z.B. das Selbstverständnis der Zugehörigkeit zum Premiumsegment, Innovation und Qualität) hinaus, die die Beschreibung als „Matching Identities“42 bzw. sogar eine aus dieser Passung entstehende „Sponsorship identity“43 zuzulassen scheinen.44 Kultursponsoring in der Wahrnehmung der Mitarbeiter Die Anbindung des Sponsorings an die Corporate Identity im Sinne von zu wahrender Authentizität ist nicht nur in Bezug auf die Außen- sondern auch mit Blick auf die Binnenwahrnehmung des Kultursponsorings von Bedeutung.45 Gut qualifizierte und motivierte Mitarbeiter sind die wertvollste Unternehmensressource, da sie letztlich über Innovationskraft sowie Produkt- und Prozessqualität entscheiden. Überdies sind Mitarbeiter als Mitglieder beider Sphären eine Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Unternehmen.46 Sie vermitteln in Familien und Bekanntenkreis und ggf. auch oder zumindest mittelbar gegenüber Kunden und Zulieferern ein gewisses Unternehmensbild. Manfred Schwaiger hat im Rahmen von allgemeinen Mitarbeiterbefragungen bei drei Unternehmen, die in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung Kultursponsoring betreiben, dessen Wahrnehmung durch die Mitarbeiter

39 Dorn, Babette (2005): „Sich spiegeln im Widerschein“. Innovatives Kultursponsoring und seine Bedeutung für die Corporate Identity der beteiligten Partner. In: Deutsches Jahrbuch für Kulturmanagement. Hrsg. von Werner Heinrichs; Armin Klein. BadenBaden: Nomos. S. 79-107. 40 Ebd., S. 89ff. 41 Ebd., S. 96f. 42 Ebd., S. 79. 43 Ebd., S. 102. 44 Kompakt: tabellarische Übersicht ebd., S. 98. 45 Dies deckt sich mit der Einschätzung der meisten kultursponsernden Unternehmen, dass die „Übereinstimmung der Werte des Kulturengagements mit jenen des Unternehmens“ eine wichtige Bedingung des erfolgreichen Kultursponsorings sei. Vgl. Heusser et al. 2003, S. 15. 46 Im systemtheoretischen Verständnis ist der Mitarbeiter Teil der Umwelt des Unternehmens, und das Unternehmen wiederum für den Mitarbeiter Umwelt.

A USSENKOMMUNIKATION

UND

P ROFILIERUNG

VON

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erhoben.47 Er kommt bei seiner Untersuchung zu dem Schluss, „dass mit Kultursponsoringaktivitäten zwar nicht die gesamte Belegschaft erreicht wird, dass aber eine bestimmte Gruppe von Mitarbeitern deutlich positiv beeinflusst wird“ und es sich bei diesen „um einen besonders motivierten und damit förderungswürdigen Teil der Belegschaft handelt“.48 Dies kann als relativ positiver Befund gewertet werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Rahmen des konventionellen Sponsorings ja nicht unbedingt in besonderer Weise ein Kontakt zu den einzelnen Mitarbeitern hergestellt wird. Vermutet werden darf auch ein Zusammenhang zwischen Akzeptanz bzw. positiver Sponsoringwahrnehmung durch Mitarbeiter und Intensität bzw. Überzeugungskraft der internen Kommunikation eines Sponsoringengagements – nicht zuletzt gestützt durch das Verhalten der Führungsriege.

47 Schwaiger, Manfred (2002): Die Wirkung des Kultursponsorings auf die Mitarbeitermotivation. 2. Zwischenbericht über ein Projekt im Auftrag des AKS/Arbeitskreis Kultursponsoring. http://www.aks-online.org/aks_engine.shtml?id=23 (21.2.2007). 48 Ebd., S. 25.

Corporate Citizenship im Kulturbereich Das ‚neue Mäzenat‘

Der Begriff Corporate Citizenship hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Aufschwung genommen. Er ist eng verbunden mit dem der Corporate Social Responsibility (kurz: CSR), die im Allgemeinen die Verantwortung des Unternehmens gegenüber all seinen Stakeholdern, das heißt ausdrücklich nicht: nur seinen Shareholdern, bezeichnet. Hierzu zählen daher nicht nur Aktionäre, sondern auch Mitarbeiter und Anwohner sowie weitere Akteure des gesamten Unternehmensumfeldes, sofern sie in irgendeiner Weise von den (Geschäfts-)Tätigkeiten des Unternehmens betroffen sind. Die Europäische Kommission definierte CSR als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“.1 Ein der CSR verpflichtetes Unternehmen wird ökologische Standards erfüllen, bestimmte Sozialleistungen für die Beschäftigten erbringen, ein fairer Kooperationspartner in den Beziehungen zu Lieferanten und Dienstleistern sowie in strategischen Allianzen mit Wettbewerbern sein, nach Möglichkeit Jugendliche ausbilden, Anwohnerinteressen etwa bezüglich Lärmbelästigung und Luftverschmutzung ernstnehmen und in einem ganz allgemeinen Sinne um ‚nachhaltiges‘ Handeln bemüht sein.2 Als Grund für solche CSR1

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung. /* KOM/2002/0347 endg. */. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=CELEX:52002DC0347:DE:HTML (31.8.2012); vgl. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001): Auszug aus dem Grünbuch: Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen 366. Brüssel.

2

Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, die dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhält/sicherstellt, dass dieses sich regenerieren kann Deutscher Bundestag (Hrsg.) (1997): Konzept Nachhaltigkeit. Fundamente für die Gesellschaft von morgen. Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Um-

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Aktivitäten werden in erster Linie ein wachsender Druck der Öffentlichkeit bzw. steigende Anforderungen an das ethische Handeln von Unternehmen angeführt. Dies ist nicht nur zahlreichen Skandalen sozialer und ökologischer Art geschuldet, sondern sicherlich auch den verbesserten Möglichkeiten einer schnellen, weltweiten Kommunikation via Internet, die es gleichermaßen ermöglicht, positive wie negative Nachrichten in kürzester Zeit weltweit zu verbreiten, wie auch die grenzübergreifende und informelle Organisation von ‚Aktivisten‘, also zum Beispiel kritischer Konsumenten.3 Rainer Hegselmann erläutert: „Immer mehr Unternehmen arbeiten an ethischen Leitlinien, geben sich eine Art Grundgesetz. Sie tun das nicht zuletzt deshalb, weil die Öffentlichkeit ökonomisches Handeln in immer stärkerem Maße an moralischem Handeln misst und Unmoralisches zum Beispiel mit Kaufzurückhaltung bestraft. Ein weiterer Grund sind die Mitarbeiter: Es ist längst nicht jedermanns Sache, in einem moralisch zwielichtigen Unternehmen zu arbeiten. Viele, und zwar insbesondere gut ausgebildete Leute haben die Wahl, hier oder dort zu arbeiten.“4

Etwas weiter im Radius als das der CSR, die im Rahmen der eigentlichen Geschäftstätigkeit angesiedelt ist, ist das Konzept der Corporate Citizenship, das das Unternehmen als korporativen Bürger betrachtet, der sich über seine unmittelbare Geschäftstätigkeit hinaus und außerhalb seines eigentlichen Tätigkeitsbereiches dem Gemeinwohl verpflichtet sieht5 – entsprechend dem Selbstverständnis eines engagierten Staatsbürgers, der sich zum Beispiel durch die Übernahme eines Ehrenamts, durch Spenden o.ä. in das Gemeinwesen einbringt und diesem gegenüber eine welt – Ziele und Rahmenbedingungen einer Nachhaltig Zukunftsverträglichen Entwicklung“ des 13. Deutschen Bundestages. Bonn. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages baut den Begriff der Nachhaltigkeit auf drei Säulen auf: einer ökologischen, ökonomischen und sozialen. 3

Siehe etwa Portale wie http://www.avaaz.org/, http://www.lohas.de/, http://makeitfair. org/, http://www.utopia.de/ etc. Vgl. Busse, Tanja (8. Mai 2008): Gute Konsumenten. Grün und fair einkaufen – das Internet bietet die Möglichkeit, mit ruhigem Gewissen zu genießen und bei Bedarf dem Kapital auf die Finger zu klopfen. In: DIE ZEIT.

4

Rainer Hegselmann im Interview mit Jens Bergmann (Bergmann, Jens: Moralische Wirtschaft (2001). In: brand eins, H. 6. S. 72-75, hier: S. 74). Hegselmann baute den Studiengang Philosophy & Economics an der Universität Bayreuth mit auf (http://pe.uni-bay reuth.de/, 01.01.2013).

5

Vgl. Braun, Sebastian; Backhaus-Maul, Holger (2010): Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland. Eine sozialwissenschaftliche Sekundäranalyse. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften Wiesbaden, S. 15; Westebbe, Achim; Logan, David (1995): Corporate Citizenship. Unternehmen im gesellschaftlichen Dialog. Wiesbaden: Gabler, S. 13.

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gewisse Verantwortlichkeit oder sogar Gestaltungswillen verspürt, denen wiederum mit dem Entrichten von Steuergeldern allein nicht genüge getan ist. Ein in diesem Sinne engagiertes Unternehmen sieht seine „freiwillige Verpflichtung“ denn auch „als Chance und Gelegenheit, Gesellschaft entsprechend eigener Vorstellungen, Ideen und Prioritäten mitzugestalten“.6 Dieses Verständnis ist entsprechend der gesamten gesellschaftlichen Organisation in den USA bzw. den angelsächsisch geprägten Ländern besonders ausgeprägt, aber auch in Festland-Europa auf dem Vormarsch.7 Abbildung 2: Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship.

Corporate Citizenship hat als ein solcher Sammelbegriff eine erhebliche Bandbreite, kann doch jedwede Form von gesellschaftlicher Betätigung, materiell, personell oder auch ideell (etwa die Unterstützung eines Projekts durch den ‚guten Namen‘ oder spezifische Kontakte von Unternehmen) hinzugezählt werden. Was alles unter Corporate Citizenship fällt, ist letztlich eine Frage der (Selbst-)Wahrnehmung (und Darstellung) eines Unternehmens bzw. umgekehrt, dessen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Bisweilen ist es dabei auch erstaunlich, welche Aktivitäten von Unter-

6 7

Backhaus-Maul 2005, S. 48. Vgl. Hennigfeld, Judith; Pohl, Manfred; Tolhurst, Nick (Hrsg.) (2006): The ICCA handbook on corporate social responsibility. Chichester, England; Hoboken, NJ: J. Wiley & Sons.

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nehmen unter der Überschrift der Corporate Citizenship kommuniziert werden, etwa wenn sich die Frage stellt, ob der Aufwand des eigentlichen Engagements oder der der Kommunikationsmaßnahmen der größere gewesen sein mag.8 Dahingegen leisten andere Firmen womöglich vieles, das in nicht unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Kernaufgabe steht, wovon die Öffentlichkeit jedoch kaum erfährt (und das wiederum auch gar nicht Bestandteil einer unternehmensinternen, umfassenden Corporate-Citizen-Strategie ist).9 Auch wenn Corporate Citizenship in der Regel noch eher mit den Bereichen Umwelt und Soziales in Verbindung gebracht wird,10 können der Corporate Citizenship bezogen auf den Kulturbereich das Spendenwesen, der Aufbau und das Zugänglichmachen von Kunstsammlungen, die Etablierung eigener Kulturprogramme, die Vergabe von Stipendien an Künstler, die Vergabe von Kunstpreisen bzw. die Ausrichtung von Wettbewerben, die Auftragserteilung an (noch) unbekannte oder junge Künstler und ähnliches mehr, aber auch betrieblich geförderte Freiwilligenarbeit und Mentorentätigkeiten für Kulturorganisationen zugerechnet werden – sowohl, wenn es um eher uneigennütziges Engagement geht als auch, wenn Außenkommunikation oder andere Unternehmenszwecke bedient werden (vgl. Tab. 2).

8

Vgl. Littmann-Wernli, Sabina (2002): Was bedeutet Corporate Volunteering für die Privatwirtschaft? In: Corporate Volunteering. Unternehmen entdecken die Freiwilligenarbeit. Hrsg. von Renate Schubert; Sabina Littmann-Wernli; Philipp Tingler. Bern; Stuttgart; Wien: Paul Haupt. S. 23-61, hier: S. 39.

9

Der oben bereits zitierten Studie Sponsoring Trends 2010 zufolge nutzen ein Viertel der befragten Unternehmen ihre „CSR-Engagements“ nicht für die externe Kommunikation. Dies ist insofern erstaunlich, als deren Organisation bei weit mehr als der Hälfte der Unternehmen in den Abteilungen für Marketing oder Public Relations angesiedelt ist. Vgl. Herrmanns et al. 2010, S. 26ff.

10 So taucht im A to Z of CSR „arts“ nicht als Stichwort auf, und „cultural issues“ sind allein den Korrelationen von Landes-, Branchen- und Organisationskulturen mit unterschiedlichen Typen und Erscheinungsformen von CSR gewidmet. Vgl. Visser, Wayne (Hrsg.) (2008): The A to Z of corporate social responsibility. A complete reference guide to concepts, codes and organizations. Chichester: Wiley.

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Tabelle 2: Corporate Citizenship im Kulturbereich. Aktivitäten, die unter dem Label ‚Corporate Citizenship‘ zusammengefasst und kommuniziert werden können Corporate Giving



Spendenwesen (Sach- und Geldspenden)



Leihgaben (z.B. Kunstwerke der Unternehmenssammlung an Museen)



Stiftungen



bedingt: Sponsoring



Bereitstellung von Räumlichkeiten für Kulturveranstaltungen



Vergabe von Stipendien







Unternehmenseigene Museen

Vorrangig materielle Leistungen

Corporate Collecting und Auftragserteilung an Künstler und Kultureinrichtungen Selbst aufgelegte Kulturprogramme und selbst geschaffene Kulturangebote Corporate Volunteering, Seconding und Mentoring

Vorrangig/ auch immaterielle Leistungen

Da Corporate Citizenship häufig und auch nicht ganz zu Unrecht, wenngleich zumeist eher unreflektiert in einem Atemzug mit Mäzenatentum genannt wird, soll diesem ein kurzer historischer Exkurs gewidmet werden, bevor einzelne Erscheinungsformen der Corporate Citizenship ausführlicher dargestellt werden.

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E XKURS : M ÄZENATENTUM

HISTORISCH

Der „Mäzen“ – abgeleitet vom historischen Gaius Maecenas aus Arrezzo (etwa 748 v.u.Z.), einem Freund, Ratgeber und Diplomaten des Kaisers Augustus, der mit verschiedenen Dichtern befreundet war, die er ideell förderte und auch materiell gelegentlich unterstützte11 – ist als „edle[r] Spender […], der allein wahre Kunst zu fördern vermöge“ eine beliebte Figur des Feuilletons und kulturpolitischer Diskussionen.12 Von der Verwendung des Begriffs des „Mäzens“ wird im wissenschaftlichen Diskurs hingegen eher abgeraten – gerade wegen der oft naiv idealisierenden (nachträglichen) Bedeutungsaufladung und auch der schwierigen Abgrenzung etwa gegenüber dem „Stifter“ oder dem zeitgenössischen „Sponsor“.13 Über die Jahrhunderte hat sich der Begriff des Mäzens denn auch als recht elastisch erwiesen. Kleinster gemeinsamer Nenner ist das Verständnis von einer Person, die private Mittel zur Förderung öffentlicher Zwecke (z.B. im sozialen, Bildungs- oder Kunstbereich) bereitstellt. Konsens dürfte auch darüber bestehen, dass die Voraussetzung für mäzenatische Aktivitäten wohl immer eine Koalition von materiellen Ressourcen und einem intellektuellen oder emotionalen Zugang (hier: zu Kunst) ist, das heißt bezogen auf das Bürgertum v.a. des 19. Jahrhunderts die Verbindung von Besitz und Bildung.14 Abgesehen davon hat das Mäzenat in Abhängigkeit vom jeweiligen historischen Kontext verschiedene Umdeutungen erfahren, die sich – wie auch heute noch häufig in Diskussionen um Kulturförderung – zumeist in einem Spektrum bewegen zwischen dem Vorwurf der Instrumentalisierung von Künstlern zu eigenen Zwecken auf der einen Seite und der echten Passion für die Kunst bzw. dem aufrichtigen Interesse am Kunstschaffenden auf der anderen.

11 Vgl. z.B. Ellerbrock, Karl-Peter (1995): Vom Mäzenatentum zum Kultursponsoring. Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei der Förderung von Kunst und Kultur für „werbliche Zwecke“ in der modernen Kulturentwicklung. In: Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg. Hrsg. von Peter Borscheid; Hans-Jürgen Teuteberg. Stuttgart: Steiner. S. 350-371, hier: S. 150. 12 Sarasin, Philipp (1998): Stiften und Schenken in Basel im 19. und 20. Jahrhundert. Überlegungen zur Erforschung des bürgerlichen Mäzenatentums. In: Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Kocka; Manuel Frey. Berlin: Fannei & Walz. S. 192-211, hier: S. 206. 13 Vgl. Frey, Manuel (1998): Die Moral des Schenkens. Zum Bedeutungswandel des Begriffs „Mäzen“ in der Bürgerlichen Gesellschaft. In: Gaehtgens et al. 1998. S. 11-29, hier: S. 12. 14 Vgl. Kocka, Jürgen (1998): Bürger als Mäzene. Ein historisches Forschungsproblem. In: Gaehtgens et al. 1998. S. 30-38, hier: S. 35ff.

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Im 18. Jahrhundert, als mäzenatisches Handeln noch als Domäne aristokratischer Kunstliebhaber galt, war der Begriff des Mäzens positiv besetzt, doch dies änderte sich im bürgerlichen Verständnis des frühen 19. Jahrhunderts, das ohnehin von einer ambivalenten Haltung gegenüber der Aristokratie geprägt war:15 Deren Lebenswandel wurde zwar einerseits imitiert, andererseits jedoch auch despektiert. Die Anerkennung individueller Leistung und eine neue Moral der Selbständigkeit im Allgemeinen sowie die allmähliche Ausbildung eines nicht mehr nur nachfragegetriebenen Kunstmarktes im Besonderen forcierten das Bild des autonomen Künstlers.16 Durch die Abhängigkeit von einem fürstlichen, in sittenlosem Luxusleben schwelgendem Gönner würde dieser nur gefährdet,17 schließlich widersprachen bürgerliche Tugenden wie Disziplin, Fleiß und Sparsamkeit dem Bild des Fürstmäzens, der sich aus Gründen der Repräsentation oder der Zerstreuung mit Künstlern und deren Werken umgab.18 Mit der zunehmenden Bedeutung des Wirtschaftsbürgertums seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg erhielt das Mäzenat seine positive Bedeutung zurück, die es letztlich noch heute innehat. Seit den 1860er Jahren verschwinden negative Stereotype zusehends, und im Gegensatz zu den pejorativen Definitionen des frühen 19. Jahrhunderts wird der Mäzen nun als „Beschützer der Kunst und Wissenschaft“ beschrieben, der sich durch seine „edle Liebhaberei“ auszeichne.19 Industrielle Revolution und Urbanisierung brachten zahlreiche Probleme mit sich, deren mögliche Linderung durch das Engagement wohlhabender Einzel20 personen an Bedeutung gewann und auch entsprechend honoriert wurde. Als individuelles Motiv vermutet Philipp Sarasin bei den Mäzenen „[i]n einer Gesellschaft mit extrem ungleicher Einkommensverteilung [...] eine innere, psychische Notwendigkeit, Differenzen auszuhalten, indem man sie primär symbolisch und vielleicht auch real mindert“.21 Spätestens mit der Reichsgründung gewann die Idee einer Kulturnation, die zur sozialen und politischen Integration Deutschlands beitragen sollte, an Bedeutung. Insbesondere in Berlin, das zur Hauptstadt des neuen Staates wurde, war der Wille 15 Frey 1998, S. 14. 16 Vgl. zum Künstler in den Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft Ruppert, Wolfgang (1998): Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Suhrkamp; Frevert, Ute (1999): Der Künstler. In: Der Mensch des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Ute Frevert; Heinz-Gerhard Haupt. Frankfurt/Main: Campus S. 292-323. 17 Vgl. Frey 1998, S. 14f. 18 Vgl. ebd. 19 Ebd., S. 19. 20 Vgl. ebd. 21 Sarasin 1998, S. 200.

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groß, zu einer Metropole zu werden, die den anderen europäischen Regierungssitzen auch im Hinblick auf Kunst und Kultur ebenbürtig wäre,22 wobei wohlhabende Bürger mit Schenkungen an Museen u.ä. teilweise auch als Korrektiv der offiziellen, allzu konventionellen Kunstpolitik des jungen Kaiserreiches wirkten. Retrospektiv erkennbar ist überdies ein allgemeines Bestreben, „sich mit Bedeutungsträgern aus dem Bereich der Kunst zu umgeben, um den erworbenen Reichtum und die dazugehörige soziale Position gleichermaßen zu demonstrieren wie zu festigen“.23 Ein ähnliches Motiv wird im Übrigen für das überdurchschnittlich hohe Engagement jüdischer Bürger angenommen: Unvollständige Integration im Hinblick auf staatsbürgerliche Gleichstellung und politische Partizipation sollten wahrscheinlich (bewusst oder unbewusst) durch den besonderen Einsatz für das Gemeinwohl kompensiert werden.24 Die ‚Glanzzeit‘ der privaten Kunstförderung um 1900 bildet heute den Schwerpunkt der historischen Forschung zu bürgerlichen Formen des Mäzenatentums und stimuliert noch immer Diskurse um Kunst- und Kulturförderung.25 Auch in der Weimarer Republik wurde der Mäzen noch positiv bewertet, verlor aber an Präsenz. Waren die private Kunst- und Künstlerförderung, das Sammeln und das Stiften um die Jahrhundertwende stark öffentlichkeitsorientiert, lässt sich für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eine Hinwendung zum Privaten, das heißt ein eher innenorientiertes Mäzenatentum beschreiben. Der verlorene Krieg und die Wirtschaftskrise boten kein ideales Klima für verschwenderischen Kunstluxus. Das Sammeln von Kunst wurde mehr und mehr zum Bekenntnis zu bestimmten Künstlern oder künstlerischen Strömungen, mit denen sich die ‚Mäzene‘ identifizierten, und war nicht mehr zwingend an erheblichen Reichtum gekoppelt; repräsentative Beweggründe rückten in den Hintergrund.26 Anders als beispielsweise im Berlin Wilhelms II. gab es in der jungen Republik keinen so großen Gegensatz mehr zwischen ästhetischen und kunstpolitischen Vorstellungen bei Sammlern und staatlichen Vertretern.27 So kann man die Privatheit vieler Sammlungen damit begründen, 22 Vgl. Knopp, Werner (1993): Kulturpolitik, Kunstförderung und Mäzenatentum im Kaiserreich. Im Spannungsfeld zwischen Staatskonservatismus und bürgerlicher Liberalität. In: Mäzenatentum in Berlin. Bürgersinn und kulturelle Kompetenz unter sich verändernden Bedingungen. Hrsg. von Günter Braun; Waldtraut Braun. Berlin: de Gruyter. S. 1538, hier: S. 22. 23 Frey 1998, S. 20. 24 Kraus, Elisabeth (1998): Jüdisches Mäzenatentum im Kaiserreich. Befunde – Motive – Hypothesen. In: Kocka et al. 1998. S. 38-53, hier: S. 41. 25 Vgl. z.B. Vorwort der Herausgeber in Braun et al. 1993, S. 7ff. 26 Vgl. Gaehtgens, Thomas W. (1998): Der Bürger als Mäzen. Opladen: Westdeutscher Verl., S. 40. 27 Vgl. ebd., S. 41.

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dass die Öffentlichkeit sie nicht ‚benötigte‘, denn die staatliche Kunstpolitik Weimars war eine liberale, und es kam sogar zu einigen interessanten Konzepten im Sinne heutiger Public-Private-Partnership-Projekte.28 Nachdem der verhinderte Künstler Hitler an die Macht gekommen war, die Medienöffentlichkeit gleichgeschaltet wurde, und fortan der Staat entschied, welche Kunst ‚gut‘ und welche ‚entartet‘ sei, war an eine unabhängige, zeitgenössischen Strömungen gegenüber aufgeschlossene, private Kunstförderung kaum noch zu denken. Mäzenatisches Handeln war zwar prinzipiell noch immer positiv konnotiert, aber inhaltlich beschränkt auf NS-konformes Kulturschaffen. Um Kunst und Künstler verdient gemacht haben sich unterdessen zahlreiche heimliche Kunstretter, indem sie Kunstwerke oder auch die Künstler selbst in Sicherheit brachten.29 Der Mythos des Mäzens lebte seit den Nachkriegsjahren in der Bundesrepublik Deutschland als retrospektive Idealisierung eben des späten 19. Jahrhunderts fort, während er für die DDR den Status eines historischen Stichwortes einnahm, das – da bürgerlicher Herkunft – eher negativ besetzt war und v.a. keinen Bezug mehr zur Gegenwart hatte. Mäzenatentum galt als ein von Geldinteressen diktiertes, politisch-ideologischen Interessen unterworfenes Kunstfördern, das die SED überflüssig machte, indem sie die Förderung der Künste in ihrem Sinne, das heißt entsprechend sozialistisch-ideologischer Staatskunst-Kriterien betrieb und Kultur jedermann zugänglich machte.30 Auch in Westdeutschland war man zwar der Meinung, dass die Pflege von Kunst und Kultur prinzipiell eine öffentliche Angelegenheit sei, die nicht oder zumindest nicht nur Geldinteressen gehorchen dürfe, doch die freiheitliche Verfassung ermöglichte immer auch private Fördertätigkeiten neben der staatlichen Kunstpolitik. Jedoch geraten mäzenatisch handelnde Einzelpersonen etwas in den Hintergrund; immer öfter treten hingegen ‚institutionelle‘ Mäzene, nämlich zum Beispiel Stiftungen, oder eben auch Unternehmen in Erscheinung. Die historische Forschung zeigt, wie eng die jeweilige Idee von Mäzenatentum mit den konkreten Erscheinungsformen der privaten Kunstförderung und dem sozialhistorischen Kontext (politische Situation, Bevölkerungsstruktur, Vermögensverhältnisse etc.) verknüpft ist – was den Begriff unscharf und wenig verallgemeinerbar macht. Aus der Suche nach Konstanten innerhalb solch verschiedener Strukturen resultieren Versuche, Mäzenatentum (und enger: Kunstförderung) als soziale Interaktion, das heißt aus einer soziologischen bzw. anthropologischen Perspektive 28 Vgl. Frey 1998, S. 22. 29 Vgl. Dube, Wolf-Dieter (1993): Kunstpolitik, Sammler und Mäzene im 20. Jahrhundert als Ziel der Kulturpolitik? Eine kritische Analyse. In: Braun et al. 1993. S. 127-155, hier: S. 142ff. 30 Vgl. zur Kunstpolitik der DDR, die hier nicht weiter ausgeführt werden kann, z.B. Jäger, Manfred (1995): Kultur und Politik in der DDR 1945-1990, Köln: Verl. Wissenschaft und Politik C.-P. Nottbeck.

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zu analysieren. Ansätze hierzu liefern insbesondere Manuel Frey und Tillmann von Stockhausen unter der Fragestellung Potlatsch in Preußen? sowie Philipp Sarasin in seiner Untersuchung zu mäzenatischem Handeln in Basel.31 Frey und von Stockhausen gehen von der Überlegung aus, dass es sich beim Schenken um eine äußerst komplexe menschliche Interaktionsform, nämlich um einen sozialen Tausch handele, und rekurrieren dabei auf die Thesen und Erkenntnisse des Kulturanthropologen Marcel Mauss. Dieser hat im Rahmen seiner Beschäftigung mit den Gebräuchen indigener Stammesgesellschaften im nordwestlichen Amerika Schenkriten geradezu aggressiven Charakters ausgemacht, die den Geschenkgebern zur Positionierung ihrer sozialen Stellung innerhalb der Gesellschaft dienten.32 Die „öffentliche Inszenierung des Schenkens“ wie sie insbesondere das Mäzenatentum gegen Ende des 19. Jahrhunderts charakterisiert, kann vor diesem Hintergrund als „Bestandteil des statusorientierten Gebens“ verstanden werden.33 Die Frage ist dann in Bezug auf Kunst-Mäzene, mit welchem ‚Gegengeschenk‘ auf ihr Engagement sie rechnen können. Frey und von Stockhausen ziehen zur Klärung die Theorie Bourdieus von einer doppelten Ökonomie heran, derzufolge „ökonomisches in soziales Kapital, Geld in soziale Beziehungen umgesetzt“34 werden können. Im Gegenzug zu seiner monetären Leistung erhält der Kunstförderer also ein soziales ‚Geschenk‘, das heißt den Ehrentitel ‚Mäzen‘, das gute Gefühl, etwas Gutes getan zu haben oder neudeutsch die Stärkung oder Verbesserung seines Images – und dies mag mitunter viel wert sein.35 Auch Sarasin bezieht sich in seiner Argumentation auf Bourdieu, wenn er davon ausgeht, dass „in einer bürgerlichkapitalistischen Wirtschaft Geschenke eine sehr viel häufigere Form des Inzirkulationsetzens von Gütern darstellen, als es das angeblich universelle Modell des Äquivalententausches von Geld gegen Ware eigentlich zulassen würde“.36 Gründe dafür sieht er darin, dass der Austausch von Geschenken den sozialen Status von Schenker und Beschenktem kenntlich mache und gegebenenfalls deren soziale Distanz markiere. Außerdem sieht er in der Praxis des Schenkers ein Instrument des symbolischen Ringens um Einfluss, eine „Möglichkeit, soziale Deutungsmacht auszuspielen“,37 wobei die Geschenke freilich einen bestimmten Umfang bzw. eine bestimmte Wirkkraft oder Sichtbarkeit haben müssen. Dieses Motiv passt ins Bild des auf31 Frey, Manuel; Stockhausen, Tillmann von (1998): Potlatsch in Preußen? Schenkriten an der Berliner Gemäldegalerie im 19. Jahrhundert. In: Kocka et al. 1998. S. 18-37; Sarasin 1998. 32 Vgl. Frey et al. 1998, S. 21f. 33 Ebd., S. 23. 34 Ebd., S. 33. 35 Ebd., S. 34. 36 Sarasin 1998, S. 199. 37 Ebd., S. 201.

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strebenden Bürgertums, das sich als einflussreicher und wirkmächtiger Akteur auch jenseits der rein wirtschaftlichen Sphäre zu positionieren bestrebt ist. Dieser Wirkmechanismus kann auch noch für die Gegenwartsgesellschaft unterstellt werden, wenn man mit Hermsen davon ausgeht, dass „[d]ie Affinität zur Kunst“38 dabei hilft, „stratifikatorische Unterscheidungsleistungen [in der nunmehr funktional differenzierten Gesellschaft] wenigstens semantisch reaktivieren zu können“.39 Dazu bedarf es, das versteht sich, immer auch einer Öffentlichkeit, die die Kunstförderung überhaupt in diesem Sinne wahrzunehmen bereit ist.40 Versteht man Mäzenatentum als eine Mischung aus dem Wunsch zu schenken (mit allen Implikationen) und der Äußerung eines gesellschaftlichen Gestaltungswillens, dann lässt sich heutige Corporate Citizenship durchaus vergleichen mit dem Mäzenatentum insbesondere des späten 19. Jahrhunderts. Der Grad der organisatorischen Komplexität und Professionalisierung ist aufgrund der Verschiebung von der Privatperson mit ihrem Privatvermögen hin zu Unternehmen und Stiftungen, die zum Beispiel über Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit verfügen, freilich ein anderer. Eine einfache Gleichsetzung erscheint in jedem Falle zu kurz gegriffen.

V ORRANGIG MATERIELLE L EISTUNGEN C ORPORATE C ITIZEN

DES

Corporate Giving Corporate Giving umfasst zunächst all jene Aktivitäten eines Unternehmens, die ohne Rückgriff auf englische Begriffe schlicht als ‚Spenden‘ bezeichnet würden. Das können klassischerweise direkte Geldspenden des Unternehmens an NonProfit-Einrichtungen sein oder aber Sachspenden. So werden etwa ausrangierte, aber funktionsfähige technische Gerätschaften örtlichen Schulen zur Verfügung ge-

38 Hermsen 2001, S. 163. 39 Ebd. Vgl. zum besonderen Distinktionspotential der Kunst (insbesondere gegenüber ‚kunstfernem‘ Publikum) auch Ullrich, Wolfgang (2004): Mit dem Rücken zur Kunst. Die neuen Statussymbole der Macht. 4. Aufl. Berlin: Wagenbach. 40 Systemtheoretisch gesprochen: Der Mechanismus funktioniert nur dann, wenn der Akt des Schenkens beobachtet und durch den Beobachter mit Bedeutung versehen wird. Es mag aber natürlich auch Schenker geben (und das gar nicht einmal selten) die glauben, ihr Schenkungsakt würde von anderen wahrgenommen, während dies gar nicht der Fall ist. Ähnliches gilt auch für Unternehmen und ihr Sponsoring, wenn sie, wie oben beschrieben, die Wahrnehmung der relevanten Öffentlichkeit kaum oder gar nicht überprüfen.

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stellt, Lebensmittel, die in Betriebsküchen nicht mehr zur Verwendung kommen, gehen an eine sogenannte städtische Tafel41 oder eine ähnliche Einrichtung, die Nahrungsmittel für Bedürftige zur Verfügung stellt. Auch durch das Unternehmen geförderte Mitarbeiteraktionen, deren Erlös einem guten Zweck zukommt, fallen in den Bereich des Corporate Giving – gleich ob es sich dabei nun um sogenannte Sponsored Walks handelt, bei denen das Unternehmen für jeden gelaufenen Kilometer pro Teilnehmer resp. Mitarbeiter einen bestimmten Betrag entrichtet, Päckchen-Aktionen für Bedürftige in ärmeren Ländern oder das Spenden von Erlösen aus Mitarbeiterfesten, Trödelmärkten und ähnlichem. Diese Formen kommen – den Schluss zumindest lassen die Beispiele in den einschlägigen Veröffentlichungen zu – vorrangig sozialen Zwecken und Einrichtungen zugute wie beispielsweise Kinderheimen, Hospizen, Behinderteneinrichtungen, Bildungsprojekten etc. Unternehmenszuwendungen ohne Gegenleistung finden sich im Kulturbereich wohl eher bei kleineren Projekten, die bereits mit vergleichsweise niedrigen Beträgen unterstützt werden können und nicht die Möglichkeiten haben, eine breite Öffentlichkeitswirkung zu erzielen bzw. denen die Plattform dazu fehlt. Bei größeren Institutionen und Projekten kommt im Kulturbereich eher das Sponsoring zum Einsatz, das aus rechtlicher Perspektive wie oben geschildert keine Spende (da nicht nur „Giving“) ist. Je nach Selbstverständnis und Außendarstellung des Sponsors, der seine Aktivitäten häufig zum Bestandteil seiner gesellschaftlichen Verantwortung erklärt, fällt aber auch das Sponsoring ins Corporate Giving. In Anbetracht der Tatsache, dass die (Öffentlichkeits-)Wirkung von Sponsoring wie oben bereits beschrieben wenn vorhanden, dann nur sehr schwer messbar und der Wert der Gegenleistung kaum zu beziffern ist, ist eine Zuordnung des Sponsorings zum Giving nicht abwegig. Die Vergabe von Stipendien an Künstler (in Form von Geld, aber auch zum Beispiel als Bereitstellung von Arbeitsumgebungen und Atelierräumen etwa in der betriebseigenen Fabrik oder ähnliches) können ebenso zum Corporate Giving gezählt werden wie die Auslobung und Stiftung von Preisen für besondere künstlerische Leistungen. Eine weitere Form des Corporate Giving im Kulturbereich ist das Zurverfügungstellen von Kunstwerken aus unternehmenseigenen Kunstsammlungen etwa in Form einer Leihgabe oder Schenkung an ein Museum. Gleichfalls in den Bereich des Coporate Givings fallen Modelle wie das Migros Kulturprozent42 u.ä., bei denen Unternehmen sich verpflichten, einen bestimmten Anteil ihres Umsatzes für gesellschaftliche Zwecke zur Verfügung zu stellen oder aber jeden öffentlichen Cent für ein Projekt oder eine Institution mit einem weiteren Cent aufstocken.

41 Vgl. http://www.tafel.de/ (1.6.2012). 42 Vgl. http://www.kulturprozent.ch/g3.cms/s_page/50510 (4.1.2010).

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Corporate Collections und Auftragsvergabe an Künstler In das Feld der Corporate Citizenship fällt neben den bereits genannten Aktivitäten auch die Anlage unternehmenseigener Kunstsammlungen. Diese können der Spiegel des persönlichen Geschmacks eines Unternehmensleiters sein, werden in großen Unternehmen jedoch teilweise auch mit der Hilfe professioneller Berater, sogenannter ‚Art Consultants‘,43 aufgebaut und betreut. In der Regel sind dann bestimmte Leitlinien zum Kunstkauf vorhanden wie etwa eine Konzentration auf zeitgenössische Kunst, Kunst aus bestimmten Ländern o.ä. Die Deutsche Bank wird in diesem Zusammenhang häufig genannt, verfügt sie doch mit mehr als 50.000 Kunstwerken über die weltweit größte Corporate Collection.44 Je nach Fortune des Unternehmens und Laune des Kunstmarktes stellen Corporate Collections beträchtliche Vermögen dar, wenngleich viele Unternehmen auch und gerade Kunstwerke ankaufen, deren zukünftiger Wert am Kunstmarkt nicht gesichert ist. Die BMW AG kauft beispielsweise alle zwei Jahre Kunstwerke von Absolventen der Münchner Kunsthochschule an:45 Diese werden von einer Jury ausgewählt, die sich aus Unternehmensvertretern und externen Experten zusammensetzt. Anderswo dienen die Kunstwerke unternehmenseigener Sammlungen zur Gestaltung der individuellen Arbeitsplätze (‚Kunst am Arbeitsplatz‘), und mitunter dürfen nicht nur Angehörige des Managements, sondern auch weniger hochrangige Mitarbeiter aus einem Pool von Kunstwerken auswählen, welche sie gerne am Arbeitsplatz hätten. Weiter noch geht das Konzept der ‚Artothek‘, aus der sich Mitarbeiter wie aus einer Bibliothek Kunstwerke bei ihrem Arbeitgeber leihen können, um damit ihre Privaträume für

43 Vgl. zum Berufsbild des Arts Consultant Wöllert 1994, S. 398ff; Krämer, Harald (1996): Achenbach Art Consulting. Wanderer zwischen den Welten. In: Struktur und Strategie im Kunstbetrieb. Tendenzen der Professionalisierung. Hrsg. von Doris Rothauer; Harald Krämer. Wien: WUV. S. 214-221. 44 Vgl. http://www.deutsche-bank-kunst.com/collection/new/de/ (25.10.2008): „Dem Konzept ‚Kunst am Arbeitsplatz‘ folgend, entstand in der Deutschen Bank mit heute über 50.000 Kunstwerken die weltweit größte Unternehmenssammlung. Am Anfang stand die Klassische Moderne. Seit 1979 wurden dazu in regelmäßigen Ankaufssitzungen Werkgruppen von Künstlern gesammelt, deren Schaffensschwerpunkt nach 1945 lag. Die anfängliche Konzentration auf den deutschsprachigen Raum wich in den achtziger Jahren der Berücksichtigung des europäischen und später auch des internationalen Kunstgeschehens. Die Ankäufe der Gegenwart konzentrieren sich auf die aktuelle Generation und die Optimierung der Sammlung.“ 45 Vgl. Zentgraf, Christiane (1999): Kulturkommunikation als Unternehmenskommunikation. Das Beispiel BMW. In: Grosz et al. 1999. S. 211-216, S. 213.

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einen gewissen Zeitraum zu bestücken.46 Doch Kunstsammlungen können, wie an späterer Stelle noch dargestellt wird, auch eine ganz instrumentelle Funktion im Rahmen der Personalentwicklung erfüllen.47 Unternehmen fördern Künstler und Kultureinrichtungen überdies, indem sie ihnen Aufträge erteilen, wobei an dieser Stelle wie auch beim Sponsoring fraglich ist, inwieweit dieses ‚Engagement‘ tatsächlich dem Corporate Giving zuzuordnen ist, da es sich formal betrachtet um eine normale Geschäftsbeziehung handelt, wenn etwa ein bildender Künstler mit der Gestaltung eines Gebäudeteils, ein Tonkünstler mit einer Komposition zum Firmenjubiläum oder ein Musikensemble mit der musikalischen Gestaltung eines Abends beauftragt werden. Hier sind längst nicht alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit erschöpft. Je nach Auftragsumfang und -qualität haben solche Kooperationen tatsächlich kunstfördernden Charakter in dem Sinne, dass durch eine intensivere Zusammenarbeit und Vorbereitung etwas zustande kommen kann, das unter anderen Bedingungen und ohne das Unternehmen nicht zustande gekommen wäre, und das vom Unternehmen nicht ‚existentiell‘, also etwa im Sinne eines Bauteiles für ein zu produzierendes Erzeugnis benötigt wird. Eine etwas weniger typische Auftragsvergabe an eine Kulturorganisation als Kurator und Veranstaltungsmanager wird in einem der Fallbeispiele noch thematisiert.48 Unternehmenseigene Kultureinrichtungen und -programme Einige Unternehmen sammeln Kunst nicht nur und stellen sie in ihren bestehenden Räumlichkeiten aus, sondern bauen eigens Museen, in denen sie der Öffentlichkeit ihre Kollektionen zugänglich machen. Mit solchen Museen kann eine beträchtliche Öffentlichkeitswirkung erzielt werden. Das Museum Ritter in Waldenbuch bei Stuttgart zeigt abgesehen von verschiedenen Wechselausstellungen die Werke der Sammlung Marlis Hoppe-Ritter, deren Konzept „eine kleine Geschichte des Quadrats“49 ist, womit auf das Erkennungszeichen der Ritter Sport-Tafelschokolade verwiesen wird. Unter diesem Motto ist es gelungen, bedeutsame Werke zusammenzutragen – angefangen beim Schwarzen Quadrat Kasimir Malewitschs über weitere

46 Vgl. zu Unternehmenssammlungen und Artothek allgemein und mit Fallbeispielen z.B. Becker, Bettina M. (1994): Unternehmen zwischen Sponsoring und Mäzenatentum. Motive, Chancen und Grenzen unternehmerischen Kunstengagements. Frankfurt/Main;New York: Campus sowie Miksche, Uta (1996): Corporate Art Collecting. Ein amerikanisches Phänomen. In: Rothauer et al. 1996. S. 124-134. 47 Vgl. Beispiel 3 im Kap. Einsatz von (Mitteln der) Kunst zur Entwicklung von Unternehmen und Mitarbeitern. 48 Vgl. Kap. Workshop-Reihe „Führungskultur gestalten“ im dritten Teil . 49 http://www.museum-ritter.de/ (25.10.2008).

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Werke des Konstruktivismus bis hin zu solchen der Minimal Art. Das Quadrat wird hier als „Paradigma der Moderne“ inszeniert,50 was der formgleichen Schokolade nicht abträglich ist, zumal anzunehmen ist, dass der Museumsbesucher, einmal in Waldenbuch, häufig auch den Weg ins benachbarte Ritter Sport-Besucherzentrum inklusive „Schokoausstellung“, „Schokowerkstatt“ und schlussendlich auch „Schokoshop“ findet.51 Es gibt auch Unternehmen, die selbst ganze Kulturprogramme auflegen, beispielsweise mit dem Ziel, Kultur ihren Mitarbeitern oder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, bzw. im Dienste der kulturellen Bildung. Hierzu gehören etwa die Aktivitäten der Kulturabteilung der Bayer AG in Leverkusen, die von klassischer Musik über Jazz, Tanz und Theater ein vielfältiges kulturelles Angebot für die Bewohner der Stadt Leverkusen zusammenstellt,52 oder das Migros Kulturprozent,53 ein breit angelegtes Bildungs- und Kulturprogramm der schweizerischen Firma Migros,54 in das – der Name sagt es – jährlich ein Prozent des Migros-Umsatzes fließt. Das Migros Kulturprozent besteht bereits seit 1957 und geht im Kern noch auf den Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler zurück, der der „breiten Bevölkerung einen Zugang zu Kultur und Bildung sowie die Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen“ ermöglichen wollte.55 Solche Aktivitäten stehen letztlich in der Tradition des fürsorglichen Unternehmens, das seinen Mitarbeitern bestimmte Sozialleistungen wie auch Angebote zur Freizeitgestaltung unterbreitet. Anspruchsvoller im intellektuellen Ansatz ist das Art Program des SiemensKonzerns, das als „internationale[s] Förderprogramm für zeitgenössische Kunst und Kultur [...] in Kooperation mit externen Institutionen initiativ auf dem Kultursektor tätig ist“.56 Initiativ ist hier das entscheidende Wort, denn das Siemens Art Program legt selbst bzw. zusammen mit verschiedenen Partnern Projekte auf anstatt Bestehendes zu fördern. Dazu beschäftigt es ein Kuratorenteam, dessen Aufgabe es ist, „auf öffentliche Institutionen, Künstler und Wissenschaftler zu[zugehen], um gemeinsam mit ihnen Projekte zu konzipieren, zu realisieren und zu finanzieren“.57 Inhaltlicher Anspruch dabei ist es, „aktuelle Themen von gesellschaftlicher und kul50 http://www.museum-ritter.de/n459142/n.html (25.10.2008). 51 http://www.museum-ritter.de/n437378/n.html (25.10.2008). 52 http://www.kultur.bayer.de/. Vgl. auch Euler, Gudrun: 100 Jahre Tradition und Engagement (2008). Corporate Cultural Responsibility am Beispiel der Bayer AG. In: KM Das Monatsmagazin von Kulturmanagement Network, H. 24. S. 5-8. 53 http://www.kulturprozent.ch/ (26.10.2008). 54 Die Migros ist der größte Arbeitgeber der Schweiz und in verschiedenen Branchen vertreten, u.a. Einzelhandel, Touristik, Bankgewerbe und Industrie. 55 http://www.percento-culturale.ch/g3.cms/s_page/50700 (26.10.2008). 56 https://www.siemensartsprogram.de/konzept.php (25.10.2008). 57 Ebd.

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tureller Relevanz in unterschiedlichen Zusammenhängen zu diskutieren“58 – so die Selbstdarstellung des Programms.59 Das Unternehmen positioniert sich hier gewissermaßen selbst als Kulturanbieter und -gestalter, anstelle die demgegenüber eher passive Rolle des Förderers im Hintergrund einzunehmen.60 Ruth Emundts beobachtet einen steigenden Trend bei den unternehmenseigenen und selbst initiierten Kunstveranstaltungen und -angeboten.61 Angesichts des hohen infrastrukturellen und personellen Aufwands derartiger Aktivitäten ist jedoch fraglich, ob es sich hierbei um einen anhaltenden Trend handelt. Häufig treten allerdings nicht Unternehmen selbst, sondern unternehmenseigene oder anders an das Unternehmen angebundene Stiftungen als Akteure auf, die somit nicht unmittelbar aus dem Budget des jeweiligen Unternehmens gespeist sind.

58 Ebd. 59 Vgl. zum Siemens Art Program auch Wagner, Elisabeth (1996): Spiel-Räume für Kreativität? Neue Ansätze kultureller Weiterbildung für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Unternehmen und Gewerkschaften. In: Räume schaffen. Neue Ansätze kultureller Weiterbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Hrsg. von Renate Gehrke; Kurt Johannson; Elisabeth Wagner. Essen: Klartext. S. 55-87, hier: 65ff.; Delhaes, Daniel (1999): Die Kraft der Farben. Das Siemens Kulturprogramm. In: Grosz et al. 1999. S. 165-169. 60 In eine ähnliche Richtung geht die „Ideenschmiede für urbanes Leben“ BMW Guggenheim Lab, ein Kooperationsprojekt zwischen der Guggenheim Foundation und der BMW Group. Vgl. http://www.guggenheim.org/guggenheim-foundation/collaborations/bmw-gu ggenheim (30.06.2012): „The BMW Guggenheim Lab is a mobile laboratory that will travel to nine major cities worldwide over six years. Led by international, interdisciplinary teams of emerging talents in the areas of urbanism, architecture, art, design, science, technology, education, and sustainability, the BMW Guggenheim Lab will address issues of contemporary urban life through programs and public discourse. Its goal is the exploration of new ideas, experimentation, and ultimately the creation of forward-thinking solutions for urban life […] Part urban think tank, part community center and public gathering space, the BMW Guggenheim Lab is conceived to engage public discourse in cities around the world and through the BMW Guggenheim Lab website and online social communities.“ 61 Vgl. Emundts 2003, S. 109; Wiesand, Andreas J.: „Kulturstaat“ – „Kulturwirtschaft“ – „Kulturelle Öffentlichkeit“. Probleme und Anregungen aus deutschen und europäischen Kontexten. Grundlagenpapier für Seminare in Goethe-Instituten 1995-2001, S. 6.

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V ORRANGIG IMMATERIELLE L EISTUNGEN C ORPORATE C ITIZEN

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Unternehmen verfügen über verschiedenste materielle und immaterielle Ressourcen. Obwohl die materiellen Ressourcen nicht prinzipiell die wichtigeren sind, bleiben Überlegungen zu möglichen Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen häufig auf diese beschränkt. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Kooperation auf immaterieller Basis, wobei diese eine gleichzeitige Unterstützung in Form von Geld- oder Sachspenden oder spendenähnliches Sponsoring nicht ausschließen müssen. In der einschlägigen Literatur gängige Begriffe sind in diesem Zusammenhang das Corporate Volunteering, also die vom Unternehmen geförderte Freiwilligenarbeit und das Mentoring oder Secondment, das heißt die gezielte Entsendung von Mitarbeitern mit speziellem fachlichen Know-how in NonProfit-Organisationen, denen genau diese Know-how fehlt. Die Grenzen zwischen Corporate Volunteering, Mentoring und Secondment sind, wie so oft, fließend. Mentoring resp. Secondment kann als Sonderform des Corporate Volunteering verstanden werden, bei dem es um den Einsatz spezifischen Fachwissens des jeweiligen Beschäftigten geht, wohingegen es sich bei – sofern es diese überhaupt gibt – prototypischen Corporate Volunteering-Aktionen zumeist um Aktivitäten handelt, bei denen ‚jeder‘ mitmachen kann, wie die Autoren einer der ersten umfänglichen, deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Thema Corporate Volunteering differenzieren: „Beim Secondment und beim Mentoring stehen in der Regel der Transfer von Know-how von marktorientierten Unternehmen an gemeinnützige Institutionen im Vordergrund, während [beispielsweise] Aktionstage einem größeren Teil der Belegschaft die Möglichkeit eröffnen, sich zeitlich begrenzt für eine gemeinnützige Aufgabe zu engagieren.“62

Diesem Verständnis folgend werden hier zunächst Corporate Volunteering und dann Mentoring als eine spezielle und spezialisierte Form der Freiwilligenarbeit geschildert. Dem Mentoring/Secondment wird hier gegenüber vielen anderen, denkbaren Modellen ein besonderes Augenmerk gewidmet, da es dem Vorgehen in einigen der im dritten Teil geschilderten Fälle am nächsten kommt.

62 Schubert, Renate; Littmann-Wernli, Sabina et al. (2002b): Einleitung. In: Schubert et al. 2002a. S. 13-20, hier: S. 20.

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Corporate Volunteering Von Corporate Volunteering ist die Rede, wenn sich ein „Unternehmen […] mit seinen Humanressourcen für gemeinnützige Ziele ein[setzt] bzw. [...] den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gelegenheiten [bietet], sich freiwillig gemeinnützig zu engagieren“.63 Der Begriff umfasst je nach Verständnis verschiedene Modelle, bei denen die Wortkomponenten corporate und volunteering unterschiedlich stark gewichtet sind. Zu nennen sind •

• •







die materielle Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten von Arbeitnehmern etwa durch Gewährung der Nutzung von Infrastruktur und anderen Ressourcen des Unternehmens;64 die ideelle Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten von Arbeitnehmern durch besondere Würdigung und Anerkennung oder auch durch spezielle Vermittlung;65 die Freistellung von Mitarbeitern für einen bestimmten Zeitraum pro Monat oder Jahr von ihrer eigentlichen zugunsten einer gemeinnützigen oder sozialen Tätigkeit bzw. teilweise Anrechnung von ‚freiwillig‘ geleisteten Stunden als Arbeitszeit (ähnlich wie die in Deutschland üblichen Freistellungsvereinbarungen für Feuerwehr, Katastrophenschutz, Schöffentätigkeit und Mitarbeit in Personalvertretungen, Berufsverbänden und Gewerkschaften oder politische Arbeit);66 die Freistellung von Mitarbeitern für ehrenamtliche Tätigkeiten kurz vor Beginn des Ruhestands mit dem Ziel der Erleichterung des Überganges vom Erwerbsleben ins Rentnerdasein („Secondment for Transition“);67 die Organisation von Aktionstagen und ‚Events‘, anlässlich derer viele Mitarbeiter gemeinsam einer gemeinnützigen oder sozialen Tätigkeit nachkommen (häufig genannte Beispiele sind hier Aktionen wie Ausflüge mit Behinderten oder die gemeinsame Renovierung einer sozialen Einrichtung)68 sowie sogenannte Pro-bono-Projekte, bei denen Mitarbeiter gemeinsam eine Leistung aus dem Spektrum ihres normalen Tätigkeitsbereiches gegenüber einer NonProfit-Einrichtung erbringen. Einige Unternehmensberatungen zum Beispiel übernehmen pro Jahr eine gewisse Zahl an Pro-bono-Projekten. Prominente Beispiele hierfür sind die Beratung der evangelischen Kirche in Deutschland

63 Ebd. 64 Vgl. Littmann-Wernli 2002, S. 29. 65 Vgl. ebd. 66 Vgl. ebd., S. 26f. und 30f. 67 Vgl. ebd., S. 31f. 68 Vgl. ebd., S. 25 und 30f.

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und – seltener: für den Kulturbereich – die Beratung der Staatsgalerie Stuttgart durch ein Team von McKinsey & Company vor einigen Jahren.69 Je nachdem, ob die Volunteering-Tätigkeit in oder außerhalb der Arbeitszeit stattfindet und konzertiert mehrere Mitarbeiter zusammen oder nur einzelne Personen betrifft, sind der unternehmensbezogene Aspekt („coporate“) und die Freiwilligkeit („volunteering“) ausgeprägt. Von einem tatsächlichen Ehrenamt in Bezug auf den Mitarbeiter ist nur in den ersten beiden Fällen der obigen Aufzählung zu sprechen, während im dritten, vierten, fünften und sechsten Modell de facto das Unternehmen freiwillig eine Ressource, nämlich die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter zur Verfügung stellt, wobei die Tätigkeit dann mit Blick auf die Einzelperson zwar freiwillig, also nicht erzwungen sein sollte, aber nicht mehr (rein) ehrenamtlich ist (siehe Tab. 2). Eher handelt es sich dann um eine vom Unternehmen „bezahlte Leiharbeit“70 zugunsten der gemeinnützigen Einrichtung (im Gegensatz zu einer unentgeltlichen Tätigkeit des ehrenamtlichen Helfers).

+

+

Mitarbeiter-Events für einen guten Zweck

+

++

++

-

-

-

-

(6) Pro-bono-Projekte

+

(5) Gemeinsame

(4) Freistellung ‚for Transition‘

individuell

(3) Freistellung von der Arbeit zugunsten sozialer Tätigkeit

korporativ

Tätigkeit

ehrenamtlicher Tätigkeit (2) Ideelle Förderung ehrenamtlicher

(1) materielle Förderung

Tabelle 3: Ausprägung des korporativen und des individuellen VolunteeringAspekts bei verschiedenen Erscheinungsformen des Corporate Volunteerings.

69 Vgl. auch Boston Consulting Group (2004): Making a Difference: BCG and Its Pro Bono Clients. https://www.bcgperspectives.com/content/articles/public_sector_making_a_diffe rence_bgc_and_its_pro_bono_clients/ (9.1.2013). 70 Tingler, Philipp (2002): Corporate Volunteering aus gesellschaftspolitischer Sicht. In: Schubert et al. 2002a. S. 91-111, hier: S. 102.

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Klassische Einsatzbereiche im Rahmen des Corporate Volunteering und im Sinne der dritten und vierten Ausprägung sind • • • •

handwerkliche und physische Einsätze, die der „Hilfe vieler Hände“ bedürfen;71 die Arbeit mit den Klienten sozialer Einrichtungen (die hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt ist, im Kulturbereich jedoch keine Rolle spielt);72 Planung und Durchführung spezifischer Projekte/Unterstützung im Bereich des Projektmanagements73 sowie Unterstützung und Begleitung bei Führungs- und Managementthemen.74

In den USA, aber auch in einigen europäischen Ländern, namentlich den skandinavischen, den Niederlanden und Großbritannien ist das geförderte Ehrenamt (z.B. durch Freistellung, aber auch unternehmensgesteuerte Vermittlung an feste Partnerinstitutionen) bereits sehr viel üblicher als in Deutschland, wo nach Ansicht von Schubert et al. noch ein gewisser „Nachholbedarf“ sowohl hinsichtlich Umfang als auch Qualität des Corporate Volunteering besteht.75 Das spiegelt sich auch auf der Seite der Non-Profit-Einrichtungen wider, für die eine Spenden- oder SponsoringAnfrage relativ normal ist, während Bitten um immaterielle Unterstützung, zum Beispiel durch Arbeitskraft oder Expertenwissen eher selten adressiert werden.76 Insgesamt gilt, dass diese Form der Interaktion mit dem Kulturbereich noch nicht sehr ausgeprägt ist. In erster Linie geht es um soziales Engagement, also zum Beispiel Versorgung und Betreuung von Kranken, Senioren oder Behinderten und benachteiligten Kindern sowie die Mitwirkung in Bildungs- und Integrationsprojekten, Tafel-Programmen usw. Der Sektor der Kulturarbeit scheint hier noch nicht allzu weit erschlossen, obwohl er sich als Betätigungsfeld durchaus mit sozialen Zielen etwa im Sinne kultureller Bildung und ästhetischer Erziehung verbinden ließe. Vermutlich bedarf es jedoch noch einiger Zeit an Entwicklung des Corporate Volunteering im Allgemeinen, bevor weitere Felder durchdrungen werden. Der Umweltbereich etwa wäre ebenfalls zur Erschließung durch das Corporate Volunteering prädestiniert, spielt aber in den Veröffentlichungen zum Thema bislang auch eine eher untergeordnete Rolle.77

71 Vgl. Littmann-Wernli 2002, S. 25. 72 Vgl. ebd., S. 25f. 73 Vgl. ebd., S. 26f. 74 Vgl. ebd., S. 27. 75 Schubert et al. 2002b, S. 10. 76 Vgl. Littmann-Wernli 2002, S. 32. 77 Wohingegen der Umweltschutz im Kontext CSR durchaus eine große Rolle spielt. Vgl. zahlreiche Einträge zu ökologischen Themen ebd.; Visser 2008.

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Eine wesentliche Motivation für Corporate Volunteering auf Unternehmensseite ist wieder das Image-Argument, denn – so zeigt die bereits an anderer Stelle zitierte St. Galler Studie zur Unternehmensverantwortung aus Bürgersicht – 87 Prozent der Befragten begrüßen Volunteering-Fördermaßnahmen von Unternehmen als beeindruckend und nachahmenswert.78 Wichtig dabei ist jedoch eine adäquate und glaubwürdige Kommunikation. Übersteigt der Aufwand für die Kommunikation den Aufwand des Engagements selbst, so kann das Corporate Volunteering folglich kontraproduktiv wirken, nämlich sowohl das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit beschädigen als auch die Bereitschaft der Mitarbeiter zu Volunteering-Einsätzen schmälern.79 Neben dem Beitrag zum Bild als verantwortungsvoller korporativer Bürger kann Corporate Volunteering durchaus auch innerhalb des Unternehmens Wirkung entfalten, indem es die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber (indirekt über den Image-Effekt) befördern und je nach Tätigkeit auch zur Entwicklung des Mitarbeiters beitragen kann: Gelegentliche Einsätze in anderen Tätigkeitsfeldern stimulieren den Arbeitsalltag, indem sie eine gewisse Abwechslung (über den Charakter des ungewohnten Umfeldes, der Irritation und (An-)Spannung angesichts der fehlenden Übung sowie neue soziale Kontakte in wenig vertraute Milieus), schaffen und – womöglich im Gegensatz zur eigentlichen Arbeit des Angestellten – direkt und unmittelbar ein offensichtlich sinnvolles Ergebnis zeitigen. Mitunter wird dem Corporate Volunteering neben diesem Motivationseffekt auch ein Beitrag zur Innovationsfähigkeit beigemessen, die durch den sprichwörtlichen ‚Blick über den Tellerrand‘ und den Einsatz in einer anderen Organisation befördert wird.80 Auch wertvolle soziale Kontakte und Netzwerke können auf diese Weise innerhalb (zum Beispiel durch den Einsatz unternehmenseigener Teams beim Volunteering) und außerhalb des Unternehmens geknüpft werden, insbesondere wenn es gelingt, gewonnene Kontakte auch über den Volunteering-Einsatz hinaus zu pflegen.81 Dieser Faktor wird mitunter mit dem Konzept des Aufbaus sozialen Kapitals (in Anlehnung an Pierre Bourdieu) theoretisiert,82 oder einfacher als Schulung der Soft Skills der Mitarbeiter begriffen: „Den Angestellten eines Unternehmens wird er78 civis Institut für Wirtschaftsethik/Universität St. Galllen (2003): Soziale Unternehmensverantwortung aus Bürgersicht. Eine Anregung zur Diskussion. Im Auftrag der Philip Morris GmbH, S. 12. Vgl. auch Lunau, York; Wettstein, Florian (2004): Die soziale Verantwortung der Wirtschaft. Was Bürger von Unternehmen erwarten. Bern: Haupt. 79 Vgl. Littmann-Wernli 2002, S. 39. 80 Zur Berechtigung dieses Arguments mehr im Kap. Irritierende Variationen und Koevolution – sektorenübergreifende Kooperation systemtheoretisch gedacht. 81 Vgl. auch Beispiele am Ende des Kap. Irritierende Variationen und Koevolution. 82 Vgl. Tingler 2002, S. 93 und 108ff. Ausführlicher auch in dieser Arbeit: Kap. Brücken über strukturelle Löcher.

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möglicht, durch einen freiwilligen Einsatz in sozialen Institutionen zum Beispiel ihre Sozialkompetenz auszubauen, Projektmanagement zu trainieren oder individuellen Entwicklungsbedürfnissen nachzukommen.“83 Teilweise werden Tätigkeiten, die dem Corporate Volunteering zuzuordnen sind, daher ganz bewusst auch als Maßnahme im Rahmen der Team-, Managementoder allgemeinen Personalentwicklung eingesetzt. Je nach Zielgruppe eignen sich verschiedene Formen des Volunteerings dazu unterschiedlich gut. Aktionstage oder pro-bono-Projekte können etwa zur Teamentwicklung beitragen, während der Einsatz einzelner Mitarbeiter in einem für sie ungewohnten Umfeld eher der Persönlichkeitsentwicklung dient. Mentoring Mentoring kann als Tutor- oder Mentorenschaft von Unternehmensmitarbeitern verstanden werden, die ihre speziellen Kenntnisse zu gemeinnützigen Zwecken bzw. in Non-Profit-Organisationen (kurz: NPO) einbringen, denen diese Kenntnisse fehlen, etwa weil sie kein einschlägig ausgebildetes Personal haben. Die Mentorenschaft kann sich auf Einzeleinsätze beschränken oder die längerfristige Begleitung einer Organisation resp. eines Projektes bedeuten und ist in vielen thematischen Bereichen denkbar. So können Controller Unterstützung in der Kosten- oder Finanzierungsplanung einer NPO geben, Marketing-Experten Vermarktungskonzepte entwickeln helfen, Juristen rechtliche Beratung leisten, Organisationsentwickler Prozesse moderieren, Mitarbeiter des Personalwesens die Professionalisierung von Personalauswahl und -entwicklung begleiten, IT-Experten den Nutzererfordernissen entsprechende Anwendungen aufzeigen oder anpassen und Werbeexperten die professionelle Außendarstellung der NPO unterstützen. Insbesondere in größeren Einrichtungen sowohl des sozialen als auch des Kulturbereichs werden solche Funktionen meist oder zumindest häufig von entsprechend ausgebildeten Personen übernommen. Kleinere Einrichtungen hingegen leben häufig davon, dass jeder dort Engagierte das macht, was er besser kann als die anderen Beteiligten, wofür er aber nicht immer über ausreichende Expertise verfügt. Oft sind Kulturmanager, -vermittler und -organisatoren nicht für alle ihre verschiedenartigen Aufgaben professionell ausgebildet, und es fehlt ihnen teilweise an prozessualem Fachwissen, das Unternehmen ihnen vermitteln können. Denn häufig sind Kulturmanager selbst Künstler, die ihr eigenes Schaffen zugunsten der Organisation von Kultur in den Hintergrund gestellt haben. Sie verfügen dann über enormes Engagement und hohen Gestaltungswillen, jedoch nicht immer über die Ausbildung und Kenntnis in Fragen der Organisation und Steuerung. Dieser Faktor wird mitunter erhöht durch die Zusam-

83 Littmann-Wernli 2002, S. 24.

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menstellung von Mitwirkenden entlang von alltagsästhetischen Schemata84 und Milieus, nicht jedoch entsprechend den Mangelqualifikationen der Organisation.85 Beispiel 1: Kölner KulturPaten Als ein Beispiel für eine außerhalb von Unternehmen und Kultureinrichtungen, nämlich durch einen externen Vermittler organisierte Form von Mentoring, sei im Folgenden die Arbeit der Kölner KulturPaten geschildert.86 Die Kölner KulturPaten sind ein gemeinnütziger Verein, der als Vermittlungsagentur agiert, die Unternehmen und Non-Profit-Kulturbetriebe zusammenbringt. Die Kulturorganisationen melden hierzu Bedarf an einer Dienstleitung, einer Beratung oder professionellen Begleitung eines Projektes an und werden dann an Unternehmen vermittelt, die bereit und in der Lage sind, diese Leistung zu erbringen.87 Das Projekt entstand aus einer Initiative der Kölner Wirtschaftsjunioren88 und besteht nun seit mehr als zehn Jahren in Zusammenarbeit mit der Kölner Freiwilligenagentur e.V. und der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Anspruch des Vereins ist es, „engagierte Fachleute aus Unternehmen oder auch geeignete Privatpersonen mit kulturellen Einrichtungen oder selbständigen Künstlern möglichst aufgabengenau zusammen zu bringen“, weswegen ein vergleichsweise hoher Aufwand in Vorgespräche und die Betreuungsarbeit gesteckt wird. Häufig, so der Verein, 84 Im Sinne von Schulze, Gerhard (2000): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. 8. Aufl. Frankfurt/Main: Campus. 85 Vgl. Meyer, Michael; Al-Roubaie, Ali (1996): Organisation der Kunst. Wie Kulturorganisationen Redundanz sichern und Umwelt beobachten. In: Soziale Systeme 2, H. 2. S. 389-417, hier: S. 393f. Die Autoren gehen davon aus, dass „in Organisationen des ‚dritten Sektors‘ eine Relativierung und Substitution von Norm- und Zweckrationalität durch Rückgriffe auf lebensweltliche Orientierungen“. So werde „von Situationsdefinitionen und Rollendispositionen entlaste[t] und soziale Komplexität“ reduziert. Allerdings drohe bei einem „Verschwimmen der Unterschiede zwischen Rollen/Personen und Werten/Programmen […] die Gefahr einer pathologischen Redundanzsteigerung“. 86 Die Verfasserin hat selbst ein Experteninterview mit einem der Vermittler führen können. Darauf sowie auf der Selbstdarstellung der Kölner KulturPaten im Internet und einer 2007 am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg eingereichten Diplomarbeit basieren die folgenden Ausführungen zur Illustration des Mentoring-Modells. Seit 2008 gibt es auch eine Leipziger Kulturpaten-Initiative, vgl. http://www.leipzigerkulturpaten.de/ (28.12.2012). Weitere Beispiele zu Corporate Volunteering (inklusive Mentoring und Secondment) finden sich in Schubert et al 2002a, hier insbesondere Teil II: Einblicke in die Praxis (S. 115-213). 87 Vgl. http://www.koelnerkulturpaten.de (28.10.2008). 88 http://www.wjkoeln.de/ (28.10.2008).

84 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS „scheitern gute künstlerische Konzepte oft gar nicht am Finanziellen, sondern weil der ‚selbständige‘ Künstler bzw. der Kultur‚betrieb‘ nicht über ausreichende betriebswirtschaftliche oder rechtliche Kenntnisse verfügt, damit auch die praktischen Dinge laufen: Büroorganisation, Buchhaltung, Rechnungswesen, Steuerliches, Rechtliches, Marketing, Mittelbeschaffung, Werbung...“89

Durch ihre Vermittlung von ehrenamtlichen Experten, also KulturPatenschaften, die „eine zeitlich befristete ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘“ leisten, soll ein Beitrag zur dauerhaften und nachhaltigen wirtschaftlichen Existenz von Kölner Kulturorganisationen und einzelnen Künstlern erbracht werden.90 Dabei kann die Hilfe ein tatsächlicher Know-how-Transfer im Sinne einer Anleitung sein, aber auch die Übernahme eines Arbeitspaketes wie durch einen Dienstleister.91 Die Paten sind in der Regel von ihrem Arbeitgeber, zumeist kleineren oder mittleren, im Großraum Köln ansässigen Unternehmen, entsendete Mitarbeiter, die das Projekt innerhalb ihrer Arbeitszeit bearbeiten, oder aber Selbständige.92 Mehr als die Hälfte der Projekte entfällt auf den Bereich des Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit (inklusive „Grafik und Internet“). Darüber hinaus unterstützen die Kulturpaten aber auch mit Einsätzen zum Zwecke der Organisationsentwicklung93 (16 %), im Bereich Recht und Steuern (10 %) sowie bei Fragen der Büroorganisation, Buchhaltung u.ä. (7 %).94 Es ist allerdings nicht klar, ob diese Verteilung eine Bedarfsstruktur auf Seiten der Kulturorganisationen oder aber eine Angebotsstruktur auf Seiten der beteiligten Kölner Unternehmen widerspiegelt. Die qualitative Untersuchung der Aktivitäten der Kölner Kulturpaten im Rahmen einer Diplomarbeit förderte einen recht hohen allgemeinen Erfolg im Sinne von Zufriedenheit der Beteiligten und ihrer Bereitschaft zur Wiederholung zutage. Die Erwartungshaltungen sind allerdings ganz unterschiedliche. Die befragten Führungskräfte der Unternehmen sehen die Patenschaften eher als einseitige Hilfestel-

89 http://www.koelnerkulturpaten.de/ (28.10.2008). 90 http://www.koelnerkulturpaten.de/was_koennen_sie_tun.html (28.10.2008). 91 Vgl. Kühnelt, Karoline (2009): Kultur-Patenschaften – ein Modell für die Zukunft. Ansätze für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Kulturbetrieben und Wirtschaftsunternehmen am Beispiel der Kölner KulturPaten. Unveröff. Diplomarbeit im Rahmen des Aufbaustudiums Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg., S. 12. 92 Ebd., S. 3. 93 Vgl. zu Organisationsentwicklung und dem Kultursektor den Exkurs Organisationsentwicklung in Kulturorganisationen am Ende des ersten Teils. 94 Kühnelt 2009, S. 14. Weitere sieben Prozent entfallen auf die Kategorie „Sonstige“, wozu handwerkliche Tätigkeiten u.ä. gehören.

C ORPORATE C ITIZENSHIP IM K ULTURBEREICH –

DAS ‚ NEUE

M ÄZENAT ǥ | 85

lung denn als gegenseitige Bereicherung,95 und dementsprechend gering ausgeprägt waren die Erwartungen etwa im Sinne eines Effektes für die Personalentwicklung o.ä. Vielmehr ging es den beteiligten Unternehmen um die „Aussicht auf Eigenwerbung nach dem Motto ‚Tue Gutes und rede darüber‘“. An zweiter Stelle stand die Hoffnung, über die Kontakte in die Kulturszene neue Kunden akquirieren zu können.96 Erst an dritter Stelle wurden Faktoren wie Horizonterweiterung und Arbeiten in einem ungewohnten Umfeld zugunsten einer persönlichen Entwicklung der Beteiligten angebracht.97 Ein an der Befragung beteiligtes Unternehmen nutzte seine Kulturpatenschaft bewusst für die Ausbildung junger Nachwuchskräfte, die in diesem Rahmen ein Projekt eigenständig bearbeiten sollten.98 Der Verein der Kölner KulturPaten nennt als Vorteil für das Unternehmen sowohl die Möglichkeit des Imagegewinns, aber auch den hohen „Nutzen für Motivation und Bindung des Stammpersonals“.99 Der einzelne Mitarbeiter hingegen, so heißt es in der Selbstdarstellung im Internet, „erhält die Gelegenheit, sein/ihr Können auf anderen Feldern und unter anderen Bedingungen zu erproben und unter Beweis zu stellen“, was sich wiederum positiv auf die eigentliche berufliche Tätigkeit auswirke.100 Hier scheint es allerdings eine Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und Fremdwahrnehmung zu geben. Auf Seiten der Kulturbetriebe steht ganz klar der finanzielle Aspekt als Motivation im Vordergrund, also die Aussicht auf die kostenlose Inanspruchnahme von anderenfalls teuren Dienstleistungen.101 Die auch von den Vertretern der Unternehmen unterstellte Asymmetrie (die der Name Kulturpaten zwangsläufig suggeriert) zeigt sich also auch hier. Umso wichtiger scheinen denn auch klare Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zu sein, die verhindern, dass sich Kulturbetriebe in der „Bittstellerrolle“ fühlen oder dass auf beiden Seiten unterschiedliche Vorstellungen über Ausmaß und Qualität der Kooperation herrschen.102 Abschließend festgehalten werden soll trotz des offenbaren Erfolgs des Programms (Nachahmer finden sich mittlerweile in Hamburg und auch in Leipzig), dass Kühnelts Untersuchung zufolge „[d]ie Hälfte der befragten Führungskräfte […] kein ausgeprägtes Bewusstsein für den möglichen Nutzen für das Unternehmen und ihre Mitarbeiter“ hatte103 – obwohl der Verein selbst diesen ja durchaus sieht 95

Ebd., S. 27.

96

Vgl. ebd., S. 19.

97

Vgl. ebd., S. 20.

98

Vgl. ebd.

99

http://www.koelnerkulturpaten.de/was_ist_der_gewinn.html (28.12.2013).

100 Ebd. 101 Vgl. Kühnelt 2009, S. 22 102 Ebd., S. 34. 103 Ebd., S. 44.

86 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS

und auch kommuniziert.104 Im nachfolgenden Kapitel werden demgegenüber solche Kooperationsmodelle thematisiert werden, die tatsächlich der Kunst den ‚gebenden‘ Part zuschreiben, wo also in erster Linie Unternehmen vom Kulturbereich lernen oder von dessen spezifischen Leistungen profitieren.

104 Diesen Nutzen stellte auch Daniel Hoernemann, Mitinitiator und Vermittler bei den Kölner KulturPaten gegenüber der Verfasserin in einem Gespräch ausdrücklich dar. Allerdings ist sicher ein Manko der Kölner KulturPaten bislang noch keine flächendeckende Evaluation zu betreiben, in der auch dieser Aspekt untersucht und ggf. auch entsprechend fundiert kommuniziert werden könnte.

Zwischenrésumé

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es neben dem konventionellen Sponsoring eine Vielzahl an Kooperationsmodellen zwischen Kulturbereich und Unternehmen gibt, die nicht alle unbedingt neu sind, sondern durchaus historische Vorbilder haben. Ein jüngerer Trend scheint jedoch zu sein, diese Aktivitäten als Teil einer Corporate Citizenship und – übergeordnet – das Unternehmen selbst als einen verantwortungsbewussten, gestaltungswilligen korporativen Bürger zu konzipieren. Ein Grund hierfür liegt anscheinend in der zunehmend anspruchsvollen Erwartungshaltung von Öffentlichkeit(en) hinsichtlich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Deren Erfüllung wird zu einem Distinktionsmerkmal und zwar mit Blick auf den Kunden und Mitarbeiter, aber auch auf die allgemeine Reputation von Unternehmen, die sich mittelbar auch auf den langfristigen Markterfolg niederschlagen kann. Im weitesten Sinne geht es also noch immer und wie beim Sponsoring um Kommunikationsziele, um eine gelingende Positionierung. Der Abglanz, der vom Kulturengagement auf das kooperierende Unternehmen fällt, mag dabei ein stark repräsentatives Potential (oder mit Bourdieu: symbolisches Kapital) haben,1 zumeist schwingt jedoch auch die Bedürftigkeit des Kulturpartners mit, die das Unternehmen oder seine Aktivitäten in einem guten Lichte dastehen lässt: Nahezu all jene Tätigkeiten, die als Engagement des Unternehmensbürgers verstanden und kommuniziert werden, bauen auf einer Asymmetrie zwischen Unternehmen und Partnerorganisation – etwa im Sinne eines Machtverhältnisses wie es Marcel Mauss herausgearbeitet hat und wie es für historische Formen mäzenatischen Handelns beschrieben worden ist.2 Das liegt in gewisser Weise im Kern des Deutungsmodells vom engagierten Bürger, auch wenn die begleitende Rhetorik dies mitunter zu relativieren versucht, etwa indem auf die gesellschaftliche Unver-

1

Vgl. beispielsweise Ullrich 2004.

2

Mauss, Marcel (2011 [1968]): Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Vgl. auch den Exkurs Mäzenatentum historisch in dieser Arbeit.

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zichtbarkeit der Kunst und deren Förderung als „Investition“3 verwiesen wird. Dies gilt in besonderer Weise für all diejenigen Unternehmensaktivitäten, die in den Bereich des Corporate Giving fallen. Geber und Nehmer sind hier klar als solche definiert, wenngleich ein Nutzen auch für den Geber entsteht, indem er sein Geben medial verwerten bzw. zu seiner Selbstdarstellung sowohl gegenüber Außenstehenden als auch Mitarbeitern verwenden und damit seine positive Wahrnehmung bei diesen Gruppen verstärken kann. Dennoch besteht die Asymmetrie bis hin zum (Kultur-)Sponsoring,4 das doch dem rechtlichen Verständnis nach eine reguläre Geschäftsbeziehung darstellt. Auch das Corporate Volunteering impliziert einen bedürftigen Nehmer und eine großzügige Geberseite: Bei Aktionstagen, wo ‚viele Hände helfen‘ ist dies genau so der Fall wie beim Mentoring und Secondment. In beiden Fällen gibt das Unternehmen etwas an die Partnerorganisation weiter, über das diese nicht verfügt, entweder eben – quantitativ stark – Masse an Arbeitskraft oder – qualitativ hochwertig – besondere Expertise. Diese strukturelle Ungleichheit ist jedoch nicht per se negativ zu bewerten, sondern für beide Seiten letztlich historisch gewachsene Normalität und in weiten Teilen auch höchst funktional. Nicht zuletzt mit den stärker tätigkeitsbezogenen Modellen der Zusammenarbeit (Volunteering, Mentoring, Secondment) rückt jedoch zunehmend ein anderer Aspekt des (Kultur-)Engagements5 ins Blickfeld, wenn unterstellt wird, dass die jeweiligen Partner den Unternehmen resp. seinen Mitarbeitern etwas zu Verfügung stellen, etwas ‚geben‘ können, das diese nicht haben: neuartige Lernumgebungen oder einen besonders sensiblen Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen zum Beispiel. Unter dieser Prämisse sind Kooperationen ‚auf Augenhöhe‘ möglich, bei denen es weniger um die Unterstützung eines Bedürftigen durch ein Unternehmen geht, als vielmehr um fruchtbare Begegnungen über Sektorengrenzen hinweg und um den gezielten Einsatz von Mitteln aus dem Kulturbereich zur Weiterentwicklung von Unternehmen und Mitarbeitern. Solche Modelle sind Thema des nächsten Kapitels.

3

Vgl. zur Sinnhaftigkeit des Investitionsbegriffs und seiner mitunter irreführenden Instru-

4

Dies gilt ebenfalls für andere Formen des Sponsorings, bei denen der Gesponserte einen

mentalisierung Haselbach et al. 2012, S. 155. ‚guten Zweck‘ verfolgt, weniger hingegen für das Sponsoring etwa von sportlichen Großveranstaltungen oder großen Kinoproduktionen. 5

Dies gilt nicht nur für Kultur-, sondern auch für soziale Einrichtungen und Projekte. Vgl. Bsp. 6 zum SeitenWechsel am Ende des Kap. Irritierende Variationen und Koevolution im zweiten Teil.

Einsatz von (Mitteln der) Kunst zur Entwicklung von Unternehmen und Mitarbeitern

Aus der Sponsorenperspektive ist der Kulturbereich wie oben beschrieben insbesondere deswegen attraktiv, weil er einen Imagetransfer ermöglichen, also gewissermaßen der Glanz der Kunst auf den Sponsor übergehen soll. Das Unternehmen schmückt sich mit dem Objekt seines kulturellen Engagements. Je nach Präferenz und Adäquanz kann dies im Bereich der klassischen Hochkultur oder auch der Street Art sein; der Zweck ist, deren glamouröses, cooles, hochwertiges, jugendliches, konservatives, avantgardistisches oder anderweitig attraktives Image in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zumindest ein Stückweit auf das Unternehmen zu übertragen. Dies erscheint in einer „kulturalisierten“, nämlich zunehmend „symbolischen Ökonomie“ opportun.1 Aus der Sicht des Corporate Citizens hingegen ist die Kultur – interessanterweise oft neben der Lieferantin eines positiven Images auch – ein offenkundig hilfsbedürftiger Bereich, den das Unternehmen unterstützt, weil es ihn für wertvoll erachtet. Das ‚gute‘ Unternehmen bringt sich ein, weil die Kultur es sonst schwer hätte und macht sich somit als verantwortungsbewusster, korporativer Bürger einen Namen. Auch hier geht es oft genug um Wirkungen des Unternehmensauftritts, doch erscheint der Kulturbereich dann implizit, nie ausdrücklich, in einem etwas anderen Licht, nämlich nicht als glanzvoller, sondern eher als bedürftiger Konterpart. Für den Bereich der Kreativwirtschaft2 hingegen ist der Kultursektor eher ein avantgardistischer Ideengeber und liefert Impulse etwa für „Modedesign, Architektur, Druck- und Verlagswesen, Fotografie, Film und Video, für die Stärkung der Wettbewerbsposition des industriellen Sektors und der Dienstleistungswirtschaft, zum Beispiel im Industriedesign, für die Werbebranche im allgemeinen […] usw.“.3 1

Vgl. Zukin, Sharon (1996): The cultures of cities. Cambridge, Mass.: Blackwell.

2

Also z.B. Musikwirtschaft, Verlagsgewerbe, Filmwirtschaft, Architektur, Designwirtschaft etc. Vgl. Ertel, Rainer: Daten und Fakten zur Kulturwirtschaft (2006). In: Aus Politik und Zeitgeschichte 34-35. S. 17-23.

3

Funck et al. 1995, S. 108f.

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Diese inhaltliche Verbindung ist recht naheliegend – zumal die Grenzen zwischen den Sektoren teilweise fließend und die einzelnen Akteure oft in beiden zwar nicht angesiedelt, aber tätig oder im Sinne einer sozialen Mobilität unterwegs sind. Damit noch nicht geklärt ist aber die Frage, was Unternehmen, die in ganz anderen Branchen tätig sind, am Kulturbereich interessiert, was sie bei Künstlern, Kunstvermittlern und Kunst suchen. Einige neuere Veröffentlichungen deuten darauf hin, dass der Kunst aufgrund von aktuellen Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt besondere Bedeutung zugeschrieben wird – etwa hinsichtlich „der Entwicklung unternehmerischer, gestalterischer und kommunikativer Fähigkeiten“ von Menschen und der „Art und Weise, wie wir uns selbst und die Welt um uns herum wahrnehmen“.4 In diesem Argumentationszusammenhang symptomatisch ist ein Artikel im manager magazin über „neue Allianzen“ zwischen Kultur und Wirtschaft:5 Angesichts neuartiger Erfordernisse der Wirtschaft brauche es neuartige Problemlösungsansätze, die, so die euphorische Annahme eines Unternehmensberaters, die Kunst liefern könne: „Die Weltgesellschaft als Lerngesellschaft braucht Unternehmen, die zu ungewöhnlichen Leistungen fähig sind. Diese sind mit den üblichen Methoden nicht dauerhaft zu erreichen. Im künstlerischen Akt entstehen solche Leistungen, Kunstwerke. Unternehmen befähigen sich zu ähnlichen Werken, indem sie Elemente künstlerischen Schaffens in den Unternehmensprozess integrieren.“6

In verschiedenen Stellungnahmen zugunsten intensiverer Kooperation zwischen Kultur und Wirtschaft wird in ähnlicher Weise ein Zusammenhang hergestellt zwischen den noch nicht umfassend beschriebenen, aber neuartigen Herausforderungen, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen, und dem, was vor diesem als bedrohlich wahrgenommenen Hintergrund nun von der Kunst zu lernen sei.7 Festzustehen scheint, dass der Wandel von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft neue Kompetenzen oder zumindest eine andere Gewichtung von Kompetenzen erfordert. Gebraucht werden mehr denn je nicht nur gut ausgebildete, kluge, sondern auch kreative, unkonventionell denkende und sozial starke Menschen, um im globalisierten Wettbewerb gegenüber Konkurrenten oder auch gemeinsam mit den neuen Partnern aus aufstrebenden Ländern bestehen zu können und die Bedürfnisse der zunehmenden Kundenvielfalt zu bedienen, so die Argumentation. Der Wert eines Unternehmens und seine Erfolgsaussichten bestehen denn auch zunehmend weniger in seinen Produktionsmitteln und anderen physischen Gütern, son4

Blanke 2002, S. 14.

5

Hünnekens 2002.

6

Ebd.

7

Vgl. z.B. Blanke 2002, S. 18ff.

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dern vermehrt in „the human capital and intellectual property of the business, both formally and informally constituted“8 – so Colin Tweedy und John Knell, die sich als Unternehmensberater intensiver mit dem Einsatz von Kunst in Unternehmen beschäftigt haben. Nur aufgrund dieses „neuen Vermögensbegriffs“,9 der die immateriellen Ressourcen, die geistige Leistung in den Vordergrund rückt, ist Tweedy und Knell zufolge das zunehmende Interesse an Personalentwicklung und den Bedingungen von Kreativität und Innovation, Führungskompetenz und Wissensmanagement zu erklären. Sogenannten Soft Skills kommt damit eine wachsende Bedeutung zu.10 In besonderer Weise gilt dies selbstredend für Länder, die – wie Deutschland – wenige Rohstoffe und ein hohes Lohnniveau haben. Eine Vielzahl an Indikatoren legt nahe, dass es aufgrund dessen ein wenngleich vielfach noch sehr diffuses Interesse auf Seiten der Wirtschaft gegenüber dem Kulturbereich und den Kulturschaffenden gibt, schließlich sind jene letztlich auch „Wissensarbeiter“.11 So lässt sich denn auch das erstaunliche Ergebnis einer Studie Torsten Blankes erklären, der erhoben hat, inwiefern sich Unternehmen durch den Einsatz von Kunst Wettbewerbsvorteile zu schaffen meinen können, und dabei auf große Erwartungen gestoßen ist.12 Gefragt, aus welchen Gründen Kunst unter dem Aspekt der Unternehmensentwicklung, also mit Blick auf die Organisation als Ganze eingesetzt werde, geben drei Viertel der von ihm befragten Unternehmensvertreter deren positiven Einfluss auf die Veränderung der Organisation an, wobei insbesondere Aspekte wie Reflexionsvermögen, Innovationskraft sowie Identifikation und Werte aufgerufen werden. Nur ein Viertel bezieht sich klassisch auf die Außenwirkung des Unternehmens und sein Ansehen als Corporate Citizen.13 Selbst wenn man soziale Erwünschtheit und gestützte Antworten als Einflussfaktoren mit in Betracht zieht, ist die Deutlichkeit dieses Ergebnisses doch bemerkenswert.

8

Tweedy et al. 2004, S. 8.

9

Mutius (o.J.).

10 Vgl. Tweedy et al. 2004, S. 8. 11 Vgl. Drucker, Peter F. (2000): Die Kunst des Managements. Eine Sammlung der in der Harvard Business Review erschienenen Artikel. München: Econ, S. 201ff 12 Blanke 2002, S. 15. Eine Schwäche der Befragung ist, dass die Antworten gestützt waren und den Befragten somit überhaupt erst als Möglichkeit suggeriert wurden. Das Sample geht aus der Veröffentlichung nicht eindeutig hervor. 13 Ebd., S. 53.

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Tabelle 4: „Aus welchen Gründen setzen Sie Kunst unter dem Aspekt der Unternehmensentwicklung ein?“ – Ergebnisse der Unternehmensbefragung durch Blanke. 1

18 %

Das Unternehmen als Ort menschlicher Entwicklung verstehen

2

13 %

Veränderungsprozesse einleiten, begleiten, spiegeln

2

13 %

Unternehmenskultur fördern

3

12 %

Kunst und Kultur als Ideenlabor einbinden: Innovationen auslösen

4

11 %

Identifikation: Visionen, Werte und Ziele erlebbar machen

5

10 %

Gutes Betriebsklima schaffen, Mitarbeiter motivieren

6

9%

Marketing: Image und Botschaft von Produkten und Marken gestalten

7

8%

Renommee, öffentliches Ansehen steigern

8

6%

Mäzenatentum: Gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

an Binnenwirkung gekoppelte Ziele

77 %

direkt an Außenwirkung gekoppelte Ziele

23%

Eigene Darstellung auf Basis von Blanke 2002, S. 53.

Die Innovationskraft findet sich im Gewand der „Kreativität und Phantasie“ auch an Platz 1 der Antworten auf die Frage, welchen Beitrag die Einbindung von Kunst ins Unternehmen für die Personalentwicklung, also Veränderungen auf der Ebene des Individuums, leisten könne. Auffällig ist, dass die Erwartungen auch jenseits der Kreativitätsstimulation hoch sind: Gefördert werden sollen auch die Kompetenz des Mitarbeiters auf der Beziehungsebene, seine Eigeninitiative und seine Persönlichkeit im Allgemeinen (mehr als die Hälfte der Nennungen) sowie der Umgang mit Unsicherheit und Komplexität.14

14 Ebd., S. 54.

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Tabelle 5: „Aus welchen Gründen setzen Sie Kunst unter dem Aspekt der Personalentwicklung ein?“ – Ergebnisse der Unternehmensbefragung durch Blanke. 1

18 %

Kreativität und Phantasie anregen, Fragen stellen

2

14 %

Neue Fähigkeiten erschließen (u.a. Initiative, Mut, Selbstverantwortung)

2

14 %

Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit erweitern, Authentischsein

3

13 %

Mitarbeiter in ihrer persönlichen Entwicklung fördern

5

10 %

Rationale und emotionale Ebene meistern

4

11 %

Offene, unstrukturierte Situationen meistern

6

5%

Krisen/Unsicherheiten akzeptieren

7

4%

Adäquater Umgang mit komplexen Phänomenen/Systemen

Kreativität

18%

Persönlichkeitsentwicklung, soziale Fähigkeiten

51%

Umgang mit Komplexität und Unsicherheit

20%

Eigene Darstellung auf Basis von Blanke 2002, S. 54.

Nun sollten die Ergebnisse einer einzelnen Studie nicht überbewertet werden. Bezeichnend ist jedoch, dass hier ganz offenbar dem Kulturbereich bzw. der Kunst Qualitäten beigemessen werden, die zur Entwicklung eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter genutzt werden können oder einen Beitrag leisten, den das Unternehmen aus eigener Kraft nicht zu erbringen vermögen meint. Schenkt man diesen Ergebnissen Glauben, so verwundert es, dass sich diese Zuschreibungen nicht längst in einem Kaleidoskop an gängigen Kooperationspraxen niederschlagen, die mehr Interaktion ermöglichen als dies beim klassischen Sponsoring der Fall ist. Bislang eher Nischenprodukte sind nämlich die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Beispiele des bewussten Einsatzes von Kunst, künstlerischen oder der Kunst entliehenen Mitteln zum Zwecke der Unternehmens- und Personalentwicklung: Hier soll zum Beispiel über den Umweg der Kunstbetrachtung die Wahrnehmung geschult werden, im Unternehmenstheater werden Themen auf die Bühne gebracht, die sonst möglicherweise eher – um im Bild zu bleiben – backstage passieren, gemeinsame ‚künstlerische‘ Betätigungen von Mitarbeitern sollen das Verständnis füreinander und den Teamgeist stärken, oder es werden Parallelen gezogen zwischen der Führung eines Orchesters zum Wohlklang und der effektiven Steuerung eines Unternehmens. Praktiken aus dem künstlerischen Bereich werden also

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zu Werkzeugen für die Bearbeitung der Unternehmenskultur und die Entwicklung von Mitarbeitern bzw. Mitarbeitergruppen. Zwar liegen keine Zahlen vor, die diese Annahme bestätigen, doch glaubt man der Darstellung insbesondere derjenigen, die sich in diesem Feld praktisch betätigen, so ist hier ein gewisses Wachstum zu verzeichnen: Häufiger als früher suchen Unternehmen in der Kunst nach Mitteln für ihre Entwicklung15 – was durchaus zu der einleitend bereits thematisierten Annäherung von Wirtschaft und Kunst-/Kulturbereich in anderen Zusammenhängen (etwa den Creative Industries) passt. Dennoch ist der Rückgriff auf Kunst zum Zwecke der Unternehmensentwicklung bislang nicht etabliert wie Tweedy (mit Blick auf den angelsächsischen Raum) befindet: „[T]he arts have an image problem when viewed by most businesses. They are either seen as the appropriate preserve of boardroom largesse or as part of some interesting element of a company’s corporate social responsibility agenda. They are rarely seen as a source of potentially hard edged interventions to change the way a company works, thinks and performs. Where there is prior knowledge of how the arts can be used inside businesses, this is normally reserved to their narrow impact on personal effectiveness and projection – and the less-thancelebrated world of role playing and presentation skills.“16

Tweedy unterscheidet zwei verschiedene Herangehensweisen beim Einsatz von Kunst in der Unternehmensentwicklung. Einerseits können künstlerische Mittel eingesetzt werden, um – recht konkret – Techniken zu vermitteln (zum Beispiel Präsentationstechniken oder kreatives Arbeiten) oder aber – diffuser – inspirierend auf die Mitarbeiter, ihre Wahrnehmung und Motivation und in eine gesamte Organisation hineinzuwirken.17 Für diese beiden Kategorien könnte wiederum unterschieden werden zwischen der Nutzung künstlerischer Mittel und Instrumente auf der einen und der Auseinandersetzung mit Kunst(werken) oder dem Prozess des 15 Vgl. z.B. Terhalle, Johannes (1999): Kunst in Unternehmensberatung und Personalentwicklung. In: Grosz et al. 1999. S. 121-127; Wagner, Elisabeth (1999): Kunstszenarien in Unternehmen. Berlin: Reimer; Bittelmeyer, Andrea: Zwischen Malen und Zahlen (2002). Kunst in der Personalentwicklung. In: ManagerSeminare, H. 58. S. 92-99, hier: S. 95; Tweedy et al. 2004; Berthoin Antal, Ariane: Artistic Intervention Residencies And Their Intermediaries (2012). A comparative Analysis. In: Organizational Aesthetics 1, H. 1. S. 44-67. 16 Tweedy et al. 2004, S. 5. Tweedy ist Hauptgeschäftsführer von Arts & Business, einem Netzwerk, das Akteure aus Kunst und Wirtschaft zusammenbringt – sowohl um Knowhow aus der Wirtschaft in Kulturorganisationen zu bringen als auch umgekehrt Unternehmen mit speziellen Kompetenzen von Kulturakteuren zu versorgen. Vgl. http://artsand business.org.uk/01.01.2013. 17 Vgl. Tweedy et al. 2004, S. 13.

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Kunstschaffens auf der anderen Seite. Bezogen auf letzteren vertritt die Verfasserin die These, dass beim konventionellen Sponsoring eher Interesse am fertigen Produkt, dem Kunstwerk also, besteht, wohingegen dann, wenn weniger die Außen- als die Innenwirkung im Mittelpunkt steht, auch Herstellungsbedingungen und -prozesse in der Kunst sowie werksunabhängige Qualitäten des (Kunst-)Schaffens eine größere Rolle spielen. Hier scheint es Anknüpfungspunkte für unternehmensinterne Prozesse etwa des Lernens oder allgemeiner formuliert: der Veränderung und Entwicklung zu geben.

O RGANISATIONSENTWICKLUNG IM ALLGEMEINEN UND UNTER H INZUZIEHUNG KUNSTBASIERTER M ITTEL Im Folgenden geht es um Modelle und Beispiele von Kooperationen, bei denen gezielt der Kontakt zu Kunst hergestellt oder künstlerische Mittel zum Einsatz gebracht werden. Die Beispiele reichen über verschiedene Sparten und sollen so das breite Spektrum aufzeigen, das unternehmensinterne Entwicklung mit Mitteln der Kunst umfassen kann. Den konkreten Beispielen vorangestellt ist ein kurzer Überblick über Grundlagen und Praxis der Organisationsentwicklung im Allgemeinen – wohlwissend, dass eine differenzierte Darstellung der je nach Kontext und Schule verschiedenen Konzepte in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann. Vielmehr geht es darum aufzuzeigen, welchen Part künstlerische Mittel typischerweise in im weitesten Sinne organisationsentwicklerischen Prozessen übernehmen können. Die ersten zwei Beispiele zielen auf die Auseinandersetzung mit bildender Kunst zur Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit ab. Danach geht es am Beispiel des Unternehmenstheaters um das Schaffen von initialen Momenten für die Bearbeitung von organisationsinternen Themen. Bei den zwei letzten Beispielen ist Musik die Folie für die Organisationsentwicklung, indem sie als Sinnbild für gelungene Teamkoordination herangezogen wird. Der Darstellung ist, da thematisch an dieser Stelle passend, ein Exkurs angeschlossen, in dem das Verhältnis von Kulturbereich und Organisationsentwicklung umgekehrt, nämlich mit Blick auf organisationsentwicklerische Aktivitäten in Kulturorganisationen betrachtet wird, da diese auch im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen werden. Mit dem nun bereits häufiger genannten Begriff Organisationsentwicklung bzw. englisch Organisational Development wird sowohl eine Disziplin der (angewandten) Sozialwissenschaften bezeichnet,18 die Veränderungsprozesse in Organisatio-

18 In Deutschland gibt es allerdings nur relativ wenige Lehrstühle. Vgl. Wimmer, Rudolf: OE am Scheideweg (2004). Hat die Organisationsentwicklung ihre Zukunft bereits hinter sich? In: OrganisationsEntwicklung, H. 1. S. 26-39, hier: S. 34.

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nen untersucht, als auch ein von dieser Disziplin theoretisch begleitetes Feld der Anwendung, d.h. der praktische Umgang mit Wandel und Veränderungsprojekten in Organisationen durch Manager und Berater. Das Konzept der Organisationsentwicklung (kurz: OE) geht im wesentlichen auf Reformbewegungen seit den 1940er Jahren zurück, die eine bewusste Veränderung von Organisationen hin zu weniger Hierarchie, mehr Partizipation des einzelnen Organisationsmitglieds und Enttabuisierung bzw. Explizierung nicht-sachlicher Themen anstrebten. Dabei wurde ein Menschenbild zugrundegelegt, demzufolge Menschen grundsätzlich ein Bedürfnis nach individueller Weiterentwicklung und Entfaltung haben und oft einen größeren Beitrag zur Zielerreichung der Organisation leisten wollen und können als die jeweilige Organisationsform zulässt. Es gilt daher als Maxime, die Potentiale und Kompetenzen aller oder zumindest möglichst vieler Mitglieder für die Lösung ihrer Probleme und die Sicherung ihres Fortbestehens zu nutzen und einzusetzen.19 Die Wurzeln der Organisationsentwicklung sind bis heute präsent und am besten mit der Skizzierung dreier wirkmächtiger Ansätze beschrieben.20 Der „reedukative Ansatz der Organisationsentwicklung“,21 wurde in den 1940er Jahren von Kurt Lewin und seinen Kollegen am MIT entwickelt, die sich mit den Voraussetzungen für Veränderungen von Verhalten und Meinungen in Gruppen beschäftigten. In ihren Untersuchungen kam die Forschergruppe zu dem Schluss, dass die (selbstreflexive oder „sozial rückgekoppelte“) Beschäftigung mit den „eigenen Strukturen, Rollenkonstellationen und Kommunikationsmustern“ es Gruppen ermöglicht, „einen Prozess der Selbstveränderung“ auszulösen, der verfestigte Machtstrukturen verflüssigt und die Entfaltungsspielräume eines jeden Mitglieds deutlich erhöht“.22 Über die direkte Beschäftigung als Gruppe mit sich selbst kann es, so die Erkenntnis, gelingen, vorherrschende Strukturen mit einer Distanz zu betrachten, und auf dieser Basis alternative Muster zu entwickeln und auch zu erproben. Der Ansatz findet sich in der bis heute verbreiteten Methode der „Gruppendynamischen Trainingsgruppe“ wieder.23

19 Vgl. French, Wendell L; Bell, Cecil H. (1994 [1977]): Organisationsentwicklung. Sozialwissenschaftliche Strategien zur Organisationsveränderung. 4. Aufl. Bern; Stuttgart; Wien: Paul Haupt, S. 31. 20 So auch vorgenommen bei Wimmer 2004; Boos, Frank; Heitger, Barbara et al.: Systemische Beratung im Vergleich (2005). Anforderungen und Zukunft. In: OrganisationsEntwicklung, H. 1. S. 4-15; French et al. 1994. 21 Wimmer 2004, S. 32. 22 Ebd., S. 28. 23 Vgl. ebd., S. 28. Zur Methodik der Gruppendynamik vgl. z.B. Schwarz, Gerhard (Hrsg.) (1996): Gruppendynamik. Geschichte und Zukunft. 2., überarb. Aufl. Wien: WUV-Univ.Verl.; Schattenhofer, Karl; Weigand, Wolfgang (Hrsg.) (1998): Die Dynamik der Selbst-

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Der Stoßrichtung nach ähnlich ist die zweite wichtige Grundlage der OE, die „Aktionsforschung als Strategie zur gezielten Veränderung von Organisationen“,24 die angelehnt an die Idee der Feldforschung, jedoch entgegen dem klassischen Modell, dessen klare Trennung von Forscher und Gegenstand der (sozialwissenschaftlichen) Forschung aufweicht. Die untersuchten Personen und Gruppen werden damit gewissermaßen selbst zu Forschern bzw. zumindest „produzieren [sie] neue[…] Formen der Selbstbeschreibung“, die ihnen wiederum ermöglichen, das (Organisations-)Geschehen mit einer (quasi-wissenschaftlichen) Distanz zu betrachten; und es werden so „Dimensionen zugänglich [...], die im operativen Alltag vielfach aus gutem Grund ausgeklammert bleiben“.25 Sowohl die Aktionsforschung als auch der reedukative Ansatz der OE generieren Chance und Bedarf für ein Beratertum, das sich – zumindest prototypisch – von dem des (bis zum zweiten Weltkrieg dominierenden und auch heute noch verbreiteten) Expertenberaters grundlegend unterscheidet.26 Geht dieser mit dem Ansatz eines technischen Ingenieurs an die Organisation wie an eine defekte Maschine heran, dann kann er, so die Selbstkonzeption, nach einiger Analyse das Problem z.B. in den unzureichend organisierten Prozessen identifizieren, eine hierzu passende Lösung designen und damit die Organisation erfolgreich verändern. Demgegenüber sieht der OE-Berater seine Rolle nicht in der eines Expertenberaters, sondern muss davon ausgehen, dass mögliche Lösungen immer in der Gruppe selbst liegen und von ihr selbst erarbeitet werden können. Es geht also nicht mehr darum, gesetztes Wissen in die Organisation zu bringen, sondern vielmehr problembezogen akut und vor Ort einen Prozess der kollektiven Reflexion der Gruppe zu begleiten, in den möglichst viele Mitglieder eingebunden sind.27 Ebenfalls in die späten 1940er Jahre fiel der Beginn der arbeitswissenschaftlichen Forschungen am Londoner Tavistock Institute of Human Relations, die sich im Ansatz der sozio-technischen Systeme, der dritten Säule der klassischen OE, niederschlugen. Konkret untersuchten Eric L. Trist und Fred E. Emery die Wechselwirkung zwischen herrschenden Produktionstechnologien bzw. -prozessen und den Kommunikationsstrukturen im Hinblick auf die Produktivität. Leitende These war, dass „[d]ie Arbeitsorganisation […] so zu gestalten [ist], dass sie sowohl den Anforderungen der technologischen Seite als auch jenen Bestandserfordernissen,

steuerung. Beiträge zu angewandten Gruppendynamik. Opladen; Wiesbaden: Westdeutscher Verl. 24 Wimmer 2004, S. 28. 25 Ebd., S. 31. 26 Vgl. Boos et al. 2005, S. 7, 10f. 27 Vgl. ebd., S. 8ff.

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die aus den menschlichen Bedürfnissen bzw. aus dem gewachsenen Beziehungsnetz der Beschäftigten resultieren, Rechnung trägt“.28 Dies schien sich am besten in einer „gemeinsamen Optimierung von soziostruktureller, ökonomischer und technischer Rationalität“29 umsetzen zu lassen, deren organisationalen Rahmen kleinere, selbstgesteuerte und somit v.a. reaktionsfähige Einheiten bilden. Der Ansatz sozio-technischer Systeme ist nicht nur aufgrund seiner empirischen Ergebnisse für die Praxis eine wichtige Basis für die Organisationsentwicklung, sondern auch, weil er auf einem elaborierten theoretischen Modell aufbaut, das von dem biologischen Modell des „steady state“ (Ludwig von Bertalanffy) inspiriert ist: Der steady state bezeichnet die Fähigkeit eines lebenden Systems, auf Veränderungen der Umwelt beständig mit eigener Anpassung reagieren zu können, so dass es seine Identität auch bei Turbulenzen aufrecht erhalten kann, indem es sich „sich spontan auf Zustände größerer Heterogenität und Komplexität hin reorganisier[t]“.30 Glaubt man Rudolf Wimmer, Frank Boos et al. und Dirk Baecker, dann ist der klassischen Organisationsentwicklung wie sie insbesondere in den 1970er und 80er Jahren stark war, teilweise ihre Begründung abhanden gekommen, da Organisationen heute anders aufgestellt sind, und es nicht mehr vorrangig gilt, das in hierarchischen Strukturen gefangene Individuum zu befreien.31 Viele Ziele der OE sind mittlerweile zum common sense geworden; sie wird somit gewissermaßen zum Opfer ihres eigenen Erfolges. Zwar sind ein Klima des Vertrauens und gelungene Kommunikationsstrukturen (wie sie die OE expliziert) noch immer wichtige Themen sowohl in hierarchischen als auch in netzwerkartigen Strukturen, allerdings sind mit einer erhöhten Veränderungsdynamik als Folge von zunehmender, globaler Integration der Märkte und der mitunter sprunghaften Entwicklung neuer Technologien ganz andere Herausforderungen hinzugekommen, die sich u.a. in der Anforderung zeigen, organisationale „Grundstrukturen bei Bedarf immer wieder erfolgreich zu erneuern“.32 „Die Arbeit an der eigenen Identität“, so beschreiben es Boos et al., „wird somit auf Dauer gestellt, sowohl für die Mitarbeiter einer Organisation wie auch für die Organisation selbst“.33 Dies bedeutet wiederum, dass alle „Beschäftigten auf allen Ebenen ihr Wissen, ihr eigenständiges Beobachtungs- und Entschei28 Wimmer 2004, S. 32. 29 Herbst, P. G.: Die Entwicklung sozio-technischer Forschung (1975). In: Gruppendynamik, H. 6. S. S. 22-29, S. 27 (zitiert nach Wimmer 2004). 30 Trist, Eric L. (1975): Sozio-technische Systeme. In: Änderungen des Sozialverhaltens. Hrsg. von W. G. Bennis; Kenneth D. Benne; Robert Chin. Stuttgart: Klett. S. 201-218, S. 203 (zitiert nach Wimmer 2004). 31 Vgl. Boos et al. 2005, S. 8; Wimmer 2004, S. 27 und S. 38. 32 Ebd., S. 37. 33 Boos et al. 2005, S. 7.

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dungsvermögen von sich aus in die Routinen des Arbeitsgeschehens miteinbringen [können müssen], um unerwartete Ereignisse sofort und ohne grossen Aufwand managebar zu machen“.34 So scheint das aktuelle Erfordernis weniger die Organisationsentwicklung in ihrem traditionellen Sinne, d.h. auch: als langfristig konzipierte und gesteuerte Veränderungsprozesse, zu sein, als vielmehr die Befähigung von Organisationen zu einer kontinuierlich auf die Erfordernisse der Umwelt reagierenden Selbstveränderung erfolgsversprechend.35 Dabei wird es weiterhin ein notwendiges Element sein, mit dazu geeigneten Maßnahmen Situationen und Anlässe zu schaffen, in denen Organisationsmitglieder einen „reflektierenden Zugang zu den Zuständen der eigenen Organisation sowie zu den verhaltensprägenden Auswirkungen derselben erhalten“,36 und es ihnen gelingt, „sich von bestehenden Bildern über sich und andere, über mögliche Zukünfte und über Zugehörigkeiten zu lösen und neue zu entwickeln“.37 Solche Maßnahmen – oder auch: Interventionen – können auf verschiedenen Ebenen ansetzen, nämlich beim Individuum (dann eher im Sinne der Personalentwicklung oder auch des Coachings etwa von Führungskräften), bei Teams oder bei einer Organisation als ganzer – je nach dem auch, wo besondere Herausforderungen gesehen werden, zum Beispiel in der Führungsleistung, im Zusammenwachsen eines Teams unter neuen organisationalen Bedingungen usw. Die einzelnen Aktionen greifen jedoch sinnvollerweise ineinander, d.h. sie fügen sich in ein implizit oder explizit vorhandenes Gesamtkonzept. Als hilfreich gilt, wenn verschiedene Zugangskanäle bereit gestellt werden, also wenn etwa erfahrungsorientierte Elemente und eher kognitiv zugängliches Material genutzt werden.38 Letztlich geht es darum, der Organisation bzw. ihren Mitgliedern Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen sie zu einer Selbstbeschreibung und Identitätsklärung in der Lage sind, die sie dann wiederum auf ihre mögliche Zukunftsfähigkeit prüfen können. Hier kommt nun der Rückgriff auf künstlerische Erzeugnisse oder Arbeitsmethoden bzw. der Kunst entliehene Mittel ins Spiel, nämlich als Stimulus einer entsprechenden Reflexion und als Mittel der Versinn(bild)lichung von Themen. Künstlerische Produkte oder Arbeitsweisen dienen dann als ungewöhnliche und somit gut zu erinnernde Impulsgeber, die den thematischen Zugang wie oben beschrieben nicht nur über einen kognitiven Kanal ermöglichen und einen Zustand oder ein Thema erst einmal – im klassischen organisationsentwicklerischen Sinne – bewusst 34 Wimmer 2004, S. 37. 35 Wie sie im Kap. Irritierende Variationen und Koevolution im zweiten Teil noch detaillierter diskutiert wird. Vgl. Boos et al. 2005, S. 9ff.; Wimmer 2004, S. 36ff. 36 Ebd., S. 29. 37 Boos et al. 2005, S. 6. 38 Vgl. French et al. 1994, S. 128.

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machen oder ‚aufbrechen‘. Außerdem kann der Einsatz künstlerischer Mittel bzw. die Auseinandersetzung mit Kunst hilfreich sein, wenn es darum geht, eine andere Perspektive auf Themen der Organisation und somit Aspekte in den Blick zu bekommen, die zuvor aus einer Organisationsroutine heraus vernachlässigt bzw. nicht gesehen39 wurden. Kunst kann neben gezielten, punktuellen Einsätzen auch kontinuierlich in das Organisationsleben und somit in deren Weiterentwicklung eingebunden werden. Es geht dann weniger um besonders gut zu erinnernde, einmalige Events, die auf bestimmte Themen abzielen, sondern gewissermaßen um die kontinuierliche Schaffung einer Reibungsfläche, die in unterschiedlicher Weise kollektiv und individuell genutzt werden kann. Darüber wird versucht, den Grad der Selbstreflexion von Organisationsmitgliedern prinzipiell hoch zu halten und deren Austausch darüber zu befördern, so dass eine lernende Organisation40 entstehen kann. Anscheinend werden kunstbasierte Mittel bislang allerdings häufiger für einmalige Aktionen genutzt, was Tweedy und Knell insbesondere darin begründet sehen, dass v.a. in großen Unternehmen weit entwickelte Methodenkoffer und unternehmenseigene Beratungstraditionen vorhanden sind, die institutionalisierten Prozesszyklen gehorchen und daher eher an der ein oder anderen Stelle ergänzt, jedoch selten komplett erneuert werden.41 Der Mangel an Evaluationen mag ein zusätzliches Hemmnis sein, wenngleich es zahlreiche positive Erfahrungen gibt.42 Kurz: Es bedarf schon einer großen Aufgeschlossenheit und eines entschiedenen Wollens, um eine zunächst unkonventionelle Methode zum Einsatz zu bringen. 43

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Beim Gang durch Museen scheint es vielfach so, als ginge es um das Wiedererkennen des schon Bekannten: hier die Warholschen Suppendosen, da die unscharfen Seerosen von Monet, und bei der Lasziven mit dem goldenen Schimmer müsste es

39 Zum nicht-Sehen als Bedingung des Sehens mehr im Kap. Besonderes Irritationspotential der Kunst? im zweiten Teil dieses Buches. 40 Vgl. Senge, Peter (1996): Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. 10. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta. 41 Vgl. Tweedy et al. 2004, S. 28f. 42 Vgl. Berthoin Antal 2012; Springborg, Claus: Perceptual Refinement (2012). Arts-Based Methods in Managerial Education. In: Organizational Aesthetics 1, H. 1. S. 116-137 und die in beiden Artikeln zitierte Literatur. 43 Vgl. Blanke 2002, S. 50: „Warum sich Führungskräfte mit Kunst und künstlerisch-kreativen Dienstleistungen schwer tun“.

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sich um einen Klimt handeln. Dieses Verfahren ist ein effektives Mittel der schnellen, auf Vorwissen basierenden Orientierung – Zeichen deuten, wiedererkennen, Bezeichnetes kategorisieren und verbuchen –, birgt jedoch auch die (im Museum freilich eher harmlose) Gefahr, Hinweise zu übersehen, vorschnelle Schlüsse zu ziehen und so zu kontraproduktiven Interpretationen der Wahrnehmung zu kommen. Mit einer erhöhten Sensibilität, einer differenzierteren Wahrnehmung, können solche Fehler teilweise vermieden werden, und Kunstwerke können geeignete Anschauungsobjekte zur Schulung des genauen Hinsehens sein, da sie oft mehrdeutig sind oder auf verschiedenen Ebenen erfasst werden können: „Kunst lässt die Menschen, Künstler wie Betrachter, ‚mehr wahrnehmen‘“44 und sie öffnet, so erklärt beispielsweise Birger Priddat, „Aspektenmannigfaltigkeiten, neue Dimensionen, andere Sichtweisen. Kunst betreibt horizoning. Wenn also gilt, dass man diese anderen Sichtweisen, Horizonte, Dimensionen etc. gewöhnlich nicht wahrnimmt, dann zeigt Kunst, über das hinaus, was sie offensichtlich zeigt, was wir gewöhnlich nicht-wahrnehmen.“45

Durchaus auch im Sinne der kulturellen Bildung geht es darum, mittels ästhetischer Erfahrung, also über „Sinn und Sinnlichkeit, […] Wahrnehmungs- und Kritikfähigkeit“46 zu lernen und „auf die differenzierten Qualitäten zu achten“.47 Dass eine solche, differenzierte Wahrnehmung überhaupt gelernt werden kann, zeigen als ganz einfaches Beispiel gute Führungen durch Kunstausstellungen: Oft werden dem Besucher Dinge gezeigt, die er ohne den Hinweis zunächst nicht entdeckt, nämlich schlicht übersehen hätte. Nach dieser Anleitung gelingt es jedoch beim zweiten, dritten oder vierten Werk auch ohne den Hinweis des Experten, verschiedene Deutungsebenen, bemerkenswerte Details und ähnliches zu identifizieren. Oder der Betrachter stellt sogar fest – und das wäre dann bereits die weitere Reflexionsebene –, dass er bei der Bildbetrachtung bestimmten Mustern folgt, die ihn daran hindern, diese Details wahrzunehmen, und dass er also gezwungen ist, seinen Blick zu verändern, um mehr zu sehen. Ähnliches gilt beispielsweise für einen Photographiekurs, wenn es neben der Kenntnis technischer Fertigkeiten auch um bewussteres, 44 Priddat, Birger P. (20.10.2005): Kunst als Ressource der Wirtschaft. Vortrag beim „Tag der Kunsterziehung“ an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. 45 Ebd. 46 Scheytt, Oliver: Künste und kulturelle Bildung als Kraftfelder der Kulturpolitik (2003). In: Aus Politik und Zeitgeschichte B12. S. 6-14, hier: S. 10. Kritikfähigkeit hier verstanden nicht als Fähigkeit, Kritik anzunehmen, sondern sie auf der Basis einer selbst gebildeten Meinung zu üben. 47 Künstlerin und Unternehmensberaterin Mariott Stollsteiner zitiert nach Bittelmeyer 2002, S. 95.

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detail- und kontextbezogenes Wahrnehmen geht. So ist, wieder mit Priddat, „Kunst für die Wirtschaft dann von höchster Bedeutsamkeit, wenn sie Muster/Modelle liefert für das Auf- und zuvor Wahrnehmen von Neuem: durch Überraschung, Aufmerksamkeiten differenziertester Art etc.“.48 Vor dem Hintergrund der Dominanz von (v.a. aus Gründen der Effizienz und des Corporate Designs) auf Standardisierung, Eindeutigkeit und rasche Erfassbarkeit ausgerichteten Kommunikationsmedien kann eine wirklich differenzierte und offenere Wahrnehmung tatsächlich zum Lernfeld werden. Prototypisch zu nennen sind an dieser Stelle die PowerPoint-Präsentationen, in denen komplexe Zusammenhänge und Prozesse auf wenige, möglichst eineindeutige Begriffe, Zeichen oder Symbole reduziert werden (müssen). Diese sind genau deswegen und aufgrund der Visualisierungs- und Verlinkungsmöglichkeiten ungemein hilfreich, jedoch können sie die Bearbeitung und Wahrnehmung eines Themas auch verengen und determinieren.49 Das Kunstwerk hingegen ist häufig ganz bewusst „auf Mehrschichtigkeit, Komplexität und Offenheit angelegt“,50 und kann dadurch mitunter verschiedene Dimensionen auf einmal umfassen und aufzeigen bzw. Wahrnehmung zumindest anders determinieren; es erfolgt eine „Entautomatisierung der Wahrnehmung“.51 Bei den beiden im Folgenden geschilderten Beispielen geht es im ersten Fall um eine allgemeine Schärfung der Wahrnehmung dessen was ‚da ist‘, während es im zweiten Fall stärker und in einem konstruktivistischen Sinne um die Reflexion der eigenen Wahrnehmung geht, also die Frage, wie etwas wahrgenommen wird oder (im Austausch mit anderen) die Feststellung, dass etwas unterschiedlich wahrgenommen werden kann.

48 Priddat 2005. 49 Es werden mittlerweile ganze Konferenzen zu der Thematik veranstaltet wie etwa im Juli 2006 in Berlin unter dem Titel „PowerPoint-Performanz als neue Form der Kommunikation von Wissen“ (vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=1307&view =pdf&pn=tagungsberichte (1.11.2008). Dahinter steht teilweise eine kritische Haltung gegenüber einer vermeintlichen „Ökonomisierung von Wissensbeständen“, die für die Wissensgesellschaft paradigmatisch sei. Vgl. Pötzsch, Frederik S; Schnettler, Bernt (2006): Bürokraten des Wissens? „Denkstile“ computergestützter visueller Präsentationen. In: Nomaden, Flaneure, Vagabunden. Wissensformen und Denkstile der Gegenwart. Hrsg. von Winfried Gebhardt; Ronald Hitzler. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. S. 186-204. 50 Bockemühl, Michael; Scheffold, Thomas K. (2007): Das Wie am Was. Beratung und Kunst. Das Kunstkonzept von Droege & Comp. Frankfurt/Main: F.A.Z.-Inst. für Management-, Markt- und Medieninformationen, S. 57. 51 Gößl, Sybille (1998): Kreativität und Kunst im Unternehmen. In: Renker 1998. S. 398414, hier: S. 408.

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Beispiel 2: Kunstkurse der Frick Collection, New York Die Frick Collection, ein privates Museum in New York, beherbergt Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen, aber auch Porzellan, Uhren und andere kunsthandwerkliche Erzeugnisse insbesondere des 18. und 19. Jahrhunderts. Im Rahmen ihres The Art of Observation-Programms bietet die Frick Collection ‚Wahrnehmungskurse‘ für verschiedene Berufsgruppen an. Einer der institutionellen Kunden ist die ebenfalls in New York ansässige Mount Sinai Medical School. Angehende Ärzte sollen lernen, ihre Patienten genau und aufmerksam zu beobachten, auch kleinste Signale zu erkennen und in die Diagnose mit einzubeziehen, anstatt sich etwa zu sehr auf Laborwerte zu verlassen oder aus der isolierten Betrachtung einzelner, besonders augenfälliger Merkmale falsche Schlüsse zu ziehen.52 Eingesetzt werden hier in erster Linie figurative Werke, so dass die Studenten beispielsweise Körperhaltungen, Mimik, Gestik und weitere äußere Merkmale der abgebildeten Personen diskutieren und daraus dann ggf. Schlüsse ziehen können. Eine der beteiligten Kunsterzieherinnen erläutert: „Die Bilder zeigen komplexe, symbolisch hoch aufgeladene und hintergründige Szenen. Sie sind wie eingefroren und erzählen doch lange Geschichten“53 – wie eben auch hinter Patienten und ihren spezifischen Leiden oft lange Geschichten stehen, die es in den mitunter recht kurzen Begegnungen zwischen Arzt und Patient zu ‚lesen‘ gilt. Das Programm der Frick Collection ist recht erfolgreich und keinesfalls nur der Spleen eines kunstverliebten Medizinprofessors: Mit der Yale University besteht ebenfalls eine Kooperation, und die Kurse werden bereits seit mehreren Jahren auch von verschiedenen New Yorker Polizeiund Sicherheitsbehörden eingesetzt, um die Beobachtungsgabe ihrer Mitarbeiter zu verbessern.54 Das Museum nutzt das Programm wiederum als Bestandteil seiner professionell aufgestellten Eigenfinanzierung, wie sie für die USA nicht ungewöhnlich ist. 52 Vgl. Traufetter, Gerald (12.6.2006): Die Kunst des Sehens. Vor lauter Technik verlieren Ärzte oft den Menschen aus dem Blick. Deshalb schulen nun New Yorker Medizinstudenten im Museum ihre Beobachtungsgabe. In: Der Spiegel. S. 129. 53 Ebd. 54 Vgl. zum The Art of Observation-Programm der Frick Stiftung deren Tätigkeitsbericht unter http://www.shopfrick.org/assets/PDF/08-01-07_Magazine.pdf (3.9.2008) sowie den Artikel Herman, Amy E.: The Art of Observation (2007). How the Long Arm of the Law is Reaching the Frick Collection. In: Museum News, H. 3. Zur Zusammenarbeit der Frick Collection mit der Yale Univ. vgl. N.N. (2006): Yale innovation in the art of observation extends its reach. In: Medicine@Yale, H. 2. Ein weiteres Beispiel zum Thema Kunst als Wahrnehmungsschule findet sich bei Götz, Andreas (1998): Kompetenz für den Wandel. Künstlerische Gestaltungsprozesse in der Unternehmensentwicklung. In: Renker 1998. S. 114-126, hier: S. 122ff.

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Beispiel 3: Kunst und Unternehmensberatung Stärker als um die Frage, was genau alles in einem Kunstwerk zu erkennen ist, geht es beim Kunstkonzept der Unternehmensberatung Droege & Comp. (Düsseldorf) darum, herauszufinden oder dafür zu sensibilisieren, wie wahrgenommen wird – die Beobachtung zweiter Ordnung also.55 Dementsprechend „Das Wie am Was“ benannt ist auch eine Monographie von Michael Bockemühl und Thomas K. Scheffold, in der die Arbeit unter Rückgriff auf Kunst und gemeinsam mit Künstlern ausführlich geschildert und mit einem managementtheoretischen Überbau versehen wird.56 Das Kunstkonzept der Droege & Comp. steht in engem Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt Wirtschaftskultur durch Kunst an der Universität Witten-Herdecke.57 „Wirtschaftskultur“ wird hier „verstanden als Prozess, den es für das Management gilt, bewusst und integrativ zu gestalten. Dem Management müssen dabei Führungsfähigkeiten an die Hand gegeben werden, um die zunehmend komplexen wirtschaftlichen Verflechtungen und die Akzeleration von Innovati55 Vgl. zur Beobachtung zweiter Ordnung auch das Kap. Kunst systemtheoretisch im zweiten Teil dieses Buches. 56 Bockemühl et al. 2007: „Die generelle Orientierung auf das Was ist geradezu das Kennzeichen des gegenwärtigen Bewusstseins. Eine generelle Was-Orientierung bestimmt heute unser gesamtes Lern- und Erkenntnisverhalten. Sie wirkt hinein in nahezu alle Lebens- und Wissensbereiche. Sie ist die nahezu ausschließliche Grundlage des Wirtschaftsdenkens. Sie gilt ausnahmslos in der traditionellen Beratung [wie sie oben beschrieben wurde, njh]. Sie macht auch vor der Kunst nicht Halt. Deswegen sind die spezifischen Wirkungsweisen der Kunst im Allgemeinen so schwer zu beschreiben und so wenig bekannt.“ (S. 153); „Die eigentliche Kunst des Künstlers liegt im Wie seines Handelns. Wo sich Kunst entwickelt, ist sie deshalb stets verbunden mit einer Erhöhung des Könnens, mit der Entwicklung der Fähigkeiten. Schon immer wurde Kunst mit Kreativität, Spontaneität, Phantasie sowie mit Genialität in Verbindung gebracht. Vor allem wenn es sich darum handeln soll, Fähigkeiten bewusst zu entwickeln, kommt die positive ‚Erschließungskraft‘ der Kunst im Wie des Könnens in Betracht: Wie ist das Kunstwerk gestaltet? Wie wirkt es im Wahrnehmen? Wie wird der Zusammenhang der Elemente eines Kunstwerks evident? Wie wird das, was sie zeigt, sichtbar? Im Wie – und nur im Wie – liegt die Qualität und die Entwicklungskraft der Kunst.“ (S. 155). 57 Es wurde dort von dem 2009 verstorbenen Kulturwissenschaftler Bockemühl, seinerzeit Inhaber des Lehrstuhls für Kunstwissenschaft, Ästhetik und Kunstvermittlung, betreut. Vgl. van den Berg, Karen (2010): Wirtschaftskultur durch Kunst – oder die Ästhetik als Universalie für Erkennen und Handeln. Nachruf auf Michael Bockemühl. In: Theorien für den Kultursektor. Jahrbuch für Kulturmanagement 2010. Hrsg. von Sigrid BekmeierFeuerhahn; Karen van den Berg u.a. Bielefeld: Transcript. S. 291-300.

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ons- und Wandlungsprozessen mit Bewusstsein durchdringen und ihr unternehmerisches Handeln diesbezüglich ausgestalten zu können. Wahrnehmungsgeleitetes Management ist eben eine solche Fähigkeit, die ‚den anderen, den vielfältigen Blick auf etwas trainiert‘ und auf diese Weise zu innovativem Handeln befähigt.“58

Das propagierte „wahrnehmungsgeleitete Management“ will insbesondere geprägt sein durch ganzheitliches, das heißt kontext- und prozessorientiertes, vernetztes Denken, das also nicht nur Einzelphänomene sieht und bearbeitet, sondern auf einer breiteren Basis und der Komplexität der Anforderungen entsprechend agieren und somit auch seiner Verantwortung besser gerecht werden kann.59 Häufig könne von einem in dieser Art verantwortlichen, also mit Blick auf das Ganze in Bezug auf das Konkrete handelnden Management nicht die Rede sein; nur selten sei die Qualität einer inneren Übereinstimmung des Ganzen mit der einzelnen Aktivität erkennbar. Das werfe unabdingbar die Frage nach effizienten Möglichkeiten zum Erlernen einer ganzheitlichen Sichtweise auf.60 Durch „reflektierte Übung an der Kunst“, die sowohl die „Praxis des Anschauens“ als auch die „Reflexion des Anschauens“ umfasst,61 können diese Fähigkeiten in besonderer Weise entwickelt werden,62 so die Grundannahme der Beteiligten und allen voran Bockemühls, auf der das Kunstkonzept basiert. Die Droege & Comp. verfügt über eine große eigene Kunstsammlung, und viele Kunstwerke sind in den Räumlichkeiten des Unternehmens ausgestellt. Die Kunstwerke dienen dabei der „Leitvorstellung, das hohe Niveau und die Stringenz künstlerischer Spitzenleistungen als einen Richtwert für die Qualität der eigenen Arbeit gelten zu lassen“63 (also in gewisser Weise der Mitarbeitermotivation) und schaffen darüber hinaus vermutlich auch ein prestigeträchtiges Ambiente – wenngleich dies nach Unternehmensaussage nur ein zweitrangiger Effekt ist. Die Sammlung dient als Instrument im Rahmen des Kunstkonzepts, denn die einzelnen Werke werden in verschiedenen Zusammenhängen, sowohl zur Fortbildung der eigenen Mitarbeiter

58 Trossen, Nadine (2003): Ein Bericht über das Forschungsprojekt „Wirtschaftskultur durch Kunst“. In: John et al. 2003. S. 179-194, hier: S. 179. 59 Vgl. ebd. 60 Und schafft, durchaus im Sinne der Droege & Comp., Beratungsbedarf. 61 Bockemühl, Michael (2003b): Passagen aus dem Vortrag zum Eröffnungsevent des Forschungsprojekts „Wirtschaftskultur durch Kunst“. In: John et al. 2003. S. 182-184, hier: S. 183f. Bockemühl führt als Einheit der Praxis und deren Reflexion den Terminus der „anschauenden Ästhetik“ ein. 62 Ebd., S. 183f. 63 Bockemühl et al. 2007, S. 38.

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als auch im Rahmen der Beratung des Kunden und mit dem Kunden64 und auch zu Kommunikationszwecken eingesetzt. Das sogenannte Academy-Programm ist Teil der institutionalisierten Personalentwicklung. Neue Mitarbeiter werden gleich zu Beginn ihrer Laufbahn bei Droege & Comp. mittels eines Basis-Trainings Kunst mit dem Kunstkonzept vertraut gemacht.65 Für Berater, die schon länger dabei sind, sieht die ‚Akademie‘ ein Modul namens ,QWHUUXSWLRQV vor, mit dem die Arbeitsroutine ganz bewusst und durch die Beschäftigung mit Kunst unterbrochen werden soll,66 schließlich könne „[i]nnovative Entwicklung [...] nicht von unseren Gewohnheiten bestimmt sein“.67 Ein relativ elaboriertes Konzept sieht vor, die eigene Beratungsarbeit an der Kunst zu spiegeln, sie mit ihr in ein Verhältnis zu setzen. In eine ähnliche Richtung geht das Programm Think Tank Museum, in dessen Rahmen Mitarbeiter im Museum in Auseinandersetzung mit ausgewählten Kunstwerken Themen ihrer Arbeit diskutieren. Es wird jedoch nicht nur mit ‚fertigen‘ Kunstwerken gearbeitet. Ein Artist in Residence-Programm erlaubt darüber hinaus den direkten Austausch mit Künstlern und die Beobachtung des Entstehungsprozesses, etwa bei der Gestaltung von Fluren, Treppenaufgängen und anderer Räume durch einzelne Künstler, die in regelmäßigem Turnus stattfindet.68 Reproduktionen von Kunstwerken in Publikationen des Unternehmens dienen der Veranschaulichung von Themen, sie werden anstelle des sonst üblichen (und doch vielfach austauschbaren) Bildmaterials verwendet.69 Im direkten Kontakt mit dem Kunden kommt die Kunst der eigenen Sammlung ebenfalls zum Einsatz: „Zur Flankierung einzelner Projektphasen eignen sich die Beobachtungen und Reflexionen an Werken der Kunst – beim Kick-off, nach der Transparenz- bzw. Konzeptionsphase, beim Erreichen wesentlicher Meilensteine, an zentralen Wendepunkten und bei der Abschlusspräsentation.“70 Hier werden also Gemengelagen oder Probleme des Kunden unkonventionell illustriert und damit ein Beitrag geleistet, sie bearbeiten zu können. Weiter erklärt Bockemühl aber, dass die Anschauung der Kunst auch dem Kunden einen Perspektivenzugewinn ermögliche: „Der gezielte Umgang mit Kunst bietet dem Kunden eine zusätzliche Möglichkeit, von anderer Warte aus auf die zu bewältigenden Pro-

64 Vgl. ebd., S. 73. 65 Ebd., S. 108ff. 66 Ebd., S. 110f. 67 Ebd., S. 100. 68 Ebd., S. 48ff. 69 Ebd., S. 57f. 70 Ebd. S. 72

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bleme zu blicken oder eine erweiterte Übersicht über das noch zu Leistende oder das bereits Geleistete gewinnen zu können.“71 Kunstwerke der Moderne scheinen für diese Art Arbeit ‚an der Kunst‘ besonders geeignet, da hier häufig die „Regeln der Kunst“ selbst zum Thema gemacht werden,72 also anhand der Kunst gezeigt werden kann, wie die Reflexion der eigenen Arbeit bzw. der Vorgänger zum Thema wird. Hier handelt es sich dann um eine Beobachtung dritter Ordnung, denn der Kunstbetrachter beobachtet das Ergebnis der Beobachtung der eigenen Beobachtung des Künstlers. Dies kann, und das ist im Droege-Kunstkonzept durchaus auch gewollt, weiter diskutiert werden mit Blick auf die Selbstreflexion des Kunstbetrachters. Diese reflexive Sichtweise soll, und das ist bezogen auf den Beruf des Unternehmensberaters nicht abwegig, dabei helfen, „die Wirklichkeit des Kunden zu erfassen“,73 wobei eben der „erste Schritt zu einer vernünftigen Einschätzung, die einem zumindest erlaubt, wirtschaftlich sinnvoll zu handeln, […] darin [liegt] anzuerkennen, dass es nie nur eine richtige Sehweise oder Abbildung der Wirklichkeit geben kann“.74 Dann aber gilt: Wer sich aufgrund mangelnden Wahrnehmungsvermögens selbst kein adäquates Bild machen kann, der kann auch seinen Kunden nichts anbieten, weil er „kein neues Bild [zu] vermitteln“ hat75 – aber gerade das ist im Beratungsprozess zunächst basal,76 auch wenn nicht gewährleistet ist, dass genau dieses Bild dann hilfreich sein wird. Nicht zu Unrecht wird an der Arbeit von Unternehmensberatungen oft kritisiert, dass hier versucht werde, ganz unterschiedliche Themen in verschiedensten Kontexten mit dem immergleichen Konzept anzugehen.77

71 Ebd. 72 Vgl. ebd., S. 32. 73 Ebd., S. 76. 74 Ebd., S. 78. 75 Ebd., S. 86. 76 Vgl. zur Rolle des Beraters Was tut ein Berater in einem selbstorganisierenden System?, in: Baecker, Dirk (2003a): Organisation und Management. Aufsätze. 2. Aufl. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, S. 327-347; Groth, Torsten; Wimmer, Rudolf (2004): Konstruktivismus in der Praxis. Systemische Organisationsberatung. In: Konstruktivismus. Die Grundlagen systemischer Therapie, Beratung und Bildungsarbeit. Hrsg. von Falko von Ameln. Tübingen: Francke. S. 224-244; March, James G. (1997): Wenn Organisationen wirklich intelligent werden wollen, müssen sie lernen, sich Torheiten zu leisten! In: Zirkuläre Positionen. Konstruktivismus als praktische Theorie. Hrsg. von Theodor M. Bardmann. Opladen: Westdt. Verl. S. 21-33. 77 Vgl. Rügemer, Werner (Hrsg.) (2004): Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft. Bielefeld: Transcript.

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Das Kunstkonzept der Droege Unternehmensberatung geht tatsächlich so weit, unter dem Slogan „Beratung ist Umsetzung – nach allen Regeln der Kunst“ Gemeinsamkeiten im Sinne eines abstrakten Anspruchs an das eigene Tun sowie einer Kongruenz von Regelsystemen zwischen Kunst und Beratung zu suggerieren und darüber den hohen Anspruch an die eigene Beratungsarbeit zu propagieren. Dies kulminiert in der Proklamation, „[i]n der Gestaltung des Wie am Was wird Beratung als Kunst reflektierbar. Im Wie werden Kunst und Beratung identisch.“78 Diese Behauptung setzt allerdings ein determiniertes Kunstverständnis voraus, dem das normative Beratungsverständnis angepasst werden kann.79 Die Details dieses Ansatzes sollen an dieser Stelle nicht ausgeführt werden.80 Festgehalten sei jedoch, dass beim Droege Kunstkonzept davon ausgegangen wird, „[d]er Einsatz von Kunst und ästhetischer Reflexion führ[e] im Geschäftssystem zu einer Erweiterung der Bandbreite der Kommunikation von Sachverhalten und Qualitäten im Beratungsprozess. Er trägt dazu bei, dem Kunden •

ein grundlegendes Verständnis für das Wie der Beratung und aller vom Berater und Kunden gemeinsam zu leistenden Schritte zu vermitteln.



Einen erweiterten Blick auf die gegebene Situation sowie auf die konkreten Aufgaben und das Vorgehen im einzelnen zu eröffnen.“81

Das Konzept geht – davon ist angesichts einer sehr umfänglichen Dokumentation auszugehen – aus Unternehmenssicht auf. Der einzelne Berater profitiert durch die Erweiterung seiner Kompetenzen mittels der Begegnung mit Kunst.82 Anscheinend identifizieren die Mitarbeiter sich in hohem Maße mit diesem besonderen Einsatz der Kunst und nehmen gern und regelmäßig an den freiwilligen Maßnahmen teil.83 In Anbetracht der vorrangig von Akademikern geprägten Personalstruktur einer wie hier geschilderten Unternehmensberatung fällt das Angebot einer intensiveren Beschäftigung mit Kunst sicherlich auf einen fruchtbaren Boden, sei es aus einem tat-

78 Bockemühl et al. 2007, S. 159. 79 Oder aber man vermutet hierin eine Analogie zu der Parallele, die Luhmann zwischen Kunstentstehung/-schaffung und -rezeption sieht: Der Kunstbetrachter vollzieht bei der Rezeption die aneinander angeschlossenen Entscheidungen, die zur Entstehung des Kunstwerks führen, gleichsam nach. Mehr dazu in Kap. Kunst systemtheoretisch im zweiten Teil dieses Buches. 80 Vgl. z.B. Bockemühl et al., S. 35. 81 Ebd., S. 63. 82 Vgl. ebd., S. 183. 83 Vgl. ebd., S. 41f.

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sächlichen Kunstinteresse heraus oder aber milieubedingt.84 Nachvollziehbar ist auch, dass „ein Angebot zur Entwicklung eigener kultureller Kompetenzen“ von Arbeitnehmern gern wahrgenommen und auch honoriert wird oder (neben ‚Hygienefaktoren‘ wie Entlohnung und Karrieremöglichkeiten) die Freude an der Arbeit im Sinne eines sogenannten Incentives steigern kann,85 andererseits jedoch auch schwer auszuschlagen ist, wenn dieses als manifester Bestandteil der Unternehmenskultur erscheint. Erscheint die Darstellung des Nutzens der Beschäftigung mit der Kunst mitunter etwas überschwänglich, ist doch bemerkenswert, und darum geht es an dieser Stelle, dass hier ein arbeitsintensives und kostspieliges Programm existiert, dessen selbsterklärtes Ziel es ausdrücklich nicht ist, die Kunst zu fördern, sondern mittels der Kunst die eigenen Fähigkeiten zu erweitern: „Die Arbeit des Kunstkonzepts ist ausschließlich darauf angelegt, den Blick des Betrachters zu schärfen und nur sein eigenes anschauliches Denken anzusprechen.“86

U NFREEZING , R EFRAMING UND ERNSTES S PIEL MIT M ITTELN DER ( DARSTELLENDEN ) K UNST Einer der oben bereits genannten Wegbereiter der Organisationsentwicklung, Kurt Lewin, begann in den 1940er Jahren damit, „resistance to change“, das heißt die Skepsis gegenüber Neuem und den Unwillen gegenüber Veränderungen beim Menschen zu erforschen und Methoden zu entwickeln, diese Resistenz zu brechen.87 Ein Grundprinzip hierbei ist Lewin zufolge ein Dreischritt, der sich bis heute großer Popularität erfreut:88 Menschen und Organisationen brauchen zunächst (1) eine Irritation, die ihre Routinen und Gewohnheiten im Sinne einer Initialzündung in Frage stellt und aufbricht, sie „auftaut“ („unfreeze“). Erst danach (2), so Lewins Überzeugung, sind sie in der Lage, sich zu verändern, das heißt ihr stabiles Gleichgewicht zu verlassen und einen neuen Zustand („next level“) zu erreichen („moving“). Um die Nachhaltigkeit der Veränderung zu gewährleisten, muss der neue Zustand (3)

84 Vgl. Bourdieu, Pierre (2011 [1982]): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 21. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 85 Bockemühl et al. 2007, S. 184. Eine Wahrnehmung als sogenanntes Incentive ist höchstwahrscheinlich. 86 Ebd., S. 62. 87 Lewin beschäftigte sich im Auftrag der damaligen US-Regierung mit der Abneigung bis hin zum Ekel von Menschen gegenüber Lebensmitteln und Speisen, die sie nicht gewohnt sind. Lewin, Kurt: Forces behind food habits and methods of change (1943). In: Bulletin of the National Research Council, H. 108. S. 35-65. 88 Vgl. Wimmer 2004, S. 30f.

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konsolidiert und stabilisiert, also wieder „eingefroren“ werden („freezing“).89 Das Modell kann zyklisch gedacht werden, so dass das am Ende eines Veränderungsprozesses ‚Eingefrorene‘ nur neuer Anfangszustand ist, der schon bald wieder verflüssigt, verändert und nach dieser Veränderung wieder eingefroren wird.90 Für das initiale Unfreezing in Veränderungsprozessen scheint der Einsatz künstlerischer Mittel ein gewisses Potential zu bieten, als Stimulus also für die Reflexion von Konstellationen, Strukturen und Problemen in Organisationen, denn – so die Wahrnehmung Schreyöggs – „Unternehmensführungen sind in der Regel nicht sehr kreativ im Generieren [von] neuen Wegen“, wenn es um die nötige Verflüssigung geht.91 Die Kunst bzw. der Kunst entlehnte Mittel können zum Beispiel die Gefühlsebene adressieren und damit Affekte, Irritationen auslösen, die die ‚normale‘ Wahrnehmung in Frage stellen – wie bereits im vorhergehenden Kapitel thematisiert wurde. Das Alleinstellungsmerkmal solcher ‚kunstbasierten Interventionen‘ gegenüber anderen Mitteln der Organisationsberatung sehen Tweedy und Knell darin, dass es hier nur schwer möglich sei, sich zu entziehen: „[A]rts-based interventions demand responses and real engagement from individuals and teams – neutrality is rarely an option, which makes them more memorable and penetrating than more traditional learning and development techniques. It is possible to attend a training 89 Vgl. Schreyögg, Georg (2001a): Development, organizational. In: International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. Hrsg. von Neil J. Smelser; Paul B. Baltes. Amsterdam: Elsevier. S. 3574-3578, hier: S. 3574f. sowie den Primärtext Lewin, Kurt (1958): Group Decision and Social Change. In: Readings in Social Psychology. Hrsg. von E.E. Maccoby u.a.: Methuen & Co. S. 197-211. 90 Diese Logik findet sich in einer etwas weniger mechanistischen Darstellung auch in der systemtheoretischen Beschäftigung mit sozialen Systemen: Veränderung erfolgt hier durch Irritationen, die in die Kommunikation des Systems gelangen und sich dort niederschlagen, wobei allerdings bei weitem nicht jede Irritation überhaupt „in die Kommunikation kommt“, also aufgenommen und verarbeitet wird, geschweige denn Veränderungen auslöst: „Im Begriff der Irritation liegt gerade, dass man nicht weiß, was hinterher passiert, und dass derjenige, der Irritation erlebt, selbst eine Information daraus machen muss.“ (Luhmann, Niklas in: Burhorn, Andreas (1997): „So etwas dieser Art“. Gespräch mit Niklas Luhmann. In: Managerie. Systemisches Denken und Handeln im Management. 4. Jahrbuch. Hrsg. von Christof Schmitz; Barbara Heitger; Peter-W. Gester. Heidelberg: Carl Auer. S. 265-284, S. 265-284). Ob und wie eine Irritation wirksam ist oder nicht, ist zumindest im systemtheoretischen Verständnis somit dem Zufall überlassen, nämlich „kontingent“. Mehr hierzu in Kap. Irritierende Variationen und Koevolution im zweiten Teil dieses Buches. 91 Schreyögg, Georg: Unternehmenstheater als Intervention (1998). In: OrganisationsEntwicklung 17, H. 1. S. 52-59, hier: S. 54.

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course without being engaged by it, and to actively choose not to participate or give of oneself in terms of energy and contribution. Few if any well-designed arts-based interventions afford the participant that luxury or option. The responses they provoke may not always be positive, but the very certainty of provoking some kind of reaction means that arts-based interventions are good at triggering deeper reflections that drive behavioural change for the individual and cultural change for the organisation.“92

Es geht also darum, Menschen auf anderen Kanälen als den (im Unternehmensumfeld) gewohnten zu erreichen und am besten auch auf einer Ebene anzusprechen, die nicht in erster Linie rational ist. Dazu scheinen künstlerische Formen als Medium geeignet zu sein. Eine eher affektive und emotionale, ggf. auch abwehrende Reaktion ist also (zunächst) durchaus gewollt, denn Ziel eines Unfreezing-Prozesses ist es ja, „eine Verfestigung ins Wanken“ zu bringen.93 Hilfreich ist in diesem Zusammenhang, wenn künstlerische Interventionen einen gewissen Neuigkeits- oder zumindest Seltenheitsfaktor haben, also außerhalb des routinierten, tagtäglichen Berufserlebens liegen und somit besonders gut erinnerbar werden bzw. schon aufgrund ihrer Andersartigkeit eher Irritationspotential besitzen als häufiger angewendete Methoden. Mögliches Instrument hierzu sind dramatische Mittel, schließlich wird dem Theater bereits seit langer Zeit besondere Wirkkraft zugetraut – sei es mittels Katharsis,94 Verfremdungseffekt95 oder als moralische Anstalt.96 In letztlich ähnlicher 92 Tweedy et al. 2004, S. 33. 93 Schreyögg 1998, S. 56. 94 Aristoteles; Fuhrmann, Manfred (2010): Poetik. Griechisch/deutsch. Stuttgart: Reclam. „In voller Blüte stand die Tragödie im alten Athen und war in aller Munde; sie geriet zum wunderbaren Hör- und Schauspiel für die Menschen damals und bot durch ihre Mythen und Leidenschaften eine Täuschung, bei der, wie Gorgias sagt, derjenige der täuscht, mehr Recht hat als der, der nicht täuscht, und der Getäuschte andererseits mehr versteht als der, der nicht getäuscht wird…“ (Plutarch aus De glorai atheniensum 5, Moralia 348 C zitiert nach Menninghaus, Winfried (2007): Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, S. 50). Vgl. auch Lessing, Gotthold Ephraim (2012): Hamburgische Dramaturgie. In: Texte zur Theorie des Theaters. Hrsg. von Klaus Lazarowicz. Stuttgart: Reclam. S. 149-154. 95 Vgl. Brecht, Bertolt (2012): Dialog über die Schauspielkunst. In: Lazarowicz 2012. S. 278-281. 96 Vgl. Schiller, Friedrich (1984): Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? (Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet). Vorgelesen bei einer öffentlichen Sitzung der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft zu Mannheim im Jahr 1784. In: Sämtliche Werke. München: Carl Hanser. S. 818-831. Den Schiller’schen Anspruch brandmarken übrigens Haselbach et al. als „völlig überspannt“ und typisch deutsch inso-

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Absicht, vielleicht etwas weniger deterministisch hinsichtlich des Ergebnisses wird auch Unternehmenstheater eingesetzt wie u.a. Schreyögg beschreibt: Ein in bestimmter Weise erlebter Status quo erfährt durch die theatrale Verarbeitung eine Wieder- oder Neubeschreibung. Als Spiel auf der Bühne schafft das Theater so eine Alternative zur erlebten Realität, die Wahrnehmung einer Situationsevidenz kann so mit einer weiteren Option versorgt werden. Das Theater zeigt damit im ‚ernsten Spiel‘ eine Alternative bzw. eine alternative Wahrnehmung auf, mit der der ursprüngliche Eindruck konfrontiert werden kann. Da es sich um eine auf einer Metaebene geschaffene Situation handelt, wird der Eindruck der Veränderbarkeit eine Einsicht, die Voraussetzung für Veränderung und Lernen ist. In den Worten Niklas Luhmanns, auf den Schreyögg rekurriert, wird die Frage aufgeworfen „Wie sieht eine ‚reale Realität‘ aus, wenn man eine fiktionale Realität daneben setzt? […] Beides ist real, und die Differenz von real und fiktional wird sozusagen in die Realität hineinkopiert. […] Man lässt durch eine fiktionale Form, die irgendwelche formalen Verwandtschaften hat, einen anderen Blick auf das, was man alltäglich tut, werfen.“97

Wieder haben wir es also mit einer Beobachtung zweiter Ordnung zu tun, die entsteht, indem eine Alternative zu der erster Ordnung aufgezeigt wird, denn in der Rezeption des Unternehmenstheaters beobachten die Mitarbeiter das Ergebnis einer Beobachtung ihrer selbst durch das Theaterensemble.98 Schreyögg spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Luhmann von einer Realitätsverdopplung, die „die Wirklichkeit in die gewohnte Wirklichkeit und die imaginäre theatralische Wirklichkeit“ spaltet, wodurch wiederum gleichsam in einer „dritten Realität“ der „Charakter des Veränderbaren“ entsteht bzw. das „Auch-anders-möglich-Sein“ sichtbar wird.99 Das Ergebnis solcher Vorgänge ist schwerlich planbar, doch das ist in diesem Verständnis auch nicht erforderlich, da es ja um das Auslösen eines Reflexionsprozesses geht, dessen Ergebnis dann im zweiten Schritt eine gemeinsam reflektierte Veränderung wäre. Die Mehrschichtigkeit, die hier entsteht, ermöglicht fern hier der Bürger (um dessen Emanzipation es damals ging) als jemand konzipiert wird, „der durch Kunst und Kultur gerettet werden muss, der durch sie befreit und mit ihr ästhetisch erzogen wird“, wohingegen in anderen europäischen Staaten der Bürger eher als „ein Handelnder“ verstanden worden sei (Haselbach et al. 2012, S. 93f.). 97 Luhmann, Niklas in: Burhorn 1997, S. 265ff. 98 Dieses trifft – systemtheoretisch gesprochen – in anderer Weise Unterscheidungen als die Organisationsmitglieder. Mehr dazu im Kap. Irritierende Variationen und Koevolution im zweiten Teil dieses Buches. 99 Schreyögg, Georg (2007): Unternehmenstheater als Spiegel – zur Bedeutung von Beobachtungen 2. Ordnung. In: Ameln et al. 2007a. S. 234-237 [Herv. i.O.]. Vgl. hierzu Kap. Kunst systemtheoretisch im zweiten Teil dieses Buches.

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einen Zugang zur Mehrdimensionalität der Organisation oder des Thematisierten und eröffnet dann die Möglichkeit, auch mit Ambiguitäten umzugehen, zum Beispiel indem deren Funktion im Gesamtgefüge deutlich wird. Die Geschichte des Theaters als Kunstform hält zahlreiche Beispiele dafür bereit, dass „die inszenierte Illusion des Theaters […], wenn man sie denn zu entschlüsseln imstande ist, die realen Verhältnisse genauer erfassen lässt als deren direkte Wahrnehmung“,100 wobei die „realen Verhältnisse“ dann der Wirklichkeitskonstruktion des Theaterautors/-darstellers entsprächen. Ein berühmtes Beispiel für die Kraft einer gelungenen „Täuschung als Mittel der Erkenntnis“ ist ein Ausruf Königin Elisabeths. „Ich bin Hamlet“, soll die Monarchin, als sie Shakespeares gleichnamiges Drama zu sehen bekam, erstaunt befunden haben.101 In der Organisationsentwicklung werden wie auch in der psychotherapeutischen Arbeit vielfach szenische Mittel genutzt, um den Organisationsmitgliedern (resp. Patienten) bestimmte Sachverhalte nicht nur auf verbalem Wege nahezubringen, sondern sie spürbar oder erlebbar werden zu lassen. Entsprechend dem oben dargestellten Lewin’schen Dreischritt von Veränderungsprozessen ist dies in der Regel insbesondere Bestandteil der initialen Auftauphase.102 Hierzu gehören zum Beispiel Rollenspiele und sogenannte Soziodramen (Fokus auf Gruppen-/Teamebene), Psychodramen und Systemaufstellungen (Fokus auf individuelle Ebene) sowie Planspiele (Fokus auf Fachinhalte). Weitere Instrumente sind Unternehmens- und Mitarbeitertheater, bei denen im Gegensatz zu den vorher genannten professionelle Schauspieler hinzugezogen werden, die entweder den Mitarbeitern Szenen bzw. ein Stück vorspielen (Unternehmenstheater)103 oder gemeinsam mit den Mitarbeitern Spielszenen entwickeln und mit ihnen zur Aufführung bringen (Mitarbeitertheater).104 Mischformen sind ebenfalls möglich, wenn beispielsweise Anfangsszenen 100 Iden, Peter (1996): Täuschung als Mittel der Erkenntnis. In: Markt und Sinn. Dominiert der Markt unsere Werte? Hrsg. von Florian Müller; Michael Müller. Frankfurt/Main; New York: Campus. S. 208-220, hier: S. 218. Hinter „realen Verhältnissen“ verbirgt sich freilich wieder nur eine Konstruktion der Wirklichkeit. 101 Vgl. ebd., S. 217. 102 Schreyögg 1998, S. 55. 103 Der Begriff Unternehmenstheater ist insofern irreführend, als dass diese Art der Intervention natürlich auch in anderen Organisationen zum Einsatz kommen kann; er hat sich jedoch eingebürgert (vgl. Ameln, Falko von; Kramer, Josef (2007b): Unternehmenstheater. In: Ameln et al. 2007a. S. 217-238, hier: S. 219). 104 Die beiden Formen können auch in der Beschreibung ihres Wirkungsmechanismus voneinander unterschieden werden. Beim Unternehmenstheater soll eine „Observationskatharsis“, also eine läuternde Wirkung aufgrund von Beobachtung (und Einfühlung) erfolgen, beim Mitarbeitertheater wird (wie bei anderen Methoden, bei denen Rollen von den Organisationsmitgliedern selbst übernommen und gespielt werden) von ei-

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von professionellen Schauspielern dargeboten werden und von Mitarbeitern der jeweiligen Organisation im eigenen Spiel weitergeführt werden.105 Festzuhalten ist von vornherein, dass Unternehmenstheater zweckgerichtetes Theater ist, das nicht künstlerischen und ästhetischen Kriterien, sondern seiner spezifischen Aufgabe verpflichtet ist. Zwar bedient es sich dramatischer oder performativer Mittel, die jedoch in einem anderen Kontext als etwa in einem Schauspielhaus eingesetzt werden. Im deutschsprachigen Raum ist das Unternehmenstheater nicht allzu weit verbreitet,106 und dementsprechend wenig Forschungsliteratur gibt es auch.107 Beim ner „Aktionskatharsis“, einer Läuterung durch Erleben ‚am eigenen Leibe’ ausgegangen. Dass die Aktionskatharsis der effektivere Ansatz sei – wie es am prominentesten Jakob Lewy Moreno vertreten hat (Lewy Moreno, Jakob (1989): Psychodrama und Soziometrie. Essentielle Schriften. Köln: Edition Humanistische Psychologie) – konnte bislang nicht bestätigt werden (vgl. Schreyögg 1998, S. 56). 105 Hirschfeld et al. sprechen in diesem Zusammenhang von „Improvisationstheater“ und „Forumtheater“ (Hirschfeld, Karin; Preissler, Harald et al.: Was soll das Theater? Erfahrungen mit Spiel und Theater in der Organisationsentwicklung (2000). In: OrganisationsEntwicklung 19, H. 3. S. 30-39, hier: S. 31). Letzteres wurde bereits in den 1960er Jahren von dem Brasilianer Augusto Boal als eine Methode entwickelt, um Probleme einer Gruppe anzugehen. Das Publikum bringt sich ein, indem es die vorgeführte Spielhandlung unterbricht, Fragen stellt und Alternativen entwickelt sowie den weiteren Handlungsverlauf diskutiert. 106 Vgl. ebd., S. 30. Im Jahre 1997 gab es in deutschen Unternehmen ca. 200 Aufführungen, in Frankreich hingegen, wo Unternehmenstheater bereits seit den 1980er Jahren eingesetzt wird, ungefähr zehn Mal so viel (vgl. Schreyögg, Georg: Unternehmenstheater als neuer Ansatz organisatorischer Kommunikation und Veränderung (2001b). In: Zeitschrift Führung + Organisation, H. 5. S. 268-275, hier: S. 268). 107 Die vorliegenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf einer zusammenfassenden Darstellung von Falko von Ameln und Josef Kramer und den Veröffentlichungen Georg Schreyöggs zum Thema: Ameln et al. 2007b; Schreyögg, Georg; Dabitz, Robert (Hrsg.) (2001): Unternehmenstheater. Formen – Erfahrungen – Erfolgreicher Einsatz. Wiesbaden: Gabler; Schreyögg 1998. Es gibt aber eine Reihe weiterer Veröffentlichungen zu dem Thema: Teichmann, Stefanie (2001): Unternehmenstheater zur Unterstützung von Veränderungsprozessen. Wirkungen, Einflussfaktoren, Vorgehen. Wiesbaden: DUV; Hirschfeld et al. 2000; Krause, Diana E; Piske, Rainer: Theater im Unternehmen? Unternehmenstheater als innovatives Organisationsentwicklungsinstrument (2001). In: zfo Zeitschrift Führung + Organisation, H. 5. S. 276-284. Ferner gibt es stark anwendungsbezogene Veröffentlichungen wie Berg, Markus; Flume, Peter et al. (2002): Unternehmenstheater interaktiv. Themenorientierte Improvisation (TOI) in der Personalund Organisationsentwicklung. Weinheim: Beltz bzw. kürzer: Berg, Markus; Flume, Peter et al.: Themenorientierte Improvisation (TOI) (2000). Theater bei laufendem Be-

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Unternehmenstheater werden ein Stück oder einzelne Szenen von einem professionellen Theaterensemble kreiert und mit theatralischen Mitteln in einem Raum, der zwischen Bühne und Zuschauerraum, das heißt zwischen Darstellern und Rezipienten unterscheidet, zur Aufführung gebracht.108 Zuschauer der Darbietung sind die Beschäftigten: Sie werden durch die Szenen mit Aspekten ihres Unternehmens konfrontiert, natürlich insbesondere solchen, die als veränderungsbedürftig erachtet werden. Aufführungen werden beispielsweise von der Unternehmensleitung oder einer OE-Abteilung mit einer speziellen Zielsetzung (zumeist der Sensibilisierung für bestimmte Probleme innerhalb der Organisation oder aber kommende Herausforderungen) in Auftrag gegeben.109 Ein solcher Auftrag kann durchaus auch ganz ergebnisoffen erfolgen, indem die Theatermacher gebeten werden, sich selbst ein Bild von der Organisation bzw. einer Organisationseinheit zu machen und dieses dann theatralisch aufzubereiten, ohne dass die Auftraggeber das Ergebnis vor der Aufführung kennten. Als Programmpunkt zum Beispiel im Rahmen einer Unternehmensfestivität hat das Unternehmenstheater dem Kontext entsprechend eher unterhaltenden Charakter. Als Bestandteil eines Prozesses organisationalen Lernens und entsprechend gut vorund nachbereitetes Ereignis hingegen kann das Unternehmenstheater wohl mehr leisten.110 In zwar inhaltlich ernsthafter, aber auch unterhaltsamer, das heißt zumeist parodistischer Weise werden die Mitarbeiter mit den Eigenheiten der Unternehmenskultur und ihrer selbst konfrontiert, also etwa mit Kommunikations- und Gruppenverhalten. Die szenische Darbietung hält ihnen einen Spiegel vor und gibt ihnen somit die Möglichkeit, ‚von außen‘, also eben nicht aus der gewohnten Innenperspektive auf positive wie problematische (veränderungsbedürftige oder zumindest -würdige) Verhaltensweisen und Gruppenkonstellationen in ihrer Organisation zu blicken, diese in ihrer Eigenlogik und -dynamik besser zu verstehen sowie die Perspektiven der jeweils anderen Beteiligten nachzuvollziehen – um idealiter im trieb. In: OrganisationsEntwicklung, H. 3. S. 40-51 sowie Funcke, Amelie; HavermannFeye, Maria (2004): Training mit Theater. Von der Einzelszene bis zum Unternehmenstheater: Wie Sie Theaterelemente erfolgreich ins Training bringen. Bonn: managerSeminare. Als exemplarischer Anbieter von Unternehmenstheater als Change Management-Dienstleistung sei das Scharlatan. Theater für Veränderung (Motto: „Veränderungen brauchen einen Impuls. Feste ein Erlebnis“) genannt (vgl. http://www.scharla tan.de, 1.1.2013); Fischer, Gabriele; Sommer, Christiane: Reif, souverän, spielerisch (2006). Seit 20 Jahren spielt Ali Wichmann in Unternehmen und mit Unternehmen, als Chef der Hamburger Theatergruppe Scharlatan. Einsichten und Erfahrungen einer ständigen Grenzüberschreitung. In: brand eins, H. 8. S. 58-63. 108 Vgl. Schreyögg 2001, S. 269. 109 Vgl. Ameln et al. 2007b, S. 218. 110 Vgl. Schreyögg et al. 2001.

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nächsten Schritt Veränderungen im eigenen Verhalten umzusetzen. Das Interessante ist, so befindet Schreyögg, dass die Theatermacher „in aller Regel einen gänzlich anderen Bezugsrahmen für ihre Beobachtungen verwenden als die Mitarbeiter und auf diese Weise eine irritierende Differenz erzeugen“.111 Sind die Mitarbeiter selbst in das Spiel mit einbezogen, gibt ihnen dies die Möglichkeit, in einem relativ geschützten Raum (der Fiktionalität) alternative Verhaltensweisen zu erproben, gerade auch in Bezug auf emotional schwierige Themen.112 Es gibt eine große Bandbreite an Erscheinungsformen und Umsetzungsvarianten von Unternehmenstheater. So kann zum Beispiel mit vorgefertigten Szenen gearbeitet werden, die sich so oder ähnlich in nahezu jeder Organisation wiederfinden lassen. Von Ameln und Kramer bezeichnen dies als die „schlüsselfertige“113 Variante des Unternehmenstheaters. Sehr viel aufwendiger aber eben passgenau ist in ihren Augen Unternehmenstheater „nach Maß“,114 das eine intensive Vorbereitung durch die Schauspieler und einen Organisationsberater etwa in Form von Interviews mit oder schriftlicher Befragung von Mitarbeitern und Führungskräften sowie teilnehmender Beobachtung im Unternehmen o.ä. voraussetzt. Im Anschluss daran kann ganz spezifisch auf die einzelne Organisation oder ihre Einheiten eingegangen werden; Szenen werden gezielt entwickelt. Interaktive Varianten des Unternehmenstheaters sehen die Einbeziehung von Mitarbeitern vor, die zum Beispiel im Anschluss an eine Vorstellung alternative Dialoge und Szenarien entwickeln oder schließlich selbst Rollen übernehmen oder improvisieren.115 Die Szenen des Unternehmenstheaters müssen dabei nicht unbedingt naturalistisch sein, also menschliche Interaktion abbilden, vielmehr können Rollen auch symbolischen, metaphorischen oder „allegorischen“116 Charakter haben, also etwa für bestimmte Unternehmenswerte oder Kennzeichen der Unternehmenskultur, stehen. Vorteile einer Intervention in Form von Unternehmenstheater im Rahmen der Organisationsentwicklung bzw. von Veränderungsprozessen sind die starke Erinnerbarkeit aufgrund des Charakters des Außergewöhnlichen und der sinnlichen Komponente – verkürzt: Bühne statt Tagungshotel und szenisches Spiel anstelle von Vorträgen. Idealerweise gelingt es mittels der ungewöhnlichen und mehrdimensionalen Darstellungsform, die Vielschichtigkeit von Problemen (im Gegensatz zu häufig unterstellten, einfachen Kausalitätsmodellen)117 transparent und sonst tabui-

111 Schreyögg 2001, S. 272. 112 Vgl. Tweedy et al. 2004, S. 34. 113 Ameln et al. 2007b, S. 219. 114 Ebd., S. 219f. 115 Vgl. zu den unterschiedlichen Umsetzungsvarianten ebd., S. 219-226. 116 Ebd., S. 220. 117 Vgl. Schreyögg 2007, S. 234.

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sierte Themen ansprechbar zu machen.118 Insbesondere in der Form einer Produktion „nach Maß“ ist Unternehmenstheater allerdings sehr aufwendig und entsprechend kostenintensiv, während die Wirkungen eines Einsatzes von Unternehmenstheater generell nicht zu steuern und schwer zu messen sind.

E RLEBNIS

VON T EAMGEIST UND F ÜHRUNGSQUALITÄT ALS PERFEKTEM ( MUSIKALISCHEN ) Z USAMMENSPIEL

Unter Wettbewerbs- und Kostendruck gibt es in den meisten Unternehmen das beständige Bestreben, Prozesse zu optimieren, was letztlich bedeutet, ein besseres Zusammenspiel der in bestimmte Aufgaben involvierten Parteien sicherzustellen. Dazu werden effiziente und intelligente Abläufe von Einzelschritten designt, indem jeweils Verantwortliche benannt, deren Rollen genau voneinander abgegrenzt, Schnittstellen definiert oder Regeln der Zusammenarbeit aufgestellt werden – und in der nächsten Schleife weiter optimiert. Dabei besteht die Gefahr, allein die technische Komponente eines Systems zu berücksichtigen und den sozialen, zwischenmenschlichen Faktoren weniger Aufmerksamkeit zu widmen, obwohl diese sowohl starke Befähigungs- als auch Verhinderungswirkung haben können. In diesem Sinne stellt von Mutius über eine seiner Einschätzung nach weit verbreitete Unternehmenspraxis fest: „Wir beschäftigen uns zwar pausenlos mit Informationen, Formatierungen, Formaten, Formularen und Formsachen. Doch wer kümmert sich um die Form der Beziehungen und Anschlüsse, der zahlreichen internen Projekte und Prozesse, der Informations-, Kommunikations- und Wissensströme des Unternehmens?“119 Auch der Ratio nach sinnvolle Neuerungen scheitern häufig am Widerstand der Mitarbeiter bzw. an nicht funktionierenden sozialen Beziehungen. So kann beispielsweise eine Netzwerk- oder Matrixorganisation eine grundsätzlich gute Idee sein, allerdings müssen die Mitarbeiter zu ihrem Funktionieren auch in einer solchen Struktur der gegenseitigen Interdependenz denken, Abteilungsgrenzen im Geiste überwinden, Verantwortung verorten können und sich entsprechend verhalten. Auch werden Entscheidungen vielfach ohne Beteiligung der Akteure getroffen. Das lässt sich zwar mitunter nicht vermeiden, allerdings wird dabei auch die Chance vergeben, die Mitarbeiter ihr spezielles Wissen mit einbringen zu lassen, obwohl dies die Qualität und Akzeptanz einer Entscheidung verbessern könnte. In Hinblick auf soziales Zusammenspiel im Team und eine Führung, die den vorhandenen Gestaltungswillen von Mitarbeitern integriert – hier, wie oben be-

118 Ameln et al. 2007b. 119 Mutius 1999, S. 101.

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schrieben, vorausgesetzt, dass diese sich einbringen möchten und einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten wollen –, können ebenfalls kunstbasierte Aktionen eingesetzt werden. Nicht zufällig wird die Metapher von der Organisation als einem wohlklingenden Orchester häufig bemüht, besitzt sie doch große Anschauungskraft für ein Miteinander, das geprägt ist von starker Abhängigkeit aller Beteiligten untereinander. Spielen die Violinen schief, verliert auch der Cellist, der besser intoniert; können die Flöten eine Passage schneller spielen als die Oboen, so ist dies spätestens, wenn es hörbar wird, kontraproduktiv, verpasst der Trompeter seinen Einsatz, muss sich auch der Dirigent fragen, ob er den Einsatz deutlich gegeben hat, haben alle unterschiedliche Vorstellungen vom Ritardando, dann gibt es kein gutes Ende, und wenn keine Einigkeit darüber besteht, ob das a 440 oder 442 Hertz haben soll, ist das ganze Unternehmen von vornherein zum Scheitern verurteilt (zumindest werden Erwartungen enttäuscht). Das gemeinsame Musizieren ist das Paradebeispiel für gelingende Kooperation, da hier niemandem mit Alleingängen und unzureichender Abstimmung gedient ist, sondern im Gegenteil das Gesamtergebnis beeinträchtigt wird, was wiederum auf alle Beteiligten zurückfällt. Je mehr alle Mitwirkenden eingebunden sind und miteinander kommunizieren, je größer die Ernsthaftigkeit im Sinne eines – neudeutsch – Commitments für die Sache, desto besser das Gesamtergebnis, desto größer die Chance und der Ansporn, es zur Meisterschaft zu bringen, wobei es sich hier um eine selbstverstärkende Schleife zu handeln scheint. Je harmonischer das Ergebnis, desto größer die Freude und Ernsthaftigkeit, desto besser die Zusammenarbeit usw.120 Funktioniert das Ganze harmo-

120 Dieser Gedanke liegt denn auch zahlreichen musikpädagogischen Projekten zugrunde. Eindrückliche Beispiele hierzu liefern das im Film Rhythm is it dokumentierte Projekt der Berliner Philharmoniker mit Jugendlichen oder aber auch – mit einer wahrhaft konfliktbeladenen und alles andere als harmonischen Ausgangssituation – das West Eastern Divan Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim, in dem Jugendliche aus arabischen Ländern und Israel miteinander musizieren (http://www.rhythmisit.com; http:// www.west-eastern-divan.org/, 1.1.2013). Korrelationen zwischen ‚sozialer’ oder ‚emotionaler Intelligenz‘ und Musizieren werden häufig propagiert und teilweise auch ernsthaft erforscht. Prominentester Vertreter der These, Musik schlage sich in vielerlei (sogar auch kognitiver Hinsicht) positiv auf die Erziehung von Kindern nieder, ist wohl Hans Günther Bastian, der in den 1990er Jahren eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen zum Zusammenspiel von Lernen, Sozialverhalten und Musizieren durchführte (Bastian, Hans Günther; Kormann, Adam (2002): Musik(erziehung) und ihre Wirkung. Eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen. 3. Aufl. Mainz: Schott; Bastian, Hans Günther (2007): Kinder optimal fördern – mit Musik. Intelligenz, Sozialverhalten und gute Schulleistungen durch Musikerziehung. 4. Aufl. Mainz: Schott. Kritischer zu Auswirkungen von Musik und Musizieren in einem allgemeineren Sinne: Jäncke, Lutz; Al-

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nisch und in wortwörtlich ‚guter Stimmung‘, tun sich auch Freiräume für den einzelnen Mitwirkenden auf, wobei spätestens hier das Beispiel einer Big Band oder einer Jazzformation wiederum sehr viel anschaulicher wird als das klassische Orchester es sein könnte.121 tenmüller, Eckart (2009): Macht Musik schlau? Neue Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der kognitiven Psychologie. Bern: Huber. 121 Dies zeigt Mary Jo Hatch, die unter Bezug auf Richard Rortys Ansatz der Wiederbeschreibung (vgl. Rorty, Richard (1999): Kontingenz, Ironie und Solidarität. Frankfurt/ Main: Suhrkamp) den interessanten Versuch unternimmt, den Jazz als Metapher für eine Organisations(wieder)beschreibung fruchtbar zu machen (Hatch, Mary Jo: Exploring the Empty Spaces of Organizing (1999). How Improvisational Jazz Helps Redescribe Organizational Structure. In: Organization Studies 20, H. 1. S. 75-100). In der Erläuterung der klassischen Strukturelemente des Jazz, also dem Zusammenspiel zwischen Heads, Improvisation und Soli, dem gegenseitigen Zuhören und Reagieren aufeinander sowie dem gemeinsamen Groove und der Wichtigkeit des Gefühls für das Gelingen des gemeinsamen Musizierens im Jazz findet Hatch Parallelen zu (sprachlichen) Elementen der neueren Organisationsforschung, die flexible, anpassungsfähige und virtuelle Organisationen zu beschreiben versucht. Die dem Jazz inhärente Struktur ist Hatch zufolge eine implizite, die nicht spezifizierend, sondern nur unterstützend wirkt und viel Raum für Ambiguität lässt. Die Struktur ist v.a. durch ihre Absenz präsent, indem sich immer implizit auf sie bezogen wird, indem sie verlassen wird. So zeichnet sich der Jazz z.B. dadurch aus, dass ganz bewusst nicht die Eins eines Taktes betont, sondern stattdessen synkopische Rhythmusverschiebungen, Verzögerungen und Vorantreiben typisch sind: „Jazz musicians do not simply use structure to organize themselves, they play their structures implicitly by explicitly not playing them and in doing so play with their structures in the dual sense of interacting with structure and altering it via improvisation.“ (S. 84) Unausgefüllte Stellen in der Musik erlauben es den Musikern, diese mit ihrer eigenen Kreativität zu füllen, wobei viele Arten der ‚Füllung‘ möglich sind – so lange der Groove beibehalten wird und sich die Improvisation durch extreme Aufmerksamkeit für alle Mitmusizierenden ins Ganze einfügt. Kommt es dabei zu ‚Fehlern‘ im Sinne ungewollter Disharmonien oder musikalischer Konflikte, so können diese durch eine rasch dazu improvisierte musikalische Kontextveränderung ausgeglichen werden. Damit erschließt Hatch mögliche Denkräume jenseits der klassischen Organisationslehre, in der Ambiguität eher einschränkend als rationalitätsbehinderndes Element gesehen wird: „Whereas March and Olsen theorized ambiguity as part of the explanation for the limits of rationality in organizational choice processes, the jazz metaphor encourages us to reinterpret these empty spaces as opportunities to improvise“ (S. 86). Ähnliches gilt für das Thema Emotionalität, das in der klassischen Organisationslehre ebenfalls eher wenig Berücksichtigung findet, allerdings – wie im Jazz, so Hatch – eine entscheidende Rolle spielt, nämlich beispielweise in Veränderungsprozessen, in Bezug auf das Ver-

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Wird eine solche Erfahrung gemacht oder aber zumindest in der Beobachtung anschaulich, dann kann dies nicht nur – kognitiv – ein guter Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zusammenarbeit und Führung in der eigenen Organisation sein, sondern auch eine Wahrnehmung schaffen, die in ihrer emotionalen Wirkung und Tiefe mit Diskussionen über eine optimale Arbeitsorganisation nicht erzeugt werden kann. Wieder kann die Kunst also als Stimulans und auf sinnlichem Wege Wirkung entfalten und (Denk-)Routinen aufbrechen, aber darüber hinaus auch eine Folie zur Reflexion des eigenen Tuns generieren, selbst wenn nicht immer alles übertragbar ist und die Vergleichbarkeit trotz noch so schöner Metaphorik hier und da an ihre Grenzen stößt. „Organisations may talk a lot about their need to perform, to raise their game in terms of creativity and innovation, but few have an innate understanding of what it means to rehearse, to prepare, to improvise, and to work collectively and honestly to create the new and transform the whole. Here at least it is businesses talking the talk, and artists walking the walk.“122

Die beim gemeinsamen Musizieren, und übertragen: für ein gelungenes soziales Miteinander erforderlichen Fähigkeiten oder auch nur das Wissen um deren Wich-

antwortungsbewusstsein der Organisationsmitglieder für ihre Organisation und ihr Engagement (vgl. S. 88f.). Hatch bemüht die Metapher überdies in der Dimension Zeitlichkeit und zwar (1) mit Blick auf das gemeinsame Tempo, das strukturierend wirkt, sowie (2) in Bezug auf das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, das sie wiederum auf das organisationale Gedächtnis einer Organisation bezieht. In ihrer Zusammenfassung kommt Hatch zu dem Schluss, dass „[w]hen creativity and flexibility are required, using analogies to jazz performance in respect to building intensity can be a useful way to achieve transition out of the traditional mindset of directive leadership focused on communicating urgency and increasing pace“ (S. 92). Allerdings räumt sie auch Grenzen der von ihr vorgeschlagenen Metaphorik ein, schließlich seien „many aspects of organizing [...] routine and do not require improvising. Here, perhaps another metaphor (e.g., orchestral conducting) would be more useful.“ Hatchs theoretische Ausführungen wären vermutlich ein vielversprechender Aufsatzpunkt für die Organisationsentwicklung, insofern auf der inhaltlichen Ebene die Jazzmetapher tatsächlich relativ viel hergibt. Der von Hatch bemühte und in ihrem Falle von Rorty inspirierte Ansatz der Wieder- oder Neubeschreibung bietet im Übrigen auch gute Anknüpfungspunkte in Richtung eines systemtheoretischen Zugangs im zweiten Teil dieses Buches noch geschildert wird (insbesondere Kap. Kunst systemtheoretisch). Gleiches gilt für das Thema Improvisation in der Struktur, das sich in das Schema Redundanz/Varietät übertragen ließe. 122 Tweedy et al. 2004, S. 10.

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tigkeit sind selten Inhalt von Studiengängen insbesondere der technischen und ingenieurswissenschaftlichen Fächer.123 Beispiel 4: Das Orpheus Chamber Orchestra als Beispiel für Führung und Einbindung Wenn es um Führung geht, wird häufig die Metapher von Dirigent und Orchester bemüht – ein Bild, demnach der charismatische Dirigent als Organisator das reibungslose Zusammenspiel der einzelnen Instrumentengruppen sicherstellt. Die praktische Arbeit mit Orchestern liegt daher nicht fern. Ein interessantes Beispiel hierzu liefern die Aktivitäten des Orpheus Chamber Orchestra, die Sabine Boerner genauer untersucht hat.124 Boerner beschäftigt sich intensiv mit Führungsstilen und -konzepten im Allgemeinen und in Orchestern im Besonderen,125 und auf ihren Ausführungen sowie der Selbstdarstellung des Orchesters basiert die vorliegende Kurzdarstellung.126 Das Orpheus Chamber Orchestra wurde 1972 von dem Cellisten Julian Fifer und befreundeten Musikern gegründet. Ziel war es, neue Formen der Orchesterarbeit zu erproben, die weniger auf den Dirigenten fokussieren als in normalen Orchestern üblich und in jeder Hinsicht partizipatorisch sein sollten. Die Musiker haben dazu nach anfänglichen Versuchen mit einer gänzlich unregulierten und nicht erfolgreichen basisdemokratischen Struktur der Selbstorganisation127 eine teamund rotationsbasierte Führungsstruktur sowie ein Abstimmungsverfahren entwickelt, das von ihnen als Orpheus Process bezeichnet wird: Konzertmeister und Stimmführer werden bei jedem Stück neu festgelegt und erarbeiten als Gruppe die Interpretation der Stücke, ohne dass es eine zentrale Autorität gäbe. Somit hat jeder Musiker die Möglichkeit, nicht nur ausführendes Glied zu sein, sondern in hohem 123 Vgl. Mutius 1999, S. 100. 124 Boerner, Sabine: Kein Dirigent, aber viele Führende (2002). Das Orpheus Chamber Orchestra – ein Modell für Unternehmen? In: OrganisationsEntwicklung 21, H. 3. S. 52-57. 125 Vgl. zum Beispiel Boerner, Sabine; Krause, Diana E. et al.: In der Kunst „untergehen“ – in der Kunst „aufgehen“? (2001). Empirische Ergebnisse zur Funktionalität einer direktiv-charismatischen Führung im Orchester. In: Zeitschrift Führung + Organisation (zfo), H. 5. S. 285-292; Boerner, Sabine; Streit, Christian von (2006): Erfolg durch Inspiration – das Zusammenspiel von Dirigent und Orchester. In: Unternehmertum und Führungsverhalten im Kulturbereich. Hrsg. von Elmar D. Konrad. Münster; New York; München; Berlin: Waxmann. S. 223-234; Boerner, Sabine (2006): Autorität, Charisma und Teamgeist – Zur Führung im Orchester. In: Götz 2006. S. 101-110. 126 http://www.orpheusnyc.org/ (24.8.2008). 127 Vgl. Boerner 2002, S. 54.

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Maße auch gestalterisch tätig zu werden –128 wohingegen im regulären Verhältnis von Orchester und Dirigent wenig Spielraum für die künstlerische Freiheit der einzelnen Musiker herrscht, was die Motivation beeinträchtigen kann. Das solchermaßen besondere Involviert-Sein der etwa 28 Musiker schlägt sich nach Ansicht der Orchestermitglieder auch in der Beziehung zum Publikum wie zum Komponisten nieder: „Rehearsing, performing and recording without a central authority figure, Orpheus musicians share leadership roles and a deep personal artistic commitment to forge strong emotional connections between the audience and the composer while eliminating any barrier between the listener and the music.“129 Der Orpheus-Prozess gehorcht in gewisser Weise den Gesetzmäßigkeiten einer repräsentativen Demokratie mit direktdemokratischen Instrumenten. Die gewählte Kerngruppe, die sich für ein bestimmtes Stück die Führungsverantwortung teilt, arbeitet zunächst eine Konzeption zur Interpretation aus, die sie im nächsten Schritt den anderen Musikern präsentiert. Diese haben dann die Möglichkeit, ihre Kritik und Verbesserungsvorschläge in einem von der Kerngruppe moderierten Prozess einzubringen. Kann darüber kein Konsens erzielt werden, entscheidet die Mehrheit per Abstimmung.130 Die Akzeptanz der so getroffenen Entscheidungen wird nicht zuletzt durch das Rotationsprinzip gewährleistet, schließlich hat jeder Musiker immer wieder die Möglichkeit, selbst Entscheidungsvorlagen zu erarbeiten. Wahlkämpfe entfallen somit. Das gesamte Verfahren ist vergleichsweise zeitaufwendig. Daher mag es überraschen, dass sich das Orpheus Chamber Orchestra neben einer regen und erfolgreichen Konzerttätigkeit (auch mit bekannten Solisten), der Aufnahme von über 70 Alben mit klassischen und zeitgenössischen Werken sowie einem starken Engagement in der musikalischen Bildung (an regulären Schulen und der New Yorker Juilliard School) auch mit seinen Aktivitäten im Rahmen von Management-Ausund Weiterbildung einen Namen gemacht hat: Der Orpheus-Prozess wurde bereits von verschiedenen US-amerikanischen Business Schools (darunter Harvard, Columbia und Berkeley) in die Managementausbildung aufgenommen und in zahlreichen Unternehmen zu Trainingszwecken eingesetzt. Zum Angebotsspektrum oder den Lehrinhalten des Orchesters gehören Team-Bildung, Entscheidungsfindung in Gruppen, Techniken des eigenständigen Lernens, Verhandlungs- und „Konfliktlösungsstrategien und Ähnliches. Mit diesen Seminaren, so die Selbstdarstellung, „Orpheus has been able to forge unprecedented links between business, music and humanities, along with corporations, community groups and government agen-

128 Vgl. http://www.orpheusnyc.org/ (24.8.2008). 129 http://www.orpheusnyc.org/Organization.html (24.8.2008). 130 Vgl. Boerner 2002, S. 54.

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cies“.131 Grundlage der eigenen Arbeit und der Zusammenarbeit mit Unternehmen oder anderen wirtschaftsnahen Akteuren sind acht Regeln, nämlich • • • • • • • •

Machtübergabe an diejenigen, die die Arbeit erledigen, Ermutigung des einzelnen zur Verantwortungsübernahme, eine klare Rollendefinition, Aufteilung und rotierende Zuordnung der Führungsbefugnis, Förderung der Zusammenarbeit auf einzelnen Ebenen, Lernen zuzuhören und zu reden, Suche nach Konsens und Schaffung eines konsensfördernden, kreativen Umfelds sowie Leidenschaft und Hingabe an die Arbeit.132

Boerner problematisiert zurecht die Übertragbarkeit auf Unternehmen, wie sie der Geschäftsführer des Orchesters mit Verweis darauf suggeriert, dass sowohl Orchestermusiker als auch Spezialisten in Unternehmen „Wissensarbeiter“ seien.133 Zwar gibt es sicherlich vergleichbare Konstellationen wie etwa die Kombination von niedrigem Freiheitsgrad und geringen Gestaltungsmöglichkeiten mit fachlicher Expertise auf höchstem Niveau oder Frustration aufgrund mangelnder Aufstiegschancen. Jedoch sind die Bedingungen des Orchesters sehr spezifisch. So funktioniert das Orpheus-Prinzip nicht zuletzt deswegen, weil die Gruppe verhältnismäßig klein ist, nämlich weniger als halb so viele Mitglieder hat wie ein großes Symphonieorchester; „die Probleme einer dezentralen Selbstorganisation [sind somit] naturgemäß geringer, entsprechend musizieren auch andere kammermusikalische Ensembles (zeitweise) ohne Dirigenten“.134 Persönliche Kommunikation aller mit allen ist in einer so kleinen Organisation ohne weiteres möglich. Die Rotation der Führungsverantwortung ist machbar, weil es sich bei den jeweiligen Verantwortungsbereichen stets um klar voneinander abgrenzbare Einzelprojekte (nämlich einzelne Kompositionen oder Konzertprogramme) handelt. Insofern ist der Orpheus-Prozess sicherlich interessant mit Blick auf eine Projektorganisation, weniger hingegen vor dem Hintergrund einer Linienorganisation, in der kontinuierlich Standardprozesse bearbeitet werden. Im Orchester gibt es überdies mit einer Partitur inklusive der Stimmverteilung bereits einige Festlegungen in Bezug auf Struktur, Rollen und Ergebnis. Das Programm in Unternehmen, so sieht es zumindest Boerner, ist weniger „konkret fassbar“: „In zunehmend komplexer werdenden Umwelten besteht vielmehr die Leistung eines Unternehmens häufig darin, das zu 131 http://www.orpheusnyc.org/process.html (24.8.2008). 132 Vgl. Boerner 2002, S. 54; Klein 2011, S. 167. 133 Vgl. Boerner 2002, S. 55. 134 Ebd., S. 53.

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lösende Problem überhaupt erst zu definieren.“135 Nicht zuletzt gibt es einen schwerwiegenden Unterschied zwischen Unternehmen und Orchester, weil in letzterem ein weniger starker „Verteilungskampf“ um persönliche Karrieren herrscht, sondern eher von einem „Positivsummenspiel“ zu sprechen wäre, da der Erfolg einer Aufführung letztlich für alle Orchestermitglieder ein „Gewinn“ ist.136 Obwohl es also mit den 1:1-Übertragungen hapert, scheint das Orpheus Chamber Orchestra dennoch erfolgreich zu Prozessen der Organisationsentwicklung beitragen zu können. Dies gilt vermutlich in besonderer Weise für Organisationen oder Organisationseinheiten, die gewisse Ähnlichkeiten mit den Orchesterspezifika aufweisen wie etwa kleine Gruppen, klare Rollen, flache Hierarchien und projektbezogene Arbeit. Darüber hinaus jedoch können, und zu diesem Schluss kommt letztlich auch Boerner, die Teilnahme an Proben des Orchesters und daran angebundene Trainingsmaßnahmen einen ähnlichen Effekt haben wie das Unfreezing mittels Unternehmenstheater137 – wenngleich hier noch eine weitere Transferleistung erbracht werden muss, da an der Orchesterarbeit in erster Linie allgemeine Probleme der Gruppendynamik und Entscheidungsfindung anschaulich werden und sich der Teamerfolg idealerweise in einem besseren Klang niederschlägt. Die Spiegelung – um einen Begriff von oben noch einmal aufzunehmen – ist also gewissermaßen entspezifiziert und abstrakt; zu beobachten gibt es Teamprozesse des Orchesters, und diese Beobachtung kann wiederum abgeglichen werden mit den der eigenen Erfahrungen und diskutiert werden vor dem Hintergrund dieser. Der Faktor Erinnerbarkeit greift für eine Zusammenarbeit mit dem Orpheus Chamber Orchestra selbstverständlich genauso wie beim Unternehmenstheater. Beispiel 5: Kollektive Perkussion als Sinnbild gelungener Handlungskoordination Als ein weiteres Beispiel für Erscheinungsformen organisationsentwicklerischer Arbeit mit Musik bzw. musikbasierte Interventionen mit organisationsentwicklerischer Absicht soll die moderierte Perkussion in einer Großgruppe dienen. Wie bereits bei den oben genannten Beispielen zielt diese Maßnahme auf gute Erinnerbarkeit ab und konstruiert eine Parallele zwischen gelungenem (musikalischen) Zusammenspiel und erfolgreicher Zusammenarbeit im organisationalen Kontext. Die Verfasserin berichtet hier aus eigener Erfahrung als Teilnehmerin an einer von dem Perkussionisten Christian von Richthofen moderierten Sequenz im Rahmen eines sogenannten Forums, das für etwa 200 Mitarbeiter des BMW-Personalmanagements von verschiedenen Werks- und Vertriebsstandorten in Deutschland organi135 Ebd., S. 56. 136 Ebd. 137 Ebd., S. 57.

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siert worden war.138 Ziel der gesamten Veranstaltung war es, über kommende Herausforderungen und die Strategie des Personalwesens zu informieren, standortübergreifend persönliche Kontakte zwischen den einzelnen Mitarbeitern zu ermöglichen, sie Ideen austauschen zu lassen sowie die gleichgerichtete Zusammenarbeit im Netzwerk zu fördern, die aufgrund der stark gewachsenen Matrixorganisation sowohl des Personalwesens selbst als auch der zu betreuenden, anderen Unternehmensbereiche zunehmend wichtiger geworden war. Insbesondere letzterer Aspekt sollte mit dem Tagesordnungspunkt einer gemeinsamen Perkussionseinheit adressiert werden. Hierzu war der o.g. Schlagzeuger eingeladen worden. Von Richthofen begann seinen Auftritt mit einer virtuosen Solo-Perkussionsdarbietung an der Karosserie einer (sonst zu Testzwecken dienenden) Limousine und weckte damit große Begeisterung. Im Anschluss referierte er einige Minuten über seine Erfahrungen als Musiker hinsichtlich eines gelungenen Zusammenspiels – eine Anmoderation zur für die meisten Teilnehmer überraschenden Aktivierung des Publikums. Von Richthofen teilte die Zuhörerschaft von der Bühne aus in verschiedene Gruppen ein und gab jeder Gruppe ein rhythmisches Muster vor, das diese mithilfe einfachster Mittel gemeinsam erzeugten: So raschelte eine Gruppe in einem speziellen Rhythmus mit Papier, eine andere trommelte mit Kaffeelöffeln auf die Tische, bei einer weiteren kamen die Gläser zum Einsatz, und das Organisatoren-Team trommelte mit bloßen Händen auf der bereits erwähnten Karosserie. Nachdem die Rhythmen der einzelnen Gruppen erfolgreich zusammengeführt worden waren, galt es während des Spielens und ohne verbale Abstimmung, innerhalb der Gruppen zu improvisieren, neue Elemente in die Rhythmik einzubringen, weitere ‚Stimmen‘ zu generieren sowie perkussionistische Wechselspiele in und zwischen den Gruppen zu erzeugen – selbstverständlich stets ohne dabei aus dem Takt der gesamten Großgruppe zu geraten. Beabsichtigter Effekt hierbei ist, die Bedingungen eines gelungenen Zusammenspiels musikalisch erlebbar zu machen. Jeder Trommler kann seine individuellen Ideen einbringen, muss jedoch stets aufmerk138 Vgl. http://www.christianvonrichthofen.com/ (19.02.2012). Von Richthofen bietet diese und ähnliche Dienstleistungen unter dem Titel „Meet the beat“ auf seiner Webiste an: „Gemeinsamer Rhythmus als Kommunikation pur. In einem Orchester spielen. Mit ‚Instrumenten‘ aus dem Arbeitsalltag: Papier, Pappkartons, Kaffeelöffel, Computertastaturen, Plastikkanister, Metall- bzw. Plastikrohre, Schraubschlüssel, Kühlerhauben – allem, was klingt. Ohne Noten. Ohne musikalische Vorkenntnisse. Lernen, ohne Worte zu kommunizieren. Gespür entwickeln für Rhythmus, Timing, Interaktionen, Dynamik. Die Intuition auf der Basis von eigenen musikalischen Erfahrungen verbessern. Zusammenspiel mitgestalten. Teamplayer sein und Solist. Hautnah erleben, was es heißt, sich zu connecten, mit anderen an einem Strang zu ziehen, sich abzustimmen, andere und eigene Ideen sofort zu realisieren. Aktiv mittendrin in Entwicklungsprozessen, eben wie in einem richtigen Orchester […].“

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sam auf seine ‚Mittrommler‘ hören, um im gemeinsamen Takt zu bleiben (der sich freilich über die Zeit auch verändern, nämlich beschleunigen oder verlangsamen kann). Auch kann es einzelnen Trommlern gelingen, unter den Mitspielern ‚Anhänger‘ für einen neuen rhythmischen Vorschlag zu finden bzw. eine musikalische Meinungsführerschaft zu übernehmen. Aufgrund der simplen rhythmischen Anfangsvorgaben ist das Mitwirken auch für Teilnehmer ohne besondere musikalische Begabung oder Vorbildung beherrschbar. Unabhängig davon, ob es hierbei gelingt, Transferleistungen vom gemeinsamen Trommeln auf die organisationale Zusammenarbeit zu erbringen wie dies beim Orpheus Prozess exerziert wird, hat die Aktion eine gewisse emotionale und gruppendynamische Wirkung, der sich zu entziehen schwerfällt: Es ist laut, es ‚groovt‘, der ganze Ort scheint kollektiv bewegt vom Gesamtklang der vielen Menschen. Von Richthofen begleitete die musikalische Selbstorganisation der Gruppe mit gelegentlichen Kommentaren und Anregungen etwa zur Dynamik oder rhythmischen Veränderungen. Nicht alle Anwesenden brachten für den Programmpunkt gleichermaßen großen Enthusiasmus auf, allerdings war das Erstaunen über die Möglichkeit des reibungslosen und kreativen Zusammenspiels ohne entsprechende Vorbildung und Übung Anlass für zahlreiche Gespräche über die Zusammenarbeit im Personalmanagement und wirkte somit zumindest als Stimulus zur anschließenden Beschäftigung mit den bislang gelebten Kooperationsmodellen über Abteilungs- und Standortgrenzen hinweg. Fraglich bleibt, wie nachhaltig ein solches perkussionistisches Erlebnis tatsächlich bleibt, ist es doch eine punktuelle Maßnahme, die in erster Linie einen einmaligen symbolischen Charakter hat, jedoch weniger zu intensiverer Analyse geeignet wäre. Dies zeigt sich nicht zuletzt in dem bemerkenswerten Umstand, dass die (wenn vorhandene) Begeisterung der Teilnehmer vielmehr dem ‚Organisator‘ des Trommelgeschehens als der gemeinsamen Leistung der Gruppe und deren abgestimmtem Verhalten galt. Konstatiert werden kann jedoch, dass auch dieses Modell als ein Beispiel für den Einsatz künstlerischer, nämlich musikalischer Mittel für Interventionen im Rahmen der Organisationsentwicklung gelten kann, dem eine mögliche (positive) Wirkung zugeschrieben wird. Eine ad hoc-Internetrecherche zeigte, dass es zahlreiche Anbieter von moderierter Gruppenperkussion gibt.139

139 Mit den Suchbegriffen „Perkussion“ und „Organisationsentwicklung“ oder „Teambuilding“. Womöglich spiegelt die Beliebtheit dieser und ähnlicher Formen der Gruppenaktivierung jene wider, derer sich seit einigen Jahren diverse Perkussionskünstler, ‚mitreißende‘ Trommel- und rhythmuslastige Tanzshows (z.B. Martin Grubinger, The Blue Man Group, die japanische Trommlerformation Kodo, Lord of the Dance u.ä.) erfreuen.

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Z USAMMENFASSUNG Die Beispiele haben gezeigt, dass und wie unterschiedlich Mittel der Kunst in der Organisationsentwicklung eingesetzt werden können: Bewusst geht es in allen hier skizzierten Programmen nicht um die Aneignung spezifischer ‚künstlerischer‘ Fertigkeiten, die ebenfalls denkbar wäre (etwa betrieblich organisierte, kunstnahe Freizeitangebote für Mitarbeiter wie Zeichen- oder Schreibkurse). Vielmehr wird auf einer abstrakteren Ebene angesetzt, insofern die geschilderten Beispiele darauf abzielen, einen Reflexionsprozess in Gang zu setzen und hierfür inhaltliche Anstöße zu geben. Für eine systematische Differenzierung der verschiedenen Zugänge bieten sich drei Dimensionen an, nämlich (1) die eingesetzten Mittel, (2) die organisationsentwicklerische Absicht und (3) Funktionsweise und Aktivierungsgrad. Wenn (ad 1) künstlerische Ausdrucksformen oder Medien zum Einsatz kommen, dann ist dies nicht unbedingt gleichbedeutend mit Kunst. Unternehmenstheater etwa versteht sich ausdrücklich nicht als Kunst, sondern als ein zweckgerichtetes Auf-die-Bühne-Bringen von Themen, arbeitet aber dennoch ganz klar mit performativen Mitteln. Die Zielsetzung ist hierbei nicht, Kunst zu erzeugen, sondern der Kunst entlehnte Ausdrucksformen zur Symbolisierung oder Repräsentation sozialer Prozesse zu verwenden. Ebendies gilt auch für die geschilderte kollektive Perkussion. In den Beispielen der Frick-Collection und der Droege & Comp. hingegen wird nicht ‚nur‘ mit künstlerischen Ausdrucksformen gearbeitet, sondern mit Kunstwerken, die zunächst in einem Kunstkontext geschaffen wurden, nun jedoch als Reflexionsstimulanzien in einem anderen Kontext bzw. mit einer organisationsentwicklerischen Absicht genutzt werden. Diese Nutzung in ihrer konkreten Erscheinungsform war bei der Schaffung der Kunstwerke nicht vorgesehen (gleichwohl Kunstwerke doch vielfach mit der allgemeinen Absicht geschaffen werden, Denkanstöße zu liefern). Kunstwerke werden hier im Wortsinne ‚instrumentalisiert‘, um die Wahrnehmungsfähigkeit von Mitgliedern einer Organisation mittels Übung an den Kunstwerken zu verbessern. Beim Droege-Kunstkonzept wird darüber hinaus auch der Prozess des Kunstschaffens herangezogen, um die Reflexionsfähigkeit der Mitarbeiter zu schärfen – etwa im Dialog mit Künstlern, die in und an den Räumlichkeiten der Firma arbeiten. Ebenso wird beim Orpheus-Prozess die Entstehung des Kunstwerkes (hier: nicht das Komponieren eines Werkes, sondern das Interpretieren und Einstudieren seiner Aufführung) thematisiert, und er dient als Material, um die Beschäftigung mit Formen der Führung und der kollektiven Entscheidungsfindung auszulösen. Nicht ganz trennscharf ist die Unterscheidung (ad 2) bei der personal-/organisationsentwicklerischen Absicht zu treffen. Hier kann aber differenziert werden nach der Förderung einer konkreten Fertigkeit auf der einen Seite: Dies wäre bei den Kursen der Frick Collection der Fall, die den Teilnehmern das genauere Hinse-

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hen nahe bringen will. Demgegenüber kommt bei allen anderen hier geschilderten Beispielen noch ein weiterer Schritt hinzu; das genaue Hinsehen allein reicht nicht: Es geht vielmehr darum, auf einer abstrakteren Ebene die eigenen Beobachtungen zu reflektieren und auf dieser Basis eine Transferleistung bezüglich der eigenen Person, der Organisation, des eigenen Verhaltens, des Verhaltens einer Gruppe zu erbringen oder aber zu lösende Aufgaben in einem anderen Lichte zu betrachten und neue oder unkonventionellere Lösungsräume zu erschließen. Tabelle 6: Einordnung der Beispiele hinsichtlich der Art des Einsatzes von Kunst und künstlerischen Medien und der verfolgten organisationsentwicklerischen Absicht (Dimensionen 1 und 2).

Personal-/Organisationsentwicklerische Absicht

Eingesetzte Mittel Förderung konkreter Fertigkeiten Förderung der Wahrnehmung ‚zweiter Ordnung‘ und des allg. (Selbst-) Reflexionsvermögens/ Abstraktions- und Transferleistung

Medien der Kunst

Kunst als Werk

Kunst als Prozess

Frick Collection Unternehmenstheater, Kollektive Perkussion

Droege & Comp.

Droege & Comp., Orpheus Process

Christian Jacobs und Jörg Frank sprechen in diesem Zusammenhang vom „konfrontativen“ und „assoziativen“ Aspekt der organisationsentwicklerischen Arbeit mit Kunst: „Konfrontativ in dem Sinne, dass eine Denkwelt (Kunst) einer anderen Denkwelt (Wirtschaft) einen völlig neuen Denkraum erschließt. Die Wirtschaft hat den Standpunkt der Betrachtung aufzugeben und sich auf ein Erleben einzulassen, was nur durch Kunst entsteht. […] Assoziative Prozesse werden in Bewegung gebracht, weil es nach dem konfrontativen Erleben darum geht, die aus dem Erleben geschöpften und gewonnenen Erkenntnisse auf das Wirtschaftsleben zu übertragen.“140

140 Jacobs, Christian; Frank, Jörg (1997): Vom neuen Sinn eines seltsamen Amtes oder: Die Wiederbelebung des Hofstaates. In: Schmitz et al. 1997. S. 253-264, hier: S. 259.

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Die „Konfrontation“ erfolgt entweder als Anschauung oder aber durch die Einbindung der adressierten Personen in das künstlerische oder kunstnahe Geschehen. Die Assoziation ist als nachgelagerter Prozess bereits eine Verarbeitung des Gesehenen/Erlebten bis hin zu einer Transferleistung etwa in den Organisationsalltag. Anschauung und Einbindung liefern als Ausprägungen von Aktivierungsgrad und Funktionsweise (ad 3) ein weiteres Unterscheidungskriterium für die oben skizzierten Beispiele. Während die Adressaten der Intervention bei Frick, Droege und Orpheus Zuschauer und -hörer bleiben, werden sie beim kollektiven Trommeln aktiviert, also in das Geschehen eingebunden. Beim Unternehmenstheater gibt es beide Formen – je nachdem, ob die Mitarbeiter als Publikum oder aber als Schauspieler, Regisseure oder Dramaturgen fungieren. Der Schluss, Mitmachen sei effektiver als Zuschauen, wäre nach Ansicht der Verfasserin zu kurz gegriffen. Denn wie nachhaltig wirkungsvoll eine Intervention ist, ist maßgeblich von der Zielsetzung und dem Adressatenkreis abhängig. Schließlich macht es einen Unterschied, ob punktuell, ereignis- und symbolhaft gearbeitet oder aber ein längerer Prozess angestoßen werden soll. Unterschiedliche Zielgruppen erfordern wiederum unterschiedliche Ansprache und Heranführung. Darüber hinaus ist entscheidend, wie die Intervention eingebettet und begleitet wird, wie intensiv die Mitarbeiter sich mit welchen Themen auseinandersetzen. Tabelle 7: Funktionsweise der Beispiele über Anschauung oder über Einbindung und Reflexion (Dimension 3).

Anschauung

Frick Collection Orpheus Process Droege & Comp. Unternehmenstheater mit Mitarbeitern als Zuschauern

Einbindung

Kollektive Perkussion Unternehmenstheater mit Mitarbeitern als Schauspielern oder Dramaturgen

Damit Mittel der Kunst in vielversprechender Weise in die Organisationsentwicklung eingebracht werden können, bedarf es gerade bei einer unbefriedigenden Evaluationslage141 der Offenheit und des Vertrauens von Seiten des Unternehmens bzw.

141 Diese liegt, so unterstellt zumindest Blanke, in der Natur der Sache: „Das scheinbare Hindernis für ein Zusammenwirken von Kunst und Wirtschaft, das darin liegt, dass sich Kunst bei der Frage nach dem Nutzen für das Unternehmen einer eindeutigen Antwort entzieht, ist ihr eigentliches Kapital. Sie trägt keinen operationalisierbaren Instrument-

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neudeutsch ein ‚Commitment‘ auf der Führungsebene.142 Ein wenig Experimentierfreude und die Fähigkeit, mit der Ergebnisoffenheit und Nicht-Programmierbarkeit eines Prozesses umzugehen, sind ebenfalls vonnöten. Damit eine solche positive Haltung wiederum gerechtfertigt ist bzw. überhaupt entstehen kann, müssen die Anbieter kunstbasierter Interventionen sowohl eine hohe Qualität und Glaubwürdigkeit in ihrem Tun aufweisen als auch – und vielleicht sogar entscheidender – in der Lage sein, eine gewisse Übersetzungsleistung zu erbringen.143 Die Arbeit mit einem Künstler oder Kulturschaffenden ist insofern anders gelagert als die mit einem Teilezulieferer, als es hier in der Regel „no developed currency of collaboration“,144 keine belastbare Erfahrung also in Austausch und Interaktion gibt. Die Brücke zwischen den o.g. „Denkwelten“ muss vielfach erst gebaut werden. Das macht nicht nur Wertschätzung, sondern auch eine gewisse Annäherungsleistung, ein Einlassen auf beiden Seiten erforderlich. Gleichzeitig gilt es jedoch, die Andersartigkeit aufrechtzuerhalten, denn genau aus dieser und dem somit entstehenden Spannungsverhältnis speist sich ja der unterstellte positive Effekt: Die „jeweilige Identität und Unterschiedlichkeit von Kunst und Wirtschaft ist der Schlüssel zu ihrer gewinnbringenden Begegnung“.145 charakter, sie ist kein Werkzeug, kein Tool im herkömmlichen Sinn. Sie schafft ‚nur‘ Freiräume, die ergriffen und genutzt werden können.“ (Blanke 2002, S. 82). 142 Vgl. ebd., S. 82; Tweedy et al. 2004, S. 23. 143 Von Richthofen etwa würde weder ernst genommen, wenn er kein sehr guter Perkussionist wäre, noch wenn er nicht in der Lage wäre, die Metaphorik des gemeinsamen Trommeln verständlich zu erklären. 144 Ebd., S. 37. 145 Vgl. Jepsen, Stefan; Preissler, Harald et al.: Wert-Schöpfung (2003). Ein Dialog zwischen Kunst und Wirtschaft. In: OrganisationsEntwicklung, H. 4. S. 68-75, hier: S. 74; Blanke 2002, S. 52. Eine interessante Parallele, die in diesem Zusammenhang bereits von verschiedenen Autoren gezogen wurde, ist die zwischen Künstler und Hofnarr (vgl. Jacobs et al. 1997, S. 256). bzw. Berater und Hofnarr (vgl. Fuchs, Peter: Hofnarren und Organisationsberater (2002). Zur Funktion der Narretei, des Hofnarrentums und der Organisationsberatung. In: OrganisationsEntwicklung 21, H. 3. S. 4-15, hier: S. 9), dessen besonderes Charakteristikum ja darin liegt, dass er einerseits Außenseiter, andererseits aber (sogar führungsnahes) Teil des Systems ist, für dessen Verhalten jedoch die Regeln einer anderen Ordnung gelten. Ähnlich dem Fremden bei Georg Simmel (Exkurs über den Fremden, in: Simmel, Georg (1992 [1902]): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 764-771) ist „der Narr in eine extempte (extime) Situation gestellt [...], in der er zugleich innen wie außen ist, nah am Fürsten, angesiedelt am Hofe, aber nicht eingebettet in die Hierarchie. Er kann (bei hinreichender Raffinesse) reden, was er will, angreifen, wen immer er möchte, er duzt den Herrscher, er darf die üblichen Ehrbezeigungen persiflieren und mit der Idee

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Die Akteure bzw. Anbieter von kunstbasierten Interventionen zur Organisations- und/oder Personalentwicklung sind, so haben Tweedy und Knell herausgefunden, in der Mehrheit Freelancer und auf dieses spezielle Instrumentarium spezialisierte Unternehmensberater und Coaches.146 Dies ist sicherlich von Vorteil, da diese über die professionelle Praxis und die Spezialisierung besonders tiefes Verständnis des Geschäfts und der Kundenwünsche aufbauen können. Doch es gibt auch gemeinnützige Kulturorganisationen, die ihre Eigenfinanzierung durch entsprechende Angebote an Unternehmen aufbessern.147 Mögliche Faktoren, die ein stärkeres Engagement von Kulturorganisationen in diesem Feld erschweren, sind u.a. • • •

die mangelnde Kenntnis um die Nachfragesituation, also mögliche Bedarfe von Unternehmen in dieser Richtung, mangelnde Ressourcen, um entsprechende Konzepte vorzufinanzieren, sowie eine grundsätzliche Berührungsangst bzw. die Sorge, die Kunst mit dem Erbringen solcher Dienste an Unternehmen zu instrumentalisieren und somit zu kompromittieren, also (zumindest in den Augen anderer) an Ernsthaftigkeit bei der Erfüllung der originären Aufgabe einzubüßen.

Der erste Aspekt – Unkenntnis – resultiert aus einem Mangel an Anknüpfungspunkten, denn diejenigen Kontakte, die es zwischen Kulturorganisationen und Unternehmen gibt, sind zumeist fokussiert auf das Verhältnis von Sponsor und Gesponsertem oder auf das von Anbieter und Publikum. Um mögliche Bedarfe in Unternehmen zu identifizieren, ist ein Organisationsverständnis vonnöten, das sich nur des Rollentausches spielen – und niemand darf ihn dafür bestrafen außer der (sic!) Herrscher selbst, wenn der Narr aus seiner Rolle fallen sollte. Erstaunlich daran ist, dass die Kombination von Redefreiheit und Gleichstellung die Inversion/Perversion der Sozialordnung der Möglichkeit nach vorführt“ (Fuchs 2002, S. 9). Über die Figur des Hofnarren wird ein Freiraum für Kritik und Hinterfragen in ein (Herrschafts-)System eingeführt, das Selbstkritik zunächst ausschließt, und somit sein eigenes Fortbestehen und seine Stabilität gesichert: Der Narr wirkt – als Teil des Systems – nicht destruktiv, gefährdet also die Herrschaft nicht grundsätzlich, sorgt aber – in seiner Außenseiterfunktion – für die Möglichkeit der Beobachtung zweiter Ordnung (vgl. ebd.). Der Herrscher symbolisiert das Bewahrende, wohingegen der Narr „Verwirrung stiftet“, „permanent in Bewegung“ ist und somit die Veränderung und Neuartigkeit symbolisiert (Jacobs et al. 1997, S. 254). In dieser Eigenschaft sehen Jakobs und Frank eine Rollenverwandtschaft zwischen Narr und Künstler, wie auch in der Notwendigkeit, den richtigen „Modus“ der Kommunikation zu finden, nämlich eine Balance zwischen Mut zur Störung und einer angemessenen Form, die nicht destruktiv ist. 146 Vgl. Tweedy et al. 2004, S. 26. 147 Vgl. ebd., S. 14f. (Fußnote).

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schwerlich aus einer ausschließlich äußeren Perspektive erschließt, sondern etwa den intensiveren Austausch mit einzelnen Organisationsmitgliedern voraussetzt. Hinzu kommt, dass organisationsentwicklerische Methoden in vielen Kulturorganisationen noch unbekannt sind,148 und es somit umso schwerer fällt, deren Normalität etwa in Großunternehmen und mögliche Anknüpfungspunkte zu erfassen. Erst wenn dies gewährleistet ist, gelingt es leichter, selbstbewusst ein entsprechendes Angebot zu machen. Der zweite Aspekt – Ressourcenknappheit – kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn es sich um kleinere Organisationen wie etwa Kulturvereine handelt, die nicht über einen Verwaltungsapparat verfügen wie die meisten Einrichtungen, die Tweedy und Knell als in dem Bereich bereits aktiv nennen.149 Ressourcen (Geld, Zeit, Ideen) müssen zunächst als Vorleistung investiert werden. Bei ungewissem Ausgang bzw. nicht gesichertem Erfolg (und ob eine organisationsentwicklerische Maßnahme als erfolgreich oder nicht angesehen wird, ist wiederum von vielen Aspekten abhängig) ist es angesichts sowieso schon knapper Mittel gut nachvollziehbar, wenn Kulturorganisationen eher bei bewährten, aus ihrer Sicht risikoärmeren Formaten bleiben und hier nicht in Vorleistung gehen. Bei den von Tweedy und Knell angeführten Beispielen handelt es sich v.a. um solche Organisationen, die (bedingt durch den Kontext angelsächsischer Kulturfinanzierung) über langjährige Erfahrung im Akquirieren und Explorieren nichtstaatlicher Unterstützung und Finanzierungsquellen verfügen. In diesen ist es auch nicht unüblich, größere Ressourcen in Fundraising und verwandte Aktivitäten zu investieren, also nicht alle personelle Kraft in die Kunstproduktion und -distribution, sondern auch in unternehmerische Tätigkeiten zu stecken. Dies ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit und wird vielfach auch kritisch gesehen: Skepsis herrscht gegenüber einer Instrumentalisierung der Kunst und Unterwerfung künstlerischer Arbeit unter ökonomische oder ‚kapitalistische‘ Handlungslogiken. Eine engere Zusammenarbeit mit Unternehmen läuft somit Gefahr, als Verlust der Ernsthaftigkeit des künstlerischen bzw. kunstorganisierenden Tuns gewertet zu werden. Deswegen besteht womöglich das Risiko eines Glaubwürdigkeitsverlustes in der Kunstwelt – insbesondere, da vielfach nicht unterschieden wird zwischen dem künstlerischen Schaffen und den managerialen Begleitaktivitäten, gerade wenn diese von derselben Personen ausgeübt werden. 148 Vgl. Exkurs am Ende dieses Kapitels. 149 Für das Vereinigte Königreich: The National Theatre, West Yorkshire Playhouse, Circus Space, LAMDA, Arc Theatre, Academy of St Martin in the Fields, Central St Martins and Trestle Theatre; Almeida, London Sinfonietta, City of London Sinfonia, Fecund Theatre, Cardiff Bay Orchestra, Leicester Comedy Festival, Young Vic Theatre Company, National Galleries of Scotland, Lyric Theatre Hammersmith and Soho Theatre (Tweedy et al. 2004, S. 26).

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Wenn sich allerdings Unternehmen von der Zusammenarbeit mit kunstnahen oder Kunst-Akteuren eine fruchtbare Konfrontation mit fremden Denkwelten und neue Impulse für eingefahrene Sichtweisen und Praxen erhoffen, dann liegt in der möglichen Gegenseitigkeit dieses Effektes ebenfalls eine Chance: einerseits – abstrakt – zur Perspektivenerweiterung durch das Kennenlernen eines Unternehmens ‚von innen‘, andererseits – konkreter – aber auch zum Abschauen von gewissem Handwerkszeug und erfolgreichen Techniken. Beide möglichen Effekte kommen insbesondere bei solchen Organisationen zum Tragen, die nicht auf kunstbasierte Interventionen spezialisierte Unternehmen, sondern nicht-gewinnorientierte Kulturproduzenten oder -anbieter sind und somit in der Regel eine größere Ferne zu Handlungsansätzen der Privatwirtschaft haben. So ist auch die Organisationsentwicklung, die in vielen Unternehmen bereits seit Jahrzehnten in unterschiedlicher Weise bewusst vorangetrieben wird und in Form institutionalisierter Rollen Fuß gefasst hat, in solchen Kulturorganisationen weitaus weniger verbreitet. Dem Thema OE in Kulturorganisationen ist der folgende Exkurs gewidmet, da es sich hierbei um ein mögliches Feld des Know-how-Transfers handelt.

E XKURS : O RGANISATIONSENTWICKLUNG IN K ULTURORGANISATIONEN Eine Beschäftigung mit der eigenen Organisation, dem Verhältnis von vorgegeben und gewachsenen Strukturen mit kollektivem und individuellem Verhalten, dem eigenen Daseinszweck und Zielen in einer sich ändernden Umgebung ist in privatwirtschaftlichen Unternehmen vielfach ein Thema und schlägt sich beispielsweise in Teambuilding- und Strategieentwicklungsprozessen nieder. Wie das vorhergehende Kapitel gezeigt hat, kommen dabei mitunter und in wachsendem Ausmaß auch „Anleihen aus der Welt der Kunst“150 zum Einsatz – angesichts neuer Herausforderungen für Unternehmen und auch eines hart umkämpften Beratermarktes suchen Organisationsentwickler oder auch Change Management-Berater verstärkt nach neuartigen Methoden und Werkzeugen, mit denen sie Veränderungsprozesse erfolgreich umsetzen können. Demgegenüber ist Organisationsentwicklung im Kulturbereich noch eher ein Fremdwort, zumindest hat die professionelle Beschäftigung mit Fragen der Organisation (vielleicht abgesehen von der der Rechtsform) hier bis dato kaum Fuß fassen können.151 Das mag verwundern, da Kulturorganisationen doch immensen Verände-

150 Boerner 2002. 151 So enthält das 2011 in der dritten überarbeiten Auflage erschienene Kompendium Kulturmanagement (Ersterscheinungsjahr: 2004) zwar Beiträge zu „Managementtechni-

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rungen ihres Umfeldes ausgesetzt sind, mit denen sie umzugehen lernen müssen, um überlebensfähig zu bleiben:152 Die Konkurrenz der im virtuellen Raum stattfindenden Freizeitangebote, Eventisierung153 und veränderte Publikumsstrukturen154 sowie ein wachsender Rechtfertigungsdruck zur Erlangung öffentlicher Mittel,155 um nur ein paar Schlagworte zu nennen, stellen insbesondere die öffentlichrechtlichen und die in anderer Weise auf öffentliche Gelder angewiesenen Kulturorganisationen vor große Herausforderungen. Tröndle bemerkt, „[d]ass […] organisationstheoretische Fragen in Kulturbetrieben meist auf wenig Resonanz stoßen, ken“, „Projektmanagement“, „Controlling“, „Kulturpolitik“, rechtlichen Fragen, „Kosten- und Leistungsrechnung“, „Kultursponsoring“, „Fundraising“, „Kulturmarketing“, „Öffentlichkeitsarbeit“, „Besucherforschung“ sowie „Kultur und Tourismus“, jedoch keinen Hinweis auf „Organisationslernen“, „Organisationsentwicklung“ o.ä. (vgl. Klein, Armin (Hrsg.) (2011b): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis. 3., überarb. Aufl. München: Franz Vahlen). Etwas weiter scheinen hier insbesondere im angelsächsischen Raum Non-Profit-Organisationen zu sein. Vgl. Drucker, Peter F. (1992): Managing the non-profit organization. Practices and principles. New York: HarperBusiness. Der Sammelband Klein, Armin (Hrsg.) (2012): Taten.Drang.Kultur. Kulturmanagement in Deutschland 1990-2030. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften, in dem die Beiträge einer Tagung anlässlich des zwölfjährigen Bestehens des Studienganges Kulturmanagement an der PH Ludwigsburg zusammengefasst sind, enthält ein Kapitel Change Management, dem ein entsprechendes Fachforum der Tagung zugrunde liegt (S. 125-163). Ein weiterer Aufsatz ist mit Coaching im Kulturbereich befasst: Kronenberger-Hüffer, Dagmar (2004): Coaching als Instrument der Personalentwicklung im Museum. In: Neue Ansätze im Kulturmanagement. Theorie und Praxis. Hrsg. von Thomas Heinze. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. S. 131-154. 152 Vgl. Klein 2011a. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Fachkräftemangel sich im Kulturbereich bislang insofern nicht niedergeschlagen hat, als dass unbeeindruckt von den statistischen Berufschancen zahlreiche junge Leute in einschlägige Studiengänge strömen und bereit sind, im Anschluss daran für wenig üppige Aufwandsentschädigungen und in immerfort befristeten Beschäftigungsverhältnissen zu wirken. 153 Vgl. Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.) (2000): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen. Opladen: Leske + Budrich; Scherer, Roland; Riklin, Franz-Martin; Bieger, Thomas (2001): Die langfristigen Effekte von Kulturevents. Das Beispiel von Lucerne Festival. AIEST, 51st Congress. Malta. http:// www.alexandria.unisg.ch/export/DL/13590.pdf (9.1.2013). 154 Vgl. verschiedene Beiträge in Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.) (2005): Jahrbuch Kulturpolitik 2005, Thema: Kulturpublikum. Essen: Klartext. 155 Vgl. Haselbach et al. 2012.

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liegt nicht daran, dass Kulturbetriebe keine Organisationen wären, sondern daran, dass organisationstheoretische Themen nicht im künstlerisch geprägten Themenvorrat vorkommen“.156 Im Jahre 1993, als das Kulturmanagement als (wissenschaftliche) Disziplin noch sehr jung war, hat Christiane Liebald zwar bereits auf einen organisationsentwicklerischen Bedarf in den Institutionen des Kulturbereiches hingewiesen, doch fand diese Einschätzung keinen großen Widerhall. Bis heute bleibt sie eine der wenigen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben.157 Liebald geht in ihren Überlegungen davon aus, dass in der Kulturarbeit, sofern sie in festen Organisationsrahmen stattfindet, „allgemeine Prinzipien der Gestaltung und Entwicklung von Organisationen gelten“ – und insoweit auch Methoden der Organisationsentwicklung sinnvoll anzuwenden sind.158 Kulturmanagement bzw. entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote konzentrierten sich, so bemängelt Liebald, allerdings zumeist auf die „Vermittlung instrumenteller und methodischer Kenntnisse, weniger auf das Training personenbezogenen Führungsverhaltens“, obwohl doch Management immer auch der angemessene „Umgang mit dem Einzelnen und Gruppen“ 156 Tröndle, Martin (2005b): Kultur – Organisation – Entscheidung. Zur Differenz von Organisation und Kulturorganisation aus systemtheoretischer Perspektive. In: Deutsches Jahrbuch für Kulturmanagement. Hrsg. von Werner Heinrichs; Armin Klein. Baden-Baden: Nomos. S. 182-209, S. 204. 157 Liebald, Christiane (1993): Organisationsentwicklung in Kultureinrichtungen. Einige Anmerkungen zu einem neuen Aufgabenfeld des Kulturmanagements. In: Zur Theorie des Kulturmanagements. Ein Blick über Grenzen. Hrsg. von Max Fuchs. Remscheid: Akademie Remscheid. S. 225-231. Liebald hat diesen Ansatz selbst auch nicht weiter verfolgt wie sie in einer E-Mail-Korrespondenz mit der Verfasserin angab. Frühe Ausnahmen bilden auch die 1994 verfasste Diplomarbeit Hösel, Beate (1996): Organisationsentwicklung im Kulturbetrieb unter besonderer Betrachtung des Organisationsklimas dargestellt am Beispiel des kunsthistorischen Museums Schloss Ambras. Diplomarbeit. Innsbruck und Heinze, Thomas (1997): Organisationsentwicklung als Aktionsforschung. In: Kulturmanagement II. Hrsg. von Thomas Heinze. Opladen: Westdeutscher Verl. S. 198-210. Klein thematisiert Die lernende Organisation als Teil des exzellenten Kulturbetriebs: Klein 2011, S. 129-167 mit besonderem Gewicht auf der Organisationskultur und der Frage nach den „Ursachen für kranke Kulturorganisationen“. Erst sehr kürzlich erschienen ist Zulauf, Jochen (2012): Aktivierendes Kulturmanagement. Handbuch Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement für Kulturbetriebe. Bielefeld: Transcript. Aus dem Klappentext: „Dieses Handbuch stellt mit Organisationsentwicklung und vor allem Qualitätsmanagement zwei in anderen Bereichen erprobte und etablierte Verfahren vor, die bislang weder in der Praxis noch in der Literatur zum Kulturmanagement angemessen Beachtung gefunden haben.“ 158 Liebald 1993, S. 226.

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sowie die „Fähigkeit, Gruppenprozesse zu erkennen und zu steuern“ sei.159 Insbesondere hinsichtlich der Aufmerksamkeit, die in der Organisationsentwicklung dem ‚Faktor Mensch‘ gewidmet wird, sieht Liebald Anknüpfungspunkte zum Kulturbereich: Denn künstlerische Produkte sind „in besonderer Weise von den Menschen abhängig und geprägt, die sie geschaffen haben“, und künstlerische Betriebsstrukturen und Arbeitsprozesse sind oft personalintensiv.160 Wohlergehen, Zufriedenheit, Leistungsbereitschaft, Identifikation und Motivation der Mitarbeiter sollten Liebald zufolge gerade in Kunstorganisationen in besonderer Weise wichtig sein. Überdies tragen ihrer Meinung nach Kultureinrichtungen „hohe Verantwortung für die soziale und natürliche Umwelt“, wenn sie „einem Verständnis kultureller Bildung [folgen], die auf die Befähigung des Menschen zum kritischen und eingreifenden Handeln in gesellschaftliche Prozesse abzielt“.161 In dieser Argumentation spiegelt sich eine normative Herangehensweise, die in gewisser Weise bezeichnend für die kulturelle Bildung wie auch die klassische Organisationsentwicklung ist,162 jedoch als nicht mehr ganz zeitgemäß gelten muss.163 Zuzustimmen ist Liebald jedoch in der Annahme, dass der wesentliche Grund für die geringe Verbreitung der Organisationsberatung im Kulturbereich in der schwachen Finanzkraft der Einrichtungen liege.164 Die Kunstproduktion als solche steht hier immer im Vordergrund, und das zur Verfügung stehende Geld wird eher in das Angebot und dessen Bewerbung gesteckt als in Maßnahmen der Organisationsoptimierung ohne direkten Output. Überdies ist davon auszugehen, dass zusätzliche Ausgaben, deren Sinnhaftigkeit nicht auf Anhieb ersichtlich ist, bei zumindest im Durchschnitt eher niedrigen Gehältern der Belegschaft165 Skepsis erzeugen bzw. besonderer Legitimierung bedürfen. Wenn entsprechende Maßnahmen dann auch noch erfolglos sind und zum Beispiel an Skepsis und Widerständen scheitern, 159 Ebd., S. 232. Von der Idee einer gezielten Steuerung wird in neueren Ansätzen Abstand genommen. Vgl. Wimmer 2004; Boos et al. 2005. 160 Liebald 1993, S. 228f. 161 Ebd., S. 229. 162 Zumindest gibt es Indizien dafür, dass in der kulturellen Bildung von einem (noch) nicht-mündigen Individuum ausgegangen wird, dem erst noch nahezubringen ist, was gut ist. Haselbach et al. sprechen von der „Soziokultur als Einstiegsdroge in die Hochkultur“ (Haselbach et al. 2012, S. 30). Vgl. zum normativen Ansatz in der OE Wimmer 2004; Boos et al. 2005. 163 Vgl. Kap. Organisationsentwicklung im Allgemeinen und unter Hinzuziehung kunstbasierter Mittel in diesem Buchteil. 164 Vgl. Liebald 1993, S. 233. 165 Zur Einkommensstruktur im Kulturbereich vgl. z.B. Zimmermann, Olaf (2005): Wachstumsbranche Kultur – aber unter welchen Bedingungen. http://www.kulturrat.de/detail. php?detail=221&rubrik=35 (1.1.2013).

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kommt es zur selbsterfüllenden Prophezeiung der Managementmethoden, die im Kulturbereich vermeintlich allesamt nicht anwendbar sind. Am häufigsten ist Organisationsentwicklung noch in Bezug auf Orchester zum Thema gemacht worden,166 zumindest insofern ihr Fehlen in diesem Bereich in den

166 Zuletzt: Kaiser, Hans-Georg (2012): Das Freiburger Barockorchester als Beispiel für einen andersartigen Musikbetrieb. In: Klein 2012. S. 125-132. Dies verwundert insofern nicht, als Orchester im Vergleich zu Organisationsformen anderer Kunstsparten insbesondere des darstellenden Bereiches (zum Beispiel Theater) überhaupt häufiger untersucht worden sind. Entsprechende ‚kunstorganisationssoziologische‘ Veröffentlichungen sind zum Beispiel Weber, Max (1972 [1921]): Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik. Tübingen: Mohr; Dirigent und Orchester. Sozialpsychologische Aspekte, in: Adorno, Theodor W. (2001 [1962]): Einleitung in die Musiksoziologie. 12 theoretische Vorlesungen. Frankfurt/Main: Suhrkamp; Schulz, Wolfgang (1971): Analysen an einem Symphonieorchester (Soziologische und sozialpsychologische Aspekte). In: Stress und Kunst. Gesundheitliche, psychische, soziologische und rechtliche Belastungsfaktoren im Beruf des Musikers eines Symphonieorchesters. Erstellt im Auftrag des Orchesters der Wiener Symphoniker aus Anlass des Jubiläums des 70jährigen Orchesterbestandes unter der wissenschaftlichen Gesamtleitung von Maximilian Piperek. Hrsg. von Maximilian Piperek. Wien, Stuttgart: Braumüller. S. 38-60; Kulenkampff, Hans Wilhelm (1980): Musiker im Orchester. Frankfurt/Main; New York; London: C.F. Peters; Strasser, Otto (1985): Sechse is. Wie ein Orchester musiziert und funktioniert. 2. Aufl. München: Dt. Taschenbuch Verl.; Erd, Rainer (1997): Kunst als Arbeit. Organisationsprobleme eines Opernorchesters. In: Soziologie der Kunst. Hrsg. von Jürgen Gerhards. Opladen: Westdeutscher Verl. S. 143-169; Paternoga, Sabrina (2005): Arbeitsund Berufszufriedenheit im Orchestermusikerberuf. Eine empirische Untersuchung im Kontext arbeits-, freizeit- und persönlichkeits-psychologischer sowie musikermedizinischer Konzepte. Berlin: Rhombos; Tröndle, Martin (2005a): Das Orchester als Organisation. Exzellenz und Kultur. In: Selbstorganisation managen. Beiträge zur Synergetik der Organisation. Hrsg. von Timo Meynhardt; Ewald Johannes Brunner. Münster: Waxmann. S. 153-170; Luhmann, Maike (2006a): Sozialer Austausch im Symphonieorchester. In: Götz 2006. S. 127-140. Vgl. insbesondere zum Thema Führung im Orchester Yaakov, Atik: The Conductor and the Orchestra (1994). Interactive Aspects of the Leadership Process. In: Leadership & Organization Development Journal 15, H. 1. S. 22-28 und die Studien von Sabine Boerner, z.B. Boerner 2006; Boerner et al. 2001. Praxisorientiert mit Blick auf mediatorische Interventionen im Orchester: Kutz, Angelika (2007): Mediation als Instrument zur Konfliktlösung im (professionellen) Orchester – Orchestermediation. Welche Besonderheiten sind zu beachten? Frankfurt/Main: Haag + Herchen. Aufschlussreich zum Orchesterleben, wenngleich eher unterhaltenden Charakters sind Süskind, Patrick (1997): Der Kontrabaß. Zürich: Diogenes sowie der Do-

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vergangenen Jahren verstärkt als Defizit erkannt worden ist: So geschehen beispielsweise in dem Artikel Ralf Pegelhoffs „Musiker als Erfüllungsgehilfen“ in der Branchenzeitschrift Das Orchester167 sowie in einem Vortrag Gerald Mertens zu Personal- und Organisationsentwicklung, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, beim Deutschen Orchestertag 2007.168 Pegelhoff beklagt, dass die „in anderen Branchen längst umgesetzten Erkenntnisse über professionellen Umgang mit internen Kommunikationsstrukturen und Organisationsabläufen [...] bei den Orchestern noch längst nicht angekommen“ seien. Vielmehr herrsche hier noch immer ein „autokratische[r] Führungsstil“ vor, denn „die Organisations- und Führungsstrukturen haben sich in den vergangenen fünfzig Jahren kaum verändert“ – während sich doch Ansprüche und Denkweise der Orchestermusiker wie überhaupt der Arbeitnehmer gerade in Bezug auf Fragen der Autorität erheblich verändert hätten.169 Wertvolle Chancen in Bezug auf Anziehungskraft und Qualität der Orchester würden somit vertan, denn zahlreiche gruppeninterne Konflikte beeinträchtigten Leistungsbereitschaft und -fähigkeit einzelner Musiker oder sogar Musikergruppen – bis hin zu Krankmeldungen.170 Es beginne oft bei einfachen Dingen wie der Integration neuer Kollegen, dem Umgang mit älteren, womöglich weniger leistungsfähigen Orchestermitgliedern oder der Art, untereinander Kritik zu üben. Teilweise würden Pegelhoff zufolge zwar Beratung, Mediation und Coaching angeboten und nachgefragt, doch herrsche auch eine gewisse Skepsis gegenüber solchen Interventionen von außen.171 Dazu kämen die Kosten und in Kombination damit die relativ „kurze[n] Planungszyklen“, die das Interesse an langfristigen und aufwendigen „Strukturveränderungen“ auf Seiten des Managements häufig verhinderten,172 sowie die tarifliche Arbeitszeitregelung, die wenig

kumentarfilm Trip to Asia von Thomas Grube (2008) über eine Asien-Tournee der Berliner Philharmoniker (http://www.triptoasia.de/, 01.01.2013). 167 Pegelhoff, Ralf (2007): Musiker als Erfüllungsgehilfen. Mangelhaft: Personal- und Organisationsentwicklung in deutschen Orchestern. In: Das Orchester. Magazin für Musiker und Management 55, H. 3. S. 8-16. Außerdem: Dost, Tilman (2008): Wenn sich der Ton verändert… Zur Ausgestaltung von Veränderungsprozessen im Orchestermanagement. In: Das Orchester. Magazin für Musiker und Management 56, H. 10. S. 30-33. 168 Mertens, Gerald (4. November 2007): Personal- und Organisationsentwicklung aus Musikersicht. Vortrag für den deutschen Orchestertag. Berlin: Deutscher Orchestertag. http://www.miz.org/artikel/2007_11_04Rede_DOT_041107.pdf (1.1.2014). 169 Pegelhoff 2007, S. 8. 170 Vgl. ebd., S. 9f. 171 Vgl. ebd., S. 12. 172 Ebd., S. 9.

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Zeit für Extras neben der Probenarbeit und Konzerttätigkeit lasse.173 Pegelhoff empfiehlt dem „Totschlagargument“ fehlender finanzieller Mittel zum Trotz die Einführung regelmäßiger Mitarbeitergespräche, verstärktes Engagement in der Personalentwicklung, „Qualitätszirkel“ zum abteilungsübergreifenden Austausch und zur Bündelung von Know-how und den Aufbau einer Feedback-Kultur.174 In ähnlicher Weise argumentiert Mertens, demzufolge Organisationsentwicklung ein Fundament der Orchesterarbeit sein müsste, und er fragt etwas provokativ: „Wen wundert es, wenn ein in der Summe frustriertes Orchester bestenfalls Dienst nach Vorschrift macht und nur gepflegte Routine zustande bringt? Da braucht sich das Management dann auch keine Gedanken mehr über Marketing, Education oder Audience Development zu machen, weil schon das Produkt, die Orchesterleistung selbst, nicht stimmt.“175

Die wenigen bekannten Organisationsberatungsprojekte bei Orchestern scheinen dieser Einschätzung recht zu geben, zumindest vermelden sie positive Ergebnisse. So berichten zum Beispiel Siv Boalt Boëthius und Björn Wrangsjö von der Beratung eines schwedischen Symphonieorchesters und Konzerthauses mit etwa 100 Musikern, 40 Verwaltungsmitarbeitern und einem fünfköpfigen Managementteam auf Anregung des Verwaltungsdirektors hin. Das Orchester hatte häufig Konflikte sowohl mit dem Haus- als auch Gast-Dirigenten sowie mit dem Management, und sein unglücklicher Zustand war auch an der Zahl der Krankmeldungen und Verspätungen, dem sinkenden Engagement der Musiker und letztlich einer nachlassenden musikalischen Qualität abzulesen.176 Unter Berücksichtigung der Spezifika der Orchesterorganisation und des Orchestermusizierens, der besonderen Geschichte des Orchesters und der Genese seiner aktuellen Organisationsstruktur inklusive Verwaltungsapparat sowie mit besonderem Augenmerk auf die verschiedenen Führungsfunktionen innerhalb von Orchester und Verwaltung untersuchten Boalt Boëthius und Wrangsjö die Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen. Mit diversen Maßnahmen in unterschiedlichen Besetzungen, Gruppen- und Einzelgesprächen sowie Workshops gelang es über einen Zeitraum von 18 Monaten offenbar, gegenseitiges 173 Und die zahlreiche Musiker auch für weitere musikalische Aktivitäten (z.B. solistische Tätigkeit oder Ensemblearbeit) oder Einkunftsquellen (etwa Erteilen von Unterricht, Aushilfstätigkeit in anderen Formationen) nutzen. 174 Ebd., S. 14ff. 175 Mertens 2007. 176 Vgl. Boalt Boëthius, Siv; Wrangsjö, Björn (2000): Management der Kunst. Organisationsentwicklung in einem Symphonie-Orchester. In: Organisationsentwicklung. Konzepte, Strategien, Fallstudien. Wegweisende Beiträge aus der Zeitschrift OrganisationsEntwicklung. Hrsg. von Karsten Trebesch. Stuttgart: Klett-Cotta. S. 330-351, hier: S. 330.

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Verständnis für die verschiedenen Rollen und Funktionen der Akteure sowie die damit verbundenen Paradoxien zu schaffen, die Kommunikation, Interaktion und schließlich auch Kooperation zwischen den einzelnen Gruppen und Individuen zu stärken und durch das Aufbrechen zuvor identifizierter „Teufelskreise“ die Basis für eine neue Begeisterung bei der Arbeit zu legen.177 Auch die Bamberger Symphoniker unterzogen sich einem Beratungsprozess, weniger aufgrund von Misserfolgen, sondern um sich bewusst für die Anforderungen der Zukunft zu rüsten.178 Dabei klärten die Orchestermusiker das, was man im Unternehmensumfeld Vision und Mission nennen würde, nämlich die Fragen „wofür stehen wir, wer sind wir, wo wollen wir hin“. Überdies konnten mit Hilfe der externen Berater Betriebsabläufe vereinfacht, Kommunikationswege direkter gestaltet und Zuständigkeiten geklärt werden, so dass weniger Frustrationen aufgrund organisatorischer Mängel und kommunikativer Probleme entstehen und Kapazitäten für wichtigere Dinge frei werden.179 Der Bedarf an organisationsentwicklerischer Unterstützung in Kulturorganisationen ist nicht zuletzt von einigen Anbietern von Beratungsleistungen identifiziert worden.180 Der Markt ist allerdings nach wie vor sehr überschaubar.181 Angesichts 177 Vgl. ebd., insbesondere S. 346-350. 178 Vgl. Petersen, Uta: Aufbruchstimmung in Bamberg (2006). Ein Tourneeorchester auf Entdeckungsreise zu den eigenen Potenzialen. In: Das Orchester. Magazin für Musiker und Management 54, H. 2. S. 8-17. 179 Vgl. ebd. 180 Vgl. Schütz, Dirk; Heinze, Dirk; Gees, Melanie (Oktober 2003): Berufsfeld Kulturberatung. Kulturberatung in Deutschland – Ein Berufsfeld zwischen Leidenschaft und Frust, Beratungsresistenz und Veränderungszwang, schlechter Auftragslage und durchaus guten Zukunftsaussichten. Studie und Umfrage zum Berufsfeld Kulturberatung in Deutschland.

http://www.kulturmanagement.net/downloads/kulturberatung.pdf

(1.1.

2013). „Generell schätzen die befragten Unternehmen den Markt als schlecht definiert, stark fragmentiert sowie sehr eng und begrenzt ein. Trotz der derzeitigen ‚Beraterschwemme‘ ist er allerdings noch relativ übersichtlich – ‚Man kennt sich‘. Die einzelnen Unternehmen und Berater kennen meistens ihre direkten Mitbewerber und es werden eher freundschaftliche Beziehungen mit den direkten Konkurrenten gepflegt, die oftmals auch in Kooperationen oder gemeinsamen Projekten im Sinne des Networking münden. Als enger Kern der Kulturberaterszene werden ca. 20-25 Berater und Unternehmen genannt, wobei 1-2 als ‚Marktführer‘ (Größe, Aufträge) angesehen werden können. […] Der wachsenden Zahl von Beratern und dem subjektiv als gut und ausbaufähig prognostizierten Markt stehen allerdings real existierende Hindernisse und fehlende Entwicklungen auf Seiten der potenziellen Auftragsgeber gegenüber.“ (ebd., S. 4f.). 181 Vgl. Haselbach, Dieter (2012): Hilfe, die Berater kommen! Über Beratung in der Kultur. In: Klein 2012. S. 41-58, hier: S. 56.

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der o.g. Probleme der Finanzierung, etwa von Beratungsleistungen zu organisationsentwicklerischen Zwecken, liegt es allerdings auch nahe, über Möglichkeiten der kostengünstigen Unterstützung zum Beispiel im Rahmen des Corporate Volunteering oder Secondments nachzudenken. Das offenbar wachsende Interesse bei Unternehmen, ihrer ‚sozialen Verantwortung‘ mit Mitarbeitereinsätzen nachzukommen, bietet jedenfalls einen guten Ausgangspunkt, um Kulturorganisationen bei der eigenen Entwicklung (von Strukturen, Prozessen, Mitarbeitern und Zusammenarbeitsmodellen) zu unterstützen. Ein Unternehmensvertreter kann hier seine spezifischen Kenntnisse einbringen und erlangt womöglich bei einem Einsatz in einer Kulturorganisation Kenntnisse, die wiederum für seine originäre Aufgabe fruchtbar sind.

Fazit der Bestandsaufnahme

Wie die Bestandsaufnahme zeigt, existiert ein breites Spektrum an Aktivitäten, bei denen Kulturorganisationen und Unternehmen in unterschiedlicher Weise kooperieren. Das zu Beginn des Kapitels eingeführte polare Feld – auf der einen Seite nach außen orientierte Sponsoringaktivitäten mit relativ geringem Einbindungsgrad; auf der anderen Seite in die Unternehmensorganisation hinein wirkende Kooperationen mit stärkerer Prozessbezogenheit – hat sich dabei als eine geeignete Folie zur Einordnung oder Gliederung der unterschiedlichen Kooperationsmodelle erwiesen. Die ausgewertete Literatur deutet auf eine wachsende Popularität des Themas Corporate Citizenship in der Unternehmenspraxis hin, mit dem bekannte und verbreitete Erscheinungsformen der Kooperation teilweise mit neuer Bedeutung aufgeladen werden und das mitunter auch als eine Art Klammer für nahezu sämtliche Interaktionen mit gemeinnützigen oder Non-Profit-(Kultur-)Organisationen fungiert. Gleichzeitig scheint sich ein steigendes Interesse für Kooperationsmodelle jenseits des klassischen Sponsorings abzuzeichnen, so dass das hier aufgezogene Feld in gewisser Weise auch eine zeitliche Dimension der Ausdehnung und Weiterentwicklung (freilich nicht im Sinne einer Ablösung) von Kooperationsformen darstellt. Dies spiegelt möglicherweise ein wachsendes Bewusstsein für die Attraktivität sektorenübergreifender Zusammenarbeit als solcher, wie sie etwa auch Stefan Jepsen formuliert, wider: „Ja, Begegnung ist das Ziel. Und dem liegt die These zugrunde, dass an den Systemrändern das eigentlich Interessante passiert. Hier geht es allerdings nicht um Nutzen im trivialen Sinne. Das Interessante ist gerade nicht das, was absehbar, vorhersehbar, berechenbar ist, sondern vielmehr das, was sich ereignen kann, sich offenbaren kann, eben alles was sich entzieht, wenn ich die Frage nach dem unmittelbaren Nutzen stelle.“1

1

Jepsen et al. 2003, S. 70. Jepsen ist Theologe und war zum Zeitpunkt dieser Einlassung Leiter der Abteilung Global Executive Development für die DaimlerChrysler Services

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Eine solche Offenheit und Neugier gegenüber Interaktionen mit ungewissem Ausgang bedürfen eines beträchtlichen Maßes an Mut. Das gilt sowohl auf Seiten des Unternehmens als auch für den Kulturakteur. Denn Investitionen von Geld und Arbeitszeit müssen sich lohnen bzw. zumindest rechtfertigen und legitimieren lassen. Dass zuverlässige Modelle zur Erfolgsmessung rar sind – und das gilt sowohl für die Wirkung einzelner organisationsentwicklerischer Maßnahmen als auch und nach wie vor für das klassische Kultursponsoring –, erschwert dies umso mehr. Überdies bedarf das Betreten von Neuland immer ausreichend entdeckungsfreudiger Pioniere, die sich auf das neue Terrain samt seiner Menschen auch einlassen wollen. Vertrauensvolle Verhältnisse müssen erst geschaffen werden, um sich – auf Seiten der Kulturorganisation – etwa im Rahmen eines Secondments beraten oder aber – auf Unternehmensseite – Künstler an der eigenen Organisationsentwicklung mitwirken zu lassen. Die Bestandsaufnahme hat einige Einzelbeispiele und deren konkreten oder erhofften Nutzen insbesondere für Unternehmen aufgezeigt. Warum es außerdem ein Gewinn sein kann, sektorenübergreifende Kontakte zu suchen, wird im folgenden Kapitel von einer theoretischen Warte aus in den Blick genommen.

AG. Zuvor leitete er als Geschäftsführer das Von Thünen Institut für Wirtschafts- und Sozialethik an der Universität Rostock.

Einleitung Man könnte aber einen Sinn darin sehen, Dasselbe mit anderen Unterscheidungen zu beschreiben und das, was den Einheimischen als notwendig und natürlich erscheint als kontingent und artifiziell darzustellen. Man könnte damit gleichsam ein Überschußpotential für Strukturvariation erzeugen, das den beobachteten Systemen Anregungen für Auswahl geben kann.1 NIKLAS LUHMANN

Die vorangegangenen Schilderungen bekannter Kooperationen und Formen des Austausches zwischen Wirtschaft und Kunst haben gezeigt, dass deren Nutzen häufig ein ganz konkreter und insofern nachvollziehbar, wenngleich nicht immer quantifizierbar ist: Neben den Vorteilen, die zum Beispiel ein Sponsoringverhältnis bringt (Geld- bzw. Imagezugewinn), können stärker inhaltlich ausgerichtete Kooperationen einen Informationszugewinn (im Sinne von direkt verwertbarem zusätzlichem Wissen) generieren oder aber – weniger konkret – eine Veränderung oder Verbreiterung der Perspektive befördern. Insbesondere im letztgenannten Aspekt kommt eine diffuse Ahnung der positiven Wirkungen einer ‚Horizonterweiterung‘ zum Tragen, wie sie beispielweise bei Projekten aus dem Bereich der Corporate Citizenship unterstellt wird. Es geht um den sprichwörtlichen ‚Blick über den Tellerrand‘. Im Folgenden soll mit Hilfe zweier ganz verschiedener Ansätze auf theoretischer Ebene überprüft werden, was bei v.a. sektorenübergreifenden Kooperationen geschieht oder zumindest geschehen kann bzw. was deren Attraktivität ausmacht:

1

Luhmann, Niklas (1993): „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“. Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie. In: Zeitschrift für Soziologie 22, H. 4. S. 245260, hier: S. 256.

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Warum sind Austausch und Perspektivenzugewinn als positiv zu bewerten, und warum womöglich sowohl über die einzelne Person oder einzelne praktisch-inhaltliche Anregungen hinaus auch für die Organisation (das heißt sowohl Kulturorganisation als auch privatwirtschaftliches Unternehmen) gewinnbringend? Insbesondere mit Blick auf die einzelne Person bzw. Netzwerke von Personen und deren Zugewinn an Informationen und Sichtweisen kann der Mehrwert sektorenübergreifender Kommunikation basierend auf der Theorie sozialen Kapitals und hier insbesondere mit Roland Burts Ansatz der Überbrückung sogenannter struktureller Löcher erklärt werden. Dies erfolgt im folgenden Kapitel. Als noch mehr versprechendes Theoriemodell, wenngleich abstrakter, erscheint für die Beschäftigung mit Organisationen und insbesondere unter der Fragestellung nach dem noch schwerer messbaren und empirisch zu untermauerndem Wert des Kontakts als solchem ein systemtheoretisch informierter Zugang hilfreich. Damit kann, in Erweiterung der Überlegungen Burts, dessen Theorie der strukturellen Löcher sinnvoll für die Deutung des Nutzens sektorenübergreifender Partnerschaften, also die Beziehungen von Organisationen zu anderen Organisationen in anderen Sektoren, verfügbar gemacht werden. An die systemtheoretische Basis anknüpfend wird schließlich dargestellt, warum (für Unternehmen) gerade die Kulturpartnerschaften im Vergleich zu anderen sektorenübergreifenden Partnerschaften besonders fruchtbar sein können. Hierzu werden zunächst Luhmann und abschließend auch Argumente der evolutionären Ästhetik herangezogen.

Brücken über strukturelle Löcher Soziales Kapital in Netzwerken

Wenn es um den Wert von Beziehungen geht, dann liegt das Konzept des sozialen Kapitals nahe, hinter dem – in einer Verallgemeinerung von im Detail zwar unterschiedlichen Konzepten und theoretischen Spielarten – die Grundüberlegung steht, dass „Investitionen in soziale Beziehungen einen Nutzen erwarten lassen“.1 Einer der prominentesten Autoren, die mit dem Begriff des Sozialkapitals gearbeitet und ihn maßgeblich entwickelt haben, ist Pierre Bourdieu. Über die vielen Jahre seiner wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit hat er verschiedenste Formen von Kapital beschrieben.2 Jeder Kapitalbegriff bezieht sich auf etwas, das dessen Träger Handlungsmöglichkeiten eröffnet, um seine soziale Position zu bewahren oder zu verbessern. Die in der Sekundärliteratur besonders häufig zitierten und auch bei Bourdieu selbst dominanten Formen des Kapitals sind neben dem ökonomischen Kapital (Produktionsmittel und Tauschwerte, zumeist institutionalisiert in Eigentumsrechten), das kulturelle Kapital (inkorporiert: Bildung; objektiviert: z.B. Bü-

1

Henning, Marina (2010): Soziales Kapital und seine Funktionsweise. In: Handbuch Netzwerkforschung. Hrsg. von Christian Stegbauer; Roger Häußling. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. S. 177-189, hier: S. 177. Besonders häufig genannte Beiträge zum Konzept des Sozialkapitals haben u.a. geliefert: Putnam, Robert D. (Hrsg.) (2001): Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozialkapital im internationalen Vergleich. Gütersloh: Bertelsmann; Coleman, James S. (1988): Social capital in creation of human capital. In: American Journal of Sociology 94. S. 95-120; Bourdieu, Pierre (2005 [1992]): Die verborgenen Mechanismen der Macht. Unveränd. Nachdr. der Erstaufl. Hamburg: VSAVerl.; Nan, Nan (2003): Social capital. A theory of social structure and action. Cambridge: Cambridge Univ. Press.

2

Vgl. Bourdieu, Pierre (1986): The forms of capital. In: Handbook of theory and research for the sociology of education. Hrsg. von John G. Richardson. New York: Greenwood Pr. S. 241-258; Bourdieu, Pierre: Das Sozialkapital (2005). Vorläufige Notizen. In: Peripherie. Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt 25, H. 99. S. 263-266.

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cher- oder Kunstbesitz; institutionalisiert: z.B. akademische Titel) und das soziale Kapital, verstanden als „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“.3

Eine weitere, besonders wichtige Kapitalkategorie ist die des symbolischen Kapitals, das gleichsam als Klammer zu den anderen Kapitalformen fungiert oder mit diesen einhergeht, da es sich hierbei um Wertschätzung, Status und Anerkennung handelt, die wiederum für den Träger als positive Zuschreibung wie ein Kredit funktionieren, dessen Würdigkeit nicht unter Beweis gestellt werden muss. Kapitalformen können Bourdieu zufolge füreinander nutzbar gemacht werden bzw. ineinander überführt werden (etwa indem mithilfe des ökonomischen Kapitals kulturelles Kapital vergrößert wird). Dies wird durchaus anschaulich am Beispiel eines Sponsoringverhältnisses, also mit dem (erhofften oder versprochenen) Tausch oder Wandel von ökonomischem und kulturellem bzw. symbolischem Kapital: Unternehmen erkaufen sich gewissermaßen einen Zuwachs an Wertschätzung und Anerkennung.4 Dass und wie Sponsoringverhältnisse überhaupt zustandekommen, ist wiederum durchaus auch abhängig vom sozialen Kapital der Akteure, sofern „die Einbindung in soziale Netzwerke und das Eingehen sozialer Beziehungen einen Zugriff auf materielle und immaterielle Ressourcen sowie Unterstützungsleistungen anderer Personen möglich macht“.5 Typische Beispiele für die Macht sozialen Kapitals sind (1) Vorteile, die aus einem Wissensvorsprung entstehen (etwa das frühzeitige Wissen um eine Vakanz, die noch nicht offiziell ausgeschrieben ist) oder (2) auf einem vermittelten Vertrauen basieren (um das Beispiel weiterzuspinnen: etwa das Berufen auf den gemeinsamen Bekannten, der den Bewerber auf die freiwerdende Stelle hingewiesen hat, im Bewerbungsgespräch).

3

Kap. Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Bourdieu 2005, S. 49-79, hier: S. 63. Vgl. auch Fröhlich, Gerhard (1994): Kapital, Habitus, Feld, Symbol. Grundbegriffe der Kulturtheorie bei Pierre Bourdieu. In: Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur Kultursoziologie der Lebensstile nach Pierre Bourdieu. Hrsg. von Ingo Mörth; Gerhard Fröhlich. Frankfurt/Main: Campus. S. 31-54, hier: S. 34ff.

4

Je nach symbolischem Kapital des Unternehmens kann der Gesponserte wiederum sogar zusätzlich zur Sponsoringsumme (also ökonomischem) auch symbolisches Kapital, d.h. eine symbolische Aufwertung, gewinnen – etwa, wenn es sich um ein sehr bekanntes und renommiertes Unternehmen handelt. Bourdieu sähe dies allerdings vermutlich anders.

5

Henning 2010, S. 177.

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Die schiere Menge an sozialen Beziehungen ist jedoch, das zeigt das vorangegangene Beispiel und geht implizit auch aus den Definitionsversuchen hervor, nur bedingt gleichzusetzen mit besonders großem sozialen Kapital.6 Im Bourdieu’schen Verständnis entsteht insbesondere dann soziales Kapital, wenn Ego sich über die Beziehung zu Alter Ressourcen erschließen kann, die Ego sonst nicht zugänglich gewesen wären; Alter muss also über die für Ego interessanten Ressourcen verfügen. Was für Ego überhaupt interessante Ressourcen sind, ist wiederum höchst unterschiedlich. Daher haben sich verschiedene Autoren mit der Beschaffenheit und Struktur sozialer Beziehungen beschäftigt – wie z.B. Mark S. Granovetter mit seiner Proklamation der „strength of weak ties“:7 Er geht davon aus, dass die Anzahl enger Bindungen, die ein Akteur mit anderen unterhalten kann, einerseits relativ klein ist, und dass diese engen Bindungen „aufgrund ihrer Transitivität zu Schließungsprozessen und zu einer Verdichtung in der Sozialstruktur“ führen.8 Demgegenüber ist es im Falle von weak ties möglich, diese zu relativ vielen Akteuren zu unterhalten. Gerade diese schwächeren Verbindungen sind seiner Meinung nach jedoch teilweise besonders fruchtbar, weil sie weniger redundante Informationen liefern, als dies innerhalb einer Gruppe von Akteuren mit besonders engen Bindungen der Fall ist.9 Ähnlich argumentiert Gernot Grabher, der „lose Kopplungen“ als besonders vielversprechende Art der Beziehung empfiehlt, da sogenannte Lock-inEffekte vermieden werden können, die in einem Gefüge sehr enger Beziehungen entstünden.10 Am wertvollsten für den hier interessierenden Zusammenhang ist die Weiterentwicklung dieser Gedanken durch Ronald Burt, der weniger Gewicht auf die Beschaffenheit von Verbindungen (Stärke oder Schwäche) legt, sondern eher auf die Struktur von sozialen Netzwerken und die Position von Akteuren zueinander darin. Seine These (die es ihm auch empirisch zu belegen gelingt) ist, dass insbesondere solche Beziehungen einzelne Akteure weiterbringen, in denen diese als „broker be6

Das mag ebenfalls das Beispiel zahlreicher Facebook-Freundschaften illustrieren, die auch nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit besonders großem sozialen Kapital sind.

7

Vgl. Granovetter, Mark S. (1973): The Strength of Weak Ties. In: The American Journal of Sociology 78, H. 6. S. 1360-1380.

8

Scheidegger, Nicole (2010): Strukturelle Löcher. In: Stegbauer et al. 2010. S. 145-155,

9

Jansen, Dorothea (1998): Theoretische Annäherung an den Netzwerkbegriff. In: Regiona-

hier: S. 145. le Netzwerke – Realität oder Fiktion. Diskussionspapier Nr. 98-4 der Fakultät für Sozialwissenschaft Ruhr-Universität Bochum. Hrsg. von Rolf G. Heinze; Heiner Minssen. Bochum: Fakultät für Sozialwissenschaft Ruhr-Universität Bochum. S. 42-55, hier: S. 50. 10 Vgl. Grabher, Gernot (1995): The embedded firm. On the socioeconomics of industrial networks. London: Routledge; Grabher, Gernot (1994): Lob der Verschwendung. Redundanz in der Regionalentwicklung. Ein sozialökonomisches Plädoyer. Berlin: Ed. Sigma.

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tween people otherwise disconnected in social structure“ agieren: „The disconnected people stand on opposite sides of a hole in social structure. The structural hole is an opportunity to broker the flow of information between people and control the form of projects that bring together people from opposite sides of the hole.“11 Abbildung 3: Überbrückung struktureller Löcher in Anlehnung an Burt.

Die Idee wird in der Visualisierung deutlich (vgl. Abb. 3). A hat ein sehr dichtes Netzwerk, d.h. viele enge Beziehungen mit zahlreichen Akteuren. Die Informationen, auf die A zugreifen kann, sind allerdings für alle Netzwerkmitglieder nahezu gleichermaßen zugänglich und potentiell redundant. B hingegen hat ein auf den ersten Blick und quantitativ weniger ausgeprägtes Netzwerk, schlägt allerdings mit nur einer Beziehung (zu C) den Bogen über das, was Burt ein strukturelles Loch nennt, und verfügt damit über einen Zugang zu den im engsten Umfeld von C kursierenden Informationen. B und C haben somit eine bessere Ausgangsposition, um (1) nicht-redundante Information und (2) Steuerungs- und Kontrollvorteile gegenüber Akteuren wie D oder E zu erlangen, die – wie A – zwar in einem engmaschigen,

11 Burt, Ronald S.: The Contingent Value of Social Capital (1997). In: Administrative Science Quarterly 42. S. 339-365, S. 340.

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aber wenig diversen Netzwerk positioniert sind.12 Entfernte Verbindungen bergen demnach ein größeres Potential, an wichtige Informationen zu gelangen oder Handlungsoptionen zu erschließen, als dies bei nahen Partnern in einem Netzwerk der Fall ist.13 Grundannahme hierbei ist wie schon bei Granovetter, dass eine Gruppe mit intensiven Beziehungen untereinander zu homogenen Sichtweisen, Meinungen und Handlungsweisen tendiert, was zu einer informationalen oder auch mentalen Schließung führt. Ein Akteur, der seine Beziehungen über strukturelle Löcher spannt, vergrößert hingegen seinen „Pool an alternativen Sicht- und Handlungsweisen, was [wiederum] zu einem besseren Problemverständnis beiträgt“14 – auch und gerade, wenn diese Sichtweisen höchst unterschiedlich oder sogar fundamental gegensätzlich sind. Diese von Burt als „brokerage“, also Maklertätigkeit bezeichnete Beziehungsqualität ermöglicht sogar, „[to put] people in a position to learn about things they didn’t know they didn’t know“.15 Insbesondere aus dem in der Verbindung entstehenden trans-funktionalen und trans-disziplinären Wissen können besondere Kreativität und Problemlösungskompetenz entspringen, denn der Komplexität einer Herausforderung wird dann mit einer weniger restringierten Sichtweise begegnet. Die Rahmenbedingungen hierfür liefert eine hochgradig diversifizierte (Wissens-) Gesellschaft bzw. eine starke funktionale Differenzierung. Burt hat diese Thesen insbesondere mit Blick auf den Erfolg einzelner Manager untersucht und nachgewiesen, jedoch auch auf Organisations- bzw. Interorganisationsebene Hinweise auf größere Innovationskraft und Lernfähigkeit von Kollektiven gefunden, in denen Management- und Arbeitsbeziehungen über strukturelle Löcher hinweg reichen.16 12 Der Soziologe Georg Simmel, der sich in ähnlicher Weise bereits mit der „Kreuzung sozialer Kreise“ beschäftigt hat, würde diese Akteure als „lachende Dritte“ bezeichnen. Vgl. Kap. Die Kreuzung sozialer Kreise in: Simmel 1992, S. 456-511; Nollert, Michael (2010): Kreuzung sozialer Kreise. Auswirkungen und Wirkungsgeschichte. In: Stegbauer et al. 2010. S. 157-165. 13 Vgl. Boos, Frank; Exner, Alexander et al. (2000): Soziale Netzwerke sind anders. In: Organisationsentwicklung. Konzepte, Strategien, Fallstudien. Wegweisende Beiträge aus der Zeitschrift OrganisationsEntwicklung. Hrsg. von Karsten Trebesch. Stuttgart: KlettCotta. S. 65-76, hier: S. 71. 14 Scheidegger 2010, S. 149. 15 Burt, Ronald S. (2007): Brokerage and closure. An introduction to social capital. Oxford: Oxford Univ. Press, S. 59. 16 Vgl. Burt, Ronald S. (1995): Structural holes. The social structure of competition. Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press; Scheidegger 2010, s. 150. Vgl. auch die an Burt anknüpfende Untersuchung Geletkanycz, Marta A; Hambrick, Donald C.: The external ties of top executives (1997). Implications for strategic choice and performance. In: Administrative Science Quarterly, H. 42. S. 654-681.

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Andere Autoren haben in Reaktion auf und als Kritik an Burt darauf hingewiesen, dass im Falle von Kooperationen zwischen Organisationen enge Beziehungen, die von großem Vertrauen und Routinen der Zusammenarbeit geprägt seien, den ihnen entgehenden Vorteil informationaler Diversität ausglichen, da sie opportunistisches Verhalten verhinderten und Sicherheit schafften.17 Es bedarf dieser Position nach gar nicht vieler überbrückter struktureller Löcher, wenn stattdessen ein sehr enges Netzwerk und eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit mit einigen anderen Organisationen gepflegt werden. Hierzu ist festzustellen, dass das Überspannen struktureller Löcher nicht das alleinige Erfolgsrezept ist und den starken Verbund einer Gruppe eng miteinander verbundener Akteure nicht ersetzen kann. In strukturelle Löcher überspannenden Beziehungen bzw. Netzwerken, die reich an strukturellen Löchern sind, ist der Aufbau von Vertrauen anscheinend schwieriger (z.B. weil zunächst eine gemeinsame Sprache gefunden werden muss, und es nicht so viele bekannte ‚Bürgen‘ gibt wie in einem engeren Netzwerk). Dennoch gilt: „When speedy access to diverse information is essential, structural holes are likely to be advantageous.“18 Schneller Zugang zu unterschiedlichen Informationen ist essentiell, denn die „Geschwindigkeit, in der heute neue Ideen, Produkte und Prozesse erahnt und umgesetzt werden müssen“,19 ist enorm.20 Bezogen auf die hier interessierende sektorenübergreifende Zusammenarbeit insbesondere zwischen Akteuren aus dem Kulturbereich und Unternehmen kann davon ausgegangen werden, dass zwischen diesen strukturelle Löcher im Burt’schen Sinne liegen, denn „[a] structural hole indicates that the people on either side of the hole circulate in different flows of information“.21 Dies scheint gegeben, und demnach müsste also eine Zusammenarbeit über die Sektorengrenzen hinweg gewinnbringend für die als „broker“ agierenden Personen sein. Das Argument bleibt stark inhaltsbezogen, denn Burt hebt v.a. auf Informationen ab, die die sich der Makler mithilfe der strukturellen Löcher verschafft und welche ihm zum Vorteil gegenüber seinesgleichen gereichen, etwa indem er durch sie ungewöhnliche Ideen entwickelt, die sich als Innovationstreiber auswirken. Aus dem Informationsvorsprung vermag der Makler möglicherweise auch eine höhere 17 Vgl. Ahuja, Gautam: Collaboration Networks, Structural Holes and Innovation (2000). A longitudinal study. In: Administrative Science Quarterly, H. 45. S. 425-455, hier: S. 451. 18 Ebd. 19 Berthoin Antal 2006, S. 15. 20 Systemtheoretisch betrachtet ging es im Sinne von Potential um eine Balance zwischen beiden Arten von Beziehungen. Luhmann arbeitet heraus, dass soziale Systeme auf der einen Seite ihre Identität stabilisieren (die sich in ihren Sinnstrukturen ausdrückt), andererseits aber auch ein Varianzangebot für die Selektion neuer Strukturen im System brauchen. 21 Burt 1997, S. 341.

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Steuerungskompetenz zu gewinnen, da er zu weiter-sichtigem Handeln befähigt ist. Mit den Implikationen seines Arguments für Organisationen hat sich Burt nur am Rande beschäftigt. Er geht davon aus, dass solche „mit [internen] Managementund Arbeitsbeziehungen voll struktureller Löcher“ nicht nur schneller lernen, sondern auch „produktionsseitig kreativer“ sind.22 Geletkanyca und Hambrick hingegen erklären, dass die Leistungsfähigkeit von Unternehmen steigt, „wenn Manager Boundary-Spanning-Beziehungen zu anderen Firmen und Industrien unterhalten“.23 Insbesondere diese Idee liefert bereits gute Argumente für den hier angenommenen Mehrwert von sektorenübergreifenden Kooperationen. Dies spiegelt sich auch in der Beobachtung wider, dass je häufiger derartige Beziehungen vorkommen, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit ist, dass solche auch weiterhin eingegangen werden.24 In Ergänzung dazu können mit einem systemtheoretischen Erklärungsmodell die Beziehungen über strukturelle Löcher hinweg auch als Veränderung der Beteiligten (Systeme) konzipiert werden, was eine noch breitere Perspektive der Organisationentwicklung ermöglicht, wie die folgenden Ausführungen zeigen sollen. Die Idee des Vorzugs von Informationsdiversität und Perspektivenvielfalt, wie sie als Resultat des Überspannens struktureller Löcher entsteht, wird damit keineswegs hinfällig, sondern findet sich in anderer Bezeichnung auch hier wieder: als Irritationen, die, wenn sie Eingang in die Kommunikation eines Systems finden, zu dessen Weiterentwicklung beitragen.

22 Scheidegger 2010, S. 150. Scheidegger bezieht sich auf Burt 1995. Diese Annahme wäre aus systemtheoretischer Sicht eher kritisch zu hinterfragen, denn systemintern bliebe die Varietät resp. Redundanz auch bei strukturellen Löchern gleichbleibend niedrig bzw. hoch. Ggf. handelt es sich hierbei eher um sinnvoll angelegte Kommunikationsstrukturen. 23 Scheidegger 2010, S. 150. Scheidegger bezieht sich auf Geletkanycz et al. 1997. 24 Vgl. Oelsnitz, Dietrich von der (2003): Kooperation. Entwicklung und Verknüpfung von Kernkompetenzen. In: Kooperationen, Allianzen und Netzwerke. Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Hrsg. von Joachim Zentes; Bernhard Swoboda; Dirk Morschett. Wiesbaden: Gabler. S. 184-210, hier: S. 203.

Irritierende Variationen und Koevolution Sektorenübergreifende Kooperation systemtheoretisch gedacht

Gegenüber dem netzwerktheoretischen Ansatz der strukturellen Löcher ist das von Niklas Luhmann umfangreich beschriebene systemtheoretische Modell der Umweltkopplung, das hier in Form der interorganisationalen Zusammenarbeit zu betrachten ist, dynamischer, weil es die Kooperation als gleichzeitige Veränderung eines Systems und seiner Umwelt (also anderer Systeme) begreift.1 Es ist sowohl auf Personen (die jeweilige Einheit von strukturell gekoppeltem lebendem und psychischem System) als auch auf Organisationen (soziale Systeme) anwendbar, wobei letztere hier im Fokus sind, wenn es um das Verständnis der Kooperation zwischen Organisationen verschiedener Sektoren, nämlich Wirtschaftsorganisationen (Unternehmen) und Kulturorganisationen, geht. Die Ausführungen basieren im Wesentlichen auf den organisationswissenschaftlichen Untersuchungen Fritz B. Simons und Rudolf Wimmers, die wiederum auf die Systemtheorie Luhmann’scher Prägung rekurrieren. Insbesondere Wimmers Verdienst ist es, diese für das Verständnis von und die Arbeit in und mit Organisationen nutzbar gemacht zu haben. Grundannahme für Luhmann ist, dass soziale Systeme, zu denen nach dieser Theorie alle Arten von Organisationen zählen,2 in einem nicht-deterministischen, koevolutiven Austauschverhältnis zu ihrer Umwelt stehen, und – mit Rückgriff auf das ursprünglich auf biologische Phänomene bezogene Konzept der Autopoiese

1

Udo Staber hat auf die Herausforderung der Netzwerkforschung hingewiesen, „den prozessualen, und nicht nur den strukturellen Aspekten Rechnung zu tragen“, spiegelt doch „die Struktur eines Netzwerks […] im Grunde nur das Resultat der zugrundeliegenden Prozesse zu einem gewissen Zeitpunkt wider“ Staber, Udo (2002): Soziales Kapital im Management von Unternehmensnetzwerken. In: Managementsoziologie. Themen, Desiderate, Perspektiven. Hrsg. von Rudi Schmidt; Hans-Joachim Gergs; Markus Pohlmann. München, Mehring: Hampp. S. 112-127, hier: S. 125.

2

Luhmann 2006.

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von Francisco Varela und Humberto Maturana3 – als autopoietisch bezeichnet werden können. Die Inhalte des Austauschverhältnisses sind zunächst kontingent,4 sie werden aber geprägt von den Sinnstrukturen des sozialen Systems bzw. über die Selektionsgewohnheit der Mitglieder bei ihrer Beobachtung der Umwelt. Die ‚Richtung der Koevolution‘ einer Organisation in und mit ihrer Umwelt wird also durch die Art der Beobachtung eben dieser Umwelt beeinflusst, und hier liegt ein Ansatzpunkt für mögliche Interventionen: Die Ausrichtung auf die Beobachtung bestimmter Phänomene beeinflusst die Selektion. Die Sektorenzugehörigkeit der Organisationen spielt in dieser noch sehr abstrakten Betrachtung zunächst nur eine untergeordnete Rolle, weswegen anfangs auch keine Betrachtung zum Kultursektor (oder: dem Kunstsystem als einem Teilsystem der modernen Gesellschaft), sondern vorrangig organisationswissenschaftliche Überlegungen herangezogen werden.5 Zum besseren Verständnis werden im Versuch einer Beschränkung auf das Notwendigste vorab einige Grundlagen der Systemtheorie dargestellt. Erst ganz am Ende dieses theoretischen Teils werden noch das Kunstsystem und sein spezifisches Bereicherungs- im Sinne von Irritationspotential für Unternehmen in den Blick genommen.

3

Varela, Francisco J; Maturana, Humberto R. et al. (1974): Autopoiesis. The organization of living systems, its characterization and a model. In: Biosystems. Journal of Biological and Information Processing Sciences, H. 5. S. 187-196.

4

Luhmann 2010, S. 152: „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.“

5

Viele systemtheoretische Publikationen über Kunst bzw. das Kunstsystem als Ergebnis einer gesellschaftlichen Ausdifferenzierung gibt es im Übrigen gar nicht, wie die freie Eingabe der Stichworte „Kunst“ und „Systemtheorie“ im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek zeigt: Am 21.5.2009 waren hier ganze 12 Treffer zu erzielen, die den Begriff „Kunst“ teilweise auch nur im Sinne von Fertigkeit im Titel führen. Ausnahmen sind neben den Publikationen von Luhmann: Halsall, Francis (2008): Systems of art. Art, history and systems theory. Oxford: Lang; Koller, Markus (2007): Die Grenzen der Kunst. Luhmanns gelehrte Poesie. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften; Lüddemann, Stefan (2004): Welches Wissen produziert Kunst? Kunst als Steuerung von Kommunikation – im Hinblick auf die documenta 11. In: Heinze 2004. S. 155-198; Meyer et al. 1996; Tschacher, Wolfgang; Tröndle, Martin (2005): Die Funktionslogik des Kunstsystems. Vorbild für betriebliche Organisation? In: Meynhardt et al. 2005. S. 135152; Zilcher, Oliver (2004): Künstlerische Produktion in Theatern – Inszenierungskunst, Organisation und Interaktion. In: Heinze 2004. S. 199-219.

I RRITIERENDE V ARIATIONEN

UND

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S YSTEMTHEORETISCHE G RUNDLAGEN Die soziologische Systemtheorie Luhmann’scher Prägung ist dem Anspruch nach eine Universaltheorie,6 die Gesellschaft als Zusammenwirken von Kommunikationen beschreibt. Allem Universalitätsanspruch zum Trotz hat diese Neuere Systemtheorie jedoch in erster Linie im deutschen Sprachraum Widerhall gefunden,7 was nach Meinung ihrer Gegner und Vertreter nicht zuletzt an der komplizierten Sprache8 liegt, derer sich zuvorderst Luhmann selbst, aber streckenweise auch Autoren wie Dirk Baecker und Helmut Willke bedienen. Der sehr eigene Pool an Terminologien macht auch für die vorliegende Arbeit eine ausführlichere begriffliche Hinleitung notwendig. Hinzu kommt, dass ein linear-additives Verständnis des systemischen Theoriegebäudes unwahrscheinlich ist; vielmehr scheint dessen Durchdringen nur im rekursiven Verfahren möglich zu sein. Dies ist gleichwohl lohnend, birgt die neuere Systemtheorie doch einen hohen Erklärungswert für unterschiedlichste Phänomene.9 Einige zentrale Annahmen bzw. für das Verständnis der nachfolgenden Ausführungen notwendige Kategorien und Zusammenhänge seien hier skizziert. Systeme sind im Luhmann’schen Verständnis keine spezielle und faktische Konstellation von Einzelelementen, die gemeinsam ein Ganzes (mit oder ohne Qualität sui generis) bilden. Vielmehr ist das System konzipiert als das Ergebnis von fortwährenden Operationen der Abgrenzung gegenüber etwas Anderem, nämlich all dem, was es nicht ist bzw. was nicht dazugehört. Erst durch eine solchermaßen konstruierte Differenz zwischen System und Umwelt wird ein System konstituiert

6

Vgl. zu Universalitätsanspruch in Abgrenzung von einem Exklusivitätsanspruch: Andreas

7

Und hier oftmals negativen, wie er sich beispielsweise in der Auseinandersetzung mit

Geyer im Gespräch mit Niklas Luhmann. Sendung des Bayerischen Rundfunks, 1994. Jürgen Habermas manifestierte; vgl. Maciejewski, Franz; Eder, Klaus (Hrsg.) (1975): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Außerdem exemplarisch die Kritik, „den Menschen als sozialen Akteur […] aus dem Blick“ verloren zu haben bei Abraham, Martin; Büschges, Günter (2004): Einführung in die Organisationssoziologie. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften, S. 76. 8

Vgl. zur spezifischen Sprache Luhmanns Koller 2007, S. 260ff.

9

Zur Umschreibung dieser breitbandigen Anwendbarkeit verstieg sich ein Journalist anlässlich des zehnjährigen Todestages von Luhmann gar zum Begriff der „Wunderwaffe“ (Lindemann, Thomas (6.11.2008): Luhmann lesen ist wie Techno zu hören. Vor zehn Jahren starb der größte Soziologe der Nachkriegszeit. Niklas Luhmann hat die Systemtheorie nicht erfunden, aber zu einer Superwaffe umfunktioniert. Unermüdlich arbeitete er an einer Theorie der Gesellschaft. WELT ONLINE hat an der Universität Bielefeld nach seinen Spuren gesucht. In: DIE WELT).

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bzw. konstituiert es sich. Ein System ist demnach nicht nur als solches in einer Begrenzung auf sein ‚Inneres‘ oder das, was es ‚ist‘, zu erfassen, denn seine Umwelt, von der es sich in seinen Operationen beständig abgrenzt, ist ebenso konstitutiver Bestandteil des Systems. Daher beschäftigt sich die Systemtheorie auch weniger mit Systemen per se als mit der Differenz zwischen System und Umwelt – oder: den Systemgrenzen: „Das zentrale Paradigma der neueren Systemtheorie heißt ‚System und Umwelt‘. […] Der Begriff der Umwelt darf nicht als eine Art Restkategorie verstanden werden. Vielmehr ist das Umweltverhältnis konstitutiv für die Systembildung.10 […] [W]eder ontologisch noch analytisch ist das System wichtiger als die Umwelt; denn beides ist das, was es ist, nur in Bezug auf das jeweils andere.“11

Neben der fundamentalen Operation der Grenzziehung ist die zweite zentrale Aktivität von Systemen die Beobachtung. Beobachtung bedeutet zunächst nur unterscheiden und bezeichnen – und nicht etwa Analyse oder auf Erkenntnisgewinn ausgerichtete Betrachtung –,12 ist dabei aber konzipiert als eine Internalisierung der System-Umwelt-Unterscheidung, die unumgänglich die Grundkategorie für sämtliches Entscheiden und Bezeichnen des Systems bildet. Das System erzeugt die Differenz System/Umwelt (es operiert) und verwendet diese gleichermaßen als Basis für interne Prozesse (es beobachtet). In Rückgriff auf den Mathematiker George Spencer Brown bezeichnet Luhmann diesen Wiedereintritt der Außengrenzen in das System als Re-entry.13 Daher ist die Unterscheidung zwischen System und Umwelt kein absolutes „Entweder/Oder“, sondern immer „systemrelativ“ und im Fluss.14 Der Beobachter kann sowohl ein soziales als auch ein psychisches System sein, die Abgrenzung des Systems erfolgt entsprechend als ein Wir/nicht-wir bzw. als ein Ich/nicht-ich.15 Erkenntnis kann immer nur anhand der System-Umwelt-Differenz

10 Luhmann 2010, S. 242. 11 Ebd., S. 244. 12 Vgl. ebd., S. 245. 13 Vgl. Spencer Brown, George (1971): Laws of form. London: Allen & Unwin. 14 Luhmann 2010, S. 244. 15 Diese Abgrenzung macht sich allerdings nicht and der Physis, sondern an „Sinn“ fest, d.h. an einem „einheitlichen (selbstreferentiellen) Bewusstseinszusammenhang“ (psychische Systeme) oder „Kommunikationszusammenhang“ (soziale Systeme) (ebd., S. 92). Der Sinn entspricht einem Selektionszwang, mittels dessen soziale und psychische Systeme überhaupt existieren können; er bestimmt die jeweiligen Anschlussfähigkeiten und umfasst Aktuelles und Mögliches (bis hin zur eigenen Negation), den gesamten Vorrat and Erlebens- und Handlungsräumen eines Systems. Vgl. die Kap. Sinn in: ebd., S. 92-

I RRITIERENDE V ARIATIONEN

UND

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stattfinden, die die leitende Kategorie für jede Beobachtung ist. Durch die Beobachtung anhand seiner Leitdifferenz (der Innen-Außen-Unterscheidung) fügt der Beobachter dem beobachteten Gegenstand etwas hinzu oder lässt etwas weg, konstruiert also den Beobachtungsgegenstand in der ihm eigenen Weise. Da ist, was beobachtet wird, und dies ist immer eine Konstruktion des Beobachters. Die Systemtheorie Luhmanns ist im Kern konstruktivistisch, denn „[w]enn alle Erkenntnis aufgrund einer Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz erarbeitet werden muss, gilt zugleich, dass alle Erkenntnis (und damit alle Realität) eine Konstruktion ist. Denn diese Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz kann es ja nicht in der Umwelt des Systems geben (was wäre da ‚Selbst‘ und was wäre da ‚Fremd‘?), sondern nur im System selbst.“16

Entsprechend der neurowissenschaftlichen Erkenntnis von einem „blinden Fleck“17 geht Luhmann davon aus, dass jede Beobachtung eine Unterscheidung verwendet, die sie selbst nicht hinterfragen kann, was sie partiell „blind“ macht. Dieser blinde Fleck (die getroffene Unterscheidung) wird nur für eine andere Beobachtung (eine

147, und Baraldi, Claudio; Corsi, Giancarlo et al. (1997): GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 170-173. 16 Luhmann, Niklas (1996a): Die Realität der Massenmedien. 2., erw. Aufl. Opladen: Westdt. Verl., S. 16f. 17 Foerster, Heinz von (1993): Über das Konstruieren von Wirklichkeiten. In: Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Hrsg. von Heinz von Foerster; Siegfried J. Schmidt; Wolfram Karl Köck. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 25-49, hier: S. 26ff.: Der blinde Fleck ist der Punkt, an dem „alle Fasern von der lichtempfindlichen Schicht des Auges zusammenkommen und den Sehnerv bilden“. Hier fehlen die Photorezeptoren, d.h. es handelt sich um einen physiologischen Gesichtsfeldausfall. Dass dem so ist, schlägt sich jedoch nicht etwa in einem schwarzen Punkt o.ä. in unserer Wahrnehmung nieder, d.h. „Wir sehen [gar] nicht, dass wir [an diesem Fleck] nichts sehen.“ (ebd., S. 27). Das bedeutet wiederum, dass „[j]ede Beobachtung […] eine Unterscheidung [verwendet], die sie selbst nicht hinterfragen kann. Beobachten ist die Einheit von Unterscheiden und eine Seite der Unterscheidung bezeichnen. Die Unterscheidung ist für den Beobachter ein blinder Fleck. Nur eine andere Beobachtung mit einer anderen Unterscheidung kann ihn sehen – auf Kosten der Unsichtbarkeit ihrer eigenen Unterscheidung.“ (Gebert, Sigbert (2006): Welt, Sinn, Gefühle und „das“ Nichts. Blinde Flecken der Systemtheorie. In: Perspektiven der Philosophie. Hrsg. von Wiebke Schrader; Georges Goedert; Martha Scherbel. Amsterdam: Editions Rodopi. S. 25-49, S. 25). Ein Selbstversuch, mit dem man sich den blinden Fleck bewusst machen kann, findet sich bei von Foerster und auch unter http: //de.wikipedia.org/wiki/Blinder_Fleck_(Auge) (9.1.2013).

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Beobachtung zweiter Ordnung) sichtbar, die wiederum ihrerseits einen blinden Fleck bedingt.18 Der (als immerfort dynamisch verstandene) Prozess der Selbstherstellung eines Systems wird als Autopoiese bezeichnet. Das System reproduziert sich, d.h. seine Unterscheidbarkeit von der Umwelt, permanent selbst, wobei mit Reproduktion nicht die erneute Ausführung des immer Gleichen im Sinne einer ständigen Wiederholung gemeint ist, sondern vielmehr eine Selbstreferentialität des Systems im Sinne einer „laufende[n] Neukonstituierung [aneinander] anschließbarer Ergebnisse“.19 Diese besagt, dass das System sich nur aus sich selbst, also den von ihm geschaffenen Elementen heraus entwickeln und verändern kann, weil nur Operationen, die an vorherige Operationen anschließen, überhaupt stattfinden können. Das System ist dann zwar offen, weil Wechselwirkungen mit der Umwelt (also anderen Systemen) stattfinden, jedoch operational geschlossen insofern es sich immer nur aus den eigenen Operationen heraus herstellt. Eine Analogie zur Biologie mag hier das Verständnis erleichtern: Organismen sind einerseits umweltoffen in Bezug auf den Austausch von Materie und Energie, andererseits aber in sich geschlossen. Obwohl ein Hundewelpe in Austausch mit seiner Umwelt steht, wird aus ihm nie etwas anderes als ein Hund werden können. Denn „[a]utopoietische Systeme verhalten sich immer und ausschließlich aufgrund ihrer aktuellen internen Strukturen und Prozesse. Sie sind selbstbezogen und innengesteuert. Darin besteht ihre Autonomie“20 – und auch ihre Unberechenbarkeit. Anders als beispielweise bei einer chemischen Reaktion, die als Formel beschreibbar und immer experimentell wiederholbar ist, kann in Bezug auf das Zusammenwirken von System und Umwelt nicht im Vorhinein bestimmt werden, was dessen Ergebnis sein wird, geschweige denn ist eine Wiederholbarkeit gegeben. Einfache Ursache-Wirkungsmodelle im linearen Sinne greifen bei autopoietischen Systemen nicht, da sie nicht-trivial im Sinne Heinz von Försters sind.21 Selbst bei gleichem Außeneinfluss reagieren autopoietische, also soziale, psychische und biologische Systeme nie gänzlich gleich. Eine 18 Vgl. Foerster 1993, S. 48f. 19 Luhmann 2010, S. 258. 20 Simon, Fritz B. (2007b): Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. 2. Aufl. Heidelberg: Carl Auer, S. 53. 21 „Nicht-triviale Systeme verarbeiten externe Ereignisse oder Signale intern in einer Weise, die vom jeweiligen Zustand des Systems selbst abhängt. Deshalb können dieselben Ereignisse oder Interventionen zu unterschiedlichen Zeiten oder in unterschiedlichen Situationen ganz unterschiedliche Wirkungen haben. Ein nicht-triviales System reagiert mit seinen Operationen auf seinen eigenen Zustand und es ändert mit seinen Operationen seinen jeweiligen Zustand, so dass eine rekursive Selbstkonditionierung einsetzt.“ (Willke, Helmut (2005): Interventionstheorie. Grundzüge einer Theorie der Intervention in komplexe Systeme. 4., bearb. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius, hier: S. 149).

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deterministische oder „instruktive Interaktion“ ist somit schlicht nicht möglich; Änderungen können von außen nur induziert, nicht aber zielgerichtet erwirkt werden.22 Dennoch gibt es wechselseitige Beeinflussungen zwischen System und Umwelt, die jedoch als Irritationen oder Perturbationen23 der jeweiligen Systeme treffender beschrieben sind. Systeme können auf solche Irritationen reagieren, indem sie sie aufnehmen, sich unter ihrem Einfluss intern verändern oder gar umstrukturieren – in der Lernpsychologie ist dann die Rede von der Akkomodation –, oder aber sie bleiben von der Störung unbeeindruckt bzw. ordnen diese als bereits bekannt ein und reagieren mit entsprechenden Mustern, ohne eine interne Veränderung vorzunehmen – was der Assimilation gleichkäme.24 Das System entwickelt sich mit seinen relevanten Umwelten mit bzw. in Abhängigkeit von ihnen, wobei es stets nicht nur einen möglichen Weg der Veränderung oder Entwicklung gibt. Eine Umweltveränderung hat zwangsläufig Folgen (für die Grenzziehung und somit quasi-automatisch) für das System, doch sind diese Folgen nicht im Vorhinein abzusehen oder bestimmbar. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein System, das dem äußeren Anschein nach unverändert bleibt, obwohl seine Umwelten sich massiv verändern, sich ebenfalls verändert, um den Status quo beizubehalten oder ‚es selbst‘ zu bleiben. Wichtig ist insbesondere, dass in dem Denkmodell nicht das System A sich aufgrund eines einseitigen Einflusses aus der Umwelt B verändert, sondern dass sich die Umwelt, für deren Systeme C und D System A wiederum Teil der Umwelt ist, ebenfalls entwickelt, also eine Wechselwirkung vorliegt. Systemveränderungen bedeuten zugleich Umweltveränderungen und umgekehrt. So erklärt sich denn auch der Begriff der Koevolution von System und seinen (relevanten) Umwelten bzw. und mit dem System gekoppelten, anderen Systemen im Sinne eines zirkulären Prozesses: „Autopoietische Systeme können [...] nie losgelöst von den für ihr Überleben relevanten Umwelten betrachtet werden. Oder mit anderen Worten: wenn es um die Analyse von Entwicklungsprozessen geht, dann haben wir es nie mit isolierten Systemen als evolutionären Einheiten zu tun, sondern immer mit System-Umwelt-Einheiten, bei denen System und Umwelt eine Koevolution durchlaufen.“25

22 Vgl. Simon 2007b, S. 53f. 23 Der Begriff der Perturbation bzw. Perturbierung wird von Maturana, auf den sich Luhmann bezieht, benutzt; Luhmann selbst bevorzugt den Begriff der Irritation, der „‚Reizung‘ oder auch, vom System her gesehen, ‚Resonanzfähigkeit‘“ (vgl. Luhmann, Niklas; Baecker, Dirk (2011): Einführung in die Systemtheorie. 6. Aufl. Heidelberg: Carl Auer, S. 120). 24 Vgl. Simon 2007b, S. 64. 25 Ebd., S. 82.

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Im systemtheoretischen Verständnis können soziale Systeme gar nicht anders als sich in Abhängigkeit von ihren relevanten Umwelten weiterzuentwickeln, und ohne Veränderung wäre die Autopoiese des sozialen Systems und somit seine Existenz beendet. Das angenommene koevolutive Verhältnis von System und relevanten Umwelten kann unter Rückgriff auf die evolutionstheoretische Terminologie beschrieben werden. Dabei geht es nicht um die vermeintliche Kurzformel des survival of the fittest, sondern vielmehr um einen fortwährenden Dreischritt von Variation, Selektion und Retention bzw. Restabilisierung. Variationen sind dann die zahlreichen Impulse oder Störungen, die das System aus seiner Umwelt erfährt und die zu ihr im Widerspruch stehen, d.h. anders als sie selbst sind, Selektion ist die Aufnahme oder Verarbeitung einer solchen Irritationen, und von Retention ist dann zu sprechen, wenn das Eingehen der Irritationen in die Kommunikation zu einer strukturellen Veränderung des Systems (in einer Organisation beispielweise der ‚Spielregeln‘) führt. Die wesentlichen drei (autopoietischen) Systemtypen bei Luhmann sind biologische, psychische und soziale Systeme, die sich durch die Art ihrer Operationen voneinander unterscheiden. Biologische Systeme leben, psychische Systeme bzw. Bewusstseinssysteme operieren in Form von Denken, Fühlen und Wahrnehmen, und soziale Systeme operieren durch Kommunikationen, weswegen sie auch als Kommunikationssysteme bezeichnet werden können. Die drei Operationstypen bzw. die durch sie konstituierten Systeme sind „füreinander nicht direkt zugänglich“.26 Ein Gedanke z.B. kann nur dann ein Element eines sozialen Systems werden, wenn er Teil der Kommunikation wird; „[w]as nicht in die Kommunikation kommt, existiert nicht“.27 Kommunikation ist hier nicht etwa eine Handlung einer einzelnen Person, sondern setzt situativ betrachtet zwei Personen voraus, wobei eine davon eine Mitteilung macht, und die andere versteht, dass etwas mitgeteilt wurde. Kommunikation ist deswegen immer eine Einheit von drei Komponenten nämlich der Selektion einer Information und ihre Mitteilung durch Alter, darauf aufbauend das Verstehen, d.h. als Beobachtung von Ego, dass etwas mitgeteilt wurde. Ob dabei auch das verstanden wird, was bei der Mitteilung intendiert war, ist hierbei erst einmal zweitrangig.28 Auf einer allgemeineren Ebene ist Kommunikation eben die Operation, mit der sich soziale Systeme reproduzieren und am Leben halten, und daher ist 26 Ebd., S. 90. 27 Ebd., S. 91. Dazu bedarf es der Strukturellen Kopplung zwischen Bewusstseinssystem und Kommunikationssystem. Vgl. Luhmann et al. 2011, S. 118. 28 Und prinzipiell eher unwahrscheinlich, da Kommunikation in diesem Verständnis nicht das klassische Sender-Empfänger-Modell voraussetzt, sondern ein beidseitig gerichtetes Verhältnis, bei dem der ‚Empfänger’ einer Mitteilung deren Bedeutung nicht empfängt, sondern selbst konstruiert.

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Kommunikation bei Luhmann das konstitutive Element von Gesellschaft schlechthin. Denn „[s]o wie ein Spiel, das nicht weitergespielt wird, beendet ist, finden soziale Systeme ihr Ende, wenn die sie konstituierende Kommunikation aufhört“.29 Ein Kommunikationsprozess entsteht und besteht immer nur dann fort, wenn die jeweils nachfolgende an die vorhergehende Kommunikation Anschluss findet. Der Begriff des sozialen Systems ist die grundlegende Kategorie der Luhmann’schen Theorie der Gesellschaft:30 Im Prinzip kann sich dahinter ein ganzes Staatswesen oder ein gesellschaftlicher Sektor31 verbergen – genauso gut wie ein Ehepaar oder eine nur temporäre Kommunikationssituation oder Interaktion,32 die sich an einem beliebigen Ort zwischen mindestens zwei Personen ergibt. Im hier interessierenden Zusammenhang ist der Typus des sozialen Systems von besonderer Relevanz, da auch Organisationen (nicht nur im Verständnis der Systemtheorie) als charakteristische Erscheinungsform moderner Gesellschaften als soziale Systeme zu klassifizieren sind – und somit in weiten Teilen mittels derjenigen allgemeinen Kriterien zu beschreiben, mit denen die Systemtheorie soziale Systeme beschreibt. Gemeinsam ist allen sozialen Systemen und somit auch Organisationen, dass sie im Sinne einer Komplexitätsreduktion zwischen der Welt (durch den blinden Fleck der Beobachterposition zwangsläufig nur als ihre Umwelt zugänglich)33 und ihren Mitgliedern vermitteln, indem sie eine Ordnung schaffen, die weniger komplex als die Welt als Ganze ist (d.h. weniger Entscheidungsmöglichkeiten zulässt, weil nur bestimmte Kommunikationen anschlussfähig sind): Soziale Systeme müssen „in der Lage sein, [ihre] eigene Komplexitätsunterlegenheit durch überlegene Ordnung 29 Simon 2007b, S. 89. 30 Luhmann begann die Entfaltung seines theoretischen Gebäudes mit der Arbeit „Soziale Systeme“ (1984), untersuchte unter Zuhilfenahme dieser Kategorie verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche (Die Wirtschaft der Gesellschaft (1988), Die Wissenschaft der Gesellschaft (1990), Das Recht der Gesellschaft (1993), Die Kunst der Gesellschaft (1995), Die Realität der Massenmedien (1996) usw.) und bündelte seine Erkenntnisse über die Anwendbarkeit der Theorie sozialer Systeme in den zwei Bänden Die Gesellschaft der Gesellschaft (1997). 31 Gesellschaftliche Systeme sind insofern besonders, als sie anderen Systemen übergeordnet sind, die jedoch nicht in ihnen aufgehen. Ein Unternehmen wäre damit ein Subsystem des Gesellschaftssystems Wirtschaft, ohne jedoch ausschließlich oder in einem konstitutiven Sinne dessen Bestandteil zu sein. 32 Interaktion ist bei Luhmann eine Kommunikation unter Anwesenden. Vgl. Luhmann 2010, S. 560ff. 33 Die Welt kann nicht beobachtet werden, weil es dazu eines Beobachterstandpunktes außerhalb ihrer bedürfte. „Aber auch das sieht der Beobachter, und entsprechend kann er versuchen, die Einheit zu benennen: Die Einheit der Differenz von System/Umwelt ist so nach Luhmann die ‚Welt‘.“ (Gebert 2006, S. 25).

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auszugleichen“.34 Diese Ordnung wird als Struktur des jeweiligen Systems bezeichnet. Anders gesagt: Soziale Systeme reduzieren Komplexität durch die Entscheidung, nur bestimmte Dinge für relevant zu halten und sie damit als anschlussfähig ihren Strukturen hinzuzufügen. Aufgrund ihrer Konzeptualisierung als Kommunikationssysteme, die sich selbst durch die Grenzziehung zu ihrer Umwelt hervorbringen, sind soziale Systeme allerdings keine Gruppierungen von Menschen. Personen – und das sind im Luhmann’schen Verständnis nicht ‚Menschen‘, sondern Bewusstseinssysteme – gehören ‚nur‘ als relevante Umwelten zu sozialen System dazu. Als solche sind sie mit dem System strukturell gekoppelt, das heißt, sie bilden als relevante Umwelt eine Bedingung der spezifischen Systembeschaffenheit, weil beide (soziales und psychisches System bzw. Organisation und Person) sich gegenseitig beeinflussen können, jedoch nicht zielgerichtet. Organisationen sind unabdingbar auf ihre Mitglieder angewiesen (so wie beispielsweise auch biologische Systeme auf ihre relevanten Umwelten angewiesen sind), da diese etwas können, was soziale Systeme nicht können: wahrnehmen. Nur über die strukturelle Kopplung mit Bewusstseinssystemen kann Wahrnehmung in die Kommunikation (= in das soziale System) eingebracht und überhaupt im betreffenden sozialen System bearbeitet werden.35 Erst die Verbindung mit spezifischen psychischen Systemen eröffnet dem Kommunikationssystem den Zugriff auf deren „Kompetenz, Intelligenz, Kreativität und Urteilsfähigkeit von Individuen“.36 Daher ist das Verhältnis von Organisation und Mitglied ein absolut zweckgerichtetes.37 Dass nicht jede Wahrnehmung von Mitglieder-Be34 Luhmann 2010, S. 250. 35 Vgl. Simon 2007b, S. 38f. 36 Ebd., S. 74. 37 Die am häufigsten geäußerte Kritik gegenüber der Systemtheorie Luhmann’scher Provenienz bzw. gegenüber Luhmann selbst sind wohl die Beschränkung auf funktional-strukturelle Beschreibungen, die insbesondere von Anhängern der Frankfurter Schule als Mangel an kritischem Denken und Humanismus gebrandmarkt wurde, und zum zentralen Argument in der bekannten Kontroverse zwischen Jürgen Habermas und Niklas Luhmann wurde. Vermisst wird der Mensch bzw. das Individuum, das von Luhmann zwar als zentral gesehen, aber eben nicht als eine theoretische Einheit, sondern vielmehr als Zusammenspiel von biologischem System und psychischem System konzipiert wird. Für die Kohärenz seiner Theorie ist eine solche Trennung notwendig und auch analytisch durchaus hilfreich: Denn müsste man für das Verständnis eines sozialen Systems immer die vielen beteiligten Menschen als Teil davon mit erfassen, würde die Komplexität nur umso größer. Letztlich ähnelt dieser Ansatz einem Rollenmodell, das bei der Betrachtung einer Organisation den Menschen in seiner Eigenschaft als Träger einer bestimmten Rolle annimmt. Auch ein ideologisch konservatives Interesse am Systemerhalt wurde Luhmann aufgrund seines Fokus’ auf dem Funktionieren sozialer Systeme unterstellt, wenngleich

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wusstseinssystemen in die Kommunikation gelangt, bedeutet einerseits eine Entlastung (da Komplexitätsreduktion), andererseits aber auch eine Gefahr, wenn die Organisation über eine einseitige, homogene Basis für ihre Wirklichkeitskonstruktion verfügt. Dann ist die Organisation „‚blöder‘ als ihre einzelnen Mitglieder“.38 Im Vergleich etwa zu Familien spielt die ‚Besetzung‘ von Organisationen eine geringere Rolle, da die Dauerhaftigkeit des Organisationsmusters eine gewisse Austauschbarkeit der Mitglieder ermöglicht, die durch bestimmte Routinen der Organisation auch aufrechterhalten wird (z.B. durch Auswahlverfahren für Bewerber). Die Kommunikationsprozesse werden auch bei wechselndem Personal in ihrer speziellen Form aufrechterhalten. Gleichwohl können Personen ‚Unterschiede machen‘, indem sie Prämissen der Kommunikation, also Regeln, Strukturen und Erwartungen abwandeln oder neu einführen. Sie können dies umso besser, je mehr unterschiedlichen Referenzrahmen sie bereits ausgesetzt waren, also je vielfältiger ihr Erfahrungsschatz und Repertoire und sie in der Lage sind, Spielregeln zu identifizieren und differenziert zu betrachten.39 Dennoch: In sozialen Systemen und insbesondere „[i]n organisierten Kontexten wie Unternehmen, Parteien, Kirchen, Schulen, Vereinen etc. verdichten sich Kommunikationen zu Erwartungsmustern und kondensieren zu Selbstverständnissen, Konventionen, Routinen, ‚standard operating procedures‘, insgesamt also zu einem Regelsystem, welchem das einzelne Mitglied nur schwer entrinnen kann“.40

Was überhaupt Teil der Kommunikation des Systems wird und was nicht, ist eine Frage des Irritationspotentials bzw. des erzielten Aufmerksamkeitsgrades; und welcher Versuch der Regelveränderung erfolgreich ist und welcher nicht, ist wesentlich bestimmt durch dessen Anschlussfähigkeit an das System. Ähnlich wie biologische Systeme im Normalfall nur Stoffe aus ihrer Umwelt aufnehmen, die für ihre Selbsterhaltung relevant sind, geht in die Kommunikation sozialer Systeme nur das ein, was zu ihnen passt, d.h. was an den Sinn der bisherigen Kommunikationen anschlussfähig ist.41 Dieser ‚Filter‘ ist ebenfalls ein Modus der Komplexitätsreduktion, mit der sich das soziale System gegenüber dem Rest der Welt abgrenzt, der immer mehr Variationen aufweist als es selbst. Der selbstreferentielle Verweisungszusammenhang von organisationsspezifischen Kommunikationen stabilisiert das Syssein Ansatz selbst doch eher unkonventionell und zumindest in Bezug auf die Wissenschaftsgeschichte nicht konservativ ist. 38 Simon, Fritz B. (2007a): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg: Carl Auer, S. 38. 39 Willke 2005, S. 141-215, S. 153. Willke verweist in diesem Zusammenhang auf die Sinnhaftigkeit von Mehrfachqualifikationen und „job rotation“-Modellen in Organisationen. 40 Ebd., S. 158. 41 Vgl. Kap. Sinn in: Luhmann 2010, S. 92-147.

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tem, indem er zum Beispiel interne Abläufe erleichtert und harmonisiert. So bilden sich etwa nicht nur in einzelnen Sektoren oder Gesellschaftssystemen, sondern auch in einzelnen Organisationen bestimmte Spezialsprachen, die innerhalb des Systems die Dichte, Effizienz und Zielorientierung von Kommunikationen steigern und somit Transaktionskosten verringern helfen.42 Gleichzeitig bedeutet dieser Autonomiezuwachs aber auch eine Abnahme von Offenheit gegenüber anderen Codes – es sei denn, es wird eine Möglichkeit der Übersetzung gefunden (wie es zum Beispiel im Zuge der Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters erforderlich ist). Zum Verständnis der nachfolgenden Ausführungen sind zwei Annahmen aus den vorangegangenen besonders hervorzuheben, nämlich erstens, dass sich soziale Systeme immer gemeinsam mit bzw. in Abhängigkeit von ihren relevanten Umwelten verändern, und zweitens, dass die System-Umwelt-Differenz die Basis aller Systembeobachtung und -operationen bildet.

V ERÄNDERUNG VON O RGANISATIONEN

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Angesichts hochgradig und zunehmend dynamischer Umfelder sind Veränderungsund Lernfähigkeit von Organisationen ein relevantes Thema, denn um ihr Überleben zu sichern, müssen Organisationen eine kontinuierliche Anpassung an ihre Umwelt vollziehen. Dies ist für unterschiedliche Organisationen in unterschiedlicher Weise der Fall, für ein global agierendes Unternehmen anders als für eine Sekte, für eine Partei anders als für einen Schützenverein und für eine transnational aufgestellte Umweltschutzorganisation anders als für ein Dreispartentheater, doch immer gilt: „Da Organisationen nicht unabhängig von ihren verschiedenen Umwelten und deren Anforderungen operieren können, sind sie ständig irgendwelchen Irritationen (Störungen, Anregungen) ausgesetzt, auf die sie intern reagieren müssen. Ob sie langfristig überleben, hängt davon ab, wie diese wechselseitigen Anpassungs- und Aushandlungsprozesse zwischen der Organisation und ihren Umwelten (= Lernen) verlaufen.“43

Das systemtheoretische Verständnis von Lernen im Sinne eines zirkulären Zusammenwirkens von System und Umwelt steht – egal ob auf ein Individuum oder eine Organisation bezogen – einem akkumulativen Lernverständnis als einer Anhäufung von Wissen oder einer einseitigen Vermittlung von etwas durch einen Wissenden an einen nicht-Wissenden ganz offenkundig entgegen. Im Prinzip kön-

42 Vgl. Willke 2005, S. 147. 43 Simon 2007a, S. 34.

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nen (soziale) Systeme gar nicht anders, als zu lernen, und daher ist lernen in diesem Kontext auch erst einmal wertfrei bzw. nicht notwendigerweise positiv zu verstehen; wichtiger ist, wie gelernt wird. Schließlich ist mitunter auch die Trennung von (selbst mühsam) Erlerntem geboten, wenn die relevanten Umwelten dies zum Überleben erforderlich machen, also Rahmenbedingungen sich ändern und die bis dato erfolgreichen Rezepte nicht mehr erfolgreich sind. Die Frage ist daher weniger, ob eine Organisation lernt oder nicht, sondern wie die „Verarbeitungschancen von Irritationen in Organisationen“44 beschaffen sind, damit die Verarbeitung in einer Weise stattfindet, die die Existenz der Organisation weiter ermöglicht. Im Prinzip muss sie fähig sein, auf Basis der Beobachtung von sich selbst (System) und ihrer Umwelt die Relevanz von Informationen für das eigene Überleben zu bewerten, Zwecke von Mitteln und Bedingungen von Konsequenzen zu unterscheiden sowie die eigenen Lernnotwendigkeiten einzuschätzen, um dann entsprechende Selbstveränderungen vorzunehmen.45 In diesem Zusammenhang soll noch einmal ein Blick auf das oben nur sehr knapp thematisierte Prinzip der Koevolution sozialer Systeme geworfen werden. Im Prinzip gelten – so die systemtheoretische Annahme – für Organisationen und andere nicht-biologische Systeme ähnliche Entwicklungsprämissen wie sie die moderne Evolutionstheorie in Bezug auf biologische Systeme liefert, und diese können mit Luhmann wie folgt auf soziale Systeme übertragen werden: „Durch Variation werden die Elemente des Systems variiert, hier also die Kommunikationen. Variation besteht in einer abweichenden Reproduktion der Elemente durch die Elemente des Systems, mit anderen Worten: in unerwarteter, überraschender Kommunikation. Die Selektion betrifft die Strukturen des Systems, hier also Kommunikation steuernde Erwartungen [und in psychischen Systemen dementsprechend die Wahrnehmung steuernde Erwartungen, njh]. Sie wählt anhand abweichender Kommunikation solche Sinnbezüge aus, die Strukturaufbauwert versprechen, die sich für wiederholte Verwendung eignen, die erwartungsbildend und -kondensierend wirken können; und sie verwirft, indem sie die Abweichung der Situation zurechnet, sie dem Vergessen überlässt oder sie sogar explizit ablehnt, diejenigen Neuerungen, die sich nicht als Struktur, also nicht als Richtlinie für die weitere Kommunikation zu eignen scheinen. Die Restabilisierung betrifft den Zustand des evoluierenden Systems nach einer erfolgten, sei es positiven, sei es negativen Selektion.“46 44 Wimmer, Rudolf (2000): Wie lernfähig sind Organisationen? Zur Problematik einer vorausschauenden Selbsterneuerung sozialer Systeme. In: Management und Wirklichkeit. Das Konstruieren von Unternehmen, Märkten und Zukünften. Hrsg. von Hinz K. Stahl; Peter M. Heijl. Heidelberg: Carl Auer. S. 265-293, hier: S. 281. 45 Simon 2007a, S. 65. 46 Vgl. Luhmann, Niklas (1997a): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, Bd. 1, S. 454.

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Basales Muster der Evolution ist also der zirkulär zu verstehende Dreischritt von Variation, Selektion und Retention oder auch Restabilisierung.47 Die Variation ist ein Teil der Umwelt des Systems (und das heißt auch und insbesondere der Mitglieder) und tritt somit als Widerspruch zum sozialen System auf; sie konfrontiert es mit Unerwartetem. Unter Selektion ist das Aufgreifen der beobachteten Variation zu verstehen; einmal ‚selektiert‘ können Variationen im System strukturverändernd wirken. Allerdings kann eine Variation auch für uninteressant befunden werden, dann folgt auf die Selektion die „Feststellung von Nichteignung“,48 und bislang bewährte Strukturen werden bestätigt. Variationen können aber dazu führen, „in der Vergangenheit aufgebaute Selbstverständlichkeiten unter Bewährungsdruck zu setzen, d.h. sie zu bestätigen oder einer Veränderung auszusetzen“.49 Passen sich Veränderungen schließlich in die Organisation ein und werden zum Teil ihrer Routine, so ist dies die Retention oder Stabilisierung. Wesentliche Kennzeichen dieses Prozesses der Evolution (sozialer Systeme) sind Zufälligkeit und Nicht-Planbarkeit, aber auch Konservatismus und Schwerfälligkeit bei Veränderung aufgrund der Tendenz zur Variationsbeschränkung. Hinzukommt eine Präferenz (wobei dieser Begriff irreführend ist, insofern er eine Intention nahelegt) für kurzfristig nützliche Anpassungen oder die Wege des scheinbar geringsten Widerstandes.50 Eine gezielte Lenkung von organisationaler Veränderung oder Lernen der Organisation ist aufgrund des Aspekts der Zufälligkeit, Nicht-Planbarkeit, des Überschusses an Möglichkeiten oder Kontingenz51 kaum möglich. Angesichts der Unvorhersehbarkeit und der nur schlecht kalkulierbaren Dynamik der umgebenden, als zunehmend komplex wahrgenommen Umwelt stellt sich jedoch auch die Frage, ob Veränderungen überhaupt als einzelne Anpassungsschritte im Sinne jeweils geplanter oder bewusster Reaktion auf äußere Geschehnisse möglich sind. Vielmehr scheint es um die Schaffung der Bedingungen der Möglichkeit adäquater Selbstveränderung zu gehen: „Dem Problem einer ungewissen, unbestimmten Zukunft sowie dem der Undurchschaubarkeit der Umwelt und dessen, was dort wirklich läuft, ist nicht zu entrinnen. […] Ziel der Organisationsentwicklung kann deshalb nicht so etwas wie eine optimale Anpassung an ständig 47 Vgl. ebd., S. 451ff. 48 Wimmer, Rudolf (2007): Die bewusste Gestaltung der eigenen Lernfähigkeit als Unternehmen. In: Die bewusste Organisation. Steigerung der Leistungsfähigkeit, Lebendigkeit und Innovationskraft von Unternehmen. Hrsg. von Nino Tomaschek. Heidelberg: Carl Auer. S. 39-62, hier: S. 47. 49 Ebd. 50 Vgl. Weick, Karl E. (2011 [1985]): Der Prozess des Organisierens. 5. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 179; Simon 2007a, S. 104f. 51 Luhmann 2010, S. 152.

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komplexer werdende Umwelten sein, sondern die Ausprägung der Fähigkeit, sich einerseits als aktiver Mitspieler zu verstehen, der die Bedingungen des eigenen Überleben zum Teil miterschafft. Zum anderen geht es aber auch darum, sich in die Lage zu versetzen, für allfällige Veränderungsnotwendigkeiten organisationsintern rechtzeitig die erforderliche Empfindsamkeit aufzubringen, die die Entscheidungsgrundlagen für etwaige Kurskorrekturen zu schaffen vermag.“52

Dieses „aktive Mitspielen“ ist jedoch immer nur über den Umweg des Schaffens von Prämissen – systemtheoretisch gesprochen: die „Entscheidung über Entscheidungsprämissen“ – möglich.53 Immerhin kann, setzt man ein koevolutives Verhältnis von System und Umwelt voraus, nicht nur im System selbst, sondern auch in seiner Umwelt angesetzt werden, um auf seine Entwicklung Einfluss zu nehmen oder es zu steuern, zumindest wenn man Teil eines Systems der Umwelt ist, die man beeinflussen will. So betrachtet bietet das Konzept bei aller Beschränkung direkter Beeinflussung durchaus auch eine Erweiterung des Handlungsspielraums.54

S TEUERUNG EINER „ VORAUSSCHAUENDEN S ELBSTERNEUERUNG SOZIALER S YSTEME “ Um überhaupt lernen zu können, bedürfen Organisationen eines Variationsreichtums, der durch Irritationen aus der Umwelt in die Kommunikation eingebracht wird. Dazu ist eine gewisse Umweltsensibilität vonnöten, die es in ausreichendem Maß ermöglicht, sich irritieren zu lassen. Die Bereitschaft zur Selbstreflexion, zum Infragestellen von Routinen und zur Negation des Bestehenden ermöglicht die Selektion bestimmter Variationen – etwa wenn eine Abweichung von einem bestehenden Prozess oder einer Regel als sinnvoll erachtet wird. Damit die Abweichung zur neuen Norm werden, sich also stabilisieren kann, muss oft erst bestehendes Wissen ‚entlernt‘ werden und die selektierte Neuerung eingeübt werden. Die erfolgreiche Restabilisierung bildet dann wiederum die Ausgangslage für Variation, da sie die Folie der nächsten Abweichung ist. An diesem kontinuierlichen Dreischritt setzt auch Wimmer an, der sich als Organisationsberater mit der „Gestaltung der eigenen Lernfähigkeit von Unternehmen“ beschäftigt,55 denn trotz Kontingenz und der Unmöglichkeit deterministischer Einflussnahme auf autopoietische Systeme gibt es seiner Einschätzung nach Möglichkeiten, die Fähigkeit zur „vorausschauenden

52 Wimmer 2000, S. 282. 53 Simon 2007a, S. 114. 54 Simon 2007b, S. 82f. 55 Vgl. insbesondere Wimmer 2007; Wimmer 2000.

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Selbsterneuerung sozialer Systeme“ zu steigern.56 Mit einer solchen vorausschauenden Selbsterneuerung meint Wimmer das „Potenzial einer Organisation, die Unwägbarkeiten und Zufälle in der eigenen Umwelt für die Weiterentwicklung der systemeigenen Antwortfähigkeit zur Bewältigung interner und externer Herausforderungen gezielt zu nutzen“,57 und in Bezug auf Unternehmen hat Wimmer recht konkret herausgearbeitet, wie die Voraussetzungen für diese erzielt werden können.58 Eine Erhöhung des Variationspotentials wird durch eine Erhöhung der Diversität struktureller Kopplungen des Unternehmens mit dafür relevanten Umweltsystemen erzielt, wobei Wimmer dazu z.B. Mitarbeiter, Kunden, Forschungseinrichtungen, Lieferanten, Banken und auch Wettbewerber zählt. Über den Austausch bzw. die Kopplung mit diesen werden der Organisation kontinuierlich Irritationen zugeführt – etwa, wenn sich herausstellt, dass Kunden etwas ganz anderes wollen, als die Marketingabteilung eigentlich unterstellt hatte, wenn der Wettbewerber bessere Anwesenheitsquoten seiner Mitarbeiter vorweisen kann oder wenn Forschungseinrichtungen mit Materialien experimentieren, die für die Entwicklungsabteilung interessant sein könnten. Ein ähnlicher Grundgedanke liegt im Übrigen auch den Konzepten von industriellen Clustern, kreativen Milieus und der Netzwerkökonomie zugrunde, die davon ausgehen, dass ein erhöhter Grad an organisationsübergreifender Kommunikation Innovationsfähigkeit steigern und Überlebensfähigkeit sichern helfe. Oft wird in diesem Zusammenhang mit dem Begriff der „Coopetition“ argumentiert, einem Kunstwort gebildet aus den englischen Begriffen cooperation und competition. Die Kombination von Austausch, Kommunikation (ob im Rahmen von offiziellen Runden Tischen, Geschäftsterminen oder auf dem Tennisplatz) und teilweise gegenseitiger Unterstützung bei gleichzeitiger Konkurrenz erhöhe, so die Annahme, Innovationsfähigkeit und -geschwindigkeit. Untersucht wurde dieses Phänomen besonders prominent für das Silicon Valley mit seiner Dichte an Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus dem IT-Bereich und auch für die Emilia Romagna in Italien, wo zahlreiche Akteure der Textil- und Modebranche auf engem Raum ansässig und tätig sind. Seit den 1990er Jahren werden diese zumeist phänomenologisch und empirisch gewonnenen Erkenntnisse verstärkt übertragen auf Konzepte der Stadtund Regionalplanung und der Wirtschaftsförderung, die zuletzt auch den Kulturbereich im weitesten Sinne, nämlich in Form der Creative Industries, Kultur- oder

56 Helmut Willke, auf den sich Wimmer u.a. bezieht, spricht in diesem Zusammenhang von der „Evolution der Evolution“ (Willke, Helmut (1997): Supervision des Staates. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 48). 57 Wimmer 2000, S. 283. 58 Wimmer 2007.

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Kreativwirtschaft in den Blick genommen hat.59 Auch wenn in diesen Konzepten eine Menge anderer Faktoren, die oft kulturwissenschaftlich-ethnographisch beschrieben werden können, eine Rolle spielen und zur Erklärung herangezogen werden,60 so ist die Grundprämisse für ein solches Geschehen doch das, was Wimmer und andere auf einer sehr abstrakten Ebene als Schaffung von Variationenvielfalt beschreiben: Kontakte zu ‚Stakeholdern‘ und anderen Akteuren (Systemen) der Systemumwelt vergrößern die Zahl der Irritationen, mit der sich eine Organisation versehen und somit ihre Variationsbandbreite vergrößern kann.61 Dabei ist dieser Prozess selbst ein Lernprozess, denn er trägt dazu bei, die Umweltsensibilität der Organisation zu steigern.62 Aufgabe insbesondere von Führungskräften bzw. leitenden Personen, aber auch sonstigen Mitgliedern in Organisationen ist es in diesem Verständnis dann auch, die Organisation mit ausreichend „Rohmaterialien“, also Irritationen zu konfrontieren, „die dann vom Selektionsprozess ergriffen oder fallen gelassen werden“.63 Allerdings reicht die bloße Ausstattung mit Variationsreichtum nicht aus. Erforderlich ist zudem ein gewisser Grad an Irritierbarkeit, der wiederum ganz unterschiedlich ausgeprägt sein kann, da die Balance zwischen notwendiger Veränderung und der Stabilität bestimmter Zustände je nach Organisation anders beschaffen ist. Bei bestimmten Organisationen gehört es zur Selbstbeschreibung dazu, sich 59 Vgl. z.B. IHK Berlin; DIW Berlin (Mai 2002): Studie Kultur als Wirtschaftsfaktor in Berlin (Kurzfassung). Berlin. http://www.diw.de/sixcms/detail.php/38792 (9.1.2013); verschiedene Beiträge im Sammelband Ermert, Karl (Hrsg.) (2003): Kultur als Entwicklungsfaktor. Kulturförderung als Strukturpolitik. Wolfenbüttel: Bundesakademie für kulturelle Bildung; Söndermann, Michael (2004): Kulturwirtschaft für Ostdeutschland. In: Labor Ostdeutschland. Kulturelle Praxis im gesellschaftlichen Wandel. Hrsg. von Kristina Bauer-Volke; Ina Dietzsch. Berlin: Bundeszentrale für Politische Bildung. S. 135-142. 60 Beispielsweise der US-amerikanische Unternehmergeist und Risikobereitschaft, die historisch gewachsene Weltoffenheit in Norditalien, religiöse Orientierungen, religionstypische, ethische Werte etc. Vgl. exemplarisch Tölle, Wolfgang (2004): Einleitung. Deutschland und USA: Kultur- und Mentalitätsunterschiede bei der Betrachtung von Unternehmensnetzwerken. In: Unternehmensnetzwerke. Fragen der Forschung und Erfahrungen der Praxis. Hrsg. von Initiative für Beschäftigung OWL e.V.; Universität Bielefeld u.a. Bielefeld. S. 15-23. 61 Ebenso wie der Broker bei Burt über eine größere Informationsvielfalt verfügt. Vgl. auch Böhling, Kathrin (2006): Organisationslernen durch grenzüberschreitendes Handeln. In: Grenzüberschreitungen – Grenzziehungen. Implikationen für Innovation und Identität. Festschrift für Hedwig Rudolph. Hrsg. von Ariane Berthoin Antal; Hedwig Rudolph. Berlin: Ed. Sigma. 62 Wimmer 2007, S. 50. 63 Vgl. Weick 2011, S. 191.

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nicht oder kaum irritieren zu lassen.64 Dies gilt in besonderem Maße für ideenbasierte Organisationen, insbesondere etwa orthodoxe Glaubensgemeinschaften, aber auch andere ideologische Systeme – immer so lange ihre Mitglieder diese Ideen mittragen. Sie bilden selbst in turbulenten Umgebungen „Inseln der Stabilität“65 und können oft auch erhebliche Irritationen aushalten, ohne daraus Selbstveränderungsbedarf abzuleiten oder überhaupt ableiten zu müssen. Soziale Systeme, deren Selbstbeobachtung wesentlich geprägt ist von einer Superiorität gegenüber ihrer Umwelt (etwa aufgrund lange anhaltenden Erfolges), sind schwieriger zu irritieren – und scheitern womöglich genau daran. In diesem Sinne wird Lernen dann ausgerechnet durch Wissen verhindert, denn je länger anfallende Herausforderungen mit einem bestehenden Wissensbestand erfolgreich gelöst werden konnten, desto weniger besteht dann Anlass, dieses Wissen in Frage zu stellen oder gar abzulösen. Diese Tendenz des Bewahrens steht der Lernfähigkeit entgegen, ist aber im Sinne eines richtigen (i.S.v. funktionierenden) Verhältnisses von Stabilität und Neuerung auch Voraussetzung für die dauerhafte Existenz sozialer Systeme. Neben der Vielfalt möglicher Irritationen im Rahmen der strukturellen Kopplungen der Organisation mit anderen Systemen oder ihrer Umwelt spielt also der systeminterne Umgang mit diesen Störungen eine wesentliche Rolle. Zu fragen ist dann danach, was Organisationen zu deren Selektion und Integration oder Restabilisierung befähigt. Antworten hierzu finden sich vielfach in dem, was man in der Summe als Organisationskultur bezeichnen könnte, nämlich Faktoren wie Führungs- und Kommunikationsstrukturen, formelle und informelle Spielregeln, Umgang mit Fehlern und Abweichungen von Routinen. All diese Faktoren sind Wimmer zufolge gewissermaßen Stellhebel, mit denen das Potential der Selbstveränderung von Organisationen erhöht werden kann, und die idealiter in eine sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkung treten. Konkreter bedeutet dies zum Beispiel die Schaffung möglichst vieler Kommunikationsanlässe und -gelegenheiten, bei denen Irritationen zugelassen und Variationen vorbehaltlos thematisiert und geprüft werden können. Dies kann exemplarisch anhand von Forschungseinrichtungen veranschaulicht werden: Es bedarf eines geschützten Raumes, in dem auch Dinge im (evolutionstypischen!) Trial-and-errorVerfahren ausprobiert werden können, von denen eben höchst ungewiss ist, ob sie Erfolg zu bringen vermögen. Allerdings dürfen Fehler dann auch nicht als negativ bewertete Abweichung oder Vergehen ausgeblendet, sondern sollten als Lernquelle thematisiert werden.66 Die Chancen dazu sinken, wenn eine negativ konnotierte Fehlerkultur herrscht, in der das Externalisieren von Fehlern am lohnenswertesten 64 Vgl. Wimmer 2000, S. 284. 65 Simon 2007a, S. 102f. 66 Vgl. hierzu auch Baecker, Dirk: Plädoyer für eine Fehlerkultur (2003b). In: OrganisationsEntwicklung 22, H. 2. S. 24-29.

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ist, etwa um Sanktionen zu umgehen. Denn das (vor)schnelle ‚Finden‘ eines (am besten noch externen) Schuldigen beschränkt die Selbstreflexion.67 Eine ‚Vertrauenskultur‘ hingegen, in der Fehler ohne Angst berichtet werden können, Neues ausprobiert werden darf und Konflikte ausgetragen werden können, schafft die nötige Stabilität für solche Variationen.68 Auch Führungsstrukturen, die Verantwortung auf verschiedenen Ebenen (nicht nur auf der hierarchisch höchsten) ansiedeln, sind Wimmer zufolge ein die organisationale Lernfähigkeit begünstigender Umstand, da diese zu einer „organisatorische[n] Vervielfachung der Möglichkeiten, Nein zu sagen“69 führten – die Negation bzw. die „Ja/Nein-Codierung sprachlicher Kommunikation“70 wird hier verstanden als Grundprinzip der Variation. Prinzipien wie Subsidiarität und eher flache Hierarchien erfüllen diesen Anspruch. Weitere Möglichkeiten, das Potential der Selbstreflexion und -veränderung in Organisation zu erhöhen, sieht Wimmer in der Förderung fach- und abteilungsübergreifender Zusammenarbeiten z.B. in Projekten mit heterogen besetzten Teams, sowie in einer auf Vielfalt ausgerichteten Personal- und Recruiting-Politik, die etwa horizontale Versetzungen und Job-Rotation fördert bzw. bewusst Querdenker oder externe Know-how-Träger einstellt. Ähnliche Bestrebungen firmieren seit einigen Jahren als Diversity Management, womit im Wesentlichen das Konzept gemeint ist, eine geschlechtlich, kulturell und altersmäßig gemischte Belegschaft anzustreben, um möglichst viele Ausschnitte von Wirklichkeit abzubilden. So ist es denn auch zu verstehen, dass in den großen Unternehmensberatungen jenseits politischer Quotierungen neben Betriebswirten und Ingenieuren oft auch ein gewisser Prozentsatz an Geisteswissenschaftlern eingestellt wird, von denen man sich abweichende Wege der Problemlösung erhofft.71 Darüber hinaus hilfreich im Sinne der Lernfähigkeit sind Wimmer zufolge institutionalisierte und periodische Formen der Selbstreflexion, die es ermöglichen, beschrittene Wege vorbehaltlos und kritisch auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, aus gemachten Erfahrungen Anregungen und Lektionen für die nächsten Herausforderungen zu ziehen usw. Entsprechende Vorgehensweisen sind zum Beispiel wesentlicher Bestandteil eines erfolgreichen Qualitätsmanagements mit fortwährend gezogenen Verbesserungsschleifen.72 In eine solche Selbstreflexion kann dann auch das 67 Vgl. ebd. 68 Vgl. Simon 2007a, S. 74. 69 Wimmer 2007, S. 56. 70 Luhmann 1997a, S. 459. 71 Vgl. exemplarisch die Seite „Vielfalt ist gefragt“ auf der Website der Boston Consulting Group

(http://www.bcg.de/karriere/passt_bcg_zu_mir/vielfalt_ist_gefragt/default.aspx,

30.6.2012). 72 Vgl. Ohno, Taiichi (2009): Das Toyota-Produktionssystem. 2., überarb. Aufl. Frankfurt/ Main: Campus.

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Überprüfen der eigenen Lernmechanismen Eingang finden im Sinne einer Beobachtung zweiter oder auch dritter Ordnung. Werden, so resümiert Wimmer, all diese Faktoren berücksichtigt, dann steigt damit die Wahrscheinlichkeit, daraus positive Impulse für die Selbstentwicklung zu gewinnen, „weil die hochkomplexen Strukturen evoluierter Systeme mehr Möglichkeiten des Abweichens und auch mehr Möglichkeiten des Verkraftens von Abweichungen bieten“.73

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FÜR DIE SEKTORENÜBERGREIFENDE

Sektorenübergreifende Kooperationen könnten vor dem Hintergrund der dargelegten Thesen zur Entwicklung der Lernfähigkeit von Organisationen beitragen. Zwar hat Wimmer in seinen Darstellungen eher die Akteure klassischer Geschäftsbeziehungen (also Kunden, Lieferanten und Dienstleister) als ‚Irritatoren‘ im Auge, doch ist davon auszugehen, dass auch andere Organisationskontakte die Steigerung des systeminternen Variationsreichtums fördern können. Mithin wäre auch der Kontakt mit Kulturorganisationen auf der Seite von Unternehmen bzw. der mit Unternehmen aus der Perspektive der Kulturorganisation eine – bewusst selektive, weil auf ganz bestimmte Strukturen ausgerichtete – Schaffung der Bedingung für Variation bzw. ein möglicher Beitrag zur (Steigerung der) Umweltsensibilität der jeweiligen Organisation. Die Chancen dafür steigen mit einem ‚enttäuschungsbereiten‘ Verhältnis auf Augenhöhe, bei dem nicht die eine Seite als wissend und die andere Seite als nicht-wissend, sondern vielmehr beide als lernfähig konzipiert werden. Überdies müssen mehrere Organisationsmitglieder oder aber solche, die Gestaltungsmöglichkeiten haben, einbezogen werden, denn sie sind es, die der Organisation die Wahrnehmung liefern, die sie braucht, um ihre System-Umwelt-Unterscheidungen treffen und sich selbst beobachten zu können. Dementsprechend könnten bewusste Kooperationen über die Grenzen dieser Organisationen und ihre Sektorenzugehörigkeit hinweg ein Beitrag zur Steuerung organisationaler Lernfähigkeit sein. Gerade die Zusammenarbeit zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren sollte einen hohen Grad an Irritationspotential bereithalten und somit zur Irritationsfähigkeit der beteiligten Organisationen beitragen können. Allerdings steigen mit dem Grad der beobachteten Verschiedenheit auch die Herausforderung bei Selektion und Restabilisierung – dann nämlich, wenn Irritationen zwar in die Kommunikation kommen, aber bei der Selektion durch das Raster der als sinnvoll erscheinenden Variationen fallen. Daher ist grundsätzlich auch An-

73 Luhmann 1997a, S. 503 (zitiert nach: Wimmer 2007, S. 61).

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schlussfähigkeit vonnöten, um Irritationen in der geschilderten Weise wirksam werden zu lassen. Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen stellen für die beteiligten Akteure gerade in dieser Hinsicht eine besondere Herausforderung dar. Zumindest ist anzunehmen, dass Irritationen, die von Kunden, Lieferanten oder Wettbewerbern oder dem politischen System ausgehen, in der organisationsinternen Beobachtung eher Relevanz beigemessen wird als solchen, die von weniger offensichtlich mit dem System gekoppelten Umwelten ausgehen. Hier greift eines der Prinzipien, die Karl E. Weick für den Prozess der Evolution ausgemacht hat, nämlich der „Opportunismus“, d.h. dass eine Tendenz zur Selektion stets des kurzfristigen Vorteils gegenüber einem langfristig zu befürchtendem Nachteil besteht.74 Daher sind Organisationen tendenziell konservativ, und die Chance auf Anschluss oder Restabilisierung ist somit bei sehr großer Abweichung zu den Erwartungsstrukturen mitunter geringer. Zwar kommt es womöglich zu Selektion, dann aber zu einer Ablehnung der Aufnahme in die Sinnstruktur im Sinne einer Entscheidung für die Irrelevanz der Irritation. Im Zuge vermehrter Stakeholder-Orientierung, wie sie oben bereits im Zusammenhang mit den Konzepten der Corporate Social Responsibility und der Corporate Citizenship erläutert worden ist, müsste bei Unternehmen ganz allmählich eine ‚Gewöhnung‘ an strukturelle Kopplungen mit Systemen aus gesellschaftlichen Bereichen, die nicht unmittelbar mit dem Geschäftsmodell im Zusammenhang stehen, eintreten, die wiederum für eine größere potenzielle Aufmerksamkeit auch gegenüber Irritationen aus dem Kulturbereich sorgen könnte. In ähnlicher Weise gilt, dass im Kulturbereich in den vergangenen Jahren eine gewisse Öffnung hin zur Privatwirtschaft stattgefunden hat – sei es aufgrund von notwendig gewordenen Sponsor74 Weick 2011, S. 179: „1. Drei Prozesse – Variation, Selektion und Retention – sind für die Evolution verantwortlich; 2. Verhaltensänderungen und genetische Mutationen sind zufällig und die Variationen, die für den Augenblick die Anpassung fördern, werden ausgelesen und beibehalten; 3. die Prozesse der Variation und der Retention stehen im Gegensatz zueinander; 4. ein Rückgriff auf Begriffe wie Plan und Außenleistung ist für die Erklärung des Evolutionsverlaufes nicht erforderlich; 5. mäßig hohe Mutationsraten sind für das Überleben und für evolutionäre Vorteile notwendig; 6. in komplexen Systemen führt die Mehrzahl der jeweils wirkenden Mechanismen eher zur Beschneidung als zur Förderung von Variation; 7. jegliche Ordnung, die erscheinen mag, verdankt sich der nachträglichen Erkenntnis eines Selektionssystems, nicht vorausschauender Variation; 8. Evolution ist wesentlich opportunistisch – gegenwärtige Vorteile wiegen bei der Determination des Überlebens mehr als langfristige Nachteile; 9. Eigenschaften werden in der biologischen Evolution dann als adaptiv angesehen, wenn sie die Reproduktionschancen ihres Besitzes vergrößern; 10. Evolution kann als Aussiebungsmodell angesehen werden.“ [Herv. d. Verf.].

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ingverhältnissen, also einer quasi erzwungenen Beschäftigung mit der Unternehmenswelt, oder aufgrund neuer Interpretationszusammenhänge für etwaige sektorenübergreifenden Gemeinsamkeiten wie sie etwa Diskurse über die Bedeutung der Kulturwirtschaft oder Creative Industries als Wirtschaftsfaktor75 oder sogenannte Culturalpreneurs (zusammengezogen aus englisch cultural und entrepreneur) nahelegen. Daher scheinen die Grundlagen für das Irritationspotential und die Selektion von dadurch stimulierten Variationen durchaus gelegt zu sein. Damit die Variationen jedoch (organisations-)intern auf einen fruchtbaren Boden fallen können, bedarf es gewissermaßen einer ‚Irritationsschulung‘ der beteiligten Personen, d.h. es müssen Möglichkeiten der Anschlussfähigkeit geschaffen werden. Eine reine Konfrontation mit Ungewohntem ist nicht unbedingt zielführend, da dies bereits ein hohes Maß an Irritierbarkeit voraussetzen würde. Die Irritierbarkeit ist mit Blick auf Irritation aus dem Kultursektor sicherlich ausgeprägter in Branchen, die (sei es aufgrund von ähnlichen Ausbildungsgängen, geteilten alltagsästhetischen Schemata o.a.) eine gewisse Nähe zu diesem aufweisen wie zum Beispiel Werbe-, Designoder auch Medienbranche. Anschlussfähigkeit muss jedoch nicht unbedingt auf der inhaltlichen Ebene gegeben sein, sondern kann z.B. auch über bestimmte Personen und ein zwischen ihnen bestehendes Vertrauensverhältnis erzielt werden. Dies spräche für die hohe Bedeutung des persönlichen Kontakts für den Beitrag von Kooperationen zum organisationalen Lernpotential. Je mehr Organisationsmitglieder hier Anschlussmöglichkeit finden und je intensiver die Kopplung der Systeme ist, desto größer ist wohl auch die Chance, dass Variationen selegiert werden und sich stabilisieren können. Allerdings, darauf sei gleich hingewiesen, kann zu große Nähe wiederum mit einem Verlust an Variationspotential einhergehen, so dass letztlich und wie so oft ein intelligentes Oszillieren (oder: eine Balance) gefragt ist zwischen Störungen resp. Variationsbreite und Stabilität. Vor diesem abstrakten Hintergrund können Kooperationsmodelle hinsichtlich ihres möglichen Beitrages zur vorausschauenden Selbstveränderung sozialer Systeme kategorisiert werden. Dazu müssen Irritationspotential auf der einen und 75 Vgl. zur Kulturwirtschaft in Deutschland z.B. Söndermann 2004; Söndermann, Michael (2005): Kulturwirtschaft. Statistische Eckdaten. 2. Jahrestagung KulturWirtschaft. Berlin. http://www.berndfesel.de/BWS_2003-1.pdf (8.12.2012); Ebert, Ralf; Gnad, Friedrich (2006): Strukturwandel durch Kulturwirtschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 34-35. S. 31-38; Ertel 2006; Fesel, Bernd: Kulturwirtschaft: Spitzenbranche in Deutschland im Wandel (2006). Schwierige Hochzeit von Kultur und Wirtschaft kommt einen Schritt voran. In: Politik und Kultur, H. 1. S. 18-19; Kunzmann, Klaus R.: Kulturwirtschaft und Raumentwicklung (2006). In: Aus Politik und Zeitgeschichte 34-35. S. 3-7; Zimmermann, Olaf: Kulturberufe und Kulturwirtschaft – Gegensatz oder Symbiose? (2006). In: Aus Politik und Zeitgeschichte 34-35. S. 24-31.

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Chance auf Selektion und Restabilisierung auf der anderen Seite in ein Verhältnis gesetzt werden, das sich schematisch mit Hilfe einer Matrix veranschaulichen lässt (vgl. Abb. 4, bezogen auf das folgende Beispiel). Eine solche Kategorisierung ist immer systemspezifisch, also vom jeweiligen Beobachter abhängig. Die Höhe des Irritationspotentials bemisst sich im wesentlichem am beobachteten Grad der Andersartigkeit der beteiligten Systeme füreinander. Dieser müsste sich im Falle von Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen beispielweise äußern • • •



in den Programminhalten der Organisationen, etwa wenn sich Kunstproduktion und Maschinenbau oder Finanzdienstleistung gegenüberstehen; in organisatorischen Verfasstheiten, etwa Konzern vs. Kunstverein, aber auch kleine Werbeagentur vs. großes Opernhaus; in den beteiligten Personen und der Divergenz von deren Wirklichkeitskonstruktionen, nämlich zum Beispiel Manager vs. freischaffender Künstler, Ingenieur vs. Dirigent o.ä.; in unterschiedlichen Erwartungsstrukturen, z.B. in der Frage, was gute Kunst sei und was nicht (also etwa einer Präferenz avantgardistischer Kunst gegenüber einem klassischen Hochkulturschema) etc.

Die Chancen zur Selektion oder gar Restabilisierung oder: die Anschlussfähigkeit müsste sich u.a. an Parametern bemessen wie • • •

der Qualität der persönlichen Kontakte; den Vorerfahrungen der beteiligten Personen; die in der Organisationskultur verankerte Möglichkeit zu Diskurs und Dissens, der zugelassenen Meinungspluralität usw.

An einem bewusst etwas plakativen Beispiel soll dies konkretisiert werden (vgl. Abb. 4): Ein standardmäßig abgewickeltes Sponsoring zwischen einem Bankhaus und einem Konzerthaus zur Ermöglichung eines klassischen Konzerts, zu dem eine Reihe von VIP-Kunden der Bank eingeladen werden (A), birgt – teilt man die oben ausgeführten Grundannahmen – ein relativ geringes Irritationspotential. Denn weder ist die Varietät, die Abweichung gegenüber dem im System Bekannten besonders groß, noch sind die interpersonellen Kontakte so ausgeprägt, dass über das Konzert hinaus viele Kommunikationen zwischen den Mitgliedern beider Einrichtungen stattfinden könnten. Das Irritationspotential für das Bankhaus steigt zweifelsohne, wenn nicht nur VIP-Kunden, sondern auch die Angestellten der Bank dem Konzert beiwohnen dürfen und wenn das Programm ein teilweise zeitgenössisches oder anderweitig ungewohntes ist – womit jedoch noch nichts über die Möglichkeiten der Selektion und Restabilisierung gesagt ist (B). Diese dürften sich jedoch

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dann erhöhen, wenn z.B. ein Künstlergespräch im Nachhinein oder der Besuch einer Probe im Vorfeld stattgefunden haben, bei denen es zu persönlichen Kontakten gekommen ist, und ganz besonders dann, wenn solche Zusammenkünfte regelmäßig stattfinden, die Beteiligten also Vorerfahrungen aufbauen (C). Abbildung 4: Matrix Irritationspotential und Anschlussfähigkeit.

Variation, Selektion und Restabilisierung bedeuten in diesem Kontext nicht, dass die Bankmitarbeiter unmittelbar nach dem Konzertbesuch ihren Beruf anders ausüben als zuvor oder auf einmal ungeahnte Neuerungen umsetzen. Sowieso werden Schlüsse im Sinne einfacher Kausalbeziehungen mit dem hier gewählten Modell der Koevolution nur sehr selten gezogen werden können. Denn die Annahme eines koevolutiven Lernverhältnisses von System und Umwelt impliziert auch, dass dieses sich selbst evoluiert, und diese Evolution ist in der Regel ein längerer Prozess. Beispiele aus dem vorangegangenen Kapitel wie etwa die Beratung nach allen Regeln der Kunst der Droege & Comp. stützen jedoch die Annahme einer evolutiven Entwicklung der Fähigkeit zur vorausschauenden Selbstveränderung. Vielfach sind die gewonnenen Anregungen auch nicht als solche greifbar, sondern tragen in erster Linie zu einer Varianz der Beobachtung und somit zu einer differenzierteren Selbstbeobachtung (als Beobachtung zweiter Ordnung) bei. Die – systemtheoretisch gesprochen – Einführung neuer Unterscheidungen in die (Kom-

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munikationen der) Organisation ist in diesem Verständnis an sich bereits ein Gewinn, da diese somit potentiell in die Lage versetzt wird, etwaige Irritationen besser zu verarbeiten.76 Inwiefern sich die Begegnung mit Kunst in besonderer Weise eignen könnte, neue Unterscheidungen und Beobachtung zweiter Ordnung zu ermöglichen, wird im letzten Kapitel dieses Teils ausführlich und ebenfalls unter Rückgriff auf den systemtheoretischen Ansatz bzw. die Luhmann’sche Vorstellung von der Funktion der Kunst dargestellt. Zuvor werden jedoch im Sinne einer Illustration der Ausführungen zum Mehrwert der sektorenübergreifenden Kooperation noch zwei Praxisbeispiele vorgestellt, die nicht aus dem Kulturbereich stammen, in denen aber die beschriebene Idee erfolgreich angewendet wird. Beispiel 6: SeitenWechsel – „Instrument der Managemententwicklung, aber auch sozialpolitische Intervention“77 Ein Beispiel für eine gezielt betriebene Irritation von Organisationsmitgliedern mittels der Schaffung sektorenübergreifender Kontakte ist das Programm SeitenWechsel der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. In dessen Rahmen werden im Wesentlichen einwöchige Einsätze von Führungskräften aus Wirtschaft und Verwaltung in sozialen oder Gesundheitseinrichtungen organisiert. Im Laufe des Bestehens des Programms sind umgekehrt auch Einsätze von Führungskräften aus sozialen Einrichtungen in Unternehmen aufgenommen worden und eine Gesprächsreihe passagen entstanden, die dem gesellschaftsbereichsübergreifenden, „transsektoralen“ Dialog dient. Der SeitenWechsel kam 1991 anlässlich einer 700-JahrFeier der Schweiz zustande und wurde seitdem kontinuierlich qualitativ und quantitativ weiterentwickelt. Seit der Pilotphase in den frühen 1990er Jahren haben (bis 2008) mehr als 2.200 Führungskräfte einen SeitenWechsel vollzogen.78 Dass Entstehung und Wachstum von SeitenWechsel in die 1990er Jahre fielen, halten die Initiatoren für keinen Zufall, da sich in dieser Zeit „in immer mehr Unternehmen die Einsicht durchzusetzen vermochte, dass Unternehmen sowohl aus Gründen der Unternehmensentwicklung wie auch aus ethischen Gründen gut daran

76 Nach der Annahme W. Ross Ashbys „Only variety can destroy variety.” (Ashby, W. Ross (1956): An Introduction to Cybernetics. London: Chapman & Hall, S. 207). 77 Editorial des Herausgebers, in: Ettlin, Tony; Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (Hrsg.) (2003): SeitenWechsel. Lernen in anderen Arbeitswelten. Zürich: Orell Füssli, S. 9-10, hier: S. 9. 78 Vgl. http://www.seitenwechsel.ch/index.php?pnavid=uni&id_page=6&lang=uni&temp_ parent_ids=6 (29.12.2008).

182 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS tun, wenn sie sozial verständig handeln und sich in der für sie relevanten Umwelt auch über die unmittelbaren wirtschaftlichen Unternehmensziele hinaus engagieren“.79

Dabei versteht sich SeitenWechsel dezidiert nicht als ein gemeinnütziges Programm im Sinne etwa des Corporate Volunteering, sondern vielmehr als ein Weiterbildungsprogramm für Führungskräfte,80 da davon ausgegangen wird, dass „die im SeitenWechsel gemachten kognitiven und emotionalen Erfahrungen verarbeitet […] und für die berufliche Tätigkeit als Führungskraft fruchtbar werden“.81 In der Regel sind die SeitenWechsel-Arbeitseinsätze in die Management-Entwicklung des entsendenden Unternehmens eingebettet und werden entsprechend systematisch vorund nachbereitet.82 Der ebenfalls denkbare gemeinnützige Effekt ist gegenüber dem der Persönlichkeitsentwicklung der Manager erst einmal zweitrangig, jedoch ist eine Sensibilisierung der Teilnehmer für den ihnen oft ganz unbekannten Sektor sehr erwünscht. Das Programm bezieht sich bewusst ausschließlich auf den Sozial- und Gesundheitsbereich; beteiligt sind zum Beispiel Institutionen wie Altersheime, Asylbewerberunterkünfte, Behinderteneinrichtungen, Drogenentzugsstationen, Frauenhäuser, Gefängnisse, Kinderheime, psychiatrische Kliniken etc.83 Diesen Organisationen wird ein besonders großer Wert für das beim SeitenWechsel als zentral angenommene „Kontrastlernen“ und den Ausbau insbesondere sozialer Kompetenz sowie eine besondere Relevanz für die Erfordernisse des Führungsalltags beigemessen:84 „Erfahrungen in einer psychiatrischen Klinik lassen Stressbewältigung im obersten Kader in einem anderen Licht erscheinen. Einblicke in einem Jugendheim machen verständlich, warum sich häusliche Sorgen mit schwierigen Heranwachsenden auch am Arbeitsplatz auswirken. Und Kenntnisse aus dem Pflegeheim über den Umgang mit schwer pflegebedürftigen Men-

79 Ammann, Herbert (2003): SeitenWechsel – Analyse und Strategie. Genannte und unerkannte Ziele. In: Ettlin et al. 2003. S. 20-27, hier: S. 23. 80 Vgl. http://www.seitenwechsel.ch/index.php?pnavid=uni&id_page=2&lang=uni&temp_p arent_ids=2 (29.12.2008). 81 Ammann 2003, S. 26. 82 Vgl. Ettlin, Tony (2003): SeitenWechsel: Lernen von und mit den andern. In: Ettlin et al. 2003. S. 66-75, hier: S. 69. 83 Vgl. Hauser, Lucie (2003): Von den Anfängen bis heute. In: Ettlin et al. 2003. S. 38-43, hier: S. 40f. 84 Ebd., S. 38.

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schen führen dazu, dass entsprechende Belastungen von Menschen im beruflichen Umfeld nicht einfach als irrelevant abgetan werden.“85

Dies trägt zumindest im Idealfall zum Abbau von Vorurteilen und zum Aufbau von Respekt bei.86 Über eine solche konkrete 1:1-Übertragung hinaus kann der Sinn eines SeitenWechsels jedoch auch etwas abstrakter konstruiert werden im Sinne einer Schulung im disziplinübergreifenden Denken, das, so die Annahme der SeitenWechsel-Befürworter, durch den Kontakt mit einem anderen gesellschaftlichen Sektor, hier: den Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens, trainiert oder zumindest stimuliert werden kann. Die Kenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge, anderer Felder und deren spezifischer Handlungslogiken, Erfordernisse und Verhaltensmuster ist hierfür die Basis, und in diesem allgemeinen Sinne lassen sich aus den SeitenWechsel-Erfahrungen auch Rückschlüsse auf mögliche Kooperationsmodelle zwischen Wirtschaft und Kulturbereich ziehen. Tony Ettlin, Mitherausgeber eines Buches über SeitenWechsel, formuliert hierzu folgendermaßen: „In unserem Alltag bewegen wir uns in einem Teilbereich eines komplexen Systems. Wir nehmen nur immer einen Teil der Welt um uns herum wahr, funktionieren nach gelernten, zum großen Teil unbewussten Mustern und reduzieren die Komplexität durch Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensgewohnheiten auf ein erträgliches und überblickbares Maß. Ohne diese Reduktion durch Abgrenzung, Verdrängung, Vermeidung, Verallgemeinerung etc. wären wir hilflos überfordert. Das ständige Beachten und Einkalkulieren aller Dimensionen, Faktoren, Zusammenhänge und Wechselwirkungen würde uns blockieren und handlungsunfähig machen. Diese sinnvolle und überlebensnotwendige Beschränkung und Vereinfachung kann aber negative Auswirkungen haben. Wer sich nicht um die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilen und Schichten unserer Gesellschaft kümmert, kann vielleicht im kleinen, privaten Alltag noch überleben. Im beruflichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ist eine breitere, differenziertere Sicht der Dinge notwendig.“87

Die positive Bewertung des Blicks über den Tellerrand als solchem wird bei den Programmteilnehmern nicht in dieser Schärfe auch als kognitive Bereicherung gesehen. Als Erwartungen geben die aus der Wirtschaft entsendeten Führungskräfte in erster Linie den Ausbau sozialer Kompetenz sowie den Abbau von Vorurteilen und eine somit differenziertere Wahrnehmung an. Insbesondere der erwünschte Abbau von Vorurteilen deckt sich mit der Hoffnung auf Seiten der sozialen Institutionen, durch das Erleben ihrer Arbeit auch einen Imagegewinn bei den Wirtschaftsvertretern und Multiplikatoren erzielen zu können. Darüber hinaus glauben die Vertreter 85 Vgl. Stamm, Judith (2003): Vorwort. In: Ettlin et al. 2003. S. 11-14, hier: S. 11f. 86 Vgl. Hauser 2003, S. 38. 87 Ettlin 2003, S. 66.

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der sozialen Einrichtungen aber auch, „vom unternehmerischen Know-how ihrer Gäste“ profitieren zu können.88 Eine Programmevaluation zeigt, dass die Erwartungen auf beiden Seiten begründet sind. Im Rückblick geben fast 90 Prozent der Teilnehmer an, einen hohen persönlichen Nutzen aus ihrem Einsatz gezogen zu haben, während sie den Nutzen für den Betrieb als weitaus geringer bzw. eher indirekt einschätzen.89 Genannt werden als positive Effekte (1) eine Sensibilisierung im Umgang mit Menschen, (2) das Wissen über soziale Randgruppen, (3) die Horizonterweiterung, also der oben beschriebene Blick über den eigenen Sektor hinaus, sowie (4) – etwas diffus – die Erweiterung des „sozialen Wissens“ für den Betrieb. Immerhin Dreiviertel der Befragten messen ihren Erfahrungen beim SeitenWechsel Auswirkungen auf den unternehmerischen Alltag bei.90 Liegt der Nutzen nach Ansicht der Programmteilnehmer insbesondere in der Konfrontation mit einer ‚neuen Welt‘ – neun von zehn Teilnehmern erleben den Einsatz als Bruch zu ihrem Alltag91 –, so sehen die aufnehmenden Programmteilnehmer eher die tatsächliche Arbeit, konkrete Hilfeleistung und die gewonnenen persönlichen Kontakte im Vordergrund.92 Die sozialen Einrichtungen verzeichnen einen Imagegewinn im Sinne eines besseren Verständnisses und einer höheren Wertschätzung ihrer Arbeit durch die Führungskräfte aus der Wirtschaft. Ein gutes Beispiel hierfür ist die verbreitete Vorstellung, soziale Einrichtungen seien nicht effizient, die beim SeitenWechsel offenbar erfolgreich entkräftet bzw. differenziert werden kann, wie Ettlin erläutert: „Wirtschaftsleute neigen dazu, ihre eigene Arbeit in Unternehmen als effizienter zu beurteilen als die Arbeit von Betreuenden, Pflegenden, Erziehenden, Hilfeleistenden. In diesem Bereich bewirkt der SeitenWechsel vermutlich die größten Korrekturen von unbegründeten Vorurteilen. Die BesucherInnen staunen über die Menge und Qualität der geleisteten Arbeit, verändern aber auch ihre Kriterien von Effizienz.“93

Wie die Kriterien von Effizienz andere sind, so unterscheiden sich die Organisationskulturen freilich auch in anderer Hinsicht. Erhebliche Unterschiede machen Ettlin und Meier-Dallach etwa im Hinblick auf das Zeitverständnis (technologisch getriebene Beschleunigung und Notwendigkeit schneller Entscheidungen gegenüber einem auf Heilungszyklen ausgerichteten Zeitverständnis oder (geteilter) Zeit als 88 Vgl. Ettlin, Tony; Meier-Dallach, Hans-Peter et al. (2003): Was bewirkt der SeitenWechsel? In: Ettlin et al. 2003. S. 84-103, hier: S. 84. 89 Vgl. Ettlin 2003, S. 89. 90 Vgl. ebd. 91 Vgl. ebd., S. 87. 92 Vgl. ebd., S. 92f. 93 Ebd., S. 96.

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Wert an sich), die Sprache (standardisierte Formulierungen, Formalisierung und Abkürzung gegenüber einer stark situationsangepassten und persönlichkeitsorientierten Sprache) sowie die Personalkultur (Austauschbarkeit und Flexibilität vs. Konstanz, Kontinuität und Präsenz) aus.94 Der SeitenWechsel befördert spätestens im Rahmen der Einsatznachbereitung eine Reflexion solcher Unterschiede, die auch immer ein Hinterfragen der eigenen Handlungsmaximen und Verhaltensweisen ist. Schwer messbar ist, wie auch die Organisatoren einräumen, „was denn SeitenWechsel über den individuellen Nutzen der Beteiligten hinaus für die Institutionen, Unternehmen und die Gesellschaft bewirkt“.95 Möglicherweise würde hierüber eine Befragung der für die Managemententwicklung Verantwortlichen in Unternehmen Aufschluss geben. Allerdings kann SeitenWechsel auch immer nur ein Baustein innerhalb breiter angelegter Entwicklungsprogramme für Führungskräfte sein, so dass eine nachhaltige Veränderung nach einem einwöchigen Einsatz schlicht zu viel verlangt wäre. Wenig Zweifel gibt es jedoch über die grundsätzlich positive Wirkung der im Rahmen des SeitenWechsels gewonnenen Erweiterung der Perspektive. Beispiel 7: Common Purpose – Erleben unterschiedlicher „Führungskontexte“ Von einem positiven Effekt bzw. sogar einer Notwendigkeit des transsektoralen Wissens geht auch das Projekt Common Purpose aus, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Akteure aller gesellschaftlichen Bereiche, d.h. Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Sozialwesen, Kunst, Bildung und Wissenschaft, zusammenzubringen, damit diese erkennen, inwieweit ihr Handeln sich aufeinander bezieht und an welchen Stellen es Kooperationsmöglichkeiten gibt.96 Die diesem Ansatz zugrundeliegende Überzeugung ist, dass Städte und Regionen gestärkt werden, wenn ihre Akteure über Organisations- und Sektorengrenzen hinweg zusammenarbeiten,97 denn „[d]ie Chancen und Probleme, mit denen wir es zukünftig zu tun haben, richten sich nicht nach den üblichen ‚Geschäftsverteilungsplänen‘ in unserer Gesellschaft. Sie fallen nicht 94 Vgl. Ettlin, Tony; Meier-Dallach, Hans-Peter (2003): SeitenWechsel in die Wirtschaft. In: Ettlin et al. 2003. S. 159-162, hier: S. 162. 95 Meier-Dallach, Hans-Peter (2003): Epilog. In: Ettlin et al. 2003. S. 238-246, hier: S. 245. 96 Vgl. http://www.commonpurpose.de/home/ueberuns/ziele.aspx (2.1.2009). 97 Diesen Ansatz vertritt im Übrigen auch Robert Putnam vertreten, der davon ausgeht, dass Verbindungen verschiedener sozialer Kreise zur gesamtgesellschaftlichen Prosperität beitragen, wohingegen enge Verbindungen innerhalb eines sozialen Kreises eher negative Begleiterscheinungen für die Gesellschaft haben, wenn ihre Folge Kartelle oder mafiöse Strukturen sind. Vgl. Nollert 2010; Primärtext: Putnam, Robert D. (2000): Bowling Alone. The Collapse and Revival of American Community. New York: Touchstone.

186 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS hübsch portioniert in genau die eine oder andere Schublade. Sie überqueren Ressortgrenzen und sickern in ‚fremdes Terrain‘. Genau das müssen echte Leader heute auch: Grenzen überschreiten und sich auch dort engagieren, wo sie auf den ersten Blick gar nicht zuständig sind“

– so proklamiert von Julia Middleton, Gründerin und Leiterin von Common Purpose. Das Modell wurde 1989 in Großbritannien begründet und ist dort in über 45 Städten vertreten. Seit einigen Jahren wird das Common Purpose-Modell auch in anderen Ländern umgesetzt, in Deutschland gibt es derzeit sechs Standorte. Herzstück von Common Purpose ist das Programm Matrix, das sich wie der SeitenWechsel insbesondere an Führungskräfte richtet. Jeweils 35 Teilnehmer aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen kommen ein Jahr lang regelmäßig zu verschiedenartigen Terminen zusammen. Es gibt sowohl Vorträge, Podiumsdiskussionen und Streitgespräche, aber auch vor-Ort-Besuche, bei denen sich die Teilnehmer gegenseitig ihre Arbeitsplätze und -umgebungen vorstellen, so dass jeder von ihnen andere „Führungskontexte“ erleben kann. Dabei lernen die Teilnehmer sich gegenseitig und ihre Tätigkeiten besser kennen und reflektieren gemeinsam Herausforderungen ihrer Stadt oder Region, Entscheidungsprozesse und Lösungsmodelle.98 Einige weitere Programme von Common Purpose richten sich an andere Zielgruppen wie etwa Nachwuchskräfte, und die entstandenen Kontakte und Verbindungen können die Teilnehmer im Rahmen des Alumni-Netzwerkes pflegen.99 Im Idealfall nutzt das Programm (1) den Teilnehmern, die von ihrer Erfahrung und dem Ausbau des eigenen Netzwerkes profitieren, (2) den sie entsendenden Organisationen, da die entsprechenden Mitarbeiter neue Perspektiven gewonnen haben, die es ihnen ermöglichen, bei der Lösung von Problemen und bei der Führung ihrer Mitarbeiter ‚vernetzt‘ und über ihre eigenen Bereichsgrenzen hinauszudenken, sowie (3) der Gesellschaft, insofern Verantwortungsträger und Multiplikatoren übergreifende Zusammenhänge erkennen und das Gemeinwohl im Blick haben.100

98

Vgl. http://www.commonpurpose.de/home/programme/programmelemente.aspx (2.1. 2009).

99

Vgl. http://www.commonpurpose.de/home/alumni.aspx (2.1.2009).

100 Vgl. http://www.commonpurpose.de/home/ueberuns/faqs.aspx (2.1.2009).

Besonderes Irritationspotential der Kunst? Systemtheoretische und evolutionsästhetische Argumente

Individuum ist man heute als Selbstbeobachter, oder genauer: als Beobachter der Art, wie man die Welt beobachtet. Dafür gibt gerade die Beschäftigung mit Kunstproduktion besondere Chancen.1 NIKLAS LUHMANN Ich vermute, dass die Voraussetzungen für die Emergenz dessen was wir Kunst nennen, ganz wesentlich auf verfeinerten kognitiven Leistungen beruhen.2 :2/)6,1*(5

Nachdem im vorhergehenden Kapitel auf einer ganz allgemeinen Ebene Chancen der Kooperation über Sektorengrenzen hinweg beleuchtet wurden, soll im Folgenden (wieder mit systemtheoretischen Rüstzeug) ein Modell vorgestellt werden, das Anhaltspunkte für ein besonderes Irritationspotential der Kunst liefert, das es für Unternehmen attraktiv machen könnte, mit Akteuren des Kultursektors zu kooperieren.3 Es wurden bereits verschiedene Leistungen des Kulturbereichs dargestellt, die 1

Luhmann, Niklas (1996c): Sinn der Kunst und Sinn des Marktes – zwei autonome Sys-

2

Singer, Wolf (2002): Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung. Frank-

3

Ein mögliches ‚besonderes‘ Irritationspotential des Wirtschaftssystems wird hier nicht

teme. In: Müller et al. 1996. S. 195-207, hier: S. 204f. furt/Main: Suhrkamp, S. 211. untersucht, da davon ausgegangen werden darf, dass dessen Funktionslogik in nahezu allen gesellschaftlichen Teilbereichen wenn auch kein Primat hat, so doch durch verschiedenste Kopplungen präsent ist. In das System Wirtschaft sind im Gegensatz zu dem der Kunst alle Mitglieder der Gesellschaft inkludiert, selbst wenn sie sich diesem etwa durch

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dessen Vertreter bewusst oder unbewusst bzw. willentlich oder unwillentlich für Unternehmen erbringen können – nicht nur im grundlegenden Schaffen von Kunst und deren Wirkung bei denen, die sie wahrnehmen, sondern auch sehr viel spezifischer etwa im Rahmen von Sponsoringbeziehungen, aber auch im Kontext der Entwicklung von Unternehmen (vgl. den ersten Teil dieses Bandes). Neben diesen konkreten Leistungen, also den Eigenschaften der Kunst, die sich andere soziale Systeme zunutze machen (z.B. als Bestandteil ihrer Außendarstellung),4 hält – wiederum auf einer recht abstrakten Ebene – auch das Luhmann’sche Verständnis von der Funktion der Kunst als einem Gesellschaftssystem Anhaltspunkte bereit, die im vorliegenden Zusammenhang interessant sind. Einige davon sind bereits im Zuge der Ausführungen zum Einsatz von Mitteln der Kunst in der Unternehmensentwicklung (im letzten Kapitel des ersten Teils angeklungen,5 sollen hier jedoch im theoretischen Gesamtzusammenhang eingehender erläutert werden. Es wird dazu in enger Anlehnung an Luhmann und unter Bezug auf einige Reflexionen in der Sekundärliteratur6 das Kunstsystem aus systemtheoretischer Perspektive betrachtet, wobei bewusst auf solche Aspekte fokussiert wird, die in Bezug auf das Thema Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen von besonderem Belang zu sein scheinen.7

ein selbstversorgtes Dasein etwa in einem Baumhaus zu entziehen versuchen. Allerspätestens die Verwertungslogik der Medien wird auch dieses Leben wiederum in das Wirtschaftssystem zurückholen wie z.B. die Darstellung des Lebensentwurfs Nick Westons zeigt (vgl. Weston, Nick (2010): The Tree House Diaries. How to live wild in the woods. London: Collins & Brown). Überdies ist diese Beschränkung der Perspektive der Verfasserin (aus dem Unternehmen heraus) geschuldet. 4

Vgl. Koller 2007, S. 143. Im systemtheoretischen Verständnis wird Kunst dann auch nicht als Kunst beobachtet, „sondern eben als das, was Kunst für sie [die anderen sozialen Systeme] ist/leistet.“ (ebd.).

5

Insbesondere im Zusammenhang des Unternehmenstheaters und des Droege Kunstkonzepts.

6

Insbesondere Kollers ausführliche Beschäftigung mit der Luhmann’schen Kunsttheorie (ebd.) sowie eine Ausgabe der Zeitschrift Soziale Systeme, die der Kunst der Gesellschaft einige Aufsätze widmet (1/1996).

7

Diese Fokussierung bedingt, dass hier nicht das gesamte Luhmann’sche Theoriegebäude und noch nicht einmal das die Kunst betreffende in Gänze ausgerollt werden können. Allerdings ist zu unterstellen, dass die hier interessierenden Erkenntnisse auch ohne ein Durchdringen aller Details und Raffinessen der einzelnen Begrifflichkeiten und ihrer Bezogenheiten aufeinander im Luhmann-Kosmos nachvollzogen werden können. Die hier vorliegende Darstellung soll auch dem nicht systemtheoretisch vorinformierten Leser die Möglichkeit eröffnen, den Argumentationslinien zu folgen.

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Luhmann hat seine Überlegungen zur Kunst im Wesentlichen in der Monographie Die Kunst der Gesellschaft dargelegt.8 Er untersucht Kunst hier als ein gesellschaftliches Funktionssystem,9 d.h. es geht ihm weniger – kunstwissenschaftlich – darum, Erkenntnisse über Kunstwerke zu entwickeln, sondern er fokussiert – soziologisch – auf den „kommunikativen Gebrauch von Kunstwerken“.10 Ein solcher liegt zumindest potentiell auch in Kooperationen von Unternehmen mit Kulturorganisationen oder hier tatsächlich treffender: mit Kunstproduzenten und -anbietern, erscheint also auch für den vorliegenden Zusammenhang als passender Zugang. Die Konzeption von Kunst als gesellschaftlichem Funktionssystem impliziert, (1) dass Kunst ein autonomer, operativ geschlossener Bereich der Gesellschaft ist, und (2) dass sie eine (gegenüber anderen Funktionssystemen) exklusive Funktion in der Gesellschaft hat. Wie jedoch Autonomie der Kunst bei Luhmann nicht gleich-

8

Luhmann 1995. Kompakter: Luhmann, Niklas (1997b): Weltkunst. In: Soziologie der Kunst. Hrsg. von Jürgen Gerhards. Opladen: Westdeutscher Verl. S. 55-102 und die Gespräche mit ihm: Luhmann, Niklas; Bunsen, Frederick D. et al. (1990): Das Kabelkalb. Ein Gespräch über Kunst. In: Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Hrsg. von Niklas Luhmann; Frederick D. Bunsen; Dirk Baecker. Bielefeld: Haux. S. 51-66; Huber, Hans Dieter: Interview mit Niklas Luhmann am 13.12.90 in Bielefeld (1991). In: Texte zur Kunst 1, H. 4. S. 121-133.

9

Wie er es auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Funktionssysteme getan hat: Die autonomen Funktionssysteme sind das Ergebnis der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, die nunmehr keiner stratifikatorischen Ordnung gehorcht (wie dies z.B. noch im Mittelalter und seinen gesellschaftlichen Ständen der Fall war). Kein Funktionssystem kann die Operationen eines anderen vollziehen, jedes hat eine eigene, exklusive Funktion, mit der es auf ein spezifisches Problem der Gesellschaft reagiert und dieses weiter perpetuiert. Im Gegensatz zu Organisationen schließen Funktionssysteme per se niemanden aus. Funktionssysteme kommunizieren nicht mit anderen Funktionssystemen, gleichwohl gibt es strukturelle Kopplungen der Systeme untereinander. Eine historische Betrachtung struktureller Kopplungen des Kunst- und des Wirtschaftssystems liefert Hutter, Michael: Structural Coupling between Social Systems (2001). Art and Economy as Mutual Sources of Growth. In: Soziale Systeme 7, H. 2. S. 290-313, vgl. auch das Projekt Ko-Evolution von Wirtschaft und Kunst der Forschungseinheit Kulturelle Quellen von Neuheit am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (http://www.wzb.eu/de/forschung/gesell schaft-und-wirtschaftliche-dynamik/kulturelle-quellen-von-neuheit/projekte/ko-evoluti on-von-wi, 01.01.2013).

10 Luhmann 1995, S. 9. Das heißt allerdings nicht, erklärt Luhmann an selber Stelle, dass die Kunst von diesem theoretischen Denkmodell nicht ebenfalls profitieren könne.

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zusetzen ist mit dem Ansatz des art pour l’art, ist mit Funktion auch keine Instrumentalisierung der Kunst zum Zwecke einer bestimmten Sache gemeint (dies ließe sich wie oben angesprochen eher im Begriff der Leistung zum Ausdruck bringen).11 Im Gegenteil: Dies wird vielmehr ausgeschlossen durch die Annahme, es handele sich bei der Kunst um ein autopoietisches System, das sich als solches im Zuge der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft entwickelt hat und somit gerade nicht (mehr) Funktionen anderer gesellschaftlicher Bereiche wahrnimmt (wie etwa der Religion oder der Politik). Ausdifferenzierung der Kunst als eigenes Gesellschaftssystem (in der Moderne) und Funktion der (modernen) Kunst bedingen einander, weswegen Luhmann in seiner Darstellung changiert zwischen dem Nachvollzug (kunst-)historischer Entwicklungen insbesondere seit der Renaissance zum einen und dem Einpassen dieser Entwicklungen sowie neuerer Phänomene des Kunstgeschehens in sein theoretisches Gesamtmodell der Kunst.12 Insbesondere letzteres ist hier von Belang, und darauf wird im Sinne einer Hinleitung zur Funktion der Kunst rekurriert. In der Kunst werden – und das ist Luhmann zufolge ihre Funktion (für die und in der modernen Gesellschaft)13 – 11 Vgl. Koller 2007, S. 143. 12 Luhmanns Kunsttheorie ist dafür kritisiert worden, dass er, bei allem universellen Anspruch selbst doch eine genaue Vorstellung davon gehabt zu haben scheint, was Kunst sei und was nicht. So zeichneten sich in der Wahl der Beispiele der Kunst der Gesellschaft deutlich Luhmanns persönliche Vorlieben ab, gespiegelt wiederum in dem, was der Zettelkasten hergegeben habe (vgl. Hutter, Michael: Wie der Unterschied zwischen Ornament und Figur in die Welt kam (1996). In: Soziale Systeme 2, H. 1. S. 153-177). Tatsächlich sind weite Teile der Schrift von der Literaturtheorie des 17. und 18. Jahrhunderts dominiert, Literatur und bildende Kunst sind die im Mittelpunkt stehenden Gattungen, obgleich doch zum Beispiel die Musik ein besonders interessantes Fallbeispiel abgeben sollte, zumal Luhmann Kunst analog der Sprache versteht. Für eine Bewertung der Luhmann’schen Theorie bzw. für eine – wie hier erfolgende – Hinzuziehung sind diese Kritikpunkte allerdings kaum von Belang. Luhmann selbst betont in seiner Darstellung die in der Moderne einziehende Geschmackspluralität. 13 Ob Vertreter des Kunstbereiches zustimmen oder ablehnen, dass (ihre) Kunst eine Funktion habe, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Baecker geht sogar so weit zu erklären, „[w]ürde die Kunst einwilligen, eine Funktion zu erfüllen, könnte sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen“ (Baecker 2001). Winfried Menninghaus hat darauf hingewiesen, dass „[d]ie große philosophische Tradition des Nachdenkens über Kunst […] keine Reserven gegenüber der Funktionsfrage“ kenne: Weder Platon und Aristoteles noch Kant hätten die Meinung vertreten, dass die Kunst „frei von Funktionen für anderes“ sei Menninghaus, Winfried (2008): Kunst als „Beförderung des Lebens“. Perspektiven transzendentaler und evolutionärer Ästhetik. München: Carl Friedrich von Siemens Stiftung, S. 17f.

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„Formen [fixiert], an denen ein Doppeltes sichtbar wird: dass (1) Unterscheidungen Bezeichnungen ermöglichen, die zu anderen Unterscheidungen und Bezeichnungen in ein Spiel nichtbeliebiger Kombination treten; und dass (2), wenn dies evident wird, dass diese Ordnung Information enthält, die mitgeteilt werden soll, also zu verstehen ist. […] Was das Kunstwerk garantieren kann, ist das laufende Beobachten von Beobachtungen, also das Beobachten zweiter Ordnung – und dies von der Herstellerseite ebenso wie von der Betrachterseite.“14

Wahrnehmung, Kommunikation, Kunst Grundlegende Annahme bei Luhmann ist wie oben bereits beschrieben, dass unterschiedliche Systemtypen unterschiedliche Operationen prozessieren. Soziale Systeme (= Kommunikationssysteme) beobachten und kommunizieren, können aber nicht wahrnehmen; psychische (= Bewusstseins-)Systeme hingegen beobachten und nehmen wahr, können aber nicht kommunizieren. Wahrnehmung ist die „Spezialkompetenz des Bewusstseins“, „seine eigentliche Fähigkeit“, ohne die es „seine Autopoiesis beenden“ müsste.15 Kommunikation kann Wahrnehmungen zwar „bezeichnen“, doch bleiben ihr diese, da sie selbst nicht wahrnehmen kann, immer „operativ unzugänglich“, wie es im Übrigen auch in Bezug auf die umgebende „physikalische Welt“ der Fall ist.16 Bewusstseinssysteme bleiben füreinander ebenfalls unzugänglich, da sie – wie alle autopoietischen System – geschlossen operieren. Für den einzelnen Menschen bedeutet das, „[m]an möchte zwar kommunizieren […], findet sich aber zugleich als Individuum vor, das nicht im anderen wahrnehmen und denken kann“.17 Dieser Umstand ist im Luhmann’schen Verständnis der Grund dafür, warum Menschen füreinander, d.h. das Denken und Vorstellen des jeweils anderen, „als ewiges Rätsel attraktiv“ sind,18 bedeutet aber auch, dass Kommunikation an sich unwahrscheinlich ist. Die Unzugänglichkeit der Individuen, d.h. der Bewusstseinssysteme füreinander gilt selbstverständlich auch für das Bewusstseinssystem des Künstlers und das eines jeden Rezipienten seiner Kunst. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass zwischen Künstler-Person und Rezipienten-Person bzw. über das (Medium) Kunstwerk Kommunikation zustandekommt,

14 Luhmann 1995, S. 89. 15 Ebd., S. 15. 16 Ebd., S. 20f. 17 Ebd., S. 25. 18 Ebd., S. 24. Luhmann fährt fort: „Nur deshalb ist die Erfahrung mit anderen Menschen reicher als jede andere Naturerfahrung.“

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was wiederum den Schluss zulässt oder nahelegt, dass Kunst eine spezielle Art der Kommunikation sei.19 Kommunikation ist im Luhmann’schen Verständnis keine Übertragung von Information im Sinne eines klassischen Sender-Empfänger-Modells, sondern als eine „emergente Realität, die zwar bewusstseinsfähige Lebewesen voraussetzt, aber auf keines dieser Lebewesen und auch nicht auf alle zusammen zugerechnet werden kann“;20 kurz: Sie ist das, was zwischen Menschen stattfindet. Kommunikation ist dabei immer eine Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen – d.h. Beobachten –, wobei das, was verstanden wird, wiederum eine Konstruktion des Adressaten ist. Dass allerdings eine Information als Mitteilung verstanden wird, macht Kommunikation als solche aus. Daher ist es kein Widerspruch zum Stattfinden von Kommunikation, wenn diese „auch Vagheit, Unvollständigkeit, Mehrdeutigkeit, Ironie etc. tolerieren, ja produzieren“ kann;21 sie kann sogar „Unbestimmtheiten so placieren, dass sie einen bestimmten Verwendungssinn des Unbestimmten festlegen“.22 Genau jene finden sich vielfach auch in der Kunst, denn „[g]erade in der durch Kunstwerke vermittelten Kommunikation spielen solche überlegt placierten Unbestimmtheiten bis hin zu einer geradezu hoffnungslosen Interpretationsbedürftigkeit von ‚fertigen‘ Werken eine bedeutende Rolle“.23 Was bestimmt und was unbestimmt ist, ist dabei immer eine „interne Variable des Kommunikationssystems“,24 also kein aus der Umwelt stammender „Qualitätsunterschied“,25 schließlich ist das Kommunikationssystem operativ geschlossen. Welche Information ein Kunstwerk mitführt, ist somit zwangsläufig eine Konstruktion des (Beobachtungssystems des) Betrachters, Zuhörers etc. Kunst ist bei Luhmann als „funktionales Äquivalent von Sprache“ konzipiert,26 wobei die Existenz von Sprache Voraussetzung von Kunst ist.27 Im Gegensatz zur 19 Vgl. ebd., S. 26. Zumindest „sprechen keine allgemeinen anthropologischen Prämissen gegen die Annahme, dass Kunst eine Art von Kommunikation sei, die […] Wahrnehmung in Anspruch nimmt“ (ebd.). Der Begriff des Rezipienten ist insofern irreführend, als er das Empfangen (einer Nachricht) impliziert und somit im Gegensatz zur Luhmann’schen Theorie steht, wonach er in der Kommunikation maximal den Impuls zu einer eigenen Konstruktion der Nachricht erhält. In Bezug auf verschiedene Kunstgattungen ist er hingegen neutraler als der Begriff des Betrachters, der im Falle der Musik ein Zuhörer würde. 20 Ebd., S. 20. 21 Ebd., S. 24. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Ebd., S. 36.

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Sprache „entzieht sich“ die Kunst (wie auch die indirekte Kommunikation, also etwa Mimik, Handzeichen u.ä.) jedoch einer klaren „Bifurkation des ‚ja oder nein‘“;28 sie bleibt diffuser, weswegen sie nicht nur „den üblichen“, sondern „vielleicht noch gesteigerten Risiken der Kommunikation“ (nämlich beständigem Nicht- bzw. Missverstehen) unterliegt.29 Ein weiterer Unterschied ist, dass Kunst anders als Sprache (es sei denn, Sprache als Medium der Kunst)30 die Wahrnehmung der Bewusstseinssysteme in besonderer Weise „engagiert“, nämlich zweckentfremdet:31 Wahrnehmung ist als eine lebenswichtig gelernte Operation zuvörderst „darauf eingerichtet, eine schon bekannte Welt auf Informationen abzusuchen, ohne dass man sich dazu eigens und ausnahmsweise entscheiden müsste“.32 Dies kann und muss (mehr als Denken oder Kommunizieren) in gebotener Schnelligkeit geschehen

27 Vgl. ebd., S. 39. Luhmann verweist darauf, dass (bildende) Kunst und (verschriftlichte) Sprache bis zur Erfindung der Druckerpresse und zunehmender Alphabetisierung viel enger zusammengehört hätten als dies heute der Fall ist (vgl. ebd., S. 32). 28 Ebd., S. 36; vgl. auch S. 227. Allerdings ist dies bei indirekter Kommunikation und Kommunikation durch Kunst in unterschiedlicher Weise der Fall, denn: „Indirekte Kommunikationen […] sind in hohem Maße kontextgebunden, also nur situativ verständlich. Sie können Zugehörigkeiten signalisieren, sofern Klassifikationen vorgegeben sind.“ (ebd., S. 36). Auch ist kaum vorstellbar, dass sich aus indirekter Kommunikation ein eigenes System wie das der Kunst ausdifferenzieren könnte (vgl. ebd.). 29 Ebd., S. 41. Dafür würde im Übrigen auch das Unverständnis vieler Menschen gegenüber Kunstwerken sprechen. 30 Ebd., S. 200: „Die Alltagssprache muss dieselben Worte in vielfältigen Zusammenhängen verwenden und ist deshalb auf ein Abschleifen des Sinngehalts und auf Sätze als Verständnishilfen angewiesen. Sie versucht zugleich, möglichst eindeutige Denotationen herzustellen, und erreicht dieses Ziel über Namengebung und über Konstruktion von abstrakten Gegenständen, begrifflichen Korrelaten, Ideen. Die dichterische Sprachverwendung operiert in Gegenrichtung – und wieder: sei es mit, sei es ohne die Beihilfe von Sätzen. Sie reflektiert den Gebrauch der Sprache – so als ob Sprache wie anderes Material etwas sei, das man in der Welt vorfindet. Sie benutzt nicht die Denotationen, sondern die Konnotationen der Worte und setzt damit die Worte als Medium voraus, in dem einander wechselseitig auswählende Konnotationen Formen bilden können. Sie bringt den diffusen Verweisungsreichtum der Worte nicht in eine möglichst eindeutige Beziehung zu Weltsachverhalten, sondern in eindeutige Oppositionen (unter Einschluss von Mitgemeintem, das nicht gesagt wird). So wie Atome, wenn sie zu Molekülen zusammengeschlossen werden, ihre interne Elektronik ändern müssen, so modifiziert auch die Poesie den Wortsinn.“ Vgl. zur Nutzung der Sprache in der Kunst auch Singer 2002, S. 223. 31 Vgl. Luhmann 1995, S. 41. 32 Ebd., S. 27.

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und dient dem (biologischen) Überleben.33 Demgegenüber benutzen Kunstwerke „Wahrnehmung nur, um Beobachter an der Kommunikation von Formerfindung teilnehmen zu lassen“.34 Die Kunst kommuniziert ein „irritierendes Verhältnis von Wahrnehmung und Kommunikation“, das weder zweckgerichtet ist im Sinne eines biologischen Überlebens, noch anderen „fremdgesetzten […] (religiösen, politischen, pädagogischen) Zwecken“ dient.35 Kunst muss (künstlerisch) neu sein, um Wahrnehmung und Kommunikation zu koppeln,36 sie muss mit neuen, also vom Bekannten oder Erwarteten abweichenden Formen auf sich aufmerksam machen.37 Als wesentlich festzuhalten bleibt, dass Kunst „unter Vermeidung, ja Umgehung von Sprache, […] eine strukturelle Kopplung von Bewusstseinssystemen und Kommunikationssystemen“ und somit eine „unnegierbarbare Sozialität“ erreicht.38 Dass die Kunst Wahrnehmung überhaupt in der ihr spezifischen Weise nutzen kann, ist dem Umstand geschuldet, dass Wahrnehmung (nicht nur im Luhmann’schen, sondern auch im neurowissenschaftlichen Sinne) immer eine Konstruktionsleistung des Gehirns und nicht die innere Abbildung der gegebenen äußeren Wirklichkeit ist.39

33 Vgl. ebd. 34 Ebd. 35 Ebd., S. 42. 36 Vgl. ebd., S. 39f. Im Gegensatz dazu „muss Sprache alt“ sein, um verstanden zu werden, d.h. es bedarf eines Gebrauchs über einen langen Zeitraum hinweg, um einen höheren Grad an Bestimmtheit zu entwickeln und konvergente Kommunikation zu erlauben (ebd.). 37 Vgl. ebd., S. 85. Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von der „Prämie auf Komplexität des Arrangements der Formen“, die umgekehrt bedeute, dass bei „Verzicht auf Komplexität […] umso auffälligere, oder sagen wir ruhig: skandalösere, Formen des Neuseins angeboten werden müssen“ (ebd.). 38 Ebd., S. 36. 39 Von Foerster spricht in diesem Zusammenhang von „errechneten Realitäten“ (Foerster 1993, S. 32ff.), und Luhmann schreibt (wiederum unter Rekurs auf von Foerster) von der „Gesamtheit der ‚Eigenwerte‘ neurophysiologischer Operationen“. Luhmann folgert hieraus: „Die heute ohnehin abgelehnten Funktionskonzepte der Imitation und Repräsentation müssten dann ein zweites Mal abgelehnt werden – nicht weil sie die Freiheitsgrade der Kunst zu sehr einschränken, sondern weil sie dem Weltillusionismus huldigen, statt ihn zu entlarven“ (Luhmann 1995, S. 16). Wirklichkeit ist so gesehen auch immer nur ein „Erklärungsprinzip“ im Sinne Gregory Batesons: Auf die Frage seine Tochter nach der Erklärung für ein Wort antwortet er, „das ist ein Erklärungsprinzip“, und so wird schließlich deutlich, dass schlussendlich jeder Begriff nur ein Erklärungsprinzip ist (vgl. Metalog: Was ist ein Instinkt? in: Bateson, Gregory (2006): Ökologie des Geistes. An-

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Produktion und Rezeption von Kunst Sowohl bei der Produktion als auch bei der Rezeption von Kunstwerken handelt es sich um ein Arrangement von Formen oder auch: das Ergebnis einer Sequenz von aneinander anschließenden, rekursiv aufeinander bezogenen Entscheidungen. Formen sind Markierungen von Entscheidungen; und Entscheidungen sind Operationen, die einen Unterschied machen, wie es bei Luhmann tautologisch anmutend heißt. Gemeint ist, dass mit Entscheidungen jeweils eine Form gesetzt wird, mit der zwischen einem Innen und Außen der Entscheidung (man könnte auch sagen: der Selektion), zwischen einem marked und einem unmarked space unterschieden wird.40 Es wird eine Grenze gesetzt – ganz so wie ein System sich von seiner Umwelt durch Entscheidungen darüber, was dazugehört und was nicht, abgrenzt.41 Die als Entscheidungen gezogenen Grenzen sind also als Formen zu verstehen, die – je nach Beobachterperspektive – eine Innen- und eine Außenseite haben. Die Herstellung eines Kunstwerkes beginnt immer mit einer ersten Unterscheidung,42 die es zum marked space macht und es somit gegenüber dem ‚Rest der Welt‘, dem unmarked space, abgrenzt: „Die anfängliche Unterscheidung setzt das, was sie unterscheidet und bezeichnet, gegen den unmarked space der Welt. Auf ihrer anderen Seite befindet sich ‚alles andere‘, und was dies ist, bleibt zwangsläufig unbestimmt. So beginnt eine Erzählung mit: ‚Es war einmal…‘, und grenzt dadurch einen imaginären Raum ein, in dem sich die Erzählung entfalten kann, und alles andere aus.“43

Ausgehend von dieser ersten (und noch zufälligen, da an keine bestehende Unterscheidung anschließenden) Unterscheidung entsteht das Kunstwerk dann als ein „selbstreferentiell gesteuerter Prozess“,44 d.h. es werden (durch den Künstler45 bzw.

thropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. 9. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 73-96). 40 Spencer Brown 1971 S. 3ff 41 Wie oben auch in Bezug auf den Sozialsystemtypus Organisation beschrieben. 42 Dabei ist diese allererste Entscheidung im Luhmann’schen Verständnis als zufällig zu bezeichnen, denn „[e]s handelt sich bei dieser Anfangsintention des Künstlers […] gar nicht um ‚seine‘ Intention, wenn damit selbstbeobachtende Bewusstseinszustände gemeint sein sollen, sondern um das, was ihm als Intention zugerechnet wird, wenn man das Kunstwerk betrachtet“ (Luhmann 1995, S. 43). 43 Ebd., S. 57. 44 Koller 2007, S. 56.

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seine Beobachtungen und Entscheidungen/Unterscheidungen) weitere Formen angeschlossen, die insofern kontingent sind, als sie zwar nicht beliebig sind, allerdings jeweils auch andere sein könnten, so dass sich „[ü]ber der Beliebigkeit des Anfangs […] ein Ordnungsgefüge [verdichtet], das aus einer Folge von codeorientierten Formentscheidungen besteht“.46 45 Die Figur des Künstlers ist bei Luhmann ein „Verdichtungsbegriff“ (Luhmann 1995, S. 87f): „Wenn wir Verdichtungsbegriffe wie ‚Beobachter‘, ‚Betrachter‘, ‚Künstler‘, ‚Kunstwerk‘ usw. verwenden, sind […] immer nur Kondensate des Kommunikationssystems Kunst gemeint, gleichsam Sedimente einer Dauerkommunikation, die mit Hilfe der so festgelegten Rekursionen vom einen zum anderen findet. Künstler, Kunstwerke etc. haben im Prozess der Autopoiesis von Kunst eine Strukturfunktion. Sie bündeln Erwartungen. Sie selbst sind deshalb gerade nicht so ephemer wie die basalen Ereignisse der Kunstkommunikation.“ [Herv. i.O.]. 46 Funktionssysteme operieren in Luhmanns Gesellschaftstheorie anhand spezifischer Codes, nämlich binärer Schemata, die dem System ermöglichen zu erkennen, welche Operationen zu seiner Reproduktion beitragen und welche nicht. Im Falle des Wissenschaftssystems orientieren sich die Kommunikationen beispielsweise an der Dichotomie wahr/unwahr, im Rechtssystem an Recht/Unrecht. Die anhand einer solchen Leitdifferenz getroffenen Entscheidungen wirken nach außen selektiv bzw. abgrenzend, nach innen hingegen informativ (vgl. ebd., S. 302). Letzteres drückt sich insbesondere „in der Form eines Präferenzcodes“ aus, einer „asymmetrische[n] Form […], in der ein positiver und ein negativer Wert zu unterscheiden sind. Mit dem positiven Wert kann man im System etwas anfangen, es stellt zumindest verdichtete Akzeptanzwahrscheinlichkeit in Aussicht. Der negative Wert dient als Reflexionswert und damit vor allem der Kontrolle, mit welchen Programmen das Sinnversprechen des positiven Wertes eingelöst werden kann.“ (ebd.). Für das Kunstsystem definiert Luhmann das Begriffspaar „schön/hässlich“ als Code – „gegen den Protest des Systems selbst und gegen die Beobachtung der Ästheten, daß das Schöne ebenso (oder doch fast so) geschmackvoll zur Geltung gebracht werden kann wie das Häßliche“ (Baecker 2001). Baecker entschärft den Code insofern er auf die nicht immer ganz eindeutige Binarität verweist, die sich wiederum aus der speziellen Funktionslogik der Kunst ergebe: „Vielleicht darf man annehmen, dass der Code der Kunst nicht ganz so glatt binarisiert ist wie der Code der Wirtschaft, so dass sich in jedem einzelnen Kunstwerk oder Kunstereignis das Schöne von einem Hässlichen absetzt, das es mitführt und nicht in der Weise ausgrenzt, wie die Wirtschaft versucht, die Zahlung gegen die Nichtzahlung abzugrenzen. Die Kunst sucht das riskante, das gerade eben noch gelingende, das fast gescheiterte Werk oder Ereignis. Darin liegt ihr Kalkül.“ Luhmann selbst problematisiert den Code „schön/hässlich“, sieht aber „keine überzeugende Alternative“ (Luhmann 1995, S. 317) und verweist darauf, dass es letztlich darum gehe, „positive und negative Konnotationen mitzuführen“ (ebd., S. 316); vgl. auch Werber, Niels: Nur Kunst ist Kunst (1996). In: Soziale Systeme 2, H. 1, wobei „hässlich“ im Kunstdis-

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Ordnung herrscht, weil „[d]er rekursive Bezug von Formen auf Formen […] weder bei der Herstellung noch bei der Betrachtung Beliebigkeit zu[lässt]“.47 Die „Freiheit des Künstlers“ besteht also „nicht etwa in einer ursachelosen Beliebigkeit des spontanen Einfalls“, sondern vielmehr im „Erkennen von Alternativen“.48 Dabei ist der Künstler selbst Beobachter des Fortgangs der Kunstproduktion in dem Sinne, dass ein Schriftsteller als Produzent auch „immer zugleich Leser“ ist, d.h. „er muss sich vom entstehenden Werk gewissermaßen zeigen lassen, was geschehen ist und was weiterhin geschehen kann“.49 In diesem Fortgang von aneinander anknüpfenden Entscheidungen die sich als Formen rekursiv aufeinander beziehen, wird „immer weiterer Bestimmungsbedarf erzeugt“, da „[d]ie Möglichkeiten, etwas noch dazu Passendes zu finden“, abnehmen.50 Luhmann leitet diese Art der „Selbstprogrammierung“51 des Kunstwerks über den Anschluss von Formen aneinander aus dem Ursprung der Kunst ab, der seiner Theorie nach im „Ornament“ liegt, wobei darunter nicht Dekoration, sondern „[d]ie Grundform des Entwickelns von Formen aus Formen“ verstanden wird.52 kurs dann auch gerade Träger der positiven Konnotation sein kann. Dass dies so ist, ist wiederum ein Verweis auf die Autonomie des Kunstsystems: „Die Idee der Schönheit in ihrem traditionellen Verständnis hatte die Unterscheidung von Codierung und Programmierung blockiert, und sie wird durch die Einführung dieser Unterscheidung gesprengt. Wenn man Codierung und Programmierung unterscheiden will, muss man darauf verzichten, Schönheit inhaltlich (und sei es nur: als unerreichbaren Richtwert für unendliches Streben) zu bestimmen.“ (Luhmann 1995, S. 314). Vgl. auch ebd., S. 310f. im Besonderen und grundsätzlich das Kap. Selbstorganisation: Codierung und Programmierung, S. 301-340. 47 Luhmann 1996c, S. 200. 48 Ebd. 49 Luhmann 1995, S. 67. Luhmann bezeichnet diesen Vorgang an anderer Stelle als evolutiv, denn „[d]er typische Fall [der Werksentstehung] ist […] der, in dem der Künstler sich durch das entstehende Werk irritieren und informieren lässt, was auch immer an Planung mitläuft. Der typische Fall ist der der Evolution.“ (ebd., S. 348). 50 Ebd., S. 63. – „bis sich die Formen zirkulär schließen…“ (ebd.). Dieser Vorgang ist einer der „doppelten Schließung“, denn „[n]ach außen muss das Kunstwerk von anderen Dingen oder Ereignissen unterscheidbar sein, es darf sich nicht in die Welt verlieren. Nach innen schließt sich das Werk dadurch, dass jede Formsetzung einschränkt, was an weiteren Möglichkeiten übrige bleibt. Im Effekt ist dann die innere Schließung die äußere Schließung, sie hält sich an den Rahmen, der als unüberschreitbar mitproduziert wird.“ (ebd., S. 53). 51 Koller 2007, S. 74. 52 Luhmann 1995, S. 193ff: „Die Grundform des Entwickelns von Formen aus Formen ist das (sehr irreführend so genannte) Ornament. Allen Ornamenten liegt das Problem des

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Der Rezipient des Kunstwerks vollzieht in analoger Weise eine „Abfolge von Beobachtungsoperationen“.53 Die Reihenfolge entspricht dabei nicht (zumindest wäre dies unwahrscheinlich) der des Künstlers bzw. ist dem Betrachter oder Zuhörer zumindest freigestellt, erfolgt jedoch zwangsläufig entsprechend einer „durch das Formenspiel des Kunstwerks“ übernommenen, „sachliche[n] Führung“.54 Dabei spielen die gewählten Medien in unterschiedlicher Weise eine Rolle für die Sequenz, beispielsweise je nachdem, wie das Kunstwerk sich Raum oder Zeit bedient – Raum wäre Medium im Falle einer Skulptur, Zeit wäre Medium im Falle eines musikalischen Werkes, beide wären Medien in einer Tanzaufführung oder einer Videoinstallation.55 Dass es eine Sequenz geben muss, ist jedoch ganz basal schon dem Umstand geschuldet, dass nicht mehrere Beobachtungen gleichzeitig erfolgen (nicht mehrere Unterscheidungen gleichzeitig getroffen und bezeichnet werden) können. Beim Kunstwerk als einem Netzwerk rekursiv aufeinander verweisender Formen kommt hinzu, dass man „‚[m]it einem Blick‘ […] keinen Zugang [gewinnt], sondern allenfalls eine Art Reiz oder Irritation, die Anlass sein kann, sich Symmetriebruches zugrunde, also das Problem der Form. Es geht um die Projektierung von Asymmetrien, die noch erkennen lassen, aus welchen Symmetrien sie entstanden sind. Ornamente sind Rekursionen, Rückgriffe und Vorgriffe, die sich als solche fortsetzen. Sie lassen die Einheit von Redundanz und Varietät erscheinen. Dabei werden Brüche unkenntlich gemacht, zumindest nicht als Brüche betont, denn jede Stelle im Ornament ist zugleich die andere einer anderen. Das schließt auch Wiederholungen an anderen Raum- und Zeitstellen ein, wobei die Stellenverschiebung eine Nichtidentität in der Identität andeutet. Aber immer ist der laufende Anschluss das Prinzip, mit dem zunächst das Ausgeschlossene aufgegriffen, als Anlass definiert und zur Wiederholung desselben oder zur Anknüpfung von anderem verwendet wird. Und hier kommt ganz deutlich heraus, dass Kunst weder Zeichen für etwas anderes sein kann noch bloße Form des Materials. Das Ornament erzeugt seinen eigenen imaginären Raum durch eine laufende Verwandlung von Formgrenzen in mehrdeutige Übergänge.“ An früherer Stelle (ebd., S. 186) heißt es zur Funktion des Ornaments (insbesondere mit Blick auf die „Medien“ Raum und Zeit und die gliedernde Wirkung des Ornaments): „Das Ornamentale dient direkt der Organisierung von Raum und Zeit, der Füllung dieser Medien mit Redundanz und Varietät. […] Dagegen setzt die repräsentierende Kunst zunächst einmal die Erzeugung eines imaginären Raums oder einer imaginären Zeit voraus, um damit größere Freiheiten zu haben, dies selbstgeschaffene Medium sowohl repräsentierend als auch ornamental zu nutzen. Letztere wird im europäischen Raum bevorzugt, doch auch hier „bleibt allerdings das Ornamentale auch in einer pointiert repräsentierenden Kunst immer die Infrastruktur des Kunstwerks“. Vgl. zum Ornament auch Hutter 1996. 53 Luhmann 1995, S. 38. 54 Ebd., S. 39. 55 Vgl. ebd., Kap. Medium und Form, S. 165-214.

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eingehender, ja eindringender mit dem Werk zu befassen“.56 In diesem Sinne kann der Kunst auch eine verzögernde, die Reflexion anregende Einbindung der Wahrnehmung unterstellt werden: „in der bildenden Kunst ein längeres Sichaufhalten beim selben Objekt (was im Alltagsleben ganz ungewöhnlich wäre) und in der Textkunst, vor allem der Lyrik, eine Verzögerung des Lesens“.57 Der traditionelle Rollenunterschied zwischen Künstler und Kunstrezipient wird jedoch auch in einer nunmehr auf sequentiell erfolgendes Beobachten abhebenden Darstellung nicht völlig aufgegeben. So kann die herstellende Beobachtung nur einmal erfolgen, die betrachtende dagegen wiederholt.58 Der Tatbestand möglicher Rezeptionswiederholung kann zum (kunstsysteminternen) Qualitätskriterium werden, wenn also Kunstwerke es ermöglichen, sie gerade aufgrund und nicht trotz „ihrer ‚Einmaligkeit‘ immer wieder anders wahr[zu]nehmen“.59 Hierzu müssten sie z.B. über eine Mehrdeutigkeit, wie oben beschrieben, verfügen. Die Betrachtung eines Kunstwerkes als Kunst (als Medium von Kommunikation) setzt wiederum voraus, dass der Betrachter dessen „Hergestelltsein“, seine „Artifizialität“ und somit die Absicht einer Information, diese also als Mitteilung, erkennt.60 Dies bedeutet für den Künstler wiederum, dass er das Kunstwerk im Vollzug der Entstehung selbst in einer Weise beobachten muss,61 die ihm die Möglichkeit gibt zu „erkennen […], wie andere es beobachten werden“.62 Da dem psychischen 56 Ebd., S. 38. 57 Ebd., S. 27. 58 Wobei Wiederholung wiederum nicht identisch ist mit dem Wiederholten, insofern sie immer unter anderen Umständen bzw. von einem anderen Beobachter (nämlich einem aufgrund von ständiger Abgrenzung gegenüber seiner Umwelt sich verändernden und somit veränderten System) vollzogen wird. Vgl. ebd., S. 68f.; 209f. Diese Unterscheidung deckt nach Auffassung der Verfasserin nur den Fall eines Kunstwerks im Sinne eines fertig gestellten Objekts. Bei der Bühnenkunst etwa sind Herstellung wie das Beiwohnen (un-)wiederholbar, denn dasselbe Theaterstück wird – pantha rei – nie genau gleich aufgeführt. 59 Ebd., S. 69. 60 Dies gilt übrigens auch für Kunstwerke wie die vom Zufallsprinzip geleiteten Musikstücke des Komponisten John Cage, die dem Luhmann’schen Verständnis nach durch ihre Machart die Frage stellen, „wie ein Kunstwerk sich von anderen natürlichen oder artifiziellen Objekten unterscheide“ (ebd., S. 62). 61 „Muss“, denn Luhmann geht davon aus, „dass das Kunstwerk selbst ausschließlich als Kommunikation hergestellt wird“ (ebd., S. 41; vgl. auch S. 90). Hierzu auch Singer 2002, S. 224: „Dass Kunstwerke grundsätzlich eine kommunikative Absicht haben, kann nicht bestritten werden. Die Frage jedoch, ob bei ihrer Entstehung die Intention zur Kommunikation Pate stand, scheint irrelevant für das Wesen von Kunst.“ 62 Luhmann 1995, S. 71.

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System des Künstlers die psychischen Systeme der möglichen Rezipienten verschlossen, also nicht operativ zugänglich sind (und vice versa), kann er nicht wissen, wie sein Werk wahrgenommen wird. Gleichwohl wird er versuchen, „die Führung von Erwartungen“ in das Kunstwerk gleichsam „ein[zu]bauen und sie zu überraschen“,63 denn anderenfalls läuft er die Gefahr des „Verlusts des Interesses“,64 was wiederum dem Ende der Autopoiese der Kommunikation (durch dieses Kunstwerk) gleichkäme. Er versucht, Spannung zu erzeugen, indem er bewusst mit Ungewissheit arbeitet, eine „Kombination von Anschlussfähigkeit und offener Zukunft“ herstellt:65 Dabei wird „[d]ie Redundanz […] dadurch gesichert, dass die Erzählung selbst (ohne dem Leser eine ihm bekannte Geschichte anzudienen!) in ihren Details genügend Hinweise auf eine ihm bekannte Welt enthält“,66 und dann gilt es, Varietät in das Kunstwerk mit aufzunehmen; „das heißt […], dass der Autor immer schon wissen muss, was der Leser noch nicht weiß“.67 Wie bei jeder Kommunikation kann sich der Künstler in seinen Spekulationen über die jeweils andere Seite, hier also die Beobachtung durch den Betrachter irren, doch Kommunikation findet dennoch statt, schon allein, „wenn die Mitteilung einer Information verstanden wird“,68 und auch unabhängig davon, ob diese auf Zustimmung oder Ablehnung stößt. Aufgrund der, wie oben erwähnt, möglichen Mehrdeutigkeit bzw. der Verweigerung einer eindeutig binären Codierung gilt für die Kommunikation durch Kunst überdies, dass sie im Zweifelsfalle „gar nicht auf eine Automatik des Verstehens abzielt, sondern inhärent vieldeutig angelegt ist“ und darin sogar ihre besondere Qualität liegt oder zumindest liegen kann.69 „Kunst macht [jedenfalls] Wahrnehmung für Kommunikation verfügbar, und dies außerhalb der standardisierten Formen der (ihrerseits wahrnehmbaren) Sprache“.70

63 Ebd., S. 71. 64 Ebd., S. 208. 65 Ebd., S. 358f. 66 Ebd., S. 359. 67 Ebd., S. 358. 68 Ebd., S. 72. 69 Ebd. Wenn der Umstand, „dass die Betrachter sich nicht auf eine einhellige Interpretation verständigen können“, zum Ausweis von Qualität wird, dann ist dies Luhmann zufolge „ein unvermeidlicher, aber auch bewusst gepflegter Aspekt von Ausdifferenzierung“ (ebd.). 70 Ebd., S. 82. Siehe zur nicht standardisierten Sprachgebrauch auch Singer 2002, S. 222. Singer sieht im nicht standardisierten Gebrauch der „rationalen Sprachen“ den wesentlichen Unterschied zwischen Kunst und anderen, auf „Kreativität“ beruhenden Betätigungen wie Wissenschaft und Philosophie.

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„Bereitstellung von Beobachtungsmöglichkeiten“71 durch Kunst Eine zentrale Kategorie bei Luhmann ist die (Operation der) Beobachtung, die er als „Gebrauch einer Unterscheidung zum Zweck der Bezeichnung einer (und nicht der anderen Seite)“ konzipiert.72 Anders als Wahrnehmung ist Beobachtung nicht psychischen Systemen vorbehalten, sondern kann auch von sozialen (= Kommunikations-)Systemen „prozessiert“ werden, indem diese „im Gebrauch von Sprache Unterscheidungen und Bezeichnungen zugleich handhaben“.73 Denn Beobachten ist als Operation eine Einheit von Unterscheiden und Bezeichnen, d.h. vor allem: kein Nacheinander einzelner Prozessschritte. Dies bedeutet letztlich, dass eine Unterscheidung mit Bedeutung versehen wird und sie somit zu einer „difference that makes a difference“74 wird.75 Werden nun wiederum Beobachtungen ihrerseits beobachtet, d.h. zum Gegenstand einer Beobachtung, dann spricht man systemtheoretisch von Beobachtung zweiter Ordnung: „Beobachten zweiter Ordnung liegt immer dann vor, wenn auf Unterscheidungsgebrauch geachtet wird; oder noch pointierter: wenn das eigene Unterscheiden und Bezeichnen auf ein weiteres Unterscheiden und Bezeichnen bezogen wird.“76 Steht die Beobachtung erster Ordnung für die Frage nach dem „Was“ (beobachtet wird), geht es bei der Beobachtung zweiter Ordnung um das „Wie“ (der Beobachtung erster Ordnung). Der Beobachter erster Ordnung beobachtet das „Wahr-scheinliche“77 im Sinne einer „direkten Weltbetrachtung im Glauben, dass die Welt so ist wie sie sich zeigt“,78 während der zweite Beobachter „dort Kontingenzen feststellen [kann], wo der Beobachter erster Ordnung glaubt, einer Notwendigkeit zu folgen oder ganz natürlich zu handeln“.79 Er sieht also, dass auch an-

71 Luhmann 1995, S. 66. 72 Ebd., S. 99. Die Entscheidung als grundlegende Kategorie entspricht durchaus den Erkenntnissen der Hirnforschung; vgl. Singer 2002, S. 226f. Die „Figur-Grund-Diskrimination“ ist die „Grundvoraussetzung für jede kognitive Leistung“. 73 Luhmann 1995, S. 100f. Luhmann spricht hier von einer „Beobachtungsfähigkeit sui generis“. 74 Bateson, Gregory (2000): Steps to an ecology of mind. 5. ed. Chicago: Univ. of Chicago Press, S. 462f. 75 Oder anders: Form als Unterscheidung wird hier im basalen „Medium Sinn“ gebildet. 76 Luhmann 1995, S. 101. Die Beobachtung zweiter Ordnung ist immer, und das wird spätestens in der Beobachtung durch einen anderen Beobachter ersichtlich, wiederum selbst eine Beobachtung erster Ordnung. Von außen kann die Welt nicht beobachtet werden. 77 Ebd., S. 103. 78 Ebd., S. 97. 79 I.S.d. Kontingenz der hier getroffenen Unterscheidung. Vgl. ebd., S. 104.

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deres Beobachten möglich wäre und es sich bei der Beobachtung der ersten Ordnung um nur eine mögliche Beobachtung (neben anderen möglichen Beobachtungen) handelt. Beobachtung zweiter Ordnung kann sowohl als Fremdbeobachtung oder aber (nach demselben Prinzip, aber nicht gleichzeitig) als Selbstbeobachtung funktionieren. Die Beobachtung zweiter Ordnung führt gewissermaßen zu einem Mehr an Informationen, denn durch das Beobachten anderer Beobachter „gewinnt [man] Möglichkeiten (Sozialpsychologen würden von vicarious learning sprechen), die man bei der direkten Weltbetrachtung im Glauben, dass die Welt so ist, wie sie sich zeigt, nie haben würde“.80 Anders gesagt: Die Beobachtung zweiter Ordnung erkennt, dass die Beobachtung erster Ordnung immer und nur abhängig ist vom Beobachter erster Ordnung bzw. dessen Beobachten. Und hier kommt nun die Kunst zum Zuge, denn über den bei der Rezeption (s.o.) unternommen Wahrnehmungsnachvollzug entlang der aufeinander bezogenen und so arrangierten Formen (= Unterscheidungen) eröffnen Kunstwerke die Möglichkeit eines „Zugang[s] zur Beobachtung von Beobachtern“.81 Schließlich kann der Betrachter von Kunst sie nur als solche betrachten, wenn er sich auf die Formen des Kunstwerkes und ihr Zusammenwirken einlässt; zumindest geht „die Aufforderung zu einer derart unalltäglichen Beobachtungsweise […] von den Kunstwerken selber aus“.82 In dieser durch das Kunstwerk vollzogenen Kopplung von Beobachten erster und Beobachten zweiter Ordnung, der „kunstvoll geschaffenen Verdichtung von Beobachtungsverhältnissen“83 also, sieht denn Luhmann auch den Sinn der Kunst: „Die Herstellung eines Kunstwerks hat den Sinn, spezifische Formen für ein Beobachten von Beobachtungen in die Welt zu setzen“,84 und „[d]ie moderne Kunst setzt ihr Beobachten selbst der Beobachtung aus: Offenbar legt [sie] es […] darauf an, selbst als Beobachter beobachtet zu werden“.85 80 Ebd., S. 97. Vgl. zum Vicarious Learning Bandura, Albert (2009): Vicarious learning. In: The Cambridge dictionary of psychology. Hrsg. von David Ricky Matsumoto. Cambridge, New York: Cambridge Univ. Press. 81 Luhmann 1995, S. 112. 82 Ebd. 83 Ebd., S. 117. Die Beobachtung zweiter Ordnung offenbart hier letztlich auch die systemtheoretische positive Konnotation des Nicht-Sehens, nämlich nicht als Blindheit, sondern als Bedingung von Sehen. Vgl. Foerster 1993, S. 28. 84 Luhmann 1995, S. 115. 85 Luhmann 1997b, S. 59. Luhmann leitet dies historisch her, und widmet in seinen Ausführungen insbesondere der Zentralperspektive größere Aufmerksamkeit, denn diese „fragte zwar schon nach den Bedingungen des Sehens“, allerdings noch nicht, um im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung auf eben diese Bedingungen zu verweisen, sondern um sie „im Bild gleichsam wieder verschwinden zu lassen“ (Luhmann 1995, S. 140), denn dem Betrachter wird durch die Zentralperspektive ein klarer Ort und eine klare Blickrichtung

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Etwas leichter nachzuvollziehen ist womöglich die (im Kern auf das gleiche hinauslaufende) Idee, dass Kunstwerke – insbesondere wenn sie nicht ornamental/ abstrakt sind86 – fiktionale Realitäten schaffen. Am Einfachsten vorzustellen ist dies am Beispiel eines Romans oder eines Dramas.87 Diese und andere Kunstwerke „erzeugen eine Verdoppelung der Realität – eine zusätzliche, fiktionale Realität, von der aus man die Realität erster Ordnung beobachten kann“,88 bzw. eine Fremdreferenz, zu der der Rezipient seine eigene Wirklichkeitskonstruktion (Beobachtung) in Beziehung setzen kann. Wenn man, wie Luhmann, Individuen in der modernen Gesellschaft als „Selbstbeobachter“ konzipiert,89 dann erhalten diese, indem sie „sich an Kunst beteiligen […] eine Gelegenheit, sich als Beobachter zu beobachten, sich als Individuen zu erfahren“.90 Nun ist Beobachtung zweiter Ordnung ein gängiges Phänomen moderner Gesellschaften, das sich bei weitem nicht nur in der Kunst zeigt. Im Gegenteil ist es – zumindest im Luhmann’schen Konzept – vielmehr eine Besonderheit und Kennzeichen der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft, dass „sie ihre avancierten Strukturen in Rekursionen auf der Ebene des Beobachtens zweiter Ordnung festlegt; und dass sie sich so sehr daran gewöhnt und darauf eingestellt hat, dass man sich schwer vorstellen kann, wie die Gesellschaft weiter operieren, ja menschliches Leben fortgesetzt werden könnte, wenn die Gesellschaft ganz auf Ebene des Beobachtens erster Ordnung regredieren würde“.91

Der Beobachtung zweiter Ordnung kommt also eine tragende Rolle zu, in gewisser Weise scheint sie – zumindest potentiell – sogar an die Stelle von traditionellen Aufsichtsinstanzen zu treffen, weil diese all jenen Lebensbereichen, die sich einer

vorgegeben, die einen ‚natürlichen‘ Blick nachzubilden versucht. Vgl. hierzu auch Lüdemann, Susanne (1999): Beobachtungsverhältnisse. Zur (Kunst-)Geschichte der Beobachtung zweiter Ordnung. In: Widerstände der Systemtheorie. Kulturtheoretische Analysen zum Werk von Niklas Luhmann. Hrsg. von Albrecht Koschorke; Cornelia Vismann. Berlin: Akademie Verl. S. 63-75. 86 Vgl. zur Abgrenzung von ornamentaler und repräsentativer Kunst, S. 186. 87 Vgl. Kap. zu Unternehmenstheater im ersten Teil dieses Buches (Unfreezing, Reframing und ernstes Spiel…). 88 Luhmann 1996c, S. 204f. 89 Individuen, die ihre Identität nicht nur – wie bei Sartre und anderen – aus „den Blicken der anderen“ ableiten, sondern – explizit einen Schritt weiter – daraus, dass sie beobachten, wie andere sie beobachten. Vgl. Luhmann 1995, S. 153. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 152.

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normativen Regulierung entziehen, nicht gerecht werden können92 und es in einer funktional differenzierten, polykontexturalen Gesellschaft mit verschiedenen, jeweils operativ geschlossenen Funktionssystemen keine zentrale, hierarchisch legitimierte Instanz mehr geben kann. Das Sondermedium der Kunst Ein Kunstwerk kann so als ein Arrangement von in Formen gebunden Medien gesehen werden. Medien stehen für eine „offene Mehrheit möglicher Verbindungen“ von Elementen, nämlich „Einheiten die von einem beobachtenden System als solche konstruiert (unterschieden) werden“.93 Ein Medium entspricht einer losen Kopplung, d.h. einer potentiellen Verbindung. Formen sind hingegen die in einem Medium fest gekoppelten Elemente, mit der Form wird somit die potentielle Verbindung der Elemente „aktualisiert“. Im Verfassen eines Gedichtes etwa wird eine Form hergestellt, indem Wörter miteinander gekoppelt werden. Was jeweils Medium und was Form ist, ergibt sich durch die (vom Erschaffer konstruierte) Form (oder: die Unterscheidung selbst); auch Formen können wiederum Medien sein, wenn sie im Sinne der o.g. Möglichkeit von Verbindungen zur Verfügung stehen und ihrerseits zu Formen gekoppelt werden. Form und Medium sind insofern nie isoliert voneinander zu betrachten, sondern bedingen sich gegenseitig, wobei die Unterscheidung, die mit einer Form (einer festen Kopplung) getroffen wird (oder: die eine Form ist), zugleich über die Unterscheidung von Form und Medium entscheidet. Luhmann bedient sich auch zur Beschreibung dieser Annahme des oben bereits erläuterten Modells des Re-entry, insofern die eine Form immer eine „Formin-einem-Medium“94 ist und die Unterscheidung zwischen Medium und Form als Einheit in sich einschließt.95 Die beiden Begrifflichkeiten Medium und Form finden eine Entsprechung in den Begriffen Redundanz und Varietät, insofern die Elemente der losen Kopplung verfügbar und erkennbar sein müssen, während eine neue Information (die Varietät liefert) erst durch die Formbildung generiert werden kann. Indem also Kunstwerke als Formenarrangement entstehen, bekommen sie einen Informationswert, der als Mitteilung verstanden werden kann: „Was immer als Medium dient, wird Form, sobald es einen Unterschied macht, sobald es einen Informationswert gewinnt, den es nur dem Kunstwerk verdankt.“96

92 Vgl. ebd., S. 156. 93 Ebd., S. 168. 94 Ebd., S. 171. 95 Vgl. ebd., S. 166ff. 96 Ebd., S. 176.

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Fragt man nun nach einem kunst-spezifischen Medium, so liegt dieses Luhmann zufolge im Konzept des „schönen Scheins“.97 Denn um ihre Funktion erfüllen zu können, muss die Kunst täuschen und enttäuschen zugleich. Luhmann verweist in diesem Zusammenhang auf das von Diderot beschriebene Paradox des Schauspielers, der „die Täuschung zugleich aufführen und dementieren muss“.98 Die Kunst ist zwar dinglich da, d.h. die Kunstwerke haben eine Realität, müssen allerdings gleichzeitig verweisen auf ihren Täuschungscharakter, und Enttäuschung über Verweis auf ihr als-Kunst-hergestellt-Sein möglich machen – besonders deutlich wird dies am Theatervorhang, dessen Öffnung den Blick freigibt auf den hergestellten Raum des Theaterstücks. Würde diese Artifizialität nicht deutlich,99 bliebe es bei Beobachtung erster Ordnung und die Kunst würde wie oben beschrieben als die „wahr-scheinliche“ Welt aufgenommen. Diese der Kunst eigene Technik nennt Luhmann eine „Doppelrahmung“.100 Dingliche Fixierung von Formen und Kommunikation In der Kunst wird, so die Luhmann’sche Annahme, Beobachtung zweiter Ordnung besonders explizit, da verdinglicht: Schon in der Tatsache, dass Kunstwerke signiert werden,101 liegt der ausdrückliche Verweis auf den Beobachter, dessen Beobachtungen mittels der Beobachtung des Kunstwerks beobachtet werden können. Die Beobachtung zweiter Ordnung wird als „dingliche Fixierung von Formen“ „im Bereich des Wahrnehmbaren hergestellt“.102 Diese Objekthaftigkeit ermöglicht wiederum, und hier wird es in Bezug auf Gesellschaft als Ganze interessant, eine „Liberalisierung des Urteils bei festgehaltenem Dingbezug“:103 Man kann nämlich

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Ebd., S. 177.

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Ebd., S. 178; Diderot, Denis (2012): Das Paradox über den Schauspieler. In: Lazarowicz 2012. S. 155-163.

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Auch damit vermag die Kunst freilich zu spielen.

100 Luhmann 1995, S. 178. 101 Und somit der Autor eingeführt wird. Das Signieren wird mithin seit der Frühmoderne zum „Signal, mit dem kommuniziert wird, dass der Adressat als Beobachter zweiter Ordnung engagiert wird“ (ebd., S. 112). 102 Ebd., S. 124. Dass die Verdinglichung zumindest im Wortsinne nur bei Werken der bildenden Kunst, ggf. noch für literarische Werke zutrifft, wird von Luhmann nicht weiter thematisiert. So paradox es erschien mag, wird man die Verdinglichung allerdings auch im übertragenen Sinne (und dann zum Beispiel mit Blick auf Kunstformen wie Musik oder Tanz) verstehen können. 103 Ebd.

206 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS „als Betrachter, ohne den Kontakt mit den Formentscheidungen des Künstlers zu verlieren, zu ganz anderen Urteilen, Bewertungen, Ergebnissen kommen, als der Künstler es sich vorgestellt hatte. Man bleibt bei den Formen, die er sich vorgestellt hatte, aber sieht anderes als das, was er ausdrücken wollte. Und ebenso braucht der Künstler, wenn er für den Beobachter produziert, […] sich nicht in Abhängigkeiten zu begeben, er kann sich in seinen Entscheidungen bei sich selbst wissen, kann authentisch ans Werk gehen und es dem Betrachter überlassen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.“104

„Kommunikative Koordination“ ist somit über eine „dingvermittelte Abstimmung“ möglich, ohne dass das Bewusstsein der anderen zugänglich wäre;105 und die Kunst „ermöglicht ein gleichsam spielerisches Verständnis zu Fragen des vernünftigen Konsenses oder Dissenses. Sie vermeidet es damit, Dissertierende abzuwerten oder zu exkludieren, und das kann geschehen, ohne dass man in Zweifel gerät ob man über Dasselbe kommuniziert oder nicht“.106 So sind die Kommunikationen gebunden über das Kunstwerk, und lassen individuelles Abweichen und Dissens in den Meinungen zu, während über die Kommunikationen selbst das Gemeinsame, das Soziale verstärkt wird. Über Geschmack lässt sich mithin besonders gut streiten. Unter Rekurs auf Heinz von Förster gelangt Luhmann sogar zu der Annahme, dass „Objekte, die sich aus der rekursiven Anwendung von Kommunikationen auf Kommunikationen ergeben, mehr als irgendeine Art von Normen und Sanktionen dazu beitragen, soziale Systeme mit den nöti-

104 Ebd. Zum Thema Authentizität auch ebd., S. 148: „Auch Problem und Thema der Authentizität ist mithin, gegen den Anschein, ein Thema der Beobachtung zweiter Ordnung. Denn die Frage lautet nun: wie kann man in der Unmittelbarkeit eines Weltverhältnisses bleiben, wenn man weiß, dass man als Beobachter beobachtet wird; oder gar: wenn man weiß, dass man fürs Beobachtetwerden produziert? Wie kann man, anders gesagt, in einem System, das voll und ganz auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung organisiert ist, davon wieder abstrahieren und ins Paradies der Beobachtung erster Ordnung zurückkehren? […] [V]ielleicht ist auch dies nur eine Form, in der die Kunst für sich und auch für andere Funktionssysteme reflektiert, was in der modernen Gesellschaft unmöglich geworden ist.“ 105 Ebd., S. 126. 106 Ebd. „Das schließt allerdings“, so Luhmann hier weiter, „keineswegs aus, dass die Kunst hohe (und dann ihrerseits exkludierende) Anforderungen an ein adäquates Beobachten stellt. Aber der Maßstab dafür ist nicht ein durch ein ‚shared symbolic system‘ (Parsons) festgelegter Konsens, sondern er liegt in der Frage, ob man die Direktiven nachvollziehen kann, die durch die Formentscheidungen des Kunstwerks für angemessenes Beobachten festgelegt sind.“

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gen Redundanzen zu versorgen“.107 Dies ist insofern relevant, als – im Verständnis Luhmanns – in einer funktional differenzierten Gesellschaft Kommunikation schwerlich gesamtgesellschaftlichen Konsens anstreben wollen kann, sondern eher der „Erhaltung von Diversität unter Mindestbedingungen zivilisierter Friedlichkeit“ dienen sollte.108 Re-entry: Kunst als Paradoxieentfaltung und Paradigma der modernen Gesellschaft Die Beobachtung der Beobachtung, „die ‚Wiederbeschreibung‘ des Systems durch sich selbst“109 oder die Einheit der Differenz der Beobachtungen stellen eine Paradoxie dar, zu deren Darstellung sich Luhmann auch des Re-entry, des bereits erwähnten mathematischen Kalküls George Spencer-Browns bedient. Dieser beschreibt damit, wie oben bereits dargelegt, den Umstand, dass die Unterscheidung zwischen einer bezeichneten und einer nicht bezeichneten Seite in sich wiederholt wird110 – eben wie bei Luhmann das Beobachten (= Entscheidung) zum Beobachteten (= weitere Entscheidung) wird. Die so entstehenden Paradoxien sind im Luhmann’schen Verständnis dabei keine zu vermeidenden Brüche einer Logik, sondern es gilt vielmehr, sie zu entfalten, d.h. sie in der Oszillation zwischen unterschiedlichen Beobachtungen beobachtbar zu machen. Der Künstler wird vor diesem Hintergrund gewissermaßen zu einem Paradoxieexperten, denn über den Modus der Beobachtung zweiter Ordnung wird im Kunstwerk immer auch die Unbeobachtbarkeit der Welt thematisiert. Beobachtung ist immer nur von einem Standpunkt in der Welt aus möglich, die Welt als ganze ist nicht zu beobachten, denn dazu bedürfte es eines Orts der Beobachtung außerhalb der Welt. Die Welt umschließt immer Marked Space und Unmarked Space und ist nicht von anderem zu unterschieden.

107 Ebd., S. 81. Luhmann bezieht sich hier ebenfalls auf das Konzept der Quasi-Objekte des französischen Philosophen Michel Serres (Serres, Michel (1982): Genèse. Paris: Grasset, S. 146). Diese „nehmen genügend Varianz auf, genügend Wiedererkennbarkeit in wechselnden Situationen, um Wechselfälle sozialer Konstellationen begleiten zu können. Aber sie behalten, im Unterschied zu Begriffen, die durch spezifizierte Antonyme bestimmt sind, auch in wechselnden Lagen ihre Objektheit im Sinne des Ausschusses des unmarked space aller anderen Vorkommnisse oder Zustände.“ (ebd., S. 81f.). 108 Luhmann, Niklas (1996b): Gefahr oder Risiko, Solidarität oder Konflikt. In: RisikoDialog. Zukunft ohne Harmonieformel. Hrsg. von Roswita Königswieser. Köln: Dt. Inst.-Verl. S. 38-46, hier: S. 45. 109 Luhmann 1996c, S. 203. 110 Spencer Brown 1971, S. 56.

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Anders gesagt: Es gibt keine Möglichkeit, Gewissheit über die Welt zu erlangen, es gibt keine zentrale Wahrheit bzw. aus dieser Annahme abgeleitete Gewissheit über die Welt wie sie von vormodernen Gesellschaftsformen noch unterstellt wurde und sich in deren Verfasstheit (z.B. einer vertikalen Ordnung) niederschlug. Mit Luhmann: „Die Welt bleibt Welt, die sich hinter allen Formen, die sich in ihr natürlich oder künstlich bilden, erhält. Sie bleibt auch und gerade dann unsichtbar, wenn sie mit Formen besetzt wird. (Zeichnet man etwa einen Kreis, so ist sie nicht nur außerhalb des Kreises, sondern auch im Kreis und auch das, was durch die Kreislinie verletzt wird.) Sie tritt ins Formenspiel nur als Paradox der Ununterschiedenheit des Unterschiedenen ein, sie lässt sich durch die Paradoxie gleichsam vertreten und als Unbeobachtbarkeit repräsentieren.“111

Indem das Kunstwerk mit Hilfe der Paradoxieentfaltung (der Beobachtung zweiter Ordnung) die Unbeobachtbarkeit der Welt repräsentiert, entspricht deren Unerreichbarkeit (im Sinne einer Gesamtbetrachtung) der Schließung des Kunstwerks. Über die Konstruktion dieser Analogie formuliert Luhmann die These, dass die moderne Kunst somit paradigmatischen Charakter für die moderne Gesellschaft gewinne.112 Ihre Funktion übernimmt sie somit für die gesamte Gesellschaft, nicht für bestimmte andere Funktionssysteme. Kunst als Kontingenzbewältigung Doch die Kunst liefert nicht nur Verunsicherung, indem sie auf die Unmöglichkeit der Weltbeobachtung verweist, sondern sie steht (mit dem Kunstwerk als Netzwerk rekursiv aufeinander bezogener, also nicht willkürlich zusammengefügter Formen) auch für Ordnung bei Kontingenz. Der Kontingenzbegriff unterstellt eine historisch-gesellschaftliche Entwicklung, die einer einheitlichen, einzig richtigen, so und nicht anders möglichen Beobachtbarkeit der Welt oder der Realität (dessen, was ist) den Boden entzogen hat. Der Kunstbetrachter kann gewissermaßen am Kunstwerk sehen, dass dennoch Ordnungen wahrgenommen bzw. konstruiert werden können. Kunstrezipienten gewinnen wie der Künstler selbst „als Beobachter von Formen, das heißt: von Unterscheidungen, das heißt: von Paradoxie […] die Einsicht […], dass mehr Kombinationen möglich sind, als im allgemeinen angenommen wird. Man kann außerdem vermuten, dass der Künstler am ehesten begreifen kann, dass alles

111 Luhmann 1995, S. 59. 112 Ebd., S. 499.

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anders gemacht werden könnte – aber nicht auf beliebige Weise. Und dass Kunstwerke auch andere lehren, es so zu sehen.“113

Wenn die Kunst als autonomes Funktionssystem nun aufzuzeigen vermag, dass es entgegen aller „Polykontexturalität“ und Multioptionalität,114 aller Unsicherheit und Veränderungsgeschwindigkeit noch immer eine „emergente[…] Ordnung“ gibt,115 so erfüllt sie damit – wie es allen Funktionssystemen zueigen ist – eine exklusive gesamtgesellschaftliche Funktion: 116 113 Luhmann 1996c, S. 205. 114 Vgl. beispielsweise Gegenwartsdiagnosen wie Beck, Ulrich (2008): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften. 7. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 115 Luhmann 1995, S. 122. 116 Das Kunstsystem und seine Entwicklung wurden hier im Sinne der oben angekündigten Fokussierung nicht weiter thematisiert. Die Herausbildung des Kunstsystems erfolgt historisch betrachtet insbesondere über die Entwicklung vom Patronagesystem hin zu einem (nicht mehr nur lokalen) Kunstmarkt, wie sie auch in verschiedenen kunst- und kultur-, -historischen und -soziologischen Untersuchungen nachgezeichnet wurde (vgl. z.B. Eisermann, Gottfried (1989): Soziologie des Kunstmarkts. In: Kunst, Kommunikation, Kultur. Festschrift zum 80. Geburtstag von Alphons Silbermann. Hrsg. von Walter Nutz. Frankfurt/Main, Bern, New York, Paris: Lang. S. 43-67; Esch, Arnold (1981): Über den Zusammenhang von Kunst und Wirtschaft in der italienischen Renaissance. Ein Forschungsbericht. In: Zeitschrift für historische Forschung 8, H. 1. S. 179-222; Ruppert 1998; Thurn, Hans Peter (1997): Kunst als Beruf. In: Soziologie der Kunst. Hrsg. von Jürgen Gerhards. Opladen: Westdeutscher Verl. S. 103-124). Dieser Wandel beendet die vormals alles dominierende „Rangdiskussion“: „Die einschlägige [kunstbezogene] Literatur des 16. Jahrhunderts diskutiert neben technischen Fragen (Stichwort Perspektive) vor allem Rangverhältnisse. Wer steht höher: Raffael oder Michelangelo, der Florentiner oder der venezianische Stil, Malerei oder Bildhauerei? Die Gesellschaft denkt sich selbst ihre Welt noch hierarchisch. Rangentscheidungen sind, wie immer umstritten, als Ordnungsentscheidungen schlechthin gefragt – vom Sitzplatz in der Kirche bis zum höfischen Zeremoniell. Diese Diskussion, die die Kunst nach einem allgemeinen gesellschaftlichen Muster behandelt und so der Gesellschaft zuordnet, kann auf den Kunstmarkt nicht übertragen werden. Selbstverständlich zählt auch hier die Reputation. Sie drückt sich in Preisen aus. Aber man kann sich keine stabile lineare Ordnung des Ranges von Künstlern nach Maßgabe der Preise vorstellen, die für ihre Werke erzielt werden. […] Preise sind jetzt ein aggregierter Ausdruck individueller Präferenzen […]. Künstlerische Qualität muss deshalb nicht vernachlässigt werden […] Im übrigen kann der Käufer kaufen, was ihm gefällt und womit er anderen gegenüber Geschmack und Urteilsvermögen beweisen kann.“ (Luhmann 1996c, S. 198f.). Die Autonomie bzw. ganz eigene Operationsweise des Kunstsystems drückt sich jedoch nicht nur in Fragen

210 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS Mehr und vor allem deutlicher als in anderen Funktionssystemen kann in der Kunst vorgeführt werden, dass die moderne Gesellschaft, und von ihr aus gesehen, die Welt nur noch polykontextural beschrieben werden kann. Die Kunst lässt insofern die ‚Wahrheit‘ der Gesellschaft in der Gesellschaft erscheinen und zeigt zugleich (wenn sie es kann!), dass gerade unter dieser Bedingung Formzwänge entstehen, Stimmigkeit und Unstimmigkeit zum Problem werden und jedenfalls die so oft befürchtete Beliebigkeit des ‚anything goes‘ nicht zu erwarten ist.117

des Zugangs zur Kunst und Institutionen wie Kunstmarkt und Kunstkritik aus, sondern auch in den Kunstwerken selbst, die das Kunstsystem konstituieren, insofern Kunst ausschließlich durch Kunstwerke kommuniziert (vgl. Hutter 1996): Ging es den Malern im 14. Jahrhundert noch darum, „die Welt [zu] malen und nicht ein Bild“ (Koller 2007, S. 64), tritt über die Jahrhunderte der selbstreferentielle Rekurs der Kunst auf die Kunst in den Vordergrund, indem die moderne Kunst nicht mehr nur versucht abzubilden und zu repräsentieren. Als historische Entwicklung lässt sich dieser Wandel mit Hutter in groben Zügen beschreiben als „Umstellung vom magischen auf den edukativen Gebrauch, [über] die kunstinternen Kriterien des Spätmittelalters, die Einbettung der Kunst in Hof-, dann in Marktverhältnisse, [bis hin zur] Fokussierung auf Selbstreflexion und Autonomie in der Romantik. Gleichzeitig verfolgen wir die Entwicklung von einer symbolisch gemeinten zu einer als Zeichen verstandenen Kunst, bis hin zu einer Kunst, die sich auf das Ausprobieren von Formenkombinationen spezialisiert.“ (Hutter 1996). Die entsprechenden Kunstwerke sind überdies immer auch ein Verweis auf andere Kunstwerke, zu denen sie sich in Beziehung setzen bzw. von denen sie sich, dem Gebot der Neuheit folgend, abgrenzen (vgl. Koller 2007, S. 50f.), und schließen somit als Kommunikationen an vorhergehende Kommunikationen an, so dass es zum Beispiel zur Herausbildung von Stilen kommen kann: „Kunstwerke beeinflussen Kunstwerke, und die Temporalisierung dieses Effekts lässt sich als Stil beschrieben, durch dessen Kanon Abweichungen kontrolliert werden.“ (Hutter 1996). Über den Prozess des Kunstschaffens werden mithin auch die Grenzen des Kunstsystems fortwährend neu konstituiert, denn das, was heute Kunst ist, war gestern, um das kunstgeschichtliche Beispiel par excellence zur Illustration heranzuziehen, womöglich noch ein Urinal (Marcel Duchamps Ready-made Fountain (1917)). 117 Luhmann 1995, S. 494f. Dies steht – empirisch – im Widerspruch dazu, dass gerade der modernen und zeitgenössischen Kunst eben jenes anything goes unterstellt wird („Das kann mein kleiner Sohn doch auch!“). Je nach Beobachter kann sich dieser Eindruck auflösen, wenn noch genauer beobachtet, die Beobachtungen des Künstlers/das Formenspiel also besser nachvollzogen wird, oder er löst sich nicht auf, was jedoch ebenfalls in der Natur des Beobachtens (als einer immer von einem Beobachter ausgehenden Operation) liegt.

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Kritik Gerade im Hinblick auf diesen paradigmatischen Charakter der Funktion der Kunst als gesellschaftlichem System für die Gesellschaft als ganze (unabhängig davon, wie viele oder wenige Mitglieder einer Gesellschaft an Kunst überhaupt teilnehmen)118 hat die Kunst der Gesellschaft verschiedenste Kritiken hervorgerufen. Hutter etwa sieht in ihr „die leistungsfähigste Programmversion“ der allgemeinen Luhmann’schen Systemtheorie, weil sie „den Entstehungsprozess einer sich [...] formierenden Gesellschaftstheorie“ sichtbar mache.119 Koller hingegen sieht genau hierin zwar ein interessantes Gedankenmodell, letztlich aber auch ein Problem: Seiner Einschätzung nach ist die von Luhmann der Kunst zugewiesene Funktion nur deswegen überhaupt denkbar, weil in seiner Gesellschaftstheorie das Konzept der Kontingenz so stark ist. Luhmann habe eher „Die Kunst der Systemtheorie“ denn „Die Kunst der Gesellschaft“ geschrieben.120 Außerdem bemängelt Koller, dass Luhmanns Theorie der Kunst der Gesellschaft schlussendlich eine Theorie des Kunstwerks bleibe,121 innerhalb derer die Kunstwerke als Einzelelemente in gewisser Weise erstaunlich unverbunden blieben. Er wundert sich, dass Luhmann es unterlässt, „die Funktion etwa von Museen, Galerien, Ausstellungsmachern, Firmensammlungen, Verlagen usw. zu analysieren“.122 Das ist allerdings wenig erstaunlich, wenn man davon ausgeht, dass bei Luhmann auch Kulturorganisationen nur Organisationen mit einer speziellen Sinnstruktur sind, die sich von anderen Organisationen dadurch unterscheiden, dass sie eben mit anderen Unterscheidungen arbeiten, nämlich solchen, die sich auf die Schaffung und Verwertung von Kunst beziehen. Boris Groys sieht in der Kunst der Gesellschaft eine „gelungene Intervention in das Kunstsystem“,123 da sie nicht nur für (Kunst-)Historiker und Kritiker erhellende Erklärungen zur Ausdifferenzierung des Kunstsystems erbringe, sondern insbesondere das Erklärungsmodell der Funktion der Kunst auch Künstlern interessante Impulse geben könne.

118 Vgl. ebd., S. 390f. 119 Hutter 1996. 120 Koller 2007, S. 259. Koller untersucht denn auch konsequenterweise die künstlerische Qualität der Systemtheorie (Kap. Luhmanns (Kunst-)Sprache, S. 260-272). 121 Wobei die Abgrenzung von Selbstprogrammierung und Autopoiese nicht ausreichend trennscharf sei (vgl. ebd., S. 49). 122 Ebd., S. 49. Den Versuch einer systemtheoretischen Betrachtung der Kunstwelt auch mit Blick auf ihre Organisationen, exemplarisch insbesondere Galerien, unternimmt Francis Halsall aus kunsthistorischer Perspektive (Halsall 2008). Vgl. zu Organisationen des Kunstsystems auch Tröndle 2005; Meyer et al. 1996. 123 Groys, Boris: Die dunkle Seite der Kunst (1996). In: Soziale Systeme 2, H. 1.

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ALS ADAPTIVES

S PIEL MIT

DEM

Ü BERSCHUSS

Im Folgenden soll das Luhmann’sche Theoriegebäude mit einer Argumentation aus dem Bereich der evolutionären Ästhetik verknüpft werden, um in dieser Kombination die Frage nach dem Irritationspotential der Kunst insbesondere im hier interessierenden Zusammenhang noch besser beantworten zu können. Nimmt man mit Luhmann an, dass Kunst Beobachtung zweiter Ordnung mittels der eigenen Sequenz von Formentscheidungen bei der Gestaltung der Kunstwerke fördere und dies am Objekt in einer Art spielerischem, im Sinne von: den fiktionalen Raum betreffenden, Austausch geschehe,124 dann ist dies gewiss ein Anknüpfungspunkt für Unternehmensorganisationen und die Entwicklung ihrer Sinnstrukturen. Schließlich sollte es im organisationalen Zusammenspiel immer darum gehen, die Pluralität von Sichtweisen (zum Beispiel auch im Sinne der Konfliktlösung) nachvollziehbar und transparent zu machen. Dass in unterschiedlicher Weise beobachtet wird, wird durch die Kunst „in Form von ästhetisch-emotionalen Kommunikationsofferten“125 als eine positive Erkenntnis sichtbar gemacht und muss somit nicht als beunruhigender Umstand erfahren werden. Im Gegenteil: Idealerweise gelingt es, die Pluralität als besondere Ressource zu nutzen. Denn schließlich ist, wie Luhmann oder die Kunst zeigen, Nichtsehen nicht Blindheit, sondern „wird (anstelle irgendwelcher transzendentaler Kategorien) zur Bedingung der Möglichkeit des Sehens“.126 Nun könnte dies auch ein Ergebnis des sektorenübergreifenden Austausches sein – etwa im Sinne des oben beschriebenen SeitenWechsels. Der wesentliche Unterschied scheint zu sein, dass die immer wieder einzuübende Beobachtung zweiter Ordnung im Falle der Kunst explizit zum Thema (nämlich zum Kunstwerk) gemacht wird, sie sie also im Gegensatz zu anderen Funktionssystemen gleichsam „um ihrer selbst willen realisieren kann“.127 Diese Verdinglichung wiederum erfolgt mittels spezieller, Spannung oder Irritation erzeugender, oder auch „ästhetisierter Formen“, deren feine Nuancen darüber hinaus „auf Unterscheidungen aufmerksam [machen können], die nicht [oder nicht so gut, njh] mit den Differen-

124 „Kunst ermöglicht ein gleichsam spielerisches Verständnis zu Fragen des vernünftigen Konsenses oder Dissenses.“ (Luhmann 1995, S. 126). 125 Tröndle 2006, S. 56. 126 Luhmann, S. 137. Als transzendentale Kategorien könnten im hier interessierenden Zusammenhang und im übertragenden Sinne auch dominante Bilder wie „Der Chef hat immer recht“, „Das haben wir doch immer so gemacht“, „Never change a winning team“ usw. gelten. 127 Luhmann, Niklas (1991): Die Welt der Kunst. In: Schöne Aussichten? Ästhetische Bildung in einer technisch-medialen Welt. Hrsg. von Wolfgang Zacharias. Essen: Klartext. S. 49-63, S. 63.

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zen anderer Systeme ‚gesehen‘ werden können“. 128 Das Kunstsystem bietet „Beobachtungsinstrumente an, die andere Funktionssysteme nicht bereitstellen“.129 Dies gilt gerade auch mit Blick auf die äußerst wirkmächtige „Tradition, die den Aufbau psychischer Fähigkeiten hierarchisch arrangiert hatte und dabei der ‚Sinnlichkeit‘, das heißt dem Wahrnehmen, eine niedere Position zugewiesen hatte im Vergleich zu den höheren, reflektierenden Funktionen des Verstandes und der Vernunft“.130 Mit dieser Einschätzung befindet sich Luhmann in bester Gesellschaft nicht nur der klassischen Philosophie und Ästhetik Immanuel Kants und Alexander Baumgartens, sondern auch der zeitgenössischen Hirn- und Evolutionsforschung, wie mit Winfried Menninghaus und Wolf Singer aufgezeigt werden kann. Menninghaus legt Verbindungen zwischen traditioneller Ästhetik und den Erkenntnissen neuerer Evolutionsforschung frei131 und fragt vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund nach der Funktion der Kunst bzw. den „nicht-sexuellen ‚benefits‘ Kunst-bezogenen Verhaltens“.132 Denn „[d]ie Brauchbarkeit komplexer Kunstwerke für Zwecke der Selbstwerbung (Statusanzeige, Prestige) ist offenkundig; aber daraus kann nicht ipso facto gefolgert werden, dass der alte Attraktor auch der (einzige bzw. dominante) kausale Grund der Entstehung des durchaus neuen Verhaltens war“.133 Neu im Sinne von „spezifisch menschlich“ ist „die Ausdehnung ästhetischer Präferenzmechanismen“134 hin zur „Produktion ästhetischer Artefakte“, insofern sie interpretative Offenheit und Mehrdeutigkeit zulässt, wenn nicht generiert135 und somit über die bloße Signal-Adaptation, wie sie auch bei Tieren vorkommt, weit hinausgeht. Für diese Erweiterung des tierischen Repertoires muss es evolutionär betrachtet Gründe geben bzw. sie muss einen adaptiven Zweck erfüllen. Menninghaus bildet hierzu acht Thesen, die sich in Teilen auch mit den Annahmen Luhmanns decken.

128 Tröndle 2006, S. 56. 129 Ebd. 130 Luhmann 1995, S. 13. 131 Die überraschende Erkenntnis dieses Ansatzes ist Menninghaus zufolge, „in welchem Umfang die Funktionshypothesen der heutigen evolutionären Psychologie als Variationen der Kantischen gelesen werden können“ (Menninghaus 2008, S. 55). 132 Ebd., S. 23f. Schließlich führe dieses doch weit über den Darwin’schen „Sense of beauty“ als „Lösung für das Problem der sexuellen Wahl“ sowie zur „Gewinnung und Erhaltung von sozialem Prestige“ hinaus (ebd., S. 21). Vgl. hierzu ausführlich Menninghaus 2007. 133 Menninghaus 2008, S. 23. 134 Ebd., S. 22. 135 Vgl. ebd., S. 23.

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Unter Rekurs auf Baumgarten geht er davon aus, dass eine Dominanz von Abstraktion und Logik, derer es zum Hervorbringen etwa von Technik und Wissenschaft bedarf, die Gefahr birgt, uns um die Qualitäten der sinnlichen Einzelwahrnehmung und Erfahrung zu bringen.136 Daher erfordere es eine „cognitio sensitiva“, die im Sinne eines sinnlichen „Widerstand[s] gegen die Begriffe“137 die Sprache der Abstraktion und Normierung zu ergänzen vermag. Diese kommt in der Kunst zum Ausdruck. Auch vermutet Menninghaus „kognitive Vorteile“138, die aus der Beschäftigung mit Kunst erwachsen, da es „nicht nur langer Übung und Überlieferung, sondern einer enormen Abstraktions- und mithin Erkenntnisleistung“ bedarf, um Kunstwerke zu schaffen und zu rezipieren.139 Das (bei Luhmann als Realitätsverdoppelung bezeichnete) Generieren anderer Wirklichkeiten arbeitet Menninghaus ebenfalls und unter Rückgriff auf Kant als Effekt der „Produktiven Einbildungskraft“140 und der „Schule der Täuschungen“141 heraus. Da der Mensch auch das Nicht-Seiende und Un-Mögliche denken kann, ist seine „kognitive ebenso wie imaginative Reichweite buchstäblich maßlos“.142 Die so erdenklichen „Fiktionen jenseits der empirischen Erfahrung“143 werden in besonderer Weise in der Kunst manifest bzw. externalisiert: „Wenn es eine besondere Fähigkeit unseres Zeichengebrauches ist, Räume der Möglichkeit und sogar der Unmöglichkeit adressieren zu können, dann arbeiten ästhetisch-imaginative Praktiken offensichtlich dem Denken und affektiven Durchspielen von Optionen zu, Anderes und anders zu denken.144

136 Luhmann leitet Die Kunst der Gesellschaft mit einem Verweis auf den „Bann[…] der Tradition“ einer Hierarchie ein, die Verstand und Vernunft immer höher bewerte als die „Sinnlichkeit“ (Luhmann, S. 13). 137 = 3. Hypothese, Menninghaus 2008, S. 36ff. 138 = 4. Hypothese, ebd., S. 38ff. 139 Menninghaus verweist hier auf die Forschungen zur Kunst der Steinzeit (Kunstschaffen) als auch auf das Phänomen, dass ein überaus komplexes Gebilde wie eine Mozartsymphonie von einem Zuhörer ad hoc (als eine solche, nicht zwingend als genau jene) identifiziert werden kann (Rezeption). Vgl. ebd., S. 38f. 140 = 5. Hypothese, ebd., S. 42f. 141 = 7. Hypothese, ebd., S. 50ff. 142 Ebd., S. 43. Singer spricht von einer „fast unendliche[n] Vielfalt kombinatorischer Möglichkeiten“ (Singer 2002, S. 218). 143 Menninghaus 2008, S. 44. 144 Ebd., S. 45.

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[Und s]ofern ästhetische Praktiken – wie axiomatische Systeme – ihre eigenen Regeln setzen145 und selbstreferentielle Eigenwelten schaffen können, stellen sie [also] den naiven Realismus der einen Wirklichkeit in Frage. Sie schärfen damit das Bewusstsein für die Selektivität unserer Wahrnehmungs- und Handlungsdispositionen und gewöhnen an den Gedanken, alles könne etwas oder auch ganz anders sein.146 Ästhetische Praktiken verhalten sich insofern metareflexiv zu eingespielten Gewohnheiten von Wahrnehmung und Verhalten und begünstigen die Eröffnung neuer Variationsspielräume.“147

Täuschungen sind für Menninghaus nicht negativ konnotiert, denn „Illusionen [sind] nicht nur ein kognitives Problem, sondern [dann] eine kostbare Ressource“,148 wenn man im Sinne der Verhaltenslehre Täuschungsmanöver und -strategien als „adaptive Verhaltensoption zahlloser Lebewesen“ begreift.149 Nun sind diese menschlichen Fähigkeiten zur Imagination, Illusion und Täuschung im Einzelfall nicht immer von Vorteil,150 scheinen sich aber in Summe doch auszuzahlen bzw. dem erstaunlichen menschlichen Dasein als „evolutionären Generalisten par excellence“ (und eben nicht perfekt in die eine Umwelt eingepassten Lebewesen) förderlich zu sein.151 In diesem Sinne „arbeitet [dann] Kunst […] dem Anbahnen und Be145 Wie es das Kunstwerk im Luhmann’schen Verständnis tut, Stichwort Selbstprogrammierung. 146 Das heißt bei Luhmann: Kontingenz. 147 Ebd., S. 41. Metareflexion könnte analog der Beobachtung zweiter Ordnung verstanden werden. 148 Ebd., S. 53. Sprache wird durch „möglich gewordenen Ausgriff ins Imaginäre täuschungsanfällig und interpretationsbedürftig, aber auch in unerhörtem Maß täuschungsfähig und mehrdeutig“ (ebd., S. 43). 149 Ebd., S. 50. 150 Vgl. ebd., S. 45. 151 Vgl. ebd., S. 39f.: „Die Kehrseite unserer flexiblen Verhaltensprogramme ist, dass wir der Sicherheit der Verhaltenssteuerung entbehren, die ein enges und eindeutiges Passverhältnis zwischen Organismus und Umwelt verschafft. Wir kompensieren diese Folgekosten unserer Flexibilität, indem wir ganz aus eigener Kraft symbolische Orientierungen entwerfen, die synthetischen ‚Sinn‘ anbieten und damit Handlungs- und Deutungswahrscheinlichkeiten erhöhen. Für diese Art des Verstehens und Bearbeitens unserer besonderen Kontingenznöte bedarf es kommunikativer Fähigkeiten und Reflexionsschleifen höherer Ordnung, welche weit über die auch Tieren mögliche Decodierung eindeutiger Signale hinausgehen. Eben diese Fähigkeiten können an ästhetischen Objekten geschult werden. Dazu gehört nicht zuletzt eine Schulung unserer Toleranz für Ambivalenzen, die […] im menschlichen Sozialleben häufiger, grundlegender und unvermeidbarer sind als bei allen Tieren.“ Und: „Für die Evolutionstheorie können solche Illusionierungsmechanismen durchaus funktionale Adaptionen sein, zumindest in dem

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reitstellen neuer (kultureller) Adaptionen zu. Je dynamischer die kulturelle Entwicklung, desto potentiell wichtiger ist diese Leistung.“152 In letzterer Einschätzung der Leistung künstlerischer Praktiken insbesondere in dynamischen Umfeldern münden auch die Überlegungen des Hirnforschers Singer, der Kunst als ein Epiphänomen von evolutionärer Adaptionsleistung, nämlich „von Hirnleistungen […], die andere Selektionsvorteile bedingen“,153 konzipiert, das sich über die Jahrtausende menschlicher Entwicklung gehalten und schließlich verselbständigt hat.154 Kunst versteht Singer dabei als „Ausdruck des Versuches, Wirklichkeiten fassbar zu machen, die aufgrund der reflexiven Struktur unserer Gehirne entstanden sind und erfahrbar wurden und die mit dem rationalen Anteil unserer Sprache nicht abgebildet werden können“.155 Diese symbolisch verdichteten (gleichsam in Kunst gebannten) Ergebnisse reflexiver Prozesse sind geeignet, als Artefakte andere Gehirne auf diese reflexiven Prozesse hinzuweisen und werden somit (einmal ‚gespeichert‘) wiederum selbst (und immer wieder) zum Bestandteil weiterer kognitiver Interaktionen. Solche reflexiven Prozesse tragen zur Adaption bei, denn der Spieltrieb156 im Sinne einer Freude am Bilden neuer Kombinationen kann als eine die „Überlebensfähigkeit steigernde kreative“ Disposition begriffen werden.157 Das Epiphänomen Maß, in dem sie für soziales Leben und/oder das Lebensgefühl des Einzelnen in der Gesamtbilanz mehr förderlich als hinderlich sind.“ Ebd. S. 52. 152 Ebd., S. 41. Daher ist es Menninghaus zufolge denn auch nur „folgerichtig, dass Poetiken und Ästhetiken der Moderne diese Korrelation von Kunst, Desautomatisierung, Verfremdung, Innovation und Transgression zu betonen, ja überzubetonen pflegen“ (ebd.). Mit Kultur ist in diesem Zusammenhang der weitere Begriff als Gegensatz zur Natur gemeint. 153 Singer 2002, S. 213 154 Epiphänomene sind gewissermaßen Begleiterscheinungen evolutionärer Prozesse, die zwar selbst keinen Selektionsvorteil bieten, da sie aber auch keinen Schaden anrichten, erhalten bleiben, sofern sie nicht von anderen Mutationen überlagert werden. Aufgrund ihres Mitteilungs- oder „kommunikativen Charakters“ konnte sich Kunst in einer sozialen Funktion (Zusammenhalt, Identifikation von Gruppen/Sozialverbänden) etablieren und weiter ausdifferenzieren (ebd., S. 224f.). 155 Vgl. ebd., S. 222. Auch hier also die Annahme einer „komplementären Sprache“. Die reflexiven Prozesse als solche sind allerdings Kerneigenleistung jeden Gehirns, die sich aus den über die Sinnesorgane aufgenommenen Eindrücken und einer genetischen Grundordnung ergeben (ebd. S. 224). 156 Der Begriff des Spielerischen wird (s.o.) auch von Luhmann benutzt; es lebt der Schiller’sche homo ludens fort. 157 „Durch Herstellen neuer Bezüge zwischen gespeicherten Repräsentationen der über die Sinnessysteme vermittelten Information können Entdeckungen über die Struktur der

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Kunst wird von der Begleiterscheinung dieses Kombinationsspiels schließlich selbst zum Selektionsvorteil, denn, so die Vermutung Singers, sie „könnte vermutlich wesentlich dazu beitragen, unsere Erkenntnisse über das Wesen komplexer Systeme in Maximen für ein besser angepasstes Verhalten umzusetzen“.158 Dies scheint ihm insbesondere angesichts der fortwährenden Wandlung unserer Umwelt, für „unsere Interaktion in hochkomplexen Sozialsystemen ebenso wie für Wirtschaftssysteme und Ökosysteme“159 von besonderer Relevanz zu sein. Denn aktuell haben wir es – wiederum mit Menninghaus – mit einem „Konflikt[…] zwischen den ‚evolutionary times‘ und menschlicher ‚Kulturzeit‘“ zu tun, insofern „unsere kulturelle Evolution Umwelten schafft, die immer weniger dem Kontext unserer biologischen Verhaltensadaptionen ähneln […] [und] unser Passen in die ‚Natur‘ zu einem Problem werden“ lässt.160 Hier fügt sich geradezu nahtlos Singers Fazit an, wonach dem Epiphänomen Kunst unter diesen Umständen wachsende Bedeutung zukommt: „Es könnte […] sein, dass wir ein Entwicklungsstadium erreicht haben, in welchem eine Fähigkeit, die zunächst als Epiphänomen bestimmter adaptiver Funktionen entstanden ist, plötzlich eine wichtige, möglicherweise arterhaltende Funktion bekommen hat. Wenn das so ist,

Umwelt gemacht werden, und daraus lassen sich prädiktive Verhaltensstrategien ableiten, die das Überleben entscheidend begünstigen. Damit aber solche Entdeckungen zustande kommen, muss dieses kombinatorische Spiel auch tatsächlich gespielt werden. Damit es gespielt wird, muss es eine positive Motivation für dieses Spiel geben, welches, wie jeder weiß, anstrengend ist. Es liegt nahe, anzunehmen, dass jene Gehirne, die besonderen ‚Spaß‘ daran haben, dieses kombinatorische Spiel zu spielen und neue Bezüge zwischen vorher nicht Verbundenem herzustellen, einen erheblichen Selektionsvorteil haben. Ebenso wie eine adaptive Funktion für den Geschlechtstrieb und für das Hunger- und Durstgefühl abgeleitet werden kann, lässt ich also eine adaptive Funktion für einen Trieb ableiten, den man als Explorationstrieb, Neugierde, Experimentiertrieb usw. beschreiben könnte und der durch das Spielen des oben skizzierten kombinatorischen Spiels befriedigt würde.“ Ebd., S. 224f. 158 Ebd., S. 233. 159 Ebd. 160 Menninghaus 2008, S. 32f. Zum Passen in die „Natur“ vgl. auch Menninghaus’ zweite Hypothese (Das „Passen“ von „Subjekt“ und „Natur“ und die moderne BiophilieHypothese), derzufolge und in Anlehnung an Kant „[d]ie Erfahrung der Schönheit der Naturformen […] uns das unmittelbare, auf unserer ästhetischen Urteilskraft beruhende ‚Gefühl‘ (wenn auch nicht die entsprechende theoretische Erkenntnis) [verschafft], durchaus ‚in die Welt zu passen‘“ (ebd., S. 27ff.).

218 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS dann werden jene Gesellschaftssysteme überleben, die die künstlerische Begabung ihrer Mitglieder ausschöpfen und die Sprache der Kunst verstehen.“161

Zum Überleben von Gesellschaftssystemen trägt Kunst Menninghaus zufolge überdies als eine Beförderung des Sozialen im Sinne des kommunikativen Austausches bei.162 Menninghaus verweist hier auf Kant, der im „Urteil, etwas sei schön“ in erster Linie einen „soziale[n] Sprechakt“ gesehen habe, sogar „eine ‚Zumutung‘ an andere, dasselbe zu fühlen, und eine Aufforderung, es möglichst auch zu sagen. Ästhetische Urteile implizieren und befördern mithin eine ‚allgemeine Mitteilbarkeit‘, eine Art Surfen auf gleichen Wellenlängen ohne die Notwendigkeit, bestimmte Begriffe, Werte und Interessen zu teilen“.163 Hier gäbe es wiederum Anknüpfungspunkte für die oben skizzierte Luhmann’sche Überlegung einer „Koordination“ über „dingvermittelte Abstimmung“ mittels Kunst, wie sie als Dingliche Fixierung von Formen und Kommunikation (S. 205) angesprochen wurde: Dissens ist mithilfe von „symbolisch vermittelten Konfliktlösungsstrategien“164 zu bewältigen. Überdies sind ästhetische Praktiken auch deswegen dazu angetan, zum „Funktionieren komplexer sozialer Ordnungen“165 in besonderer Weise beizutragen, weil sie – im Regelfall – „besser teilbar als Nahrungsmittel oder Sexualpartner“ sind.166 Nun hat die Funktion der Kunst bei Luhmann aber noch eine weitere Komponente, nämlich den „Nachweis von Ordnungszwängen im Bereich des nur Möglichen“167, der die beruhigende „Unvermeidlichkeit von Ordnung schlechthin“168 in einer doch chaotisch, unberechenbar erscheinenden und somit verunsichernden Welt signalisiert. Wenn dem so ist, dann ließe sich auch hieraus ein besonderer Nutzen für die Unternehmensorganisation ableiten. Denn in einer dynamisch sich verändernden Umgebung, in der „Flexibilitäts- und Variationsspielräume“ immer 161 Singer 2002, S. 233f. 162 6. Hypothese: Ästhetischer „sensus communis“, Einübung in soziale Gefühlsskripte und Handlungsdispositionen, S. 45-50. Menninghaus verweist in diesem Zusammenhang auf Phänomene wie die „Musik-gestützte[…] Kohärenzbildung in jugendlichen Subkulturen“, aber auch die Bedeutung der Kunst für die „Konstruktion des Imaginären“ in der Religion (S. 49f.). 163 Menninghaus 2008, S. 46, Kant-Zitate nach Kritik der Urteilskraft, V 211, 213, 217 und 238. 164 Ebd., S. 47. 165 Ebd., S. 46f. „Gruppengröße und Komplexität sozialer Organisation bei Säugetieren korrelieren direkt mit Gehirngröße (bzw. Reichtum an Verschaltungen im Gehirn).“ 166 Ebd., S. 49. Vgl. zur Herleitung u.a. über Freud S. 47f. 167 Vgl. Koller 2007, S. 99. 168 Luhmann 1995, S. 241.

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größer zu werden scheinen, sind Unternehmen geradezu gezwungen, „ihren Ordnungszusammenhang aus sich selbst heraus zu konstituieren“, während sie dem „permanenten Anpassungszwang“ „nur durch riskante Entscheidungen über Innovationen begegnen können“.169 Kurz: Es herrscht allenthalben Verunsicherung, der es überlegt und mutig zu begegnen hilft, wenn Zusammenhänge (im Sinne eines Netzwerkes vor- und rückgreifender Rekursionen, s.o.) als emergente Ordnungen sichtbar werden bzw. konstruiert werden können. Der Nachvollzug der Idee einer in der Kunst sichtbar werdenden Ordnung trotz Kontingenz bereitet, wie die am Ende des vorhergehenden Kapitels erwähnte Kritik zeigt, möglicherweise Schwierigkeiten. Mit Rückgriff auf die Argumentation Menninghaus’ könnte man allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass Luhmann hier eine Adaption der traditionellen Funktion der traditionellen Kunst für eine (post-)moderne Kunst in einer (post-)modernen Gesellschaft vornimmt. Das vermeintliche Erleben einer Ordnung trotz offensichtlicher Kontingenz mittels Kunst kann, wenn nicht als Äquivalent (dagegen würde sich wohl Luhmann gewehrt haben), so doch als wesensverwandt mit der Kantschen Vorstellung, „[d]ie Schönen Dinge zeigen an, dass der Mensch in die Welt passe“170 gelesen werden.171 Dieser Anzeige bedarf es freilich nicht, denn – evolutionstheoretisch betrachtet – übernimmt dies bereits die Tatsache, dass die Spezies Mensch noch nicht ausgestorben ist. Gleichwohl wäre, so argumentiert zumindest Menninghaus, durchaus denkbar, dass diese Sicherheit (die doch letztlich auch immer nur retrospektiv gewonnen werden kann) nicht ausreichend gefühlt werde. Dies ist unter Verweis auf den oben bereits bemühten Gegensatz zwischen Kultur- und evolutionärer Zeit nicht abwegig. Kant und seine Zeitgenossen sahen das Gefühl des Eingepasstseins des Individuums in die Natur noch im Erhabenen ausgedrückt oder von diesem evoziert, allerdings ist dieser Begriff der Kunst seit der Moderne wohl nicht mehr ganz adäquat. Das grundlegende Problem einer „hochgespannten, problematischen Einheit bei größtmöglicher Mannigfaltigkeit“ wie es Menninghaus als Rahmen für die Ästhetik des 18. Jahrhunderts ausmacht,172 scheint den Grundzügen nach jedoch auch bei Luhmann präsent, allerdings eher in 169 Hermsen 2001, S. 170f. 170 Menninghaus 2008, S. 31. 171 Vgl. 2. Hypothese: Das „Passen“ von „Subjekt“ und „Natur“ und die moderne Biophilie-Hypothese (S. 27ff.). Die 1. Hypothese bei Menninghaus (Einstimmen und Optimieren mentaler Operationen) besagt im Übrigen, dass „Spiel und ästhetische Praktiken einer Optimierung, Koordination und wechselseitigen Abstimmung von Verhaltensdispositionen dienen, die von sich aus nicht notwendig perfekt (zusammen)arbeiten“ (S. 26). Der Vollständigkeit halber: Die 8. Hypothese fokussiert Leistungen und die Logik des Paranormalen, das innovative Potential von „altered states of mind“, wie sie seit jeher etwa durch den Gebrauch von Drogen herbeigeführt werden (vgl. S. 53f.). 172 Ebd., S. 28.

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Gestalt einer Einheit der aufeinander bezogenen Rekursionen (wie auch das menschliche Gehirn eine Einheit reflexiver Rekursionen bildet, in denen unzählige Verknüpfungen möglich sind, aber es dennoch ein Ordnungsprinzip gibt, „welches die Stimmigkeit neuer Assoziationen im Kontext des jeweiligen Gesamtzustandes des Systems bewertet, Prioritäten setzt und darüber entscheidet, welche der möglichen Querverknüpfungen realisiert und als Engramme gespeichert werden sollen“173). Die Diskussion zur evolutionstheoretischen Herleitung ästhetischer Praktiken kann und soll hier nicht weiter verfolgt werden.174 Im Wesentlichen sollte damit aufgezeigt werden, dass es auch außerhalb des geschlossenen Theoriegebäudes Luhmanns überzeugende Argumentationsketten gibt, die die Bedeutung eines Irritationspotentials der Kunst im Kontext der vollkommen unterschiedlich ausdifferenzierten Funktionallogik von Organisationen (für den hier interessierenden Kontext insbesondere: Unternehmen) erklärbar und verständlich machen. Dieses Potential bzw. das, womit die Kunst die Gesellschaft ‚versorgt‘, liegt also durchaus in Partnerschaften mit Kunstproduzenten im engeren, Kulturakteuren im weiteren Sinne. Ob es wirksam wird, ist prinzipiell eine Entscheidung der jeweiligen Beobachter.175 Für die Kunst gilt überdies, dass sie im Gegensatz etwa zum Wirtschaftssystem und „wie ähnlich nur die Religion eine Besonderheit auf[weist]. Die Teilnahme an ihr ist freigestellt. Sie bleibt als aktive wie als passive Inklusion der individuellen Entscheidung überlassen“.176 Zu fragen wäre daher, wie die Verbindungen beschaffen sein müssten, die wiederum die Bedingung für Impulse aus dem Kunstsystem in andere Funktionssysteme wären. Luhmann selbst hat darauf hingewiesen, dass es „[i]m Vergleich zu anderen Intersystembeziehungen“ „nur wenige und eher lasche strukturelle Kopplungen zwischen Kunstsystem und anderen Funktionssystemen“ gebe.177 Es muss – wie oben bereits mit Blick auf intersektorale Kooperation beschrieben – immer eine 173 Singer 2002, S. 218f. 174 Nicht nur aber auch, weil der Verfasserin das notwendige Wissen hierzu fehlte. Für Luhmann ist demgegenüber freilich davon auszugehen, dass ihm sowohl die klassische Ästhetik als auch Erkenntnisse der Evolutions- und Hirnforschung bestens bekannt waren. 175 Vgl. Kap. Irritierende Variationen und Koevolution. 176 Luhmann 1995, S. 390. Empirisch evident wurde dies sogar unter den totalitären Bedingungen im real existierenden Sozialismus, in der nicht jeder Arbeiter und Bauer kunstaffin, geschweige denn zum Künstler wurde. 177 Ebd., S. 391. Eine historische Untersuchung von strukturellen Kopplungen zwischen Wirtschaftssystem und Kunstsystem liefert Hutter, Michael: Kunst als Quelle wirtschaftlichen Wachstums (1986). In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaften 31, H. 2. S. 231-245; Hutter 2001.

B ESONDERES I RRITATIONSPOTENTIAL

DER

K UNST ? | 221

Anschlussfähigkeit gegeben sein, die eine solche Kopplung überhaupt zulässt. Die Basis dafür ließe sich – in Anlehnung an die Ausführungen am Anfang des zweiten Teils) – beispielsweise über die Broker im Burt’schen Sinne herstellen. Überdies könnte Anschlussfähigkeit, gleichsam als eine Vorstufe zur Kommunikation durch Kunst (die der Funktion der Kunst im Luhmann’schen Sinne zugrundeliegt), mittels Kommunikation über Kunst angestrebt werden.178 Die notwendigen Bedingungen dafür können in Unternehmen geschaffen werden. Dies zeigen bereits einige der im ersten Teil erläuterten Beispiele (zum Einsatz von Mitteln der Kunst für die Unternehmensentwicklung), aber teilweise auch die im folgenden empirischen Teil geschilderten Konstellationen der Zusammenarbeit.

178 Vgl. zu dieser Unterscheidung Luhmann 1995, S. 33.

Zusammenfassung Wenn ich nicht sehe, dass ich blind bin, dann bin ich blind; wenn ich aber sehe, dass ich blind bin, dann sehe ich.1 HEINZ VON FOERSTER Im Prinzip ist es ja einfach: Je öfter man die Perspektive wechselt, desto mehr Augen stehen einem zur Verfügung.2 ANNEMARIE PIEPER So lange uns eine absolute Wahrheit nicht zugänglich ist, müssen wir uns damit begnügen, dass die relativen Wahrheiten einander korrigieren.3 VIKTOR E. FRANKL

In der Bestandsaufnahme hatte sich bereits gezeigt, dass die beiden ‚Welten‘ Kultur und Wirtschaft unterschiedliche Inhalte und Leistungen bereithalten, die sie füreinander interessant machen – etwa, wenn ganz konkret spezifisches ManagementKnow-how von Unternehmensvertretern an die Manager einer Kulturorganisation vermittelt wird, oder umgekehrt, wenn Schauspieler den Mitarbeitern eines Unternehmens mit dramatischen Mitteln eine neue Sicht auf ihre eigene Organisation ermöglichen. Ziel dieses Kapitels war es, Erklärungen dafür zu liefern, warum Kooperationen zwischen Kulturorganisationen und Unternehmen (insbesondere auch

1

Foerster 1993, S. 28.

2

Vasella, Daniel; Pieper, Annemarie (2003): „Das Gute kommt in Tropfen…“. Gespräch.

3

Frankl, Viktor E. (2007): Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Exis-

In: Ettlin et al. 2003. S. 211-223, S. 219. tenzanalyse. 12. Aufl. München: dtv, S. 16f.

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über das Sponsoring hinaus) sinnvoll sein können. Dazu wurde zunächst von Kultur und Wirtschaft abstrahiert auf die Zusammenarbeit über Sektorengrenzen hinweg. In der Kombination des netzwerktheoretischen Ansatzes der strukturellen Löcher mit den Ideen zur Steigerung des Selbstveränderungspotentials von Organisationen kann die Sinnhaftigkeit des sektorenübergreifenden Zusammenkommens von Akteuren, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen verhaftet sind und deren Perspektive (Beobachtungsmöglichkeiten) durch ihre Interaktion erweitert wird, plausibel argumentiert werden. Eine so erzeugte Erweiterung des Blicks auf die Welt ermöglicht eine Verbreiterung der Basis der Problemlösungskompetenz der Akteure, weil sie auf ein variantenreicheres Handlungsrepertoire zurückgreifen können – etwa nachdem sie festgestellt haben, dass Mitglieder anderer Systeme andere Antworten auf ähnliche Fragen wie die ihren geben. Die so gesteigerte Beobachtungskompetenz muss dann für besonders wertvoll erachtet werden, wenn man davon ausgeht, dass „polykontexturale Gesellschaften [...] in immer stärkerem Maße die Fähigkeit [verlangen], über bestehende Grenzen hinweg zu denken und zu handeln. […] Strategisch handelnde, nutzenmaximierende Akteure beobachten ihre soziale Umwelt dahingehend, ob diese Störungen hervorbringt, die sich als Bedrohungen auswirken können oder als Chancen nutzen lassen. […] In diesem Sinne stellt ihre soziale Umwelt nicht nur eine Quelle von Störungen dar, sondern auch ein Reservoir an Möglichkeiten, das es zu nutzen gilt […].“4

Die Theorie struktureller Löcher liefert eine nachvollziehbare Erklärung, warum sich dieser Typus der Kooperation lohnen bzw. vorteilhaft sein könnte: Über ‚ungewöhnliche‘ Kontakte, die strukturelle Löcher zwischen einzelnen Netzwerken überbrücken, können Akteure ihre Position aufwerten, da sie sich so Zugang zu nicht-redundanten Informationen verschaffen. Dieser Zugang zu alternativen und ergänzenden Informationen kann sich als relativer Vorteil erweisen, etwa wenn es um die Stimulation der Innovationskraft geht, aber auch hinsichtlich einer brei4

Weyer, Johannes (1998): Kooperation als Strategie des Komplexitätsmanagements. In: Komplexität managen. Strategien, Konzepte und Fallbeispiele. Hrsg. von Heinrich W. Ahlemeyer; Roswita Königswieser. Wiesbaden: Gabler. S. 295-306, hier: S. 296. In ganz ähnlicher Weise argumentiert Berthoin Antal für ein „intellektuelles Unternehmertum“, dessen Voraussetzung die „Fähigkeit [sei], verschiedene Wissensformen zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen“ einzusetzen. Solche „Weißen Flecken“ könnten dann entdeckt werden, wenn „man sich aufmacht, um neue Bereiche zwischen definierten Arbeitsfeldern zu schaffen. Dafür müssen mindestens zwei Arten von Grenzen verschoben werden: die zwischen einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen und jene zwischen der Wissenschaft und anderen Bereichen wie Wirtschaft, Politik oder Kunst.“ (Berthoin Antal 2006). Vgl. auch Böhling 2006.

Z USAMMENFASSUNG | 225

terbandigen Umweltsensibilisierung, die das frühzeitige Erkennen von relevanten Veränderungen und Trends ermöglicht. Dieser Ansatz erklärt im Wesentlichen, warum solche Positionen in Netzwerken besonders attraktiv sind, die als Brückenköpfe bezeichnet werden können. In Ergänzung des insbesondere auf das Individuum abzielenden Ansatzes Burts kann mit Hilfe der Systemtheorie erklärt werden, inwiefern intersektorale Kontakte von Mitgliedern einer Organisation deren Fähigkeit zur Selbsterneuerung durch koevolutive Entwicklung mit ihrer Umwelt begünstigen können. Für den hier interessierenden Zusammenhang wurde unterstellt, dass die unterschiedliche Sektorenzugehörigkeit von Personen besonderes Irritationspotential füreinander bieten. Eine dieses Potential einbeziehende Koevolution ist jedoch kein Automatismus, da nicht jede Variation, die über ihre Mitglieder in die Kommunikation der Organisation eingebracht wird, dort auch Widerhall findet. Gerade bei stark ausgeprägter Unterschiedlichkeit (etwa weil die beteiligten Systeme unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionssystemen zuzuordnen sind, in denen unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, zwischen denen es zunächst eine Übersetzungsleistung zu erbringen gilt) ist Koevolution wie geschildert nicht voraussetzungslos. Doch die Organisation kann sich hinsichtlich ihrer inneren Strukturen und Bedingungen ihrer Kommunikation in einer Art aufstellen, die es wahrscheinlicher werden lässt, dass Mitglieder durch von ihnen erlebte Irritationen einen Beitrag zur Neubeschreibung der Organisation liefern können – und davon kann die Organisation als Ganze profitieren. Der Bogen zurück zur Kultur resp. Kunst, die im zweiten Teil zunächst keine besondere Rolle spielen, wurde ebenfalls unter Rückgriff auf die Systemtheorie geschlagen. Ausgehend von der Luhmann’schen Konzeption der Funktion der Kunst wurde ausgeführt, inwieweit diese ein besonderes Irritationspotential der Kunst nahelegt, das wiederum die Attraktivität von Kooperationen mit Akteuren des Kunstsystems für Akteure anderer Systeme (hier: der Wirtschaft) begründen könnte. Insbesondere die Idee einer Verdoppelung der Realität (wie sie auch in der Neurowissenschaft beschrieben wird) oder der zum Thema gemachten Beobachtung (nter Ordnung) bietet eine Erklärung für die Attraktivität der Beschäftigung mit Kunst als Nachvollzug des Beobachtens. Unter Rückgriff auf die Bestandsaufnahme im ersten und die theoretischen Überlegungen im zweiten Teil könnte nun ein Drei-Ebenen-Modell zur Einordnung von Kooperationen zwischen Kulturorganisationen und Unternehmen wie folgt konstruiert werden – wobei die Unterteilung eher einer analytischen Trennung dient und keine gegenseitige Ausschließlichkeit in der Praxis impliziert: Auf der ersten Ebene geht es um den Gewinn von Geld oder Sachmitteln resp. Aufmerksamkeit wie im klassischen Sponsoring oder den Gewinn von Handlungskompetenz durch den Austausch von konkretem, praktischem Know-how, das der jeweiligen ‚anderen Seite‘ aus unterschiedlichen Gründen in dieser Form nicht oder nur schwerlich

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zugänglich ist (wie die zahlreichen Beispiele bestehender Kooperationsmodelle im vorhergehenden Kapitel gezeigt haben).5 Auf der zweiten Ebene ist, wie insbesondere unter Rekurs auf Wimmer aufgezeigt wurde, die Steigerung des Selbstveränderungspotentials und der Lernfähigkeit der beteiligten Unternehmen und Kulturorganisationen durch gegenseitige ‚Irritation‘ ihrer Mitglieder bzw. deren Versorgung mit nicht-redundanten Informationen (wie zum Beispiel zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen) wahrscheinlich. Drittens und darauf aufbauend, aber einseitiger als auf den ersten zwei Ebenen, kann die Nutzung der Spezifika des Kunstsystems in besonderer Weise zur Steigerung des Selbstreflexionsvermögens (nämlich auf Seiten des jeweils beteiligten Unternehmens) beitragen, da in der Kunst – zumindest dem Luhmann’schen Verständnis nach – (1) die Frage nach den Bedingungen des Sehens bzw. Beobachtens in besonderer Weise explizit wird, weil die Auseinandersetzung mit Kunst immer eine Auseinandersetzung mit den vom Künstler gesetzten Formen ist, und (2) dass diese Formen in einer Weise aufeinander bezogen sind, die eine Ordnung sichtbar werden lässt – obwohl doch zahlreiche andere Kombinationen möglich wären. Diese Sicht kann angesichts einer sich dynamischen verändernden und als zunehmend unberechenbar wahrgenommenen Umwelt stabilisierend sein.

5

All diese Interaktionen könnten auch mit einem Tausch bzw. der Umwandlung von Kapitalformen im Sinne Bourdieus beschrieben werden.

Kulturpartnerschaften des BMW Werks Leipzig Kontext

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war Leipzig als Messe-, Handels-, und Industriestadt einer der bedeutenden deutschen Wirtschaftsstandorte gewesen. Diese Bedeutung behielt Leipzig auch während der deutschen Teilung bezogen auf die DDR und den Ostblockmarkt bei, wenngleich viele Betriebe noch vor der Besatzung durch die UdSSR in den späteren westdeutschen Sektor abwanderten bzw. deren Produktionsmittel unter US-amerikanischer Besatzung nach Süddeutschland transferiert worden waren.1 Nach der Wiedervereinigung hat Leipzig teilweise an seine wirkmächtige Tradition anknüpfen können, und es gelangen verschiedene Unternehmensansiedlungen. Auch aus dem Kreis der sogenannten schrumpfenden Städte – Dessau und Detroit sind hier prominente Beispiele2 – konnte Leipzig mit einer wieder positiven Tendenz in der Bevölkerungszahl ausbrechen, wenngleich es noch weit entfernt ist von Hochzeiten mit bis zu 750.000 Einwohnern.3 Und: Die gesamte Region gehört noch immer in die Ziel 1-Gruppe des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, ist also noch immer als strukturschwach zu bezeichnen, was sich auch in der Quote der Erwerbslosen und Transferleistungsempfänger so1

Vgl. z.B. Henke, Klaus-Dietmar (1996): Die amerikanische Besetzung Deutschlands. 2. Aufl. München: Oldenbourg, S. 730ff.

2

Vgl. Website des Projekts Shrinking Cities http://www.shrinkingcities.com/ (18.8.2012); Oswalt, Philipp (Hrsg.) (2004): Schrumpfende Städte. Ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes. Ostfildern: Hatje Cantz; Oswalt, Philipp; Rieniets, Tim (Hrsg.) (2006): Atlas of shrinking cities. Ostfildern: Hatje Cantz.

3

Vgl. auch Göschel, Albrecht: Die kommunale Kultur in der schrumpfenden Stadt (2003). Demographische und ökonomische Probleme zukünftiger Kulturpolitik. In: inthega Kultur-Journal. Informationsdienst für die Theaterarbeit in Städten und Gemeinden 23, H. 3. S. 5-10; Turowski, Jan (2004): Kunst statt Leerstand. Strategien künstlerischer Aneignung von urbanen Brachen und ihre Ausstrahlung auf die soziale Ordnung. In: BauerVolke et al. 2004. S. 247-255.

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wie der arbeitsbedingten Pendler insbesondere nach Süddeutschland und Österreich niederschlägt.4 Für Leipzig ist daher jede größere Industrieansiedlung mehr noch als in anderen deutschen Regionen ein besonderer Glücksfall. Mit der Ansiedlung des Internetversandhauses Amazon (Versandzentrum) und des Europa-Hubs des Paketdienstes DHL wurden zahlreiche Arbeitsplätze auch für Geringqualifizierte geschaffen, während Porsche, Siemens und BMW auf die vor Ort ansässigen, gut ausgebildeten Fachkräfte setzten.5 Hatten Siemens und Porsche der Region insgesamt etwa 2.500 Arbeitsplätze beschert,6 waren es im BMW Werk noch einmal genau so viele allein mit den direkt bei BMW Beschäftigten, zu denen in ähnlicher Größenordnung Beschäftigte der Zulieferer und Dienstleister kommen.7 2009 wurde das im Vergleich zu den Werken in München, Regensburg und Dingolfing relativ kleine BMW Werk Leipzig weiter gestärkt, indem es als Produktionsstandort für die Fertigung des BMW i, eines neuartigen, elektrobetriebenen Fahrzeuges mit Karbonkarosserie, ausgewählt wurde. Auch hier entstehen etwa 800 weitere Arbeitsplätze.8 BMW war mit der Werksansiedlung zu einem der größten Arbeitgeber in der Region geworden, von dem sich jedoch nicht nur die 108.000 (!) Bewerber9 einen Arbeitsplatz erhofften, sondern in dem auch zahlreiche andere Akteure in Stadt und Region wie Hochschulen, Schulen, Verbände, Sportvereine, gemeinnützige Organisationen und nicht zuletzt die zahlreichen Kulturschaffenden eine Chance auf Un-

4

Vgl. Stadt Leipzig (2011b): Statistisches Jahrbuch 2011. Leipzig. http://www.leipzig. de/imperia/md/content/12_statistik-und-wahlen/lz_jb2011.pdf (2.11.2012), S. 113ff.

5

Weitere Gründe für die Standortwahl sind Subventionen, die günstige Verkehrslage und eine offenbar flexible Verwaltung gewesen. Auch mag bei einigen Unternehmen die Investition in Ostdeutschland als Imagethema eine Rolle gespielt haben.

6 7

Siemens: etwa 1.700, Porsche: 400 sowie 400 weitere bei Dienstleistern und Lieferanten. Die Dienstleister sind im BMW Werk Leipzig in besonderer Weise direkt in die Prozesse eingebunden, haben ihre Firmensitze auf dem Werksgelände und arbeiten Hand in Hand und für Außenstehende nahezu ununterscheidbar mit den sogenannten Stammmitarbeitern zusammen. Vgl. zu den Besonderheiten des Leipziger Werks Claussen, Peter (2012): Die Fabrik als soziales System. Wandlungsfähigkeit durch systemische Fabrikplanung und Organisationsentwicklung – ein Beispiel aus der Automobilindustrie. Wiesbaden: Springer-Gabler, insbesondere Kapitel 6.3 Entwicklung der Fabrikstruktur, S. 207-254.

8

Vgl. Stadt Leipzig (2011a): BMW Werk Leipzig startet Personalaufbau zur Produktion der Elektrofahrzeuge ab 2013. http://www.leipzig.de/de/business/newsarchiv/2011/BMW -Werk-Leipzig-startet-Personalaufbau-zur-Produktion-der-Elektrofahrzeuge-ab-2013-20 759.shtml (1.1.2013).

9

Diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2004, also vor der Eröffnung des Werkes. 2008 waren es schon mehr als 170.000, d.h. etwa 170 % der Gesamtbeschäftigtenzahl der BMW Group weltweit.

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terstützung ihrer jeweiligen Vorhaben und Anliegen sahen – sei es nun finanzieller oder ideeller Art. Es entspricht der Unternehmenspolitik, sowohl Sponsoring zu betreiben (etwa mit entsprechenden Engagements im Sport, bei Musikfestivals etc.), als auch im Sinne einer Stakeholder-Orientierung und einer korporativen, sozialen Verantwortung, gemeinnützig tätig zu werden.10 Die Idee dabei ist, dass sich dieses Engagement idealerweise auch positiv auf das Unternehmen niederschlägt – nach dem Motto „Wir übernehmen Verantwortung – aus Überzeugung und aus eigenem Interesse.“11 Solche Aktivitäten firmieren unter dem Titel der „sozialen Nachhaltigkeit“, neben der ökonomischen und ökologischen die dritte Säule des BMWNachhaltigkeitskonzepts, mit dem das Unternehmen bereits seit mehreren Jahren Branchenprimus im sogenannten Sustainability-Index ist.12 In diese Kategorie fallen beispielsweise das Anti-AIDS-Programm am südafrikanischen Standort Rosslyn, das sich, gerade auch, weil nicht nur BMW-Mitarbeiter einbezogen werden, einerseits gesamtgesellschaftlich positiv niederschlägt, andererseits aber auch ganz unmittelbar für das Unternehmen von Vorteil ist, als es krankheitsbedingte Ausfälle des eigens ausgebildeten Stammpersonals zu senken hilft. Neuerdings werden vermehrt Corporate Volunteering-Einsätze ganzer Abteilungen eingeführt. Dies war an den nordamerikanischen Standorten bereits länger der Fall, wird in Deutschland aber erst seit Ende der 00er Jahre personalstrategisch begleitet und derzeit zunehmend populär. Seit 2011 wird eine Mitarbeiterauszeichnung für gesellschaftliches Engagement vergeben, das auch durch die bewusste Herstellung des Kontakts zur Münchner Freiwilligenagentur gefördert wird.13 Aktivitäten im Rahmen von Kulturpartnerschaften sind wie auch die des Leipziger Werkes zumindest teilweise dezentral organisiert, d.h. es kann von den vor Ort verantwortlichen Personen innerhalb allgemeiner Leitlinien darüber entschieden werden, wenngleich eine enge Rückkopplung mit den zentralen Stellen erfolgt (insbesondere der Abteilung für 10 Vgl. Zentgraf, Christiane: Kultur ist mehr als ein Mittel zum Zweck (1998). BMW als Sponsor-Partner: Kultursponsoring und Kulturkommunikation. In: neue musikzeitung 47, H. 10. S. 43; Zentgraf, Christiane: Braucht die Wirtschaft Kultur? (2002). In: neue musikzeitung 51, H. 5. 11 http://www.bmwgroup.com/responsibility/ (02.08.2012). 12 Vgl. BMW Group: BMW Group erneut nachhaltigstes Automobilunternehmen der Welt – Seit sieben Jahren ununterbrochener Branchenführer beim Dow Jones Sustainability Index. https://www.press.bmwgroup.com/pressclub/p/de/pressDetail.html?outputChannel Id=7&id=T0120534DE&left_menu_item=node__2201 (2.8.2012). 13 Vgl. BMW Group: Sustainable Value Report 2010. München. http://www.bmwgroup.co m/bmwgroup_prod/d/0_0_www_bmwgroup_com/verantwortung/kennzahlen_und_fakten /sustainable_value_report_2010/einzelne_kapitel/11670_SVR_2010_dt_Onlineversion.pd f (2.11.2012), S. 59ff.

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Kulturkommunikation im Rahmen der Konzernkommunikation, die für Themen von product placement in Filmen bis hin zu der derzeit stattfindenden GuggenheimKooperation, den LABs, verantwortlich zeichnet).14 Für Sponsoringverträge gibt es einige Regeln sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung als auch in Bezug auf die formale Gestaltung der Partnerschaft. So muss zum Beispiel das gesponserte Produkt Anknüpfungspunkte mit den Markenwerten von BMW aufweisen, einem Unternehmen, das sich als sehr stark innovations- und technologiegetrieben beschreibt, und dessen Anspruch es ist, stets an der Spitze neuester Entwicklungen zu sein.15 Daher soll eine Verbindung erkennbar sein – etwa indem es sich bei geförderten Projekten um innovative, zeitgenössische Kunst oder der Zukunft zugewandtes Kulturschaffen und nicht um reine Traditionspflege im Sinne unveränderter Reproduktion handelt. Dafür stehen beispielweise die Förderung der AkademieGalerie im Münchner U-Bahnhof „Universität“, eine Ausstellungsplattform für Studenten; Kunstpreise für junge Künstler wie der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst; der Manhattan Art Space „Ludlow 38“ des Goethe-Instituts, der jungen Kuratoren die Möglichkeit gibt, Ausstellungen zu realisieren, die Konzertreihe Nachts im Museum in der Münchner Pinakothek der Moderne, in deren Rahmen Werke zeitgenössischer Komponisten zur Aufführung kommen, oder auch das Bildungsprogramm der Münchner Philharmoniker Spielfeld Klassik mit zahlreichen Veranstaltungen pro Konzertsaison.16 14 Diese Verbindung zu den Zentralstellen wurde in den vergangenen Jahren durch eine Zentralisierung der entsprechenden Abteilungsstrukturen intensiviert. 15 Der Projektleiter der BMW AG für die Planung des Werkes und spätere Werkleiter Peter Claussen hierzu in einem Interview: „Bei all unseren Kulturpartnern gibt es Gemeinsamkeiten und verbindende Aspekte mit dem Unternehmen und der Unternehmenskultur. BMW fördert Kunstproduktion ab 1916, dem Gründungsjahr des Unternehmens. Musealisierung ist nicht unser Interesse, und ältere Kunst fördern wir nur in Form der zeitgenössischen Auseinandersetzung damit. Besonderes Augenmerk gilt der Gegenwartskunst sowie zukunftsweisenden und innovativen Projekten. Wichtig ist bei unseren Kulturpartnerschaften, dass wir gemeinsame Anknüpfungspunkte in dem, was wir tun, haben. Das kann durchaus auf einer ganz abstrakten Ebene die Beschäftigung mit Zukunftsfragen, mit der Veränderung der Gesellschaft und der Welt sein. Im Rahmen von Organisationsentwicklung und Methodentransfer arbeiten wir [daher] darüber hinaus [neben den Kulturanbietern] auch mit weiteren Partnern und Institutionen zusammen.“ (Glauche, Maud (2008): „a cappella“ lebt seine Partnerschaften. http://www.a-cappellafestival.de/index.php?option=com_content&view=article&id=50%3Aa-cappella-lebtseine-partnerschaften&catid=14%3A2008&Itemid=65&lang=de, 4.8.2012). 16 BMW Group (2012): BMW Group Kulturengagement. München. http://www.bmwgroup. com/bmwgroup_prod/d/0_0_www_bmwgroup_com/verantwortung/gesellschaft/kultur/_p df/BMW_Group_KulturEngagement_DE.pdf.

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Um keine gegenseitigen Abhängigkeiten zu schaffen, werden Sponsoringverträge in der Regel auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Einerseits ist so eine gewisse Planungssicherheit für den Empfänger der Geldmittel gegeben, denn er kann über einen relativ langen Zeitraum17 die zugesicherten Mittel einkalkulieren, weiß aber auch lange genug im Vorhinein um deren Endlichkeit und die Notwendigkeit der Akquisition neuer Sponsoren. Andererseits schleift sich kein Automatismus ein, und es bleibt für BMW ausreichend Freiraum, um mit anderen Partnern neue Projekte anzugehen und wieder neue Impulse zu setzen. Überdies will sich BMW so vor einer negativen Wahrnehmung schützen, die besonders dann aufzutreten droht, wenn ein jahrelanges Sponsoringverhältnis ohne erkennbaren Grund ‚plötzlich‘ beendet würde – dies käme in der Außenwahrnehmung der Verletzung eines Gewohnheitsrechtes oder einem ‚im-Stich-Lassen‘ gleich. Angeregt von dem insgesamt positiven Ruf als potentieller Spender und Sponsor, aber sicher auch schlicht aufgrund der relativ geringen Dichte sonstiger potenter Geldgeber in der Region,18 fällt der Name BMW häufig, wenn es um finanzielle Lücken im Etat gemeinnütziger Einrichtungen und kultureller Belange in der Leipziger Region geht. Dementsprechend viele Sponsoring- und Spendenanfragen, aber auch Bitten um sonstige Unterstützung etwa durch die Mitgliedschaft von Unternehmensvertretern in Gremien wie Kuratorien oder Beiräten gingen in den ersten Jahren während des Aufbaus und des Bestehens der Fabrik bei der Werkleitung und in der Kommunikationsabteilung ein. Dieser Umstand wurde wiederum dadurch verstärkt, dass das Leipziger BMW Werk tatsächlich bereits nach kurzer Zeit als Partner in verschiedenen Zusammenhängen in Erscheinung trat und entsprechend präsent war. Ganz bewusst und aus einem persönlichen Interesse heraus hatte Werkleiter Peter Claussen sich bereits frühzeitig darum bemüht, mit Menschen aus dem Kultursektor an seiner neuen Wirkungsstätte in Kontakt zu treten, die er – anders als Vertreter der regionalen Verwaltung, Wirtschaft und Politik – nicht aufgabenbedingt kennenlernte. Dieser starke persönliche Einsatz war zweifelsohne weit überdurchschnittlich und ermöglichte zahlreiche, auch ungewöhnliche Aktivitäten im Feld der BMW-Kulturpartnerschaften. Claussen ist nicht nur persönlich kunstin17 Auch wenn es sich nur um drei Jahre handelt, ermöglichen diese doch eine andere Planungssicherheit als etwa eine projektbezogene städtische Förderung, die jedes Jahr aufs Neue beantragt werden muss. 18 Viele in Leipzig vertretene Unternehmen haben ihre Headquarters in anderen Städten, was wiederum oftmals bedeutet, dass die Entscheidungskompetenz über auch regionale Sponsoringaktivitäten nicht vor Ort angesiedelt ist. Das macht es schwieriger, entsprechende Anfragen richtig zu adressieren, denn diejenigen, die entscheiden können, kennen mitunter den Standort nur wenig bzw. haben eine größer angelegte Kommunikationsstrategie entwickelt, in denen kleinere, regional unterschiedliche Engagements keinen Platz haben.

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teressiert, sondern der Überzeugung, dass es neben dem Sponsoring noch andere Dimensionen der Kooperation geben müsse, die sowohl für das Werk als auch für die jeweiligen Partner gewinnbringend wären.19 Diese Überzeugung geht einher mit dem großen Gewicht, das Claussen der sozialen Dimension bzw. den Menschen des Unternehmens, und sei es seinen Inhalten nach noch so technikgetrieben, als Grundlage beimisst.20 Die Betonung der Wichtigkeit der Sozialdimension oder auch: von Kommunikation spiegelt sich nicht zuletzt in Architektur und Gestaltung des BMW Werks Leipzig wider. In dessen Planung flossen nicht nur hinsichtlich Logistik und Produktionssteuerung die Erkenntnisse diverser früherer Fabrikbauten ein, sondern in Ergänzung dessen wurde ein besonderes Augenmerk auf die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander gelegt.21 Das von der Architektin Zaha Hadid konzipierte Zentralgebäude für die Mitarbeiter der Verwaltung, das zwischen den drei Kerntechnologien Karosseriebau, Lackiererei und Montage angesiedelt wurde, reflektiert in seinem Aufbau die Kommunikationswege, bietet viele Orte zum informellen Austausch und ermöglicht durch seine Offenheit eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme mit Kollegen der eigenen sowie anderer Abteilungen und auch Vorgesetzten. Alle können direkt visuell entweder von ihrem Arbeitsplatz aus oder spätestens beim Gang zum Betriebsrestaurant verfolgen, ob und wie die Fabrik aktuell funktioniert, denn durch die offene Bürolandschaft führen die Förderbänder, die die einzelnen Produktionsbereiche auf kürzestem Wege miteinander verbinden. De facto handelt es sich um ein einziges Großraumbüro mit etwa 600 Arbeitsplätzen, das jedoch durch seine Anlage über verschiedene Ebenen transparent und großzügig, aber dennoch strukturiert und nicht monumental wirkt. Auch die Führungskräfte bis hin zum Werkleiter haben kein eigenes, abgeschlossenes Büro, sondern lediglich einen Schreibtisch, der mit allen anderen Schreibtischen im Werk identisch ist. Für Besprechungen, vertrauliche Telefonate sowie als Rückzugsräume können Besprechungsräume wie auch sogenannte Think Tanks genutzt werden, kleine Einbauten aus Glas, mit textilen Elementen zur Dämpfung der Geräusche, die auf jeder Ebene zur Verfügung stehen.22 Die räumliche Anordnung der Abteilungen zueinander ent19 Vgl. Claussen im Interview N.N. (2005): „Gute Form kostet nichts“. Fabrik der Zukunft – Das Leipziger BMW-Werk von Zaha Hadid. In: art, H. 7. S. 35-37. 20 Vgl. Claussen 2012. 21 Vgl. N.N. 2005; Interview mit Peter Claussen: Hübner, Jörg (2008): Die Y-Organisation. In: Revue für postheroisches Management. H. 3, S. 50-55; Claussen 2012, Kapitel 6.3.2 Raum, S. 236ff. 22 Durch eine frühzeitige Simulation der Geräuschquellen und darauf aufbauende Gestaltung und Materialauswahl wurde ein niedrigerer Geräuschpegel an allen Arbeitsplätzen des Gebäudes erreicht, als in üblichen Gruppenbüros für z.B. vier Personen. Die Kommunikationsabteilung des Werkes hat bereits kurz nach Anlauf des Werkes Verhaltens-

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spricht deren fachlicher Verbundenheit, und zentrale Abteilungen wie Personalwesen und Kommunikationsabteilung sind in der Nähe des Haupteinganges und im Zentralgebäude zentral placiert, um für jedermann gleichermaßen gut erreichbar zu sein. Das gilt für Verwaltungsangestellte genauso wie für Mitarbeiter der Fertigung, die das Werk ebenfalls über das Zentralgebäude betreten, und nicht (oder nur zur Vermeidung größerer Umwege) wie sonst häufig über ein klassisches Werkstor. Fertigungs- und Verwaltungsbereich sind nicht nur räumlich und mittels der Förderbänder, sondern auch gestalterisch eng miteinander verbunden, indem es eine Durchgängigkeit der hochwertigen, aber einfachen Materialien und somit keine ‚gebaute‘ Hierarchie zwischen Zentralgebäude (Verwaltung) und Fabrikhallen (Fertigung) gibt: Wie zwischen den Arbeitsplätzen des Zentralgebäudes wird somit auch zwischen white und blue collars keine oder kaum eine vertikale Differenzierung qua Gestaltung zugelassen. Dies ist der Annahme geschuldet, dass es eine Wechselwirkung oder ‚Kommunikation‘ zwischen Artefakten (in diesem Falle: gestalteter materieller Umgebung) und den sich darin bzw. dazwischen bewegenden Menschen gibt.23 Kurz: Einem Mitarbeiter kann zwar verbal Wertschätzung entgegengebracht werden, doch wenn die umgebende Gestaltung eine andere Botschaft auszusenden scheint, so ist es wahrscheinlich, dass die verbal übermittelte Information dadurch relativiert und die Grundbotschaft damit entwertet24 wird. Besucher gelangen wie die Mitarbeiter des Werkes über das Zentralgebäude in das Werk hinein, und jeder Außenstehende kann dank einer gläsernen Fassade im Eingangsbereich auch von draußen einige Arbeitsplätze sowie die Karossen auf den Förderbändern sehen – verglichen mit dem oftmals eher abweisenden Charakter normaler Werkstore mit Schranke, die sich weit entfernt vom Kern des Geschehens befinden, eine symbolische wie reale Öffnung nach außen.25 Besucher – auch solempfehlungen für diese sehr spezielle Büroarchitektur ausgegeben. Zum Beispiel sehen diese vor, sich anderen Arbeitsplätzen immer so zu nähern, dass man frühzeitig bemerkt wird und bei Mobiltelefonen nach Möglichkeit nur den Vibrationsalarm einzuschalten u.ä. Ob sie Kontakt wünschen bzw. gut ansprechbar sind oder eher nicht gestört werden wollen, können Mitarbeiter weithin sichtbar machen, indem sie einen roten „Ampelmännchen“-Reflektor (im Sinne eines Stopp-Signals) an ihrer Schreibtischlampe aufhängen. 23 Zur Idee des „Mitteilungscharakters von Artefakten“ vgl. ebd., Kapitel 6.3, Unterpunkt Gestaltung materiell konstituierten Raums. 24 „Entwertet“ hier im Sinne der Kommunikationstheorie von Watzlawick et al. Vgl. Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H. et al. (2003): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Hans Huber, S. 75. 25 Diese war im Übrigen bereits während des Baus gepflegt worden, indem ein InfoPavillon am Rande der Baustelle aufgestellt und die Bewohner der umliegenden Ortschaften zu einem Nachbarschaftsfest eingeladen worden waren.

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che, die nicht in erster Linie automobilaffin sind – gibt es viele, denn neben der Funktionalität und Symbolik des Gebäudes insbesondere mit Blick auf die Transparenz des Produktionsprozesses sowie die Kommunikation aller im Werk tätigen Personen untereinander ist der Bau Zaha Hadids auch in seiner Ästhetik eindrucksvoll. Dieser Umstand bescherte BMW eine mediale Aufmerksamkeit auch jenseits der Wirtschaftsnachrichten; spätestens mit der Verleihung des Deutschen Architekturpreises an Zaha Hadid für das BMW Werk Leipzig26 war der Bau eines Automobilwerks Gegenstand des Feuilletons und diverser Kunstzeitschriften,27 nachdem Hadids Entwürfe vielen Experten aufgrund ihrer Extravaganz lange Zeit als nicht realisierbar galten. Im Rahmen der Werkseröffnung wurden eine Woche lang jeden Abend etwa 200 geladene Gäste – Vertreter von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie Kunden der umliegenden BMW-Niederlassungen und -Händler – durch das Werk geführt, wobei ihnen nicht nur der Produktionsablauf und die Besonderheiten der Fertigung im damals wohl weltweit modernsten Automobilwerk erläutert wurden, sondern sie auch in einen speziellen Kunstgenuss kamen: Die Fabrik wurde mit drei zeitgenössischen Tanzdarbietungen sowie einer Einlage der a cappellaFormation ensemble amarcord als Bühne bespielt.28 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass eine gewisse Offenheit für den Austausch mit der Umwelt bereits in der Grundanlage des Leipziger BMW-Werks enthalten war und in Person seines ersten Leiters Claussen in besonderer Weise gepflegt wurde. Neben der Einbindung in Wirtschaftsverbände und Kontakten mit Hochschulen nahm hier die Kooperation mit Kulturschaffenden und -organisationen einen besonderen Stellenwert ein. Vier dieser Kooperationen sind Gegenstand des empirischen Teils der vorliegenden Arbeit. Sie fallen allesamt in die Jahre 2005 bis 2008 und wurden von der Verfasserin im Rahmen ihrer Tätigkeit für das BMW Werk Leipzig begleitet. Die Fälle sind sehr unterschiedlich gelagert – sowohl hinsichtlich ihrer Zielsetzung als 26 Vgl. http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/B/deutscher-architekturpreis-auszeich nungen-1971-2007.html (1.1.2013). 27 Vgl. z.B. N.N. (16.12.2005): Leipziger BMW-Werk. Architekturpreis für Zaha Hadid. In: Der Spiegel; Enhuber, Regina: Car Bodies slide along above the Employees’ Heads – BMW focuses on Openness and Transparency. Zaha Hadid Architects – BMW Werk Leipzig – Leipzig. http://architecture.mapolismagazin.com/zaha-hadid-architects-bmwwerk-leipzig-leipzig (4.8.2012). 28 Vgl. die Schilderung zu Beginn der zweiten Fallstudie. Auf die Proben hierfür bezieht sich auch Claussen in N.N. 2005a: „Amarcord kam zum Soundcheck an einem Nachmittag um fünf. Dann haben die angefangen, hier hinten im Werk stehend, ein mehrstimmiges Madrigal zu singen. Erstmal konnte man so richtig merken, wie die Köpfe hochflogen – ja spinnen die jetzt hier? Eine halbe Stunde später gingen die Leute nicht mehr nach Hause, sondern setzten sich irgendwo hin und hörten dann stundenlang zu.“

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auch in ihrer konkreten inhaltlichen Ausgestaltung, der Zusammensetzung der Beteiligten und der Intensität der Kooperation sowie nicht zuletzt auch der jeweiligen Aufgabe oder Beteiligung der Verfasserin in bzw. an den jeweiligen Kooperationen. Ein systematischer Vergleich ist aufgrund dieser Heterogenität nicht möglich. Vielmehr sind die einzelnen Kooperationen als getätigte Experimente zu verstehen, mit denen mögliche Spielarten der Zusammenarbeit erprobt wurden. Insofern haben auch ihre Beschreibung und Auswertung eher explorativen Charakter und können in erster Linie Anregungen sowie Anhaltspunkte für die Bedingungen gelungener Kooperationen liefern – durchaus im Sinne einer Anregung zur eigenen Praxis, ausdrücklich nicht mit einem Anspruch auf Repräsentativität. Die Darstellung der Fälle erfolgt bei aller Unterschiedlichkeit entlang einem immer ähnlichen Muster: Zunächst werden sie eher deskriptiv aus der Perspektive der Verfasserin geschildert, bevor im zweiten Schritt die Ergebnisse der mit den Beteiligten geführten Interviews einfließen, womit erstens die Beobachtungsperspektive erweitert wird und zweitens die Reflexion beginnt. Dementsprechend sind auch die Interviews mit den Beteiligten aufgebaut: Nach der Bitte, die Kooperation entlang ihrem Entstehen, ihrem Ablauf und ihren Ergebnissen eher auf der Ebene der Phänomene zu beschreiben, wird im nächsten Schritt eine kritische Reflexion der jeweiligen Kooperation angesteuert und dann mit der Frage nach Verallgemeinerungspotential bzw. grundsätzlichen Erkenntnissen, die aus der Kooperation und deren Diskussion resultieren, geschlossen. Daran anschließend werden die einzelnen Fälle wiederum von der Verfasserin auf ihren Ertrag hin bewertet und in das oben eröffnete Spektrum der Kooperationsformen zwischen Kultur und Wirtschaft eingeordnet. Gelegentlich fließen hierbei auch Einschätzungen Claussens aus rückblickenden Gesprächen ein (zumeist als ergänzende Anmerkungen in Fußnoten aufgenommen). Bei den hier beleuchteten Kooperationen handelt es sich im Einzelnen um •





• •

die Partnerschaft mit dem Leipziger Festival a cappella und hier insbesondere einer Workshop-Reihe mit den Organisatoren zur Positionierung der eigenen Tätigkeit und zum Projektmanagement; die ähnlich gelagerte Partnerschaft mit dem Festival für zeitgenössisches Theater und Tanz aus Europa euro-scene Leipzig und hier insbesondere eine Workshop-Reihe zu Strategieentwicklung und daran anknüpfend Marketing und Öffentlichkeitsarbeit; eine Kooperation des BMW Werks Leipzig mit dem Leipziger Kulturzentrum die naTo im Rahmen eines Organisationsentwicklungsprojekts des BMW Werks Leipzigs zum Thema Führung. Als ein Sonderfall wird überdies noch geschildert werden: eine Initiative zu einem regelmäßigen Austausch Leipziger Kulturakteure, in deren Zusammenhang keine Interviews geführt wurden, in deren Rahmen jedoch

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einige Ideen zur Kooperation innerhalb des Kultursektors wie auch mit Unternehmen entwickelt wurden. Die ersten beiden Fälle sind – abgesehen von den konventionellen Sponsoringverträgen, die es hier ebenfalls gab – am ehesten der Kategorie des Mentorings zuzuordnen, da Unternehmensvertreter im weitesten Sinne eine Beratungsfunktion inne hatten, indem sie Prozesse moderierten und methodisch sowie inhaltlich auf Expertenwissen zurückgriffen.29 Im dritten Fall handelt es sich um eine Kooperation, die auf den ersten Blick wohl in den Bereich des Einsatzes von Kunst in der Organisationsentwicklung wie oben beschrieben fiele, allerdings trifft es das nicht ganz, da die Zusammenarbeit auf einer sehr viel breiteren Basis stattfand. Jedoch tritt hier die Kulturorganisation ganz klar als Dienstleister in Erscheinung. Dem vierten Fall ist mit den oben beschriebenen Mustern nicht beizukommen, tritt hier doch das Unternehmen bzw. sein Vertreter in erster Linie als eine vernetzende Kraft in Erscheinung. Daher wird dieses Projekt auch in etwas anderer Weise behandelt als die vorher genannten.

29 Vgl. zur Unterscheidung von Prozess- und Expertenberatung Kap. Organisationsentwicklung im Allgemeinen… im ersten Teil dieses Buches bzw. Boos et al. 2005.

Kooperation mit dem „a cappella-Festival“ Leipzig Erste Fallstudie

Seit 2006 besteht ein Sponsoringverhältnis zwischen dem a cappella-Festival1 und dem BMW Werk Leipzig. Das a cappella-Festival wurde 1997 von den Mitgliedern des ensemble amarcord gegründet, einem aus fünf ehemaligen Mitgliedern des Leipziger Thomaner-Chores bestehenden Vokalensemble. Das ensemble amarcord zählte damals noch zum vielversprechenden Nachwuchs, mittlerweile ist es eine etablierte Größe des a cappella-Gesanges und hat sich insbesondere im Bereich der geistlichen und weltlichen alten wie auch der zeitgenössischen Musik und der Arbeit mit lebenden Komponisten international einen Namen gemacht. Sein Repertoire erstreckt sich jedoch auch auf die Musik der Romantik sowie Vokaljazz und -pop. Obgleich nur zwei der Ensemblemitglieder akademisch ausgebildete Sänger sind,2 haben aber alle fünf Mitglieder die künstlerische Tätigkeit mit dem Ensemble zum Beruf und die jährliche Ausrichtung des Festivals zu einem arbeitsintensiven Hobby gemacht. Bei der Gründung war der Anspruch der Sänger, ein Festival zu schaffen, zu dem sie selbst immer gern eingeladen worden wären: von hohem künstlerischen Niveau, aber auch – entsprechend der eigenen Freude an einem breiten Repertoire – maximaler Vielfalt des Programms. Das Konzept erwies sich als erfolgreich, und so ist das Muster des Festivals über die Jahre nahezu unverändert geblieben: Es wird jeweils mit einem Konzert vom ensemble amarcord eröffnet, dann folgen eine Woche lange jeden Abend Konzerte, die von Vokalmusik des Mittelalters und der Renaissance über die traditionellen Gesangskulturen unterschiedlichster Weltregionen bis zu Vokaljazz und -pop reichen, an verschiedenen Spielstätten v.a. der Leipziger Innenstadt. Am Ende des Festivals steht immer ein Abschlusskonzert im großen

1 2

Vgl. http://www.acappella-leipzig.de/ (1.1.2013). Die Zusammensetzung des Ensembles hat sich zwischenzeitlich geändert, ein Absolvent der Musikhochschule ist hinzugekommen; ein Mediziner hat die Gruppe verlassen.

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Saal des Leipziger Gewandhauses, an dem in Abhängigkeit von Verfügbarkeit und Kosten möglichst viele der Gastensembles noch einmal mit einem kurzen Programmausschnitt teilnehmen und sich somit, sofern bis dahin noch nicht geschehen, auch gegenseitig zuhören können. Hier zeigt sich der Anspruch des Festivals besonders deutlich, stets auch Plattform für die Begegnung verschiedener Kulturen und Musikstile zu sein und dem Austausch der Künstler stets viel Raum zu geben. Dieses Ansinnen spiegelt sich auch in der Einrichtung eines Festivalcafés im einem Café in der Leipziger Innenstadt wider: Während der gesamten Festivalwoche ist ein Teil dieser gastronomischen Einrichtung nach den Konzerten stets für Teilnehmer und Besucher des Festivals geöffnet und lädt so zu Austausch und Begegnung von Künstlern und Publikum ein. Dies ist gewissermaßen die Weiterentwicklung oder zeitliche Ausdehnung des schon von Anfang an bestehenden Festes, das immer nach dem Abschlusskonzert stattfindet. Mit viel Optimismus, Engagement und Durchhaltevermögen war es den Ensemblemitgliedern und ihren Mitstreitern zum Zeitpunkt des Beginns der Partnerschaft mit BMW gelungen, die a cappella-Woche trotz gelegentlicher, aber teilweise durchaus massiver finanzieller Engpässe über zehn Jahre hinweg zu betreiben.3 Insbesondere in Anbetracht der zunehmenden Konzertreisetätigkeit des Ensembles sowie des gleichzeitigen Studiums war dies eine besondere Herausforderung, auch wenn viele Tätigkeiten von einer engagierten Fachkraft für Marketing und dem Manager des Ensembles sowie zahlreichen ehrenamtlichen Helfern und ‚StammPraktikanten‘ übernommen wurden. Das zunächst auf drei Jahre beschränkte, später dann auf fünf Jahre verlängerte Sponsoring durch das BMW Werk gab dem Team um amarcord mittelfristig ein Mindestmaß an finanzieller Sicherheit, die es ermöglichte, einen schon lang gehegten Wunsch in die Realität umzusetzen: die Gründung eines internationalen Nachwuchswettbewerbes für a cappella-Gesang im Rahmen des Festivals. Auch wenn dies nicht die Intention war, so steigerte die weitere Facette des Festivals dessen Attraktivität als Partner für BMW, insofern die Zukunftsorientierung noch deutlicher wurde. Nachdem das Festival im Mai 2006 bereits einmal mit BMW als Hauptpartner, aber noch ohne einen angegliederten Wettbewerb stattgefunden hatte, wurde den Festivalmachern seitens BMW in Person Claussens die Moderation eines Gruppenprozesses zur Ausrichtung des Festivals angeboten, insbesondere um den Wettbewerb von Anfang an in der vom Ensemble gewollten Weise erfolgreich aufzuset3

Anfänglich fand das Festival nur zweijährig statt, doch direkt nach einem finanziell katastrophalen Festivalverlauf (der Hauptsponsor war selbst in Nöte geraten und sah sich gezwungen, den Sponsoringvertrag kurzfristig aufzulösen) entschlossen sich die amarcordSänger, das Festival fortan jährlich stattfinden zu lassen – nicht zuletzt, um größere Kontinuität auch mit Blick auf die bestehenden Partnerschaften mit Unternehmen wie mit kooperierenden Kultureinrichtungen zu schaffen.

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zen. Dies resultierte aus der Vermutung Claussens, dass zwar innerhalb der Sängergruppe eine gleichermaßen große Begeisterung für die Idee eines Wettbewerbs als solchem herrschte, weniger jedoch gemeinsame Klarheit über Zielsetzung, Anspruch und konkrete Ausgestaltung vorhanden war. Die Verantwortlichen waren zu diesem Zeitpunkt die (damaligen) Mitglieder des Ensembles amarcord, sowie ferner der Manager des Ensembles und die Geschäftsführerin einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, die das Marketing und die PR des Festivals übernimmt. Weniger letztere als die Sänger nahmen dieses Angebot zunächst eher skeptisch, andererseits aber im Vertrauen auf das Wohlwollen des Sponsors an, so dass im Sommer 2006 einige Workshops mit dem Werkleiter und der Verfasserin bzw. einem anderen Mitarbeiter des BMW Werks und der Verfasserin stattfanden. Dabei ging es zunächst um das gemeinsame Erarbeiten einer Ausrichtung des Festivals für die Zukunft, um auf dieser Basis auch die Prämissen für die Konzeption des Wettbewerbs anzupassen, und danach und auf einer stärker operativen Ebene um das Aufsetzen eines tragfähigen Projektmanagements.4 Eine gemeinsame Ausrichtung und eine Verständigung über die Ziele des Unterfangens werden in der betriebswirtschaftswissenschaftlichen Literatur gewöhnlich als Strategieprozess bezeichnet, der das Formulieren einer Mission und einer Vision beinhaltet, wobei Mission freilich nicht im Sinne des Missionierens, sondern als ein (selbst) gegebener Auftrag und die Vision nicht als Trugbild, sondern als Wunschvorstellung eines herausfordernden Zielzustandes, den zu erreichen der Anspruch ist, verstanden werden. Der Zielzustand beinhaltet dabei nicht nur Zahlen, sondern beschreibt ein möglichst lebendiges Bild, und auch die Werte, die den Rahmen für alle Aktivitäten bilden. Klassischerweise wird aus der Vision im nächsten Schritt die Strategie abgeleitet, also die Vorgehensweise zum Erfüllung der Vision. Die Strategie wiederum kann dann auf einzelne Aktivitätenfelder und Maßnahmen heruntergebrochen werden, die ihrerseits zu Vision und Mission passen müssen. Für ein solches Vorgehen gibt es verschiedene Ansätze und Modelle, von denen hier eines herangezogen wurde, mit dem das Managementteam des BMW Werk Leipzigs gute Erfahrungen gemacht hatte, als es um die Erarbeitung des eigenen Anspruchs und der Ziele des neuen Standortes innerhalb der BMW Group und ihres Werksverbundes ging. Es handelt sich um den Ansatz James C. Collins’ und Jerry I. Porras’, den die beiden Autoren in einem 1996 im Harvard Business Review erschienenen Aufsatz anwendungsorientiert kondensiert haben:5 Collins und Porras gehen davon aus, dass „[c]ompanies that enjoy enduring success have core values and a core purpose that remain fixed while their business 4

Vgl. zum Projektmanagement in Kulturorganisationen Klein, Armin (2010): Projektma-

5

Collins, James C; Porras, Jerry I.: Building Your Company’s Vision (1996). In: Harvard

nagement für Kulturmanager. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. Business Review September-October. S. 65-77.

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strategies and practices endlessly adapt to a changing world“.6 Diese Kernwerte und der Auftrag eines Unternehmens bleiben gleich, sie bilden das Fundament für eine erfolgreiche Mischung aus Kontinuität und Wandel und die Entwicklung einer „vision“.7 Diese Vision beinhaltet im Konzept von Collins und Porras „core ideology“, also eine grundlegende Idee, und „envisioned future“, d.h. ein klares Bild davon, wie die Zukunft aussehen sollte: „Core ideology […] defines what we stand for and why we exist. [It] is unchanging and complements [...] the envisioned future. The envisioned future is what we aspire to become, to achieve, to create – something that will require significant change and progress to attain.“8 Die core ideology wiederum setzt sich zusammen aus den grundlegenden Werten („core values“) einer Organisation und ihrem (selbstgegebenen) Auftrag oder Existenzzweck („core purpose“). Wichtig ist, so betonen die Autoren, weniger welche die Kernwerte einer Organisation sind, als dass sie sich bewusst macht, welche Werte sie hat, die geteilt und gelebt werden. Zumeist handelt es sich nur um einige wenige Maximen, die der Organisationskultur zu eigen sind, die aber die Zeit relativ unabhängig vom Marktgeschehen überdauern. Der core purpose ist als selbst gegebener Auftrag nicht zu verwechseln mit Produktportfolios, definierten Kundensegmenten o.ä., sondern ist vielmehr eine Idee, die das Unternehmen bedient – während sich die konkreten Produkte oder Angebote, die es seinen Kunden macht, im Laufe der Zeit und entsprechend dem Marktgeschehen durchaus verändern können.9 Als Beispiele für solche verdichteten Ideen von einem Unternehmenszweck nennen Collins und Porras u.a.„to experience the emotion of competition, winning, and crushing competitors“ (Nike), „to give ordinary folk the chance to buy the same 6

Ebd., S. 65.

7

Vgl. ebd., S. 66. Vision trifft es wie gesagt im Deutschen nicht ganz, besser übersetzt wäre der Terminus mit einem Wunschbild der Zukunft. Der besseren Lesbarkeit halber wird im Folgenden jedoch von auch im deutschen Text von Vision die Rede sein.

8 9

Ebd., S. 66. BMW beispielsweise hat darauf mit dem Anspruch reagiert, nicht etwa führender Premium-Automobilhersteller, sondern, so steht es in der aktuellen Unternehmensstrategie, „Premiumanbieter für individuelle Mobilität und Mobilitätsdienstleistungen“ zu sein, womit klar auch Geschäftsfelder außerhalb von oder in Ergänzung zu Automobilentwicklung, -produktion und klassischem Vertrieb adressiert sind. Vgl. http://www.bmwgroup. com/d/0_0_www_bmwgroup_com/verantwortung/kennzahlen_und_fakten/sustainable_v alue_report_2010/einzelne_kapitel/11670_SVR_2010_dt_OnlineVersion_01_Nachhaltig es_Wirtschaften.pdf (30.12.2012); Schlesiger, Christian; Seiwert, Martin (4.11.2011): Deutschlands schnellste Städte. Ein exklusives Ranking zeigt Deutschlands schnellste und langsamste Städte. Autohersteller, Bahnbetreiber und Technologiekonzerne wollen den Nahverkehr jetzt revolutionieren. Ihr Vorbild: Apple und Google. In: WirtschaftsWoche.

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things as rich people“ (Wal-Mart) und „to solve unsolved problems innovatively“ (3M).10 Als Weg dorthin empfehlen die beiden Autoren, (sich) oft genug die Frage zu stellen, warum das, was die Organisation tut oder erbringt, langfristig wichtig oder zumindest sinnvoll erscheint11 und dazu hypothetisch zu überlegen, was beispielsweise auch unter einem Austausch des Leitungsteam noch immer und weiterhin bestehen sollte. Dabei handelt es sich Collins und Porras zufolge weniger um ein Erstellen oder die Schaffung eines Zwecks, sondern vielmehr um dessen Freilegen und Explizieren.12 Dieser Purpose hilft intern Orientierung zu geben,13 bildet aber darüber hinaus auch die Basis für eine kohärente nach außen gerichtete Kommunikation wie etwa Marketingmaßnahmen. Der zweite Bestandteil der Vision nach Collins und Porras ist das ambitionierte Langzeitziel, das sich Unternehmen geben sollten. Die zu beantwortende Frage ist hier, wie die Organisation in 10 bis 30 (!) Jahren aussehen soll und welche Erfolge sie bis dahin idealerweise errungen haben wird. Hilfreich ist dabei den beiden Autoren zufolge eine lebendige Beschreibung dieses Zustandes sowie „a certain level of unreasonable confidence and commitment“.14 Als Beispiele nennen sie „Become the company most known for changing the worldwide poor-quality image of Japanese products“ (Sony, Anfang der 1950er Jahre), „Crush Adidas“ (Nike, 1960er Jahre) und „Become the Harvard of the West“ (Stanford Universität, 1940er Jahre).15 Die Zukunftsvorstellung bzw. das Zukunftswunschbild ergänzt die Core Ideology, die Kombination von Existenzgrund und geteilten Wertvorstellungen, und gemeinsam bilden sie die Vision des Unternehmens. Collins und Porras stellen dies mit Hilfe eines Yin-Yang-Bildes dar (vgl. Abb. 5).

10 Collins et al. 1996, S. 69. 11 Es geht also um eine Selbstbeschreibung des Systems. 12 Vgl. ebd., S. 70. 13 Vgl. ebd., S. 71. 14 Vgl. ebd., S. 75. 15 Ebd., S. 72.

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Abbildung 5: Ineinandergreifen von core ideology und envisioned future gemäß Collins’ und Porras’ Building Your Company’s Vision.



Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Collins et al. 1996, S. 67.

Das alles mag recht ‚amerikanisch‘ anmuten im Sinne des Glaubens an den eigenen Traum, für den nur hart genug gearbeitet werden müsse. Dieser Duktus soll hier nicht negiert werden. Dennoch ist ein unbestreitbarer Effekt der Anwendung von Collins’ und Porras’ Konzept, dass die daran Beteiligten ein gemeinsames Bild von ihrer Aufgabe, dem, was sie gemeinsam und auch wie sie dies erreichen wollen, erzielen. Diese intersubjektive Verständigung stärkt nicht nur das gemeinsame Verständnis des Unternehmens (hier nicht synonym mit Firma, sondern auch und gerade verstanden als Unternehmung), sondern hilft – einmal intensiv und vorerst erschöpfend diskutiert – auch als Rahmen oder Prüfstein für weitere Entscheidungen. An jeder Weggabelung kann gefragt werden: Entspricht das dem Kern unseres Ansinnens? Wie müsste eine Lösungsalternative aussehen, die zu unserer Idee, von dem was wir tun, passt?16 Betrachtet man die von den beiden Autoren empfohlene Vorgehensweise als eine Möglichkeit der Herangehensweise bzw. als Hilfestellung bei der Formulierung klarer Ziele für ein größeres Vorhaben, so erscheint eine Übertragung des Ansatzes auf ein kleines Festival der freien Musikszene durchaus sinnvoll – zumal in der Si-

16 Um an das oben ausgeführte systemtheoretische Instrumentarium anzuknüpfen, geht es um die Entscheidung über Entscheidungsprämissen.

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tuation des Nachdenkens über eine Erweiterung um einen internationalen Wettbewerb. In der Kulturmanagementliteratur wird vielfach ein Strategiedefizit oder der Mangel an klaren Zielen im Kultursektor beklagt,17 was sich Haselbach et al. zufolge denn auch in einem veralteten Handlungsinstrumentarium niederzuschlagen droht: „Kultureinrichtungen, die kein Bild von ihrer eigenen Zukunft haben, werden neuen Situationen immer mit Mitteln der Vergangenheit zu begegnen suchen.“18 Um wiederum ein eigenes Zukunftsbild entwerfen zu können, bedarf die Kulturorganisation wiederum zunächst „eine[r] Vorstellung von sich selbst, ihrer Rolle und ihrem Markt“.19 Befördert wird diese möglicherweise insbesondere dann, wenn Kulturorganisationen bereits auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurückblicken, die ihnen als starke Marke anstelle eines Kernzwecks dient – z.B. im Falle erfolgreicher Orchester oder Stadttheater mit Monopolstellung im kommunalen Unterhaltungsangebot. In diesen Fällen erscheint es kaum erforderlich, sich mit Auftrag, Zweck und Werten zu beschäftigen, schließlich liegt der Zweck der Organisation doch mindestens seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten (vermeintlich) auf der Hand und hat nie einer Erklärung bedurft.20 In Zeiten eines rasant wachsenden und ortsunabhängigen Unterhaltungsmarktes sowie hochverschuldeter kommunaler Haushalte stehen Kulturorganisationen allerdings in der Gefahr, die Selbstverständlichkeit ihrer Existenznotwendigkeit im Sinne eines „Theater muss sein!“21 einzubüßen. Damit sind sie zu einer bewussten (Neu-)Ausrichtung oder ‚Strategieentwicklung‘ bzw. zur Selbstverpflichtung auf die Erreichung bestimmter Ziele vielfach geradezu gezwungen – entweder um ihrer selbst oder ihrer Legitimation gegenüber dem öffentlichen Geldgeber willen. „In Zeiten rückläufiger öffentlicher Ausgaben und zunehmender, miteinander konkurrierender Freizeitangebote sowie angesichts eines Trends zur Unterhaltungsgesellschaft benötigen Kultureinrichtungen mehr denn je klare und in die Zukunft gerichtete Handlungspläne, die die Bedürfnisse der potenziellen Kulturkonsumenten einbeziehen. Vor allem wegen immer knap-

17 Vgl. Klein 2011, S. 67ff. und die dort zitierten Autoren. 18 Haselbach et al. 2012, S. 65. 19 Ebd., S. 66. 20 Vgl. Drucker 1992, S. 99. 21 So eine gleichnamige, Anfang der 1990er Jahre lancierte Kampagne des Deutschen Bühneverbandes, was die Berliner Sophiensaele wiederum zum Anlass nahmen, provokativ zu erklären „Theater muss nicht sein.“ Vgl. hierzu Wagner, Bernd: „Theater muss sein“. Aber zu welchem Preis und wie? In: Kulturpolitische Mitteilungen 2003, H. 103. S. 48-51.

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Die hier eingesetzten Begrifflichkeiten „Ziele“ und „Handlungspläne“ rekurrieren auf die klassische Pyramide, an deren Spitze die Vision (wo wollen wir hin?) steht, und von der heruntergebrochen eine Strategie (wie gelingt das?) formuliert wird, die wiederum den einzelnen Aktivitäten im Sinne des operativen Geschäfts übergeordnet ist (welche Maßnahmen wenden wir an?). Wird derlei Instrumentarium im Kultursektor angewendet, ruft dies mitunter Skepsis hervor.23 Schließlich sei die Kunst nicht planbar, Ziele schränkten die (künstlerische) Freiheit ein etc. – oder aber: Mit solchen Selbstverständlichkeiten müsse man sich nicht beschäftigen. Demgegenüber geht es jedoch zumindest im Idealfall nicht darum, dass die Kunst als solche zielgerichtet sein und einer Strategie entsprechen müsste, sondern um die Prozesse ihrer Organisation und Provision, ein von den beteiligten Akteuren geteiltes Bild als Handlungsorientierung. Die Ziele selbst unterscheiden sich inhaltlich gegenüber dem Profit-Sektor, zumindest wird es im nicht-kommerziellen Kulturbereich nicht um Werte wie etwa die Absicherung einer angemessenen Verzinsung des von Kapitalgebern eingesetzten Kapitals oder Ratings zur Kapitalbeschaffung gehen – aber zum Beispiel um eine bestimmte thematische oder stilistische Ausrichtung, um Resonanz bei Publikum, Feuilleton oder Fachpresse, um eine schwarze Null oder im Falle von mit öffentlichen Geldern unterstützen Unternehmen: um die erfolgreiche Erfüllung eines öffentlichen Auftrags.24 Wenn Werner Heinrichs schreibt, „Managementhandeln ist durchaus nicht vorrangig ein gewinnorientiertes Handeln; es ist primär immer ein zielorientiertes Handeln,“25 so gilt das nicht nur, aber sicher in besonderer Weise für den Kulturbereich. Schließlich geht es hier doch um Inhalte, mitunter auch um Sendung sowie um einen bestimmten Anspruch in Bezug auf die Qualität, denen es gerecht zu werden gilt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund knapper Ressourcen, denn wenn nur wenige Mittel zur Verfügung stehen, dann sollte umso klarer sein, wo die Prioritäten bei deren Einsatz liegen und wo der größte Gewinn in Hinblick auf die

22 Cordes, Jens; Schimkus, Katja (2005): Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen. Studienbrief 2-080-0311. Brandenburg, S. 5. 23 Vgl. Schneidewind, Petra (2006): Betriebswirtschaft für das Kulturmanagement. Ein Handbuch. Bielefeld: Transcript, S. 9. 24 Vgl. Cordes et al. 2005, S. 10. 25 Heinrichs, S. 5. Vgl. Zur „Bedeutung des Zielsystems” im Kulturbetrieb Schneidewind 2006, S. 20-26; Klein 2011, S. 67ff.

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eigenen Ziele zu erwarten ist.26 Unabhängig von der organisatorischen Verfasstheit ist es also hilfreich, ein gemeinsames Zielbild, eine „Vision“ im Sinne eines herausfordernden Zukunftsentwurfs (immer bezogen auf Was und Wie) zu haben27 – und zwar nicht nur im Sinne eines Einschwörens der Mannschaft auf eine gemeinsame Ausrichtung, sondern in der Ableitung auch und gerade mit Blick auf Außendarstellung und Marketing sowie Controlling (verstanden als interne Steuerung): So können denn „das Handeln der Mitarbeiter von Kultureinrichtungen zweck- bzw. zielorientiert“ und ihre „Aktivitäten […] darauf ausgerichtet sein, die explizit formulierten oder auch nur die implizit existenten Ziele zu erreichen“.28 Zurück zum a cappella-Festival: Ausgehend also von der Überzeugung, dass ein gemeinsames Bild des zu Erreichenden bei allen weiteren Aktivitäten hilfreich wäre, wurde dem ensemble amarcord ein durch Vertreter des BMW Werks moderierter Workshop angeboten, in dem es um das gemeinsame Erarbeiten resp. Freilegen der Vision im Ensemble gehen sollte – insbesondere wie gesagt auch mit Blick auf den für das Folgejahr zu konzipierenden Wettbewerb. Dieses Angebot schlugen die Macher des Festivals nicht aus, und es mündete schließlich sogar in eine ganze Reihe von Workshops im BMW Werk Leipzig, bei denen das stattfand, wofür im Alltagsgeschäft und Aufrechterhalten des Betriebs kaum Gelegenheit ist: bewusst einen Schritt zurück zu treten, um von einem anderen Standpunkt aus, mit einer er-

26 Vgl. Drucker 1992, S. 6, S. 10f.: „Non-Profit organizations have no ‚bottom line‘. They are prone to consider everything they do to be righteous and moral and to serve a cause, so they are not willing to say, if it doesn’t produce results then maybe we should direct our resources elsewhere. Non-profit organizations need the discipline of organized abandonment perhaps even more than a business does. They need to face up to critical choices.“ 27 Drucker hat dies mit Blick auf Non-Profit-Organisationen herausgearbeitet. Vgl. ebd. 28 Cordes et al. 2005, S. 9. Abstrakter, nämlich systemtheoretisch bzw. bezogen auf Organisationen als soziale Systeme formuliert ist die (Erarbeitung der) Vision ein Versuch, System/Umwelt-Unterscheidungen explizit zu machen, indem über Zugehörigkeit und nichtZugehörigkeit, Dos and Don’ts, Passung oder nicht-Passung innerhalb der Organisation diskutiert wird. Der Core Purpose im Sinne Collins und Porras’ wäre dann aussagekräftig hinsichtlich der Sachdimension der Redundanzsicherung, die die Anzahl der von der Organisation zu bearbeitenden Themen begrenzt. Die Core Values hingegen spiegeln (zumindest teilweise, nämlich insofern sie explizit wird) die Sozialdimension der Redundanzsicherung wider. Denn die Frage danach, wie zusammengearbeitet werden soll, schlägt sich zum Beispiel in der Festlegung von Kommunikationswegen oder der Belohnung oder Sanktion bestimmter Verhaltensnormen nieder, den Prämissen von Entscheidungen also. Vgl. Meyer et al. 1996.

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weiterten Perspektive die Entwicklung einer langfristiger Konzeption anzugehen.29 Dies ist in Privatwirtschaft und Non-Profit-Betrieben gleichermaßen der Fall: In der Regel müssen tatsächlich ganz bewusst zeitliche oder auch räumliche Inseln geschaffen werden, die außerhalb des sprichwörtlichen Hamsterrades des Tagesgeschäfts die Möglichkeit eröffnen, ungestört an neuen Ideen oder eben einer Strategie zu arbeiten. Um überdies dem typischen Termindruck und der Zeitnot des Festivalgeschäfts Rechnung zu tragen, fand neben den Workshops zum Selbstverständnis auch eine stärker praxisorientierte Einheit zum Projektmanagement statt. Die Workshops zu Mission und Vision wurden jeweils vom Leiter des BMW Werks und der Verfasserin moderiert, die Einheit zum Projektmanagement übernahm einer der für das Projektmanagement des Werks Verantwortlichen, der das Projekt Werk Leipzig von der Planungsphase und dem Werksaufbau bis hin zum Regelbetrieb begleitet hatte. Während es in den Workshops zum Projektmanagement um die Vermittlung eines Methodenrepertoires geht, also Inhalt vermittelt wird, wird in den Workshops zur Mission und Vision das Selbstverständnis des Festivals formuliert. Damit beschränkte sich notwendigerweise die Rolle der BMW-Mitarbeiter auf die Moderation, d.h. die Prozessbegleitung (des Entwicklungsprozesses im Team der Veranstalter). Eine inhaltliche Beteiligung der Moderatoren und erst recht eine inhaltliche Einflussnahme auf den Diskussionsprozess verbietet sich in diesem Fall nach dem zugrundeliegenden Verständnis einer professionellen Prozessbegleitung. Ganz konkretes Ergebnis der Workshops war ein (1) in langem Ringen von den Ensemblemitgliedern erarbeiteter kurzer, prägnanter Text, in dem der Kern des a cappella-Festivals beschrieben ist und der fortan als Referenz für kommunikative Maßnahmen (z.B. Kontaktaufnahme mit möglichen Sponsoren, Selbstdarstellung gegenüber der Presse etc.), also ein Marketingkonzept, aber auch für neue Aktivitäten und Vorgehensweisen bei Planung und Umsetzung des Festivals und des Wettbewerbs herangezogen wurde. Dieses Mission Statement ist demnach kein Selbstzweck, sondern wirkt, weil es gemeinsam entwickelt die Grundüberzeugungen des Teams formuliert und daraus seine Legitimation und Bindungskraft bezieht. Außerdem wurden (2) sehr konkrete Überlegungen zur Ambition und Konzeption des Nachwuchswettbewerbs unternommen, wobei der Anspruch war, eine eindeutige Passung zu den Anliegen des Festivals zu erzielen. Daher wurden als Anforderungen nicht nur inhaltliche Vielfalt und Internationalität, sondern auch das Erreichen eines Qualitätsstandards bereits bei der ersten Durchführung, der dem bereits etablierten Festival gerecht werden würde, abgeleitet. In der Diskussion kris29 Vgl. Peez, Georg: Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagementaspekte in der kulturellen Bildung. Eine kritische Betrachtung gegenwärtiger Kontrollmechanismen und Managementkonzepte für kunst- und kulturpädagogische Einrichtungen. Außerschulische Kunstpädagogik zwischen Autonomie und Systemzwängen. http://www.georgpeez.de/ texte/oe.htm (15.8.2011).

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tallisierte sich ein Argumentationsmodell heraus, das in untenstehender Graphik (Abb. 6) dargestellt ist. Der Wettbewerb wird dabei als teilautonomer Zweig des Festivals konzipiert, der in erster Linie der Nachwuchsförderung dient (die im Festival zwar Anliegen, nicht aber Hauptaufgabe ist) und sich im Sinne einer Komplettierung sowie durch seine wahrnehmungssteigernde Wirkung positiv auf das a cappella-Festival auswirkt. Abbildung 6: Zweck des Wettbewerbs im Zusammenspiel mit dem Festival (Ergebnis des Workshops vom 14.8.2006).

Überdies entstand (3) ein detaillierter Projektplan, der bei der Planung des Festivals hilft. In einem solchen Projektplan sind Logik und Abhängigkeiten der notwendigen Voraussetzungen zur Erledigung der verschiedenen Aufgaben unter Berücksichtigung der zeitlichen Folge und des zu veranschlagenden zeitlichen Aufwandes detailliert beschrieben. Der Plan resultiert aus den Erfahrungen der vergangenen Festivals, die in gemeinsamer Diskussion erfasst und bewertet werden, und kalkuliert bis zu einem gewissen Grad auch Unwägbarkeiten ein. Ein solcher Plan kann gelegentlichen Improvisationsbedarf nicht verhindern, denn regelmäßig ergeben sich kurzfristige Anpassungserfordernisse, und es entstehen immer auch unvermu-

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tete Probleme.30 Jedoch können überflüssige ‚Feuerwehraktionen‘ eingedämmt werden genauso wie Unmut, der aufgrund fehlender Klarheit in der Aufgabenteilung entsteht. Der Projektplan ist nicht statisch, sondern kann und muss entsprechend den jeweils aktuellen Gegebenheiten angepasst werden, bietet den Machern des a cappella-Festivals jedoch immer ein Gerüst für dessen sorgfältige Planung, Vorbereitung und Durchführung. Bei der Erstellung dieses Plans wurde, wie im Projektmanagement üblich, vom Zielzeitpunkt ausgegangen, einige Meilensteine, also Zwischenziele festgelegt – z.B. Anfertigung des Mittelverwendungsnachweises des vorhergehenden Festivals bis zum Termin X; der Adventsbeginn als Beginn des Eintrittskartenvorverkaufs; zwei Fristen zur Einreichung von Förderanträgen bei Stadt und Land; die Auswahl der Praktikanten X Wochen vor Festivalbeginn; der Druck der Programmhefte bis X Wochen vor Festivalbeginn u.ä. (je nach Abhängigkeit von externen Faktoren bzw. Datum des Festivals). Dann wurde rückwärts gerechnet, wie viel Vorlauf die einzelnen Meilensteine benötigen. Dazu wurden wiederum die zu erbringenden Leistungen in einzelne Schritte unterteilt, diese den einzelnen Verantwortlichen zugeordnet und die Abhängigkeiten und Zusammenhänge mit beeinflussbaren und nicht zu beeinflussenden, externen Faktoren aufgezeigt. Zu beeinflussende Faktoren sind all jene, die komplett in der Hand der eigenen Mannschaft liegen wie zum Beispiel das Update der eigenen Website. Nicht zu beeinflussende Faktoren sind beispielsweise die Tage, die der Druck des Programmheftes in Anspruch nimmt oder die Wochen, die einzukalkulieren sind, bis ein Ensemble aus Kuba oder Algerien vollständig mit den notwendigen Visa ausgestattet ist. Das gemeinsame Erarbeiten umfasste die Benennung und Beschreibung aller zu erledigenden Aufgaben und zu berücksichtigenden Voraussetzungen mit dem zu erwartenden Zeitaufwand. Dazu wurden stichwortartige Beschreibungen auf Moderationskarten oder Klebezetteln vermerkt, die nach unterschiedlichen Aufgabenbereichen gruppiert (z.B. Budget; Öffentlichkeitsarbeit; Säle und Technik etc.) auf einer Zeitleiste mit Kalenderwochen auf einer Moderationswand angeordnet wurden. So konnte visuell einerseits Transparenz hergestellt werden über alle anstehenden Aufgaben und deren zeitliche Dimension, aber auch über die auf die einzelnen Akteure entfallenden Arbeitspensen, und diese wiederum gemeinsam reflektiert und bewertet werden. Mit der Erfahrung von einigen Festivaljahren konnten die Macher schnell benennen, wo es in der Vergangenheit mitunter inhaltlich oder zeitlich gehapert hatte, wo Risiken versteckt oder offensichtlich sind und wo demnach Verbesserungen sinnvoll wären. Einige Aufgaben wurden daraufhin geprüft, ob sie nicht zumindest in Teilumfängen 30 Vgl. auch normativ Heinrichs 1993, S. 157: „Natürlich kann Improvisation notwendig werden, und jeder Kulturmanager sollte auch über gewisse ‚Improvisationskünste‘ verfügen, aber eine Improvisation, die zur Dauereinrichtung wird, sollte nicht das Bild von einem professionellen Kulturmanagement prägen.“

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anders aufgeteilt werden können, um besonders vielbeschäftigte Akteure zu entlasten. Überdies wurde – wenig überraschend – als ein vielfach wiederkehrendes Hemmnis beim reibungslosen Ablauf die unzureichende Kommunikation zwischen allen Beteiligten identifiziert. Der Projektplan (von der Moderationstafel übertragen in ein einfaches Gantt-Diagramm in einer Excel-Datei) und die daran gekoppelte Liste offener Punkte mit klaren Terminvorgaben und Verantwortlichkeiten wurden so zu einer neuen und von den Beteiligten für bindend erklärten Grundlage für den Austausch untereinander und die Arbeitsorganisation jedes Einzelnen. Für komplexere Einzelaufgaben wurden zumindest exemplarisch Checklisten erstellt, die alle zu erledigenden und zu beachtenden Einzelaspekte der Aufgabe beinhalten, um bekannte Fehlerquellen zu vermeiden und eine von konkreten Personen möglichst unabhängige Übergabe von Aufgaben zu ermöglichen. Ausgehend von den jeweils anstehenden Aufgaben wurden im Projektplan außerdem Termine im Projektablauf festgelegt, zu denen gemeinsame ‚Haupttreffen‘ des gesamten Organisationsteams erforderlich sein würden. In der Vergangenheit hatte es sich oftmals als schwierig erwiesen, kurzfristig Termine zu finden, an denen sowohl amarcord-Sängern als auch Management- und Marketingverantwortlichen eine Teilnahme möglich gewesen wäre, was wiederum unnötige Kommunikationsengpässe schuf. In Notfällen, so wurde vereinbart, sollte versucht werden, zusätzliche Treffen außer der Reihe zu organisieren – und sei es nur als Telefonkonferenz. Überdies legten die Festivalmacher gemeinsam Spielregeln für ihre Treffen und ihr Projektmanagement fest wie z.B. die rechtzeitige Eskalation von Problemen, die Diskussionsdisziplin in den Treffen, um die wenige gemeinsame Zeit zielführend zu nutzen und das Setzen und Nachhalten von Checkpunkten (Stichtagen) und Fristen. Abbildung 7: Spielregeln, die sich die Festivalmacherim Rahmen des Projektmanagement-Workshops am 19.9.2006 gaben.



Gesprächsdisziplin



präzise Fragen stellen



Besser Möglichkeiten und Vorschläge einbringen anstatt darauf zu warten, dass andere es tun



Termine/Deadlines setzen



Immer wieder fragen „Sind wir da, wo wir sein wollen?“



Wer macht was? Immer festhalten, wer der Verantwortliche ist



Wissensmanagement (Fehler nicht zweimal machen)



logisches terminliches Rückgrat (ggf. zwischendurch justieren)



Nicht erst agieren, wenn’s brennt!

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Die Verfasserin hat sich fast ein Jahr nach Abschluss der Workshop-Reihe bzw. nach erfolgreicher Durchführung des Folgefestivals und des ersten internationalen a cappella-Wettbewerbs mit zwei Vertretern des Ensembles amarcord getroffen, um die geschilderte Zusammenarbeit mit den Vertretern des BMW Werks vor diesem Hintergrund zu reflektieren.31 In dem Gespräch ging es zunächst darum, die Ausgangssituation zu rekonstruieren, um sich mental wieder in die damalige Situation zu begeben bzw. die Erinnerung wachzurufen, dann den Prozess und dessen Ergebnisse zu beschreiben sowie abschließend allgemeine Überlegungen zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen anzustellen. Start mit Skepsis und Neugier Gefragt, wie es zu der Zusammenarbeit kam, berichtet IP1, dass Claussen während des Festivals 2006 „ganz unverbindlich und vorsichtig“ gefragt habe, ob es seitens der Festivalmacher Interesse gebe an einem Workshop, bei dem man auf Basis der BMW-Erfahrungen Erkenntnisse zum Projektmanagement, aber auch zu einem gemeinsamen Zielbild erarbeiten könne – gerade vor dem Hintergrund des geplanten a cappella-Nachwuchsfestivals. Warum er diesen Vorschlag gemacht habe, erklären sich die Sänger damit, dass sie ein bisschen erzählt hätten „wie wir das so aufbauen und organisieren“, und Claussen daraus abgeleitet habe, „dass da noch etwas verbesserungswürdig ist“, das habe er „erfühlt“ oder „durch Fragen herausbekommen“ [IP1]. Das Angebot war teils mit Neugier teils auch mit Skepsis angenommen worden. Einerseits gab es ein gewisses Vertrauen in das Wohlwollen und die Sensibilität der Person Claussen, andererseits die Sorge, das laufende Festival werde vom Sponsor BMW als nicht überzeugend genug wahrgenommen. Schließlich seien nicht alle vorherigen Sponsoringerfahrungen der Festivalmacher positiv gewesen, und auch eine gewisse Sorge, der Sponsor wolle sich in die künstlerischen Angelegenheiten einmischen, schwinge immer mit: „Der Künstler sieht da, glaube ich, immer schnell eher die hehre Kunst in Gefahr und begibt sich sowieso nicht allzu gern in die Hände des Sponsors, wo man ja auch oft nicht so genau weiß, was er denn als Gegenleistung erwartet und was sich vielleicht auch im Nachhinein noch ändern kann, wenn einmal die Leistung zugesagt ist, aber noch nicht so klar ist, was wird erwartet, was kann vielleicht sich auch noch entwickeln unter einem gewissen Druck sozusagen, was müssten wir dann geben.“ [IP2]

31 Gespräch am 1.4.2008. Die Interviewpartner werden im Folgenden IP1 und IP2 genannt. Alle in Anführungszeichen stehenden sowie eingerückten Textpassagen sind – sofern nicht anders gekennzeichnet – wörtliche Zitate aus diesem, von der Verfasserin geführten Interview.

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Positiv sehen beide Sänger, dass das Ganze „partnerschaftlich“ als „Angebot“ formuliert und nicht aufgedrängt gewesen sei, wenngleich sie glauben, dass die anfängliche Skepsis ihrer Kollegen mit einer etwas konkreteren Darstellung des Vorhabens schon im Vorfeld hätte vermieden oder entschärft werden können. So habe es bei einigen Ensemblemitgliedern zunächst eine diffuse Ablehnung gegeben, die sich gegen die vermeintliche Einmischung von außen und die Empfehlung unnötiger Maßnahmen gerichtet habe. Bei den beiden Interviewpartnern habe aber letztlich die Neugier angesichts einer doch ungewöhnlichen Situation überwogen: „Denn überspitzt gesagt sind wir ja fünf oder sechs a cappella-Sänger, die in eine Autofabrik gehen, um dort einen Workshop zu bekommen… Was wollen die uns jetzt sagen?“ [IP2, Herv. d. Verf. gemäß Betonung]. Dennoch hätten sich alle Beteiligten, nämlich amarcord-Sänger, Manager und Marketingverantwortliche „ziemlich schnell drauf eingelassen“ [IP1], und es wurde, wie oben bereits dargestellt, im Rahmen von Workshops begonnen, das herauszuarbeiten, was das a cappellaFestival genau ausmacht, um darauf basierend auch den Wettbewerb konzipieren und entsprechend einpassen zu können. Prozess und Wirkung Den Prozess der Erarbeitung von Vision und Mission in der Gruppe haben beide Interviewpartner in verschiedener Hinsicht positiv in Erinnerung. Gefallen hat ihnen, dass sie im Rahmen der Workshops (beim ersten allein blieb es wie beschrieben nicht), jeweils einige Stunden komplett „abgetaucht“ [IP2] seien in der gemeinsamen Beschäftigung mit dem Sinn ihres Tuns. Normalerweise gebe es „so viele alltägliche Verrichtungen und so viel Betrachten von innen heraus, […] dass wir uns nie mal die Zeit genommen haben, mal so von außen draufzuschauen“ [IP2]. Die gemeinsame Beschäftigung mit dem eigenen Tun und dessen Zielen sei für alle Beteiligten aufschlussreich gewesen, insofern jeder der Festivalmacher seine persönliche Wahrnehmung in die Diskussion eingebracht habe. Zuvor sei dieser Austausch eher ein impliziter gewesen. Zwar wurden bei der Diskussion keine ganz grundsätzlichen Differenzen offenbar, wohl aber die durchaus unterschiedliche Gewichtung einzelner Gesichtspunkte – „Das war eher dissonant!“ [IP2] –, die dann jeweils ausgiebig diskutiert wurden und sich teilweise als Facetten des Festivals in der Beschreibung der Core Ideology wiederfinden.32 Das Sammeln all der Aspekte, für die das Festival steht, ganz zu Anfang des ersten Workshops erfüllte die Macher auch mit Stolz auf das bisher Erreichte – ein Aspekt, der von den Interviewpartnern mehrfach angesprochen wurde:

32 Nicht abschließend geklärt wurde die Frage, ob der Standort Leipzig ein unbedingter Bestandteil des Festivals sei oder nicht.

254 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS „Ich erinnere mich an die große Wandtafel, an die wir dann alle diverse Begriffe erst mal im Brainstorming-Verfahren geworfen haben, um zu gucken, wofür steht das.33 Interessant war das dann zu sehen, was einzelne denken, denn […] das artikuliert man ja zum Teil noch nicht mal für sich selbst, geschweige denn untereinander. Und das in der großen Runde an einer Tafel geschrieben zu sehen, das entwickelt dann noch mal eine eigene Kraft. […] Man wird sich dann auch noch mal bewusst, was man da eigentlich tut. […] Mensch, da kommt einiges zusammen. […] Das tut auch irgendwie gut, ohne dass man sich in der Selbstzufriedenheit ausruht, aber einfach mal zu sagen, da haben wir was aufgebaut, aber was ist es eigentlich genau?“ [IP2]

Auf die Frage, ob ihnen dies denn nicht bereits vorher klar gewesen sei, erklärt IP2, dass es schon der künstlich geschaffenen Situation bedurft habe, um „das so in der Konzentration vor Augen zu sehen“. Beide Sänger fühlen sich an einen Zeitpunkt erinnert, als der jetzige Manager des ensemble amarcord sich selbständig machte und genau von den Ensemblemitgliedern wissen wollte, was ihre Pläne und Absichten seien, mit welcher Ernsthaftigkeit und mit welchem Anspruch sie das a cappella-Singen in der bestehenden Konstellation weiter verfolgen wollten. Auch das habe damals klärende Wirkung gehabt, aber auch zu einer gemeinsamen Verpflichtung auf ein Ziel (hier: für das ensemble amarcord, nicht das Festival) gesorgt. Gerade dann, wenn eine Unternehmung bereits recht erfolgreich und über einen längeren Zeitraum läuft, gebe es viele nicht hinterfragte Elemente, obwohl diese dem Fokussieren der eigentlichen Aufgaben mitunter im Wege stünden. Vieles von dem, was im Rahmen des Festivals entstanden sei, erklärt IP2, „hat sich ja einfach im Laufe der Zeit ergeben oder eingeschlichen oder sich als konstruktiv erwiesen. Jetzt mal ganz klar zu sagen, das ist wirklich wichtig, das ist das, worauf wir nicht verzichten wollen, das ist das, was es [...] ausmacht, gibt Dir einen ganz anderen Rückhalt. Das gibt Dir auch ein gutes Gewissen mal zu sagen, das bleibt jetzt mal am Rand, das ist nicht so wichtig.“

Die schärfere Profilierung mithilfe der Vision hilft auch dann ganz praktisch, wenn es beispielsweise um die Akquisition von Sponsoren geht, da ein „textliches Substrat“ vorhanden ist, aus dem genau hervorgeht, wofür das Festival steht, wo „Du alles dick unterstreichen“ kannst. Das helfe, „überzeugender aufzutreten“ [IP1]. Es

33 Gemeint ist eine große Pinwand, an die zahlreiche Moderationskarten gehängt wurden, die von den einzelnen Workshop-Teilnehmern mit charakterisierenden Merkmalen des Festivals beschriftet worden waren. In der gemeinsamen Diskussion wurden diese Karten thematisch gruppiert, geclustert, mit Überschriften versehen und schließlich ihrer Wichtigkeit nach gemeinsam bewertet.

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gehe ja nicht darum, „das Rad jedes Mal neu [zu] erfinden, um ein attraktives Festival zu machen“ [IP2]. Mit der ausgiebigen Diskussion konnte auch eine positive Umdeutung gelingen: Zwar war es immer der Anspruch der Festivalmacher, a cappella-Vielfalt auf einem hohen Qualitätsniveau zu präsentieren, doch bestand mitunter auch die Sorge, gerade diese Vielfalt könne beliebig oder „zu schwammig“ wirken. In der Diskussion erwies sich jedoch genau jene als besondere Stärke und Kern des Festivals und wird von den Organisatoren für die Profilierung nun umso bewusster eingesetzt. Dieser Aspekt hat sich auch in der Konzeption des Wettbewerbs niedergeschlagen, der ganz ausdrücklich Sängergruppen unterschiedlicher Genres gegeneinander antreten lässt und nicht – wie andere Wettbewerbe – auf eine musikalische Epoche oder Richtung begrenzt ist. Heute fragen sich die Festivalmacher in Hinblick auf ihre Aktivitäten „regelmäßig, was könnte uns weggenommen werden, damit es trotzdem noch unser Festival bliebe. Das hat sich ziemlich verselbständigt in unserem Denken.“ [IP2] Eine strukturierende und ordnende Funktion kommt auch dem Projektzielplan zu, der nach einigen Workshops zur Vision mit Blick auf Festival und Wettbewerb im zweiten Schritt erstellt wurde, um die jeweilige Vorbereitung und Durchführung noch besser zu organisieren. Beide Schritte sind nicht voneinander abgelöst, sondern greifen insofern ineinander, als mit der Erarbeitung der Vision der Referenzahmen für alle Detailaktivitäten gesteckt ist, die somit nicht nur anhand von äußeren Zwängen, sondern auch entsprechend der eigenen Vorstellung priorisiert werden können. Die Anleitung zum Projektmanagement sehen die Sänger als eine Professionalisierungshilfe, die sie gut gebrauchen konnten, schließlich seien sie „ja keine Fulltime-Festivalmacher, sondern wir leben vom Singen, und all das, was wir in das Festival reinstecken ist letztendlich eine ehrenamtliche Freizeitaktivität“, weswegen die „Verzettelgefahr“ auch besonders hoch sei [IP2]. Zwar gab es „natürlich vorher auch“ schon einen Plan, was im Vorfeld des Festivals alles zu erledigen sei, „aber das war nicht so richtig terminiert“. So habe die Marketingverantwortliche beispielsweise immer auf die rechtzeitige Fertigstellung von Texten gedrängt, aber erst mit dem Projektzielplan sei ein für alle transparentes, nachvollziehbares und verbindliches Dokument entstanden, das „das ganze Jahr über“ gilt – angefangen bei der Auswertung des gerade beendeten Festivals. Nach Wahrnehmung beider Sänger schaffe dies auch Zeit, um neue Ideen aufzunehmen und umzustrukturieren. Das habe sich „früher zu sehr ergeben“, wohingegen die Klarheit des Plans nun auch für eine gewisse „Entzerrung“ sorge, indem sie helfe „zu wissen, das hat jetzt keine Priorität, das muss sogar liegen bleiben, damit das andere erledigt werden kann. Weil sonst, wenn so eine große Zeitfläche vor einem liegt, dann geht’s natürlich manchmal so’n bisschen nach Vorliebe oder nach ‚ach, das ist unangenehm, das lass

256 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS ich jetzt mal lieber liegen‘. Aber das Wissen, das ist jetzt dran, hilft natürlich [...], Sachen anzugehen.“ [IP2]

Reflexion der Instrumente und der Konstellation der Akteure Die Übertragung von ‚managementorientierten‘ Instrumentarien wird in der Literatur vielfach kritisch gesehen – sei es im Hinblick auf Steuerungskonzepte (hier: das Projektmanagement) oder auch auf Organisationsentwicklungsprozesse (hier: das Erarbeiten einer Vision). So warnt beispielsweise Peez vor der „Gefahr, dass durchaus sinnvolle und feldadäquate Merkmale wie ‚produktives Chaos‘, situative Kontextualität, ‚Querdenken‘ oder intellektuelle Subversivität, die für die […] Praxis [in Kulturorganisationen] als unabdingbar auch empirisch nachgewiesen wurden, […] verloren gehen könnten“,34 und Tröndle gibt zu bedenken, dass ungünstigen Falles „das Kunstsystem durch die Übernahme von Steuerungskonzepten anderer Systeme seine spezifische Eigenlogik einbüßt, da die dort entwickelten Steuerungsinstrumente die Spezifika des Kunstsystems nicht oder nur teilweise erfassen können“.35 Andere Autoren hingegen halten die Übertragung für durchaus sinnvoll, da es immer um das erfolgreiche Wirtschaften gehe, das, „gleichgültig ob das Ziel im Gewinn oder in der Sache liegt, einen Modus menschlichen Handelns, der aus dem Umgang mit der Endlichkeit der Welt und ihrer Güter erwächst oder erwachsen sollte“, bezeichnet.36 Die beiden interviewten Sänger sehen bezogen auf ihre persönliche Erfahrung durchaus eine Übertragbarkeit der Instrumente gegeben, die das Kunstschaffen als solches nicht einschränke, differenzieren aber auch klar: „Wenn wir das Festival machen, machen wir ja keine Kunst. Wir organisieren ein Festival.“ [IP2] Einblicke in Instrumentarien zu bekommen, mit denen Unternehmen arbeiten, halten sie durchaus für sinnvoll: „Wir […] können natürlich für unsere Strukturen […] viel von Unternehmen abgucken, ohne dass das die Inhalte verfremdet“ [IP1], denn „[e]s dient ja der Kunst, nicht der Profitmaximierung. Wir machen uns das zunutze“ [IP2], „ohne dass es dominant wird. Es dient ja der Organisation. Aber da ist schon viel dran, was ein Künstler so erst mal nicht beachtet.“ [IP1] An der (Kunst-) Hochschule oder als Quereinsteiger ins Kulturmanagement lerne man solche Instrumentarien in der Regel nicht kennen. Die Unterscheidung zwischen (1) Kunst schaffen auf der einen Seite und Kunst organisieren auf der anderen spielt hier also eine wichtige Rolle wie auch (2) der Verweis auf eine deutlich nicht-gewinnorientierte, sondern der Sache verpflichtete

34 Peez 2004. 35 Tröndle 2006, S. 24. 36 Haselbach et al. 2012, S. 145.

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Zielsetzung. Insofern werden die erlebten Eingaben zur Methodik der Erarbeitung einer Vision/Mission und deren Bedeutung für einen eigenen Klärungsprozess wie auch die Methodenhinweise zum Projektmanagement als Befähiger wahrgenommen: „Wir sind natürlich auch daran interessiert, Dinge effizient zu halten“, denn die Frage sei ja, so erläutert IP1, „wie kann man etwas Gutes entstehen lassen, ohne viel Geld auszugeben?“ Dass es somit eine Schnittmenge zwischen einem Automobilhersteller und einer kleinen Festivalorganisation zu geben scheint, erlebten die Interviewpartner als positiv überraschend: „Es war natürlich klar, dass uns nicht der Blaumann etwas übers a cappella-Singen erzählen sollte. Aber dass [...] dieses Prozessdenken, sich über [...] Werte klarzuwerden, dass das letztendlich eine Schnittmenge ist für diese doch sehr weit voneinander entfernt stehenden Institutionen, das war wirklich eine Überraschung, das war spannend.“ [IP2]

Ein Gegensatz, wie von Adorno in seinem Aufsatz Kultur und Verwaltung37 beschrieben, sei hier nicht aufgetreten, aber die Herangehensweise sei ihrer Wahrnehmung nach auch nicht klassisch bürokratisch gewesen wie das, „was man so mit dem Kulturamt verbindet“ [IP1]. Abgesehen von der offenkundigen Attraktivität der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit wäre es theoretisch auch eine Möglichkeit gewesen, dass einer der Festivalmacher sich auf eigene Faust Methodenkenntnis angeeignet und den Kollegen zur Durchführung vorgeschlagen hätte. Allerdings, so die Reaktion der Interviewpartner auf dieses Gedankenspiel, wäre dies „im Plenum gescheitert“ [IP2], da die Autorität keines der Gruppenmitglieder dazu ausreichend gewesen wäre. Auch bei gesangstechnischen Fragen sei es so, dass der Rat von außen – etwa bei einem Meisterkurs – eher angenommen werde als Hinweise untereinander. Das sei „ein ganz natürlicher Automatismus der Interaktion einer Gruppe“, in der alle „gleichberechtigt miteinander arbeiten“ [IP1]. Demgegenüber gebe es eine Kompetenzvermutung gegenüber BMW als „Instanz“, die wiederum eine gewisse Zuversicht generiert habe: Das Angebot durch Claussen wurde interessanterweise als Indikator für eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit gesehen, als begründetes Vertrauen in die Festivalmacher. Das sei „wie eine Bestätigung, die man sich selber vielleicht so stark gar nicht geben kann“ [IP1].

37 Adorno, Theodor W. (1960): Kultur und Verwaltung. In: Merkur 144. Hrsg. von Joachim Moras; Hans Paeschke. S. 101-121. Die Nicht-Existenz des Gegensatzes hätte Adorno freilich gerade für problematisch, gewissermaßen als unbemerkte Dominanz der verwalteten Kunst, befunden.

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Fazit Gefragt nach der Übertragbarkeit des Ansatzes auf und nach dessen möglichem Nutzen für andere Akteure und Einrichtungen, vermutet IP2, dass eine Unterstützung beim Herausarbeiten dessen, wofür eine Organisation steht und stehen will, den meisten Kultureinrichtungen bis hin zum Kulturamt selbst gut täte. Für Handwerkszeug wie die Ideen zum Projektmanagement ist seiner Ansicht nach der Bedarf in der freien Szene sehr viel größer als bei den großen Kulturinstitutionen, die hier vielfach hochprofessionell aufgestellt seien und mit entsprechend geschultem Personal arbeiteten. Diese könnten sich, so seine Vermutung, auch eher den Einsatz „wirklicher Unternehmensberate erlauben, wohingegen dieser die Budgets der freien Szene in der Regel sprengen würde. Die Zusammenarbeit sei im konkreten Fall trotz des etwas beratungsähnlichen Szenarios eine sehr partnerschaftliche und insofern sicher auch für beide Seiten gewinnbringend gewesen, weil es „einen persönlichen Draht“ gegeben habe. Eine solche Kooperation könne man eben „in keiner Form verordnen oder erzwingen“ [IP2]. Wichtig sei es, „überzeugt […] von den Leistungen des anderen“ zu sein und v.a., einander zu vertrauen – anderenfalls nehme man „die Dinge ja auch nicht so an“ [IP1]. Das Beratertum im Allgemeinen und im Kulturbereich im Besonderen wird in der Literatur unterschiedlich diskutiert: Einerseits wird als Vorteil gesehen, dass ein externer Berater das Know-how einbringen kann, über das kleinere oder mittlere Kultureinrichtungen oft nicht selbst verfügen können. „Nicht jeder Museumsleiter verfügt [schließlich] über Erfahrung und aktuelles Hintergrundwissen zum Thema Marketingkonzeptentwicklung.“38 Überdies habe der Berater aufgrund seines Außenseiterstatus die Möglichkeit, Themen mit größerer Neutralität zu begegnen. Er ist nicht persönlich betroffen und nicht ‚betriebsblind‘. Andererseits fehlen ihm dadurch aber auch bestimmte Insiderkenntnisse, das Verständnis für die Eigenlogik des Handlungsfeldes und die Kontinuität bei der Beschäftigung mit der Organisation.39 Das mag, um Heinrichs zu zitieren, im „sehr sensiblen“ Kulturbereich einen besonders umsichtigen Umgang erfordern, denn dieser habe „Anspruch darauf, dass

38 Cordes et al. 2005, S. 37. 39 Vgl. zu Vor- und Nachteilen des Außenseitertums Berthoin Antal, Ariane; KrebsbachGnath, Camilla: Consultants as Agents of Organizational Learning. The Importance of Marginality. WZB Discussion Paper FS II 98-109. Berlin, S. 19f. Vgl. außerdem die Ausführungen zur Unmöglichkeit, eine Organisation durch einen Eingriff von außen steuern und verändern zu wollen, im Kap. Irritierende Variationen und Koevolution im zweiten Teil dieses Buches.

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wir auch die Art des Ermöglichens und des Vermittelns von Kultur mit der notwendigen Sensibilität betreiben“.40 Axel Koetz hat sich mit Beratertum im Kulturbetrieb beschäftigt und kommt dabei zu Schlüssen, die von den Einschätzungen der a cappella-Festivalmacher durchaus gestützt werden: Dem Berater muss es gelingen, von den jeweiligen Kulturbetriebsakteuren nicht als Eindringling, sondern als ‚ihr‘ Berater betrachtet zu werden (Thema Vertrauen und Kompetenzvermutung). Er erbringt gewissermaßen eine Übersetzungsleistung zwischen den Sektoren, und seine Rolle besteht zunächst im konsequenten Hinterfragen bestehender Strukturen und Muster.41 Dabei hat er „das Recht und die Pflicht zum ‚Querdenken‘, zu (scheinbar) unsinnigen Vergleichen und zu abwegigen Konzepten“. Vorschläge sollten dabei immer in Interaktion mit den ‚Beratenen‘ erfolgen, so dass „[i]m Idealfall […] am Ende kaum mehr erkennbar [ist], woher ein Vorschlag kam, und am Ende des Beratungsprozesses ist die Umsetzung schon in vollem Gange“.42 Insbesondere letzteres ist kein Spezifikum für Beratungsleistungen im Kulturbereich, sondern im Gegenteil auf Beratungskonstellationen im Allgemeinen zu beziehen, wenn es sich um solche handelt, die nicht als Expertenberatung, sondern als Prozessbegleitung43 konzipiert sind. In einem wie dem hier betrachteten Fall ist nach Einschätzung der Verfasserin vor allem deswegen große Umsicht gefordert, da ja die ‚Beratungsleistung‘ nicht als solche erbeten oder gar in Auftrag gegeben, sondern aktiv angeboten wurde. Folglich gab es auch keine Auftragsklärung. Vermutlich ist das der entscheidende Unterschied gegenüber Beratungskonstellationen im Allgemeinen, die nach Einschätzung der Verfasserin branchenübergreifend ähnliche Chancen und Risiken bergen. Es ist durchaus eine kommunikative Herausforderung, ein solches Angebot in einer Weise zu unterbreiten, die nicht als Aufdrängen interpretiert wird. Diese Herausforderung setzt sich im kompletten weiteren Prozess fort, der nur dann sinnvoll sein kann, wenn beide Seiten (1) von dessen Nützlichkeit überzeugt oder dafür zumindest aufgeschlossen sind und sich – nicht minder wichtig – (2) mit gegenseitiger Wertschätzung begegnen. Insofern erscheint ein persönlicher ‚Draht‘ bzw. zumindest ein ehrliches Interesse füreinander tatsächlich eine notwendige Basis für solche Formen der Kooperation in partnerschaftlicher Qualität zu sein. 40 Heinrichs 1993, S. 7. 41 Vgl. Koetz, Axel G. (2001): Die Kunst des Beratens. Zehn provokante Thesen zur Rolle des Beraters im Kulturbetrieb. In: Wege zum Erfolg. Zukunftsweisende Managementund Marketingmodelle im öffentlich-rechtlichen Kultur- und Medienbereich. Hrsg. von Klaus Siebenhaar; Andreas Bersch. Berlin: Vistas: S. 67. 42 Ebd., S. 67f. 43 In einem systemischen Verständnis geht es dann darum, dass der Berater Irritationspotential liefert, aber das beratene soziale System autark über Selektionen entscheidet. Vgl. Boos et al. 2005; Wimmer 2004.

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Das Dilemma ist, dass die Partner von dem, was sie in einer Partnerschaft geben oder nehmen können, nur dann überhaupt wissen können, wenn sie bereits eine gewisse Kenntnis voneinander haben, in der Regel heißt das: wenn gemeinsame Gespräche über das jeweilige Tun stattgefunden haben. Ist dies nicht oder nicht in der Tiefe der Fall, dann bedarf es einer in irgendeiner Weise pro-aktiven Kommunikation, eines bewussten und interessierten Aufeinanderzugehens. Andererseits ist es auch genau das, was die Kooperation dann für beide Partner interessant macht: das gegenseitige Kennenlernen und das wachsende Verständnis für die Themen, die den Partner beschäftigen. Diese These wird von den Äußerungen der Interviewpartner gestützt. Zwar sind sie fest davon überzeugt, dass ein sektorenübergreifender Austausch bei der passenden Personenkonstellation sinnvoll und für beide Seiten fruchtbar ist. So glauben sie beispielsweise, dass es auch für die Unternehmensvertreter interessant sei, wie und mit welchen Einschränkungen ihre Konzepte und Instrumente auch im Kulturbereich aufgehen, aber auch wie im Kulturbereich gearbeitet werde, mit welcher Begeisterung und welchem persönlichem Engagement die Beteiligten involviert seien.44 Diese Annahme bestätigen auch die beteiligten BMW-Vertreter. Dennoch haben die Festivalmacher wenige konkrete Ideen, in welchen Themenfeldern außer den selbst erlebten kooperiert werden könne. Als Ergebnis des Projektes lässt sich festhalten, dass sowohl der strategiebezogene Bestandteil als auch der Workshop zum Projektmanagement erfolgreich waren, wobei die Strategieentwicklung, die allen Beteiligten die meiste Anstrengung und den größten Zeitaufwand abverlangte, einen größeren ‚Aha-Effekt‘ auslöste. Dies deckt sich mit den Untersuchungen über Erfahrungen zur Organisationsentwicklung im Kulturbereich, die allesamt zu dem Schluss kommen, dass diese – anders als viele Managementinstrumentarien aus Controlling, Marketing und Projektmanagement, die auch in Kulturmanagementhandbüchern zu finden sind – noch relativ wenig entwickelt sei.45 Als konstitutiv für den Erfolg müssen das Vertrauensverhältnis, die gegenseitige Wertschätzung und die Akzeptanz, dass über Inhalte nur von denen entschieden werden kann, die für die Inhalte und Konzepte verant44 „[T]he artistic community have a strongly held value system which they believe privileges honesty, transparency, a commitment to improvisation, experimentation and feedback. These values inform how they work and how they interact with business, and they are sufficiently different from the actual (as distinct from espoused) values of most businesses to create unique and powerful interventions. Whilst many consultancies, human resource professionals, and some businesses may also lay claim to these values, artists believe that they form an irreducible part of their lives as artists whereas for other groups they are a desired, but not essential, way of being and behaving.“ (Tweedy et al. 2004, S. 32). 45 Vgl. den Exkurs Organisationsentwicklung in Kulturorganisationen am Ende des ersten Teils.

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wortlich sind, und – als grundlegende Voraussetzung – ein spürbares Interesse aneinander gewertet werden. Letzteres sichert die notwendige Aufgeschlossenheit und Freude an der Begegnung und ermöglicht diese erst, da nur durch den Austausch im Vorfeld, durch Fragen und Zuhören, überhaupt das Potential einer Kooperation entdeckt oder die Idee zu einem Pilotversuch geboren werden können.

Kooperation mit dem Festival „euro-scene Leipzig“ Zweite Fallstudie

Die euro-scene Leipzig ist ein Festival, das jeweils über sechs Tage im Herbst zeitgenössische Tanz- und Theaterproduktionen aus ganz Europa in verschiedenen Leipziger Spielstätten zeigt, die von einem Begleitprogramm mit Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Filmen ergänzt werden. Veranstalter des Festivals ist der Sächsische Verein zur Förderung des kulturellen Austauschs nationaler und internationaler Tanz- und Theatergruppen e.V. Es wurde 1991, also bereits kurz nach der Wiedervereinigung, von dem inzwischen verstorbenen Matthias Renner begründet. Seit dem Tod Renners im Jahre 1993 führt Ann-Elisabeth Wolff das Festival als Leiterin weiter. Sie sucht auf zahlreichen Reisen durch Europa und Besuchen anderer Festivals nach interessanten Künstlern und Produktionen, um diese dann nach Leipzig einzuladen und dort gleichsam in einem „Schaufenster“ (Wolff) aktuellen europäischen Bühnengeschehens zu präsentieren. Ein wichtiger Bestandteil des Festivals ist darüber hinaus der von dem Choreographen Alain Platel konzipierte Wettbewerb Das beste deutsche Tanzsolo, bei dem sich professionelle Tänzer und Amateure unterschiedlicher Stile und Genres auf einem großen, runden Tisch als Bühne mit einem kurzen Solo dem Publikum und einer Jury stellen. Die euroscene Leipzig ist das einzige Festival für zeitgenössisches Theater und modernen Tanz in den neuen Bundesländern außerhalb von Berlin. In der Regel sind viele Beiträge aus Ost- und Südosteuropa vertreten.1 Die verschiedenen Bühnenproduktionen sind v.a. für ein wenig vorinformiertes bzw. nicht einschlägig vorgebildetes Publikum anspruchsvoll – sei es aufgrund der avantgardistischen und teilweise wenig gefälligen künstlerischen Positionen oder aber auch aus profaneren Gründen, wie etwa der Darbietung von Theaterstücken in Originalsprache mit Übertitelung. Bei der Planung und Umsetzung des Festivals wird die Festivalleiterin maßgeblich unterstützt von dessen technischen Leiter Bernd Gengelbach, der sich auch an

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Vgl. http://www.euro-scene.de (1.1.2013).

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der Konzeption des Festivals und der Auswahl von dessen künstlerischen Inhalten beteiligt. Die organisatorischen Aufgaben werden durch ein mehrköpfiges Team erledigt, von dem allerdings nur zwei Personen das ganze Jahr über beim Festival beschäftigt sind (Künstlerische Leitung/Direktion und Verwaltungsleitung). Eine Arbeitskraft für die Pressearbeit sowie eine Assistentin sind als Honorarkräfte monatsweise vor, während und nach dem Festival im Einsatz. Im direkten zeitlichen Umfeld des Festivals, das immer im November stattfindet, unterstützen darüber hinaus mehrere Praktikanten, an denen es in Leipzig, wo sowohl Theaterwissenschaft als auch Dramaturgie als Studienfächer angeboten werden, nicht mangelt. Die euro-scene war der erste Sponsoringpartner des BMW Werks Leipzig, nämlich schon im Jahre 2002, als das Werk offiziell noch Projektstatus hatte, d.h. eine große Baustelle und noch nicht in Betrieb gegangen war. Die Festivalleiterin hatte sich angesichts eines akuten finanziellen Engpasses an den zukünftigen Werks-, damals noch Projektleiter Claussen gewendet, nachdem sie einen geeigneten Anknüpfungspunkt darin erkannt hatte, dass das Bühnenbild für die Produktion Metapolis Project 972 des belgischen Choreographen Frédéric Flamand (eingeladen zum Festival 2002) von ebenjener Architektin gestaltet worden war, die auch das Zentralgebäudes für das neue BMW Werk entworfen hatte, Zaha Hadid. Aus diesem zunächst nur auf eine Produktion innerhalb des Festivals bezogenen Sponsoringverhältnis entstand schließlich die länger währende Partnerschaft. Neben dem klassischen Sponsoringmodell – die euro-scene erhielt vom BMW Werk eine größere Summe pro Jahr und revanchierte sich dafür mit Logodrucken auf Druckerzeugnissen und in sonstigen Medien, Ehrenkarten u.ä. – gab es schon früh auch andere Formen der Zusammenarbeit, die einige Vertreter des BMW Werks mit den euroscene-Machern in intensiveren Kontakt brachten. So wurden Wolff und der technische Leiter des Festivals, gleichzeitig freischaffender Ton- und Bühnentechniker, mit der Gestaltung eines Programms im Rahmen der feierlichen Werkseröffnung im Mai 2005 beauftragt. An mehreren aufeinander folgenden Abenden nach dem offiziellen Festakt wurden unterschiedliche Personengruppen (u.a. Vertreter der umliegenden Kommunen, der Hochschulen, der Kultureinrichtungen, Partner aus der Wirtschaft und regionalen Verbänden sowie Kunden der umliegenden BMW-Niederlassungen und -Händler) in einem Parcours durch das neue Werk geleitet. Auf dem Weg durch das von Zaha Hadid entworfene Zentralgebäude sowie die Produktionsbereiche Karosseriebau, Lackiererei und Montage wurden den Teilnehmern das Konzept des Werksaufbaus und seine Besonderheiten erläutert. An drei Orten auf diesem Weg war die Fabrik überdies ‚bespielt‘ durch kürzere Tanzdarbietungen, bei denen das Produktionsumfeld zur Kulisse wurde. Ein Tanzsolo (des Gewinners eines der o.g. Wettbewerbe) fand auf dem sogenannten Marktplatz, einer großen Fläche im Zentralgebäude gleich hinter dem Eingang statt, ein weiteres aus Ljubljana zwischen den Robotern in der Karosseriebauhalle, und eine Performance junger französischer Breakdancer wurde auf einer Fläche oberhalb des Bereichs der

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Endmontage gezeigt. Auf einem Streckenabschnitt waren überdies die Sänger des ensemble amarcord postiert, die so einen Teil des Weges der Gästegruppen mit a cappella-Sätzen Leipziger Komponisten verschiedener Epochen begleiteten. All diese künstlerischen Teile der Veranstaltung hatten Wolff und Gengelbach als Dienstleister in Unterstützung der Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung des Werkes konzipiert und durchgeführt. Gengelbach zeichnete als technischer Leiter auch für Ton, Licht und Ausstattung der Performance-Örtlichkeiten an den Abenden selbst verantwortlich. Dass überhaupt künstlerische Elemente Bestandteil der Reihe von Werkseröffnungsabenden waren, ist durchaus als Statement hinsichtlich einer allgemein hohen Wertschätzung des umgebenden, Leipziger kulturellen Lebens und einer Vorwegnahme der Förderung verschiedener Kulturakteure mit der Ansiedlung des Werkes zu verstehen gewesen. Spätestens mit diesen Aufführungen im Rahmen der Werkseröffnungsabende war außerdem der Grundstein dafür gelegt, nach Möglichkeit immer ein Gastspiel der euro-scene im BMW Werk stattfinden zu lassen.2 Workshop-Reihe zur Öffentlichkeitsarbeit der euro-scene Im Jahr 2007 fand mit dem Team der euro-scene eine ähnliche Workshop-Reihe statt wie zuvor bereits mit den a cappella-Organisatoren.3 Anders als der a cappella‚Pilot‘ wurden diese Workshops vom damaligen Leiter der Kommunikationsabteilung des Werks und der Verfasserin des vorliegenden Buches durchgeführt. Die Einbindung des ersteren war v.a. darin begründet, dass es hier in erster Linie um Professionalisierungshilfe beim Marketing und der Außendarstellung ging, wofür er im Werk der Experte war. Überdies war er aufgrund seiner Rolle bereits zuvor in das Sponsoringverhältnis mit der euro-scene eingebunden, kannte somit die Organisation und ihre Mitglieder sowie das ‚Produkt‘ Festival und die eingesetzten Kommunikationsmittel. Trotz der etwas anders gelagerten Stoßrichtung als beim a cappella-Festival wurde auch in diesem Falle mit der Formulierung von Mission und

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Dieses Ansinnen stellte jedes Jahr aufs Neue eine erhebliche Herausforderung dar, denn nur wenige Stücke eignen sich zur Aufführung in der atmosphärisch sehr speziellen Umgebung einer Automobilproduktion oder Zaha Hadids anspruchsvoller Architektur des Marktplatzes im Zentralgebäude, der als Fläche der Begegnung für Veranstaltungen mit bis zu 2.000 Besuchern konzipiert ist. Für die Theater- und Tanzproduktionen des Festivals, bei dem überwiegend kleinere Compagnien engagiert werden, müssen diese Räume in der Regel relativ aufwendig, z.B. mit dem Aufbau ganzer Bühnen oder Zuschauerränge, für die szenischen Darbietungen präpariert werden.

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Vgl. die vorangehende Fallstudie.

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Vision in Anlehnung an das Collins und Porras’sche Konzept4 begonnen – schließlich sollten die Marketingansätze aus einer Gesamt(kommunikations)strategie resultieren, d.h., nachdem das Selbstverständnis des Festivals detailliert geklärt sein würde, sollte abgeleitet werden, was genau bzw. als was genau das Festival an wen vermarktet werden soll.5 Anders als die a cappella-Festivalmacher kamen die Mitglieder des euro-scene-Teams mehrheitlich mit einer klaren Erwartungshaltung, nämlich der, möglichst schnell gute und neue Marketingkonzepte zu erarbeiten oder empfohlen zu bekommen – was so allerdings nicht erfüllt wurde. Beim ersten Workshop waren auf Seiten der euro-scene lediglich drei Personen beteiligt, ab dem zweiten Workshop war kam eine weitere Mitarbeiterin hinzu. Dies erwies sich als sinnvoll, weil die gemeinsamen Diskussionen somit auf eine breitere Basis an Ideen, Erfahrungen und Meinungen gestellt wurden und so alle mit der Festivalarbeit befassten Personen teilnahmen. Insgesamt fanden acht Workshops im Zeitraum von Februar bis August 2007 statt, von denen die ersten vier noch nicht auf konkrete Marketingmaßnahmen oder die Optimierung der Öffentlichkeitsarbeit gerichtet waren, sondern der Definition des eigenen Zielanspruchs dienten, die für lebendige Diskussionen sorgte. Im Anschluss an eine Abschlussdiskussion zum Thema Mission und Vision wurde in den vier Folge-Workshops die Frage thematisiert, mit welchen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen die Entwicklung des Festivals hin zur Vision flankiert und befördert werden könne. Hierzu wurden zunächst Kern- und Rand- bzw. Sonderzielgruppen identifiziert und ein Ist-Soll-Abgleich des – sofern bekannten – Publikums vorgenommen, wobei insbesondere eine Verbreiterung des Publikums ins Auge gefasst wurde und somit die Frage zu klären war, wie an die potentiellen, bis dato aber noch nicht erreichten Zielgruppen heranzukommen sei. Hierzu wurden im darauffolgenden Schritt deren häufige Aufenthaltsorte, typisches Freizeitverhalten und genutzte Kommunikationsmedien eruiert. Auf Basis dieser Vorüberlegungen zur Stoßrichtung künftiger Marketingmaßnahmen wurden in einem offenen Brainstorming, d.h. zunächst auch unter Ausblendung zu erwartender Kosten, negativer Vorerfahrungen oder sonstiger einschränkender Bedenken, Ideen gesammelt, um den Lösungsraum zu Beginn möglichst weit zu öffnen. Die so generierten möglichen Maßnahmen wurden gemeinsam mit den bereits umgesetzten bzw. schon vorhandenen Marketing- und PR-Werkzeugen gesammelt. Erst im Nachgang wurden die Ideen pragmatisch bewertet anhand der Kategorien „machen“, „prüfen“, „Wiedervorlage/‚mal sehen‘“ und „-“, wenn auf Anhieb ein Ausschlusskriterium zu erkennen war (etwa rechtliche Restriktionen, offenkundige Inkompatibilität mit der Ziel4

Siehe Ausführungen im vorhergehenden Kap. Kooperation mit dem ‚a cappella-Festival‘ Leipzig. Der Leiter der Kommunikationsabteilung hatte dieses im Rahmen der Strategieentwicklung für das Leipziger Werk ebenfalls in Umsetzung miterlebt.

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Vgl. auch Schneidewind 2006, S. 29-31.

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gruppe oder exorbitant hohe Kosten). Diese kategorisierte Sammlung diente als Basis für die Abschlussdiskussion, bei der jede einzelne Maßnahme mit Blick auf ihre Umsetzbarkeit und ihren Nutzen bzw. ihren Beitrag zum Erreichen des als Vision formulierten Zukunftsbildes hinterfragt wurde. In diesem Zusammenhang wurden auch die bereits bestehenden Maßnahmen, mit denen die euro-scene schon seit längerem warb (z.B. verschiedene per Post versendete Drucksachen), auf den Prüfstand gestellt, um etwaige Einsparpotentiale zu identifizieren bzw. neue Kommunikationsinstrumente zum Einsatz zu bringen. Der gesamte Prozess nahm mit acht Workshops über sechs Monate einen vergleichsweise langen Zeitraum in Anspruch, was in erster Linie daran lag, dass es schwierig war, Termine zu finden, zu denen alle Beteiligten in Leipzig waren und Zeit hatten, zumal es sich jeweils um mindestens zweistündige Treffen handelte. Somit lag stets eine recht lange Zeitspanne von mehreren Wochen zwischen den einzelnen Workshops, was es wiederum erforderlich machte, bei jedem Treffen zunächst wieder in das Thema hineinzukommen, v.a. in der Phase, als mit Rückgriff auf das Collins und Porras’sche Modell auf einer relativ abstrakten Ebene diskutiert wurde. Daran konnten auch die Protokolle der einzelnen Zusammenkünfte nichts ändern. Einige Themen wurden somit mehrfach verhandelt oder neu aufgerollt, nachdem sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt erschöpfend besprochen gewesen zu sein schienen. Dies führte wiederum zu einer gewissen Schwerfälligkeit im Gesamtprozess. Andererseits gab es in Bezug auf viele grundsätzliche Aspekte auch einen erhöhten Austauschbedarf bzw. unterschiedliche Wahrnehmungen im Team, die es zunächst zu erkennen und zu klären galt, um konstruktiv und unter Einbindung aller Beteiligten weiterzuarbeiten. Erwartungshaltung und Vorannahmen Das ganze Unternehmen ging auch hier zurück auf ein unverbindliches Angebot Claussens, mit dem bei BMW vorhandenen Know-how Unterstützung zu leisten. Da die Festivalleitung die mediale Berichterstattung als nicht zufriedenstellend empfand, bot sich das Thema Marketing und Öffentlichkeitsarbeit als lohnendes Feld der Zusammenarbeit an – zumal eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung auch im Interesse des Sponsors liegt. War in der Zusammenarbeit mit dem a cappella-Festival insbesondere die Prozesskompetenz (weniger die fachlich-inhaltliche) gefragt, mit der sich die BMW-Vertreter als Moderatoren einbringen konnten, so ging es im Falle der euro-scene nicht nur, aber auch darum, das Expertenwissen des Kommunikationschefs des Werkes nutzbar zu machen. Zunächst scheiterte das Vorhaben allerdings am Zeitpunkt bzw. an der Belastung durch das Tagesgeschäft – nach dem Festival ist immer auch vor dem Festi-

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val.6 Im Folgejahr kam es dann allerdings zur Umsetzung dieser Kooperationsidee. Die Erwartungshaltungen waren bei den Teilnehmern durchaus unterschiedlich. Einer von ihnen berichtet, aufgrund einer spezifischen Vorerfahrung bereits eine vage Vorstellung davon gehabt zu haben, was auf das Team zukommen könnte und eine dezidiert nicht skeptische, sondern eher erwartungsvolle Haltung: „Ich hab mir schon erhofft, dass uns klar wird, wer wir überhaupt sind.“7 [IP1] Demgegenüber hatte IP4 nach eigener Aussage am Anfang noch „ein bisschen Anlaufschwierigkeiten“ gehabt, sei dann jedoch umso mehr in die Diskussion eingestiegen. Zwei Teilnehmer hatten eher eine Art Kursus als ein moderiertes Erarbeiten im Team erwartet bzw. vermutet, „dass es ein bisschen mehr so eine Art Vortragsreihe wird“, auf deren Basis man dann „selber überlegen [muss], wie man’s auf sein eigenes Ding herunterbrechen kann“ [IP2]. Auch Skepsis gab es, schließlich sei es „immer ein bisschen problematisch“, „wenn es ein privater Geldgeber ist, der seine Hilfe auf organisatorischem Gebiet“ anbietet; da vermute man zwangsläufig „ein Interesse, etwas zu lenken“ [IP3]. Zwar sei eine Einflussnahme auf die Programmgestaltung ausgeschlossen gewesen, aber wenn es um das „Erscheinungsbild nach außen“ gehe, habe das „schon ’was mit Inhalten zu tun“, so IP3. Reflexion des Prozesses Dass der Prozess dann zwar „moderiert war, und doch das meiste von uns kommen musste, nur eben mit einem anderen Input irgendwie“ [IP2], fanden die Teilnehmer im Endeffekt jedoch „sehr positiv“ [IP4] – und zwar insbesondere mit Blick auf die sonstige Zusammenarbeit im Team, die eher funktional organisiert als wechselseitig partizipativ angelegt gewesen zu sein schien. So hatte es bis dato außerhalb der Workshop-Reihe nicht allzu viele Gelegenheiten gegeben, bei denen alle gemeinsam und (ergebnis-)offen über die Ausgestaltung des Festivals diskutierten. Insofern empfanden es insbesondere die jüngeren Teammitglieder als gut, konkret nach ihren Ideen gefragt worden zu sein, ohne dabei von der Skepsis der erfahreneren Kollegen gebremst zu werden. Diese seien, so auch ihre eigene Aussage, manchmal geneigt, Vorschläge abzulehnen, wenn der persönliche Zugang fehle – etwa wenn es um die selbstverständliche Nutzung neuer Medien ginge. Der Austausch im gesamten Team, und selbst in Zweierkonstellationen komme, so die Einschätzung aller, leider häufig zu kurz. Dies sei, diagnostiziert IP1, weniger dem mangelnden

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In diesem Zusammenhang interessant ist eine Untersuchung zur (u.a. zeitlichen) Redundanzsicherung in Kulturorganisationen: Meyer et al. 1996.

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Alle in Anführungszeichen stehenden sowie eingerückten Textpassagen sind – sofern nicht anders gekennzeichnet – wörtliche Zitate der Workshop-Teilnehmer aus drei von der Verfasserin geführten Interviews am 10.10.2007, 24.1.2008 und 5.2.2008.

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Wollen denn den Anforderungen des Tagesgeschäfts geschuldet, das immer erst bewusst verlassen werden müsste, auch um sich auf Gespräche wie im Rahmen der Workshops einlassen zu können. Denn die besonders drängenden Themen der Festivalmacher bzw. der künstlerischen Leitung seien eben immer die der guten Programmgestaltung und funktionierenden -umsetzung. Umso größer war die Überraschung angesichts der vielen Ideen, die im Rahmen der Workshops generiert wurden. Als einen positiven Aspekt sehen alle Beteiligten, dass in der speziellen Konstellation noch eine weitere Perspektive in die Diskussion einging, nämlich die der BMW-Vertreter. Das sei hilfreich, „denn dadurch, dass wir ja selbst immer drinstecken, ist es ja so, dass wir vielleicht bestimmte Sachen auch nicht mehr wahrnehmen, die Leute von außen sehen“ [IP2] – was zumal beim Thema Öffentlichkeitsarbeit eine hilfreiche Kategorie ist. Dieser Blick von außen ermögliche auch, dass „wir jetzt anders über Dinge diskutieren, über die man auch letztes oder vorletztes Jahr diskutiert hat, die aber damals keine Lobby hatten, weil es niemand zusätzlich ausgesprochen hat“ [IP2]. Insbesondere betrifft diese Einschätzung wohl die klare Unterstützung von Ideen zur Erweiterung der euro-scene-Website durch die BMWVertreter. Deren Relevanz wurde aufgrund persönlicher Präferenz und des eigenen Nutzerverhaltens damals von einzelnen Teilnehmern tendentiell niedriger eingeschätzt, und die Möglichkeiten einer Website, deren Gestaltung die Möglichkeiten des Online-Mediums in Bezug auf Informationsdichte, -qualität, -aktualität und -distribution ausschöpft, eher weniger gesehen. So konnte die durch die Kooperation geschaffene Personenkonstellation in diesem Falle dazu beitragen, dass auch Minderheitsmeinungen Eingang in die Diskussion fanden, und, sofern schließlich gemeinsam als sinnvoll erachtet, auch umgesetzt wurden. Das Vorgehen als solches, also der Einstieg über Mission und Vision und die darauf aufbauende Beschäftigung mit der Optimierung von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit erschien allen Beteiligten nachvollziehbar und auch sinnvoll, dem Prinzip nach freilich nicht neu. Die ganz grundsätzliche Beschäftigung mit Sinn und Zweck des eigenen Tuns im Rahmen der euro-scene erlebten ihre Macher als eine wertvolle Erfahrung, da das vermeintlich Selbstverständliche sich in der Diskussion teilweise als doch nicht kollektiv abgesichert entpuppte, dann aber in einem gemeinsamen Prozess explizit gemacht wurde. Allerdings bemängeln zwei Beteiligte, dass die Ausgiebigkeit, mit der diese Grundsatzthemen behandelt wurden, den Prozess etwas zäh gemacht habe, zumal dieser sich aufgrund der bereits erwähnten Terminfindungsschwierigkeiten sowieso über einen längeren Zeitraum hinzog. IP1 erläutert, „bei jeder ‚Sitzung‘ [markiert gestisch Anführungszeichen] dauert es einen Moment, bis man einen gemeinsamen Punkt gefunden hat, an dem es dann los geht“. Es baute sich darüber eine gewisse Ungeduld auf, endlich zu den zu ergreifenden Maßnahmen zu kommen. Außerdem fehlte insbesondere einem Teilnehmer die Anbindung des Tagesgeschäfts an die zeitlich sehr weit in die Zukunft projizier-

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te Zielvorstellung, um die es anfänglich ging. Ein „zeitlich näherliegendes Ziel“ wäre ihm lieber gewesen, das man dann z.B. anhand eines „Dreijahresplan“ hätte erzielen können. „Also für mich war schon logisch, auf der Metaebene anzufangen und dann runterzugehen, was ich daran aber ein bisschen problematisch fand, war, dass zwischendrin der Querverweis ein bisschen fehlte, […] diese Verbindung zwischen dem Endziel und den Maßnahmen, die fehlte zwischendrin für mich […] – obwohl ich es generell schon auch sinnvoll finde, so eine Fernziel zu formulieren.“ [IP3]

Das Bindeglied zur Vision hätte die gemeinsame Diskussion und Ausarbeitung der Strategie sein müssen, die allerdings offenkundig weniger sorgfältig und intensiv behandelt wurde als sinnvoll gewesen wäre. Der letzte Workshop rückte schon in beträchtliche zeitliche Nähe zum nächsten Festival, so dass nicht mehr allzu viel Zeit blieb, um die erarbeiteten Ideen und Maßnahmen auszuplanen und in die Tat umzusetzen. Teilweise war die Begeisterung für einzelne Ideen genauso groß wie der zeitliche Druck, so dass im Einzelfall die Planungsqualität sowie die Prüfung von Kosten und Aufwand im Vorfeld nicht mehr optimal waren, wie sich in Bezug auf einzelne Maßnahmen später herausstellte. In der Eigenschaft als ‚Gesprächsorganisator‘, der eine weitere Perspektive einbringt, sehen die euro-scene-Vertreter den wesentlichen Vorteil der Zusammenarbeit mit BMW-Mitarbeitern in Ergänzung zum bereits bestehenden Sponsoring. Im Nachhinein betrachtet wäre womöglich auch eine moderierte gemeinsame Diskussion über Rollen und Verantwortlichkeiten sowie das Zusammenarbeitsmodell im Festivalteam hilfreich gewesen, wie es im Nachgang zur Workshop-Reihe von zwei Teilnehmern vorgeschlagen wurde, schließlich sei der Rahmen passend gewesen, denn „der Kontext war ja Optimierung“ [IP3]. Dazu fehlte den BMW-Vertretern jedoch nicht nur das Mandat – dieser Wunsch hätte angesprochen werden müssen –, sondern auch die erforderliche Beratungskompetenz, so dass eine solche Intervention überaus fragwürdig gewesen wäre. Reflexion der Zusammenarbeit von Unternehmen und Kulturorganisation Zwar berichten IP1 und IP4 von einem anfänglichen Befremden angesichts des ungewohnten Instrumentariums wie Flipcharts und sonstigem Moderationsmaterial, der Tatsache, dass „da immer einer vorne steht und mitschreibt“ sowie von einem (wie er betont eher ideologischen als semantischen) „Verständigungs- und Übersetzungsproblem […] mit diesen englischen Begriffen“.8 [IP1] Dennoch halten die 8

Vgl. zum Thema gemeinsame Sprache Drucker 1992, S. 64.

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euro-scene-Macher das gewählte Verfahren für auch im Kulturbereich anwendbar – „Man muss es sich nur trauen“ [IP1]. Im Gegenteil eher kritisch sieht einer von ihnen „all die wunderbaren Künstler, die immer glauben, außerhalb der Dinge zu stehen. Aber das tun sie eben nicht, denn die müssen auch essen, und die müssen sich deswegen eben auch verkaufen. Wer leugnet, dass er das, was er tut, für ein Publikum tut, der ist irgendwo falsch in dem Geschäft, wenn er es als Geschäft versteht und davon leben möchte oder muss.“ [IP1]

Letztlich müsse sich doch auch „jeder Solokünstler […] definieren, damit er nicht ständig irgendwo rumeiert. Ich meine, das ist wirklich übertragbar, wenn man diese Hemmschwelle überwindet und dieses Übersetzungsproblem“ [IP1]. Natürlich gebe es auch viele Unterschiede, aber die machten einen solchen Prozess ja auch gerade interessant. Er vermutet, dass BMW einer Kulturorganisation wie der euro-scene insbesondere mit Blick auf Prozesse und Arbeitsorganisation weit voraus sei, wohingegen im Kulturbereich vieles „eher zufällig“ passiere und somit auch weniger gesteuert resp. steuerbar sei. Gerade in Bezug auf die Weitergabe von (methodischem) Expertenwissen halten die euro-scene-Vertreter es allerdings für sehr wichtig, die Unterschiede zwischen einem Unternehmen wie BMW und einem Kulturverein, wie er hinter dem Festival steht, im Blick zu haben. Schließlich seien diese doch sehr groß – schon allein mit Blick auf die Ressourcen: „Man muss sich das […] immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass es eben kein Wirtschaftsunternehmen, sondern ein Kulturunternehmen ist, was eben schon auch wieder ein bisschen anders funktioniert und andere finanzielle Ressourcen hat und auch personelle.“ [IP4] Das habe wiederum erhebliche Auswirkungen auf den möglichen Planungshorizont kleiner, insbesondere freier Kulturorganisationen; aufgrund der fortwährenden Knappheit an finanziellen Mitteln und somit ganz grundsätzlichen Existenzunsicherheit seien Mehrjahrespläne nicht allzu sinnvoll. Daran änderte offenbar auch die mehrjährige Bindung des BMW Werks als Hauptsponsor nichts. Die (schnelle) Umsetzung vieler guter Ideen scheitere häufig an der geringen personellen Kapazität. Einen ebenfalls wesentlichen Unterschied identifiziert ein Teammitglied bei den Partnern, mit denen zusammengearbeitet wird. Diese sind zum einen die internationalen Künstler, aber auch andere Kulturorganisationen wie etwa Spielstätten in Leipzig, die, insbesondere wenn sie klein sind und in erster Linie ehrenamtlich betrieben werden, zahlreiche Unwägbarkeiten in die tägliche Arbeit brächten. Vielfach sei man hier auf den guten Willen und das freiwillige Engagement der teilweise nicht professionell arbeitenden Partner angewiesen und habe somit ein ganz anderes Verhältnis zu ihnen als etwa in einer klassischen Lieferantenbeziehung. Diese Faktoren machten es insgesamt schwierig, planvoll und vorausschauend zu agieren – geschweige denn mit Blick auf nicht nur die kommenden zwei oder drei, sondern fünf oder zehn Jahre.

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IP4 problematisiert die vielfach nicht ausreichend professionellen Strukturen im Kulturbetrieb, sieht aber hierin gerade einen Handlungsbedarf, der mit Hilfe von Unternehmenskooperationen gelindert werden kann. Was diese wiederum dem beteiligten Unternehmen bringen könnten, fällt den Teilnehmern allesamt schwer zu auszumachen. Während für die euro-scene „ganz klar“ ein positives Ergebnis erzielt worden sei – „Wir können ja jetzt sagen, von dieser Liste haben wir das und das geschafft, das und das erfüllt, wir haben die Erkenntnis, da kann man einen Haken dran machen“ [IP2] –, sei dies für BMW nur schwer zu ermitteln. Vermutet werden ein erhoffter Imagegewinn aufgrund der speziellen Kooperation (die jedoch nie offiziell oder im Detail kommuniziert wurde) und die Möglichkeit des besseren Kennenlernens, womit eine bessere Basis des Sponsoringverhältnisses geschaffen werden könne.9 Gefragt nach weiteren Möglichkeiten der Zusammenarbeit geben zwei der Beteiligten wie bereits erwähnt die Moderation von Teamdiskussionen als lohnendes Feld an, da es hier einen neutralen Außenstehenden brauche und sie in Bezug auf Optimierung von Teamarbeit und Führungsmethoden eine Kompetenzvermutung gegenüber BMW haben. Ein anderes Teammitglied hingegen fragt sich, ob es nicht möglich sei, „den ganzen Prozess mal anders rum [zu] machen“, [IP1] und die sicherlich anderen Herangehensweisen von Kulturschaffenden und Künstlern zu nutzen, um andere Denkmodelle ins Unternehmen hineinzutragen. Zur Stärkung von Kulturorganisationen können Unternehmen seines Erachtens in Ergänzung zu klassischen Sponsoringmaßnahmen jedoch auch insofern beitragen, indem sie als Treiber eines „sinnvolle[n] Vernetzen[s]“ agieren [IP4]. Dies könne darin bestehen, Menschen aus verschiedenen Feldern zusammenzubringen und Verbindungen herzustellen, denn das fiele einem Unternehmensvertreter aufgrund seiner bestehenden Kontakte und der Vielzahl an Personen, die diesen Kontakt suchten, leichter als den Mitarbeitern einer freien Kulturinitiative. Darüber hinaus gebe es, so meint IP1, in Leipzig auch Handlungsbedarf hinsichtlich der Vernetzung der Kulturorganisationen untereinander, die von der Stadt bzw. der Kulturverwaltung kaum vorangetrie-

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Intention Claussens war nach eigener Angabe einerseits, die Unterstützung des Partners im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, um eine positive Wahrnehmung des Festivals zu fördern (nicht nur in Hinblick auf die Inhalte des Festivals, sondern auch seines Managements), andererseits aber auch eine persönliche Weiterentwicklung der BMWMitarbeiter über das Kennenlernen der Situation des Partners („sehr begrenzte materielle Ressourcen und folglich kaum Möglichkeiten, benötigte Kompetenzen im näheren Umfeld schnell aktivieren zu können“); die Verbreiterung von deren „Moderationserfahrung durch eine ungewohnte Personenkonstellation“; oder allgemeiner: „Selbstrelativierung ins Positive wie Negative“. Eine Kommunikation dieser Aktivität nach außen war kein Ziel und fand nicht statt.

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ben werde. Auch hier könnten Unternehmen seiner Meinung nach eine Treiberrolle einnehmen.10 Eine Erkenntnis für die BMW-Vertreter war, dass angesichts der sehr knappen Ressourcen des Kulturvereins die Bereitschaft, jene Ideen, die ganz offensichtlich viel Zeit und Aufwand erfordern, überhaupt erst mal in Betracht zu ziehen, eher gering war. Es kostete eine gewisse Anstrengung, in der gesamten Gruppe Akzeptanz für die methodischen Ansätze zu gewinnen. Dazu gehörte, Beiträge, die z.B. im Rahmen eines Brainstormings aufkamen, nicht gleich aufgrund verschiedenster Bedenken zu verwerfen, sondern zunächst einmal zuzulassen und anschließend zu bewerten, um auf diese Weise eingangs möglichst viele unterschiedliche Ideen zu generieren. Schließlich bieten diese häufig das Potential, als Teil einer Assoziationskette hin zu einer besser oder sogar gerade auch mit knappen Ressourcen gut umsetzbaren Lösung zu führen. Explizit zeigte sich dies auch beim Nachdenken über die Zukunft. Die Beschäftigung mit der weiter entfernten Zukunft als Basis für eine strategische Ausrichtung, wie sie für größere Unternehmen durchaus üblich ist, war merkbar ungewohnt. Denn die Wahrnehmung, dass die wirtschaftliche Situation des Festivals nur kurz-, maximal mittelfristige Überlegungen zulasse, führte bei den Beteiligten zu dem Schluss, dass nur die nähere, abgesichert erscheinende Zukunft Gestaltungsarbeit erfordere. Für den Außenstehenden liegt freilich der Einwurf nahe, dass gerade die als prekär wahrgenommene Situation eine wohlüberlegte längerfristige Ausrichtung des Festivals sinnvoll wenn nicht erforderlich machen müsste. Unbestrittener Effekt der Workshop-Reihe war die Vertiefung des Verständnisses bei den beteiligten Personen auf beiden Seiten. Dies ist bereits im Grundsatz von Vorteil, denn, so IP1, „[i]ch will ja auch einem Sponsoringgeber meine Inhalte vermitteln“. Voraussetzung dafür und für gelungene Kooperationen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen überhaupt ist nach einhelliger Meinung aller Teilnehmer ein belastbares Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern, das auf gegenseitigem Interesse und Respekt nicht nur vor den beteiligten Personen, sondern auch der von ihnen erbrachten Leistung beruht. Dies scheint im vorliegenden Falle vorhanden gewesen zu sein, denn anderenfalls hätte die Workshop-Reihe nicht trotz aller Termin- und Ressourcenengpässe stattgefunden. Fazit Insbesondere im Vergleich zu der ähnlich gelagerten Kooperation mit den Organisatoren des a cappella-Festivals muss die mit der euro-scene als inhaltlich weniger

10 Mit diesen Überlegungen werden interessanterweise Aktivitäten angesprochen, die in ähnlicher Form tatsächlich stattgefunden haben, wie die im Weiteren beschriebenen Fälle zeigen.

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umfangreich, aber gleichwohl lehr- und ertragreich gewertet werden. Die Anschlussfähigkeit des gewählten Zugangs war weniger als im ersteren Falle gegeben, was v.a. daran gelegen haben mag, dass die Erwartungshaltung zumindest bei einigen der euro-scene-Vertretern eine etwas andere bzw. spezifischer war und dies im Vorfeld nicht ausreichend geklärt wurde. Überdies war der Gesamtprozess etwas schwerfällig und den konkreten Erwartungshaltungen der Teilnehmer mitunter gegenläufig, und es traten in den Diskussionen auch gelegentlich Unstimmigkeiten über die interne Organisation zutage, die von den Moderatoren nicht aufgegriffen wurden bzw. nicht werden konnten11. In geeigneter Form bearbeitet hätte dies den weiteren Prozess vereinfachen können. In der Situation der begrenzten Zeitbudgets war jedoch ad hoc kein Lösungsansatz verfügbar, um diese Fragen adäquat zu behandeln. Ebenso wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, das auf viele Jahre ausgerichtete Konzept von Collins und Porras auf die speziellen Wünsche und Gegebenheiten noch stärker anzupassen, um den euro-scene-Vertretern einen größeren Gewinn daraus zu ermöglichen. Ungünstig war zudem und vielleicht in besonderer Weise, dass am Ende nicht mehr genug Zeit blieb, um die erarbeiteten, ganz konkreten Lösungsansätze sorgfältig auszuplanen. Bei aller (Selbst-)Kritik bleibt jedoch festzuhalten, dass im Rahmen des Prozesses ein klares Zielbild der euro-scene und ihrer Publikumsgruppen generiert wurde und auf dieser Basis sowohl eine Reihe von neuen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit erdacht wie auch andere bewusst überdacht und teilweise abgeschafft wurden. Da einer der BMW-Vertreter ausgewiesener Experte für Belange der Öffentlichkeitsarbeit ist, trat er hierbei nicht ‚nur‘ als Prozessbegleiter im Sinne eines Moderators, sondern auch beratend mit Blick auf die Inhalte auf. Ideen, die bereits vorher vorhanden, aber nicht zur Umsetzung gelangt waren, erhielten eine neue Chance aufgrund dieser Expertise bzw. Kompetenzvermutung, aber auch aufgrund der verhältnismäßigen Unvoreingenommenheit der außenstehenden BMW-Vertreter. Die priorisierte Aktivitätenliste für die zukünftige Öffentlichkeitsarbeit ist ein Ergebnis von ganz unmittelbarem Nutzen. Zwar konnten nicht alle für lohnenswert erachteten Ideen noch im selben Jahr umgesetzt werden, allerdings wurden einige Ansätze insbesondere zur Verbesserung des Online-Informationsangebots im Folgejahr aufgegriffen und dann mit dem notwendigen zeitlichen Vorlauf ausgeplant und umgesetzt.

11 Claussen bemerkt hierzu im Nachhinein, dass er einen Lerneffekt bei sich als dem Initiator der Aktivität sehe, der verallgemeinerbar sei: Es sei „wichtig, Mitarbeitern, die so einen Prozess begleiten, von vornherein die Möglichkeit zu eröffnen, sich Kompetenz dazuzuholen“. Es darf allerdings relativierend hinzugefügt werden, dass die Thematik stärker bei der Reflexion des Prozesses ins Licht rückte als sie während der WorkshopReihe sichtbar geworden war.

K OOPERATION

MIT DER „ EURO - SCENE

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Die Workshop-Reihe kann überdies und weniger auf die konkreten Inhalte bezogen als eine Plattform für die Organisatoren der euro-scene gesehen werden, auf der alle Beteiligten gemeinsam als Diskussionsteilnehmer einer moderierten Runde ihre Vorstellungen äußern und in der Diskussion vertreten konnten. Treffen dieser Art hatte es zuvor nicht gegeben. Die Beteiligten waren entsprechend positiv überrascht angesichts des hier zutage getretenen, kollektiven Ideenreichtums und erachteten es alle als hilfreich, in einer aus dem Druck des Tagesgeschäfts herausgehobenen, offenen Diskussion gemeinsame Vorgehensweisen zu entwickeln und Maßnahmen zu vereinbaren.

Workshop-Reihe „Führungskultur gestalten“ in Zusammenarbeit mit „die naTo e.V.“ Dritte Fallstudie

Die Abteilung für Change Management-Beratung (kurz: CMB) im BMW Werk Leipzig hatte den Auftrag, über mehrere Monate hinweg eine Reihe von 24 Workshops mit den Führungskräften aller Hierarchieebenen durchzuführen, in denen Aspekte der „Führungskultur“, also des Verhaltens von Führungskräften und dessen Auswirkung auf Teamklima, Arbeitsqualität und gesamtunternehmerischen Erfolg, thematisiert und diskutiert werden sollten. Hintergrund war, dass sich nach dem Anlauf des Werkes bei der sehr jungen Führungsmannschaft die unterschiedlichen Vorerfahrungen und Anlauferfahrungen in stark divergierenden Führungskonzepten niedergeschlagen hatten. Die Workshops sollten, so das Konzept der internen Organisationsberater, die Teilnehmer in spezieller Weise zur Reflexion des Themas Führung im Allgemeinen sowie der im Werk sichtbaren Breite an unterschiedlichen Ansätzen und ihrer speziellen Rolle im Besonderen anregen. Die anfängliche und noch vage Konzeption des äußeren Rahmens bestand in der Schaffung unterschiedlicher räumlicher Umgebungen für die einzelnen Workshop-Phasen, in denen es nacheinander um die Konfrontation mit dem Thema, dessen Reflexion und seine Bearbeitung in interdisziplinären und hierarchieübergreifenden Gruppen gehen sollte. Als Örtlichkeit wäre für diese Workshops konventionell ein Tagungshotel in Frage gekommen. Angesichts des langen Zeitraums, der für diesen AlignmentProzess1 veranschlagt werden musste, und über den passende Räumlichkeiten benötigt wurden, schien es jedoch auch denkbar, Flächen auf dem Gelände des Werkes zu nutzen und hier zum Beispiel mit eigens aufgestellten Containern temporäre Lokalitäten zu schaffen. Die damals noch nicht näher definierte Raumgestaltung wäre im Zweifelsfalle von den Mitarbeitern der CMB selbst und mit Unterstützung der

1

Vgl. Claussen 2012, Abgleich der Führungsgrundsätze, S. 344f.

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Kommunikationsabteilung oder einer Agentur übernommen worden. Wunsch der Organisationsberater war es jedenfalls, eine ungewöhnliche und vom Arbeitsalltag abgelöste Umgebung für die Workshop-Reihe zu schaffen, also einen weniger typischen oder konventionellen Veranstaltungsort zu wählen, und somit eine wirksamere Lernumgebung zu schaffen, die bewusst mit einem Gegensatz zum Gewohnten arbeitet. Tagungshotels sind demgegenüber in gewisser Weise ununterscheidbar, da in Einrichtung und Ausstattung sehr standardisiert, und gehörten nach der intensiven Ausbildungsphase während des Werksaufbaus (in der bereits zahlreiche Workshops stattgefunden hatten) zu den erwarteten Umgebungen. Container auf dem Gelände des Werkes hätten zwar sicherlich in der Gestaltung sowohl von den Büros als auch von Tagungsräumen differiert, wären den jeweiligen Arbeitsplätzen der Führungskräfte jedoch räumlich sehr nah gewesen, so dass Teilnehmer z.B. in den Pausen in den Alltag hätten zurückkehren können. Die selbst gewählte Herausforderung war daher, einen geeigneten, ungewöhnlichen Raum zu finden, der über mehrere Monate verfügbar, gestaltbar und bezahlbar wäre. Auf Empfehlung von Claussen wendete sich die zuständige Projektleiterin bei BMW an den Geschäftsführer des Kultur- und Kommunikationszentrums die naTo e.V.2 Falk Elstermann. Claussen und er hatten einander im Rahmen einiger Treffen von Vertretern Leipziger Kultureinrichtungen und Unternehmen (vgl. vierte Fallstudie) kennengelernt. Die naTo ist ein soziokulturelles Zentrum in der Leipziger Südvorstadt, einem innenstadtnahen Viertel, das in seiner Bevölkerungsstruktur stark geprägt ist von jüngeren Menschen, jungen Familien und Studenten.3 Sie ist einer der bekanntesten und profiliertesten Veranstaltungsorte der Stadt und stellt überdies eine beliebte Kneipe des Stadtteils, mit deren Gewinnen der Kulturbetrieb querfinanziert wird. Als Kulturhaus der Nationalen Front4 besteht die naTo schon seit Ende der 1940er Jahre, diente damals jedoch vornehmlich als Ort für Parteiversammlungen. Noch in den 1980er Jahren entwickelte sich das Haus dann zum Veranstaltungsort alternativer Kultur und erhielt seinen – heute seltsam anmutenden, zu DDR-Zeiten aber eher subversiven – Namen. Free Jazz, Performances, Aktionen des Widerstands, Artists in Residence, Feste und Konzerte bestimmten zu dieser Zeit das Programm und legten auch den Grundstein für den aktuellen Veranstaltungskalender. Nach der Vereinsgründung 1990 übernahm das Kultur- und Kommunikationszentrum die naTo e.V. das Haus in freier Trägerschaft und ist bis heute 2

http://www.nato-leipzig.de (25.7.2007). Im Sinne der besseren Lesbarkeit wird der Artikel im Folgenden nicht im Sinne eines Eigennamens beibehalten, sondern mit dekliniert, so dass von „der naTo“ und nicht von „die naTo“ die Rede sein wird.

3

Stadt Leipzig: Stadtbezirkssteckbrief 2011. Süd. http://www.leipzig.de/imperia/md/con tent/51_jugendamt/stadtbezirkssteckbriefe/sbz_s__d_2011.pdf (4.11.2012), S. 5ff.

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Überparteilicher Zusammenschluss der SED mit den sogenannten Blockparteien der DDR.

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sein Betreiber. 1994 kam die AG Kommunales Kino – Cinémathèque Leipzig e.V. als Partner hinzu und ist seitdem für das Filmprogramm zuständig. Aktuell umfasst das Gesamtprogramm der naTo eine vielseitige Mischung aus den Bereichen Musik (World, Pop, Jazz und zeitgenössische E-Musik), Filmkunst, Literatur, Theater und Kleinkunst sowie Veranstaltungen zu politischen Themen und verschiedene Sommer-Events (u.a. ein Seifenkistenrennen). Die meisten Veranstaltungen sind in thematische Reihen eingebettet, die bei dem im Durchschnitt recht jungen Publikum – zwei Drittel der Besucher sind unter 30, 90 Prozent weniger als 40 Jahre alt – einen großen Wiedererkennungswert genießen, um die Vermarktung auch weniger bekannter Künstler zu verbessern.5 Die Veranstaltungsreihe Ostwind beispielsweise besteht bereits seit 1995 und ist eine Plattform für osteuropäische Musik und Kultur; die Veranstaltungsreihe Klangsucher startete 2005 als Festival und liefert den Rahmen für regelmäßige Konzerte der zeitgenössischen Musik. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Soziokultur: Jugendarbeit, „angewandte Kulturarbeit“, Stadtteilarbeit, und soziokulturelle Events finden häufig in Zusammenarbeit mit Schulen, umliegenden Gewerbetreibenden und Initiativen des Stadtteils statt. Ihrer starken Verwurzelung in Leipzig trägt die naTo durch die Unterstützung ortsansässiger Künstler, vorzugsweise mittels Eigenoder auch Koproduktionen Rechnung. Nach einer vergleichsweise guten finanziellen Ausstattung durch die Kommune zu Beginn der 1990er Jahre musste die naTo allerdings wie die meisten anderen Kulturorganisationen ab den späten 1990er Jahren starke Einbußen hinnehmen, die insbesondere den Anteil dieser Eigen- und Koproduktionen stark einschränkten. Die Lücken, die die fortschreitenden städtischen Kürzungen hinterlassen, füllt die naTo mühsam aber teilweise durchaus erfolgreich mit der Akquisition anderer Fördermittel und Sponsorengelder sowie mit verschiedenen – für ein soziokulturelles Zentrum eher ungewöhnlichen – Aktivitäten als Dienstleister z.B. in den Bereichen Veranstaltungsorganisation, Projektmanagement und Stadtentwicklung, bei denen die Mitarbeiter ihre über die langjährige Erfahrung gewachsenen Kompetenzen einbringen. Als Beispiele sind hier die Ausrichtung des Kinosommer im Auftrag der Sparkasse zu nennen (Veranstaltung von Freilicht-Kino in Städten und Gemeinden des Leipziger Umlandes in den Sommermonaten)6 und die Entwicklung des Konzepts HausHalten, dessen Ziel es ist, die zahlreichen, aufgrund des massiven Leerstands in Leipzig gefährdeten Altbauten durch die Gewinnung neuer Nutzer auf

5

Darstellung des Geschäftsführers Falk Elstermanns im Rahmen einer Präsentation der naTo für den in der vierten Fallstudie geschilderten Runden Tisch.

6

http://www.nato-leipzig.de/kinosommer/index.html (25.7.2007). Die naTo versucht hier eine Mischung aus Programmkino-Angebot, wie sie es im eigenen Haus stattfinden lässt, und populäreren, hochwertigen Filmen.

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nicht kommerzieller Basis zu erhalten.7 Bemerkenswert ist, dass die Erträge der relativ jungen Aktivitäten im Dienstleistungsbereich im Jahr 2005 (d.h. nach nur zwei Jahren) bereits mehr als 16 Prozent der Gesamteinnahmen ausmachten. Damit erwirtschaftete die naTo im Jahr 2005 Jahr einen Eigenfinanzierungsanteil von mehr als 75 Prozent.8 Das Team der naTo bestand zum damaligen Zeitpunkt aus sieben Personen, von denen fünf in Vollzeit (in den Bereichen Geschäftsführung, Marketing, Haustechnik, Gastronomie und jeweils Projektleitungen) und zwei in Teilzeit beschäftigt waren (Buchhaltung und Gastronomie). Verantwortlichkeiten, Personal- und strategische Entscheidungen werden stets gemeinsam diskutiert und dann basisdemokratisch entschieden. Innerhalb der einzelnen Projekte erfolgt die Organisation hingegen hierarchisch, d.h. es gibt jeweils einen Projektleiter, der alle operativen Entscheidungen trifft. Einerseits wird so die Formalhierarchie der Geschäftsstelle und andererseits wird im Rahmen der einzelnen Projekte die ansonsten gelebte Hierarchielosigkeit zugunsten der Weisungsbefugnis des Projektleiters aufgehoben. Diese Konstruktion spiegelt sich in gewisser Weise auch in den Funktionen von Verein auf der einen und Geschäftsstelle auf der anderen Seite wider. So ist der Geschäftsführer der Einrichtung seinem Stellvertreter einerseits vorgesetzt; jedoch ist dieser als Mitglied des Vereinsvorstandes zugleich dem Geschäftsführer übergeordnet. Die Reflexion von Führungsthemen war in der naTo somit kein Neuland. Nach einem telefonischen Vorgespräch zwischen dem Geschäftsführer der naTo und der BMW-Projektleiterin fand ein persönliches Gespräch in der naTo statt, bei dem es in erster Linie darum ging, die Raumsuche an die naTo zu übertragen und gemeinsam Ideen zu möglichen Raumgestaltungen zu entwickeln und zu diskutieren. Außer den beiden genannten Personen waren zwei weitere BMW-Mitarbeiter (einschließlich der Verfasserin) und der bereits erwähnte stellvertretende naToGeschäftsführer, zugegen. Die Konzeption der Workshop-Reihe war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, sondern befand sich vielmehr in einem offenen Prozess – ein Umstand, der sich im Nachhinein als glücklich erwies, weil er den Akteuren der naTo die Möglichkeit gab, sich stärker als ursprünglich von den BMW-Vertretern vorgesehen in die Workshop-Gestaltung einzubringen. Der erste offizielle Auftrag, der an die naTo erging, war jedoch nur der, verschiedene Räume zu sichten, zu prüfen und BMW dann vorzustellen. Fünf Räume wurden in den Folgewochen diskutiert, nur zwei kamen in die engere Auswahl. Die Nutzungsdauer von mehreren Monaten, die Notwendigkeit von Heizung, Wasserund Stromversorgung sowie sanitären Einrichtungen schränkten die Suche bereits beträchtlich ein. Von den von der naTo vorgeschlagenen Gebäuden fiel die Wahl 7

Vgl. http://www.haushalten.org/ (25.7.2007).

8

Darstellung Elstermanns im Rahmen einer Präsentation der naTo für den in der vierten Fallstudie geschilderten Runden Tisch.

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nach Prüfung der Vor- und Nachteile im Vergleich mit den oben erwähnten internen und konventionelleren Lösungen schließlich auf das Zentralarchiv bzw. eine Etage in dem mehrstöckigen Backsteinbau in Leipzig-Plagwitz. Die umliegenden Industriebauten aus dem 19. Jahrhundert sind teilweise im Verfall begriffen, teilweise davor bewahrt, indem sie zu Möbelanbietern, Discount-Supermärkten und Bowlingbahnen umgewidmet wurden. Dieser Teil Leipzigs wird den wenigsten zugereisten BMW-Führungskräften bis dahin bekannt gewesen sein, obwohl nicht weit entfernt der als Wohnviertel beliebte und recht bürgerliche Stadtteil Schleußig liegt. Plagwitz hat in den letzten Jahren durch die Ansiedlung zahlreicher Galerien, Ateliers und durch sonstige kunstnahe Nutzungskonzepte Attraktivität gewonnen, und die bestehende Industriearchitektur ist teilweise in außergewöhnlichen Wohnraum umgebaut worden, so dass teilweise bereits von Gentrifizierung die Rede ist9 – allerdings nicht in Bezug auf die unmittelbare Umgebung des besagten Gebäudekomplexes: Diese mutet eher trostlos an. In dem Gebäude selbst befinden sich unten eine Weinhandlung und ein Second Hand-Möbelverkauf; andere Teile des Gebäudes werden für Band-Proben genutzt. Die betreffende Etage ist über ein Treppenhaus, aber auch Lastenaufzüge zu erreichen. Sie besteht aus einer einzigen großen Fläche mit sehr hohen Decken und ist nur durch gleichmäßig angeordnete Stahlträger unterteilt. An zwei Seiten hat sie große Fensterfronten und ist entsprechend hell; auf einer dem Treppenhaus zugewandten, dunkleren Teilfläche wird sie als Bücherlager genutzt. Bis zum erfolgreichen Abschluss der Raumsuche war allerdings aus der ursprünglichen Idee, die naTo in diese einzubinden, ein weitaus größerer Auftrag geworden: Aufgabe des naTo-Teams war es nun, die gesamte ästhetische und technische Gestaltung der Räumlichkeiten sowie den gastronomischen Service zu über9

Die Entwicklung des Stadtteils war auch Gegenstand verschiedener Forschungsarbeiten an der Universität Leipzig (teilweise im Rahmen des Projektes „Leben in Plagwitz. Ein stadtsoziologisches Forschungsprojekt“ unter der Leitung von Michael Hölscher und Jörg Rössel, Oktober 2001 bis Februar 2003, vgl. Weber, Daniela (2002): Soziologischer Blick auf ein Stadtviertel im Umbruch. http://www.zv.uni-leipzig.de/service/presse/pres semeldungen.html?ifab_modus=detail&ifab_uid=9023effe3c20091117153433&ifab_id= 768 (5.11.2012)). In diesem Zusammenhang entstandene Einzelstudien sind beispielsweise Möller, Holger (2003): „Die Revitalisierung von ehemaligen Industriestandorten“. Eine empirische Untersuchung über das Wohnen in ehemaligen Industriegebäuden am Beispiel des Leipziger Stadtteils Plagwitz. Unveröff. Magisterarbeit. Leipzig; Rost, Christian (2009): Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure an Stadtentwicklungsprozessen – Betrachtung vor dem Hintergrund der Local Governance-Forschung am Beispiel Leipzig Plagwitz/Lindenau. Unveröff. Diplomarbeit; Schmeiser, Stephan (2008): Standortentscheidung für den Stadtteil Leipzig-Plagwitz. Gentrification im Leipziger Westen? Unveröff. Magisterarbeit. Leipzig.

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nehmen. Dazu kam es, weil die Vertreter des Kulturzentrums sich in den ersten Gesprächen nicht nur gleich mit ihren Ideen zur Umsetzung der Inhalte des Workshops einbrachten, sondern auch ein großes Selbstbewusstsein an den Tag legten, das über das eines ‚Raumvermittlers‘ weit hinausging und deutlich machte, dass sie zu weiterführenden Leistungen in der Lage seien. Wie der Geschäftsführer später im Interview bekennt, ist es ihm nie nur um die Raumsuche gegangen, auch wenn dies der ursprüngliche Auftrag gewesen sei. Denn „[d]as wäre für uns uninteressant geworden. Deswegen habe ich ja auch gleich ein Konzept erstellt“ [IP2].10 Das wiederum stieß schnell auf Resonanz, denn die Nutzung eines unfertigen und in vielerlei Hinsicht nicht von Vornherein geeigneten (eben deswegen aber auch interessanten) Raumes wie des Zentralarchivs wäre ohne eine entsprechende Herrichtung und Aufbereitung sowie die dazu notwendige Erfahrung gar nicht möglich gewesen. Das naTo-Team ließ schließlich die immense Etagenfläche des alten BacksteinLagergebäudes mit Hilfe von stoffbespannten Bauzäunen in einzelne, den Erfordernissen der Workshop-Dramaturgie entsprechende räumliche Einheiten und Zonen unterteilen. Neben relativ nüchternen, aber atmosphärisch angenehmen Seminar‚Räumen‘ (d.h. mittels der bespannten Bauzäune zwischen den Stahlträgern abgetrennten Bereichen) gab es einen Empfangs- und Pausenraum ähnlich einem kleinen Bistro und einen sogenannten Wahrnehmungsraum. Dieser Wahrnehmungsraum stellte die erste Workshop-Station dar, die die Teilnehmer nach einer kurzen Einführung durch die Trainer betraten. Funktion dieses Ortes war es, die Teilnehmer auf das Thema Führung einzustimmen und dessen individuelle Reflexion in Gang zu setzen. Dabei war es das grundlegende, anfänglich jedoch noch vage Konzept der CMB-Abteilung, diese Einstimmung nicht nur konventionell, z.B. mit Textplakaten und geplotteten Power Point-Slides zu stimulieren, sondern auch sinnlichere Reflexionsangebote zu machen. Die naTo ging auf die Idee der BMW-Projektleiterin zu einer „sinnlich erfahrbaren“ Eingangsstation des Workshops mit dem Vorschlag ein, den Raum mit Bildern, Objekten, Skulpturen und Klanginstallationen zu bespielen, die das Nachdenken über das Thema Führung anregen sollten. Die Leistungen, die die naTo in diesem Zusammenhang als Dienstleister für BMW erbrachte, setzen sich also zusammen aus einem organisatorischen Teil (Raumsuche und administrative Abwicklung der Miete auf Zeit, technische Ausstattung und Betreuung, gastronomische Versorgung) sowie aus einem künstlerischgestalterischen Teil (in erster Linie Inszenierung des Wahrnehmungsraumes, aber auch atmosphärisch ansprechende sowie funktionale Gestaltung der restlichen 10 Alle in Anführungszeichen stehenden sowie eingerückten Textpassagen sind – sofern nicht anders gekennzeichnet – wörtliche Zitate des Geschäftsführers oder eines Vorstandsmitglieds der naTo aus dem von der Verfasserin geführten Interview am 19.7.2007 (naTo-Vertreter, IP2 und IP3) bzw. der BMW-Projektleiterin der CMB-Abteilung am 24.07.2007 (IP1).

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Räume) und spiegeln mithin das Kompetenzprofil des Kulturzentrums wider. BMW bekam somit alle erforderlichen Dienstleistungen ‚aus einer Hand‘, und die naTo konnte das Budget für ihre kulturellen Projekte vergrößern – soweit der Nutzen auf beiden Seiten auf den ersten Blick. Tatsächlich ging das Konzept auch auf, d.h. die BMW-Verantwortlichen konnten die Workshop-Reihe entsprechend ihren Plänen umsetzen und erhielt größtenteils positive Rückmeldungen der Teilnehmer sowie auch der anfangs durchaus skeptisch eingestellten externen Trainer.11 Darüber hinaus kristallisierten sich im Interview mit den Beteiligten weitere positive Effekte ihrer Kooperation für sie selbst heraus, die aus der besonderen Qualität der eher ungewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen alternativem Kulturzentrum und Automobilwerk entspringen. Am Vortag des letzten Workshops, d.h. nachdem das Projekt weitestgehend abgeschlossen war, wurde ein etwa anderthalbstündiges Interview mit dem Projektleiter der naTo12 und einem als Betreuer und in der Konzeption beteiligten weiteren Mitglied des naTo-Teams13 geführt, in dem beide gemeinsam zu ihrer Wahrnehmung der Zusammenarbeit befragt wurden. Außerdem wurde die BMW-Projektleiterin, die das Projekt als Change Management Beraterin aufgesetzt hatte,14 befragt. Wie bei allen im Rahmen dieser Arbeit geführten Interviews wurden die Gesprächspartner im ersten Schritt gebeten, sich gedanklich zum Beginn der Zusammenarbeit zurück zu begeben und Anfänge und Genese des Projekts (Wie kam es dazu? Wie sahen die ersten Kontakte aus?) bewusst subjektiv zu schildern. Nach diesem Einstieg wurde zunächst nach den konkreten Inhalten der Kooperation gefragt (Welcher Auftrag wurde erteilt?), im Anschluss daran auf die Reflexionsebene abgezielt und die besondere Qualität der Zusammenarbeit mit speziellem Fokus auf die Unterschiede zwischen Kulturbereich und Unternehmen resp. freie Wirtschaft thematisiert. Abschließend wurde um eine Benennung und Einschätzung von Faktoren gebeten, die für das Gelingen einer Kooperation zwischen Kulturorganisation und Unternehmen ausschlaggebend oder relevant sind.

11 Bei einem Erstbesuch der Räumlichkeiten, dem die Verfasserin ebenfalls beiwohnte, klagten die Trainer allesamt über die unwirtliche Atmosphäre und die unzureichende Akustik, die ihre Arbeit sehr erschweren würden. Insbesondere letztere Kritik wurde aufgegriffen und mit Hilfe von dämpfenden Textilien verbessert. 12 Insgesamt waren an dem Projekt drei Personen konzeptionell beteiligt, wobei der Projektleiter den Hauptanteil daran hatte. Zur Beratung hinsichtlich der technischen Realisierbarkeit wurde noch eine weitere Person hinzugezogen. 13 Mitglied des Vorstands und Programmdirektor der naTo (exklusive Kino). Bei der Workshop-Reihe fungierte er als Berater. 14 Ihr Aufgabenbereich im BWM Werk Leipzig umfasste den Bereich Change Management Beratung und Arbeitsstrukturen. In dieser Funktion war sie die Leiterin des Projekts „Führungskultur gestalten“.

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Erste Annäherung Gefragt nach ihren ersten Eindrücken voneinander bestätigte sich die Vermutung der Verfasserin, dass zu Beginn der Zusammenarbeit durchaus Skepsis herrschte, insbesondere bei den beiden BMW-Mitarbeiterinnen, die bislang kaum oder gar keinen Kontakt zur naTo und ihren Vertretern hatten, aber auch einem der beiden naTo-Vertreter, dem es wiederum in Bezug auf die BMW-Vertreter genauso ging. Diese äußerte sich bereits ganz zu Anfang des Termins angesichts der Räumlichkeiten der naTo. Das erste Treffen fand am Nachmittag im Gastronomie-Bereich des Kulturzentrums statt, einer Kneipe, die relativ dunkel und einfach eingerichtet und erst abends für Gäste geöffnet ist. Hier gibt es im Gegensatz zum tatsächlichen Büro nebenan Tische, die groß genug sind, um daran mit mehreren Leuten zu sitzen. Die Vertreter der naTo meinen, zu Beginn der Zusammenkunft eine Verunsicherung aufgrund der „schmuddeligen“ [IP3] Räumlichkeiten bei den BMW-Mitarbeitern festgestellt haben zu können. IP2 erinnert eine anfängliche Irritation bei der BMW-Projektleiterin, die „ziemlich unsicher war, was das hier alles werden könnte, ob das überhaupt was wird, ob man sich überhaupt versteht“. Wie IP3 schildert, „hat man im Laufe des Gespräches [aber] gemerkt, die Kommunikation funktioniert, und wir können auch was geben. Am Ende war es ganz anders“, die Unsicherheiten deutlich geringer. Einen solchen positiven Umschwung schildert auch die interviewte BMW-Mitarbeiterin. Nach der anfänglichen „Sorge, verstehen die, was wir meinen, worauf wir hinaus wollen, unseren Qualitätsanspruch“, konnten die naTo-Vertreter schnell bei ihr punkten, indem sie sehr viele kritische Nachfragen stellten und Aspekte berührten, an die sie zuvor selbst „gar nicht gedacht hatte“ [IP1]: Sie habe „erst durch die Fragen kapiert, was die Schwierigkeiten bei der Raumsuche sind: Miete über mehrere Monate, Wasser, Strom, Toiletten“ [IP1]. Aufgrund der sehr gezielten Fragen gewann sie den Eindruck ausgeprägter Kompetenz auf Seiten der naTo und fasste folglich mehr Vertrauen in die beteiligten Personen. Vertrauen ineinander war auch durchaus vonnöten, denn der Prozess war durch eine große Offenheit und eine relative Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet. Das Ziel (Umsetzung einer erfolgreichen Workshop-Reihe für Führungskräfte) war zwar definiert, doch das konkrete Ergebnis, also die genaue Beschaffenheit der Workshop-Räumlichkeiten und deren Ausgestaltung, waren zu Beginn des Prozesses noch alles andere als festgelegt: „Ich konnte im Januar noch keine Stückliste schreiben, was ich brauche, sondern da sind zwei Prozesse parallel abgelaufen“, erklärt die BMW-Organisationsentwicklerin, und ihr naTo-Partner berichtet ebenfalls von einem noch wenig festgezurrten Projektplan: „Es war ja am Anfang noch gar kein profiliertes Projekt. Bei uns kam an, es gab da ein Anliegen gegenüber den Führungskräften, und es gab die Idee, es ungewöhnlich machen zu wol-

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len. Alles war noch im Fluss. Und wir sollten auf das sich entwickelnde Projekt das Raumkonzept zuschneiden. Und das war auch gleich das Spannende, weil wir von Anfang an das Gefühl hatten, mitgestalten zu können, weil es noch so unsicher war. Wir hatten die Möglichkeit, das Konzept wirklich mit zu beeinflussen.“ [IP2]

Dies war zu Beginn auf BMW-Seite zwar ursprünglich gar nicht als Möglichkeit gesehen, aber andererseits auch nicht dezidiert ausgeschlossen worden. Die Vertreter der naTo konnten also den Umstand für sich nutzen, dass hier noch einiges undefiniert war, und stiegen dann stärker in die Gestaltung ein als vorgesehen. Dies war möglich, da sich parallel zu den ersten Begegnungen auch BMW-intern einige Prämissen des Projekts verschoben. Das ursprüngliche Konzept habe sich, so die Projektleiterin, verändert und sei „mit der Zeit“ auch „gewachsen“ [IP1]15 – eine ihrer Erfahrung nach durchaus typische Herangehensweise in der Change Management Beratung. Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit wurde auf beiden Seiten (naTo und BMW) insgesamt überaus positiv wahrgenommen; die Projektleiterin erklärt, das „war sehr angenehm, sehr formlos, wir haben uns immer gegenseitig angerufen, wenn wir uns gebraucht haben“ [IP1]. Durch den regelmäßigen Austausch war die Zusammenarbeit im Prinzip dialogisch, doch IP1 hatte dem naTo-Team nach eigener Aussage „die ganze Gestaltung […] sehr weit auch überlassen“. Das war insofern durchaus mutig, weil sie innerhalb von BMW und auch gegenüber den externen Coaches die Verantwortung für das Gelingen des Projekts trug und mit der ausgeprägten Skepsis der anderen Beteiligten konfrontiert war: „Ich weiß noch, dass mich der ein oder andere auch gefragt hat, du kontrollierst das aber auch alles gründlich, was die da machen. Ich hab dann immer ‚jaja‘ gesagt, aber wusste genau, dass ich denen auch viel Freiheit lasse.“ [IP1] Die Coaches haben sich teilweise „fürchterlich beschwert, die hatten auch überhaupt gar kein Vertrauen in das Konzept. – Wie wenig Vorstellungskraft da bei vielen war“, wundert sich die Projektleiterin, die den Trainern etwas größere

15 Claussen bestätigt in einem anderen Gespräch rückblickend, dass die ersten, vergleichsweise konventionellen Konzepte im Führungskreis des Werkes verworfen worden seien, denn „es um das Thema, die gewohnten Denkstrukturen aufzubrechen. Die Vorgabe dazu kam aus dem Strategieprozess: hierarchieübergreifend und fachbereichsübergreifende Gruppen zusammenzubringen. Über die Raumthematik hat sich in dem Kontext natürlich niemand einen Kopf gemacht. […] [Die CMB-Kollegen] haben diese Forderung durchdekliniert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man dazu eben längerfristig Räume braucht, die im Werk nicht zur Verfügung standen.“

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Experimentierfreude unterstellt hatte, noch im Nachhinein. Gleichzeitig war sie selbst allerdings etwas irritiert, weil ihr der naTo-Partner die Bilder und Gegenstände für die Gestaltung des Wahrnehmungsraumes lange nicht zeigen wollte. Auch hatte sie das Gefühl, für sein Empfinden „zu oft“ im Zentralarchiv zu erscheinen. „Er wollte mir die Bilder nicht zeigen. Er lässt es so mysteriös. Er hat gesagt, wenn er sie mir zeigt, dann pfusch ich ihm nur rein und hab an jedem was zu mäkeln, so ungefähr. Er wollte erst sein Werk vollenden und es mir dann fertig zeigen. […] Ich hatte doch das Gefühl, ich muss gucken, was da passiert, da war das ein bisschen kribbelig für mich.“ [IP1]

Gleichzeitig waren ihre Besuche für ihren eigenen Arbeitsprozess und die schrittweise Weiterentwicklung der Workshop-Reihe wichtig, weil sie sich „alles besser vorstellen“ und darauf dann wieder mit Ideen und Anregungen reagieren konnte. Insgesamt erklärt sie jedoch, „ein gutes Gefühl“ gehabt zu haben, so dass sie das notwendige Vertrauen entwickeln konnte. Nicht zuletzt trug dazu die Sorge bei, „wenn ich mich zuviel einmische, [ist] alles von vornherein beschränkt“ [IP1], also das Projekt durch zu starke Determinierung seitens BMW im Vorfeld bereits um seine besondere Qualität zu bringen. Die Rede von der Vollendung des Werkes deutet wiederum auf ein Zugeständnis an etwas wie Künstlertum hin (ganz unabhängig davon, dass IP2 lieber von einem „bildnerischen Anspruch“ des Projekts spricht: „‚Künstlerisch‘ ist vielleicht zu hoch gegriffen.“). Gleichzeitig fühlte sich die BMW-Mitarbeiterin aber eingebunden und auch verstanden, wenn sie auch kurzfristig neue Anforderungen einbrachte, was sie der Zugänglichkeit des naToTeams für gute Argumente und deren flexibler Kooperationsbereitschaft zuschreibt. Alle Beteiligten heben den großen Respekt und die Offenheit, mit denen sie einander begegneten und von denen sie selbst sogar ein wenig überrascht waren, hervor. IP1 erkläre, „keinen Dünkel erlebt“ zu haben, und einer der naTo-Vertreter zieht im Vergleich zu anderen Kooperationen der naTo eine folgendermaßen positive Bilanz: „Normalerweise, also wenn da jetzt so ein Global Player aus der Wirtschaft sitzt, und der sagt, man unterhält sich auf Augenhöhe, dann ist das eigentlich nie so. Also solche Erfahrungen haben wir vorher gemacht. Das war aber hier sehr angenehm. Es war anders als mit anderen Firmen, mit denen wir zwar zusammenarbeiten, aber mit denen es nie zu so einer richtigen Annäherung kommt.“ [IP3]

Für die naTo bestand die Herausforderung, aber auch die Chance des Projekts im Spannungsfeld zwischen großer Gestaltungsfreiheit und dem Anspruch, professionell (im Sinne eines angenommenen BMW-Standards) zu arbeiten. So hat das naTo-Team den Gestaltungsfreiraum einerseits intensiv genutzt. „Im Prinzip haben wir versucht, das Briefing für uns selbst zu entwickeln, der anderen Seite vorzustel-

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len und dann immer wieder nachbessern zu lassen.“ [IP2] Andererseits haben die Beteiligten schon zu Beginn der Zusammenarbeit im Rahmen der Raumvergleiche mit einem festen Katalog objektivierbarer Kriterien und Prüfprotokollen größtmögliche Transparenz zu schaffen versucht, was bei der Vertreterin des standardisierungs- und qualitätskontrollgetriebenen Automobilwerks gut ankam. Zum weiteren Vorgehen berichtet IP2, dass der Besuch eines Pilot-Workshops ihm die Aufgabe besonders klar verdeutlicht habe – zuvor hatte er keine allzu genauen Vorstellungen von der Art Führungskräfte-Workshops, wie sie hier geplant waren und für insbesondere größere Unternehmen nicht unüblich sind, gehabt. „Beim Pilot-Workshop im Tagungshotel, da habe ich kurz reinschnuppern dürfen, die Flipcharts und die unglaubliche Trockenheit des Vorgangs gesehen. Dort wurde für mich ganz klar, was wir zu tun haben. Der Punkt war also, Räume zu schaffen, die für die Arbeit taugen, und dass wir über den Wahrnehmungsraum und die gastronomische Begleitung eine sinnliche Komponente einbringen sollten. Und das ist für mich als Definition meiner Arbeit ja dann auch ausreichend. Der Rest sind ja dann nur Vehikel, zum Beispiel dass wir die Liste der Unternehmenswerte bekamen und das Führungsleitbild. Das sind dann die konkreten Themen, an denen Du das immer Gleiche abarbeitest, nämlich übersetzen, sinnlich machen, assoziativ werden lassen der trockenen Definitionen. Also [lacht] wie kann ich eine Dienstvorschrift richtig spannend machen? Das war die Aufgabe.“16 [IP2]

Nach negativen Aspekten der Zusammenarbeit befragt, wurde allein der hohe Zeitdruck genannt, wobei dieser weniger für die gestalterischen als für die organisatorischen Aufgaben problematisch gewesen zu sein scheint. Kritik an der Arbeit wurde überwiegend als konstruktiv eingeschätzt. So wurden die Anregungen und Verbesserungswünsche der Coaches (die durchaus vehement ausfielen, sich nicht nur auf Details bezogen und immer auch noch von einer grundsätzlichen Skepsis geprägt waren) vom naTo-Team als hilfreich empfunden, und auch die BMW-Projektleiterin meint, mit diesem Input habe die ganze Umsetzung viel gewonnen. Ein naToVertreter hierzu abgeklärt: „Ich habe erwartet, dass sie was zerreden, da muss auch jeder mal vorturnen. Dann muss man eben filtern, was sie sagen. Und man bekommt ja auch Anregungen, und das hat den Prozess dann auch befördert.“ [IP2]

16 Hierzu ist anzumerken, dass dieser Pilot-Workshop den Teilnehmern womöglich gar nicht so langweilig erschienen sein mag, schließlich können die für den naTo-Vertreter als so unattraktiv empfundenen Flipcharts im Unternehmensumfeld durchaus Anzeichen von Aktion, von Kreativität und ‚work in progress‘ sein, während im Normalfall und Alltag die meisten Zusammenkünfte von Power Point-Präsentationen begleitet werden. So ist die Beurteilung, was „trocken“ ist und was nicht je nach Ausgangspunkt des Beobachters sehr unterschiedlich.

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Inhalt und Leistungen Ergebnis der Zusammenarbeit waren also die für die Workshops gestalteten Räumlichkeiten: der speziell inszenierte Wahrnehmungsraum, aber auch Bereiche, die schlicht gehalten wie simple Tagungsörtlichkeiten anmuteten, allerdings dennoch aufwendig in der Gestaltung waren, da in einem Raum-im-Raum-Konzept in eine alte Lagerhalle hineingebaut, sowie der Pausenbereich, der ähnlich wie ein kleines Bistro an einer der Fensterfronten aufgebaut war. Hier standen durchgehend ein Ansprechpartner für technische Fragen sowie eine weitere Servicekraft zur Verfügung, letztere versorgte die Teilnehmer zu Beginn der Workshops und in den Pausen mit Speisen und Getränken. Das Raum-Ensemble war in seiner Gesamtstruktur, d.h. mit allen einzelnen, durch die Bauzäune voneinander abgetrennten Einheiten nicht auf den ersten Blick erkennbar und in Einheiten unterteilt durch die bereits erwähnten, bespannten Bauzäune. Nach ein paar Nachbesserungen stimmten nicht nur die optische Anmutung, sondern auch die akustischen Bedingungen (für die Arbeit in Kleingruppen ohne gegenseitige Störung oder Übertönung durch die draußen vorbeifahrende Straßenbahn), die anfangs noch die Befürchtungen der Coaches geschürt hatten. Im Wahrnehmungsraum waren auf Basis der inhaltlichen Anregungen und Vorgaben aus dem BMW-Führungsleitbild und ähnlichen Materials, aber auch inspiriert durch die eigene Auseinandersetzung mit Führung und geführt-Werden von den naTo-Partnern verschiedene Objekte arrangiert worden, die die Reflexion des Themas stimulieren sollten. Dies waren Fotos, Bilder, Klanginstallationen und Skulpturen oder Plastiken, aber auch die ausgedruckten Leitsätze. Außerdem gab es Wände, an denen die Arbeitsergebnisse anderer Teilnehmergruppen aufgehängt und somit rekursiv in die weitere Arbeit einbezogen werden konnten. Die BMW-Projektleiterin zeigte sich mit diesem Arrangement überaus zufrieden, denn die Mitarbeiter der naTo „haben im Grunde genau das eingebracht, was ich brauchte: Einerseits haben sie das Organisatorische gemacht, und zweitens die kreative Umsetzung, die Raumgestaltung. [IP2] kommt vom Theater, das war eine Inszenierung. Das war nicht zu doll,17 aber eine Inszenierung. Das war aber auch das, was wir haben wollten und was wir allein nicht geschafft hätten. Das Gute an dieser Lösung war jetzt, dass es ein ganz eigenes Flair hatte und deswegen wahrscheinlich auch viel besser haften geblieben ist. […] [Alles war] sehr einfach, aber eben absolut hochwertig.“ [IP1]

Auf die Frage, was denn konkret in Bezug auf die Ausgestaltung des Workshops besonders war, erklärt die Werksmitarbeiterin, dass sie als Projektleiterin aus den

17 Gemeint ist mit „nicht zu doll“ hier positiv: „nicht überzogen“.

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BMW-internen Diskussionen viele Inhalte und Ideen eingebracht habe, deren Übersetzung in Bilder und in die Rauminszenierung aber nicht in der Form hätte leisten können. Die Übersetzungsarbeit durch die naTo-Partner war „nicht so linear, wie ich das gemacht hätte“ und insgesamt weniger didaktisch. „Auf die Ideen wäre ich gar nicht gekommen. Da hätte meine Phantasie auch gar nicht ausgereicht“ [IP1], vermutet sie. Unabhängig voneinander nannten IP1 und IP2 bemerkenswerterweise dasselbe Beispiel für die Qualität der unterschiedlichen Herangehensweisen, nämlich den Bücherturm, einen hohen Stapel aus Büchern, der wie eine Skulptur auf einem Sockel im Wahrnehmungsraum aufgestellt war und der aufgrund der tordierten und horizontal ausladenden Stapelung so instabil schien, als müsse er jeden Moment umfallen. Die BMW-Mitarbeiterin hierzu: „Als ich den zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gedacht, ‚wow, ich hätte die einfach gerade aufgestapelt – oder nebeneinander gelegt‘.“ Und ihr naTo-Partner wiederum erklärt, ihm sei durch die Reaktionen auf den Bücherstapel „einiges klar geworden“: „Es geht darum: eine Materie, egal ob Du Ton oder irgendetwas anderes in die Hand bekommst, und die Frage ist, was Du daraus machst. Es ist vielleicht sehr stark auch die Aufgabe eines Unternehmens wie BMW, einer Premium-Marke, wenn sie Ton in die Hand bekommt, zu versuchen daraus den höchsten Turm zu bauen. Da ist vielleicht deren Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, oder was wir vielleicht automatisch machen, wenn wir so Ton in die Hand bekommen, wir bauen etwas, von dem jeder denkt, das müsste umfallen, das kann gar nicht halten. Da ist also das Spannende, einfach genau ’was Anderes zu machen. Der Bücherstapel wirkt natürlich vollkommen chaotisch gebaut, aber braucht keinen Eisenstab in der Mitte um zu halten. Er liegt völlig im Gleichgewicht, nur dass man es eben nicht gleich sieht.“ [IP2]

Ein wenig Unzufriedenheit mit dem Gesamtergebnis bleibt in der persönlichen Wahrnehmung der naTo-Vertreter. Sie finden, dass die Workshops vielleicht noch effektiver gewesen wären, wenn „es insgesamt noch tiefer gegangen wäre, wenn der Betrachter mehr innerlich aufgewühlt würde“ [IP3], doch einer der beiden relativiert dies ein Stückweit „Klar, mir wären auch noch provokantere Dinge eingefallen, und wir hätten schon auch radikaler sein können. Das Schöne an der Kunst ist ja auch, man muss nur Fragen stellen und keine Antworten geben. Da hat es der Künstler ja auch leicht. Und die müssen ja in ihrem Unternehmen Antworten geben, und haben es damit auch ganz schön schwer, denke ich.“ [IP2]

Dennoch war er zum Beispiel enttäuscht, als der Vorgesetzte der Projektleiterin einforderte, das Führungskräfteleitbild eins zu eins schriftlich darzustellen – „Das hatte mit dem Konzept so wenig zu tun.“ [IP2] Er habe das nach dessen Begründung

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„dann auch akzeptieren“ können, nicht ohne jedoch den Kompromiss zu finden, die Leitsätze, um die es ging, in einer Art Mosaik einzelner Tafeln anzuordnen anstatt die bekannte Liste aufzuhängen.18 Reflexion Dass das Projekt insgesamt erfolgreich war, schreiben die beteiligten Akteure der guten Zusammenarbeit zu, einerseits auf der Ebene des gegenseitigen Respekts (verbunden mit Offenheit und Neugier, aber auch der Klarheit über Geben und Nehmen in der Arbeitsbeziehung) sowie andererseits Professionalität in Bezug auf die Leistung. Die Nennung dieser Faktoren vermag kaum zu überraschen, werden sie doch für die meisten Arbeitsbeziehungen als erfolgskritisch oder zumindest wünschenswert erlebt. Allerdings sind die Partner hier sehr unterschiedlich, und das wurde von den Beteiligten auch als besondere Herausforderung eingeschätzt. So reflektiert die Werksvertreterin: „Man ist da mehr gefordert – insbesondere hinsichtlich des Vertrauensvorschusses. Weil man sich ja noch nicht kennt. Und es ist ’was Anderes als wenn man die Werbeagentur XY mit dem tollen Ruf einkauft. Dann hat man vielleicht mehr Vertrauensvorschuss. Hier ist vielleicht die Hemmschwelle oder dann auch die Neugier einfach etwas größer als bei einer Werbeagentur, die wie wir voll im Marktgeschehen drin steckt und eine sehr genaue Vorstellung von der Organisation und ihren Mitarbeitern hat.“ [IP1]

Die Kombination der Begrifflichkeiten „Hemmschwelle“ und „Neugier“ wiederum verweist bereits auf zwei der Kooperation inhärente Dimensionen: Einerseits scheint sie aufgrund der Unterschiedlichkeit der Partner besonders schwierig oder fordernd, andererseits ist diese Unterschiedlichkeit auch gerade interessant, wenn nicht gar konstitutiv, wenn ungewöhnliche und überraschende Lösungen gesucht werden. „Es ist ein Unterschied, ob man Psychologie, Kulturwissenschaften oder Ingenieurswissenschaften studiert hat, aber wenn man bei BMW eingestellt wird, dann wird das ein bestimmter Typ sein. Manchmal sind aber für gewisse Aufgaben Leute, die anders sozialisiert worden sind und nie in so einem Unternehmen drin waren... So Außenseiter sind für gewisse Aufga-

18 Bemerkenswerterweise deckt sich diese Wahrnehmung mit der des Werkleiters, der kommentiert: „Schade, die Workshops habe ich ja miterlebt und bin absolut überzeugt, dass da wesentlich mehr Provokation durchaus hilfreich gewesen wäre.“ Offenkundig fehlte der Mut zu mehr Experiment auf einer zwischenliegenden Führungsebene bzw. war diese durch den Führungskreis nicht explizit genug encouragiert worden.

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ben, um auch mal wieder einen neuen Blick zu bekommen, sehr gut. Auch wenn man jetzt zu einem Beratungsunternehmen geht. Das ist ja dann auch ein bestimmtes, wo auch wieder nur bestimmte Leute hingehen oder arbeiten. Da bekommt man vielleicht nicht die Fragen gestellt oder Antworten geliefert, die man eigentlich sucht. Gut sind viele Firmen, aber man muss eben besser sein. Und das geht vielleicht auch dadurch, dass man etwas mit Leuten macht, mit denen man eigentlich keinen Kontakt hat.“ [IP3]

Dennoch, so schätzen es die Beteiligten ein, war schon ein gewisser Mut erforderlich, „weil man etwas Anderes macht als sonst“ [IP1], und auch die Vorurteile waren anfangs durchaus ausgeprägt. So gesteht die Projektleiterin, von der Qualität der Leistung überrascht gewesen zu sein und zwar insbesondere hinsichtlich der weniger kunstnahen Umfänge, also solchen, in denen sie keine Kernkompetenz vermutet hatte, z.B. dem Catering. Erschwerend kam hier hinzu, dass sie aus dem äußeren Erscheinungsbild der Servicekraft (d.h. deren etwas punkigem Stil) eine vorschnelle Qualitätsvermutung hinsichtlich Speisen, Getränken und Service ableitete: „Wenn Du jemanden siehst, der ganz anders aussieht als Du, fragst Du Dich schon, kriegt sie das hin von der Qualität, wie macht sie das? Aber ich habe dann schnell erkannt, dass sie das sehr professionell gemacht hat.“ [IP1] Anderseits hatte die Projektleiterin bei den eher künstlerischen Elementen der verschiedenen Leistungen des Kulturzentrums die Sorge, „dass die naTo sich noch stärker selbst verwirklichen will, was sie dann Gott sei Dank nicht getan hat. Also, dass Du mit einer Idee kommst, und dann sagt der Künstler, nee, aber das muss jetzt so sein, dogmatisch, aus seiner Sicht eben und nicht mehr auf mich eingeht.“ [IP1] – Die Befürchtung also, das Künstlergenie könne möglicherweise nicht kooperationswillig sein bzw. wolle sein Werk um jeden Preis vor der inhaltlichen Einflussnahme des Auftraggebers schützen. Hier konnte das naTo-Team jedoch mit einem gewissen Pragmatismus punkten. Von Vorteil war diesbezüglich, so vermutet IP2, dass die auf Seiten der naTo Beteiligten zwar alle „schon Kunst produziert“ haben, ihre Hauptaufgabe aber sei, „Kunstproduktion zu ermöglichen oder zu präsentieren. Dadurch haben wir beide Seiten im Blick“, nämlich auch die Zwänge, denen Organisatoren mitunter ausgesetzt sind, und den notwendigen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen der mit dem jeweiligen Projekt befassten Menschen. Auch ging es in der Konzeption nicht – und das ist sicher ein wichtiger Faktor für deren Gelingen – um eine Selbstverwirklichung im Kunstschaffen, sondern eher um das Erbringen einer kreativen Dienstleistung, nämlich der Übertragung bestimmter Inhalte in andere als die ursprünglichen und v.a. bildhafte Medien. Interessanterweise teilen jedoch die naTo-Vertreter partiell die Vorbehalte auf Seiten von BMW gegenüber einem bestimmten (klischeehaft imaginierten oder erlebten) Künstlertypus. Deutlich wird dies vor der Folie der Wahrnehmung der Zusammenarbeit mit den Coaches. Hierüber schildert einer der naTo-Partner:

292 | J ENSEITS DES KONVENTIONELLEN K ULTURSPONSORINGS „Die Begehung hat mir gut gefallen, denn die Coaches haben sich da klar geäußert, was nicht geht und was geht. Und das ist so wie bei uns, das fand ich wohltuend. Oft muss man so um den heißen Brei ’rumreden. Viele Künstler und Kulturmenschen sind auch einfach sehr eitel – weil das ja auch immer was sehr Persönliches ist, wenn man Kunst oder Kultur macht. Die sind dann sehr selbstbezogen.“ [IP3]

Bei aller Kritik an Befindlichkeiten in der Zusammenarbeit scheint an dieser Stelle klar das Verständnis bzw. die Sympathie für das beobachtete Künstlerverhalten durch, wird es doch nicht zuletzt aufgrund der persönlichen Verwicklung des Künstlers als besonders ganzheitlich empfunden. Ganz im Gegensatz dazu sieht IP3 prototypisch den Ingenieur: „Die Ingenieure […] sind eher nicht ganzheitlich. Die wollen ein Problem immer gleich lösen. Das muss dann gelöst werden, zwei Ansätze, einen nehmen wir. Das kenn’ ich von meinem Vater, der ist auch Ingenieur.“ Diese Zuschreibung ist letztlich identisch mit der seiner Vorstellung von der prototypischen BMW-Führungskraft, deren Denken die naTo-Vertreter mit der Gestaltung der Workshop-Räumlichkeiten in besonderer Weise inspirieren wollten. Die Unterschiedlichkeit der an der Konzeption und Durchführung beteiligten Personen wie auch der Teilnehmer wurde von beiden Seiten eindeutig als Bereicherung und weniger als Hemmschuh empfunden. Dies begründen sie v.a. damit, dass es auf der persönlichen Ebene „gestimmt“ habe (was sich letztlich auch in der Einigung aufs Duzen zeigt). Die BMW-Vertreterin erklärt rückblickend, die naTo-Vertreter finde sie „gar nicht so weit von mir weg. […] Also ich habe mich zum Beispiel auch ganz viel mit den Leuten unterhalten über die naTo, deren Organisation, die Kulturszene und Leipzigs Geschichte. Das waren spannende Gespräche.“ [IP1] Ein naTo-Mann betont einen positiven Unterschied gegenüber anderen Partnern aus der Wirtschaft, bei denen ihm regelmäßig der Gesprächsstoff ausginge, es sei denn, so bemerkt er schmunzelnd, sie interessierten sich „auch für die Tour de France oder für Fußball“ [IP3]. Abgesehen von der zwischenmenschlichen Sympathie, die offenbar auf Gegenseitigkeit beruhte, einer glücklichen personellen Konstellation also, kam der naTo auch ihre Organisationsstruktur zugute: „Wir sind ein kleines Team. Das hat ja wahrscheinlich auch Vorteile gegenüber BMW. Wir sind oft schneller, müssen nicht noch jemanden fragen. Und wir können innerhalb von 15 Minuten Entscheidungen fällen.“ [IP3] Gleichzeitig, so ergänzt IP2, „zeichnet uns aus, dass wir in der Lage sind, eine Sache auch komplett umzusetzen“ bei gleichzeitig schneller Kommunikation – die ‚Alles-aus-einer-Hand-Lösung‘ also, die auch für die BMW-Projektleiterin die Zusammenarbeit so angenehm vereinfachte, indem sie ihren Koordinationsaufwand erheblich minimierte. Allerdings sei ja, nicht gesagt, „ob BMW nicht die Kompetenzen auch hätte. Vielleicht gibt es die ja im Unternehmen. Aber man weiß nicht wo, oder müsste erst sehr umständlich ein Team zusammenstellen.“ [IP3] Aus Sicht

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der BMW-Projektleiterin ist das kleine Team jedoch nicht nur gegenüber Auftraggeber BMW, sondern auch gegenüber anderen Kultureinrichtungen ein Vorteil. Gefragt danach, ob eine solche Kooperation auch mit anderen Organisationen denkbar gewesen wäre, mutmaßt sie: „Bei einer größeren Kultureinrichtung hätte ich wahrscheinlich irgendwann mal mit irgendjemandem einen Vertrag gemacht, und irgendjemand anderes wäre dann dafür zuständig gewesen, und vielleicht auch nicht so mit dieser Identifikation und Begeisterung.“ [IP1] Hinzukommt, dass die naTo aufgrund ihrer breiten und sehr heterogenen Projektlandschaft mittlerweile auch Konzepte entwickelt hat, mit „Ressourcen so umzugehen, dass Mitarbeiter überhaupt Zeit haben, sich mit so was zu beschäftigen.“ [IP3] Es gibt daher sogar die Idee, eine Ausgliederung aus der naTo zu gründen, die dann wie die Kneipe, aber eben mit der speziellen Expertise der Kulturorganisation die naTo unterstützt. Auf ungewöhnliche Aufgaben ist man hier also durchaus vorbereitet. Die naTo-Vertreter sehen ihre bisherigen Aktivitäten und weitere Überlegungen in dieser Richtung denn auch in erster Linie als einen Schritt ihrer eigenen Professionalisierung, die ihren Erfolg ausmache, aber leider auch Neider und – so die Unterstellung – Missgunst auf Seiten der Kulturpolitik säe, die darin weniger einen Grund zur Honorierung, sondern vielmehr zur Mittelstreichung erkenne. Daher seien mitunter die Anknüpfungspunkte zwischen der naTo und einem Unternehmen zahlreicher als mit der Kulturverwaltung. In weiteren, dem Konstrukt nach der mit BMW ähnlichen Kooperationen sehen die naTo-Vertreter auf alle Fälle erhebliches Potential. Allerdings sei es in der Regel „ungemein schwer, an so ein Unternehmen ranzukommen“, gerade weil es „kein Normalfall“ sei, als Kulturverein derlei Projekte durchzuführen und dann die entsprechende Kenntnis auf Seiten der Unternehmen nicht da sei. [IP3] Diesen Aspekt sieht auch die Werksmitarbeiterin: „Oft fehlt [...] die Bekanntheit der Leute, da braucht man im Vorfeld einen persönlichen Kontakt, und ich denke, daran mangelt es dann auch meistens, zu wissen, welche Möglichkeiten gibt es denn da, und wer kann mich denn überhaupt unterstützen in dem, was ich brauche?“ [IP1] Dabei seien die Unterschiede zwischen der normalen Arbeit und dem beschriebenen Projekt gar nicht so groß, denn hier wurde, so analysiert ein naTo-Vertreter, „genauso wenig unmittelbar ein materieller Mehrwert generiert, wie wir das normalerweise mit unserer Kulturarbeit machen. Da brauchst Du [bei BMW] wie auch bei der Kulturarbeit eine gewisse Unabhängigkeit von dem unmittelbaren Unternehmensinteresse bzw. bei uns von der unmittelbaren Bezahlbarkeit der Projekte, Förderung, Sponsoring usw. Denn nur dadurch erwerben sich Kulturmacher ja eine gewisse Unabhängigkeit von Modeströmungen, […] Einflussnahme, unmittelbar betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Und das ist in diesem BMW-Projekt ja genauso gewesen. Deswegen ist das Projekt nicht aussagefähig darüber, wie unterschiedlich ein Kulturbetrieb und ein profitorientiertes Unternehmen sind.“ [IP2]

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Die BMW-Vertreterin kann sich ebenfalls weitere Kooperationen sowohl mit der naTo als auch mit anderen Kulturorganisationen vorstellen. In Zukunft werde, so glaubt sie, diese Idee näher liegen, wenngleich es aufgrund der unternehmensinternen Richtlinien nicht immer einfach sei. Zum Beispiel müssen immer drei Angebote eingeholt werden, was im Prinzip eine unmittelbare Vergleichbarkeit der Anbieter und ihrer Produkte voraussetzt. Überdies müsse man bei mehrfachen Kooperationen mit denselben Partnern darauf achten, dass diese „nicht abhängig werden von uns“ [IP1]. Ähnlich wie es bei externen Trainern der Fall sei, gelte es hier immer, die Balance zu finden zwischen einer erleichterten Zusammenarbeit aufgrund der gegenseitigen Kenntnis und aufgebauten Nähe auf der einen und der Gefahr der Vereinnahmung auf der anderen Seite, denn die „Unabhängigkeit [ist] ganz wichtig, das habe ich jetzt auch wieder gemerkt, weil dann viele neue und frische Ideen reinkommen“ [IP1]. Immerhin hilft das Wissen um diese Ambiguität vermutlich schon, solche Abhängigkeiten zu vermeiden. Erweiterter Nutzen Dass durch das Projekt ein Nutzen im Sinne der Geschäftsvereinbarung auf beiden Seiten generiert wurde (erfolgreiche Umsetzung der Workshops für BMW, Honorar für die naTo), wurde bereits zur Genüge deutlich. Darüber hinaus berichten die Beteiligten aber auch von einer persönlichen Bereicherung, die jeweils andere Organisation kennenzulernen, und heben in diesem Zusammenhang einmal mehr die Wichtigkeit der Offenheit und Wertschätzung füreinander sowie den Dialog auf Augenhöhe hervor. Die BMW-Vertreterin sieht durchaus einen Vorteil darin, dass es sich hier nicht um eine klassische Sponsoringbeziehung handelte, die unterschwellig doch eine Ungleichheit impliziere, nach dem Motto „Wir machen hier ein Sponsoring, und ihr macht eine kleine Mickey Mouse-Aufgabe.“ [IP1] Vielmehr sei ganz klar gewesen, „ich brauche diese Leistung, und dafür zahlen wir auch. Und das ist eine gute Art des Umgangs miteinander, weil da ja auch viel Wertschätzung drinsteckt.“ [IP1] Für die naTo, unterstellt sie, war die Aufgabe auch spannend – bis hin zu der positiven Erfahrung des eigenen Erfolges in einem nicht üblichen Arbeitsumfeld, dessen Gepflogenheiten und Qualitätsansprüche nicht genau bekannt waren. Diese Vermutung bestätigen die naTo-Vertreter. Sie haben in der Zusammenarbeit ihre eigene Leistungsfähigkeit und Kompetenz bestätigt gesehen wie auch die Einschätzung, es gebe möglicherweise noch mehr Potential für gewinnbringende Zusammenarbeiten – z.B. vermittelt durch einen der beteiligten externen Coaches, die im Endeffekt ja auch überwiegend begeistert gewesen seien. Einem Projekt wie dem beschriebenen gibt der naTo-Geschäftsführer eindeutig den Vorzug gegenüber gängigen Sponsoringvereinbarungen, denn „[m]an lernt sich näher kennen, die

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Freundschaft hält länger, das Geld ist ehrlich verdient. Das mache ich lieber, als dem Unternehmen irgendwas über Imagetransfer zu erzählen.“ [IP2] Dennoch sei dieser Bereich des Leistungsaustausches im Allgemeinen „noch unterentwickelt“ [IP2]. Andererseits sei es aus Sicht der Kulturorganisationen ja auch erst einmal ein erheblicher Mehraufwand, der Energien binde und der in dieser Form beim Sponsoring nicht anfalle, und darauf seien Kulturorganisationen in ihren Arbeitsstrukturen heute nicht unbedingt ausgerichtet. „Wenn ich ein Plakat [mit Logo des Sponsors, Anm. d. Verf.] mache, dann mache ich das ja für das Projekt und habe dann mit dem Geld des Sponsors die Möglichkeit, mich auf das Projekt zu konzentrieren. Da kann ich natürlich theoretisch nicht noch extra eine Arbeit für den Sponsor leisten. Aber wenn man nicht nur in Projekten denkt, sondern wenn man so einen Kulturverein als Unternehmen begreift, das Projekte macht, eine Struktur hat, die auch noch in anderen Bereichen tätig sein könnte, dann ist diese Mischung von reinem Mäzenatentum und wirklichem Leistungsaustausch das, was es ausmacht.“ [IP2]

Der naTo-Mann unterstellt auch, dass es vom Gewinn neuer Sichten abgesehen für ein Unternehmen vielleicht auch befriedigender sei, mit einem Kulturverein zusammenzuarbeiten, den man unterstützen möchte, weil man dessen Arbeit wichtig findet. Dies bestätigt die BMW-Projektleiterin, die in der Zusammenarbeit persönlich auch „eine Art Corporate Citizenship“ [IP1] sieht. Weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit erkennen Vertreter beider Organisationen beispielsweise im Veranstaltungsmanagement, in der Vermietung von Räumlichkeiten und wiederum in der Vermittlung anderer Partner aus dem Kulturbereich – je nach den spezifischen Anforderungen. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Projekt ein Erfolg war, den die Beteiligten abgesehen von der inhaltlichen Qualität der Arbeit im Wesentlichen mit der guten Zusammenarbeit begründen. Diese war trotz anfänglich vorhandener Vorbehalte von großem gegenseitigen Vertrauen und Respekt gekennzeichnet. Einig sind sie sich auch darin, dass Kooperationsformen wie diese sinnvoll sind und idealerweise öfter stattfinden sollten, wobei als wesentliches Hindernis der mangelnde persönliche Kontakt bzw. die mangelnde Kenntnis voneinander, aber auch die auf solche Kooperationen ausgerichtete Ressourcenstruktur identifiziert werden. Formuliert wird ersteres von den Beteiligten lediglich mit Blick auf die Kenntnis der Unternehmen von Kulturorganisationen, deren Leistungsspektrum und Kompetenzen. Wie das Aha-Erlebnis des naTo-Vertreters bei der Beobachtung des PilotWorkshops zeigt, ist allerdings auch bei den Kulturorganisationen das Wissen um

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Tätigkeitsfelder und daraus resultierende, potentielle Bedarfe der Unternehmen nicht sehr ausgeprägt. Bürokratische Hürden hingegen spielen, wenn der Wunsch nach und die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit einer Kooperation einmal gegeben sind, offenbar eine nur untergeordnete Rolle. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang aber auch die Freiheit, mit der man die BMW-Projektleiterin größtenteils agieren ließ. Auch wenn sie sich dieses Vertrauen durch vorherige gelungene Projekte erarbeitet hatte, ist dieses gerade angesichts einer ganz neuen Form der Zusammenarbeit zumindest nicht selbstverständlich. Die Zusammenarbeit erlebten die Vertreter beider Seiten nicht nur im Hinblick auf das Ergebnis positiv, sondern vielmehr auch mit Blick auf den Prozess, das gegenseitige Kennenlernen und Interagieren als Bereicherung. Die mehrfach betonte Offenheit (für die Ideen und Vorstellungen des anderen) ist nach Einschätzung der Verfasserin noch zu präzisieren: Offenheit allein reicht nicht aus, sondern es muss auch ein gewisses Verständnis für die Belange und Bedürfnisse des Gegenübers vorhanden sein. Die „Übersetzung“ [IP2], von der ein naTo-Vertreter in Bezug auf die Übertragung von Inhalten des Führungskräfteleitbildes in Bilder und Objekte spricht, muss auch in Bezug auf das eigene Sprechen erfolgen, um Nachvollziehbarkeit der spezifischen Handlungs- und Denklogik des jeweils anderen Systems zu ermöglichen. Anderenfalls hätten die Beteiligten vermutlich ‚aneinander vorbei‘ geredet und produziert – oder es wäre schon ganz zu Anfang zu fundamentalen Divergenzen gekommen. Dies wird deutlich an den von der naTo als solche aber auch als notwendig empfundenen Zugeständnissen oder der Zufriedenheit der Projektleiterin darüber, dass die Umsetzung „sehr kreativ“ war, „ohne dabei den Rahmen zu sprengen“ [IP1], also exaltiert und dem (BMW-!)Projekt dann nicht mehr adäquat zu sein.

Runder Tisch mit Vertretern des Leipziger Kultursektors Vierte Fallstudie

Bereits zu Zeiten seines Aufbaus hat sich das BMW Werk Leipzig als nunmehr wichtiger wirtschaftlicher Akteur in verschiedene regionale Initiativen integriert. Eine davon ist die Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bundesländerübergreifend die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Innovationskraft der Region „Mitteldeutschland“ zu fördern.1 U.a. strebte sie dies über die Bildung sogenannter Industriecluster an, eine Idee, die in den 1990er Jahren zunehmend an Popularität gewann, als auch vermehrt Theorien über die Bedingungen der Innovationsfreudigkeit und Dynamik ganzer Regionen bzw. bestimmter, regional konzentrierter Branchen aufkamen. Dabei wird im Wesentlichen „angenommen, dass die Unternehmen von der räumlichen Nähe und kommunikativen Dichte ihres regionalen Umfeldes profitieren. Nicht-marktförmige Interaktionen, Vertrauen und Kooperation erlauben es demnach den Unternehmen, sich den Herausforderungen des Strukturwandels in Richtung einer globalisierten Wirtschaft zu stellen.“2

1

http://www.mitteldeutschland.com/wim/ziele.html (24.2.2012): „In der Wirtschaftsinitiative für Mitteldeutschland engagieren sich strukturbestimmende Unternehmen sowie Kammern und Städte aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit dem gemeinsamen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung und Vermarktung der traditionsreichen Wirtschaftsregion Mitteldeutschland. […] Unsere Ziele sind die Stärkung der Innovationsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen, der Aufbau selbst tragender, international wettbewerbsfähiger Cluster, die Erhöhung der Standortattraktivität für Investoren und Kreativkräfte, die einheitliche Vermarktung des Wirtschaftsstandortes und die Entwicklung einheitlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.“

2

Voelzkow, Helmut: Gibt es einen Bedeutungszuwachs der Region im Zeitalter der Globalisierung? In: Heinze et al. 1998, S. 10-18, hier: S. 14f.

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Ausgehend von der empirisch beobachteten Stärke ‚natürlich‘ gewachsener Industrieregionen wie dem Silicon Valley in den USA, das der ideale Nährboden für Entwicklungen im Informationstechnologiesektor zu sein schien, oder der italienischen Emilia Romagna, die mit ihrer Textilindustrie prosperierte, ist es der Ansatz bei der Bildung von Clustern, solche Menschen, die in einer Branche und Region tätig sind, im Geiste der coopetition, einer Mischung also aus Kooperation und competition, Wettbewerb, zusammenzubringen. Die grundlegende These hierzu findet sich nicht nur bei den (wie etwa von Michael E. Porter3) explizit mit dem Clusterbegriff beschriebenen Netzwerken aus in räumlicher Nähe agierenden, eng zusammen arbeitenden Unternehmen und/oder sonstigen Akteuren einer Branche, sondern gleichermaßen in Untersuchungen, die mit anderen begrifflichen Konzepten wie „regionalen Netzwerken“, „kreativen Milieus“, „lernenden Regionen“ u.ä. arbeiten:4 Der 3

Vgl. Porter, Michael E.: Clusters and the new economics of competition (1998). In: Harvard Business Review 76. S. 77-90; Porter, Michael E. (2009): Locations, Clusters and Company Strategy. In: The Oxford handbook of economic geography. Hrsg. von Gordon L. Clark; Maryann P. Feldman; Meric S. Gertler. Oxford: Oxford Univ. Press. S. 253274.

4

Hierzu hat es in den 1990er und 2000er Jahren geradezu eine Veröffentlichungsflut gegeben, die einem Trend sowohl in den Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsgeographie als auch der Wirtschaftsförderung geschuldet ist. Zum Management von Netzwerkorganisationen: Caspers, Rolf; Bickhoff, Nils; Bieger, Thomas (Hrsg.) (2004): Interorganisatorische Wissensnetzwerke. Mit Kooperationen zum Erfolg. Berlin: Springer; Oertel, Regina; Hees, Frank (Hrsg.) (2004): Das Netzwerk-Kompendium – Theorie und Praxis des Netzwerkmanagements. Aachen; Ritter, Thomas; Gemünden, Hans Georg: Die netzwerkende Unternehmung (1998). Organisationale Voraussetzungen netzwerk-kompetenter Unternehmen. In: Zeitschrift Führung + Organisation (zfo) 67, H. 5. S. 260-265; Sydow, Jörg; Windeler, Arnold (Hrsg.) (2000): Steuerung von Netzwerken. Opladen: Westdeutscher Verl.; Sydow, Jörg (2001): Management von Netzwerkorganisationen – Zum Stand der Forschung. In: Management von Netzwerkorganisationen. Beiträge aus der „Managementforschung“. Hrsg. von Jörg Sydow. Berlin: Gabler. S. 293-353; Zentes, Joachim; Swoboda, Bernhard; Morschett, Dirk (Hrsg.) (2003): Kooperationen, Allianzen und Netzwerke. Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Wiesbaden: Gabler. Vgl. zu regionalen Netzwerken, kreativen Milieus u.ä. Ansätzen beispielsweise Adrian, Luise (2003): Regionale Netzwerke als Handlungskonzept. Erfolg versprechender Weg einer innovationsorientierten Regionalentwicklung. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik; Diller, Christian (2002): Zwischen Netzwerk und Institution. Eine Bilanz regionaler Kooperationen in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich; Dörsam, Pia (1997): Vom Einzelunternehmen zum regionalen Netzwerk. Eine Option für mittelständische Unternehmen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel; Fritsch, Michael; Koschatzky, Knut et al.: Regionale Innovationspotentiale und innovative Netzwerke (1998). In: Raumforschung und Raumordnung

R UNDER TISCH

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V ERTRETERN DES L EIPZIGER K ULTURSEKTORS | 299

Wettbewerb auf relativ engem Raum wird als stimulierend und dynamisierend beschrieben, insofern die Innovationen der ‚Nachbarn‘ schnell bekannt werden (und sei es im Tennisclub, dem Mitarbeiter unterschiedlicher Firmen angehören) und wiederum zu neuen Ideen und Erfindungen anregen (sogenannter Spill-overEffekt). Das gegenseitige Kennen ermöglicht andererseits aber auch den Aufbau von Vertrauen, so dass gezielte Zusammenarbeit selbst bei einer bestehenden Konkurrenzsituation am Markt möglich ist – z.B. in der Grundlagenforschung oder anderen Bereichen, die die notwendige Differenzierung am Markt nicht unmittelbar beeinträchtigt. Im Rahmen einer institutionellen Clusterbildung wird vielerorts versucht, diese Idee aufzugreifen und bewusst den Boden für das Entstehen solcher befruchtender Kontakte zu schaffen. Förderprogramme auf Länder-, Bundes- und EUEbene stehen dafür ebenfalls bereit. Mit einem Porsche- und einem BMW Werk in Leipzig, der Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden, verschiedenen großen Automobilzulieferfirmen (Siemens VDO, KUKA u.a.) sowie zahlreichen kleineren Anbietern und nicht zuletzt auch 56, H. 4. S. 243-252; Genosko, Joachim (1999): Netzwerke in der Regionalpolitik. Marburg/Lahn: Schüren; Glückler, Johannes (2010): Netzwerkforschung in der Geographie. In: Stegbauer et al. S. 881-889; Heidenreich, M. (2011): Regionale Netzwerke in der globalen Wissensgesellschaft. In: Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung.

Hrsg.

von Johannes

Weyer.

München:

Oldenbourg; Heinze et al. 1998; Knyphausen-Aufseß, Dodo zu: Theoretische Perspektiven der Entwicklung von Regionalnetzwerken (1999). In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 69 5/6. S. 593-616; Obermaier, Frank (1999): Kreative Milieus und Netzwerke – neue Erklärungs- und Strategieansätze in Bayern. Bayreuth; Palm, Andreas (2005): Bedeutung von Netzwerken für die regionale Innovationsförderung. Marburg/Lahn: Basilisken-Presse; Schätzl, L; R. Grotz (Hrsg.) (2001): Regionale Innovationsnetzwerke im internationalen Vergleich. Münster: Lit; Schubert, Herbert; Fürst, Dietrich et al. (2001): Regionale Akteursnetzwerke. Analysen zur Bedeutung der Vernetzung am Beispiel der Region Hannover. Opladen: Leske + Budrich; Stahl, Thomas; Schreiber, Rainer (2003): Regionale Netzwerke als Innovationsquelle. Das Konzept der „lernenden Region“ in Europa. Frankfurt/Main; New York: Campus; Tödtling, Franz (1995): Netzwerke als neues Paradigma der Regionalentwicklung? In: Öir-Herbsttagung 1994. Europäisches Netzwerk für die Regionalentwicklung. Hrsg. von J. Tödtling-Schönhofer. Wien. Im Hinblick auf die „Glorifizierung der Netzwerkorganisation“ konstatierte Michael Reiß bereits Ende der 1990er Jahre kritisch, sie sei „auf dem besten Weg, sich als ein weiteres Mitglied in die Familie der Management-Mythen einzureihen“ Reiß, Michael: Mythos Netzwerkorganisation (1998). In: Zeitschrift Führung + Organisation (zfo) 67, H. 4. S. 224-229. Zu Möglichkeiten und Grenzen von Netzwerkorganisation kompakt und überblicksartig: HirschKreinsen, H.: Unternehmensnetzwerke – revisited (2002). In: Zeitschrift für Soziologie 31, H. 2. S. 106-124.

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einigen einschlägigen Hochschulinstituten und Forschungseinrichtungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gab es in den neuen Bundesländern auch eine Basis (nämlich die ‚kritische‘ Menge an Akteuren) zur Clusterbildung für den Automotive-Bereich in Form des Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD e.V.)5. Dessen Ziel ist es, mit Hilfe des bundesländerübergreifenden Ansatzes die „nachhaltige Entwicklung der Automobilindustrie in Ostdeutschland“ zu befördern.6 Gründung und Aufbau des ACOD wurden durch das BMW Werk initiiert. Erste Projekte waren gemeinsame Messeauftritte zur Förderung des Images der Region als Automotive-Standort, aber auch die Zusammenarbeit im Bereich der Berufsausbildung, um auch bei hohem Spezialisierungsgrad einzelner Unternehmen das komplette erforderliche Spektrum abdecken zu können, und der Versuch, sinnvolle Kooperationen im Sinne von Lieferketten aufzubauen, um so im Wettbewerb mit großen Systemlieferanten bestehen zu können. Es gibt sogenannte Kompetenzcluster (z.B. Aluminium, Interieur, Virtuelles Engineering u.a.), in deren Rahmen sich die Mitglieder des ACOD gezielt austauschen, von der Kompetenz der Partner profitieren können und bestenfalls gemeinsam als „Full-Service-Supplier“ auftreten können.7 Diese Maßnahmen sollen insbesondere der Stärkung der kleineren Zulieferer dienen, die zwar über wertvolles Know-how und Anlagen verfügen, sich aber angesichts globalisierter Wertschöpfungsketten und großer Systemlieferanten oftmals schwer tun.8 Die Unternehmensdichte in einschlägigen Branchen und das Ausbildungsangebot (seien es Hochschulen oder ausbildende Fachbetriebe) sorgen wiederum für ein gutes regionales Angebot an qualifizierten Arbeitnehmern, von dem alle Unternehmen profitieren können. Die so angestoßene Clusterentwicklung des Automotive-Bereichs in ganz Ostdeutschland musste nach Überzeugung von BMW aber koordiniert werden mit den regionalen Bemühungen zur Clusterentwicklung in Mitteldeutschland. Daher wurden eine personelle Verknüpfung der Aktivitäten 5

http://www.acod.de/Home.html (27.06.2012).

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Ebd.

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Ebd.

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Vgl. Lamparter, Dietmar H. (11.9.2003): Wer bleibt am Standort D? Leipzig oder Starachowice – warum BMW in Deutschland investiert und MAN nach Polen geht. Eine Fallstudie über Wettbewerb im Grenzbereich. In: DIE ZEIT: „‚Es geht immer um die gleichen Dinge. Kreative Ideen und die Geschwindigkeit, mit der man diese verwirklicht‘, sagt BMW-Mann Claussen. Hier sieht er die Zukunft für den Standort Deutschland. Jüngst hat er deshalb die Werkleiter der umliegenden Autofabriken von VW, DaimlerChrysler, Opel und Porsche eingeladen. Die Runde war sich einig: Nur mit innovativen, technologieintensiven Produkten ist hierzulande etwas zu gewinnen. Deshalb wollen die Praktiker mittelständische Firmen, Universitäten, Forschungsinstitute und die politischen Strukturen in der Großregion zusammenbringen und ihr Know-how dazugeben. Claussen: ‚Es mangelt nicht an Initiativen, sondern an Koordination‘.“

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durch Übernahme eines Aufsichtsratsmandats des Vorstands des ACOD in der Wirtschaftsinitiative für Mitteldeutschland und korporative Mitgliedschaften verschiedener Unternehmen des Automotive Clusters im Verein der Wirtschaftsinitiative geschaffen. Ausgehend von dem im Bereich der deutschen Automobilindustrie traditionell intensiv gepflegten Erfahrungsaustausch im Rahmen von Branchentreffs u.ä., aber auch aufgrund der konkreten Erfahrung der intensiven Zusammenarbeit mit regionalen Partnern im Rahmen des Automotive Clusters Ostdeutschland sowie der institutionellen Vernetzung unterschiedlicher Sektoren in der Wirtschaftsinitiative hatte Claussen überlegt, inwiefern eine in dieser Art gestärkte Zusammenarbeit auch im Kulturbereich angestoßen werden könnte, und beschloss, zu diesem Zwecke einen Austausch verschiedener Leipziger Kulturakteure mit Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft anzustoßen. Leitgedanke war es, auch hier Kooperationsmöglichkeiten in einem Netzwerk zu explorieren – z.B. im Sinne der gemeinsamen Standortstärkung für die und mit der Kultur, von der dann im Idealfall wiederum alle profitieren könnten. Erste Schritte und beteiligte Akteure Claussen wendete sich zunächst wegen seiner Wahrnehmung, dass die Kooperation zwischen den Akteuren im Kulturbereich deutlich geringer ausgeprägt war als zwischen den konkurrierenden Unternehmen im Automotive-Bereich, an den damaligen Kulturbürgermeister (und somit auch Chef verschiedener Kulturinstitutionen) Leipzigs, um dessen Sichtweise hierauf kennenzulernen. Dabei wurde eine gemeinsame Problemsicht deutlich. Der in der Diskussion geborene Vorschlag, aus dem Kulturdezernat heraus im Kulturbereich vergleichbare Netzwerkstrukturen wie oben für den Automotive- und andere Wirtschaftssektoren dargestellt zu entwickeln, schätzte der Kulturbürgermeister als in seinem Verantwortungsbereich nicht realisierbar ein, jedoch begrüßte er eine private Initiative durchaus. Daraufhin vereinbarte man, eine solche Initiative zu starten und einen Kreis möglicher Vertreter der unterschiedlichen Träger kultureller Initiativen und Institutionen zu identifizieren, die Claussen dann ansprechen konnte. Zusammenkünfte sollten zumindest zunächst ohne Vertreter der Politik oder Kulturverwaltung stattfinden. Die Anwesenheit der Geldgeber (oder in der Wahrnehmung vieler Kulturakteure: nichtGeldgeber) bzw. derjenigen Personen, die über die Vergabe von Fördermitteln entscheiden, hätte womöglich zu Befangenheit geführt. Im nächsten Schritt führte Claussen teilweise in Gegenwart der Verfasserin Gespräche mit verschiedenen Personen, von denen erwartet wurde, dass sie für eine solche Initiative offen sein könnten. Er skizzierte jeweils seine Vorerfahrung als Beweggrund, dass er als neu Zugereister und mit seiner positiven Kooperationser-

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fahrung innerhalb ‚seiner‘ Branche glaube, dass es bei einem so reichhaltigen Kulturangebot wie in Leipzig noch mehr Potential für den Standort sowie die einzelnen Kulturanbieter gebe, wenn die Kenntnis umeinander stärker ausgeprägt wäre und mehr kooperiert würde: einerseits im Kultursektor untereinander, aber auch, indem Unternehmen und Kulturorganisationen sich besser kennenlernten, um auch hier bislang ungenutzte Chancen aufzudecken. Nur eine der angesprochenen Personen, Musiker in einer Leipziger Streicherformation, machte deutlich, dass sie kein Interesse habe; alle anderen Kontaktierten waren zumindest neugierig genug, um sich auf ein erstes Treffen einzulassen. Die anfängliche Besetzung bestand neben Claussen und der Verfasserin aus • • • • • • •



dem (damaligen) Leiter des Kulturzentrums naTo e.V., Falk Elstermann, dem (damaligen) Intendanten des Leipziger Schauspiels, Prof. Wolfgang Engel, dem freischaffenden Komponisten Steffen Schleiermacher, dem Gewandhausdirektor, Prof. Andreas Schulz, der (damaligen) Leiterin der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Dr. Barbara Steiner, dem (damaligen) Leiter des Marketings der MDR-Klangkörper, Henry C. Brinker, dem (damaligen) Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Kultur- und Gesellschaftsgeschichte und geschäftsführenden Direktor des Instituts für Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig, Prof. Dr. Hannes Siegrist und dem Ehepaar Dr. Knut und Petra Löschke. Knut Löschke war Gründer und Geschäftsführer des Software-Unternehmens PC-Ware, das als schnell gewachsener Mittelständler zu den größten Arbeitgebern in Leipzig gehörte. Seine Ehefrau war ebenfalls in der Firma tätig.

Somit waren neben Wirtschaft und Universität Vertreter der klassischen Hochkultur wie der freien Szene, der Musik, der Bühnen- und der bildenden Kunst beteiligt. Abgesehen von Schleiermacher traten alle Teilnehmer nicht nur als Personen, sondern auch als Vertreter ihrer jeweiligen Organisation auf. Für die Kulturorganisationen ist zu unterstellen, dass sie zwar unterschiedliche, sich teilweise jedoch überschneidende Publikumsgruppen ansprechen. Das Kulturwissenschaftliche Institut der Universität hingegen liefert (nicht nur, aber insbesondere mit dem Teilbereich Kulturelle Praxis/Kulturmanagement) gleichsam eine theoretische Klammer und Reflexionsebene für das Tun der anderen Akteure sowie mit seinen damals etwa 1.000 Studenten überdies potentielle Praktikanten, freie Mitarbeiter und Nutzer kultureller Angebote – wenn man einmal unterstellt, dass Studierende der (insbesondere kunstnahen) geisteswissenschaftlichen Disziplinen in besonderer Weise an verschiedenen Kulturangeboten interessiert sind. Mit dem Schauspiel und dem Gewandhausorchester waren zwei der drei großen Leipziger Eigenbetriebe des Be-

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reichs Bühne vertreten, deren Dienstherr der Kulturdezernent ist. Die naTo ist als freier Kulturverein nicht weisungsgebunden, aber letztlich auch angewiesen auf städtische Fördermittel. Durch zahlreiche Zusammenarbeiten wie etwa mit einem nahe gelegenen Schulzentrum oder einem anderen Kulturzentrum, das ebenfalls im Leipziger Süden angesiedelt ist, ist die naTo als etablierter Akteur stark in das städtische Leben eingebunden und eine der am stärksten respektierten Einrichtungen der freien Szene. Die Galerie für Zeitgenössische Kunst ist seit 2003 eine Stiftung, die sich aus Geldern des Freistaates Sachsen und einer privaten Zustiftung speist. Sie hat sich neben dem traditionelleren und größeren Museum der bildenden Künste als Ort für zeitgenössische Positionen und Diskurse der Bildenden Kunst etabliert. Schleiermacher ist als freischaffender Künstler keiner öffentlichen Einrichtung verpflichtet, Kulturanbieter ist er dennoch: einerseits aufgrund seiner Tätigkeit als Komponist, Pianist und Interpret zeitgenössischer Musik, darüber hinaus aber auch insofern er Konzerte nicht nur spielt, sondern auch organisiert und moderiert – wie z.B. die der Reihe musica nova im Gewandhaus. Brinker als Mitarbeiter des Mitteldeutschen Rundfunks ist einerseits als Repräsentant der regionalen Medienlandschaft zu sehen, aufgrund seiner speziellen Rolle im Marketing der MDRKlangkörper aber auch als Vertreter eines Kultur-, hier: Musikanbieters. Brinker hat allerdings nur an den ersten zwei Treffen der Gruppe teilgenommen, da er seine berufliche Tätigkeit in Leipzig kurz darauf beendete und eine Funktion an der Dresdner Semperoper übernahm. Später kamen zwei weitere Mitglieder hinzu. Claas Danielsen leitet DOK Leipzig, das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, und baute das traditionsreiche Festival sukzessive zu einem internationalen Branchentreffpunkt aus. Gleichzeitig stieß der Schriftsteller Prof. Joseph Haslinger hinzu, der das Leipziger Literaturinstitut leitet. Das Institut ist eine Einrichtung der Universität Leipzig, die sich analog den Hochschulen für bildende Kunst, Musik und Theater als Kunsthochschule für Literaturschaffende, sprich: angehende Schriftsteller versteht, und damit in Deutschland eine einzigartige Institution ist. Die am runden Tisch9 bis dato repräsentierten Sparten wurden somit um die Literatur und den Film erweitert. Neben dem kulturwissenschaftlichen Institut war auch ein weiterer Ausbildungsbetrieb beteiligt, und mit dem DOK Festival wurde die Gruppe gewisser-

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Der Begriff des „Runden Tisches“ ist ein im Nachhinein von der Verfasserin gewählter. Während des Zeitraumes, in dem die im Folgenden geschilderten Treffen stattfanden, gab es keinen Begriff für die Formation, was nicht zuletzt Ausdruck des bewusst gering gehaltenen Formalisierungsgrades war. Um die Tatsache, dass die genannten Akteure in loser Reihenfolge und mit unterschiedlichen zeitlichen Abständen informell zusammentraten, im Text prägnant zu benennen, wurde der Begriff des Runden Tisches als am ehesten adäquat gewählt.

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maßen um einen Organisationstypus reicher, nämlich den des einmal jährlich stattfindenden Festivals. Das erste Treffen: gemeinsame Standortbestimmung Bei der ersten Zusammenkunft stellen sich die einzelnen Teilnehmer zunächst einander vor. Claussen erklärt daraufhin noch einmal für alle, mit welchem Ansinnen er ins BMW Werk eingeladen habe. Es gehe ihm darum, gemeinsam auszuloten, welche Formen der Zusammenarbeit zwischen den anwesenden und anderen Akteuren möglich seien und wie bereits bestehende Formen der Zusammenarbeit ergänzt und erweitert werden könnten. Er berichtet von seiner Begeisterung angesichts der Vielfalt und Dichte des Leipziger Kulturangebotes, die ihn als Zugereisten zunächst überrascht hatten. Er schildert außerdem die eigenen Erfahrungen mit Kooperationsmodellen in der Automobilbranche und erläutert seine Überzeugung, dass auch zwischen Wettbewerbern bestimmte Formen der Zusammenarbeit sinnvoll sein können. Im Sinne eines Einstiegs in den Austausch und zum Zwecke des besseren Kennenlernens moderiert Claussen eine Potential- bzw. SWOT-Analyse zur Leipziger Kulturlandschaft. Dabei werden die Sichtweisen der einzelnen Teilnehmer transparent – auf ihr Umfeld, ihre eigene Rolle sowie die Herausforderungen der und die Ansprüche an die eigene(n) Arbeit. So werden nicht nur Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wahrnehmung deutlich, sondern auch ein gemeinsamer Handlungsraum konstruiert. Die SWOT-Analyse ist ursprünglich ein Instrument des strategischen Managements und dient dazu, aus den Stärken und Schwächen (englisch: Strenghts and Weaknesses) einer Organisation und den Chancen und Risiken (Opportunities and Threats), die ihre Umwelt bereithält, eine geeignete Strategie abzuleiten. Als einfaches Werkzeug kann sie nicht nur zur Standortbestimmung einer Organisation, sondern auch einzelner Prozesse, Teams oder anderer Betrachtungsobjekte und zur Entwicklung von Handlungsoptionen und Lösungsalternativen herangezogen werden. Üblicherweise werden die Ergebnisse in Form einer Vierfeldermatrix dargestellt und dienen dann als Ausgangsbasis für strategische Überlegungen entlang der Fragestellungen, wie die Stärken noch weiter gestärkt, wie Chancen besser genutzt werden können, und wie andererseits Bedrohungen begegnet werden müsste und Schwächen dezimiert oder ausgeglichen werden sollten. Beim Sammeln der Stärken und besonderen Qualitäten der Leipziger Kulturlandschaft sind sich die Teilnehmer weitestgehend einig. Hervorgehoben werden insbesondere das große Angebot und die Vielfalt, die in verschiedensten Sparten herrscht, das herausragende Engagement und die Energie der einzelnen Akteure, die

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lebendige soziokulturelle Szene, die reiche Tradition Leipzigs als „Kulturstadt“10 und die Universität als „Kulturfaktor“ sowohl bezogen auf das Publikum als auch auf die Anbieter. Die Pluralität und Diversität als solche gilt es, so die einhellige Meinung, zu erhalten. Die alleinige Fokussierung auf vermeintliche „Leuchtturmprojekte“ sei nicht sinnvoll, wenn das Umfeld wiederum nicht ausreichend interessant sei.11 Vor diesem Hintergrund verwundern die identifizierten Schwächen kaum: Als Problem gesehen wird die häufig wahrgenommene Verengung des Blicks auf spezifische Leitbilder wie die „Musikstadt“ Leipzig, da diese an der tatsächlichen Vielfalt und Qualität des Leipziger Kulturlebens, gespeist u.a. auch aus der initiativreichen Soziokultur und Aktivitäten der freien Szene, vorbeigingen. Hier wie auch bei vielen weiteren als „Schwächen“ identifizierten Aspekten schwingt eine skeptische Haltung gegenüber der städtischen (Kultur-)Verwaltung und Politik mit. Diese nehme zu häufig nur die „Perspektive der Einsparung“ ein, wenn es um den kulturellen Sektor gehe, vielen Entscheidern fehle die persönliche, sinnliche Kunsterfahrung und somit auch das Interesse an einer qualifizierten inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Kulturanbietern. Überdies wird als Schwäche der Verwaltung das Unvermögen gesehen, adäquat zwischen den einzelnen Kulturakteuren zu vermitteln bzw. deren Diskussion zu moderieren und sie in Entscheidungsfindungen konstruktiv einzubeziehen. Dies treffe insbesondere die freie Szene. Neben diesen der Kulturverwaltung bzw. -politik zugeschriebenen Defiziten sehen sich die Teilnehmer mit einem in der Stadtregion Leipzig zahlenmäßig recht begrenzten Publikum konfrontiert. Die im Wesentlichen auf das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgehende Infrastruktur der Stadt, und das gilt in gewisser Weise auch für das Kulturangebot (hier insbesondere die großen Institutionen), ist auf eine deutlich höhere Einwohnerzahl als die aktuelle ausgerichtet – nämlich die ehemals 750.000 Einwohner. Zum ohnehin verhältnismäßig kleinen potentiellen Kulturpublikum12 kommt also noch die Diskrepanz von Angebotsgröße und zahlenmäßig möglicher Nachfrage. Aufgrund der (noch) relativ schwachen Wirtschaft sind im Vergleich zu vielen westdeutschen Großstädten pro-Kopf-Einkommen und folglich Steuereinnahmen eher niedrig. Verhältnismäßig mehr noch 10 Alle in doppelten Anführungszeichen stehenden Wörter und Passagen sind Zitate aus der Diskussion, die jedoch, wenn nicht expliziert, keinem speziellen Sprecher zugeordnet werden, entweder weil sie von mehreren Personen vorgebracht wurden oder weil sie sinngleich mit den Aussagen auch anderer Sprecher sind. 11 Beispiele für solche Versuche liefern das Guggenheim Bilbao und das Marta Herford (http://www.guggenheim-bilbao.es; http://marta-herford.de/, 1.1.2013). 12 Vgl. z.B. Keuchel, Susanne; Mertens, Gerald (20. September 2011): Präsentation des 9. KulturBarometers. Berlin. http://www.miz.org/artikel/2011_KulturBarometer.pdf (15.8. 2012).

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als in den Hauptstädten Berlin und Dresden kommen die Mittel der Kulturförderung aus dem kommunalen Haushalt; und das wirtschaftliche Umfeld macht Zuwendungen vermögender Privatleute, prosperierender Unternehmen wie auch großzügige Sponsoringverträge eher selten. Den Teilnehmern ist bewusst, dass sich an diesen externen Faktoren mittelfristig kaum etwas ändern wird. Durchaus zu beeinflussen sind hingegen, zu diesem Schluss kommt die Gruppe übereinstimmend, bestimmte „Schwächen“ auf Seiten der Kulturanbieter selbst. Dazu gehört ihrer Meinung nach an erster Stelle die unzureichende Kommunikation der einzelnen Akteure untereinander. Da es kein Forum des gemeinsamen, kollegialen Austauschs gebe, ist die Kenntnis voneinander nicht sehr ausgeprägt. Infolgedessen werden mögliche Schnittstellen und gemeinsame Interessenslagen nicht erkannt, obwohl es diese (wie die Diskussion zeigt) durchaus gibt – sei es mit Blick auf zu gewinnendes Publikum, die städtischen Kulturvertreter u.a. Dies gilt, und die Feststellung war vermutlich in gewisser Weise das am stärksten überraschende Moment, auch für Organisationen und Akteure, die unter einer künstlerisch-inhaltlichen oder milieubezogenen Perspektive und vielerlei anderen Gesichtspunkten (Größe, Organisationsform etc.) zunächst nicht allzu viel gemeinsam haben. Dass der Austausch nicht aktiver gesucht werde, habe viel mit Berührungsängsten zu tun, so ein Diskutant, ohne diese Vermutung jedoch zu präzisieren. Von Berührungsängsten war bei dem Zusammentreffen im BMW Werk allerdings kaum etwas zu spüren. Abgesehen von der nicht zufriedenstellenden Kommunikation untereinander werden als weitere Hemmnisse die ungenügende Kenntnis des (eigenen) Publikums genannt und die „überpolitisierte Kulturdiskussion“, zu der man sich mitunter auch hinreißen lasse – letztlich Verteilungskämpfe. Chancen sehen die Anwesenden im Umkehrschluss in der inhaltlichen und formalen Zusammenarbeit „jenseits von Grabenkämpfen“ und in einem Klima des Vertrauens, das beispielsweise durch informelle Gespräche geschaffen werden könne. Dieses bilde auch die Grundlage für konstruktive Auseinandersetzungen. Einige Beteiligte haben bereits positive Erfahrungen beim Lernen von und mit anderen Kulturorganisationen gesammelt. Dabei handelt es sich in der Regel um den Austausch mit Einrichtungen ähnlicher Spezialisierung an unterschiedlichen Orten. Genannt wurden hier insbesondere der intensive Austausch von Konzerthäusern und Theatern. So besteht beispielsweise enger Kontakt zwischen der Tonhalle Zürich und dem Gewandhaus Leipzig, und die zuständigen Fachvertreter tauschen sich über neue Angebotsformate, Marketingmaßnahmen u.ä. aus. Da sie in erheblicher geographischer Entfernung voneinander agieren, ist es für die beiden Institutionen nicht schädlich, Erfolgskonzepte zu teilen – schließlich kämpfen sie nicht um dasselbe Publikum, sondern maximal um eine gute Bewertung ihrer Arbeit durch Fachpublikationen. Ähnliches können der Theaterintendant Engel von der Zusammenarbeit im Deutschen Bühnenverein und die Museumsdirektorin Steiner in Bezug auf Kontakte mit anderen Ausstellungshäusern, Kunstvereinen u.ä. berichten.

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Ein solchermaßen interorganisationales Lernen sei aber sicherlich auch am selben Ort und spartenübergreifend möglich – etwa bei der gemeinsamen Auseinandersetzung mit Herausforderungen, die mehrere Organisationen in ähnlicher Weise betreffen und beschäftigen wie zum Beispiel die Ansprache und Gewinnung bestimmter Publikumsgruppen oder Themen der örtlichen Kulturpolitik. Der intensive Austausch und das Wissen um den anderen böten überdies die Möglichkeit, sich umso bewusster voneinander abzugrenzen und somit schärfer zu profilieren, so dass ein klares Bild jedes einzelnen Anbieters und ein differenziertes Mosaik der (Leipziger) Kulturlandschaft entstünden. In der intensivierten Kommunikation zwischen Akteuren der im Kultur- und der nicht im Kultursektor agierenden Privatwirtschaft werden ebenfalls Chancen gesehen, genauso wie in der gezielteren Kooperation mit Forschungseinrichtungen. Ein Diskussionsteilnehmer abstrahiert dies als Zusammenbringen des „technisch-wissenschaftlichen und des sinnlich-zeichenhaften Komplexes“. Schwächen wie der ständige Mangel an finanziellen Mitteln könnten in diesem Kontext denn auch durchaus als Chance gesehen werden, da somit ein gewisser Erfindungszwang bzw. die Notwendigkeit, gängige Praktiken zu überdenken und neue Wege zu beschreiten, herrsche. Zur Optimierung der Kommunikation untereinander sowie zum besseren Austausch wünschen sich die Diskutanten eine Art Bestandsaufnahme der Anbieter und Nutzer der Leipziger Kulturlandschaft. Erste Ideen weisen in Richtung einer webbasierten Plattform, in der Kulturschaffende und freie Initiativen ebenso wie etablierte Organisationen und öffentliche Einrichtungen mit ihren jeweiligen Arbeitsschwerpunkten, Interessen und Aufgaben erfasst sind und sich untereinander vernetzen können. Diesen Ideen wollen sich die Teilnehmer in weiteren Treffen widmen. Für unabdingbar halten sie im ersten Schritt und gleichsam als Basis für weiterführende Ideen die bessere gegenseitige Kenntnis. Vereinbart wird, die nächsten Treffen reihum in den beteiligten Einrichtungen stattfinden zu lassen. Als hilfreich erachten die Teilnehmer dafür eine „unabhängige“ Moderation, um diesen Austausch bestmöglich zu organisieren. Diese Rolle fällt, wenngleich zunächst nicht offiziell vereinbart, so doch quasi-automatisch dem Initiator Claussen zu, der diese in den Folgetreffen in unterschiedlicher Intensität wahrnahm. Aus der Position des teilnehmenden Beobachters war die Diskussion in mehrerlei Hinsicht interessant: Bemerkenswert war, dass sich die Teilnehmer (1) tatsächlich kaum untereinander kannten,13 (2) aber ein überaus großes Interesse zeigten, ja 13 Bereits sehr gut kannten sich die Chefs von Gewandhaus und Schauspiel, die in ähnlicher Konstellation und Rolle arbeiteten (beide als Leiter großer städtischer Eigenbetriebe). Schulz und Schleiermacher kannten sich auch bereits vorher, gestaltet doch Schleiermacher eine Konzertreihe im Gewandhaus. Ebenso hatten Brinker und Schulz schon miteinander zu tun gehabt, da sie sich mit der klassischen Musik in derselben Sparte bewegen,

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geradezu die Notwendigkeit besserer Kenntnis voneinander und Kooperation miteinander konstatierten. Dies mag zu einem gewissen Teil Ergebnis sozialer Erwünschtheit gewesen sein. Schließlich hatten sich alle Beteiligten im Vorgespräch mit Claussen bereits auf das Treffen eingelassen, und es ist nicht auszuschließen, dass sich die Beteiligten Kulturakteure auch etwas von der so gewonnenen Nähe zu BMW versprachen. Schließlich hätte bereits vorher allemal die Chance des Aufeinanderzugehens bestanden, zumal die Beteiligten zum damaligen Zeitpunkt schon länger in ihren Funktionen tätig waren. Der Enthusiasmus jedoch, mit dem der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit artikuliert wurde, war für die Initiatoren gleichermaßen erstaunlich wie erfreulich. Fortgang der Treffen: Kennenlernen und Austausch Bei den Folgetreffen waren wie vereinbart zuvörderst die einzelnen Einrichtungen selbst das Thema, d.h. sie wurden von ihren Leitern und teilweise auch in Anwesenheit weiterer verantwortlicher Mitarbeiter vorgestellt. Dabei wurden künstlerisch-inhaltliche Zielsetzungen erläutert, aber auch detaillierte Einblicke in Leitideen und inhaltliche Konzepte, Organisationsstrukturen, Managementprinzipien, finanzielle Ausstattung, spezifische Herausforderungen und Probleme gegeben. Die Offenheit, mit der hier Zahlen, Probleme und auch persönliche Einstellungen kundgetan wurden, ist bemerkenswert und war auch für die Teilnehmer in gewisser Weise obwohl selbst erzeugt doch überraschend, insofern in relativ kurzer Zeit ein Vertrauensverhältnis eher entstanden als aufgebaut worden zu sein schien. Die vom jeweiligen Gastgeber aufgebrachten Fragen und geschilderten Herausforderungen waren in der Regel Ausgangspunkt für die anschließende Diskussion bestimmter Themen des Kulturbetriebs und auch Anlass zu einem gemeinsamen Meinungsbildungsprozess in Bezug auf eher grundsätzliche Fragestellungen der Kulturpolitik und des Kulturmanagements. Teilweise wurden diese Gespräche auch ausgelöst von aktuellen Ereignissen und Erlebnissen oder dem letzten Gerücht des Leipziger Kulturlebens. Pejorativ: Klatsch und Tratsch; positiv gewendet: informelle Kommunikation wie sie innerhalb von Organisationen am Rande von offiziellen Zusammenkünften oder an Orten wie am Kaffeeautomat oder im Raucherraum stattfindet.14

und das Gewandhaus auch Spielstätte für die Klangkörper des MDR ist. Weniger ausgeprägt hingegen waren die Kontakte über die Sparten-/Sektorengrenzen hinweg. So gab es nur wenige persönliche Anknüpfungspunkte für Steiner, Elstermann und auch Siegrist. Danielsen und Haslinger ging es im zweiten Schritt nicht anders – mit dem Unterschied, dass alle anderen sich bei ihrem Dazukommen bereits besser kennengelernt hatten. 14 Teilweise werden die passenden Orte dafür bewusst geschaffen, um genau diese Art der Kommunikation zu fördern, da sie nicht nur ohnehin nicht zu vermeiden ist, sondern sich

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Die Diskussionsthemen waren vielfältig und reichten von konkreten Problemen des Kulturmanagements und der Kulturpolitik über grundsätzliche Themen wie die Bedeutung der Stadt oder Region bzw. des kulturellen Angebots vor Ort im Kontext internationalen Kunstgeschehens und angesichts der wachsenden Bedeutung elektronischer Medien. Angelegenheiten der aktuellen städtischen und freistaatlichen Kulturpolitik wurden ebenso thematisiert wie Vorzüge und Nachteile unterschiedlicher Rechtsformen, unterschiedliche Marketingkonzeptionen und die Chancen und Gefahren eines betriebswirtschaftlichen Effizienzverständnisses. Stets wiederkehrende Grundsatzfrage war jedoch die nach dem Anspruch an das eigene Tun, dem Auftrag von Kultur in der Stadt und ihrem Beitrag zum städtischen Leben. Daran anknüpfend ging es häufig um die Möglichkeiten, diesen Beitrag besser zu vermitteln und ein gemeinsames Lobbying für die Leipziger Kulturlandschaft zu betreiben, um im sparten- und organisationsübergreifenden Schulterschluss eine Stärkung in der öffentlichen Wahrnehmung bis hin zu den Nicht-Nutzern kultureller Angebote zu erzielen. Die gemeinsame Wahrnehmung war, dass es gerade angesichts vieler äußerer Restriktionen und ungünstiger Rahmenbedingungen sinnvoll wäre, die Zusammenarbeit untereinander zu stärken und gemeinsam Handlungsoptionen zu entwerfen, um auf negative, äußere Faktoren zumindest mittelbar Einfluss zu nehmen. Hierzu wurden verschiedene konkrete Projekte in den Blick und teilweise auch in Angriff genommen, doch fehlte schlussendlich zumeist die Möglichkeit oder Bereitschaft, die erforderlichen Mühen und Ressourcen zu investieren. Alle Aktivitäten wären zunächst arbeitsintensiv bei allerdings ungewissem Ausgang gewesen. Aufgrund der starken Arbeitsbelastung jedes einzelnen und der Einbindung in verschiedenste eigene Projekte und Vorhaben gestaltete es sich zumeist schon als schwierig, Termine für die regulären Treffen, also alle sechs bis acht Wochen, zu finden. Der teilweise große zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Zusammenkünften wiederum erschwerte ein müheloses Anknüpfen an die Vereinbarungen des jeweils vorherigen Treffens und das kontinuierliche Vorantreiben gemeinsamer Vorhaben. In einer ohnehin von Unsicherheit mit Blick auf finanzielle und personelle Ausstattung sowie die Nachfragesituation geprägten Umwelt mag dies nicht verwundern. Im Folgenden sollen dennoch einige der Ideen skizziert werden, die in der Gruppe entwickelt wurden. mitunter auch als ein probates Mittel des Wissenstransfers und der Gemeinschaftsbildung erweist. Dieser als „Cafeteria-Effekt“ bezeichnete Wirkzusammenhang wird auch in der Netzwerkforschung bemüht. Vgl. z.B. Adrian 2003, S. 20, oder auch die Untersuchungen zu sogenannten Communities of Practice, z.B. Wenger, Etienne C; Snyder, William M.: Communities of Practice (2000). The Organizational Frontier. In: Harvard Business Review 1-2. S. 139-145; Henschel, Alexander (2001): Communities of Practice. Plattform für individuelles und kollektives Lernen sowie den Wissenstransfer. Bamberg; Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.

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Regelmäßige Beiträge im Newsletter der ‚Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland‘ Nach dem gegenseitigen Kennenlernen war eines deutlich geworden: Die einzelnen Organisationen arbeiten – wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung – auch in Fragen des Managements mit großer Kompetenz, erproben innovative Konzepte und bedienen sich zahlreicher professioneller Instrumente, die sie an ihre spezifischen Erfordernisse anpassen. All diese positiven Elemente der Kulturbetriebsführung werden jedoch, so die einhellige Meinung der Diskutanten, höchst selten außerhalb der jeweiligen Einrichtung wahrgenommen – insbesondere in einem Umfeld, das vorrangig von Haushalts- und Kürzungsdiskussionen geprägt ist. Auch wenn alle Teilnehmer des Runden Tisches den Wert des Kulturangebots an sich betonen und ihre Produkte nicht zugunsten der Wirtschaft oder Politik als Image-Faktor „instrumentalisieren“ wollen, halten sie es durchaus für sinnvoll, etwaige positive Effekte, die eher Nebenprodukt des Kulturanbietens und ihres eigentlichen Tuns sind, zu nutzen, um ihre Wahrnehmung in Quantität und Qualität, d.h. mit Blick auf spezielle Zielgruppen, zu verbessern. Denn, so propagieren insbesondere Claussen und Löschke, mit dem Image- oder ökonomischen Argument können auch NichtKonzertgänger und Museumsskeptiker unter den Entscheidern zumindest für eine positive Haltung gegenüber den Kulturanbietern gewonnen werden. Systemtheoretisch gewendet wäre dies der Versuch, überhaupt in die Kommunikation eines bestimmten Systems zu gelangen, indem thematische Anschlussfähigkeit trotz eigentlich unterschiedlicher Handlungslogiken hergestellt wird. Die oben bereits erwähnte Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland versendet jeden Freitag einen E-Mail-Newsletter mit Wirtschaftsnachrichten aus der Region an einen großen Verteiler, bestehend insbesondere aus Firmenvertretern, Mitgliedern der öffentlichen Verwaltung und politischen Institutionen. Die Überlegung war, diesen Kanal im Sinne des oben beschriebenen Ansatzes zu nutzen, nämlich um Nachrichten aus dem Kultursektor jenseits der klassischen Werbung zu placieren. Diese Nachrichten sollten bewusst keine Information über Programme oder künstlerische Inhalte (wie etwa in Programmheften und auf Flyern) sein, sondern auf das Wirtschaften und das manageriale Handeln in den Kulturorganisationen sowie auf interessante Hintergrundinformationen dieser fokussieren. Auf diesem Wege könnte, das war die Ausgangsidee, eine spezielle Zielgruppe (Multiplikatoren, Personen mit gewichtiger Stimme, potentielle Sponsoren) adressiert und positiv für die Kulturorganisationen eingenommen werden – und zwar relativ unabhängig vom Gefallen oder Nicht-Gefallen am künstlerischen Programm, sondern vielmehr über den impliziten Verweis auf die professionelle Arbeitsweise und die Leistung für das Gemeinwesen. Optimale Nachrichten wären demnach z.B. die Auszeichnung des Gewandhauses mit einem Marketingpreis, die mit dem Besucherrekord des DOK

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Festivals angelockten Touristen, Kulturinstitutionen als Ausbildungsbetriebe, ein neuartiges Sponsorenkonzept, Kooperationen mit Schulen o.ä. Eine regelmäßige Berichterstattung in dieser Art, nämlich jenseits der klassischen Feuilletonpresse und Kunstkritik könnte im Sinne eines allmählichen Wandels der Wahrnehmung zu einem insgesamt positiv konnotiertem Bild der Kulturakteure beitragen – idealiter mit der Folgewirkung auch einer positiven Wahrnehmung der öffentlichen Mittelvergabe an deren Organisationen und Projekte sowie der Generierung möglicher Kooperationspartner und sonstiger Unterstützer (aus der Wirtschaft). Für diese Idee hätten die Teilnehmer des runden Tisches als Vorreiter fungiert und erste Meldungen hervorgebracht. Aufgrund des regionalen (d.h. nicht nur Leipzig-bezogenen) Fokus’ der Wirtschaftsinitiative hätten allerdings Kulturorganisationen aus den drei Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vertreten sein müssen. Auf gemeinsamen Beschluss hin wurde durch die Verfasserin versucht, Kulturorganisationen in anderen Städten zu kontaktieren, um sie für den Ansatz zu gewinnen. Dazu wurde Kontakt mit den jeweiligen Kulturverwaltungen aufgenommen, d.h. zunächst Telefonate geführt, dann aber auch eigens Besuche unternommen. Es erwies sich jedoch als sehr schwierig, das spezielle Anliegen, nämlich bewusst keine Programmnachrichten, sondern solche, die Management, Organisation oder wirtschaftlichen Beitrag in den Vordergrund rücken, zu erklären. Die angesprochenen Personen hatten die zahlreichen Diskussionen des Runden Tisches in Leipzig nicht mitbekommen, aus denen die Idee entstanden war, und somit musste es ihnen befremdlich oder wenig nachvollziehbar erscheinen, warum sie sich hier nicht mit Programm und Inhalten, sondern – ausgerechnet! – mit ihrer Verwaltung profilieren sollten. Teilweise war die Haltung daher ganz prinzipiell ablehnend und äußerte sich etwa in Gestalt des Ökonomisierungsvorwurfs oder einfach unverständig, d.h. es wurden Vorschläge unterbreitet, die am Ende doch wieder den Genres Programminformation und Kritik zuzuordnen gewesen wären. Womöglich wäre es erfolgsversprechender gewesen, die Kontaktaufnahme und das Argument den Kulturakteuren zu überlassen, da diese gerade bei einem Unterfangen, das den eigentlichen (und vermutlich in erster Linie identitätsstiftenden) künstlerischen Anliegen zunächst gegenläufig erscheint, im Zweifelsfalle größere Überzeugungskraft gehabt hätten. Auch wäre es gut gewesen, das Konzept zunächst in Leipzig zu pilotieren und dann Einrichtungen anderer Städte hinzuzuziehen, was die Wirtschaftsinitiative unter Verweis auf ihr regionsbezogenes Konzept jedoch ausschloss. Das Projekt scheiterte somit daran, dass es nicht gelang, ausreichend viele Textlieferanten aus der gesamten Region zu gewinnen, mit denen regelmäßig Meldungen hätten generiert werden können. Allerdings wäre genau diese Regelmäßigkeit, und sei es monatlich, auch aus Sicht der Geschäftsführung der Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland, deren Medium man sich zunutze gemacht hätte, notwendige Voraussetzung gewesen.

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BMW Werk und PC-Ware als Labor Eine weitere, jedoch wenig präzisierte Idee war, das BMW Werk Leipzig bzw. die Firma PC-Ware mit ihren Mitarbeitern als „Labor“ zu nutzen. Mit 4.000 Mitarbeitern auf dem Werksgelände bildet das BMW Werk einen Ausschnitt der Gesamtbevölkerung der Region, und eine große Personengruppe, mit denen etwa Vorgehensweisen zum Publikumsgewinn erprobt werden könnten. In ähnlicher Weise gilt dies ebenfalls für die Firma PC-Ware – mit zwar weniger Mitarbeitern, die jedoch im Schnitt über eine relativ hohe Formalbildung verfügen. Die Gruppe diskutiert in diesem Zusammenhang bekannte Modelle wie den Kauf von Kontingenten an Eintrittskarten für Kulturveranstaltungen oder auch ganzer Aufführungen sowie die Beteiligung von Mitarbeitern etwa als Laienschauspieler bei bestimmten Inszenierungen, um die Identifikation (hier:) mit dem Theater zu stärken. Siegrist warnt in diesem Zusammenhang vor einer „Kulturkolonisierung“ der Arbeitswelt, und Steiner kritisiert den aufklärerisch-erzieherischen Impetus, mit dem derlei Aktionen häufig durchgeführt würden. Beide plädieren vor diesem Hintergrund eher für das Anbieten von „Appetit-Häppchen“ im Umfeld des Arbeitgebers, wobei Steiner das Problem eines immer stärker ausdifferenzierten Publikums für ein Hemmnis hält: Man könne nicht mehr pauschal eine Großgruppe unterschiedlicher Menschen erreichen. Claussen sieht gerade diese Laborsituation als eine Chance, um Kommunikationskonzepte zu testen und die unternehmensintern bestehenden Kanäle der formalen und informalen Unternehmenskommunikation zu nutzen. Neben den oben genannten fehlte es letztlich an konkreten Ideen, wie die beiden Unternehmen als „Labore“ für den Umgang mit dem bzw. die Gewinnung neuen Publikum(s) hätten nutzbar gemacht werden können. Stärkere Beteiligung bei der Entwicklung eines Kulturentwicklungsplans Während der Reihe von Treffen des Runden Tisches gab es seitens der Stadtverwaltung in Leipzig Bestrebungen, einen Kulturentwicklungsplan aufzusetzen.15 Zu diesem Zweck waren drei Gremien begründet worden, nämlich ein Kreis der Leiter der städtischen Kulturbetriebe, der unter Leitung eines Professors für Soziologie und

15 Vgl. http://www.leipzig.de/de/buerger/kultur/kep/ (10.8.2012); N.N. (9.9.2006): Kulturentwicklungsplan. Breite Diskussion für die nächsten zehn Jahre erwünscht. In: Leipziger Amts-Blatt, H. 18. S. 2. Vgl. zum Thema Kulturentwicklungsplan allgemein Wagner, Bernd (2011): Kulturentwicklungsplanung – Kulturelle Planung. In: Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis. Hrsg. von Armin Klein. München: Franz Vahlen. S. 165-183 und die dort zitierte Literatur.

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(Kultur-)Unternehmensberaters16 in einer Reihe von Workshops vier Arbeitsthesen für ein kulturelles Leitbild der Stadt entwarf, ein Redaktionsteam, das den Kulturentwicklungsplan formulieren sollte (kurz: KEP) und ein Beirat, der sich aus sieben Mitgliedern zusammensetzte, die bewusst keine Vertreter von Kultureinrichtungen, sondern Personen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialwesen und Kirche waren, um eine Außenperspektive in den Prozess einzuspielen.17 Nachdem sich die Diskussion um die Wichtigkeit von kulturpolitischen Zielen und den Anteil verschiedener Akteure daran in diesem Beirat als äußerst schwierig (da hoch emotional und von den persönlichen Wertvorstellungen der Mitglieder getrieben), erwiesen hatte, schlug eines seiner Mitglieder, der Professor für Betriebswirtschaftslehre Dr. Thomas Lenk, dem Gremium den Einsatz eines betriebswirtschaftlichen Instruments, der Nutzwertanalyse18 vor: Diese könne helfen, die Diskussion um den 16 Prof. Dr. Dieter Haselbach, Unternehmensberater mit Schwerpunkt im Non-Profit-Bereich, Autor verschiedener Veröffentlichungen zu Kulturwirtschaft, Kulturbetriebsführung u.ä., zuletzt Mitautor der auch hier zitierten Monographie Der Kulturinfarkt, in der einige Fragen, die auch im Zusammenhang mit der Kulturentwicklungsplanung gestellt wurden, deutlich formuliert sind: „Ist jede einzelne Kultureinrichtung tatsächlich ‚systemrelevant‘, ‚unverzichtbar‘ und ‚unersetzlich‘? Ist die Frage nach dem Umfang der kulturellen Infrastruktur als Status quo tatsächlich die Existenzfrage der Kultur? Oder, sehr verkürzt: Wo ist der Diskurs, der in der Kulturpolitik die Ziele benennt, die eine Abwägung zwischen Sparen und Nichtsparen oder Draufsatteln erst ermöglichen? Und wo ist die Debatte darüber, was nicht geförderte Kultur an Identität, an Verständigung und Selbstgewissheit produziert, individuell wie kollektiv? Und ob widersprüchliche Modelle ein überlebensfähigeres Gemeinwesen hervorbrächten als der alte Traum von der einen einigenden Kultur?“ (Haselbach et al. 2012, S. 13). 17 Zu den anfänglichen Mitgliedern des Beirats gehörte auch Schleiermacher, der jedoch bereits zu Beginn der Aktivitäten des Beirats auf eigenen Wunsch aus der Gruppe austrat. Vgl. nicht nur zu den eingesetzten Gremien, sondern zum gesamten Prozess den Aufsatz Lenk, Thomas; Oelsner, Andreas; Reimann, Sandra Beate (Februar 2010): Von der Nutzwertanalyse zum Kulturranking – Erfahrungen am Beispiel der Messestadt Leipzig. Leipzig. http://www.uni-leipzig.de/fiwi/Forschung/arbeitspapiere/42_Von%20der%20Nu tzwertanalyse%20zum%20Kulturranking.pdf (12.8.2012). Claussen war ebenfalls gefragt worden, ob er Mitglied des Beirats sein wolle, hatte dies jedoch von vornherein abgelehnt, da ihm die Legitimation des Gremiums und dessen Rolle bei der gewählten Vorgehensweise fraglich erschien. 18 Die Nutzwertanalyse ist eine Methodik der Entscheidungstheorie und soll mittels eines Bewertungsverfahrens alternative Handlungsoptionen vergleichen helfen, auch und gerade wenn es hierzu zunächst keine quantitativ messbaren Kriterien gibt. Dazu werden zunächst eine Zielhierarchie gebildet und daraus Kriterien abgeleitet, die wiederum hinsichtlich ihrer Relevanz für das übergeordnete Ziel gewichtet werden. Die zur Verfügung

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Beitrag von Kultureinrichtungen zu den politisch formulierten Zielen zu objektivieren bzw. Kriterien zu identifizieren, mit denen eine Standortbestimmung und Bewertung von Kulturanbietern transparent gemacht werden könne.19 Der Beirat nahm diesen Vorschlag an; und die städtischen Einrichtungen und ihre Leistungen wurden daraufhin unter Einsatz der Nutzwertanalyse „ins Verhältnis zu den vier Hauptzielen“ des Kulturentwicklungsplans gesetzt, um auf dieser Basis „gegebenenfalls eine Prioritätensetzung zu ermöglichen“.20 Es entstand eine Tabelle, aus der im Sinne eines ersten Wurfs hervorging, welche Einrichtung in welcher Weise einen Beitrag zu den gegebenen Zielsetzungen brächte. Diese allzu häufig als „Rangliste“21 bezeichnete Tabelle geriet vorzeitig an die Medien und löste nicht nur eine heftige Debatte unter den (betroffenen) Kulturschaffenden und kulturinteressierten Bürgern, sondern v.a. auch eine Welle der Ablehnung gegen das „Kulturranking“, wie es fortan hieß, aus. Zu sehr suggerierte die mediale Berichterstattung, es handele sich um eine konsolidierte „Streichliste“, mit deren Hilfe nur die Einsparung öffentlicher Gelder im Kulturbereich legitimiert werden sollte. Die Sinnhaftigkeit des Instruments und eines Kulturentwicklungsplans als solchem wurden vor diesem Hintergrund vielfach pauschal in Frage gestellt, während andere Kritiker differenzierter auf die Intransparenz beim Zustandekommen des Rankings und die mangelnde Einbindung der betroffenen Einrichtungen abzielten, dessen prinzipiellen Nutzen aber zugestanden oder nicht negierten. Der Kulturentwicklungsplan samt Nutzwertanalyse war selbstredend auch Thema diverser, teilweise erregter Diskussionen am Runden Tisch: Einige Mitglieder gehörten dem Gremium der Leiter von Leipziger Kultureinrichtungen an. Andere waren ‚nur‘ Betroffene, oder bemängelten, das noch nicht einmal explizit zu sein,

stehenden Alternativen können nun hinsichtlich ihres Zielerreichungsgrades bewertet werden (z.B. mit Hilfe einer Punktevergabe). Multipliziert mit der Zielgewichtung ergeben sich Teilnutzwerte, die wiederum zu einem Gesamtnutzwert je Alternative addiert werden können. Wichtig beim Einsatz der Nutzwertanalyse ist, dass es klare Ziele gibt, an denen ausgerichtet die Handlungsalternativen miteinander verglichen und letztlich untereinander gewichtet werden können, sowie ein durchdachtes Kriterienset, das sich ausreichend operationalisieren lässt. Wenn diese Prämissen berücksichtigt werden, kann die Nutzwertanalyse dabei helfen, Diskussionen zu objektivieren (vgl. Bechmann, Arnim (1978): Nutzwertanalyse, Bewertungstheorie und Planung. Bern: Haupt). 19 Vgl. Lenk et al. 2010. Hier findet sich auch eine gut verständliche Darstellung des Instruments der Nutzwertanalyse. 20 Vgl. ebd., S. 8. 21 Sie wurde übrigens in ihrer Erstversion aufgrund der Ressortzugehörigkeit im städtischen Haushalt ausgerechnet vom Leipziger Zoo angeführt.

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im Kulturentwicklungsplan somit gar nicht vorzukommen.22 Einige fürchteten eine Verengung städtischer Kulturförderung auf Leuchtturmprojekte, das Motto „Musikstadt Leipzig“ bzw. die Vernachlässigung anderer Sparten ebenso wie die Orientierung hin zu einer einzig auf Tourismus und Standortpolitik ausgerichteten Herangehensweise, die wiederum dem bereits Bekannten, dem Traditionellen und dem leicht verdaubaren Kunstangebot den Vorzug geben würde. Kurz: Die Sorge war, dass der Kulturentwicklungsplan dem kulturellen Angebot der Stadt in seiner Vielfalt und seiner Innovationskraft nicht gerecht werden könne. Um weiteren Spekulationen vorzubeugen, einigten sich die Vertreter des Runden Tisches darauf, den ‚Verantwortlichen‘ Lenk zu einem der nächsten Treffen einzuladen, damit dieser das Instrument genauer erläutern könne. Dem Gastredner wurde zunächst mit großer Skepsis begegnet, doch nach dessen Erläuterungen keimte zumindest Sympathie für ein Vorgehen, das zunächst politisch definierte Leitlinien für das gewollte Profil der „Kulturstadt Leipzig“ vorsieht und davon Messkriterien für die verschiedenen Dimensionen (etwa Traditionspflege, kulturelle Bildung, Innovationskraft, Reputation über die Stadtgrenzen hinaus, Pflege der Stadtteilkultur) ableitet, mit denen wiederum der Beitrag zum politisch gewollten Profil bewertet werden kann.23 Diejenigen Einrichtungen, die dieses Profil bzw. 22 Die Nutzwertanalyse wurde nur auf die städtischen Einrichtungen angewendet, während städtisch geförderte Institutionen etwa der freien Szene nur gesammelt als Gruppe „Freie Szene/Kulturförderung“ und somit undifferenziert bewertet wurden. 23 Dies war – so erläuterte Claussen zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich – ein Teilergebnis des vom Stadtrat eingesetzten „Sachverständigenforums“, das den Auftrag hatte, einen Vorschlag für die Strategie der Stadt Leipzig (nicht nur in Bezug auf Kulturfragen) zu entwickeln. Dieses setzte sich aus Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilbereiche zusammen (u.a. waren Claussen, Lenk und Steiner Mitglieder). Als zentrale Zukunftsfragen für Leipzig kristallisierte sich hier heraus, wie die vorhandene Vielfalt der Infrastruktur erhalten und die Einwohnerzahl stabilisiert werden könnten (Infrastruktur für 750.000 Menschen vs. Finanzierung durch nur 450.000 Einwohner). Die Überlegung war, dass sich alle anderen Aktivitäten des Stadtrats dieser Zielsetzung unterordnen sollten. In diesem Zusammenhang wurden der Zuzug und das Halten junger und insbesondere leistungsfähiger Familien in besonderer Weise beleuchtet und u.a. gefordert, dass freie Mittel dem Erhalt einer bunten und attraktiven Infrastruktur beginnend von Kinderbetreuung bis hin zur Kulturförderung zugutekommen müssten. Nach langer Diskussion wurde so zum Beispiel die Bedeutung von Fördermitteln für die Kultur höher eingeschätzt als der professionelle Sport. Lenk regte an, dass es zur Bewertung und Priorisierung künftiger Ausgaben ein Controlling geben müsse, woraufhin Claussen die Nutzwertanalyse als eine Möglichkeit vorschlug, allerdings unter einer anderen Prämisse: Die Stadt sollte für alle Projektanträge, die mit finanziellen Ressourcen gefördert werden wollten, eine Nutzwertanalyse der Antragsteller einfordern, in denen diese bewerten und

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einzelne seiner Dimensionen in besonderer Weise widerspiegeln, könnten dann in besonderem Maße gefördert werden, zumindest wäre dies politisch konsequent. Verstanden als Instrument zur Gewinnung von Transparenz über die Leistungs(und nicht immer nur die Kosten-)Seite der Kulturanbieter, das basierend auf ausführlicher politischer Diskussion und nicht digital angewendet wird, können die Teilnehmer des Runden Tisches dem Ansatz zunehmend etwas abgewinnen. Denn ein solches Verfahren, so auch die von Lenk propagierte These, schafft die Möglichkeit, Kompetenz und Produkten die nötige Wahrnehmung und Würdigung zu verschaffen – unabhängig von individuellen „Werturteile[n]“ und „Präferenzstrukturen“24 einzelner Entscheider. Auch solche Organisationen, die bis dato nicht in den Genuss einer städtischen Förderung gekommen sind, erhalten hierzu basierend auf ihrer Leistung eine Chance. Überdies wäre eine Basis geschaffen, um die Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Geldgeber über Zielvereinbarungen verlässlich zu organisieren.25 Wichtig ist in jedem Falle die Begleitung durch einen transparenten Diskussionsprozess, um vorschnelle Ableitungen aus einem über die Nutzwertanalyse zustandekommenden Ranking zu vermeiden. Das Gelingen eines Kulturbegründen sollten, welchen Nutzenbeitrag sie zu den detailliert formulierten, im Stadtrat verabschiedeten und somit politisch legitimierten Zielen der Stadt leisten wollten und dann entsprechende Zielvereinbarungen abschließen. Formal kann diese Selbstdarstellung in die Form der Nutzwertanalyse gegossen werden, die dann als Grundlage einer Diskussion und auch von möglichen Zielvereinbarungen dienen würde. Der Stadtrat hatte zwar eine ganze Reihe der vom Sachverständigenforum vorgeschlagenen Ziele verabschiedet, allerdings gab es weder ein offizielles Rahmenpapier, noch eine klar formulierte Strategie oder ein daraus abgeleitetes, konsistentes Zielsystem, geschweige denn ein darauf bezogenes Controlling. Dennoch wurde im Kontext der Kulturförderung das Instrument der Nutzwertanalyse isoliert herangezogen und dem Beirat für den Kulturentwicklungsplan ohne die notwendige Kontextklärung vorgeschlagen. So wurde zur Verkürzung auf ein Ranking, was als Instrument zur besseren Operationalisierung politischer Ziele sowie auch zur Transparenz hinsichtlich Zuwendungen und Kürzungen gedacht war. Vgl. zum Thema Auswirkungen des demographischen Wandels auf Kultur: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW) (Oktober 2005): Demografischer Wandel. Konsequenzen für die kulturelle Infrastruktur. Fachgesprächsreihe. http://www.ils-shop.nrw.de/down/kultur-demogr.pdf. 24 Lenk et al. 2010, S. 21. 25 Lenk sieht darüber hinaus Vorteile in einem entstehenden, „stärkeren Wettbewerb“ der Einrichtungen untereinander und somit deren „schnellere Anpassung“ an „veränderte kulturelle Bedürfnisse“, verschwiegt aber auch nicht, dass die Methode Probleme birgt. Die Kriterien und ihre Gewichtung sind letztlich auch subjektiv, wobei diese Schwäche minimiert wird, indem ein intersubjektiver Diskussionsprozess stattfindet, also z.B. eine Gruppe von Individuen über das Kriterien-Set befindet. (ebd., S. 20).

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entwicklungsplans inkl. Nutzwertanalyse im Sinne der Kulturanbieter als auch der Steuerzahler hinge somit erstens von der qualitativen Diskussion über das, was gewollt ist und was Förderung benötigt, und zweitens von den anzulegenden Messkriterien, mit denen die potentiellen Fördermittelempfänger bewertet würden, ab. Solche Kritierien hätten freilich in einem Prozess politischer Aushandlung festgelegt bzw. in den Strategierahmen konsistent eingearbeitet werden müssen. Da sich der Kulturentwicklungsplan noch in der Entstehungsphase befand, entwickelten die Mitglieder des Runden Tisches Überlegungen dazu, wie sie sich angesichts eines (zumindest hinsichtlich seiner Entstehung) nicht zufriedenstellenden Rankings positionieren und ob sie einen alternativen Prozess im Sinne eines Gegenentwurfes anstoßen könnten, bei dem zwar die Kriterien Messbarkeit und Transparenz ebenfalls erfüllt wären, bei dem aber unter einer konstruktiveren Perspektive als der – so die Wahrnehmung – des Sparzwanges diskutiert würde. Hierzu wurden verschiedene Modelle eines solchen selbstgesteuerten Prozesses erwogen. Es gab einerseits die Idee, sich als kleine Gruppe des Runden Tisches mit der Nutzwertanalyse besser vertraut zu machen und dann beispielhaft mit selbst definierten Zielen und Zielerreichungskriterien die eigenen Organisationen zu bewerten. Die Mitglieder wären somit in der Lage gewesen, das Instrument aus eigener Anschauung besser zu beurteilen und einen sinnvollen Einsatz zu forcieren. Zwar schätzten sie die Arbeit in der kleinen Gruppe als solche, andererseits gab es Bedenken, wäre diese doch ähnlich intransparent wie die des Beirates gewesen und hätte sich den Vorwurf mangelnder Legitimation gefallen lassen müssen. Daher wurde überlegt, ob ein solcher Prozess auch im Rahmen einer moderierten Großgruppenarbeit etwa im Wechsel mit Kleingruppen oder einem Kernteam stattfinden könne. Einig war man sich jedenfalls darin, dass dies eine gute Gelegenheit sei, selbst aktiv zu werden und auf die weitere Ausgestaltung des Kulturentwicklungsplans gewissermaßen von der Basis her Einfluss zu nehmen. Claussen bot an zu versuchen, für einen auch größer dimensionierten Aushandlungsprozess einen professionellen Moderator zu gewinnen. Im Zusammenhang mit der Kulturentwicklungsplandebatte beschloss die Gruppe jedoch zunächst, den eigenen Kreis zu erweitern, um größere Repräsentativität zu erlangen und neue Impulse zu bekommen.26 Gemeinsam erwog man, welche Organisationen sinnvollerweise noch vertreten sein könnten und mit welchen Personen man die bis dahin schon gewachsene, vertrauensvolle Kommunikation teilen wolle. Die Wahl fiel wie oben bereits erwähnt auf den Direktor des DOK Leipzig Danielsen und den Leiter des Deutschen Literaturinstituts Haslinger.

26 Zeitlich fiel dies damit zusammen, dass bis auf Schleiermacher, der nicht als Repräsentant einer Organisation dabei war, alle Einrichtungen einmal Gastgeber gewesen waren und den anderen ihre Arbeit vorgestellt hatten.

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Trotz der Erweiterung der Gruppe, sehr engagierter Diskussionen und ambitionierter Ideen kam es nicht zu einer gemeinsam aufgesetzten Aktion hinsichtlich des Kulturentwicklungsplans oder der Nutzwertanalyse. Ein Grund dafür ist sicher wieder, dass die Organisation eines wie auch immer gearteten Aushandlungsprozesses einen großen Aufwand bedeutet hätte. Abgesehen davon waren einige Gruppenmitglieder bereits in den vom Kulturdezernat angestoßenen Prozess als Mitglieder des Gremiums der Kultureinrichtungsleiter involviert. Die Stadtverwaltung hatte den insbesondere mittels der vorzeitigen Veröffentlichung des „Kulturrankings“ gesteigerten Diskussionsbedarf und die Dynamik der Debatte nicht mehr ausblenden können. Eine Reaktion darauf war zumindest nach Darstellung Lenks das Einberufen eines monatlichen Jour Fixes, zu dem zahlreiche Vertreter Leipziger Kultureinrichtungen eingeladen wurden, die reihum ihre Organisationen vorstellen sollten, um sich gegenseitig besser kennenzulernen und voneinander zu lernen27 – ein ganz ähnliches Modell also wie das des hier vorgestellten Runden Tisches. Bemerkenswerterweise begann man auch hier mit einer Einladung ins und Vorstellung des Gewandhaus(es), und einer der hinzugezogenen Vertreter aus der Wissenschaft war Siegrist, der bereits von Anfang an beim Runden Tisch mit dabei gewesen war. Positiv zu werten ist nach Darstellung einiger Mitglieder, dass sie sich zu vielen Detailfragen der Kulturentwicklungsplanung bereits im Vorfeld intensiv hatten austauschen und sich gemeinsam eine Meinung bilden können, womit sie für die in größerer Öffentlichkeit und unter Anwesenheit von Vertretern der Kulturverwaltung stattfindenden Debatten ‚gewappnet‘ waren bzw. teilweise auch mit einer Stimme sprechen konnten. Von einer Außenperspektive ist überdies anzumerken, dass das Format einer kleineren Gruppe es ermöglichte, bei den Beteiligten ein besseres Verständnis für das Instrument der Nutzwertanalyse zu erzeugen, somit die Argumentationskraft jedes einzelnen (egal ob für oder wider) zu stärken und die Diskussion in Summe etwas zu rationalisieren. Dies war in der kulturpolitischen und -interessierten Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt kaum mehr möglich. 27 Vgl. ebd., S. 11. Parallel dazu hatte Claussen dem Kulturdezernenten gegenüber deutlich gemacht, dass der Runde Tisch einen Nutzen gezeigt habe, das Konzept sich also zur Weiterführung durch die Stadt empfehle. Als dann der städtische jour fixe gegründet war, hatte Claussen beim Runden Tisch die Frage gestellt, ob dieser Kreis sich denn nun, da es ein alternatives Forum gebe, nicht auflösen solle, doch dies stieß – womöglich aufgrund einer noch bestehenden Skepsis gegenüber dem neuen städtischen Format – nicht auf Zustimmung. Claussen konnte aufgrund einer Vielzahl an zusätzlicher Verpflichtungen, die er neben der Rolle als Werkleiter bei BMW übernahm, nicht mehr so viel Zeit in informelle Einzelgespräche und Treffen investieren, wie er das zuvor getan hatte. Sein persönlicher Lerneffekt hieraus ist nach eigener Aussage gewesen, „dass eine solche Struktur einen Treiber braucht; nach Möglichkeit auch jemanden der (relativ) weit außerhalb der verhandelten Interessen steht, die in einer solchen Runde verhandelt werden sollen“.

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Internet-Plattform Leipziger Kultur Eine wesentliche Erkenntnis sowohl der Stärken-/Schwächen-Analyse als auch der gegenseitigen Vorstellungen war, dass Kooperationen bereits häufig stattfinden, dann allerdings zumeist inhaltlich getrieben sind, da die Anknüpfungspunkte hier schneller sichtbar werden. Daneben gebe es jedoch auch ein weniger genutztes Potential an strukturellen Kooperationsmöglichkeiten, die allerdings eine bessere Kenntnis voneinander – nämlich nicht nur der Programme, sondern auch der spezifischen Arbeitsstrukturen und Ressourcen – voraussetzt. Diese sei, so die einhellige Meinung, bis dato zu wenig ausgeprägt. Außerdem fehle für unkomplizierte Abstimmungen zum Beispiel bezüglich ungünstiger Terminüberschneidungen (etwa: zwei Veranstaltungen am selben Abend nehmen sich gegenseitig das Publikum) oder zum Austausch von Ressourcen ein passendes Instrument. In dem Bewusstsein, dass eine so intensive Form des gegenseitigen Kennenlernens wie in der exklusiven kleinen Gruppe des Runden Tisches nicht flächendeckend zu ermöglichen bzw. ausgetauschte Information ab einer gewissen Größenordnung nicht mehr beherrschbar wären, kam die Überlegung auf, eine über das Internet zugängliche Datenbank zur Leipziger Kultur aufzubauen, um auf diese Weise größtmögliche Transparenz zu schaffen. In dieser sollten in einer Art Bestandsaufnahme die örtlichen Organisationen und Projekte erfasst sein, wobei hier nicht nur Verantwortliche und Kontaktdaten, sondern auch Ressourcen (Räumlichkeiten zur Vermietung, technisches Material zum etwaigen Verleih etc.) hinterlegt sein sollten. Darüber hinaus sollte es die Möglichkeit geben, Bedarfe – etwa an Know-how oder Sachmitteln – zu veröffentlichen, was wiederum auch etwaigen Sponsoren, Ehrenamtlichen und Unternehmen die Möglichkeit gegeben hätte, sich hier gezielt zu engagieren. Als Kernstück zum Austausch über Aktivitäten sollte ein gemeinsamer, sehr langfristiger Veranstaltungskalender mit auch noch in Planung befindlichen Ereignissen gepflegt sein, um frühzeitig mit eigenen, ähnlich gelagerten Aktivitäten anknüpfen zu können oder auch unnötige Kollisionen von Veranstaltungen mit sich überschneidenden Zielgruppen zu vermeiden. In diesem Kalender sollten auch allgemeine Ereignisse erfasst sein, die von Interesse sein könnten – etwa Sportgroßveranstaltungen, die den Besucherstrom bei kulturellen Angeboten mindern könnten, aber auch Daten wie Jahres- und Gedenktage, um mögliche Anknüpfungspunkte für (gemeinsame) thematische Aufhänger zu generieren bzw. gemeinsame Pakete für auswärtige Besucher zu schnüren u.ä. Am besten wäre es dann, so die Idee, eine Schnittstelle mit den bestehenden Veranstaltungskalendern wie etwa des Stadtmagazins Kreuzer oder auch der Leipziger Touristeninformation zu schaffen, um aufwendige und fehleranfällige manuelle Eingaben auf ein Minimum zu reduzieren. Die Summe aller

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Einzelbestandteile hätte bereits einen erheblichen Informationszugewinn generiert, weitere Aspekte hätten sich womöglich über die Pflege und Anwendung entwickelt. Zur Planung eines entsprechenden Projektes benannten Galerie für Zeitgenössische Kunst, Gewandhaus, naTo und Schauspiel je einen Mitarbeiter als Mitglieder einer Arbeitsgruppe, die sich koordiniert von der Verfasserin und einem weiteren BMW-Mitarbeiter aus dem IT-Bereich sowie mit Unterstützung zweier fachkundiger Mitarbeiter des Software-Unternehmens PC-Ware mit dem Aufsetzen einer solchen Internetplattform beschäftigen sollte. Das Ehepaar Löschke bot neben der Umsetzung durch Programmierer der Firma PC-Ware auch an, den Server für die Datenbank zu stellen. Um die Möglichkeit einer Verknüpfung zu bestehenden Veranstaltungskalendern und dahinter liegenden Datenbanken zu sichern, wurde außerdem ein Geschäftsführer des genannten Stadtmagazins in die Arbeitsgruppe eingeladen. In den ersten Treffen der Arbeitsgruppe wurde zunächst definiert, welche Informationen in welcher Weise für die Plattform erfasst werden müssten. Dabei stellte sich die Heterogenität der Akteure als größere Herausforderung heraus, der mit einer bloßen Spartenbildung, die an sich wiederum schwierig genug ist, kaum beizukommen war, zumal es nicht zuletzt um eine mehrdimensionale Abbildung gehen sollte. Andererseits bot die Vielfalt der in der Arbeitsgruppe vertretenen Organisationen eine gute Möglichkeit, verschiedene Varianten der Datenerfassung auszuprobieren, während die Mitarbeiter von PC-Ware eruierten und testeten, wie die Anforderungen technisch zu lösen seien. Parallel dazu unternahm die Verfasserin Recherchen über bestehende Datenbanken und prüfte deren Vor- und Nachteile in Hinblick auf die am Runden Tisch diskutierten Anforderungen. Im Laufe der Zeit kristallisierte sich heraus, dass es günstiger wäre, auf ein bestehendes Modell zurückzugreifen und dieses dann bedarfsgerecht anzupassen. Dies wäre beispielsweise mit der von der Firma Kulturserver28 entwickelten Software möglich gewesen. Hiermit gab es auch im Gewandhaus bereits erste Schnittstellenerfahrungen. Der wesentliche Vorteil wäre gewesen, von der langjährigen Erfahrung des Datenbankdesigns zu profitieren, wohingegen im Eigenbau zahlreiche ‚Anfängerfehler‘ höchstwahrscheinlich gewesen wären. Die Arbeit der Arbeitsgruppe endete mit der Empfehlung, trotz der von PC-Ware angebotenen Ressourcen auf die KulturserverSoftware zurückzugreifen und die erforderlichen Anpassungen vornehmen zu lassen, was jedoch mit Kosten verbunden gewesen wäre. Nicht zuletzt aufgrund der nicht eindeutigen Preispolitik29 von Kulturserver herrschte allerdings noch Skepsis, 28 http://www.kulturserver.de/ (1.1.2013). 29 Die Preise wurden damals je nach (von den Akteuren des Kulturservers wahrgenommener) Bedürftigkeit bzw. Zahlungsfähigkeit der Partner festgelegt. Auch bei einer gewissen Sympathie für diesen Ansatz, wäre es hilfreich gewesen, ein konkretes Angebot bekommen zu können, auf dessen Basis weitere Schritte hätten beschlossen werden können.

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so dass sich die Gruppe dazu nicht durchzuringen vermochte. Auf alle Fälle wäre eine Anfangsinvestition in unbekannter Größenordnung erforderlich gewesen, die zu übernehmen keiner gewillt oder in der Lage war. Einige Mitglieder des Runden Tisches sahen dies als eine klare Verantwortung der Stadt Leipzig. Zu einer weiteren Verfolgung des Projektes kam es somit nicht. Diese hätte ab dem damaligen Zeitpunkt auch mit weitaus geringerer Unterstützung durch BMW erfolgen müssen, da Claussen zum Ende des Jahres 2008 in den Ruhestand ging und somit nunmehr als Privatperson und nicht mehr als Unternehmensvertreter agieren konnte und überdies seinen Lebensmittelpunkt von Leipzig wieder nach Bayern verlegte. Fazit Die größeren Vorhaben und Projekte des Runden Tisches scheiterten. Dennoch bekräftigten die beteiligten Akteure immer wieder, wie sinnvoll der gemeinsame Austausch, die Diskussion und Meinungsbildung und das aufgebaute Vertrauensverhältnis (gewesen) seien. Dies gilt nicht nur für den Austausch zwischen Kultur und Wissenschaft, sondern auch für den mit den beteiligten Unternehmensvertretern, die sowohl ihre Management-Erfahrungen einbrachten als auch die Perspektive einer Öffentlichkeit und potentiellen Zielgruppe. Einige intensivere bilaterale Diskussionen und gemeinsame Projekte kamen so überdies zustande, die sich ohne den Runden Tisch vermutlich nicht ergeben hätten, da das Bewusstsein für die Anknüpfungspunkte noch weitaus weniger ausgeprägt war. Gehalten hat sich zumindest der Ansatz, auch dann zusammenarbeiten zu können, wenn sich künstlerische Inhalte, Positionen und Milieuzugehörigkeiten nicht decken. Interessanterweise diente der Runde Tisch als Vorbild für die oben genannte Folgeaktivität der Stadt Leipzig, zu der der Kulturbürgermeister eine große Anzahl von Vertretern einlud. Reihum, so das Konzept, sollten sich verschiedene Einrichtungen vorstellen und die beteiligten Personen miteinander in Diskussion kommen (sic!).30 Dass die Initiative kaum konkrete Ergebnisse zeitigte, hat sicherlich verschiedene Gründe. Schwer wiegt, dass alle Aktivitäten einen zusätzlichen Aufwand der Beteiligten und/oder ihrer Mitarbeiter bei ungewissem Resultat bedeutet, also risikobehaftete Anfangsinvestitionen erforderlich gemacht hätten. Ein für solche Zwecke extra vorgesehenes Budget steht in der Regel nicht zur Verfügung. Am ehesten schien Elstermann zu größerem persönlichen Einsatz bereit, für den die Vorteile von Partnerschaften mit den größeren Einrichtungen womöglich eher unmittelbar auf der Hand lagen als umgekehrt. Dass die Treffen über einen längeren Zeitraum

Dies war allerdings nicht möglich, solange die Identität eines möglichen Auftraggebers nicht geklärt war. 30 Vgl. ebd., S. 11.

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stattfanden und die Teilnahme auch durchaus rege war bzw. die Beteiligten merkbar Wert darauf legten, Termine zu finden, an denen alle teilnehmen könnten, legt wiederum den Schluss nahe, dass die Zusammenkünfte an sich als wertvoll oder nützlich wahrgenommen wurden. Claussen hatte gelegentlich offen die Frage gestellt, ob eine Fortsetzung der Zusammenkünfte sinnvoll sei, und dies wurde immer wieder bejaht. Naheliegender Schluss wäre daher, dass die Treffen per se zumindest über eine gewisse Periode hinweg als Gewinn betrachtet wurden, insofern hier aus Sicht der Teilnehmer das Verhältnis von Aufwand und Nutzen stimmte. Unzufriedenheit oder Enttäuschung angesichts nicht umgesetzter Vorhaben wären in dieser Lesart unangebracht und würden spätestens durch die Forschungsergebnisse zu regionalen Netzwerken relativiert. Als eine spezielle Art regionales Netzwerk ist der Runde Tisch durchaus zu betrachten, insofern er eine weder marktförmige noch hierarchisch organisierte Form der Kooperation mehrerer, an einem Ort ansässiger/ aktiver Akteure31 darstellt. Folgerichtig decken sich Erkenntnisse aus der Netzwerkforschung zumindest in Teilen mit dem Beobachteten. Für die Entstehung bzw. zur Gründung von Netzwerken bedarf es in der Regel 32 gewisser „Schlüsselpersonen“, die ein gemeinsames Handlungspotential feststellen und auf dieser Basis initiativ werden. Eine Schlüsselperson war im hier beschriebenen Falle zunächst Claussen, dem es gelang, mit der Idee eines Handlungspotentials verschiedene Menschen an einen Tisch zu bringen. Normalerweise ist die erste Intervention oder Aktion bei der Bildung eines Netzwerkes, „etwas anzubieten“.33 Auch das war durch Claussen erfolgt, indem er auf die einzelnen Personen zugegangen war, die interessierten dann ins BMW Werk eingeladen und dort eine offene Diskussion um gemeinsame Interessen initiiert und organisiert hatte. Schulz, der zur zweiten Zusammenkunft ins Gewandhaus einlud und dort mit unerwarteter Offenheit nicht nur über Erfolge, sondern auch die zu bewältigenden Schwierigkeiten seines Hauses berichtete, war der nächste, der im o.g. Sinne etwas anbot und damit einen Vertrauensvorschuss gab, mit dem wiederum alle anderen zu ähnlicher Freimütigkeit ermuntert wurden, denn „am Netzwerk beteiligte[…] Akteure sind bereit, Vorschüsse zu leisten, im Vertrauen darauf, dass ihnen umgekehrt auch Vertrauen entgegengebracht wird“.34 Somit war die für die Etablierung von Netzwerken erforderliche „Kontextbedingung“ „einer erwartbaren Wechselseitigkeit“35 geschaffen, über die wiederum „Gelegenheitsstrukturen“36 für gemeinsames und individu31 Vgl. Weyer 1998, S. 297. 32 Adrian 2003, S. 103. 33 Boos et al. 2000, S. 75. 34 Fischer, Joachim; Gensior, Sabine: Was sind „Netzwerke“, wie entstehen sie und wie werden sie zusammengehalten? In: Heinze et al. 1998, S. 34-41, S. 39. 35 Boos et al. 2000, S. 75. 36 Weyer 1998, S. 298.

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elles Handeln entstehen. Diese von einer gegenseitigen Erwartungssicherheit gezeichneten Strukturen machen die aktive Konstruktion, Etablierung und Pflege von Netzwerken attraktiv (wie sie im hier beschriebenen Falle zumindest in Form regelmäßiger Zusammenkünfte betrieben wurde) – und zwar erst einmal unabhängig davon, ob und wozu „Gelegenheiten“, sprich: über das Netzwerk entstandene Optionen, schließlich tatsächlich genutzt werden oder nicht. Die These, dass Netzwerke „organisatorisches Probehandeln“37 erlauben, würde durch die Zusammenarbeit am Runden Tisch ebenfalls gestützt, denn es wurde eine offenbar neue Form der Interaktion erprobt, wenngleich das Handeln eher auf Diskussion und gemeinsame Meinungsbildung beschränkt blieb. Diese wird allerdings durchaus einen Vorteil generiert haben, insofern damit – netzwerktypisch – „Risiken des eigenen Handels“ (wie es beispielsweise die Äußerung einer kritischen Meinung gegenüber einflussreichen Personen darstellen könnte) durch „partielle Kontrolle der sozialen Umwelt“38 (nämlich über eine vorherige Abstimmung und somit erzeugte Erwartbarkeit von Verhalten) minimiert und „Handlungskorridore, die sich auf eine Koalition von Akteuren stützen können und so eine größere Erfolgswahrscheinlichkeit besitzen als unkoordinierte Aktionen“39 wenn nicht genutzt, so doch eröffnet wurden. Die Tatsache, dass sich (zumindest aus der Perspektive der teilnehmenden Beobachtung durch die Verfasserin) Diskussionen teilweise wiederholten und relativ viel Zeit aufgewendet wurde, ohne dass konkret greifbare Ergebnisse erzielt worden wären, erscheint im Spiegel der Netzwerkforschung auch eher als Normalität, die von verschiedenen Autoren adressiert wird: Es bedarf einer gewissen Zeitspanne und Dauerhaftigkeit, um „über […] verlässliche Austauschbeziehungen“ einen sichtbaren, „gemeinsame[n] Zusatzeffekt“ zu erzielen, wohingegen Markttransaktionen Gewinne unmittelbarer erkennbar werden ließen.40 Trotz einer subjektiv wahrgenommen Trägheit, scheint die Zusammenarbeit in der geschilderten Form von den beteiligten Personen zumindest über den beschriebenen und begleiteten Zeitraum hinweg als lohnenswert wahrgenommen worden zu sein. Hier zeigt sich, dass „Netzwerke [...] dort für den einzelnen interessant [sind], wo Organisationen an ihre Grenzen stoßen“,41 also z.B. meinen, nur (noch) wenig Handlungsrepertoire zu ha37 Boos et al. 2000, S. 67. 38 Weyer 1998, S. 299. Unter Rekurs auf die oben ausgeführten systemtheoretischen Annahmen zum Verhältnis von Organisation und Umwelt ist dies insofern falsch, als dass Kontrolle im Sinne von Steuerung nicht stattfinden kann. Allerdings kann auf der Basis möglichst vieler entsprechender Beobachtungen der subjektive Eindruck eines „kontrollierten“ sozialen Systems (dem Netzwerk) im Sinne einer Erwartbarkeit/nicht-Unberechenbarkeit seiner Mitglieder aufgebaut werden. 39 Ebd., S. 302. 40 Ebd., S. 299. 41 Boos et al. 2000, S. 74.

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ben, um ihren Herausforderungen im gewünschten Maße gerecht zu werden. Netzwerke versprechen, „diese Grenzen […] überwinden [zu helfen], indem sie zwischen Mitgliedern aus verschiedenen Organisationen, Personen aus unterschiedlichen Wertesystemen und auch zwischen verschiedenen sozialen Systemen sinnvolle Verknüpfungen ermöglichen“.42 Eine top down-Verordnung des Netzwerkgedankens ist zwar vorstellbar, wird aber in der einschlägigen Literatur als wenig erfolgsversprechend bewertet, weswegen die mögliche Rolle von politischen oder Verwaltungsakteuren auch weniger in der Steuerung der Bildung von Netzwerken, als in der Bereitstellung von Ressourcen, die die Chance auf (selbstorganisierte) Netzwerkbildung erhöhen, gesehen wird.43 Insofern ist es folgerichtig, dass einige Mitglieder des Runden Tisches etwa die Investition in eine wie oben beschriebene Internetplattform am ehesten bei der Stadt verortet haben. Für das hier unternommene Experiment eines lokalen Kulturnetzwerks gilt schließlich wie für andere Branchen oder Sektoren: „Die Vorstellung, mit solchen Netzwerkstrategien die Perpetuierung einer positiven Regionalentwicklung auslösen zu können, wäre sicherlich illusorisch. [Sie] sind […] eher experimenteller Natur und versprechen – wenn überhaupt etwas versprochen werden kann – kaum kurzfristige Erfolge. Wenn Innovation als Zufallsprodukt evolutionsähnlicher, vielschichtiger, heterogen ablaufender Prozesse begriffen wird, bedeutet dies gleichzeitig, dass Sackgassen in Kauf genommen werden müssen und dass der Faktor Zeit eine große Rolle spielt.“44

Auch wenn der Runde Tisch nicht mehr existiert, so ist doch davon auszugehen, dass in diesem Rahmen persönliche Beziehungen entstanden sind, an die sich wiederum Beziehungen zwischen den hinter den Menschen stehenden Organisationen „anlagern“45 und zu erfolgreichen Kooperationen führen können. Einige engere Verbindungen, die nach wie vor tragen, sowie zahlreiche gute Ideen sind hier allemal zustandegekommen.

42 Ebd. Vgl. auch Ausführungen zu Burt im Kap. Brücken über strukturelle Löcher im zweiten Teil. 43 Vgl. z.B. Friedrichs, Jürgen (1998): Soziale Netzwerke und die Kreativität einer Stadt. In: Kultur in der Stadt. Stadtsoziologische Analysen zur Kultur. Hrsg. von Volker Kirchberg; Albrecht Göschel. Opladen: Leske + Budrich. S. 145-163, hier: S. 145. 44 Adrian 2003, S. 103. 45 Fischer et al., S. 38.

Reflexion der ‚Kultur-Kooperationen‘ des BMW Werks Leipzig

In den letzten Kapiteln wurden exemplarisch vier sehr unterschiedlich gelagerte Kooperationsfälle des BMW Werks Leipzig mit Akteuren des Kultursektors beschrieben. Unter Heranziehung der oben skizzierten drei „Ebenen“ der Kooperation – (1) Transfer von Sachmitteln, Know-how und/oder Image, (2) Steigerung des Selbstveränderungspotentials und der Lernfähigkeit der beteiligten Unternehmen und Kulturorganisationen, (3) Verbesserung des (Selbst-)Reflexionsvermögens mittels an Kunst geschulter Beobachtung1 können die beschriebenen Fälle wie folgt kategorisiert werden. In den beiden ersten geschilderten Fällen (a cappella-Festival und euro-scene Leipzig) kommt offensichtlich die erste Ebene zum Tragen, insofern hier Knowhow, teils methodischer, teils inhaltlicher Art, von BMW an die Organisatorenteams der Festivals weitergegeben wurde. Ähnlich verhält es sich – wenngleich mit umgekehrter Transferrichtung – bei der Zusammenarbeit mit der naTo, deren Mitarbeiter das Führungskultur-Projekt des BMW Werks mit ihrem speziellen Kompetenzprofil (von der Raumsuche über die technische und bildnerische Gestaltung und Themenaufbereitung bis hin zum Catering) wie ein externer Dienstleister unterstützten. In allen drei Fällen ist, wenngleich die Prozesse in unterschiedlichem Maße erfolgreich waren, der Nutzen konkret sichtbar geworden – nämlich in Mission Statements, Projektplänen und Maßnahmenlisten auf der einen und den WorkshopRäumlichkeiten im Zentralarchiv auf der anderen Seite (vgl. Abb. 8, schwarze Pfeile). Aufgrund der sehr intensiven Zusammenarbeit wird hier außerdem die zweite Ebene bedient: Mittels dieser Zusammenarbeit haben alle Beteiligten ein – um die oben beschriebenen theoretischen Modelle zu bemühen – mehr oder minder großes „strukturelles Loch“ (Burt) zwischen den Sektoren überspannt bzw. den Irritationen des jeweiligen anderen Systems eine Chance gegeben und somit die Voraussetzung 1

Vgl. die Zusammenfassung des zweiten Teils.

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für „vorausschauende Selbsterneuerung“ (Wimmer) verbessert (vgl. Abb. 8, dunkelgraue Pfeile). Im Zuge der Workshops und Diskussionen blieb folglich der Kontakt mit nicht-redundanten Informationen resp. einer Reihe an Irritationen nicht aus: So erfuhren die Mitarbeiter eines Kulturzentrums, mit welchen Herausforderungen Führungskräfte der Automobilindustrie umzugehen haben, die Verfasserin lernte, mit welchen Widrigkeiten sich Festivalorganisatoren zu allen Jahreszeiten auseinanderzusetzen haben, eine Change Management Beraterin überdachte ihre Vorurteile und die Bedingungen von Qualität, ein Kommunikationsexperte war konfrontiert mit der Überzeugung eines Festivalteams, aufgrund seines eigenen Anspruchs auch weniger überzeugende Stücke präsentieren zu müssen usw. Dass sich diese Kontakte nach Wahrnehmung aller Beteiligten in einer Atmosphäre des Vertrauens, der Offenheit und des gegenseitigen Respekts abspielten, stärkt das Argument des Zugewinns durch den strukturelle Löcher überspannenden Austausch, denn die persönliche Verbindung hilft wie oben beschrieben, die Anschlussfähigkeit für (inhaltlich) Fremdes zu erhöhen. In den beiden ersten Beispielen hatte bereits zuvor mindestens ein Sponsoringverhältnis bestanden, und im Rahmen der Eröffnung des BMW Werks war es insbesondere mit den Vertretern der euro-scene schon zu einer engeren Zusammenarbeit gekommen, indem diese für die ‚Regie‘ der Gästeabende verantwortlich zeichneten.2 Wären diese guten persönlichen Kontakte nicht im Vorfeld schon aufgebaut und als ausreichend belastbar wahrgenommen worden, dann hätten alle drei Projekte kaum stattfinden können. Das in den beiden ersten Fällen initiale, ungewöhnliche Angebot Claussens (einer letztlich beratungsähnlichen Leistung, die normalerweise doch eher aktiv beauftragt würde), konnte von den Festivalorganisatoren somit als ein weiterer Baustein im Kontext einer bereits bestehenden Partnerschaft angenommen werden. Das BMW Werk als Partner genoss immerhin so viel Vertrauen3, dass dieses die auch vorhandene Skepsis kompensieren konnte. Aber Vertrauen spielte auch im dritten Fallbeispiel eine erhebliche Rolle, gesetzt hier in erster Linie von der BMW-Projektleiterin in die naTo-Vertreter. Wäre ihr der Kontakt nicht von Claussen vorgeschlagen worden, der sich auf Basis des persönlichen Austauschs am Runden Tisch (viertes Fallbeispiel) eine (positive) Meinung über die Leistungsfähigkeit des naTo-Teams hatte machen können, dann hätte sich seine Mitarbeiterin schwerer getan, das für die Art der Zusammenarbeit erforderliche Ver- und Zutrauen aufzubringen.4 Umgekehrt hätte der Geschäftsführer der naTo größere Schwierigkeiten gehabt, mit dem von 2

Wohingegen amarcord ‚nur‘ als Künstler im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes dabei waren.

3

Vertrauen verstanden als Erwartungssicherheit, nämlich darüber, dass in einer Beziehung nicht mit Negativem gerechnet werden muss bzw. mit Positivem gerechnet werden darf.

4

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das gesamte Projekt in dieser ungewöhnlichen Form dann auch gar nicht durch den Werkleiterkreis genehmigt worden wäre.

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DER

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DES

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der BMW-Vertreterin vorgetragenen Ansinnen umzugehen, wenn er nicht selbst schon vorher ein Bild von BMW als Organisation (u.a. vermittelt über Claussen im Rahmen des Runden Tisches) hätte machen können. Diese gegenseitige Erwartungssicherheit brauchte es aber, um eine Freiheit im Entstehungsprozess zuzulassen, die sich im Nachhinein als besonders fruchtbar erwies. Im Kontakt spätestens mit den Inhalten und Produkten – a cappella-Gesang, zeitgenössische Bühnenkunst – kann auch eine Kooperationsqualität auf der dritten Ebene – Beobachtungslernen mittels Kunst – für BMW ausgemacht werden. Bewusst in der Breite eingesetzt wurde dieser Aspekt im Zusammenhang mit den Führungskräfte-Workshops über den Wahrnehmungsraum, und dies gilt, wenngleich hier in weniger gezielter Form, auch für Aufführungen der euro-scene im BMW Werk. Als Potential steckt das Lernen basierend auf der „Funktion der Kunst“ für das Unternehmen in allen Partnerschaften mit Akteuren des Kulturbereichs (angedeutet im hellgrauen Pfeil in Abb. 8), wobei die Gelegenheiten, dieses Potential auch ‚abzurufen‘, aktiv geschaffen werden müssen. Anders als es zum Beispiel im oben beschriebenen Projekt der Droege & Comp. exerziert wird, indem die Kunst flächendeckend an den Berater gebracht wird (Beispiel 3 im ersten Teil), sind zumindest in den hier beschriebenen BMW-Projekten nur wenige Unternehmensvertreter involviert gewesen, da die Einbindung größerer Gruppen bei den gewählten Formaten nicht sinnvoll gewesen wäre.5

5

Die hier dargestellten Projekte sind jedoch nicht repräsentativ für die Breite der BMWAktivitäten: Bei den euro-scene-Aufführungen waren die Mitarbeiter nicht nur zu den gesponserten Aufführungen mit speziellen Werbemaßnahmen und zu ermäßigten Preisen eingeladen, sondern es standen ihnen auch Gespräche mit den Künstlern offen, die zum Beispiel nach den Aufführungen stattfanden, wie auch eine spezielle Führung zu einem spektakuläreren Bühnentechnikbau. Führungskräfte wurden über die Entsendung zu Common Purpose (siehe Bsp. 7 am Ende des Kap. Irritierende Variationen und Koevolution) bei dem Aufbau eines eigenen Netzwerks in Leipzig unterstützt, also gewissermaßen angeregt, die Vorgehensweise Claussens zu multiplizieren. Daneben erfolgte ein solcher Netzwerkausbau mit der Teilnahme am Rektorenkonvent, der Übernahme verschiedener Beiratsfunktionen, die unter (Haupt-)Abteilungsleitern aufgeteilt wurden, um auch hier bewusst eine Erweiterung der Perspektive für das Unternehmen zu stimulieren. Somit fanden viele verschiedene Aktivitäten mit jeweils unterschiedlichen Beteiligten statt, wobei aufgrund ihrer Multiplikatorenfunktion vielfach Führungskräfte im Fokus standen. Weitere Projekte im hier interessierenden Kontext waren die Beauftragung künstlerischer Foto-Dokumentationen des Werkes und einer Filmproduktion über den Werksaufbau sowie ein Projekt mit einem Architektur-Lehrstuhl der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur zum Landschaftsgebundenen Bauen.

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Abbildung 8: Drei Ebenen des ‚Profitierens‘ bezogen auf die Fallstudien/ Kultur-Kooperationen des BMW Werks Leipzig.

Die auf der zweiten oder dritten Ebene angesiedelten Formen des Profitierens sind im Gegensatz zu denen der ersten noch schwerer messbar, da es hier kein von außen feststellbares, unmittelbares Resultat gibt. Die der ersten Ebene sind klarer zu benennen; hier haben die geschilderten Beispiele gezeigt, dass neben Geld und Logo auch andere Leistungen ausgetauscht oder transferiert werden können, da auf beiden Seiten Kompetenzen bereitgehalten werden, die auf der jeweils anderen Seite sinnvoll oder gar gewinnbringend eingesetzt werden können. Teilweise (wie im Falle der Kooperation mit der euro-scene) wäre eine bessere Adaption managerialen Handlungsrepertoires auf die speziellen Belange der Festivalorganisation wünschenswert gewesen. Solche Verbesserungsbedarfe oder -möglichkeiten können allerdings nur aus dem Ausprobieren, nämlich dem Sammeln von Beobachtungen, abgeleitet werden. Spätestens hier zeigt sich, dass die Ebenen phänomenologisch noch voneinander abgegrenzt werden können, letztlich aber rekursiv ineinandergreifen: Ohne die Aktivitäten von „Maklern“, die tätig strukturelle Löcher überspannen bzw. ohne ein Stück gemeinsamer Entwicklung im Sinne der oben beschriebenen Koevolution zu erleben, sind Effekte des Profitierens auf der konkret-praktischen Ebene nicht denkbar. Beide Ausprägungen sind gleichermaßen Ergebnis und Voraussetzung füreinander und für erfolgreiche Kooperationsmodelle. Eine Bewertung des Runden Tisches kann vor diesem Hintergrund wie folgt ausfallen: Ein so greifbares Ergebnis im Sinne des Know-how-Transfers wie bei

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den ersten drei Fallbeispielen gibt es hier nicht, auch wenn jeder Beteiligte zum Beispiel aus den Selbstdarstellungen der anderen verwertbares, konkretes Wissen – über Funktionsweisen der einzelnen Organisationen, deren Erfolgskonzepte und Herangehensweisen, aber auch im Sinne eines Informationsvorsprungs etwa zu aktuellen Vorhaben der Kulturpolitik – erlangen konnte. Abgesehen davon haben die gemeinsamen Diskussionen jedoch hinsichtlich der Beobachtungsschulung einen nicht zu vernachlässigenden Effekt gehabt. Denn aufgrund der Heterogenität der Gruppe (die mit einer reinen Sektorenzugehörigkeit wie Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft bei weitem nicht hinlänglich beschrieben wäre) und der intensiven Diskussionen wurde die Unterschiedlichkeit von Beobachtungen nicht nur festgestellt, sondern auch immer wieder selbst zum Thema gemacht. In diesem Sinne kann der Runde Tisch also auch durchaus als ein Stimulator für eine wie oben beschriebene Koevolution betrachtet werden, insofern seine Mitglieder nach und nach und im gemeinsamen Austausch ihre Beobachtungen veränderten und Irritationen zuließen, die ihnen zuvor womöglich nicht relevant erschienen waren. Damit war zumindest die Grundlage geschaffen, diese neuen Beobachtungen auch in die Kommunikation der jeweiligen Organisation zu bringen. Darüber hinaus hat der Runde Tisch über den gemeinsamen Austausch Handlungsoptionen eröffnet, d.h. es wurden jenseits größerer Vorhaben der Gruppe in Gänze mögliche Anknüpfungspunkte für Zusammenarbeit einzelner identifiziert – wie etwa für die zwischen naTo und BMW.

Zusammenfassung und Ausblick Die Natur geht so vor, dass sie Verbindungen zunächst im Überschuss anlegt und nur die generellen Ordnungsprinzipien genetisch vorgibt. Die Feinabstimmungen überlässt sie aktivitätsabhängigen Selektionsprozessen.1 WOLF SINGER Nichtsdestotrotz lässt sich der „betriebsnotwendige“ Zufall in seinem Eintreten und in seiner gezielten Nutzung wahrscheinlicher machen.2 RUDOLF WIMMER

Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, das Potential, das in Partnerschaften zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen liegt, aber bislang nicht umfänglich genutzt wird, aufzuzeigen und zu spezifizieren und somit Chancen der Kooperation jenseits des konventionellen Sponsorings freizulegen. Hierzu wurden bekannte Formen des Profitierens aus der Literatur gesammelt und systematisiert,3 andere in eigener Praxis erprobt4 und ein theoretischer Rahmen geschaffen, der die Sinnhaftigkeit solcher Kooperationen erklärt.5 Im ersten Schritt wurden in Gestalt einer Bestandsaufnahme gängige Kooperationspraktiken zusammengestellt und mit Hilfe eines bipolaren Feldes6 eingeordnet:

1

Singer 2002, S. 229.

2

Wimmer 2007, S. 61.

3

Bestandsaufnahme im ersten Teil.

4

Fallstudien im dritten Teil.

5

Zweiter Teil.

6

Vgl. Abb. 1, S. 44. Der Vorteil des Feldes ist, dass es eine Systematisierung ohne allzu scharfe Trennlinien ermöglicht, da pauschale Kategorisierungen angesichts der Vielfalt von Erscheinungsformen und Motivlagen eher kritisch zu sehen sind.

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Das Spektrum reicht von Aktivitäten, die ausschließlich auf die Verbesserung der Außenwirkung eines Unternehmens abzielen, bis hin zu solchen, die eine Entwicklung der Organisation bezwecken. Erstere sind zumeist mit einer Zahlung an die Kulturorganisationen verbunden; der interpersonelle Kontakt ist kaum ausgeprägt und vielfach hierarchisch. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine intensivere Beziehung der Beteiligten auf Augenhöhe weitaus wahrscheinlicher. Hier steht auch häufiger der (künstlerische) Prozess oder das Schaffen eines Werkes im Vordergrund, während etwa beim klassischen Sponsoring, das am erstgenannten Pol angesiedelt ist, zumeist das (bereits fertiggestellte Kunst-)Werk im Fokus steht. Zwar illustrieren zahlreiche Einzelfälle einen Trend, der von der alleinigen Dominanz des konventionellen Sponsorings wegführt, allerdings ist dieser noch stark ausbaufähig. Dies gilt sowohl für die Zusammenarbeitsmodelle, bei denen künstlerische Mittel zur Unternehmensentwicklung herangezogen werden,7 aber auch in Bezug auf Volunteering-/Secondment-Leistungen von Unternehmen in Kulturorganisationen. Da, wie in einem Exkurs aufgezeigt wurde, der Bereich der Organisationsentwicklung in Kulturorganisationen noch wenig verbreitet ist,8 ergibt sich hier ein besonders lohnender Anknüpfungspunkt für Kooperationen. Neben den in der Bestandsaufnahme beschriebenen, ganz konkreten ‚Tauschwerten‘, die aus Kooperationen von Unternehmen und Kulturorganisationen resultieren, haben sie auch eine Wirkung ‚zweiter Ordnung‘, die im zweiten Teil herausgearbeitet wurde.9 Dies gilt – aus Unternehmenssicht – für Kooperationen mit dem Kunstsektor in besonderer Weise.10 Unter Rekurs auf den Ansatz Burts, demzufolge v.a. solche Netzwerke wertvolles Sozialkapital bereithalten, die über „strukturelle Löcher“ gespannt sind, wurde aufgezeigt, dass in einer funktional diversifizierten Gesellschaft diejenigen Personen Vorteile gewinnen, die als Makler über die Grenzen eines engen (z.B. lokalen Branchen-)Netzwerkes hinaus interagieren (also etwa in Kontakt mit Vertretern anderer Branchen, Örtlichkeiten etc. stehen) und somit Zugang zu weniger redundanten Informationen gewinnen. 7

Diese finden zumeist zwischen Unternehmen und professionellen, spezialisierten OEBeratern, die mit künstlerischen Mitteln arbeiten, statt, weniger jedoch mit anderen Kulturorganisationen, deren Kerngeschäft Kunstproduktion oder -verbreitung sind.

8

Dies lässt sich auch an der kaum vorhandenen kulturmanagerialen Forschungs- sowie eher anwendungsnahen Literatur nachvollziehen. Als eine Art Aufbruchssignal ist wohl das 2012 erschienene Handbuch zu Thema zu werten (Zulauf 2012). Der Bereich ist freilich auch in Unternehmen anderer Branchen vielfach ein noch wenig exploriertes Lernfeld.

9

Vgl. die Kap. Brücken über strukturelle Löcher und Irritierende Variationen und Koevolution.

10 Vgl. Kap. Besonderes Irritationspotential der Kunst?

Z USAMMENFASSUNG

UND

A USBLICK | 333

In Anknüpfung daran konnte mittels eines systemtheoretischen Blicks auf Organisationen der mögliche Beitrag sektorenübergreifender Kooperation zur „vorausschauenden Selbsterneuerung sozialer Systeme“ erklärt werden: Mit der Erhöhung der Diversität der strukturellen Kopplungen einer Organisation (= eines sozialen Systems), also der Unterschiedlichkeit der Umweltirritationen, denen sie ausgesetzt ist, wird nicht nur das Variationspotential für ihre Entwicklung gesteigert, sondern werden auch die Verarbeitungschancen für diese Irritationen verbessert. Wird die Organisation mit ausreichend Irritationsmaterial (aus Kontakten mit ihrer Umwelt) versorgt, um ihre Beobachtungen auf einer breiten Basis tätigen zu können, dann steigen damit die Chancen, auch in Zukunft ausreichend anpassungsfähig im Sinne einer Koevolution mit der Umwelt zu sein. Voraussetzung hierbei ist jedoch stets, dass die (autopoietische) Organisation mit ihren eigenen Regeln (= Prämissen der Beobachtung) die Grundlage für Irritierbarkeit schafft. Geht man davon aus, dass Variationsangebote aus der Umwelt vielfach aus guten Gründen in der Organisation nicht anschlussfähig sind, dann stellt sich die Frage, warum denn Irritationen aus dem Kultursektor für Unternehmen überhaupt nützlich sein sollten. Sowohl systemtheoretisch als auch aus Sicht der evolutionären Ästhetik argumentiert, liefern Kunst und ästhetische Praktiken Beobachtungsmöglichkeiten, über die andere Funktionssysteme nicht verfügen. Kunst macht mittels fiktiver Wirklichkeiten die Beobachtung zweiter Ordnung explizit zum Thema und wird somit zur Schule der Selbstbeobachtung oder Selbstreflexion. Diese Qualität ist nicht nur bezogen auf das Individuum im Sinne einer verfeinerten kognitiven Leistung oder der Toleranz für Ambiguitäten, sondern auch für das Zusammenspiel in sozialen Systemen und sozialer Systeme untereinander, d.h. die organisationale „Empfindsamkeit“11, bedeutsam. Kulturkooperationen, die außerhalb der konventionellen Bahnen von Geldtransfer und Logoabdruck stattfinden, können, das wurde anhand von vier verschiedenen Fallbeispielen des BMW Werks Leipzig im empirischen Teil gezeigt, lohnenswert und ertragreich sein. BMW Werk und Kulturpartner konnten sowohl einen Nutzen erster Ordnung, d.h. ganz konkrete und messbare Ergebnisse verbuchen, als auch eine Erweiterung der Perspektive, einen Beitrag zur Selbstreflexion, also einen Nut-

11 Wimmer 2000, S. 282. Dass Wimmer ausgerechnet den Begriff der Empfindsamkeit wählt, ist übrigens ein schöner Verweis auf die speziellen Qualitäten der Kunst, ist doch Empfindsamkeit (kunsthistorisch und im zeitgenössischen philosophisch-ästhetischen Diskurs) als das Komplement zum rationalistischen Element der Aufklärung konzipiert. Hier fände sich dann auch das Argumentationsmodell der unterschiedlichen Sprachen wieder, die von Kunst auf der einen und Technik und Wissenschaft auf der anderen Seite eingesetzt werden (vgl. Kap. Kunst als adaptives Spiel mit dem Überschuss im zweiten Teil).

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zen zweiter Ordnung der Zusammenarbeit, gewinnen.12 Der Erfolg ist allerdings kein Selbstläufer, sondern höchst voraussetzungsvoll, und die Ergebnisse der Kooperationen waren nicht alle gleichermaßen befriedigend. Neben diesbezüglichen und einzelfallbezogenen Erkenntnissen zeigten sich durchgehend gegenseitiger Respekt und Vertrauen als notwendige Bedingungen der Kooperation.13 Überdies bedarf es einer genaueren Kenntnis der Kooperationspartner und ihrer Funktionssysteme, um mögliche Anknüpfungspunkte zu identifizieren, also ein Angebot zu machen oder aber einen Bedarf zu adressieren. Ist die sektorenübergreifende Kommunikation jedoch einmal ernsthaft begonnen, dann erwachsen daraus zahlreiche weiterführende Ideen. Dass im vorliegenden Buch in gewisser Weise der Gegenstand zur Methode gemacht wird, indem verschiedene Zugänge zum Thema gewählt werden, mag stellenweise zulasten der Darstellungstiefe gehen, ermöglicht jedoch auch Aussichten in unterschiedliche Richtungen. Dies gilt ebenfalls für den eher explorativen Charakter der Untersuchung, der viele Fragen offen, aber einige weiterführende Thesen im Sinne eines abschließenden Ausblicks zulässt. Sie dürfen als geeignete Ausgangspunkte für weitere Untersuchungen, v.a. aber auch für weitere praktische Erprobungen verstanden werden. Die Zeichen für weitere Zusammenarbeitsmodelle im Sinne der internen Entwicklung sowohl von Unternehmen als auch Kulturorganisationen stehen gut. Denn allenthalben wird der infolge dynamischer Umweltveränderungen steigende Druck auf Organisationen sowohl des Wirtschafts- als auch des Kunstsystems konstatiert: Seien dies neue Technologien, an die es entweder Anschluss zu finden oder aber deren technische und soziale Auswirkungen es zu berücksichtigen gilt; sei es die Notwendigkeit einer stärkeren Internationalisierung und die Herausforderungen, die mit dem Boom neuer Märkte einhergehen; sei es der Legitimationsdruck, der – meist in Kombination mit rückläufigen Subventionen – auf öffentlich finanzierten Kulturorganisationen lastet. Neue Lösungen sind daher vielerorts gefragt. Und ohne die jeweiligen Nöte hier kleinreden zu wollen: Entstehen nicht gerade aus misslichen Ausgangslagen mitunter besonders innovative Ideen? Auch die zunehmende Bedeutung der Corporate Social Responsibility begünstigt neue Formen der Koope12 Der freilich weniger gut messbar und sichtbar ist, aber aus den geführten Gesprächen deutlich hervorgeht. 13 Beides war in den ersten drei Fällen bereits durch ein bestehendes Sponsoringverhältnis und/oder andere Anknüpfungspunkte gegeben, in deren Rahmen bereits relativ intensiver Kontakt zwischen einzelnen Akteuren herrschte. Daher wurden einander sowohl positive Absichten als auch Kompetenz im jeweiligen Geschäftsfeld unterstellt. Im vierten Fall musste das Vertrauen zunächst aufgebaut werden, was jedoch vergleichsweise schnell gelang, da einzelne Personen mit einem großen Vertrauensvorschuss als Vorleistung in die Kooperation hineingingen.

Z USAMMENFASSUNG

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ration zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen, gerade weil der Kulturbereich noch kein klassisches Betätigungsfeld etwa im Rahmen von Corporate Volunteering und Secondment-Aktivitäten ist, andererseits aber für Sponsoringausgaben im Kulturbereich weniger Mittel vorgehalten werden. Überdies kann davon ausgegangen werden, dass Organisationsmitglieder mit zunehmender Verbreitung von CSR-Aktivitäten mehr Übung in intersektoralen Kooperationen bekommen, was das Gelingen weiterer Aktivitäten dieser Art wiederum begünstigen sollte. Wenn mit Singer und Menninghaus davon ausgegangen werden kann, dass ästhetische Praktiken evolutionsgeschichtlich betrachtet gerade in ihrer Qualität jenseits der rein schmückenden oder Status anzeigenden Komponente spezifisch menschlich sind,14 dann ist es höchste Zeit, in den Kooperationspraktiken nachzuziehen und das auf die Außenwirkung abzielende und somit also eher schmückende Sponsoring um andere Kooperationsdimensionen zu ergänzen. Die Ergänzung und Erweiterung – nicht Ablösung – des Sponsorings um Formen der Kooperation zwischen Kulturorganisationen und Unternehmen, die Austausch und Auseinandersetzung (mit dem Kunstsystem, d.h. mit dessen Organisationen und Mitgliedern sowie mit Kunstwerken) in den Mittelpunkt stellen, ist somit – so ließe sich zumindest mit einem Augenzwinkern schlussfolgern – geradezu eine evolutionäre Notwendigkeit. Aus theoretischer Perspektive (und viele Praxisbeispiele stützen diese Annahme) sind intersektorale Kooperationen – sei es in Bezug auf Personen oder Organisationen gleich welchen gesellschaftlichen Teilsystems – grundsätzlich ein lohnendes Feld. Dies gilt einerseits bezogen auf ganz konkrete Leistungen wie sie etwa im Rahmen eines Know-how-Transfers oder einer Beratung erbracht werden, andererseits aber auch in Bezug auf weniger gut greif- und messbare Effekte, die hier als ‚Nutzen zweiter Ordnung‘ bezeichnet werden: Gemeint sind das Hinterfragen und Reflektieren der eigenen Wahrnehmung, die Sensibilisierung für andere Sichtweisen und Handlungslogiken, die Verständigkeit gegenüber anderen Sprachen, das Erkennen von Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten etc.15 Da ein Nutzen zweiter Ordnung kaum messbar im Sinne einer Auswertung von Einzelaktionen und einfachen Kausalitäten ist, und weil es keine Standards für Kooperationen jenseits des Sponsorings gibt, bedarf es in diesem Feld einer Bereitschaft zum Experiment (und das schließt ein: zur Enttäuschung). Kooperationen wie die hier geschilderten können nur dann stattfinden, wenn einzelne Akteure den Mut aufbringen, sich auf ungewohnte Formen der Zusammenarbeit und die neuen Partner einzulassen, Zeit und Mühe zu investieren, dabei aber in Kauf zu nehmen, dass zwar planvoll vorgegangen werden kann, das Kooperationsergebnis und des-

14 Vgl. Kap. Kunst als adaptives Spiel mit dem Überschuss. 15 Vgl. Kap. Besonderes Irritationspotential der Kunst.

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sen Güte jedoch nicht vorhersehbar sind und womöglich auch nicht unmittelbar sichtbar werden.16 Partner in einer Kooperation zwischen Kultur und Wirtschaft können sich immer mit nicht-redundanten Informationen und abweichenden Sichten bereichern. Dies gilt in beide Richtungen. Für Kulturorganisationen mag eine spezielle Chance solcher Kooperationen darin liegen, dass sie Instrumentarien der Betriebsführung in direkter Anschauung kennenlernen können. Ein solches Anschauungslernen, bei dem der Transfer in die eigene (Kultur-)Organisation eigenständig erfolgt, ist eine wertvolle Ergänzung für Kulturmanagement-Handbücher. Gelegentlich wird bemängelt, dass „in der Literatur zum Kulturmanagement immer wieder vor einer Übertragung betriebswirtschaftlicher Instrumentarien auf den Kulturbetrieb gewarnt wird“, es aber bislang auch nicht gelungen sei, „eigenständige kulturspezifische Instrumente zu entwickeln“.17 Womöglich gelingt gerade dies jedoch am besten, wenn die Mitglieder einer – autopoietischen, operativ geschlossenen – Kulturorganisation im Austausch mit Unternehmensvertretern selbst herausfinden, welche Instrumente hilfreich sein können, und wie sie diese entsprechend den jeweiligen Organisations- und Kunstsystem-Spezifika anpassen können (und von welchen Praktiken sie sich möglicherweise auch bewusst abgrenzen möchten).18 In diesem Zusammenhang muss die Wichtigkeit der Differenzierung zwischen Kunstschaffen und den umgebenden, managerialen Prozessen auch noch einmal betont werden. Nur im Falle letzterer kann ein Unternehmen z.B. mit spezieller Expertise unterstützen. Kulturorganisationen sind einer Vermischung von Unterstützung und Einflussnahme gegenüber aus gutem Grunde skeptisch. Letztlich gilt aber auch für Unternehmen, dass genau die Andersartigkeit und die unterschiedlichen Themen den Reiz sektorenübergreifender Partnerschaft ausmachen. Daher sollte eine klare Trennung von Kompetenzen nicht nur im Sinne der Kulturorganisation, sondern auch des Unternehmens sein.

16 Hier sei noch einmal darauf verwiesen, wie schlecht die Evaluationslage auch hinsichtlich klassischen Sponsorings im Kulturbereich ist (vgl. Kap. Kommunikation nach außen und Profilierung des Unternehmens im ersten Teil), so dass dies zumindest kein Eingangshindernis sein dürfte. Interessante Beiträge zur Sichtbarmachung positiver Effekte hält das 2012 gegründete Journal Organizational Aesthetics bereit (http://digitalcommo ns.wpi.edu/oa/, 31.12.2013). 17 Tröndle, Martin: Meerluft – warum Kulturmanagement Forschung braucht (2004). In: KM Das Monatsmagazin von Kulturmanagement Network, H. 64. 18 Anderenfalls wundert es kaum, wenn „Importware aus anderen Disziplinen wie Projektmanagement, Marketing etc., die sich meist nur wenig von ihren Pendants ohne den spezifischen Vornamen ‚Kultur-‘ unterscheidet“ (ebd.), häufig nicht erfolgreich eingesetzt werden kann.

Z USAMMENFASSUNG

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Die bessere Kenntnis von Unternehmen(svertretern) und das Verständnis von deren (vorrangig vom System Wirtschaft strukturierten) Handlungslogiken können für Kulturorganisationen hilfreich sein, wenn es darum geht, Kontakte zu anderen Unternehmen zu etablieren – um neue Partner zu gewinnen und durchaus auch, um Sponsorengelder zu akquirieren. So ist es zum Beispiel anzunehmen, dass sich Kulturorganisationen anders mit Blick auf bestimmte Zielgruppen zu positionieren in der Lage sind, wenn sie ein besseres Gefühl dafür gewinnen, wie diese Zielgruppe (hier: Mitarbeiter von Unternehmen) ‚tickt‘.19 Ob alternative Kulturkooperationen einen Nutzen bringen oder nicht, liegt ganz wesentlich in den Organisationen selbst begründet, nämlich ob die Organisationskultur so beschaffen ist, dass Irritationen eine Chance haben, durchzudringen und Anschluss zu finden – etwa aufgrund von zugelassener Meinungspluralität, einer positiven Fehlerkultur, Entscheidungskompetenz auf unterschiedlichen Hierarchieebenen etc. Über diese allgemeinen Folgerungen aus der hier getätigten Untersuchung hinaus lassen sich konkreter und direkt anwendungsbezogen einige Hinweise formulieren: Alternative Partnerschaften zum klassischen Sponsoring können aufgebaut werden, indem zum Beispiel bereits bestehende Sponsoringverhältnisse von beiden Parteien gemeinsam auf ihre Ausbaufähigkeit hin überprüft werden. Dies hat den Vorteil, dass hier bereits eine Basis gegenseitiger Kenntnis vorhanden ist und neue gemeinsame Aktivitäten in den Rahmen einer existierenden Beziehung eingebettet werden können. Diese bietet idealerweise auch einen geschützten Raum für Experimente und das Sammeln von Erfahrungen20 auf unbekanntem Terrain. Aber auch Sponsoringanfragen bei Unternehmen können zum Anlass für das Ausloten alternativer Kooperationsformen genommen werden, wenn der Anfrage nicht 1:1 entsprochen, dafür aber ein anderes Angebot unterbreitet werden kann. Für Kulturorganisationen bietet es sich wiederum an, den Überraschungseffekt einer Kooperationsanfrage, die nicht (nur) auf ein monetäres Sponsoring ausgerichtet ist und somit eine Wertschätzung des Adressaten auch jenseits der finanziellen Ebene vermuten lässt, positiv zu nutzen. In Anbetracht der Wichtigkeit der Anschlussfähigkeit kann es auch vielversprechend sein, bestehende persönliche Kontakte von Mitarbeitern, vorhandenes soziales Kapital also, als Ausgangspunkt zu nutzen oder aber professionelle Unterstützung bei der Partnersuche (etwa von Kulturpaten oder Freiwilligenagenturen) in Anspruch zu nehmen.

19 Vgl. zu diesem Argument das Bsp. Regelmäßige Beiträge im Newsletter der Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland in der vierten Fallstudie. 20 Das kann gerade in Bezug auf Kulturorganisationen auch heißen: Selbstbewusstsein.

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Für die Durchführung ist es wichtig, dass gegenseitiger Respekt herrscht und Neugier füreinander vorhanden ist.21 Auch dies sollte bei der Partnerwahl berücksichtigt werden, denn nur wenn ein ehrliches Interesse an der jeweils anderen Seite (sei es aufgrund von persönlicher Sympathie, einem Interesse an den Inhalten, einer auf bestimmten Werten fußenden Verbindung) besteht, und Partnerschaften tatsächlich auf Reziprozität und auf Augenhöhe angelegt sind, können sie ihr volles Potential entfalten. Anderenfalls würden die vom Partner ausgehenden Irritationen schnell als irrelevant bewertet werden. Um die mit Wimmer erwähnte Vervielfachung der Möglichkeit, Nein zu sagen, auch zu nutzen, ist es sinnvoll, in die Kooperation gezielt mehrere und verschiedene Personen einzubinden. Je nach Anlass kann es zweckmäßig sein, nur mit wenigen Führungs- oder Nachwuchskräften zu arbeiten oder aber größere Teile der Belegschaft zu einer Veranstaltung einzuladen. Um auf Unternehmensseite Kulturkooperationen zur Normalität werden zu lassen, können diese auch in Unternehmensprogrammen (z.B. in Form von projekthaften Einsätzen etwa im Rahmen einer Trainee-Ausbildung o.ä.) institutionalisiert werden, allerdings birgt eine solche Institutionalisierung auch immer die Gefahr des Flexibilitätsverlusts, der schlimmstenfalls auf Kosten der Passgenauigkeit und der Freude am gemeinsamen Tun geht. Gerade weil es sich bei Kulturpartnerschaften wie den hier geschilderten noch um relatives Neuland handelt, ist es wichtig, schon während eines gemeinsamen Projektes nachzuhalten, wo es möglicherweise Probleme oder Unstimmigkeiten gibt, und nach seinem Abschluss zu diskutieren, ob und was es gebracht hat. So kann auch ohne eine quantitative Bewertung, aber anhand von qualitativen Indikatoren abgeschätzt werden, ob eine Aktivität sinnvoll und gewinnbringend für die Beteiligten war oder nicht. Während eines gemeinsamen Projektes sollte immer die Möglichkeit bestehen, nachzujustieren und entsprechende Änderungswünsche auch transparent zu machen. Ein dazu nötiger ehrlicher Umgang ist in einer klassischen Geschäftsbeziehung wie der zu einem Lieferanten selbstverständlicher (d.h. Unzufriedenheit mit einer bezahlten Leistung wird in der Regel adressiert), als wenn es sich um eine freiwillig eingegangene, nicht-monetäre (Tausch-)Beziehung, den sprichwörtlich geschenkten Gaul, handelt und die Kooperationspartner ihre Kommunikationsbasis erst etablieren müssen. Ehrlichkeit hilft, Frustration zu verhindern. Dabei gilt es freilich, umsichtig hinsichtlich der unterschiedlichen, systemspezifischen Sprachen zu sein, d.h. gelegentlich die Metaperspektive zur stattfindenden Kommunikation einzunehmen. Denn das gegenseitige Verständnis in der systemübergreifenden Kommunikation ist schwieriger, als es innerhalb von Organisatio21 Idealerweise sollten diese Elemente freilich in jeder Art von Zusammenarbeit gegeben sein. Allerdings werden sie hier deswegen noch einmal hervorgehoben, weil Unkenntnis eines Feldes oft genug zu Fehleinschätzungen führt, und weil das klassische Sponsoringverhältnis ein eher hierarchisches ist.

Z USAMMENFASSUNG

UND

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nen bereits ist. Andererseits birgt es – im übertragenden Sinne – aber auch die Chance, eine neue Sprache (verstehen) zu lernen.22 Gerade das Thema der gelingenden Kommunikation illustriert sehr gut, was als gesamthaftes Fazit der Arbeit gelten kann. Alternative Kooperationsformen zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen müssen gelernt werden, aber dieser Lernprozess selbst ist bereits das, worum es geht und worin die Bereicherung liegt. Hier kann – abstrakt betrachtet – ein rekursives Muster im Sinne einer selbstverstärkenden Schleife sowohl für Unternehmens- als auch für Kulturorganisation in Gang gesetzt und etabliert werden: Mit den Irritationen wächst auch die Resonanzfähigkeit für weitere Irritationen. Mit Vertrauen steigt auch die Vertrautheit an.23 Neue Beobachtungen ändern die Prämissen für künftige Beobachtungen. Hierin liegen die Möglichkeiten für eine Gestaltung der Beziehung zwischen System und Umwelt, zwischen Wirtschaft und Kunst, zwischen Unternehmen und Kulturorganisationen. Und hierin liegt der Grund, bald damit anzufangen.

22 Vgl. Menninghaus 2008, S. 41. 23 Vgl. Luhmann, Niklas (2009 [1968]): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 24.

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Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis August 2014, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9

Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung Juli 2014, ca. 450 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2297-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Birgit Mandel Interkulturelles Audience Development Zukunftsstrategien für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen (unter Mitarbeit von Melanie Redlberger) 2013, 254 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2421-2

Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive Mai 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-1291-2

Ina Roß Wie überlebe ich als Künstler? Eine Werkzeugkiste für alle, die sich selbst vermarkten wollen (2., unveränderte Auflage 2014) 2013, 192 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2304-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.) NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung 2013, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2381-9

Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen 2012, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9

Susan Kamel, Christine Gerbich (Hg.) Experimentierfeld Museum Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion Mai 2014, ca. 480 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2380-2

Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork4 Ein Konzept zur Förderung von Partizipation und Selbstorganisation in der Kultur-, Sozial- und Bildungsarbeit August 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2679-7

Klaus Georg Koch Innovation in Kulturorganisationen Die Entfaltung unternehmerischen Handelns und die Kunst des Überlebens Februar 2014, 398 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2621-6

Yvonne Leonard (Hg.) Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps 2012, 272 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-2078-8

Wolfgang Schneider (Hg.) Künstler. Ein Report Porträts und Gespräche zur Kulturpolitik 2013, 302 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2287-4

Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage) 2012, 384 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6

Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Theorie und Praxis der dialogischen Besucherführung 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7

Gernot Wolfram (Hg.) Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld 2012, 248 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1781-8

Regina Wonisch, Thomas Hübel (Hg.) Museum und Migration Konzepte – Kontexte – Kontroversen 2012, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1801-3

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