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German Pages 307 Year 2007
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1074
Das Spannungsverhältnis zwischen Ehe und Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes Von
Friederike Gräfin Nesselrode
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
FRIEDERIKE GRÄFIN NESSELRODE
Das Spannungsverhältnis zwischen Ehe und Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1074
Das Spannungsverhältnis zwischen Ehe und Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes
Von
Friederike Gräfin Nesselrode
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Hohe Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: buch bücher dd ag, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428–12419-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Lebensgemeinschaften von Ehe und Familie überdauern die Zeit. Sie sind erprobte Lebensformen, müssen sich aber in der gegenwärtigen wissenschaftlichen und politischen Grundsatzdiskussion erneut bewähren. Gesellschaftliche Veränderungen verschieben die Funktionen von Ehe und Familie und wirken sich auf deren Schutzbedürfnis aus. Das Grundgesetz anerkennt den Wert dieser Gemeinschaften in der Zeit, schützt dieses Fundament unserer Zukunftsfähigkeit und gewährleistet dessen Kernbestand. Art. 6 GG nennt Ehe und Familie in einem Atemzug, lässt aber durch Systematik und Telos seiner Absätze gleichzeitig erkennen, dass deren unterschiedliche Aufgaben einen abgestuften Schutz und damit andere Rechtsfolgen fordern. Die vorliegende Monographie benennt die aktuellen Spannungsfelder zwischen Ehe und Familie. Sie entfaltet deren unterschiedliche Bedeutung für Gesellschaft und Staat, entwickelt daraus verschiedene verfassungsrechtliche Maßstäbe und Rechtsfolgen. Sie arbeitet schließlich sieben Regeln heraus, die Art. 6 GG für ein entspanntes Verhältnis zwischen Ehe und Familie bereithält. Diese mag der Gesetzgeber aufnehmen. Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Schrift im Sommersemester 2006 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Rechtsentwicklung bis zum Frühjahr 2007 berücksichtigt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsunterhalt von geschiedenen und unverheirateten Eltern bestätigt Grundgedanken dieser Arbeit. Danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Peter M. Huber, der meine Promotion angeregt, betreut und durch wertvolle Hinweise gefördert hat. Für das rasche Erstellen des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. HeinrichAmadeus Wolff. Meine Arbeit über Ehe und Familie wäre ohne die Anregungen meiner Familie nicht denkbar. Deshalb richtet sich mein besonderer Dank an meinen Mann, an meine Kinder und an meine Eltern, die mich – in ihrer jeweils eigenen Weise – inspiriert und so zum Gelingen dieses Werkes beigetragen haben. Erzhausen, im Mai 2007
Friederike Nesselrode
Inhaltsübersicht
Einleitung Art. 6 GG als Maßstab, um Spannungen zwischen Ehe und Familie in einer Welt der Ungebundenheit und Unverbindlichkeit zu lösen
21
1. Teil Gegenwärtige Herausforderungen an den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie
26
A. Wandel und Gefährdungen von Ehe und Familie durch die gesellschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . .
62
C. Rahmenbedingungen für die Entscheidung des Freiheitsberechtigten für ein Leben in Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
2. Teil Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
97
A. Bedeutung von Ehe und Familie für Gesellschaft und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Die verfassungsrechtlichen Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG 111 C. Die Unterschiede von Ehe und Familie in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG . . . 131
3. Teil Verfassungsrechtliche Vorgaben, die Verdeutlichung durch den Gesetzgeber und der Einfluss des Europarechts auf das Verhältnis von Ehe und Familie
163
A. Sieben verfassungsrechtliche Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie . . . . . . . . 163
8
Inhaltsübersicht
B. Die Verdeutlichung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 C. Veränderungen des verfassungsrechtlichen Maßstabs für das Verhältnis von Ehe und Familie durch europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
4. Teil Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber – Vorschläge für ein entspanntes Verhältnis zwischen Ehe und Familie
231
A. Unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 B. Die Antwort des Art. 6 GG auf die im Zivilrecht angelegten Spannungsfelder: Reformbedarf oder Bestätigung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 C. Systemberichtigung statt Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
5. Teil Zusammenfassung in Thesen
269
Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
Inhaltsverzeichnis Einleitung Art. 6 GG als Maßstab, um Spannungen zwischen Ehe und Familie in einer Welt der Ungebundenheit und Unverbindlichkeit zu lösen
21
1. Teil Gegenwärtige Herausforderungen an den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie
26
A. Wandel und Gefährdungen von Ehe und Familie durch die gesellschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
I. Demographie und gesellschaftliche Lebensformen im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
1. Demographische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
2. Neue Formen des Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
a) Weniger Ehen und Zunahme an nichtehelichen Lebensgemeinschaften . .
30
b) Kinderlose Ehen und Ehen mit wenigen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
c) Familien ohne eheliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
d) Alleinerziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
e) Patchwork-Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
3. Anforderungen an den Schutz von Ehe und Familie im vereinten Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
II. Heutige Einstellungen zu Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
1. Wille zum familiären Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
2. Wille zum Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
3. Schwindender Wille zur Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
III. Gründe für die Nichtverwirklichung des Willens zum Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1. Zerbrechlichere Formen des Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
10
Inhaltsverzeichnis 2. Verwirklichung individueller Glücks- und Selbstverwirklichungsansprüche .
39
3. Hohe Ansprüche an Familie und Elternschaft, aber kaum Anerkennung . . . . .
40
4. Trennung von Familien- und Erwerbsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
5. Betreuung von Kindern in Kleinfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
6. Bildungssystem und hoher Bildungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
7. Überlastung des mittleren Lebensabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
8. Kinderfeindliche Berufswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
a) Fehlende Fortsetzungsmöglichkeit nach einer Erziehungspause . . . . . . . . . .
44
b) Fehlendes Teilzeitbeschäftigungsangebot für Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
c) Flexibilität von Arbeitsort und Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
d) Tarif- und Beschäftigungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
9. Wirtschaftliche Wertlosigkeit der Erziehungsarbeit trotz Unterhaltsansprüchen des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
a) Einkommen einer Familie nach der Geburt eines Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
b) Keinen Lohn für die Erziehungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
c) Sozialstaatliche Regelungen zulasten der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
d) Steuerrechtliche Benachteiligungen der Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
10. Verhütung und Abtreibung – Elternschaft ist nicht mehr ein natürliches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
11. Unfruchtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
12. Gleichberechtigung im Beruf, weniger in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
13. Entfremdung gegenüber Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
14. Problemdeutung durch die veröffentlichte Meinung – Wertewandel als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
IV. Gründe für den schwindenden Willen zur Ehe trotz eines Willens zur Treue . . . .
55
1. Erhöhte Anforderungen an den Partner: Ehe als Intim- und Liebesbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2. Gleichberechtigung und Selbstbewusstsein der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
3. Kollektive Sozialversicherungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
4. Finanzielle Hindernisse durch Gelder für Alleinerziehende . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
5. Anerkennen von anderen Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
6. Flexibilität, Schnelllebigkeit und Freizeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
Inhaltsverzeichnis
11
7. Langwierige Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
8. Wohlstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
9. Verlust an hergebrachter Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie . . . . . . . . . . .
62
I. Der Normalfall der ehebasierten Familie – Eheautonomie und Erziehungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
1. Nebeneinander von Familien- und Erwerbsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
2. Die Wahl zwischen Familieneinheit und Individualität im Namensrecht . . . . .
65
3. Staatliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
4. Eheverbot innerhalb der Familie zum Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . .
68
II. Spannungen durch das Auseinanderfallen von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
1. Scheidung der Ehe trotz unauflöslicher Elternschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
a) Kinderschutzklausel des § 1568 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
b) Sorge- und Umgangsrechte Geschiedener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
c) Nachehelicher Unterhaltsanspruch wegen Betreuung der Kinder . . . . . . . . .
72
aa) Durchbrechung des Prinzips der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . .
72
bb) Kein Unterhaltsausschluss nach § 1579 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
cc) Wiederaufleben eines Unterhaltsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
dd) Konkurrenz zwischen Ehegatte und Kind als Unterhaltsgläubiger . . .
74
2. Negative Eheschließungsfreiheit und Elternverantwortung für das Kind . . . .
74
a) Sorge- und Umgangsrechte für den Vater eines nichtehelichen Kindes . . .
74
b) Unterhaltsansprüche der nicht verheirateten Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
3. Die Stieffamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
a) Konkurrenzen zwischen der rechtlichen und biologischen Familie . . . . . . .
76
aa) Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes der Mutter und Anfechtungsrecht des biologischen Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
bb) Anspruch des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . .
77
12
Inhaltsverzeichnis b) Rechtliche Stärkung der Stieffamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
aa) Gerichtliche Bleibeanordnung nach § 1682 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
bb) Mitsorgerecht des Ehegatten des allein sorgeberechtigten Elternteils
79
cc) Konkurrenz der ersten und zweiten Familie im Unterhaltsrecht . . . . . .
79
III. Entlastung von Alleinerziehenden und Benachteiligung der ehebasierten Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
1. Sonderregelungen für Alleinerziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
a) Sozialhilferechtlicher Mehrbedarf für Alleinerziehende . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
b) Steuerlicher Entlastungsbetrag nach § 24 b EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
c) Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
2. Einkommensanrechnung in Wirtschaftsgemeinschaften in der Sozialhilfe . . .
82
a) Einsatz- oder Hausgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
b) Offiziell Alleinerziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
IV. Benachteiligung von Kinder erziehenden im Vergleich zu kinderlosen Ehen . . . .
85
1. Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
2. Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
C. Rahmenbedingungen für die Entscheidung des Freiheitsberechtigten für ein Leben in Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
2. Teil Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
97
A. Bedeutung von Ehe und Familie für Gesellschaft und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Bedeutung der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Ehe als Ort des Zusammenlebens und der Lebenshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Entlastung des Sozialstaates durch Versorgung des Ehepartners . . . . . . . . . . . . . 102 3. Entlastung des Rechtsstaates durch eheliche Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Ehe als Zuordnungsobjekt nach außen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5. Ehe als Basis für die Gründung einer Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Inhaltsverzeichnis
13
II. Bedeutung der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Gemeinschaft zur Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Sicherung der Fortexistenz von Staat und Gesellschaft durch Reproduktion . 106 3. Wertevermittlung als Zukunftssicherung für Staat, Wirtschaft und Kultur . . . 106 4. Entlastung des Sozial- und Rechtsstaates durch Erziehung und Fürsorge . . . . 108 5. Familie als meistgelebte Lebensform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Gleichklang und Spannung zwischen Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Die verfassungsrechtlichen Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Der Schutzbereich der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Mitwirkung des Staates zur Begründung eines staatsfreien Raumes . . . . . . . . . 113 2. Verschiedengeschlechtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Grundsätzliche Unauflösbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Einehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5. Wirtschaftsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6. Lebens- und Beistandsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7. Freier Entschluss zur Ehe und ihre autonome Ausgestaltung durch gleichberechtigte Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Der Schutzbereich der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Gemeinschaft von Kindern und verantwortungsbewussten Eltern . . . . . . . . . . . 121 a) Auf Abstammung basierende Elternverantwortung als Ausgangspunkt . . . 121 b) Unabhängigkeit des Familienbegriffs von einer ehelichen Grundlage . . . . 122 c) Gemeinschaften zwischen Kind und einem Elternteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 d) Auf Rechtszuweisung gegründete Elternschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 e) Auf Reproduktionsmedizin gegründete Elternschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Lebens- und Hausgemeinschaft auf Zeit, lebenslange Begegnungsgemeinschaft – wachsende Selbstbestimmung des Kindes, schwindende Verantwortung der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
14
Inhaltsverzeichnis 3. Erziehungsgemeinschaft – Einführung in Kultur und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Unterhalts- und Beistandsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Verfassungsrechtliche Unterschiede zwischen den Strukturprinzipien von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
C. Die Unterschiede von Ehe und Familie in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG 131 I. Abwehrrecht gerichtet auf ein staatliches Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Umfassende Abwehr von staatlichen Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Verantwortung des Freiheitsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Staatsferne in der Ehe und staatliches Wächteramt in der Familie . . . . . . . . . . . 137 II. Einrichtungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Konkretisierungsauftrag und Schranke für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Verfassungsgarantie durch einfachgesetzliche Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . 138 b) Richtlinie für den Gestaltungsraum des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Gewährleistung eines unantastbaren Garantiebereichs . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Instituts- und institutionelle Garantie als umfassende Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Bestimmung des unantastbaren Garantiebereichs durch die außerrechtliche Lebensordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Notwendigkeit der Einrichtungsgarantie von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Institutionalisierung schafft Freiheit durch Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Institutionalisierung für den Erhalt der staatlichen Gemeinschaft . . . . . . . . 143 c) Wegweiser für gesellschaftliche Veränderungen: Gleiche Antworten auf neue Anfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Der Auftrag der Einrichtungsgarantie als Spannungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Wertentscheidende Grundsatznorm und besondere Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Wertentscheidende Grundsatznorm als Teil der objektiven Werteordnung . . . 149 a) Allgemeine Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Gesetzliche Umsetzung der privaten Neminem-Laedere-Pflicht . . . . . 149 bb) Schutz vor Aushöhlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Inhaltsverzeichnis
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b) Ausstrahlungswirkung ins Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Schädigungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 d) Allgemeine Förderpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Besondere Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Besondere Schutzpflicht als Gesetzgebungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Benachteiligungsverbot als besonderer Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Abstandsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Besonderes Förderungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Besondere Schutzpflicht des Grundrechtsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
3. Teil Verfassungsrechtliche Vorgaben, die Verdeutlichung durch den Gesetzgeber und der Einfluss des Europarechts auf das Verhältnis von Ehe und Familie
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A. Sieben verfassungsrechtliche Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie . . . . 163 I. Getrennter Schutz von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Eigenständigkeit von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Die Ehe als eine um ihrer selbst willen schützenswerte Lebensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Familienschutz unabhängig von der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Strukturschutz der Ehe und finanzielle Förderung der Familie . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Gleichbehandlung, Differenzierung und Privilegierung von Ehe und Familie . . . 169 1. Verwirklichung von Lebenssinn in freiheitlicher Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Besonderer Schutzauftrag zugunsten von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Benachteiligungsverbot und Privilegierung gegenüber anderen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Gleichbehandlung und Differenzierung je nach Struktur der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
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Inhaltsverzeichnis III. Wertentscheidung des Grundgesetzes – Leitidee der Ehe und Familie als Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Ehe und Familie in einem Atemzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Leben in der ehelichen Familie als positiv empfundene Normalität . . . . . . 173 b) Ehe als beste Voraussetzung für die Entwicklung von Kindern . . . . . . . . . . . 174 c) Festigung der Ehe durch die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Ausrichtung des Ehe- und Familienschutzes auf das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Schutz der Ehe als Basisgemeinschaft für die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Natürliche Erwartung des Kindes auf die gemeinsame Begegnung mit Vater und Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Verfassungsrechtlicher Schwerpunkt: Schutz der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Schutz für eheliche und nichteheliche Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Verfassungsauftrag zur Kinderförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Umfassende Familienförderung als Unterstützung der aktuellen Elternschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Ausgleich bestehender Nachteile für nichteheliche Kinder im Spannungsfeld zum Schutz der ehelichen Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Schutz der Ehe als Hoffnung auf eine potentielle Elternschaft . . . . . . . . . . . 181 d) Vorrang der Kinderrechte vor den Rechten der Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . 182 V. Verfassungsauftrag zur Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Stetigkeit der Lebensbedingungen zum Wohl des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Erhalt der Gemeinschaft, soweit in Freiheit möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 VI. Stetige Pflichtenbindung trotz Trennung der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Elternpflicht und zivilrechtliche Folgewirkungen aus dem Eheversprechen . 186 2. Primat der Elternpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 VII. Staat in Reserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Wächteramt gegenüber den Eltern, allgemeiner Schutzauftrag gegenüber den Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Schutz des schwächsten Gliedes in der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Inhaltsverzeichnis
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B. Die Verdeutlichung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Getrennter Schutz von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Zivilrechtliche Entkoppelung von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Strukturschutz der Ehe und Förderung der Familie im Zivil- und Einkommensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Hervorheben der Gemeinschaften von Ehe und Familie ohne Konkurrenz . . . . . . 197 1. Besonderer Schutzauftrag ist unerfüllt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Schutzbedürfnis unabhängig vom Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Gegeneinander Ausspielen in der politischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Zivilrechtliche Verknüpfungen von Ehe und Familie als Ausdruck der Einheit . . 200 1. Rechtsbeziehungen in der Familienerbfolge und im Ehegattenerbrecht . . . . . . 200 2. Finanzierungsgemeinschaft der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Recht des Kindes auf Umgang mit Vater und Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Vorrangiger Schutz der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Schutz unabhängig von der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Gemeinsames Sorgerecht, Umgangsrecht und Kindesunterhalt auch ohne Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Abzugsfähigkeit des Betreuungsaufwands im Steuerrecht für Alleinerziehende und für Ehepaare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Besondere finanzielle Förderung der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Rechtsstellung des Kindes gegenüber seinen Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Zivilrechtliche Ausrichtung auf das Wohl und die Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Rechtsstellung des heranwachsenden Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 V. Gesetzlich verordnete Kontinuität beim Scheitern der Gemeinschaft im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 VI. Zivilrechtliche Pflichtenbindung nach Trennung der Gemeinschaften von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2 Nesselrode
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Inhaltsverzeichnis VII. Gesetzliche Grundlagen zum Eingreifen des Staates in Ehe und Familie . . . . . . . . 209 1. Staatliche Schlichtung erst beim Scheitern der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Vorrang der Elternverantwortung vor dem staatlichen Wächteramt zugunsten des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Verfahrenspfleger bei Gericht zur Wahrung der Interessen des Kindes . . . . . . 211
C. Veränderungen des verfassungsrechtlichen Maßstabs für das Verhältnis von Ehe und Familie durch europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Fester internationaler Wertkonsens als Orientierungspunkt für die Auslegung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Inhaltliche Vorgaben der EMRK für das Verhältnis von Ehe und Familie . . . . 215 a) Achtung des Familienlebens unabhängig von der ehelichen Grundlage . . 217 b) Ehe als Ausgangspunkt zur Gründung einer Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Ehe und Familie als Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 d) Schwerpunkt des Schutzes der Familie als Raum zur Persönlichkeitsentfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Bestätigung der Auslegung des Grundgesetzes durch die EMRK . . . . . . . . . . . 221 II. Entwurf der Grundrechtecharta der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Kein Ausdruck gemeinsamer Werte im Bereich von Ehe und Familie . . . . . . . 221 a) Inhaltliche Modifikation des Art. 6 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Europarechtliche Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Inhaltliche Vorgaben der Grundrechtecharta für das Verhältnis von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Relativierung des Schutzes für Ehe und Familie durch Verweise auf das einfache Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Unabhängiger Schutz von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Schwerpunkt des Schutzes der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Aufweichen der Wertentscheidung des Grundgesetzes von Ehe und Familie als Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) Kaum Regelungen zur Konfliktlösung bei Trennung der Gemeinschaften
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3. Keine Auswirkung der Relativierung des Grundrechtschutzes . . . . . . . . . . . . . . 230
Inhaltsverzeichnis
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4. Teil Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber – Vorschläge für ein entspanntes Verhältnis zwischen Ehe und Familie
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A. Unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 I. Bewusstseinsbildung durch Öffentlichkeitsarbeit für Ehe und Familie . . . . . . . . . . 233 1. Öffentlichkeitsarbeit für die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Unterschiede in Ost- und Westdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Gleiche Anerkennung der Erziehungsleistung von allen Familien . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Abschaffen der Sonderregelungen für Alleinerziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Freiheitliche Lösung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Einheitliches Familiengeld als finanzielle Anerkennung der Erziehung . . 238 b) Familien brauchen Zeit – Strukturelle Rücksichtnahme auf die Familie . . 239 3. Besondere Anerkennung der Erziehungsleistung in den umlagefinanzierten Versicherungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Höchste Rente für den größten Rentenbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Anerkennung der Kindererziehung statt Mitversicherung in der Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Gleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern in der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 B. Die Antwort des Art. 6 GG auf die im Zivilrecht angelegten Spannungsfelder: Reformbedarf oder Bestätigung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Kontinuität zum Schutz des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Kinderschutzklausel als Stärkung der Rechte des Kindes im Scheidungsfall
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2. Kontinuität im Sorgerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Kontinuität in der ehebasierten Familie durch freie Entscheidungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Stärkere Pflichtenbindung gegenüber dem Kind als gegenüber dem Ehegatten im Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Eigenverantwortung der Ehegatten nach der Scheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2*
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Inhaltsverzeichnis 2. Frühere Kindererziehung als wichtigste Ausnahme vom Prinzip der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. An Kind geknüpfter Kinderbetreuungsunterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 4. Vorrangiger Unterhalt des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 5. Pflichtenbindung im Vorrang des Unterhalts des ersten Ehegatten . . . . . . . . . . 261 III. Zivilrechtliche Stütze für familiäre Verantwortungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . 262 1. Vorrang der sozialen, ehebasierten Familiengemeinschaft vor der biologischen Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Vaterschaftsvermutung des Ehemannes der Mutter als Ausdruck der Einheit von Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Anfechtungsrecht des biologischen Vaters allein zum Wohl des Kindes . . 264 c) Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Stärkung der Einheit der sozialen Familie durch Rechte für den Stiefelternteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
C. Systemberichtigung statt Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
5. Teil Zusammenfassung in Thesen
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Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
Einleitung
Art. 6 GG als Maßstab, um Spannungen zwischen Ehe und Familie in einer Welt der Ungebundenheit und Unverbindlichkeit zu lösen In einer leistungsorientierten Gesellschaft und Arbeitswelt lebt der Mensch vermehrt als Individuum. Das Streben nach beruflichen Erfolgen fordert vollen persönlichen Einsatz mit hohem Zeitaufwand. Wegen des steigenden Konkurrenzdrucks in einem immer enger werdenden Arbeitsmarkt ist der Mensch schon in der Ausbildung darauf bedacht, sich gegenüber Mitbewerbern hervorzuheben. Im Bemühen, besser sein zu wollen als der andere, versucht er flexibel und ungebunden zu bleiben, um neue Chancen ergreifen zu können. Die durch neue Technologien schneller werdenden Kommunikationsmittel vermitteln zudem das Gefühl, an vielen Orten gleichzeitig präsent sein und überall teilhaben zu können. Moderne Verkehrsmöglichkeiten öffnen die Welt und damit das Interesse an neuen Kulturen, so dass auch hier ein Bedürfnis nach dem Anderen und Ungewohnten geweckt wird. Der Mensch will „etwas vom Leben haben“1 und meint, sich diesen Wunsch am besten ungebunden erfüllen zu können. In seinen individuellen Zielen und seiner persönlichen Freiheit trifft der Mensch auf Mitmenschen mit gegenläufigen Willen und Handlungsweisen. Insbesondere in der Ehe und in der Familie als die kleinsten und dichtesten menschlichen Gemeinschaften müssen unterschiedliche Anliegen einzelner Menschen auf eine gemeinsame Lebensgemeinschaft abgestimmt, also Individualität und Mitverantwortlichkeit für den anderen ausgeglichen werden. Die entstehenden Spannungslagen zu lösen, ist Aufgabe des Rechts. Der Staat setzt eine verbindliche Ordnung, um diese Konflikte zu vermeiden, zu begrenzen, zu formen, auszugleichen und zu beenden; das Recht ist immer dann gefragt, wenn Spannungen zu lösen sind. Als Grundlage für menschliches Zusammenleben bietet die Verfassung dem Menschen in Art. 6 GG die Rechtsinstitute der Ehe und Familie als Orte der Gemeinschaft und des Zusammenhalts an. Ehe und Familie zeichnen sich durch innere Bindungen2 und lebenslange persönliche Verantwortung für einen anderen Men1 Vgl. zu den Gründen für die Nichtverwirklichung des Willens zum Kind: Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, Schaubild 8 und 9. 2 Vgl. für die Ehe BVerfGE 87, 234 (264) – Eheähnliche Gemeinschaft, für die Familie BVerfGE 80, 81 ff. – Erwachsenenadoption.
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schen aus, die im Gegensatz zu den Verbindungen in der Arbeitswelt auf keine andere Person übertragbar sind. Dabei ist der Grad der inneren Bindung und die Notwendigkeit des Stetigen und Verlässlichen zwischen diesen Gemeinschaften abgestuft. Die Ehe als eine Gemeinschaft zwischen zwei Gleichberechtigten begründet eine Lebens- und Erwerbsgemeinschaft, für die sich beide Partner frei entschieden haben und die auf dem Gesetz der Gegenseitigkeit beruht.3 Geht dieses Gleichgewicht verloren, besteht im Ausnahmefall der Scheidung die Möglichkeit, die einmal eingegangene Bindung mit den gesetzlich vorgegebenen Konsequenzen wieder zu lösen. In der Familie erweitert sich dieser Lebens- und Freiheitsbereich zu einer elterlichen Verantwortung für einen jungen schutz- und zuwendungsbedürftigen Menschen. Die eheliche Freiheit wird durch die Pflicht zur Erziehung und zum Unterhalt überlagert. Neben das Grundrecht der Elternschaft tritt die Grundpflicht auf Erziehung und Sorge für das Kind (Art. 6 Abs. 2 GG). In diesem Erziehungsverhältnis fordert das Kind Stetigkeit und Verlässlichkeit. Deshalb ist die elterliche Verantwortung im Gegensatz zur personalen Bindung der Ehe unscheidbar.4 Aus diesem unterschiedlichen Grad der personalen Verantwortung entstehen Spannungen, wenn der lebenslänglichen Elternschaft die Grundlage lebenslänglicher Ehe fehlt, weil die Eltern geschieden sind, sie in eheähnlicher Gemeinschaft leben oder ein Elternteil alleine erzieht. Wenn die Eheleute die Möglichkeit der Scheidung wahrnehmen, entsteht der Bruch zwischen beendeter Ehe und fortdauernder Elternschaft. Die ehemalige Ehe hat Eltern und Kinder in der Vollfamilie daran gewöhnt, die Familienverantwortung in gemeinsamer Elternschaft wahrzunehmen und dem Kind die Entfaltungshilfen durch Vater und Mutter anzubieten. Zusammengehöriges wird in Respekt vor dem Willen der Ehegatten auseinander gerissen. Daraus ergibt sich der Auftrag an die Rechtsordnung, die Gemeinschaft der Vollfamilie möglichst zu stützen, notfalls behutsam aufzulösen und dennoch die Eltern bei der nunmehr getrennten Wahrnehmung ihrer Elternpflichten nicht zu überfordern. Hierfür hat der Gesetzgeber zivilrechtliche Regelungen getroffen, die das Sorgerecht für das Kind zwischen den Eltern aufteilen oder ein Elternteil auf ein Umgangsrecht verweisen. Entfacht sich über diese Sorge- und Umgangsrechte ein Streit, wird das Kind in den Konflikt seiner Eltern hineingezogen. Die Rechtsordnung muss dann dem Kind soweit als möglich auch in Zukunft eine förderliche Begegnung mit Mutter und Vater erschließen.5 Das Grundgesetz bietet dem Freiheitsberechtigten an, die Gemeinschaften von Ehe und Familie einzugehen. Jeder übt die Freiheit, sich zu binden, nach seinen 3 Vgl. zum Ehebegriff exemplarisch: BVerfGE 6, 55 ff. – Steuersplitting; 10, 59 ff. – Elterliche Gewalt; 29, 166 ff. – Ferntrauung; 53, 224 ff. – Zerrüttungsprinzip; 62, 323 ff. – Hinkende Ehe; 80, 81 ff. – Erwachsenenadoption. 4 Vgl. zu den Begriff der Familie BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt; 24, 119 (135) – Adoption I; 59, 52 (63) – Generationen-Großfamilie. 5 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des Sorgerechts: BVerfGE 92, 158 (178 f.) – Adoption II; BVerfGE 107, 150 ff. – Sorgerechtsregelung für Altfälle.
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individuellen Vorstellungen aus. Der eine fühlt sich durch einen Ehepartner oder ein Kind in seiner aktuellen Lebensführung eingeschränkt, seine alltäglichen Entscheidungen kann er mit Ehepartner und Kind nicht beliebig ändern; es würde verlässliches Handeln von ihm gefordert. Der andere hingegen erfährt die langfristige Bindung in der Ehe und in der Familie als Freiheitsgewinn und Entlastung. Er erlebt das Zusammenleben mit Ehepartner und Kindern als Gemeinschaft des Dialogs, der Begegnung, der Zukunftssicherheit und Entfaltungshilfe. So entstehen unterschiedliche Gemeinschaften, die jeder nach seinen individuellen Freiheitsvorstellungen ausfüllt. Der vollständigen Familie, bestehend aus einem Ehepaar mit Kindern, stehen die Alleinerziehende und die nichteheliche Lebensgemeinschaft mit Kindern gegenüber. Ehegatten nehmen nicht nur die Verantwortung für das Kind wahr, sondern gehen auch die personale Bindung der Ehe ein. Sonstige Eltern lehnen die Grundlage der Ehe zum Erziehen eines Kindes für sich ab. Andere verharren in ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft, verschieben den Kinderwunsch wegen aktueller Berufs- und Erwerbschancen, wegen des Vorrangs privater Lebensgestaltung und Anschaffungen und werden teilweise später feststellen, dass es nunmehr für die Erfüllung des Kinderwunsches zu spät ist. Gelegentlich hat auch die Scheu vor einer langfristigen Bindung in Elternverantwortlichkeit den Verzicht auf das Kind zur Folge. Jede dieser Gemeinschaften fordert einen anderen staatlichen Schutz. Die freiheitliche Entscheidung des Einzelnen führt in den Konflikt zwischen Individualität und Gemeinschaftsverantwortung, zwischen Freiheit und Freiheitsrecht. Spannungsfelder zwischen den individuell gestalteten Gemeinschaften sind unvermeidbar. Soweit der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag durch rechtliche und finanzielle Förderung zu erfüllen sucht, begründen der Schutz der Vollfamilie und der Schutz von Alleinerziehenden mit Kindern einen elementaren Zielkonflikt: Je mehr der Staat – auch im Auftrag von Art. 6 Abs. 5 GG – nur die Teilfamilie unterstützt und fördert, weil Alleinerziehende in einer besonderen Bedarfslage stehen und deswegen gesteigert schutzbedürftig sind, desto mehr kann eine Eheschließung für die so begünstigten Eltern finanzielle und rechtliche Nachteile zur Folge haben, also dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag zugunsten der Vollfamilie widersprechen. Schutz und Fürsorge der Alleinerziehenden entfallen, wenn Eltern eine faktische Ehe in eine rechtliche Ehe umgestalten. Dieser Zielkonflikt wiegt umso schwerer, je weniger die allgemeine Familienförderung zum Schutz der Alleinerziehenden ausreicht; der Konflikt verflüchtigt sich umso mehr in einem hohen Schutzniveau, je deutlicher der Rechtsstaat die Gemeinschaft mit Kindern allgemein fördert und allein dadurch auch den Teilfamilien schon einen ausreichenden Schutz gewährt. Staatliche Rechtshilfen und Förderungsprogramme für den „besonderen Schutz“ der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) wirken somit vielfach als Hemmnisse, die gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützte Ehe einzugehen und drängen elterliche Lebensgemeinschaften in das Dunkel des Verbergens und Verschleierns. Die Lebenshilfe für die Familie behindert die Ehe. Nichteheliche Lebensgemeinschaften, die
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im Verborgenen bleiben, werden insbesondere in der Sozialhilfe gegenüber Ehepaaren mit Kindern bevorzugt, in denen das Einkommen des Partners bei der Berechung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt angerecht wird. Diese Benachteiligung ist durch die Vermutung des § 20 SGB XII teilweise abgebaut, wenn das Sozialrecht die eheähnliche Lebensgemeinschaft der Ehe bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruchs gleichstellt, damit eine Benachteiligung bei Eheschließung vermeidet, dafür aber in Kauf nimmt, dass der Staat die Realität einer eheähnlichen Gemeinschaft ermitteln muss und sich nicht allein an der Erklärung der Ehegatten am Standesamt ausrichten darf.6 In den umlagefinanzierten Versicherungssystemen hingegen geraten alle diejenigen ins finanzielle Hintertreffen, die Kinder erziehen. Besonders deutlich wird dies bei der Rentenversicherung. Für die Auszahlung einer Rente kommt es vor allem auf die eingezahlten Geldbeiträge an. Wenn Eltern für die Erziehung ihrer Kinder (teilweise) aus dem Erwerbsleben ausscheiden und dafür nicht entlohnt werden, können sie keine finanziellen Beiträge für ihre Alterssicherung aufbringen. Der systemerhaltende Beitrag, den sie durch das Heranbilden der nächsten Generation zum Rentensystem leisten, wird durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in den ersten drei Jahren nur ansatzweise entlohnt. Denn nur die Kinder können die Mittel für den späteren Versicherungsfall der jetzt erwerbstätigen Generation aufbringen. Das als Generationenvertrag ausgestaltete Rentensystem führt durch seine Struktur, in der die Kindererziehung als Privatsache, die Alterssicherung dagegen als gesellschaftliche Aufgabe angesehen wird,7 immer noch zu einer Benachteiligung von Familien, insbesondere von Familien mit vielen Kindern. In dieser gesellschaftlichen und gesetzlichen Gemengelage steht das Verfassungsrecht vor der Frage, ob ein tatsächlicher Wandel der Lebensverhältnisse und eine ihm folgende Entwicklung der Gesetzgebung auch die Verfassungsinstitute von Ehe und Familie erfasst, sich insoweit also ein stiller Verfassungswandel in Art. 6 GG ereignet, oder ob die Eigenständigkeit verfassungsrechtlicher Garantien sich gegen diese Entwicklung stemmt und sie umzukehren sucht. Deshalb ist zu prüfen, ob ein verfassungserheblicher Wertewandel nur bei förmlicher Änderung der Verfassungsurkunde anerkannt wird oder ob der Erstinterpret der Verfassung, der Gesetzgeber, auch die verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien nach und nach fortbilden und neuen Entwicklungen anpassen kann. Diese Frage ergibt sich insbesondere daraus, dass die Garantie von Ehe und Familie in Art. 6 GG sich nicht auf ein Abwehrrecht beschränkt, sondern auch Einrichtungsgarantie ist und Schutzpflichten auferlegt. Spiegelbildlich ist für den Freiheitsberechtigten in seinem Freiheitsrecht Verantwortlichkeit und Pflicht angelegt. Art. 6 GG begründet somit Freiheit und Pflicht, Erlebnisraum und Bindung. So ergibt sich auch aus den Funktionen des Art. 6 GG ein Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie. 6 7
Vgl. BVerfGE 87, 234 (264) – Einkommensrechnung. Kritisch dazu: BVerfGE 87, 1 (38) – Trümmerfrauen.
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Dennoch löst der für die Zukunft offene Wortlaut des Verfassungstextes des Art. 6 GG diese in ihm angelegten Spannungen im Kontext seiner Entstehung und seiner systematischen Stellung auf. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet Ehe und Familie in einem Atemzug. Er geht von der herkömmlichen und erprobten Wirklichkeit aus, dass Elternpflicht und Elternverantwortlichkeit am besten von Vater und Mutter gemeinsam getragen werden können, das Kind die beste Entfaltungsmöglichkeit vorfindet, wenn es dauerhaft in der Gemeinschaft mit Vater und Mutter aufwächst, die durch die Ehe verbunden sind. Auch Staat und Gesellschaft bauen auf die Familie, in der die Eltern gemeinsam eine Lebens-, Erziehungs-, Haus-, Unterhalts- und Beistandsgemeinschaft mit ihren Kindern bilden. Gleichzeitig verpflichtet Art. 6 Abs. 5 GG den Gesetzgeber, den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Dieser Verfassungsauftrag ist verbindlich, allerdings bleibt er teilweise unerfüllbar, weil die staatlichen Instrumentarien des Rechts, der Finanz- und der Organisationskraft elterliche Zuwendung und familiäre Geborgenheit nicht ersetzen können. Außerdem garantiert Art. 6 Abs. 4 GG jeder Mutter den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Damit ist einerseits die Schutzwürdigkeit der Mutter während der Schwangerschaft und nach der Geburt gemeint, andererseits aber auch die besondere Beanspruchung der allein erziehenden Mutter rechtlich abgefangen, die in der Regel Elternpflicht und berufliche Verantwortlichkeit allein wahrzunehmen hat. Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft zielen hier auf einen Vaterersatz, der vielfach wiederum nicht vollständig gelingen kann – weder in der Entlastung der Mutter noch in der Zuwendung zum Kind. So bietet Art. 6 GG – im Lichte seines Telos gesehen – Lösungen an, die jene in ihm angelegten Spannungslagen mäßigen, aber nicht aufheben können. Art. 6 GG gibt dem einfachen Gesetzgeber darüber hinaus Anregungen, den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag zu erfüllen. Der Gesetzgeber hat die Förderpflicht, zunächst die Rechtsinstitute von Ehe und Familie so anzubieten, dass die eine Lebensgemeinschaft jeweils ohne die andere entfaltet werden kann. Sodann ist aber der Übergang von der Ehe zur Familie so zu gestalten, dass die Ehegatten von ihrer Freiheit zum Kind Gebrauch machen können und sie dabei den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Rechtsordnung tatsächlich erfahren. Gleichzeitig muss der Gesetzgeber seine Gesetze immer wieder in ihrer Verfassungsmäßigkeit für die jeweilige Gegenwart überprüfen. Er ist zu stetigen Reformen aufgerufen.
1. Teil
Gegenwärtige Herausforderungen an den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie Ehe und Familie sind selbst bestimmte, autonome Lebensgemeinschaften, die nur in ihren Grundelementen, nicht in Einzelheiten und nicht vollständig in rechtlichen Tatbeständen definiert und begrenzt werden können. Art. 6 des Grundgesetzes ist für die soziale Wirklichkeit besonders offen. Die verfassungsrechtlichen Begriffe von Ehe und Familie nehmen die von der Lebensweise des Einzelnen geprägte Wirklichkeit inhaltlich auf und werden stärker als bei der normativen Ordnung anderer Lebensbereiche durch außerrechtliche Kategorien bestimmt.1 Es sind Lebenskategorien, die vorgefunden sind, sich also nicht entwickeln, weil sie normativ geordnet und juristisch geregelt sind, sondern weil sie von den Menschen erlebt und vom Recht nur geformt und geleitet werden.2 Die gesellschaftlichen Veränderungen im Bereich von Ehe und Familie spiegeln sich in Art. 6 GG wider. Ehe und Familie haben sich seit Bestehen des Grundgesetzes auseinander entwickelt, neue Formen des Zusammenlebens gefährden beide Rechtsinstitute, haben gleichzeitig auch Spannungen zwischen beiden ausgelöst. Art. 6 GG ist für diesen Wandel in der sozialen Wirklichkeit offen, Ehe und Familie bleiben in ihrem verfassungsrechtlichen Kern aber regelungsfest. Ein unantastbarer Garantiebereich, der selbst durch die außerrechtliche, von der Verfassung vorgefundene Lebensordnung bestimmt ist, gibt dem Verfassungsinstitut Stetigkeit und gewährleistet Rechtssicherheit. Es gilt herauszufinden, inwieweit Art. 6 GG die heutigen Gegebenheiten in sich trägt. Im Wechselspiel zwischen Verfassungsgebot und gesellschaftlichem Wandel kommt dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, die soziale Wirklichkeit in seinen Regelungen aufzunehmen, die von der Verfassung abstrakt formulierten Institute der Ehe und der Familie mit konkreten Regelungen zu beleben, so Einzelfälle handhabbar zu machen und gleichzeitig den Kern der Einrichtungsgarantien des Art. 6 GG als Richtschnur zu begreifen, ihn zu verdeutlichen und gegen verfassungswidrige Entwicklungen abzuschirmen. Er soll die Verfassung durch gesetzliche Ant1 Vgl. BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt; Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel, S. 555. 2 Vgl. Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel. S. 555; vgl. auch Scheffler, Erna, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 246.
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worten auf die von der Wirklichkeit gestellten, neuen Anfragen mit Leben füllen, indem er seinen Blick hin- und herwandern lässt zwischen dem Rechtsprinzip und dem Lebenssachverhalt.3 Der Gesetzgeber ist verpflichtet, einen gesellschaftlichen Wandel im Verhältnis zwischen Ehe und Familie nur insoweit aufzunehmen, wie es dem unantastbaren Garantiebereich der Verfassungsnorm entspricht. Gesetzliche Spannungsfelder zwischen Ehe und Familie können deshalb einerseits im Kern ihres Verfassungsverständnisses angelegt sein, andererseits aber auch gegen die verfassungsrechtlich zulässige Interpretation verstoßen. Es soll herausgefunden werden, ob der Gesetzgeber in den jetzigen Regelungen seinen Gestaltungsraum eingehalten hat. Art. 6 GG wird sowohl mit dem Wandel der sozialen Wirklichkeit als auch mit den gesetzgeberischen Einflüssen konfrontiert. Der Lebensbereich Ehe und Familie besteht vor allem aus gelebter Wirklichkeit, bleibt aber normativen Einflüssen ständig ausgesetzt.4 Das Gesetz kann Entfaltungshilfe, aber auch Hemmschuh für ein Rechtsinstitut sein. So ist die verfassungsrechtliche Bestimmung des Verhältnisses von Ehe und Familie von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig, die ihrerseits vom Gesetzgeber beeinflusst oder nachgezeichnet werden.
A. Wandel und Gefährdungen von Ehe und Familie durch die gesellschaftliche Entwicklung Seit Bestehen des Grundgesetzes haben sich die gesellschaftlichen Strukturen im Bereich von Ehe und Familie stetig verändert. Noch für die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren Ehe und Familie nahezu identische Erscheinungen. Die Ehe galt als Grundlage der Familie, die Familie war die normale Folge der Ehe.5 Der Verfassungsgeber ging von der traditionellen Vorstellung aus, dass Mann und Frau heiraten, wenn sie zusammen leben wollen, und Kinder grundsätzlich aus einer Ehe hervorgehen. Der Idealtypus des Regelgungsmodells von Art. 6 GG bei seiner Entstehung im Jahre 1949 war die bürgerliche Kleinfamilie mit der traditionellen Rollenverteilung zwischen dem männlichen Ernährer und der weiblichen Hauswirtschafterin. In den 50er und 60er Jahren war dieses Verfassungsideal auch die dominante Ehe- und Familienform in der sozialen Realität.6 Familien ohne eheliche Grundlage, Alleinerziehende und nichteheliche Lebensgemeinschaften waren die Ausnahmen und gesellschaftlich nicht anerkannt. Die Familie war mit Limbach, Jutta, in Willutzki, S. 16 ff. Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel, S. 556, Gernhuber, Joachim, FamRZ 1981, 721 (728). 5 Coester-Waltjen, Dagmar, in von Münch / Kunig, GG, Art. 6, Rn. 4. 6 Peuckert, Rüdiger, S. 20; ein Vergleich der Familienformen in den verschiedenen Gesellschaften findet sich bei: König, René, Soziologie der Familie, S. 219 ff. 3 4
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
einer gewissen Selbstverständlichkeit an die Ehe gekoppelt.7 Wie selbstverständlich wurde in der Soziologie die Familie als eine Gruppe definiert, in der ein Ehepaar mit seinen eigenen Kindern zusammenlebt.8 Nach vorherrschender Ansicht sollte nur die auf einer Ehe basierende Familie den besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG genießen. Umgekehrt wurde als Hauptgrund der Ehe die Sicherung der Nachkommen angesehen, Großfamilien mit mehr als vier Kindern waren auch deshalb keine Seltenheit. Die tatsächlichen Verhältnisse haben sich seit den 70er Jahren gewandelt. Neue Formen des Zusammenlebens haben sich entwickelt. Das Kind ist nicht mehr natürliche Folge des Zusammenlebens, sondern Ergebnis bewusster Entscheidung. Waren Ehe und Familie früher stets aufeinander bezogen, scheinen sie sich heute getrennt voneinander zu entwickeln. Eine Familie basiert nicht mehr notwendigerweise auf einer Eheschließung, eine Ehe dient nicht mehr in erster Linie als Grundlage des Erziehens von Kindern. Junge Menschen scheinen beide Verfassungsangebote zögerlicher annehmen zu wollen. Ehe und Familie werden immer häufiger als Auslaufmodell bezeichnet.9 Diese Entwicklungen sind vom Gesetzgeber aufgenommen, teilweise auch verursacht worden. So stellt sich die Frage, ob das Verhältnis zwischen den beiden vom Verfassungsgeber privilegierten Rechtsinstituten neu definiert werden muss. Welchem der Rechtsinstitute ist in Zeiten der Finanzknappheit der Vorrang einzuräumen, wo soll der Gesetzgeber im Rahmen seiner Möglichkeiten gegensteuern?
I. Demographie und gesellschaftliche Lebensformen im Wandel 1. Demographische Entwicklung Die demographische Entwicklung in Deutschland scheint Staat und Gesellschaft unaufhaltsam in eine Existenznot zu bringen. Höhere Lebenserwartungen und ein dramatischer Geburtenrückgang werfen drängende gesellschaftspolitische Fragen auf. Seit 1975 liegt das Geburtenniveau um etwa ein Drittel unter dem Stand, der für den so genannten Generationenersatz erforderlich ist.10 In Deutschland ist seit 1960 die Zahl der Lebendgeborenen je Frau von 2,37 in Westdeutschland und 2,19 in Ostdeutschland in rascher Folge auf mittlerweile 1,3 gesunken (kalenderjahrbezogenes Querschnittsmaß der Fertilität).11 Im Durchschnitt haben die zu Beginn Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1002). Neidhardt, Friedhelm, S. 7. 9 So für die Familie Opaschowski, Horst W., S. 43: „In einer zunehmend freizeitorientierten Gesellschaft droht die Familie zum Auslaufmodell zu werden.“ Vgl. zur Begriffswahl auch den Titel der kritischen Auseinandersetzung bei: Eggen, Bernd, Ehe und Familie – ein Auslaufmodell? Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11 / 2003, S. 22 ff. 10 Schwarz, Karl, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 2001, 3 (4). 7 8
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der 1930er Jahre geborenen Frauen rund 2,2 Kinder bekommen, die 1960 geborenen Frauen nur 1,65. Für die 1965 geborenen Frauen wird mit durchschnittlich nur noch 1,5 Kindern je Frau gerechnet.12 1998 lebten nach der Mikrozensuserhebung 1,43 Kinder im Haushalt einer 35 bis 39 jährigen Frau, bei verheirateten mit einem Mann zusammenlebenden Frauen waren es 1,73 Kinder. Von allen 35- bis 39jährigen Frauen waren 26 Prozent kinderlos geblieben, von den verheirateten 13 Prozent.13 Dem Institut für Demoskopie Allensbach zufolge bleiben heute gut 30 Prozent der Frauen in Deutschland kinderlos, bei Frauen mit Hochschulabschluss sind es sogar 42 Prozent.14 So zeigt sich ein großer Unterschied zwischen dem Ausmaß der Kinderlosigkeit zwischen ledigen und verheirateten Frauen. Während nur 12,5 Prozent der verheirateten 35- bis 39jährigen deutschen Frauen keine Kinder im Haushalt haben, sind von den ledigen Frauen dieses Alters 75,9 Prozent kinderlos.15 In den meisten der entwickelten Länder hat man beobachten können, dass mit steigendem Lebensstandard und steigendem Pro-Kopf-Einkommen die Geburtenrate zum Teil erheblich unter 2,0 sinkt.16 Ein sprunghafter Anstieg der Geburtenrate ist nicht zu erwarten, zumal ihr deutliches Absinken unter das bestandserhaltende Niveau bereits eine nicht mehr aufhaltbare Abwärtsspirale in Gang gesetzt hat. Denn die Bevölkerung verringert sich nicht allein dadurch, dass weniger Kinder geboren werden, als zur Bestandserhaltung erforderlich sind. Ganz wesentlich verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass es infolgedessen immer weniger Personen gibt, die Kinder zeugen und gebären können (Gesetz der demographischen Trägheit).17 Wollte man die heutige Altersstruktur durch eine Erhöhung der Geburtenrate oder der Einwanderung stabilisieren, so müsste rein rechnerisch entweder die Geburtenrate pro Frau im gebärfähigem Alter von 1,3 umgehend auf 3,8 steigen oder es müssten 188 Mio. jüngere Personen bis zum Jahr 2050 einwandern.18
11 Vgl. Birg, Herwig, Perspektiven der Bevölkerungsentwicklung 2002, S. 4 u. 6.; Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 71. 12 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 72. 13 Schwarz, Karl, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 2001, 3 (4). 14 Im Gegensatz dazu bleiben in Frankreich, das eine deutlich höhere Geburtenrate aufweist, nur 9 Prozent der Frauen kinderlos, vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung zu Kinderwünschen im Oktober 2004, S. 1. 15 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 75. 16 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung im November 2003, S. 1. 17 Vgl. hierzu ausführlich: Birg, Herwig, Die demographische Zeitwende. 18 BVerfGE 103, 242 (267 f.) – Pflegeversicherung III.
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
2. Neue Formen des Zusammenlebens a) Weniger Ehen und Zunahme an nichtehelichen Lebensgemeinschaften Im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen wurden in den letzten Jahrzehnten immer weniger Ehen geschlossen. Von 1950 bis zum Jahr 2000 verringerte sich die Zahl der Eheschließungen in Westdeutschland um 40 Prozent (1950 heirateten 535.708 Einwohner, 2000 nur 359.837), in Ostdeutschland hatten 1950 vier mal so viele Einwohner geheiratet wie im Jahr 2000 (214.744 im Gegensatz zu 58.713 im Jahr 2000).19 Zu Beginn des Jahres 2000 waren 18 Prozent der Männer und elf Prozent der Frauen im Alter von 40 bis 44 Jahren noch ledig. Allein seit 1991 hat die Ledigenquote in diesem Alter damit um 6 (Männer) und 7 (Frauen) Prozentpunkte zugenommen. In Westdeutschland werden schätzungsweise 30 Prozent der 1960 geborenen Männer und 20 Prozent der Frauen dieses Geburtsjahrganges nicht heiraten. In den neuen Ländern werden es rund 18 Prozent der Männer und zehn Prozent der Frauen sein.20 Daneben ist auch das durchschnittliche Heiratsalter in den letzten zwei Jahrzehnten sprunghaft angestiegen. Im Jahr 1980 heirateten junge Männer in Westdeutschland im Schnitt mit 26,1, in Ostdeutschland mit 23,9 Jahren, 2000 waren sie bei der Eheschließung durchschnittlich 31,3 (West) und 30,7 (Ost) Jahre alt. Deutsche Frauen waren bei der Erstheirat im Jahre 2000 im Osten im Durchschnitt 28,0 und im Westen 28,5 Jahre alt, 1980 hingegen waren sie im Westen 23,4 Jahre alt, im Osten 21,8.21 Damit ist das Heiratsalter in zwanzig Jahren zwischen 2,1 und 2,8 Jahre gestiegen. Immer häufiger war der Anlass für die Hochzeit die bevorstehende Geburt eines gemeinsamen Kindes. Lässt man die hohe Zahl der Scheidungen in den unmittelbaren Nachkriegjahren unberücksichtigt – eine Folge der durch den Krieg verursachten, jahrelangen Trennung und Entfremdung der Ehegatten – ist auch die Scheidungsrate seit der Geltung des Grundgesetzes kontinuierlich angestiegen. Gemessen an der ehedauerspezifischen Scheidungsrate des Jahres 2000 ist damit zu rechnen, dass 37 Prozent der heutigen Ehen mit einer Scheidung enden.22 Grund für die Trennung ist eine häufig überhöhte Erwartungshaltung an den Partner, ein daraus resultierendes Hinwenden zu einem neuen Lebensgefährten und die Abnahme des Verbindlichkeitscharakters der Zivilehe.23 19 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 65. 20 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 7. 21 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2001, S. 69; Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 65. 22 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 9. 23 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1003).
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Die Hälfte (52 Prozent im Jahr 1998 und 49 Prozent im Jahr 2000) der geschiedenen Ehen hatte zum Zeitpunkt der Scheidung ein oder mehrere minderjährige Kinder. Es ist damit zu rechnen, dass rund ein Fünftel der in den 1990er Jahren geborenen Kinder von Ehepaaren (einschließlich vorehelich geborener Kinder) im Laufe der ersten beiden Lebensjahrzehnte mit der Scheidung der Eltern konfrontiert wird.24 Parallel zu dieser Entwicklung haben sich neue Formen des Zusammenlebens etabliert. Es gibt nur noch wenige Paare, die erst dann einen gemeinsamen Haushalt gründen, wenn sie heiraten. Vorübergehende Lebensgemeinschaften, aber auch feste Partnerschaften ohne die eheliche Verbindlichkeit sind üblich geworden. Im Jahr 2000 lebten in Deutschland Rund 2,1 Mio. unverheiratete Paare in einem Haushalt, das sind 9,7 Prozent aller in einem Haushalt zusammenlebender Paare. Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften hat sich im früheren Bundesgebiet seit 1972 verzwölffacht.25 15 Prozent der 25- bis 29-Jährigen und 11,4 Prozent der 30- bis 34-Jährigen leben hier in einer sogenannten „Ehe ohne Trauschein“, bei einer Umfrage im Landkreis Karlsruhe26 waren es 21 Prozent. In den neuen Ländern lebt sogar ein Viertel der 25- bis 29-Jährigen (25,3 Prozent) in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und etwa ein Fünftel der 30- bis 34-jährigen (18,5 Prozent). Ostdeutsche Paare verbinden die Familiengründung seltener mit einer Eheschließung. Sie durchleben längere Phasen des nichtehelichen Zusammenlebens, die auch durch die Geburt eines oder mehrerer Kinder nicht zwangsläufig beendet werden. Westdeutsche Paar heiraten dagegen häufiger, spätestens nach der Geburt eines Kindes.27 So haben auch Ein-Elternteil-Familien und Stiefelternfamilien zugenommen.28 Von den nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben 29,5 Prozent mit Kindern; dabei ist auffällig, dass diese Lebensform gerade im Osten populär ist. 48,7 Prozent der nichtehelichen Lebensgemeinschaften haben hier Kinder, im Westen sind es hingegen 23,3 Prozent.29 Auch in der älteren Generation sind nichteheliche Lebensgemeinschaften keine Seltenheit mehr. Insbesondere nach einer Scheidung lehnen auch ältere Menschen das Institut der Ehe für sich ab. Dennoch sind in der Altersgruppe zwischen 33 und 55 Jahren im Gegensatz zur Altersgruppe der 18- bis 32-Jährigen noch mehr als 80 24 Schwarz, Karl, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 2001, 3 (4); Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 10. 25 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 44. 26 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung. 27 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 45. 28 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1003). 29 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 222 f.
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
Prozent verheiratet.30 Auch insgesamt ist die Ehe die dominierende Lebensform. Rund 60 Prozent der volljährigen Frauen und Männer sind verheiratet und leben mit ihrem Partner zusammen.31 Nimmt man die Seniorengeneration heraus, bei denen viele schon verwitwet sind, sind es sogar noch mehr.32
b) Kinderlose Ehen und Ehen mit wenigen Kindern Die Ehe ist heute nicht mehr die selbstverständliche Vorstufe zur Familie, Ehe und Elternschaft werden nicht mehr von allen als unbedingt zusammengehörig angesehen.33 Viele Ehen bleiben kinderlos, Kinderwünsche bleiben unerfüllt.34 Die Haushalte von Ehepaaren mit Kindern haben von 9,6 Millionen im Jahre 1972 auf 8,6 Millionen im Jahre 1988 in den alten Bundesländern abgenommen.35 Der Anteil der bei Ehepaaren lebenden Kindern ist in Ostdeutschland seit 1991 um zwölf Prozentpunkte zurückgegangen.36 Von den Verheirateten in ganz Deutschland ist fast ein Viertel kinderlos, wovon jedoch nur ein Drittel bewusst die Kinderlosigkeit gewählt hat. Ein fast gleich hoher Prozentsatz der Eheleute schiebt den Kinderwunsch auf, mitunter jedoch so weit, das er eines Tages nicht mehr realisierbar ist.37 Von den 25- bis 44-Jährigen sind etwa 20 Prozent der Ehen in der alten Bundesrepublik und 10 Prozent der Ehen in den neuen Ländern kinderlos.38 1998 lebten nach der Mikrozensuserhebung 1,43 Kinder im Haushalt einer 35 bis 39jährigen Frau, bei verheirateten mit einem Mann zusammenlebenden Frauen waren es 1,73 Kinder. Von allen 35- bis 39jährigen Frauen waren 26 Prozent kinderlos geblieben, von den verheirateten 13 Prozent.39 Junge Paare bekommen ihre Kinder immer später. Eine verheiratete Frau gebiert ihr erstes Kind heutzutage im Durchschnitt mit 29 Jahren, eine unverheiratete ist 30 Vgl. Meyer, Thomas, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1993, S. 37. 31 Vgl. Eggen, Bernd, Ehe und Familie – ein Auslaufmodell?, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11 / 2003, 22 (22). 32 Vgl. hierzu eine 1992 durchgeführten Umfrage: Von den 18- bis 55jährigen Befragten sind im Osten Deutschlands 70 Prozent verheiratet, im Westen 64 Prozent. Die Zahl der Ledigen beträgt 19 Prozent gegenüber 28 Prozent im Westen. siehe: Bertram, Hans, Familienstand, Partnerschaft, Kinder und Haushalt, S. 44. 33 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1003). 34 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 41. 35 Vgl. hierzu Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1002). 36 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 3. 37 Nave-Herz, Rosemarie, Kinderlose Ehen, S. 30. 38 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 43. 39 Schwarz, Karl, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 2001, 3 (4).
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durchschnittlich 27,5 Jahre alt.40 Dabei wirkt sich auch die Alterung der geburtenstarken Elternjahrgänge aus. Die Bereitschaft und auch die biologische Möglichkeit für ein zweites oder drittes Kind verringern sich. Wenigstens jedes zehnte Elternpaar sieht ganz bewusst von weiteren Kindern ab, obwohl es sich noch mehr Kinder wünscht.41 Am Anfang des Jahrhunderts hatte fast jedes zweite Ehepaar (47 Prozent) vier oder mehr Kinder. Siebzig Jahre später ist es nur noch bei jeder zwanzigsten Familie der Fall. 42 Heute wächst ein Viertel aller Kinder als Einzelkinder auf, allein in Ostdeutschland sind es mehr als ein Drittel der Kinder. Fast die Hälfte aller Kinder hat einen Bruder oder eine Schwester, das restliche Viertel hat zwei oder mehr Geschwister.43 Dies zeigt, dass hinter dem Rückgang der Geburten vor allem der steigende Anteil derjenigen steht, die kinderlos bleiben.44 Diejenigen, die eine Familie gründen, entscheiden sich in leicht zunehmendem Maße für zwei und mehr Kinder.45 Allerdings gibt es immer noch eine enge Verbindung zwischen Heirat und Elternschaft. So hat trotz der gestiegenen Scheidungszahlen der Anteil der kinderlos gebliebenen Ehen in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur in geringem Maße zugenommen. Von den 1990 geschlossenen Ehen in Westdeutschland haben bis zehn Jahre nach der Heirat nur 20 Prozent keine Kinder bekommen. Bei den in den 1970er und 1980er Jahren geschlossenen Ehen gab es ein wenig mehr Kinderlose. Der Zusammenhang zwischen Ledigsein und Kinderlosigkeit deutet darauf hin, dass diejenigen, die – noch – keine Kinder haben möchten, häufig auch keinen Grund sehen, – schon – zu heiraten. Umgekehrt ist der Wunsch nach Kindern oder der bevorstehende Übergang zur Elternschaft – zumindest in Westdeutschland – eines der Hauptmotive für die Eheschließung. Darauf weist die steigende Zahl der Paare hin, die ein vorehelich geborenes Kind mit in die Ehe bringen.46
c) Familien ohne eheliche Grundlage Auch wenn für viele Paare die Geburt eines Kindes der Anlass zum Heiraten ist,47 mehren sich Familien, bei denen die Eltern nicht verheiratet sind. In Ost40 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen 2003, S. 77. 41 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 47. 42 Vgl. hierzu: Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (9). 43 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen 2003, S. 27. 44 Birg, Herwig, Deutschlands Weltrekorde, in FAZ vom 22. 2. 2005, S. 35. 45 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen 2003, S. 73. 46 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen 2003, S. 75.
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deutschland ist die nichteheliche Familiengründung zur mehrheitlichen Form des Übergangs zur Elternschaft geworden. 51,5 Prozent der im Jahr 2000 im Osten geborenen Kinder stammen von Unverheirateten, im Westen waren es nur 18,6 Prozent. Diese Nichtehelichenquote in den neuen Ländern war schon immer höher als im Westen, der Anstieg Mitte der 70er Jahre wurde vermutlich durch die Einführung spezieller Hilfen und Vergünstigungen für Alleinerziehende ausgelöst, die auch unverheirateten Paaren zugute kamen.48 Allerdings werden vier von zehn der nichtehelich geborenen Kinder innerhalb ihrer ersten drei Lebensjahre durch die Heirat ihrer Eltern ehelich.49 In Westdeutschland heiraten schätzungsweise ein Drittel der anfangs unverheirateten Eltern, ein weiteres Drittel der Mütter heiratet einen Mann, der dadurch zum Stiefvater wird.50 Im Jahr 2000 lebten in etwa drei Viertel der Familien verheiratete Eltern mit den Kindern zusammen (78,4 Prozent), 6,2 Prozent bestanden aus einem unverheiratet zusammen lebenden Paar und den Kindern und weitere 15,4 Prozent der Familien waren Alleinerziehenden-Familien.51 Allerdings unterscheiden sich die Lebensformen in Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland lebten im Jahre 2000 82,9 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren mit verheirateten Eltern zusammen. In den neuen Ländern tun dies nur etwa 2 von 3 minderjährigen Kinder (69 Prozent).52 Obwohl der Anteil der mit verheirateten Eltern lebenden Kinder in Westdeutschland im Zeitraum von 1972 bis 2000 um etwa zehn Prozentpunkte zurückging, bleibt die auf einer Ehe basierende Familie dennoch die vorherrschende Umgebung für heranwachsende Kinder. Zudem sind die Anteile von Familien mit zwei und mehr Kindern bei den Ehepaar-Familien höher als bei den anderen Familienformen. Von allen Ehepaaren mit Kindern haben 53,3 Prozent zwei und mehr Kinder, bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften sind es nur 27,3 Prozent, von den Alleinerziehenden ohne Lebenspartner im Haushalt haben 34,2 Prozent mehr als ein Kind.53 47 Der Heiratsentschluss ist seltener eine Entscheidung für die Ehe als Zweiergemeinschaft, sondern ein Entschluss zur Familie, Nave-Herz, Rosemarie, Kinderlose Ehen. 48 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 77. 49 Vgl. für das Jahr 1989: Statistisches Amt der DDR 1990: 5; vgl. für das Jahr 2000 in Gesamtdeutschland: Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 77. 50 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 77. 51 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 38 f. 52 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 3. 53 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 38 f.
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Diese Zahlen verdeutlichen die Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen. Neue Formen des Zusammenlebens mit Kindern haben sich vor allem in den neuen Ländern entwickelt, hier ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft oft die Basis für eine Familiengründung. In der alten Bundesrepublik wird die Ehe mehr von denjenigen abgelehnt, die auf Kinder verzichten.54 Hier bleibt die Ehe die vorherrschende Lebensform mit Kindern.
d) Alleinerziehende Das Alleinerziehen ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einer häufigen Lebensform geworden. In Westdeutschland waren im Jahr 2005 fast ein Fünftel (19 Prozent) aller Familien allein erziehende Mütter und Väter, in Ostdeutschland waren es über ein Viertel (26 Prozent).55 Seit 1975 hat sich der Anteil der Alleinerziehenden in der Bevölkerung somit in Westdeutschland um fast 50 Prozent vermehrt.56 Noch größer ist der Anstieg, je jünger die Kinder und je jünger die Mütter sind. Er macht innerhalb der Altersgruppe von 24- bis 40jährigen etwa 5 Prozent aus. Hierbei sind im Gegensatz zur amtlichen Statistik nur die nach eigenen Angaben echten Alleinerziehenden erfasst. Väter und Mütter, die unverheiratet mit einem Partner zusammenleben, fallen nicht darunter.57 Vor 30 Jahren wurden Frauen meist durch den Tod ihres Mannes allein erziehend, heute ist die Ursache meist eine Scheidung: 63,1 Prozent der Alleinerziehenden sind geschieden, etwa ein Viertel von ihnen ist ledig.58 Dennoch wächst der weit überwiegende Teil aller Kinder heute weiterhin in einer Paarfamilie auf (86 Prozent der 12 Millionen minderjährigen Kinder in Westdeutschland, 62 Prozent der 2,4 Millionen minderjährigen Kinder in Ostdeutschland).59
e) Patchwork-Familien Die hohe Scheidungsrate von Ehen mit Kindern und die Zunahme an unverbindlichen Lebensgemeinschaften von Eltern verbunden mit dem menschlichen Willen, nicht dauerhaft alleine leben zu wollen, haben neue Familienformen verursacht, die unter dem Begriff der „Patchwork-Familie“ zusammengefasst werden. Darun54 Strohmeier, Klaus Peter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17 / 93 (23. April 1993), S. 11. 55 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005, S. 43. 56 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik, 2003, S. 39 f. 57 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 26. 58 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 41. 59 Vgl. die Nachweise bei Eggen, Bernd, Ehe und Familie – ein Auslaufmodell? Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11 / 2003, 22 (23 f.).
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ter fallen alle Familien, in denen die Partner Kinder aus einer früheren Verbindung mit in die Partnerschaft bringen. Oft heiratet das neu gefundene Paar nicht oder nicht wieder, meistens werden in die Familie auch eigene Kinder hineingeboren. Dadurch wachsen viele Kinder heute mit Halbgeschwistern und einem Stiefelternteil auf. Sieben Prozent aller Familien mit Kindern unter 18 Jahren sind Stieffamilien, d. h. es lebt der Stiefelternteil mit dem leiblichen Elternteil und dem Kind in einem Haushalt. Zwei Drittel dieser Stieffamilien sind Ehepaarfamilien mit Kindern, bei einem Drittel leben die Paare unverheiratet zusammen. Anders betrachtet sind etwa 5,5 Prozent aller Ehen mit Kindern unter 18 Jahren in Deutschland Stieffamilien. Dieser Anteil ist in Ostdeutschland mit 9,5 Prozent deutlich höher als in Westdeutschland mit 4,5 Prozent. Rund 45 Prozent der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern sind Stieffamilien.60 Obwohl die Kinder mit einem Stiefelternteil aufwachsen, bleibt die Beziehung zu beiden leiblichen Eltern dennoch bestehen. Stiefvater und leiblicher Vater treten dann oft in Konkurrenz. 3. Anforderungen an den Schutz von Ehe und Familie im vereinten Deutschland Der Kindermangel in Deutschland geht mit einem Verlust der ehelichen Verbindlichkeit einher. Weniger Ehen, mehr Scheidungen und ein späteres Heiratsalter lassen die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften steigen.61 Unverheiratete Paare bekommen aber weniger Kinder, verheiratete Paare sind im Gegensatz zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften seltener kinderlos.62 So kann also auch die Förderung der Ehe einen Beitrag zum Erhalt des Staatsvolkes leisten. Auffallend sind die deutlichen Unterschiede zwischen den neuen Ländern und der alten Bundesrepublik. Gerade im Osten ist das Leben in einer Ehe im Laufe der Zeit seltener geworden und das auch dann, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind. Da dort im Gegensatz zu Westdeutschland in mehr als doppelt so vielen nichtehelichen Lebensgemeinschaften Kinder aufwachsen, gleichzeitig hier aber prozentual mehr Paare verheiratet sind,63 beurteilen die Ostdeutschen das Verhältnis zwischen Ehe und Familie in ihrem tatsächlichen Leben anders als der Westen, wo vier von fünf Kindern in einer Ehe leben.64 Das deutsche Grundgesetz steht somit vor der Herausforderung, beiden Lebensweisen in Ost und West gerecht zu werden und dabei in dem ihm möglichen Rahmen die für den Staat wichtigen Gemeinschaften zu fördern. 60 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 5 f. 61 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005, S. 29 f. 62 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005, S. 29 f. 63 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005, S. 29. 64 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005, S. 50.
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Die hohe Anzahl der Stieffamilien und der Scheidungen, in denen minderjährige Kinder betroffen sind, machen das Verhältnis zwischen Ehe und Familie für viele zu einem Alltagsproblem, wenn für die Kinder ihr Vater und ihr Stiefvater plötzlich nebeneinander – in Konkurrenz – stehen. Auch in diesen persönlichen Konfliktsituationen muss das Grundgesetz Richtschnur für den konfliktlösenden Gesetzgeber sein und ein klares Verhältnis zwischen Ehe und Familie vorgeben.
II. Heutige Einstellungen zu Ehe und Familie 1. Wille zum familiären Leben In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter Personen im Alter von 24 bis 40 bezeichneten 74 Prozent der Befragten die Familie als den für sie persönlich wichtigsten Lebensbereich, bei den Vätern und Müttern waren es sogar 91 Prozent. Dem Beruf (zwölf Prozent) oder dem Freundeskreis (sechs Prozent) wurden weitaus weniger Bedeutung zugewiesen.65 In der gleichen Umfrage erklärten drei von vier der Befragten, dass sie sich ein Leben in einer Familie mit Kindern wünschen und dies für sie die ideale Lebensform sei.66 Dabei steht den allermeisten der Befragten die herkömmliche Kleinfamilie von Mutter, Vater und Kind vor Augen. 91 Prozent definieren Familie als „verheiratetes Ehepaar mit Kindern“, 63 Prozent (auch) als „unverheiratet zusammenlebendes Paar mit Kindern.“67 Die Einschätzungen, dass Familie im persönlichen Leben sehr wichtig ist, basieren in den meisten Fällen auf den eigenen guten Erfahrungen einer intakten Familie. 70 Prozent der Befragten im Landkreis Karlsruhe gaben an, selbst eine glückliche Kindheit verbracht zu haben.68 Entgegen der These von der Auflösung von Ehe und Familie lässt sich nach der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 200669 feststellen, dass auch schon unter den Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren die Familie einen hohen Stellenwert hat. 72 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. Diese Orientierung an der Familie 65 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 11. Dieses Ergebnis wird durch die FamilienAnalyse 2005 bestätigt, wonach für 89 Prozent der Personen über 14 Jahren mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren im Haushalt die Familie gegenüber dem Beruf, Hobbys und dem Freundeskreis an erster Stelle steht, FamilienAnalyse 2005, S. 17. 66 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 11, S. 14 (Schaubild 4) u. S. 15 (Schaubild 5). 67 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung im November 2003, S. 4. 68 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 17. 69 Deutsche Shell, Jugend 2006.
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ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen.70 In der subjektiven Wichtigkeit aller Lebensbereiche rangiert die Familie an herausragender Stelle.71
2. Wille zum Kind Neben dem Willen zur Familie ist auch der Wunsch nach eigenen Kindern und der Gründung einer eigenen Familie sehr ausgeprägt. Fast 80 Prozent der Kinderlosen der Befragten im Landkreis Karlsruhe wünschen sich eigene Kinder. Zudem wünscht sich jedes dritte Elternpaar (57 Prozent der 24 bis 40-Jährigen) weitere Kinder.72 Auch Jugendliche im Alter von zwölf bis 25 Jahren wollen später eigene Kinder haben; in den neuen Bundesländern haben mit 76 Prozent sogar noch mehr Menschen diesen Wunsch als mit 64 Prozent in den alten Ländern.73 Fragt man nach der idealen Anzahl der gewünschten Kinder, ergibt sich in den jüngeren Altersgruppen schon seit über zwei Jahrzehnten überraschend stabil ein westdeutscher Mittelwert zwischen 1,9 und 2,1 Kinder.74 Die Karlsruher Umfrage kommt zu einem nur geringfügig höheren Ergebnis (2,2 Kinder).
3. Schwindender Wille zur Ehe Im Gegensatz zum Willen zur Familie und zu Kindern wird die Ehe von immer größer werdenden Teilen der Bevölkerung nicht mehr als notwendig angesehen. Noch zu Anfang der 50er Jahre hielten 90 Prozent der Bevölkerung die Ehe für notwendig, heute sind es nur noch 56 Prozent.75 Eine Vielzahl junger Paare denken erst ans Heiraten, wenn ein gemeinsames Kind unterwegs ist. Dennoch wird der von der Ehe verkörperte Wert der Treue nicht abgelehnt. Neben „Karriere machen“ (82 Prozent) steht „Treue“ mit 78 Prozent ganz oben auf einer Skala der Dinge, die von den Jugendlichen zwischen zwölf und 25 heute als „in“ bezeichnet wird.76
70 Im Jahr 2002 waren es 70 Prozent der Jugendlichen, vgl. Deutsche Shell, Jugend 2002, S. 58. 71 Dies stellt auch heraus: Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 2, mit einem Verweis auf ZUMA, Wohlfahrtssurvey 1993, Nr. 11. 72 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 20. 73 Deutsche Shell, Jugend 2002, S. 59. 74 Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 3087, 5023, 6086. 75 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 24. 76 Deutsche Shell, Jugend 2002, S. 18.
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III. Gründe für die Nichtverwirklichung des Willens zum Kind Diese Ergebnisse veranlassen die Frage, warum die Realität mit den Wunschvorstellungen der jungen Erwachsenen wenig übereinstimmt. Lange Zeit galt die Entscheidung für Kinder als Privatsache, für die sich der Staat nicht zu interessieren hat. Durch vorherrschende Prinzipien der Marktwirtschaft wurde die Familie gegenüber beruflichen Erfolgen ins gesellschaftliche Abseits gedrängt. Die gesellschaftlichen Strukturen ließen Kindern immer weniger Platz, es gab immer weniger Gründe, eine Familie zu gründen. Um erfahren zu können, inwieweit der Staat mit seinen Instrumentarien Chancen hat, zur Entscheidung für Kinder zu ermutigen, muss geklärt werden, warum sich Menschen gegen Kinder entscheiden.
1. Zerbrechlichere Formen des Zusammenlebens Der Verzicht auf den Wunsch nach Familie findet einen Grund in den veränderten Formen des Zusammenlebens. Da die Ehe von immer weniger jungen Menschen als eine für sie sinnvolle Lebensform angesehen wird, mehren sich die unverbindlichen, nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Solche Partnerschaften schaffen dauerhafte Zwischenlösungen, in denen schon durch ihre ständige Wiederauflösbarkeit Kinder wenig Platz finden. Allensbacher Umfragen zeigen zudem, dass die jungen Partner in solchen Verbindungen im Durchschnitt sehr viel weniger miteinander harmonieren als Eheleute im gleichen Alter.77 Zudem weisen die Scheidungszahlen darauf hin, dass auch Ehen und Familien zerbrechlicher geworden sind. Stabilität und Berechenbarkeit der Lebenssituation, die für 85 Prozent der jungen Erwachsenen eine unbedingte Voraussetzung für die Elternschaft sind, verringern sich.78 Nach neuesten Studien geben 28 Prozent der Kinderlosen an, dass ihnen für Kinder der richtige Partner fehlt, daneben haben 17 Prozent Zweifel, dass ihre momentane Beziehung für Kinder stabil genug ist.79
2. Verwirklichung individueller Glücks- und Selbstverwirklichungsansprüche Der allgemeine Wunsch nach Familie und Kindern steht heutzutage oft im Widerspruch zu anderen Interessen. Maßstab für das richtige Leben ist nicht mehr die Erfüllung von Pflichten, sondern die Selbstverwirklichung.80 Kinder werden nach Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 24. Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 146; Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung im November 2003, S. 76. 79 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung zu Kinderwünschen im Oktober 2004, S. 7. 77 78
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subjektiven Kriterien ihrer Eltern geplant. Sie konkurrieren mit anderen Zielen im Leben des Einzelnen. In einer leistungsorientierten Gesellschaft beruflich erfolgreich zu sein, ist das Ziel der meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Aufstieg statt Ausstieg“ lautet das Motto, nach dem sie ihre Zukunft gestalten.81 Die Sekundärtugenden Fleiß und Ehrgeiz befinden sich im Aufwind der Strebungen der Jugendlichen, gleichzeitig ist die persönliche Unabhängigkeit wichtiger als früher.82 Dennoch schließen sich Karriere und Familie für die meisten Jugendlichen heute nicht aus, sondern sind zwei zentrale, gleichberechtigte Zielvorstellungen für die Lebensführung.83 Meist wird dieser Konflikt dadurch gelöst, dass die Zeit zwischen dem Verlassen des Elternhauses und der Gründung einer eigenen Familie verlängert wird. Es sei heutzutage wichtig, erst im Beruf zu stehen, bevor Kinder zur Welt kommen. 53 Prozent der Befragten der Karlsruher Umfrage wollen erst einmal „etwas vom Leben haben“, bevor sie Kinder bekommen. 62 Prozent wollen darauf achten, dass andere Interessen neben der Familie nicht zu kurz kommen, bei Singles sind es sogar 77 Prozent.84 Deshalb steigt das Durchschnittsalter, in dem Frauen heute in Deutschland Kinder bekommen, weiter an.85
3. Hohe Ansprüche an Familie und Elternschaft, aber kaum Anerkennung Zudem tritt vermehrt ins Bewusstsein, dass mit der Gründung einer Familie auch Verantwortung übernommen wird. Diese Assoziation findet sich bei mehr als 95 Prozent der befragten jungen Eltern einer bundesweiten Umfrage.86 Die Familie soll emotionale Bedürfnisse befriedigen, Harmonie, Glück und ein liebevolles Miteinander ermöglichen. Diese Anforderungen erzeugen hohe Erwartungen an alle, die eine Familie gründen. Sie erfordern ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein und Ausgeglichenheit. Die Ansprüche an die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen, die in der elterlichen Erziehung geleistet werden müssen, steigen in einem Umfeld, das von widersprüchlicher Vielfalt und schnelllebigen Eindrücken geprägt ist. Junge Eltern stellen an ihre Er80 Dieser Wandel wird auch als Traditionsverlust und Individualisierung charakterisiert, s. Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 12. Schon Radbruch, Gustav, Kulturlehre des Sozialismus, S. 64 hat 1922 von der „individualistischen Auflösung des Familienverbandes“ gesprochen. 81 Vgl. Deutsche Shell, Jugend 2002, S. 18. 82 Deutsche Shell, Jugend 2006, S. 11. 83 Deutsche Shell, Jugend 2002, S. 77. 84 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, Schaubild 8, 9 u. 10. 85 Vgl. zum gesellschaftlichen Wertewandel, der durch seine Individualisierungstendenzen und Emanzipationsbestrebungen zur Krise der meisten Institutionen geführt hat: Ockenfels, Wolfgang, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2001, 111 (114). 86 FamilienAnalyse 2005.
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ziehung hohe Ansprüche. Daneben wird in der allgemeinen Rhetorik in den Medien die Familie in ihren vielfältigen Erscheinungsformen generalisiert und dadurch als Ideal überhöht. So wird Sein und Sollen des Familienlebens vermischt87 und „die“ Familie als unerreichbarer Wert hochstilisiert. Gleichzeitig gelten diese Leistungen unter den jungen Menschen aber als wenig anerkannt. Nur 15 Prozent der jungen Erwachsenen im Landkreis Karlsruhe erklären, dass Kinder zu haben für sie auch bedeute, anerkannt zu werden.88 19 Prozent der deutschen Jugendlichen zwischen zwölf und 25 Jahren erklären, Vorbehalte gegenüber (deutschen) Familien mit vielen Kindern zu haben. 15 Prozent der Befragten haben Vorbehalte gegen Familien, die auf Sozialhilfe angewiesen sind.89 Hierdurch wird deutlich, dass das „Kinderglück“ heutzutage oft auch als Verzicht und Ansehensverlust empfunden wird. Nur zwei Drittel der Befragten meinen, dass die Freude am Kind überwiegt, 13 Prozent sehen in erster Linie die Belastung, die Kinder mit sich bringen.90 Gerade die Vorstellung, dass man sich mit Kindern materiell weniger leisten kann, scheint maßgeblich dafür zu sein, dass sich junge Menschen gegen Kinder entscheiden. Nur 41 Prozent derjenigen, die die finanzielle Belastung in den Vordergrund rücken, wollen bestimmt Kinder, 25 Prozent von ihnen sprechen sich dezidiert gegen Kinder aus.91 Gerade für Singles schiebt sich die Vorstellung, sich weniger leisten zu können, vor die Verwirklichung ihrer Kinderwünsche. Diese Wertung entspricht der Einstellung, die Jugendliche den auf Sozialhilfe angewiesenen Familien entgegenbringen.
4. Trennung von Familien- und Erwerbsort In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts war die Familie neben dem Ort für Geborgenheit und persönliche Begegnung auch eine Gemeinschaft, die gemeinsam arbeitet, ihren Lebensunterhalt bestreitet und sich in Krisensituationen zur Seite steht. Jedes Mitglied arbeitete auf dem elterlichen Hof oder in dem gewerblichen Familienbetrieb mit, Kinder waren immer auch wichtige Arbeitskräfte. Vom Ertrag wurden Eltern, Kinder und Großeltern gleichermaßen versorgt. Heutzutage üben 90 Prozent der Erwerbstätigen ihren Beruf nicht mehr zu Hause, sondern getrennt von der Familie an einem anderen Ort aus. Dadurch verliert die Familie ihre Funktion der Erwerbsgemeinschaft, der Ertrag der Arbeit spiegelt sich nicht mehr im Wohlergehen des Familienbetriebes, sondern allein auf dem vom Arbeitgeber ausgestellten Gehaltszettel wider. Tätigkeiten, die zu Hause erbracht werden, finden keine Anerkennung. Junge Eltern werden jeden Tag von 87 88 89 90 91
Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2001, 15 (23). Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, Schaubild 13. Deutsche Shell, Jugend 2006, S. 8. Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, Schaubild 13. Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 40.
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neuem vor die Alternative gestellt, ob sie zu Hause bei ihren Kindern bleiben oder ihrem Beruf nachgehen sollen. 5. Betreuung von Kindern in Kleinfamilien Im Gegensatz zur Familie im 19. Jahrhundert leben heute nur noch selten drei Generationen unter einem Dach. Nach dem durch die Industrialisierung ausgelösten Verschwinden der familiären „Produktionsgemeinschaft“92 in Haus und Hof hat sich die Familie auf ein Zusammenleben von Eltern mir ihren Kindern reduziert. Dies macht sich auch bei der Kinderbetreuung bemerkbar, da für kleine Kinder immer ein außenstehender Dritter organisiert werden muss, wenn beide Eltern nicht zu Hause sein können, sei es aus beruflichen Gründen, sei es, dass Dinge für die Familiengemeinschaft außer Haus erledigt werden müssen. Großeltern, Tanten und Onkel betreuen heute kaum noch Kinder und erleichtern den Eltern den Alltag mit Kindern. Der mit der Erziehung betraute Elternteil ist auf sich alleingestellt. Da gerade die Erziehung von Kindern unter drei Jahren besonders zeitintensiv ist – Frauen verbringen durchschnittlich über neun Stunden mit ihren Kleinstkindern, Männer gute vier Stunden93 –, wird der Ruf nach einer Verbesserung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten durch Kinderkrippen und Kindergarten laut. Allerdings erscheint es fraglich, ob diese Form der Kinderbetreuung wirklich überwiegend gewollt ist. In den ersten Berufsjahren würden 85 Prozent der jungen Erwachsenen auch dann eher ganz auf Kinder verzichten, wenn eine umfassende Betreuungsinfrastruktur aufgebaut werden würde. Bei einem möglichen Ausbau der Familienförderung bevorzugen die Familien eher einen Ausbau der finanziellen Unterstützung als Verbesserungen der Betreuungsinfrastruktur, insbesondere große Familien wünschen sich mehr Kindergeld.94 6. Bildungssystem und hoher Bildungsstand Das deutsche Bildungssystem macht es den jungen Menschen schwer, schon frühzeitig in langfristige Beziehungen zu investieren und Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Akademiker werden in Deutschland frühestens mit knapp dreißig Jahren ökonomisch selbständig. Danach brauchen sie in der Regel noch einmal bis zu sieben Jahre, um ökonomisch abgesichert zu sein Aufgrund dieses langwierigen Bildungssystems fehlt jungen Menschen deshalb oft die ökonomische Grundlage, um eine Familie zu gründen. Diese Entwicklung steht im Gegensatz zu den Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel, S. 559. Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 17. 94 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung im November 2003, S. 25 u. 49: Bei der Entscheidung zwischen 30 Euro mehr Kindergeld oder besseren Betreuungsmöglichkeiten sind 48 Prozent der Eltern für die Erhöhung des Kindergeldes und nur 35 Prozent für den Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten. 92 93
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Systemen in den USA, in Frankreich und den nordeuropäischen Ländern, in denen man mit dem Abschluss des Bachelors schon früh selbständig ist und sich dann neben dem Erwerbsleben weiterqualifizieren kann. Die Kluft zwischen Kinderwunsch und tatsächlicher Kinderzahl wächst deshalb insbesondere bei Höherqualifizierten.95 Frauen mit Hochschulreife wünschen sich zwar durchschnittlich mehr Kinder als andere Frauen, die realisierte Kinderzahl ist aber niedriger.96 So trägt auch der Bildungsstand in Verbindung mit den biologischen Voraussetzungen zur Kinderlosigkeit bei. 7. Überlastung des mittleren Lebensabschnitts Erwerbs- und Familienarbeit konzentrieren sich heute auf den mittleren Lebensabschnitt.97 Neben der langwierigen Ausbildung trägt das frühe Rentenalter dazu bei, dass der Beruf zunehmend in der Zeit zwischen dem dreißigsten und sechzigsten Lebensjahr ausgeübt wird. 1971 waren mehr als 44 Prozent der deutschen Frauen über sechzig erwerbstätig.98 Heute liegt die Erwerbsquote der 60 bis 65jährigen Frauen bei etwa 19 Prozent, dafür aber bei den 40- bis 50jährigen Frauen bei über 85 Prozent, bei den qualifizierten Akademikerinnen bei neunzig Prozent. Diese Tendenz zeigt sich auch bei den vergleichbaren Zahlen für die Erwerbstätigkeit der Männer99. Bezahlte Arbeit, Partnerschaft und Familie werden somit in einem knapp bemessenen Lebensabschnitt gebündelt, der deshalb auch als „Rush Hour des Lebens“ bezeichnet wird.100 Alle diese Lebensbereiche, die für den Einzelnen Lebenssinn stiften, müssen in den Jahren zwischen dreißig und sechzig parallel ablaufen: Da dies eine Überforderung darstellt, wird oft auf Kinder verzichtet. Denn obwohl die biologischen Gegebenheiten für eine Elternschaft zwischen dem 20sten und 30sten Lebensjahr sprechen, fühlen sich die meisten jungen Erwachsenen in diesem Alter noch zu jung für Kinder. 86 Prozent der 18- bis 23-Jährigen und auch noch 48 Prozent der 24- bis 29-Jährigen empfinden es für sich selbst als zu früh, Kinder zu bekommen. Diese Einstellung ändert sich erst um das 30ste Lebensjahr. Allerdings nimmt in diesem Alter die Intensität des Kinderwunsches deutlich ab. Nur noch weniger als ein Drittel der Kinderlosen zwischen 30 und 34 wollen bestimmt Kinder.101 Löhr, Henrike, S. 481. Das Durchschnittsalter von Akademikerinnen bei der Geburt ihres ersten Kindes betrug schon 1987 über 30 Jahre, heute ist es deutlich höher vgl. Hille, Barbara, S. 190 ff. 97 Zur Belastung der Familie durch das Phänomen der Knappheit der Zeit vgl. Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 1. 98 Krombholz, Heinz, , S. 198. 99 Statistisches Bundesamt, Datenreport 2004, S. 216. 100 Deutsche Shell, Jugend 2006, S. 3. 101 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung, S. 14 f. 95 96
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Zudem ist die Phase der Mutterschaft im Leben einer Frau deutlich begrenzt. Die Zeit, in der die Eltern mit ihren Kindern zusammenleben, beschränkt sich auf höchstens 25 Jahre, da spätestens dann das jüngste Kind das Elternhaus verlassen hat. Das Leben unterteilt sich somit in die drei Phasen der Ausbildung, der Familie und des Wiedereinstiegs in den Beruf.102 Die Frauenrolle lässt sich heute deshalb nicht mehr allein über die Mutterschaft definieren. Konsequenterweise spielt die Erwerbstätigkeit bei der Lebensplanung eine wichtigere Rolle.103 8. Kinderfeindliche Berufswelt In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Erwerbsverhalten der Frauen mit Kindern in Deutschland deutlich verändert. Im früheren Bundesgebiet stieg der Anteil erwerbstätiger Mütter kontinuierlich an, vor allem bei Frauen, deren Kinder das Schulalter erreicht haben. Die Zeit der Nicht-Erwerbstätigkeit beschränkt sich zusehends auf die Familienphase, in der die Kinder noch nicht zur Schule gehen. Die Erwerbstätigenquote der ostdeutschen Frauen mit Kindern im Hauhalt ging seit 1991 zurück, liegt aber immer noch deutlich über dem westdeutschen Wert. Im Jahr 2000 übten 30,5 Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren aktiv eine Erwerbstätigkeit aus (West 29,0 Prozent, Ost 40,4 Prozent).104 Die Erwerbsquote von Frauen ist seit 1970 um knapp zehn Prozentpunkte auf rund 56 Prozent gestiegen.105 Aufgrund dieser Zahlen wird es für Familien immer wichtiger, das Familien- und Berufsleben miteinander vereinbaren zu können. Allerdings hinkt die Realität diesem Bedürfnis hinterher und verstärkt somit die immer noch weit verbreitete Meinung, dass sich Familie und Beruf gegenseitig ausschließen. a) Fehlende Fortsetzungsmöglichkeit nach einer Erziehungspause Zum einen ist es für viele Eltern schwer, nach einer Pause für die Familie wieder in den Beruf einsteigen zu können. Zwar gibt ihnen der Gesetzgeber auch nach dem neuen Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit drei Jahre unbezahlte Elternzeit und danach einen grundsätzlichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung (§§ 15 ff. BEEG). Allerdings ist dieser Anspruch besonders in der Privatwirtschaft oftmals schwer zu realisieren. 51 Prozent der 18- bis 44jährigen Frauen verbinden deshalb mit einer vorübergehenden oder dauerhaften Aufgabe des Berufs auch die Schwierigkeit, später wieder beruflich Anschluss zu finden, bei Kinderlosen ohne Kinderwunsch sind 102 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung, S. 18. 103 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1004); Bertram, Hans, ZfJ 1987, 145 (150). 104 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 13 f.; im Gegensatz zu anderen Statistiken zählen hier nur die aktiv Erwerbstätigen, d. h. Eltern in Elternzeit werden nicht dazugerechnet. 105 Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung, Informationen für Betriebsjournalisten Nr. 8 / 93 vom 30. 8. 1993; s. auch Prinz, Karin, S. 236 ff.; Ruland, Franz, NJW 1994, 2049 (2049).
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es sogar 74 Prozent.106 Diese Angst hemmt für diejenigen, die gerne arbeiten und die dadurch verursachte Anerkennung genießen, den Wunsch nach Kindern. b) Fehlendes Teilzeitbeschäftigungsangebot für Eltern Der Anteil vollzeiterwerbstätiger Mütter ist seit 1972 nicht gestiegen, sondern zurückgegangen, am stärksten bei den Müttern mit Kindern unter sechs Jahren.107 Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung108 wünschen sich etwa zwei Drittel aller Frauen mit Kindern bis ins Grundschulalter ein Arbeitszeitarrangement, bei dem ein Partner in der Familie Vollzeit, der andere Teilzeit arbeitet. Nach einer Allensbach-Studie ist es fast die Hälfte aller Mütter, die bei der Geburt eines Kindes den Übergang auf eine Teilzeitbeschäftigung favorisieren und diese auch zumeist langfristig ausüben wollen.109 Auch wenn sich die Zahl der Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten vermehrt, fehlt es gerade in leitenden Berufen immer noch an teilbaren Stellen. Viele Arbeitgeber erwarten eine ständige Präsenz ihrer Mitarbeiter, viele Mitarbeiter die ständige Ansprechmöglichkeit ihrer Vorgesetzten. Teilzeitstellen sind aufgrund höherer Personalkosten teuer und erfordern eine erhöhte Koordination. Diese Aufgabe wollen viele Arbeitgeber nicht leisten. c) Flexibilität von Arbeitsort und Arbeitszeit Arbeitszeiten werden flexibler, doch sind diese an Produktion und Nachfrage angepasst, sie richten sich nicht nach den persönlichen Bedürfnissen der einzelnen Arbeitnehmer. Insbesondere in Spitzenpositionen bleibt für Kinder keine Zeit.110 Unvorhergesehenes Arbeiten bis spät in die Nacht ist bei höher Qualifizierten keine Seltenheit. Zudem wird besonders im Dienstleistungssektor vermehrt auch räumliche Mobilität gefordert. Diese Flexibilität geht aber stets zu Lasten von Kindern. Die Kombination von Familie und Erwerbsleben bleibt deshalb meist eine private Organisationsaufgabe der Eltern, die ihr Familienleben an ihrem Beruf orientieren müssen. 75 Prozent der Frauen glauben, dass flexible Arbeitszeiten, in der sie sich ihre Arbeitszeit selbst einteilen können, zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen würden.111 106 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung, S. 59. 107 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 15. 108 Engelbrech, Gerhard / Jungskunst, Maria, IAB-Kurzbericht Nr. 7 (12. 04. 2001). 109 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung, S. 52 u. 56. 110 Hierzu Bertram, Hans, Familien brauchen Zeit, FAZ vom 21. 04. 2004, S. 39. 111 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung, S. 71.
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d) Tarif- und Beschäftigungsstrukturen Deutsche Tarifverträge und Beschäftigungsstrukturen geben den jungen Menschen kaum Sicherheit im Erwerbsleben, welche aber für die Gründung einer Familie als Verantwortungsgemeinschaft notwendig ist. Das deutsche System gibt den älteren Beschäftigten mit mindestens fünfzehn Jahren Beschäftigungszeit die größtmögliche Sicherheit, während alle Unsicherheiten bei den jungen Erwachsenen verbleiben.112 Dies zeigt sich insbesondere in den Kündigungsschutzvorschriften. Junge Menschen müssen im Erwerbsleben heute flexibel sein, Kinder hingegen fordern – nicht nur in ökonomischer Hinsicht – Stetigkeit und Verlässlichkeit. 9. Wirtschaftliche Wertlosigkeit der Erziehungsarbeit trotz Unterhaltsansprüchen des BGB Wenn die Neuzeit Wirtschaft und Familie entkoppelt, gleichzeitig die allgemeine Schulpflicht einführt und Kinderarbeit verbietet, werden Kinder, die vorher wichtige Arbeitskräfte im familiären Betrieb waren, zu ausschließlichen Kostenfaktoren für ihre Eltern. Die Einführung kollektiver Alterssicherungssysteme lässt auch die wirtschaftliche Bedeutung der Kinder für die Versorgung der Eltern im Alter entfallen. Die Bildungsexpansion in den 60er Jahren verlängerte zudem die Ausbildungszeit der Kinder in allen sozialen Schichten, so dass es für Eltern immer teurer geworden ist, sich für Kinder zu entscheiden, deren ökonomischer Nutzen nicht den Eltern, sondern der Wirtschaft als Arbeitskräfte und Nachfrager, dem Staat als Steuerzahler und den sozialen Sicherungssystemen als Beitragszahler zugute kommt. Von Kindern profitieren so nicht nur diejenigen, die Elternverantwortung in ideeller und finanzieller Hinsicht übernommen haben, sondern jeder Staatsbürger gleichermaßen.113 a) Einkommen einer Familie nach der Geburt eines Kindes Die finanzielle Unterstützung junger Familien durch den Staat hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zahlenmäßig deutlich verbessert. Bezieht man die Leistungen, die der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums der Kinder dient, in die Berechnung mit ein, hat sich die jährliche Familienförderung des Bundes von 27 Milliarden DM im Jahr 1982 auf 53 Milliarden Euro im Jahr 2002 vervierfacht. 114 Für jeden Haushalt mit Kindern ergäbe sich danach im Jahr 2002 eine durchschnittliche Förderung von 5.700 Euro im Jahr.115 Bertram, Hans, Familien brauchen Zeit, FAZ vom 21. 04. 2004, S. 39. Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 15 f. 114 Angaben von Bundeskanzler Gerhard Schröder und von dem CDU / CSU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz in der Bundestagsdebatte zur Familienpolitik am 18. April 2002, in: 112 113
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Trotz dieser finanziellen Bemühungen scheinen die staatlichen Finanzzuwendungen nicht auszureichen, um die zusätzlichen Kosten der Familien zu decken. 77 Prozent aller jungen Eltern in Deutschland halten die staatliche Hilfe nicht für genügend, um ihre Belastungen zu tragen.116 Die Regelungen des Familienleistungsausgleiches, durch die u. a. Mutterschaftsgeld, Kindergeld, Elterngeld, BaföG-Leistungen, Baukindergeld und Steuerfreibeträge gewährt werden, machen die Kindererziehung und Kinderbetreuung durch die eigenen Eltern nicht zu einer Tätigkeit, die auch in finanzieller Hinsicht als wertvoll angesehen werden kann. Daran ändert auch das neu eingeführte Elterngeld nichts. Im Gegenteil: Kinder sind in Deutschland immer noch das Armutsrisiko Nummer eins. Für mehr als jede zweite Familie bedeutet die Geburt des ersten Kindes, dass sie sich finanziell sehr einschränken muss,117 weitere 28 Prozent hatten nach der Geburt eher weniger Geld zur Verfügung als vorher. Die Ursachen des gestiegenen Armutsrisikos sind vielfältig. Zentrale Faktoren sind der Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Zunahme der Scheidungen, Trennungen und ledige Mutterschaften und das Zurückbleiben der Einkommen hinter dem Anstieg der Lebenshaltungskosten bei vielen Familien mit mehreren Kindern.118 Hauptgrund ist in den meisten Fällen der Wegfall eines Gehalts. Die große Mehrheit der Mütter nimmt nach der Geburt Elternzeit, in weit über 80 Prozent der Fälle wird das Kind nach der Geburt rund um die Uhr von den Eltern betreut, bei manchen Umfragen sind es sogar 95 Prozent.119 Damit hat die Familie grundsätzlich ein Gehalt weniger, muss davon aber eine Person mehr ernähren. Das neu eingeführte Elterngeld verbessert diese Situation nur für vorher Gutverdienende für ein Jahr. Aber auch diejenigen, die ihre Kinder schon frühzeitig von Dritten betreuen lassen, haben ersichtlich weniger Geld. Denn auch diese Kinderbetreuung muss finanziert werden. Die meisten jungen Eltern verfügen vor der Geburt des Kindes über angemessene Einkommen. Sie verdienen durchschnittlich 2.700 Euro netto, wovon ihnen nach Abzug der Lebenserhaltungskosten 650 Euro zur freien Verfügung bleiben. Nach der Geburt des Kindes reduziert sich das Einkommen im Durchschnitt auf 2.100 Euro, wovon nun der Lebensunterhalt für drei Personen gedeckt werden muss. Insgesamt bleiben dann noch 200 Euro zur freien Verfügung. Etwa jede siebDas Parlament 2002, S. 13. Ohne Anrechnung der Freistellung des Existenzminimums von Kindern belaufe sich der echte Transferanteil für Familien von allen öffentlichen Haushalten auf 43 Milliarden Euro im Jahr, vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 2, Fußnote 1. 115 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 2. 116 FamilienAnalyse 2005, S. 25. 117 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, Schaubild 19. 118 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 31. 119 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 51, Fußnote 2.
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te junge Familie behält in dieser Zeit weniger als 50 Euro im Monat oder sogar gar nichts übrig. Um den oft lange Zeit hindurch gewohnten Lebensstandard zu halten, fehlen monatlich etwa 600 Euro.120 Der durchschnittliche Lebenshaltungsaufwand eines Kindes betrug 1998 je nach Familienform und Kinderzahl zwischen 397 und 502 Euro je Monat. Alleinerziehende oder Paare mit jeweils einem Kind gaben im Durchschnitt rund 500 Euro für die Lebenshaltung ihres Kindes aus, Paare mit zwei Kindern geben 427 Euro für jedes ihrer Kinder aus.121 Allerdings entspannt sich diese Situation bereits nach einigen Jahren. Zum einen verbessert sich das Haupteinkommen in der Regel merklich, zum anderen nimmt etwa ein Drittel der Frauen in der Elternzeit noch vor dem Ende der dreijährigen Frist zumindest wieder eine geringfügige Beschäftigung auf. Bei Eltern von zehn- bis 14-Jährigen sind 66 Prozent in Westdeutschland berufstätig.122 Die größte finanzielle Belastung stellen Kinder für Alleinerziehende dar. Das Einkommen der Paare mit Kindern unter 18 Jahren betrug im Jahr 2000 3499 Euro, das der Alleinerziehenden war nur halb so hoch (1777 Euro). Relativ zur jeweiligen Haushaltsgröße liegt das Einkommen der Paare mit Kindern nur etwas, das der Alleinerziehenden erheblich unter dem Durchschnittseinkommen aller Hauhalte. Zwölf Prozent der Paare mit minderjährigen Kindern und 31 Prozent der Alleinerziehenden sind einkommensarm.123 Die Armutsquote der Alleinerziehenden erreichte mit 30,6 Prozent im Jahr 2000 mehr als das Dreifache des Bundesdurchschnitts.124 Dies zeigt auch der Sozialhilfebezug: Von 1995 bis 2000 hat sich die Zahl sozialhilfebedürftiger Ehepaare mit minderjährigen Kindern um 16 Prozent verringert, die der sozialhilfebedürftigen Alleinerziehenden jedoch um 14 Prozent erhöht. Rund ein Fünftel (19 Prozent) aller Alleinerziehenden in Deutschland haben zudem keinerlei Ersparnisse. Das höchste durchschnittliche Geldvermögen haben Paare ohne Kinder (41.530 Euro), zu denen sowohl die – noch – kinderlosen als auch Ehepaare zählen, deren Kinder den elterlichen Hauhalt bereits verlassen haben.125 Da Alleinerziehende ein geringeres Einkommen als Paarhaushalte mit 120 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 54 – In diesen Zahlen ist das zum 01. 01. 2007 eingeführte Elterngeld nicht berücksichtigt. Allerdings verbessert dieses die Einkommenssituation nur für vorher Gutverdienende für ein Jahr. Die Mehrzahl der betreuenden Eltern wird insgesamt schlechter gestellt, vgl. Seiler, Christian, Das Elterngeld im Lichte des Grundgesetzes, NVwZ 2007, 129 ff. 121 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 22. 122 Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 57. 123 Als einkommensarm gilt, wer in einem Haushalt lebt, dessen Äquivalenzeinkommen weniger als 50 Prozent des arithmetischen Mittels der Einkommen in der gesamten Bevölkerung beträgt (Statistisches Bundesamt 2002b 586). 124 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 20.
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Kindern zur Verfügung haben, müssen sie für die Versorgung ihrer Kinder einen erheblich höheren Anteil ihres Einkommens aufwenden, als das in Paarhaushalten mit Kindern der Fall ist. Mit zunehmender Zahl der im Haushalt lebenden Kinder steigt der Teil des Nettoeinkommens von Paaren gleichermaßen wie von Alleinerziehenden, den sie für ihre Kinder ausgeben (Ausgabe von 16 Prozent des Nettoeinkommens bei Paaren mit einem Kind, von 24 Prozent mit zwei Kindern und von 31 Prozent mit drei Kindern).126 Viele Kinderlose befürchten also, dass sich ihre materielle Lage durch die Geburt eines Kindes verschlechtern wird. Insgesamt sind die finanzielle Situation und die Angst vor starken finanziellen Beeinträchtigungen allerdings kaum ein Hinderungsgrund, sich einen ausgeprägten Kinderwunsch zu erfüllen. Diejenigen, die sich wirklich Kinder wünschen, orientieren sich wenig an den zu erwartenden materiellen Einbußen.127 b) Keinen Lohn für die Erziehungsarbeit Die Erziehung der Kinder gehörte früher neben Kaufen und Verkaufen, Pflügen und Ausmisten zu den Aufgaben, die im familiären Betrieb erledigt werden mussten. Deshalb wurde die Arbeit auch durch die Teilhabe am gemeinsam erwirtschaften Ertrag entlohnt. Durch die Trennung von Erwerbs- und Familienort wurde der Lohn des Geldverdienenden nicht mehr auf beide Arbeitskräfte gleichermaßen verteilt, sondern die zu Hause bleibende Mutter wurde ganz von den Einkommensströmen abgeschnitten. Erst wenn ihre Arbeit von Personen außerhalb der Familie wahrgenommen wird, erachtet die Rechtsgemeinschaft diese Tätigkeit als wertvoll und entlohnenswert. Lehrer, Erzieher, Sozialtherapeuten werden zumeist aus öffentlichen Mitteln finanziert, eine entsprechende Leistung der Mutter ohne zeitliche Beschränkung und Urlaubsanspruch wird im Stichwort der „Schattenwirtschaft“ aber nur als Schatten zur Kenntnis genommen.128 Wer demgegenüber darauf verweist, dass die Freude am Kind Entgelt genug und die Pflege und Erziehung moralische Pflicht sei – eine prinzipiell zutreffende Auffassung –, mag begründen, warum dann nicht die Freude an der Arbeit und die sittliche Pflicht zu arbeiten auch die Entgeltlosigkeit von Unternehmer- und Arbeitnehmertätigkeit begründen kann.129 125 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 21. 126 Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im auf die Geburtenrate, Ergebnisse einer Spiegel der amtlichen Statistik 2003, S. 23. 127 Vgl. hierzu: Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung im November 2003, S. 39 u. 46. 128 Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 191 f. 129 Kirchhof, Paul, Verfassungsrechtliche Garantie der Familie als Erziehungsgemeinschaft, S. 16.
4 Nesselrode
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Dieses Ungleichgewicht zwischen Erwerbsarbeit und Betreuungsleistung hat die Politik erkannt. Seit 01. 01. 2007 gewährt sie einem erziehenden Elternteil, der vor der Geburt Einkommen bezogen hat, zumindest für das erste Lebensjahr des Kindes ein Elterngeld als Lohnersatzleistung in Höhe von maximal 67 Prozent seines in den letzten zwölf Monaten durchschnittlich erzielten Nettoerwerbseinkommens, höchstens 1800 Euro im Monat (§ 2 BEEG).130 Als Lohnersatzleistung anerkennt dieses Elterngeld allerdings nicht die Betreuungsleistung als solche. Vielmehr richtet es sich nach dem vorher erzielten Arbeitseinkommen und bewertet dadurch die Erziehungsleistung von Besserverdienenden als wertvoller als die von Nicht- oder Geringverdienenden, die vom Gesetzgeber auf einen Mindestbetrag von monatlich 300 Euro verwiesen werden (§ 2 Abs. 5 BEEG). Zudem stellt das neu eingeführte Elterngeld die Gesamtheit der Familien kaum besser:131 Zu seiner Finanzierung wurde das bisherige Bundeserziehungsgeld gestrichen und die Inanspruchnahme von Kindergeld oder Kinderfreibetrag zeitlich gekürzt.132 c) Sozialstaatliche Regelungen zulasten der Familie Entgegen dem in den Medien allgemein vermittelten Bild lassen sich als Hauptgrund der Familienverarmung weder die unzureichende Vereinbarkeit von Erwerb und Familie noch die Unterschichtenbildung durch vermehrte Zuwanderung oder die verfestigte Massenarbeitslosigkeit als dominante Ursachen dieser Entwicklung identifizieren. Denn die Zahl der Sozialhilfeempfänger stieg auch in jenen Jahren fast ungebrochen, in welchen kaum Zuwanderung stattfand oder die Arbeitslosenzahlen signifikant zurückgingen. Ebenso ist festzustellen, dass auch die deutliche Zunahme mütterlicher Erwerbstätigkeit in den vergangenen Jahrzehnten den Prozess in den alten Bundesländern nicht stoppen konnte und Familienarmut sich jetzt auch in den neuen Bundesländern verbreitet, in denen eine flächendeckende Versorgung mit institutioneller Kinderbetreuung besteht. Die heutige Familienarmut basiert in erster Linie auf dem falsch konzipierten Sozialstaat, der die Lasten der Kindererziehung weitgehend privatisiert, den Nutzen, nämlich das von den Kindern später erwirtschaftete Sozialprodukt, über den „Generationenvertrag“ der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung hingegen sozialisiert.133 Auf eigene Kinder kommt es bei der Versorgung in Alter und Krankheit nicht an. Es reicht, wenn andere Leute Kinder in die Welt setzen, die später die eigene Rente finanzieren. Es ist kein Zufall, dass Deutschland, welches 130
Eingeführt durch das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG), BGBl. I 2006,
2748. Seiler, Christian, Das Elterngeld im Lichte des Grundgesetzes, NVwZ 2007, 129 (129). § 32 Abs. 4 1 Nr. 2, 3 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. 07. 2006 (BGBl. I, 1652 (1654). 133 Dass die perfekte Absicherung gegen die elementaren Lebensrisiken durch die moderne Sozialversicherung Auswirkungen auf das Fortpflanzungsverhalten hat, betont auch: Birg, Herwig, Perspektiven der Bevölkerungsentwicklung, S. 7. 131 132
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als erstes Land eine umfassende staatliche Rentenversicherung eingeführt hat, heute zu den Ländern mit der geringsten Geburtenrate gehört.134 Der Sozialstaat bürdet die Hauptlast der sozialen Sicherung den Arbeitnehmern auf, andere Einkommensarten werden verschont. Da das Einkommen der Familien sich zum größten Teil durch Löhne finanziert, trifft dies die Familien besonders hart. Während die Einkommen- und Lohnsteuer zumindest das Existenzminimum freistellt, verschonen die Sozialversicherungsbeiträge nicht den familiären Mindestbetrag. Zudem führt die Beitragsstruktur der Sozialversicherung wegen der fehlenden Progression sowie aufgrund der Beitragsbemessungsgrenzen implizit zu einer „Umverteilung von unten nach oben.“135 So tragen auch Maßnahmen des Gesetzgebers erheblich zur wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Erziehungsarbeit von Kindern bei. d) Steuerrechtliche Benachteiligungen der Familien Das Einkommensteuerrecht belastet den Steuerpflichtigen nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Familiäre Unterhaltsverpflichtungen senken diese Leistungsfähigkeit, werden allerdings nur bedingt in den steuerrechtlichen Regelungen berücksichtigt. Die Entlastung durch Freibeträge oder Kindergeld erreichen nicht einmal den Betrag, der nach anderen Regelungen für das Existenzminimum der Kinder unverzichtbar ist.136 Gleichzeitig werden Familien in besonderem Maße durch die indirekten Steuern belastet. Großfamilien sind aufgrund der Anzahl der zu versorgenden Familienmitglieder immer auch Großkonsumenten, so dass Umsatzsteuern, Verbrauchssteuern und auch Verkehrssteuern vor allem von Familien gezahlt werden. Das Existenzminimum wird bei den indirekten Steuern – durch die Staffelung des Mehrwertsteuertarifs – nur teilweise entlastet. Die indirekten Abgaben wirken „regressiv“, weil der Verbrauchsanteil an der Verwendung des Einkommens zwangsläufig umso höher wird, je mehr Haushaltsmitglieder konsumieren und je niedriger die Einkommen sind. In den letzten vierzig Jahren ist dabei die Abgabenlast insgesamt deutlich erhöht, zugleich aber von der Einkommensteuer zu den indirekten Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen verlagert worden. Inzwischen werden fast drei Viertel der staatlichen Einnahmen über indirekte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und damit über familienfeindliche Abgaben erhoben. Familien – in der Regel Bezieher von Niedrigeinkommen – werden so durch die Abgabensysteme deklassiert.137 Sinn, Hans-Werner, Das demographische Defizit, S. 74. Borchert, Jürgen, Wiesbadener Entwurf, S. 23 f. 136 BVerfGE 99, 268 – Kinderexistenzminimum II; 99, 273 – Kinderexistenzminimum III; 99, 246 – Familienleistungsausgleich; Camphausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (37). 137 Borchert, Jürgen, Wiesbadener Entwurf, S. 23 f. 134 135
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10. Verhütung und Abtreibung – Elternschaft ist nicht mehr ein natürliches Phänomen Als das Grundgesetz geschaffen wurde, waren Kinder natürliche Folge des Zusammenlebens. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah eine ganze Generation Sinn und Ziel darin, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Der Krieg hatte die Menschen spüren lassen, wie wichtig es ist, auf andere vertrauen zu können und in der Geborgenheit von gleichgesinnten und wohlmeinenden Menschen aufwachsen zu dürfen. Dass aus einer Verbindung zwischen Mann und Frau Kinder hervorgingen, war nicht zwingend, aber selbstverständlich. Die oben genannten Zahlen zeigen, dass dem heute nicht mehr so ist. Die Übernahme von Elternverantwortung gilt nicht mehr als selbstverständlicher Bestandteil eines allgemeinen Lebensentwurfs, sondern als disponible Möglichkeit im Rahmen der eigenen Biographie.138 Das Haben von Kindern ist zu einem Willensakt geworden. Familienplanung durch Verhüten ist heute die Selbstverständlichkeit. Die allgemeine Verbreitung und Akzeptanz der zuverlässigen Empfängnisverhütungsmittel begründeten seit den späten 1960er Jahren eine für die breite Bevölkerung neue Sichtweise auf das Verhältnis zwischen Sexualität und Elternschaft und akzentuierten die Sinngebung verantworteter Elternschaft.139 Kinder werden meist geplant und ganz bewusst in das eigene Lebenskonzept eingefügt, Elternschaft ist kein natürliches Phänomen mehr. Dies verdeutlichen die geschätzten Zahlen der Abtreibungen. In Deutschland werden danach jährlich 300.000 nicht geborene Kinder getötet.140
11. Unfruchtbarkeit Daneben bleibt für viele Menschen ihr Kinderwunsch aus biologischen Gründen unerfüllt. Von den kinderlos Verheirateten in ganz Deutschland hat nur ein Drittel bewusst die Kinderlosigkeit gewählt. Ein weiteres Drittel schiebt den Kinderwunsch so weit auf, dass er eines Tages nicht mehr realisierbar ist.141 Diese Zahlen deuten darauf hin, dass es den restlichen Ehepaaren von vorne herein nicht möglich ist, Kinder zu bekommen. Nach Schätzungen von Medizinern sind fünfzehn bis zwanzig Prozent aller Paare in Deutschland ungewollt kinderlos, die meisten von diesen sind nicht unfruchtbar, sondern für sie ist es schlicht zu spät, Kinder zu bekommen.142
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Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 13. Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 15 (21). Vgl. Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (8). Nave-Herz, Rosemarie, Kinderlose Ehen, S. 30. Lenzen-Schulte, Martina, Wunschkind.de, FAZ vom 25. 2. 2005, S. 37.
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12. Gleichberechtigung im Beruf, weniger in der Familie Die Entscheidung zur Familie fällt jungen Frauen heute schwerer als früher. Durch die Trennung von Erwerbs- und Familienort müssen sie nicht nur zwischen zwei unterschiedlichen Arbeitsplätzen wählen, an denen sie die meiste Zeit des Tages verbringen wollen. Sie entscheiden sich auch zwischen zwei unterschiedliche Rollen. Als Frau, die am Erwerbsleben teilnimmt, ist die junge Mutter gleichberechtigt und erfüllt die gleichen Aufgaben wie ihre männlichen Kollegen. Als Mutter kommt ihr hingegen eine andere Rolle zu. Die Biologie unterscheidet Mann und Frau und gibt ihnen deshalb ihre je eigene Aufgabe bei der Kindererziehung. Auch wenn heute junge Väter mehr und mehr an der Erziehung und Pflege der Kinder mitwirken, bleibt es doch die Mutter, die den Säugling in der Frühphase stillt, deshalb auch nachts für das Kind da sein muss und so seine erste Bezugsperson wird. Danach setzt sich die in der Schwangerschaft entstandene Beziehung zwischen Mutter und Kind meist fort. Der Vater erfüllt in dieser Lebensphase mehr die Aufgabe des Begleitens, Unterstützens, Helfens. Kinder verstärken die traditionelle Rollenverteilung in der Familie. Gleichverteilung von Aufgaben im Haushalt zwischen den Eheleuten und kindorientiertes Familienleben stehen im Widerstreit.143 So wechselt die berufstätige Mutter täglich zwischen zwei Rollen und damit zwischen zwei Welten. An beiden Orten muss sie gleichermaßen präsent und leistungsfähig sein. 13. Entfremdung gegenüber Kindern Die Geburtenrate sinkt zudem durch eine wachsende Entfremdung gegenüber Kindern. Der Anteil der Bevölkerung ohne regelmäßigen Kontakt zu Kindern wächst schon allein durch die demographische Entwicklung. Etwa ein Drittel der Männer und Frauen eines Jahrganges hat keine Kinder.144 Von den 18- bis 44-jährigen, die ohne Kinder im Haushalt leben, haben nur ein gutes Drittel mindestens ein Mal in der Woche Kontakt zu Kindern, 34 Prozent treffen ein- bis zwei Mal im Monat mit Kindern zusammen, 27 Prozent höchstens drei-, viermal im Jahr oder seltener. Dies wird vor allem durch eine Auswahl des Freundeskreises verursacht, da Eltern vorwiegend mit Eltern, Kinderlose vor allem mit Kinderlosen befreundet sind. Den so entfremdeten Kinderlosen stehen die Nachteile, die Kinder mit sich bringen, besonders plastisch vor Augen.145 Zudem fühlen sich Kinder in erster Linie in ihrer gewohnten Umgebung mit den ihnen vertrauten Personen wohl. Auch die Medien vermitteln eher die Belastung als die Freude durch Kinder. Von KinHermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1006). Birg, Herwig, Deutschlands Weltrekorde, FAZ, 22. 2. 2005, S. 35. 145 Institut für Demoskopie Allensbach, Repräsentativbefragung der 18- bis 44jährigen Bevölkerung im November 2003, S. 82 f. 143 144
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dern entwöhnt werden insbesondere auch Jugendliche. Ihr Bezugskreis beschränkt sich in der Regel auf Gleichaltrige, Schulkameraden und sonstige Bekannte. Verschwinden Kleinkinder aus der Erfahrungswelt Heranwachsender, geht die Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihnen verloren. Die spätere Übernahme von Elternverantwortung wird zu einem ungewohnten Ereignis mit unbekanntem Risiko.146 Auch diese Ungewissheit verringert den Kinderwunsch derer, die keine Kinder haben.
14. Problemdeutung durch die veröffentlichte Meinung – Wertewandel als Rechtfertigung? In der öffentlichen Debatte wurden in den letzten Jahren die Entwicklung von Ehe und Familie immer wieder mit einem in der Gesellschaft vollzogenen sozialen Wandel der Werte gerechtfertigt. Diese gesellschaftlichen Veränderungen seien in der modernen Welt ein Faktum und müssten deshalb auch in der Rechtsordnung ihren Niederschlag finden. Sozialer Wandel ist eine grundlegende strukturelle Veränderung, durch die neue Bedingungen der Möglichkeiten sozialen Handelns entstehen.147 Eine solche grundlegende Veränderung wird in der Rechtsordnung erst dann manifest, wenn sie die Hürde der Verfassungsänderung überschritten oder sich ein rechtsfortbildender Verfassungswandel vollzogen hat. Dieser kann nur durch die zur Rechtsfortbildung berufenen Organe der staatlichen Gemeinschaft, namentlich durch eine sich allgemein in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung durchsetzende und verfassungsgerichtlich anerkannte Rechtspraxis vollzogen werden.148 Ein sich in der Rechtsordnung niedergeschlagener sozialer Wandel muss scharf von Fehlentwicklungen in der Gesellschaft getrennt werden, die von der normativen Ordnung in ihre Schranken gewiesen wird. Nicht jede Fehlentwicklung darf als Wert bezeichnet werden, den es zu bewahren gelte. Mit einem solchen unaufhaltsamen Wandel würde jeder Maßstab für richtig und falsch, gut oder schlecht verloren gehen.149 Dient die öffentlich gemachte These des Wertewandels als Rechtfertigung für veränderte Lebensformen, verlieren die Verfassungsinstitute von Ehe und Familie ihre frühere gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Widmet die öffentliche Debatte den Neuheiten stets besondere Aufmerksamkeit, entstehen Diskrepanzen zwischen der öffentlichen Beachtung für alternative Lebensformen mit Kindern und ihrer tatsächlichen Verbreitung.150 Das öffentlich gesprochene Wort suggeriert dann Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 216 f. Luhmann, Niklas, Rechtssoziologie, S. 298, vgl. auch Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (71). 148 Zum Verfassungswandel vgl. Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (91). 149 Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 190. 150 Vgl. Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 3. 146 147
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scheinbare Wirklichkeiten und kann so einen tatsächlichen Wandel in der Gesellschaft verursachen. Einen wesentlichen und in seiner alltäglichen Stetigkeit wirksamen Beitrag zur Abwertung des traditionellen Bildes von Ehe und Familie leistet die Allgegenwart der Medien in Fernsehen und Internet. Sie tragen intime Darstellungen in die Familie, umgehen dabei die traditionellen Möglichkeiten der selbstkritischen Auswahl und der elterlichen Kontrolle über das, was gesehen und erfahren wird, und verändern so das Verständnis sozialer Beziehungen. Die Medien unterstellen eine wirklichkeitsferne Vielfältigkeit der Beziehungsformen und schwächen die Vorstellungen des Normalen und des Selbstverständlichen. Die veröffentlichte Meinung sieht einen Trend zur Singularisierung unserer Gesellschaft, die im Gegensatz zu den tatsächlichen sozialen Bindungen in Deutschland steht.151 Die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privaten werden vermischt, die Erfahrung des Eigenen und Fremden, des Individuellen und Allgemeinen, des Vorbildlichen und Unerwünschten werden verändert und so die identitätsstiftenden Perspektiven des eigenen Erlebens und der persönlichen Wahrnehmung relativiert.152 Junge Menschen wählen deshalb die Bindung in Ehe und Familie seltener. Das öffentlich gesprochene Wort entwickelt, plant und steuert – bewusst und unbewusst – einen sozialen Wandel.153
IV. Gründe für den schwindenden Willen zur Ehe trotz eines Willens zur Treue 1. Erhöhte Anforderungen an den Partner: Ehe als Intim- und Liebesbeziehung Das Institut der Ehe hat sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen im letzten Jahrhundert verändert. War die Ehe vor den Weltkriegen in erster Linie eine Wirtschaftseinheit, in der gearbeitet wurde, bleiben ihre Auswirkungen heute weitgehend auf den privaten Lebensbereich beschränkt. Die Ehe ist heute eine Emotionseinheit, sie ist primär Intim- und Liebesbeziehung.154 Das Bestreiten eines geBertram, Hans, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 112. Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 15 (22) unter Verweis auf den amerikanischen Soziologen Meyrowitz, Joshua, Die Fernsehgesellschaft, der die eigentliche Wirkung des Fernsehens darin sieht, dass die Erfahrung von Raum und Zeit verändert und so die Abgrenzung zwischen Öffentlichem und Privaten relativiert wird. 153 Lübbe, Hermann, Fortschritt als Orientierungsproblem, S. 46 ff.; Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55, (72). 154 Nach Radbruch, Gustav, Kulturlehre des Sozialismus. S. 65 stellt der Entfunktionalisierungsprozess die Ehe erst vor ihre eigentliche Aufgabe und Problematik, eine rein persönliche Beziehung, eine Liebesbeziehung und Lebensgemeinschaft zu sein. Vgl. zum Wandel von den ökonomischen zu den nicht ökonomischen Funktionen von Ehe und Familie: Schulin, Bertram, Grundmuster von Ehe und Familie, S. 10 ff., 23. 151 152
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meinsamen Lebensunterhalts und die gegenseitige finanzielle Absicherung treten demgegenüber zurück. Ehepartner haben in der Regel unterschiedliche Arbeitsplätze, die Beziehung findet in der privaten Lebensgemeinschaft ihren Schwerpunkt. Dies zeigen die zivilrechtlichen Regelungen, die das Vermögen der Ehegatten grundsätzlich getrennt halten und erst bei der Auflösung der Ehe einen finanziellen Ausgleich gewähren. Deshalb werden andere Anforderungen an den Lebenspartner gestellt. Die Vorstellungen von der Ehe als Bund für ein gemeinsames Leben in Liebe sind anspruchsvoller geworden.155 Die Ehe soll emotionale Bedürfnisse befriedigen, Harmonie, Zuwendung und Verstehen ermöglichen. Subjektiv sind dadurch die Anforderungen an das Gelingen der ehelichen Beziehung gestiegen.156 Gesucht wird der Idealpartner für das individuelle Glück, den junge Menschen mit diesen erhöhten Ansprüchen nicht finden.157 Diese Erwartung wird von einer Medienwelt geschürt, die den Menschen den Traum vom Glück verspricht, ohne darauf hinzuweisen, dass jede Freiheit – auch die des Art. 6 GG – nur das Recht bietet, das eigene Glück zu suchen und sich dafür anzustrengen. Bei Gemeinschaftsgrundrechten wie Art. 6 GG gilt das in Gegenseitigkeit, also in gesteigertem Maße. Diese Anstrengungen brauchen Energie, die viele Ehepartner nicht ihr Leben lang aufbringen wollen. Bei Enttäuschungen in der Ehe sind sie schneller zur Scheidung bereit und wenden sich einem neuen Partner zu. Die hohen Scheidungszahlen basieren deshalb kaum auf einem Bedeutungsverlust des Instituts Ehe, als vielmehr auf den subjektiv gestiegenen Anforderungen an das Gelingen einer ehelichen Beziehung.158
2. Gleichberechtigung und Selbstbewusstsein der Frau Aufgrund der Wirren des Zweiten Weltkrieges waren Frauen lange Zeit von ihren Ehemännern getrennt und auf sich allein gestellt. Sie mussten nicht nur für die Kinder und das Haus sorgen, sondern waren auch dafür verantwortlich, den Lebensunterhalt in einer Zeit zu bestreiten, in der das ganze Land von den kriegerischen Ereignissen stark erschüttert war. Aus dieser Situation ging eine veränderte Rolle der Frau als „Trümmerfrau“,159 als selbständige, eigenverantwortliche Lebenspartnerin des Mannes hervor.160 So auch Hohmann-Dennhardt, Christine, ZRP 5 / 2005, 173 (174). Nave-Herz, Rosemarie / Daum-Jaballah, Marita / Hauser, Sylvia / Matthias, Heike / Scheller, Gitta, Scheidungsursachen im Wandel. 157 Vgl. zur Idealisierung der Ehe: Mertin, Herbert, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 123 (125 f.). 158 Nave-Herz, Rosemarie / Daum-Jaballah, Marita / Hauser, Sylvia / Matthias, Heike / Scheller, Gitta, Scheidungsursachen im Wandel. 159 Vgl. BVerfGE 87, 1 – Trümmerfrauen. 160 Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel, S. 561. 155 156
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Diese Wirkung des Krieges wurde im Grundgesetz insbesondere in Art. 3 Abs. 2 GG durch die Gleichberechtigung der Frau aufgenommen. Der Wohlstandzuwachs in den 50er und 60er Jahren erlaubte Frauen eine zunehmend bessere Ausbildung. Sie wurden dadurch wirtschaftlich selbständiger. Die Entwicklung neuer Mittel der Empfängnisverhütung in den 70er Jahren nahm ihnen die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft und löste sie im Hinblick auf die persönlichen Lebensbeziehungen aus der Abhängigkeit vom Mann. Im Laufe der Zeit hat sich das Verhältnis der Geschlechter untereinander zu einer gleichberechtigten Partnerschaft entwickelt.161 Diese Veränderungen beeinflussen das Institut der Ehe. Die Gleichberechtigung der Frau ist seine selbstverständliche Grundlage geworden. Deshalb wird heute vermehrt erst geheiratet, wenn beide Partner ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Dieses Verhältnis der Geschlechter untereinander ändert sich, wenn Kinder geboren werden. Da durch die Geburt eines Kindes Mann und Frau zu Vater und Mutter werden, kann eine von Unabhängigkeit geprägte Gleichberechtigung nicht aufrechterhalten werden. Es entwickelt sich eine Dreierbeziehung zwischen Vater, Mutter und Kind, die es notwendig macht, Eltern- und Erwerbsverantwortlichkeiten unter den Eheleuten aufzuteilen. Durch die Geburt eines Kindes wird auch der finanzielle und soziale Verbund zwischen den Eheleuten deutlicher bewusst. Erst in diesem Zeitpunkt wird das Familien- und Eherecht existenziell für den Einzelnen. Jetzt sind rechtliche Absicherungen notwendig, die in früheren Zeiten schon mit der Hochzeit wichtig wurden. Dies wird durch den heutigen Trend bestätigt, dass junge Paare erst heiraten, wenn ein Kind unterwegs ist.
3. Kollektive Sozialversicherungssysteme Eine Ehe wird heute nur noch in wenigen Fällen eingegangen, um sich für Notlagen abzusichern. Der Sozialstaat springt in Fällen der Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit und im Alter ein. Die Lebensrisiken werden so in der staatlichen Gemeinschaft aufgefangen. Es entsteht der Eindruck, man sei nicht mehr auf den anderen Menschen angewiesen, könne sein Leben allein meistern, zu jeder Zeit eine neue Lebensform erproben. Das Anliegen, Vorsorge für Alter und Krankheit zu treffen, tritt gerade bei jungen Menschen in den Hintergrund. Bindungen werden deshalb nicht als Freiheitsgewinn, sondern als Einengung empfunden. Auch die Rechtswirkungen der Ehe in Form von Unterhalt, Versorgungsausgleich, Personenfürsorge und Erbrecht gelten eher als Last. Der heutige Reichtum Deutschlands und das Angebot vielfältiger Sicherungsalternativen für den eigenen Lebensweg suggerieren, auf diese gesetzlichen Ansprüche nicht angewiesen zu sein. Die kollektiven Sicherungssysteme mindern so die Bedeutung der Ehe als soziale Absicherung. 161
So auch: Zeidler, Wolfgang, Benda / Maihofer / Vogel, S. 561 f.
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4. Finanzielle Hindernisse durch Gelder für Alleinerziehende Durch die Ehe werden Mann und Frau zu einer Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Die Rechtsordnung vollzieht diesen Schritt nach, indem sie sowohl im Zivil- als auch im Sozial- und Steuerrecht diese Gemeinschaft als Einheit betrachtet. Das Ehegattensplitting macht die Heirat für diejenigen Paare, deren Einkommen über dem steuerfreien Existenzminimum liegt und die unterschiedlich viel verdienen, zum Vorteil. Die sozialrechtlichen Regelungen hingegen benachteiligen Eheleute de facto gegenüber Alleinerziehenden, auch wenn dies vom Gesetzgeber eigentlich so nicht gewollt ist. In der Sozialhilfe werden zusammenlebende Eheleute zwingend als Einsatzgemeinschaft angesehen und ihr Einkommen bei der Berechnung der Sozialhilfe gemeinsam veranschlagt (§ 19 Abs. 1 SGB XII). Sobald ein Ehepartner genug verdient, entfällt der Anspruch des Sozialhilfeempfängers auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist dies nur der Fall, wenn man den Berechtigten nachweisen kann, dass sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben (§ 36 SGB XII). Ähnliche Auswirkungen hat eine Heirat bei der Auszahlung von BAFöG. Einige Paare sehen auch aus zivilrechtlicher Sicht von einer Heirat ab, um den Unterhalt eines früheren Ehepartners oder den Anspruch einer alleinerziehenden Mutter nach § 1615 l BGB nicht zu gefährden.162 5. Anerkennen von anderen Lebensformen Singles und nichteheliche Lebensgemeinschaften hat es auch in früheren Jahren gegeben, doch war ihr gesellschaftliches Gewicht geringer. Die für die gesellschaftlichen Entwicklungen entscheidenden Einflüsse gingen von der auf einer Ehe basierenden Familie aus, diese prägte die Werte und Normen; alternative Lebensformen fanden kaum Bedeutung.163 Gegenwärtig hingegen werden diese Lebensstile nicht nur toleriert, für sie wird in den Medien geworben. Auch ein Verlust religiöser Bindung schwächt die Ehe und stärkt nichteheliche Lebensgemeinschaften. Diese gesellschaftliche Anerkennung verbreitete sich nach dem Krieg zunächst unter dem Stichwort der „Onkel-Ehen“, in der die Partner auf eine Ehe verzichteten, um einen Unterhaltsanspruch aus einer früheren Ehe nicht zu verlieren. Durch den Wandel der Ehe zu einer Emotionsgemeinschaft erachteten seit den 80er Jahren immer größer werdende Teile der Bevölkerung als sinnvoll, dass junge Menschen die Beziehung zu einem Menschen erst „ausprobieren“, bevor sie sich endgütig für den Partner entscheiden. Diese gesellschaftliche Akzeptanz findet Ausdruck im allgemeinen Sprachgebrauch: Begriffe wie „Ehen ohne Trauschein“ 162 Vgl. zum Unterhalt nach § 1615 l BGB die neuere Rechtsprechung des BGH: BGH NJW 2005, 500 ff. Zur Verfassungswidrigkeit der Dauer dieses Unterhaltsanspruchs vgl. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 (1 BvL 9/04), NJW 2007, 1735 ff. – Dauer des Betreuungsunterhalts. 163 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1003).
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oder „nichteheliche Lebensgemeinschaften“ nähern diese Lebensformen der Ehe an und suchen sie so zu legitimieren. Die Rechtswissenschaft bestätigt und verstärkt diese Entwicklung, wenn sie Regelungen der BGB-Gesellschaft oder des allgemeinen Schuldrechts auf diese Fälle analog anwendet und so Streitfälle löst.164 Damit wird die Ehe zumindest in Westdeutschland immer häufiger zu einer kindorientierten Partnerschaft. Die Entscheidung zur Heirat wird zumeist mit dem Entschluss zur Gründung einer Familie verknüpft.165 Die Entscheidung für Kinderlosigkeit ist immer häufiger der Grund für eine nichteheliche, strukturell aber ehegleiche Lebensgemeinschaft. 166 Neben der Anerkennung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften167 wird auch die Lebenspartnerschaft Homosexueller gesellschaftlich anerkannt, auf ein rechtliches Fundament gestützt und mit besonderen Rechten und Pflichten bedacht. Durch diese Entwicklungen wird die Ehe zu einer Möglichkeit unter vielen Lebensformen. Sie bietet heute weniger besondere Rechte, die andere Gemeinschaften nicht vermitteln können. Eine Kultur, die vielfältige Möglichkeiten zur eigenen Lebensgestaltung anbietet, erschwert die Entscheidung, die lebenslange Verbindung einer Ehe einzugehen. 6. Flexibilität, Schnelllebigkeit und Freizeitgestaltung Junge Erwachsene müssen heute im Beruf flexibel sein. Im Gegensatz zu älteren Menschen, die durch das Tarif- und Arbeitsrecht zunehmend Sicherheit erhalten, werden Berufseinsteiger mit vielen Unsicherheiten belastet. Sie sollen überall einsetzbar sein, ihre Arbeitszeiten werden an Produktion und Nachfrage ausgerichtet. Das Kündigungsrecht gibt den lange Beschäftigen größstmögliche Sicherheit, den Neulingen hingegen Ungewissheit. Diese gesteigerten beruflichen Anforderungen an die zeitliche und örtliche Flexibilität lassen davor zurückscheuen, festere Bindungen einzugehen, und machen es zugleich schwerer, Beziehungen dauerhaft zu halten.168 Die jungen Jahre, die für die Entwicklung einer dauerhaften Partnerschaft entscheidend sind, werden nicht genutzt. Weil der enge Arbeitsmarkt von jungen Menschen auch räumliche Flexibilität fordert, werden viele feste Partnerschaften zu Fernbeziehungen. Aufgrund der räumlichen Distanz ist es schwer, das enge persönliche Verhältnis aufrecht zu erhalten. Die Partner können nicht mehr am Alltag des anderen teilhaben, das Sich164 Vgl. die Nachweise bei: Sprau, Hartwig, in Palandt, BGB, § 705, Rn. 46; Brudermüller, Gerd, in Palandt, BGB, Einl von § 1297, Rn. 10 ff. 165 Nave-Herz, Rosemarie, Kinderlose Ehen. 166 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Art. 6, Rn. 20. 167 Vgl. hierzu ausführlich: Wingen, Max, Wandlungen im Prozeß der Ehe und Familienbildung, S. 31 ff. Zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft als sozialer Tatbestand der Gegenwart: Müller-Manger, Petra, S. 62 ff. 168 So auch Hohmann-Dennhardt, Christine, ZRP 5 / 2005, 173 (174).
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Wiedersehen am Wochenende wird zum Ausnahmezustand. Durch diese Entfremdung gehen viele Beziehungen in die Brüche. Daneben wächst auch das Spektrum an Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten. Die Menge und Vielfalt der Sinneseindrücke, Informationen und Angebote kann Entscheidungskraft und Urteilsfähigkeit schwächen, hindert die Bereitschaft, unter den vielen Möglichkeiten den eigenen Weg zu wählen. Gleichzeitig wächst mit den alltäglichen und biographischen Gestaltungsräumen die Knappheit an Zeit und Geld.169 Je mehr erwünschte Möglichkeiten offen stehen, desto weniger reicht die Zeit aus, sie zu realisieren.170 Die Entscheidung für eine lebenslange Verbindung mit einem Partner fällt in dieser Lage überfordernder Offenheit besonders schwer.171 7. Langwierige Ausbildung Im Gegensatz zu den USA und den nordeuropäischen Ländern sind in Deutschland junge Akademiker frühestens mit dreißig Jahren ökonomisch selbständig und brauchen danach nochmals bis zu sieben Jahre, um finanziell eigenständig zu werden. Junge Menschen gehen die Verantwortungsgemeinschaft der Ehe aber in der Regel erst dann ein, wenn sie sich und den Partner auch ökonomisch absichern können. So trägt auch das deutsche Bildungssystem dazu bei, dass Ehen immer später oder unter Umständen sogar gar nicht geschlossen werden.172 Die Dauer der Ausbildung verzögert eine Heirat. Bei den jüngsten Altersgruppen differiert das Heiratsalter zwischen Volksschülerinnen und Abiturientinnen um 6,2 Jahre.173 8. Wohlstand In der Ehe als Erwerbs- und Lebensgemeinschaft werden die Aufgaben im Beruf und zu Hause aufgeteilt. Durch den gemeinsamen Hausstand reduziert sich insbesondere die Hausarbeit. Im klassischen Modell der Ehe, bei dem ein Partner arbeitet und der andere zu Hause den Hauhalt führt, kann sich jeder auf seine Arbeit konzentrieren und so dort erfolgreicher sein. Daneben vertreibt das Leben zu zweit die Einsamkeit. Durch Technisierungen ist die Haushaltstätigkeit heute erheblich erleichtert und damit objektiv verkürzt worden. Durch Haushaltsgeräte wie Küchenhilfen, Kühl169 Vgl. Linder, Steffan Burenstam, Das Linder-Axiom – oder warum wir keine Zeit mehr haben, Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 2. 170 Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 2. 171 Nach dem Sinn lebenslanger Beziehungen in einer mobilen Welt fragt: Bertram, Hans, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 100. 172 Vgl. die Zahlen oben unter A. I. 2. 173 Tölke, Angelika, S. 142.
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und Gefrierschränke, Wasch- und Geschirrspülmaschinen hat die Haushaltsführung ihre frühere Bedeutung eingebüßt.174 Die Arbeit im Haushalt hat dadurch ihren Stellenwert verloren, junge Menschen kann diese Tätigkeit allein nicht mehr ausfüllen. Die Gründung eines Haushalts mit einem Partner ist nicht notwendig, um einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Die Ehe verliert auch deshalb ihren Reiz. Der steigende Wohlstand in Deutschland macht zudem das Singledasein leicht: Fertiggerichte, Wäschereien und moderne Haushaltstechnik erleichtern das Leben allein. Gute Gehälter erlauben es Singles, sich eine Haushaltshilfe zu leisten. Wenn viel Zeit im Büro verbracht wird, bricht zu Hause ohne einen Partner nicht der Haushalt zusammen. Zudem gibt es genug Freizeitangebote, bei denen der Mensch Gesprächs- und Erlebnispartner gleichen Alters treffen kann, wenn ihm das Alleinsein nicht genügt. Die Ehe als Erwerbs- und Lebensgemeinschaft verliert ihre Bedeutung, soweit ihre Funktionen durch bezahlte Dienstleistungen und Geselligkeiten ersetzt werden können.
9. Verlust an hergebrachter Verbindlichkeit Der Mensch hat die Freiheit, mit seiner prüfenden und kritisch reflektierenden Vernunft sein Leben zu steuern. Leitbilder, Überkommenes, Gegebenes, Institutionen und Normen geraten unter einen subjektiven Vernunftsvorbehalt. Damit laufen traditionelle Leitbilder Gefahr, ihre vorgegebene Verbindlichkeit zu verlieren. Der Rückgriff auf „das Hergebrachte“, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in seiner Definition von Ehe anklingen lässt,175 verliert an Bedeutung, dieser Begriff scheint nicht mehr aus sich heraus, sondern nur noch in bewusster Annahme formende Kraft zu entfalten.176 Man lernt weniger aus der Geschichte,177 sondern will alles selbst hinterfragen, erproben und schwächt so die Basis der Erfahrungen als Grundlage eigenen Handelns.178 So verliert auch die Ehe als traditionelle Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau und die ehebasierte Familie ein Stück ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstverständlichkeit.
Vgl. Ramm, Thilo, Familienrecht. Verfassung – Geschichte – Reform, S. 123 f. BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt. 176 Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (67). 177 Vgl. hierzu Lübbe, Hermann, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse, S. 324; Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (73). 178 Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (73). 174 175
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B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie Der Gesetzgeber nimmt in seinen Regelungen die gesellschaftlichen Entwicklungen auf und versucht, Lösungen für die neu entstehenden Problemfelder anzubieten. Gerade das Ehe- und Familienrecht ist in den letzten Jahrzehnten mehr als andere Bereiche des Privatrechts reformiert worden. Mehrfach wurden wichtige Teile des 4. Buches des BGB von Grund auf erneuert, eine erneute Reform des Unterhaltsrechts steht derzeit im Bundestag zur Debatte.179 Das Sozialrecht wurde an die neuen Lebensformen angepasst, im Steuerrecht wurden die Rechtsinstitute Ehe und Familie jeweils unterschiedlich ausgestaltet. Der Gesetzgeber hat so versucht, die Wandelungsprozesse in der Gesellschaft aufzunehmen. Gelegentlich – wie beispielsweise bei der Scheidungsrechtsreform von 1977 – hat er allerdings auch eine Vorreiterrolle übernommen,180 manchmal in seiner Ausgestaltung selbst Spannungslagen verursacht. Aber nicht nur durch diese Gesetzesänderungen sind Spannungen zwischen dem Institut der Ehe und dem der Familie entstanden. Sobald der Gesetzgeber im Bereich von Ehe und Familie die Eigenheiten jeder dieser unterschiedlichen Gemeinschaften berücksichtigt, gerät er in einen Konflikt zwischen dem Freiheitsrecht (Eingriffsverbot) und dem Schutzgedanken von Art. 6 GG (Fürsorgegebot). Deshalb muss er in seinen Regelungen die Interessen der Ehe und der unterschiedlichen Formen der Familie in einen schonenden Ausgleich bringen. Spannungen sind dabei nicht zu vermeiden. Sie entstehen im Normalfall der ehebasierten Familie durch die Geburt eines Kindes, wenn sich die eheliche Gemeinschaft zu einer Erziehungsgemeinschaft wandelt (s. zu I.). Fallen die Rechtsinstitute der Ehe und der Familie auseinander, weil die Eltern sich scheiden lassen, sich gegen den Bund der Ehe entscheiden oder andere Partner heiraten, treten unterschiedliche Gemeinschaften zueinander in Konkurrenz (s. zu II). Hier ist vor allem der Zivilgesetzgeber gefordert, die gegenläufigen Interessen in einen Ausgleich zu bringen. Die besondere Aufgabe Alleinerziehender fordert eine staatliche Unterstützung, die der Verfassungsgeber in Art. 6 Abs. 5 GG aufgenommen hat. Führt diese allerdings zu einer Benachteiligung von Ehen mit Kindern, entsteht ein Konflikt mit dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Diese Gegenläufigkeit hat der Gesetzgeber in unterschiedlichen Regelungen im Fürsorge- und Unterhaltsrecht aufgenommen (s. zu III). Im Renten- und Pflegeversicherungsrecht zeigen sich Interessenkonflikte zwischen kinderlosen und Kinder erziehenden Ehen, die gleichermaßen finanziell entlastet werden, die Hauptlast der umlagefinanzierten Versicherungssysteme aber durch die Eltern getragen wird (s. zu IV). So sind Spannungsfelder zwischen Ehe und Familie teilweise vom Gesetzgeber verursacht, teilweise finden sie ihren Grund aber auch in den strukturellen Unterschieden von Ehe und Familie. 179 Vgl. hierzu schon: Müller-Freienfels, Wolfgang, Normen und Normenwandel im Eherecht, S. 131. 180 Friauf, Karl Heinrich, NJW 1986, 2595 (2598).
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie
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I. Der Normalfall der ehebasierten Familie – Eheautonomie und Erziehungsverantwortung Durch die Geburt eines Kindes wird die Ehe zur Familie. Die Freiheit der gleichberechtigten Ehegatten, autonom über ihren Lebensstil und die Aufgabenverteilung untereinander zu entscheiden, wird durch die Erziehungsverantwortung für das Kind überlagert. Das neugeborene Kind bedarf der ständigen Pflege und Fürsorge, das Kleinkind fordert darüber hinaus ständige Aufmerksamkeit und Aufsicht. Mit wachsendem Alter des Kindes wird es selbständiger, bleibt aber auf die emotionale und finanzielle Stütze seiner Eltern angewiesen. In der Existenz des Kindes entsteht eine neue, gemeinsame Aufgabe der Ehegatten, die ihre Partnerschaft grundlegend verändert. Konnte man zuvor die eigenen Bedürfnisse mit denen des Partners so in Einklang bringen, dass beide Interessen gleichermaßen Berücksichtigung finden, bildet nach der Geburt das Kindeswohl den bestimmenden Maßstab. So entsteht für jede Familie der Auftrag, einen Ausgleich zwischen familiärer Verantwortung für das Kind und autonome Selbstverwirklichung der Ehegatten zu finden.
1. Nebeneinander von Familien- und Erwerbsarbeit Die Familie widmet sich der Betreuung der Kinder. Im Kind erhalten die Eltern eine neue gemeinsame Aufgabe, die neben ihrer vorherigen Tätigkeit in Beruf und Haushalt bewältigt werden muss. Die Ehegatten und Eltern können selbst entscheiden, wie sie diese Aufgaben untereinander aufteilen, wer von beiden die Kinder erzieht oder ob die Kinderbetreuung einer dritten Person überlassen wird. Entscheiden sie sich für den Beruf und eine zu finanzierende Fremdbetreuung der Kinder, geben sie ihre familiäre Verantwortung insoweit in fremde Hand. Bleibt einer der Ehegatten zur Kindererziehung ganz oder teilweise zu Hause, verzichtet er insoweit auf ein berufliches Fortkommen. Gleichzeitig verliert die familiäre Gemeinschaft eine Einnahmequelle, die in der kinderlosen Ehe zum gemeinsamen Unterhalt beigetragen hat. Durch das Auseinanderfallen von Familien- und Erwerbsort schwächt der familiäre Erziehungsauftrag die Möglichkeit der Selbstverwirklichung der Ehegatten und des Erwerbsstrebens. Dem verfassungsrechtlichen Auftrag an den Gesetzgeber, in dieser alltäglichen Konfliktlage Hilfestellungen anzubieten, ist dieser durch mehrere Regelungen nachgekommen: Arbeitsrechtlich verbietet er in § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG, eine Mutter sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt ihres Kindes zu beschäftigen, sorgt gleichzeitig aber auch dafür, dass sie nach Ablauf dieser Frist wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren kann (vgl. hierzu insbesondere das Kündigungsverbot des § 9 MuSchG). Der Gesetzgeber schützt damit die Gesundheit der Mutter und des Neugeborenen sowie das Entstehen der neuen familiären Einheit. Während dieser Mutterschutzfrist erhält die Mutter nach § 11
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
Abs. 1 MuSchG mindestens ihren Durchschnittsverdienst der letzten dreizehn Wochen vor Beginn der Schwangerschaft weiter ausgezahlt. Dieses Gehalt muss zu großen Teilen der Arbeitgeber als „Zuschuss“ zum Mutterschaftsgeld finanzieren, das die Krankenkasse in Höhe von 13 Euro pro Tag übernimmt (§§ 13, 14 MuSchG). Weil primär mit diesem „Zuschuss“ der Arbeitgeber den zwölfwöchigen Mutterschutz finanziert und ein allgemeiner Ausgleich hier nur für kleine Arbeitgeber geschaffen worden ist, erschwert diese Regelung potentiellen Müttern, eine Anstellung zu finden. Die Möglichkeit einer dreijährigen Elternzeit nach § 15 BEEG, der im Wesentlichen der alten Regelung des § 15 BErzGG entspricht, erleichtert den Eltern grundsätzlich181 die Entscheidung, zumindest für diese Zeit auf ihre Berufstätigkeit zu verzichten. Eine Fremdbetreuung der Kinder wird staatlicherseits nicht nur durch die finanzielle Unterstützung von Krippen und Kindergärten in Ganz- und Halbtagsbetreuung und die Bezuschussung von Elterninitiativen gefördert. Auch die steuerrechtlichen Regelungen zur Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten (§§ 4 f., 9 Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5, 8 EStG), wonach die Betreuungsaufwendungen in Höhe von zwei Dritteln, höchstens 4000 Euro, „wie Betriebsausgaben“ abgezogen werden können, sofern sie wegen der Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen anfallen,182 geben den Eltern einen finanziellen Anreiz, bald wieder in den Beruf zurückzukehren und die Erziehungsverantwortung in die Hände Dritter zu legen. Seit 01. 01. 2007 gewährt der Staat zudem erwerbstätigen Elternteilen, die ihre Berufstätigkeit nach der Geburt eines Kindes unterbrechen oder auf maximal 30 Wochenstunden beschränken (§ 1 BEEG),183 im systematischen Regelfall 14 Monate lang (§ 4 BEEG) eine Transferleistung in Höhe von grundsätzlich 67 Prozent ihres letzten Nettoerwerbseinkommens, höchstens 1800 Euro im Monat (§ 2 BEEG). Jeweils zwei Leistungsmonate können nur von der Mutter und nur vom Vater genutzt werden („Partnermonate“). Diese Lohnersatzleistung wird durch ein Mindestelterngeld von monatlich 300 Euro für erziehende Elternteile ergänzt, die vor der Geburt kein oder nur ein sehr kleines Einkommen erzielt haben (§ 2 Abs. 5 BEEG). Für Berechtigte mit einem weiteren Kind unter drei Jahren oder zwei weiteren Kindern unter sechs Jahren wird das Elterngeld um 10 Prozent, mindestens um 75 Euro erhöht (§ 2 Abs. 4 BEEG), um die Folgen der für Erziehende häufig nachteiligen Anspruchsberechnung nach dem letzen Einkommen zu mildern.184 Die Reform ist insoweit zu begrüßen, als sie etwaige Verdienstausfälle nach der Geburt bei Erwerbstätigen kompensiert und zudem die Betreuungsleistung von El181 Allerdings wird die Inanspruchnahme der vollen drei Jahre durch die Einführung des Elterngeldes erschwert, so Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1722). 182 § 33 c EStG wurde mit der Neueinführung dieser Regelungen aufgehoben, Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. 04. 2006, BGBl. 2006 I 1091. 183 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit, BGBl. I 2006, 2748. 184 Vgl. hierzu ausführlich: Seiler, Christian, NVwZ 2007, 129 (129); Scholz, Harald, FamRZ 2007, 7 (8).
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie
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tern nicht zum Anlass mildtätiger Förderung Bedürftiger nimmt und sie dadurch gedanklich abwertet, sondern die gemeinwohlförderliche Leistung der Eltern durch ein von der Allgemeinheit zu tragendes Entgelt honoriert.185 Problematisch erscheint allerdings die politisch gewünschte Wirkung, dass Doppelverdienerpaare und zuvor berufstätige Alleinerziehende in erheblichem Umfang gefördert werden, wogegen Einverdienerfamilien, deren bislang nicht erwerbstätiger Elternteil nach der Geburt eines vorherigen Kindes nicht oder jedenfalls nicht schnell genug in den Beruf zurückgekehrt ist, auf einen geringen Sockelbetrag verwiesen werden. Das Elterngeld ist somit eine Prämie für eine bestimmte Familienform. Zudem sucht es durch die Verlängerung des Bezugszeitraums durch Partnermonate auf die Autonomie der Eltern, über ihre interne Aufgabenverteilung selbst zu entscheiden, Einfluss zu nehmen.186 Darüber hinaus suggeriert die Orientierung der Höhe des Elterngeldes am zuletzt erzielten Einkommen, dass Kinder von Besserverdienern („Akademikerkinder“) „wertvoller“ seien als andere – ein Widerspruch zur objektiven Wertentscheidung des Art. 6 GG und zum Gleichheitssatz des Art. 3 GG.187 Durch die Regelungen zum Mutterschutz, zur Kinderbetreuung, zur Elternzeit und zum Elterngeld will der Gesetzgeber den Eltern die schwierige Entscheidung zwischen Erziehungsverantwortung und Beruf erleichtern und zumindest die finanziellen Nachteile, die die Erziehung eines Kindes mit sich bringt,188 auffangen. Dieses Ziel scheint noch nicht erreicht. Jedenfalls muss die staatliche Stütze aber die Entscheidung dieser Konfliktlage den Eltern überlassen und nicht durch finanzielle Anreize die Entscheidung zwischen Fremd- und Eigenbetreuung der Kinder in eine Richtung beeinflussen.
2. Die Wahl zwischen Familieneinheit und Individualität im Namensrecht Seit der Neugestaltung des Namensrechts zum 1. April 1994189 werden Mann und Frau bei ihrer Hochzeit vor die Alternative gestellt, ob sie gemeinsam einen ihrer Namen führen oder ihre Eigenständigkeit und Zugehörigkeit zu ihrer Ursprungsfamilie im Weiterführen ihres Geburtsnamens Ausdruck verleihen wollen. Nach § 1355 Abs. 1 BGB können die Ehegatten jeweils ihren Geburtsnamen behalten oder einen dieser Namen als gemeinsamen Ehenamen wählen. Falls ein geSeiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1721). Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1722). 187 Seiler, Christian, NVwZ 2007, 129 (131). 188 Vgl. hierzu die unabänderliche gesetzliche Kindesunterhaltspflicht nach § 1601 BGB 189 Auslöser dieser Namensrechtsreform war ein vorangegangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die frühere Regelung des § 1355 Abs. 2 Satz 2 BGB a. F., wonach der Geburtsname des Mannes automatisch Ehename wurde, wenn die Ehegatten keinen Namen bestimmten, mit der Gleichberechtigung der Geschlechter nach Art. 3 Abs. 2 GG für unvereinbar erklärte, vgl. BVerfGE 84, 9 (17 ff.) – Ehenamen = FamRZ 1991, 535. 185 186
5 Nesselrode
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meinsamer Ehename gewählt wird, kann einer der Ehepartner seinen Geburtsnamen als Begleitnamen mit dem Ehenamen zusammen weiterführen und dadurch einen Doppelnamen bilden. Diese die Individualität des Einzelnen wahrende Regelung ist Ausdruck der Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3 Abs. 2 GG und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG. Spätestens bei der Gründung einer Familie muss sich das Ehepaar auf einen Familiennamen einigen, den die Kinder weiterführen und der eine neue familiäre Einheit nach außen hin sichtbar macht. Diese Namensbestimmung ist Teil des Sorgerechts, so dass auch kraft Sorgeerklärung gemeinsam sorgeberechtigte, aber nicht verheiratete Eltern eine gemeinsame Entscheidung treffen müssen. Die Möglichkeiten für die Wahl des Familiennamens sind gesetzlich eingeschränkt: Die Eltern müssen sich auf einen ihrer Geburtsnamen einigen, ein Doppelname aus Mutter- und Vatername ist nicht zulässig (§ 1616 in Verbindung mit § 1355 Abs. 1 und Abs. 4 BGB).190 Die einmal getroffene Regelung gilt automatisch auch für die weiteren gemeinsamen Kinder (§ 1617 Abs. 1 Satz 3 BGB).191 Können sich die Eltern nicht einigen, überträgt das Familiengericht das Namensbestimmungsrecht auf einen Elternteil (§ 1617 Abs. 2 Satz 3 BGB). Wenn der so allein bestimmungsberechtigte Elternteil innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist keinen Namen wählt, erhält das Kind den Namen des Bestimmungsberechtigten (§ 1617 Abs. 2 Satz 4 BGB).192 Dieser Name steht für das Kind in der Regel erst bei einer Heirat wieder zur Disposition. Im Gegensatz zur Ehe, in der nicht zwingend ein gemeinsamer Name geführt werden muss und deshalb keiner der Partner sich mit dem Namen des anderen identifizieren muss, müssen sich die Eltern bei der Wahl des Familiennamens für ihre Kinder entscheiden. Sie stehen vor der Alternative, sich mit ihren Kinder rechtlich durch einen gemeinsamen Namen zu verklammern und eine neue familiäre Einheit zu bilden, oder ihrer Eigenständigkeit durch das Beibehalten ihres eigenen Geburtsnamens Ausdruck zu verleihen. In dieser Wahl steht zumindest ein Ehegatte vor der Frage, seine Eigenständigkeit zu wahren oder für die neue Familie seine ursprüngliche namensrechtliche Identität aufzugeben und seine Persönlichkeit mit dem Namen des Partners in Zukunft zu identifizieren. Es besteht so eine Spannungslage zwischen Autonomie und Persönlichkeitsrecht einerseits und Verantwortungsbewusstsein und erkennbarer Gemeinschaft mit der neuen Familie andererseits, die durch die Möglichkeit des Doppelnamens für den Ehegatten in geringem Maße entschärft wird.
190 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung, die Namensketten in der Generationenfolge vermeiden will: BVerfGE 104, 373 (384 ff.) – Familiendoppelnamen. 191 Auch diese Regelung ist verfassungsgemäß, vgl. BVerfG FamRZ 2002, 877 – Elterliche Namenswahl. 192 Vgl. zu den Grundsätzen der Bestimmung des Familiennamens, Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 498 ff.
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie
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3. Staatliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls Art. 6 Abs. 2 GG verweist die staatliche Gemeinschaft in ein Wächteramt, das die Erziehung den Eltern anvertraut und den Staat lediglich zu einer Korrektur grober Fehler ermächtigt. Die elterliche Erziehung ist in der Familie eine verlässliche Quelle für Rechtskontinuität, Wertungssicherheit und Gestaltungskraft.193 Erst bei Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes darf der Staat in das Eltern-Kind-Verhältnis eingreifen. Wegen des Vorrangs des verfassungsrechtlich verbürgten Elternrechts und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in §§ 1631 Abs. 3, 1666a BGB einen einfachgesetzlichen Ausdruck gefunden hat, ist dabei zunächst staatliche Unterstützung durch die Gewährung von sozialen Leistungen nach dem SGB VIII durch elterliche Beratung, Unterstützung bei Trennung und Scheidung der Eltern und Hilfe zur Erziehung anzubieten, bevor hoheitlich in das elterliche Sorgerecht eingegriffen wird. Sowohl unterstützende als auch eingreifende Maßnahmen nach § 1666 BGB wirken sich nicht nur im Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern aus. Zwar beeinträchtigen sie in erster Linie die Erziehung, die sich in gegenseitiger Bindung und Vertrauen grundsätzlich nur in Staatsferne entfalten kann. Doch dringt der Staat gleichzeitig auch in die Privat- und Intimsphäre der Ehegatten ein, weil die Ehegatten mit ihren Kindern in der ehelichen Familie eine Lebens- und Hausgemeinschaft bilden. Wenn beispielsweise § 1631 Abs. 2 BGB den Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung gibt, welches diese auf der Grundlage von § 1666 BGB gerichtlich geltend machen können, steht beim tatsächlichen Durchsetzen dieses Rechts nicht nur die familiäre Gemeinschaft als solche auf dem Spiel. Gleichzeitig wird auch die eheliche Gemeinschaft durch Maßnahmen wie Ermahnungen, Verhaltensgebote, Verbote oder die Untersagung der Nutzung der Familienwohnung gestört.194 Ein Spannungsfeld innerhalb der ehelichen Familie ist in der staatlichen Eingriffsbefugnis zum Wohl des Kindes in § 1666 BGB angelegt. Dem Gesetzgeber kam es im Sinne eines Appells in erster Linie auf eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung an,195 so dass der Anwendungsbereich von § 1666 BGB auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleibt. In diesen Ausnahmefällen wird in Ehe und Familie gleichermaßen eingegriffen, beides erfordert je nach Schwere des Eingriffs eine besondere Rechtfertigung.
Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 195. Vgl. zur Nutzungsuntersagung der Familienwohnung, für die durch das Kinderrechteverbesserungsgesetz vom 9. 04. 2002 die Sätze 2 und 3 des § 1666a Abs. 1 BGB neu eingefügt wurden: Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 641. 195 Vgl. Diederichsen, Uwe, in: Palandt, BGB, § 1631 Rn. 10 m. w. N. 193 194
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
4. Eheverbot innerhalb der Familie zum Schutz des ungeborenen Lebens Ehe und Familie treten in Konkurrenz, sobald Familienangehörige heiraten wollen. Das Inzestverbot des § 1307 BGB muss diesen Konflikt zugunsten des Kindeswohls und zulasten der Eheschließung entscheiden. Das Eheverbot unter Familienangehörigen besitzt eine Überzeugungskraft wie kein anderes Eheverbot. Neben dem strafrechtlichen Verbot des Beischlafes zwischen Verwandten nach § 173 StGB soll es zum Schutz des noch ungeborenen Lebens eine Geschlechtskonkurrenz innerhalb der Kernfamilie verhindern und einen Zwang zum Eingehen außerfamiliärer Beziehungen begründen.196
II. Spannungen durch das Auseinanderfallen von Ehe und Familie Fallen die Gemeinschaften von Ehe und Familie auseinander, weil die Eltern sich scheiden lassen oder nicht heiraten, verschiebt sich das Spannungsverhältnis zwischen Familie und Ehe zu einem Konflikt zwischen Familie und Eigenständigkeit der jeweiligen Elternteile, die sich dafür entschieden haben, keine rechtliche Gemeinschaft mit ihrem Partner (mehr) zu bilden, über das Kind allerdings als Familie miteinander verbunden sind. Die Kinder fordern Kontinuität in den Lebensverhältnissen, die in der Pflichtenbindung der Eltern ihre gesetzliche Absicherung findet. Diese Bindung zum Kind in der Familie wirkt sich auch unter den Eltern aus, im Falle der Scheidung ungewollt, im Falle der nichtehelichen Lebensgemeinschaft of auch erwünscht. So entstehen Spannungslagen zwischen nicht gewollter Bindung einerseits und der Elternverantwortung als starkes Bindeglied auf der anderen Seite. Der Schutz der Ehe tritt insoweit zur Familie in Konkurrenz, als das Verfassungsinstitut der Ehe auch die Möglichkeit der Scheidung zulässt und die Entscheidung der Partner respektiert, nicht zu heiraten (negative Eheschließungsfreiheit), die Familie hingegen unauflöslich ist. Wollen die Eltern keinen Kontakt zueinander, verschärft sich der Konflikt, weil das Verhältnis der Kinder zu beiden Eltern unabhängig von einer Ehe bestehen bleibt, der Umgang mit dem minderjährigen Kind aber nur zwischen den Eltern organisiert werden kann. Es entstehen zwei Teilfamilien, bestehend aus Vater und Kind sowie Mutter und Kind. Zum Wohl des Kindes muss der Gesetzgeber hier Lösungen anbieten, die dem Kind ein Familienleben mit beiden Eltern ermöglicht, es gleichzeitig aber vor einem Streit zwischen den Eltern schützt. Heiraten die Eltern erneut oder ehelichen erstmals einen anderen Partner, tritt die bestehende Teilfamilie zur neuen Ehe und einer möglichen neuen Familie in Konkurrenz. Für den Konflikt, mehreren Gemeinschaften gleichzeitig anzugehören, muss der Gesetzgeber Hilfe196
Brudermüller, Gerd, in Palandt, BGB, § 1307, Rn. 1.
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stellungen anbieten, die den Kindern Kontinuität im Verhältnis zu ihren Eltern vermitteln, gleichzeitig aber auch die freie Entscheidung der Erwachsenen respektieren.
1. Scheidung der Ehe trotz unauflöslicher Elternschaft Das Spannungsfeld zwischen der scheidbaren Ehe und der Unauflösbarkeit der Familie ist im verfassungsrechtlichen Verständnis des Art. 6 GG angelegt. Das Institut der Ehe ist die gleichberechtigte Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die die Freiheit haben, sich für die Gründung einer Familie zu entscheiden. Die Ehe ist nach der Verfassung auf eine unauflösliche Lebensgemeinschaft angelegt. Das einfache Recht gewährt den gleichberechtigten Partnern aber auch die Möglichkeit der Scheidung. Eine solche Scheidung ist Ausfluss der individuellen Selbstbestimmung und der Vertragsfreiheit unter Privaten, die nur durch die gesetzlichen Vorgaben eingeschränkt wird. Daneben ist der Kern der Familie die umfassende Lebens- und Unterhaltsgemeinschaft von Eltern und Kindern, die sich mit dem Alter der Kinder in ihrer Qualität ändert, deren Verwandtschaftsverhältnis aber nicht aufgelöst werden kann. Eine Scheidung der Eltern-Kind-Beziehung ist nicht möglich. Entscheidet sich ein Ehepartner für eine nach einfachem Recht mögliche Scheidung, die das Grundgesetz vermeiden will, aber letztlich nicht verhindern kann, wird die ehebasierte Familie teilweise beendet: die Ehe erlischt, die Familie besteht. Die tatsächliche Familiengemeinschaft wird durch die personelle und räumliche Trennung zerstört. Mit der Beendigung einer Partnerschaft ist die Elternschaft nicht beendet,197 die Scheidung löst die Ehe, stellt aber nicht die Institution der Familie in Frage.198 Für die Begegnung in der Familie müssen neue Formen in Besuchen und Telefonaten gesucht werden, um den Kindern die Begegnung mit beiden Eltern zu ermöglichen. Der von geschiedenen Eheleuten in der Regel nicht gewollte Kontakt untereinander wird durch die Sorge für die gemeinsamen Kinder aufrechterhalten. Gemeinsames Sorgerecht und nachehelicher Unterhalt wegen der Betreuung der Kinder hält eine Partnerschaft aufrecht, die in ihrer ursprünglich gedachten Form nicht mehr besteht.199 Bei Kindern aus geschiedenen Ehen spricht man heute häufig von „Scheidungswaisen“ und bringt damit treffend zum Ausdruck, dass die Kinder durch die Scheidung mindestens ein Elternteil tatsächlich verlieren.200
197 Willutzki, Siegfried, Zur Entwicklung des gemeinsamen Sorgerechts, wörtlich wiedergegeben bei: Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 15 (31). 198 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1006). 199 Zu den Ehenachwirkungen im Scheidungsfall: Diederichsen, Uwe, Reaktion des Privatrechts auf den Wandelt von Lebensmustern, S. 96 ff. 200 Diederichsen, Uwe, Die Reaktion des Privatrechts auf den Wandel von Lebensmustern, S. 105.
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a) Kinderschutzklausel des § 1568 BGB Das Spannungsverhältnis zwischen Scheidung und unauflösbarer Elternschaft löst der Gesetzgeber in besonderen Ausnahmefällen dem Gesetzeswortlaut nach zugunsten des Kindes, indem er vorübergehend verbietet, eine Ehe trotz ihres Scheiterns zu scheiden, wenn und solange ihr Aufrechterhalten im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist. Zwar nutzt es den Interessen der minderjährigen Kinder in der Regel nicht, eine zumindest einseitig (in der Person des scheidungswilligen Ehegatten) gescheiterte Ehe, in der die Eltern zumeist schon ein Jahr oder länger getrennt leben, aufrechtzuerhalten. 201 Durch die Härteklausel des § 1568 Abs. 1, 1. Alt. BGB kann die Scheidung zum Schutz des Kindes aber zeitweise versagt werden, wenn dies das einzige Mittel ist, um das besondere Interesse des betroffenen Kindes zu sichern.202 Bei der von Amts wegen durchzuführenden Abwägung sind nur Nachteile zu berücksichtigen, die gerade und allein durch die Scheidung der gescheiterten Ehe für die Kinder entstehen. Die mit der Trennung der Eltern bei den Kindern üblicherweise eintretenden psychologischen und wirtschaftlichen Belastungen rechtfertigen das zeitweilige Aufrechterhalten der Ehe nicht.203 § 1568 BGB umfasst also nur die Umstände, die infolge der Scheidung zu den trennungsbedingten Nachteilen noch hinzutreten, und schränkt diese noch ein, indem er besondere Umstände fordert. Entwicklungen, die typischerweise mit der Elternscheidung verbunden sind, können deshalb die Scheidung nicht hindern.204 Es müssen besondere Gründe vorliegen, beispielsweise, wenn ein auf einen Elternteil besonders fixiertes Kind durch die Scheidung zum jetzigen Zeitpunkt in eine krankhafte Identitätskrise geraten würde205 oder wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Kind sich das Leben nehmen wird.206 Die Kinderschutzklausel spielt in der Praxis nur bei streitiger, in der Regel nicht bei einverständlicher Scheidung eine Rolle.207 Sie kann die Scheidung einer Ehe immer nur vorübergehend verhindern.208 Aufgrund seines Wortlauts als absoluter Ausnahmefall hat § 1568 Abs. 1, Köln, FamRZ 1998, 827 (828). Kemper, Rainer, in Schulze, BGB, 2005, § 1568, Rn. 2. 203 Wolf, Alfred, Münchner Kommentar, § 1568, Rn. 22; Schlüter, Wilfried, BGB-Familienrecht, § 17 IV 1 Rn. 182. 204 Wolf, Alfred, Münchner Kommentar, § 1568 Rn. 22; Jaeger, Wolfgang, in Johannsen / Henrich, § 1568, Rn. 14. Graßhof, Karin, RGRK, § 1568 Rn. 9 und 27, bezweifelt, ob es nach der Einführung des gemeinsamen Sorgerechts der geschiedenen Eltern noch sinnvolle Anwendungsfälle des § 1568 Satz 1, 1. Alt. BGB geben kann, a.A. Schwab, Dieter, Handbuch des Scheidungsrechts, Teil II, Rn. 108, 109, 111. 205 Diederichsen, Uwe, Das Recht der Ehescheidung nach dem 1. EheRG (Scheidungsgründe), NJW 1977, 273 (278); Schlüter, Wilfried, BGB-Familienrecht, § 17 IV 1 Rn. 182. 206 OLG-Hamburg, FamRZ 1986, 469. 207 Obwohl sie für beide Fälle gilt, Wolf, Alfred, Münchner Kommentar, § 1566 Rn. 37 f.; Graßhof, Karin, RGRK, § 1566, Rn. 17; Rauscher, Thomas, Staudinger, § 1566, Rn. 70 ff.; Jaeger, Wolfgang, in Johannsen / Henrich, § 1568, Rn. 11. 208 Schlüter, Wilfried, BGB-Familienrecht, § 17 IV 1 Rn. 182. 201 202
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie
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1. Alt. BGB in der Praxis der Familiengerichte kaum Bedeutung.209 Weil der Kinderschutzklausel die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde liegt, dass in der Regel das Aufrechterhalten einer gescheiterten Ehe nicht im Interesse des Kindes liegt, bleibt ihre Anwendung auf atypische Fälle beschränkt. So macht es für die gesetzlichen Voraussetzungen einer Trennung und Scheidung der Ehegatten im Normalfall keinen Unterschied, ob auf dieser Grundlage eine Familie entstanden ist oder nicht. Die Familie wird geschieden und in zwei Teilfamilien aufgespalten, ohne die Interessen der Kinder zu berücksichtigen. Trotz der Kinderschutzklausel vollzieht sich die Ehescheidung deshalb, ohne die Interessen des Kindes zu berücksichtigen. b) Sorge- und Umgangsrechte Geschiedener Viele Eltern wollen auch nach einer Scheidung ihre Elternrechte wahrnehmen. Damit entsteht das Problem eines gemeinsamen Sorgerechts, das beiden Eltern grundsätzlich auch nach der Scheidung weiterhin zusteht,210 aber im Alltag nicht mehr gemeinsam ausgeübt werden kann. Die Einheit von Ehe und Familie wird mit der Scheidung durch zwei Teilfamilien, bestehend aus Mutter und Kind sowie Vater und Kind, ersetzt. Das Familienband schränkt die Freiheit der Eltern zur Trennung ein, im Kind bleiben die Ehegatten miteinander verbunden, das Kind erlebt seine Eltern aber nicht als Elterngemeinschaft. Der Gesetzgeber hält die elterliche Verantwortung unabhängig von einer Ehe aufrecht. Das Sorgerecht steht den Eltern grundsätzlich nach einer Scheidung gemeinsam zu, sie haben trotz ihrer inneren Trennung auf eine einvernehmliche Lösung für das Kind hinzuwirken (vgl. § 1687 BGB). Im Konfliktfall kann jeder Elternteil nach § 1671 BGB beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge allein überträgt, wenn der andere Elternteil dem zustimmt oder wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entsprechen. Auch bei einer Einigung der geschiedenen Ehegatten über das Sorgerecht bleibt der Konflikt nachwirkender, aber nicht gemeinsam erlebter Elternverantwortung bestehen. Wenn ein Ehepartner in beiderseitigem Einverständnis die Sorge für das Kind übernimmt, kann sich der andere der Verantwortung für das Kind nicht gänzlich entziehen. Nach § 1684 Abs. 1 BGB hat es einen Anspruch auf Umgang mit jedem Elternteil. Dieses Recht ist in seinem Persönlichkeitsrecht verankert, wonach jeder das Recht auf Begegnung mit Vater und Mutter hat. Deshalb sind die Eltern nach § 1684 BGB gesetzlich zum Umgang mit ihrem Kind berechtigt und 209 Diederichsen, Uwe, Die Reaktion des Privatrechts auf den Wandel von Lebensmustern S. 105, Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB, § 1568 Rn. 4. 210 Vgl. zur Verfassungswidrigkeit der alten Rechtslage, wonach gemäß § 1671 Abs. 4 Satz 1 BGB ein gemeinsames Sorgerecht geschiedener Ehegatten ausgeschlossen war BVerfGE 61, 358 ff. – gemeinsames Sorgerecht.
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verpflichtet.211 Die Begegnung mit dem Kind ist auf die Hilfe des sorgeberechtigten Elternteils angewiesen. Auch hier müssen die geschiedenen Ehegatten Verbindung zueinander aufnehmen, obwohl sie diese in rechtlicher Weise abgebrochen haben. So kann die Scheidung der Ehe beim Vorhandensein von Kindern nicht gänzlich vollzogen werden.
c) Nachehelicher Unterhaltsanspruch wegen Betreuung der Kinder aa) Durchbrechung des Prinzips der Eigenverantwortung Dass die Scheidung von verheirateten Eltern nicht gänzlich vollzogen werden kann, zeigt sich auch im Unterhaltsrecht, das die Einheit von Ehe und Familie über eine Scheidung hinaus in veränderter Form bestehen lässt. Der geschiedene Ehegatte erhält nach § 1570 BGB nachehelichen Unterhalt, solange und soweit er wegen der Pflege und Erziehung eines gemeinsamen Kindes daran gehindert ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.212 Die in einer Familie bestehende Pflicht zum Unterhalt (Familienunterhalt nach § 1360 BGB) setzt sich so nach einer Scheidung fort und behält unterhaltsrechtlich die Einheit von Ehe und Familie so lange und insoweit bei, als die Kinder der elterlichen Betreuung bedürfen. Mit der größer werdenden Selbständigkeit des Kindes wächst auch die Eigenverantwortung des Ehegatten, sich selbst zu unterhalten. Betreuungsbedürftige Kinder sind so Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch des Ehegatten, der sich nach einer Scheidung grundsätzlich selbst unterhalten muss.213 In der Teilfamilie zwischen Kindern und dem betreuenden Elternteil werden der geschiedene Ehegatte und die Kinder gleichermaßen unterhalten. So bleiben die Unterhaltspflichten für den Ehegatten auch nach einer Scheidung in veränderter Form bestehen, solange die Elternverantwortung in der Familie in der Pflege und der Erziehung der Kinder nachwirkt. Die Familie verbindet die geschiedenen Ehegatten, alltägliche Abstimmungsschwierigkeiten sind meist nicht zu vermeiden.
211 Der Umgang zwischen dem nicht sorgeberechtigten Elternteil und dem Kind ist für beide ein persönliches Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Diese Tatsache findet ihren Ausdruck auch im Sozialhilferecht. So zählen die hieraus erwachsenden Kosten zum notwendigen Lebensunterhalt des Elternteils (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG NJW 1995, 1341 (1343) – Einkommensanrechnung der Ehegatten; BVerwG FEVS 46, 89 (92); OVG NRW FEVS 41, 345) und des Kindes (OVG NRW, ZFSH / SGB 2003, 538 (538)), die deshalb von der Sozialhilfe übernommen werden. 212 Anders als beim Unterhalt getrennt lebender Ehegatten begründet die Pflege und Erziehung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes den Unterhalttatbestand des § 1570 BGB nicht, vgl. BGH NJW 1984, 1538. In diesen Fällen kommt jedoch ein Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen nach § 1576 BGB in Betracht, vgl. Schlüter, Wilfried, BGB-Familienrecht, § 18 II 1 Rn. 191. 213 Vgl. rechtsvergleichend zum Prinzip der Eigenverantwortlichkeit: Schwenzer, Ingeborg, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 39 (42 f.).
B. Gesetzliche Regelungen im Spannungsfeld zwischen Ehe und Familie
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bb) Kein Unterhaltsausschluss nach § 1579 BGB Diese Verklammerung der geschiedenen Ehegatten durch das Kind zeigt sich auch in § 1579 BGB. Elternverantwortung und Kindeswohl erlauben danach keinen völligen Ausschluss des Unterhaltsanspruchs des bedürftigen Ehegatten nach § 1579 BGB auch bei einem schweren ehelichen Fehlverhalten des Elternteils, der das Kind betreut. Das Kindeswohl fordert ein Obhutsverhältnis, in dem das Kind auch nach der Trennung seiner Eltern einen Ansprechpartner findet, der hinreichend Zeit hat, auf seine Fragen, Wünsche und Anliegen einzugehen. Eine solche Obhut setzt voraus, dass der Elternteil, der das Kind betreut, durch seinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem früheren Ehegatten von einer Erwerbstätigkeit freigestellt wird. Wegen des Kindes sichert dieser Unterhaltsanspruch die Elternverantwortung auch bei einem schweren Verschulden gegenüber dem anderen Ehegatten oder bei einer besonders kurzen Dauer der Ehe. In Härtefällen kann er aber auf das zur Kinderbetreuung erforderliche Maß reduziert werden, weil nur insoweit die Unterhaltsleistungen im Anspruch des Kindes auf Pflege und Erziehung durch einen Elternteil gerechtfertigt sind.214 So setzt sich in der Unterhaltsverpflichtung nicht nur die nicht mehr gewollte eheliche Gemeinschaft fort, sondern sie geht wegen der Kindererziehung über die gewöhnliche Pflicht zum ehelichen Unterhalt hinaus. Die Elternpflicht in der Familie wirkt sich so auf die Ehe als Unterhaltsgemeinschaft aus.
cc) Wiederaufleben eines Unterhaltsanspruchs Der Betreuungsunterhaltsanspruch wird im Interesse der gemeinsamen Kinder, die nach der Scheidung besonders auf den betreuenden Elternteil angewiesen sind, vom Gesetzgeber in mehrfacher Hinsicht privilegiert. Der Unterhaltsberechtigte hat nach § 1577 BGB keinen Unterhaltsanspruch, solange und soweit er sich selbst unterhalten kann. War zum Zeitpunkt der Ehescheidung zu erwarten, dass der Unterhalt des Berechtigten aus seinem Vermögen nachhaltig gesichert sein würde, fällt das Vermögen aber später weg, so besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Unterhalt (§ 1577 Abs. 4 Satz 1 BGB). Nach § 1577 Abs. 4 Satz 2 BGB gilt dies aber nicht, wenn im Zeitpunkt des Vermögenswegfalls von dem Ehegatten wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Eine parallele Regelung enthält § 1586a Abs. 1 BGB, der den Unterhaltsanspruch wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder wieder aufleben lässt, wenn er vorher aufgrund einer erneuten Heirat weggefallen und später diese neue Ehe wieder aufgelöst worden ist.
214 BVerfGE 80, 286 (295) – Ausschluss des Unterhaltsanspruchs; BVerfGE 57, 361 (388) – Erstes Eherechtsreformgesetz, Schlüter, Wilfried, BGB-Familienrecht, § 18 VI Rn. 220; Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 6, Rn. 235.
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dd) Konkurrenz zwischen Ehegatte und Kind als Unterhaltsgläubiger Ein Konflikt zwischen den unterhaltsberechtigten Kindern und Ehepartnern entsteht bei unzulänglicher Zahlungskraft des Unterhaltsschuldners: Sowohl innerhalb von Ehe und Familie als auch nach einer Scheidung und bei Getrenntleben eines Paares mit Kindern konkurrieren im Mangelfall die Unterhaltsansprüche des Partners mit dem Unterhalt der Kinder. Nach § 1609 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Unterhalt gegenüber Ehegatten, nicht verheirateten, minderjährigen Kindern und Kindern unter 21 Jahren, die noch im Elternhaus wohnen und zur Schule gehen, vorrangig gegenüber dem Unterhalt von anderen volljährigen Kindern vom Unterhaltsschuldner zu erfüllen. Der Ehegatte steht damit mit den minderjährigen Kindern auf gleicher Stufe. Sobald zu wenig Geld vorhanden ist, müssen beide Ansprüche gekürzt werden, allerdings kann ein Vorwegabzug des Kindesunterhalts vor Ermittlung den Ehegattenunterhalts dem Bundesgerichtshof zufolge zulässig sein, solange es nicht zu einem Missverhältnis zwischen Ehegatten- und Kindesunterhalt215 und zu einem wechselseitigen Bedarf aller Beteiligten führen würde.216 So setzt sich die ursprünglich bestehende Einheit von Ehe und Familie nach der Scheidung fort, wenn das für den Unterhalt der Familie verfügbare Einkommen des Unterhaltsschuldners zur Deckung des Unterhaltsbedarfs aller Berechtigten nicht ausreicht.
2. Negative Eheschließungsfreiheit und Elternverantwortung für das Kind Ein Kind hat ein natürliches Verlangen nach einem Leben mit Vater und Mutter. Wenn seine Eltern allerdings von ihrer negativen Familienfreiheit Gebrauch machen, nicht heiraten und miteinander keine Beziehung eingehen wollen, kann dieser Wunsch des Kindes nur schwer erfüllt werden. Zwar ist die Bindung jedes Elternteils zum Kind nicht disponibel. Zudem bleiben die Eltern über das Kind jedenfalls bis zu dessen Selbstständigkeit verbunden. Doch wird die tatsächliche Lebensgemeinschaft der Familie in der Regel ausgeschlossen, zumindest ist dem Kind eine rechtliche Absicherung auf ein gemeinsames Leben mit Vater und Mutter verwehrt. In dieser Konfliktsituation steht in den gesetzlichen Regelungen das Kindeswohl im Vordergrund.
a) Sorge- und Umgangsrechte für den Vater eines nichtehelichen Kindes Im Gegensatz zu verheirateten Paaren erhalten Eltern, die bei der Geburt ihres Kindes nicht miteinander verheiratet sind, nicht kraft Gesetzes die gemeinsame 215 216
BGH NJW 1997, 1919 f.; NJW 2000, 3140 f. BGH NJW 1999, 717; Brudermüller, Gerd, in Palandt, BGB, § 1581, Rn. 23, 26.
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elterliche Sorge. Das Sorgerecht wird ihnen nach § 1626a Abs. 1 BGB nur gemeinsam übertragen, wenn sie heiraten oder wenn sie beide öffentlich beurkundete Erklärungen über die gemeinsame Sorge abgeben. Ohne diese Erklärungen bleibt das Sorgerecht bei der Mutter (§ 1626a Abs. 2 BGB).217 Der mit der Mutter nicht verheiratete Vater kann auch nach jahrelangem Zusammenleben mit der Mutter gegen deren Willen das gemeinsame oder auch sein alleiniges Sorgerecht nicht erreichen. Er wird auf ein Umgangsrecht verwiesen.218 So kann die freie und von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Entscheidung der Eltern, nicht zu heiraten, für den Vater gleichzeitig zu einer Entscheidung gegen die familiäre Bindung zu seinem Kind führen. Ohne die Mutter kann er keine Entscheidungen für sein Kind treffen. Um das gemeinsame oder das alleinige väterliche Sorgerecht für das Kind zu erhalten, ist eine übereinstimmende öffentliche Erklärung der Eltern notwendig. Im Sorgerecht gehören die Partnerschaft der Eltern und die familiäre Beziehung zum Kind zusammen, eine Bindung zwischen Vater und Kind kann ohne die Mitwirkung der Mutter nach § 1626a BGB kaum entstehen. Negative Eheschließungsfreiheit und Sorgerecht des Vaters für sein Kind als Ausdruck des Schutzes der Familie schließen sich gegenseitig aus.
b) Unterhaltsansprüche der nicht verheirateten Mutter Für die Mutter wirkt sich die Entscheidung, den Vater des Kindes nicht zu heiraten, im Unterhaltsrecht negativ aus. Im Gegensatz zu (geschiedenen) Ehegatten ist ihr Unterhaltsanspruch gegenüber dem des Kindes nach § 1615 l Abs. 3 BGB nachrangig, bei ledigen Alleinerziehenden wird dem Kindesunterhalt demnach immer der Vorrang eingeräumt, weil zwischen den Eltern des Kindes keine rechtliche Einheit besteht. Darüber hinaus wird der Unterhalt auch kürzer gezahlt. Ein Kind, dessen Eltern nicht miteinander verheiratet sind, soll in den ersten drei Lebensjahren verstärkt in den Genuss der persönlichen Betreuung durch die Mutter kommen.219 Deshalb darf der das Kind betreuende Elternteil im Normalfall drei Jahre lang nicht auf eine Fremdbetreuung verwiesen werden. Insoweit wurde § 1615 l Abs. 2 BGB den Anspruchsvoraussetzungen an den nachehelichen Unterhalt des § 1570 BGB angeglichen.220 Allerdings muss die ledige und allein erziehende Mutter danach wieder selbst für ihren Unterhalt aufkommen. Beim nachehelichen Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes nach § 1570 BGB hingegen wird eine Erwerbstätigkeit in Teilzeit nach der Rechtsprechung in der Regel erst dann zuge217 Vgl. zur alten Rechtslage, nach der der Mutter des unehelichen Kindes nur die Personensorge zugestanden hat, die Vertretung des Kindes aber von einem Vormund übernommen wurde (§ 1707 BGB a. F.): BVerfGE 56, 363 (385 f.) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. 218 Vgl. hierzu Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB, § 1626a, Rn. 11 f. 219 BT-Drucks. 13 / 1850 S. 24 220 Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB, § 1615 l Rn. 10.
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mutet, wenn das Kind acht Jahre alt ist und die zweite Klasse beendet hat, wobei es hier immer auf die Gesamtumstände des Einzelfalles ankommt221 und deshalb keine schematische Lösung gefunden werden kann. So entscheidet sich die Mutter gegen eine Ehe mit dem Kindesvater gleichzeitig auch gegen eine größere finanzielle Absicherung für sich und ihr Kind. Nach dem neuesten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007221a verstößt diese unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche aus § 1615l BGB und § 1570 BGB gegen Art. 6 Abs. 5 GG. Der Gesetzgeber ist deshalb beauftragt, bis zum 31. Dezember 2008 eine verfassungsmäßige Neuregelung zu treffen.221b 3. Die Stieffamilie a) Konkurrenzen zwischen der rechtlichen und biologischen Familie aa) Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes der Mutter und Anfechtungsrecht des biologischen Vaters Ein Kind, das in eine Ehe hineingeboren wird, wird vom Gesetz abstammungsrechtlich dem Ehemann der Mutter zugeordnet (§ 1592 Nr. 1 BGB). Diese heiratsinduzierte Vaterschaft bleibt in Form einer gesetzlichen Vaterschaftsvermutung auch in einem möglichen Vaterschaftsanfechtungsprozess nach § 1600c BGB und auch dann noch bestehen, wenn die Ehe durch Tod, Scheidung oder Eheaufhebung gelöst wird. Sie gilt ebenso, wenn das Kind erst nach der Trennung, aber in gehörigem zeitlichem Abstand vom Trennungsereignis geboren wird. Falls die Mutter allerdings unmittelbar wieder heiratet, spricht mehr für die Vaterschaft des neuen Ehemannes, der dann nach der gesetzlichen Vermutung Vater wird (vgl. § 1593 BGB). Die Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes der Mutter kann erst durch den genetischen Nachweis der Nichtabstammung widerlegt werden. Gesetzlicher Vater wird ein Ehemann also auch dann, wenn es offensichtlich unmöglich ist, dass die Frau ihr Kind von ihm empfangen hat.222 Für den biologischen Vater bleibt allein ein Anfechtungsprozess gemäß den §§ 1599 ff. BGB und ein sich daran anschließender Vaterschaftsprozess nach § 1600d BGB, in dem der genetische Nachweis seiner Vaterschaft geführt werden muss. Schon im Anfechtungsprozess ist er allerdings nur dann zur Anfechtung berechtigt, wenn er eidesstattlich versichert, dass er der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt hat, wenn zwischen dem Kind und seinem jetzigen rechtlichen Vater keine sozialfamiliäre Beziehung besteht und wenn der Anfechtende der leibliche Vater des Vgl. hierzu ausführlich: Schlüter, Wilfried, BGB-Familienrecht, § 18 II 1 Rn. 192. 1 BvL 9/04, NJW 2007, 1735 ff. – Dauer der Betreuungsunterhalts. 221b Vgl. hierzu den verfassungsgemäßen Vorschlag im 4. Teil, B. II. 3., nach dem der Unterhaltsanspruch wegen Kinderbetreuung nicht an die Betreuungsperson, sondern an das Kind geknüpft werden sollte. 222 Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB, § 1592, Rn. 3. 221
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Kindes ist (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BGB). Eine sozial-familiäre Beziehung wird gemäß § 1600 Abs. 3 BGB widerlegbar vermutet, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.223 Problematisch für den biologischen Vater ist daneben der Beweis seiner leiblichen Vaterschaft vor dem Familiengericht. Den Nachweis kann er dem Bundesgerichtshof zufolge nicht durch eine heimlich entnommene Haar- oder Speichelprobe des Kindes erbringen. Ohne die Zustimmung der Mutter kann eine solche Probe nicht als Grundlage einer DNAAnalyse zum Beweis in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren dienen, es besteht ein Verwertungsverbot.224 So ist der Vater auch hier auf die Mitwirkung der Mutter seines Kindes angewiesen. In diesen Regelungen wird der Ehe und der Familiengemeinschaft zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind der Vorrang gegenüber der biologischen Familie eingeräumt. bb) Anspruch des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung In den am 01. 07. 1998 in Kraft getretenen Reformen des Kindschaftsrechts wurde das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung gestärkt, indem ihm in § 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB eine eigene Befugnis zur Anfechtung der bestehenden Vaterschaft eingeräumt wurde. Das Kind kann danach ohne weitere Einschränkung Klage erheben, nach Erlangen seiner Volljährigkeit läuft die zweijährige, kenntnisabhängige Anfechtungsfrist neu (§ 1600b Abs. 3 BGB).225 In diesem Verfahren wird die Abstammung soweit wie möglich geklärt. Zur Vorbereitung eines solchen Prozesses benötigt es allerdings Informationen von seiner Mutter. Um diese zu erlangen, ist ein Verfahren notwendig, in dem das Kind Auskunft über die Person seines Vaters oder der als Vater in Betracht kommenden Männer verlangen kann.226 Ein Interesse an einem solchen Verfahren, in dem die Abstammung von einem bestimmten Mann mit Wirkung auch gegenüber Dritten klargestellt wird, kann auch ein nichteheliches Kind haben, das keinem Vater rechtlich zugeordnet ist, weil es sich Klarheit über seine Herkunft verschaffen und dadurch seine Stellung in der Gesellschaft verbessern will.227 Die Möglichkeit eines solchen Auskunftsanspruchs wird von den Gerichten weitgehend bejaht,228 als Rechtsgrund223 Vgl. zur Verfassungswidrigkeit der alten Rechtslage, nach der der biologische Vater vom Recht der Anfechtung ausgeschlossen war: BVerfGE 108, 82 ff. – biologischer Vater. 224 BGH NJW 2005, 497 ff. = FamRZ 2005, 340 ff. 225 Nach der früheren gesetzlichen Regelung der §§ 1593, 1596, 1598 BGB konnte ein Kind seine Abstammung vom Vater erst dann gerichtlich klären (§ 1600a BGB), wenn die Nichtehelichkeit festgestellt worden war. Das Recht zu dieser Feststellung stand dem Kind aber nur zu, wenn die Ehe der Mutter geschieden war oder sie mit ihrem Ehegatten in Trennung lebte. Grund dieser Regelungen war der Schutz der Ehe und des Familienfriedens der sozialen Familie zwischen Kind, Mutter und Ehemann der Mutter, vgl. hierzu BVerfGE 79, 256 ff. – Kenntnis der eigenen Abstammung. 226 Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 493. 227 Vgl. hierzu schon BVerfGE 8, 210 (215) – Vaterschaft.
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lage werden Treu und Glauben gemäß § 242 BGB oder die gegenseitige Beistandspflicht zwischen Eltern und Kindern nach § 1618a BGB herangezogen. Dabei müssen das Grundrecht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre nach Art. 2 Abs. 1 GG mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG in einen schonenden Ausgleich gebracht werden. Bei dieser Abwägung steht den Gerichten ein weiter Gestaltungsraum zur Verfügung. Die Position der Mutter ist relativ schwach, weil sie durch Vorenthalten der Informationen eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Begegnung zwischen Vater und Kind verhindert. Ist die Mutter allerdings mit einem anderen Mann verheiratet, in deren Familie das Kind aufwächst, muss der Schutz dieser neuen Ehe und Familie in die Abwägung mit einfließen. Dann treten die Familie des Kindes mit seinem leiblichen Vater in Konkurrenz zur Ehe der Mutter und der sozialen ehelichen Familie. b) Rechtliche Stärkung der Stieffamilie Wenn ein Elternpaar sich trennt und der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, anderweitig heiratet, entwickeln sich in der Regel auch Bindungen zum neuen Partner dieses Elternteils. Diese Bindungen in der Stieffamilie werden vom Gesetz geschützt, können das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil aber stark belasten. Das Recht muss hier einerseits das Verhältnis des Kindes zu dem nicht betreuenden Elternteil erhalten, andererseits aber auch das faktische Kind-Eltern-Verhältnis zum Stiefelternteil vor schädlichen Störungen bewahren.229 aa) Gerichtliche Bleibeanordnung nach § 1682 BGB Lebt das Kind seit längerer Zeit mit einem Elternteil und dessen Ehegatten als Stieffamilie zusammen und steht dem anderen Elternteil wegen des Todes, des Entzugs des Sorgerechts, einer tatsächlichen Verhinderung oder des Ruhens des Sorgerechts des bis jetzt betreuenden Elternteils (§§ 1678, 1680, 1681 BGB) das Sorgerecht oder zumindest die Aufenthaltsbestimmung alleine zu, kann das Familiengericht anordnen, dass das Kind beim Ehegatten verbleibt, auch wenn der nun sorgeberechtigte Elternteil das Kind aus der Stieffamilie wegnehmen will. Der Ehegatte erhält dann kraft Gesetzes Entscheidungsbefugnis und Vertretungsmacht in Angelegenheiten des täglichen Lebens und weiteren Angelegenheiten (s. § 1688 Abs. 4 und 1 BGB). Allerdings ist diese Anordnung nur solange möglich, solange eine Wegnahme das Kindeswohl gefährden würde.230 Das Gesetz entscheidet sich 228 OLG Stuttgart FamRZ 1993, 733; LG Passau FamRZ 1988, 144; zurückhaltend AG Rastatt FamRZ 1996, 1299; vgl. auch Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 492 ff. 229 So Schwab, Dieter, Familienrecht, 2003, Rn. 600. 230 Gleiches gilt auch zugunsten einer Beziehung zwischen dem Kind und dem eingetragenen Lebenspartner oder einer nach § 1685 BGB umgangsberechtigten volljährigen Person (Großeltern, Geschwister nach § 1682 Satz 2 BGB), vgl. Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 601 ff.
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hier für den Schutz der ehebasierten Stieffamilie und greift damit in das Elternrecht ein, weil dem dann sorgeberechtigten Elternteil die Pflege und Erziehung des Kindes verwehrt wird. bb) Mitsorgerecht des Ehegatten des allein sorgeberechtigten Elternteils Gemäß § 1687 b BGB, der durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften (Lebenspartnerschaften) vom 22. 2. 2001 in das Familienrecht aufgenommen wurde, hat der mit dem allein sorgeberechtigten Elternteil zusammenlebende Ehegatte ein begrenztes Mitsorgerecht. Im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil hat der Ehegatte die Befugnis zur Mitentscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes (§ 1687 b Abs. 1 BGB). Darüber hinaus ist er ohne Einvernehmen mit dem Sorgeberechtigten bei Gefahr im Verzug befugt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind, wobei der sorgeberechtigte Elternteil von diesen Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten ist (§ 1687 b Abs. 2 BGB). Mit diesem Mitsorgerecht sind keine gesetzlichen Unterhaltspflichten verbunden. Der andere Elternteil muss nach § 1601 BGB weiterhin für den wirtschaftlichen Unterhalt des Kindes aufkommen, gleichzeitig bleibt ihm aber nur ein Umgangsrecht mit dem Kind. Das Mitsorgerecht für das Kind ist nicht durch Verwandtschaft mit dem Kind begründet, sondern leitet sich nur aus der Ehe des sorgeberechtigten Elternteils ab. Die Ehe und Stieffamilie wird durch familiäre Befugnisse für das Stiefkind gestärkt, die familiäre Beziehung zum anderen Elternteil dadurch belastet. cc) Konkurrenz der ersten und zweiten Familie im Unterhaltsrecht Die leiblichen Eltern sind verpflichtet, Kindern aus einer früheren Ehe die gleichen Rechte zukommen zu lassen, wie den Kindern einer aktuellen ehelichen Gemeinschaft. Das Gesetz macht hier keine Unterschiede, so dass Sorgerecht und Unterhaltspflichten für alle leiblichen Kinder gleich ausgestaltet sind. Allerdings besitzt nach einer Scheidung der das gemeinsame Kind betreuende Elternteil bei unzureichender Zahlungskraft einen Unterhaltsvorrang vor dem zweiten Ehegatten oder neuen Partner des Unterhaltsschuldners nach § 1582 BGB. Nur der geschiedene Ehegatte steht mit den minderjährigen Kindern auf gleicher Stufe.231 Die alte, nicht mehr bestehende Ehe behauptet ihren Vorrang also auch dann, wenn sie mit der neuen Ehe in Bezug auf die Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit von Kindern völlig gleichsteht.232 Hierin liegt eine gewisse faktische Bevorzugung der Kinder 231 Diese Regelung erfolgt durch eine einschränkende Auslegung des § 1609 Abs. 2 Satz 1 BGB, die der BGH seit 1988 vornimmt, vgl. BGHZ 104, 158 = NJW 1988, 1722. Danach nimmt nur der geschiedene Ehegatte den gleichen Rang mit den Kindern ein, vgl. die Darstellung bei: Peschel-Gutzeit, Lore Maria, FPR 2002, 169 (171).
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aus der geschiedenen Ehe, weil der Ehegattenunterhalt auch dem Kind mittelbar zugute kommt.
III. Entlastung von Alleinerziehenden und Benachteiligung der ehebasierten Familie Kinder brauchen in ihrer Entwicklung Zeit, Zuwendung und Förderung von ihren Eltern. Gleichzeitig benötigt eine Familie eine sichere finanzielle Grundlage. Vater und Mutter können sich die Aufgaben der Kindererziehung und des Erwerbs des Lebensunterhalts untereinander aufteilen und sich gegenseitig entlasten. Ein Kind alleine groß zu ziehen, erfordert demgegenüber einen erhöhten zeitlichen und finanziellen Aufwand, der die Alleinerziehenden, in der Regel die Mütter, oft überfordert. Für ein gutes soziales Umfeld müssen Kontakte zudem intensiver und aufwendiger gepflegt werden. Daneben kann gelegentlich bei Kindern, die allein mit einem Elternteil aufwachsen, auch ein erhöhter Bedarf an Unterhaltung und Spielzeug bestehen, weil sie nur einen dauerhaften Ansprechpartner zur Verfügung haben.233 Der Gesetzgeber hat auf diese besondere Situation von Alleinerziehenden reagiert und Sonderregelungen geschaffen, die diesen Mehrbedarf ausgleichen und die Alleinerziehende entlasten. Gleichzeitig werden im bedarfsorientierten Fürsorgerecht Wirtschaftsgemeinschaften gebildet, in denen die Einkommen von Ehegatten und unter bestimmten Voraussetzungen auch die des nichtehelichen Lebenspartners angerechnet werden. Diese Regelungen schaffen Anreize, zumindest offiziell als Alleinerziehende zu gelten und seinen Lebenspartner nicht zu heiraten, um die staatliche Hilfe nicht zu verlieren. Eine solche indirekte Förderung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften verhindert Eheschließungen und benachteiligt ehebasierte Familien. 1. Sonderregelungen für Alleinerziehende a) Sozialhilferechtlicher Mehrbedarf für Alleinerziehende Um finanzielle Nachteile auszugleichen, gewährt § 30 Abs. 3 SGB XII (früher § 23 Abs. 2 BSHG) dem allein erziehenden Hilfesuchenden in der Sozialhilfe zusätzlich zur laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt einen Mehrbedarf zwischen zwölf und 60 Prozent des Eckregelsatzes, je nachdem, wie viele Kinder betreut werden und wie alt diese sind. Parallel zu dieser Regelung wird der Bedarf des Lebensunterhalts der Kinder von Alleinerziehenden nach den Sozialhilferichtlinien in Bayern etwas höher angesetzt als der von Kindern von Ehepaaren. Auch wenn 232 BVerfGE 66, 84 (94 ff.) – Unterhalt III, Kritik bei: Peschel-Gutzeit, Lore Maria, FPR 2002, 169 (171). 233 Schellhorn, Walter / Schellhorn, Helmut, BSHG, § 23 Rn. 23.
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die Kinder von einem Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mitbetreut werden, bleibt der Mehrbedarf rechtlich bestehen, weil den allein erziehenden Personen die erzieherische Verantwortung für das Kind obliegt und deshalb eine Vermutung dafür spricht, dass sie diese auch tatsächlich allein erfüllen.234 So wird in dieser Regelung davon ausgegangen, dass der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, der nicht Vater oder Mutter des Kindes ist, nicht an der Erziehung beteiligt ist. Deshalb können die Partner durch § 20 SGB XII als Einsatzgemeinschaft behandelt werden235 und einer von beiden dennoch den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 3 SGB XII wegen der Erziehung seines Kindes fordern. Eheleute hingegen, bei denen ein Partner im Alltag allein für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt, weil der andere tagsüber einer Arbeit nachgeht, können keinen Mehrbedarf geltend machen,236 es können aber ebenfalls Mehrkosten entstehen. Die finanzielle Unterstützung von Alleinerziehenden kann dazu führen, dass Paare mit Kindern nicht heiraten, um sich diesen finanziellen Vorteil zu sichern. Verheiratete Paare mit Kindern werden gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften hier benachteiligt.
b) Steuerlicher Entlastungsbetrag nach § 24 b EStG Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende gemäß § 32 Abs. 7 EStG a.F. als Benachteiligung gegenüber Kinder betreuenden Ehegatten qualifiziert und damit als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG gewertet hatte,237 wurde stattdessen § 24 b EStG vom Gesetzgeber mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2004 neu eingefügt, um „die regelmäßig höheren Lebensführungskosten von echten Alleinerziehenden, die einen gemeinsamen Haushalt mit nur ihren Kindern führen, gegenüber anderen Erziehenden“ auszugleichen.238 Der Entlastungsbetrag in Höhe von 1308 Euro im Kalenderjahr ist von der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG abzuziehen; er reagiert als Fiskalzwecknorm auf die laufende Minderung der Leistungsfähigkeit von Alleinerziehenden,239 er gilt aber nicht für nichteheliche Lebens- und Erziehungsgemein234 So zur parallelen Regelung des § 23 BSHG: Hofmann, Albert, in LPK-BSHG, § 23, Rn. 24. 235 Vgl. hierzu im Folgenden unter 2. a). 236 Schellhorn, Walter / Schellhorn, Helmut, BSHG, § 23 Rn. 21 u. 23. 237 BVerfGE 99, 216 ff. – Kinderbetreuungskosten = BStBl. II 99, 182. 238 BT-Drucks. 15 / 1751, S. 6 (unter B. Einzelbegründung zu Art. 7 und 8 Nr. 5a), vgl. auch. BR-Drucks. 652 / 1 / 03, 10 (Nr. 41). 239 A. A. Seiler, Christian, EStG KompaktKommentar, 5. Auflage, § 24 b Rn. 1 und ebenso in der 4. Auflage: Jachmann, Monika, ebenda, die § 24 b EStG als Sozialzwecknorm qualifizieren, weil die Einkommensteuer den Mindererwerb von Alleinerziehenden unberücksichtigt lässt. Dagegen spricht aber, dass ein steuerlicher Entlastungsbetrag kaum geeignet ist, Alleinerziehende zu entlasten. Unter dem geltenden progressiven Tarif kommt § 24 b EStG denjenigen am meisten zu Gute, die die Entlastung nach dem Sozialzweck am wenigsten
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schaften, in denen eine weitere Person im Haushalt vorhanden ist, die sich an der Haushaltsführung beteiligt.240 Eine solche Haushaltsgemeinschaft wird gemäß § 24 b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG dann widerlegbar vermutet, wenn die andere Person mit einem Haupt- oder Nebenwohnsitz in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet ist. Der Gesetzgeber versucht, mit dieser Regelung nur echte Alleinerziehende zu entlasten. Weil der Wohnsitz mit dem tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt eines Partners nicht übereinstimmen muss, wird das Problem der Benachteiligung von Ehegatten nur entschärft, nicht aber vollständig beseitigt. c) Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt Unabhängig von einem Antrag auf Beistand hat das Jugendamt bei der Geburt eines nichtehelichen Kindes der Mutter Beratung und Unterstützung anzubieten (§ 52 a Abs. 1 SGB VIII). Es muss der allein erziehenden Mutter ein persönliches Gespräch vorschlagen und dabei unter anderem auf die Möglichkeit hinweisen, dass sie Beistandschaft für bestimmte Angelegenheiten wie die Feststellung der Vaterschaft und die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen (§ 1712 Abs. 1 BGB) beantragen kann (§ 52 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, Satz 3 und 4 SGB VIII). Erscheint das Kindeswohl gefährdet, weil die Mutter eine notwendige Hilfe nicht in Anspruch nimmt, muss das Jugendamt das Familiengericht einschalten, damit dieses nach § 50 Abs. 3 SGB VIII in Verbindung mit § 1666 BGB notwendige Maßnahmen ergreifen kann. Ehegatten hingegen können nur durch eigene Initiative Unterstützung vom Jugendamt erhalten. 2. Einkommensanrechnung in Wirtschaftsgemeinschaften in der Sozialhilfe Gemäß § 1 SGB XII ist es Aufgabe der Sozialhilfe, den Hilfesuchenden ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Sobald eine Notlage besteht, die weder durch den Hilfesuchenden selbst noch durch einen anderen beseitigt werden kann, greift die öffentliche Sozialhilfe ein. Diese Grundsätze der Bedarfsdeckung nach § 1 SGB XII (früher § 1 BSHG) und des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII (früher § 2 BSHG) finden in den Regelungen der Einsatzgemeinschaft von Eheleuten und ihren minderjährigen Kindern und der Hausgemeinschaft ihren Widerklang. §§ 19 Abs. 1 und § 36 SGB XII (früher § 11 Abs. 1 und 16 BSHG) tragen der Erfahrung Rechnung, dass Personen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, in der Regel „aus einem Topf“ wirtschaften. Deshalb ist es für die Prüfung nötig haben, vgl. Ross, Hartmut, DStZ 2004, 437 (Fn. 16), Proff, Maximilian Freiherr von, DStR 45 (2004), 1904 (1905). 240 Im Gegensatz dazu wurde der für verfassungswidrig erklärte Haushaltsfreibetrag nach § 32 Abs. 7 EStG a. F. auch nichtehelichen Erziehungsgemeinschaften gewährt und benachteiligte dadurch die eheliche Erziehungsgemeinschaft, vgl. hierzu Jachmann, Monika, EStG KompaktKommentar, § 24b Rn. 1, 2 u. 6.
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des Vorhandenseins einer Notlage geboten, die Mittel zusammenzufassen, die den einzelnen Mitgliedern einer Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft zufließen.241 Allerdings sind unterschiedliche Regelungen für Ehegatten und die in ihrem Haushalt lebenden, minderjährigen und unverheirateten Kinder sowie für eheähnliche Gemeinschaften einerseits und für darüber hinausgehende Hausgemeinschaften andererseits getroffen worden, wobei zu diesen Gemeinschaften nicht nur gemeinsam lebende Verwandte, sondern auch die Gemeinschaften von volljährigen Kindern mit ihren Eltern sowie von Kindern und Stiefeltern gerechnet werden (§ 20 Satz 2 SGB XII). a) Einsatz- oder Hausgemeinschaft? Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bilden Eheleute und ihre gemeinsamen minderjährigen und bedürftigen Kinder eine Einsatz- oder Bedarfsgemeinschaft.242 Wenn einer der Partner oder Kinder um Sozialhilfe bittet, wird deshalb grundsätzlich das Einkommen und Vermögen des anderen Ehegatten und der Eltern berücksichtigt, soweit es ihren sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigt. Diese Einkommensanrechnung wird aus der gegenseitigen Unterhaltspflicht (vgl. §§ 1360, 1360a und b BGB) und aus der Vermutung abgeleitet, dass die Unterhaltspflicht unter nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten auch tatsächlich erfüllt wird.243 Die sozialhilferechtliche Grenze des einzusetzenden Einkommens ist dabei nicht der bürgerlich-rechtliche Selbstbehalt, sondern nur der eigene sozialhilferechtliche Bedarf.244 Nur insoweit besteht eine Notlage, jeder darüber hinausgehende Bedarf kann durch das Einkommen der Eltern und des anderen Ehegatten gedeckt werden. Zudem erhält nur ein Ehepartner den vollen Regelsatz eines Haushaltsvorstandes, der andere muss sich mit dem niedrigeren Satz eines Haushaltsangehörigen begnügen.245 Um die Ehe und die darauf gegründete Familie nicht zu benachteiligen, werden nichteheliche Lebensgemeinschaften nach § 20 SGB XII (früher § 122 BSHG) den Ehegatten gleichgestellt und ebenfalls als Einsatzgemeinschaft angesehen. Wohnen mit dem Paar gemeinsame minderjährige Kinder zusammen, gehören auch sie wie eheliche Kinder zur Einsatzgemeinschaft ihrer Eltern. Stammt das Kind nur von einem der Partner ab, bildet es nur mit diesem eine EinsatzgemeinBVerwG FEVS 21, 1; NDV 1993, 239; Schoch, Dietrich, LPK-BSHG, § 11 Rn. 10. Die frühere Terminologie der Bedarfsgemeinschaft wurde durch den Begriff der Einsatzgemeinschaft ersetzt. Minderjährige, nicht bedürftige Kinder gehören nach der alten Rechtslage nicht der Einsatzgemeinschaft an; ihnen verbleibt das Einkommen, soweit es auch volljährigen Kindern verbleibt. Deshalb bilden sie mir ihren Eltern eine Hausgemeinschaft nach § 36 SGB XII, vgl. hierzu Schoch, Dietrich, LPK-BSHG, § 11, Rn. 20. 243 BVerfGE 87, 234 (264) – Einkommensanrechnung. 244 So die h. M. nach der alten Rechtslage Schoch, Dietrich, LPK-BSHG, § 11, Rn. 10; OVG M-V, DVBl. 2000, 1217 ff., allerdings a.A. Münder, Johannes, LPK-BSHG; § 122, Rn. 15. 245 Vgl. hierzu Schellhorn, Walter / Schellhorn, Helmut, BSHG, § 122 Rn. 8. 241 242
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schaft.246 Formal wird dadurch eine Benachteiligung der Ehe verhindert. Für die Sozialhilfebehörden ist es in der Praxis aber sehr schwierig, das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft festzustellen, ohne zu weit in die Privatsphäre der Beteiligten einzudringen und das Persönlichkeitsrecht verletzende Nachforschungen anzustellen. In Anlehnung an den Begriff der Ehe liegt eine eheähnliche Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau nämlich erst dann vor, wenn ihre Beziehung über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und so eng ist, dass von den Partnern ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann, zwischen ihnen also die innere Bindung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft füreinander besteht.247 Dieses personelle Element kann von der Behörde nur anhand von äußeren Anhaltspunkten festgestellt werden. Zusätzlich muss der Partner wegen der Eheähnlichkeit als faktische Parallele zur ehelichen Unterhaltspflicht aus § 1360 BGB auf materieller Ebene eine tatsächliche finanzielle Unterstützung leisten.248 Im Gegensatz zur ehelichen Gemeinschaft, in der aufgrund der gesetzlichen Unterhaltspflicht vermutet wird, dass der Ehepartner und die gemeinsamen Kinder sich finanziell unterstützen, muss in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Nachweis des tatsächlichen Geldflusses bewiesen werden. Wird ein Ehegatte trotz der gesetzlichen Pflicht nicht unterhalten, wird dieser zunächst darauf verwiesen, den Unterhalt bei seinem Ehepartner einzuklagen, bevor er Sozialhilfe erhält. Nichteheliche Lebenspartner können sich mangels einer gesetzlichen Unterhaltspflicht hingegen einfach darauf berufen, dass sie tatsächlich kein Geld erhalten. Die beweispflichtige Behörde ist hier auf die Äußerungen der Hilfesuchenden angewiesen. Legt der leistungsfähige Partner glaubwürdig dar, dass er den bedürftigen Partner nur vorschussweise im Wege der Nothilfe anstelle des Sozialhilfeträgers unterstütze, fehlt es an der tatsächlichen Leistungserbringung und damit an der Eheähnlichkeit der Lebensgemeinschaft. 249 Aufgrund dieser Beweisschwierigkeiten werden viele nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht als Einsatzgemeinschaft, sondern nur als Hausgemeinschaft im Sinne des § 36 SGB XII behandelt. In der Hausgemeinschaft verbleibt dem vermögenden Partner Mit dem Partner seines Elternteils bildet es eine Hausgemeinschaft. Hierzu grundlegend in Aufgabe der alten Rechtsprechung BVerfGE 87, 234 (264 f.) – Einkommensanrechung und BVerwGE 98, 195 = FEVS 46, 1 (4), zusammenfassend: Tegethoff, Carsten, ZFSH / SGB November 2001, 643 ff. und Zöller, Thomas, ZfSH / SGB Juni 1996, 302 ff. 248 Münder, Johannes, LPK-BSHG, § 122 Rn. 8, ausführlich Münder, Johannes, ZfSH / SGB 1986, 198 ff. 249 Schellhorn, Walter / Schellhorn, Helmut, BSHG; § 122 Rn. 6; BVerwG NDV-RD 1996, 38; Münder, Johannes, LPK-BSHG; § 122 Rn. 12; kritisch zum Beweiswert von Erklärungen der Beteiligten mit dem Verweis, dass dadurch die Ehe beim faktischen Leistungsvollzug schlechter gestellt wird als nichteheliche Lebensgemeinschaften: VGH Baden-Württemberg, ZFSH / SGB August 1998, 471 (474) unter Berücksichtigung von BVerfGE 67, 186 (197) – Gemeinsame Arbeitslosenhilfe der Ehegatten; auf das Gesamtbild aller Hinweistatsachen stellt VGH München, FEVS 53 (2002), 550 ff. ab. Vgl. zur Problematik der Feststellungslast der Behörden Tegethoff, Carsten, ZFSH / SGB 11 / 2001, 643 (644 f.). 246 247
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deutlich mehr als dem Ehegatten in der Einsatzgemeinschaft, da gegen ihn kein rechtlicher Anspruch auf Zahlungen, sondern nur eine sittliche oder moralische Pflicht zur Unterstützung der anderen Mitglieder der Hausgemeinschaft besteht. Ihm muss deshalb ein Einkommen belassen werden, welches deutlich über dem Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt liegt.250 So stehen viele nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern trotz der Regelung des § 20 SGB XII tatsächlich besser als Kinder erziehende Ehegatten.251 b) Offiziell Alleinerziehende In der Konsequenz des Nachrangs der Sozialhilfe ergibt sich auch für Alleinerziehende ein unterschiedlicher Sozialhilfeanspruch im Gegensatz zu verheirateten Frauen oder Männern mit Kindern. Die Alleinerziehende erhält stets die volle Hilfe, da hier keine Person vorhanden ist, deren Einkommen und Vermögen angerechnet werden könnte. Allerdings nutzen mittellose, nicht verheiratete Paare dieses System oft aus und verweilen im offiziellen Status des Alleinerziehens und halten ihre Beziehung im Verborgenen, um Sozialhilfe zu erhalten. Durch die neue Regelung der Hausgemeinschaft des § 36 SGB XII ist dieses Problem entschärft. Da der Behörde aber Nachforschungen in der Privat- und Intimsphäre verwehrt sind, bleibt das Kernproblem erhalten.
IV. Benachteiligung von Kinder erziehenden im Vergleich zu kinderlosen Ehen In den umlagefinanzierten Versicherungssystemen werden Familien gegenüber Kinderlosen benachteiligt. Die Absicherung für Hinterbliebene im Rentensystem und die Mitversicherung von Angehörigen für den Pflegefall verschärfen dieses allgemeine Ungleichgewicht zu einem besonderen Konflikt zwischen Kinder erziehenden im Vergleich zu kinderlosen Ehepaaren. Mitversicherung und Hinterbliebenenrente des Ehegatten sind Ausfluss der Lebens- und Beistandsgemeinschaft der Ehe unabhängig davon, ob sich auf dieser Ehe eine Familie gründet. Die Benachteiligung spüren in der Altersvorsorge darüber hinaus besonders Alleinerziehende, die nicht durch eine Witwen- und Witwerrente aufgrund einer Versicherung ihres 250 BVerwG FEVS 28, 309 (312); Conradis, Wolfgang, LPK-BSHG, § 16 Rn. 12. Wie viel dem zahlungskräftigen Mitglied der Gemeinschaft verbleiben muss, war umstritten, meist wurde nach der alten Rechtslage mindestens auf den doppelten Regelsatz verwiesen, vgl. BVerwG FEVS 46, 441. 251 Nach der alten Rechtslage konnte das Vermögen des leistungsfähigen Partners beim Nichtvorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft überhaupt nicht berücksichtigt werden, da unter § 16 BSHG nur Verwandte und Verschwägerte subsumiert werden konnten. Diese faktische Ungleichbehandlung von Ehegatten und nichtehelichen Paaren wurde durch die Vermutung des neuen § 16 SGB XII teilweise eingeebnet.
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Ehepartners abgesichert sind und gleichzeitig als Kindererziehende eine geringere Rente zu erwarten haben als diejenigen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen und (höhere) monetäre Beiträge zur Rentenversicherung leisten konnten. Zudem sind Familien wegen der Unterhaltslast für ihre Kinder finanziell meist nicht in der Lage, in selbem Maß Mittel für eine private Vorsorge für das Alter und einen möglichen Pflegefall aufzubringen wie Kinderlose. Eltern müssen neben ihrer Altersvorsorge für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen. Zudem sieht sich häufig ein Ehepartner wegen der Betreuung und Erziehung der Kinder gehindert, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder eine bisherige Erwerbstätigkeit während der ersten Jahre nach der Geburt von Kindern uneingeschränkt fortzusetzen. Dann fehlt sein Einkommen. Arbeiten beide Eltern weiter, entstehen hohe Kosten für die Betreuung der Kinder durch Dritte. Aufgrund dieser besonderen finanziellen Belastungen steht Familien erheblich weniger Geld zur Verfügung als kinderlosen Ehepaaren. Deshalb trifft sie die dauernde Belastung durch Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge, die den Bürgern allgemein auferlegt werden, besonders hart.252 Von der Kindererziehung profitieren in den umlagefinanzierten Versicherungssystemen Eltern und Kinderlose gleichermaßen, die finanzielle Belastung durch den Unterhalt der Kinder muss aber von den Eltern grundsätzlich alleine getragen werden.
1. Rentenversicherung Die Rentenversicherung sicherte zum Zeitpunkt der Entstehung der Sozialversicherungssysteme im 19. Jahrhundert existentielle Notlagen für den Einzelnen und seine Familie in einer zunehmend industriell geprägten Gesellschaft. Grundsätzlich galt: Wer versichert war, wurde durch die Leistung, die er im hohen Alter oder bei Invalidität erhielt, von einer familiären Unterstützung freigestellt und konnte darüber hinaus seine Familie zumindest teilweise weiter unterhalten. Die Versicherung ließ den Unterhaltsanspruch gegenüber den Familienangehörigen mangels Bedarfs entfallen und kam gleichzeitig der Ehefrau und den Kindern mittelbar zugute. Zudem konnte mit der Versicherungsleistung der Lebensunterhalt der eigenen Angehörigen im Todesfall des Versicherten zum größten Teil bestritten werden. Durch die Einrichtung der Sozialversicherung als solche wurde der familiäre und eheliche Verband somit in wirtschaftlicher Hinsicht entlastet,253 wobei das System von der damals vorherrschenden Familienstruktur ausging, in der der Vater einer Erwerbsarbeit nachging und damit seine Kinder und seine die Kinder erziehende Ehefrau ernährte. Starb die Ehefrau, heiratete der Familienernährer häufig erneut oder überließ die Kindererziehung nahen Verwandten. So sicherte das gesellschaftliche System sowohl die Erwerbs- als auch die Familienarbeit in den meisten Fällen ab. 252 253
BVerfGE 103, 242 (258 f.) – Pflegeversicherung III. Hase, Friedhelm, S. 8 f.
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Durch die Rentenreform im Jahr 1957 wurde das System grundlegend in eine umfassendere und umlagefinanzierte Rentenversicherung umgestaltet. Neben der Absicherung von Notlagen besteht ihre Aufgabe seither darin, vorzeitig Erwerbsunfähigen, Altersrentnern und Hinterbliebenen eine hinreichende Existenzsicherung zu bieten, die den Lebensstandard zwar nicht voll sichert, sich aber an diesem orientiert. Aufgrund der Erfahrungen der Geldentwertung nach den Weltkriegen, die das für die Rentenleistungen im Kapitaldeckungsverfahren vorgesehene Vermögen vernichtet hatte, wegen einer anhaltenden jährlichen Inflationsrate, die den Wert der Rentenanwartschaften stetig senkte, und nicht zuletzt wegen des Fehlens eines Kapitalstocks, auf den die ältere, durch den Krieg verarmte Generation zurückgreifen konnte, wurde darüber hinaus das Finanzierungssystem auf ein Umlageverfahren umgestellt.254 Seither werden gemäß § 153 Abs. 1 SGB VI die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen desselben Kalenderjahres und, soweit erforderlich, durch Entnahmen aus der Schwankungsreserve (§§ 216 ff. SBG VI) gedeckt. In einem solchen als Generationenvertrag ausgestalteten System muss die heute arbeitende Bevölkerung die jetzigen Rentner mitfinanzieren und die nachrückende Generation später die Mittel für den dann eintretenden Versicherungsfall der jetzt erwerbstätigen Generation aufbringen. Ohne eine nachrückende Generation hätte dabei der heute Erwerbstätige zwar Beiträge zur Versicherung gezahlt, könnte aber selbst keine Leistungen aus dieser erwarten. Dabei kann angesichts der Breitenwirkung der Rentenversicherung vernachlässigt werden, dass nicht jedes Kind später zum Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung wird. Bei dieser Umstrukturierung des Rentenversicherungssystems wurde wie selbstverständlich von der Gegenwart auf die Zukunft geschlossen und auf das Vorhandensein einer ausreichenden nächsten Generation vertraut. Die gesellschaftlichen Entwicklungen haben die Voraussetzungen, von denen das Rentensystem ausgeht, grundlegend geändert und zu einer Benachteiligung von Kindern und Kindererziehenden geführt. Immer mehr kinderlose Beitragszahler hoffen auf eine zukünftige Generation, die ihre Rente mitfinanziert. Immer mehr kinderlose Ehepaare und Lebensgemeinschaften müssen im Alter von der Solidargemeinschaft versorgt werden. Durch ihre Kinderlosigkeit sinkt aber die Zahl der nachrückenden Generation, die mit ihrem Erwerbseinkommen nicht nur ihre Eltern, sondern auch eine wachsende Zahl immer älter werdender Menschen länger finanzieren müssen. So wird die heranwachsende Generation in der Zukunft besonders belastet. Vor allem profitieren von einem umlagefinanzierten System die Kinderlosen. Kinderlose Ehepaare, die beide einer Erwerbsarbeit nachgehen können, erhalten wegen ihrer monetären Beitragszahlungen zwei Rentenansprüche. Zudem sind sie als Hinterbliebene auch durch den Rentenanspruch ihres Partners im Bedarfsfall abgesichert. Diejenigen aber, die um der Erziehung ihrer Kinder willen auf eine Erwerbsarbeit (teilweise) verzichten und mit ihren Kindern einen essentiellen, das 254
Vgl. auch zu weiteren Gründen Waltermann, Raimund, Sozialrecht, § 11 I 3, Rn. 323.
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System erhaltenden Beitrag zur Rentenversicherung leisten, haben keinen oder einen geringeren Rentenanspruch. Darüber hinaus reicht der Rentenanspruch des Familienernährers nicht aus, den Versicherten und seinen Ehepartner im Alter zu unterhalten. Besonders werden in diesem System die Alleinerziehenden belastet, die wegen der Erziehung ihrer Kinder ihre Erwerbsarbeit und damit auch ihre monetäre Beitragsleistung für ihre Rente (teilweise) aufgeben und niemanden haben, dessen Rentenanspruch sie im Alter absichern kann. Das Umlageverfahren benachteiligt in der heutigen Gesellschaftsstruktur, in der viele Menschen kinderlos bleiben, im Ergebnis die Familie im Gegensatz zu allen Kinderlosen, gerade auch zu kinderlosen Ehepaaren. Diese Benachteiligung von Kindererziehenden im umlagefinanzierten Versicherungssystem hat der Gesetzgeber im Hinterbliebenenrenten- und ErziehungszeitenGesetz (HEZG), im Kindererziehungsleistungs-Gesetz (KLG) und im Rentenreformgesetz (RRG) schrittweise abgemildert und die Kindererziehung grundsätzlich als rentensteigernd und rentenbegründend anerkannt.255 Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1992 einen weiteren Abbau der Benachteiligung der Familien gefordert hat,256 erfolgt heute ein Ausgleich der Familienlasten zugunsten der Mütter und Väter, indem die ersten 36 Lebensmonate eines Kindes, in denen ein Elternteil auf eine Berufstätigkeit verzichtet, als Pflichtbeitragszeiten für eine spätere Rente angerechnet werden (§§ 56, 57 SGB VI). Für diesen Elternteil, dem nach § 56 SGB VI die Kindererziehungszeit zugeordnet wird, wird seit 1. Juli 2000 ein Rentenbeitrag in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres vom Bund finanziert (§§ 70 Abs. 2, 177, 256 d SGB VII).257 Treffen Erziehungszeiten für mehrere Kinder aufeinander, verlängert sich die Erziehungszeit um die Anzahl der Kalendermonate, in denen gleichzeitig mehrere Kinder erzogen wurden.258 Geht der kindererziehende Elternteil weiterhin einer Erwerbstätigkeit nach oder zahlt er weiter freiwillig Beiträge zur Rentenversicherung ein, werden die Kindererziehungszeiten bei den anderen Beitragszeiten aditiv angerechnet (§ 70 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 a SGB VI) und damit Nachteile ausgeglichen, die erwerbstätigen Frauen und Männern entstehen, die aufgrund der Kindererziehung regelmäßig ein geringeres Arbeitseinkommen erzielen.259 Darüber hinaus wird die Zeit bis zum 255 Allerdings war von Anfang an für die Begrenzung auf einen Wert von 75 von Hundert des Durchschnittseinkommens ein sachlicher Grund nicht ohne weiteres ersichtlich, BVerfGE 87, 1 (39 f.) – Trümmerfrauen. 256 Grundlegend: BVerfGE 87, 1 (39 ff.) – Trümmerfrauen. 257 Für Kindererziehungszeiten werden 0,0833 Entgeltpunkte im Monat veranschlagt, was im Jahr fast einem vollen Entgeltpunkt entspricht (0,0833 12 = 0,996). Für die Versicherung eines Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittentgelts wird ebenfalls ein voller Entgeltpunkt (1,0) berechnet, vgl. § 63 Abs. 2 SGB VI; Einem, Hans Jörg von, Frankfurter Kommentar, § 70, Rn. 2. 258 beispielsweise 72 Monate für Zwillinge, vgl. Einem, Hans Jörg von, Frankfurter Kommentar, § 56, Rn. 8. 259 Polster, Andreas, Kassler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Band I, § 70 Rn. 16 d; Einem, Hans Jörg von, Frankfurter Kommentar, § 56, Rn. 2.
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10. Lebensjahr des Kindes insoweit berücksichtigt, als sie im Rahmen anderer rentenrechtlicher Regelungen als Wartezeit oder Anwartschaftserhaltungszeit gilt oder Lücken im Versicherungsverlauf verhindert (Berücksichtigungszeit im Sinne von § 57 SGB VI).260 Diese Regelungen nähern die Leistung der Kindererziehung der Erwerbsarbeitsleistung an, bewerten diese aber immer noch geringer als die monetäre Beitragszahlung, obwohl das Umlageverfahren ohne Kinder in sich zusammenbrechen würde. Eine Rente, die sich allein auf die Erziehung von vielen Kindern stützt, reicht nicht annähernd aus, um einen Lebensunterhalt im Alter damit zu bestreiten: Innerhalb der Rentenberechnung beträgt der Wert jedes Jahres mit Kindererziehungszeit seit 1. Januar 2002 25,31 Euro in Westdeutschland und 22,06 Euro in Ostdeutschland.261 Sogar durch die Erziehung von vielen Kindern kann demnach keine Rente in Höhe des Sozialhilfeniveaus erreicht werden. § 70 Abs. 2 SGB VI gibt wohl auch deshalb einen Anreiz, neben der Kindererziehung in eingeschränktem Umfang erwerbstätig zu bleiben, indem die dabei erworbenen Entgeltpunkte um bis zu 50 Prozent auf höchstens einen Entgeltpunkt aufgestockt werden.262 Zudem müssen Kinder weit über ihr drittes Lebensjahr hinaus erzogen und unterhalten werden. Diejenigen, die Kinder erziehen, bleiben weiterhin benachteiligt, obwohl sie den wichtigsten Beitrag zur Umlagefinanzierung leisten. Kinder sind immer noch ein finanzielles Risiko für die Alterssicherung. Wenn die Kinder in das Erwerbsleben eingetreten sind und durch ihre Beiträge die Alterssicherung der Elterngeneration mittragen, haben die Eltern wegen ihres geringeren Einkommens immer noch eine viel geringere Rente zu erwarten als Kinderlose.263 Die Anrechnung von drei Erziehungsjahren ist nur ein geringer Ausgleich für den Verzicht auf eine eigene Rentenvorsorge durch monetäre Beitragszahlungen mittels Erwerbseinkommen. Als wirtschaftlicher Wert der Erziehungsleistung verbliebe den Eltern nur ein Unterhaltsanspruch gegen ihre Kinder, der ihnen in Notfällen – insbesondere bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter – Unterhalt und Beistand durch ihre Kinder sichert.264 Allerdings werden den Kindern die Geldmittel, die sie zum Unterhalt ihrer nicht mehr erwerbstätigen Eltern aufbringen könnten, durch den Beitragszwang zur Rentenversicherung entzogen und auf die Solidargemeinschaft übergeleitet, die sie zur Rentenzahlung an die Versicherten insgesamt verwendet.265 260 Bei gleichzeitiger Erziehung mehrerer Kinder wird die Berücksichtigungszeit allerdings nicht verlängert. Eine entsprechende Regelung zu § 56 SGB VI fehlt hier. 261 Lexikon Sozialversicherungsrecht von A-Z, Stichwort: Kindererziehungszeit, S. 485. 262 Vgl. Waltermann, Raimund, Sozialrecht, § 11 I 3, Rn. 377. 263 BVerfGE 87 – Trümmerfrauen, 1 (37 f.). 264 Vgl. zur eingeschränkten Möglichkeit der Heranziehung der Kinder zur Zahlung von Unterhalt für einen Elternteil: BVerfG NJW 2005, 1927 ff. – Elternunterhalt. Danach wird die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte finanzielle Dispositionsfreiheit der Kinder verletzt, wenn die Leistungsfähigkeit der Kinder erst nach dem Wegfall der Bedürftigkeit der Eltern eingetreten ist. 265 BVerfGE 87 – Trümmerfrauen, 1 (38).
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Das Umlageverfahren in seiner jetzigen Ausgestaltung verletzt sowohl die Generationengerechtigkeit (vertikaler Ausgleich) als auch die Verteilungsgerechtigkeit zwischen Kinderlosen und Kindererziehenden (horizontaler Ausgleich), weil die Symmetrie des Gebens und Nehmens in der Gesellschaft nicht eingehalten ist:266 Jeder Mensch erhält in seinem Leben zwei Mal Leistungen: Zunächst wird er von seinen Eltern als Kind unterhalten, im Alter wird er durch die unterschiedlichen Leistungen der Altersvorsorge abgesichert. Verläuft der Generationenvertrag symmetrisch, erbringt jeder auch zwei Mal Leistungen, indem er zum einen seine Kinder unterhält und zum anderen finanzielle Beiträge zur kollektiven Altersvorsorge leistet. Diese Rechnung geht aber für diejenigen nicht auf, die keine Kinder aufziehen. Sie erhalten zwei Mal Leistungen, leisten selbst aber nur ein Mal267 und werden so gegenüber den Kindererziehenden bevorzugt. So ist der wirtschaftliche Wert der Erziehungsleistung im Generationenvertrag der öffentlichen Sozialversicherung kollektiviert, von der familiären Erziehungsleistung gelöst und gegenüber der Beitragsleistung als geringwertigerer Beitrag zum Generationenvertrag herabgewürdigt worden. Die sozialstaatliche Errungenschaft der öffentlichen Sozialversicherung bietet auch den Kinderlosen im Krisenfall wirtschaftliche Sicherheit, beteiligt aber die Garanten dieses Generationenvertrages, die Eltern und in erste Linie die Mütter, kaum aus eigenem Recht.268 In dieser Struktur, in der die Kindererziehung weiterhin primär als Privatsache, die Alterssicherung dagegen als gesellschaftliche Aufgabe angesehen wird,269 werden kinderreiche Familien gerade auch gegenüber kinderlosen Ehepaaren benachteiligt. Die im System enthaltenen Hinterbliebenenrenten (§§ 46 ff. SGB VI), die ebenfalls die Familien entlasten sollen, kommen auch dem Partner einer kinderlosen Ehe im Bedarfsfall zugute. Wenn dieser selbst gearbeitet hat, ist er somit doppelt abgesichert. 2. Pflegeversicherung In der Pflegeversicherung ist das Verteilungsproblem der finanziellen Belastung zwischen Kindererziehenden und Kinderlosen seit der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001270 durch den Gesetzgeber familiengerechter gelöst. Vor Einführung der Pflegeversicherung zum 1. Januar 1995 wurden Pflegeleistungen meist unentgeltlich durch Angehörige erbracht. Soweit dies nicht möglich Ruland, Franz, NJW 1994, 1572 (1572.). Waltermann, Raimund, Sozialrecht, § 16 II 1 Rn. 519. 268 Kirchhof, Paul, Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, S. 76 f. 269 BVerfGE 87 – Trümmerfrauen, 1 (38). 270 BVerfGE 103, 242 – Pflegeversicherung III; vgl. zur darin enthaltenen Argumentation ausführlich: Papier, Hans-Jürgen, Deutsche Rentenversicherung 6 – 7 / 2001 S. 350 (356 f.). 266 267
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war und der Pflegebedürftige sich einen stationären Aufenthalt nicht finanzieren konnte, war er auf die sozialrechtliche Hilfe zur Pflege nach den damals geltenden §§ 6 ff. BSHG angewiesen. So wurden die Pflegeleistungen zumeist durch die Gemeinschaft der Familie erbracht. Nur diejenigen, die selbst keine Familie hatten, wurden im Notfall von der staatlichen Solidargemeinschaft durch die Sozialhilfe im Fall der Pflegebedürftigkeit unterstützt. Im heutigen System der Pflegeversicherung bleibt der Vorrang der häuslichen Pflege bestehen (§ 3 SGB XI), doch ist jeder Beitragszahler grundsätzlich für den Fall seiner Pflegebedürftigkeit abgesichert und nicht auf Sozialhilfe angewiesen. Zudem wird für die häuslichen, meist familiären Dienste ein Entgelt in Form des Pflegegeldes gezahlt, durch das zumindest teilweise die entstehenden Unkosten ersetzt werden.271 Auf der Beitragsseite ist die Pflegeversicherung familien- und kinderfreundlicher ausgestaltet als die Rentenversicherung. Zwar richten sich auch hier die Beiträge nach dem maßgeblichen versicherungspflichtigen Einkommen. Doch sind Familienangehörige ohne eigenes Einkommen, also nicht selbst verdienende Ehegatten und minderjährige oder in der Ausbildung befindliche Kinder (§ 25 SGB XI), beitragsfrei mitversichert (§ 56 Abs. 1 SGB XI). Zudem zahlen Kinderlose einen höheren Beitrag als diejenigen, die gegenüber Kindern unterhaltspflichtig sind, seitdem der Gesetzgeber das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2003 umgesetzt hat (Beitragszuschlag für Kinderlose in Höhe von 0,25 Prozent nach § 56 Abs. 3 SGB XI).272 Hintergrund dieser Regelung ist die Notwendigkeit, die heute entstehenden Pflegekosten zu decken und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft Beitragszahler gibt, die die später Pflegebedürftigen finanzieren. Weil die Pflegeversicherung ein Risiko abdeckt, dass vor allem ältere Menschen trifft, und ihre Finanzierung so gestaltet ist, dass sie im Wesentlichen nur durch das Vorhandensein nachwachsender Generationen funktioniert, die jeweils im erwerbsfähigen Alter als Beitragszahler die mit den Versicherungsfällen der vorangegangenen Generationen entstehenden Kosten mittragen, ist für ein solches umlagefinanziertes System nicht nur der Versicherungsbeitrag, sondern auch die Kindererziehungsleistung konstitutiv. Die Kinder erziehenden Ver271 So besteht ein Wahlrecht zwischen Geld- oder Sachleistung, d. h. zwischen Pflegegeld und stationärer Pflege, allerdings übersteigen die Sätze der Sachleistungen immer noch deutlich die des Pflegegeldes. Vgl. Ottnad, Adrian, Die Pflegeversicherung: Ein Pflegefall, S. 34. 272 Das Gericht hatte die Regelungen zur Finanzierung der Pflegeversicherung im sechsten Kapitel des SGB XI insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, soweit die Mitglieder, die Kinder betreuen und erziehen, bei gleich hohem beitragspflichtigem Einkommen mit einem betragsmäßig gleich hohem Beitrag zur Pflegeversicherung belastet werden wie kinderlose Mitglieder. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gebietet danach, die von den Eltern geleistete Betreuung und Erziehung ihrer Kinder bei der Bemessung der Beitragshöhe zu berücksichtigen. Allerdings fordert Art. 6 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zufolge nicht eine komplette Beitragsfreiheit von Kinder betreuenden und erziehenden Mitgliedern. Eine allgemeine, besondere Belastung von Familien basiert auf dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, es gäbe keinen Grund, Familien gerade von der Pflegeversicherung zu entlasten. Vgl. BVerfGE 103, 242 (258) – Pflegeversicherung III.
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sicherten sichern die Funktionsfähigkeit der Pflegeversicherung durch Beitragszahlung und durch Betreuung und Erziehung ihrer Kinder ab. Solange die ganz überwiegende Zahl der beitragspflichtigen Versicherten Kinder aufzieht, befindet sich ein solches durch Umlage finanziertes Sozialversicherungssystem in einem generativen Gleichgewicht. In der heutigen demographischen Entwicklung ist dies aber nicht mehr der Fall. Deshalb leisten Kinderlose richtigerweise einen höheren Geldbeitrag zur Pflegeversicherung als unterhaltspflichtige Mütter und Väter. 273 Durch das familienfreundliche System der Mitversicherung für Ehegatten und Familienangehörige entsteht allerdings ein Verteilungsproblem zwischen Ehe und Familie. Denn auch nicht erwerbstätige Ehegatten, die keine Kinder betreuen, sind nach §§ 56 Abs. 1, 25 SGB XI beitragsfrei mitversichert, obwohl diese Ehepaare keine Kinder unterhalten und deshalb in keiner Form einen Beitrag zur Pflegeversicherung leisten. Obwohl der Grund für ihre Erwerbslosigkeit nicht in der Betreuung von Kindern liegt, erhalten sie später die vollen Leistungen der Pflegeversicherung. So nehmen kinderlose, mitversicherte Ehegatten die Pflegeleistungen in Anspruch, ohne einen finanziellen oder durch Kindererziehung einen das System erhaltenden Beitrag zur Pflegeversicherung geleistet zu haben. Diese Verteilungsungerechtigkeit spitzt sich im Fall von geschiedenen oder allein erziehenden Müttern und Vätern im Verhältnis zu kinderlosen Ehegatten noch zu. Nicht erwerbstätige Ehegatten ohne Kinder sind beitragsfrei mitversichert, nicht aber eine geschiedene, nicht erwerbstätige Mutter mehrerer Kinder, obwohl diese mit ihren Kindern einen essentiellen Beitrag zur Pflegeversicherung leistet.274 Weil die späteren Leistungen der Pflegeversicherung nicht von den geleisteten Beiträgen abhängen und deshalb zwischen Beitragshöhe und Leistungshöhe kein Zusammenhang besteht,275 haben Eltern, die wegen der Betreuung ihrer Kinder ganz, teilweise oder vorübergehend auf Erwerbsarbeit verzichten, im Gegensatz zur Rentenversicherung keinen Nachteil bei der späteren Inanspruchnahme der Pflegeversicherung gegenüber Kinderlosen. Ein erziehendes Versicherungsmitglied, das beitragsfrei mit dem Ehepartner mitversichert ist, erhält die gleichen Leistungen wie ein voll zahlender Versicherter. Allerdings erhalten Eltern, die für die gesamten Kosten der Kindererziehung aufkommen müssen, auch keinen Vorteil gegenüber Kinderlosen, die nur mit dem finanziellen Beitrag zur Pflegeversicherung belastet sind. Der Gesetzgeber hat seinen Gestaltungsraum dahingehend ausgefüllt, dass die Erziehungsleistungen von Eltern nur auf der Beitragsseite, nicht aber auf der Leistungsseite berücksichtigt werden. Zwar hat das Aufziehen von Kindern langfristig einen positiven Einfluss auf die Höhe der Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung, indem durch die nächste Generation das Umlagesystem in BVerfGE 103, 242 (258, 265 f.) – Pflegeversicherung III. So auch die Stellungnahme des deutschen Familienverbandes, des Familienbundes Deutscher Katholiken und des Verbands Alleinstehender Väter und Mütter in ihrer gemeinsamen Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht im Verfahren zur Pflegeversicherung, BVerfGE 103, 242 (254 f.) – Pflegeversicherung III. 275 Ottnad, Adrian, Die Pflegeversicherung: Ein Pflegefall, S. 34 f. 273 274
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Zukunft finanziert werden kann. Sinn der Pflegeversicherung ist aber gerade, auch denjenigen die Pflege zukommen zu lassen, die sonst niemanden haben. Zudem ist nicht gewährleistet, dass Kinder ihre Eltern im Alter auch tatsächlich pflegen und sie unterstützen.276 Im Gegensatz zur Rentenversicherung besteht für Familien mit Kindern im Vergleich zu kinderlosen Ehepaaren auf der Leistungsseite nur insoweit ein tatsächlicher Nachteil, als die Leistungsausgaben für pflegebedürftige Eltern im Alter durchschnittlich zehn Prozent niedriger sind als für kinderlose Pflegebedürftige. Die Pflegeversicherung kommt vor allem älteren Menschen zugute. Nur 17,5 Prozent der Pflegebedürftigen sind jünger als 60 Jahre, 30,3 Prozent im Alter zwischen 60 und 80 Jahren und 52,3 Prozent sind 80 Jahre und älter.277 Wenn Väter und Mütter älter werden, finden sie in ihren erwachsenen Kindern ein familiäres Netz, auf das sie in der Phase der Pflegebedürftigkeit zurückgreifen können. Eltern wählen deshalb insbesondere im ambulanten Bereich vermehrt die kostengünstigere Variante des Pflegegeldes anstatt aufwendigere Sach- und teilstationäre Leistungen.278 Würden Kinder – und hier weit überwiegend Töchter und Schwiegertöchter, die rund 38 Prozent der Pflegepersonen darstellen – ihre Eltern und Schwiegereltern nicht pflegen, würden der Pflegeversicherung Mehrkosten in Höhe von acht Prozent des gegenwärtigen Leistungsvolumens entstehen.279 Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung und deckt einen etwaigen Bedarf nicht in voller Höhe ab, so dass ein großer Teil der Pflegeleistungen immer noch unentgeltlich von nahen Angehörigen erbracht wird. Im stationären Bereich reicht es je nach Pflegesatz in den Pflegestufen I und II teilweise und in der Pflegestufe III ganz überwiegend nicht aus, die entstehenden Kosten abzudecken.280 Im ambulanten Sektor hatten 1998 in Privathaushalten lebende Pflegebedürftige durchschnittlich selbst zu tragende regelmäßige Zusatzkosten in Pflegestufe I in Höhe von 210 DM / Monat, in Pflegestufe II in Höhe von 264 DM / Monat und in Pflegestufe III in Höhe von 384 DM / Monat.281 Zwar wurde durch die Einführung des Pflegegeldes eine Entlastung für die ambulante Betreuung von Pflegebedürftigen durch Familienangehörige geschaffen. Doch bleibt diese im Gegensatz zur stationären Pflege erheblich günstiger. Die dem Gesetzesentwurf zugrunde gelegten Zahlen bauen auf die Entlastung durch Familienangehörige. 282 Deshalb ist im SGB XI der Vgl. Rückert, Willi, S. 111 (121 f.). Vgl. BT-Drucks. 12 / 5262, S 62; 13 / 9528, Anlage 2; 13 / 11460, S. 244; BVerfGE 103, 242 (246) –Pflegeversicherung III. 278 BVerfGE 103, 242 (261) – Pflegeversicherung III. 279 Schneekloth, Ulrich / Müller, Udo, Wirkungen der Pflegeversicherung, S. 52 ff.; BVerfGE 103, 242 (261 f.) – Pflegeversicherung III. 280 Vgl. Rothgang, Heinz, S. 72. In den alten Ländern waren im Jahre 1998 im stationären Bereich im Durchschnitt pro pflegebedürftigen Bewohner 4.261 DM, in den neuen Ländern durchschnittlich 3.307 DM an Mitteln monatlich aufzubringen, vgl. Schneekloth, Ulrich / Müller, Udo, Wirkungen der Pflegeversicherung, S. 175 f. 281 Schneekloth Ulrich / Müller, Udo, Wirkungen der Pflegeversicherung, S. 79. 276 277
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
grundsätzliche Vorrang der häuslichen Pflege (§ 3 SGB XI) beibehalten worden. Damit setzt der Gesetzgeber auf kinderreiche Familien, um den staatlichen Haushalt zu entlasten und damit Kinderlose in der Solidargemeinschaft zu finanzieren.
C. Rahmenbedingungen für die Entscheidung des Freiheitsberechtigten für ein Leben in Ehe und Familie Die Ausführungen haben gezeigt, dass die auf Offenheit angelegten Verfassungsbegriffe von Ehe und Familie die gesellschaftlichen Veränderungen aufnehmen müssen und durch diese geprägt werden, weil sie heute andere Anforderungen meistern müssen als zu Beginn des Grundgesetzes. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Kindermangel und eine alternde Bevölkerung den Schutz der Familie zu einer drängenden Aufgabe des Staates machen. Mit diesen Phänomenen geht ein Verlust der ehelichen Verbindlichkeit einher. Die Entscheidung für Kinder wird durch unverbindliche Formen des Zusammenlebens erschwert. Die Lebensformen von Ehe und Familie werden in der Gesellschaft weniger angenommen. Dabei sind in Ost- und Westdeutschland erhebliche Unterschiede zu erkennen. Die Einstellungen zu Ehe und Familie haben sich verändert, wobei Kinder und das Leben in einer Familie für einen hohen Prozentsatz immer noch erstrebenswert bleiben, die Ehe hingegen nur noch für gut die Hälfte der repräsentativ Befragten wichtig ist. Die Gründe für diese Entwicklungen sind vielfältig. Die Institutionen Ehe und Familie bieten nur eine von vielen Möglichkeiten der Lebensgestaltung an, zu denen man sich bewusst entscheiden muss, sie werden zunehmend in Frage gestellt. Die Aufeinanderfolge von Liebe, Ehe und Elternschaft, die früher selbstverständlicher war, kann heute durch individuelle Entscheidung durchbrochen werden.283 Zudem werden Ehe und Familie oft weniger als Freiheitsgewinn und Entlastung, sondern vermehrt als Herausforderung und Belastung empfunden. Sachzwänge und finanzielle Absicherung sind aufgrund von Wohlstand und Sozialversicherungssystemen kein Grund mehr, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Hierfür sind vor allem die gesetzlichen Regelungen und Rahmenbedingungen verantwortlich, nach denen die Menschen ihre Lebensweise ausrichten. Die Regelungen zum Renten- und Ausbildungsrecht überfordern den mittleren Lebensabschnitt. Die arbeitsrechtlichen Normen zur Elternzeit und Teilzeitbeschäftigung können Eltern in ihrem Zeitmanagement nur wenig entlasten. Die wirtschaftliche Wertlosigkeit der Erziehungsleistung der Eltern hindert junge Menschen an der 282 Ein Ziel des Gesetzesvorhabens war es, den Pflegebedürftigen die Möglichkeit zu geben, solange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung zu leben, s. Ottnad, Adrian, Die Pflegeversicherung: Ein Pflegefall, S. 32. 283 Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 14.
C. Rahmenbedingungen für ein Leben in Ehe und Familie
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Gründung einer Familie. Durch die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften im Lebenspartnerschaftsgesetz verliert die Ehe ihre Besonderheit gegenüber anderen Lebensgemeinschaften. Begünstigungen für Alleinerziehende hindern Paare zu heiraten. Zwar verfolgen die gesetzgebenden Organe mit ihren Regelungen oft andere als familienpolitische Motive und beeinflussen Ehe und Familie ungewollt. Doch bleibt der Einfluss durch Regelungen des Steuer-, Sozialund Zivilrechts auf das Verhalten der auch wirtschaftlich vernünftig handelnden Menschen bestehen, auch wenn es fragwürdig erscheint, inwieweit dem Gesetzgeber die Aufgabe zukommt, die Wirklichkeit durch seine Gesetze gezielt zu steuern und einen gesellschaftlichen und damit einhergehend auch einen Verfassungswandel vorauseilend zu prägen, der sich so nicht oder noch nicht in der Gesellschaft vollzogen hat.284 Im Konflikt, in den Ehe und Familie durch die gesellschaftlichen Entwicklungen zueinander geraten, bietet der Gesetzgeber aber auch Lösungen an. In der ehebasierten Familie stellt sich die Entscheidung zwischen Beruf und Familie als zentrales Problem dar. Die Familie hat sich zudem zu einer Erziehungsgemeinschaft mit Kindern entwickelt, bei der das Wohl des Kindes im Vordergrund steht und die ehelichen Interessen in den Hintergrund rücken. Beim Auseinanderfallen von Ehe und Familie durch Scheidung oder durch die Entscheidung der Eltern, nicht zu heiraten, treten die verschiedenen Gemeinschaften gegenseitig in Konkurrenz. Es entsteht im täglichen Umgang miteinander eine Spannungslage zwischen der Verantwortungsgemeinschaft der Familie und der nicht gewollten Verbindung zwischen den Eltern, die sich erst entspannt, wenn aus der Erziehungsgemeinschaft der Familie eine reine Begegnungsgemeinschaft zwischen erwachsenen Kindern und Eltern wird. Im Erfüllen seines Verfassungsauftrags aus Art. 6 Abs. 5 GG, nichtehelichen Kindern die gleichen Chancen wie ehelichen Kindern zu ermöglichen, räumt der Gesetzgeber Alleinerziehenden eine Sonderstellung ein und fördert dadurch indirekt nichteheliche Lebensgemeinschaften, benachteiligt gleichzeitig die ehebasierte Familie. Gleiches gilt für die Benachteiligung kinderreicher Ehen in den umlagefinanzierten Versicherungssystemen. Weil der Gesetzgeber auf die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens in der Gesellschaft reagiert, unterlaufen dem Gesetz auch Widersprüche und Systemmängel. Der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie muss als Richtschnur Antworten für die Fragen in diesen unterschiedlichen Konfliktsituationen geben. Als besondere Schutznorm macht Art. 6 GG deutlich, dass durch die Veränderungen der Lebensverhältnisse die Ehe und die Familie nicht funktionslos geworden sind, sondern dass beide Rechtsinstitute heute im Gegensatz zu früheren Verhältnissen andere Aufgaben wahrnehmen und deshalb vor neue Probleme gestellt sind, auch zueinander in Konkurrenz treten. Teilweise haben Ehe und Familie eine Entlastung erfahren, die ihre spezifischen regenerativen und integrierenden 284 Bejahend bei konkreten Anhaltspunkten für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel: Pauly, Walter, NJW 1997, 1955 (1956).
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1. Teil: Herausforderungen an den Schutz von Ehe und Familie
Funktionen und Leistungen stärker hervortreten lassen, teilweise werden diese Funktionen gesellschaftlich weniger anerkannt. Der Staat ist gefordert, Freiräume für beide Gemeinschaften zu schaffen, jede in ihrem Kern unangetastet zu lassen und in ihrer Bedeutung für den Einzelnen und für die Gesellschaft zu fördern.
2. Teil
Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung Die Verfassung gibt dem Gemeinwesen eine rechtliche Grundlage. Sie mäßigt die politische Machtausübung und diszipliniert den politischen Prozess, indem sie im Verfassungsgesetz durch positives Recht justiziable Maßstäbe für die richterliche Kontrolle der Ausübung öffentlicher Gewalt festlegt.1 Welche Wirkung der Gewährleistung von Freiheit und Rechten im Grundrechtskatalog beigemessen wird, hängt von den grundsätzlichen Auffassungen über Ziel und Aufgabe des Staates, über das mögliche und notwendige Maß individueller Freiheit und über die Trennung oder Verbindung von „Staat und Gesellschaft“2 ab.3 Der liberale Ansatz des Grundgesetzes stellt die Funktion der Verfassung als Grenz- und Abwehrlinie der an sich staatsfreien Freiheitssphäre des einzelnen in den Vordergrund. Daneben ist der Staat als Ausdruck der sozialstaatlichen Orientierung des Grundgesetzes aber auch zum Schutz der Freiheit des Einzelnen und bestimmter Bereiche gesellschaftlicher Autonomie verpflichtet. Er muss die Freiheit des Einzelnen in einem menschenwürdigen Dasein und in schutzwürdigen Einrichtungen des Soziallebens gewährleisten.4 Da die Verfassung auf vorgefundenen politischen und kulturellen Überzeugungen beruht, ihre Legitimität daraus empfängt, diese also nur nachzeichnet und nicht selbst hervorbringt, verankert sie Wertentscheidungen für das gesellschaftliche Leben und ist deshalb rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens. Die Grundrechte werden so neben Freiheits- und Gleichheitsrechten auch zu wertsetzenden Grundsatznormen und entfalten ihre Wirkung in der gesamten Rechtsordnung. Art. 6 GG kommt in diesem Feld aus individueller Freiheit und Badura, Peter, HStR VII, § 159, Rn. 1. Für eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft plädiert: Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (507). Er weist darauf hin, dass sich nur in Distanz zum Staat die Garantie der Menschenwürde als Rechtsatz entfalten und das Handeln des Staates in Ansehung der Menschen steuern kann. Eine solche Distanz kann nur durch eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft geschaffen werden. Sie findet in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ihre verfassungsrechtliche Verankerung. Vgl. auch: Rupp, Hans Heinrich, HStR I, § 28, Rn. 17 ff., Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994); Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 11, der Staat und Gesellschaft begrifflich als Gemeinwesen zusammenfasst. 3 Vgl. zu den Grundlagen der Debatte um die Funktionen der Grundrechte: Böckenförde, Ernst-Wolfgang, NJW 1974, 1529 ff.; Zusammenfassung bei Stern, Klaus, HStR V, § 109, Rn. 22 ff. 4 Badura, Peter, HStR VII, § 159, Rn. 6. 1 2
7 Nesselrode
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Gleichheit einerseits und objektiver Gewährleistung andererseits eine besondere Aufgabe zu. Er ermöglicht dem Freiheitsberechtigten ein Leben in Ehe und Familie in Staatsferne und sichert gleichzeitig den Bestand dieser Rechtsinstitute durch einfachgesetzliche Regelungen ab. Darüber hinaus gewährleistet Art. 6 GG einen besonderen, in der Verfassung einmaligen Schutz für Ehe und Familie, der an Bedeutung gewinnt, je mehr die Rechtsinstitute durch die gesellschaftlichen Entwicklungen gefährdet werden. Weil die Verfassungsnormen die gesellschaftlichen Überzeugungen abbilden, sind sie einem Wandel unterworfen, der sich in ihren Schutzinhalten widerspiegelt. Sie müssen den Gegebenheiten der Realität Rechnung tragen und an sie anknüpfen, wenn sie die Chance der effektiven Geltung und normativen Kraft erlangen wollen.5 Deshalb kann „eine Verfassungsbestimmung einen Bedeutungswandel erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen.“6 Hierbei hat eine allmähliche Fortbildung des unterverfassungsgesetzlichen Rechts erheblichen Einfluss auf die Verfassungsinhalte.7 Allerdings kann ein solcher Verfassungswandel,8 bei dem sich eine Verfassungsbestimmung durch eine an den sozialen oder politischen Veränderungen ausgerichtete, sich allgemein durchsetzende und verfassungsgerichtlich anerkannte Rechtspraxis inhaltlich ändert,9 sich nur insoweit ereignen, als er sich im Rahmen des Wortlauts der Verfassungsnorm und eines Vertretbarkeitsspielraums hält.10 Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG setzt einem Verfassungswandel deutliche Grenzen, weil allein der in der Verfassungsurkunde veröffentlichte Normtext maßgeblich bleiben muss. Inhaltliche Änderungen der Verfassung im Widerspruch zum Verfassungstext sind deshalb nicht zulässig. Art. 79 Abs. 2 GG fügt hinzu, dass ein Wertewandel durch eine Änderung des Verfassungstextes nur vollzogen werden kann, wenn qualifizierte Mehrheiten dieser Änderung zugestimmt haben. Die Identitätsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG setzt dem Verfassungswandel auch bei offenen Verfassungstatbeständen eine äußerste Grenze.11 Weil in jedem Grundrecht der Verfassung ein spezifischer Menschenwürdegehalt zu erkennen ist, garantiert sie mit ihrem Verweis auf den Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG den 5 Isensee, Josef, HStR I, § 13 Rn. 132; zum Begriff der normativen Kraft: Hesse, Konrad, Die normative Kraft der Verfassung. 6 BVerfGE 2, 380 (401) – Haftentschädigung. 7 Vgl. Lerche, Peter, Stiller Verfassungswandel, S. 293. Zum Problem des Verfassungswandels allgemein auch Bryde, Brun-Otto, Verfassungsentwicklung. 8 Den Begriff des Verfassungswandels und der Verfassungswandlung prägten Laband, Paul, Die Wandlungen der deutschen Reichsverfassung, und Jellinek, Georg, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, eine Würdigung dieser Werke bei: Wolff, Heinrich Amadeus, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 26 ff. 9 Zur Definition des Verfassungswandels: Badura, HStR VII, § 160, Rn. 13. 10 Hesse, Konrad, Grenzen der Verfassungswandlung, S. 139. 11 Schenke, Wolf-Rüdiger, AöR 103 (1978), 566 (588).
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Bestand eines Konzentrats sämtlicher Grundrechte, in dessen Bereich menschliches Handeln keiner weiteren Begründung bedarf.12 Art. 6 GG ist durch die unbestimmten Rechtsbegriffe von „Ehe“,13 „Familie“, „besonderer Schutz“ und „staatliche Ordnung“ offen für die geschichtlich wandelnden Problemlagen.14 Die gesellschaftlichen Veränderungen und der Wandel ethischer und moralischer Anschauungen haben die Lebenswelten von Ehe und Familie stetig umorientiert. Ehe und Familie nehmen heute in der Gesellschaft veränderte Funktionen wahr, die sich auf die Schutzbedürfnisse und damit auf die Rechtsfolgen von Art. 6 GG auswirken.15 Nur im Bewusstsein von Wert und Bedeutung der Lebensgemeinschaften von Ehe und Familie lassen sich die Gewährleistungsinhalte von Art. 6 GG richtig erfassen. In ihrer Funktion für Staat und Gesellschaft werden die Unterschiede in ihren jeweiligen Schutzbereichen deutlich. Ihre Funktionen sind nur insoweit für die Ehe und für die Familie identisch, als deren Entwicklung für das Gemeinwesen parallel verläuft. Soweit gerade der Familie eine besondere Aufgabe für das Gemeinwesen zukommt, findet dies seinen Niederschlag auch in den Schutzinhalten von Art. 6 GG. Eine allein auf die praktische Wirkung von Ehe und Familie ausgerichtete Auslegung des Art. 6 GG übersieht allerdings, dass die Verfassung eine Wertentscheidung für Ehe und Familie getroffen hat. Die Rechtsinstitute dürfen nicht aufgeweicht werden, weil andere Gemeinschaften gleiche oder ähnliche Funktionen übernehmen. Allein die aktuellen Funktionen von Ehe und Familie zur Maxime der Verfassungsinterpretation zu machen, trägt die Gefahr in sich, die sich stetig wandelnde Wirklichkeit blind aufzunehmen und einen Trend zu Recht zu erklären. Von der Verfassung wird eine strukturelle Festigkeit und ein normativer Selbststand erwartet, um einem sozialen Wandel entgegenwirken zu können.16 Funktionelle und substantielle Auslegung müssen deshalb Hand in Hand gehen.
12 Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (507 f.); vgl. zur Frage, ob die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG am Schutz der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG teil hat: Huber, Peter M., in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 19 Abs. 2, Rn. 136. 13 Münch, Ingo von, Art. 6 Grundgesetz, der Wandel familiärer Lebensmuster und das Familien- und Sozialrecht, S. 73 f. hält den Begriff der Ehe für eindeutig, deshalb weniger offen als die anderen Rechtsbegriffe in Art. 6GG. 14 Dazu Bäumlin, Richard, Staat, Recht und Geschichte, S. 15; Kloepfer, Michael, Der Staat 13 (1974), S. 457 ff.; Häberle, Peter, ZfP 21 (1974), S. 111 ff.; Häberle, Peter, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 122 ff., Friauf, Karl Heinrich, NJW 1986, 2595 (2599). 15 Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (91), Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 37 ff. Grundsätzliche Überlegungen zur Familie als Gegenstand der Verfassung: Häberle, Peter, Verfassungsschutz der Familie – Familienpolitik im Verfassungsstaat, S. 24 ff. 16 So zum normativen Selbststand der Verfassung: Isensee, Josef, HStR I, § 13 Rn. 135; so zur substantiellen statt funktionellen Auslegung des Art. 6 GG: Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (91 f.), Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6 GG, Rn. 37 ff.
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A. Bedeutung von Ehe und Familie für Gesellschaft und Staat Der Mensch ist in seiner geistigen Natur auf Dialog angelegt, er ist ausgerichtet auf ein Leben in Gemeinschaft. Die Lebensformen von Ehe und Familie entsprechen dieser menschlichen Natur.17 So hat der Mensch aus sich heraus die Gemeinschaftsformen von Ehe und Familie entwickelt und sie im Laufe der Geschichte als die für ihn und seine Nachkommen beste Lebensform erkannt und später auch rechtlich anerkannt. Das Grundgesetz greift mit seinem Artikel 6 diese vorgefundenen Lebensweisen auf und stellt sie unter einen besonderen, im Grundgesetz einmaligen Schutz: Ehe und Familie bilden das Fundament für die Entwicklung von Kindern, für das Zusammenleben der Staatsbürger, für das Staatsvolk und damit für das Weiterbestehen von Staat und Gesellschaft. Durch die beiden Rechtsinstitute des Art. 6 Abs. 1 GG werden die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen verstetigt und verfestigt.18 Die Freiheitsrechte des Art. 6 GG geben die Zukunft des Staates in die Hand der Freiheitsberechtigten. Insoweit ist der Staat entlastet. Die tatsächliche Annahme dieses Freiheitsangebots durch den Freiheitsberechtigten ist Bedingung der staatlichen Existenz als freiheitliche Gesellschaft.19 Ehe und Familie stehen durch ihre gelebte Verbundenheit aber auch konträr zur Gesellschaft, deren Grundprinzip die Trennung ist, um die Freiheit des Individuums und ein friedliches Nebeneinanderher mit anderen zu ermöglichen. Die Menschen bleiben in Gemeinschaften trotz aller Trennung wesentlich verbunden, während sie in der Gesellschaft trotz aller Verbundenheiten wesentlich getrennt bleiben.20 In der Gesellschaft wird jeder Einzelne als Rechtssubjekt in formaler Gleichheit verstanden. In Ehe und Familie hingegen wird durch das gemeinschaftliche Leben eine besondere Beziehung zwischen den Einzelnen geschaffen. Hier geht es um Werte wie Liebe, Treue, Gemeinschaftsgeist, Verpflichtung gegenüber einer Aufgabe und Bereitschaft, für einen anderen da zu sein.21 Das Miteinander bietet einen Raum für Ermutigung, Zuspruch, Beistand und seelische Stabilisierung.22 Diese Lebenshilfe ist für den Einzelnen und damit auch für die Ordnung des Gemeinschaftslebens von grundlegender Bedeutung.23 Diese Beziehungen sind das Besondere in Ehe und Familie, gleichzeitig aber auch das Spannungsmoment innerhalb der auf Subjektivität angelegten Gesellschaft.
BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzug. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 82. 19 Vgl. Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (393). 20 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (995), aufbauend auf Tönnies, Ferdinand, Gemeinschaft und Gesellschaft, 1991, Neudruck der 8. Aufl. von 1935. 21 Larenz, Karl, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, § 9 I (S. 107). 22 Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 196. 23 BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzug. 17 18
A. Bedeutung von Ehe und Familie für Gesellschaft und Staat
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Die Institutionen Ehe und Familie schützen zwei je verschiedene Lebensformen. Jede für sich hat ihre eigene Bedeutung für den Einzelnen und für den Staat. Dennoch führt gerade die Bedeutung dieser Gemeinschaften vor Augen, dass diese Rechtsinstitute nicht unabhängig voneinander geschützt und entfaltet werden können. Sie bauen aufeinander auf, bedingen sich gegenseitig und tragen beide als Gemeinschaftsformen zum Gelingen von Demokratie, Staatlichkeit, Generationenvertrag und sozialer Marktwirtschaft bei. Allerdings sind die Wirkungen von Ehe und Familie ambivalent: Nur eine intakte Ehe und eine intakte Familie stützen die Freiheit des Einzelnen und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Nur harmonische Gemeinschaften können vor physischen und psychischen Schäden schützen, ein gestörtes Familien- und Eheverhältnis hingegen wirkt gegenläufig, es kann Schäden verursachen und verstärken.24 Die folgende rechtliche Analyse von Ehe und Familie als „Keimzellen der Gesellschaft“25 gehen von der Normalität, also von intakten Gemeinschaften aus.
I. Bedeutung der Ehe 1. Ehe als Ort des Zusammenlebens und der Lebenshilfe Als ein Ort umfassender Lebenshilfe zwischen Mann und Frau26 liegt die Hauptbedeutung des Rechtsinstituts der Ehe in ihrem Eigenwert für die Eheleute. In einer auf Individualität angelegten Gesellschaft und Arbeitswelt finden sie in der Ehe eine Grundlage zur Entfaltung ihrer personalen Freiheit, in der unerzwungen ihre menschlichen Grundbedürfnisse gesichert werden können.27 In der Ehe werden allgemeine Lebenssituationen erfahren und bewältigt. Die vorbehaltlose Zusage und Zuwendung der Ehegatten zueinander, verbunden mit der persönlichen Vertrautheit und Partnerschaft, ist Ausdruck eines Ethos von Menschenwürde, die nicht nur Teilaspekte des anderen, sondern den ganzen Menschen als Menschen annimmt.28 Die Ehe erfordert gegenseitige Anerkennung, Achtung, Toleranz und Sorge der Partner füreinander.29 Sie vermittelt grundlegende, personale Erfahrungen von Glück, Freude, Treue und Rücksicht, aber auch von Leid, Versagen, Schuld, Ermutigung und Ansporn täglich neu.
Gröschner, Rolf„ in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 68. Für die Familie: BVerfGE 6, 55 (71) – Steuersplitting. 26 Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6, Rn. 27, 51 f., 109. 27 Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 34. 28 Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (18); Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG Art. 6 Rn. 34. 29 Lecheler, Helmut, HStR VI, § 133, Rn. 24, Mikat, Paul, Essener Gespräche 21 (1986). 13; Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 33. 24 25
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Das eheliche Zusammenleben basiert auf täglicher Arbeitsteilung und gemeinsamer Organisation. Diese Erfahrungen bilden, stützen und festigen die Persönlichkeit des einzelnen. In den öffentlichen Lebensbereichen der Wirtschaft und Politik hingegen werden sie oft ausgeklammert.30 Zwar sind auch dort die so genannten „soft skills“ neben der fachlichen Qualifikation bei Bewerbern erforderlich. Auch der Berufsalltag ist auf Kommunikation, Einfühlungsvermögen und Arbeitsteilung angelegt. Diese sozialen Kompetenzen erlernt der Mensch aber kaum allein durch Arbeitspraxis, in Klassenzimmern oder Hörsälen. Die dort erfahrbare Persönlichkeitsprägung greift in der Biographie des Einzelnen nur punktuell, zudem nicht mit einer den gesamten Mensch erfassenden Verlässlichkeit ein. Nur durch dauernde Zuwendung und stetige personale Präsens werden Persönlichkeiten gefestigt und Arbeitsteilung eingeübt.31 Diese Gewissheit der Dauer und Ganzheitlichkeit wird vom verfassungsrechtlichen Institut der Ehe gewährleistet und unterscheidet sich so von anderen Formen des Zusammenlebens. Als personale Gemeinschaft dient die Ehe dem Schutz des Schwächeren und ist schon deshalb in einem demokratischen Rechtsstaat von unschätzbarem Wert. Weil in der Ehe der Einzelne sich in Staatsferne in Gemeinschaft mit dem Partner frei entfalten kann, ist dieses Rechtsinstitut eine verlässliche Grundlage für jedes gesellschaftliche Zusammenleben.
2. Entlastung des Sozialstaates durch Versorgung des Ehepartners Die Ehe schafft einen Raum, in der die vom Sozialstaat angebotenen Leistungen ohne Bezahlung erbracht werden. Jeder Ehegatte erhält vom anderen Unterhalt, Förderung, Pflege und Lebenshilfe und erspart so staatliche Leistungen. Diese Entlastungsfunktion der Ehe lässt sich insbesondere im Bereich der Sozialhilfe verdeutlichen, in dem der Gesetzgeber die vorgefundene Partnerschaft wie selbstverständlich zur Entlastung der öffentlichen Kassen aufnimmt. Er sieht die Ehegatten als Einsatz- und Bedarfsgemeinschaft an und berücksichtigt bei der Frage, ob eine Person hilfebedürftig ist, auch das Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten (§ 19 Abs. 1 SGB XII). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Eheleute in einen „gemeinsamen Topf wirtschaften“.32 Dabei verbleibt den Ehegatten nicht der im Unterhaltsrecht anerkannte Selbstbehalt. Allein sein notwendiger Lebensunterhalt wird bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruchs des anderen berücksichtigt. Die Eheleute werden rechnerisch grundsätzlich wie ein Hilfeempfänger behandelt. Im Bereich der Kranken- und Altenpflege ersetzen die Eheleute Dienstleistungen von Seniorenheimen und Krankenhäusern durch unentgeltliche private Pflege. 30 31 32
Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987),55, (76 f.). Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987),55, (76 f.). BVerwG FEVS 21, 1; Schoch, Dietrich, LPK-BSHG, § 11 Rn. 10.
A. Bedeutung von Ehe und Familie für Gesellschaft und Staat
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Selbst der Gang zur Apotheke kann vom Sozialstaat kaum geleistet werden, für den Ehegatten gehört er zum Alltag. Daneben macht ein ehelicher Dialog eine psychologische und therapeutische Beratung aufgrund der persönlichen Zuwendung oft überflüssig.33 Die Erwerbslosigkeit im Alter oder durch Berufsunfähigkeit wird durch eine feste Partnerbeziehung in weitem Maße abgesichert. Für Ehegatten ist es selbstverständlich, dem Partner in Notsituationen persönlich und finanziell beizustehen. Ohne diesen Rückhalt wären die sozialstaatliche Vorsorge – insbesondere die öffentlichen Sozialversicherungssysteme nicht finanzierbar. Gäbe es die Ehe als Beistandsgemeinschaft nicht und lebte der Mensch stattdessen als Single, dürften sich die Kosten des Sozialstaates mehr als verdoppeln.
3. Entlastung des Rechtsstaates durch eheliche Fürsorge Die Ehe wirkt bei Rechtsferne und drohender Rechtsverletzung friedensstiftend. Ständiger Dialog kann überschäumende Emotionen ausgleichen. Niedergeschlagenheit und Angst werden durch die Rücksichtnahme und das Mitgefühl des Ehegatten aufgefangen. Das Selbstbewusstsein wird durch Aufmerksamkeit und Zuwendung, die der Ehepartner dem anderen widmet, gestärkt. So schützt die Ehe vor Auseinandersetzungen in der Gesellschaft und vor dadurch notwendig gewordenen Eingriffen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Der eheinterne Ausgleich ist eine Bedingung für den rechtsstaatlichen Verzicht auf Präsenz und Überwachung im Privatbereich.
4. Ehe als Zuordnungsobjekt nach außen Die Ehe gibt nicht nur eine verlässliche Basis für die Eheleute untereinander, sondern sie schafft auch Klarheit gegenüber Dritten. Durch die Eheschließung gehören Mann und Frau zusammen. Sie treten als Einheit, in der Regel auch unter einem gemeinsamen Namen, auf. Dies erleichtert den Alltag für Dritte. Vollmachten werden überflüssig. Auch wirtschaftlich werden beide Eheleute als Einheit wahrgenommen: Die Ehe wird nach § 1353 BGB grundsätzlich als Zugewinngemeinschaft, im Einkommensteuerrecht im Splittingverfahren (§§ 26 ff. EStG) als Erwerbsgemeinschaft verstanden. Im Todesfall schützt das gesetzliche Erbrecht und das Erbschaftssteuerrecht das Ehegut und wahrt so die ökonomischen Lebensgrundlagen der Ehegatten über den Tod hinaus. Darüber hinaus wird durch Heirat der Eheleute das Zusammengehören nach außen manifestiert und der staatlichen Gewalt ein Anknüpfungspunkt zur Verfügung gestellt, der bei der Förderung und Berücksichtigung von Lebensgemeinschaften 33
Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 196.
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zwischen Mann und Frau im Sozial- und Steuerrecht staatliche Ausforschungen erübrigt. Das Sichtbarwerden der Lebensgemeinschaft nach außen und ihr rechtliche Bestätigung schaffen somit Freiheit.
5. Ehe als Basis für die Gründung einer Familie Da die Ehe auf Dauer und Verlässlichkeit angelegt ist, ist sie die ideale Basis für die Entwicklung von Kindern. Die Ehe ist die „alleinige Grundlage einer vollständigen Familiengemeinschaft und als solche Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern.“34 In erster Linie sind damit die Grundvoraussetzungen und Werte gemeint, auf denen die Ehe basiert. Treue, Vertrauen und Stetigkeit bilden die Grundlage für die freie Entwicklung von Kindern. Die Ehe bietet ein Umfeld, in dem Kinder ohne Angst und Scheu die Welt entdecken und begreifen können. Der formale staatliche Akt der Eheschließung bestätigt diese Haus-, Lebens- und Erwerbsgemeinschaft. Er demonstriert nach außen die Zusammengehörigkeit der Eltern, zu denen das Kind wie selbstverständlich dazugehört, und bietet so eine für jedermann sichtbare Einheit an, in die das Kind geboren wird und sich zugehörig weiß. Die formal geschlossene, auf Dauer und Stetigkeit angelegte Ehe als Regelform für die Verbindung zwischen Mann und Frau ist Grundlage dafür, dass aus Kindern selbstbewusste und wertungssichere, kompetente Bürger werden.35 Der Staat geht deshalb davon aus, dass die Ehe den verlässlichen und stabilen Rahmen für das Entstehen einer Familie bietet.36 Das politische Gemeinwesen schützt die Ehen als potentielle Elternschaft, sucht damit die Bereitschaft zum Kind zu fördern, aber auch den Kindern Mutter und Vater anzubieten und dadurch den Kindern bestmögliche Entfaltungsmöglichkeiten zu erschließen.
II. Bedeutung der Familie 1. Gemeinschaft zur Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes Die Ehe ist somit ein Raum der Geborgenheit, Privatheit, Persönlichkeitsentfaltung für die Ehepartner, zugleich aber auch eine Grundlage für die Geburt und Entfaltung der Kinder. Mit der Geburt eines Kindes wird aus der Ehe eine Familie, der Lebens- und Freiheitsbereich durch einen jungen schutz- und zuwendungsbedürftigen Menschen erweitert. Die eheliche Freiheit wird von der elterlichen Verantwortung überlagert, neben das Grundrecht tritt die Grundpflicht der Erzie34 35 36
BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzug. Vgl. Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994). Mertin, Herbert, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 123 (128).
A. Bedeutung von Ehe und Familie für Gesellschaft und Staat
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hung und Sorge für das Kind, auch dem Staat wächst jetzt ein Wächteramt zu (Art. 6 Abs. 2 GG). Das Grundgesetz gibt der Familie die Aufgabe und Verantwortung zur Pflege und Erziehung der Kinder und sichert ihr den Vorrang vor kollektiven Erziehungsformen. Für eine normale Entwicklung des Kindes ist das Erlebnis einer harmonischen und lebenstüchtigen Familiengemeinschaft unersetzlich.37 Kinder werden besonders in den ersten Lebensjahren durch ihre Familie geprägt. Im grundsätzlich staatsfreien Raum38 des Familienverbundes fühlt sich das Kind geborgen und zugehörig und kann deshalb seine Persönlichkeit entfalten. Die Familienmitglieder sind für das Kind stets die ersten Ansprechpartner. Mit ihnen lernt es, die Welt zu begreifen und zu verstehen. In einer Sphäre des Privaten erfährt das Kind zugleich Freiraum für sich und eine geordnete Struktur des Gemeinschaftslebens.39 Die gegenseitige familiäre Verantwortung besteht ein Leben lang. Die stetige Lebens-, Begegnungs- und Erfahrungsgemeinschaft festigt Persönlichkeiten,40 macht die Familie zur „Schule der Personalität“.41 Der Schutz der Familie stützt und fundiert die Entfaltung der Persönlichkeit.42 Die von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich wird durch die Verfassungsgarantie von Ehe und Familie gestärkt,43 oft erst ermöglicht. Aufgrund der gelebten persönlichen Zuwendung und Privatheit ihrer Mitglieder ist die heutige Familie in erster Linie nicht mehr eine Wirtschaftseinheit, sondern eine ideelle Gemeinschaft für die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder.44 Eltern schaffen die Voraussetzungen dafür, dass das Kind sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten kann.45 Wie wichtig die familiären Strukturen für das Aufwachsen der Kinder sind, zeigt die Einrichtung von Pflegefamilien. Das Versagen und die Schwächen der natürlichen Familie werden durch einen anderen Familienverbund am besten ausgeglichen.46 37 BVerfGE 24, 119 (148 f.) – Adoption I; in der Literatur wird von der „qualitativen Nachwuchssicherung“ oder der „Sozialisationsfunktion“ der Familie gesprochen, dazu Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 48 ff., 66 ff. 38 A. A. Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (185), der die Familie im Gegensatz zur Ehe aufgrund der staatlichen Garantenstellung für das Kindeswohl aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht als staatsfreien Raum ansieht. Die Verfassung hat den Staat aber nur mit einer Notfallkompetenz ausgestattet, geht aber grundsätzlich von einer staatsfreien Sphäre aus, vgl. dazu: Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 82. 39 Vgl. Lecheler, Helmut, FamRZ 1979, 1 (4), der in der sittlich geordneten Gemeinschaft der Familie ihren entscheidenden Wert sieht. 40 So Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (76 f.). 41 So Schmitt Glaeser, Walter, DÖV 1978, 629 (633). 42 Vgl. Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 81. 43 BVerfGE 57, 170 (178) – Briefverkehr in der Untersuchungshaft. 44 Kirchhof, Paul, Essener Gespräche, Band 21, 1986, 117 (118). 45 Vgl. zur „Vermittlung von Entwurfskompetenz“ Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 110. 46 Vgl. hierzu Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 15 (33).
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2. Sicherung der Fortexistenz von Staat und Gesellschaft durch Reproduktion Versteht man unter einer Familie jede Form des Zusammenlebens von Eltern mit ihren Kindern,47 ist sie der einzige Ort, in der Menschen geboren und aufgezogen werden. Nur durch diese biologische Grundvoraussetzung ist der Bestand unserer Gesellschaft und auch unseres Staates gewährleistet, dessen Voraussetzung neben einem Staatsgebiet und einer Staatsgewalt vor allem das Staatsvolk ist. Das staatliche und gesellschaftliche Interesse an der Familie findet seine biologische Basis in der Sterblichkeit der Menschen, in der Zweigeschlechtlichkeit der Fortpflanzung und der langen Pflegebedürftigkeit des Nachwuchses, der zu seiner Entwicklung auf dauernde Zuwendung angewiesen ist.48 Ohne Familie gibt es keine Kinder, ohne Kinder stirbt der Staat aus. Dieses sich stets verschärfende Problem des Nachwuchsmangels kann nicht durch eine liberalere Zuwanderungspolitik gelöst werden. Abgesehen davon, dass die Integration von Ausländern wegen Sprach- und Kulturbarrieren mit Schwierigkeiten verbunden ist und zudem erhebliche Kosten verursacht, passen Ausländer ihr generatives Verhalten tendenziell dem der einheimischen Bevölkerung an,49 so dass langfristig kein Zuwachs zu erwarten ist.50 Deshalb sichert das politische Gemeinwesen mit den im familiären Zusammenhalt aufwachsenden Kindern seine Existenz in der Zeit.51
3. Wertevermittlung als Zukunftssicherung für Staat, Wirtschaft und Kultur Die Familie ist nicht nur in biologischer, sondern auch in ideeller Hinsicht eine wichtige Voraussetzung für den Bestand des Staates. Sie sichert die tatsächlichen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland, die in ihren rechtlichen und ökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten überfordert wäre, würden hier nicht Verhaltensformen von einer Generation in die nächste Generation weitergegeben, die Muttersprache vermittelt, die Kinder in der Geborgenheit der Familie zu selbstbewussten und wertungssicheren Bürgern erzogen und in die Gesellschaft integriert werden.52 Weil der Mensch im Gegensatz zum Tier mit weniger Instinkt und Trieb ausgestattet ist, bedarf er kultureller Leitbilder und normativer Orientierungsmuster, um zu einem überlebenstauglichen Wesen zu werden.53 Durch Nachahmung der Eltern Vgl. unten, B. II. 1. Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 7, zur Reproduktionsfunktion der Familie auch Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 48 ff., 66 ff. 49 Wingen, Max, Kinder in der Industriegesellschaft – wozu?, S. 80. 50 Vgl. ebenso: Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 63. 51 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994). 52 Ockenfels, Wolfgang, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 111 (120). 53 Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 6 f. 47 48
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und Identifikation mit der Familie erhält der Mensch diese für ihn notwendigen Lebenshilfen. In der Familie existiert ein Raum, in dem Meinungen frei geäußert, diskutiert und korrigiert werden können. Die Familie kann so im Zeitalter der Medien „Gegengewalt gegen herrschende Meinungen und veröffentlichte Wertungen“54 sein und damit einen wichtigen Beitrag zu einer offenen Demokratie leisten. Anders als in totalitären Ordnungen wie dem Sozialismus, in dem der Ehe und Familie Misstrauen entgegengebracht und deshalb die Kindererziehung kollektiviert wurde, um den potentiellen Einfluss elterlicher Erziehung zu reduzieren oder sogar auszuschalten,55 ist die Demokratie auf die kritische Auseinandersetzung mit den staatlichen Institutionen und ihren Repräsentanten angewiesen. Die Geschichte zeigt, dass öffentliche Trends ohne individuelle Gegenwehr den Staat, Frieden und Freiheit zerstören können. Die Familie ist ein Refugium der Freiheit, in dem ihre Mitglieder abgeschirmt von der Macht der Kollektive im familiären Zusammenhalt aufwachsen.56 Dieser Hort der Freiheit ist umso stärker, als Mann und Frau – die Ehe – Maßstäbe und Lebenspraxis der Familie bestimmen und nicht als Alleinerziehende auf vermehrte außereheliche Beratung und Hilfe angewiesen sind. In der Familie erlernen Kinder und Eltern zudem, sich in einer arbeitsteiligen Gesellschaft und Wirtschaft füreinander einzusetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Gerade hier bejahen sie durch ihr solidarisches Verhalten denen gegenüber, die ihnen nahe stehen, die Werte des menschlichen Zusammenlebens und seine Maßstäbe. Sie erfahren, was soziale Kompetenz bedeutet. In der Familie werden Solidarität und Gemeinschaftsfähigkeit erlernt. Die Familie vermittelt die in der Wirtschaft geforderten Fähigkeiten der Kommunikation, der Teamarbeit und des Anpassungsvermögens. Ohne Kinder verliert die Wirtschaft und Arbeitswelt zudem ihre Innovationsfähigkeit. Ohne jugendlichen Elan schrumpft die Risikobereitschaft der Führungskräfte und vermindert die Dynamik der Wirtschaft.57 Allerdings hat diese Zuwendung der Eltern zu ihren Kindern oft zur Folge, dass zumindest ein Elternteil vorübergehend auf Erwerbstätigkeit verzichtet, die im Beruf erfahrene Begegnung, Anerkennung und Einkommenserzielung also durch die Familiengemeinschaft insoweit ersetzt wird. Darüber hinaus ist die Familie die „kulturelle Grundlage der Gesellschaft.“58 Jede Generation kann nur die Kultur entfalten und weiterentwickeln, deren Wurzeln von vorausgegangenen Generationen gepflanzt worden sind.59 Die Kinder sprechen ihre Muttersprache, sie lernen als erstes die Musik und die Kunst kennen, die der Neigung der Eltern entsprechen. Sie ahmen die Verhaltensweisen ihrer ElSo Kirchhof, Paul, Essener Gespräche, Band 21, 1986, 117 (120). Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 60. 56 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994). 57 Borchert, Jürgen, Wiesbadener Entwurf, S. 22. 58 Häberle, Peter, Verfassungsschutz der Familie – Familienpolitik im Verfassungsstaat, S. 31. 59 Kirchhof, Paul, Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, S. 83. 54 55
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tern nach und lassen sich von ihrer Religiösität beeindrucken. Erst später werden sie vermehrt durch andere Institutionen wie Schule, Medien und Vereine beeinflusst.60 Die Ehegatten werden mit der Elternschaft zu Kulturmittlern, erleben eine Kultur der Verantwortung und verwirklichen weniger sich selbst als die Persönlichkeit des Kindes. So bietet die Gemeinschaft von Eltern und Kindern in der Familie das Band zwischen Herkunft und Zukunft.61 Durch die verantwortungsbewusste Erziehung der Kinder in der Familie wird die wirtschaftliche, kulturelle, soziale und wissenschaftliche Qualität der Gesellschaft erhalten. Die Ehe bereichert, die Familie ermöglicht die Gesellschaft.
4. Entlastung des Sozial- und Rechtsstaates durch Erziehung und Fürsorge Verantwortliche Erziehung in der Familie erübrigt weitgehend staatliche Kinderbetreuung und Lebensbegleitung. Der Staat und insbesondere das Jugendamt sind – wie es Art. 6 Abs. 2 GG nahe legt – nur Helfer in Notsituationen. Die gesetzlichen Grundlagen gehen von der Erziehungskompetenz der Eltern aus. Die Familie bietet generell, wenn auch nicht in jedem Einzelfall, die Chance optimaler Entwicklung und Sozialisation des Kindes.62 In der intakten Familie gewinnen Kinder Kontinuität und emotionale Stabilisierung. Frühkindliche Fremdbetreuung in staatlichen Institutionen zeigen bei den Kindern vermehrt Deprivationssyndrome, da die wesentlichen Grundbedürfnisse der Kleinst- und Kleinkinder sich vor allem auf die Nähe einer Bezugsperson richten63 und die kindliche Entwicklung entscheidend in den ersten Jahren geprägt wird. Die Familien entlastet den Rechtsstaat deshalb in zweierlei Hinsicht durch ihre Erziehungsleistung: Sie reduzieren die Notwendigkeit staatlicher Einrichtungen der Jugendfürsorge und erfüllen die Erziehungsleistung besser, als jede staatliche Institution es leisten könnte. Wie die Ehe ersparen auch familiäre Bindungen sowohl öffentliche Sozialhilfe als auch Dienstleistungen in Krankenhäusern, Kinder- und Seniorenheimen. Der von den Eltern an ihre Kinder geleistete Unterhalt geht aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII grundsätzlich der Sozialhilfe vor. Gerade eine vollständige Familie bestehend aus Vater, Mutter und Kind kann in den meisten Fällen unabhängig von Sozialhilfe leben. Alleinerziehende dagegen erhalten besonders häufig Sozialhilfe: Unter den 1,44 Mio. Haushalten, die Sozialhilfe im Jahr 2002 bezogen haben, waren 340 000 Haushalte, in denen eine allein erziehende 60 Die Kulturfunktion der Familie unterstreicht Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 68. 61 Kirchhof, Paul, Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit, S. 83 f. 62 Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 66. 63 Vgl. Hassenstein, Bernhard, Verhaltensbiologie des Kindes, S. 507 ff.; Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 67.
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Frau mit Kindern lebte. Dies ist im Verhältnis zur Anzahl der Alleinerziehenden in der Bevölkerung eine besonders hohe Quote.64 Auch Kinder schulden ihren Eltern Unterhalt. Zudem sind sie als zukünftige Erwerbstätige für jeden Generationenvertrag die Beitragszahler von morgen. In umlagefinanzierten Sozialversicherungssystemen kommen sie für die Renten der Generation ihrer Eltern auf. Mehr noch als die eheliche Gemeinschaft wirkt auch eine stabile Familiengemeinschaft friedensstiftend und beugt so staatlichen Eingriffen vor. In dieser Gemeinschaft kann der einzelne sich von Zwängen und Belastungen der übrigen Gesellschaft erholen.65
5. Familie als meistgelebte Lebensform Trotz der rechtlichen und ökonomischen Benachteiligung der Familie und deren Rückwirkung auch auf die Eheschließung ist die vollständige Familie entgegen oft geäußerter Stimmen66 die Lebensform der Zukunft. In Deutschland leben über 50% der Bevölkerung in der herkömmlichen Gemeinschaft von Mutter, Vater und Kind.67 Drei Viertel der Jugendlichen zwischen zwölf und 25 Jahren wohnen in ihrer (ursprünglichen) Familie. Fast 90% der Jugendlichen geben an, dass sie sich in ihrer Familie wohl fühlen, auch wenn es ab und an zu Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern kommt.68 Die Familie ist als Gemeinschaft zumindest von Mutter und Kind ohne Alternative für Staat und Gesellschaft. Als aus der Ehe hervorgegangene Gemeinschaft von Eltern und Kindern entlastet sie beide Elternteile, bietet den Kindern Entfaltungsmöglichkeiten und ist deshalb die Lebensform, die junge Menschen anstreben.
III. Gleichklang und Spannung zwischen Ehe und Familie Die Lebensformen von Ehe und Familie haben vieles gemeinsam. Beide sind private Lebensgemeinschaften, in denen Menschen in einer gemeinsamen Privatsphäre leben, die von Verantwortung für den anderen geprägt ist.69 Sie sind beide Orte des Zusammenhalts im Gegensatz zu vielen Bereichen der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Ehe und Familie wirken gegen den Verlust von Inhalten und Werten, über die sich die Gesellschaft einig ist und an denen sie sich orientiert. Sie beugen sowohl einer Verarmung der Alleinerziehenden als auch einer allgemeinen Redu64 65 66 67 68 69
Statistisches Bundesamt, Datenreport 2004, S. 219. Als Funktion der Regeneration bezeichnet dies Schmid, Viola, S. 199. Vgl. mit weiteren Nachweisen: Kissling, Christian, Familie am Ende?, S. 1 ff. Institut für Demoskopie Allensbach, Neue Wege der Familienförderung, S. 8. Deutsche Shell, Jugend 2002, Zusammenfassung S. 3. Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (183).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
zierung auf materielle Gehalte vor. Beide Lebensformen setzen die Bereitschaft voraus, sich durch gemeinschaftliche Beziehungen mit anderen Menschen in Pflicht nehmen zu lassen.70 Ehe und Familie haben eine eigene von Toleranz geprägte Wertekultur, in der sich ihre Mitglieder auf das Anderssein des Ehepartners, der Eltern und der Kinder einlassen müssen. Deshalb sind in Ehe und Familie die Grundlagen eines demokratischen Kulturstaates verankert. Aufgrund der gelebten Übernahme von finanzieller und persönlicher Verantwortung entlasten diese Gemeinschaften den Sozial- und Rechtsstaat. Als Institutionen stabilisieren die Rechtsform der Ehe und der Familie diesen personalen Zusammenhalt. Weil in der Familie Kinder aufwachsen und dadurch die Existenz des Staates in der Zeit und in seiner kulturellen Identität gewährleistet wird, erfüllt die Familie eine zusätzliche, in die Zukunft gerichtete Funktion. Die Erziehungsleistung der Eltern, durch die Kultur, Demokratie und soziale Strukturen nicht nur gelebt, sondern auch für die Zukunft an die nächste Generation weitergeben werden, werden vor allem in der Familie geleistet. Da aber die Ehe im Regelfall auf ein Kind angelegt und deshalb auf die Familie hin ausgerichtet ist, erfüllt auch die Ehe mit ihrer Zukunftsperspektive diese gemeinschaftstragende Funktion. Die Ehe basiert auf dem Gesetz der Gegenseitigkeit und bietet deshalb durch ein erprobtes, vorbildhaftes Zusammenleben die Grundlage der familiären Verantwortung für Kinder. In ihrer Verlässlichkeit erfüllt sie eine wesentliche Aufgabe, die eine Familie zu leisten hat. Nur in diesem Zusammenhang lässt sich die grundlegende Bedeutung von Ehe und Familie im Gegensatz zu anderen Lebensformen verstehen. Die Dauerhaftigkeit und Stetigkeit der Ehe unterscheidet sie von der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. In der Ausrichtung auf das Kind leisten beide Lebensformen einen generativen Beitrag zum Gemeinwohl,71 die andere Lebensformen schon aufgrund ihrer biologischen Voraussetzungen nicht leisten können.72 Durch ein Leben in Gemeinschaft erfüllen Ehe und Familie die gleichen Aufgaben und sind auf die gleichen Zielvorstellungen ausgerichtet. Dennoch geraten Ehe und Familie immer wieder in Widerklang. Die Anliegen der Ehegatten stehen oft hinter den Bedürfnissen des Kindes zurück. In der Ehe können sich beide Ehegatten in ihrem Beruf und in ihrer Freizeit selbst verwirklichen, ein Kind hingegen fordert ständig Präsenz; Erziehungsaufgaben bedeuten deshalb Berufsoder zumindest einen Einkommensverzicht. So definieren Elternpflichten den Freiheitsraum der Ehegatten neu. Die Ehe widmet ihre Aufmerksamkeit dem anderen Partner, in der Familie dreht sich der Alltag vermehrt um das Kind. Das Kind eröffnet für seine Eltern die Lebensbereiche von Kindergarten, Schule und Jugendsport wieder neu. Auch Lernen und Erproben gehören zur Familie, weniLoschelder, Wolfgang, FamRZ 1988, 333 (334). Ockenfels, Wolfgang, Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft, S. 223. 72 Vgl. zur eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare: Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 ff.; Braun, Johann, ZRP 2001, 14 ff. 70 71
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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ger zur Ehe. So treten die Interessen der Ehegatten in der Familie hinter denen des Kindes zurück, ihre Freiheit wird von der Elternverantwortung überlagert und eingeschränkt.
B. Die verfassungsrechtlichen Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG Mit den Begriffen Ehe und Familie nimmt Art. 6 Abs. 1 GG die außerrechtlich geprägten Lebensgemeinschaften in die Verfassung als seine Schutzobjekte auf. Beide Rechtsinstitute werden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht abstrakt, sondern in einer, dem Herkommen und der Entwicklung entsprechenden Ausgestaltung gewährleistet, die in einfachgesetzlichen Regelungen ihren Ausdruck gefunden hat.73 So verweist Art. 6 Abs. 1 GG auf die Rechtsinstitute des bürgerlichen Rechts, ohne die der Verfassungsauftrag im Konkreten nicht zu erfüllen wäre. Doch besitzen die Verfassungsbegriffe von Ehe und Familie einen eigenen Mindestgehalt und folgen so nicht lediglich den einfachgesetzlichen Entwicklungen nach.74 Aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Charakters als Einrichtungsgarantien sind die Strukturprinzipien von Ehe und Familie zunächst aus der außerrechtlichen Lebensordnung ablesbar. Die Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte hat, teilweise nach vorherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, gesellschaftliche Entwicklungen in die Verfassungsinterpretation aufgenommen. Der Verfassungsauftrag der Einrichtungsgarantie des Art. 6 GG gibt dem Gesetzgeber einen Gestaltungsraum, um Ehe und Familie als lebenskräftige Einrichtungen der gesellschaftlichen Ordnung und Entwicklung zu erhalten und weiterzubilden, ohne ihren verfassungsrechtlich festgelegten Kerngehalt und intendierten Schutz aufzuheben oder in Frage zu stellen.75 Eine solche durch den einfachen Gesetzgeber vollzogene Aufnahme eines gesellschaftlichen Wandels in die Verfassung ist notwendig, da es keinen normativen Idealzustand von Ehe und Familie gibt und die Verfassung für neue Anfragen Antworten finden muss, um ein gültiger Maßstab in der Zeit zu bleiben. Diese Offenheit ist in der Verfassung angelegt. Einerseits sollte nach den Diskussionen im Parlamentarischen Rat 1949 das herkömmlich geboten Erscheinende garantiert werden. Zugleich sollte mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau und dem Anspruch auf möglichst weitgehende Gleichstellung der ehelichen und nichtehelichen Kinder zukunftsweisenden Entwicklungen die Tür geöffnet werden.76 Mit dem 73 BVerfGE 53, 224 (245) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip), vgl. Nachweise bei Loschelder, Wolfgang, FamRZ 1988, 333; Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 7. 74 Loschelder, Wolfgang, FamRZ 1988, 333 (335). 75 Badura, Peter, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 54.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Verlust der Herrschaft des Hausvaters und der Betonung der subjektiven Grundrechte von Frau und Kindern, der Konkretisierung ihrer Gleichberechtigungsansprüche in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes und der wachsenden Bedeutung des Persönlichkeitsrechts von Mann und Frau (Art. 2 Abs. 1 GG) waren Ehe und Familie schon durch den Verfassungsgeber bewusst in eine Bewegung geraten.77 Im Parlamentarischen Rat wurde über den konkreten Sinn des Art. 6 Abs. 1 GG wenig gesprochen. Doch wurden bestimmte Strukturprinzipien aus der außerrechtlichen Lebensordnung, die später vom Bundesverfassungsgericht nachgezeichnet wurden,78 sowohl für die Ehe als auch für die Familie stillschweigend vorausgesetzt. Diese Strukturprinzipien überdauern einen gesellschaftlichen Wandel. Die Verfassung fordert Stetigkeit, auf ihren materiellen Gehalt muss sich der Mensch verlassen können, um Rechtssicherheit zu haben. Deshalb nimmt Art. 6 GG die gezeigten Entwicklungen nur bedingt auf, der Kernbestand der Schutzobjekte Ehe und Familie bleibt bestehen.79 Unter dieser Prämisse soll im Folgenden untersucht werden, was Ehe und Familie heute verfassungsrechtlich bedeuten.
I. Der Schutzbereich der Ehe Die Ehe wurde ursprünglich als eine rein private Angelegenheit angesehen, in der die zwischenmenschlichen Beziehungen durch die sozialen Strukturen bestimmt und kontrolliert wurden. Durch die Verbreitung des christlichen Glaubens bekamen die Kirchen großen Einfluss, so dass die sozialen Strukturen von religiösen Grundsätzen geprägt wurden. Der Vertragsgedanke wurde von den Vorstellungen der Ehe als unscheidbares Sakrament überlagert, der freie Konsens der Ehegatten als Ehevoraussetzung blieb aber bestehen. Hervorgerufen durch einen Machtkampf zwischen der Kirche auf der einen und dem Staat und den führenden Familien auf der anderen Seite setzte im 16. Jahrhundert eine Verstaatlichung der Ehe ein, deren vorläufigen Schlusspunkt das Konzil von Trient (1545 – 1563) bildete, durch das die Eheschließung zu einem öffentlichen Akt wurde.80 Der Staat erhielt die grundsätzliche Regelungskompetenz für die Ehe. Das Eherecht in Europa im 16. bis 19. Jahrhundert wurde durch die vermehrte Berücksichtung der Eltern- und Familieninteressen und durch öffentliche Belange gekennzeichnet. Beeinflusst durch die Aufklärung setzte sich im 20. Jahrhundert eine Deregulierung und Privatisierung des Eheverständnisses in Kontinentaleuropa durch. Das Recht auf Ehe76 Details zur Entstehungsgeschichte bei Schmid, Viola, S. 264 ff., vgl. auch Zacher, Hans F., HStR VI, § 134 Rn. 24 ff., Richter, Ingo, AK-GG, Art. 6, Rn. 6. 77 Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987),7 (13). 78 BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt. 79 Grundlegend BVerfGE 6, 55 (72) – Steuersplitting. 80 Decretum tametsi, vgl. Jedin, Le origini dei registri parocchiali e il Concilio di Trento, Riv. „Il Concilio di Trento“ II (1943) 323 – 336; zitiert nach: Coester-Waltjen, Dagmar, Ehe und Familie im Rechtsvergleich in Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 69 (70 ff.).
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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schließung wird seitdem als natürliches Recht und Teil des Persönlichkeitsrechts verstanden, so dass jede staatliche Regulierung der Legitimation bedarf. Der ursprüngliche Vertragsgedanke der Ehe lebte wieder auf, gleichzeitig blieb allerdings die Vorstellung erhalten, dass die Ehe auch für die staatliche und gesellschaftliche Gemeinschaft von Nutzen ist. So ist das heutige Eheverständnis von einer Spannung zwischen staatlicher Regulierung und privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit geprägt,81 das sich seit Beginn des Grundgesetzes auch im Verfassungsverständnis widerspiegelt. Der Verfassungsbegriff der Ehe in Art. 6 GG wurde durch den Wandel der Lebensverhältnisse stetig auf die Probe gestellt. Dem Bundesverfassungsgericht oblag immer wieder die Aufgabe, die vom Gesetzgeber vorgenommene Interpretation der Ehe zu überprüfen. So konnte der Ordnungskern der Ehe in einer detaillierten Rechtsprechung82 herausgearbeitet, über die Jahre verfestigt und Rechtssicherheit gewährleistet werden. Im Zusammenspiel zwischen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht haben sich verbindliche Kernelemente des verfassungsrechtlichen Eheverständnisses herausgebildet. Dabei ist zu beachten, dass die Ehe zwar für die gesellschaftlichen Entwicklungen offen, aber doch in ihren Grundstrukturen von der Rechtsordnung geformt ist.83 Die Ehe ist eine vor dem Standesbeamten geschlossene, auf Dauer angelegte Lebens-, Wirtschafts-, Haus- und Beistandsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, für die sich beide frei entschieden haben und die sie gleichberechtigt in eigener Verantwortung ausgestalten.84 Das der Verfassung zugrundegelegte Eheverständnis geht wie schon 1919 deshalb von dem Bild einer verweltlichten bürgerlich-rechtlichen Ehe aus.85
1. Mitwirkung des Staates zur Begründung eines staatsfreien Raumes Im Gegensatz zur Gründung einer Familie, bei der es allein auf den tatsächlichen Vorgang der Geburt eines Kindes ankommt, wird die Ehe unter Mitwirkung des Staates geschlossen.86 Der Standesbeamte überprüft die Voraussetzungen und Hindernisse der Ehe und gewährleistet die Offenkundigkeit der Eheschließung und Coester-Waltjen, Dagmar, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 69 (69 – 74). Vgl. exemplarisch BVerfGE 6, 55 ff. – Steuersplitting; 10, 59 ff. – Elterliche Gewalt; 29, 166 ff. – Ferntrauung; 62, 323 ff. – hinkende Ehe; 80, 81 ff. – Erwachsenenadoption. 83 Nach Friauf, Karl Heinrich, NJW 1986, 2595 (2601), ist die Ehe „rechtserzeugt“ und weniger „sachgeprägt“, und ihre Kernelemente deshalb gegen einen gesellschaftlichen Wertewandel resistent, vgl. zu den Begriffen Müller, Friedrich, Juristische Methodik, S. 38 ff. 84 BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt; 29, 166 (176) – Ferntrauung; 53, 224 (245) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip); 62, 323 (330 f.) – Hinkende Ehe. 85 BVerfGE 31, 58 (82 f.) – Spanier-Beschluss m. w. N., vgl. auch die Nachweise bei Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 31. 86 BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt; 29, 166 (176) – Ferntrauung; 62, 323 (331) – Hinkende Ehe. 81 82
8 Nesselrode
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
damit die Klarheit der Rechtsverhältnisse,87 indem er den übereinstimmenden Willen von Mann und Frau, gemeinsam eine Ehe einzugehen, beurkundet.88 Dadurch wird das Freiheits- und Verantwortungsverhältnis der Ehe für beide Partner rechtsverbindlich und gleichzeitig zu einem öffentlichen Rechtsverhältnis, das die Tatsache der Eheschließung für die Allgemeinheit erkennbar macht.89 Die Mitkonstitution des Staates schafft Rechtssicherheit, indem sie den Mangel an Ehehindernissen – vor allem das Bigamie-90 und das Inzestverbot91 – feststellt. Sie erspart den Freiheitsberechtigten bei Anwendung des Sozial- und Steuerrechts Nachforschungen in ihrer Privatsphäre, inwieweit sie eine Lebens-, Beistands-, Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden. Durch den staatlichen Akt entsteht ein Raum der Staatsferne, in dem die Partner sich frei entfalten und autonom über die Regeln ihres Zusammenlebens entscheiden können. Der Staat kann allerdings nur das schützen, was er auch benennen und definieren kann.92 Deshalb ist das Mitwirken des Staates von „entscheidender“ 93 und „wesentlicher“94 Bedeutung, um den Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG erfüllen zu können und gehört zu den Kernelementen des Eheverständnisses des Grundgesetzes.95
BVerfGE 29, 166 (176) – Ferntrauung. BVerfGE 29, 166 (176) – Ferntrauung; 62, 323 (331) – Hinkende Ehe; vgl. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 40. 89 BVerfGE 62, 323 (331) – Hinkende Ehe. 90 Zum Prinzip der Einehe BVerfGE 31, 58 (69) – Spanier-Beschluss. Zur Grundvoraussetzung der Ehe gehört trotz der Scheidungs- und Wiederverheiratungshäufigkeit nach historischem und gegenwärtigen Verständnis die Monogamie, vgl. hierzu auch Coester-Waltjen, Dagmar, in von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 8. 91 Dazu BVerfGE 36, 146 (166 f.) – Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft. 92 Isensee, Josef, Wer definiert die Freiheitsrechte?. 93 BVerfGE 29, 166 (176) – Ferntrauung. 94 BVerfGE 62, 323 (331) – Hinkende Ehe. 95 Nach Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6 Rn. 18, kann die Ehe nur als öffentlich festgestelltes Rechtsverhältnis als Anknüpfungspunkt für mannigfache Bezugnahmen dienen und nur so die von der Verfassung gesicherten Funktionen im sozialen Leben ausüben, a.A. Robbers, Gerhard, von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 39, der die staatliche Mitkonstitution nicht zum Kernbereich der Ehe zählt, sondern sie allein für die Klarheit der Rechtsverhältnisse als dienlich ansieht. Notwendige Mitwirkung des Staates sei allein die Umschreibung des Ehebegriffs. Coester-Waltjen, Dagmar, in: von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 5, Coester-Waltjen, Dagmar, in Gernhuber / Coester-Waltjen, Familienrecht, § 11 I 2, fordert nur eine Formalisierung als Ordnungselement, allerdings wird nicht klar, wie diese Formalisierung aussehen könnte, um den staatlichen Schutz effektiv gewährleisten zu können. Kingreen, Throsten, Jura 1997, 401 (402), weist zu Recht darauf hin, dass das unabweisbare Bedürfnis an Publizität nicht durch eine kirchliche oder sonstige Gemeinschaft gestillt werden kann, wenn deren Ehebild möglicherweise nicht mit dem der Art. 6 Abs. 1 und 3 Abs. 2 GG übereinstimmt. 87 88
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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2. Verschiedengeschlechtlichkeit Art. 6 GG schützt die Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau. Die Verschiedengeschlechtlichkeit gehört zum unantastbaren Wesensgehalt der Ehe,96 weil nur so eine generelle Fortpflanzungsfähigkeit institutionell abgesichert werden kann.97 Allein die Gemeinschaft von Mann und Frau kann Nachwuchs erzeugen und so das Staatsvolk und die Zukunft der Gesellschaft sichern. Diese für das Bestehen des Staates unerlässliche Voraussetzung versucht der Staat zu gewährleisten, indem er dieser Gemeinschaft einen institutionellen Rahmen schafft und sie unter seinen besondern Schutz stellt. Würde man die generelle Fortpflanzungsfähigkeit nicht zum Wesensgehalt der Ehe zählen, könnte die Institution Ehe diese ihr zugedachte Funktion nicht erfüllen. Deshalb darf die Geschlechtsverschiedenheit nicht allein aus einem in Deutschland bei Beginn des Grundgesetzes vorherrschenden Eheverständnisses abgeleitet werden.98 Dem Argument, dass sich die Anschauungen in diesem Bereich heute geändert haben, steht auch die Auslegung des Ehebegriffs auf europäischer Ebene entgegen. Die Europäischen Gerichthöfe in Straßburg und in Luxemburg stellen übereinstimmend die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner als konstitutives Tatbestandsmerkmal des Ehebegriffs dar.99 Um die Intimsphäre der Ehepartner zu wahren und ihnen eine eigenständige, freiheitliche Ausgestaltung ihres ehelichen Zusammenlebens zu ermöglichen,100 beschränkt sich das Verfassungsinstitut allerdings darauf, eine generelle Fortpflanzungsfähigkeit zu fordern. Das Eingehen einer Ehe hängt weder von sexuellen Gewohnheiten noch von der individuellen Zeugungs- und Gebärfähigkeit der Partner ab.101 Ansonsten würden alle kinderlosen Ehepaare aus dem Schutz des Art. 6 GG 96 BVerfGE 10, 59 (66) – elterliche Gewalt, a.A. Ott, Sieghart, NJW 1998, 117 (118), der fälschlicherweise davon ausgeht, dass das Bundesverfassungsgericht die Verschiedengeschlechtlichkeit „nicht unter den essentialia“ des Ehebegriffs nennt, sondern „Mann und Frau“ nur in die Definition der Ehe mit einbezogen worden sind, weil sie dem gelebten und gesetzlich geregelten Bilder der Ehe zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung entsprochen hatten. 97 Vgl. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 44. 98 So aber Coester-Waltjen, Dagmar, in: Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 9; Beck, Volker, NJW 2001, 1894 (1897) verneint die Verknüpfung zwischen Ehe, Familie und Fortpflanzungsfähigkeit, vgl. dazu auch Risse, Jörg, S. 209, Schimmel, Roland, S. 117 u. 147. Abgesehen von dieser Kritik kann die Nachwuchssicherung als Kern des griechischen, römischen und christlichen Schutzes des Lebensbereichs Ehe und Familie angesehen werden, vgl. die ausführliche Darstellung bei Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 9 ff., insbes. Rn. 12. 99 EGMR ÖLZ 1991, 173 (175); EuGH DVBl. 2001, 1199. 100 BVerfGE 49, 286 (300) – Transsexuelle I. 101 BVerfGE 49, 286 (300) – Transsexuelle I. Die Zeugung ist nicht mehr notwendiger Ehezweck: So noch BGHSt 6, 46 (53); für die heutige Auffassung siehe auch, Gernhuber, Joachim, Familienrecht, S. 181; Wacke, Andreas, Münchner Kommentar, Ergänzungsband, § 1353 Rn. 34
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herausfallen. Der institutionelle Schutz der Fortpflanzungsfähigkeit ist von individuellen Umständen, Fähigkeiten und Orientierungen unabhängig.102 Er bestätigt im Typus der Rechtsinstitute die Annahme, dass die Ehe vor allem deshalb verfassungsrechtlich geschützt wird, weil sie eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll.103 Dieses institutionelle Angebot ist notwendige Konsequenz des in Art. 6 GG angelegten Freiheitsrechts, das die freie Ausgestaltung der Ehe durch die Partner gewährleistet. 3. Grundsätzliche Unauflösbarkeit Die Ehe wird von beiden Partnern als dauernde Gemeinschaft beabsichtigt und versprochen und ist auch nach ihrem Inhalt auf Lebenszeit angelegt. Diese Lebenslänglichkeit entspricht auch der Unkündbarkeit der in der Ehe angelegten Elternschaft. Allerdings können die Ehepaare an ihrer selbst auferlegten Aufgabe, die lebenslange personale Gemeinschaft zu verwirklichen, scheitern.104 Mit dem zu Beginn subjektiv unterstellten Motiv105 der Unauflösbarkeit korrespondiert keine tatsächliche Pflicht, gescheiterte Ehen als Zwangsgemeinschaft dauernd aufrecht zu erhalten, weil zum Wesen der Ehe die gelebte, auf Gegenseitigkeit beruhende Gemeinschaft gehört und diese nicht gegen die nachhaltige Ablehnung eines der beiden Ehegatten gelebt werden kann.106 Die Ehe ist ein Freiheitsverhältnis, in dem die Freiheitsvorstellungen des einen Partners mit den Freiheitsvorstellungen des anderen in wechselseitiger Beziehung stehen. Sie wird durch diesen Dialog zu einem Freiheitsgewinn gegenüber einer Beziehung, in der nur die eigenen Freiheitsvorstellungen verwirklicht werden, sie wird zur Belastung, wenn die Freiheit nicht in Verantwortung und gegenseitigem Anerkennen ausgeübt wird.107 Zudem läuft es dem Freiheitsgedanken jeden Grundrechts zuwider, wenn die Freiheitsausübung durch eine unverhältnismäßige Selbstbeschränkung begrenzt wird.108 Aufgrund der Erkenntnis, dass Menschen in der Wahl ihres Partners irren können, gewährleistet die Verfassung die Ehe als auf Dauer angelegte, aber auflösbare Lebensgemeinschaft. Allerdings verbürgt schon das Wissen um die grundsätzliche Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 44. BVerfG NJW 1993, 3058 (3058) – Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare. 104 BVerfGE 53, 224 (245) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip); vgl. dazu auch Klein, Franz, in Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG; 1995, Art. 6, Rn. 1, der betont, dass die Ehegatten durch die Scheidung ihre Eheschließungsfreiheit wiedererlangen und dies zur verweltlichten bürgerlich-rechtlichen Ehe gehört. 105 Richter, Ingo, AK-GG, Art. 6, Rn. 15. 106 BVerfGE 53, 224 (250) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip). 107 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 38, der zu Recht „die zugetraute Freiheit als Geschenk, die zugemutete Freiheit aber als Last“ ansieht. Ausführlich zu diesem dogmenphilosophischen Ansatz: ders., Das Überwachungsverhältnis, 1992, S. 78 ff. 108 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 52. 102 103
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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Unauflöslichkeit der Ehe als rechtliche Verbindung in der Regel die Ernstlichkeit des Entschlusses, die Ehe einzugehen, und stärkt den Willen, an der einmal eingegangenen Verbindung festzuhalten.109 Der Gesetzgeber ist von Art. 6 GG angehalten, diese grundsätzliche Unauflöslichkeit beizubehalten und neben den Regelungen der Scheidung auch der fortwirkenden personalen Verantwortung der Ehegatten füreinander Rechnung zu tragen.110 Denn das eheliche Pflichtverhältnis wird durch Trennung und Scheidung grundlegend verändert, aber es wird nicht beendet.111 Der verfassungsrechtliche Schutz erfasst nicht den Bestand einer „toten Ehe“, sondern sichert nur noch die Auflösungsfolgen, insbesondere die Unterhaltsansprüche nach der Scheidung als Folgewirkung der personalen Verantwortung der Ehegatten,112 mögen diese den Freiheitsberechtigten auch bei Eingehen einer neuen Ehe finanziell erheblich einschränken.113
4. Einehe Die Ehe ist ihrer sittlichen Idee nach eine Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die allein zwischen diesen beiden Individuen besteht und insofern höchstpersönlich ist.114 Weil die Ehe im Gegensatz zu anderen Personengemeinschaften eine starke innere Bindung und Verantwortung der Partner füreinander fordert, sie zudem potentielle Elternschaft für gemeinsame Kinder ist, lässt sie keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art neben sich zu. Dieses Prinzip der Monogamie entspricht einer grundlegenden Struktur der abendländischen Ehe115 und ist als konstitutives Wesensmerkmal der Ehe der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers schlechthin entzogen.116 Es trägt die Erfahrung in sich, dass die Ehe als exklusive Verbindung zwischen Vater und Mutter die beste Grundlage für die Entwicklung von Kindern ist.117 So dient der monogame Charakter der Ehe nicht nur dem Schutz der Intimsphäre der Ehegatten, sondern auch dem Schutz der Familie.118 Larenz, Karl, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, § 4, S. 51. BVerfGE 53, 224 (250) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip). 111 BVerfGE 53, 257 (297) – Versorgungsausgleich I. 112 BVerfGE 108, 351 (364) – Unterhalt und Ehegattensplitting unter Verweis auf BVerfGE 66, 84 – Unterhalt III. 113 BVerfGE 53, 224 ff. – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip), BVerfGE 62, 323 ff. – Hinkende Ehe, hierzu auch Coester-Waltjen, Dagmar, in von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 6. 114 Larenz, Karl, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, § 4 (S. 48). 115 Pieroth, Bodo / Schlink, Bernhard, Grundrechte, Rn. 695; Seidel, Gerd, S. 55. 116 Giesen, JZ 1982, 817 (819). 117 Zur Geschichte der Monogamie: König, René, Zur Geschichte der Monogamie, S. 9 ff. 118 Vgl. hierzu Schmid, Viola, S. 200: „Der Schutz der Familie zwingt der Institution Ehe ihren monogamen Charakter auf.“ Zum Prinzip der Einehe in der Rechtsprechung: BVerfGE 31, 58 (69) – Spanier-Beschluss. 109 110
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5. Wirtschaftsgemeinschaft Im Gegensatz zu Geschiedenen und Getrenntlebenden bilden zusammenlebende Ehegatten eine umfassende Wirtschaftsgemeinschaft. In einer intakten Ehe tragen beide Ehegatten zur gemeinsamen Lebensführung bei. Sie bilden eine Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs, in der sie gemeinsam durch Aufgabenverteilung untereinander Einkommen in einen Topf wirtschaften und jeweils an den Einkünften wie Lasten des anderen teilhaben.119 Art. 6 GG schützt so die freie Entscheidung der Ehegatten, gemeinsam berufstätig zu sein oder einen der Ehegatten den häuslichen Bereich versorgen zu lassen und die notwendigen Finanzmittel durch die Beruftätigkeit des anderen Ehegatten zu erwirtschaften. Nur in einer solchen Erwerbsgemeinschaft erbringt auch der Nichterwerbstätige einen Beitrag zum gemeinsamen Lebensunterhalt. 120 Von diesem Prinzip des gemeinsamen Wirtschaftens geht der Gesetzgeber im Sozialhilferecht mit der Vorschrift zur Einsatzgemeinschaft (§ 19 SGB XII) und im Steuerrecht beim Ehegattensplitting (26 b EStG) wie selbstverständlich zur Entlastung des Staatshaushalts aus. Das zivilrechtliche Institut des Zugewinnausgleichs und des Versorgungsausgleichs lassen ebenfalls den in Art. 6 GG verankerten Grundsatz erkennen, dass das während der Ehe Erworbene gemeinschaftlich erwirtschaftet ist. Ferner wird durch die gegenseitige Verpflichtungsbefugnis nach § 1357 BGB und die Beschränkungen der Verwaltungsbefugnis der Ehegatten (§§ 1365 bis 1367, 1369 BGB) auch während der Ehe dem Gedanken der ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung getragen.121 Darüber hinaus bildet die Ehe – wie die Familie – auch eine Unterhaltsgemeinschaft. Der gegenseitig geschuldete Unterhalt wird in Form von finanzieller Leistung, Tätigkeit im Haushalt und Krankenpflege ohne wechselseitige Berufung auf konkrete Zahlungspflichten gewährt. Weil die gegenseitigen Unterhaltspflichten vor allem der Absicherung des schwächeren Ehepartners dienen, bleibt dieser Teil der umfassenden Wirtschaftsgemeinschaft in Form des nachehelichen Unterhalts über die Ehe hinaus bestehen.
6. Lebens- und Beistandsgemeinschaft Die Ehe begründet als Verantwortungsgemeinschaft ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander und geht deshalb über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus.122 Im Unterschied zu Personengesellschaften sind die Bindungen der Partner so eng, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet wird. Auf dieses 119 120 121 122
Vgl. BVerfGE 61, 319 (345 f.) – Ehegattensplitting. BVerfGE 108, 351 (365) – Unterhalt und Ehegattensplitting. BVerfGE 61, 319 (346) – Ehegattensplitting. BVerfGE 87, 234 (264) – Einkommensanrechnung.
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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personale Element nimmt der Gesetzgeber in der Sozialhilfe Bezug, indem er nichteheliche Lebensgemeinschaften erst dann als „eheähnlich“ einstuft, wenn sich die Partner so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden.123 So zeichnet sich die Ehe als gelebte Beistandsgemeinschaft mit einer engen persönlichen Bindung aus.124 Sie fordert gerade im Gegensatz zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem prinzipiellen, formell bekräftigten gegenseitigen Entschluss zur strukturell auf Lebenszeit angelegten Lebensgemeinschaft einen wesentlich höheren Grad persönlicher Zuwendung.125 Diese umfassende Lebens- und Beistandsgemeinschaft der Ehegatten wirkt nicht nur im Intimbereich der Partner, sondern ist zugleich ein sozialer Tatbestand, der auch die öffentliche Sozial- und Erwerbsordnung stabilisiert.126 7. Freier Entschluss zur Ehe und ihre autonome Ausgestaltung durch gleichberechtigte Partner Art. 6 GG gewährleistet das Recht, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen (Eheschließungsfreiheit) 127 und diese dann autonom auszugestalten.128 Der Staat bleibt nach der Mitwirkung des Standesbeamten beim Eheversprechen auf Distanz. Er gibt kein allgemein verbindliches Ehebild vor.129 Der Gesetzgeber beschränkt sich darauf, im Zivilrecht Regelungsmuster zur Verfügung zu stellen, um den Bedarf an innerehelichen Abmachungen zu reduzieren, und im Sozial- und Steuerrecht Vorschriften zum Schutz und zur Förderung der Ehe zu erlassen.130 Vielmehr ist den gleichberechtigten Ehegatten überlassen, die Aufgaben zwischen den Partnern zu verteilen131 und zu entscheiden, ob beide einer Erwerbsarbeit BVerfGE 87, 234 (264) – Einkommensanrechnung. Vgl. zur Beistandsgemeinschaft ausführlich: BVerfGE 80, 81 – Erwachsenenadoption. 125 Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987),55, (78). 126 Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6, Rn. 86; Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987),7 (18). 127 BVerfGE 31, 58 (67) – Spanier-Beschluss; BVerfGE 29, 166 (175) – Ferntrauung. 128 Vgl. zur gemeinschaftsinternen Organisationsautonomie in der Ehe und in der Familie: Rohlf, Dietwalt, S. 174 ff.; Friauf, Karl Heinrich, NJW 1986, 2595 (2598). 129 zu den verschiedenen Ehelehren: Gernhuber, Joachim, Familienrecht, 167 ff., ergänzend Pawlowsky, Hans Martin, Die bürgerliche Ehe als Organisation. Ein verbindliches Ehebild darf es im Staat der Nichtidentifikation auch nicht geben, siehe: Hattenhauer, Hans, ZRP 1985, 200 ff.; Kronisch, Joachim, Privatisierung der Ehe. Anmerkung zum gleich lautenden Artikel von Hans Hattenhauer, ZRP 1985, 312. 130 Coester-Waltjen, Dagmar, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 69 (77), zur Festlegung des Kindesstatus bei innerhalb der Ehe geborenen Kindern Gaul, Hans Friedhelm, FamRZ 2000, 1461, 1463. 131 BVerfGE 68, 256 (268) – Leistungsfähigkeit des geschiedenen Elternteils; 66, 84 (94) – Unterhalt III; 48, 327 (338) – Familiennamen. 123 124
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
nachgehen oder einer zu Hause bleibt und die Haushaltsführung übernimmt. Der verfassungsrechtliche Schutz umfasst insbesondere das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten in ihren finanziellen Beziehungen untereinander,132 so dass der Gesetzgeber den Ehegatten ermöglichen muss, in gleichberechtigter Partnerschaft133 ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung ohne finanzielle Hindernisse selbst zu bestimmen.134 Zudem wählen die Eheleute ihren Wohnsitz und entscheiden frei im Rahmen einer gemeinsamen Familienplanung, ob, wann und wieviele Kinder sie haben möchten (Fortpflanzungsfreiheit). 135 In dieser Subjektivität können Kinder bei der Planung zum Anliegen der Eltern werden, das diese sich in Konkurrenz zu anderen Bedürfnissen erfüllen.136 Ist das Kind auf der Welt, wird das Freiheitsverhältnis der Ehe zum Erziehungsverhältnis, das sich durch Verantwortung auszeichnet.
II. Der Schutzbereich der Familie „Wer gehört eigentlich zur Familie, sind es die Eltern, die gemeinsam mit ihren kleinen Kindern im Haushalt leben, oder sind es alle Personen, die gemeinsam in einem Haushalt wirtschaften, wie es die amtliche Statistik festlegt?137 Definiert sich Familie über die rechtlichen Beziehungen ihrer Mitglieder; oder definiert sie sich über gelebte Beziehungen, die Personen zueinander haben?“138 Ist der verfassungsrechtliche Begriff der Familie allein von der Abstammung geprägt, so dass die Generationengroßfamilie als Familie anzusehen ist, die Gemeinschaft eines Kindes mit seinem Stiefvater hingegen nicht? „Bildet die Alleinerziehende mit ihrem Kind eine Familie und kann diese ohne Diskriminierung als unvollständige Familie gekennzeichnet werden? Lebt eine allein erziehende Mutter, die mit einem Lebenspartner unverheiratet zusammenwohnt, dagegen in einer vollständigen Familie oder überhaupt in einer Familie?“ 139 BVerfGE 60, 329 (339) – Vereinbarung über Versorgungsausgleich. BVerfGE 42, 64 (77) – Zwangsversteigerung I. 134 BVerfGE 53, 257 (296 f.) – Versorgungsausgleich I. 135 BVerfGE 66, 84 (94) – Unterhalt III, zu den Ausprägungen der Fortpflanzungsfreiheit: Ramm, Thilo, JZ 1989, 861 ff.; zur Gültigkeit rechtlicher Vereinbarungen bezüglich der Nachkommenschaft: Gernhuber, Joachim, Familienrecht, S. 181. 136 3. Familienbericht, Abschnitte 5.3.1., S. 103 und 5.6.3., S. 114 ff. vgl. hierzu: Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (59 f.). 137 Im Rahmen des Mikrozensus wird der Begriff der Familie an das Zusammenwohnen in einem Hauhalt gebunden. Der enge Bezug zwischen Familie und Hauhalt erlaubt eine an exakten Kriterien (z. B. behördliche Meldung im Haushalt) objektivierbare Messung von individuellen Beziehungen, vgl. Engstler, Heribert / Menning, Sonja, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik 2003 – Kurzfassung, S. 17 f. 138 Bertram, Hans, Die Familie in Westdeutschland, S. III: vgl. auch Bertram, Hans, Die Familie in den neuen Bundesländern, S. 43. 139 Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1002). 132 133
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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Ende der achtziger Jahre wurden diese Fragen in der Regel in der Weise beantwortet, dass verheiratete Eltern mit ihren Kindern eine Familie bilden, die unverheiratete Mutter mit ihrem Kind hingegen eine „Ein-Eltern-Familie“ darstellt, mit welcher der Vater in einem gemeinsamen Haushalt leben mag.140 Auch Mitte der neunziger Jahre hat die Soziologie meist abgelehnt, den Familienbegriff auf Wohnund Lebensgruppen auszudehnen, in der der Kern nicht ehelich gebunden ist. Eine solche Umdeutung entspräche nicht dem Alltagsverständnis der meisten Menschen in Europa, das Einbeziehen alternativer Lebensformen in den soziologischen Familienbegriff würde das Denken und Handeln weiter verunsichern.141 Die Familie wurde primär über die rechtlichen Beziehungen ihrer Mitglieder definiert, die Abstammung war das ausschlaggebende Kriterium, so dass die Generationengroßfamilie eine Familie darstellte, verfassungsrechtlich allerdings darüber diskutiert wird, ob diese des Schutzes des Art. 6 GG bedürfe.142 Die Anschauungen haben sich im Kern schon nach weniger als zwei Jahrzehnten gewandelt. Heute wird Familie vermehrt über die tatsächlich gelebten Beziehungen definiert, wobei die Abstammung der Ausgangspunkt des Familienbegriffs bleibt. Diese Entwicklung zeigt, dass der Familienbegriff unschärfer und deshalb in höherem Maße einem gesellschaftlichen Wandel ausgesetzt ist als der der Ehe. Denn Familie existiert unabhängig vom Recht. Im Gegensatz zur Ehe gehört die rechtliche Normierung und öffentliche Anerkennung nicht zum Wesen der Familie.143 Zudem wird heute der Verfassungstext vermehrt aus der Perspektive der Kinder gelesen, wobei diese nicht nur subjektive Rechte erhalten, sondern vor allem in die Familiengemeinschaft eingebettet bleiben sollen. Im Schutze des Gemeinschaftsgrundrechts der Familie stehen nach heutigem Verständnis Kinder im Zentrum eines Bogens, der von der individuellen Freiheit zu den Bedürfnissen einer jeden dauerhaften politischen Gemeinschaft reicht.144 Dieser sich wandelnde Schutzbereich der Familie verursacht ein verfassungsrechtliches Spannungsfeld zur Ehe, da die Familie nicht mehr bedingungslos auf der Ehe aufbaut.
1. Gemeinschaft von Kindern und verantwortungsbewussten Eltern a) Auf Abstammung basierende Elternverantwortung als Ausgangspunkt Im Gegensatz zur Ehe, die erst durch einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt entsteht und einer rechtlichen Ausgestaltung bedarf, wird die Institution 140 141 142 143 144
Lüscher, Kurt, Familie und Familienpolitik im Übergang zur Postmoderne, S. 199. Hermanns, Manfred, FamRZ 1994, 1001 (1002). Vgl. BVerfGE 59, 52 – Generationen-Großfamilie. Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (21). Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
der Familie allein durch Lebenssachverhalte bestimmt. Die Familie entsteht auf natürliche Weise durch die Geburt eines Kindes. „Der Verfassungsgeber geht davon aus, dass diejenigen, die einem Kind das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen.“145 Von seiner Geburt an stehen die Eltern ihrem Kind intuitiv bei. Sie sind der natürliche Sachwalter für die Erziehung des Kindes.146 Ausgangspunkt des Familienbegriffes ist deshalb das durch Abstammung naturgegebene Recht der Eltern auf Erziehung und Pflege des Kindes. Mit diesem Recht ist von vorne herein als dessen wesensbestimmender Bestandteil die Pflicht zur Pflege und zur Erziehung des Kindes verbunden.147 Inhaber dieses aus Art. 6 Abs. 2 GG abgeleiteten Rechts kann nur sein, wer zugleich die Elternverantwortung trägt.148 Anknüpfungspunkt für den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie ist nicht die Elterneigenschaft, sondern eine tatsächlich gelebte Elternverantwortung. Eine Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ist deshalb die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen.149 Dieser Familiengemeinschaft, in der das Kind in Geborgenheit heranwachsen und seine Persönlichkeit entfalten kann, lässt die Verfassung einen besondern Schutz zuteil werden, weil sie davon ausgeht, dass das Aufwachsen in dieser natürlich gebundenen Gemeinschaft dem Kindeswohl am besten entspricht. Weil Eltern im Erfüllen des ihnen zugedachten Erziehungsauftrages helfen, die Persönlichkeit des Kindes zu stärken und ihm Werte als Zukunftssicherung für Staat, Wirtschaft und Kultur zu vermitteln, ist der Familienbegriff elterngeprägt,150 so dass verwaiste Geschwister nicht unter den Begriff der Familie zu subsumieren sind.
b) Unabhängigkeit des Familienbegriffs von einer ehelichen Grundlage Das Kindeswohl und damit der besondere Schutz des Art. 6 GG können heute nicht mehr allgemein auf das Bestehen eherechtlicher Beziehungen zwischen den Eltern aufbauen. Für die Entwicklung seiner Persönlichkeit kommt es darauf an, ob das Kind stetige Ansprechpartner und Geborgenheit in seinen Erziehungsberechtigten findet. Die tatsächlich gelebte Gemeinschaft in Beistand und Fürsorge zwischen Eltern und Kindern dient als Anknüpfungspunkt für den Schutz der Familie.151 Für eine gelungene Erziehung muss zwischen Kindern und ErziehenBVerfGE 24, 119 (150) – Adoption I. BVerfGE 34, 165 (184) – Hessische Förderstufe. 147 BVerfGE 52, 223 (235) – Schulgebet; 61, 358 (372) – Gemeinsames Sorgerecht; 108, 82, (102) – biologischer Vater. 148 BVerfGE 108, 82 (102) – biologischer Vater. 149 BVerfGE 108, 82 (103) – biologischer Vater = BVerfG FamRZ 2003, 816 (822); so auch: Schwab, Dieter, Familienrecht, § 2 Rn. 14. 150 A. A. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 79, der allein darauf abstellt, ob ein tatsächlich gelebter Beistand zwischen den elternlosen Geschwistern besteht. 145 146
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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den eine „gewachsene Bindung“152 bestehen. Eine solche ist unabhängig von einer ehelichen Grundlage der Eltern, so dass auch nicht verheiratete Eltern mit ihren Kindern eine Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG bilden. Auch das System der Absätze 1, 2 und 5 des Art. 6 GG weist darauf hin, dass auch die Familie, die nicht auf einer Ehe der Eltern basiert, vom verfassungsrechtlichen Schutzgebot umfasst werden soll.153 Ein umfassender Schutz des Kindes erfordert es, nicht nur den von den Verfassungsgebern gedachten Idealtyp der Familie – die auf einer Ehe aufbauende Gemeinschaft mit Kindern – zu schützen. Auch wenn in Art. 6 Abs. 5 GG deutlich wird, dass das Grundgesetz für eine bestmögliche Entwicklung des Kindes davon ausgeht, dass das Kind mit seinen verheirateten Eltern zusammenlebt, lässt sich gerade aus demselben Absatz erkennen, dass auch die Gemeinschaften mit Kindern geschützt werden sollen, die nicht in dem ursprünglich gedachten Idealtyp der Familie aufwachsen. So ist die Definition der Familie von der Ehe gelöst.154 Der Sinn des Familienschutzes des Art. 6 GG ist der Schutz der Gemeinschaft mit Kindern im Gegensatz zu den Gemeinschaften, die keine Kinder betreuen und erziehen. Art. 6 Abs. 1 GG will nicht einen besonderen Rechtstypus der Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern hervorheben, sondern die Familie als solche unter den vielfältigen Gemeinschaften des Lebens herausheben und ihr besonderen Schutz zuteil werden lassen. In welcher Form die Einzelnen ihr Zusammenleben mit Kindern gestalten, will der Gesetzgeber nicht bewerten. Die Verfassung belässt den Bürgern durch Art. 6 Abs. 1 GG in der Eheabschlussfreiheit und der Inhaltsfreiheit gerade einen staatsfreien Raum des Privatlebens. Dem Einwand, dadurch verliere der von der Verfassung gedachte Regelfall der Familie den Nimbus der Normalität, werde das Leben in Kontinuität für die Kinder von der Verfassung nicht mehr gefordert,155 muss entgegengehalten werden, dass ein möglicher Einklang von Ehe und Familie von Art. 6 GG immer nur gewünscht, nicht jedoch gefordert werden kann. Verfassungsrechtliche Regelungen können Kontinuität und Verantwortungsbewusstsein nicht hervorbringen, sondern nur festigen. Die Entscheidung der Eltern zu diesen Tugenden kann allein in Freiheit von ihnen getroffen werden, nur dann werden sie ihre Kinder auch in diesem Sinne durch ihr Vorbild erziehen. 151 So Schwab, Dieter, Familienrecht, § 2 Rn. 14 unter Verweis auf BVerfG FamRZ 2003, 816 (822) – Biologischer Vater. 152 BVerfGE 68, 176 (187) – Pflegefamilie. 153 Schumann, Eva, Die nichteheliche Familie, S. 1 ff., 137 ff., 169 ff. Die familiäre Lebensgemeinschaft wird in den weit überwiegenden Teilen der Literatur und Rechtsprechung unabhängig von der Ehe als selbständiges Schutzgut des Art. 6 Abs. 1 GG angesehen, vgl. BVerfGE 36, 146 (167) – Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft; 80, 81 (90 f.) – Erwachsenenadoption, Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel, S. 594; Oppermann, Thomas, VVDStRL 45 (1987) S. 107 f., Kingreen, Thorsten, Jura 1997, 401 (402), Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 61. 154 So auch: Steiner, Udo, Generationenfolge und Grundgesetz, S. 27. 155 Vgl. so Horn, Hans-Detlef, DÖV 1991, 830 (834).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Das Selbstbestimmungsrecht der Eltern steht nicht im Gegensatz zur elterlichen Verantwortung, sondern bildet deren Grundlage. Art. 6 Abs. 1 GG soll Anreize geben, für Kinder Kontinuität und Geborgenheit zu schaffen. Wenn dies durch die Grundlage einer Ehe nicht gelingt oder die Ehe von den Eltern nicht gewollt ist, darf diese Entscheidung das Kind möglichst wenig belasten. Die Verfassung muss dennoch die Familie, die dem Kind sein Zuhause gibt, schützen.
c) Gemeinschaften zwischen Kind und einem Elternteil Weil der Schutz der Familie seine Grundlage in der für das Kind übernommenen Elternverantwortung findet, sind auch die Gemeinschaften zwischen Mutter und Kind oder zwischen Vater und Kind als Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG anzusehen. Die den Eltern durch Abstammung übertragene Verantwortung können diese auch allein – ohne den Partner – wahrnehmen. Die Mutter bildet mit ihrem nichtehelichen Kind eine Familie,156 auch wenn es schwerer ist, alleinerziehend ein stetiger Ansprechpartner für das Kind zu sein, solange gleichzeitig erzogen und für den Lebensunterhalt gesorgt werden muss. Das Grundgesetz schützt diese Gemeinschaften nicht – wie das beim nichtehelichen Kind der Fall ist – wegen ihrer Schwäche und Schutzbedürftigkeit, sondern wegen der unvertretbaren, einmaligen Erziehungsleistung der Eltern, die diese für das Kind, aber auch für Staat und Gesellschaft erbringen.157 Gleiches gilt auch für die Gemeinschaft des nichtehelichen Vaters mit seinem, bei der Mutter aufwachsenden Kind,158 wenn er Interesse an der Entwicklung seines nichtehelichen Kindes zeigt159 und zwischen ihm und dem Kind eine gewachsene Bindung besteht.160 Entsprechend beurteilt das Recht auch die Beziehung zwischen dem leiblichen, rechtlich (noch) nicht anerkannten Vater mit seinem Kind, wenn er tatsächlich Verantwortung für sein Kind trägt und daraus eine soziale Beziehung zwischen ihm und dem Kind entsteht.161 Denn auch der Vater, der nicht mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, ihm aber regelmäßig begegnet, übernimmt eine ihm durch Abstammung übertragene Erziehungsverantwortung und eine wichtige Rolle im Leben des Kindes, weil das Kind ein naturgegebenes Bedürfnis nach einem Kontakt zu beiden Eltern hat, um sich frei entwickeln zu können. Weil der verfassungsrechtliche Schutz der Familie vor allem dem Schutz 156 BVerfGE 25, 167 (196) – Nichtehelichkeit; 45, 104 (123) – Unterhaltsleistung Geschiedener; 56, 363 (382) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. 157 Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (23). 158 BVerfGE 79, 256 (267) – Kenntnis der eigenen Abstammung. 159 BVerfGE 92, 158 (179) – Adoption III. 160 Vgl. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 105. 161 BVerfG FamRZ 2003, 816 (822) – Biologischer Vater, Schwab, Dieter, Familienrecht, § 2 Rn. 14.
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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des ungestörten Aufwachsens des Kindes dient, stehen nicht Rechtsbeziehungen, sondern der soziale Kontakt der Eltern zu ihrem Kind für den Familienbegriff im Vordergrund. d) Auf Rechtszuweisung gegründete Elternschaft Die Abstammung des Kindes von Vater und Mutter macht diese zu seinen Eltern, lässt sie aber nur dann auch zum Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG werden, wenn diese ihre Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes wahrnehmen. Das Elternrecht ist untrennbar mit der Übernahme der Elternpflichten verbunden.162 Inhaber des aus Art. 6 Abs. 2 GG abgeleiteten Rechts kann nur sein, wer zugleich die Elternverantwortung trägt, unabhängig davon, ob sich die Elternschaft allein auf Abstammung oder auf Rechtszuweisung gründet.163 Der Familienbegriff baut deshalb nur so lange auf der natürlichen Elternschaft auf, als die Eltern bereit sind, die mit dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verbundenen Pflichten auf sich zunehmen. Sobald diese Bereitschaft nicht mehr besteht, löst sich das Elternrecht vom Begriff der Elternschaft.164 Für den Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht mehr Abstammung und Elternschaft maßgeblich, sondern es ist entscheidend, wer die Elternverantwortung für das Kind im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG übernimmt und ob die Aufgaben der Kindererziehung und des Begleitens ihres Heranwachsens in einer tatsächlich gelebten Generationengemeinschaft zwischen Erwachsenen und Kindern dauerhaft erfüllt werden. Dies drückt sich in den einfachgesetzlichen Regelungen des Familienrechts aus, die zunehmend weniger am Status orientiert sind, als vielmehr die Realbeziehung für die rechtliche Regelung in den Vordergrund rückt.165 Zur Familie gehören deshalb auch die Gemeinschaften von Kindern mit Stief- und Adoptiveltern.166 Denn die Stieffamilie erfüllt tatsächlich und von der Rechtsordnung weitgehend anerkannt die Funktion der natürlichen Familie.167 Aufgrund der gelebten Elternverantwortung ist es für den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie unerheblich, ob die Kinder von beiden Eltern abstammen. Den notwendigen Lebensraum für Kinder können auch Adoptiveltern bieten, weil sie bereit sind, die mit dem Elternrecht untrennbar verbundenen Pflichten auf sich zu nehmen. Sie leben mit den Kindern BVerfGE 108, 82, (101) – Biologischer Vater. BVerfGE 108, 82 (102) – Biologischer Vater. 164 Vgl. zum Elternbegriff BVerfGE 10, 59 (67) – Elterliche Gewalt; 24, 119 (150) – Adoption I, allerdings kann heute nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Eltern diesen Namen nur so lange verdienen, als sie bereit sind, die damit verbundenen Pflichten auf sich zu nehmen. Der Elternbegriff ist im Gegensatz zum Familienbegriff statusorientiert, vgl. hierzu Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 151. 165 Schwenzer, Ingeborg, Vom Status zur Realbeziehung, S. 26. 166 BVerfGE 68, 176 (187) – Pflegefamilie. 167 BVerfGE 36, 146 (167) – Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 163 (172 f.) – Zweitkindergeld. 162 163
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dauerhaft in einer Zuwendungs- und Beistandsbeziehung, als wären es ihre eigenen Kinder, so dass hier die Grundlage der Familie statt der Abstammung auch eine Rechtszuweisung bilden kann. Im Gegensatz dazu wird einer Pflegefamilie grundsätzlich nicht der verfassungsrechtliche Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG zuteil. Pflegeeltern übernehmen die Pflege und Erziehung des Kindes nur vorübergehend. Sie haben weder einen Elternstatus noch ein Elternrecht im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG inne. Sie erfüllen elterliche Pflichten, ohne Träger des Elternrechts zu sein. Weil der elternbezogene Familienbegriff aber auf der Elternverantwortung basiert, die sich aus Elternpflicht und Elternrecht zusammensetzt, ist die häusliche Gemeinschaft in der Pflegefamilie grundsätzlich kein Schutzobjekt des Art. 6 Abs. 1 GG. Die leiblichen Eltern bleiben Inhaber des Elternrechts, sie können ihre Elternpflichten nur vorübergehend nicht ausüben. Sobald sich allerdings zwischen Kind und Pflegeeltern als Folge eines länger andauernden Pflegeverhältnisses die gelebte Beziehung verfestigt und durch Dauer und Intensität der Beziehung eine „gewachsenen Bindung“168 zwischen ihnen entsteht, steht die Pflegefamilie der durch Adoption begründeten Familie faktisch gleich. Weil in diesem Fall die Pflegeeltern die wichtigsten Bezugspersonen für das Kind sind, werden auch sie in den verfassungsrechtlichen Familienschutz mit einbezogen. Der Übergang zum Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG ist dann fließend und hängt von den tatsächlich gelebten Verhältnissen ab. Der Schutz der Beziehungen in der Pflegefamilie kann dazu führen, dass das Pflegekind nicht mehr an die leiblichen Eltern herausgegeben werden muss, wenn eine enge Bindung zwischen Pflegefamilie und Kind gewachsen ist.169 Art. 6 GG muss dann sowohl auf Seiten der leiblichen Eltern als auch auf Seiten der Pflegefamilie in die Abwägung mit einfließen. Ansonsten würde das Elternrecht als „bloßer Rechtstitel“ gegenüber der gelebten familiären Wirklichkeit bevorzugt.170 Bei diesen widerstreitenden Positionen kommt dem Recht der sorgeberechtigten Eltern zumeist der Vorrang zu.171 Dass die tatsächliche Beistandsgemeinschaft für eine Familieneigenschaft im Sinne des Art. 6 GG letztlich ausschlaggebend ist, zeigt auch, dass es für einen solchen, ausnahmsweise gewährten verfassungsrechtlichen Schutz einer Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht darauf ankommt, ob sie rechtlich einwandfrei zustande gekommen ist.172
BVerfGE 68, 176 (187) – Pflegefamilie. BVerfGE 68, 176 (187) – Pflegefamilie. 170 BVerfG, FamRZ 1988, 807 (808) – Einwilligung zur Kindesannahme (Mitteilung von K. Gawlitta). 171 BVerfGE 68, 176 (187 f.) – Pflegefamilie. 172 BVerfGE 68, 176 (191) – Pflegefamilie. 168 169
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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e) Auf Reproduktionsmedizin gegründete Elternschaft Auch durch die naturwissenschaftlichen Fortschritte in der Reproduktionsmedizin wird der Familienbegriff weiter von der Abstammung gelöst. Familie ist danach von Geburt an ohne eine genetische Verwandtschaft möglich, es ist allein ausschlaggebend, ob die Wunscheltern das Kind als ihres ansehen und mit ihm eine tatsächliche Beistandsgemeinschaft leben.173 Allerdings müssen diese gelebten Beziehungen zwischen Kindern und Erziehenden stets eine der Normalfamilie entsprechende Zuwendungs- und Beistandsbeziehung sein. Elternrecht und Elternpflicht bilden stets die Grundlage der Familie. Das Aufwachsen in Kinderheimen und die Erziehung in Kindergärten und Kinderkrippen entsprechen diesem Bild gerade nicht, auch, weil diese Erziehungsgemeinschaften nicht auf Dauer angelegt sind. f) Zusammenfassung Eine Familie ist unabhängig von den rechtlichen Beziehungen der Eltern untereinander die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen und denen das Elternrecht im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG zusteht. Der Begriff der Familie ist heute geprägt von den Begriffen der „Freiheit, der Gleichheit und des Kindeswohls.“174 Jeder Mensch ist heute grundsätzlich frei, eine Familie zu gründen und dies sogar dann, wenn es biologisch nicht möglich ist. Der Familienbegriff wird heute vom Gleichheitsgedanken bestimmt, weil es nicht darauf ankommt, ob das Kind ehelich oder nichtehelich geboren wird, ob es nur mit einem Elternteil zusammenlebt oder ob es auf natürlichem Wege oder durch Reproduktionsmedizin auf die Welt gekommen ist. Darüber hinaus ist für den Familienbegriff vor allem maßgeblich, in welcher sozialen Gemeinschaft sich das Kind am besten entfalten kann, so dass die gelebte Beziehung für das Kindeswohl im Konfliktfall den Schutz der Familie beanspruchen kann.
173 Vgl. hierzu rechtsvergleichende Ausführungen bei Coester-Waltjen, Dagmar, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 69 (81 f.). In vielen Rechtsordnungen wird der nichtbiologische Wunschvater als rechtlicher Vater angesehen. 174 So anschaulich: Coester-Waltjen, Dagmar, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 69 (82).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
2. Lebens- und Hausgemeinschaft auf Zeit, lebenslange Begegnungsgemeinschaft – wachsende Selbstbestimmung des Kindes, schwindende Verantwortung der Eltern175 Die intakte Familie bildet von Beginn an eine Lebens- und Hausgemeinschaft, in der die Kinder ihre ersten Ansprechpartner in den Eltern finden und sich ihrer Fürsorge gewiss sein können. Eine Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt. Das Kleinkind ist auf die elterliche Anwesenheit und Lebenshilfe angewiesen, in seinen ersten Lebensmonaten bildet es mit der Person, die es versorgt, eine Einheit. Es entsteht eine umfassende Lebensgemeinschaft. Je älter und selbständiger das Kind wird, desto geringer wird die pflegerische und erzieherische Verantwortung der Eltern.176 Diese berücksichtigen bei der Pflege und Erziehung die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes nach selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln (§ 1626 Abs. 2 BGB). Mit dem Heranwachsen des Kindes wird die Lebensgemeinschaft zu einer bloßen Hausgemeinschaft, die Gemeinsamkeiten des Zusammenwohnens wahrt, jedem Familienmitglied aber die unabhängige Gestaltung seines Lebens überlässt.177 Die Verantwortung und das Sorgerecht der Eltern treten mit der zunehmenden Einsichtsfähigkeit des Kindes zurück; sie finden eine deutliche Zäsur, sobald das Kind sein Elternhaus verlässt und sich die Hausgemeinschaft zu einer Begegnungsgemeinschaft wandelt, in der Eltern und Kinder nur den gelegentlichen Umgang pflegen und sich dadurch gegenseitig Raum für Ermutigung und Zuspruch bieten.178 Die Familienbande ändern sich, die Klein- oder Kernfamilie wird nach Zuwachs von Schwieger- und Enkelkindern zu einer Generationengroßfamilie. In gleichem Maße verändert sich auch das verfassungsrechtliche Schutzniveau. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG schützt zunächst und zuvörderst die Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Eltern und pflege- und erziehungsbedürftigen Kindern,179 subsidiär und in geringerem Maße aber auch die Familienbande zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern. Großeltern und Enkelkinder werden in ih175 In Rechtsprechung und Literatur finden sich die Begriffe „schwindendes Kindes- und wachsendes Elternrecht“. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 100, hält diese Begrifflichkeiten zu Recht für verfehlt, weil die Pflicht der Eltern zur Erziehung ihres Kindes nicht unmittelbar an ein Recht des Kindes geknüpft ist. Grundrechtsgebunden ist nur der Staat, nicht die Eltern. Mit zunehmender Einsichtsfähigkeit nehmen die materiellen Grundrechte des Kindes nicht zu. Grundrechte hat das Kind von seiner Geburt an. Deshalb bestehen Freiheitsrechte nur zum Staat, das Eltern-Kind-Verhältnis ist eine tatsächliche Beziehung. Deshalb wird hier besser von Selbstbestimmung und Verantwortung gesprochen. Diese Begriffe leiten sich nicht von einem Recht, sondern von einen tatsächlichen Faktum ab. Vgl. zur „Selbstbestimmungsfähigkeit“ des Kindes: BVerfGE 59, 360 (382) – Schülerberater. 176 BVerfGE 59, 360 (387) – Schülerberater. 177 BVerfGE 80, 81 (90) – Erwachsenenadoption. 178 BVerfGE 80, 81 (90 f.) – Erwachsenenadoption. 179 BVerfGE 80, 81 (90) – Erwachsenenadoption.
B. Die Kernprinzipien von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG
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rer Gemeinschaft nur insoweit von Art. 6 GG erfasst, als von den Großeltern erzieherische und das Heranwachsen begleitende Aufgaben übernommen werden.180 Die Elterneigenschaft besitzen Großeltern nur in dem Ausnahmefall, dass ihnen die Vormundschaft über das Kind übertragen wird.181 Für das Verhältnis von Ehe und Familie ist hier vor allem die in der Hausgemeinschaft geeinigte engere Familie erheblich, weil die Konflikte zwischen Ehe und Familie mit Ende der Haugemeinschaft weniger werden, die Generationengroßfamilie in Art. 6 GG nur subsidiär geschützt wird und dieser Schutz im alltäglichen Leben nur selten in Anspruch genommen werden muss.
3. Erziehungsgemeinschaft – Einführung in Kultur und Recht Art. 6 GG schützt die Familie vor allem als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, in der die Eltern ihr dienendes Grundrecht zum Wohle des Kindes wahrnehmen.182 Die Lebens- und Hausgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern ist von der Sorge um die Erziehung des Kindes geprägt, die als pädagogisches Handeln Haltung, Charakter, Eigenschaften und Einstellungen des jungen Menschen durch die Vermittlung von Werten und Handlungsanweisungen beeinflusst.183 Im Gegensatz zur Gleichberechtigung in der Ehe besteht zwischen Eltern und Kindern ein Versorgungsverhältnis, in dem die Eltern das Kind erziehen und für dieses Verantwortung übernehmen. Die Eltern übernehmen die Personen- und Vermögenssorge für das Kind, weil es selbst dazu noch nicht in der Lage ist. Sie sprechen mit ihm ihre Sprache, lassen das Kind an ihrem kulturellen und religiösen Leben teilhaben und führen es so in ihren Kultur- und Rechtskreis ein. Die Gestaltung des Familienlebens unterliegt – wie die des Ehelebens – der Autonomie ihrer Glieder,184 wobei die Eltern die maßgeblichen Entscheidungen über die Grundlagen des Zusammenlebens treffen. Sie bestimmen den Lebensmittelpunkt, die finanziellen Verhältnisse und die Kontakte zu anderen Personen für die Familiengemeinschaft. Sie stellen die Regeln für das Alltagsleben auf. Das Kind wird – soweit sein Einsichts180 Das Bundesverfassungsgericht verweigerte lange die Anerkennung der Familieneigenschaft der Generationen-Großfamilie, vgl. BVerfGE 48, 327 (339) – Familiennamen, mit Verweis auf Scheffler, Erna, in Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 252; vgl. auch BVerfGE 59, 52 (63) – Generationen-Großfamilie, der heutige Rechtsprechungsstand ist unklar. Kritik hierzu bei Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 77, der in der Konsequenz des Bindungs- und Beistandskriteriums nur auf die tatsächlichen Verhältnisse abstellt, ebenso auch Jarass, Hans, in Jarass / Pieroth, GG, Art. 6, Rn. 4. 181 BVerfGE 34, 165 (200) – Hessische Förderstufe. 182 BVerfGE 80, 81 (90 f.) – Erwachsenenadoption; 99, 145 (156) – Gegenläufige Entführungen. 183 Huber, Peter M., BayVbl. 1994, 545 (545 f.); Oppermann, Thomas, HStR VI, 1989, § 135 Rn. 4; Ossenbühl, Fritz, Elterliches Erziehungsrecht, S. 105. 184 BVerfGE 21, 329 (352) – Hinterbliebenenversorgung; Richter, Ingo, AK-GG, Art. 6, Anm. 32.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
vermögen reicht – nur in die elterlichen Entscheidungen mit einbezogen. So besteht die Lebensgemeinschaft der Familie vor allem zur Erziehung der Kinder. Das pflichtgebundene Erziehungsrecht der Eltern unter dem Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 und 3 GG) ist für den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie konstitutiv, solange das Kind der Erziehung und Pflege seiner Eltern bedarf.185
4. Unterhalts- und Beistandsgemeinschaft Die Familie ist in Art. 6 GG auch als Wirtschaftsgemeinschaft geschützt. Art. 6 Abs. 1 GG verfolgt das Ziel, den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie zu fördern. Diese Wirtschaftseinheit wird zum einen durch den Erhalt des Familienvermögens in der Generationenfolge durch das Familienerbrecht gewährleistet.186 Zum anderen drückt sie sich aber vor allem durch eine Unterhaltsgemeinschaft in der Familie aus. Das Verantwortungs- und Versorgungsverhältnis der Eltern gegenüber ihren Kindern zieht eine Unterhaltsverpflichtung nach sich. Im Gegensatz zur Ehe, in der die Eheleute vor allem gemeinsam wirtschaften und erst im Mangelfall ihre bestehende Unterhaltsverpflichtung zum Tragen kommt, ist das Kind auf den Unterhalt seiner Eltern angewiesen, weil es selbst dafür nicht aufkommen kann. Für den Lebenszuschnitt der Familie und damit auch für die Art und Höhe des Kindesunterhalts sind die finanziellen Verhältnisse der Eltern maßgeblich. Diese Unterhaltspflicht wird durch den gegenseitigen Beistand von Eltern und Kindern ergänzt und gilt grundsätzlich in beide Richtungen: Auch Kinder sind ihren möglicherweise im Alter oder in Krankheit bedürftigen Eltern zu Unterhalt und Beistand verpflichtet. Aufgrund des umlagefinanzierten, kollektiven Rentenversicherungssystems haben die Kinder diese Verpflichtung allerdings in der Regel erfüllt, wenn sie ihre Beiträge zur Rentenversicherung geleistet haben.187 In der Hausgemeinschaft der Familie wird der Unterhalt als Bar- und Betreuungsunterhalt gewährt. Erziehungsaufgabe und finanzieller Unterhalt der Familie sind dabei gleichwertig. Diesen Grundsatz legt der Gesetzgeber in § 1606 Abs. 3 BGB nieder.
III. Verfassungsrechtliche Unterschiede zwischen den Strukturprinzipien von Ehe und Familie Obwohl Ehe und Familie als personale Lebens- und Beistandsgemeinschaften in ihrer Bedeutung für den Einzelnen und für Staat und Gesellschaft vieles gemeinBadura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 87 (95). Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 62 unter Bezugnahme auf BVerfGE 40, 121 (132) – Waisenrente II; 62, 323 (332) – Hinkende Ehe, vgl. andeutungsweise zur Thematik, inwieweit das Familienerbrecht zwingend ist: BVerfGE 91, 346 (359) – Abfindung des Miterben; 67, 329 (341) – weichender Miterbe. 187 BVerfG NJW 2005, 1927 – Elternunterhalt = FamRZ 2005, 1051 ff. 185 186
C. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG
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sam haben, unterscheiden sie sich in ihrer verfassungsrechtlichen Struktur in mehrfacher Hinsicht. Am Beginn der Ehe steht ein staatlicher Verwaltungsakt beim Standesbeamten, die Familie entsteht durch die Geburt eines Kindes als tatsächliches Geschehen. Die Ehe ist vor allem eine Erwerbsgemeinschaft zwischen zwei gleichberechtigten Partnern, die gemeinsam im gesetzlichen Regelfall der Zugewinngemeinschaft in einen Topf wirtschaften. In der Familie hingegen sind die Kinder finanziell von ihren Eltern abhängig, so dass diese Wirtschafts- und Verbrauchseinheit als Unterhaltsgemeinschaft ausgestaltet ist. Zudem ist die Familie vor allem eine Gemeinschaft zur Erziehung der Kinder, die von ihren Eltern in deren Kultur und deren Rechtskreis eingeführt werden. Im Gegensatz dazu ist das eheliche Zusammenleben vor allem ein Freiheitsverhältnis zwischen zwei gleichberechtigten Partnern, die sich autonom füreinander entschieden haben.188 Ausfluss dieses Freiheitsgedankens ist die Möglichkeit, eine Ehe wieder zu scheiden, auch wenn sie auf Dauer angelegt ist. Abgesehen vom Ausnahmefall einer Adoption besteht die Beistandsgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern hingegen ein Leben lang, die Geburt eines Kindes kann im Gegensatz zum gerichtlichen Aufheben der Ehe nicht wieder rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus kann man im Gegensatz zum Prinzip der Einehe mehreren Familien angehören, weil dem Kind die Begegnung mit Vater und Mutter in jeder Lebenskonstellation ermöglicht werden soll. Ein Kind bildet gleichzeitig mit seiner allein erziehenden Mutter und seinem von ihm getrennt lebenden Vater jeweils eine Familie. Sein Vater kann mit seiner zweiten Frau, mit der er mit ihren Kindern zusammenlebt, eine weitere Familie bilden. Dies verdeutlicht die Unterschiede zwischen den Strukturprinzipien von Ehe und Familie: Die Ehe besteht zwischen zwei gleichberechtigten, selbständigen Partnern, in der Familie hingegen steht das Wohl des pflege- und erziehungsbedürftigen Kindes im Vordergrund. Der Verfassungsinterpret hat auf diese Unterschiede in den Rechtsfolgen, die an den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 GG geknüpft werden, reagiert.
C. Die Unterschiede von Ehe und Familie in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG Die unterschiedlichen Interessen der Ehegatten im Gegensatz zu denen der Kinder spiegeln sich in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG wider. Der von der Verfassung garantierte Freiraum ist ein anderer, der staatliche Schutz dieser Gemeinschaften orientiert sich an den unterschiedlichen Bedeutungen von Ehe und Familie. Die gesellschaftlichen Entwicklungen, durch die sich Ehe und Familie auseinander bewegen, verändern die Aufgaben und Forderungen, die an die Familie und an die Ehe gestellt werden. Jede Gemeinschaft hat eigene Probleme zu 188 Im Gegensatz dazu nennt Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (183) die Familie für die Kinder eine „Zwangsgemeinschaft“.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
lösen: Die Ehe sieht sich durch die Förderung von anderen Lebenspartnerschaften bedroht, die Familie hofft aufgrund ihrer finanziellen Lasten auf staatliche Förderung. Unterschiedliche Anfragen an die Verfassungsinstitute erfordern unterschiedliche Antworten der Verfassung. Deshalb unterscheidet sich der besondere Schutz der Ehe durch die staatliche Ordnung von dem der Familie. Die nachhaltigen, unveränderlichen Aussagen des Art. 6 GG müssen in diesem stillen Verfassungswandel erkannt und für die Gegenwart übersetzt werden. Spannungslagen zwischen Ehe und Familie sind dabei nicht zu vermeiden. Das staatliche Abwehrrecht schirmt eher den Freiraum der Ehe ab, während Elternpflicht und staatliches Wächteramt die Distanz zwischen Staat und Familie verringern. Die Einrichtungsgarantie bietet der Ehe die Grundlage für gleichberechtigte Freiheitswahrnehmung, der Familie für Erziehung. Objektive Gewährleistung und Schutzauftrag finden in der Ehe freiheitsfähige und zur eigenen Lebensgestaltung berufene Menschen, in der Familie schutzbedürftige Kinder, oft auch schutzbedürftige Mütter (Art. 6 Abs. 4 GG) vor. Der Staat respektiert die individuellen und selbst bestimmten Lebensentwürfe der Eheleute und Familienmitglieder,189 stellt sich im Rahmen des so genannten Untermaßverbotes190 aber dort schützend und fördernd vor die grundrechtlichen Schutzgüter, wo das schwächste Glied der Gemeinschaft – oft das Kind – für seine Verwirklichung nicht Sorge tragen kann. Der Einsatz staatlicher Hilfe ermöglicht für den Schwächeren die Gestaltung seines eigenen Lebensentwurfs191 und greift damit in die Lebensgestaltung der anderen Gemeinschaftsmitglieder ein.
I. Abwehrrecht gerichtet auf ein staatliches Unterlassen Trotz seines einzigartigen Wortlauts gibt Art. 6 Abs. 1 GG – wie jedes andere Grundrecht auch – dem Einzelnen subjektive Schutz- und Abwehransprüche gegen störende und schädigende Eingriffe des Staates. Als Abwehrrecht sichert diese Grundrechtsnorm subjektive Rechtspositionen und begrenzt den Handlungsraum des Staates. Der Freiraum des Individuums ist vor Beeinträchtigungen der Staatsgewalt durch gerichtlich durchsetzbare Unterlassungsansprüche des Grundrechtsträgers gesichert.192 In der Abkehr von der Allstaatlichkeit des Nationalsozialismus bekennt sich das Grundgesetz zu Eigenständigkeit und Selbstverantwortlich189 Vgl. hierzu allgemein: Gröschner, Rolf, Die Würde des Menschen, S. 18. Er verwendet den Begriff des „Entwurfvermögens“, um den Inhalt der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG zu umschreiben. In diesem Sinn auch: Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (507). 190 Zum Untermaßverbot: Huber, Peter M., in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 19 Abs. 2, Rn. 133. 191 So zum staatlichen Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (508 f.). 192 Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 10, Stern, Klaus, HStR V, § 109, Rn. 41, Sachs, Michael, in Stern, Klaus, Staatsrecht, § 81 IV 5, S. 569.
C. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG
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keit des Menschen. Art. 6 Abs. 1 GG dient in diesem Sinn dem Schutz der spezifischen Privatsphäre von Ehe und Familie vor äußerem staatlichen Zwang.193 Er gewährt dem Menschen einen geschlossenen, gegen den Staat abgeschirmten und die Vielfalt rechtsstaatlicher Freiheit stützenden Autonomie- und Lebensbereich.194 Art. 6 Abs. 1 GG ist insoweit ein klassisches Abwehrrecht. Einerseits verpflichtet er den Staat, Eingriffe in Ehe und Familie zu unterlassen. Der Staat ist möglicher Gegner dieser privaten Lebensgemeinschaft, andererseits zugleich Garant dieses Rechts. Seine Staatsorgane ermöglichen es, dass die Freiheitssphäre der Grundrechtsberechtigten gewahrt wird. Diese Doppelrolle als Garant und potentieller Widersacher des Grundrechts wird durch das staatliche System der Gewaltenteilung aufgenommen und ausgeglichen, indem – neben dem grundrechtsgefährdend handelnden Staatsorgan – unbeteiligte und unabhängige Staatsorgane zu dessen grundrechtswahrender Kontrolle bereitstehen.195 In diesem Bereich privater Selbstbestimmung („staatsfreie Sphäre“) gibt Art. 6 Abs. 1 GG dem Individuum das Recht, seine von ihm frei gewählte Gemeinschaft der Ehe nach innen in eigener Verantwortung frei zu gestalten.196 Er gewährleistet die Freiheit, eine partnerschaftliche und familiäre Lebensform zu wählen und diese nach den eigenen Vorstellungen auszugestalten, indem jedem Partner selbst überlassen bleibt, mit wem er zusammenlebt, ob er Kinder haben, sie selber erziehen und wie er sein alltägliches Leben gestalten will.197 Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 6 Abs. 1 GG die Gemeinschaftsfreiheit der Ehe und die Individualfreiheit des einzelnen Ehepartners. In der Familie hingegen steht die Staatsabwehr unter dem Vorbehalt des Kindeswohls und der im staatlichen Wächteramt überprüften und auch ersetzten Elternpflicht. Dieser – in der Terminologie der Grundrechtslehre von Georg Jellinek198 gesprochenen – status negativus des Art. 6 Abs. 1 GG macht den Staat zum Grundrechtsverpflichteten und das Individuum zum Grundrechtsberechtigten. Gleichzeitig entstehen Spannungslagen, da der Staat als Garant und Widersacher des Freiheitsrechts gegenläufige Gemeinschafts- und Individualfreiheiten schützen muss und gefährden kann. Die in Verantwortung übernommene Freiheit in der Gemeinschaft kann mit der Freiheit des Einzelnen in Konflikt geraten.
BVerfGE 6, 55 (71) – Steuersplitting. BVerwGE 91, 130 (134), Pieroth, Bodo, in Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 1. 195 Isensee, Josef, HStR V, § 115, Rn. 124 und HStR V, § 111, Rn. 4. 196 BVerfGE 80, 81 (92) – Erwachsenenadoption. 197 Vgl. Richter, Ingo, AK-GG, Art. 6, Rn. 14; Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6 Abs. 1, Rn. 95. 198 Jellinek, Georg, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1905, 2. Nachdruck 1963, S. 94 ff. 193 194
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
1. Umfassende Abwehr von staatlichen Eingriffen Art. 6 Abs. 1 GG schützt den Grundrechtsberechtigten umfassend vor staatlichem Zwang und überlässt gleichzeitig die Gestaltung der Privatspähre den Ehegatten und Familienangehörigen selbst. Die Verfassung löst also einen wesentlichen Teil potentieller Spannungen zwischen Ehe und Familie durch das Prinzip der Freiheit: Die Beteiligten beantworten ihre ehe- und familieninternen Fragen selbst in Autonomie. Es ist dem Gesetzgeber verboten, eine bestimmte Gestaltung des Eheund Familienlebens mittelbar oder unmittelbar zu erzwingen.199 Er hat die Ehe- und Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiellwirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren.200 Deshalb darf sich der Staat weder durch privatrechtliche Normen in den Binnenbereich der Gemeinschaft einmischen, noch darf er durch Regelungen von außen – wie zum Beispiel durch Normen des Beamten-, Sozial- und Steuerrechts – faktische Zwänge schaffen und so mittelbar das Verhalten innerhalb der Gemeinschaft steuern.201 Die Gemeinschaft der Eheleute und Eltern muss die individuellen Formen ihrer Gemeinschaft selbst bestimmen können. Sie entscheidet, wer welche Aufgaben der Erwerbstätigkeit, der Haushaltsführung und der Kindererziehung übernimmt.202 Art. 6 Abs. 1 GG wehrt nicht nur unmittelbare Eingriffe des Staates ab.203 Nach Art. 1 Abs. 3 GG verpflichten die Grundrechtsnormen alle Staatsgewalt in allen ihren Handlungsmöglichkeiten.204 Staatliche Maßnahmen dürfen die individuelle Entscheidung für das Eingehen einer Ehe oder für die Gründung einer Familie nicht zulasten oder zugunsten einer bestimmten Lebensform unzumutbar erschweren.205 199 So das Bundesverfassungsgericht zur Zusammenveranlagung von Ehegatten im Rahmen der Hauhaltsbesteuerung nach dem Einkommenssteuergesetz 1951, BVerfGE 6, 55, (81 f.) – Steuersplitting, und zur Frage der Kindererziehung BVerfGE 99, 216 (231 f.) – Kinderbetreuungskosten. 200 BVerfGE 99, 216 (231 f.) – Kinderbetreuungskosten. 201 Deshalb waren die früher verbreiteten Zölibatsklauseln im Beamtenrecht (vgl. BVerwG 14, 21 (27 ff.)) und im Arbeitsrecht (vgl. BAGE 4, 274 (279 f.)) sowie die Heiratswegfallklauseln im Sozialrecht (vgl. BVerfGE 28, 324 (347, 361) – Heiratswegfallklausel) mit Art. 6 GG nicht zu vereinbaren; zur Heiratswegfallklausel vgl. auch Rüfner, Wolfgang, Sozialrecht und nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 91 f., ders., SGb 1979, 589 (591) (am Beispiel des BaFöG). 202 Vgl hierzu eingehend: BVerfGE 6, 55 (81) – Steuersplitting. 203 A. A. Modderegger, Martin, S. 32, der zudem unmittelbare und finale Eingriffe vermischt, vgl. zur Abkehr vom klassischen – allein finalen – Eingriffsbegriff exemplarisch Isensee, Josef, HStR V, § 111, Rn. 63. 204 Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 124, will unter Berufung auf Borchert, Jürgen, FuR 1990, 78 (88), den Schutzbereich durch steuerrechtliche Regelungen allenfalls für einen „erdrosselnden Eingriff“ eröffnen. Vgl. zu diesem Begriff, den das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG entwickelt hat: BVerfGE 87, 153 (169) – Grundfreibetrag. 205 Was aber nicht gleichbedeutend ist mit individuellen Leistungsrechten vgl. Tünnemann, Margit, S. 116.
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Bei der Familie allerdings wird die Staatsabwehr durch die Schutzbedürftigkeit des Kindes abgeschwächt. Die Freiheit vom Staat ist mehr eine staatlich gestützte Freiheit in ihrer Entwicklung. Art. 6 GG unterbindet sämtliche finanzielle und organisatorische Maßnahmen des Staates, die rechtliche, ökonomische und soziale Bedingungen von Eheschließung, Familiengründung und familiärer Lebensführung durch staatliches Einwirken verändern,206 fordert aber staatliches Handeln zum „besonderen“ Schutz vor allem der Familie. Art. 6 Abs. 1 GG erfasst um der Effektivität des Grundrechts willen das ganze Spektrum staatlicher Eingriffsmöglichkeiten. Allerdings richtet sich das Abwehrrecht allein gegen staatliches Handeln; Eingriffe Privater können aufgrund der Abwehrfunktion nicht unterbunden werden. Eine Pflicht zum Handeln lässt sich aus dem status negativus nicht ableiten.207
2. Verantwortung des Freiheitsberechtigten Dieser umfassenden staatlichen Pflicht, dem Bürger einen privaten Freiraum zu überlassen, entspricht eine Verantwortung des Grundrechtsträgers, seine jeweilige Gemeinschaft in ehelicher oder familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten.208 Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Freiheit der spezifischen Privatsphäre von Ehe und Familie und entspricht damit der Leitidee der Verfassung, die öffentliche Gewalt in ihrer Einwirkungsmöglichkeit auf das freie Individuum grundsätzlich zu begrenzen.209 Es besteht keine Pflicht des Grundrechtsträgers, eine Ehe einzugehen oder eine Familie zu gründen. Wenn der Mensch aber diese Freiheit wahrnimmt und ein Rechtsinstitut nutzt, er also mit einem anderen Menschen eine Verbindung der Gegenseitigkeit eingeht, hat er für diesen Menschen Verantwortung übernommen. Er nimmt seine Freiheit in der gelebten Lebens-, Haus-, Unterhalts- und Beistandsgemeinschaft 210 wahr. Diese nicht mit staatlichem Zwang durchsetzbare Verantwortung ist in der Ehe eine andere als in der Familie. Die Verantwortung des Freiheitsberechtigten in und zur Ehe basiert auf der Entscheidung der Ehepartner, diese Gemeinschaft aus freien Stücken einzugehen. Hierzu führt Gröschner211 zutreffend aus: „In einem auf 206 A. A. Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit S. 123, der am Beispiel des Steuerrechts den Ansatz des mittelbaren Eingriffs als zu grob ansieht, um eine verfassungsrechtliche Beurteilung zuzulassen. 207 Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, S. 395. 208 BVerfGE 80, 81 (92) – Erwachsenenadoption; Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 32. 209 BVerfGE 6, 55 (81) – Steuersplitting. 210 Vgl. so für die Familie: BVerfGE 80, 81 ff. – Erwachsenenadoption, für die Ehe BVerfGE 76, 1 (45) – Familiennachzug. 211 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 38, ausführlich auch in: Gröschner, Rolf, Das Überwachungsverhältnis, S. 78 ff.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Dialog angelegten ehelichen Freiheitsverhältnis stehen die Freiheitsvorstellungen des einen Partners in einem Bedingungszusammenhang mit den Freiheitsvorstellungen des anderen Partners, so dass der eine den anderen Partner nicht dadurch freisetzt, dass er ihn in die Unabhängigkeit entlässt – und auf diese Weise das Verhältnis ebenso zerstört wie durch einen Akt eigener emanzipatorischer Befreiung, sondern dadurch, dass er ihm so viel Freiheit zutraut und zumutet wie dies den beiderseitigen Freiheitsvorstellungen und darin der wechselseitigen Interpretation des Freiheitsverhältnisses entspricht. ( . . . ) Eine dialogische freie Beziehung ist mehr als eine Beziehung, in der es nur um die Verwirklichung der eigenen Freiheitsvorstellungen geht. Da die zugetraute Freiheit ein Geschenk ist, die zugemutete Freiheit hingegen eine Last darstellt, ist jedes Freiheitsverhältnis auch ein Verantwortungsverhältnis. ( . . . ) Deshalb sind es nicht die äußeren, staatlich durchsetzbaren Ansprüche, auf die man in einem Freiheitsverhältnis in der ursprünglichen Bedeutung des Verantwortungsbegriffs zu antworten hat, sondern innere, aus der freien Interaktion sich ergebende Beanspruchungen. Ein ernsthaftes Ja zu einem Freiheitsverhältnis ist das Versprechen, sich solchen inneren Ansprüchen auch und gerade dann nicht zu entziehen, wenn sie nicht als Moral- oder Rechtsansprüche geltend gemacht werden (können).“ Die Freiheit der Familie hingegen ist von der Verantwortung für das Kind geprägt, das selbst noch nicht voll freiheitsfähig und deshalb auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen ist. Die Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Kind betrifft nicht Gleichberechtigte, sondern ein Erziehungsverhältnis. Mit der Entwicklung des Kindes wächst seine freie Selbstbestimmung und schwindet die erzieherische Verantwortung der Eltern. Die Eltern haben durch ihre freie Entscheidung zum Kind eine Verantwortung übernommen, die stets unter dem Vorbehalt des Kindeswohls steht und deshalb vom Staat gemäß Art. 6 Abs. 2 GG überwacht werden muss.212 Deshalb ist das Elternrecht in Elternpflicht gebunden, die aber von jeder Familie und von jedem Familienmitglied frei ausgestaltet werden kann. Durch Gründung einer von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Gemeinschaft übernimmt der Einzelne Verantwortung für einen anderen Menschen. Diese kann der Staat nicht erzwingen, er baut aber darauf, dass der Mensch sich auf diese vom Grundgesetz besonders geschützte Form des Zusammenlebens einlässt.213 Diese staatliche Erwartung ist eine Verfassungsvoraussetzung, ohne die das soziale Leben, die Zukunft von Staat und Gesellschaft, der Generationenvertrag und die Erziehung und Kulturweitergabe nicht gelingen werden. Das Gedeihen des Gemeinwesens liegt in der Hand der freien Menschen. Art. 6 Abs. 1 GG entfaltet in der frei gestalteten Verantwortung des Einzelnen eine Gemeinwohldimension, die über die privaten Interessensphäre ihres Trägers hinausweist.214 Vgl. ausführlich zur Schutzpflicht des Staates unten: III. 1. a) und 2. Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (396) 214 Dies gilt für jedes Grundrecht: Der Bäcker backt in Ausübung von Art. 12 GG das Brot und schafft damit Nahrung zum Leben. Der Bauer bestellt die in seinem Eigentum stehenden 212 213
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3. Staatsferne in der Ehe und staatliches Wächteramt in der Familie Dem Wesen der Ehe als eine auf dem freien Willen der Partner basierende Gemeinschaft läuft jeglicher staatliche Eingriff zuwider. Um der Privatsphäre in der Gemeinschaft willen ist die Ehe ein staatsfreier Raum. Der Staat wirkt an ihrer Gründung mit, um dann die Ehepartner in ihre gemeinsame Freiheit zu entlassen. Nur in äußersten Notfällen steht er dem Einzelnen zum Schutz seiner Individualinteressen zur Seite und greift bei grober Verletzung von Individualrechten in den Bereich der Ehe ein. Gleiches gilt grundsätzlich für die Familie. Auch diese dient der freien Entwicklung ihrer Mitglieder ohne staatliche Aufsicht. Allerdings ist hier die Grundlage der Beziehung nicht ein von allen Mitgliedern frei geschlossener Vertrag, sondern die Geburt des Kindes als Faktum. Das hilflose Kind ist auf seine Eltern in hohem Maße angewiesen. Zum Schutze des Kindes ist der Staat deshalb berechtigt, über das Kindeswohl zu wachen, im Notfall an die Stelle der Eltern zu treten und damit in seiner staatlichen Fürsorgepflicht aus Art. 6 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG in das Familienleben zugunsten des Kindes einzugreifen. Das hilflose Kind ist schutzbedürftiger als ein gleichberechtigter Ehepartner. Kinder sind in der Erziehungsgemeinschaft den Eltern unterworfen. Zu ihrem Schutz ist die staatliche Fürsorge für die Familie von der Verfassung vorgegeben. Dennoch bietet auch der Bereich der Familie einen staatsfreien Raum. Nur ohne staatliche Überwachung kann ein Vertrauensverhältnis als Grundlage der Wertevermittlung zwischen Eltern und Kindern wachsen, können gelebte familiäre Wertungen eingeübt und der öffentlichen Meinung entgegengestellt werden. Ein staatsfreier Raum ist für die Entfaltung der Familie und der von ihr geleisteten Beiträge für Staat und Gesellschaft unerlässlich, auch wenn dem Staat durch sein Wächteramt des Art. 6 Abs. 2 GG eine Garantenstellung für das Kindeswohl zukommt.215 Diese staatliche Eingriffsmöglichkeit besteht nur als Notfallkompetenz für den Fall elterlichen Versagens.216 Da die Ehe von der Familiengemeinschaft umfasst wird, wird bei einem Eingriff zum Schutz des Kindes auch in die Privatsphäre der Ehe eingegriffen. Wo Kinder sind, wird die Freiheit der Eheleute zur Verantwortung der Eltern und zur subsiFelder und erzeugt dadurch nicht nur Korn, sondern erhält auch unsere von Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaft. Der Journalist publiziert seine freie Meinung in Wort, Schrift und Bild und gibt so den zu freien Wahlen berufenen Bürger Anstoß, sich seine eigene Meinung zu bilden. Insofern enthalten die Grundrechte einen Kompetenztitel zum Hervorbringen des Gemeinwohls, vgl. dazu allgemein Isensee, Josef, HStR V, § 115, Rn. 164. 215 A. A. Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (185 f.), der wegen der staatlichen Garantenstellung die Familie im Gegensatz zur Ehe nicht als staatsfreien Raum ansieht. 216 Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 82; Zacher, Hans F., HStR VI, 265 (310). Kritisch gegen eine Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechts: Schmitt Glaeser, Walter, DÖV 1978, 629 (633 ff.).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
diären Schutzpflicht des Staates. Dieses Konfliktpotential kann manche Ehe gefährden.
II. Einrichtungsgarantie Im Hinblick auf ihre lebenswichtigen Funktionen für die menschliche Gemeinschaft217 gewährleistet Art. 6 Abs. 1 GG die rechtlichen Strukturen von Ehe und Familie durch eine Einrichtungsgarantie. Diese gibt dem gesetzgeberischen Gestaltungsraum Ziel und Grenze218 und erfüllt dadurch eine Doppelfunktion. Die Einrichtungsgarantie ist mit dem Freiheitsrecht untrennbar verbunden und verstärkt die Abwehrkraft des Grundrechts gegenüber dem Gesetzgeber (Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 2 GG).219 Die Verfestigung der Ehe und der Familie zu einer rechtlich anerkannten und geregelten Institution gibt den Freiheitsberechtigten Halt und Beständigkeit, überwindet Krisen und kann vorübergehend gestörte Gemeinschaften erneuern und wiederherstellen.220 Sie ist als Institution eine Ordnung, die an diejenigen, die freiwillig in sie eintreten, gewisse Forderungen stellt und sie andererseits in bestimmten Erwartungen schützt.221 Die Einrichtungsgarantie verpflichtet den Gesetzgeber, die konkrete Ehe und Familie individueller Ehegatten und Familienangehöriger, ebenso aber auch die in der Rechtsordnung geltenden normativen Voraussetzungen, die für die Existenz und Leistungsfähigkeit der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft notwendig sind, rechtlich zu gestalten und abzusichern.222
1. Konkretisierungsauftrag und Schranke für den Gesetzgeber a) Verfassungsgarantie durch einfachgesetzliche Rechtsinstitute Die Verfassungsbegriffe von Ehe und Familie bedürfen der normativen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Eine Entscheidung im Einzelfall, die Konflikte im ehelichen und familiären Zusammenleben oder Streitigkeiten im Verhältnis 217 Vgl. für die Familie: BVerfGE 36, 146 (167) – Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft. 218 Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (396). 219 BVerfGE 6, 55 (71 ff.) – Steuersplitting; 24, 119 (135) – Adoption I; 62, 323 (329 f.) – Hinkende Ehe; Scheffler, Erna, in Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 245 (257 ff., 281 ff.); Friauf, Karl Heinrich, NJW 1986, 2595 (2600 f.); Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 69. 220 So für die Ehe: Larenz, Karl, JZ 1968, 96 (97) in Erwiderung zu Wolf, Ernst, JZ 1967, 749 f. 221 Larenz, Karl, JZ 1968, 96 (97) in Erwiderung zu Wolf, Ernst, JZ 1967, 749 ff. 222 Badura, Peter in Maunz / Dürig, Art. 6, Rn. 69.
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zwischen Staat und Gemeinschaft löst, kann nicht aus den abstrakten Verfassungsbegriffen gewonnen werden, vielmehr bedarf es dafür einer entsprechenden einfachgesetzlichen Konkretisierung, um die Lebensgemeinschaft, die den Schutz der Verfassung genießt, rechtlich zu definieren und von anderen Personengruppen abzugrenzen.223 Die gesetzgeberische Ausgestaltung ist Voraussetzung, um den grundrechtlichen Schutz zu gewährleisten. Erst konkret ausgestaltetes Recht schafft Verbindlichkeiten. Die Menschen können allein aufgrund der gesetzlichen Regelungen des Eherechts eine verbindliche Lebensgemeinschaft eingehen, durch die das Leben zu zweit ausgestaltet wird.224 Die familiären Pflichten werden durch das Unterhaltsrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs nachgezeichnet. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber kann so gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen und die Rechtsformen von Ehe und Familie wirklichkeitsgerecht fortbilden. Eine solche rechtliche Definition ist notwendig auch Begrenzung. Art. 6 Abs. 1 GG fordert aber diese rechtliche Ausgestaltung, weil nur ein definiertes Rechtsinstitut rechtliche Ehe- und Familienfreiheit anbieten kann.225 Die Institutionen Ehe und Familie sind deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht abstrakt, sondern in der Ausgestaltung gewährleistet, die den Erkenntnissen aus Tradition und Rechtserfahrung entspricht, wie sie in der konsequent beibehaltenen gesetzlichen Regelungen maßgeblichen Ausdruck gefunden haben.226 Der Schutz gilt den verschiednen Phänomenen Ehe und Familie in ihrer konkreten rechtlichen Ausgestaltung. Die wesentliche Struktur, der Normenkern des einfachen Ehe- und Familienrechts ist dadurch aber gleichzeitig gesichert.227 Die Einrichtungsgarantien haben so auch eine stabilisierende Funktion für das einfache Recht.228
b) Richtlinie für den Gestaltungsraum des Gesetzgebers aa) Gewährleistung eines unantastbaren Garantiebereichs Um einer möglichen Willkür der gesetzgeberischen Gestaltungsmacht entgegenzutreten, sichert die Einrichtungsgarantie die wesentlichen Strukturprinzipien von Ehe und Familie, die der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers entzogen sind.229 Art. 6 Abs. 1 GG gewährt einen unantastbaren Garantiebereich und schützt vor Vgl. BVerfGE 28, 324 (361) – Heiratswegfallklausel. Vgl. unten: 2. a). 225 Vgl. BVerfGE 31, 58 (69) – Spanier-Beschluss. 226 BVerfGE 53, 224 (245) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip); Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 7. 227 BVerfGE 6, 55 (72) – Steuersplitting; Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 7. 228 Vgl. hierzu auch Lerche, Peter, Stiller Verfassungswandel, S. 285 f. 229 Pauly, Walter, NJW 1997, 1955 (1955). 223 224
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jeder staatlichen Maßnahme, die bestimmende Merkmale des Verfassungsbildes von Ehe und Familie beeinträchtigt. 230 Der materielle Kernbereich von Art. 6 Abs. 1 GG schirmt Ehe und Familie gegen einen verfremdenden Zugriff des Gesetzgebers ab. Er gibt den vorgefundenen Rechtsinstituten, ohne sie zu versteinern, eine verfestigende Objektivierung.231 Der große Gestaltungsraum des Gesetzgebers verengt sich allerdings zugunsten von Ehe und Familie durch tatsächliche Veränderungen wie beispielsweise durch eine demographische Schieflage in der Gesellschaft. Gleichzeitig müssen die Vielfalt der Lebensentwürfe gesetzlich ermöglicht werden. Die institutionelle Vorschrift des Art. 6 GG gibt dem Gesetzgeber bei seiner Bewertung dieser Spannungslage eine Rangfolge auf: Die bewährten, durch Krisen und Herausforderungen erprobten Formen sozialer Gemeinschaftsbildung der Ehe und Familie genießen einen Vorrang vor dem Neuen, das erst noch zur gemeinschaftsbildenden Bewährung ansteht.232 Dem Gesetzgeber ist es insbesondere verwehrt, die Verfassungsvorgaben von Art. 6 Abs. 1 GG dadurch zu unterlaufen, dass er eine Gemeinschaft zwar nicht als Ehe bezeichnet, ihr aber materiell rechtlich den gleichen Schutz zukommen lässt233 und so die Garantie von Ehe und Familie aushöhlt.234 Die Einrichtungsgarantie wirkt auch gegen die Tendenz, Familienbeziehungen weiter zu verrechtlichen, etwa indem Kindern neue subjektive Rechtspositionen gegen ihre Eltern eingeräumt werden oder indem der Staat seine Aufgaben und Befugnisse aus Art. 7 GG so weit ausdehnt, dass der natürliche Lebensraum der Familie unverhältnismäßig beschnitten wird.235
bb) Instituts- und institutionelle Garantie als umfassende Gewährleistung Der Gesetzgeber muss den materiellen Kerngehalt von Art. 6 Abs. 1 GG so ausgestalten, dass der Freiheitsberechtigte eine Ehe rechtsverbindlich eingehen, er dadurch ein bestimmtes Rechtsverhältnis begründen und dann aus dem Rechtsinstitut Ehe ein Rechtsinstitut Familie entwickeln kann.236 Dies geschieht zum einen durch einen Normenkern des bürgerlichen Rechts zur Regelung einer Lebens- und Unterhaltsgemeinschaft. Die Einrichtungsgarantie – hier als Oberbegriff verstanden – gewährleistet Ehe und Familie im Privatrecht, das in erster Linie der Freiheitsausübung des Grundrechtsberechtigten dient und durch seine Regelungen Freiheiten schafft (Institutsgarantie). Sie geht aber darüber hinaus, indem sie als institutionelle Garantie die freiheitsgerechte Einbettung von autonomer Ehe und verantwortBVerfGE 76, 1 (49) – Familiennachzug. Oppermann, Thomas, VVDStRL 45 (1987) 107; Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 69. 232 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (997). 233 Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (397). 234 Vgl. BVerfGE 76, 1 (49) – Familiennachzug. 235 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (995). 236 Vgl. BVerfGE 6, 55 (72) – Steuersplitting; 31, 58 (69 f.) – Spanier-Beschluss. 230 231
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licher Familie im öffentlichen Recht wie dem Steuer- und Sozialrecht sichert, das die Freiheit des Grundrechtsberechtigten vor allem auch eingeschränkt.237 Nur so werden Ehe und Familie umfassend gegen eine wesentliche Umgestaltung oder eine mittelbare Aufhebung geschützt. Auch eine deutliche wirtschaftliche Benachteiligung von Müttern kann das Institut der Familie gefährden, wenn junge Frauen dadurch gedrängt werden, sich gegen eine Familie oder gegen eine bestimmte Rolle innerhalb der Familie zu entscheiden. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ist deshalb Instituts- und institutionelle Garantie zugleich.238
c) Bestimmung des unantastbaren Garantiebereichs durch die außerrechtliche Lebensordnung Der Inhalt der Einrichtungsgarantie wird durch das einfache Recht ausgestaltet, gleichzeitig begrenzt er die Gestaltungsmöglichkeiten des einfachen Gesetzgebers. Wollte man die Frage, welche Prinzipien den unantastbaren Kern von Art. 6 Abs. 1 GG bilden und deshalb vom einfachen Gesetzgeber nicht abgeändert werden können, anhand des einfachen Rechts beantworten, würde man einem Zirkelschluss unterliegen. Auch die abstrakten Verfassungsbegriffe von Ehe und Familie helfen hier nicht weiter. Vielmehr können die Strukturprinzipien des Art. 6 Abs. 1 GG nur durch die außerrechtliche Lebensordnung bestimmt werden. Denn Ehe und Familie sind freiheitsrechtlich vorgefunden, nicht staatlich geschaffen. Ein gesellschaftlicher Wandel kann die gesetzliche Ausgestaltung beeinflussen, der Garantiebereich der Rechtsinstitute kann dadurch aber nicht verändert werden. Ehe und Familie sind von alters her überkommen und in ihrem Kern unverändert geblieben. Insoweit stimmt der materielle Gehalt der Institutsgarantie aus Art. 6 Abs. 1 GG mit dem hergebrachten Recht überein.239 Um also der Gefahr eines Zirkels zwischen Regelung und geregelter Lebensform zu entgehen, müssen diejenigen Strukturen der Lebenswelt, die den hergebrachten Lebensformen entsprechen, offengelegt werden.240 Mann und Frau gehen eine Ehe ein, verantwortungsbewusste Eltern bilden mit ihren Kindern eine Familie. Diese Ausgestaltungen haben sich in der Geschichte bewährt. Um Raum für neue Entwicklungen zu lassen und die Rechtsinstitute nicht „abstrakt“ zu gewährleisten,241 müssen diese bewährten und erprobten Anschauungen von Ehe und BVerfGE 76, 1 (49) – Familiennachzug; 80, 81 (92) – Erwachsenenadoption. Hierdurch werden auch nicht die Grenzen zwischen institutioneller und Institutsgarantie verwischt, wie Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, andeutet. Dies unterstreicht vielmehr die Mehrdimensionalität, die Art. 6 GG zukommt. 239 BVerfGE 10, 59 (66) – Elterliche Gewalt. 240 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 36. Nach BVerfGE 31, 58 (82 f.) – Spanier-Beschluss und BVerfGE 53, 224 (245) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip) gehört zum Bild der „verweltlichten“ bürgerlich-rechtlichen Ehe auch die Scheidung, durch welche die Ehegatten ihre Eheschließungsfreiheit wiedererlangen. 237 238
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Familie so konkret wie möglich benannt werden242 und gleichzeitig durch möglichst wenige Regelungen die Freiheit zur Entfaltung bringen: Die Ehe ist danach die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft. Ihre wesentlichen Merkmale sind die Prinzipien der Geschlechtsverschiedenheit, der Einehe, das Konsensprinzip, die obligatorische Zivilehe,243 die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft und das Lebenszeitprinzip.244 Die Familie ist die umfassende Lebens-. Haus-, Erziehungs-, Unterhalts- und Beistandsgemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen.245 Diese Strukturprinzipien haben im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung als charakteristische Bestandteile allgemeine Anerkennung gefunden. Von ihrem Bestand geht das Gemeinschaftsleben aus.246
2. Notwendigkeit der Einrichtungsgarantie von Ehe und Familie Die Einrichtungsgarantie wendet sich an den Gesetzgeber und trägt dadurch den Bedeutungen von Ehe und Familie in besonderer Weise Rechnung. Sie ist Voraussetzung für die Freiheitsausübung des Einzelnen und deshalb das für Ehe und Familie wesentliche Fundament.
a) Institutionalisierung schafft Freiheit durch Typisierung Mit der rechtlichen Ausgestaltung von Ehe und Familie stellt die Rechtsordnung Institutionen zur Verfügung, in denen freie Lebensgestaltung im rechtlich geschützten Rahmen gelebter Partnerschaft und Gemeinschaft möglich wird. Die mit dieser Institutionalisierung verbundene Sicherheit in und durch das Recht dient der freien Entfaltung derjenigen, die dieses Rechtsinstitut nutzen. Das Ehe- und Familienrecht bietet ein im Kern unabdingbares Rechtsgefüge, das die Interessen von Mann und Frau, Erwerb und Erziehung, Jugend und Alter, Erlebnis und Vorprägung, Privatheit und Geselligkeit, Groß- und Kernfamilie ausgleicht. Nicht zuletzt schafft es Klarheit für Dritte in ihren Beziehungen zu den Ehepartnern und Famili241 BVerfGE 53, 224 (245) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip); 31, 58 (83) –Spanier-Beschluss unter Hinweis auf BVerfGE 6, 55 (82) – Steuersplitting; 9, 237 (242 f.) – EhegattenMitwirkungsverträge. 242 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band 1, Art. 6, Rn. 36. 243 Scheffler, Erna, in Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 245 (282 f.); Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987),7 (26). 244 Gernhuber, Joachim, Familienrecht, S. 37; Maunz, Theodor, in Maunz / Dürig, GG, Band II, Art. 6, Rn. 17b. 245 Ausführlich zum unantastbaren Kernbereich von Ehe und Familie: oben B. I. und II. 246 Vgl. so für die Ehe: Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6, Rn. 11.
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enmitgliedern.247 Der rechtsstaatliche Schutz des Schwächeren gilt insbesondere der Familie, die das Heranwachsen des Kindes zur Freiheit begleitet, aber auch die besonderen Elternpflichten in Erziehung und Erwerb rechtlich stützen muss. Auch die Ehe ist nicht nur die Summe zweier sich selbst verwirklichender Liebender, sondern eine Institution, die das tägliche Leben der Ehegatten entlastet, feste durch Krisen hindurchtragende Regeln und Hilfen anbietet, in der Mann und Frau zueinander und damit zu sich selbst kommen können.248 Gegenüber einer freien Vertragsgestaltung des Zusammenlebens in der Partnerschaft entlastet das staatliche Eherecht in seiner Typisierung der Ehe die Partner vor emotional belastenden, in ihrer Komplexität letztlich nicht zu leistenden Vertragsverhandlungen. Die Einrichtungsgarantie des Art. 6 GG fordert eine typisierende Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Dies trägt die Gefahr in sich, dass von ihr auch solche Fallgestaltungen erfasst werden, auf die der gesetzliche Regelungszweck nicht zutrifft.249 Allerdings wird so auf staatliche Nachforschung verzichtet und ein Freiraum geschaffen. Der Standesbeamte fragt das heiratswillige Paar nicht danach, ob sie zeugungsfähig sind oder ob sie sich Kinder wünschen. Der Finanzbeamte prüft nicht, ob die Eheleute ein gemeinsames Konto haben, bevor er ihnen den Splittingvorteil zugute kommen lässt.250 Art. 6 GG verbietet es auch zu kontrollieren, ob die Alleinerziehende tatsächlich ihr Kind alleine erzieht. Die gesetzliche Typisierung vermeidet bevormundende Detailregelungen und wirkt somit auch als Bedingung für das Gelingen eines Freiraums in Staatsferne. Das Familienrecht regelt die Rechte und Pflichten der Familienmitglieder nicht umfassend, sondern setzt nur die Rahmenbedingungen und sorgt für den Fall vor, dass Ehegatten und Eltern ihren Konflikt nicht selbst lösen können. So darf das Recht grundsätzlich in den höchstpersönlichen Lebensraum von Ehe und Familie nicht eindringen.251
b) Institutionalisierung für den Erhalt der staatlichen Gemeinschaft Das Institut Ehe und Familie ist nicht lediglich auf die möglichst gelingende Entfaltung des Einzelnen in und durch Ehe und Familie gerichtet. Zwar hat das Grundgesetz – anders als Art. 119 und Art. 120 der Weimarer Reichsverfassung – die ausdrückliche Widmung der Ehe zur Erhaltung und Vermehrung der Nation aufgegeben, auch die Pflicht der Erziehung zu gesellschaftlicher Tüchtigkeit nicht ausdrücklich geregelt. Das Grundgesetz zeichnet eine „privatnützige“, nicht tugendhafte Freiheit nach. In der Nachfolge der Französischen Revolution wird im Gegensatz zu den ehemals kommunistischen Staaten der Mensch mit seiner Men247 248 249 250 251
Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 11. Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987),7 (14). Vgl. hierzu Braun, Johann, ZRP 2001, 14 (17). BVerfG BStBl. II 96, 34 – Oder-Konto. So Schellhammer, Kurt, Familienrecht, Einleitung, 3. Kapitel, Rn. 3.
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schenwürde und deshalb in seiner Subjektivität in den Mittelpunkt gestellt. Dennoch ist die Institutsgarantie als objektive Gewährleistung keine überflüssige, dogmatische Konstruktion.252 Der überindividuelle Bezug zeigt sich schon durch die systematische Stellung der Gewährleistungen von Ehe und Familie. Sie folgen unmittelbar auf Art. 4 und 5 des Grundgesetzes. Art. 4 GG gewährleistet religiöse Begegnung und freie Weltanschauungen, Art. 5 GG schafft durch die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit die Voraussetzungen für unsere Demokratie. Beide Bereiche finden ihren Einklang mit Art. 6 GG, in dessen Gemeinschaften Demokratie und Weltanschauungen gelebt und vermittelt werden. Die Gewährleistung von Ehe und Familie steht zudem unmittelbar vor der staatlich-schulischen Gemeinschaftsbildung in Art. 7 GG, auf den der Schutz der Versammlung und der kollektiven Zusammenschlüsse in Art. 8 und 9 GG folgen. Das Grundrecht ist so systematisch auch in den Zusammenhang institutioneller, gesellschafts- und gemeinschaftsbezogener Grundrechte eingeordnet. Zudem stellt auch der Wortlaut der Norm Ehe und Familie an den Anfang, nicht das gleichwohl ebenfalls geschützte individuelle Recht jedermanns.253 Deshalb schützt Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie in einem Atemzug, in den Worten des Bundesverfassungsgerichts nicht nur im Interesse der individuellen Freiheit der Ehepartner und Familienangehörigen, sondern ebenso um der Freiheit des Einzelnen in der gelebten Gemeinschaft und um des Erhaltes dieser Gemeinschaft willen.254 Die Familie – nicht die einzelnen Familienangehörigen in ihrer Individualität – wird aufgrund „ihrer lebenswichtigen Funktion für die menschliche Gemeinschaft“255 geschützt. Die gegenüber der Weimarer Reichsverfassung viel weitergehende Individualisierung des Grundrechtsgedankens wird so durch die Institutsgarantie aufgefangen und ein Stück weit zurückgenommen. Art. 6 GG ist auch Gemeinschaftsgrundrecht und trägt so zum Erhalt der staatlichen Gemeinschaft bei.256
c) Wegweiser für gesellschaftliche Veränderungen: Gleiche Antworten auf neue Anfragen Art. 6 GG garantiert die Rechtsinstitute Ehe und Familie als objektive Gegebenheiten. Diese Rechtsinstitute sind Voraussetzung, um die subjektive Freiheit ausüben zu können. Zugleich sind sie vom Gesetzgeber gestaltbar und deshalb einem sozialen Wandel unterworfen. Das Gesetz achtet einerseits in der vom Grundgesetz nachgezeichneten Entwicklung das Erneuerungselement der Freiheit gegenüber 252 253 254 255 256
So auch Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (65 ff.). Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 13 – 15. BVerfGE 76, 1 (44 f.) – Familiennachzug. BVerfGE 36, 146 (167) – Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft. Vgl. hierzu insbesondere die Bedeutung der Familie für die Gesellschaft, oben, A. II.
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vorgegebenen, objektiv-institutionell ausgerichteten Elementen. In den Institutsgarantien von Ehe und Familie fordert das Grundgesetz als das Gedächtnis der Demokratie andererseits Beständigkeit und damit Rechtssicherheit. Weder der hergebrachte noch der heutige Zustand von Ehe und Familie darf idealisiert werden. Ein gesellschaftlicher Wandel ist notwendig, da es keinen normativen idealen Zustand von Ehe und Familie gibt.257 Ein solcher Wandel kann aber nicht Ehe und Familie in ihren Strukturprinzipien verändern, da das Grundgesetz die Erfahrungen der Lebenswirklichkeit aufnimmt und das Gegebene grundsätzlich als das Vernünftige und Richtige versteht. Es begründet eine, wenn auch widerlegbare Vermutung, dass die bestehende rechtliche Ordnung auch für die Zukunft Sinn hat, weil sie sich in der Vergangenheit bewährt hat. Die in freier Selbstbestimmung entscheidenden Eheleute und Familienmitglieder werden vor einem sozialen Wandel, seinen möglichen Benachteiligungen der Schwächeren und Folgen erhöhter Komplexität bewahrt. Stützen in objektiven Grundlagen und Strukturen sind notwendig, um Ehe und Familie im Alltag von Fragen der Neukonzeption und Neugewichtung zu entlasten. Hier entfaltet die Institutsgarantie des Art. 6 GG ihre Funktionen.258 Rechtsänderungen sind deshalb nicht ausgeschlossen, sie müssen sich aber in erster Linie an den Erfordernissen der Stabilität des garantierten rechtlich geordneten Lebensbereichs und nicht an einem sozialen Wandel orientieren.259 Auch historisch betrachtet sollte die Bedeutung der Institutsgarantie des Art. 6 GG – hier für die Ehe – darin liegen, „dass die monogame Ehe, das ist die aus dem Sittengesetz geschaffene ethische Einrichtung der Ehe, nicht ohne Verfassungsänderung beseitigt werden kann, während selbstverständlich alle eherechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes im Wege des einfachen Reichsgesetzes geändert werden dürfen.“260 Diese Beständigkeit ist auch heute Aufgabe der Einrichtungsgarantie. In ihrer Stetigkeit gibt sie gleiche Antworten auf immer wieder neue Anfragen und ist dabei dem Denken ihrer Zeit voraus.
3. Der Auftrag der Einrichtungsgarantie als Spannungsfeld Die Einrichtungsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG trägt allein durch ihre verfassungsrechtliche Funktion eine Spannungslage für Ehe und Familie in sich. Sie gibt dem Gesetzgeber einen Konkretisierungsauftrag und weist ihn durch einen unantastbaren Garantiebereich gleichzeitig in seine Grenzen. Der Gesetzgeber soll durch typisierende Regelungen Freiheit schaffen, muss diese aber so konkret fasCampenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (10). Steiger,Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55, (70). 259 Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55, (75). 260 So der Abgeordnete Ablaß (DDP), in: Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336 (Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 391: Bericht des Verfassungsausschusses), S. 378 f.; so wörtlich zitiert bei: Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (25). 257 258
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sen, dass nur diejenigen Gemeinschaften von ihr geregelt werden, die die besonderen Funktionen von Ehe und Familie erfüllen. Dieser Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber setzt die Rechtsinstitute Ehe und Familie einer stetigen Spannung mit dem sozialen Wandel aus. In diesem Prozess stehen sich immer wieder die Einrichtungen von Ehe und Familie als objektive, verlässliche Gegebenheiten und die subjektiven, selbst bestimmten Entscheidungen ihrer Mitglieder als Ausfluss des freiheitsspendenden Garantieelements der Einrichtungsgarantie gegenüber. Der Gesetzgeber muss heute – bei schwindender Bereitschaft zur Ehe und wachsender Überforderung der Familie – vor allem Lösungen finden, die durch objektive Gewährleistungen Freiräume für die in Ehe und Familie lebenden Menschen schaffen. Um das Leben in Gemeinschaft von Ehe und Familie zu schützen, muss sich der Staat bisweilen gegen die in individueller Verantwortung getroffene freie Entscheidung richten.261 Individuelle Freiheit und Schutz der Gemeinschaften von Ehe und Familie kann somit in einen Widerspruch geraten, der in einen schonenden Ausgleich zu bringen ist. Von dieser von der Verfassung gewollten Spannungslage werden auch Ehe und Familie untereinander erfasst: In der Ehe werden freie Entscheidungen in eigener Verantwortung getroffen. Heute sind meistens beide Ehepartner erwerbstätig. Die Ehe ist eine partnerorientierte Lebensgemeinschaft, die auf Privatheit und Intimität angelegt ist. Sie ist nur potentielle Elternschaft. Im Gegensatz dazu ist die Familie als Erziehungsgemeinschaft eine aktuelle Elternschaft, die auf das Kind orientiert und von Elternverantwortung geprägt ist. Deshalb muss in dem Zeitpunkt, zu dem sich die Ehe zu einer Familie erweitert, entweder auf Beruf verzichtet oder das erworbene Einkommen in Kinderbetreuung investiert werden. In der Familie besteht ein unauflöslicher Generationenvertrag, der sich insbesondere in finanziellen Unterhaltszahlungen zeigt. Jede dieser Entwicklungen ist Ausfluss der unterschiedlichen Kerninhalte von Ehe und Familie. Freie Selbstbestimmung in der Ehe und kindorientierte Verantwortung der Eltern gehören zum Wesen der Rechtsinstitute, ständige Spannungen im Alltag sind in diesen Einrichtungsgarantien angelegt.
III. Wertentscheidende Grundsatznorm und besondere Schutzpflicht Art. 6 GG enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben einem Abwehrrecht und einer Institutsgarantie auch eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des die Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts.262 Um die juristische Wirkungskraft der 261 262
Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (995) BVerfGE 6, 55 (72) – Steuersplitting.
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Norm am stärksten entfalten zu können, sichert Art. 6 GG so als Teil der objektivrechtlichen Wertentscheidung, die der Verfassungsgeber in den Grundrechten getroffen hat, objektive Gewährleistungen, die über die Funktionen des Abwehrrechts und der Institutsgarantie hinausgehen. Eine solche weite Auslegung der Vorschrift lässt sich neben ihrem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte ableiten. Trotz der kürzeren Formulierung gegenüber Art. 119 WRV wollte der Verfassungsgeber den Wirkungsbereich der Norm im Gegensatz zu der Weimarer Reichsverfassung nicht beschränken. Zudem wird so dem Prinzip des sozialen Rechtstaats und der Einordnung der Norm in den Grundrechtsteil der Verfassung Rechnung getragen.263 Da schon die Einrichtungsgarantie sowohl in das private als auch in das öffentliche Recht ausstrahlt und deshalb den Gesetzgeber umfassend an die Wertvorgaben des Art. 6 Abs. 1 GG bindet, könnten die objektiven Prinzipien des Art. 6 GG in ihrer konkreten Anwendung allerdings ohne besondere Bedeutung bleiben.264 Vor allem wird Kritik am grundsätzlichen Bestehen einer durch die Grundrechte festgeschriebenen objektiven Werteordnung geübt. Der Rekurs auf „Werte“ ermögliche keine Interpretation der Grundrechte nach klaren und einsehbaren Regeln und führe zu einem Einfließen subjektiver, durch den normativen Gehalt der Grundrechte nicht notwendig gedeckter Wertungen des Richters und damit auch zu Einbußen für die Rechtssicherheit.265 Dabei wird jedoch übersehen, dass der Begriff „Werte“ vielfach nur zur Kennzeichnung des normativen Inhalts der Grundrechte verwendet wird, deren Grundlage und legitimierende Quelle der Bezug auf die Menschenrechte sind.266 Für Art. 6 GG gilt dies aufgrund der wichtigen Aufgaben von Ehe und Familie für das Gemeinwesen in besonderem Maß. Das Grundgesetz ist gerade kein wertneutrales System, es erteilt vielmehr aufgrund der historischen Erfahrungen einer wertneutralen Ordnung eine Absage. Die Grundrechte bilden insgesamt eine objektive Werteordnung und gelten als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts. Sie geben Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung vor. In ihrem Kernbestand bilden sie gemeinsam das Fundament, auf das die Verfassung und die gesamte 263 BVerfGE 6, 55 (72 f.) – Steuersplitting. Kritisch zum Grundgesetz als Wertordnung unter Bezugnahme auf Ernst Forsthoff: Goerlich, Helmut, Wertordnung und Grundgesetz, sowie Göldner, Detlef Christoph, Integration und Pluralismus, S. 16 Fn. 76. Rechtsdogmatische Kritik in Bezug auf Art. 6 GG bei Münch, Ingo von, Wandel familiärer Lebensmuster, S. 77. Er will die Ergebnisse, die das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtsprechung zu Art. 6 GG als wertentscheidende Grundsatznorm erzielt, über Art. 3 Abs. 1 GG erreichen. Ein solcher Ansatz kann aber nur Teile von Art. 6 GG als Grundsatznorm auffangen. 264 In der Literatur wird diese Bedeutung des Art. 6 GG teilweise als inhaltslos angesehen, vgl. Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6, Rn. 2: „Die Feststellung, Ehe und Familie stünden unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung ist im Rahmen des materiellen Verfassungsrechts ohne besondere Aussagekraft.“ 265 Zusammenfassend Goerlich, Helmut, Wertordnung und Grundgesetz, 1973, Müller, Friedrich, Juristische Methodik, S. 59 ff., 64 ff. 266 Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 299.
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Rechtsordnung aufbauen, und werden durch Art. 79 Abs. 3 GG auch gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber festgeschrieben.267 Sie sind Ausdruck der vom Verfassungsgeber vorgefundenen kulturellen und sozialen Voraussetzungen unseres Gemeinwesens. Wer Art. 6 Abs. 1 GG allein auf seine abwehrrechtliche Dimension beschränken wollte, würde seiner Aufgabe als Grundlage der staatlichen Ordnung nicht gerecht werden. Art. 6 Abs. 1 GG ist ein wichtiger Bestandteil der objektiven Werteordnung der Grundrechte und enthält deshalb eine objektive Gewährleistungsdimension. Allerdings geht der Verfassungsauftrag von Art. 6 GG noch darüber hinaus. Neben der wertentscheidenden Grundsatznorm, aus der sich die jedem Grundrecht zukommenden Funktionen ableiten lassen, stellt Art. 6 GG Ehe und Familie unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Mit dieser Formulierung als ausdrücklichem Schutzversprechen hebt sich der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 GG von anderen Normen des Grundrechtskatalogs deutlich ab und begründet einen über die allgemeinen Gewährleistungen hinausgehenden Schutzauftrag. Entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird diesem Gebot nicht dadurch genüge getan, dass die wertentscheidende Dimension des Art. 6 GG weit ausgelegt wird. Der Wertentscheidungscharakter ist ein Grundrechtsstandard und wird dieser Besonderheit nicht gerecht.268 Art. 6 GG ist auch ohne den besonderen Schutz ein Mosaikstein der objektiven Werteordnung, der Ehe und Familie als schützenswerte, zukunftstragende Gemeinschaften gewährleistet. Der besonderen Schutzverpflichtung kann vielmehr nur durch eine dogmatische Trennung von den allgemeinen Grundrechtsfunktionen angemessen Rechnung getragen werden. Auch die Kritik, dass der besondere Schutz als Institution des Staatsrechts unbekannt und der Begriff inhaltslos sei,269 überzeugt nicht. Es ist vielmehr die Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur, den besonderen Wortlaut dieser Vorschrift mit Leben zu füllen und die einzigartige Dimension von Art. 6 GG herauszuarbeiten. Zwar herrschte im Parlamentarischen Rat noch Ratlosigkeit über die besondere Schutzfunktion, die Theodor Heuss mit den Worten zum Ausdruck brachte: „Wir sehen nicht ganz deutlich, was man sich unter dem Schutz der Familie durch die Verfassung vorstellen mag.“270 Diese Zweifel können jedoch heute überwunden werden. Hierzu soll im Folgenden ein Beitrag geleistet werden, der deutlich machen will, dass sowohl in der objektiven Gewährleistungsdimension als auch im besonderen Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG Spannungsfelder zwischen Ehe und Familie angelegt sind. 267 Der Kerngehalt aller Grundrechte ist nach Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich, da durch ihn mittelbar die Menschenwürde geschützt wird, vgl. hierzu: Dürig, Günter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 1, Rn. 81; Evers, Hans-Ulrich, Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 79 Abs. 3, Rn. 87; Katz, Alfred, Staatsrecht, Rn. 590. 268 So auch Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 145 ff., 167 ff. 269 Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6, Rn. 2. Für Maunz, Theodor, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 7, sind die Worte „besonderer Schutz“ bedeutungslos. 270 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 247.
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1. Wertentscheidende Grundsatznorm als Teil der objektiven Werteordnung Die Grundrechte und damit auch Art. 6 Abs. 1 GG als objektiv-rechtliche Wertentscheidungen der Verfassung sind aller staatlichen Gewalt als verpflichtender Auftrag zur größtmöglichen Verwirklichung aufgegeben. Sie sind Maßstab, Vorgabe, Anwendungs- und Auslegungsregel, begründen begrenzte positive staatliche Handlungs-, Gestaltungs- und Schutzpflichten, sind aber auch Kompetenzbestimmung und Machtbegrenzung für die rechtsetzende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG).271 Der Staat hat die Pflicht, das Grundrecht des Art. 6 GG zu verwirklichen, indem er im Rahmen des Möglichen und unter Berücksichtigung eines weiten gesetzgeberischen Ermessens die rechtlichen, organisatorischen, verfahrensmäßigen und finanziellen Voraussetzungen schafft. Dadurch wird den Menschen die Wahrnehmung und Ausübung der Ehe- und Familienfreiheit faktisch ermöglicht; erhebliche Gefährdungen dieser Gemeinschaften werden begrenzt, unbeherrschbare ausgeschlossen.272 Zwar erreicht Art. 6 Abs. 1 GG in dieser allgemeinen, grundrechtlichen Dimension nicht das Maß an Verbindlichkeit, das der Institutsgarantie oder dem Abwehrrecht zu eigen ist.273 Doch wirkt er nur in dieser Funktion umfassend auf die gesamte, die Ehe und Familie betreffende Rechtsordnung ein und verstärkt dadurch die Geltungskraft der subjektiven Rechte. Aus dieser grundrechtspflegenden und -schützenden Funktion von Art. 6 Abs. 1 GG lassen sich im Einzelnen folgende Funktionen ableiten:
a) Allgemeine Schutzpflicht aa) Gesetzliche Umsetzung der privaten Neminem-Laedere-Pflicht Die staatliche Schutzpflicht und das Abwehrrecht sind gegenläufige Funktionen des Freiheitsgrundrechts von Ehe und Familie. Beide sichern das identische grundrechtliche Gut vor Eingriffen, doch drohen diese von verschiedenen Seiten. Das Abwehrrecht schützt vor der öffentlichen Hand, die staatliche Schutzpflicht vor Eingriffen Privater in die Ehe- und Familiensphäre. Letztere sichert zwischenmenschliche Beziehungen und setzt deshalb ein Dreiecksverhältnis voraus, bei dem der Staat zum Schutze des Opfers, dessen Ehe- und Familienfreiheit beson271 BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth; 39, 1 (41) – Schwangerschaftsabbruch I; 77, 170 (214 f.) – C-Waffen-Lagerung; Katz, Alfred, Staatsrecht, Rn. 574. 272 BVerfGE 31, 314 (326) – 2. Rundfunkentscheidung (Umsatzsteuer); 33, 303 (331) – numerus clausus; 39, 1 (41 ff.) – Schwangerschaftsabbruch I; 88, 203 (251 ff.) – Schwangerschaftsabbruch II; 46, 160 (164 f.) – Schleyer-Entführung; 53, 30 (71 ff.) – Mühlheim-Kärlich; 77, 170 (214, 222 ff.) – C-Waffen-Lagerung; Katz, Alfred, Staatsrecht, Rn. 575. 273 BVerfGE 80, 81 (92 f.) – Erwachsenenadoption.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
ders gefährdet ist, in die Handlungsfreiheit eines privaten Störers eingreift.274 Dieser verstößt gegen einfaches Recht, seine Neminem-laedere-Pflicht ergibt sich zunächst nicht direkt aus dem Grundgesetz. Die allgemeine Schutzpflicht des Art. 6 GG verpflichtet also den Staat, Gesetze zu schaffen, in denen Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte bewahrt werden, diese Gesetze durch Verwaltungsmacht zu vollziehen und deren Einhaltung durch eine umfassende Kontrolle durch die rechtsprechende Gewalt sicherzustellen. Der Staat kann durch die von ihm geschaffene Rechtsordnung zwar für den Bestand der einzelnen Ehe nicht, für den Bestand der einzelnen Familie nur bedingt Sorge tragen; er muss aber Verfahren bereithalten, um räumlich-gegenständliche Störungen des Ehe- oder Familienlebens abwehren zu können, z. B. den Ausschluss des Ehestörers aus der Ehewohnung. Organisations- und verfahrensrechtliche Regelungen sind ein notwendiges Element und zuweilen sogar Bedingung der Grundrechtsausübung, um nicht die materielle Wirkungskraft von Art. 6 GG zu entwerten.275 Dieses Gebot des effektiven Rechtsschutzes wird durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und durch die Regelungen über die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 BVerfGG für alle Grundrechte bestätigt.276 Grundrechtsadressat ist also der Staat; die Verpflichtung von Privaten wird in den Grundrechten allgemein ausgespart.277 Darin zeigt sich, dass die allgemeine Schutzpflicht eine objektive Staatsaufgabe ist.278 Sie ergibt sich aus der objektiven Wertentscheidung jedes einzelnen Grundrechts, für Art. 6 GG in gleicher Weise wie für Art. 2 oder 5 GG. Die Verpflichtung ist ausdrücklich und allgemein in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG normiert und wird in ständiger Rechtsprechung bestätigt.279 Da diese Staatsaufgabe aber ihren Gegenstand in Rechtsgütern der Individuen findet, kann aus der objektiv-rechtlichen Normqualität ausnahmsweise ein Anspruch auf Schutz für den einzelnen Grundrechtsträger abgeleitet werden, wenn eine konkrete Gefahr droht. Ansonsten käme die durch die Grundrechte gesicherte Freiheit nur dem privaten Störer zugute, das Opfer könnte sich nur auf die Verbotsnorm des einfachen Rechts berufen.280 Isensee, Josef, HStR V, § 111, Rn. 1, 5. Stern, Klaus, HStR V, § 109, Rn. 61 unter Berufung auf BVerfGE 63, 131 (141) – Gegendarstellung. 276 Ein unmittelbarer Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus den materiellen Grundrechten wird bereits in BVerfGE 49, 220 (225 ff.) – Zwangsversteigerung III, entnommen; vgl. auch Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrecht, Rn. 339. 277 Vgl. aber zur besonderen Schutzpflicht des Grundrechtsberechtigten aus übernommener Verantwortung für einen anderen Menschen: unten 2 b. 278 Isensee, Josef, HStR V, § 111, Rn. 5 und 8. 279 BVerfGE 39, 1 (41) – Schwangerschaftsabbruch I; 49, 89 (142) – Kalkar I; 53, 30 (57) – Mühlheim-Kärlich; 56, 54 (73) – Fluglärm; 57, 250 (284 f.) – V-Mann, kritisch zur dogmatischen Begründung über die Wertelehre: Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 22 ff. m. w. N.; vgl. auch Isensee, Josef, HStR V, § 111, Rn. 81. m. w. N. 280 Isensee, Josef, HStR V, § 111, Rn. 84 f. 274 275
C. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG
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Die allgemeine Schutzpflicht durch den Staat ist immer gegen einen privaten Dritten gerichtet. Die auf dieser Grundlage geschaffenen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Regelungen tragen Konfliktpotentiale zwischen der ehelichen und der familiären Gemeinschaft in sich. Strafrechtliche Normen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern verbieten, können bei ihrem Vollzug in die Intimsphäre der Eheleute eingreifen. Der zivilrechtliche Anspruch gegen den Ehestörer, die Ehewohnung zu verlassen, richtet sich auch gegen den Vater des unehelichen Kindes der Mutter, der die Begegnung mit seinem Kind sucht. Der private Eingriff in die wirtschaftlichen Grundlagen der ehelichen und familiären Gemeinschaft wird vom Staat im Unterhalts- und Erbrecht geregelt. Erbund familienrechtliche Normen, die dem Ehegatten des Erblassers einen Anspruch auf Zugewinnausgleich und ein gesetzliches Erbrecht geben, mindern gleichzeitig den Anspruch der Kinder als gesetzliche Erben. Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder gehen dem Anspruch der geschiedenen Ehefrau vor und können bei finanziellen Mangelfällen zu einem Anspruchsverlust führen. Hier trägt das Gesetz sowohl der ehelichen Erwerbs- als auch der familiären Unterhaltspflicht Rechnung und bringt die Interessen beider Gemeinschaften zu einem schonenden, stets aber die Kindesinteressen bevorzugenden Ausgleich.
bb) Schutz vor Aushöhlung Daneben muss der Staat aufgrund der allgemeinen Schutzpflicht die Grundstrukturen des überkommenen Ehe- und Familienbildes gegen schleichende Auszehrung bewahren. Art. 6 Abs. 1 GG darf nicht nur formell gelten, sondern muss stets auch seine sachliche, materielle Funktion erfüllen. Maßgaben für konkrete Maßnahmen folgen insofern aus Art. 6 Abs. 1 GG allerdings nicht, die Entscheidung hierüber ist dem Gesetzgeber überlassen. Auch eine Pflicht zum Schutz von Ehe und Familie durch Strafnormen besteht nicht.281 Einer solchen Aushöhlung der materiellen Gewährleistung von Art. 6 GG suchen im Rahmen des Möglichen auch die Bestimmungen des Art. 19 Abs. 1 und 2 GG zu verhindern. Insbesondere die materielle Schranke der Wesensgehaltgarantie betont, dass die Ehe- und Familienfreiheit missachtet wird, wenn sie unverhältnismäßig begrenzt wird oder im Leben des Gemeinwesens tatsächlich keine Wirksamkeit mehr entfaltet.282 Dieser für alle Grundrechte gültige Schutz vor Auszehrung ist allerdings bei Art. 6 GG im Abstandsgebot der besonderen Schutzpflicht enthalten, das nicht nur die materielle Funktion von Ehe und Familie sichert, sondern darüber hinaus eine Privilegierung gegenüber anderen Gemeinschaften fordert. Deshalb kommt dieser Grundrechtsdimension bei Art. 6 GG keine besondere Bedeutung zu. Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 10. Vgl. allgemein zum Schutz gegen innere Aushöhlung: Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrecht, Rn. 329 u. 332. 281 282
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
b) Ausstrahlungswirkung ins Privatrecht Als Teil der objektiven Werteordnung gibt Art. 6 Abs. 1 GG Richtlinien und Impulse für alle Bereiche des Rechts und entfaltet seine Wirkung deshalb auch in der Privatrechtsordnung.283 Zwar würde es eine beträchtliche Einengung der selbstverantwortlichen Freiheit des Grundrechtsberechtigten darstellen, wenn jedes Grundrecht und damit auch Art. 6 GG unmittelbare Geltung zwischen Privaten entfalten würde.284 Insbesondere gehört zur grundgesetzlich verankerten Freiheitssphäre auch die Möglichkeit, auf der Grundlage eines eigenen Entschlusses Fehlentscheidungen zu treffen. Wo das Privatrecht einen großen Gestaltungsraum belässt, darf dieser nicht durch eine Bindung an die Grundrechte beschränkt werden.285 Einer grundsätzlichen, unmittelbaren Drittwirkung der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG steht auch die eindeutige Regelung des Art. 1 Abs. 3 GG entgegen.286 Eine direkte Bindung eines Privatrechtssubjekts kann sich deshalb nur in Ausnahmefällen ergeben, wenn eine wirtschaftliche oder soziale Machtposition Überlegenheit begründet287 oder die Verpflichtung ausdrücklich geregelt ist. Der praktisch wichtigste Fall ist hier Art. 6 Abs. 2 GG, der die Erziehungsverantwortung der Eltern und staatliche Wächteramt explizit normiert und damit die Eltern unmittelbar in Pflicht nimmt. Danben ist das Privatrecht in den Bereichen, in denen der grundrechtsgebundene Gesetzgeber einen Entscheidungsraum belässt (Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe), im Lichte der Grundrechte auszulegen.288 Diese Ausstrahlungswirkung entfaltet sich im Streitfall zwischen den Privaten, wenn durch die rechtsprechende Gewalt die Hilfe des Staates beansprucht wird. Der Richter muss Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe demnach so auslegen, dass dem besonderen Schutz von Ehe und Familie Rechnung getragen wird. Dies gilt insbesondere im Familien- und Erbrecht, da hier der Gesetzgeber den grundsätzlich frei gestaltbaren Binnenbereich von Ehe und Familie regelt. Der Richter muss die vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen nachzeichnen, dabei aber stets das von der Verfassung vorgegebene Verhältnis zwischen Ehe und Familie beachten. Er darf nicht durch Bevorzugung der einen Gemeinschaft die andere bedeutungslos werden lassen. So muss der Richter bei der Auslegung der familienrechtlichen Normen immer auch den Schutz der Ehe im Auge behalten. Die Ausstrahlungswirkung in 283 Vgl. allgemein zur Drittwirkung der Grundrechte, Rüfner, Wolfgang, HStR V, § 117, Rn. 54 ff. 284 Katz, Alfred, Staatsrecht, Rn. 615. 285 Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 356. 286 Vgl. aber zur besonderen Schutzpflicht des Grundrechtsberechtigten, die sich aus der von ihm übernommenen Verantwortung ableiten lässt, die folgenden Ausführungen unter 2. b). 287 Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrecht, Rn. 356 f.; Rüfner, Wolfgang, HStR V, § 117, Rn. 78. 288 Rüfner, Wolfgang, HStR V, § 117, Rn. 73.
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das gesamte Privatrecht setzt die allgemeine Schutzpflicht des Gesetzgebers fort, indem sie auch den Richter und die Verwaltung bei der Auslegung an die Vorgaben von Art. 6 GG bindet. c) Schädigungsverbot Das Bundesverfassungsgericht leitet aus Art. 6 GG als Teil der objektiven Werteordnung auch ein Schädigungs- oder Beeinträchtigungsverbot ab, das sowohl als negative Kompetenznorm verstanden wird, die dem Staat Eingriffe in die Ehe oder Familie untersagt, als auch als positive Aufgabe für den Staat gedeutet wird, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu bewahren.289 Dieser Wirkungsweise kommt neben dem Abwehrrecht und der allgemeinen Schutzpflicht keine eigenständige Bedeutung zu. Der Schutz vor staatlichen Eingriffen wird durch die abwehrrechtliche Dimension von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet, das Gebot zum Schutz vor Eingriffen Dritter ist in der allgemeinen Schutzpflicht enthalten.290 Das Schädigungsverbot begründet deshalb auch keine grundrechtliche Rechtsfolge, die allein dem Schutz von Ehe und Familie zuteil wird.291 Vielmehr darf ohne einen rechtfertigenden Grund und eine Abwägung nach den Regeln der praktischen Konkordanz kein Grundrecht geschädigt oder beeinträchtigt werden. Deshalb verdeutlicht das vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 6 GG als wertentscheidende Grundsatznorm entwickelte Schädigungsverbot lediglich einen Befund allgemeiner Grundrechtslehre.
d) Allgemeine Förderpflicht Aus Art. 6 GG als wertentscheidende Grundsatznorm lässt sich daneben eine allgemeine Förderpflicht ableiten. Auch diese besteht für alle Grundrechte gleichermaßen und erschöpft sich deshalb in der Maßgabe, der Staat habe eine allgemeine Organisation und ein die Grundrechte schützendes Verfahren zu schaffen, damit den Menschen die Grundrechtsausübung ermöglicht wird. Diese Aufgaben werden dem Staat schon durch die allgemeine Schutzpflicht auferlegt. Darüber hinaus gebietet dies auch Art. 19 GG. Weiterreichende Förderpflichten, die konkrete Leistungen finanzieller oder sachlicher Art gewähren, lassen sich aus den Grundrechten als wertentscheidende Grundsatznormen schon deshalb nicht ableiten, weil jede Entscheidung im Einzelfall eine konkrete Abwägung im Wege der praktischen Konkordanz gebietet und Leistungen zugunsten eines Grundrechts oder Grundrechtsträgers gleichzeitig immer einen anderen benachteiligen können. Nur wenn die Grundrechtsausübung für den Einzelnen im konkreten Fall unmöglich wäre, 289 290 291
BVerfGE 6, 55 (76) – Steuersplitting; 28, 324 (347) – Heiratswegfallklausel. So auch Tünnemann, Margit, S. 124. So aber BVerfGE 6, 55 (76) – Steuersplitting.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
kann eine Förderung möglich sein. Dies bedeutet nur, dass die allgemeine Förderpflicht jeweils bei den zu treffenden Entscheidungen je nach der Bedeutung und dem Gewicht des betreffenden Grundrechts entsprechend mit zu berücksichtigen ist.292 Sie geht somit in der allgemeinen Schutzpflicht der Grundrechte auf.293
2. Besondere Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG Der über die allgemeinen grundrechtlichen Dimensionen hinausgehende Bedeutungsgehalt von Art. 6 Abs. 1 GG liegt in seinem besonderen Schutzauftrag. Die Verfassung hat in ihrer Formulierung den Gemeinschaften von Ehe und Familie einen besonderen Schutz und damit eine besondere Stellung in der Rechtsordnung zugedacht. Auch der besondere Schutz gehört zum objektiven Gewährleistungsgehalt der Norm. Folglich hat der Einzelne keinen subjektiven Anspruch auf staatliche Leistungen.294 Dem Staat und insbesondere dem Gesetzgeber bleibt ein weiter Gestaltungsraum zur Konkretisierung dieses Schutzgebotes. Schützen bedeutet, unzumutbare Schädigungen, die dem Opfer von dritter Seite drohen, abzuwehren. Dieser Schutz wird durch die aus den Grundrechten resultierende, allgemeine Schutzpflicht des Staates gewährleistet. Der nicht nur deklaratorische, besondere Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG fordert mehr. Er ergibt sich direkt aus der Formulierung von Art. 6 Abs. 1 GG295 und ist notwendig, um der besonderen Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der Schutzobjekte Ehe und Familie gerecht zu werden. Dabei fordert jede Gemeinschaft eine andere Schutzintensität: Die tatsächlichen Gegebenheiten gebieten eine höhere Schutzverpflichtung für die Familie. Hier bestehen größere Nachteile aufgrund der gesetzlichen Lage und den tatsächlich bestehenden Herausforderungen, die Kinder mit sich bringen. Die Erziehungsleistungen der Eltern für ihre Kinder verlangen eine besondere Förderung. Die Ehe ist hierfür nur ein wichtiger Grundstein. Der eheliche Schutz konzentriert sich hingegen mehr darauf, die Ehe als Erwerbsgemeinschaft mit ihren finanziellen Vor- und Nachteilen zu erhalten und sie gegen die Gleichstellung mit anderen Lebensgemeinschaften ohne Kinder abzuschirmen. Darin liegt keine Verpflichtung, andere LebensgemeinKopp, Ferdinand, NJW 1994, 1753 (1756). s. aber unten die besondere Förderpflicht aus Art. 6 GG; vgl. zur allgemeinen Förderpflicht, Kopp, Ferdinand, NJW 1994, 1753 (1755), der davon ausgeht, dass sich Schutz- und Förderungspflichten des Staates berühren und gegenseitig ergänzen. 294 Vgl. BVerfGE 82, 60 (81) – Familienexistenzminimum unter Bezugnahme auf BVerfGE 39, 316 (326) – Kinderzuschuss in der Knappschaft. 295 Richter, Ingo, AK-GG, Art. 6, Rn. 14; Zuleeg, Manfred, FamRZ 1980, 214. Unbedeutend bleibt die Behauptung von von Mangoldt, der im Parlamentarischen Rat auf den Vorschlag, den „besonderen Schutz“ durch „Schutz“ zu ersetzen, kommentierte: „Inhaltlich ist es genau dasselbe, aber in der Formulierung besser.“ Parl. Rat V, S. 935. Dies ist nur eine historische Meinungsäußerung, die gerade unter dem Blickwinkel der heute zu lösenden Problemlagen an Bedeutung verliert. 292 293
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schaften zu bestrafen oder gar zu verbieten.296 Wohl aber enthält die besondere Schutzpflicht das Gebot, Ehen und Familien gewisse Bevorzugungen gegenüber anderen Gemeinschaften und ihnen so ein höheres Schutzniveau zuteil werden zu lassen.297 Der Verfassunggeber hat durch den besonderen Schutz erreichen wollen, dass die Ehe eine bestimmte singuläre Position für das rechtliche geordnete Verhältnis der Geschlechter zueinander besitzt298 und die Familie eine besondere Stellung in den Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern übernimmt. Art. 6 Abs. 1 GG gibt einen konkreten Schutzauftrag an den Gesetzgeber, zugleich nimmt er aber auch den Grundrechtsberechtigten in höherem Maße als andere Grundrechte in die Pflicht, da dieser in seiner Freiheitsausübung Verantwortung für andere übernommen hat. Der Inhalt des besonderen Schutzauftrages weist der Garantie, der Abwägung und der Zusammenordnung der verfassungsrechtlichen Schutzgüter Ehe und Familie einen erhöhten Rang zu,299 begründet aber im „besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung“ auch konkrete Verpflichtungen:
a) Besondere Schutzpflicht als Gesetzgebungsauftrag Die Art. 6 Abs. 1 GG innewohnende Wertentscheidung ist insbesondere bei der Gesetzgebung als maßgebliche Leitlinie zu beachten. Primärer Adressat der besonderen Schutzpflicht ist der Gesetzgeber. Er muss als verfassungsrechtlich verpflichteter Garant der Gemeinschaften Ehe und Familie sowohl deren freiheits- als auch deren gleichheitsrechtliche Dimension in seinen Gesetzen ausgestalten und so deren Ausübung ermöglichen und fördern. Exekutive und Judikative zeichnen diese Vorgaben bei der Anwendung und Auslegung der Gesetze nach.
aa) Benachteiligungsverbot als besonderer Gleichheitssatz Ehe und Familie sind aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für Staat und Gesellschaft des staatlichen Schutzes bedürftig. Art. 6 GG verbietet es, nachteilige Folgen an das Leben in Ehe und Familie zu knüpfen.300 Vergleichbar mit Art. 3 Abs. 3 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts, seiner Rasse oder seiner Herkunft benachteiligt werden darf, darf auch niemand wegen seiner familiären 296 Münch, Ingo von, in Landwehr, Götz, S. 146 ff., Maunz, Theodor, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 15b, Schlüter, Wilfried, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 15. 297 Zippelius, Reinhold„ DÖV 1986, 805 (809). 298 Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (90). 299 So Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 20, a.A. Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, Art. 6 Abs. 1, Rn. 2. 300 Vgl. zum besonderen Gleichheitssatz des Art. 6 GG: Umbach, Dieter, in: Umbach / Clemens, GG, Band I, Art. 6, Rn. 19.
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
oder ehelichen Lebensform benachteiligt werden.301 Soweit die gesetzlichen Regelungen oder die besonderen finanziellen Belastungen, die Ehe und Familie mit sich bringen, mittelbar oder unmittelbar Nachteile im Umfeld dieser Lebensgemeinschaften verursachen, verlangt das besondere Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG, diese abzubauen und für die Zukunft Belastungen zu vermeiden, damit der Freiheitsberechtigte das Eingehen einer Ehe und die Gründung einer Familie nicht als Belastung, sondern als Freiheitsgewinn erfahren kann. Die Fähigkeit des Menschen, nach seinen eigenen Vorstellungen ein Leben in Gemeinschaft einzugehen, setzt neben seiner prinzipiellen Freiheit auch die prinzipielle Gleichheit voraus.302 Aufgrund der hohen Schutzbedürftigkeit der Ehe und der gesteigerten Schutzbedürftigkeit der Familie kann dieser besondere Gleichheitssatz direkt aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitet werden. Ein Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz ist nicht notwendig.303 So ist im besonderen Gleichheitssatz des Art. 6 GG zunächst ein Diskriminierungsverbot enthalten. Dieses verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen.304 Es untersagt eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen,305 von Eltern gegenüber Kinderlosen306 sowie von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften.307 Dieses Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft anknüpft. Als Begründungsverbot ist das Diskriminierungsverbot absolut und keiner Abwägung zugänglich, so dass jede Benachteiligung wegen der Ehe oder der Familie ungerechtfertigt – verboten – ist.308 Für den besonderen Schutz von Ehe und Familie wird das Diskriminierungsverbot zum Ausgleich ihrer finanziellen Belastungen heute insbesondere im Steuer- und Sozialversicherungsrecht vermehrt herangezogen. Allerdings resultieren hier ihre Benachteiligungen meist nicht aus einer direkten tatbestandlichen Anknüpfung, sondern aus der Nichtbeachtung ihrer Besonderheiten und Eigenarten als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. 309 Eine die Eigenarten wahrende Gesetzgebung kann Belastungen, denen Ehe und Familie ausgesetzt sind, abbauen und dadurch Spannungen zwischen diesen Gemeinschaften lösen. Tünnemann, Margit, S. 125 f. Zur Gleichheit vor dem Gesetz als notwendige Voraussetzung der Menschenwürde: Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (509). 303 s. zur Frage, ob das Benachteiligungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 oder aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitet wird, Pirson, Dieter, Bonner Kommentar, 1976, Art. 6, Rn. 80. 304 BVerfGE 76, 1 (72) – Familienachzug. 305 BVerfGE 28, 324 (347) – Heiratswegfallklausel; 69, 188 (205 f.) – Betriebsaufspaltung. 306 BVerfGE 82, 60 (80) – Familienexistenzminimum; 87, 1 (37) – Trümmerfrauen. 307 BVerfGE 61, 319 (355) – Ehegattensplitting. 308 Huster, Stefan, S. 313 ff., Strack, Christian, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 16 ff. 309 Tünnemann, Margit, S. 126. 301 302
C. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG
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Deshalb fordert das Benachteiligungsverbot darüber hinaus, die Besonderheiten der Ehe als Lebens- und Wirtschafts-, der Familie als Erziehungs- und Unterhaltsgemeinschaft zu beachten und verlangt eine differenzierte Anknüpfung an diese Vorgaben in der Gesetzgebung (Differenzierungsgebot).310 Dies gilt insbesondere für die Familie in den staatlichen Transfersystemen der Umlagefinanzierung, welche die wirtschaftlichen Verhältnisse von Erziehenden erheblich beeinflussen. Gerade im Sozialversicherungsrecht besteht Handlungsbedarf.311 Für die Ehe wird das Differenzierungsgebot besonders im Steuerrecht deutlich. Art 6 Abs. 1 GG fordert die Möglichkeit des Splittings der Ehegatten, die eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden und deshalb wie jede andere Erwerbsgemeinschaft – die Personenund die Kapitalgesellschaften – behandelt werden müssen, denen es auch ermöglicht werden muss, frei über die Verteilung ihrer Aufgaben zu entscheiden.312 Der Splittingvorteil kann darüber hinaus die Basis für die Gründung und Unterhaltung der Familie schaffen.313 Allerdings darf jede differenzierende Anknüpfung zugunsten einer Gemeinschaft des Art. 6 Abs. 1 GG keinen Nachteil für die andere hervorrufen. Der Gesetzgeber muss den Grund der Differenzierung stets in den Besonderheiten der Gemeinschaft finden, wenn er nur für die Erwerbsgemeinschaft der Ehe, nicht aber für die Unterhaltsgemeinschaft der Familie ein steuerliches Splittingverfahren vorsieht oder Ehegatten in den umlagefinanzierten Versicherungssystemen beitragsfrei mitversichert und gleichzeitig Alleinerziehende verpflichtet, monetäre Beiträge zusätzlich zu ihrer Erziehungsleistung zu erbringen.314 Das aus dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 6 GG abgeleitete Differenzierungsgebot fordert demnach den Gesetzgeber auf, zwischen Ehe und Familie im einfachen Recht zu differenzieren, soweit dadurch die Wesensunterschiede von Ehe und Familie nachgezeichnet werden. Jede Gemeinschaft muss gemäß ihrer Besonderheit und ihrer Bedeutung einfachgesetzlich ausgestaltet werden. Darüber hinausgehende Privilegierungen und besondere Förderungen einer der Gemeinschaften werden dogmatisch vom besonderen Förderungs- und dem Abstandsgebot erfasst.
bb) Abstandsgebot Ehe und Familie sind in besonderem Maße schutzwürdig, weil sie für das Gemeinwesen als „natürliche Basis für die zukunftsgerichtete Weitergabe des Lebens“315 eine herausragende Aufgabe erfüllen. Aufgrund dieser Leistungen hebt 310 Vgl. Vogel, Klaus, in Kirchhof / Vogel, Der offene Finanz- und Steuerstaat, S. 676 f.; Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 238 f., Tünnemann, Margit, S. 126 f. 311 s. hierzu Teil 4, A II 3. 312 Ausführlich hierzu Teil 3 B. I. 2. 313 Braun, Johann, ZRP 2001, 14 (16). 314 s. zur Reformbedürftigkeit des Gesetzes zur Pflegeversicherung: Teil 4 A.I. 3. b). 315 So Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (393).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Art. 6 GG in seiner Wertschätzung das Schutzniveau für Ehe und Familie von dem der anderen Grundrechte ab und fordert neben einer besonderen Förderung im Rahmen des staatlich Möglichen, die Ehe und die Familie gegenüber anderen Formen menschlicher Lebensgemeinschaften zu exponieren und zu bevorzugen.316 Der Wortlaut des Verfassungstextes setzt eine exklusive Rechtsform voraus, bei der sowohl der Name als auch die materiellen Rechte und Pflichten dieser Rechtsinstitute einmalig bleiben müssen.317 Das Grundgesetz schützt nicht nur die Terminologie, sondern vor allem den materiellen Kerngehalt von Ehe und Familie.318 Die Aufwertung von Ehe und Familie durch den einfachen Gesetzgeber hat neben den rechtlich ausgestalteten Vorteilen auch eine ideelle Anerkennung zur Folge, die ebenso notwendig ist, da sie für das menschliche Handeln ein gleichwertiges Motiv ist wie finanzielle Vorteile.319 Das Hervorheben einer Gemeinschaft bedeutet immer auch die Bevorzugung gegenüber anderen Gemeinschaften. Wird die Ehe im einfachen Gesetzesrecht aufgewertet, entscheidet sich der Gesetzgeber gleichzeitig, andere Lebensgemeinschaften wie die eingetragene Lebenspartnerschaft oder auch Familien, die nicht auf einer Ehe basieren, nicht aufzuwerten. Da die Ehe- und Familiengemeinschaft eine eigene, rechtlich stetige und zukunftsorientierte Struktur hat, entstehen hier die Spannungen weniger zwischen den beiden Gemeinschaften, als vielmehr im Verhältnis zu anderen Lebensformen.320
cc) Besonderes Förderungsgebot Aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit von Ehe und Familie gebietet Art. 6 Abs. 1 GG darüber hinaus, beide Gemeinschaften durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Förderung bedeutet eine Besserstellung im Gegensatz zu einem vorherigen Zustand. Sie gleicht tatsächliche Nachteile aus und geht damit einher mit dem Benachteiligungsverbot. Dieser Förderauftrag rechtfertigt sich durch die besondere Bedeutung gerade dieser Gemeinschaften für den Einzelnen und für die Gesellschaft und stützt somit auch das Abstandsgebot. Der Gesetzgeber hat bei der Erfüllung dieses besonderen Förderungsgebots, das über die allgemeine grundrechtliche Förderpflicht hinausgeht, einen weiten Gestaltungsraum. Wie er diesen Verfassungsauftrag erfüllt, steht in seinem gesetzgeberischen Ermessen. Deshalb bestehen keine konkreten Ansprüche des Einzelnen auf bestimmte Leistungen.321 Allerdings steht das „Ob“ der Förderung nicht zu seiner 316 Burgi, Martin, Der Staat 39 (2000), der hier von einem Abbildungsgebot des Gesetzgebers spricht; Dietlein, Johannes, DtZ 1993, 136 (139 f.); Zippelius, Reinhold, DÖV 1986, 805 (808); Krings, Günter, ZRP 2000, 409 (411 f.). 317 So auch: Pauly, Walter, NJW 1997, 1955 (1956). 318 Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (397). 319 Braun, Johann, ZRP 2001, 14 (18). 320 Vgl. zum Lebenspartnerschaftsgesetz für homosexuelle Paare Teil 3, B, II. 1.
C. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG
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Disposition. In einer selbst gewählten Weise muss er die besonderen Strukturen, Leistungen und Lasten von Ehe und Familie angemessen berücksichtigen. Demgemäß hat der Staat vor allem die Pflicht, einen Familienleistungsausgleich durchzuführen. Die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist, ist Art. 6 GG allerdings nicht zu entnehmen.322 Da der freie Rechtsstaat Ehe und Familie nicht erzwingen, sondern sie nur achten und fördern und dadurch die freiheitlich und selbstverantwortlich getroffene Entscheidung der Grundrechtsträger erleichtern kann,323 muss sich die gesetzgeberische Entscheidung immer daran orientieren, die Ehe- und Familienfreiheit zu ermöglichen. Zwar fördert der Staat die Ehe und die Familie auch, um den Fortbestand der politischen Gemeinschaft zu sichern. Im Zentrum der rechtlichen Gewährleistung steht dabei aber die Erfüllung der Freiheit für den einzelnen sowie für die Gemeinschaft. Denn auch das staatlicherseits erhoffte Leben in Ehe und Familie ist nur in Freiheit möglich. Durch eine staatliche Bevormundung würden Ehe und Familie ihre eigentliche Bedeutung verlieren. Die Entscheidung für Ehe und Familie muss vom Einzelnen immer frei getroffen werden. So hat der Staat zu respektieren, für welche Form der Lebensgemeinschaft sich der Einzelne entscheidet. Auch wenn die tatsächlichen Lebensformen oft nicht mit denen von den Betroffenen selbst favorisierten Modellen übereinstimmen, kann der Staat dem Menschen dessen von ihm eigentlich gewollte Lebensweise nicht vorschreiben. Er darf dem Einzelnen seine individuelle Entscheidung, mit wem er dauerhaft zusammenlebt, ob er Kinder haben möchte oder wie er sie erzieht, nicht abnehmen.324 Auch die negative Ehe- und Familienfreiheit, die Freiheit, keine Ehe einzugehen und keine Familie zu gründen, muss der Staat wahren. Sein gesellschaftliches Interesse, z. B. an der regenerativen Funktion der Familie, darf immer nur ergänzend, allenfalls parallel, aber nicht vorherrschend und schon gar nicht instrumentalisierend und gegenläufig bei der Förderung von Ehe und Familie maßgebend werden. Familien- und ehegestaltende Motive, in denen der Staat ein eigenes Familien- und Ehebild durchsetzen würde, stehen der Freiheit und damit auch seinen Interessen entgegen. Es ist zu bedenken, dass jede Förderungsmaßnahme auch einen interventionistischen Charakter gegen die Ehe- und Familienautonomie hat.325 Deshalb muss sich jede staatliche Förderung immer an der Freiheit für den einzelnen orientieren. Dabei ist allerdings die Freiheit des Kindes noch nicht voll vorgegeben, vielmehr erst zu entfalten. Deswegen darf und muss der Staat die Entscheidung für das 321 Pieroth, Bodo / Schlink, Bernhard, Grundrechte, Rn. 666 unter Verweis auf BVerfGE 87, 1 (35 f.) – Trümmerfrauen. 322 BVerfGE 87, 1 (35 f.) – Trümmerfrauen, entnimmt diese allgemeine Pflicht aus Art. 6 GG als Teil der objektiven Werteordnung. 323 Scholz, Rupert / Uhle, Arnd, NJW 2001, 393 (393). 324 So: Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (997). 325 Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (86), für ihn zu weitgehend Kirchhof, Paul, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 21, S. 117 (131).
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Leben in Gemeinschaft und für Kinder spürbar erleichtern. Das Förderungsgebot gibt dem Gesetzgeber auf, Anreize dafür zu schaffen, dass ein Leben in der ehebasierten Familie überhaupt eingegangen wird, dass der Einzelne seine ihm angebotene Gründungsfreiheit wahrnimmt, sein dienendes Elternrecht verantwortlich ausübt und die wachsende Selbstverantwortung des Kindes zur Entfaltung bringt. Die wirtschaftliche Förderung tritt um so mehr in den Vordergrund, je mehr sich die tatsächlichen Lebensverhältnisse vom Wohlstand anderer Lebensformen entfernen.326 Aufgrund ihrer tatsächlichen finanziellen Belastungen steht die Förderung der Familie im Zentrum der besondern Förderpflicht. In der Gewissheit, dass sich diese Förderung der Familie mit den Vorstellungen der jungen Generation weitgehend deckt, müsste dieser verfassungsrechtliche Auftrag für den Gesetzgeber leicht zu erfüllen sein. Denn durch die Förderung wird gerade die Freiheitsausübung des Einzelnen und der Schutz des Kindes unterstützt. Allerdings ist der Staat nicht gehalten, jegliche die Ehe und die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten.327 Ebenso wenig folgt aus Art. 6 Abs. 1 GG, dass der Staat Ehe und Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern hätte. Die staatliche Förderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der verfassten Gesellschaft beanspruchen kann.328 Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Ehe- und Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Beachtung dieser Grundsätze lässt sich ermitteln, ob die Förderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr genügt.
b) Besondere Schutzpflicht des Grundrechtsberechtigten Dem gesetzgeberischen Schutzauftrag steht eine besondere Schutzpflicht durch den Grundrechtsberechtigten gegenüber. Grundrechte richten sich gegen den Staat. Sie dienen der Entfaltung des Freiheitsberechtigten und können diesen allgemein nicht in Pflicht nehmen, weil das Grundrecht entgegen seiner Funktion als Freiheitsrecht damit für den Betroffenen zu einer Rechtsbindung umgedeutet würde.329 Zudem würde die Begründung einer allgemeinen Verpflichtung aus den Grundrechten dem Erfordernis der Bestimmtheit nicht gerecht. Dies zeigt die zu Art. 14 GG entwickelte Rechtsprechung. Die allgemeinen Sozialpflichten des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG sind keine unmittelbar gegenüber dem Eigentümer wirkenden 326 327 328 329
So: Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (997). BVerfGE 82, 60 (81) – Familienexistenzminimum; 87, 1 (35) – Trümmerfrauen. BVerfGE 90, 107 (116) – Freie Waldorfschule; 75, 40 (68) – Privatschulfinanzierung. Kopp, Ferdinand, NJW 1994, 1753 (1756).
C. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG
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Schranken des Eigentums, sondern bedürfen erst der Konkretisierung durch einfachgesetzliche Bestimmungen.330 In Art. 6 GG hingegen hat der Grundrechtsberechtigte in Ausübung seiner Freiheit eine besondere Verantwortung für einen anderen Menschen übernommen, indem er eine grundsätzlich lebenslängliche Ehe eingeht oder eine Familie gründet. Das Eingehen dieser Bindungen bedeutet Beistands- und Erziehungsverantwortung. Inhalt der Freiheit ist es, sich an einen anderen Menschen zu binden. Aus dieser natürlichen Bindung ergibt sich die Verpflichtung der Ehegatten und Eltern zu einer besonderen Sorge. Die Pflicht, den anvertrauten Menschen zu schützen, resultiert aus der vom Menschen wahrgenommenen Freiheit. Ohne diese Freiheit hätte eine staatliche Schutzpflicht kein Schutzobjekt, auch das Verbot des staatlichen Eingriffs liefe ins Leere. Dies wird im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 GG durch die Pflicht der Eltern, ihre noch nicht voll freiheitsfähigen Kinder zu erziehen, besonders deutlich. Hier wird die besondere Schutzverantwortlichkeit der Eltern zur Pflege ihres besonders hilfsund schutzbedürftigen Kindes explizit ausgedrückt, ihr Elternrecht zu einer Elternverantwortung, damit zum dienenden Recht. Das Grundgesetz hat durch Art. 6 GG die in der Gesellschaft vorgefundenen Lebensformen aufgenommen. Die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern und eine daraus resultierende Verantwortung sind vom Grundgesetz vorgefunden. Sie war Voraussetzung für den Staat. Deshalb geht die Schutzpflicht der Eltern für ihr Kind der Schutzpflicht des Staates zeitlich voraus. Sie geht der staatlichen Fürsorge aber auch qualitativ voraus, da durch diese Pflicht die Freiheit ausgeübt wird. Die Freiheit als solche ist denknotwendige Voraussetzung für die staatliche Freiheitsbeschränkung. Der Schutz der Mutter in Art. 6 Abs. 4 GG ist nur Konsequenz einer langfristig eingegangenen, auf einem eigenen Entschluss beruhenden Verpflichtung der Mutter für ihr Kind. Die Verantwortung für den Ehegatten ist gerade Inhalt der Freiheit, eine Ehe einzugehen. Die Elternverantwortung in Art. 6 Abs. 2 GG ist notwendige Kehrseite des Elternrechts. Diese Verantwortlichkeiten als Inhalt der Freiheit stehen vor der staatlichen Schutzpflicht, sie sind Voraussetzung der Grundrechte. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet den Freiraum, diesen Verpflichtungen der Eltern und Ehegatten in eigener Verantwortung gerecht werden zu können. Durch das Abwehrrecht und die staatliche Schutzpflicht wird garantiert, dass der Einzelne seine Freiheit gemeinsam mit anderen gestalten und seiner Verantwortung für den anderen gerecht werden kann. Diese Verpflichtung der Eheleute und Eltern ist grundsätzlich mit rechtlichen Mitteln nicht durchsetzbar. Vielmehr vertraut die Rechtsgemeinschaft darauf, dass Eltern und Eheleute den ihnen gewährten Freiraum verantwortungsvoll ausüben. 330 Vgl. zu Art. 14 Abs. 2 GG: Papier, Hans-Jürgen, in Maunz / Dürig, GG, Art. 14, Rn. 250; Gassner, Erich, NVwZ 1982, 167.
11 Nesselrode
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2. Teil: Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG im Wandel der Verfassung
Dabei muss auch der Grundrechtsberechtigte einen Ausgleich zwischen den eigenen und den Interessen der Gemeinschaft suchen. Die freie Entscheidung, den Lebenspartner nicht zu heiraten oder sich von der Ehefrau oder dem Ehemann zu trennen, wird den Anspruch des Kindes auf Vater und Mutter schmälern. Allerdings wird die grundgesetzlich verankerte Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder nicht erlöschen.
3. Teil
Verfassungsrechtliche Vorgaben, die Verdeutlichung durch den Gesetzgeber und der Einfluss des Europarechts auf das Verhältnis von Ehe und Familie A. Sieben verfassungsrechtliche Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie Art. 6 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und begründet damit einen Rechts- und Sinnzusammenhang zwischen beiden Einrichtungsgarantien. Er trifft aber daneben deutliche Abstufungen in Verantwortlichkeit und Schutz für die freiwillig beim Standesbeamten geschlossene, partnerorientierte Ehe und die tatsächlich begründete, von der Schutzbedürftigkeit des Kindes geprägte Familie. So schützt Art. 6 GG Ehe und Familie jeweils in ihrer Eigenständigkeit um ihrer selbst willen (zu I.), anerkennt die übereinstimmenden Besonderheiten beider als Gemeinschaften persönlicher Bindung (zu II.), begründet ein Leitbild von Ehe und Familie als Einheit (zu III.), beantwortet die Schutzbedürftigkeit des Kindes in einem hervorgehobenen Schutz der Familie (zu IV.), versucht, die Kontinuität der Gemeinschaften für die Entfaltung des Einzelnen zu erhalten, soweit wie dies in einem freiheitlichen Verhältnis möglich ist (zu V.), zeichnet die eingegangene persönliche Verantwortung bei einer Trennung der Gemeinschaft durch eine erhöhte Pflichtenbindung ihrer Mitglieder untereinander nach (zu VI.) und verpflichtet schließlich den Staat in einem Wächteramt, subsidiär beim Scheitern der Gemeinschaften für das schwächste Glied zu sorgen (zu VII.). Das Grundgesetz gibt damit das Verhältnis zwischen dem Schutz der Ehe und dem Schutz der Familie vor (vgl. I. bis IV.) und löst gleichzeitig die Konflikte zwischen den beiden Rechtsinstituten, die beim Scheitern einer dieser Gemeinschaften entstehen (vgl. V. bis VII.). Diese Prinzipien werden im Folgenden näher erläutert, indem zunächst die Besonderheiten, die Art. 6 GG in seinem Wortlaut, seiner Systematik, seiner historischen Grundlage und seiner Teleologie entfaltet, dargestellt (jeweils zu 1.) und die daraus resultierenden, verfassungsrechtlichen Folgen anschließend daran geknüpft werden (jeweils zu 2.).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
I. Getrennter Schutz von Ehe und Familie Die Verfassung schützt Ehe und Familie jeweils gesondert um ihrer selbst willen und deshalb jeweils auf unterschiedliche Weise. Die Ehe ist die Lebens- und Erwerbsgemeinschaft von Mann und Frau, nicht nur Vorstufe der Familie. Die Familie ist die Gemeinschaft von Eltern und Kindern, auch wenn die Eltern nicht oder nicht mehr verheiratet sind.
1. Eigenständigkeit von Ehe und Familie Die gesellschaftlichen Veränderungen seit Bestehen des Grundgesetzes stellen neue Fragen an das Verhältnis von Ehe und Familie. Früher führte die Ehe normalerweise zur Geburt von Kindern und bereitete somit die Gründung der Familie vor. Die Familie stützte sich auf die Ehe als ihre Basiseinheit. Durch den Schutz und die Förderung der Ehe wurde wegen des tatsächlichen Zusammenhangs auch die Familie geschützt.1 Heute existieren Ehe und Familie häufig getrennt voneinander, jedes Rechtsinstitut erfüllt zunächst für sich genommen eine eigenständige Funktion. Deshalb gewinnt der jeweilige Schutz für getrennte Schutzgüter vermehrt praktische Bedeutung.2 Diese Neuorientierung ist schon von den Verfassungsgebern im Text des Grundgesetzes angelegt worden. Das Grundgesetz setzt in Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie nebeneinander, ohne die Zuordnung der Rechtinstitute ausdrücklich zu bestimmen. Die Weimarer Reichsverfassung aus Art. 119 Abs. 1 WRV hatte die Ehe noch „als Grundlage des Familienlebens“ bezeichnet und ihre Funktion in „der Erhaltung und Vermehrung der Nation“ gesehen.3 Der Parlamentarische Rat wollte die Linie der Weimarer Reichsverfassung nicht ungebrochen fortsetzen und die Familie nicht ausdrücklich auf die Grundlage der Ehe beschränken.4 Die Einrichtungsgarantien wurden bewusst offen für gesellschaftliche Entwicklungen gestaltet. Deshalb lässt der Wortlaut von Art. 6 GG einen getrennten Schutz von Ehe und Familie zu. Das „und“ zwischen Ehe und Familie kann sowohl verbindend als auch trennend ver1 Gernhuber, Joachim, FamRZ 1981, 721 (725); Münch, Ingo von, Wandel familiärer Lebensmuster, S. 69 (75) m. w. N. Nach Coester-Waltjen, Dagmar, in von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 4 waren „Ehe und Familie für die Väter und Mütter des Grundgesetzes nahezu identische Erscheinungen.“ 2 Für den getrennten Schutz auch Coester-Waltjen, Dagmar in von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 4; Münch, Eva-Maria von, in Benda / Maihofe / Vogel, 2. Auflage, S. 293 (295); zurückhaltend BVerfG NJW 1993, 3058 – Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare. 3 Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 23. 4 Die vom Hauptausschuss mit knapper Mehrheit verworfene, vorangegangene Regelung lautete noch: „Die Ehe als rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die mit ihr gegebene Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie fließenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung.“ s. Badura, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 87 (88).
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
165
standen werden5 und ist deshalb offen für unterschiedliche Schutzinhalte. 6 Auch ein Vergleich zu Art. 9 Abs. 1 (Vereine und Gesellschaften), 12 Abs. 1 (Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte) oder 14 Abs. 1 (Eigentum und Erbrecht) zwingt nicht zu einem gleichartigen, verbindenden Schutz von Ehe und Familie. In diesen Artikeln dient die Konjunktion nur als Bindewort etwa nach Maßgabe der eigentumsergänzenden Funktion des Erbrechts.7 Ausschlaggebend für die Interpretation des Verhältnisses sind weder die Historie noch der Wortlaut, sondern die Bedeutungen von Ehe und Familie je nach ihrer Eigenart für Staat und Gesellschaft und der Eigenwert der Gemeinschaften für deren Mitglieder. Das Grundgesetz schützt in der Formulierung des Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie gleichermaßen.8
a) Die Ehe als eine um ihrer selbst willen schützenswerte Lebensgemeinschaft Die Verfassung gibt der staatlichen Ordnung den Auftrag, die Ehe neben der Familie besonders zu schützen. Die Ehe ist auch unabhängig von der Familie um ihrer selbst Willen als umfassende Lebensgemeinschaft schützenswert. Das Grundgesetz anerkennt, dass sie als Grundlage des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau dem Leben Form und Festigkeit gibt, deshalb im Alltag einen bedeutenden Eigenwert für die Eheleute besitzt. Die Einrichtungsgarantie bietet eine Grundlage, in der sich die Ehegatten in einem Eigenbereich der Staatsferne in der Sicherheit wechselseitiger Stütze und Hilfe frei entfalten können. Art. 6 GG baut auf der Lebenserfahrung auf, dass Eheleute sich gegenseitig im Alltag und in Krisen unterstützen, damit auch den Rechts- und Sozialstaat entlasten. Die Ehe für sich ist deshalb eine Verantwortungsgemeinschaft, von der auch die Allgemeinheit profitiert.9 Allerdings gewinnt der Schutz der Ehe seine Hauptbedeutung aus seinem Eigenwert für die Eheleute. Die Ehe darf deshalb nie allein nach ihrer sozialen Nützlichkeit klassifiziert werden.10 Wegen ihrer Eigenständigkeit ist sie nicht nur als Vorstufe zur Familie zu begreifen. Sie ist weder ein Spezialfall der Familie11 noch allein als „Noch-Nicht-Familie“ zu verstehen, die nur deshalb eines besonderen Schutzes bedarf, weil die Ehe5 So auch Tünnemann, Margit, 2002, S. 111. Zur Offenheit des Wortlauts vgl. auch Frenz, Walter, NJW 1992, 1597 (1599); Zippelius, Reinhold, DÖV 1986, 805 (809). 6 So auch Friauf, Heinrich, NJW 1986, 2595 (2602); Häberle, Peter, Verfassungsschutz der Familie, S. 26. 7 So auch Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6, Rn. 70 und Fußnote 236 unter Verweis auf BVerfGE 91, 346 (358) – Abfindung des Miterben. 8 Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 775. 9 So dem Grunde nach auch Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (998). 10 Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 775). Vgl. ausführlich zur Bedeutung der Ehe 2. Teil, A. I. 11 So aber die Bezeichnung bei Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
leute zunächst die soziale und ökonomische Grundlage für eine Familie schaffen müssen.12 Bei einem solchen Verständnis würde der Ehe ein geringerer Verfassungsrang im Verhältnis zur Familie beizulegen sein und ihre Funktion als personale Gemeinschaft von Mann und Frau unabhängig von der Familie verkannt.13 Die Ehe von Partnern ohne Kinderwunsch oder jenseits des Alters für eine Familiengründung wäre schwächer geschützt. Weder Wortlaut, noch Historie und Systematik weisen auf einen geringeren Verfassungsrang des Schutzgutes Ehe hin. Das Schutzobjekt der Ehe steht gleichwertig neben dem der Familie. So ist jede Ehe, auch wenn sie gewollt oder ungewollt kinderlos bleibt, von der staatlichen Ordnung zu schützen. Die kinderlose Ehe darf – so wie es Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat formuliert hat – nicht als „Ehe minderen Rechts“ gelten,14 kinderlose Ehen sind keine „Ehen zweiter Klasse.“ 15 b) Familienschutz unabhängig von der Ehe Konsequenterweise ist auch der Familienschutz des Art. 6 GG nicht auf die Familien beschränkt, in denen die Eltern verheiratet sind. Auch hier hat das Grundgesetz die Regelung der Weimarer Reichsverfassung nicht aufgenommen, die Ehe ist nicht notwendige Grundlage für die Familie.16 Das Grundgesetz sieht das Erziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern als schutzbedürftig an und würdigt dort das besondere Schutzbedürfnis des Kindes. Dem Grundgesetz geht es auch außerhalb des Regeltypus der Ehe um die Sicherung würdiger Lebensgemeinschaften für Kinder und mit Kindern. Verdeutlicht wird dieser Gedanke in den weiteren Absätzen des Artikels 6 GG. Die speziellen Regelungen in Art. 6 Abs. 2 bis 5 GG für die den Eltern obliegende Pflege und Erziehung der Kinder, für die Mutter und die nichtehelichen Kinder sind offensichtlich nicht auf die in der Ehe geborenen Kinder beschränkt.17 Vielmehr rückt Art. 6 GG den Schutz des Kindes und dessen Entfaltungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt der Verfassungsgarantie. Absatz 5 begründet explizit einen Verfassungsauftrag, nichtehelichen Kindern soweit wie möglich die gleichen Bedingungen zu schaffen wie ehelichen. Würde Absatz 1 nur die auf einer Ehe basierende Familie unter den besondern Schutz der staatlichen Ordnung stellen, würde er Absatz 5 widersprechen. Soweit eheliche und nichteheliche Kinder in tatsächlich gleichen Verhältnissen aufwachsen, müssen sie auch gleich behandelt werden.17a So aber Lecheler, Helmut, DVBl. 1986, 905 (907). Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 775. 14 JöR, neue Folge, Band I (1951), Artikel 6, S. 95; gleichlautendes Zitat bei Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 776. 15 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994). 16 Vgl. hierzu ausführlich Teil 2 B. II. 1. b). 17 Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 23. 17a So auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 zum Unterhaltsrecht (1 BvL 9/04), NJW 2007, 1735 ff. – Dauer des Betreuungsunterhalts. 12 13
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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Darüber hinaus kann ein konsequentes Festhalten an der ehelichen Grundlage dem Sinn des verfassungsrechtlichen Familienschutzes sogar zuwiderlaufen. Ehe und Familie entsprechen der auf Dialog angelegten geistigen Natur des Menschen.18 Eine gescheiterte Ehe kann nur schwerlich das Fundament für einen solchen geistigen Dialog zwischen Eltern und Kindern bilden. Eine gescheiterte Ehe kann den von der Familie gewährleisteten Raum für Ermutigung und Zuspruch zerstören und Kinder seelisch destabilisieren. Das Versagen der Ehe lässt die positiven Wirkungen für die Familie entfallen, ein konsequentes Festhalten an dem ausschließlichen Schutz der ehebasierten Familie verfehlt das in Art. 6 GG niedergelegte Ziel.19
2. Strukturschutz der Ehe und finanzielle Förderung der Familie Das durch die gesellschaftlichen Veränderungen geprägte Verfassungsverständnis fordert einen Schutz von Ehe und Familie je nach ihrer Eigenart. Durch eine Unterscheidung der Besonderheiten von Ehe und Familie können beide Rechtsinstitute je für sich gefördert und damit insgesamt effektiver geschützt werden als in der traditionellen Koppelung nach Weimarer Muster.20 So gilt das Schutzgebot der Verfassung der Ehe und der Familie gleichermaßen, die Schutzinhalte sind an der jeweiligen Eigenart der Gemeinschaft ausgerichtet und deshalb unterschiedlich. Bei der Ehe steht das Rechtsinstitut mit seinen Strukturprinzipien und der Ordnungs- und Schutzfunktion im Vordergrund, während bei der Familie eine sozialpolitische Förderpflicht von besonderem Gewicht ist.21 Der Schutz der Ehe richtet sich vorrangig an den Rechtsstaat und erwartet gutes Recht, der Schutz der Familie an den Sozialstaat und erwartet gutes Geld in Form der fördernden Hilfe. Die Ehe bedarf primär einer strukturellen Förderung, in der ein staatlicher Freiraum für das Zusammenleben von Mann und Frau gewährleistet wird. Der verfassungsrechtliche Eheschutz vollzieht sich in einfachgesetzlichen Regelungen, welche die Grundlagen der Ehe ordnen, der Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau rechtliche Stetigkeit geben, die Rechte beider Partner auf Dauer zu einem Ausgleich bringen, die Ehe gegenüber Dritten abschirmen und so die Freiheit des Zusammenlebens erleichtern. Der Gesetzgeber hat im Zivilrecht Typisierungen BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzugsbeschluss. Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6 Rn. 69, zieht eine Parallele zwischen der Reproduktionsfunktion der Ehe und der Sozialisationsfunktion der Familie. Wegen der biologischen Natur des Menschen muss bei der Ehe an der Reproduktionsfunktion festhalten werden, bei der Familie hingegen liegt ein Festhalten an der Ehe nicht in der geistig-dialogischen Natur des Menschen, da sie in Konfliktsituationen die Sozialisationsfunktion nicht mehr erfüllen kann. 20 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6, Rn. 70. 21 Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 87 (96). 18 19
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
geschaffen, die die Eheleute annehmen können, um sich Auseinandersetzungen zu ersparen. Diese Typisierungen als Ausgestaltung der Ehe schaffen Freiheit.22 Einen Strukturschutz beansprucht das Institut der Ehe auch außerhalb des Eheund Familienrechts.23 Art. 6 GG gibt dem Gesetzgeber den Auftrag, die Selbstbestimmung und autonome Verantwortung der Eheleute in vollem Umfang zu respektieren. Diese Freiheit der Ehegatten umfasst sowohl die immaterielle Seite der ideellen und kulturellen Lebensführung als auch die materielle Seite, hier insbesondere die des Berufes und der wirtschaftlichen Sicherheit. Die Entscheidung der Eheleute über ihre Teilnahme am Erwerbsleben und ihre Zukunftsvorsorge, also ihr ökonomisches Fundament ist ebenso zu schützen. Beispielsweise müssen berufstätige Ehegatten frei darüber entscheiden können, ob einer von beiden seinen Arbeitsplatz aufgeben soll, wenn der andere eine Tätigkeit an einem anderen Ort annimmt24 oder ob sie sich gemeinsam oder getrennt gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und für das Alter versichern wollen. Die Verfassung fordert für die Ehe einen rechtlichen Rahmen, der diese Struktur einer autonomen Gemeinschaft bestätigt. Demgegenüber entfaltet sich der Familienschutz vor allem in der finanziellen Förderung des wirtschaftlichen Zusammenhalts der Familie und im Ausgleich finanzieller Belastungen, die die Erziehung der Kinder mit sich bringt. Benachteiligungen, die durch die Erziehung der Kinder hervorgerufen werden, dürfen einen angemessenen Ausgleich erwarten, ohne die Eigenverantwortung der Eltern zu überspielen. Der Mehraufwand, den Kinder für die Eltern verursachen, betreffen die Familie als Wirtschafts- und Erziehungsgemeinschaft und fordern insoweit den verfassungsrechtlich garantierten, besonderen Schutz. Förderung und Ausgleich, die dem Gesetzgeber einen sozial- und familienpolitischen Gestaltungsraum eröffnen, sind durch das Schutzbedürfnis der Familie begrenzt; vorgegeben ist insbesondere die Sicherung des Existenzminimums. 25 So fordert Art. 6 GG einen Familienlasten- und einen Familienleistungsausgleich. Jener verbietet es, kinderbedingte finanzielle Mehraufwendungen rechtlich unberücksichtigt zu lassen und Familien dadurch zu benachteiligen. 26 Dieser enthält das Gebot, die Leistungen, die von Familien erbracht werden, anzuerkennen und Familien entsprechend zu fördern.27 Der Gesetzgeber erhält durch Art. 6 GG den Auftrag, für eine Entlastung der Familie zu sorgen. s. hierzu 2. Teil C. II. 2. a). Vgl. zur institutionellen Garantie Teil 2, C. II. b) bb). 24 Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 775. 25 Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (96). 26 BVerfGE 44, 249 (273 f.) – Alimentationsprinzip; 81, 363 (376) – Beamtenbaby; 87, 153 (170) – Grundfreibetrag; 99, 216 (231 f.) – Kinderbetreuungskosten; 99, 246 (259 f.) – Familienleistungsausgleich. 27 BVerfGE 99, 246 (259 f.) – Familienleistungsausgleich; Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6 Rn. 86 mit Verweis auf Renner, Yvonne, Familienlasten- oder Familienleistungsausgleich?, vgl. dazu auch BVerfGE 55, 100 (114) – Kindergeld. 22 23
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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Die Ehe ist auf eine rechtliche Absicherung gegenüber anderen Lebensgemeinschaften angewiesen, die Familie fordert von der staatlichen Gemeinschaft finanzielle Unterstützung, um ihre Erziehungsaufgaben erfüllen zu können. So ist es Aufgabe des Staates, die Ehe zu achten und die Familie zu fördern.28
II. Gleichbehandlung, Differenzierung und Privilegierung von Ehe und Familie Ehe und Familie werden als Gemeinschaften in besonderer menschlicher Bindung geschützt. Sie sind übereinstimmend Grundlage einer Lebens-, Haus-, Begegnungs-, Dialogs-, Verantwortungs- und Unterhaltsgemeinschaft ihrer Mitglieder. In dieser Besonderheit der Zuwendung zum anderen Menschen begründet Art. 6 GG einen verfassungsrechtlich einmaligen Schutzauftrag, der sich von der Gewährleistung anderer Gemeinschaftsgrundrechte deutlich abhebt, gleichzeitig Ehe und Familie in diesem einzigartigen Schutz aber nicht in Konkurrenz zueinander setzt, sondern ihre Gleichbehandlung fordert, soweit Ehe und Familie ihrem Wesen nach gleiche Aufgaben erfüllen und eine Differenzierung gebietet, soweit sie sich in ihrem Wesen unterscheiden.
1. Verwirklichung von Lebenssinn in freiheitlicher Entfaltung Ehe und Familie sind als Institute menschlicher Gemeinschaft jede für sich Keimzellen für Staat und Gesellschaft, deren Bedeutungen mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden können.29 Sie bieten gleichermaßen Freiraum vor staatlichem Zugriff zur Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Mitglieder, die ihre Aufgaben frei untereinander aufteilen und selbst über kulturelle, religiöse und finanzielle Schwerpunkte in ihrem Zusammenleben entscheiden. In Ehe und Familie stützen sich die Menschen gegenseitig, begegnen sich bis ins hohe Alter und sorgen füreinander als Partner und in einem familiären Generationenvertrag. Insofern erfüllt die Gemeinschaft von Eltern und Kindern eine ähnliche Aufgabe wie die eheliche Lebensgemeinschaft. 30 Sie ist wie diese Freiheits- und Verantwortungsverhältnis in einer Hausgemeinschaft, in Dialog und Begegnungen.31 Art. 6 GG, der Ehe und Familie gemeinsam regelt, dient insgesamt in allen seinen Absätzen nach Normzweck, Wortlaut und Struktur der Verwirklichung von Le28 „Der Staat achtet die Ehe und fördert die Familie.“ Formulierungsvorschlag für eine Neufassung von Art. 6 Abs. 1 GG von Ramm, Thilo, Familienrecht: Verfassung – Geschichte – Reform, S. 342. 29 Vgl BVerfGE 6, 55 (71) – Steuersplitting; 24, 119 (149) – Adoption I. 30 BVerfGE 57, 170 (178) – Briefverkehr in der Untersuchungshaft. 31 Vgl. hierzu BVerfGE 80, 81 (90 ff.) – Erwachsenenadoption.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
benssinn des Einzelnen, von Ehepartnern, Eltern und Kindern. Er schützt und strukturiert dabei soziale Beziehungen mit Hilfe rechtlicher Institutionen, die sich in historischer und sozialer Erfahrung, gerade auch in ihrer dabei bewiesenen Wandlungsfähigkeit bewährt haben.32
2. Besonderer Schutzauftrag zugunsten von Ehe und Familie a) Benachteiligungsverbot und Privilegierung gegenüber anderen Gemeinschaften Der von Art. 6 GG geforderte besondere Schutz hebt Ehe und Familie gegenüber anderen menschlichen Gemeinschaften hervor. Vereine, Handelsgesellschaften und religiöse Gemeinschaften erfahren verfassungsrechtlich keinen besonderen Schutz, ihr Schutzniveau fällt deshalb gegenüber dem von Ehe und Familie geringer aus. Der Verfassungsgeber wollte durch die Wortwahl des Verfassungstextes ersichtlich zwischen diesen und anderen Lebensgemeinschaften differenzieren. Deshalb kann Art. 6 GG nicht analog auf andere Gemeinschaften angewendet werden. Das Grundgesetz strebt an, umfassende Lebensgemeinschaften in das schützende Gehäuse des Ehe- und Familienrechts zu bringen und bietet durch den besonderen Förderauftrag zugunsten von Ehe und Familie Anreize an, dass der Einzelne ein Leben in Ehe und Familie eingeht und das Freiheitsangebot des Art. 6 GG wahrnimmt. Dem steht nicht entgegen, dass Freiheitsberechtigte vermehrt diese rechtliche Vernetzung in ihren privaten Beziehungen ablehnen.33 Ehe und Familie bleiben aufgrund ihrer besonderen Bedeutungen für den Staat und für den Einzelnen schutzwürdig. Das Abstandsgebot und der Förderauftrag des Art. 6 GG fordern den Gesetzgeber auf, Ehe und Familie gleichermaßen im Rahmen des staatlich Möglichen zu bevorzugen. Einer Privilegierung geht aber zunächst der Abbau von Benachteiligungen voraus. Weil die Familie nach der heutigen Rechtslage in ihren tatsächlichen finanziellen Verhältnissen schlechter steht als die Ehe, muss der Gesetzgeber um einer Gleichbehandlung von Ehe und Familie willen zunächst diese Benachteiligungen als Grundlage für eine darauf aufbauende Bevorzugung abbauen. Auch wenn hier noch vieles zu leisten ist, bleibt aber der verfassungsrechtliche Anspruch einer Privilegierung bestehen. Dabei sind Ehe und Familie grundsätzlich gleichermaßen hervorzuheben. Es können sich allerdings unterschiedliche Ausprägungen dieses besonderen Schutzes aufgrund ihrer Wesensunterschiede als Gemeinschaft gleichberechtigter Partner im Gegensatz zur Erziehungsgemeinschaft mit Kindern ergeben.
32 33
Robbers, Gerhard, in in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 18. Zippelius, Reinhold, DÖV 1986, 805 (808).
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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b) Gleichbehandlung und Differenzierung je nach Struktur der Gemeinschaft Ehe und Familie haben gleichermaßen Teil am besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.34 Soweit ihnen die gleiche Bedeutung als Lebens-, Dialog-, Beistands- und Hausgemeinschaft zukommt, fordert die Verfassung eine gleiche Behandlung. Zwischen Ehe und Familie ist in der gesetzlichen Ausgestaltung erst dann zu unterscheiden, wenn die Besonderheiten der einen Gemeinschaft dies im Gegensatz zur anderen erfordern. Das Differenzierungsgebot des Art. 6 GG setzt im Verhältnis von Ehe und Familie erst dort an, wo sich Ehe und Familie in ihrer Struktur – beispielsweise als Erwerbs- im Gegensatz zur Unterhaltsgemeinschaft – unterscheiden. Eine solche an den Besonderheiten und Eigenarten ausgerichtete einfachgesetzliche Ausgestaltung anerkennt das Wesentliche beider Gemeinschaften. Sie löst verfassungswidrige Konflikte zwischen Ehe und Familie auf, betont gleichzeitig aber auch die Spannungen, die im Verfassungsverständnis angelegt und deshalb nicht zu lösen sind. Es würden Systematik und Zweck des Art. 6 GG verfehlt, wenn Ehe und Familie gegeneinander ausgespielt werden.35 Es darf nicht eines der Schutzgüter zugunsten des anderen benachteiligt werden. Denn ein natürlicher Gegensatz zwischen Eheund Familienförderung besteht bei einer differenzierenden Ausgestaltung nicht.36 „Weil die Ehe gefördert wurde, ging die Familie zugrunde.“ Diese These von Zeidler bringt Ehe und Familie über die begriffliche Trennung hinaus in einen materiellen Gegensatz. Den Grund dieser These sieht Zeidler darin, dass die natürliche Begrenztheit der öffentlichen Finanzmittel nur die staatliche Unterstützung von einem der beiden Rechtsinstitute zulässt.37 Ein solches Verständnis wird dem besonderen Schutzauftrag allerdings nicht gerecht. Beide Rechtsinstitute bedürfen des staatlichen Schutzes, bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung sind beide Einrichtungen in die Abwägung mit anderen Interessen mit einzubeziehen. Zwar bedarf die Familie vermehrt der finanziellen Förderung.38 Dieser Förderauftrag rechtfertigt aber nicht, den Strukturschutz der Ehe – soweit notwendig auch durch Finanzmittel – zu vernachlässigen. Eine verbesserte Förderung der Familie geht deshalb nicht zulasten der Ehe, sondern betrifft den Gesamthaushalt des Staates und seine Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 18. So mit Tendenz gegen die Ehe Zeidler, Wolfgang, in Benda / Maihofer / Vogel, S. 555 (607), dagegen Lecheler, Helmut, DVBl. 1986, 907, Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 778; vgl. die Nachweise bei Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 18. 36 Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem in: Fürst, Walther, Herzog, Roman, Umbach, Dieter C. (Hg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, 773 (796). 37 Vgl. Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem in: Fürst, Walther, Herzog, Roman, Umbach, Dieter C. (Hg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, 773 (774). 38 s. oben: 3. Teil, A. I 2. 34 35
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Förderinstrumente. Eine Beschränkung des Förderauftrags auf ein Ressort (für Ehe und Familie) verfehlt den Verfassungsauftrag. Der besondere Schutz gilt für Ehe und Familie in der jeweiligen, an der Eigenart des Rechtsinstituts ausgerichteten Ausprägung gleichermaßen. Er gilt aber auch für jede Ehe und für jede Familie. Schützenswert sind nicht nur die sozial schwächeren Gemeinschaften. So gebietet Art. 6 GG den Schutz der Familie und den Schutz der Ehe als solche, eine isolierte Umverteilung zwischen reichen und armen Familien, reichen und armen Ehen kann durch Art. 6 GG nicht gerechtfertigt werden.39 Für diese Fälle verweist das Sozialstaatsprinzip auf die Solidargemeinschaft der Staatsbürger und die Gesamtheit der Steuerzahler.
III. Wertentscheidung des Grundgesetzes – Leitidee der Ehe und Familie als Einheit Art. 6 Abs. 1 GG schützt Ehe und Familie in einem Atemzug und versteht damit beide Gemeinschaften als Einheit. Die Ehe ist die beste Basis für die Entwicklung der Kinder,40 die Familie trägt und festigt die Ehe. Die ehebasierte Familie bietet dem Kind bessere Entwicklungschancen, die familienorientierte Ehe wirkt für die Ehegatten eher sinnstiftend. In der Normalität eines heranwachsenden Menschen bilden Ehe und Familie eine einheitliche Verantwortungsgemeinschaft, die aufeinander bezogen sind und voneinander abhängen. Deshalb schützt das Grundgesetz die Ehe als Basisgemeinschaft der Familie und sichert dadurch dem Kind die gleichzeitige Begegnung mit Vater und Mutter rechtlich ab. 1. Ehe und Familie in einem Atemzug In Art. 6 Abs. 1 GG hat die Verfassung eine Wertentscheidung getroffen, indem sie Ehe und Familie in einem Atemzug nennt und damit die Leitidee von Ehe und Familie als Einheit vorgibt. Beide Institutionen sind zwar je für sich sinnvoll, gänzlich unabhängig voneinander verfassungsrechtlich jedoch nicht vollständig zu erfassen. Eine strikte Trennung der Rechtsinstitute, eine gänzliche Entkoppelung von Ehe und Familie leugnete von vornherein verfassungsrechtliche Sinnzusammenhänge, die in der Struktur von Art. 6 GG und in seiner Entstehungsgeschichte angelegt sind. Ehe, Familie, Elternverantwortung, Schutz der Mutter und die Stellung des nichtehelichen Kindes stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Sie sind sozial und rechtlich miteinander verbunden.41 39 So für die Familie: Klein, Franz, Steuerreform und Verfassungsrecht, BayVbl. 1974, 1 (4); Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem in: Fürst, Walther / Herzog, Roman / Umbach, Dieter C. (Hg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, 773 (790). 40 BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzug.
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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Gerade in Zeiten, in denen die Formen des Zusammenlebens vielfältiger werden, erfüllt dieses Leitbild eine besondere Funktion. Nach den Lebenserfahrungen, die im Grundgesetz niedergeschrieben sind, bleiben Ehe und Familie die Gemeinschaften, die gemeinsam ein stabiles Leben für Ehegatten und Kinder gewährleisten. Sie sind deshalb aufeinander bezogen. Die Erfahrung der gegenseitigen Stütze zeigt, dass die Ehe die Grundlage der Familie bildet, die Familie grundsätzlich aus der Ehe hervorgeht. So zeichnet Art. 6 Abs. 1 GG ein Leitbild gelingender und rechtlich anzustrebender personaler Entfaltung nach.42
a) Leben in der ehelichen Familie als positiv empfundene Normalität Das Grundgesetz hat sich trotz der gesellschaftlichen Entwicklungen nicht von der Vorstellung abgewandt, dass die Familie in der Regel und generationenübergreifend aus der Ehe hervorgeht.43 Die Ehe ist als typische Form der ursprünglichen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau die geordnete regelmäßige Grundlage für die Erweiterung zu der mit Kindern bereicherten Familie.44 So schützt und fördert das Grundgesetz mit Ehe und Familie das Leben in positiv empfundener Normalität. Deshalb bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die Ehe auch als die „alleinige Grundlage einer vollständigen Familiengemeinschaft.“ 45 Die Vollständigkeit der Familie in ihrer ehelichen Grundlage ist nicht immer der reale, stets aber der ideale Befund, den der Gesetzgeber beim Ausfüllen des Begriffes der Familie auszugestalten hat.46 Das von der Verfassung als Wertentscheidung vorgegebene Leitbild sucht Normativität und Normalität zur Deckung zu bringen. Auch wenn heute die Ehe nicht mehr Voraussetzung ist, um eine staatliche Familienförderung zu erhalten, bleibt das Leitbild der ehelichen Familie auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die staatliche Förderpolitik.47 Ob dieses Bild die Realität bestimmt, bleibt der individuellen Entscheidung des Einzelnen überlassen. Das ist eine freiheitsrechtliche Antwort auf die von der Verfassung aufgenommenen Veränderungen der gesellschaftlichen Entwicklungen.48
41 Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 17; vgl. auch Münch, Eva-Maria von, in Benda / Maihofe / Vogel, 2. Auflage, S. 293 (302 f.), diess., in von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 6, Rn. 3. 42 Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 17. 43 Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 23. 44 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (994). 45 BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzug, 99, 145 (156) – Gegenläufige Entführungen. 46 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6 Rn. 68, Fn. 229. 47 Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 17 zum Leitbild BVerfGE 28, 324 (361) – Heiratswegfallklausel. 48 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6, Rn. 70.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
b) Ehe als beste Voraussetzung für die Entwicklung von Kindern Mit der Gewährleistung der Ehe fördert das Grundgesetz die Lebensentscheidung zweier Menschen füreinander und unterstützt sie in der Einrichtungsgarantie durch rechtliche und soziale Stabilität.49 Als eine institutionelle Stütze sichert die Ehe die Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ab50 und gewährleistet als verlässlicher Ordnungsrahmen einen dem Kindeswohl dienlichen, familiären Zusammenhalt.51 Das Grundgesetz trägt mit der institutionellen Sicherung der Familie durch die Ehe52 der Erfahrung Rechnung, dass aus einer Ehe grundsätzlich Kinder hervorgehen und dass die Entfaltungschancen der Kinder regelmäßig am ehesten zu wahren sind, wenn sie in einer stabilen, auf verlässlicher Beziehung ihrer Eltern untereinander beruhenden familiären Umgebung aufwachsen.53 Die gesunde körperliche und seelische Entwicklung des Kindes setzt nach den in Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Wertvorstellungen das Geborgensein in einer auf der Ehe basierenden vollständigen Familiengemeinschaft mit Vater und Mutter voraus.54 Kinder brauchen für ihre Entwicklung Stabilität, Kontinuität und Nachhaltigkeit. Vor allem in einer verlässlichen und vorgelebten Verantwortung der Eltern können den Kindern Kulturwerte wie Verantwortungsbewusstsein, Solidarität und Gemeinschaftsgebundenheit vermittelt werden.55 Die Ehe ist die von Kontinuität und Verantwortung geprägte Gemeinschaft par excellence. Sie ist ein in rechtliche Formen gegossenes Fundament, das Kindern die für sie notwendige Sicherheit geben kann. Dies lässt auch Art. 6 Abs. 5 GG erkennen, der für die leibliche und seelische Entwicklung des unehelichen Kindes in der Familie Lebensbedingungen anstrebt, die dem Aufwachsen innerhalb einer Ehe besonders nahe kommen. Das Grundgesetz spricht in Art. 6 Abs. 2 GG zudem nicht von Vater und Mutter als Individuen, sondern von den Eltern und betont damit die gewollte Einheit von Mann und Frau, die gemeinsam die Elternverantwortung übernehmen.56 Deshalb bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die Ehe als „Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern.“57 In diesen Grundlagen wurzeln die Elternverantwortung und ihr Vorrang vor anderen Erziehungsträgern.58 Eine solche verantwortungsvolle Elternschaft gründet in der Ehe: Die Ehepartner erleben in der Gegenseitigkeit ihr gemeinsames 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 18. BVerfG, NJW 1993, 3058 – Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare. Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (998). Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 54. Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 18. BVerfGE 25, 167 (196) – Nichtehelichkeit. Horn, Hans-Detlef, DÖV 1991, S. 830 (834). Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 164. BVerfGE 76, 1 (51) – Familiennachzug; 99, 145 (156) – Gegenläufige Entführung. Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 18.
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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Kind, gestalten zusammen dessen Lebens- und Entfaltungsbedingungen und entlasten sich verlässlich gegenseitig bei der Kindererziehung.
c) Festigung der Ehe durch die Familie Die Gemeinschaften von Ehe und Familie festigen sich wechselseitig. Die Ehe ist die Basis für die Familie, gleichzeitig stabilisiert die Familie die Ehe. Das Kind erlebt die besten Entfaltungschancen, wenn es Vater und Mutter hat. Deren gemeinsame Erziehung und Betreuung begleitet das Kind beim Heranwachsen zu einer eigenverantwortlich handelnden Person, ist also auf Dauer angelegt und festigt deshalb die Ehe. Die Verantwortung in unauflöslicher Elternschaft währt ein Leben lang. Das gemeinsame Erleben der Erziehung und der nachfolgenden Entwicklung der Kinder in der Eigenständigkeit bietet den Ehegatten Erfahrungen, die sie im Lebensalter und in Krisen zusammenhalten.
2. Ausrichtung des Ehe- und Familienschutzes auf das Kind a) Schutz der Ehe als Basisgemeinschaft für die Familie Die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleisten am besten, dass das Kind dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechend zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der Gesellschaft heranwächst. Um dieses Erziehungsziel zu erreichen, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Lebensbedingungen zum Wohl des Kindes zu sichern, die für sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind.59 Diese Staatsaufgabe wird verfassungsrechtlich vornehmlich durch den Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG erfüllt, daneben steht auch das nichteheliche Kind gemäß Art. 6 Abs. 5 GG unter einem besonderen Schutz der Verfassung, durch den die Nachteile, die mit der Entscheidung seiner Eltern, nicht zu heiraten, einhergehen, für das Kind ausgeglichen werden sollen.60 Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG trägt der Lebenserfahrung Rechnung, dass die Stabilität der Ehe die beste Grundlage der Familie als Erziehungsgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern bildet. Deshalb hat der Verfassungsgeber den Schutz der Ehe auf die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau beschränkt. Eine ausdrückliche Klarstellung dieser bei den Beratungen des Grundgesetzes vorgefundenen Selbstverständlichkeit ist aus rein redaktionellen Gründen gestrichen worden.61 BVerfGE 56, 363 (384) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. Vgl. hierzu unten IV. 1. und 2 a) und b). 61 Im Parlamentarischen Rat war es selbstverständlich, dass die Ehe im Blick auf den zu erhoffenden Kindersegen unverzichtbar ist und deshalb Ehe auf Familie hin orientiert ist, vgl. JöR Neue Folge Band I (1951), Artikel 6, S. 92 ff.; vgl. auch Pauly, Walter, Sperrwirkungen 59 60
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Die Ehe wird als potentielle Familie geschützt, auch wenn viele Ehen kinderlos bleiben. Gerade um die Ehe als Weg zur Familie, in der Kinder von ihren leiblichen Eltern in Staatsferne erzogen werden, zu schützen und zu fördern, verzichtet die Rechtsordnung darauf, ehehemmend und ehehindernd den Willen oder die Fähigkeit zum Kind auszuforschen oder sogar den Schutz der Ehe beim Ausbleiben von Kindern zu lockern. Die verfassungsrechtliche Erwartung an die Ehe ist final auf die Familie ausgerichtet,62 die Annahme dieses Verfassungsangebots durch die Gründung einer Familie bleibt den Freiheitsberechtigten überlassen.
b) Natürliche Erwartung des Kindes auf die gemeinsame Begegnung mit Vater und Mutter Die Ehe ist auf das Kind ausgerichtet, die Familie vom Kind bestimmt. Ehe- und Familienschutz dienen beide dem Wohl des Kindes. Beide Rechtsinstitute sind durch das Kind als potentielles und aktuelles Verantwortungsverhältnis zur Erziehung der Nachkommen geprägt. Das Kind begegnet in der Gemeinschaft mit seinen Eltern Vater und Mutter als gleichwertige, aber unterschiedliche Ansprechpartner. Es sieht vorbildhaft die gleichberechtigte Partnerschaft der Eltern in gegenseitiger Rücksichtnahme, spürt die Verantwortung der Eltern untereinander und für das Kind ganz unabhängig von staatlichen Einflüssen und lernt im Leben mit Vater und Mutter die Unterschiede zwischen Mann und Frau kennen. Gleichzeitig kann es auf beide Eltern in gleichem Maße vertrauen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern entwickelt sich am besten auf dem Fundament der Ehe. Das eheliche Band unter den Eltern gibt dem Kind die Sicherheit, Vater und Mutter stetig zu begegnen. Wie wichtig eine solche rechtliche Absicherung auch für die tatsächliche Entwicklung und Entfaltung des Kindes ist, zeigt Art. 6 Abs. 5 GG, der die Erfahrung aufnimmt, dass Kindern, die nicht in einer ehelichen Gemeinschaft aufwachsen, denen die gleichberechtigte und gemeinsame Begegnung mit Vater und Mutter also versagt ist, nicht die gleichen Chancen haben wie eheliche Kinder. Ehe und Kind sind wechselseitig aufeinander bezogen, wobei die Ehe nur auf das Kind ausgerichtet ist, während das Kind auf die Gemeinschaft von Vater und Mutter als natürliche Folge seiner Geburt angewiesen ist. Die Ehe gibt dem Kind für diese elterliche Erziehung und Betreuung den rechtlichen Rahmen. Deshalb sichert sie die Gründung einer Familie institutionell ab, ist aber auch in einer bestehenden Familie die Grundlage für eine dauerhafte und gemeinsame Begegnung zwischen beiden Eltern und dem Kind. Sein natürlicher Anspruch auf Vater und Mutter wird in der Ehe rechtlich manifestiert. Wird die Beziehung der Eltern gestört und die Ehe geschieden, ist das Kind der Hauptverlierer. Ihm wird in Zukunft des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs, NJW 1997, 1955 (1955); Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (14). 62 Pauly, Walter, NJW 1997, 1955 (1955).
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die gemeinsame Begegnung mit Vater und Mutter versagt, seine Entwicklungsmöglichkeiten werden dadurch gemindert. Zwar besteht seine natürliche Erwartung auf die Begegnung mit Vater und Mutter im Falle des Scheiterns der Ehe fort. Das Kind kann dies allerdings nur noch in getrennten Begegnungen durchsetzen. So gewährleistet die Wertentscheidung von Art. 6 GG die familiäre Begegnungsgemeinschaft von Eltern und Kind und gibt dieser in der Ehe ein Fundament, das zuvörderst dem Schutz ihres schwächsten Mitgliedes, dem Kind, dient.
IV. Verfassungsrechtlicher Schwerpunkt: Schutz der Familie Die Familie bietet vor allem dem Kind die notwendigen Entwicklungschancen und befriedigt dadurch das gesteigerte Schutzbedürfnis eines Menschen, der noch nicht hinreichend zu Freiheit und Selbstbestimmung fähig ist. Deshalb schützt und fördert die Verfassung vor allem die Familie und sichert dort gleichzeitig die Zukunft des Staates. Sie sucht bei Fehlen oder Scheitern einer vollständigen Familie Ersatzgemeinschaften für eine gute Entwicklung der Kinder zu schaffen, stärkt die Rechte des Kindes vor denen der Eltern und Ehegatten und wirkt auf eine familienund kinderoffene Struktur von Gesellschaft und Staat hin. Die Ehe schützt das Grundgesetz gerade in Zeiten des demographischen Wandels als potentielle Elternschaft, die sich bei der Wahrung der Freiheit des Art. 6 Abs. 1 GG in der Regel zu einer aktuellen Elternschaft (Familie) entwickeln wird.
1. Schutz für eheliche und nichteheliche Kinder Die gemeinsame Ausrichtung von Ehe und Familie auf das Kind legt den Schwerpunkt des verfassungsrechtlichen Schutzes auf die Familie, weil die Ehe nur potentielle, Familie hingegen aktuelle Elternschaft darstellt. Ehe und Familie genießen den gleichen Schutz in ihrem Rang.63 Das Kind ist aber schwach und schutzbedürftig, so dass der Schutzauftrag für die Familie besondere Bedeutung erlangt. Dies wird in den Inhalten von Art. 6 GG deutlich, dessen Text nur in seinem ersten Absatz die Ehe neben der Familie schützt, sich im Folgenden aber allein der Familie und dem Kind widmet. Das Grundgesetz erkennt, dass die Realität oft nicht dem von Art. 6 Abs. 1 GG gezeichneten Leitbild entspricht und bietet deshalb Schutz und rechtliche Struktur ausdrücklich für nichteheliche Kinder, für nicht verheiratete Mütter und für Kinder in gefährdeten und zerrütteten Verhältnissen.64 Insbesondere Art. 6 Abs. 5 GG sucht, zum Wohl des Kindes einen Ausgleich für das Fehlen der von Art. 6 Abs. 1 GG als Leitidee vorausgesetzten ehelichen Familiengemeinschaft zu schaffen. Das Verhalten seiner Eltern soll dem nichtehe63 64
s. o. 3. Teil, A., I. und II. Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 19.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
lichen Kind nicht zum Nachteil gereichen.65 Mit Blick auf das Kindeswohl entkoppelt der Staat das Erziehungsverhältnis von der Ehe66 und nimmt als Auftrag zum Schutz des nichtehelichen Kindes alternative Lebensentwürfe auf. Das Wohl des Kindes und seiner Familie steht aber nicht nur wegen deren Schutzbedürftigkeit im Zentrum des verfassungsrechtlichen Schutzauftrags. Vielmehr erbringt vor allem die Familie die Leistungen, die der Gesellschaft insgesamt zugute kommen. Geburt und Erziehung der Kinder sichern das Bestehen des Staates in der Zukunft. Kinder tragen später die heute entstehenden Verpflichtungen, die der älteren Generation im Generationenvertrag Zukunftssicherheit versprechen. Sie übernehmen auch die Lasten, die insbesondere in der Staatsverschuldung und der Umweltbelastung durch Nachlässigkeiten und kurzfristiges Vorteilsstreben auf die Zukunft verschoben werden. Staat und Demokratie sind auf selbstbewusst erzogene, demokratiefähige Kinder angewiesen. Da die Kinder in ihrer eigenen Familie am besten gedeihen, wird der Kindesschutz vor allem durch Familienschutz verwirklicht. 2. Verfassungsauftrag zur Kinderförderung a) Umfassende Familienförderung als Unterstützung der aktuellen Elternschaft Weil Ehe und Familie auf das Kind ausgerichtet sind, der staatliche Schutz der Kinder zuförderst die private Gemeinsamkeit von Ehe und Familie festigt und das Kind die besten Entwicklungschancen in einer auf der Ehe basierenden Familie hat, muss die staatliche Kinderförderung die eheliche Familie stützen. Wächst ein Kind allerdings außerhalb einer ehebasierten Familie auf, verlagert sich der tatsächliche Schutz des Art. 6 GG auf die Teilelternfamilie. Vollständige und unvollständige Familien sind gleichermaßen in staatliche Schutz- und Förderprogramme mit einzubeziehen. 67 Die tatsächliche Abkoppelung der Ehe von der Familie bringt so den Schutz der Familie vorrangig zur Wirkung68 und schwächt den Schutz von kinderlosen Ehen.69 Der Bevölkerungsrückgang macht den Schutz der Familie zu einer dringlichen Staatsaufgabe, gibt Art. 6 Abs. 4 GG neue Aktualität.70 65 BVerfGE 25, 167 (196) – Nichtehelichkeit; 56, 363 (384 f.) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind, 84, 168 (184) – Sorgerecht für nichteheliche Kinder. 66 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (998). 67 Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6, Rn. 71. 68 In dieser Tendenz: Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (85). 69 Mit diesem Ergebnis auch: Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6, Rn. 71. 70 Nach Coester-Waltjen, Dagmar, in von Münch / Kunig, GG, Band I, Rn. 131, müsste heute der Familienschutz sogar eher mit dem Mutterschutz (Art. 6 Abs. 4 GG) als mit dem Schutz der Ehe zusammen gesehen werden. Diese Ansicht verkennt aber, dass das Kind ein natürliches Bedürfnis auf die Begegnung mit Mutter und Vater hat und deren Gemeinschaft die beste Grundlage für seine Entwicklung bietet.
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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Inhalt des vorrangigen Familienschutzes ist die Förderung der Familiengemeinschaft.71 Aus dem staatlichen Schutzauftrag folgt insbesondere das Gebot, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie zu sichern und zu stärken.72 Der Finanzstaat hat in einer Gesellschaft, die Familie und Erwerbsleben trennt und dadurch die (Klein-)Familie von der Begegnungs-, Anerkennungs- und Einkommenschance des Erwerbslebens abschneidet, die Aufgabe, die Folgen dieser Isolierung auszugleichen und den Mehraufwand, den die Erziehung der Kinder mit sich bringt, in der durch die Kinder begünstigten Rechtsgemeinschaft zu tragen. In einer Leistungsgesellschaft sind daneben die besonderen Leistungen der Familie für Staat und Gesellschaft zu erkennen und auch finanziell anzuerkennen. Diese aus dem Benachteiligungsverbot abgeleitete Förderpflicht hat der Gesetzgeber im Familienlasten- und Familienleistungsausgleich 73 einfachgesetzlich dem Grunde nach festgeschrieben. Neben der finanziellen Entlastung muss der Staat auch durch Strukturförderung das Leben mit Kindern spürbar erleichtern und für ein ungestörtes Aufwachsen der Kinder in ihrer Familie sorgen. Hierbei hat er einen Gestaltungsraum, der sich am Wohl des Kindes ausrichten muss.74
b) Ausgleich bestehender Nachteile für nichteheliche Kinder im Spannungsfeld zum Schutz der ehelichen Familie Auch wenn die Verfassung im Interesse des Kindeswohls die Wahrnehmung der Elternverantwortung in einer auf Ehe beruhenden Gemeinschaft für die beste Lösung hält und das Schutzgebot von Art. 6 GG auf die Normalität eines Kindesschutzes in der vollständigen Familie ausgerichtet ist, gebietet es Art. 2 Abs. 1 GG, dass der Staat die Entscheidung der Eltern akzeptiert, keine Ehe miteinander eingehen zu wollen. Diese Weigerung der Eltern zur Ehe verpflichtet den Gesetzgeber, die Lage ihres Kindes möglichst weitgehend an die eines ehelichen Kindes anzupassen (Art. 6 Abs. 5 GG). Das geschieht zunächst dadurch, dass der Gesetzgeber nach dem in Art. 6 Abs. 2 GG enthaltenden Grundsatz der Subsidiarität von rechtlichen Reglementierungen zwischen Eltern und Kindern absieht. Ein nichteheliches Kind, das von beiden Eltern betreut wird, die sich für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft entschieden haben, hat Vater und Mutter und ist insoweit Vgl. oben A. I. 3. Lecheler, Helmut, HStR VI, § 133, Rn. 65 ff.; Schwarz, Kyrill-A., S. 191. 73 Vgl. zum Begriff des Familienlasten- und Familienleistungsausgleich Tünnemann, Margit, S. 73, mit Verweis auf Borchert, Jürgen, Familienlastenausgleich, in Maydell, Lexikon des Rechts, Sozialrecht, S. 84. Tünnemann votiert für die Begriffe Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich, um die familienpolitischen Instrumente hervorzuheben, die den Ausgleich kindbedingter Kosten und die Anerkennung der Betreuungs- und Erziehungsleistung für Kinder betreffen. 74 Vgl. zum Gestaltungsraum des Gesetzgebers bei der finanziellen Förderung der Familie, die kaum unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eingeschränkt werden kann: Schwarz, Kyrill-A., S. 192 f. 71 72
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
während der bestehenden Gemeinschaft seiner Eltern mit einem ehelichen Kind gleich gestellt. Der Gesetzgeber muss hier kein tatsächliches Vater- oder Mutterdefizit im Sinne des Art. 6 Abs. 5 GG ausgleichen.75 Zerbricht allerdings eine solche nichteheliche Lebensgemeinschaft, kann sie ohne staatliche Mitwirkung und ohne nach außen offenkundige Rechtsfolgen aufgehoben werden. In dieser rechtlichen Folgenlosigkeit ist das gemeinsame Kind einbezogen. Es gibt für das Kind keine Härteklausel entsprechend § 1568 BGB, mit der die Aufrechterhaltung der Gemeinschaft im Interesse des Kindes für eine gewisse Zeit erreicht werden könnte. Das nichteheliche Kind muss mit der Belastung der jederzeit form- und folgenlos möglichen einseitigen Beendigung der Verbindung seiner Eltern leben. Erst daraus folgt eine besondere Schutzbedürftigkeit eines Kindes, das in einer nichtehelichen Gemeinschaft mit den Eltern lebt.76 Hier wird der Gesetzgeber als Garant für das Wohl des Kindes gefordert. Gleiches gilt für Kinder, die von vorne herein nur mit einem Elternteil aufwachsen. In beiden Fällen verpflichtet Art. 6 Abs. 5 GG den Gesetzgeber, durch positive Maßnahmen diesen Kindern die gleichen Bedingungen für die leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie Kindern, die in der ehelichen Gemeinschaft ihrer Eltern aufwachsen. Soweit diese Bedingungen in der Realität gleich sind, ist der Staat auch wegen des besonderen Schutzes der ehelichen Familie zur Zurückhaltung verpflichtet. Darüber hinaus ist eine schematische Gleichstellung nichtehelicher Kinder nicht geboten; mit Rücksicht auf die unterschiedliche soziale Lage kann eine Differenzierung sogar erforderlich sein, damit tatsächlich gleiche Bedingungen erreicht werden.77 Dies schließt auch begünstigende Regelungen zugunsten von nichtehelichen Kindern ein.78 Zudem findet die Gleichberechtigung zwischen den Eltern in der Kindererziehung dort eine Grenze, wo die Verwirklichung des in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Gebots beeinträchtigt würde.79 Es besteht kein Gegensatz zwischen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 5 GG. Der Schutz von Ehe und Familie wird nicht durch eine angemessene Begünstigung des nichtehelichen Kindes beeinträchtigt, weil die Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG gerade auch das nichteheliche Kind umfasst und dieses in erhöhtem Maße schutzBVerfGE 56, 363 (384 f.) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. BVerfGE 56, 363 (384) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. 77 BVerfGE 85, 80 (87) – Rechtsweg für nichteheliche Kinder. 78 BVerfGE 25, 167 (183) – Nichtehelichkeit, forderte in Zeiten der alten Rechtslage, in der eheliche und nichteheliche Kinder im Zivilrecht ungleich behandelt wurden, dass der Gesetzgeber veranlasst sein kann, bestimmte Sachverhalte ungleich zu regeln, damit durch die betreffende Besserbehandlung des nichtehelichen Kindes die faktischen Unterschiede in der Ausgangslage ausgeglichen werden. Als Beispiel sei hier der vorzeitige Erbausgleich für nichteheliche Kinder nach § 1934d BGB a. F. genannt. Vgl. hierzu BVerfGE 58, 377 (377, Leitsatz 1) – Vorzeitiger Erbausgleich. Für eine Bevorzugung von nichtehelichen Kindern zum Ausgleich ihrer faktischen Nachteile auch Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Band I, Art. 6, Rn. 153. 79 BVerfGE 26, 265 (272 f.) – Unterhalt II. 75 76
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bedürftig sein kann.80 Der Gesetzgeber muss die Balance zwischen dem Schutz der von der Verfassung bevorzugten ehelichen Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG und dem Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 5 GG für das nichteheliche Kind halten. Beide Absätze des Art. 6 GG begrenzen sich gegenseitig. Im Erfüllen der Verfassungsaufträge darf der Gesetzgeber weder das nichteheliche Kind in seiner besonderen Stellung vernachlässigen, noch darf er die nichteheliche Familie bevorzugen: Das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG verbietet es, nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern besser zu stellen als eine ehebasierte Familie. Schafft der Staat durch finanzielle Förderung Anreize für unvollständige Familien, in ihrer Unvollständigkeit zu verharren, verstößt er gegen Art. 6 Abs. 1 GG und verwehrt dem Kind gleichzeitig seine bestmögliche Entwicklungschance. Art. 6 Abs. 5 GG gebietet deshalb vor allem, die Stellung des nichtehelichen Kindes in der Gesellschaft denen der ehelichen Kinder anzupassen und die seelischen Belastungen, die es durch die Trennung seiner Eltern erfährt, aufzufangen. Ein Ausgleich ist hier weniger in Geld, sondern vor allem in der Unterstützung der Alleinerziehendenfamilie bei ihrer Alltagsorganisation zu erreichen. Aus der Perspektive des Kindes sind eine verlässliche Betreuung und seine Anerkennung in der Gesellschaft entscheidender als Finanzmittel. Um beiden Absätzen des Art. 6 GG gerecht zu werden, ist bei einer verfassungsgerichtlichen Prüfung die einzelne Regelung deshalb stets im Zusammenhang der Gesamtregelung zu würdigen.81
c) Schutz der Ehe als Hoffnung auf eine potentielle Elternschaft Die Familienförderung erfasst die Ehe sowohl als Grundlage der vollständigen Familie als auch als potentielle Elternschaft. Bei der vollständigen Familie entlastet die Familienförderung die Ehe, die eine wichtige Aufgabe in der Erziehung der Kinder findet. In Zeiten des demographischen Wandels und der Kinderarmut kommt der Ehe aber vor allem als potentielle Elternschaft wieder ein größeres Gewicht zu. Die Ehe ist die einzige, rechtlich abgesicherte Gemeinschaft, die in ihrer Gemeinsamkeit darauf angelegt ist, neues Leben zu stiften. Sie gewinnt ihren abschließenden Sinngehalt im Kind und verdient als Ursprung der nächsten Generation und der Weitergabe gegenwärtig erreichter Lebenskultur öffentliches Interesse.82 Deshalb bietet der Schutz der Ehe als Freiraum menschlicher Entfaltung dem Staat die Möglichkeit, den Wunsch der Freiheitsberechtigten nach Kindern strukturell abzusichern und so das Erfüllen dieses Wunsches zu fördern.
Vgl. BVerfGE 25, 167 (196) – Nichtehelichkeit. BVerfGE 85, 80 (87) – Rechtsweg für nichteheliche Kinder. 82 Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (15); so auch: Geiger, Willi, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 14 (1980), S. 9. 80 81
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
d) Vorrang der Kinderrechte vor den Rechten der Ehegatten Weil Art. 6 GG in allen seinen Facetten auf das Kind ausgerichtet ist, muss das Recht der Ehegatten auf Selbstbestimmung und autonome Ausgestaltung der Gemeinschaft hinter den Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes im Konfliktfall zurückstehen. Die Selbstbestimmung der Ehegatten wird von der Erziehungsverantwortung für das Kind überlagert, die wiederum der Schranke des Kindeswohls unterworfen ist. Es liegt in der besonderen Struktur des Elternrechts begründet, dass es wesentlich auch ein Recht im Interesse des Kindes ist.83 Das Elternrecht ist immer mit einer Elternpflicht zu einer Elternverantwortung für das Kind verknüpft.84 Jede Entscheidung eines Konflikts zwischen den Eltern oder zwischen Eltern und Kind, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein und das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger fördern.85 Art. 6 Abs. 1 GG verstärkt und profiliert im Schutz der Familie die Entfaltungsfreiheit des Kindes. Im Rahmen einer Abwägung zwischen dem Recht der Eltern und dem Recht des Kindes kommt dem Wohl des Kindes letztlich der Vorrang zu.86 Je jünger das Kind ist, umso mehr bestimmt die Entfaltung seiner Persönlichkeit das familiäre Leben. Mit dem Lebensalter wächst das Selbstbestimmungsrecht des Kindes, schwindet das Erziehungsrecht der Eltern und entsteht eine Spannungslage zwischen Kindesselbstbestimmung und Ehegattenfreiheit derselben Gemeinschaft.87 Je älter das Kind ist, umso mehr kann diese Spannungslage zugunsten der Rechte der Ehegatten gelöst werden. Art. 6 Abs. 1 GG fordert vom Staat, die Bedingungen für die Entfaltung des Kindes zu sichern, zu denen vor allem die Fürsorge der Eltern gehören und deshalb das Erziehungsrecht der Eltern als Korrelat zur Persönlichkeitsentfaltung des Kindes mit einschließen.88 Die Verfassungsgarantie der Familie sucht stets die Stellung des Kindes zu stützen, stellt sich gleichzeitig aber gegen eine Auflösung der durch das Elternrecht strukturierten und auf der Ehe aufbauenden Einheit der Familie von den Kindesgrundrechten her, weil die Familie auch die Würde und die Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 159. BVerfGE 79, 203 (210) – Legitimation eines nichtehelichen Kindes; 56, 363 (381 f.) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. 85 So für den Fall der gegenläufigen Kindesentführung durch die getrennt lebenden Eltern: BVerfGE 99, 45 (156) – Gegenläufige Entführung; vgl. auch BVerfGE 37, 217 (252) – Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen, vgl. zu den grenzüberschreitenden Problemen im Fall einer Kindesentführung: Däubler-Gmelin, Herta, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 99 (102 f.). 86 BVerfGE 79, 203 (210 f.) – Legitimation eines nichtehelichen Kindes; 72, 155 (172) – Elterliche Vertretungsmacht; 68, 176 (188) – Pflegefamilie; 61, 358 (378) – Gemeinsames Sorgerecht; 56, 363 (383) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind, Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 159. 87 Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (95); ausführlich zu den Grundrechten der Kinder gegenüber ihren Eltern: Rüfner, Wolfgang, HStR V, § 116, Rn. 25. 88 So auch: Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 87 (96). 83 84
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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Grundrechte der Eltern schützt89 und das Elternrecht in der Familie die Kinder auch vor ihrer eigenen Unreife bewahrt. Das Zusammenspiel von Elternpflicht und Elternrecht gilt auch gegenüber den Kindesgrundrechten, weil die Familie nicht nur über die Elternpflicht definiert werden kann, sondern auch – um der Kinder willen – des Elternrechts bedarf.90 Die Elternverantwortung besteht gegenüber allen Kindern gleichermaßen, so dass die Eltern aus ihrem Erziehungsrecht keinen Anspruch ableiten können, die Versorgung eines Kindes ohne Rücksicht auf die anderen Kinder zu gestalten. Das Recht des Kindes aus einer früheren Ehe auf eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung besteht in gleicher Weise91 wie dasjenige des Kindes der aktuellen Ehe. Der Schutz der Ehe gebietet und erlaubt hier keine Bevorzugung der aktuellen ehebasierten Familie, weil die Ehe auch über ihre Beendigung hinaus Wirkungen entfaltet.92
V. Verfassungsauftrag zur Kontinuität Als auf Dauer angelegte Gemeinschaften bieten die Verfassungsinstitute von Ehe und Familie ihren Mitgliedern durch ihre Kontinuität in den Lebensbedingungen Sicherheit. Grundsätzlich lösen die Beteiligten Konflikte zwischen Individualund Gemeinschaftsinteressen innerhalb von Ehe und Familie jeweils autonom in Freiheit. Das Grundgesetz beauftragt den Staat, freiheitskonform auf die Kontinuität dieser Gemeinschaften einzuwirken und deren Auflösung im Interesse des schwächeren Mitglieds zu erschweren. 1. Stetigkeit der Lebensbedingungen zum Wohl des Einzelnen Ehe und Familie sind menschliche Gemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind und in ihrer Stetigkeit dem einzelnen Mitglied Halt und Beständigkeit bieten. Sie geben Kontinuität in den Lebensbedingungen und dienen so dem Wohl der Ehepartner und dem Wohl des Kindes in ihrer Entwicklung.93 In ihrer Privatheit und Autonomie sind die Lebensgemeinschaften wertvoll und leisten in Beständigkeit einen Beitrag zum Schutz der Menschenwürde und der Grundrechte von Eheleuten, Eltern und Kind. Dieser Kontinuitätsgedanke erfährt seine rechtliche Ausprägung in der Einrichtungsgarantie des Art. 6 GG, die als rechtlich anerkannte Institution darauf angelegt ist, Krisen zu überwinden und vorübergehend gestörte Gemeinschaften zu erneuern.94 89 90 91 92 93
Lüderitz, Alexander, AcP 178 (1978), S. 263 ff. Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 73. BVerfGE 68, 256 (279) – Leistungsfähigkeit des geschiedenen Elternteils. Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 200. So für das Kindeswohl BVerfGE 99, 145 (156) – Gegenläufige Entführung.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Die Beständigkeit der Gemeinschaft muss sich in der Zeit stets neu bewähren. Die individuelle Entwicklung der Mitglieder von Ehe und Familie fordert eine fortwährende Überprüfung der Regeln des Zusammenlebens, unvorhergesehene Ereignisse können einzelne Mitglieder aus der Gemeinschaft reißen und so die Einheit ins Wanken bringen. Daneben entstehen Konflikte, wenn der Einzelne seine individuellen Interessen an ungebundener Freiheit wahrnimmt und damit dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderhandelt und diese im Extremfall durch sein Ausscheiden in ihrem ursprünglichen Bestand zerstört. Dieses Konfliktfeld zwischen Individualund Gemeinschaftsinteressen begründet Grundrechtskollisionen unter privaten Freiheitsberechtigten. 95 Der Staat kann helfen, die bestehende Spannung unter den Beteiligten zwischen dem individuellen Interesse des Einzelnen auf ungebundene Freiheit und dem Gemeinschaftsinteresse nach menschlicher Bindung autonom zu lösen. 2. Erhalt der Gemeinschaft, soweit in Freiheit möglich In dieser Spannungslage zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen gibt die Verfassung in Art. 6 GG dem Staat den Auftrag, die Kontinuität der Gemeinschaft soweit wie möglich zu erhalten, da dies dem menschlichen Bedürfnis nach Gemeinsamkeit grundsätzlich am ehesten entspricht. Dieser Auftrag erlischt auch dann nicht, wenn eine der Gemeinschaften scheitert. Dann ist der Staat berufen, Elemente der ursprünglichen Gemeinsamkeiten so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Es gilt das zu erhalten, was zu erhalten möglich ist, gleichzeitig aber das Interesse des Einzelnen auf ungebundene Freiheit nicht ganz zu vernachlässigen. Deshalb eröffnen die einfachgesetzlichen Regeln des Familienrechts als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Auftrags von Art. 6 GG um der Selbstbestimmung der Ehegatten willen die Möglichkeit der Scheidung der Ehe, erhalten die vorherigen Lebensbedingungen aber insoweit, als die Kontinuität der Unterhaltsverpflichtungen zugunsten der Kinder und des Partners bestehen bleiben. Sorge- und Umgangsrechte verdeutlichen, dass die Familie auch bei Scheidung der Ehe unauflöslich ist und die Beziehung zum Kind – auch zulasten einer möglichen neuen Ehe – bestehen bleibt. Aus der einen Familie werden zwei Familienrechtsverhältnisse zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Vater und Kind, die von einer nachwirkenden Elternverantwortung schwach miteinander verbunden werden. Die Elternverantwortung besteht über eine Scheidung hinaus als gemeinsame. Dies gilt auch 94 Für die Ehe: Larenz, Karl, JZ 1968, 96 (97) in Erwiderung zu Wolf, Ernst, JZ 1967, 749 ff. Allgemein zur Kontinuitätswahrung durch verfassungsrechtlich Einrichtungsgewährleistungen Leisner, Anna, S. 323 ff. 95 Deshalb bezeichnet Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (183) den Konflikt, der bei Störung der Gemeinschaft entsteht, als Spannungsverhältnis zwischen individueller und kommunikativer Privatsphäre; vgl. zu Grundrechtskollisionen zwischen dem heranwachsenden Kind und seinen Eltern: Rüfner, Wolfgang, HStR V, § 116, Rn. 25.
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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dann, wenn das Sorgerecht auf den das Kind betreuenden Elternteil allein übertragen wird96 und deshalb für den anderen Elternteil lediglich Restbereiche der Elternverantwortung bleiben.97 Der Kontinuitätsgedanke des Art. 6 GG beruft den Gesetzgeber, klare sorgerechtliche Regelungen im Sinne der Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil vorzusehen, damit das Wohl des Kindes nicht durch den Streit der Eltern gefährdet wird.98 Die Einheit der vollständigen Familie wird in freiheitlicher Entscheidung der Eheleute unter Mitwirkung staatlicher Gerichte zerstört, weil die Familieneinheit entgegen dem Willen der Ehegatten nicht aufrecht erhalten werden kann, die Eltern in innerer Trennung ihre Erziehungsfunktion schlecht erfüllen können. Der Staat versucht durch erhöhte Anforderungen an die Scheidung, die eheliche Gemeinschaft als solche zu schützen, ohne diese aber letztlich gegen den Willen der Freiheitsberechtigten retten zu können. Hier dient die Institution der Ehe nur solange der Freiheitsentfaltung von Ehegatten und Kindern, als sie von den Eltern angenommen wird. Die Kontinuität der Familie kann nur durch ein gemeinsames Sorgerecht der Eltern, aber in getrenntem Umgang des Kindes mit Vater und Mutter gewahrt werden. Unterhaltsregelungen zugunsten des Kindes und des Elternteils, der das Kind betreut, sichern die Kontinuität der finanziellen Grundlage der ursprünglichen Familie. Gleichzeitig muss der Staat den Mitgliedern erleichtern, dass zumindest die neu entstandenen Teilfamilien soweit wie möglich erhalten bleiben. Ist das Erziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern gestört und wird durch Vernachlässigung des elterlichen Erziehungsauftrags die familiäre Gemeinschaft auf die Zerreißprobe gestellt, fordert der Verfassungsauftrag zur Kontinuität nicht nur, die eheliche Gemeinschaft zu erhalten, sondern vor allem der Familie Unterstützung anzubieten, um ein Scheitern zu verhindern. Diese Stütze unterscheidet sich von der Behandlung einer zerfallenden ehelichen Gemeinschaft. Sie ist die notwendige Konsequenz der Unauflöslichkeit der Elternschaft im Gegensatz zur scheidbaren Ehe. Der Freiheitsberechtigte kann sich nicht aus der Verantwortung für sein Kind lösen. Der Staat muss versuchen, den Eltern diese Verantwortung bewusst zu machen und ihre Wahrnehmung im Alltag zu sichern. Die Unterstützung des Staates beginnt mit einer umfassenden Beratung der Familie durch das Jugendamt, um die Konflikte direkt aus dem Weg zu räumen und die Kinder in der Familie zu belassen. Bei bleibenden Schwierigkeiten wird die familiäre Gemeinschaft vorübergehend aufgelöst. Nur in Extremfällen wird zum Wohl des Kindes das Familienband endgültig zerschnitten (vgl. hierzu Art. 6 Abs. 3 GG).99 Diese staatliche Stütze einer stetigen Familie kann auch die eheliche Gemeinschaft BVerfGE 66, 84 (96) – Unterhalt III. Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 199. 98 BVerfGE 56, 363 (384) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. 99 Vgl. zum Ausgleich zwischen Rechten der Eltern und Rechten des Kindes BVerfGE 55, 171 – Sorgerechtsentscheidung; 60, 79 – Gefährdung des Kindeswohls; Hinz, Manfred, NJW 1983, 377 ff.; BVerfGE 61, 358 – Gemeinsames Sorgerecht; 68, 176 – Pflegefamilie; 72, 122 (138 f.) – Sorgerechtsentzug, Salgo, Ludwig, NJW 1985, 413 ff. 96 97
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
belasten, weil jede Maßnahme in der Familie einen Eingriff in den staatsfreien Raum der Ehe darstellt. Die Kontinuität der unkündbaren Familie hat so Vorrang vor der Kontinuität der scheidbaren Ehe, weil auch der Auftrag zur Kontinuität vor allem dem Wohl des Kindes dient. Im Ergebnis begründet Art. 6 GG eine unauflösliche Familie, aber eine scheidbare Ehe.
VI. Stetige Pflichtenbindung trotz Trennung der Gemeinschaft Bei einer Auflösung oder beim Scheitern der Ehe oder der Erziehungsgemeinschaft der Familie hat der Staat die Freiheitsberechtigten in Pflicht zu nehmen und dabei das Kindeswohl bestmöglich zu verwirklichen. Das Elternrecht ist als einziges Grundrecht im Text des Grundgesetzes auch als Verfassungspflicht ausgestaltet. Diese Elternrechte und –pflichten sind unauflöslich. Eine Ehe hingegen kann geschieden werden, die Eheleute verlieren ihren Status als Ehegatten. Dennoch wirkt auch die Ehe in der Auseinandersetzung des Erworbenen und in Unterhaltsverpflichtungen nach.
1. Elternpflicht und zivilrechtliche Folgewirkungen aus dem Eheversprechen Die selbst gewählte Bindung in Ehe und Familie bedeutet in der Regel für den Einzelnen einen Freiheitsgewinn: Sie erweitert im gemeinsamen Leben mit Ehegatten und Kindern den individuellen Wirkungsbereich der Freiheit. Art. 6 GG schützt die Familie vor allem als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, die Ehe als Lebens- und Erwerbsgemeinschaft. Soweit die Eltern ihren Kindern eine solche Gemeinschaft nicht bieten können, ist bei der Zuweisung der Elternverantwortlichkeit das Elternrecht vor allem als Elternpflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) zu verstehen.100 Scheitert die Ehe, bleibt die eigene Freiheit auch für die Zukunft durch die einmal übernommene Verantwortung beschränkt. Die selbst gewählte Bindung in Ehe und Familie begründet für den Grundrechtsberechtigten auch nach ihrem Bestehen Rechtsfolgen.101 So bleibt die Pflicht der Eltern und Ehegatten zur Sorge für den anderen trotz der Trennung der Gemeinschaft erhalten, für das hilfsbedürftige Kind in gesteigertem Maße wie für den Ehegatten. Die Pflichtenbindung ist für die Eltern in Art. 6 Abs. 2 GG niedergelegt und unterscheidet so das Elternrecht von allen anderen Grundrechten.102 Es ist das einzige Grundrecht, das zugleich ausdrücklich als Pflicht ausgestaltet ist,103 weil El100
BVerfGE 79, 51 (66 f.) – Sorgerechtsprozess; 99, 145 (156) – Gegenläufige Entfüh-
rung. 101 102
Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (33). BVerfGE 24, 119 (143) – Adoption I.
A. Sieben Regeln für das Verhältnis von Ehe und Familie
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ternschaft auf Antwort, dialogisch auf Verantwortung angelegt ist.104 Elternrecht und Elternpflicht verschmelzen zu einer Elternverantwortung,105 die maßgeblich dem Kindeswohl dient und vor allem Rechte des Kindes begründet.106 Für die Ehe folgt das Bestehen der nachehelichen Pflicht zur Sorge für den Partner aus dem bei der Eheschließung eingegangenen Versprechen auf eine lebenslange Gemeinschaft. Im Gegensatz zum Elternstatus, in dem die Teilfamilien die verfassungsrechtlich gewollte Beständigkeit fortsetzen, wird der Status des Ehegatten durch die Scheidung aufgehoben und wirkt nur durch zivilrechtliche Verpflichtungen nach. Hier wird die unterschiedliche Qualität der Beziehungen in einer scheidbaren Ehe und einer unkündbaren Familie besonders deutlich.
2. Primat der Elternpflicht Bei einer Trennung der Ehegatten wirkt das rechtsverbindliche Versprechen lebenslänglicher Bindung zwischen den gleichberechtigten Partnern in Folgepflichten, insbesondere zu Unterhalt und zur Auseinandersetzung des Erworbenen, nach. Die familiären Beziehungen, die durch die Geburt des Kindes entstehen und ohne dessen Willen begründet werden,107 bleiben auch bei einer Trennung der Familie durch den Status der Elternschaft in Teilfamilien bestehen. Sie erfordern deshalb größeres Verantwortungsbewusstsein der Eltern gegenüber ihren Kindern als der Ehegatten untereinander. Auch die Formulierung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hebt die Elternverantwortung gegenüber der Ehegattenverantwortung hervor. Dass die 103 Vgl. zur Dogmatik der besonderen Schutzpflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern: Teil 2, C. III. 2. b). 104 Gröschner, Rolf, in Dreier, Horst, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 2. Auflage, 2004, Art. 6, Rn. 98. 105 BVerfGE 56, 363 (382) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind; 68, 176 (190) – Pflegefamilie. 106 BVerfGE 72, 122 (137) – Sorgerechtsentzug; 80, 81 (90 f.) – Erwachsenenadoption; 99, 145 (156) – Gegenläufige Entführungen; vgl. auch Pieroth, Bodo, in Jarass / Pieroth, GG, Art. 6, Rn. 31. Diese Elternverantwortung geht von der Normalität der Einheit von Familie und Elternschaft aus. Auch wenn Art. 6 Abs. 2 GG für Pflegeeltern gerade nicht gilt, weil diese die mit der Elternverantwortung untrennbar verbundene Pflicht zur Erziehung und Pflege des Kindes nur auf Zeit übernommen haben, bleibt die grundsätzlich unauflösliche Elternschaft als Grundlage der Familie bestehen. Ist bei Pflegeeltern die tatsächliche Bindung an das Kind mit der von natürlichen Eltern vergleichbar, legt Art. 6 Abs. 2 GG auch ihnen zum Wohl des Kindes die Elternpflichten des Art. 6 Abs. 2 GG auf. Im Ausnahmefall der Pflegefamilie sind die Elternpflichten allerdings nicht unauflöslich. Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Unterschied der unkündbaren Familie im Gegensatz zur scheidbaren Ehe bleibt bestehen. 107 Nach Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (185), basiert die Familie im Gegensatz zur Ehe nicht auf einer freiwilligen Entscheidung: „Jedenfalls für die Kinder ist Rechtsgrund ihrer Stellung als Familienmitglieder nicht ihre eigene Entscheidung, sondern das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG.“
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Pflicht zur Erziehung „zuvörderst den Eltern obliegt“, bedeutet nicht nur, dass die Eltern gegenüber anderen Erziehungsträgern und Verantwortlichen eine herausgehobene Stellung besitzen, sondern enthält auch einen Primat der Elternpflicht. Die Pflicht zur Erziehung der Kinder obliegt den Eltern vor allen anderen Pflichten,108 also auch vor der Verantwortung gegenüber dem Ehegatten. Hintergrund der starken Pflichtenbindung der Eltern gegenüber ihren Kindern in Art. 6 Abs. 2 GG ist vor allem die Sorge des Grundgesetzes um das Wohl des Kindes.
VII. Staat in Reserve Die staatliche Gemeinschaft wacht darüber, dass die Eltern ihre Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder ausreichend wahrnehmen. Während die Ehe in Distanz zum Staat sich entfaltet und der Rechtsstaat dort nur allgemein das Recht unter Respekt der Privatsphäre wahrt, obliegt ihm für das schwache, oft hilfsbedürftige Kind ein Wächteramt, das auszuüben ist, wenn das Vertrauen in die verantwortliche Elternschaft erschüttert wird. Der Staat bietet im Konfliktfall eine subsidiäre rechts- und sozialstaatliche Stütze an.
1. Wächteramt gegenüber den Eltern, allgemeiner Schutzauftrag gegenüber den Ehegatten Wenn die Kontinuität der autonomen Gemeinschaft von Ehe und Familie nicht zu wahren ist und der Freiheitsberechtigte seine Pflichtenbindung nicht erfüllt, erfahren Kinder und Ehegatten in der staatlichen Gemeinschaft eine subsidiäre rechts- und sozialstaatliche Stütze. Dabei gibt Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG der staatlichen Gemeinschaft den Auftrag, über die elterliche Erziehung zu wachen, weil das Recht das Kind in der Verantwortung der Eltern belässt und das Kind selbst die Familienbeziehung nicht umgestalten oder kündigen kann. Im Gegensatz dazu trifft den Staat zugunsten des schwächeren Ehegatten nur eine allgemeine, grundrechtlich gewährleistete Schutzpflicht. Das Wächteramt des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG setzt die Autonomie der Eltern voraus. Es ist darauf angelegt, dass die Eltern bereit und in der Lage sind, ihr Erziehungsrecht zum Wohl des Kindes wahrzunehmen. Art. 6 Abs. 2 GG vertraut die Erziehung den Eltern an, weil ihnen diese Aufgabe durch den natürlichen Vorgang von Abstammung und Geburt – unbeeinflusst von der Rechtsordnung – zusteht.109 Die staatliche Gemeinschaft110 wird in Art. 6 Abs. 2 GG lediglich zu 108 Zu dieser doppelten Bedeutung des Primats der Elternpflicht, Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 210 u. 214. 109 Ausnahme ist hier nur die Adoption, die Elternschaft mittels eines Rechtsaktes schafft, vgl. Badura, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 24.
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einer Korrektur grober Fehler ermächtigt. Die elterliche Erziehung wird so zu einer verlässlichen Quelle für Rechtskontinuität, Wertungssicherheit und Gestaltungskraft.111 Bei der Ehe hingegen weist die Verfassung der staatlichen Gemeinschaft keine besondere Wächterrolle zu. Es obliegt dem Staat nur, als actus contrarius zu seiner Mitkonstitution durch den Standesbeamten bei einer von der Verfassung grundsätzlich nicht gedachten Auflösung der Ehe die Scheidung gerichtlich festzustellen und die Schlichterrolle in Streitigkeiten des Unterhalts, des Zugewinn- und Versorgungsausgleichs sowie des Sorgerechts zu übernehmen. Solange das eheliche Band besteht, trifft den Staat nur die allgemeine Schutzpflicht, das Einhalten der Grundrechte zu wahren. Das Verhältnis des Staates zur grundsätzlich staatsfreien, weil freiwillig eingegangenen Ehe unterscheidet sich so von demjenigen zu der dem Wächteramt unterstehenden Familie.112
2. Schutz des schwächsten Gliedes in der Gemeinschaft Die subsidiäre rechts- und sozialstaatliche Stütze dient in Ehe und Familie dem Schutz des schwächsten Mitgliedes der Gemeinschaft. Der Unterschied zwischen der Gleichberechtigung der Ehe und dem Erziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kind fordert deshalb eine höhere staatliche Kontrolle in der Familie als in der Ehe. Das Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG ist eine staatliche Schutzpflicht zugunsten des Kindes und deshalb am Kindeswohl ausgerichtet.113 Ein auf Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG basierender Eingriff kann auch die eheliche Gemeinschaft beeinträchtigen.114 Als Korrektor für grobe Fehler der Eltern hat der Staat allerdings nur dort einzugreifen, wo die von ihm vorausgesetzte, funktionierende Familie ver110 Damit ist die staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG und hier vor allem die gesetzgebende Gewalt gemeint; a.A Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 240, für den in Art. 6 GG die gesamte Staatlichkeit erfasst ist. Die in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG begründete staatliche Erziehungsverantwortung kann aber nur insoweit auf die „gesamte Staatlichkeit“ erstreckt werden, als diese an die Grundrechte gebunden ist. Diese Bindung der staatlichen Gemeinschaft ist notwendig, um das Wächteramt gegenüber dem Elternrecht rechtsstaatlich ausüben zu können. Deshalb sind die Begriffe „gesamte Staatlichkeit“, „staatliche Gewalt“ und „staatliche Gemeinschaft“ gleichbedeutend. Vgl. zum Argument der Grundrechtsbindung: Gröschner, Rolf, in Dreier, GG, Art. 6, Rn. 117. 111 Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 195; vgl. zum Erziehungsauftrag der Schule: Huber, Peter M., BayVbl. 1994, 545 ff. 112 Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (183) 113 Vgl. Jeand’Heur, Bernd, Verfassungsrechtliche Schutzgebote, S. 84 ff.; Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 14 (1980), S. 54 (73). 114 Die Gleichberechtigung der Partner in der Ausgestaltung ihrer Elternverantwortung hat den Preis, dass im Konfliktfall ihre familiäre und eheliche Autonomie durch einen staatlichen Eingriff zugunsten des Kindes gemindert wird, so Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 62, 73.
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sagt115 und das Kindeswohl gefährdet ist.116 Dabei ist der Primat der Eltern, das Kindeswohl zu definieren,117 insoweit hinzunehmen, als das Verhalten der Eltern „bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit“ als „Pflege und Erziehung“ verstanden werden kann.118 Der Staat darf in seiner Garantenstellung die Freiheit der Eltern nicht über die Definition des Kindeswohls aufheben.119 Wenn allerdings durch Scheidung und Trennung der Eltern Teilfamilien zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Vater und Kind entstehen, die nur noch durch eine nachwirkende, rudimentär gemeinsame Elternverantwortung verbunden sind, ist das Ordnungsmandat des Staates in besonderer Weise herausgefordert. Dort, wo nicht die Ehe der Eltern und das Eltern-Kind-Verhältnis in der gleichen Familie aufgehoben sind, wächst der Ermessensspielraum des Gesetzgebers und es können konkrete Interventionen zugunsten des Kindes häufiger notwendig werden.120 Je weniger die Eltern in der gemeinsamen Elternverantwortung verbunden sind, desto mehr kann der Staat berufen sein, das Wohl des Kindes aus möglichen Konflikten der Eltern herauszuhalten.121 In der Funktion als Wächter bietet die staatliche Gemeinschaft den Eltern zunächst abgestuft Hilfe und Unterstützung an, damit sie ihrer Verantwortung selbst gerecht werden können. Nur wenn die Familiengemeinschaft endgültig gescheitert ist, muss als Ausgleich ein Angebot einer anderen kindeswohlgerechten Lebensgemeinschaft (beispielsweise in Teil- oder auch in Pflegefamilien) entfaltet werden.122 Das Wächteramt zugunsten des Kindes bedeutet darüber hinaus Schutz vor staatlicher Bevormundung. Der Gesetzgeber als primärer Adressat des Wächteramtes muss zivilrechtliche Regelungen treffen, die der natürlichen elterlichen Verantwortung gerecht werden und diese beim Entwurf des Gesamtplans ihrer Erziehung gegen die Erziehungsbestrebungen – und ziele von Schulen oder Religionsgemeinschaften abschirmen.123 Gleichzeitig muss der Staat zwischen Eltern und Gusy, Christoph, JA 1986, 183 (183) Die Wesentlichkeitslehre gebietet, dass jeder Eingriff in die elterliche Betätigung der Eltern seine Grundlage in einem formellen Gesetz finden muss. Diese demokratische Legitimation ist notwendig, weil Art. 6 Abs. 2 GG auch das Grundrecht der Eltern auf Erziehung enthält. Vgl. Jestaedt, Matthias., Bonner Kommentar, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 201. 117 Vgl. zum „Interpretationsprimat“ Ossenbühl, Fritz, DÖV 1977, 801 (806), s. auch Stern, Erwin, in Stern, / Joest / Dombois, S. 5 (55 ff.). 118 Isensee, Josef, Elternrecht, in Staatslexikon Band II, Sp. 222 (237); so auch Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 95. 119 BVerfGE 24, 119 (144) – Adoptioin I; 60, 79 (94) – Gefährdung des Kindeswohls. 120 Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 101. 121 Die Schwierigkeiten einer Werte vermittelnden Erziehung, denen Eltern heute angesichts der steigenden Scheidungszahlen und der vielfach verfassungswidrigen, wirtschaftlichen Belastung der Familien ausgesetzt sind, betont auch: Huber, Peter M., BayVbl. 1994, 545 (545). 122 BVerfGE 79, 51 (66 f.) – Sorgerechtsprozess; 99, 145 (156) – Gegenläufige Entführung, vgl. auch Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 248. 123 Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 24. 115 116
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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Schulen ein sinnvolles Zusammenwirken fördern,124 weil die Schule als staatlicher Erziehungsträger ein für den freiheitlichen und demokratischen Verfassungsstaat unabdingbares Mindestmaß an Homogenität in den Wertvorstellungen vermitteln kann und dadurch andere verfassungsrechtliche Grundentscheidungen wie das Demokratieprinzip, den Sozialstaatsgrundsatz oder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit absichert.125 Das staatliche Wächteramt kann nicht die Stetigkeit von Ehe und Familie sichern, wohl aber den Schwachen in gescheiterten oder gefährdeten Ehen und Familien schützen und für die Zukunft stärken.
B. Die Verdeutlichung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber Dem Gesetzgeber steht als demokratisch unmittelbar legitimiertem Staatsorgan die Rolle des „Erstinterpreten der Verfassung“ zu.126 Vor allem die verfassungsrechtlich gewährleisteten Einrichtungsgarantien von Ehe und Familie geben ihm die Aufgabe, diese durch seine konkrete Ausgestaltung mit Leben zu füllen und die verfassungsrechtlichen Ziele einfachgesetzlich umzusetzen. Als Rechtsinstitute werden Ehe und Familie so gewährleistet, wie sie historisch gewachsen sind und sich kontinuierlich entwickelt haben, insoweit ihren Ausdruck im bürgerlichen Recht finden.127 Allen voran ist es der Gesetzgeber, der das verfassungsrechtliche Verhältnis von Ehe und Familie verdeutlicht und die Spannungslagen zwischen Ehe und Familie nach den Vorgaben des Grundgesetzes auflösen muss. Den Binnenbereich in Ehe und Familie zeichnet er im Zivilrecht nach. Das bürgerliche Recht gibt so einen Anhaltspunkt für das grundrechtliche Schutzgebot von Ehe und Familie, ohne den Inhalt der Rechtsinstitute in jeder Hinsicht festzulegen und den Regelungsauftrag des Gesetzgebers zu erschöpfen.128 Die unterschiedlichen Anforderungen an den Schutz- und Förderauftrag des Art. 6 GG erfüllt er vor allem im Steuer- und Sozialrecht. So lassen sich die verfassungsrechtlichen Regeln zum 124 BVerfGE 34, 165 (Leitsatz 4, 183) – Hessische Förderstufe. „Die Schule muss die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten. Allerdings verlangt die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, ein sinnvolles Zusammenwirken beider. 125 So Huber, Peter M., BayVbl. 1994, 545 (545 f.), der die Fähigkeit des Staates zur Vermittlung von Werten in Schulen hervorhebt, vgl. zur Gleichrangigkeit von elterlichem Erziehungsrecht und schulischem Erziehungsauftrag: ebenda, 545 (549). 126 Vgl. zu diesem Begriff: BVerfGE 101, 158 (236) – Länderfinanzausgleich III. 127 Vgl. BVerfGE 31, 58 (82 f.) – Spanier-Beschluss; 53, 224 (225) – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip). 128 Badura, Peter, in Maunz / Dürig, GG, Art. 6, Rn. 33.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Verhältnis von Ehe und Familie anhand des die Verfassung interpretierenden Zivil-, Sozial- und Steuerrechts noch einmal verdeutlichen. Gerade im Bereich des besonderen Schutzes von Ehe und Familie besteht für das Parlament noch Handlungsbedarf.129 Den Verfassungsauftrag, das Verhältnis von Ehe und Familie im Fall des Scheiterns einer der Gemeinschaften auszugestalten, hat es durch zivilrechtliche Regelungen weitgehend erfüllt.
I. Getrennter Schutz von Ehe und Familie 1. Zivilrechtliche Entkoppelung von Ehe und Familie Der Gesetzgeber hat mit den am 1. 7. 1998 in Kraft getretenen Reformgesetzen zugunsten eines einheitlichen Kindschaftsrechts130 die gesellschaftliche und in der Verfassung angelegte Entkoppelung von Ehe und Familie im Zivilrecht nachgezeichnet. Er hat nichteheliche Kinder mit den ehelichen Kindern im Familienund Erbrecht weitgehend gleich gestellt. So wurden die besonderen Regelungen für das nichteheliche Kind im Unterhalts-, Sorge- und Erbrecht (§§ 1615a ff., 1634 ff., 1705 ff., 1934a ff. BGB) aufgehoben und die Rechtsstellung des Kindes unabhängig von einer Ehe seiner Eltern ausgestaltet.131 Für die Zuordnung zur ersten Ordnung der Erbfolge spielt es keine Rolle mehr, ob die Kinder ehelich oder nichtehelich geboren sind. Das nichteheliche Kind hat gegen seine Eltern den gleichen Unterhaltsanspruch wie ein eheliches. Die Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern beruht allein auf dem Verwandtschaftsverhältnis, es kommt nicht darauf an, ob die Eltern miteinander verheiratet sind, ob sie in häuslicher Gemeinschaft oder getrennt leben. Für den Kindesunterhalt spielt es auch keine Rolle, ob beiden Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zusteht. Nach § 1601 BGB haben Kinder einen festen Anspruch, dessen Höhe sich nach den individuellen Lebensverhältnissen der Familie richtet, die für den Barunterhalt eines getrennt lebenden Elternteils in Bedarfstabellen pauschaliert werden.132 Unterschiede gibt es nur Vgl. I. bis IV. und Teil 4. Das Kindschaftsrechtreformgesetz vom 16. 12. 1997 gestaltete ein einheitliches Kindschaftsrecht auf den Gebieten der elterlichen Sorge, des gegenseitigen Umgangs von Eltern und Kind, des Abstammungs-, Namens- und Adoptionsrechts. Das Beistandschaftsgesetz vom 4. 12. 1997 ersetzte das Rechtsinstitut der gesetzlichen Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder durch eine freiwillige Beistandschaft im Gerichtsverfahren durch das Jugendamt. Das Kindesunterhaltsgesetz vom 6. 4. 1998 erleichterte die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen des Kindes. Das Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 16. 12. 1997 schließlich stellte eheliche und nichteheliche Kinder erbrechtlich gleich, vgl. zusammenfassend Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 449; Schlüter, Wilfried, Familienrecht, Rn. 259 ff. 131 Vgl. zur Notwendigkeit, den früheren § 1615c BGB ersatzlos zu streichen, insbesondere zur Verfassungswidrigkeit der Mittelwerttheorie: Wolff, Heinrich Amadeus, FamRZ 1995, 1536 (1538). 132 In der Regel sind hier die Düsseldorfer Tabelle oder die Süddeutschen Leitlinien der Maßstab. 129 130
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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noch132a für den Unterhalt der nicht mit dem Vater verheirateten Mutter im Gegensatz zum Unterhalt der Kinder erziehenden Ehefrau. Die Vorschriften über die Legitimation nichtehelicher Kinder wurden überflüssig. Um klare Verhältnisse für das Kind zu schaffen, bleibt allerdings die Regelung des § 1592 Nr. 1 BGB bestehen, wonach der mit der Mutter des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt verheiratete Mann automatisch der Vater des Kindes wird.133 Um der Einheit der auf der Ehe gegründeten Familie willen erspart der Gesetzgeber hier ausführliche Nachforschungen. Insbesondere ist nur noch der Zeitpunkt der Geburt maßgeblich. Die Beiwohnungs- und Empfängnisvermutungen der §§ 1591, 1592 BGB a.F. sind entfallen.134 Auch im gerichtlichen Verfahren wurde das Schlichten von Streitigkeiten zwischen den Ehegatten von ihrer Beziehung zu den gemeinsamen Kindern getrennt. Während nach altem Recht die Scheidung der Eltern hinreichender Anlass war, über das Sorgerecht in jedem Fall familiengerichtlich zu entscheiden, entfällt seit der Kindschaftsrechtsreform der Entscheidungsverbund von Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren. Das Sorgerechtsverfahren kann fakultativ als isoliertes Verfahren durchgeführt werden. Die Scheidung der Eltern ist aber nicht mehr Anlass für eine notwendige gerichtliche Entscheidung über eine dem Kindeswohl förderliche Sorgerechtsregelung (§ 1671 BGB).135
2. Strukturschutz der Ehe und Förderung der Familie im Zivil- und Einkommensteuerrecht Die Grundwertungen des Familienrechts entsprechen der verfassungsrechtlichen Struktur der Ehe als Gemeinschaft des Erwerbs.136 Das gemeinsame Wirtschaften der Eheleute in einer grundsätzlich auf Lebenszeit geschlossenen Beziehung zeichnet der Gesetzgeber in den Regelungen des Zugewinnausgleichs und der Unterhaltsverpflichtung während und nach der Ehe nach, die der wirtschaftlichen Grundlage der normalen Ehe entsprechen. Die Eheleute schließen eine Gemeinschaft auf Lebenszeit, die in der gegenseitigen Verantwortung in § 1353 BGB ihren einfachgesetzlichen Niederschlag findet. § 1357 BGB gestaltet das Rechtsinstitut in wirtschaftlicher Hinsicht aus, indem er die Ehegatten für die alltäglichen Geschäfte der Haushaltsführung wirtschaftlich ausrüstet und ihnen erspart, bei jedem Geschäft zur Deckung des gemeinsamen Lebensbedarfs die Zustimmung des anderen Partners einzuholen.137 Im Regelfall der Zugewinngemeinschaft ist die Ver132a
Vgl. aber zur Verfassungswidrigkeit des § 1615l BGB: BVerfG NJW 2007, 1735 ff. – Dauer des Betreuungsunterhalts. Dem Gesetzgeber wurde aufgetragen, bis Ende 2008 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. 133 Vgl. hierzu ausführlich in Teil 1 B. II. 3. a) aa). 134 Schlüter, Wilfried, Familienrecht, Rn. 271. 135 Vgl. ausführliche Darstellungen bei Schwab, Dieter, FamRZ 1998, 456 ff.; siehe auch rechtsvergleichend: Kostka, Kerima, S. 10. 136 BVerfGE 61, 319 (345 ff.) – Ehegattensplitting. 13 Nesselrode
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
fügungsmacht über das eigene Vermögen zum Schutz des Ehegatten beschränkt (§§ 1365 ff. BGB), bei Auflösung der Ehe wird im Zugewinn- und Versorgungsausgleich der unterschiedliche Vermögenszuwachs während der Ehe ausgeglichen. Der überlebende Ehegatte hat ein gesetzliches Erbrecht, solange testamentarisch nichts anderes bestimmt ist. So vermeidet die zivilrechtliche Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Ehe mögliche Konfliktfelder im ehelichen Zusammenleben und findet Typisierungen, die auf der Lebenserfahrung vieler ehelicher Gemeinschaften aufbauen. Der Gesetzgeber hat die Struktur der autonomen Erwerbsgemeinschaft der Ehe daneben auch im Ehegattensplitting im Einkommenssteuerrecht nachgezeichnet. Der Grundsatz der Individualbesteuerung führt in der Erwerbsgemeinschaft der Personen- und Kapitalgesellschaft zu einem Splitting. Dementsprechend wird das in der Erwerbsgemeinschaft der Ehe erzielte Einkommen bei jedem Ehegatten zur Hälfte besteuert. Dieses Verfahren gibt den Eheleuten die Freiheit, die Aufgaben der Haushalts- und der Erwerbstätigkeit eheintern aufzuteilen.138 Das Splittingverfahren ist nach dem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Zweck Ausdruck der Gleichwertigkeit der Arbeit von Mann und Frau, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Haus- oder Berufsarbeit handelt.139 Ohne die Möglichkeit des Splittingverfahrens könnten die Ehegatten nicht autonom über die Aufgabenverteilung in der Ehe entscheiden.140 Das Splitting ist deshalb „keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung“, sondern „unbeschadet der näheren Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung.“141 Dass sich die zivilrechtlichen Regelungen zur Familie vor allem auf die Normierung des Unterhalts und der elterlichen Sorge beschränken, lässt erkennen, dass die 137 Vgl. zu § 1353 BGB: BVerfGE 81, 1 (6 ff.) – Schlüsselgewalt; Kingreen, Thorsten, Jura 1997, 401 (403). 138 BVerfGE 61, 319 (347) – Ehegattensplitting; „Das Splitting ermöglicht für die Eheleute die Entscheidungsfreiheit darüber, ob einer alleine ein möglichst hohes Familieneinkommen erwirtschaften und sich deshalb in seinem Beruf voll engagieren möchte, während der andere Partner den Haushalt führt, oder ob stattdessen beide Partner sowohl im Haushalt als auch im Beruf tätig sein wollen.“ Vgl. auch BVerfGE 99, 216 (240) – Gegenseitige Entführungen. 139 BVerfGE 61, 319 (346) – Ehegattensplitting unter Bezugnahme auf BT-Drucks. III / 260, S. 34 und BT-Drucks. 7 / 1470 S. 222. 140 Das Splitting entspricht nicht nur der zivilrechtlichen Gütergemeinschaft, sondern auch dem Normalfall der Zugewinngemeinschaft, weil eine intakte Ehe unabhängig vom Güterstand eine Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs bildet, so Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 784; Lang, Joachim, StuW 1983, 103 (114), vgl. zur Kritik: Böckenförde, Ernst-Wolfgang, StuW 1986, 335 (339); Tipke, Klaus / Lang, Joachim, Steuerrecht, S. 321; vgl. zur Verfassungswidrigkeit eines steuerrechtlichen Eingriffs in die autonome Ausgestaltung der Ehe: Seiler, Christian, EStG KompaktKommentar, § 26, Rn. 2; Vogel, Klaus, StuW 99, 201 (208 ff.). 141 BVerfGE 61, 319 (347) – Ehegattensplitting.
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Verfassung eine Vielzahl von familiären Lebensmustern zulässt, gleichzeitig aber den Elternstatus als Ausgangspunkt nimmt, um das Erziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kind auszugestalten. Da der Schutz der Familie sich vor allem in ihrer Förderung ereignet, richtet sich für die Familie das Augenmerk auf das Sozial- und Steuerrecht. Den Fördergedanken hat der Gesetzgeber im Familienlastenausgleich der §§ 31, 62 EStG aufgenommen. Weil die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern sich um die Höhe des Kindesunterhalts verringert, ist dieser für die Eltern nicht disponibles Einkommen und deshalb nicht steuerbar.142 Der Unterhaltsaufwand für Kinder bleibt steuerlich außer Betracht.143 Diese Minderung der Leistungsfähigkeit durch den Kindesunterhalt wird im Einkommenssteuerrecht nach Maßgabe eines Optionsmodells berücksichtigt.144 Danach wird das Kindergeld in Höhe von 154 Euro monatlich im laufenden Kalenderjahr steuerfrei als Steuervergütung bezogen (§ 31 Satz 3 EStG). Dieses Kindergeld gilt als Vorausleistung auf die Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG. Nach Ablauf des Kalenderjahres wird von Amts wegen geprüft, ob durch das Kindergeld die Steuerfreistellung des Existenzminimums des Kindes erreicht worden ist. Falls dem nicht so ist, werden die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abgezogen (§ 31 Satz 4 EStG).145 Dieser Kinderfreibetrag beträgt für den Veranlagungszeitraum des Jahres 2007 3648 Euro (§ 32 Abs. 6, Satz 1, Hs. 1, 2 EStG) und dient der Steuerfreiheit des sächlichen Existenzminimums der Kinder. Daneben wird seit dem Jahr 2002 auch ein Betreuungs-, Erziehungs- und ein Ausbildungsbedarf in Höhe von 2160 Euro zusätzlich gewährt. In § 32 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. EStG wurde den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts146 Rechnung getragen, dass zum Existenzminimum eines Kindes im Gegensatz zum notwendigen Lebensbedarf eines Erwachsenen nicht nur ein sächlicher Bedarf gehört, sondern finanzielle Aufwendungen für die Betreuung und Erziehung hinzukommen. Der Erziehungsbedarf deckt die Aufwendungen, die Eltern aufzubringen haben, „um dem Kind eine Entwicklung zu ermöglichen, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt.“ Der Betreuungsbedarf entsteht durch die Finanzierung einer Fremdbetreuung oder durch den Einkommensverzicht eines Elternteils.147 Allerdings wurde diese Regelung durch die Einführung der §§ 4 f., 9 142 Art. 6 GG fordert, die Steuer nach dem verfügbaren Einkommen zu berechnen, also nicht die Einkünfte, sondern das um die existenzsichernden Aufwendungen geminderte Einkommen zu belasten. Der Gesetzgeber darf die durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern entstehenden wirtschaftlichen Belastungen nicht außer Acht lassen, so BVerfGE 43, 108 (129) – Kinderfreibeträge; 61, 319 (344) – Ehegattensplitting. 143 BVerfGE 99, 246 (260) – Familienleistungsausgleich; 99, 216 (233) – Kinderbetreuungskosten. Die Berechnung erfolgt nach dem Bedarf, nicht nach dem Aufwand. 144 Vgl. dazu BMF BStBl. I 98, 347 Tz. 1. 145 Vgl. Jachmann, Monika, EStG KompaktKommentar, 4. Auflage, 2004, § 31, Rn. 1. 146 BVerfGE 99, 216 – Kinderbetreuungskosten. 147 Zum Betreuungsbedarf als Bestandteil des Familienexistenzminimums vgl. BVerfGE 99, 216 (233) – Kinderbetreuungskosten. Diskussion bei Arndt, Hans-Wolfgang / Schumacher, Andreas, NJW 1999, 745 ff.; Lange, Klaus, ZRP 2000, 415 ff.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5, 8 EStG entwertet. Diese erlauben einen zusätzlichen Abzug nachgewiesener Kinderbetreuungskosten, verdoppeln die leistungsfähigkeitsmindernde Wirkung desselben Aufwands und widmen die Regelung des § 32 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 faktisch in einen allgemeinen, betreuungsunabhängigen Freibetrag um.148 Die Neuregelung legt die Präferenz auf eine Fremdbetreuung der Kinder und greift so in die Erziehungsautonomie der Eltern ein.149 Der Versuch des Gesetzgebers, die steuerrechtlichen Normen bei größeren Familien (mit in der Regel nur einem verdienenden Familienmitglied) anders auszugestalten als bei kinderlosen und doppelt verdienenden Ehepaaren und damit die Familie nach ihrer Eigenart anders zu schützen als die Ehe, ist bis jetzt nur insoweit geglückt, als die Instrumentarien des Ehegattensplittings einerseits und des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs andererseits das unterschiedliche Schutzbedürfnis von Ehe und Familie jeweils berücksichtigen. Zugunsten der Familie ist der Förderauftrag aber noch nicht erfüllt. Hier besteht Reformbedarf, der sich nicht zulasten der Ehe auswirken darf. Dabei würde es gerade dem strukturellen Unterschied von Ehe und Familie widersprechen, würde die notwendige Entlastung der Familie dadurch erreicht, dass das Splittingverfahren der Ehe durch zusätzliche Splittingdivisoren für jedes Kind auf die Familie erstrecken würde. Ein solches Familiensplitting würde sich zwar positiv auf die wirtschaftliche Lage der Familie auswirken, widerspräche aber der Struktur der Familie als Unterhaltsgemeinschaft. Nur zwischen Ehegatten, nicht aber zwischen Eltern und Kindern besteht wirtschaftlich und familienrechtlich eine Erwerbsgemeinschaft. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist keine Gemeinschaft des Erwerbs,150 sondern stellt lediglich ein (zunächst einseitiges) Unterhaltsverhältnis dar, in dem eine partnerschaftliche Entscheidung für die familiäre Aufgabenverteilung von vorne herein nicht in Betracht kommt.151 Zwar haben die Kinder am Lebensstandard der Eltern teil152 und bilden mit ihnen eine Gemeinschaft des Verbrauchs. Sie bringen aber keine Arbeitsleistung und keine Einkünfte in die Familiengemeinschaft ein, tragen nicht anteilig zum Familieneinkommen bei, so dass es nichts gibt, was im Splittingverfahren zu teilen wäre.153 Der Gesetzgeber hat den Auftrag der Verfassung, Ehe und Familie getrennt voneinander zu schützen, in der unterschiedlichen Gestaltung im einfachen Recht erfüllt. Splitting und Kinderlastenausgleich betreffen unterschiedliche verfassungsrechtliche und wirtschaftliche Seiten von Ehe und Familie, die in einer intakten Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1720). Siehe hierzu: Teil 3, B. II. 2 und B. IV. 2. und Teil 4, A. II. 2. a). 150 Raupach, Arndt, Der Niedergang des deutschen Einkommensteuerrechts, S. 118, ähnlich Gottwald, Peter, , DStR 1987, S. 19. 151 BVerfGE 61, 319 (346) – Ehegattensplitting. 152 Haller, Heinz, S. 27 f. 153 Vgl. zur Vereinbarkeit des Familiensplittings mit Art. 6 GG: Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (36); Kirchhof, Paul, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 21, 1986, 117 (124); Lecheler, Helmut, DVBl. 1986, 905 (911). 148 149
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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Vollfamilie zusammenlaufen: Das Splitting erleichtert in der Ehe die Entscheidung, auf ein Einkommen zu verzichten, der Familienleistungsausgleich bringt den mit der Kindererziehung anfallenden Unterhaltsaufwand in Ansatz – also eine zusätzliche ökonomische Belastung der Eltern. Das Splitting betrifft so das Schutzgut der Ehe, der Leistungsausgleich gestaltet das Schutzgut der Familie aus.154
II. Hervorheben der Gemeinschaften von Ehe und Familie ohne Konkurrenz 1. Besonderer Schutzauftrag ist unerfüllt Mit der Ausgestaltung des besonderen Schutzauftrages, welcher der Ehe einen hervorgehobenen Strukturschutz, der Familie finanzielle Förderung zuteil werden lässt, tut sich der Gesetzgeber schwer. Ein Blick auf die zivil- und steuerrechtlichen Regelungen macht deutlich, dass hier – wenn überhaupt – allein das Benachteiligungsverbot umgesetzt wird. Eine differenzierende Anknüpfung an die besonderen Eigenschaften von Ehe und Familie (Differenzierungsgebot), die Ausformung des Abstandsgebots gegenüber anderen Gemeinschaften oder sogar eine Privilegierung von Ehe und Familie (besondere Förderpflicht) ist nicht zu erkennen:155 Im Steuerrecht wird den Ehegatten die Möglichkeit des Ehegattensplittings eingeräumt, damit sie die Aufgabenverteilung in ihrer Ehe autonom ausgestalten können. Gleichzeitig treten sie gegenüber dem Staat gemeinsam als Erwerbs- und Lebensgemeinschaft auf und werden so anderen Erwerbsgemeinschaften wie der KG, der OHG oder der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gleichgestellt, indem sie die gleichen Vorteile durch Freibeträge und eine verminderte Steuerprogression erhalten. So ist das Splittingverfahren eine Regelung, die dem Abbau von Nachteilen der Ehe gegenüber anderen Gemeinschaften dient, sie ist keine Förderung dieser menschlichen Verbindung im Sinne des besonderen Schutzauftrages des Art. 6 GG. Auch die steuerlichen Regelungen zugunsten der Familie erkennen die Leistungen dieser Erziehungsgemeinschaft nicht in besonderer Weise an. Im Familienlastenausgleich in der Kombination von Kindergeld und Freibeträgen für das sächliche Existenzminimum und für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsaufwand für Kinder (§§ 32, 61 EStG) wird allein versucht, die Eltern den kinderlosen Personen mit gleichem Einkommen – horizontal – gleichzustellen 156 und so Eltern nicht zu benachteiligen. Eine „besondere“ Förderung im Sinne des Art. 6 GG wird der Familie nicht zuteil. Die Vorgaben eines Familienleistungsausgleichs müssten – neben dem Familienlastenausgleich – die Familie für die besonderen Leistungen entschädigen, die sie für Staat und Gesellschaft durch die Erziehung der Kinder 154 155 156
Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 785. Vgl. zu den einzelnen Inhalten des besonderen Schutzauftrages 2. Teil, C III. 2. Kirchhof, Paul, Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft in ihren Kindern, S. 193 ff.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
erbringt. Darüber hinaus werden durch dieses Modell die finanziellen Belastungen der Kindererziehung nur ansatzweise ausgeglichen, so dass der Gesetzgeber auch hinter dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Benachteiligungsverbot zurück bleibt. Kindergeld und Freibeträge nach §§ 61, 32 EStG reichen nicht aus, den sächlichen Bedarf der Kinder für den unterhaltspflichtigen Steuerschuldner aufzufangen, die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten nach §§ 4 f., 9 Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5, 8 EStG dient in erster Linie dazu, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern,157 eine besondere Förderung der Familiengemeinschaft als solche ist darin nicht zu sehen. Im Zivilrecht läuft die Gesetzgebung teilweise dem verfassungsrechtlich gebotenen besonderen Schutz der Ehe zuwider. Insbesondere verstößt das Lebenspartnerschaftsgesetz entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts158 gegen das Abstandsgebot,159 weil der Gesetzgeber die gleichgeschlechtliche Partnerschaft als umfassende Lebens- und Zugewinngemeinschaften mit Unterhalts- und Einstandspflichten ausgestaltet und sich nicht nur auf punktuelle Annäherungen an die gesetzlichen Regelungen zur Ehe beschränkt hat. Zwar steht es im gesetzgeberischen Ermessen, einen gesellschaftlichen Wandel zur Anerkennung homosexueller Paare zu berücksichtigen und einer Diskriminierung in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Allerdings muss er sich auf Regelungen der Zusammengehörigkeit wie Auskunfts-, Zeugnisverweigerungs- und Besuchsrechte in Krankenhaus und Haft beschränken.160 Die Regelungen zum Unterhalt, zur Zugewinngemeinschaft und zur Scheidung sind Ausfluss des Kernbestands der Ehe, die verfassungsrechtliche Exklusivität genießen. Der Gesetzgeber darf seinen Gestaltungsraum nicht dadurch überdehnen, dass er andere Gemeinschaften aufwertet und so den besonderen Schutz der Ehe egalisiert. Eine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare kann nicht dadurch verhindert werden, dass ihnen alle Rechte zugunsten der Ehegatten zuteil werden und sie so am kulturhistorischen Lebenswert der Institution der Ehe partizipieren.161 Diese kulturelle Bedeutung hat gerade nur die Ehe, die deshalb ein nicht kopierbares Ansehen in der Gesellschaft genießt. Die Gleichstellung von anderen Formen von Lebensgemeinschaften mit der Ehe verletzt das Gebot des „besonderen Schutzes“, weil diese menschlichen Beziehungen die besonderen Aufgaben der Ehe – auch als Grundstein für die Familie – nicht erfüllen können und deshalb deckungsgleiche Regelungen die verfassungsrechtlich gebotene Exklusivität aufheben. So besteht zugunsten des besonderen Schutzes von Ehe und Familie im Zivil- und Steuerrecht ein Reformbedarf, der für jedes Rechtsinstitut unterschiedlich zu verwirklichen ist. Vgl. hierzu ausführlich: Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1719 ff.). BVerfGE 105, 313 – Lebenspartnerschaftsgesetz; für die Verfassungsmäßigkeit des LPartG auch: Beck, Volker, NJW 2001, 1894 ff. 159 Merten, Detlef, Eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften, S. 619, spricht von einem „Privilegierungsgebot“. 160 Ebenso Pauly, Walter, NJW 1997, 1955 (1956). 161 Vgl. Diederichsen, Uwe, NJW 2000, 1841 (1843). 157 158
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2. Schutzbedürfnis unabhängig vom Einkommen Den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz darf jede Ehe und jede Familie erwarten. Art. 6 GG ist weder eine besondere Ausprägung des Sozialstaatsprinzips, der nur sozial schwachen Gemeinschaften zugute kommt, noch kann er als Rechtfertigung dienen, die Erziehungsleistung von Besserverdienenden in besonderer Weise zu entlohnen. Er gilt für jede Ehe und jede Familie, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Gesetzliche Ausprägungen dieses Gleichheitsgebots finden sich im Steuerrecht. Das am 01. 01. 2007 eingeführte Elterngeld fördert hingegen vor allem Besserverdiener. Das Splittingverfahren versucht, Eheleute mit einem verdienenden Partner den Doppelverdienern gleichzustellen. Weil es nicht begrenzt wird, vermeidet es eine Bevorzugung verheirateter und unverheirateter Doppelverdiener gegenüber anderen, ehelichen Lebensformen mit gleichem Gesamteinkommen.162 Gleichzeitig schafft es auch eine Gleichbehandlung in der Progressionszone zwischen Ehegatten mit Einkommen aus Arbeit und Eheleuten mit Kapitaleinkünften. Beide Paare sind Erwerbsgemeinschaften, letztere können aber durch vertragliche Aufteilung ihres Gesamteinkommens die Steuerprogression mit dem gleichen Effekt wie beim Ehegattensplitting senken, was für die Masse der Arbeitnehmer nicht möglich ist.163 So ist das Ehegattensplitting auch ein einfachgesetzlicher Ausdruck für die Gleichwertigkeit jeder Ehe, unabhängig davon, mit welcher Einkunftsart die Ehegatten ihr Einkommen erzielen. Auch die Regelungen zur Familienbesteuerung stellen in ihrer Typisierung arme und reiche Familien gleich, indem sie für jede Familie einheitliche Freibeträge für das sächliche Existenzminimum und für den Erziehungs-, Betreuungs- und Ausbildungsbedarf jedes Kindes vorsehen (§ 32 Abs. 6 EStG). Dem alle Familien erfassenden Schutzgebot des Art. 6 GG entspricht es, wenn das durch die Freibeträge markierte Existenzminimum für jedes Kind in gleicher Höhe gewährt wird. Insoweit sind Kinder aus armen und reichen Familien steuerrechtlich gleichgestellt. Erst bei einem über das Existenzminimum hinausgehenden Einkommen behandelt das an der Leistungsfähigkeit orientierte Steuerrecht gut und schlecht verdienende Familien unterschiedlich, in gleichem Maß, wie es sonst gut und schlecht verdienende Steuersubjekte unterschiedlich behandelt. Wer nach Familienrecht den das steuerliche Existenzminimum übersteigenden Unterhaltsbetrag zu bezahlen hat, hat diesen aus versteuertem Einkommen zu erbringen, während die im Rahmen des Existenzminimums verbleibende Einkommenssteuerpflicht aus in voller Höhe unversteuertem Einkommen aufgebracht werden kann. Einen Fremdkörper in diesem System bildet hingegen die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten nach §§ 4 f., 9 Abs. 5 Satz 1 EStG. Durch die legislative Qualifikation der Kinderbetreuungskosten als erwerbsbedingter Aufwand werden die Lebensformen der Doppel162 163
Seiler, Christian, EStG KompaktKommentar, § 26, Rn. 5. BVerfGE 61, 319 (347 f.) – Ehegattensplitting.
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verdiener- und der Alleinerzieherfamilien gegenüber der Einverdienerfamilie bevorzugt,164 § 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG sucht diese Ungleichbehandlung teilweise auszugleichen, der systematische Fehler wird dadurch aber nicht behoben. In eine Spannungslage mit dem im Vergleich verschiedener Familien zu wahrenden Gleichheitssatz gerät auch das Elterngeld. Es wird als Lohnersatzleistung einkommensabhängig gewährt und unterstützt deshalb in erster Linie Doppelverdienerpaare und zuvor beruftätige Alleinerziehende. Nur derjenige erziehende Elternteil, der vor der Geburt Einkommen bezogen hat, erhält für das erste Lebensjahr des Kindes ein Elterngeld in Höhe von maximal 67 Prozent seines in den letzten zwölf Monaten durchschnittlich erzielten Nettoerwerbseinkommens, höchstens 1800 Euro im Monat (§ 2 BEEG). Einverdienerfamilien, in denen der betreuende Ehegatte weiterhin die Betreuung übernimmt, und Erwerbslose werden auf einen Mindestbetrag von 300 Euro verwiesen (§ 2 Abs. 5 BEEG). Das Elterngeld übernimmt so die Funktion eines besonderen Arbeitslosengeldes, das Gebot einer generellen Familienförderung wird nicht erfüllt. 3. Gegeneinander Ausspielen in der politischen Diskussion In der öffentlichen Diskussion wird der Schutz von Ehe und Familie oft gegeneinander ausgespielt. Insbesondere im Steuerrecht steht das Ehegattensplitting in der Kritik, dem Staat die finanziellen Mittel zu kosten, die ihm für die Förderung der Familie fehlen. Die Ausführungen haben gezeigt, dass es verfassungsrechtlich widersinnig ist, das Ehegattensplitting als einfachgesetzliche Ausgestaltung des Schutzes der Ehe dem Familienleistungsausgleich als Ausgestaltung des Schutzes der Familie entgegenzustellen. Dadurch würden „Äpfel mit Birnen verglichen“.165 Man muss sich davon verabschieden, finanzielle Mittel nur innerhalb eines Ressorts eines Ministeriums neu aufzuteilen. Vielmehr muss der staatliche Gesamthaushalt mehr Mittel für Ehe und Familie bereitstellen. Beide Rechtsinstitute sind für Staat und Gesellschaft wichtig, beiden muss ein besonderer Schutz zuteil werden.
III. Zivilrechtliche Verknüpfungen von Ehe und Familie als Ausdruck der Einheit 1. Rechtsbeziehungen in der Familienerbfolge und im Ehegattenerbrecht Die Einheit von Ehe und Familie stellt der Gesetzgeber im Erb- und Familienrecht durch eine Vielzahl von Rechtsbeziehungen zwischen Kindern und Ehegatten 164 165
Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1720). Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 791.
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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her. Die lebenslangen ehelichen und verwandtschaftlichen Beziehungen einer intakten Vollfamilie finden über den Tod hinaus ihren Ausdruck im erbrechtlichen Prinzip der Familienerbfolge, wonach das Vermögen kraft Gesetzes auf die Familie übergeht.166 Die Kinder werden als Erben erster Ordnung zu gleichen Teilen als Erben berufen (§ 1924 Abs. 4 BGB). Um die Versorgung der Ehegatten nach dem Tod des Erblassers sicherzustellen und auch der engen persönlichen und wirtschaftlichen Verbundenheit zwischen den Eheleuten Ausdruck zu verleihen, stellt das Gesetz in § 1931 BGB dem Ehegatten ein besonders ausgestaltetes Erbrecht zur Verfügung, wonach dieser neben seinen Kindern zu einem Viertel am Erbe beteiligt ist (§ 1931 Abs. 1 BGB) und daneben im Normalfall des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft ein weiteres Viertel als pauschalen Ausgleich des während der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Zugewinns erhält (§§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB).167 Ehegatten und Kinder werden demnach gleichermaßen erbrechtlich bedacht, allerdings erhält der in Zugewinngemeinschaft lebende Ehegatte unabhängig von der Anzahl der Kinder168 die Hälfte des Erbes. Zudem gebühren ihm neben seinem Erbteil auch die zum ehelichen Hauhalt gehörenden Gegenstände, soweit er sie zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt (§ 1932 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese Erbteilung räumt bei mehreren Kindern dem Ehegatten der Höhe nach einen Vorrang ein und ist als Ausfluss der verfassungsrechtlich garantierten Einheit von Ehe und Familie zu verstehen, in der die Ehegatten in ihrer gleichberechtigten Erwerbsgemeinschaft gemeinsam ihre Kinder unterhalten.169 Diese rechtliche Verklammerung von Ehegatten und Kindern setzt sich im Pflichtteilsrecht fort, wonach Kindern und Ehegatten die Hälfte ihrer gesetzlichen Erbquote auch dann zusteht, wenn der Erblasser seine Befugnis zur eigenverantwortlich gestalteten Erbfolge nutzt und seine Familienmitglieder enterbt.170
Eidenhofer, Wolfgang, in Palandt, BGB, Einl. von § 1922, Rn. 3. Erbrechtliche Lösung des pauschalierten Zugewinnausgleichs. Daneben kann nach der güterrechtlichen Lösung der Ehegatte die Erbschaft auch ausschlagen, den normalen Zugewinnausgleich und daneben nach § 1371 Abs. 3 BGB den kleinen Pflichtteil verlangen, vgl. Ebenroth, Carsten Thomas, Erbrecht, § 2 IV, Rn. 153 ff. 168 Vgl. allerdings für die Gütertrennung die Ausnahme des § 1931 Abs. 4 BGB. 169 Die Unterhaltsverpflichtung gegenüber Familienangehörigen, die vom Erblasser Unterhalt bezogen haben und in seinem Hausstand gelebt haben, zeichnet der Gesetzgeber in § 1969 BGB nach. 170 Die Höhe des Pflichtteils des Ehegatten richtet sich nach dem gemäß §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB erhöhten gesetzlichen Erbteil, wenn der Erblasser den Ehegatten beispielsweise in einem Vermächtnis bedacht hat (großer Pflichtteil). Wenn er vollständig enterbt ist, erhält er neben seinem Zugewinnausgleich nur den nicht erhöhten, kleinen Pflichtteil. 166 167
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
2. Finanzierungsgemeinschaft der Familie Ehe und Familie sind eine einheitliche Wirtschaftsgemeinschaft, in der die Ehepartner gemeinsam den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder bestreiten. Die Ehe bildet die wirtschaftliche Basis der Familie. Das Gesetz drückt diese Finanzierungsgemeinschaft in einer gegenseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten aus, die auch zugunsten der Kinder besteht. Der Familienunterhalt des § 1360 BGB beruht auf der Familieneinheit bei bestehender häuslicher Gemeinschaft und umfasst den Bedarf der gesamten Familie einschließlich der Kinder zur Deckung der Haushaltskosten und der üblichen Ausgaben des täglichen Lebens.171 Anspruchsinhaber ist nur der Ehepartner, begünstigt werden aber die gesamte, unter einem Dach lebende Familie und damit auch die Kinder. Beide Eltern sind zum Unterhalt in Geld- oder Naturalleistung gegenüber den Kindern verpflichtet und müssen gemeinsam für alle Familienmitglieder sorgen. Weil von einem vertraglich vereinbarten Ausschluss dieses Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehegatten im bestehenden Familienverband auch die Kinder betroffen wären, ist dieser Unterhalt im Gegensatz zum nachehelichen Unterhalt, der nach dem Zerbrechen der familiären Einheit gezahlt wird, unabdingbar (§ 1360a Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 1614 Abs. 1 BGB). Diese Regelungen stärken den Familienverbund, indem sie die Pflicht der Ehegatten, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten, nicht zur Disposition stellen. Die Wirtschaftseinheit der ehebasierten Familie zeigt sich darüber hinaus in den unterschiedlichen Unterhaltsformen. Das Kind kann sich selbst nicht unterhalten und ist insoweit von seinen Eltern abhängig. Es benötigt gleichermaßen materielle Unterstützung wie Betreuung und Erziehung. Die Eltern können deshalb ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern sowohl durch einen Bar- als auch durch einen Betreuungsunterhalt erfüllen (§ 1606 Abs. 3 BGB). Allerdings müssen die Pflichten aufeinander abgestimmt sein. Das Gesetz geht davon aus, dass die Eltern das Kind in gegenseitiger Absprache betreuen und finanziell unterhalten und zeichnet so die Einheit zwischen Vater, Mutter und Kind nach. Diese Einheit erhält der Gesetzgeber über eine Scheidung hinaus, indem er nach § 1609 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BGB den Ehegatten mit den nicht verheirateten, minderjährigen Kindern und Kindern unter 21 Jahren, die noch im Elternhaus wohnen und zur Schule gehen, unterhaltsrechtlich auf eine Stufe stellt. Die Einheit von Ehe und Familie setzt sich so auch dann fort, wenn das für den Unterhalt seiner Familie verfügbare Einkommen des Unterhaltsverpflichteten zur Deckung des Unterhaltsbedarfs aller Berechtigten nicht ausreicht.172
Brudermüller, Gerd, in Palandt, BGB, Einf v § 1569, Rn. 2. Vgl. hierzu und zum nachehelichen Unterhaltsanspruch wegen Kindererziehung nach § 1570 BGB ausführlich Teil 1 B. II. 1 c. 171 172
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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3. Recht des Kindes auf Umgang mit Vater und Mutter Die Erwartung des Kindes auf die Begegnung mit Mutter und Vater, die ihm durch die Ehe der Eltern erleichtert wird, findet in § 1684 Abs. 1 BGB seinen Niederschlag, der dem Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil eingeräumt und die Eltern zum Umgang mit ihrem Kind verpflichtet und berechtigt. Nach § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB gehört zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen, weil das Kind zu beiden eine natürliche Bindung besitzt.173 Der Gesetzgeber geht so wie selbstverständlich von der Einheit zwischen Mutter, Vater und Kind aus.
IV. Vorrangiger Schutz der Familie 1. Schutz unabhängig von der Ehe a) Gemeinsames Sorgerecht, Umgangsrecht und Kindesunterhalt auch ohne Ehe Der verfassungsrechtlich gebotene Vorrang des Schutzes der Familie gibt dem Gesetzgeber den Auftrag, das Erziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern unabhängig von der Ehe zu schützen und dem Kind gute Entwicklungschancen zu ermöglichen. So unterstützt der Gesetzgeber Ersatzgemeinschaften beim Scheitern der Vollfamilie und entkoppelt mit Blick auf das Wohl des Kindes das Erziehungsverhältnis von der Ehe, indem er die gemeinsame Sorge der Eltern im Fall ihrer Scheidung grundsätzlich beibehält (vgl. § 1671 BGB), ein gemeinsames Sorgerecht nichtehelicher Eltern ermöglicht, auch wenn beide Elternteile nicht zusammenleben (§ 1626a BGB) und in § 1687 BGB durch eine detaillierte Regelung das gemeinsame Sorgerecht getrennt lebender Eltern erleichtert, dadurch seine Hoffnung unterstützt, dass beide Eltern die Sorge beibehalten. Ist nur ein Elternteil sorgeberechtigt, sieht der Gesetzgeber zur Förderung der seelischen Stellung des nichtehelichen Kindes ein Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind vor (§ 1684 BGB).174 Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber seinen Eltern und die Möglichkeiten, diese gerichtlich durchzusetzen,175 sind unabhängig davon gesetzlich ausgestaltet, ob das Kind ehelich oder nichtehelich geboren worden ist (§ 1601 BGB). Der Anspruch der bedürftigen Mutter eines nichtehelichen Kindes auf Unterhalt gegenüber dem Vater in den ersten drei Lebensjahren des Kindes nach § 1615 l Abs. 2 Satz 2 BGB lässt das Kind in den Genuss der 173 Das gesetzliche Hervorheben des kindlichen Umgangs mit beiden Eltern dient auch dazu, einem verbreiteten Umgangsboykott von Alleinerziehenden gegenüber dem anderen Elternteil entgegenzuwirken, vgl. Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB, § 1626, Rn. 24. 174 Vgl. hierzu BVerfGE 56, 363 (393) – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind 175 BVerfGE 85, 80 (91 ff.) – Rechtsweg für nichteheliche Kinder.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Betreuung durch die Mutter kommen, weil er nur insoweit gewährt wird, als die Mutter keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Er sichert die Wahrnehmung der Elternverantwortung durch die Mutter176 und stärkt das Familienband zwischen Mutter und Kind.176a
b) Abzugsfähigkeit des Betreuungsaufwands im Steuerrecht für Alleinerziehende und für Ehepaare Als Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 11. 1998177 hatte der Gesetzgeber § 33 c EStG a.F., der einen Abzug von Kinderbetreuungskosten nur für allein erziehende Eltern ermöglichte, mit Wirkung zum 1. 1. 2000 aufgehoben. Der Betreuungsbedarf wurde stattdessen durch einen Betreuungsfreibetrag für alle Steuerpflichtigen in § 32 Abs. 6 EStG berücksichtigt und durch einen Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf ergänzt.178 Den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf für Kinder können seitdem alle Eltern unabhängig davon abziehen, ob sie verheiratet oder alleinerziehend sind.179 Der Steuergesetzgeber hat damit Ungleichheiten zwischen den einzelnen Familienformen abgebaut. Durch die Reform im Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung im Jahr 2006180 wurden demgegenüber neue Privilegierungen einzelner Familienformen geschaffen und die positive Wirkung des § 32 Abs. 6 EStG abgeschwächt. Weil mit dem Gesetzesvorhaben die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit verbessert werden sollte, können seitdem in erster Linie Alleinerziehende und Eltern, die beide erwerbstätig sind, die Aufwendungen der Kinderbetreuung neben dem Freibetrag geltend machen, indem diese wie Betriebsausgaben bei der Ermittlung der Einkünfte abgezogen werden (§§ 4 f., 9 Abs. 5 EStG).181 Einverdienerfamilien haben trotz der gleichzeitigen Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 5, 8 EStG das Nachsehen.
176 BVerfGE 57, 361 (383) – Erstes Eherechtsreformgesetz; 80, 286 (295) – Ausschluss des Unterhaltsanspruchs. 176a Vgl. aber auch zur Verfassungswidrigkeit dieser Regelung wegen der Dauer des Unterhaltsanspruchs: BVerfG NJW 2007, 1735 ff. Dauer des Betreuungsunterhalts. 177 BVerfGE 99, 216 – Kinderbetreuungskosten. 178 Mellinghoff, Rudolf, KompaktKommentar Einkommensteuergesetz, § 33c, Rn. 1. 179 Tipke, Klaus, Steuerberaterkongreß-Report 1983, 39 (52 ff.); Klein, Franz, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 791. 180 Einführung der §§ 4 f., 9 Abs. 5 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5, 8 EStG durch Art. 1 Nr. 2, 7 des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. 4. 2006, BGBl. 2006 I 1091. Gleichzeitig wurde § 33 c EStG aufgehoben (Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes). 181 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken: Mellinghoff, Rudolf, KompaktKommenar Einkommensteuergesetz, § 4 f., Rn. 40 m. w. N.
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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2. Besondere finanzielle Förderung der Familie Der vorrangige Schutz der Familie, der sich daneben vor allem in einer finanziellen Unterstützung der wirtschaftlichen Familieneinheit niederschlagen soll, ist gesetzlich kaum umgesetzt worden. Das Elterngeld gleicht die finanziellen Einbußen, die der Verzicht auf ein Gehalt der Eltern mit sich bringt, nur teilweise und nur im ersten Lebensjahr des Kindes aus – und dies insbesondere für Doppelverdienerpaare und Alleinerziehende. 182 Zudem stellt es die Gesamtheit der Familien kaum besser,183 weil gleichzeitig das bisherige Bundeserziehungsgeld gestrichen und die Inanspruchnahme von Kindergeld und / oder Kinderfreibetrag zeitlich gekürzt worden sind.184 Strukturell fördert der Gesetzgeber die Familie durch die Investition in Kinderbetreuungsmöglichkeiten wie Kinderkrippen und Kindergärten, legt damit – unabhängig von sonstigen Fördermaßnahmen betrachtet – den Eltern eine Fremdbetreuung des Kindes nahe und greift so in ihre freie Erziehungsverantwortung mittelbar ein. Der im Steuerrecht verwirklichte Familienlastenausgleich ist zwar unabhängig von der Ehe ausgestaltet, doch entlastet er Eltern wenig spürbar. Die Staffelung nach der Kinderanzahl und die Erhöhung ab dem zweiten Kind verbessern zwar die Stellung kinderreicher Familien. Doch lässt sich dies mit der Funktion des Ausgleichs kaum begründen, weil das erste Kind durch einen Wegfall des zweiten Einkommens der Familie oft die größte finanzielle Belastung darstellt. Daneben ist ein Familienleistungsausgleich im Gesetz gar nicht zu finden.185 Auch die beitragslose Mitversicherung von Ehegatten und Kindern in der Krankenversicherung und der geringere Beitrag, den Eltern in der Pflegeversicherung leisten müssen, ist nur ein geringer Vorteil gemessen an den Kosten, die Kinder verursachen. Im Rentenrecht werden unter Verletzung des Gebotes des Vorrangs der Familienförderung kinderlose Ehepaare gegenüber kinderreichen Familien immer noch bevorzugt.186 Besondere Fördertatbestände für die Familie sind hier nur ansatzweise erkennbar. Eine Förderung der Ehe als potentielle Elternschaft hat der Gesetzgeber nur insoweit vorgesehen, als er die eheliche Einheit zwischen Mann und Frau als solche schützt. Einen speziellen Anreiz für die Verwirklichung des Kinderwunsches in der Ehe hat der Gesetzgeber nicht geschaffen.
Vgl. hierzu Teil 1, A. III. 9. a) und b), B. I. 1., Teil 3, B. II. 2. Seiler, Christian, Das Elterngeld im Lichte des Grundgesetzes, NVwZ 2007, 129 (129). 184 § 32 Abs. 4 1 Nr. 2, 3 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. 07. 2006 (BGBl. I, 1652 (1654). 185 Vgl. oben B II. 186 Vgl. hierzu ausführlich Teil 1, B. IV. und Teil 4, A. II. 3. 182 183
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
3. Rechtsstellung des Kindes gegenüber seinen Eltern a) Zivilrechtliche Ausrichtung auf das Wohl und die Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes Durch das gesamte Familienrecht zieht sich der Gedanke des Kindeswohls und mündet in § 1697a BGB, der den Richter auf die Einhaltung des Kindeswohl verpflichtet und dadurch ein allgemeines Rechtsprinzip begründet, das das allgemein Anerkannte zu einem verpflichtenden rechtsethischen Prinzip werden lässt.187 Das Erziehungsverhältnis ist als Fürsorgeverhältnis der Eltern für ihr Kind schon aus seiner Natur heraus auf das Kind ausgerichtet. Das Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen in § 1631 Abs. 2 BGB dient dem Kindeswohl, indem es die verfassungsrechtlichen Begriffe der Pflege und Erziehung umschreibt.188 Die Vorschriften zur elterlichen Sorge nach §§ 1626 ff. BGB und zum Kindesunterhalt nach §§ 1601 ff. BGB dienen insgesamt der guten Entfaltungsmöglichkeit des Kindes. Insbesondere stellt § 1603 Abs. 2 BGB an die Eltern erhöhte Anforderungen, um den notwendigen Unterhalt ihrer minderjährigen und schulpflichtigen volljährigen Kinder zu decken und verpflichtet sie, alle verfügbaren Mittel für den Kindesunterhalt heranzuziehen. 189 Die vorrangige Absicherung der kindlichen Entfaltungsmöglichkeiten gegenüber den Rechten der Eltern zeigt sich auch im Ehegattenunterhalt, weil dieser nach § 1579 BGB auch bei einem schweren ehelichen Fehlverhalten während der Betreuungsphase eines Kindes nicht gänzlich ausgeschlossen werden darf.190 Bei einer Scheidung der Eltern muss sich auch die Sorgeregelung am Kindeswohl ausrichten,191 wobei hier eine gemeinsame Sorge oder zumindest ein Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils dem Kindeswohl am ehesten entspricht (§§ 1671, 1684 BGB). Wird ein Konflikt der Eltern auf den Schultern des Kindes ausgetragen, verlangt Art. 6 GG zur Stärkung der Rechte des Kindes die Bestellung eines Verfahrenspflegers und die Anhörung des Kindes.192
Vgl. Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB; § 1697a, Rn. 1. Pieroth, Bodo / Schlink, Bernhard, Grundrechte, Rn. 648. 189 Der unterhaltspflichtige Elternteil kann sogar verpflichtet sein, seinen Wohnsitz zu ändern, um einen Arbeitsplatz zu bekommen und mit dem Gehalt daraus den Unterhalt für das Kind zu verdienen, BGH NJW 1980, 2415. 190 S. zu § 1579 BGB ausführlich Teil 1 B. II. 1. c) bb). 191 BVerfGE 55, 171 (179 ff.) – Sorgerechtsentscheidung; 61, 358 (377) – Gemeinsames Sorgerecht. 192 BVerfGE 99, 145 (163 u. 157) – Gegenläufige Entführungen. 187 188
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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b) Rechtsstellung des heranwachsenden Kindes Weil im Schutz der Familie das erziehungsbedürftige Kind im Mittelpunkt steht, ist die Familie gegenüber der Ehe im Konfliktfall schutzbedürftiger. Mit dem Heranwachsen des Kindes tritt neben die Gestaltungsfreiheit der Eltern zunehmend die Selbstbestimmung und Mitverantwortung des Kindes für sich und die Familie. Seine Eigenständigkeit zeichnet der Gesetzgeber vor allem in §§ 1626 Abs. 2 und 1631a BGB nach.193 Je älter das Kind wird, umso mehr ist sein eigener Wille zu berücksichtigen. Insbesondere in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufs müssen Eltern auf die Neigung des Kindes Rücksicht nehmen (§ 1631a BGB). Die Einschränkung der elterlichen Sorge im Falle der Heirat des minderjährigen Kindes nach § 1633 BGB ist kein Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern, sondern nur als Definition der zeitlichen und inhaltlichen Beschränktheit elterlicher Sorge und Erziehung zu verstehen.194 Das Schutzbedürfnis der Familien wird durch das Heranwachsen des Kindes geringer. Die Grenze zwischen dem Kind- und Erwachsenendasein wird von der Rechtsordnung in § 2 BGB durch die Institute der Minderjährigkeit und Volljährigkeit typisiert und dadurch ein Zeitpunkt geschaffen, an dem die gesetzliche Vertretung und die umfassende Sorge für das Kind entfallen195 und sich die „Pflege und Erziehung“ nur noch in möglicherweise fortbestehenden Unterhaltspflichten für Ausbildung und Beruf nach § 1620 Abs. 2 BGB196 und tatsächlicher Hilfe erschöpft. Die Kleinfamilie wandelt sich um in eine Begegnungsgemeinschaft zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Das die Rechte der Ehegatten grundsätzlich in den Hintergrund drängende Erziehungsverhältnis tritt zurück und lässt das eheliche Verhältnis der Eltern untereinander wieder erstarken. Der Unterhaltsanspruch der Ehefrau ist nunmehr vorrangig zu erfüllen (§ 1609 BGB), die schwindende Elternverantwortung gibt wieder mehr Raum, die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten zu befriedigen.197 Der an den Fähigkeiten des Kindes ausgerichtete Eintritt der Volljährigkeit verändert das familiäre Band und gewährleistet dadurch das Bestehen einer veränderten familiären Einheit trotz wachsender Selbstbestimmung des Kindes.198 Diese Begegnungsgemeinschaft ist von anderer Qualität als die ursprüngliche Erziehungsgemeinschaft. Die Ehe tritt wieder in den Vordergrund. Vgl. Steiger, Heinhard, VVDStRL 45 (1987), 55 (64). Pieroth, Bodo, in Jarass / Pieroth, GG; 6, Rn. 37. 195 Fehnemann, Ursula, S. 33 f.; Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 57. 196 Vgl. hierzu: Thierschmann, Reinhardt, Unterhaltungsansprüche Volljähriger gegen ihre Eltern. 197 Vgl. zum Umfang des Familienunterhalts: § 1360a BGB. 198 Neue Konflikte entstehen nur insoweit, als die Phase der Ausbildung bis zum Eintritt in das Berufleben sich heute ausweitet und deshalb das nicht mehr bestehende Elternrecht auf Sorge nach § 1626 ff. BGB zur bestehenden Elternpflicht auf Unterhalt nach § 1601, 1610 Abs. 2 BGB ins Ungleichgewicht gerät. Vgl. Bosch, Friedrich-Wilhelm, Teilunmündigkeit trotz Volljährigkeit?, S. 63; Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 60 f. 193 194
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
V. Gesetzlich verordnete Kontinuität beim Scheitern der Gemeinschaft im Zivilrecht Einfachgesetzliche Regelungen können Kontinuität nicht gewährleisten, weil die Entscheidung zu verantwortungsbewusstem und dauerhaftem Zusammenleben von Ehegatten, Eltern und Kindern nur in Freiheit getroffen werden kann. Allerdings kann die Rechtsordnung Hilfestellung geben und die Rechtinstitute von Ehe und Familie als solche in ihrem Bestand schützen. Gemäß § 1565 BGB kann ein Ehepaar sich erst nach einer Trennung von mindestens einem Jahr scheiden lassen, auch wenn es die Scheidung einvernehmlich beantragt. Der Gesetzgeber stellt so den Bestand der Ehe nicht in das alleinige Belieben der Ehegatten und fordert das Trennungsjahr, um unbedachte Entscheidungen zu verhindern. Das Zerrüttungsprinzip fordert daneben ein Scheitern der Ehe, das an objektiven Kriterien zu messen ist. Bei einer vollzogenen Scheidung zeigt sich der Kontinuitätsgedanke in der nachehelichen Unterhaltspflicht nach §§ 1569 ff. BGB, die einem Ehegatten im Fall der Bedürftigkeit den ehelichen Lebensstandard insoweit sichert, als er sich nicht selbst eigenverantwortlich unterhalten kann, und in einem Versorgungsausgleich, der beide Ehegatten auch für das Alter absichert. Die Kontinuität der Familie ist durch das auf Lebenszeit bestehende Band der Verwandtschaft in § 1589 BGB gewährleistet, an die der Gesetzgeber Unterhaltspflichten (§§ 1601 ff. BGB), die gesetzliche Vertretung für Kinder (§ 1629 BGB) und Sorge- und Umgangsrechte knüpft (§§ 1626 ff., 1684 BGB). Jede dieser Pflichten gilt unabhängig von einem ehelichen Band. Kontinuität drückt sich auch im Erbrecht durch das Prinzip der Familienerbfolge aus, wodurch im Todesfall das Eigentum und Vermögen der Familie erhalten bleibt und durch ein gesetzliches Erbrecht der Kinder als Abkömmlinge erster Ordnung nach § 1924 BGB und des Ehegatten nach § 1931 BGB die wirtschaftliche Grundlage über den Tod hinaus sichert.
VI. Zivilrechtliche Pflichtenbindung nach Trennung der Gemeinschaften von Ehe und Familie Die Pflichtenbindung der Eheleute und Familienmitglieder nach einer Trennung der Gemeinschaft finden ihre gesetzliche Gestalt in den Regelungen, die der Gesetzgeber in Erfüllung des Verfassungsauftrags zur Kontinuität realisiert hat. Durch die Scheidung löst sich der Ehegattenstatus auf. Die Ausrichtung der Ehe auf eine dauerhafte Beziehung bleibt aber in der nachehelichen Unterhaltspflicht nach §§ 1569 ff. BGB, dem Zugewinn- und dem Versorgungsausgleich nach den §§ 1371 ff. und 1587 ff. BGB bestehen, soweit die Eheleute vertraglich in den Grenzen der §§ 138 und 242 BGB nichts anderes vereinbart haben (§ 1585c BGB). Aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten können die Unterhaltspflichten je nach Dauer der Ehe wieder erlöschen.
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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Die Elternpflichten sind stärker ausgestaltet, weil der Eltern-Kind-Status auch beim Scheitern der familiären Gemeinschaft bestehen bleibt. Sorge- und Umgangsrechte enden erst mit der Volljährigkeit des Kindes, Unterhaltspflichten mit seiner Selbständigkeit.
VII. Gesetzliche Grundlagen zum Eingreifen des Staates in Ehe und Familie 1. Staatliche Schlichtung erst beim Scheitern der Ehe Die staatliche Pflicht zum Schutz des schwächeren Ehegatten während des Bestehens der Ehe hat der Gesetzgeber bewusst nicht ausgestaltet, weil er hier bei einem Konfliktfall auf die allgemeinen Regeln des Polizei-, Straf- und Zivilrechts zurückgreifen kann, um den allgemeinen Grundrechtsschutz zu gewährleisten und dabei insbesondere das Recht auf körperliche Integrität und auf Privatsphäre, auf sexuelle, individuelle und informelle Selbstbestimmung, auf freie Meinungsäußerung und Religionsausübung zu schützen sowie den Gleichheitssatz zu wahren. Weil die Ehe ein besonderer Raum der Staatsferne ist und die Ehegatten über die interne Gestaltung ihres Lebens selbst entscheiden sollen, würde jede diesbezügliche zivilrechtliche Regelung der verfassungsrechtlichen Funktion der Ehe widersprechen. Eine besondere Schlichtungsfunktion übernimmt der Staat erst beim Scheitern der Ehe. Hier hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Scheidung (§§ 1564 ff. BGB) und den sich daran anschließenden Ausgleich der Vermögensinteressen (§§ 1569 ff., 1587 ff. BGB) im Sinne eines schonenden Ausgleichs zwischen dem Interesse des Bestandes der Ehe und der individuellen Ungebundenheit des Einzelnen ausgestaltet. Der Staat ist allerdings gefordert, sobald die finanzielle Existenzgrundlage eines Ehegatten mangels tatsächlich geleisteten Unterhalts durch den Partner bedroht ist. Hier fordert Art. 20 GG eine sozialstaatliche Stütze in Form der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. 2. Vorrang der Elternverantwortung vor dem staatlichen Wächteramt zugunsten des Kindes Von Art. 6 Abs. 2 GG beauftragt, überwacht der Staat die Erziehung der Eltern zum Schutz des Kindes. Er steht in Reserve, wenn die Eltern ihre Erziehungsverantwortung unzureichend ausfüllen oder wenn sie sich untereinander nicht einigen können. Allerdings muss zum Schutz der Familienautonomie stets die Erziehungsverantwortung soweit wie möglich bei den Eltern belassen werden; der Staat darf möglichst wenig in die familiäre Gemeinschaft eingreifen, weil auch der staatliche Eingriff als solcher das Kindeswohl gefährdet. Weil jede sorgerechtliche Entscheidung das Kind unmittelbar als Grundrechtsträger betrifft,199 zeigt sich dies beson199
BVerfGE 55, 171 (179) – Sorgerechtsentscheidung.
14 Nesselrode
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ders deutlich im Sorgerecht: Die elterliche Sorge nach § 1626 ff. BGB steht beiden Elternteilen gleich zu und wird von ihnen gemeinsam ausgeübt (§ 1627 BGB), wobei der elterliche Konsens auch dahin gehen kann, dass sich ein Elternteil faktisch aus der Erziehung zurückzieht. Erst wenn sich die Eltern nicht einigen können, wird die Intervention des Staates im Wächteramt zum Wohl des Kindes unvermeidlich. Nach § 1628 BGB entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern nicht der Richter anstelle der Eltern, sondern überträgt als milderes Mittel einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis.200 Daneben füllt § 1666 BGB den institutionellen Rahmen des Art. 6 Abs. 2 GG aus, indem er als Voraussetzung für staatliche Maßnahmen auf die Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Kindeswohl durch Missbrauch der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung oder Versagen der Eltern oder durch Verhalten Dritter abstellt. Das staatliche Wächteramt besteht allein zum Wohl des Kindes und wird nur durch dieses legitimiert.201 Im äußersten Fall können Kinder auch bei unverschuldetem Elternversagen von der Familie getrennt werden, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls nicht auf andere Weise begegnet werden kann.202 Das Kindeswohl kann so die Zerstörung der Familieneinheit gebieten, wenn die Eltern ihren Pflichten nicht nachkommen. Diese Regelungen verdeutlichen, dass der Schutz des Kindes auch gegen den Willen der Eltern verwirklicht werden kann. Allerdings ist in diesen Ausnahmefällen stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Erforderlich sind nur die Mittel, die die Einheit der Familie wahren und die Erziehungsverantwortung insoweit bei den Eltern belassen, als das Kindeswohl nicht gefährdet ist. „Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs in die Familiengemeinschaft bestimmen sich nach dem Ausmaß des Versagens der Eltern und danach, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss nach Möglichkeit zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen.“203 Weil das Familiengericht in seinem Wächteramt auf das Kindeswohl verpflichtet und durch die gesetzliche Wertentscheidung für Ehe und Familie geprägt ist, haben Ersatzgemeinschaften wie Pflegefamilien Vorrang vor einer staatlichen Betreuung des Kindes. Die Bestellung eines Pflegers nach §§ 1909, 1630 BGB für einige Angelegenheiten ist als weniger einschneidende Maßnahme 200 Die Gleichheit der Eltern hat hier den Preis potentieller Minderung der familiären Autonomie durch staatlichen Eingriff. So Zacher, Hans F., HStR VI, § 134, Rn. 62 und Fußnote 149, vgl. auch BVerfGE 10, 59 83 ff., 86) – Elterliche Gewalt. 201 Ausführlich zum Kindeswohl: Coester, Michael, S. 134 ff., vgl. auch BVerfGE 24, 119 (144) – Adoption I. Nach Robbers, Gerhard, in von Mangold / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 242 besteht das Wächteramt auch im Interesse der staatlichen Gemeinschaft an der Erziehung des Nachwuchses. 202 BVerfGE 60, 79 (88) – Gefährdung des Kindeswohls, vgl. auch BGHZ 133, 384 (388). 203 BVerfGE 24, 119 (145) – Adoption I; vgl. auch BVerfGE 74, 102 (125) – Erziehungsmaßregeln.
B. Verdeutlichung von Ehe und Familie durch den Gesetzgeber
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stets der Trennung des Kindes von seinen Eltern vorzuziehen (Art. 6 Abs. 3 GG). Die Entziehung des gesamten Sorgerechts nach § 1666a BGB kommt nicht in Betracht, wenn eine Anordnung des Verbleibs in einer Familienpflege nach § 1633 Abs. 4 BGB genügt, um die Situation des Kindes zu verbessern.204 Bei Versagen der natürlichen Eltern hat die Adoption des Kindes und damit sein mögliches Einfügen in eine neue, den natürlichen Bedürfnissen am ehesten entsprechende familiäre Bindung Vorrang vor einer Heimunterbringung.205 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird in § 1666a BGB für die Trennung des Kindes von der elterlichen Familie und für die Entziehung der Personensorge im Sinne des Art. 6 Abs. 3 GG verdeutlicht. Vor der Trennung der Familieneinheit muss das Familiengericht prüfen, ob durch öffentliche Hilfen nach §§ 11 bis 40 SGB VIII die Gefährdung des Kindes abgewendet werden kann. Im Rahmen der Abwägung sind auch die Rechte der Ehegatten und der Schutz der ehelichen Gemeinschaft mit einzubeziehen; ihnen kommt aber ein geringeres Gewicht zu als dem Kindeswohl. Im Erziehungsverhältnis obliegt den Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes stets das Letztentscheidungsrecht, das auch bei einem mit dem Alter wachsenden Selbstbestimmungsrecht des Kindes nicht durch dessen Entscheidung ersetzt werden kann, solange die Erziehungsverantwortung der Eltern besteht. Hier ist der Staat gefordert, durch eine gerichtliche Entscheidung oder die Entscheidung eines Pflegers für das Kind seine Interessen durchzusetzen.206 Für Extremfälle gibt § 1631 BGB den Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, welches sie gegenüber ihren Eltern gerichtlich durchsetzen können. Allerdings steht bei dem Versuch, dieses Recht durchzusetzen, die familiäre Gemeinschaft als solche auf dem Spiel. Deshalb muss der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf eng begrenzte Sonderfälle beschränkt werden. Denn eine gesellschaftliche Kontrolle der Familie durch Jugendämter, Sozialeinrichtungen und Staatsanwälte gewährt nur in den extremen Ausnahmesituationen einen Freiheitsgewinn. Im Normalfall würde die familiäre Gemeinschaft zerstört und dadurch ein großes Maß an Freiheit verloren gehen.207
3. Verfahrenspfleger bei Gericht zur Wahrung der Interessen des Kindes Wird ein gerichtliches Verfahren unumgänglich, weil die Interessen der Eltern in einen Konflikt zu denen ihrer Kinder geraten, sichert die staatliche Gemeinschaft das Kindeswohl auch im Gerichtsverfahren, indem dem Kind ein Verfahrenspfleger zur Wahrung seiner Interessen zur Seite gestellt wird.208 Er ist als Anwalt des Vgl. Diederichsen, Uwe, in Palandt, BGB, § 1666, Rn. 52. BVerfGE 24, 119 (149 f.) – Adoption I; 22, 163 (173) – Zweitkindergeld, Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 6, Rn. 252. 206 Rüfner, Wolfgang, HStR V, § 116, Rn. 25. 207 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (996). 208 BVerfGE 99, 145 (Leitsatz 3) – Gegenläufige Entführungen. 204 205
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Kindes eine öffentliche Stütze der Gewährleistung von Verlässlichkeit für das Kind,209 die seine Eltern ihm nicht mehr bieten. Die Einrichtung der Familiengerichte lässt sich insgesamt als korrespondierend zur ganzheitlichen Sichtweise von Kindheit und Familie sehen,210 die intakte Ehe gehört zu dieser Einheit als Basis dazu, ihre Intimsphäre muss im Einzelfall gewahrt werden, tritt aber häufig hinter dem Wohl des Kindes zurück.
C. Veränderungen des verfassungsrechtlichen Maßstabs für das Verhältnis von Ehe und Familie durch europarechtliche Vorgaben Vor dem Hintergrund der Niederlage Deutschlands in zwei Weltkriegen, die bis zur vorübergehenden Suspendierung der deutschen Staatlichkeit durch die Besatzungsmächte reichte, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die europäische Einbindung Deutschlands verfassungsrechtlich verankert und zu einem tragenden Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland erhoben.211 Als Ausdruck „offener Staatlichkeit“212 verpflichtet sich das deutsche Volk in der Präambel des Grundgesetzes, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen und gibt sich damit das Staatsziel der europäischen Integration.213 Die nunmehr fast 50 Jahre andauernde Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der Europäischen Union und ihr Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention in den 50er Jahren haben die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die verschiedenen europäischen Rechtssysteme intensiviert und zur Verflechtung des Landes mit seinen europäischen Nachbarn beigetragen.214 Diese inter- und supranationale Einbindung relativiert die eigenen Verfassungen vor allem im Bereich des Demokratieprinzips, der Organe und Institutionen.215 Eine europaoffene Verfassungsstaatlichkeit gehört zu den allen Mitgliedstaaten der EU und der EMRK gemeinsamen Rechtsgrundsätzen.216 In einem wechselseitigen 209 Salgo, Ludwig, Anwalt des Kindes, 1996, Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 15 (31). 210 Willutzki, Siegfried, Die deutsche Familiengerichtsbarkeit, S. 645 ff.; Lüscher, Kurt, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, 15 (31). 211 Huber, Peter M., Recht der Europäischen Integration, § 2 Rn. 2 f. 212 Vogel, Klaus, Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, S. 42 ff. 213 Vgl. Huber, Peter M., in: Sachs, GG, Präambel, Rn. 41; Badura, Peter, AöR 115 (1990), 314 (324); BVerfGE 73, 339 (386) – Solange II. 214 Huber, Peter M., Recht der Europäischen Integration, § 2 Rn. 3., vgl. zum besonderen Schritt auf dem Weg des Integrationsprozesses durch den Vertrag von Maastricht: Huber, Peter M., Maastricht – ein Staatsstreich, insbesondere S. 13 ff. 215 Vgl. zur Exekutivlastigkeit der unionalen Rechtssetzung: Huber, Peter M., HStR III, § 47 Rn. 22.
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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Spiel von europäischem und nationalem Verfassungsrecht ergänzen sich die Grundrechtsmaßstäbe.217 Auch die Artikel des Grundgesetzes werden insbesondere aufgrund des Gebots der europarechts- und völkerrechtskonformen Auslegung durch europäische Normen beeinflusst.218 Unabhängig von einem direkten Einfluss auf die Auslegung des Grundgesetzes bringen die internationalen Normen über Ehe und Familie gesellschaftspolitische Auffassungen zum Ausdruck und erlauben dem Normgeber, sich über den gesellschaftlichen und staatlichen Stellenwert von Ehe und Familie zu vergewissern.219 Ob und inwiefern die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) darüber hinaus die Auslegung des Art. 6 GG verändern, muss für jedes Regelungssystem gesondert überprüft werden.
I. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte 1. Fester internationaler Wertkonsens als Orientierungspunkt für die Auslegung des Grundgesetzes Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein mehrseitiger völkerrechtlicher Vertrag,220 der zunächst Wirkungen auf der Ebene des Völkerrechts entfaltet und damit vor allem objektive Verpflichtungen zwischen den Mitgliedstaaten begründet.221 In Deutschland hat die Konvention den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.222 Mit dem nach Art. 59 Abs. 2 GG notwendigen Vertragsgesetz vom 7. Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (223). Vgl. zum wechselseitigen Einfluss von unionalem und nationalem Verfassungsrecht: Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (222 ff. insbesondere 226 f.), zur Wechselwirkung zwischen EMRK und nationalen Verfassungen: Grabenwarter, Christoph, Menschenrechtskonvention und Grundrechte-Charta, S. 1129 f. 218 Vgl. für den Einfluss des Rechts der Europäischen Union auf das Grundgesetz: Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (227). 219 Eine zusammenfassende Darstellung der internationalen Regelungen und der Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten zu Ehe und Familie gibt Hövelberndt, Andreas, FPR 2004, 117 ff. 220 Guradze, Heinz, Europäische Menschenrechtskonvention, 11; Frowein, Jochen, in Frowein / Peukert, EMRK, Einf, Rn. 3, Brötel, Achim, Achtung des Familienlebens, S. 39. 221 Meng, Werner, S. 10 ff.; Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 46. 222 Herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur: BVerfGE 19, 342 (247) – Untersuchungshaft; 22, 254 (265) – Strafverfahrenskosten; 25, 327 (331) – Bilanzbündeltheorie; 74, 358 (370) – Unschuldsvermutung; Frowein, Jochen, HStR VII, § 180, 731 (736); Fahrenhorst, Irene, Familienrecht und Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 3; Bernhardt, Rudolf, HStR VII, § 174, 571 (590); Hesse, Konrad, Artikel: Grundrechte, in: Staatslexikon, Band 2, Spalte 1112; Hilf, Meinhard, Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention im deutschen Recht, S. 39; Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 47. 216 217
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
August 1952223 wurde die EMRK in das deutsche Recht inkorporiert und ist seitdem von allen Normadressaten zu beachten.224 Im Verhältnis zum Verfassungsrecht bleiben solche völkerrechtlichen Verträge mit dem Rang einfachen Bundesrechts Objekte der verfassungsrechtlichen Überprüfung und prägen nicht ihrerseits den Verfassungsinhalt.225 Wenn jedoch ein multilateraler Vertrag ausnahmsweise einen festen internationalen Wertkonsens widerspiegelt, kann auch er zu einem Orientierungspunkt für die Auslegung des Grundgesetzes werden. Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts226 deutet die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als einen solchen internationalen Wertkonsens und nutzt ihn deshalb zur Auslegung des Grundgesetzes. Die Gewährleistungen der Konvention beeinflussen die Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie die Berichte der bis 1998 existierenden Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR)227 dienen als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten, sofern dies nicht zu einer von der Konvention selbst nicht gewollten Einschränkung oder Minderung des Grundrechtschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. Art. 53 EMRK).228 Nach Möglichkeit ist das Grundgesetz so auszulegen, dass ein Konflikt mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der EMRK nicht entsteht. Diese verfassungsrechtliche Bedeutung der EMRK als völkerrechtlicher Vertrag ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, das die deutsche öffentliche Gewalt auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und auf die europäische Integration (Art. 23 GG) festlegt und ausweislich ihrer Präambel die Bundesrepublik als friedliches und gleichberechtigtes Glied in eine dem Frieden dienende VölkerBGBl. 1952 II, 685, 953. Vgl. zum Streit über die Inkorporation nach der Transformationslehre oder der neueren Vollzugslehre die Nachweise bei: Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 47 f., Fn. 139. 225 Tomuschat, Christian, HStR VII, § 172, 483 (500); Bernhardt, Rudolf, HStR VII, § 174, 571 (591); Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 49. 226 BVerfGE 74, 358 (370) – Unschuldsvermutung; bestätigend BVerfGE 83, 119 (128) – Bewährungsauflage gemeinnütziger Leistungen und BVerfG NJW 2004, 3407 (3409) – Umgangsrecht des Kindesvaters. 227 Bis zu ihrer Abschaffung durch das 11. Zusatzprotokoll im Jahr 1998 hatte die Europäische Kommission für Menschenrechte in einem ersten Verfahrensgang die Zulässigkeit der Beschwerde zu prüfen, wobei hier insbesondere die Fälle ausgeschieden wurden, die offensichtlich unbegründet waren. Im Falle der Zulässigkeit wurde ein Bericht („rapport„ / „report“) über eine Konventionsverletzung angefertigt. In diesen Berichten wurde zu vielen Fragen Stellung genommen, über die der Gerichtshof noch nicht entschieden hat, so dass diese auch zur Auslegung herangezogen werden können. Vgl. Grabenwarter, Christoph, Europäische Menschenrechtskonvention, § 6, Rn. 1 f. 228 BVerfGE 74, 358 (370) – Unschuldsvermutung; 83, 119 (128) – Bewährungsauflage und BVerfG NJW 2004, 3407 (3409) – Umgangsrecht des Kindesvaters, vgl. hierzu auch Tomuschat, Christian, HStR VII, 1992, § 172, 483 (500); ausführliche Darstellung bei Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 49 f. 223 224
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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rechtsordnung der Staatengemeinschaft einfügt. Gleichzeitig verzichtet das Grundgesetz aber nicht auf sein letztes Wort und die in der deutschen Verfassung liegende Souveränität, so dass die EMRK nicht beachtet werden muss, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.229 Deshalb muss untersucht werden, ob und inwieweit die Regelungen der EMRK zum Schutz von Ehe und Familie den entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstab für das Verhältnis von Ehe und Familie verändern oder bestätigen. Die Streitfrage, ob die grundrechtlichen Garantien allgemein breiter angelegt sind als die internationalen Menschenrechtsgewährleistungen230 oder ob letztere (zumindest im Einzelfall) weitergehen als die deutschen Grundrechte,231 kann hier dahinstehen, weil sie zumindest im Bereich von Ehe und Familie das gemeinsame Ziel haben, die Würde des Menschen zu gewährleisten, ihm die Freiheit vor staatlichen Eingriffen zu garantieren und ihm Teilhabe an der Rechtsgemeinschaft zu gewähren232 und deshalb eine abgestimmte Fortentwicklung von Grundrechten und Konventionsrechten im Bereich von Ehe und Familie ohnehin erforderlich ist.233
2. Inhaltliche Vorgaben der EMRK für das Verhältnis von Ehe und Familie Die Europäische Menschenrechtskonvention ist als völkerrechtlicher Vertrag gemäß den allgemeinen Auslegungsregeln zu interpretieren, wie sie heute in den Art. 31 bis 33 der Wiener Vertragskonvention (WVRK)234 vom 23. Mai 1969 kodifiziert sind.235 Danach ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zwecks auszulegen (Art. 31 Abs. 1 EMRK). Neben dem Vertragswortlaut ist deshalb bei der Anwendung des Vertrages vor allem seine Teleologie zu berücksichtigen und der Zweck des Vertrages 229 BVerfG NJW 2004, 3407 (3410) – Umgangsrecht des Kindesvaters, vgl. auch BVerfGE 63, 343 (370) – Rechtshilfevertrag. 230 Kirchhof, Paul, EuGRZ 1994, 16 (21), ähnlich Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 9, Rn. 278; Arndt, Hans-Wolfgang / Rudolf, Walter, Öffentliches Recht, S. 98, nicht so weitgehend: Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 50. 231 Bernhardt, Rudolf, EuGRZ 1996, 339 (340). 232 Kirchhof, Paul, EuGRZ 1994, 16 (36), 233 So Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 51. 234 BGBl. 1985 II, 926 235 Die WVRK ist nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung Ausdruck bereits geltendem Völkergewohnheitsrecht, vgl.: Ress, Georg, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, S. 805; Ipsen, Knut, Völkerrecht, § 11, Rn. 11; Brötel, Achim, Anspruch auf Achtung des Familienlebens, S. 39; Fahrenhorst, Irene, Familienrecht und Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 19 ff.; Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 58; BVerfGE 40, 141 (167) – Ostverträge, a.A. noch BVerfGE 36, 1 (35) – Grundlagenvertrag.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
möglichst effektiv zu verwirklichen („effet-utile-Prinzip“). 236 Als kollektive Garantie europäischer Grundrechte mit typischerweise weit angelegten Gewährleistungen237 wird die Konvention in besonderem Maße von den sich ändernden Lebensverhältnissen geprägt.238 Weil die EMRK ihrer Natur nach auf Dauer angelegt und ihre Vertragssprache weitmaschig und allgemein abgefasst ist,239 kann sie die Vielfalt sich wandelnder Problemlagen bewältigen. Ihr Inhalt ist „in die Zeit hinein offen“240 und anpassungsfähig, so dass eine „dynamische“ oder „evolutive“ Interpretation zur Weiterentwicklung der Grund- und Menschenrechte wünschenswert ist,241 solange das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beachtet wird. Die sich wandelnden gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich gerade im Bereich von Ehe und Familie wider,242 wozu sich in der EMRK zwei zentrale Regelungen finden: Art. 12 EMRK gewährleistet Männern und Frauen das Recht, mit Erreichen des heiratsfähigen Alters gemäß den einschlägigen nationalen Gesetzen eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Diese Eheschließungs- und Familiengründungsfreiheit hat bis heute in der Rechtspraxis nur eine begrenzte Wirkung entfaltet. Demgegenüber verleiht Art. 8 EMRK zum Schutz der Familie einen Anspruch auf Achtung des Familienlebens, der eine beachtliche Bedeutung in Literatur und Rechtsprechung gefunden hat.243 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR) sind diese Bestimmungen nicht nach dem Recht der Mitgliedstaaten auszulegen, sondern sie sind einer autonomen Interpretation durch die Konventionsorgane zugänglich,244 die deshalb Art. 6 GG beeinflussen kann. Im Ergebnis werden sie die Grundsatzwertungen des Art. 6 GG bestätigen und bekräftigen, dabei aber den abwehrrechtlichen Charakter der Gewährleistung betonen.
236 Fahrenhorst, Irene, Familienrecht und Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 36; Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 66. 237 Weidmann, Klaus, S. 78. 238 Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 1, Rn. 22 f. 239 Brötel, Achim, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Jura 1988, 343 (346). 240 Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, § 1, Rn. 23. 241 Vgl. Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 64. 242 Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 65. 243 Wolff, Heinrich Amadeus, EuR 2005, 721 (721). Daneben gibt Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK dem Kind ein Recht auf Bildung und den Eltern ein Recht auf Erziehung ihrer Kinder. 244 EKMR, Mrackx v. Belgium, Bericht vom 10. 12. 1977 (B 6833 / 74), Ser.B / No 29, § 69; Brötel, Achim, Anspruch auf Achtung de Familienlebens, S. 37, Fahrenhorst, Irene, Familienrecht und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 95 f. m. w. N.
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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a) Achtung des Familienlebens unabhängig von der ehelichen Grundlage In Art. 8 EMRK hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Begriff des Familienlebens im Sinne einer evolutiven Interpretation der EMRK deutlich ausgeweitet. Ausgangspunkt des Familienbegriffs ist die genetische Verwandtschaft zwischen Eltern und Kind. Die Beziehung der verheirateten Eltern zu ihren gemeinsamen ehelichen Kindern ist ipso iure als Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu werten.245 Die Ehe ist allerdings keine notwendige Voraussetzung für den konventionsrechtlichen Familienbegriff,246 vielmehr wird die eheliche Beziehung ebenso vom Familienbegriff erfasst wie die nichteheliche. 247 Ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht auch zwischen der Mutter und ihrem nichtehelichen Kind, weil sie durch die Geburt genetisch miteinander verbunden sind248 und eine andere Sichtweise dem Wortlaut der Vorschrift zuwiderliefe („everyone“).249 Deshalb bildet auch der Vater mit seinem nichtehelichen Kind eine Familie. Um den Familienbegriff allerdings nicht ausufern zu lassen, muss das Familienband des Vaters zum Kind in tatsächlichen Anhaltspunkten durch einen regelmäßigen Kontakt, durch eine tatsächliche Übernahme von Unterhalts- und Erziehungskosten oder durch eine Verantwortung in ständiger Fürsorge sichtbar werden.250 Weil der Begriff des Familienlebens nicht nur durch die biologische Abstammung oder durch eine Heirat geprägt ist, sondern faktische Kriterien diesen Begriff ebenfalls ausfüllen können, beendet eine Scheidung der Eltern nicht das Familienleben der Kinder mit dem jeweiligen Elternteil.251 Gleiches gilt für eine nichteheliche Familie, in der von vorne herein die Eltern nicht auf rechtliche Weise miteinander verbunden sind. Auch zwischen dem Kind und einem nicht-leiblichen Elternteil kann eine Familienbeziehung bestehen,252 wenn faktische Kriterien wie das Zusammenleben oder enge persönliche Bindungen auf eine solche hinweisen. So wird in der Rechtsprechung des EGMR nicht zwischen ehelichen und nichtehelichen Familien unterschieden, sondern ein tatsächlich bestehendes Familienleben 245 EGMR Berrehab v. NL, Urteil vom 21. 6. 1988, Ser.A / No. 138, § 21; EGMR, Gül v. CH, Urteil vom 19. 2. 1996, RJD 1996-I, § 32. 246 Palm-Risse, Martina, S. 194 ff., Wittinger, Michaela, S. 33 ff.; , Grabenwarter, Christoph, Europäische Menschenrechtskonvention, § 22, Rn. 16. 247 Wolff, Heinrich Amadeus, EuR 2005, 721 (725). 248 Siehe hierzu die Entscheidung der Kommission schon aus dem Jahr 1960: EKMR, X. v. Austria, B 514 / 59, 5. 1. 1960, YB 3 (1960), 196 (204) und aus dem Jahr 1977: EKMR, X v. UK, E 7626 / 76, 11. 7. 1977, DR 11, 160 (162). 249 EGMR, Marckx v. Belgium, Urteil vom 13. 6. 1979, Ser.A / No. 31, § 31 = EuGRZ 1979, 454. 250 Familienleben zwischen Vater und Kind bei bestehenden faktischen Familienbanden sieht als gegeben an: EGMR Elsholz v. FRG, Urteil vom 13. 7. 2000, RJD 2000 – VIII § 43 = EuGRZ 2002, 595; EGMR, Keegan v. Ireland, Urteil vom 26. 5. 1994, Ser.A / No.290, § 44, vgl. auch Brötel, Achim, Anspruch auf Achtung des Familienlebens, S. 57 f.; Kopper-Reifenberg, Cornelia, S. 79. 251 Wildhaber, Luzius, in von Golsong u. a., EMRK, Art. 8, Rn. 400. 252 EGMR X., Y. und Z., Urteil vom 22. 4. 1997, RJD 1997-II, § 37.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
tatbestandlich aufgenommen253 und so das Kind in den Mittelpunkt des Schutzes gerückt. Auch eine Adoption als eine Verwandtschaft im Rechtssinne begründet ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK, auch dieser Familie kommt ein Recht auf Achtung ihres Familienlebens zu.254 Ein länger andauerndes Pflegeverhältnis fällt mangels verwandtschaftlicher Beziehungen allerdings nicht unter den Familienbegriff des Art. 8 EMRK, kann aber als Privatleben angesehen werden255 und so den gleichen Schutz erhalten. Das Zusammensein von Eltern und Kind ist als grundlegender Bestandteil des Familienlebens eines der von Art. 8 EMRK verfolgten Ziele.256 Damit wird in der EMRK die Familie unabhängig von der Ehe geschützt und bestätigt so die Auslegung des Grundgesetzes, wonach Ehe und Familie getrennt voneinander zu schützen sind. Diese Unabhängigkeit wird auch nicht durch die Regelung des Art. 12 EMRK aufgehoben. Obwohl dem Wortlaut der englischen und französischen Fassung des Art. 12 ERMK zu entnehmen ist, das Recht zur Heirat und zur Familiengründung sei ein zusammengehörendes Recht („this right„ / „ce droit“),257 handelt es sich trotz der engen Zusammengehörigkeit auch hier um zwei unterschiedliche Rechtsinhalte.258 b) Ehe als Ausgangspunkt zur Gründung einer Familie Nach der Interpretation des Art. 8 EMRK durch die Kommission259 und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte260 kann auch das rechtliche Band der Ehe allein genügen, um den Anspruch auf Achtung des Familienlebens auszulösen. Obwohl eine Familie mit Kindern noch nicht gegründet ist, schützt Art. 8 EMRK dennoch die Beziehungen, die sich aus einer echten und rechtmäßigen Ehe ergeben. Durch die Heirat wird bereits ein Anspruch auf Achtung des Familienlebens begründet.261 Dieser weit gefasste Familienbegriff ist im Kontext von Art. 8 253 EGMR Marckx„ Urteil vom 13. 6. 1979, Serie A / No. 31 § 31 = EuGRZ 1979, 454, EGMR Keegan, Urteil vom 26. 5. 1994, Serie A / No. 290 § 44 = EuGRZ 1995, 113; Grabenwarter, Christoph, Europäische Menschenrechtskonvention, § 22, Rn. 16. vgl. EGMR FamRZ 1995, 110: „Der Grundrechtsschutz kann auch andere faktische Beziehungen umfassen, bei denen die Parteien zusammenleben, ohne verheiratet zu sein.“ 254 EKMR, X v. France, 5. 10. 1982, E 9993 / 82, DR 31, 241 (242); EKMR, X v. Belgium, 10. 7. 1975, E 6482 / 74, DR 7, 75, vgl. auch Palm-Risse, Martina, S. 204. 255 EKMR, X v. CH, 10. 7. 1978, E 8257 / 78, DR 13, 248 (250). 256 Grabenwarter, Christoph, Europäische Menschenrechtskonvention, § 22, Rn. 18. 257 So Brötel, Achim, Anspruch auf Achtung des Familienlebens, S. 117; Wildhaber, Luzius in von Golsong u. a., EMRK, Art. 8, Rn. 185. 258 Frowein, Jochen, in ders. / Peukert, EMRK, Art. 12, Rn. 6. 259 EKMR Albert und Margit Graf-Zwahlen v. CH, E 8166 / 78, EuGRZ 1978, 518 (518 f.). 260 EGMR Abdulaziz, Cabales and Balkandali v. UK, Urteil vom 28. 5. 1985, Ser.A / No. 94, § 62 = EuGRZ 1985, 567 (569); Berrehab v. NL, Urteil vom 21. 6. 1988, Ser.A / No. 138, § 21. 261 EGMR Abdulaziz, Cabales and Balkandali v. UK, Urteil vom 28. 5. 1985, Ser.A / No. 94, § 62 = EuGRZ 1985, 567 (569).
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EMRK zu sehen, der umfassend die Intim- und Privatsphäre vor staatlichen Eingriffen schützt und deshalb auch das in der Ehe zum Ausdruck kommende beabsichtigte Familienleben achtet. Weil die Fortpflanzungsfähigkeit auch nach dem Verständnis der EMRK keine grundlegende Voraussetzung der Ehe ist und Art. 8 EMRK gerade vor staatlichem Nachforschen schützen will, haben auch kinderlose Ehen einen Anspruch auf Achtung ihres Familienlebens. So wird in Art. 8 EMRK die Ehe als ein beabsichtigtes Leben mit Kindern geschützt und damit als Vorstufe zur Familie angesehen. Das Verständnis der Ehe als Ausgangspunkt für die Gründung einer Familie wird durch die Regelung des Art. 12 EMRK bestätigt. Das von Art. 12 EMRK garantierte Recht, eine Ehe einzugehen, nimmt auf die traditionelle Ehe von Personen verschiedenen Geschlechts Bezug, weil es explizit Männern und Frauen gewährt wird. Die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner ist konstitutives Tatbestandsmerkmal des Ehebegriffs262 und richtet diese somit grundsätzlich auf Kinder aus. Der Wortlaut des Artikels macht klar, dass sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, die Ehe als Grundlage der Familie zu schützen.263
c) Ehe und Familie als Einheit Schon dieses Verständnis der Ehe als Ausgangspunkt für die Familiengründung betont die Einheit von Ehe und Familie. Auch in der Menschenrechtskonvention wird davon ausgegangen, dass dem Kindeswohl in der Regel am besten durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Eltern und Kindern gedient ist264 und dass dieser Kontakt in der Ehe rechtlich abgesichert wird. Die Einheit von Ehe und Familie findet ihren besonderen Ausdruck im Wortlaut des Art. 12 EMRK, der das Recht zur Eheschließung mit dem Recht zur Familiengründung in einem Atemzug nennt und so mit Art. 6 Abs. 1 GG vergleichbar ist. Die Familiengründung wird als Folge der Heirat verstanden,265 Art. 12 EMRK verbindet das Recht auf Familiengründung unmittelbar mit dem Recht auf Eheschließung.266 Im Lichte der Interpretation, die das Eheverständnis in Art. 8 EMRK durch die Entscheidungen der Kommission und des Gerichtshofs gefunden hat, wird deutlich, dass die EMRK die Ehe als verlässliche Basis für die Erziehung von gemeinsamen Kindern begreift. Eheschließung und Familiengründung sind hier noch mehr als im Wortlaut von Art. 6 GG miteinander verbunden.267 262 EGMR Cossey v. UK, Urteil vom 27. 9. 1990, Serie A / No. 184 = ÖJZ 1991, 173 (175); EuGH DVBl. 2001, 1199. 263 EGMR Cossey v. UK, Urteil vom 27. 9. 1990, Serie A / No. 184 = ÖJZ 1991, 173 (175); EuGH DVBl. 2001, 1199. 264 Vgl. zu einer Trennung der Kinder von ihren behinderten Eltern EGMR Kutzner v. D, Urteil vom 26. 02. 2002, RJD 2002 – I, = EuGRZ 2002, 244. 265 Brötel, Achim, Anspruch auf Achtung des Familienlebens, S. 117. 266 Wolff, Heinrich Amadeus, EuR 2005, 721 (723).
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d) Schwerpunkt des Schutzes der Familie als Raum zur Persönlichkeitsentfaltung Durch die zusätzliche Regelung zum Schutz des Familienlebens in Art. 8 EMRK wird deutlich, dass die Menschenrechtskonvention die Familie als zentrales Schutzgut ansieht und gleichzeitig die Ehe als Vorstufe zur Familie begreift. Der Gewährleistungsinhalt betont im Gegensatz zum Grundgesetz nicht einen besonderen Schutz der Familie, sondern sieht die Familie vor allem als einen Raum an, in dem der Einzelne seine Persönlichkeit ohne Einwirkungen des Staates entfalten kann. Art. 8 EMRK nennt den Anspruch auf Achtung des Familienlebens in einem Atemzug mit der Achtung des Privatlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs und bildet so insgesamt eine umfassende Garantie des Freiraums des Einzelnen zur Entfaltung seiner Persönlichkeit.268 Deshalb liegt der wesentliche Zweck des Artikels in einem Abwehrrecht gegen willkürliche Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Privatsphäre.269 Insbesondere staatliche Maßnahmen, die das Zusammenleben oder Zusammensein der Eltern mit dem Kind verhindern, wie zum Beispiel Entscheidungen über das Sorge- und Umgangsrecht, sollen möglichst verhindert werden270 und bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer qualifizierten gesetzlichen Grundlage nach Art. 8 Abs. 2 EMRK. Allerdings können zu dieser negativen Verpflichtung Schutzpflichten des Staates zur Gewährleistung des Privat- und Familienlebens hinzutreten,271 so dass Art. 8 EMRK nicht nur staatliche Unterlassenspflichten, sondern auch positive Verpflichtungen zur effektiven Achtung des Familienlebens begründet272 und sich so durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dem Regelungsinhalt des Art. 6 GG zum Schutz der Familie annähert. Grund des vorrangigen Familienschutzes ist auch in der EMRK der Schutz des Kindes, das wegen seiner besonderen Verletzlichkeit entsprechend einen besonderen Schutz genießt (Art. 8 und 3 EMRK). Die Behörden haben insbesondere in familiären Missbrauchsfällen wegen einer bestehenden Schutzpflicht einzuschreiten,273 dabei aber wegen der abwehrrechtlichen Dimensi267 So die Stellungnahme der EKMR im Fall van Oosterwijck v. Belgium, 1. 3. 1979, B 7654 / 76, EuGRZ 1979, 566 (568), § 61. 268 Villiger, Mark E., Expulsion and the right to respect for private and family life, 657, Rn. 555, Grabenwarter, Christoph, Europäische Menschenrechtskonvention, § 22, Rn. 1. Der Anspruch auf Achtung des Privatlebens, des Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs nennt vier Garantiebereiche, die sich nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen, vgl. Frowein, Jochen, in Frowein / Peukert, EMRK, Art. 8 Rn. 1; Wildhaber, Luzius / Breitenmoser, Stephan, EMRK, Art. 8, Rn. 1. 269 EGMR Belgischer Sprachenfall, Urteil vom 23. 7. 1968, Serie A / No.6, § 7= EuGRZ 1979, 298. 270 EGMR Johansen, Urteil vom 7. 8. 1996, RJD 1996-III, § 52, vgl. zu den einzelnen Maßnahmen nach deutscher Rechtslage Fahrenhorst, Irene, Familienrecht und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 282 ff. 271 EGMR Marckx, Urteil vom 13. 6. 1979, Serie A / No. 31 = EuGRZ 1979, 454, vgl. auch , Grabenwarter, Christoph, Europäische Menschenrechtskonvention, § 22, Rn. 1. 272 EGMR NVwZ 1999, 57 (58).
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on auch unberechtigte Trennungen von Eltern und Kind zu unterlassen.274 Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist immer das Wohl betroffener Kinder von entscheidender Bedeutung.275 So stimmt hier die EMRK mit den Vorgaben des Grundgesetzes überein, den Schwerpunkt des Schutzes um der Kinder willen auf die Familie zu legen und dieser einen Raum der Staatsferne zur Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder zu bieten.
3. Bestätigung der Auslegung des Grundgesetzes durch die EMRK Der in den Regelungen der EMRK zum Ausdruck kommende allgemeine europäische Wertkonsens im Bereich von Ehe und Familie betont das Abwehrrecht vor staatlichen Eingriffen in das Ehe- und Familienleben und legt das Augenmerk auf die Freiheit des Einzelnen zur Eheschließung und Familiengründung. Weil weder Art. 8 noch Art. 12 EMRK einen mit Art. 6 Abs. 1 GG vergleichbaren besonderen Schutz von Ehe und Familie formulieren, wird der Schwerpunkt der Gewährleistungen von Ehe und Familie von einem besonderen Schutz im Grundgesetz zu einem die individuelle Entscheidung des Einzelnen fördernden, staatsfernen Verständnis von Ehe und Familie verlagert. Aufgrund der abwehrrechtlichen Dimension von Art. 6 GG hält sich diese Interpretation aber im Rahmen der Auslegung von Art. 6 GG, so dass der Wertkonsens der EMRK die Gewährleistungsinhalte von Art. 6 GG nicht verändert, sondern bestätigt. Das Leitbild von Ehe und Familie als Einheit findet in Art. 12 EMRK eine besondere Ausprägung und wird durch die Entscheidungen des EGMR, in denen sich der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt, bekräftigt. So wird die Auslegung von Art. 6 GG durch die EMRK weitestgehend gestützt und gefestigt.
II. Entwurf der Grundrechtecharta der Europäischen Union 1. Kein Ausdruck gemeinsamer Werte im Bereich von Ehe und Familie Das Vorhaben, einen eigenen, geschriebenen Grundrechtskatalog der Europäischen Union als Beitrag zu einer gemeinsamen europäischen Identität zu entwickeln,276 wurde auf den Konferenzen des Europäischen Rats im Juni 1999 in 273 EGMR D.P. u. J.C. v. UK, Urteil vom 10. 10. 2002 (S I) – 38719 / 97, vgl. auch Rengeling, Hans-Werner / Szczekalla, Peter, Grundrechte in der Europäischen Union, § 26, Rn. 952. 274 EGMR Venema v. NL, Urteil vom 17. 12. 2002, (S II) – 35731 / 97 = ÖJZ 2004, 275; vgl. auch Rengeling, Hans-Werner / Szczekalla, Peter, Grundrechte in der Europäischen Union, § 26, Rn. 952. 275 EGMR Margareta u. Roger Andersson, Urteil vom 25. 2. 1992, Serie A / No. 226, § 95. 276 Vgl. Däubler-Gmelin, Hertha, EuZW 2000, 1 ff.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Köln und im Oktober 1999 in Tampere auf den Weg gebracht. Der daraufhin einberufene Konvent erarbeitete einen Entwurf für eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union, für den die EMRK und ihre Zusatzprotokolle, die Europäische Sozialcharta von 1961, die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte von 1989 und Bestimmungen des EG-Vertrages zur Unionsbürgerschaft, zu den Grundfreiheiten und zum Sozialrecht als Grundlage dienten. Auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 wurde die Grundrechtecharta vom Europäischen Rat „begrüßt“ und feierlich proklamiert.277 Im Anschluss daran berief der Europäischer Rat auf seiner Tagung in Laeken (Belgien) im Dezember 2001 einen „Konvent zur Zukunft Europas“ unter Leitung des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing ein, der in einer „Empfehlung“ einen vollständig ausgearbeiteten Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa278 dem Europäischen Rat beim Gipfel in Thessaloniki am 20. Juni 2003 vorlegte. In diesen umfangreichen Entwurf des Vertrages wurde die Grundrechtecharta als Teil II inhaltlich übernommen.279 Nach Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten wurde erst auf der Regierungskonferenz in Brüssel im Juni 2004 eine politische Einigung über einen mehrfach modifizierten Vorschlag eines Vertrages erzielt und der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der 25 Mitgliedstaaten unterzeichnet. 280 Allerdings bedarf der Vertrag zu seinem In-Kraft-Treten der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften.281 Weil er aber einigen Ländern, in denen das Volk über die Annahme entscheidet, bereits abgelehnt worden ist, fehlt ihm die rechtliche Verbindlichkeit und kann diese auch nur nach inhaltlichen Änderungen erlangen. So entfaltet auch die Charta der Grundrechte noch keine Rechtsverbindlichkeit. Allerdings wird die Charta von den Generalanwälten bereits als Bestätigung des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes herangezogen,282 obwohl auch sie darauf hinweisen, dass sie nur eine Reihe von bedeutenden Rechten enthalte, die zur europäischen Verfassungstradition gehören und daher nicht ignoriert werden dürfen.283 Der Forderung, der Charta als Ganzes den Charakter einer RechtserkenntVgl. Streinz, Rudolf, Europarecht, Rn. 358 f. Vgl. zum besseren Begriff des Verfassungsvertrags statt Verfassung entsprechend dem europäischen Verfassungsverbundes: Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (234). 279 Aufgrund dieser Übernahme werden die Artikel der Grundrechtecharta im Verfassungsvertrag neu nummeriert (Art. II-61 bis II-114 EVV). Wege der Ungewissheit der Rechtsverbindlichkeit des Vertrages in der Zukunft wird diese Zählweise hier allerdings nicht übernommen, sondern die ursprüngliche Nummerierung der Artikel der Charta beibehalten. 280 Vgl. EU-Nachrichten Nr. 39 / 2004, S. 1. 281 Vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Vertrages über eine Verfassung: Streinz, Rudolf, in: Streinz / Ohler / Herrmann, Neue Verfassung für Europa, § 2. 282 Vgl. die Nachweise bei Kingreen, Thorsten, in Calliess / Ruffert, EU- und EG-Vertrag, Art. 6 EU, Rn. 35 a. 283 GA Tizzano, A., Schlussantrag, Rs. C.173 / 99, 8. 2. 2001, n.n.i.Slg. Rn. 26 ff. (BECTU / Secretary of State for Trade and Industry) und NZA 2001, 827, Rn. 26 ff. 277 278
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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nisquelle284 im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EU neben der EMRK und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zuzusprechen,285 steht der Wortlaut dieser Vorschrift entgegen, der keinen Verweis auf die Charta enthält. Die Grundrechtecharta als Teil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu werten, würde dem erklärten Willen des Konvents und des Europäischen Rats in Nizza widersprechen, der die Frage der Verbindlichkeit der Charta ausdrücklich aufgeschoben hatte. Dieses Vorgehen wäre auch methodisch problematisch, weil die allgemeinen Grundsätze nur Lücken im geschriebenen Gemeinschaftsrecht füllen, nicht aber an dessen Stelle treten können.286
a) Inhaltliche Modifikation des Art. 6 GG? Die Charta kann auch inhaltlich im Bereich von Ehe und Familie kaum zur Feststellung gemeinsamer Verfassungstraditionen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EU herangezogen werden. Zwar ist die Charta dank der Zusammensetzung des Konvents, wonach 45 der 62 Mitglieder aus den mitgliedstaatlichen Parlamenten stammten oder von den mitgliedstaatlichen Regierungen benannt worden waren, ein gemeinsames Werk der Mitgliedstaaten. Auch hat der Konvent die Charta so ausgearbeitet, als ob diese anschließend in die Verträge inkorporiert werden würde und ihr dadurch eine mit den bisherigen Grundrechtskatalogen des Europäischen Parlaments nicht zu vergleichende neuartige Legitimationskraft verliehen.287 Doch sind die vom Konvent getroffenen Regelungen gerade im Bereich von Ehe und Familie nicht Ausdruck einer gemeinsamen Verfassungstradition, sondern haben Kompromisscharakter. Sie vermitteln zwischen den Vorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten, deren Verfassungen sich in den Regelungen zu Ehe und Familie deutlich unterscheiden. So befassen sich beispielsweise lediglich acht Mitgliedstaaten in ihren Verfassungen mit der Ehe. Dabei reichen die Regelungen von der Bezeichnung der Ehe als eine Institution, auf die sich die Familie gründet und die es vor Angriffen zu schützen und mit besonderer Sorgfalt zu bewahren gilt (Art. 41 Abs. 3 Irische Verfassung), bis hin zu einer einfachen Gewähr des Rechts für Mann und Frau, bei voller Gleichstellung die Ehe zu schließen. (Art. 32 Abs. 1 Spanische Verfassung).288 Die Grundrechtecharta kann deshalb im Bereich von Ehe und Familie nicht als Konzentrat der Verfassungsüber284 Die Rechtserkenntnisquelle bindet anders als eine Rechtquelle nicht unmittelbar, sondern erzielt normähnliche Wirkung im Wege einer Orientierungsfunktion für die Auslegung der Rechtsquelle, vgl.: Kühling, Jürgen, Grundrechte, S. 589. Zu den Erkenntnisquellen siehe auch Streinz, Rudolf, Europarecht, Rn. 358. 285 Schmitz, Thomas, JZ 2001, 833 (835 f.); Kühling, Jürgen, Grundrechte, S. 593. 286 Kingreen, Thorsten, in Calliess / Ruffert, EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EU, Rn. 40 a. 287 Kühling, Jürgen, Grundrechte, S. 593 f. 288 Vgl. die Zusammenstellung bei: Hövelberndt, Andreas, Ehe, FPR 2004, 117 ff.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
lieferungen der Mitgliedstaaten gewertet werden.289 Ein Vergleich der Regelungen zu Ehe und Familie in den Verfassungen der Mitgliedstaaten zeigt, dass die Charta hier nicht die zentralen europäischen Wertvorstellungen herausstellt und grundlegende Äußerungen zur Identität und Selbstverständnis der Europäer trifft. Vielmehr relativiert sie in Deutschland den vom Grundgesetz gewährleisteten Schutz und beschränkt sich dabei auf wenig aussagekräftige Formulierungen und Verweisungen auf das nationale Recht (vgl. insbesondere Art. 9 GRC) und lockert den Zusammenhang zwischen Ehe und Familie,290 schwächt damit das Rechtsinstitut der ehebasierten Familie. Weil die Grundrechtecharta keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, bleibt diese Relativierung ohne Auswirkung für die Interpretation des Grundgesetzes. Wenn man die Charta bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 2 EU heranziehen würde, würde sie darüber hinaus ihre Wirkung nach Art. 51 Abs. 1 GRC nur gegenüber Organen der EU und der EG entfalten291 und die deutschen Organe nur insoweit binden, als sie europäisches Recht vollziehen.292 Nachweislich der Äußerungen des deutschen Präsidenten des Grundrechtskonvents war es für den Konsens bei der Entwicklung der Charta von entscheidender Bedeutung, dass die Charta nur an die Europäischen Organe zu richten sei und nicht – im Normalfall jedenfalls nicht – an die nationalen Organe. Insbesondere im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird dies vom Präsidenten des Grundrechtskonvents mehrmals betont.293 Dass die Charta die Verfassungsnorm des Art. 6 GG solange nicht beeinflusst, wie diese weiter reichenden Schutz als die Charta gewährleistet, wird zudem in ihrem Text deutlich. Nach Art. 53 GRC hat die Charta keine einschränkende Wirkung auf Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden. Auch die Kommission hebt hervor, dass die Charta in ihrem Geltungsbereich nicht an die Stelle der 289 A. A. Kingreen, Thorsten, in: Calliess / Ruffert, EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EU-Vertrag, Rn. 40b, der die gesamte Charta als Konzentrat gemeinsamer Verfassungstraditionen bezeichnet. 290 Vgl. sogleich zu 2. 291 Mit „Organe und Einrichtungen der EU“ sind nicht nur der Europäische Rat der Staatsund Regierungschefs, sondern zumindest auch die eigentlich entscheidenden Organe der EG gemeint, vgl. Calliess, Christian, Europäische Grundrechts-Charta, § 19 III Rn. 25; Stein, Torsten, „Gut gemeint. . .“ – Bemerkungen zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 1432 f. 292 Mit Hinweis auf den europäischen Verfassungsverbund im Gegensatz zur deutschen Bundesverfassung im Verhältnis zu den Landesverfassungen begrüßt dies richtigerweise: Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (240). Er sieht zu Recht das Schattendasein der Landesverfassungen nur für den Bundesstaat, nicht aber für den europäischen Staatenverbund als adäquat an, vgl. zum Verhältnis der Landesverfassungen zum Grundgesetz: Huber, Peter M., in Sachs, GG, Art. 31, Rn. 8 f. und Art. 142, Rn. 5 f.; zur Tatsache, dass die Länder im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerade keine „Herren des Grundgesetzes“ sind: Huber, Peter M., in Sachs, GG, Präambel, Rn. 21. 293 Herzog, Roman, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 7 (10).
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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nationalen Verfassungen trete.294 Der Inhalt des Art. 6 Abs. 1 GG wird also von der Grundrechtecharta nicht berührt.295
b) Europarechtliche Auslegungshilfe Wenn die Charta der Grundrechte der Europäischen Union einen Grundrechtskatalog formuliert, der zumindest im Kern über die EMRK, den EU und EG, der Rechtsprechung des EuGH sowie weiteren europäischen Übereinkommen bereits jetzt zum rechtlich bindenden Standard im europäischen Grundrechtsschutz gehört, kann sie das geltende Recht aber bestätigen und bekräftigen. In einer lebhaften gesellschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung ist es notwendig, Grundrechte auf europäischer Ebene sichtbarer zu machen und dadurch ihren Schutz zu verstärken.296 Durch die Kodifikation entfaltet die Charta auf der Ebene der Europäischen Union eine beachtliche Signalwirkung im Sinne der Grundsätze von Transparenz und Bürgernähe297 und gibt gleichzeitig Auskunft über die Identität und Werteorientierung Europas.298 Als Grundrechtskatalog besitzt sie eine stark unitarisierende Wirkung.299 Im Hinblick auf Art. 6 GG verpflichtet die Einbindung der deutschen Rechtsordnung in die internationalen und zwischenstaatlichen Beziehungen die Verfassungsinterpretation zu einer möglichst harmonisierenden, gemeinschaftsfreundlichen Auslegung, die Konflikte mit dem Europarecht vermeidet,300 soweit die nationalen Vorgaben einen Spielraum eröffnen. Der europäische Verbund kann das nationale Verfassungsrecht nicht nur im Bereich der Staatsorganisation, sondern auch im Bereich der Grundrechte relativieren. Art. 23 GG öffnet das deutsche Grundgesetz für die europäische Idee und fordert dazu auf, sich den von Art. 6 und 7 EU formulierten Homogenitätsanforderungen anzupassen. So beeinflusst das Grundgesetz die Gemeinschaftsgrundrechte als Ausdruck der Verfassungstradition eines Mitgliedstaates und wird gleichzeitig von diesen geprägt, soweit dieses einer europäischen Interpretation einen Spielraum lässt. In diesem wechselseitigen Spiel von unionalem und nationalem Verfassungsrecht ergänzen sich beide Grundrechtsmaßstäbe. Diese Ergänzung kann auch bei der Auslegung und Anwendung von Art. 6 GG berücksichtigt werden.301 294 Mitteilung der Kommission zum Status der Grundrechtscharta der Europäischen Union vom 11. 10. 2000 – KOM(2000) 644 endg, Rn. 9. 295 Vgl. Herzog, Roman, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 7 (13 f.). 296 Calliess, Christian, Die Europäische Grundrechts-Charta, § 19 IV. Rn. 28; Tettinger, Peter J., NJW 2001, 1010, (1010). 297 Tettinger, Peter J., NJW 2001, 1010, (1010). 298 Meyer, Jürgen / Hartleif, Sylvia, Zur Sache 1 / 2003, Einleitung, S. 34 f. 299 Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (239); Bogdandy, Armin von, Der Staat 39 (2000), 163 (168, 183). 300 Vgl. Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (227); weitergehend als hier: Robbers, Gerhard, in von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 6, Rn. 22.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
2. Inhaltliche Vorgaben der Grundrechtecharta für das Verhältnis von Ehe und Familie a) Relativierung des Schutzes für Ehe und Familie durch Verweise auf das einfache Recht Zentrale Vorschrift der Charta der Grundrechte für den Schutz von Ehe und Familie ist Art. 9 GRC.302 Danach werden das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln. Die Formulierung stützt sich auf Art. 12 EMRK, wurde aber durch einen zusätzlichen Verweis auf das einfache Recht geändert, um für unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten offen zu sein.303 Den Erläuterungen des Art. 9 GRC zufolge können nach einzelstaatlichen Vorschriften andere Formen als die Heirat, zum Beispiel die nichteheliche Lebensgemeinschaft, zur Gründung einer Familie anerkannt werden. Zudem soll Art. 9 GRC weder untersagen noch vorschreiben, ob Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts der Status der Ehe verliehen werden kann.304 So wird die Definition von Ehe und Familie „einer gesetzgeberischen Beliebigkeit überantwortet“305 und dadurch sowohl ein einheitlicher als 301 Vgl. zum wechselseitigen Einfluss von europäischem und nationalem Verfassungsrecht: Huber, Peter M., VVDStRL 60 (2000), 194 (222 ff. insbesondere 226 f.). Der wechselseitige Einfluss wird auch durch das den Grundrechtsschutz gewährleistende Verfahren bestätigt: „Art. 7 EU verleiht der Union die Befugnis, gegen einen Mitgliedstaat vorzugehen, der schwerwiegend und anhaltend die Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU verletzt. Damit überträgt der Vertrag der Union die Aufgabe, die liberal-demokratischen Verfassungen zu schützen und damit das verfassungsmäßige Gesamtgefüge der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Sie hat die nationalen Verfassungen zu schützen, sofern deren Schutzmechanismen versagen“ So: Bogdandy, Armin von, Grundrechtsgemeinschaft als Integrationsziel?, S. 23 f. 302 Durch die Inkorporation der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag als dessen Teil II beginnt die Charta nach ihrer neben der Präambel des Verfassungsvertrags beibehaltenen eigenen Präambel mit Art. II-61 EVV und geht bis Art. II-114 EVV. Da aber die zukünftige Rechtsverbindlichkeit des Verfassungsvertrages in seiner jetzigen Gestalt ungewiss ist, wird hier diese Durchzählung nicht übernommen, sondern die Artikelnummerierung der Charta der Grundrechte als Einzelwerk beibehalten. 303 Es war ursprünglich vom Präsidium des Konvents – oder zumindest von seinem Vorsitzenden – gedacht worden, nur bei der Ehe weitgehend auf die nationalen Rechtsordnungen zu verweisen, damit nur in diesem Bereich genug Raum für die individuelle gesellschaftliche Entwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten bleiben kann. Für die Familie sollten klare Regelungen getroffen werden. In der endgütigen Fassung wird aber auch für die Familie auf die einzelstaatlichen Gesetze verwiesen, weil eine unterschiedliche Behandlung von Ehe und Familie im Konvent keinen Konsens gefunden hat. Vgl. Herzog, Roman, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 7 (12): „Mir wäre lieber gewesen, der Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen wäre nur für die Ehe erfolgt.“ 304 CHARTE 4471 / 00, S. II, wiedergegeben auch in EuGRZ 2000, 559 ff.; Rengeling, Hans-Werner / Szczekalla, Peter, Grundrechte in der Europäischen Union, § 16, Rn. 665 f., Tettinger, Peter J., NJW 2001, 1010, (1012).
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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auch ein besonderer Schutz von Ehe und Familie auf europäischer Ebene von vorne herein blockiert. Schon diese Definitionsschwierigkeiten relativieren den grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie auf europäischer Ebene, haben aber aufgrund dieser Verweisungstechnik auf das einfache Recht keine Auswirkung auf die deutsche Verfassungsinterpretation.
b) Unabhängiger Schutz von Ehe und Familie Die Auslegung von Art. 6 GG findet in der Grundrechtecharta insoweit eine Bestätigung, als Ehe und Familie getrennt geschützt werden und zudem der Schwerpunkt des Schutzes auf der Familie liegt.306 Der Begriff der Familie beschränkt sich in den Vorschriften der Charta nicht auf die ehebasierte Familie. Der Schutz der Gemeinschaft mit Kindern steht im Vordergrund, so dass auch für die Grundrechte in der Charta gilt, dass eine Familie dort ist, wo Kinder sind und nicht notwendigerweise eine Ehe voraussetzen.307 Gleichzeitig wird das Recht, eine Ehe einzugehen, nicht auf die Partner beschränkt, die Kinder haben möchten. Obwohl Art. 9 GRC dem Art. 12 EMRK inhaltlich nachgebildet ist, ist das Recht auf Familiengründung hier also deutlicher von der Eheschließungsfreiheit abgekoppelt. Art. 9 GRC bindet die Familie nicht an die Beziehung zu Kindern, die aus einer Ehe entstammen.308
c) Schwerpunkt des Schutzes der Familie Der vorrangige Schutz der Familie und des Kindes im Gegensatz zum Schutz der Ehe wird im Text der Charta besonders deutlich. Eine besondere Bestimmung zum Schutz der Ehe fehlt, die Charta beschränkt sich darauf, in Art. 9 GRC für das Individuum ein Recht zu gewährleisten, eine Ehe einzugehen. Die Familie wird hingegen weitaus umfassender geschützt. Für den Schutz der Familie besteht neben dem Recht, eine Familie zu gründen (Art. 9 GRC), auch ein mit Art. 8 EMRK vergleichbarer Anspruch auf Achtung des Familienlebens (Art. 7 GRC). Zudem gewährleistet Art. 33 GRC den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie und gibt in seinem Abs. 2 Ansprüche auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Mutterschaft zusammenhängenden Grund, auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines 305 Tettinger, Peter J., NJW 2001, 1010, (1012). Dieser weist richtigerweise darauf hin, dass „die EU keine Definitionshoheit über diese Begriffe hat; eine Ermächtigung zur Begriffsauflösung ihr freilich auch nicht zukomme.“ 306 Dazu sogleich zu c). 307 Kingreen, Thorsten, in Calliess / Ruffert, EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EU, Rn. 110. 308 Wolff, Heinrich Amadeus, EuR 2005, 721 (722 f.).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Kindes. Ausweislich des Textes dienen diese als originäre Leistungsrechte ausgestalteten Ansprüche309 der Förderung der Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben. Der besondere Schutzauftrag in Abs. 1 fördert den Zusammenhalt der Familie und verpflichtet die hoheitliche Gewalt, die Familie auch wirtschaftlich zu entlasten. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Konvents gibt Art. 33 GRC das Verhältnis von Ehe und Familie wieder. Wenn beide Rechtsinstitute gegeneinander stehen – das ist häufig bei finanziellen Fragen der Fall – dann gehe die Familie vor und nicht die Ehe.310 Zudem wird in der Existenz mehrerer Schutzbestimmungen zugunsten des Kindes (Art. 24, 14, 25 GRC) deutlich, dass der Schutz des Kindes ein wichtiges Anliegen ist und deshalb auch der Familienschutz vor allem dem Schutz des Kindes dient.311 Insbesondere Art. 24 GRC bekräftigt die Rechte des Kindes und stellt in seinem Abs. 2 sicher, dass das Kindeswohl bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist. Es sollen vor allem im Verfahrensrecht alle für den Prozess einschlägigen Grundrechte am Kindeswohl orientiert werden, insbesondere bei Sorge- und Umgangsstreitigkeiten und Kindesentführungen. Der mit „Rechte des Kindes“ überschriebene Artikel stützt sich ausweislich der Erläuterungen auf die von allen Mitgliedstaaten ratifizierte Kinderkonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1989.312 Nach Art. 24 GRC haben Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Es wird hier eine ausdrückliche Schutzpflicht für Kinder statuiert, da Kinder besonders verletzbare Grundrechtsträger sind.313 Um der Kinder willen wollte der Konvent den Schwerpunkt des Schutzes der Gemeinschaften aus Art. 6 GG auf den Schutz der Familie legen und im Spannungsfall zwischen Ehe und Familie der Gemeinschaft mit Kindern den Vorrang einräumen.314
309 Vgl. Kingreen, Thorsten, in Calliess / Ruffert, EU-Vertrag und EG-Vertrag„ Art. 6 EU, Rn. 50. 310 Herzog, Roman, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 7 (12). 311 Kingreen, Thorsten, in Calliess / Ruffert, EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EU, Rn. 111. 312 Rengeling, Hans-Werner / Szczekalla, Peter, Grundrechte in der Europäischen Union, § 26, Rn. 937. 313 Rengeling, Hans-Werner / Szczekalla, Peter, Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, § 16, Rn. 956. 314 Herzog, Roman, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 7 (11): „Für mich gilt die Leidenschaft nicht der Ehe sondern der Familie, weil sie in die Zukunft weist, sofern sie Kinder hat. Ehe und Familie sind nach unserem Grundgesetz von gleicher Dignität, aber wenn die Interessen beider miteinander konfligieren – und das ist häufig im Bereichen etwa der Rentenversicherung, der Altersvorsorge der Fall – dann geht es für mich um die Familie, dann hat die Ehe zurück zu stehen. Dies schlägt sich im Text der Charta nieder.“ Und S. 7 (12): „. . . Dann geht für mich die Familie vor und nicht die Ehe. Der Gesichtspunkt der Brutpflege steht für mich über Allem, das wird in Art. 33 EU-Charta deutlich.“
C. Veränderungen des Maßstabs durch europarechtliche Vorgaben
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d) Aufweichen der Wertentscheidung des Grundgesetzes von Ehe und Familie als Einheit Die vom Grundgesetz vorgegebene Leitidee von der Einheit von Ehe und Familie wird in der Grundrechtecharta insoweit nachgezeichnet, als in Art. 9 GRC für beide Rechtsinstitute eine parallele Formulierung gewählt wurde. Im Konvent zum Entwurf einer europäischen Charta der Grundrechte gab es entgegen den ursprünglichen Vorstellungen des Vorsitzenden keinen Konsens dafür, Ehe und Familie unterschiedlich zu behandeln. Ehe und Familie sind in einem Atemzug und damit quasi gleichberechtigt formuliert.315 Allerdings wird dem einfachen Gesetzgeber durch den doppelten Verweis auf das nationale Recht eine Änderungsbefugnis hinsichtlich der Wertentscheidung der Einheit der Rechtsinstitute überantwortet und so einer einheitlichen europäischen Wertvorstellung der Boden entzogen. Zudem wurde die Formulierung des Art. 12 EMRK, an den sich Art. 9 GRC anlehnt, dahingehend geändert, dass die Verbindung von Mann und Frau als Charakteristikum der Ehe gestrichen wurde und dadurch die Ehe nicht mehr als verlässliche Basis für die Kindererziehung gewährleistet wird.316 Zwar räumt Art. 24 Abs. 3 GRC dem Kind einen Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehung und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen ein und anerkennt somit, dass für die gute Entwicklung des Kindes der ständige Umgang mit Vater und Mutter von großer Bedeutung ist. Die rechtliche Absicherung dieser kindlichen Erwartung in der Ehe wird allerdings nicht betont, die ehebasierte Familie nicht als Normalfall angesehen und so die Durchsetzung dieses Anspruchs erschwert. Es lässt sich aus Art. 24 Abs. 3 GRC im Grundansatz ein von der Ehe unabhängiges Elternrecht herausfiltern, das die Elternverantwortung in den Mittelpunkt stellt, indem der Anspruch direkt gegen beide Elternteile gerichtet und eine Horizontalwirkung (unmittelbare Drittwirkung) erzeugt wird.317 So wird die Leitidee des Grundgesetzes von der Einheit von Ehe und Familie für die bestmögliche Entwicklung des Kindes auf europäischer Ebene relativiert und zugunsten von eheunabhängigen Ansprüchen der Kinder gegen ihre Eltern aufgeweicht. e) Kaum Regelungen zur Konfliktlösung bei Trennung der Gemeinschaften Neben dem besonderen Schutz der Ehe fehlen auf europäischer Ebene auch Grundaussagen für die Lösung von Konflikten zwischen den Gemeinschaften. Gesichtspunkte, die den Auftrag zur Kontinuität der Gemeinschaften von Ehe und Familie festschreiben, fehlen in der Charta der Grundrechte. Sie beschränkt sich 315 316 317
Vgl. Herzog, Roman, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 7 (13 f.). Vgl. so auch Tettinger, Peter J., NJW 2001, 1010, (1012). Tettinger, Peter J., NJW 2001, 1010, (1013).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
darauf, in Art. 9 GRC für das Individuum die Freiheit der Gründung von Ehe und Familie zu gewährleisten. Eine mit Art. 6 GG vergleichbare Einrichtungsgarantie ist nicht zu erkennen. Die Pflichtenbindung der Grundrechtsberechtigten trotz Trennung der Gemeinschaften wird allerdings im Anspruch des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen in Art. 24 Abs. 3 GRC angedeutet. Dieser Anspruch besteht gerade auch dann, wenn sich die Gemeinschaft der Vollfamilie auflöst. Auch eine Regelung zu einer sozial- und rechtsstaatlichen Stütze beim Scheitern von Ehe und Familie fehlt, dies allerdings auch mangels diesbezüglicher Kompetenz der EU.
3. Keine Auswirkung der Relativierung des Grundrechtschutzes Versteht man die Grundrechtecharta als Bestätigung des geltenden Rechts einerseits und versucht man andererseits, das Grundgesetz möglichst gemeinschaftsfreundlich auszulegen, finden sich in Art. 6 GG und der GRC insoweit Übereinstimmungen, als beide Rechtskreise Ehe und Familie unabhängig voneinander schützen und den Schwerpunkt des Schutzes auf die Familie legen. Die Leitidee des Grundgesetzes von der Einheit von Ehe und Familie findet in der Grundrechtecharta hingegen keine vergleichbare Regelung. Weil die Charta noch keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, bleibt diese Relativierung des Grundgesetzes ohne Auswirkung. Solange die Charta nicht als geltendes Vertragsrecht umgesetzt ist, kann nur das als Bekräftigung des geltenden Rechts verstanden werden, was im nationalen Verfassungsrecht vorgefunden wird. Weil die Wertentscheidung von Ehe und Familie als Einheit im deutschen Grundgesetz festgeschrieben ist, vermag die Charta daran nichts zu ändern.
4. Teil
Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber – Vorschläge für ein entspanntes Verhältnis zwischen Ehe und Familie Der für den Verfassungsinterpreten offene Wortlaut des Art. 6 GG lässt dem jeweiligen Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsraum, um auf aktuelle Probleme und Entwicklungen im Rahmen des staatlich Möglichen reagieren zu können. Familienpolitik als eine sozialpolitische Aufgabe steht stets in Konkurrenz zu weiteren Zielen, Zwecken und Aufgaben des Staates, der selbst nur das zentrale politische Organ der Gesellschaft ist.1 Sie versucht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das Leben in Ehe- und Familie zu geben, indem sie auf die Steuergesetzgebung Einfluss nimmt, die Ehe als Einrichtungsgarantie ausgestaltet, ökonomische Familienhilfe anbietet oder eine familien- und kinderfreundliche Infrastruktur schafft.2 Im Folgenden wird der Versuch unternommen, dem Gesetzgeber einen Vorschlag zur Ausgestaltung des einfachen Rechts zu unterbreiten, der das verfassungsrechtliche Verhältnis von Ehe und Familie beachtet und bestehende Spannungslagen zwischen diesen Gemeinschaften abbaut. Dabei kann eine an der Eigenart jeder Gemeinschaft orientierte Förderung die gesellschaftlichen Entwicklungen positiv zugunsten von beiden Gemeinschaften beeinflussen (s. A.). Den Zivilgesetzgeber fordert Art. 6 GG auf, die Spannungslagen zu lösen, die mit der gesellschaftlichen Entwicklung zwischen den Partnern und Familienmitgliedern entstanden sind (s. B.). So soll der Gesetzgeber zwar die gesellschaftlichen Entwicklungen im Sinne von Art. 6 GG beeinflussen, gleichzeitig aber auch Spannungslagen zwischen Ehe und Familie lösen, die durch ein Verhalten der Freiheitsberechtigten entstanden sind, das dem Grundverständnis der Verfassung nicht entspricht.
1 Kaufmann, Franz-Xaver, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, S. 32; vgl. Zacher, Hans F., HStR I, § 25. 2 Hohloch, Gerhard, Familienrecht, § 3 I. 1. Rn. 65.
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
A. Unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie Weil Ehe und Familie heute nicht mehr notwendigerweise aufeinander aufbauen, treten sie vermehrt zueinander in Konkurrenz. Art. 6 GG nimmt diese Entwicklung auf und löst gleichzeitig die daraus entstehenden Spannungslagen, indem er den einfachen Gesetzgeber beauftragt, Ehe und Familie auf unterschiedliche Weise zu schützen und zu fördern. Wegen des besonderen Schutzbedürfnisses des Kindes liegt dabei gerade der finanzielle Schwerpunkt der Förderung auf der Familie. Durch eine konsequente Umsetzung dieser Verfassungsgebote wird das Verhältnis von Ehe und Familie in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen entspannt, gleichzeitig wird ihnen der besondere Schutz zuteil, durch den sie sich der Verfassung zufolge von anderen Lebensgemeinschaften abheben sollen. Dabei ist die Freiheitssphäre des Grundrechtsberechtigten zu wahren und Ehe und Familie als ein institutionelles Angebot zu begreifen, für das sich jeder frei entscheiden und das Leben in ihnen autonom ausgestalten kann. Der Staat ist in seinen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Lebensgestaltung des Einzelnen beschränkt. Staatliche Politik kann Kinderwünsche und Eheschließungen nicht erzeugen, sie kann aber die Ehe als für den Einzelnen wertvolles Lebensmodell konzipieren und die Folgen des Kinderhabens so zu beeinflussen suchen, dass Individuen und Paare die Risiken und Kosten, die mit der Übernahme der Verantwortung für ein (weiteres) Kind verbunden sind, geringer einschätzen.3 Wer Ehe und Familie schützt, erleichtert die Entscheidung, diese Gemeinschaften zu gründen.4 Der staatliche Schutz der Ehe beginnt mit einer Öffentlichkeitsarbeit, in der für die Ehe als Lebensgemeinschaft und als Grundlage für die Familie geworben wird. Daneben muss das staatliche Recht die Struktur der Ehe als Erwerbsgemeinschaft anerkennen. Eine verfassungskonforme Förderung der Familie fordert vor allem finanzielle Anerkennung und strukturelle Unterstützung. Durch diese Maßnahmen wird eine Konkurrenz zwischen Ehe und Familie entschärft, weil jede Gemeinschaft in ihrer Eigenart geschützt wird. Die verfassungsrechtliche Leitidee der Einheit von Ehe und Familie kann der Staat nur durch eine öffentliche Bewusstseinsbildung und rechtliche Rahmenbedingungen vermitteln, weil dieses Lebensmodell nur in freiheitlich autonomer Entscheidung durch die Partner angenommen werden kann.
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Vgl. Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 196. So für die Familie: Steiner, Udo, Generationenfolge und Grundgesetz, S. 28.
A. Unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie
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I. Bewusstseinsbildung durch Öffentlichkeitsarbeit für Ehe und Familie Der Mensch hat die Fähigkeit, Sachverhalte und Eindrücke wahrzunehmen, diese bewusst zu erkennen, einzuordnen und zu bewerten und sich schließlich durch den Einsatz von Vernunft und Verstand eine eigene Meinung zu bilden.5 Dieser Prozess wird durch Meinungsäußerungen und Tatsachenmitteilungen anderer Menschen maßgeblich beeinflusst.6 In der heutigen Mediengesellschaft gewinnt dabei vor allem das öffentlich gesprochene Wort immer mehr Gewicht. Seine Verbreitung in Wort, Schrift und Bild beeinflusst Wertvorstellungen und Wünsche seiner Leser, Zuhörer und Zuschauer. Als besonders wichtige Grundlage der Meinungsbildung wird die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet.7 Die Medien haben zum Verlust der traditionellen Lebensformen von Ehe und Familie beigetragen.8 Öffentliche Kampagnen können zwar einen tatsächlich vollzogenen Wertewandel kaum verhindern, sie können aber nur scheinbare Wirklichkeiten aufdecken, die Bedeutung von Ehe und Familie für den Einzelnen verdeutlichen und dadurch den Wunsch nach einem Leben in Ehe und Familie stärken. Die Studien über die Einstellungen zu Ehe und Familie unter jungen Menschen haben gezeigt, dass sich der Sinn der Ehe für viele verschließt, ein Leben in der Familie hingegen als erstrebenswert angesehen wird. Auch wenn die Familie heute durch die medizinischen Möglichkeiten planbarer geworden ist und ein großer Teil der Bevölkerung ohne Kontakt zu Kindern aufwächst und sich deshalb von Kindern entfremdet, bleibt der Wille zum Kind und zur Familie bestehen. Zudem ist die Familie in den Diskussionen um die Bekämpfung des demographischen Wandels wieder vermehrt ins Bewusstsein gerückt. Deshalb ist im Sinne eines ausgewogenen Schutzes gemäß Art. 6 GG eine Öffentlichkeitsarbeit weniger für die Familie als vermehrt für die Ehe zu leisten, freilich für die Ehe als potentielle Elternschaft und damit als zukünftige Familie.
1. Öffentlichkeitsarbeit für die Ehe Das Wesen der Ehe ist von seiner freiheitlichen Ausgestaltung durch die Partner geprägt. Der Staat ist zur Zurückhaltung verpflichtet, deshalb sind finanzielle Anreize zum Eingehen der Ehe unserem Verfassungsverständnis fremd. Die FreiheitsSchmidt-Jortzig, Edzard, HStR VI, § 141 Rn. 18. Vgl. zur Unterscheidung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenmitteilung: Schmitt Glaeser, Walter, AöR 113 (1988), S. 52 (72 u. 74); Starck, Christian, in von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 5 GG, Rn. 22. 7 Bullinger, Martin, HStR VI, § 142 Rn. 1. 8 s. hierzu: Teil 1., A. III. 14. 5 6
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berechtigten müssen die sinnstiftende Struktur der Ehe als Lebensgemeinschaft selbst entdecken. Nur dann kann das eheliche Leben gelingen. Deshalb ist der Staat hier gefordert, die Bedeutung der Ehe als lebenslange Erwerbs- und Beistandsgemeinschaft und als Basis für eine zukünftige Elternschaft unabhängig von einer ideologischen oder religiösen Vorstellung zu vermitteln. Dabei wird er vor allem bewusst machen, dass jede Entscheidung ihre Zeit hat. So wie das Aufschieben eines Kindeswunsches um der Erwerbschancen willen oft zu einem ungewollten Verzicht auf das Kind führt, verhindert auch eine zu lange, den Partner idealisierende Suche nach dem Lebensgefährten das Eingehen der Ehe. Außerdem kann der Staat auf die bestehenden rechtlichen Strukturen verweisen, die das Verständnis einer gleichberechtigten, lebenslangen Partnerschaft nachzeichnen. So wäre eine Öffentlichkeitsarbeit denkbar, die eine eheliche Erwerbsgemeinschaft anhand des Steuersplittings erklärt und den Vorteil der gegenseitigen Absicherung durch die Stütze der Beistandsgemeinschaft in Alter und Berufsunfähigkeit verdeutlicht. In Zeiten finanzieller Knappheit gewinnt gerade die gegenseitige Alterssicherung in der Ehe als lebenslanger Partnerschaft an Bedeutung und kann den hohen Scheidungszahlen entgegenwirken. Das Gewicht der Ehe als Grundlage für die Familie findet sich in der Wertentscheidung des Grundgesetzes von der Einheit von Ehe und Familie wieder. Das Bewusstsein für diese Leitidee kann durch eine Öffentlichkeitsarbeit geschärft werden, die herausstellt, dass die Ehe sowohl als Erwerbsgemeinschaft der Absicherung der Partner in der Familie dient als auch das natürliche Recht des Kindes auf die Begegnung mit Vater und Mutter gewährleistet und Erziehungszeiten für einen der Ehepartner erleichtert. Um dem Problem der demographischen Schieflage entgegenzuwirken, muss darüber hinaus die Ehe wieder vermehrt als potentielle Elternschaft gesehen werden, in der die Partner eine sichere Grundlage für die Gründung einer Familie schaffen. Diese Öffentlichkeitsarbeit muss allerdings von Regelungen im Arbeitsrecht flankiert werden, die auch jungen Menschen Sicherheit und stetige Lebensverhältnisse vermitteln können, damit der Kinderwunsch von Ehepaaren nicht zu lange aufgeschoben wird.
2. Unterschiede in Ost- und Westdeutschland Einer guten Öffentlichkeitsarbeit geht eine Analyse der soziologischen und statistischen Befunde voraus. Die Lebensverhältnisse in Ehe und Familie divergieren in Ost- und Westdeutschland sehr. In Ostdeutschland wird vermehrt unabhängig von der Gründung einer Familie geheiratet und so die Ehe als Lebens- und Erwerbsgemeinschaft angenommen, der Wert der Ehe als Grundlage und Absicherung für eine Familie hingegen wird oft verkannt. Im Osten wachsen auffallend viele Kinder seit der Wende im Jahr 1990 in nichtehelichen Lebensgemeinschaften auf, obwohl die Heiratszahlen prozentual nicht geringer ausfallen als im Westen. Eine Öffentlichkeitsarbeit könnte in dieser Region deshalb den Nutzen der Ehe für
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die gemeinsame Sorge der Kinder und die Absicherung für den erziehenden Partner verdeutlichen. Zudem ist die Zahl der Einzelkinder in Ostdeutschland signifikant höher. Dies spricht für eine schlechte Wohnsituation der Familien. Weil die Wohnung der Ort ist, wo sich das Familienleben im Wesentlichen abspielt, und die Wohnbedingungen deshalb für junge Familien ein zentrales Element der Lebensqualität sind, könnte das Schaffen von ausreichend großen und bezahlbaren Wohnungen kinderreiche Familien fördern und auch so der demographischen Entwicklung in Ostdeutschland begegnen. Dies wäre vor allem eine Aufgabe der Kommunalpolitik. Im Westen hingegen heiraten die meisten Paare, wenn ein Kind unterwegs ist. Die Ehe wird hier also vor allem als Grundlage für die Familie, weniger als lebenslange Beistandsgemeinschaft der Eheleute begriffen. So kann hier eine Förderung der Ehe mittelbar auch die Familie erreichen. In den alten Bundesländern entscheiden sich aber viele Paare aus beruflichen Gründen gegen Kinder. Eine Öffentlichkeitsarbeit muss hier mit einer finanziellen und strukturellen Familienförderung einhergehen, die weniger die Nachteile einer Familiengründung, als vielmehr das Glück und die Freude am Leben mit Kindern herausstellt.
II. Gleiche Anerkennung der Erziehungsleistung von allen Familien Im Gegensatz zur Ehe ist der Wille zur Familie und zu Kindern in der Bevölkerung sehr ausgeprägt, wird aber trotzdem oft nicht verwirklicht. Eine Familienförderung im Sinne der Verfassung muss deshalb vor allem die rechtlichen und finanziellen Hindernisse abbauen, die dem Willen zur Gründung einer Familie entgegenstehen. Der Verfassungsauftrag des Benachteiligungsverbots in Art. 6 Abs. 1 GG erhält bei der Förderung der Familie eine besondere Bedeutung. Weil die Gemeinschaft von Mann und Frau in der Ehe nicht erzwungen werden kann und der Schutz der Familie vor allem dem Schutz des Kindes dient, darf eine solche finanzielle Förderung der Familie nicht nur ehebasierten Familien angeboten werden. Das Benachteiligungsverbot gegenüber der Ehe und die Leitidee der Einheit von Ehe und Familie verbieten aber auch Sonderregeln, die Familiengemeinschaften ohne eheliche Grundlage begünstigen. Eine verfassungskonforme Familienförderung muss jeder Gemeinschaft mit Kindern zugute kommen. Der Vorteil der verfassungsrechtlichen Leitidee der ehebasierten Familie, der in einem harmonischen, rechtlich abgesicherten Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern besteht, kann dem Freiheitsberechtigten nur ohne staatliche Intervention durch gesellschaftliche Vorbilder anderer ersichtlich werden. Aus Sicht der Verfassung wäre deshalb ein Förderinstrument zu begrüßen, dass allen Familien, die gleiche Erziehungsleistungen erbringen, die gleichen Mittel zur Verfügung stellt und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie stärkt. Art. 6
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Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich für Ehe und Familie zu entscheiden, das Familienleben frei auszugestalten und die Erziehung der Kinder nach eigenem Ermessen zu organisieren. Die interne Aufgabenverteilung in der Familie ist vom Staat zu respektieren. Die staatliche Familienförderung muss sich deshalb an alle denkbaren Familienmodelle richten. Gerade in wirtschaftlicher Hinsicht dürfen keine finanziellen Anreize oder Belastungsbedingungen gesetzt werden, die faktisch ein bestimmtes Modell als das unter ökonomischen Aspekten allein vernünftige favorisieren.9 Anknüpfungspunkt für die Förderung muss der verfassungsrechtliche Familienbegriff sein, für den die übernommene Elternverantwortung maßgeblich ist, weil immer dort, wo Elternpflichten und Elternrechte wahrgenommen werden, familiäres Leben mit Kindern besteht. Ein einheitliches Förderungsinstrument wird darüber hinaus Gestaltungsmöglichkeiten bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen entgegenwirken, die eine zunehmende Pluralisierung familiärer Lebensformen mit sich bringt. Es könnte verhindern, dass rechtskundige und eigennützig denkende Personen insbesondere sozialrechtliche Vorteile ausnutzen, die ihnen nach der Absicht des Gesetzgebers nicht zukommen sollen.10
1. Abschaffen der Sonderregelungen für Alleinerziehende Die besondere Schutzpflicht des Art. 6 GG gibt dem Gesetzgeber auf, Ehe und Familie nebeneinander im Rahmen des Möglichen zu fördern. Weil der Schutz und die Förderung der Familie auf das Kind ausgerichtet sind, muss die Erziehungsleistung unabhängig vom Status der Eltern anerkannt werden. Das verfassungsrechtliche Gebot des getrennten Schutzes von Ehe und Familie fordert, mögliche finanzielle Vorteile unabhängig vom Familienstand des Vaters und der Mutter zu gewähren. Alleinerziehende, unverheiratete und verheiratete Paare mit Kindern sind deshalb hinsichtlich der Kosten der Kindererziehung grundsätzlich gleich zu behandeln.10a Sonderregelungen, die eine Gruppe der Erziehenden begünstigt, können verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt werden, wenn tatsächlich ein erhöhter Schutz zugunsten des Kindes notwendig ist. Einer solchen Gleichbehandlung steht Art. 6 Abs. 5 GG nicht entgegen. Er unterstreicht dieses Gebot, indem er festschreibt, dass dem nichtehelichen Kind die gleichen Bedingungen für seine leibliche und seelische Entwicklung und seine Stellung in der Gesellschaft zu schaffen sind wie Kindern, die in der ehelichen Gemeinschaft ihrer Eltern aufwachsen. Inhalt dieses Gleichstellungsgebots sind vor allem Maßnahmen, die die seelischen Belastungen, die das Tünnemann, Margit, S. 252. Vgl. weiterführend Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 205. 10a Dies unterstreicht auch das Bundesverfassungsgericht, indem es die unterschiedliche Dauer eines Unterhaltsanspruchs der Eltern von ehelichen und nichtehelichen Kindern für verfassungswidrig erklärt hat, BVerfG NJW 2007, 1735 ff. 9
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Kind durch die Trennung seiner Eltern erfährt, auffangen und die die Stellung des Kindes in der Gesellschaft denen der ehelichen Kinder anpassen. Beispielsweise kann eine besondere Beratung der Alleinerziehenden in ihrer Alltagsorganisation nach § 52 a Abs. 1 SGB VIII so gerechtfertigt werden. Hingegen kann der sozialhilferechtliche Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 30 Abs. 3 SGB XII, der mit der Notwendigkeit eines teueren Einkaufs wegen fehlender Beweglichkeit oder mit der dauerhaften Inanspruchnahme von Hilfen Dritter gerechtfertigt wird, auch bei erziehenden Ehegatten anfallen, wenn der Partner beruflich zeitlich sehr beansprucht ist und der Ehegatte die Kinder faktisch allein erzieht. Der fehlende Partner der Alleinerziehenden macht die Stütze durch die Sozialhilfe notwendig, begründet aber keinen besonderen Mehrbedarf. Diese Sonderregelung benachteiligt die ehebasierte Familie und kann verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden. Gleiches gilt für den steuerrechtlichen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 24b EStG. Um die ehebasierte Familie nicht zu benachteiligen, müsste der finanzielle Aufwand der Kinderbetreuung, der bei einer Alleinerziehenden besonders anschaulich zutage tritt, durch die Einführung eines gut bemessenen allgemeinen Familiengeldes ausgeglichen werden und damit jede Person, die Kinder erzieht, unterstützen.11 Der Höhe nach wäre ein Ausgleich wünschenswert, der auch einer Alleinerziehenden ermöglicht, sich der Betreuung in den ersten Lebensjahren des Kindes zu widmen. Wenn neben der Abschaffung der Sonderregelungen gleichzeitig ein Familiengeld für alle Familien eingeführt wird, wird sowohl dem Leitbild von Ehe und Familie als Einheit in Art. 6 Abs. 1 GG als auch dem Gleichstellungsgebot des Art. 6 Abs. 5 GG Rechnung getragen. Eine konsequente Familienförderung würde Alleinerziehende und Kinder erziehende Ehegatten gleichermaßen erfassen, Alleinerziehende in ihrer besonderen Problemlage aber auch nicht im Stich lassen.
2. Freiheitliche Lösung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf Zeit und Geld sind knapp bemessene Güter. Familien sind von dieser Knappheit besonders betroffen, weil Kinder viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen. Korrespondierend dazu sinken die zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Eltern, um sich beruflich zu entfalten und damit das Einkommen der Familie zu steigern. Familien können heute deshalb am besten entlastet werden, wenn staatlich bereitgestellte Strukturen für zeitliche und finanzielle Entlastung sorgen. Um den Eltern die Gestaltung des Familienlebens und die Entscheidung über die Art der Kindererziehung zu überlassen, darf der Staat nicht eine bestimmte Art der Erziehung durch ökonomische Anreize und strukturelle Gegebenheiten mittelbar vorschreiben.12 Aus der besonderen Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich vielmehr 11 12
s. dazu sogleich. Vgl. hierzu BVerfGE 99, 216 ff. – Kinderbetreuungskosten.
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die staatliche Aufgabe, die Kindererziehung in der jeweils von den Eltern gewünschten Form tatsächlich zu ermöglichen und zu fördern. Dies erfordert gleiche ökonomische Voraussetzungen für die unterschiedlichen Betreuungsformen.13 Eltern müssen sich frei zwischen einer eigenen Betreuung ihrer Kinder oder einer Betreuung durch Dritte entscheiden können. Ein einheitliches Familiengeld, das allen Familienformen zugute kommt, kann den Eltern die ökonomische Grundlage für diese Entscheidung sichern. Sie mögen mit diesem Geld einen Betreuungsplatz erwerben oder ihre Kinder selbst erziehen und mit dem Familiengeld ein Stück ökonomische Freiheit empfangen. Gleichzeitig muss der Staat strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, die die Kinderbetreuung zu Hause oder durch Dritte gleichermaßen ermöglichen und darüber hinaus arbeitsrechtliche Regelungen finden, die die Zeiteinteilung der Eltern flexibel gestalten.
a) Einheitliches Familiengeld als finanzielle Anerkennung der Erziehung Eine Förderung der Familie im Sinne von Art. 6 GG begreift jedes Kind als gleich wertvoll. Sie setzt beim Kind, nicht am Status oder an den Einkommensverhältnissen der Eltern an. Der getrennte Schutz von Ehe und Familie fordert die Anerkennung jeder Erziehungsleistung in der Familie. Der Familienstand darf für die Förderung deshalb genauso wenig eine Rolle spielen wie das elterliche Einkommen. Verfassungsrechtlich wünschenswert wäre deshalb ein einheitliches Familiengeld als Erziehungseinkommen, das um der Gleichheit willen nur kindbezogen nach der Erziehungsleistung, das heißt mangels deren qualitativer Bewertbarkeit allenfalls nach der Kinderzahl, nicht aber nach der Höhe eines vorherigen Einkommens – wie das derzeitige Elterngeld – differenzieren dürfte.14 Dadurch würde die Erziehungsleistung finanziell honoriert, mit der Erwerbsarbeit gleichstellt und dadurch aufgewertet werden. Alleinerziehende und Ehepaare kämen beide in seinen Genuss. Jede Familie könnte für sich entscheiden, ob sie das Geld für die Betreuung der Kinder durch dritte Personen einsetzen will oder das Geld als Anerkennung für eine eigenhändige Erziehung der Eltern versteht. Mit staatlichen Betreuungshilfen müsste es allerdings abgestimmt werden, indem der Anspruch auf ein Familiengeld entfällt, wenn ein staatlich finanzierter Betreuungsplatz in Anspruch genommen wird.15 Eine solche freiheitliche Lösung gibt das staatliche Geld der Familienförderung in die Hand der Eltern, es wird unabhängig von jeder 13 Wingen, Max, Erziehungseinkommen, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 14 ff.; ders., Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 3 – 4 / 2000, S. 9; Tünnemann, Margit, S. 254. 14 Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1723). Er plädiert richtigerweise dafür, dieses Familieneinkommen im Lichte des Fördergebots aus Art. 6 Abs. 1 GG einkommenssteuerrechtlich nicht in die Definition der Leistungsfähigkeit einzubeziehen, sozialrechtlich hingegen ein Erziehungseinkommen im Falle seiner Barauszahlung auf die sozialrechtliche Bedürftigkeit anzurechnen. 15 So auch Seiler, Christian, FamRZ 2006, 1717 (1723).
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Moralvorstellung und Ideologie für alle gleich gewährt und wahrt die gebotene Neutralität gegenüber der familieninternen Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit.16 Allerdings steht ein solches Familiengeld unter dem Vorbehalt des Möglichen in Zeiten überschuldeter Staatshaushalte. Es soll deshalb Eltern nicht vollständig für ihre Leistung entlohnen. Der Höhe nach kann das Familiengeld kein adäquater Arbeitslohn für die Kindererziehung sein, sondern ist als pauschale Anerkennung für geleistete Arbeit mit Kindern zu qualifizieren. Deren Wohlergehen, nicht der Verdienst der Eltern steht aus verfassungsrechtlicher Sicht im Vordergrund eines Familiengeldes. Die Eltern sind bei der Kindererziehung keine Erfüllungsgehilfen des Staates, die vollständig entlohnt werden müssten.17 Vielmehr verhält es sich nach dem in Art. 6 Abs. 2 GG niedergelegten Verfassungsverständnis umgekehrt: Der Staat schafft gute Rahmenbedingungen für die Eigenverantwortung und das Selbstverständnis von Familien, die dadurch ihre persönliche Lebensplanung verwirklichen können. Ein einheitliches Familiengeld soll auch nicht die gesamten Kosten und entgangenen Gewinne, die Kinder verursachen, auffangen. Es wird aber die finanziellen Nachteile einheitlich für alle Familien abfedern und die Erziehungsleistung, die Familien für Staat und Gesellschaft erbringen, finanziell anerkennen.18 Dem Einwand, dass es für unqualifizierte und sehr junge Menschen eine Anziehungskraft entfalten und diese ohne Ausbildung weiter ins berufliche Abseits drängen könnte,19 muss entgegen gehalten werden, dass eine freiheitlich verfasstes System stets von der Vernunft und dem Verantwortungsbewusstsein des Menschen ausgeht, einen Missbrauch immer als Ausnahmefall begreift und diesen wegen der Unvollkommenheit des Menschen hinnehmen muss. b) Familien brauchen Zeit – Strukturelle Rücksichtnahme auf die Familie Um den Eltern eine freie Entscheidung zwischen Fremd- und Eigenbetreuung zu ermöglichen, ist der Staat gefordert, auch die strukturellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Die Berufs- und Wirtschaftsordnung muss den Eltern einen Status zuweisen, der Familie und Beruf so aufeinander abstimmt, dass das verfassungsrechtliche Angebot von Art. 6 GG und Art. 12 GG Wirklichkeit werden kann. 16 In diesem Sinn auch Kirchhof, Gregor, AöR 129 (2004), 542 (577). Er plädiert sogar dafür, die Transferleistungen, die an Kinderkrippen fließen, direkt allen Eltern zuzuwenden. 17 Eichhorn, Maria, Was ist der Gesellschaft die Familienarbeit wert?, S. 22. 18 Um den Willen zum Kind zu fördern, könnte der Staat veranlasst sein, neben einer solchen finanziellen Anerkennung der Erziehungsleistung auch zusätzliche monetäre Anreize zur Familiengründung zu schaffen, weil Staat und Gesellschaft Kinder brauchen, um selbst überleben zu können. Allerdings zeigen die Studien, dass der Wille zum Kind in der Bevölkerung sehr verbreitet ist (vgl. 1. Teil, A. II. 1. und 2.). Statt einer Kinderprämie reicht es aus, die finanziellen Belastungen der Familien auszugleichen. Zudem widerspräche eine staatliche Bevormundung zur Familienplanung unserer die Freiheit und Selbstverantwortung des Bürgers schützenden Rechtsordnung. 19 So Borchert, Jürgen, Wiesbadener Entwurf, S. 127.
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Der Anspruch der Eltern aus Art. 6 Abs. 1 GG und insbesondere der Mutter auf Schutz und Fürsorge aus Art. 6 Abs. 4 GG verpflichtet den Gesetzgeber, „Grundlagen dafür zu schaffen, dass Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt. Dazu zählen auch rechtliche und tatsächliche Maßnahmen, die ein Nebeneinander von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile ebenso wie eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit und einen beruflichen Aufstieg auch nach Zeiten der Kindererziehung ermöglichen.“20 Das bedeutet neben der Stärkung der gesellschaftlichen Eigeninitiative namentlich von Arbeitgebern, etwa in Gestalt so genannter Audit-Verfahren, vor allem ein umfassendes Angebot an flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten durch Dritte zu Hause oder in Einrichtungen, gleichzeitig aber auch arbeitsrechtliche Regelungen, die es erlauben, längere Zeit aus dem Erwerbsleben auszusetzen, ohne an einer späteren Fortsetzung des Berufs gehindert zu sein. Um ein Aussetzen aus dem Beruf und den Wiedereinstieg tatsächlich zu erleichtern, darf die Last von Mutterschutz und Elternzeit deshalb nicht primär beim Arbeitgeber liegen, sondern muss von der Allgemeinheit getragen werden. Gerade die Kosten des Mutterschutzes dürfen nicht den Arbeitgebern aufgebürdet werden. Aus Sicht der freiheitlichen Verfassung wären zudem flexible Teilzeitmodelle im Arbeitsrecht der Grundstein für die parallele Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein Kündigungsschutz, der nicht nur der älteren Generation Sicherheit gibt, könnte jungen Menschen Stetigkeit vermitteln und so die Entscheidung für eine Verantwortung für einen Ehepartner und für ein Kind erleichtern. Um einen im Alltag reibungslosen Ablauf der Kinderbetreuung zu ermöglichen, müssten die Dauer der Elternzeit und damit verbunden auch die Dauer des Familiengeldbezuges21 mit dem Zugangsalter für öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen abgestimmt werden. Welche Form der Kinderbetreuung gewählt wird, liegt in der Verantwortung der Eltern. Der Staat hat aber zugunsten des Kindes ein qualitativ hochwertiges Betreuungsangebot bereitzustellen, um den Eltern eine echte Wahl zu ermöglichen. Dabei erscheint insbesondere eine stetige Betreuung durch möglichst eine Bezugsperson für die Entwicklung von Kindern in den ersten Lebensjahren aus sozialpädagogischen Gründen wünschenswert.22 Die Durchsetzung eines einheitlichen Familiengeldes zusammen mit einem verlässlichen Angebot an Kinderbetreuung erfordert aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzzuweisungen im Grundgesetz eine große Kooperationsbereitschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dies setzt einen allgemeinen politischen Willen zur Familienförderung voraus, der mit dem Modell einer echten Wahlfreiheit der Eltern angesichts unterschiedlicher Auffassungen über die Erwerbstätigkeit von Müttern in Deutschland grundsätzlich erreichbar sein dürfte.23 BVerfGE 88, 203 (260) – Schwangerschaftsabbruch II. Dies ist ein Fehler des heutigen Elterngeldes, das nur ein Jahr lang gewährt wird und deshalb die Inanspruchnahme der vollen, dreijährigen Elternzeit erschwert. 22 Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 210. 20 21
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3. Besondere Anerkennung der Erziehungsleistung in den umlagefinanzierten Versicherungssystemen a) Höchste Rente für den größten Rentenbeitrag Spannungen zwischen der ehelichen und familiären Gemeinschaft im Rentensystem werden gelöst, wenn die Erziehungsleistung als ein die Umlagefinanzierung erhaltender Beitrag anerkannt wird und damit im gleichen Wert wie ein monetärer Beitrag zum Generationenvertrag des Rentensystems beiträgt. Wird das umlagefinanzierte System der Altersvorsorge beibehalten,24 können nur so Benachteiligungen aller Familien gegenüber Kinderlosen abgebaut werden. Allerdings reicht die Anerkennung von in der Regel drei Erziehungsjahren in Form von 0,0833 Entgeltpunkten nicht aus, um die Leistung zu honorieren, die der oder die Kindererziehende durch den Verzicht auf Einkommen und die Unterhaltsbelastung gegenüber den Kindern – zugunsten der Allgemeinheit – erbringt. Ein Rentenanspruch wird dadurch nicht einmal in Höhe des Sozialhilfeniveaus begründet. Der Gesetzgeber ist weiterhin gefordert, Kindererziehende und Kinderlose rentenrechtlich insoweit gleich zu stellen, als beide Gruppen einen Beitrag zur Umlagefinanzierung leisten. Kindererziehung und monetäre Beitragsleistung sind als Grundlagen der öffentlichen Rentenversicherung gleichwertig. Deshalb müssen sie insoweit zu einem gleichen Leistungsanspruch im Rentenalter führen, als beide einen essentiellen Beitrag zum Funktionieren des umlagefinanzierten Systems leisten. Die Kindererziehung ist im Versicherungssystem keine „Fremdlast“,25 welche die Ausgabenseite der Versicherungsträger belastet, ohne dass sie durch Beiträge auf der Einnahmeseite gedeckt ist.26 Vielmehr sichert sie die Grundlage der zukünftigen Beiträge im umlagefinanzierten System27 und ist deshalb nur eine im Gegensatz zu den 23 Vgl. zu diesem Problem auch: Kaufmann, Franz-Xaver, Die Zukunft der Familie im gesellschaftlichen Wandel, S. 59. 24 Kritisch zum Begriff eines umlagefinanzierten „Versicherungs“-systems: Nell-Breuning, Oswald von, Soziale Sicherheit?, S. 77 f. Er übt vor allem Kritik an dem Begriff „Versicherung“ für die Umlagefinanzierung, der “ unvermeidbar den Irrtum zu nähren scheint, die Versicherungs-Beiträge finanzierten die Alterssicherung des Beitragszahlers, und diese irrige Vorstellung zeugt den weiteren Irrtum, der ganze Prozess spiele sich zwischen nur zwei Generationen, zwischen den heutigen Beitragszahlern und den heutigen Rentenbeziehern ab . . . In Wirklichkeit sind die bei allen Überlegungen völlig übersehenen nachwachsenden Generationen aber der Dreh- und Angelpunkt des Systems.“ So weist auch Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 326, unter Verweis auf Mackenroth, Gerhard, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. 4, 1952, wieder abgedruckt in Külp / Schreiber, Soziale Sicherheit, S. 267, zu recht darauf hin, dass auch für ein Kapitaldeckungsverfahren gilt, „dass aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss und es daher für allen Sozialaufwand nur eine Quelle gibt, das laufende Volkseinkommen.“ Auch dieses wird nur von der heranwachsenden Generation erwirtschaftet. 25 Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 322; zur Mehrschichtigkeit des Begriffs: Krause, Peter, Fremdlasten der Sozialversicherung, VSSR 1980, 115 (115 f.). 26 Vgl. Ruland, Franz, Grundprinzipien des Rentenversicherungsrechts, S. 496 ff.
16 Nesselrode
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monetären Beiträgen andersartige Beitragsleistung:28 Die monetären Beiträge sind gegenwartsbezogen und finanzieren die jetzigen Rentner. Die Kindererziehung ist ein zukunftsbezogener Beitrag, der unter Einsatz von Arbeitskraft und Unterhaltszahlungen dafür sorgt, dass in der nächsten Generation wieder Beitragszahler vorhanden sind. Jeder Beitrag muss deshalb nach seinem Gewicht honoriert werden.29 Werden von einem Versicherten viele Kinder erzogen und damit viele zukünftige Beitragszahler in die Welt gesetzt, hat er einen größeren Beitrag geleistet als derjenige, der nur ein Kind erzogen oder nur einen monetären Beitrag geleistet hat. Im Gegensatz zum jetzigen System führt diese konsequent am tatsächlichen Beitrag orientierte Leistungsgewährung zu einem höheren Rentenanspruch für Erziehende mit vielen Kindern als für Kinderlose. Letztere können eine faktische Kürzung ihres Rentenanspruchs dadurch ausgleichen, dass sie mit den durch die fehlende Kindererziehung ersparten Aufwendungen eine private Eigenvorsorge betreiben. Ein Kinderloser legt für seine Altersvorsorge im Erwerbsalter mehr Geld privat zurück, während Eltern im erwerbsfähigen Alter zukünftige Beitragszahler erziehen und unterhalten. Beide Gruppen sorgen damit für ihr Alter vor und müssen deshalb gleiche Renten im Alter beziehen können. Eine mit der Kinderzahl überproportional ansteigende Anrechnung von Kindererziehungszeiten rechtfertigt sich auch damit, dass die meisten Familien mit einem Kind eine wenigstens teilzeitliche Erwerbstätigkeit beider Ehepartner bei nur kurzen Unterbrechungen fortführen, während bei zwei und mehr Kindern im Regelfall ein Elternteil auf mehrere Jahre ganz auf Erwerbstätigkeit verzichtet.30 Für die teilweise oder ganz erwerbstätig bleibenden Mütter und Väter muss aber ebenfalls eine Anrechnung der Kindererziehungszeiten bis zu einer bestimmten Grenze möglich bleiben, da ihre erzieherische Leistung nicht vom Verzicht auf Erwerbstätigkeit abhängig ist. Die konsequente Anerkennung der Kindererziehungszeiten als ren27 Nell-Breuning, Oswald von, Drei Generationen in Solidarität, S. 33, geht hier noch weiter und sieht die monetäre Beitragszahlung nur als Pflichterfüllung gegenüber der vorangehenden Generation an: „Durch Deine Beiträge hast Du gar nichts erdient; Du hast damit eine Verpflichtung erfüllt, die Du Deinen Eltern und der Dir vorangegangenen Generation schuldest. Was Du später an Renten beziehen wirst, beziehst Du von der Solidarität der Generation, die Dir nachwächst, von der Solidarität der Generation, die Du aufgezogen hast. Wenn wir davon sprechen, dass die Renten erdient werden, dann aber nicht durch die gezahlten Beiträge, sondern durch die reale Investition in menschliches Kapital.“ 28 A. A. Blüm, Norbert, DRV 1985, 325 (331); auch Pechstein, Matthias, Familiengerechtigkeit, S. 323, stuft die Anerkennung der Kindererziehung als Systemleistung als noch nicht aktuell und eher systemfremd ein, kritisiert dann aber die Systemgrundlagen und bevorzugt letztlich ein Kapitaldeckungsverfahren. 29 BVerfGE 87, 1 (39 f.) – Trümmerfrauen stellt ebenfalls die unterschiedliche Funktion der Beiträge heraus und rechtfertigt damit aber die schlechtere Behandlung der Kindererziehungszeiten gegenüber den monetären Beiträgen, weil nur diese sofort wieder an die Rentner ausgezahlt werden können. 30 Kaufmann, Franz-Xaver, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland, S. 210.
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tenbegründend und rentenerhöhend berücksichtigt zudem die Tatsache, dass der oder die Kindererziehende aufgrund des kollektiven Sicherungssystems (teilweise) den Unterhaltsanspruch gegen die eigenen Kinder diesbezüglich verliert, die sie sonst im Alter ernähren könnten. Auch der Schutz der Rentenanwartschaften durch Art. 14 Abs. 1 GG steht einer maßvollen Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung zu Lasten kinderloser und kinderarmer Personen nicht entgegen.31 Bei einer solchen familienfreundlichen Umstrukturierung des Rentensystems könnten die monetären Beiträge der Kinderlosen teilweise für die Sicherung der Rente der Eltern am Kapitalmarkt angelegt werden.32 Innerhalb des ansonsten umlagefinanzierten Systems würde eine kapitalgedeckte Vorsorge zugunsten der Eltern als zweite Säule aufgebaut werden. Die Leistung der Kindererziehung würde so horizontal, d. h. innerhalb einer Generation zwischen Kindererziehenden und Kinderlosen ausgeglichen33 und nicht – wie im jetzigen System – aus dem Bundeshaushalt finanziert werden34 und damit alle Steuerzahler, also auch alle Eltern, belasten. Nur der von Kindern getragene Generationenvertrag garantiert, dass kinderlose Ehepaare zwei Rentenansprüche erwerben und im Bedarfsfall Witwen- oder Witwerrenten wegen der Beitragszahlung des Partners erhalten können. Diese gegenseitige Absicherung im Alter wird durch die Anerkennung der Kindererziehungszeiten auch für Ehepaare möglich, in denen einer wegen der Kindererziehung auf die Erwerbsarbeit verzichtet. Die Rentenansprüche für Kinder erziehende wie für kinderlose Ehepaare erfüllen zugleich die gegenseitige Beistands- und Versorgungspflicht der Ehegatten im Alter. Es entspricht dem Wesen der Ehe als Wirtschafts- und Beistandsgemeinschaft, dass Eheleute in Notsituationen füreinander einstehen und sich deshalb auch im Alter gegenseitig absichern. Der Konflikt zwischen Kindererziehenden und Kinderlosen darf nicht die gegenseitige Absicherung in der Ehe gefährden, sondern muss positiv durch die Aufwertung der Kindererziehung für Ehepaare und Alleinerziehende gelöst werden. Das Grundgesetz lässt aber Raum für eine Änderung der Hinterbliebenenversorgung mit dem Ziel, bei Witwen- und Witwerrenten stärker auf die Dauer der Ehe sowie darauf abzustellen,
31 BVerfGE 87, 1 (41) – Trümmerfrauen; Borchert, Jürgen, ZSR 1988, S. 321 (331), kritisiert sogar die Anerkennung des Eigentumsschutzes für Rentenanwartschaften und führt aus, dass das BVerfG es damit “ . . . fertigbrachte, einen Anspruch der Eigentumsgarantie zu unterstellen, den man nicht etwa der Kindergeneration vererben kann, sondern der sich genau umgekehrt erste gegen die Kindergeneration richtet.“ 32 Für den Aufbau von Familienfonds, mit denen Zahlungen an die Eltern geleistet werden, die sowohl die Kosten der Kindererziehung als auch die Beiträge zur Rentenversicherung abdecken sollen, plädiert auch: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gerechtigkeit für Familien (Hg.), Familienlasten- und Familienleistungsausgleich, S. 242. 33 Den notwendigen intragenerationellen Ausgleich betont: Borchert, Jürgen, Wiesbadener Entwurf, S. 27 u. 108. 34 A. A. Ruland, Franz, Die Sozialgerichtsbarkeit 34 (1987), 133 (135), der eine Beitragsfinanzierung der Kindererziehungszeiten für verfassungswidrig hält.
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ob der überlebende Ehepartner durch Kindererziehung in der Familie am Aufbau einer eigenen Altersversorgung gehindert war.35 Alleinerziehende werden durch diese gegenseitige Absicherungsmöglichkeit von Ehegatten nicht vom Gesetz benachteiligt. Das Recht kann ihnen die Beistandsgemeinschaft einer Ehe nur abstrakt als zu wählendes Rechtsinstitut, nicht aber konkret durch einen tatsächlich beistehenden Partner zur Verfügung stellen. Nicht zuletzt deshalb fördert das Grundgesetz das Leben in der Ehe als für den Einzelnen sinnvolle Gemeinschaft, die gerade als Grundlage einer Familie erstrebenswert ist.
b) Anerkennung der Kindererziehung statt Mitversicherung in der Pflegeversicherung Im Unterschied zur Rentenversicherung hängen die Leistungen der Pflegeversicherung nicht von der Höhe der eingezahlten Beiträge ab. Jeder Versicherte erhält im Bedarfsfall die Unterstützung, die seine Versicherung für seinen Grad der Pflegebedürftigkeit abstrakt zur Verfügung stellt. Eltern haben deshalb hier keine Nachteile zu erwarten, wenn sie später die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen. Sie genießen aber auch keine Vorteile, obwohl sie oftmals nur verhältnismäßig geringe Leistungen einfordern.36 Wenn die Pflegeversicherung das Risiko der Pflegebedürftigkeit absichert (§ 1 Abs. 1 SGB XI), nutzt sie die Familie als Beistandsgemeinschaft. Sie unterstützt nach § 3 SBG XI vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn. Das System der Pflegeversicherung setzt also auf die gegenseitige Unterstützung innerhalb der existierenden Lebensgemeinschaften und kann deshalb auch niedrigere Beiträge ansetzen, als sie eine allgemeine, stationäre Pflege erforderte. Andererseits ist es gerade Ausdruck des solidarischen Ausgleichs durch die Pflegeversicherung, Pflegeleistungen auch für solche Menschen zur Verfügung zu stellen, die nicht auf pflegende Familienangehörige zurückgreifen können.37 Die ungleiche Inanspruchnahme der Pflegeleistungen durch kinderlose und kinderreiche Mitglieder ist Ausfluss einer allgemeinen Versicherung, in der nicht jeden das abzusichernde Risiko in gleichem Maß trifft. Die geringere Inanspruchnahme teuerer Pflegeleistungen durch Eltern basiert auf der Beistandsgemeinschaft der Familie. Weil dieser fehlende Beistand bei Kinderlosen durch die Pflegeversicherung gerade ausgeglichen werden soll, muss diese maßvoll ungleiche finanzielle Belastung der Solidargemeinschaft deshalb hingenommen werden. Zudem kann aus dem Umstand, dass Eltern ihre Kinder erziehen, nicht typisierend BVerfGE 87, 1 (41) – Trümmerfrauen. So wählen Eltern vor allem im ambulanten Pflegebereich meist das kostengünstigere Pflegegeld für die Pflege durch ihre Kinder anstatt aufwendige Sach- und teilstationäre Leistungen. Die Leistungsausgaben für Pflegebedürftige mit Kindern, die älter als 60 Jahre alt sind, sind um 10% niedriger als für gleichaltrige Pflegebedürftige ohne Kinder, vgl. die Analyse in: BVerfGE 103, 242 (261 f.) – Pflegeversicherung III. 37 BVerfGE 103, 242 (263) – Pflegeversicherung III. 35 36
A. Unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie
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darauf geschlossen werden, dass die Kinder ihre Eltern im Alter auch tatsächlich kostengünstig pflegen und unterstützen.38 Erziehende werden gegenüber nicht erziehenden Mitgliedern vor allem auf der Beitragsseite durch die elterliche Doppelbelastung mit Erziehungs- und Unterhaltsleistungen gegenüber ihren Kindern einerseits und Beitragszahlungen andererseits benachteiligt. Als Ausgleich verlangt der Gesetzgeber von Kinderlosen einen um 0,25 Prozentpunkte höheren Beitrag als von Eltern (§ 56 Abs. 3 SGB XI), und versichert darüber hinaus Familienangehörige ohne eigenes Einkommen kostenlos mit (§ 56 Abs. 1 SGB XI). Diese Regelungen entlasten ehebasierte Familien, in denen ein Partner wegen der Kindererziehung nicht arbeitet. Von der Mitversicherung naher Angehöriger profitieren aber auch Ehegatten, die aus anderen Gründen kein Einkommen haben. Gleichzeitig müssen Alleinerziehende Beiträge zahlen, obwohl sie ihre Kinder als zukünftige Beitragszahler unterhalten. Das Gesetz knüpft somit für eine beitragslose Mitversicherung nicht an die Kindererziehung, sondern – vordergründig – an die Lebens- und Beistandsgemeinschaften der Ehe und Familie an. Müsste jede Familie und jede Ehe nur einen monetären Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen, könnte diese Entlastung damit begründet werden, dass sich Eheleute im Alter gegenseitig pflegen und dadurch Pflegekosten, die sonst von der Solidargemeinschaft aller Versicherten getragen werden müssen, einsparen.39 Doch versichert der Gesetzgeber nur einkommenslose Ehegatten und Kinder mit. Ehepaare, in denen beide Partner verdienen, müssen zwei monetäre Beiträge entrichten, obwohl bei ihnen ebenfalls davon ausgegangen werden kann, dass sie sich im Pflegefall gegenseitig beistehen. Zudem besteht aufgrund der hohen Scheidungsrate bei über einem Drittel der Ehen die ursprüngliche Beistandsgemeinschaft wegen einer vorherigen Scheidung im Pflegefall nicht mehr. Das System der Mitversicherung anerkennt also nicht die besondere Bedeutung der Beistandsgemeinschaft von Ehe und Familie, sondern setzt schlicht am verfügbaren Einkommen an. Eine Mitversicherung von einkommenslosen, kinderlosen Ehegatten findet in Art. 6 GG deshalb keine Grundlage. Im Gegensatz dazu wird die Mitversicherung von minderjährigen, einkommenslosen Kindern von der Verfassung nahe gelegt. Kinder können sich noch nicht selbst unterhalten, ihre Versicherungspflicht würde das Einkommen ihrer unterhaltsverpflichteten Eltern belasten. Kinder leisten ihre Beiträge zur Pflegeversicherung systemimmanent im Umlageverfahren, sobald sie in das Erwerbsleben eintreten. Ihre Mitversicherung verursacht selten Kosten, weil minderjährige Kinder im Gegensatz zur Großelterngeneration selten zum Pflegefall werden. Zudem entlastet das familiäre Netz durch häusliche Pflege später die Versichertengemeinschaft – bei der Familie mehr als bei der Ehe, da die Kinder im Alter der Eltern pflegefähi38 Vgl. Rückert, Willi, Die demographische Entwicklung, S. 121 f.; so auch BVerfGE 103, 242 (263) – Pflegeversicherung III. 39 Mit dieser Begründung wäre auch die Beitragsbefreiung von eingetragenen Lebenspartners nach § 1 Abs. 6 SGB XI gerechtfertigt.
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
ger sind, die Verwandtschaft zwischen Eltern und Kind zudem im Gegensatz zur Ehe unkündbar ist. Eine Mitversicherung von Ehegatten darf für ein entspanntes Verhältnis von Ehe und Familie allerdings nur abgeschafft werden, wenn zugleich die nicht erwerbstätigen, erziehenden Eltern kostenlos mitversichert werden. Eine solche Mitversicherung von erwerbslosen Kindererziehenden ist verfassungsrechtlich geboten, weil sie sowohl Ehepartner als auch Alleinerziehende, die wegen der Erziehung der zukünftigen Beitragszahler auf eine Erwerbsarbeit verzichten, von der Entrichtung monetärer Versicherungsbeiträge freistellt. Die Erziehung wird damit als gleichwertiger Beitrag zum Umlageverfahren anerkannt. Zudem würden Alleinerziehende und Paare, in denen Kinder aufwachsen, ihrer Leistung entsprechend gleich behandelt. Zwar zwingt die Tatsache, dass an der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht – in den umlagefinanzierten Versicherungssystemen ist jede Generation auf die spätere Wertschöpfung heranwachsender Generationen angewiesen –,40 nicht dazu, die Familie gerade im Recht der Pflegeversicherung zu entlasten und sie von der Beitragspflicht frei zu stellen.41 Wenn aber ein soziales Leistungssystem ein Risiko abdecken soll, das vor allem die Altengeneration trifft, und seine Finanzierung sich im Wesentlichen auf die nachwachsende Generationen stützt, dann ist für ein solches System nicht nur der Versicherungsbeitrag, sondern auch die Kindererziehungsleistung konstitutiv. Die Kinder erziehenden Versicherten sichern die Funktionsfähigkeit der Pflegeversicherung vor allem durch Betreuung und Erziehung von Kindern. Solange die ganz überwiegende Zahl der beitragspflichtigen Versicherten Kinder aufzieht, bietet ein durch Umlage finanziertes Sozialversicherungssystem ein generatives Gleichgewicht. Die beitragspflichtigen Versicherten sichern das System sowohl durch ihre Beiträge als auch durch ihre Erziehungsleistung. Aufgrund der heutigen demographischen Entwicklung ist dies aber schon lange tatsächlich nicht mehr der Fall.42 Würde der Gesetzgeber statt der heutigen Mitversicherung von Ehegatten alle einkommenslosen Kindererziehenden beitragsfrei mitversichern, wäre dies eine systemimmanente Wertschätzung der Erziehungsleistung, die das Verhältnis zwischen der Anerkennung der Ehe und der Entlastung der Familie entspannt. Die Benachteiligung von Familien in der Pflegeversicherung kann so ohne Rückgriff auf den allgemeinen Familienlastenausgleich ausgeglichen werden. Den Eltern müsste dann nicht erst über einen Umweg die Belastung wieder erstattet werden, die sie aufgrund ihrer Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 GG mit dem Unterhalt ihrer Kinder für die Allgemeinheit der Versicherten tragen. Eine systemimmanente Problembewältigung wäre deshalb für das Verhältnis von Ehe und Familie und für eine Gleichbehandlung aller Familienformen verfassungsrechtlich zu begrüßen. 40 41 42
BVerfGE 88, 203 (258 f.) – Schwangerschaftsabbruch II. BVerfGE 103, 242 (258 f.) – Pflegeversicherung III. BVerfGE 103, 242 (265 f.) – Pflegeversicherung III.
A. Unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie
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Diese kostenlose Versicherung von einkommenslosen Kindererziehenden ersetzt nicht den Zuschlag für Kinderlose, sondern tritt statt der Mitversicherung von Ehegatten neben diesen. Während der höhere Beitrag für Kinderlose die Unterhaltsbelastung von Eltern gegenüber ihren Kindern in geringem Maß ausgleicht, anerkennt eine Beitragsfreistellung von nicht erwerbstätigen, erziehenden Eltern die Erziehungsleistung als System erhaltenden Beitrag der Umlagefinanzierung. Will der Gesetzgeber hingegen in Erfüllung seines besonderen Schutzauftrages nicht nur der Erziehungsgemeinschaft der Familie, sondern auch der lebenslangen Beistandsgemeinschaft der Ehe Ausdruck verleihen, müsste er die Mitversicherung einkommensunabhängig an den Status der Ehe knüpfen. Eine solche finanzielle Unterstützung der in Deutschland als Lebensform vorherrschenden, ehelichen Gemeinschaft würde allerdings der Finanzierung der Pflegeversicherung die Grundlage entziehen, so dass es sich im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsraums hält, Ehegatten nicht mitzuversichern.
III. Gleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern in der Sozialhilfe Die unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie darf diese Gemeinschaften nicht in Konkurrenz zueinander setzen. Art. 6 GG fordert als besonderer Gleichheitssatz für das Verhältnis der Einrichtungsgarantien zueinander, dass die Gemeinschaften von Ehe und Familie insoweit gleich behandelt werden, als sie gleiche Funktionen wahrnehmen. Insbesondere verbietet die Verfassung, eine ehebasierte Familie gegenüber anderen Familien im Widerspruch zur Leitidee der Einheit von Ehe und Familie zu benachteiligen. Dies gilt für eine Förderung und eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung gleichermaßen. Diese Grundsätze betreffen insbesondere auch den Bereich der Sozialhilfe. Das Familienrecht gestaltet nur die Ehe als Erwerbs- und Einkommensgemeinschaft aus. Das Sozialhilferecht muss hingegen auch das Einkommen rechtlich nicht anerkannter Lebensgemeinschaften berücksichtigen und als Einsatzgemeinschaft qualifizieren, weil sich der konkrete Bedarf nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen bemisst und von einer Gemeinschaft des Wohnens, des Konsums und des Beistands abhängt. Der Status der Ehe darf nicht zu einem geringeren Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt führen. Um die Einheit der ehebasierten Familie gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern nicht schlechter zu stellen, müssen deshalb neben den ehebasierten Familien auch andere Familien bei der Bestimmung des sozialhilferechtlichen Bedarfs als Einsatzgemeinschaften angesehen werden. In jeder Gemeinschaft mit Kindern erwirtschaften die Eltern gemeinsam den Lebensunterhalt für die Familie. Ob die Eltern miteinander verheiratet sind, spielt für diese Wirtschaftsgemeinschaft keine Rolle. Die sozialhilferechtliche Einsatzgemeinschaft, in der das Einkommen aller Mitglieder gemeinsam43 berücksichtigt
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), erfasst umgekehrt und folgerichtig auch nur nicht getrennt lebende Ehegatten als Bedarfsgemeinschaft. Der formale Akt der Eheschließung ist nur als Indiz für das maßgebliche Tatbestandsmerkmal des gemeinsamen Wirtschaftens zu werten, das weitere Ausforschungen des Sachverhalts erübrigt. Das Benachteiligungsverbot zugunsten der ehebasierten Familie hat der Gesetzgeber in § 20 SGB XII umgesetzt und die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Ehe insoweit gleich gestellt. Allerdings ist der Nachweis des Bestehens einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft unter Beachtung des Persönlichkeitsschutzes schwierig und wird nicht immer gelingen, die Indizwirkung der Eheschließung fehlt den Sozialhilfebehörden. Der Staat muss dennoch auf intensive Ausforschungen verzichten, um die Intimsphäre der Partner zu wahren, die sich gegen eine Heirat und damit gegen eine verbindliche Bestätigung ihrer Gemeinschaft nach außen entschieden haben. Um den besonderen Schutz der Ehe nicht zu vernachlässigen, sind Nachforschungen aber auch nicht ausgeschlossen. Die Behörden müssen im Einzelfall stets das Persönlichkeitsrecht einerseits, den besonderen Schutz der Ehe andererseits gegeneinander abwägen und in einen schonenden Ausgleich bringen. Der Gesetzgeber hat durch die Änderungen, die das BSHG durch seine Umwandlung in das SGB XII erfahren hat, eine Ungleichbehandelung zwischen der Ehe und der nichtehelichen Lebensgemeinschaft weiter entschärft, indem er Partnerschaften, denen keine Eheähnlichkeit nachgewiesen werden kann, zumindest durch die Vermutung des § 36 SGB XII als Hausgemeinschaft einstuft, die der Einsatzgemeinschaft erheblich angenähert wurde. Nach der alten Rechtslage konnte das Einkommen des leistungsfähigen Partners beim Nichtvorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft überhaupt nicht berücksichtigt werden, da unter die alte Regelung der Hausgemeinschaft nach § 16 BSHG nur Verwandte und Verschwägerte subsumiert werden konnten. Heute kann dieses Einkommen in der Hausgemeinschaft größtenteils angerechnet werden. Es verbleibt allerdings eine Ungleichbehandlung, indem dem leistungsfähigen Lebenspartner ein höherer Selbstbehalt bleibt als demjenigen, der mit dem Sozialhilfeempfänger ehelich verbunden ist. Diese Differenzierung muss wegen der nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Wahrung der Intimsphäre hingenommen werden. Das gegenseitige Unterstützen in einer Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft ist gerade ein besonderes Charakteristikum der Ehe, das in der stets nachrangigen Sozialhilfe eine Einkommensanrechnung nach sich zieht. Erfasst das Gesetz eine eheähnlichen Gemeinschaft in realitätsgerechten Vermutungen und Typisierungen, können zudem die Missbrauchsfälle eingedämmt werden, in denen sich der sozialhilfebedürftige Partner rechtlich als alleinerziehend qualifiziert, in Wirklichkeit aber mit seinem Partner zusammenlebt. Der 43 So die Gesetzesformulierung im SGB XII, die diese Gemeinsamkeit gerade gegenüber der alten Regelung im BSHG hervorheben will.
B. Die Antwort des Art. 6 GG auf die im Zivilrecht angelegten Spannungsfelder
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Rechtsstaat kann einem Verhalten des Kaschierens und Verschleierns nicht mit intensiveren Ausforschungsmaßnahmen begegnen, darf aber seine Leistungen vom Nachweis der Bedürftigkeit durch den Antragsteller abhängig machen. Ihn muss deshalb die Darlegungslast für seinen Bedarf umfassend treffen.
B. Die Antwort des Art. 6 GG auf die im Zivilrecht angelegten Spannungsfelder: Reformbedarf oder Bestätigung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses von Ehe und Familie Ehe und Familie sind von Staatszwecken frei.44 Die Familienpolitik muss deshalb der Autonomie dieser Gemeinschaften dienen.45 Dabei bietet sich das Zivilrecht, das die Beziehungen zwischen Privatpersonen regelt, als Instrument institutioneller Freiheit an. Weil die Grundrechtsberechtigten grundsätzlich frei über ihr Zusammenleben entscheiden, sind die persönlichen Konfliktfelder zwischen den Mitgliedern von Ehe und Familie – anders als im öffentlichen Recht, das in diesem Bereich unmittelbar regelnd und verteilend einwirkt – weniger durch gesetzliche Vorgaben verursacht, als vielmehr durch die gesellschaftlichen Entwicklungen und das Verhalten der Grundrechtsberechtigten untereinander. Art. 6 GG fordert den Gesetzgeber auf, hier durch typisierende Regelungen Konfliktlösungen anzubieten und dadurch das menschliche Miteinander in Ehe und Familie zu erleichtern. Dabei rücken neben dem grundlegenden Prinzip des getrennten Schutzes von Ehe und Familie vermehrt der Verfassungsauftrag zur Kontinuität, die stetige Pflichtenbindung der Mitglieder von Ehe und Familie auch im Trennungsfall und die subsidiäre rechts- und sozialstaatliche Stütze als Lösungshilfen in den Mittelpunkt. Weil das Recht dem Schutz des Schwächeren dient, stärkt Art. 6 GG in seinem vorrangigen Schutzauftrag für die Familie vor allem das Recht des Kindes. Teilweise ist es dem Zivilgesetzgeber gelungen, das verfassungsrechtlich vorgegebene Verhältnis von Ehe und Familie umzusetzen, teilweise besteht Reformbedarf.
I. Kontinuität zum Schutz des Kindes 1. Kinderschutzklausel als Stärkung der Rechte des Kindes im Scheidungsfall Eine Scheidung der Eltern bedeutet für Kinder immer auch eine Scheidung der Familie. Sie trennt das Kind aus dem bisherigen Familienverband heraus, die täg44 Gernhuber, Joachim, Familienrecht als Teil der Gesamtrechtsordnung, in Gernhuber / Coester-Waltjen, Familienrecht„ § 1 II S. 6. 45 Für die Familie: Hohloch, Gerhard, Familienrecht, § 3 I 1. S. 79.
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
liche Begegnung mit Vater und Mutter wird erschwert. Die Zerrüttung als einzige Scheidungsvoraussetzung beurteilt allein das Verhältnis zwischen den Ehegatten und berücksichtigt nicht die Interessen des Kindes. Weil die Ehe nur mit Willen der Ehepartner aufrechterhalten werden und eine gute Grundlage für ein Familienleben bilden kann, wird der Verfassungsauftrag zur Kontinuität im Scheidungsfall primär durch Schutzvorschriften zugunsten der Ehe erfüllt. Allerdings muss zum Schutz der Familiengemeinschaft das Kind rechtlich die Chance haben, auch seine Interessen bei der Scheidung hinreichend geltend zu machen. Es darf nicht generell unterstellt werden, dass das Kindeswohl in einer gescheiterten, aber aufrecht erhaltenen Ehe mehr beeinträchtigt sei als bei einer Scheidung.46 Die Scheidung einer Ehe, die als Grundlage einer Familie dient, hat im Gegensatz zur Scheidung einer kinderlosen Ehe unmittelbare Konsequenzen für das Leben Dritter, nämlich der gemeinsamen Kindern. Deshalb müssen an eine Ehescheidung, die gleichzeitig die Einheit von Ehe und Familie zerstört und die Familie in zwei Teilfamilien aufspaltet, höhere Anforderungen gestellt werden als an eine Scheidung kinderloser Ehegatten. Der Verfassungsauftrag zur Kontinuität entfaltet sich stets für das Wohl des schwächsten Gliedes der Gemeinschaft, in einer Kinder erziehenden Ehe deshalb zugunsten des Kindes. Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken in der Kinderschutzklausel des § 1568 BGB aufgenommen, durch den Charakter als Ausnahmevorschrift ihre Anwendung aber in der Praxis auf atypische Ausnahmefälle beschränkt. Die Spannungslage zwischen der Freiheit der Ehegatten, ihre Ehe zu lösen, und der unkündbaren familiären Verpflichtung gegenüber den Kindern kann gegen den Willen der Ehegatten langfristig nicht durch eine gesetzlich angeordnete, zwangsweise durchgesetzte Einheit von Ehe und Familie aufrecht erhalten werden. Doch müssen die Interessen der Kinder auch in normalen Scheidungsfällen berücksichtigt werden. Deshalb legt das Verfassungsrecht eine Formulierung des § 1568 Satz 1, 1. Alt. BGB nahe, die auch die Belastungen einschließt, die sich für ein Kind aus der in der Regel wenigstens ein Jahr andauernden, der Scheidung vorausgehenden Trennung der Eltern ergeben. Zu diesen Nachteilen für die Kinder gehören der tatsächliche Verlust des zweiten Elternteils bei der kontinuierlichen Erziehung sowie bei der Betreuung in Krankheitszeiten, die etwaigen Unzuträglichkeiten bei der Ausübung des Umgangsrechts sowie auch alle wirtschaftlichen Nachteile, die den Kindern auf Grund der durch die Trennung meist knapper werdenden Geldmittel entstehen.47 Zwar können auch diese Kindesinteressen die Ehe bei einem personalen Scheitern der höchstpersönlichen Lebensgemeinschaft von Ehegatten und Eltern nicht dauerhaft aufrechterhalten. Doch würde ihre Berücksichtigung von Amts wegen im Scheidungsfall allen Beteiligten vor Augen führen, dass eine Ehescheidung trotz des BeSchwab, Dieter, Handbuch des Scheidungsrechts, Teil II, Rn. 100. Alle nachteiligen Folgen für Kinder, die schon auf der Trennung der Eltern beruhen, können dem Bereich der besonderen Gründe im Sinne des § 1568 BGB nach seiner heutigen Fassung gerade nicht zugerechnet werden, s. Jaeger, Wolfgang in Johannsen / Henrich, Eherecht, § 1568, Rn. 13. 46 47
B. Die Antwort des Art. 6 GG auf die im Zivilrecht angelegten Spannungsfelder
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stehenbleibens des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern immer auch eine Familientrennung bedeutet. Eine solche gesetzliche Wertung macht offenbar, dass die Pflichtenbindung gegenüber dem Kind Kontinuität in Ehe und Familie fordert und grundsätzlich stärker ist als die dem Zerrüttungsprinzip an sich innewohnende Konsequenz, dass jeder Ehegatte sich von einer gescheiterten Ehe lösen darf. Um ihre Scheidung zu erreichen, müssten sich die Eltern im Regelfall vermehrt um das psychische und physische Wohlergehen ihrer Kinder kümmern. Das wäre aus Sicht der die Einheit von Ehe und Familie fordernden Verfassung wünschenswert. 2. Kontinuität im Sorgerecht Der Staat kann die Einheit von Ehe und Familie nicht erzwingen. Der Gesetzgeber muss sich aber um den Zusammenhalt jeder Familie im Interesse des Kindes bemühen. Der Verfassungsauftrag zur Kontinuität setzt sich deshalb im Sorgerecht auch nach einer Scheidung der Eltern zugunsten der Familie fort, indem den Kindern die Begegnung mit beiden Eltern in ihren jeweiligen Teilfamilien ermöglicht wird. Weil die Kindesinteressen eine Scheidung nicht dauerhaft verhindern können, hält der Gesetzgeber die Kontinuität der Familie und den Anspruch des Kindes auf Vater und Mutter verfassungskonform in einem gemeinsamen Sorgerecht der Eltern über die Scheidung hinaus aufrecht. Er gibt den Kindern aber auch dann einen Anspruch auf Umgang mit beiden Eltern, wenn nur einer der Ehegatten das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder erhält. Diese Sorge- und Umgangsregelungen verbinden die geschiedenen Eltern weiterhin in ihrem gemeinsamen Kind. Die kontinuierlichen Begegnungen mit beiden Eltern halten eine Verbindung der früheren Ehegatten aufrecht. Die dadurch entstehenden Spannungen zwischen den früher Verheirateten sind notwendige Konsequenz der jeweilig bestehenden Pflicht zur Sorge und zum Umgang mit dem Kind. Sie können nicht gelöst werden, ohne das verfassungsrechtlich grundsätzlich vorzugswürdige Interesse des Kindes an der Begegnung mit Vater und Mutter zu übergehen. Dieser Konflikt der geschiedenen Eltern verdeutlicht den Sinn der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Einheit von Ehe und Familie. Er entsteht durch den Scheidungswillen der Eheleute und kann mit den verfassungsrechtlichen Regeln zum Verhältnis von Ehe und Familie nicht gelöst werden. Vielmehr ist der Gedanke der Kontinuität zum Wohl des Kindes Auslöser dieses Spannungsfeldes: Ein gemeinsames Kind erfordert auch von Geschiedenen stets ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft und Kontinuität. Das Erfordernis der Kooperation zeigt sich noch deutlicher in der Regelung des § 1626a BGB, wonach bei nicht miteinander verheirateten Eltern eine gemeinsame Erklärung notwendig ist, um ein gemeinsames Sorgerecht beider Eltern für das Kind zu bekommen. Der Gesetzgeber ging bei der Einführung dieser Regelung im Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. 12. 1997 davon aus, dass eine gegen den Willen eines Elternteils erzwungene gemeinsame Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden ist. Die gemeinsame elterliche
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
Sorge setzt eine tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern voraus.48 Fehlt es hieran und tragen die Eltern ihren Konflikt auf dem Rücken des Kindes aus, kann das Kind in seiner Entwicklung und seiner Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt werden.49 Die Sorgerechtserklärung beider Eltern soll sicherstellen, dass das gemeinsame Sorgerecht eine Basis hat, auf der es zum Wohl des Kindes ausgeübt werden kann.50 Im Gegensatz zu nicht miteinander verheirateten Eltern haben sich Eltern ehelicher Kinder mit ihrer Heirat rechtlich dazu verpflichtet, füreinander und für ein gemeinsames Kind Verantwortung zu tragen. Diese Basis einer gemeinsamen Sorge für das Kind fehlt bei einer nichtehelichen Gemeinschaft. Der Gesetzgeber kann daher nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass die Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben und gemeinsam für das Kind Verantwortung übernehmen können und wollen. Nichteheliche Kinder werden in eine Vielzahl familiärer Lebenslagen hineingeboren.51 Das Kind braucht Kontinuität und verlässliche Ansprechpartner. Deshalb erfordert sein Wohl eine gemeinsame Sorgeerklärung, damit es sich darauf verlassen kann, dass sich seine Eltern miteinander und nicht gegeneinander um sein Wohlergehen kümmern. Fehlt diese Erklärung, gibt der Gesetzgeber der Mutter-Kind-Beziehung den Vorrang gegenüber der familiären Bindung des Vaters zu seinem Kind, weil das Kind von Geburt an eine Bezugsperson und eine rechtliche Vertretung braucht, die das Kind durch die Schwangerschaft und die Geburt schon in der Mutter findet. Diese vorgefundene Regel nimmt das Verfassungsprinzip der Kontinuität auf und schützt im Sinne von Art. 6 Abs. 4 GG das Verhältnis zwischen Mutter und Kind als besondere Form der Familie. Die Mutter ist die einzige sichere Bezugsperson, die das nichtehelich geborene Kind bei seiner Geburt vorfindet. Wenn die Mutter das alleinige Sorgerecht für das Kind erhält, stellt dies sicher, dass für das Kind vom ersten Lebenstag an tatsächlich und rechtlich Verantwortung getragen werden kann.52 Die Schwangerschaft setzt sich so kontinuierlich in der mütterlichen Sorge nach der Geburt fort. Diese Betrachtungsweise ist nicht nur durch herkömmliche gesellschaftliche Anschauungen geprägt, sondern muss gerade für die erste Lebensphase des Kindes durch biologisch-psychologische Besonderheiten der Mutter-Kind-Beziehung als objektiv gerechtfertigt angesehen werden.53 Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die Zuweisung des Sorgerechts an die Mutter verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 48 BVerfGE 92, 158 (178 f.) – Adoption II; BVerfGE 107, 150 (173) – Sorgerechtsregelung für Altfälle. 49 So ingesamt BVerfGE 107, 150 (173) – Sorgerechtsregelung für Altfälle. 50 BVerfGE 107, 150 (175) – Sorgerechtsregelung für Altfälle, BGH, NJW 2001, 2472 ff. = FamRZ 2001, 907 ff. – § 1626a BGB. Kritisch zum Urteil des BGH: Wolf, Marc, FRP 2002, 173 (173 f.). Fälschlicherweise betont er weniger das Kindeswohl, sondern das Recht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG. 51 BVerfGE 107, 150 (170) – Sorgerechtsregelung für Altfälle. 52 BVerfGE 107, 150 (170 f.) – Sorgerechtsregelung für Altfälle. 53 Di Fabio, Udo, NJW 2003, 993 (996).
B. Die Antwort des Art. 6 GG auf die im Zivilrecht angelegten Spannungsfelder
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Als Konsequenz dieser Regelung hängt der Zugang des Vaters zur Sorge für sein Kind von der Bereitschaft der Mutter ab, weil für eine gemeinsame Sorge eine gemeinsame Sorgerechtserklärung notwendig ist. Die Entscheidung der Eltern, nicht zu heiraten, kann also für den Vater die Folge haben, dass er das Sorgerecht für das Kind zwangsläufig der Mutter überlassen muss. Zwar kann diese Regelung die familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind erschweren; sie begründet aber keine unberechtigte Einschränkung des väterlichen Sorgerechts. Sie hält sich im verfassungsrechtlichen Rahmen, weil Art. 6 GG Sorgeregelungen fordert, die primär der Entwicklung und Entfaltung des Kindes dienen und nur sekundär ein Recht der Eltern darstellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Begegnung zwischen Kind und Vater durch ein weitgehendes Umgangsrecht ermöglicht werden muss. Die daraus entstehenden Spannungen finden wiederum ihre Ursache in der verfassungsrechtlich schützenswerten Hoffnung des Kindes auf Vater und Mutter.54 Korrespondierend dazu kann sich die unverheiratete Mutter der Sorge für ihr Kind im Gegensatz zum Vater nicht entziehen. Auch kann sie ohne die Bereitschaft des Vaters nicht mit ihm die Sorge für das Kind teilen. Diese Regelung ist keine unzulässige Diskriminierung nicht verheirateter Eltern, weil bei verheirateten Eltern die gemeinsame Sorge auf den übereinstimmenden Erklärungen im Eheversprechen beruht,55 somit für jedes gemeinsame Sorgerecht eine gemeinsame Erklärung als Ausdruck einer Kooperationsbereitschaft erforderlich ist. Bei Geschiedenen kann im Gegensatz zu nicht miteinander verheirateten Eltern davon ausgegangen werden, dass sie zumindest zeitweise miteinander gelebt und deshalb im gemeinsamen Umgang mit den Kindern erfahren sind. Bei nichtehelichen Familien fehlt dem Gesetzgeber jede Grundlage für eine solche Annahme, wenn er auf Ausforschungen im Privatbereich verzichten will. Die Regelungen zum Sorgerecht sind vom Gedanken der Kontinuität für das Kind geprägt und dienen seinem Wohl. Unterschiedliche Regelungen für geschiedene und ledige Eltern beruhen auf den jeweils unterschiedlichen Lebenssituationen und Kontinuitätsbedürfnissen des Kindes und sind deshalb nicht zu beanstanden, auch wenn sie dem nicht verheirateten Vater weniger Rechte einräumen als dem verheirateten. Elternschaft verbindet und kann deshalb gemeinsam nur in Kooperation und nicht gegen den Willen eines Partners ausgeübt werden.
54 Dieser Gedanke wird auch im Sozialhilferecht deutlich, weil die Kosten für das Ausüben des Umgangsrechts zum notwendigen Lebensbedarf zählen. 55 BVerfGE 107, 150 (175) – Sorgerechtsregelung für Altfälle.
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
3. Kontinuität in der ehebasierten Familie durch freie Entscheidungsmöglichkeiten In der ehebasierten Familie ist das verfassungsrechtliche Ziel der Einheit von Ehe und Familie verwirklicht. Deshalb hat der Gesetzgeber den Auftrag, das dauerhafte Leben in dieser Gemeinschaft und die neue Lebenssituation, die für die Ehepartner durch die Geburt eines Kindes entsteht, zu erleichtern.56 Freiheit und Verantwortung in Ehe und Familie vollziehen sich in einer freien Entscheidung des Einzelnen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit. Das Gelingen einer dauerhaften Gemeinschaft wird dadurch gefördert, dass den Eltern die Entscheidung über die Erziehung ihrer Kinder überlassen wird. Um den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag von Ehe und Familie in Verbindung mit dem Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) zu erfüllen und das Leben mit Kindern auch zum Schutz des ungeborenen Lebens zu erleichtern, ist der Gesetzgeber gehalten, Maßnahmen zu treffen, die ein Nebeneinander von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile ebenso wie eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit und einen beruflichen Aufstieg auch nach Zeiten der Kindererziehung ermöglichen.57 Erfüllen die gesetzlichen Regelungen diesen Auftrag, löst jedes Paar die Spannungen, die durch die Vereinbarkeit von Familienund Erwerbsarbeit entstehen, autonom und damit in der für alle Familienmitglieder besten Weise.58 Im heutigen Namensrecht findet die Leitidee der Einheit von Ehe und Familie keinen Widerklang. Die Familiengemeinschaft wird durch einen Familiennamen nach außen sichtbar, den aber nicht notwendigerweise beide Eltern und Ehepartner tragen müssen. Die Regelung sieht von staatlicher Bevormundung ab, gibt die Wahl des Namens in die Hand der Eheleute und überträgt ihnen die Aufgabe, einen Familiennamen für ihre Kinder zu wählen. Sie ist Ausdruck der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau59 und der Entscheidungsfreiheit der Eheleute. Jedes Paar kann autonom entscheiden, einen gemeinsamen Namen zu führen oder jeweils den eigenen Namen zu behalten, weil der Name Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und Mittel der Identifikation ist. Im Namen findet der Mensch seine 56 Das Inzestverbot des § 1307 BGB verdeutlicht die gesellschaftlich akzeptierte Einheit von Ehe und Familie, indem es Familienangehörigen verbietet, untereinander zu heiraten. Ziel der Regelung ist die Vermeidung von Geschlechtskonkurrenzen innerhalb der Kernfamilie. Die unumstrittene Notwendigkeit dieser Norm zeigt, dass die Ehe auf Kinder und damit auf die Gründung einer Familie angelegt ist und die Einheit von Ehe und Familie nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch gesellschaftlich gewollt ist. 57 BVerfGE 88, 203 (260) – Schwangerschaftsabbruch II; 87, 1 ff. – Trümmerfrauen. 58 Siehe zu einer freiheitlichen Lösung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf oben: Teil 4, A. II. 2. 59 Mit dem Gleichberechtigungsgebot war die alte Regelung des § 1355 Abs. 2 Satz 2 BGB a. F. nicht zu vereinbaren, wonach der Geburtsname des Mannes automatisch Ehename wurde, wenn die Ehegatten keine andere Bestimmung getroffen hatten, vgl. BVerfGE 84, 9 (17 ff.) – Ehenamen.
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Identität wieder, wird von anderen erkannt.60 Er wird deshalb in besonderer Weise vom Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Die eigenverantwortliche Selbstbestimmung der Ehegatten ist allerdings auch im Namensrecht nicht schrankenlos. Der Gesetzgeber sieht im Sinne des Art. 6 GG richtigerweise dort eine Grenze, wo aus der Ehe eine Familie wird, um den Interessen des Kindes und den Erfordernissen der staatlichen Gemeinschaft Rechnung zu tragen. Das Kind wird in die einheitliche Gemeinschaft der Ehe hineingeboren. Zwar muss die Ehe nicht notwendigerweise in einem einheitlichen Namen der Eltern nach außen erkennbar werden,61 wohl aber fordert der verfassungsrechtliche Schutz der Familie, diese als Einheit wahrnehmen zu können. Deswegen müssen die Eltern einen einheitlichen Familiennamen für ihre Kinder wählen.62 Im Gegensatz zu kinderlosen Ehen fordert so auch das Namensrecht die verheirateten Eltern in besonderer Weise heraus, ihre Verantwortung gegenüber dem Kind wahrzunehmen und ihm einen Namen und damit eine Einheit anzubieten, zu der es sich – für jeden erkennbar – zugehörig fühlen kann.63 Diese Regelung entspricht insoweit der Verfassungsidee des Art. 6 GG, als für das Kind als Ausfluss des Sorgerechts klare Regelung getroffen werden müssen. So beginnt die Verantwortung der Eltern für das Kind in der Namenswahl schon vor der Geburt. Den Eltern steht aber die Wahl der nach außen sichtbaren Zugehörigkeit zur Gemeinschaft für sich selbst offen. Die Spannungen, die zwischen den Ehegatten durch die Wahl des gemeinsamen Familiennamens entstehen können, sind Ausdruck ihrer Autonomie und verstoßen deshalb nicht gegen Art. 6 GG. Die Autonomie der Familie findet ihre wesentliche Grenze im geistigen, körperlichen und seelischen Wohl des Kindes. Ist dieses gefährdet, wird die bisherige Kontinuität in der ehelichen Familie durch staatliche Maßnahmen in eine kindgemäße Lebensgemeinschaft überführt. Grundlage dieses staatlichen Wächteramts (Art. 6 Abs. 2 und 3 GG) für das Kindeswohl ist § 1666 BGB. Diese Regelung widerspricht nicht dem Verfassungsverständnis des staatsfreien Raumes für Ehe und Familie und dem Gebot der Kontinuität, weil diese Prinzipien stets dem Wohl des Kindes dienen, niemals aber zum Schaden des Kindes gelten können. Der 60 Deshalb genießt sowohl der Geburts- als auch ein angenommene Ehename den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und kann deshalb auch bei einer Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung an einen künftigen Ehepartner weitergegeben werden. Vgl. so zur Verfassungswidrigkeit von § 1355 Abs. 2 BGB BVerfGE 109, 256 (266 f.) – Gemeinsame elterliche Sorge. 61 BVerfGE 48, 327 (338 f.) – Familiennamen; 78, 38 (49) – Gemeinsamer Familiennamen. 62 Vgl. hierzu mit kritischem Unterton an dem persönlichkeitsrechtlich unterstützten Subjektivismus der Eheleute zulasten des Rechtsinstituts der Ehe Badura, Peter, Bitburger Gespräche Jahrbuch 2001, S. 87 (95). 63 Um Namensketten in der Generationenfolge zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Doppelnamen für Kinder ausgeschlossen (§ 1355 Abs. 2 BGB), vgl. BVerfGE 104, 373 (384 ff.) – Familiendoppelnamen. Der Geburtsname ist für Kinder zwingend und steht für sie erst bei einer Heirat zur Disposition.
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staatliche Eingriff ist auf Ausnahmefälle beschränkt und vollzieht den verfassungsrechtlichen Vorrang der Familienförderung gegenüber den Entfaltungsmöglichkeiten der Ehegatten.
II. Stärkere Pflichtenbindung gegenüber dem Kind als gegenüber dem Ehegatten im Unterhaltsrecht Das Konkurrenzverhältnis zwischen Kindes- und Ehegattenunterhalt, das in Diskussion ist,64 kann durch das Prinzip des getrennten Schutzes von Ehe und Familie und einer daran anknüpfenden, unterschiedlich starken Pflichtenbindung gelöst werden. Die Pflichtenbindung gegenüber einem früheren Ehegatten oder nichtehelichen Partner basiert auf einer vertraglichen oder auch nur rein tatsächlichen Grundlage. Im Gegensatz dazu ist die Elternpflicht gegenüber dem Kind in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich verankert. Die Unterhaltspflicht in der Ehe ist schwächer, weil der Ehepartner in der Regel weniger schutzbedürftig ist als das Kind. Diese Unterschiede müssen sich auch im einfachen Recht niederschlagen, indem die Unterhaltspflicht gegenüber dem früheren Partner geschwächt und gleichzeitig der Unterhaltsanspruch des Kindes gestärkt wird. Wird im Scheidungsfall der Unterhalt, der den Betreuungsbedarf des Kindes abdeckt, vom Unterhalt des Ehegatten so weit wie möglich getrennt, verschwinden scheinbare Spannungslagen in diesem Regelungssystem, die stärkere Pflichtenbindung gegenüber dem Kind bleibt bestehen. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Geschiedenen tritt in Geltung, der Schutz des Kindes wird durch den Ausnahmetatbestand der Kindererziehung erhalten. 1. Eigenverantwortung der Ehegatten nach der Scheidung Dem Prinzip einer dauerhaften Pflichtenbindung der Eltern entspricht es, auch über eine Trennung der Familiengemeinschaft hinaus das Kind bis zu seiner Eigenständigkeit zu unterhalten. Weil die Ehe als Partnerschaft unter Gleichberechtigten ausgestaltet ist, wirkt ihre Bindungskraft nach einer Scheidung nur noch abgeschwächt. Die Scheidung beendet das eheliche Solidaritätsverhältnis, das die Versorgung des einen durch den anderen Ehegatten rechtfertigt. Deshalb folgen die Regeln zum nachehelichen Unterhalt dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten. Dieser in der Systematik der §§ 1569 ff. BGB angelegte Grundsatz wird aufgrund der Fülle der Ausnahmetatbestände und ihrer extensiven Auslegung in der 64 Vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts, BT-Drucks. 16 / 1830 (BR-Drucks. 253 / 06); dazu auch: Kirchhof, Gregor, FamRZ 2007, 241 ff., PeschelGutzeit, Lore, ZRP 2005, 177 ff., Borth, Helmut, FamRZ 2006, 813 ff., Kroppenberg, Inge, JZ 2006, 439 ff.
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Praxis selten angewendet. Das Prinzip der nachwirkenden Mitverantwortung des wirtschaftlich stärkeren Ehegatten für den anderen überlagert vielfach den Grundsatz der Eigenverantwortung. Dem Wesen der Ehe entspricht es heute aber, die Verantwortung für den Partner während der bestehenden Ehe zu stärken, den nachehelichen Unterhalt aber als Ausnahmetatbestand zu begreifen und die Höhe des Unterhalts weniger an den früheren ehelichen Lebensverhältnissen nach § 1678 BGB auszurichten, als vielmehr die gegenwärtigen Verhältnisse nach der Scheidung zugrunde zu legen. Denn die ehelichen Lebensverhältnisse können ohne das gemeinsame Wirtschaften in einen Topf in zwei Haushalten nicht aufrechterhalten werden. Eine Lebensstandardgarantie nach § 1573 Abs. 2 BGB im Sinne einer wirtschaftlichen Fortwirkung der Ehe ist in der Realität nicht zu verwirklichen, weil zwei getrennte Haushalte stets mehr Kosten verursachen als ein gemeinsamer. Auch die Frage nach der Angemessenheit einer eigenen Erwerbstätigkeit muss dann anders als bisher beantwortet werden: Weil jeder Ehegatte für sich selbst verantwortlich ist, muss er eine Tätigkeit ausüben, die seiner bisherigen Ausbildung und seinen sonstigen Fähigkeiten entspricht.65 Eine weniger starke Pflichtenbindung nach einer Scheidung der Ehe kann darüber hinaus zum Abbau von Vorbehalten gegenüber der Ehe beitragen, die auf der Angst vor einer in jedem Fall lebenslangen Inanspruchnahme – auch nach einer Scheidung – beruhen. Dies würde dem Fördergebot des Art. 6 GG entsprechen. Weil beide Ehegatten heute in der Regel eine Ausbildung haben, junge Menschen also nicht mehr im Vertrauen auf den Unterhalt eines späteren Ehepartners auf die eigene Ausbildung verzichten, führt die Stärkung des Prinzips der Eigenverantwortung die Ehegatten nach einer Scheidung meist nicht zum Sozial-, sondern zum Arbeitsamt. Auch dies ist volkswirtschaftlich eine wünschenswerte Nebenerscheinung. Die in Art. 6 GG angelegte Wertung einer schwächeren gegenseitigen Inpflichtnahme geschiedener Ehegatten im Gegensatz zur Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern wäre dadurch umzusetzen, dass neben einer Änderung von § 1578 BGB, der die Höhe des nachehelichen Unterhalts an den ehelichen Lebensverhältnissen orientiert, der Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB gestrichen wird. Ein nachehelicher Unterhalt wird dann nur noch in Höhe des gegenwärtigen, angemessenen Lebensbedarfs des sozial schwächeren Ehegatten gezahlt.66
65 So auch die Tendenz des Gesetzesentwurfs zur Änderung des Unterhaltsrechts, dargestellt auch in FamRZ 2005, S. 1041; befürwortend: Peschel-Gutzeit, Lore Maria, ZRP 2005, 177 (180). 66 Allerdings müssten für Ehen, die unter dem bisherigen Recht geschlossen worden sind und die auf die gegenseitige Stütze vertraut haben, Übergangsregelungen getroffen werden, Peschel-Gutzeit, Lore Maria, ZRP 2005, 177 (180).
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2. Frühere Kindererziehung als wichtigste Ausnahme vom Prinzip der Eigenverantwortung Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit im Scheidungsfall muss allerdings durchbrochen werden, wenn einer der Ehegatten gemeinsame Kinder erzogen hat, deshalb aus dem Erwerbsleben (teilweise) ausgeschieden ist, auf Karriere verzichtet hat und ein Wiedereinstieg in die Erwerbsarbeit nach der Scheidung wegen Alters und mangelnder Fortbildung schwierig geworden ist. Der nacheheliche Unterhalt ist dann ein Ausgleich für Opfer, die der Ehegatte im Interesse der familiären Gemeinschaft erbracht hat. Grund dieses Ausnahmetatbestandes ist die Betreuungspflicht beider Eltern gegenüber den Kindern, die aber ein Ehegatte weitgehend allein übernommen hat. Folgerichtig fällt die Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten mit der früher bestehenden Betreuungspflicht gegenüber den Kindern in einem Unterhaltstatbestand zusammen. Wer in der Ehe unter Verzicht auf eigenen Erwerb Kinder erzogen hat, muss für diese Leistung – als Folgewirkung der ehelichen Gemeinschaft und der autonomen Aufgabenverteilung unter Ehegatten – einen Augleich erhalten. Der nacheheliche Unterhalt wegen Kindererziehung gleicht die finanziellen und beruflichen Einbußen aus, die der betreuende Elternteil für die gemeinsamen Kinder während der bestehenden Ehe auf sich genommen hat. Er ist Ausgleich für die Entlastung, die der andere Ehegatte durch die Erziehung seiner Kinder erfahren hat. Dieser Ausnahmetatbestand ist im Gegensatz zu anderen möglichen Ausnahmen auch im Interesse der Kinder großzügig auszugestalten, damit nicht allein in Sorge vor einem möglichen Scheidungsfall während der Ehe auf die eigene Betreuung der Kinder verzichtet wird. Erst recht besteht diese Unterhaltspflicht, wenn minderjährige Kinder nach der Scheidung von einem Ehegatten weiter betreut werden und diese nach ihrer Volljährigkeit oder des Abschlusses ihrer Ausbildung aus dem Haus gehen. Hier nimmt der betreuende frühere Ehegatte die gleichen beruflichen Einbußen in Kauf, als wenn er während der Ehe die Kinder erzogen hätte.
3. An Kind geknüpfter Kinderbetreuungsunterhalt Sind von einer Scheidung minderjährige und betreuungsbedürftige Kinder betroffen, fordert die familiäre Pflichtenbindung, dass beide Eltern das Kind unterhalten, wobei in der Regel einer den Unterhalt in Realleistung, der andere in Geld erbringt. Neben diesem sächlichen Unterhalt, der den Lebensunterhalt des Kindes sichert (§ 1601 BGB),67 muss das Kind betreut werden. Es entstehen entweder 67 Vgl. zur Einführung eines Mindestunterhalts für minderjährige Kinder, der sich nach dem doppelten Freibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes gemäß § 32 VI 1 EStG richten soll: Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 26. 4. 2005, dargestellt in FamRZ 2005, 1041.
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Kosten für eine Fremdbetreuung oder finanzielle Einbußen durch den Verzicht auf eine Erwerbsarbeit eines Elternteils. Diesen Betreuungsunterhalt erhält nach heutiger Rechtslage nach einer Scheidung der Ehegatte, der das Kind betreut. § 1570 BGB dient dazu, die persönliche Betreuung des Kindes trotz der Trennung seiner Eltern durch wenigstens einen Elternteil zu ermöglichen.68 Es geht in der Sache also mehr um die Deckung eines Bedarfs des Kindes als um das Recht des Betreuenden auf die volle oder teilweise Freistellung von einer Erwerbstätigkeit.69 Da die Verfassung das Kind in den Mittelpunkt der Gewährleistungen des Art. 6 GG rückt, zudem Ehe und Familie getrennt voneinander schützt, ist es sinnvoll, diesen Betreuungsunterhalt an das Kind und nicht an die betreuende Person zu knüpfen. Der Betreuungsbedarf ist nicht ein Bedarf der Betreuungsperson. Vielmehr stellt die Kinderbetreuung einen eigenständigen Unterhaltstatbestand dar,70 der unabhängig von einer Ehe der Eltern besteht. Anspruchsinhaber dieses Betreuungsunterhalts ist das Kind,71 für das der Erziehende als sorgeberechtigter Elternteil das Geld in Empfang nimmt. Die Höhe eines solchen Unterhalts würde sich nicht nach den ehelichen Lebensverhältnissen, sondern nach der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes richten. Wird das Kind tagsüber von Dritten betreut, umfasst dieser Unterhalt die Bezahlung dieser Personen und die finanziellen Einbußen des betreuenden Elternteils, die entstehen, wenn er vorzeitig die Arbeit verlassen, im Krankheitsfall zu Hause bleiben und abends und am Wochenende verlässlich für das Kind da sein muss. Wird das Kind von einem seiner Eltern selbst betreut, richtet sich die Höhe des Unterhalts nicht nach dem fiktiven Einkommen dieses Elternteils, sondern nach dem Gehalt einer Person, die ganztägig das Kind zu Hause betreut. Mit dieser Vorgabe richtet sich der Betreuungsunterhalt nach dem Bedarf des Kindes. Nach einer Scheidung kommt es bei der Kinderbetreuung nicht mehr auf die ursprünglich bestehende eheliche Verbindung der Eltern, sondern auf die immer noch bestehende familiäre Beziehung des Kindes zu beiden Eltern an. Diese Einheit, die sich nach der Trennung in zwei Teilfamilien fortsetzt, bleibt durch einen Betreuungsunterhaltsanspruch des Kindes gegen beide Eltern bestehen, der in Real- und Geldleistung erbracht werden kann. Nur die Einheit der Familie, nicht dagegen die geschiedene Einheit der Ehegatten wird damit unterhaltsrechtlich für das Kind aufrechterhalten. Die Entscheidung der Ehegatten zur Scheidung wird gleichermaßen respektiert. Durch eine Entkoppelung von Betreuungsperson und Betreuungsunterhalt werden die Spannungslagen, die durch die Privilegierung des Betreuungsunterhalts gegenüber anderen Unterhaltstatbeständen wegen des Schutzbedürfnisses des Kindes entstehen, systemgerecht gelöst. Es werden zwei eher als Ausnahmen wirkende BVerfGE 57, 361 – Erstes Eherechtsreformgesetz = FamRZ 1981, 745, (749 ff.). Büttner, Helmut in Johannsen / Henrich, Eherecht, § 1570, Rn. 1. 70 Diederichsen, Uwe, Neuordnung des Unterhaltsrechts, in Ramm / Grandke, Deutsche Wiedervereinigung, S. 99 (106). 71 Puls, Jutta, FamRZ 1998, 865 (869). 68 69
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Regelungen durch ein systematisches Prinzip abgelöst: § 1579 BGB, wonach ein völliger Ausschluss des Unterhaltsanspruchs des bedürftigen Ehegatten auch bei einem schweren ehelichen Fehlverhalten des Elternteils, der das Kind betreut, nicht möglich ist, und § 1577 Abs. 4 Satz 2 BGB, der den nachehelichen Unterhaltsanspruch des Ehegatten wegen Betreuung der Kinder wieder aufleben lässt. Wenn der Betreuungsunterhalt an das Kind gekoppelt ist, ist das Verhalten der betreuenden Person für diesen Anspruch unerheblich. Gleichzeitig werden durch einen dem Kind zugeordneten Betreuungsunterhalt die rechtlichen Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern aufgegeben und die Familiengemeinschaft unabhängig von der Ehe geschützt. Kinder haben keinen Einfluss darauf, ob sie ehelich oder nichtehelich geboren werden. Die persönliche Entscheidung der Eltern gegen eine Eheschließung soll sich nicht zum Nachteil für die gedeihliche Entwicklung des Kindes auswirken.72 Die Eltern eines nichtehelichen Kindes sind ebenso wie Eltern ehelicher Kinder verpflichtet, ihr Kind zu betreuen.73 § 1615 l BGB und § 1570 BGB würden in dieser neuen Regelung aufgehen.73a Da die ständige Betreuungsnotwendigkeit eines Kindes bis zum achten Lebensjahr allgemein anerkannt ist,74 hat sich eine neue Regelung an die zu § 1570 BGB entwickelten Rechtsgrundsätze und nicht an § 1615 l BGB anzupassen.75 Weil der Unterhaltsbedarf auch nach der heutigen Regelung sowohl bei Geschiedenen als auch bei Alleinerziehenden an die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes anknüpft,76 kann die unterschiedliche Behandlung von geschiedenen und nichtehelichen Partnern nicht mit dem in der Ehe geschaffenen, besonderen Vertrauenstatbestand begründet werden.77 Die Spannungslagen, die zwischen geschiedenen und ledigen Alleinerziehenden in der heutigen Rechtslage angelegt sind, würden durch eine Neuregelung entfallen und so eine verfassungsgemäße Rechtslage geschaffen. Der Betreuungsunterhalt würde am Bedarf des Kindes ausgerichtet, für alle Kinder gleich lang gezahlt und wegen des Schutzbedürfnisses des Kindes stets erstrangig berücksichtigt werden. Eine solche Regelung sichert jede Familiengemeinschaft unabhängig vom PerPuls, Jutta, FamRZ 1998, 865 (867). Vgl. zum Verbot der Schlechterstellung der ledigen Mutter gegenüber dem geschiedenen Ehepartner, der Kinder betreut: BGH NJW 2005, 500 ff. Danach ist für den Selbstbehalt des Unterhaltsschuldners ein Betrag zwischen dem angemessenen Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 1 BGB und dem notwendigen Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 2 BGB anzusetzen. 73a Damit würde eine vom Bundesverfassungsgericht eingeforderter, verfassungsgemäßer Zustand erreicht, vgl. BVerfG NJW 2007, 1735 ff – Dauer des Betreuungsunterhalts. 74 BGH FamRZ 1992, 1045; Hamm FamRZ 1997, 1073 (Leitsatz), Büttner, Helmut, in Johannsen / Henrich, Eherecht, § 1568, Rn. 15. 75 Der wegen eines Verstaßes gegen Art. 6 Abs. 5 GG für verfassungswidrig erklärt wurde, BVerfG NJW 2007, 1735 ff. – Dauer des Betreuungsunterhalts; vgl auch Borth, Helmut, in Schwab, Scheidungsrecht, IV., Rn. 164 a. E, ähnlich Büttner, Helmut, in Johannsen / Henrich, Eherecht, § 1570, Rn. 15. 76 Hierzu: Frenz, Walter, NJW 1992, 1597. 77 Büttner, Helmut, in Johannsen / Henrich, Eherecht, § 1570 Rn. 15. 72 73
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sonenstand der Eltern finanziell in der Erziehungsphase ab und fördert die familiäre Autonomie, weil den Betreuungsunterhalt des Kindes beide sorgeberechtigte Eltern auch durch wechselseitige Betreuung sicherstellen können. Gleichzeitig werden die gleichmäßigen Entwicklungschancen für Kinder aus geschiedenen Ehen und aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften gewährleistet.78 Ein Anspruch des Kindes auf Betreuungsunterhalt widerspricht nicht der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung von der Einheit von Ehe und Familie, weil diese nur die bestehende ehebasierte Familie, nicht aber die gescheiterte und geschiedene Familie als Leitidee dem Freiheitsberechtigten nahelegt. Die ehebasierte Familie würde gegenüber Alleinerziehenden durch einen dem Kind zugeordneten Betreuungsunterhalt auch nicht benachteiligt, weil die zivilrechtlichen Regelungen nur den Betreuungsunterhalt sicherstellen, den die verheirateten Eltern ohnehin aus ihrem gemeinsam erwirtschafteten Einkommen bestreiten.
4. Vorrangiger Unterhalt des Kindes Der verfassungsrechtliche Schutz des Kindes in der Familie fordert, den Unterhalt des Kindes stets vorrangig gegenüber anderen Unterhaltsgläubigern, insbesondere auch gegenüber dem früheren Ehegatten, zu berücksichtigen. Die Vorrangigkeit ist notwendige Konsequenz der stärkeren Pflichtenbindung gegenüber dem Kind und trägt der Erfahrung Rechnung, dass die Familie im Gegensatz zur Ehe wegen ihrer Erziehungsleistung der finanziellen Förderung bedarf. Kinder sind die wirtschaftlich schwächsten Mitglieder der Gesellschaft und können im Gegensatz zum Ehegatten in der Regel ihre finanzielle Lage aus eigener Kraft nicht verändern.79 Um ihre wirtschaftliche Grundlage zu sichern, ist deshalb ein absoluter Unterhaltsvorrang aller minderjähriger Kinder vor allen anderen Berechtigten aus Sicht von Art. 6 GG geboten.80
5. Pflichtenbindung im Vorrang des Unterhalts des ersten Ehegatten Die Konkurrenz im Unterhaltsrecht zwischen erster und zweiter Ehe und mittelbar auch zwischen erster und zweiter Familie löst das Gesetz nach der Auslegung, die es durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfahren hat,81 durch ei78 Vgl. hierzu BVerfG NJW 2007, 1735 ff. – Dauer des Betreuungsunterhalts; auch Büttner, Helmut, in Johannsen / Henrich, Eherecht, § 1570, Rn. 1. 79 So der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 26. April 2005, zusammenfassende Darstellung in FamRZ 2005, 1041; kritische Würdigung bei: Peschel-Gutzeit, Lore Maria, ZRP 2005, 177 (177). 80 Dieser Unterhaltsvorrang wird seit langem in der Literatur gefordert, vgl. Puls, Jutta, FamRZ 1998, 865 (875); Scholz, Harald, FamRZ 2004, 751 (761 f.); Peschel-Gutzeit, Lore Maria, FPR 2002, 169 ff.
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nen Vorrang des Unterhalts des ersten Ehegatten gegenüber dem zweiten Ehegatten, der mittelbar unterhaltsrechtlich auch die Kinder aus der ersten Ehe gegenüber allen weiteren Kindern bevorzugt.82 § 1582 BGB entspricht dem Verfassungsprinzip der Kontinuität und der Pflichtenbindung gegenüber Ehegatten und Kindern und löst deshalb die Unterhaltskonkurrenz im Sinne des Art. 6 GG. Denn der Grundrechtsberechtigte steht in Verantwortung, seine einmal eingegangene Bindung bleibt nicht ohne Konsequenz. Die Freiheit, eine zweite Ehe einzugehen, ist durch die Pflichtenbindung, die sich in nachehelichen Unterhaltspflichten niederschlägt, eingeschränkt. In den Mangelfällen, in denen nach einer Wiederheirat nicht alle Kinder und Ehegatten durch ein Einkommen unterhalten werden können, behauptet die alte, nicht mehr bestehende Ehe ihren Vorrang sogar dann, wenn sie mit der neuen Ehe in Bezug auf die Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit von Kindern völlig gleichsteht.83 Nur in der ersten Ehe sind die Ehegatten noch frei zu entscheiden, ob beide verdienen wollen oder einer von beiden sich ganz dem Haushalt widmet. Es gibt kein plastischeres Beispiel für die Selbstbeschränkung eigener Freiheit durch übernommene Verpflichtungen.84 § 1582 BGB ist somit Ausdruck des Verfassungsprinzips einer verantwortungsvollen Pflichtenbindung gegenüber Ehegatten und Kindern. Der Vorrang des ersten Ehegatten, der mittelbar auch die Kinder aus erster und zweiter Ehe betrifft, lässt sich darüber hinaus mit dem Bundesverfassungsgericht auch damit begründen, dass Kinder in einer bestehenden Ehe in der Regel unter allgemein günstigeren Verhältnissen aufwachsen als Kinder, die nur noch bei einem Elternteil leben.85 Wie bereits ausgeführt86 wäre es allerdings verfassungsrechtlich nahegelegt, die nachehelichen Pflichten der Ehegatten untereinander gemäß dem Prinzip der Eigenverantwortung nicht zu einer Lebensstandardgarantie im Sinne einer Fortwirkung der Ehe im wirtschaftlichen Bereich ausufern zu lassen.
III. Zivilrechtliche Stütze für familiäre Verantwortungsgemeinschaften Die freiheitliche Verfassung erlaubt die Scheidung, die Wiederheirat und die erneute Gründung einer Familie, erhofft sich aber gleichzeitig den Regelfall von der lebenslangen Einheit von Ehe und Familie. Beziehungen des nur biologischen Vaters, die außerhalb einer sozialen Gemeinschaft zwischen Erziehenden und Kin81 Einschränkende Auslegung des § 1609 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 1582 BGB, die der BGH seit 1988 vornimmt, vgl. BGHZ 104, 158 = NJW 1988, 1722. 82 Kritik an der heutigen Rechtslage übt: Peschel-Gutzeit, Lore Maria, ZRP 2005, S. 177 (178). 83 BVerfGE 66, 84 (94 ff.) – Unterhalt III. 84 Campenhausen, Axel Freiherr von, VVDStRL 45 (1987), 7 (33). 85 BVerfGE 66, 84 (97) – Unterhalt III. 86 s. o. B. II. 1.
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dern bleiben, allein auf der biologischen Abstammung beruhen und keine übernommene Verantwortung für einen anderen Menschen begründen, genießen nicht den Schutz des Art. 6 GG und müssen hinter den Gemeinschaften im Sinne der Einrichtungsgarantien von Ehe und Familie zurückstehen. Um die Spannungslagen zwischen biologischem Ursprung und ehebasierter Familie zu lösen, hilft deshalb der Verfassungsbegriff der Familie, der nur die Gemeinschaft mit Kindern unter seinen besonderen Schutz stellt, in der die Erziehenden Verantwortung für das Kind übernehmen. Darüber hinaus gibt die Leitidee der Einheit von Ehe und Familie die Richtschnur, an die sich der Gesetzgeber bei den Regelungen der Beziehungen in der ehebasierten Stieffamilie zugunsten einer stabilen und verlässlichen Gemeinschaft für die Entwicklung des Kindes halten muss.
1. Vorrang der sozialen, ehebasierten Familiengemeinschaft vor der biologischen Familie a) Vaterschaftsvermutung des Ehemannes der Mutter als Ausdruck der Einheit von Ehe und Familie Der Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes in § 1592 Nr. 1 BGB liegt das Leitbild der Einheit von Ehe und Familie als Regelfall zugrunde. Sie trägt der Erfahrung Rechnung, dass in der Regel der Ehemann der Mutter der leibliche Vater des Kindes ist und entspricht so dem verfassungsrechtlichen Verhältnis von Ehe und Familie. Im Hinblick auf den Schutz familiärer sozialer Beziehungen aus Art. 6 Abs. 1 GG und den Schutz der Intimsphäre aus Art. 2 Abs. 1 GG wird aus der mit der Ehe eingegangenen Beziehung zur Mutter auf die Abstammung des Kindes geschlossen und aufgrund dieser Vermutung die Zuweisung der rechtlichen Elternstellung vorgenommen.87 Das Gesetz will den Status des Kindes festlegen und umfangreiche naturwissenschaftliche Untersuchungen vermeiden.88 In der Konsequenz dieser Regelung können die rechtliche und die leibliche Vaterschaft auseinander fallen.89 Dabei entstehen aber nicht zwei verfassungsrechtlich schützenswerte Familien, weil Art. 6 GG nur die Beziehung schützt, in der für Kinder tatsächlich Verantwortung übernommen wird. Allein die biologische Abstammung begründet keine Familie, solange nicht Elternrechte und Elternpflichten wahrgenommen werden. Die Konflikte zwischen der sozialen Familie und dem biologischen Vater, die durch § 1592 Nr. 1 BGB entstehen, begründen deshalb verfassungsrechtlich keine Spannungslagen innerhalb des Art. 6 GG, weil dieser sich allein aufgrund seiner Stellung als biologischer Vater nicht auf den Schutz der Familie berufen kann. Art. 6 GG und die daran anknüpfende Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes der Mutter erkennt vielmehr, dass die Verantwortung 87 88 89
BVerfGE 108, 82 (100 f.) – Biologischer Vater. BVerfGE 79, 256 (267) – Kenntnis der eigenen Abstammung. BVerfGE 108, 82 (100 f.) – Biologischer Vater.
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für das Kind einer klaren Zuweisung der Elternrolle bedarf und bezieht deshalb nur die soziale Familie in seinen Schutz ein. Zwar können sich die familiären Beziehungen, in die ein Kind hineingeboren wird, und damit die Bezugspersonen für das Kind im Laufe der Zeit ändern. Für die Entwicklung des Kindes ist aber neben der Qualität der Beziehung zu seinen Bezugspersonen das Wissen und die Gewissheit von maßgeblicher Bedeutung, zu wem es gehört, welcher Familie es zugeordnet ist und wer als Mutter oder Vater Verantwortung für es trägt. Nur dies schafft personale und rechtliche Sicherheit für das Kind, die ihm der Grundrechtsschutz über das Elternrecht vermitteln soll.90 Deshalb schützt Art. 6 GG die soziale Familieneinheit zulasten der Beziehung zu einem außen stehenden biologischen Vater. Weil das Kind ein selbständiges Interesse daran hat, dass möglichst frühzeitig und endgültig Gewissheit über seine familienrechtliche Stellung besteht, wird diese Schutzintensität größer, je später die Ehelichkeit durch Außenstehende angefochten wird.91 § 1592 Nr. 1 BGB gibt dem Kind Kontinuität und Verlässlichkeit in seinen Bezugspersonen, indem er vom Leitbild der Einheit von Ehe und Familie ausgeht und entspricht so den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 6 GG.
b) Anfechtungsrecht des biologischen Vaters allein zum Wohl des Kindes Weil allerdings die gesetzliche Bestimmung der Vaterschaft für die Möglichkeit konstitutiv ist, als Elternteil überhaupt für das Kind tatsächlich umfassend Sorge zu tragen und nur auf dieser Grundlage der Zugang zur Elternverantwortung und zum Schutz des Art. 6 GG eröffnet werden kann,92 muss dem biologischen Vater die Chance gegeben werden, eine Familiengemeinschaft mit seinem Kind zu gründen. Die Schranke ist dabei das Wohl des Kindes. Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet deshalb auch dem biologischen Vater grundsätzlich einen verfahrensrechtlichen Zugang zum Elternrecht.93 Die familienrechtlichen Regelungen erfüllen diese Anforderungen, indem sie dem biologischen Vater ein Anfechtungsrecht einräumen. § 1600 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BGB begreift richtigerweise die Elternverantwortung nicht vorrangig als Recht des Vaters, sondern als Recht des Kindes und berechtigt deshalb den biologischen Vater nur dann zur Anfechtung, wenn zwischen dem Kind und seinem jetzigen rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Es mag für den außen stehenden Vater schmerzlich sein, wenn ihm der Zugang zur Sorge für sein Kind verwehrt wird, weil sich dieses in seiner sozialen Familiengemeinschaft aufgehoben fühlt und für einen anderen Mann väterliche Gefühle hegt. Für das Wohl des erziehungsbedürftigen Kindes, das im Schutz des Art. 6 GG stets im Vordergrund steht, ist eine solche, Kontinuität vermittelnde Regelung jedoch notwendig. Der Verfassung kann kein Recht entnommen werden, 90 91 92 93
BVerfGE 108, 82 (101 f.) – Biologischer Vater. BVerfGE 38, 241(251) – Ehelichkeitsanfechtung. BVerfGE 108, 82 (103) – Biologischer Vater. BVerfGE 108, 82 (104) – Biologischer Vater.
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eine intakte, die Einheit von Ehe und Familie wahrende Familiengemeinschaft zu zerstören, um einem Außenstehenden ein Recht auf Zugang zu seinem Kind zu ermöglichen. Die bereits bestehende Familie ist schützenswerter als eine nur potentiell entstehende Gemeinschaft zwischen Vater und Kind. Allerdings macht eine zusätzliche praktische Hürde das Recht des Vaters auf Zugang zur Elternrolle praktisch zunichte, wenn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fordert, der biologische Vater dürfe den Beweis seiner leiblichen Vaterschaft vor dem Familiengericht nur durch eine DNA-Analyse von Haar- oder Speichelproben des Kindes erbringen, die mit Zustimmung der Mutter entnommen worden sind.94 Diese Rechtsprechung schützt weniger das Kind als vielmehr die Rechtsposition der Mutter, die durch ihre Weigerung jedes Entstehen einer familiären Beziehung zwischen Vater und Kind verhindern kann, auch wenn eine solche gerade dem Wohl des Kindes dient. Die Verfassung macht hier zwar keine konkreten Vorgaben und überlässt es dem Gesetzgeber, Regelungen zu treffen, die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigen können. Doch entspricht ein praktischer Ausschluss des biologischen Vaters, der sich auch nicht mit dem in der sozialen Familiengemeinschaft begründeten Kindeswohl rechtfertigen lässt, nicht dem Sinn von Art. 6 GG.
c) Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung des Kindes Weil für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und für das Verständnis und die Entfaltung seiner Individualität neben der Zugehörigkeit zu einer Familie auch die Frage nach seiner Abstammung bedeutsam ist95 und diese mit wachsendem Alter und abnehmendem Erziehungsbedürfnis drängender wird, tritt der Schutz des sozialen Familienverbandes spätestens nach der Volljährigkeit des Kindes in den Hintergrund. Auch wenn der Ehemann der Mutter als gesetzlicher Vater die Vaterpflichten übernommen hat, muss das volljährige Kind nicht ausschließlich in diesem Familienverbund bleiben.96 Gibt es Anlass für Zweifel an der Vaterschaft des rechtlichen Vaters und entwickelt das Kind selbst ein Interesse an der Kenntnis seiner biologischen Abstammung, ist die soziale Familie nicht mehr sein unumstrittener Bezugspunkt. Dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG steht dann nicht mehr das Recht der Familiengemeinschaft zur ungestörten Erziehung des Kindes entgegen. Zudem tritt in der Regel auch das Interesse der Mutter und des Stiefvaters an der Einheit ihrer Ehe gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Kindes zurück, weil diese Gemeinschaft nicht mehr eine Erziehungsgemeinschaft, sondern nur noch eine Beistandsgemeinschaft ist. Zwar gibt Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG kein Recht auf Verschaffen der Kenntnisse der eigenen Abstammung, sondern schützt nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen.97 Denn das Kind 94 95 96
BGH NJW 2005, 497 ff. = FamRZ 2005, 340 ff. BVerfGE 79, 256 (268 f.) – Kenntnis der eigenen Abstammung. BVerfGE 79, 256 (271 f.) – Kenntnis der eigenen Abstammung.
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
kann von der Mutter nur die Auskunft über seinen leiblichen Vater verlangen, die diese ihm geben kann.98 Doch kann der Schutz der Ehe diesen Auskunftsanspruch nur in Ausnahmefällen verhindern. Im Regelfall ist die Ehe der Mutter kaum gefährdet, so zum Beispiel, wenn das Kind von Anfang an in einer Pflegefamilie lebt, wenn das Kind vor dem Verfahren schon eine enge Beziehung zu seinem – ihm als solchen noch nicht bewussten – leiblichen Vater aufgebaut hat oder wenn die Mutter und ihr Ehemann zustimmen.99 Auch sonst ist die Intimsphäre der Mutter in einer Abwägungsentscheidung zumeist von geringerem Gewicht als das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Herkunft. Allerdings gibt weder Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG noch Art. 6 Abs. 5 GG ein bestimmtes Ergebnis vor, mag auch Art. 6 Abs. 5 GG für nichteheliche Kinder einen zusätzlichen Gleichstellungsanspruch gewähren. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist vom Gesetzgeber oder von den Gerichten bei der Erfüllung ihrer grundrechtlichen Schutzpflichten zu entscheiden.100 Es besteht ein Entscheidungsraum, der in der Regel zugunsten des Kindes zu nutzen ist. Die Konflikte spielen sich hier nicht mehr innerhalb von Art. 6 GG ab, sondern es muss das Persönlichkeitsrecht des Kindes, das ihm ein Recht auf Kenntnis seiner Herkunft gewährt, gegen das Persönlichkeitsrecht der Mutter auf Wahrung ihrer Intimsphäre abgewogen werden. Eheliche und familiäre Bindungen haben hierbei nur eine untergeordnete Rolle; Art. 6 GG macht insoweit keine Vorgaben.
2. Stärkung der Einheit der sozialen Familie durch Rechte für den Stiefelternteil Die einfachgesetzlichen Regelungen, die dem Ehegatten des allein sorgeberechtigten Elternteils ein Mitsorgerecht einräumen (§ 1687b BGB) und dem Gericht die Befugnis geben, den Verbleib des Kindes in der Stieffamilie zeitweilig anzuordnen, falls der allein Sorgeberechtigte dauerhaft am Ausüben des Sorgerechts verhindert ist (§ 1682 BGB), stehen mit dem verfassungsrechtlichen Gedanken der Einheit von Ehe und Familie im Einklang. Sie stärken die soziale Familiengemeinschaft, in der Elternverantwortung – auch unabhängig von der biologischen Elternschaft – übernommen wird. Unter dem Vorbehalt des Kindeswohls stärkt das Gesetz die verfassungsrechtlich gewollte, tatsächliche Verantwortungsgemeinschaft der Familie. Zwar stehen die Regelungen im Widerspruch zu dem sonst vom Gesetz verfolgten Ziel, den ungestörten Fortbestand der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen auch nach deren Trennung möglichst zu fördern.101 Doch dieBVerfGE 79, 256 (269) – Kenntnis der eigenen Abstammung. Vgl. BVerfGE 96, 56 (64) – Vaterschaftsauskunft. 99 BVerfGE 79, 256 (273) – Kenntnis der eigenen Abstammung. 100 BVerfGE 96, 56 (56 und 63) – Vaterschaftsauskunft. 101 Schwab, Dieter, Familienrecht, Rn. 604. Er wirft zudem eine Reihe von praktischen Fragen auf: Wie ist das Einvernehmen in 1687b I 1 BGB zu verstehen, ist die einmal erzielte 97 98
C. Systemberichtigung statt Kompensation
267
nen sie dem Wohl des Kindes, weil es im Stiefelternteil für die Angelegenheiten des Alltags eine verlässliche Bezugsperson findet und der nichtsorgeberechtigte Elternteil in der Regel keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung im Leben des Kindes spielt. Mitsorgerecht und Bleibeanordnung sind Ausfluss der Verfassungsprinzipien der Kontinuität und der Einheit von Ehe und Familie. Sie räumen der Familie gegenüber der allein auf Abstammung beruhenden Beziehung des leiblichen Vaters den Vorrang ein.
C. Systemberichtigung statt Kompensation Die natürliche Spannung zwischen Ehe und Familie, die sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung und einer daran anknüpfenden Gesetzeslage verschärft hat, muss in jedem Teilrechtsgebiet sachgerecht aufgenommen und ausgeglichen werden. Der verfassungsrechtliche Schutz des Art. 6 GG fordert eine ehe- und familiengerechte Gestaltung des einfachen Rechts, die einerseits die Ehe als autonome Lebensgemeinschaft anerkennt, andererseits die Familie dort entlastet, wo sie besonderen Belastungen unterworfen ist. Um dabei möglichst gerechte Verteilungsverhältnisse zu schaffen, sucht ein das Verhältnis von Ehe und Familie wahrender Familienlastenausgleich die finanziellen Belastungen und Ungleichbehandlungen zwischen Kinderlosen und Kindererziehenden erst gar nicht entstehen zu lassen und bereits im Ansatz zu unterbinden. Systemimmanent innerhalb der Sozialversicherungssysteme und der Vorschriften im Fürsorge- und Steuerrecht sowie unmittelbar in den zivilrechtlichen Regelungen können auch die Mütter, die nach Art. 6 Abs. 4 GG besonders zu schützen sind, nach der geltenden Rechtslage aber vermehrt benachteiligt werden, besser entlastet werden.102 So würde eine gerechte Ausgestaltung der Transfersysteme im Sinne des Sozialstaatsprinzips der Familienarmut entgegenwirken, indem die begrenzt verfügbaren Mittel dort eingesetzt werden, wo wirkliche Bedürfnisse ungedeckt bleiben.103 Ein Modell, das im Gegensatz dazu die verschiedenen Rechtsfehler in den Transfersystemen zulasten der Familie durch einen späteren Lastenausgleich insgesamt kompensiert, schafft Intransparenz und Ungleichbehandlungen. Es täuscht durch einmalige Begünstigungen vor, Familien zu entlasten, obwohl diese zuvor innerhalb der Transfersysteme indirekt höher belastet wurden.104 Zudem würde eine solche, mit Haushaltsmitteln finanzierte Gesamtkompensation bewirken, dass die Familien die Lasten eines ihnen zugute kommenden Ausgleichs mit ihren Steuern zum großen Teil selbst finanzieren.105 Einigung jederzeit widerrufbar? Was sind Angelegenheiten des täglichen Lebens? Enthält das Mitsorgerecht auch eine gesetzliche Vertretung nach außen? 102 Suhr, Dieter, Der Staat 1990, 69 (82). 103 Borchert, Jürgen, FuR 1992, 88 (96). 104 Borchert, Jürgen, Wiesbadener Entwurf, Teil A, S. 126. 105 Suhr, Dieter, Der Staat 1990, 69 (76).
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4. Teil: Art. 6 GG als Auftrag an den heutigen Gesetzgeber
Damit das Recht dem Bürger Handlungsorientierung sein und staatliches Handeln berechenbar machen kann,106 muss der Rechtsstaat klare Normen und deshalb konkrete Regelungen innerhalb der Teilrechtsgebiete treffen, die Spannungen zwischen Ehe und Familie systemgerecht ausgleichen, das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG beachten, die Freiheitsrechte des Grundrechtskatalogs wieder vermehrt zur Geltung bringen und nicht zuletzt Ehe und Familie in besonderer Weise schützen. Art. 6 GG gebietet zur Lösung der Konfliktfelder zwischen Ehe und Familie eine umfassende, familienpolitische Strukturreform des Sozialstaates und daneben neue, vor allem kindorientierte Regelungen im Privatrecht. Der Staat muss seine Funktion, dem Menschen zu dienen,107 insbesondere in der Gesetzgebung erfüllen: Eltern müssen in die Lage versetzt werden, ihre Kinder eigenverantwortlich und aus eigener Kraft unterhalten und erziehen zu können. Gleichzeitig muss der Gesetzgeber den Ehegatten eine autonome Ausgestaltung ihres Ehelebens ermöglichen, solange nicht die Belange von Kindern gefährdet sind. Eine an Art. 6 GG ausgerichtete Weiterentwicklung des einfachen Rechts könnte so zu einer familien- und ehefreundlichen Gesellschaft führen, in der im Sinne der Garantie der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG die individuellen und selbstbestimmten Lebensentwürfe der Einzelnen vom Staat respektiert,108 von den Mitmenschen anerkannt werden und gleichzeitig der Gesetzgeber Verantwortung für künftige Generationen übernimmt.109
106 So zum Rechtsstaatsprinzip: Wolff, Heinrich Amadeus, Verhältnis von Rechtsstaatsund Demokratieprinzip, S. 12. 107 Der Staat ist um der Menschen willen da, weil dem staatlichen Handeln die „natürliche“ Legitimität fehlt, Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (508). 108 Vgl. zum Inhalt der Garantie der Menschenwürde als Achtung des Staates vor dem individuellen Lebensentwurf: Huber, Peter M., Jura 1998, 505 (507). 109 Eine solche „Verantwortung vor den Menschen“ im Sinne der Verantwortung für künftige Generationen fordert auch die Präambel des Grundgesetzes, vgl. Huber, Peter M., in Sachs, GG, Präambel, Rn. 36.
5. Teil
Zusammenfassung in Thesen 1. Die Verfassungsbegriffe Ehe und Familie sind für die Wirklichkeit offen und nur in ihrem Kernbestand fest. Das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den Rechtsinstituten des Art. 6 GG hat sich seit Beginn des Grundgesetzes aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung verändert. Die Familie baut nicht mehr wie selbstverständlich auf der Ehe auf, aus der Ehe geht nicht mehr fast zwingend eine Familie hervor. Vielmehr treten die Lebensgemeinschaften heute oft zueinander in Konkurrenz. Gleichzeitig werden beide Gemeinschaften von den Freiheitsberechtigten weniger angenommen. Der Wille zur Ehe schwindet unter den jungen Menschen, der immer noch weit verbreitete Wille zur Familie und zum Kind wird aus ökonomischen und gesellschaftspolitischen Gründen, die ihren Niederschlag in den gesetzlichen Regelungen finden, nicht verwirklicht. Der Kindermangel und der Verlust an persönlicher Bindungskraft begründen so die drängende Aufgabe eines zukunftsorientierten Staates, Ehe und Familie als attraktive Lebensformen auszugestalten und die Spannungslagen zwischen diesen Lebensgemeinschaften in typisierender Form zu lösen. Der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie bietet dabei die Richtschnur, Freiräume für beide Gemeinschaften zu schaffen, jede in ihrem Kern unangetastet zu lassen und sie in ihrer Bedeutung zu fördern. 2. In der auf Individualität angelegten Gesellschaft stellt das Grundgesetz die Ehe und die Familie unter seinen besonderen Schutz, weil diese Lebensgemeinschaften dem Einzelnen als Orte des Zusammenhalts umfassende Lebenshilfe anbieten und in ihrer personalen Verantwortung für einen anderen Menschen die Grundlage der demokratischen Kultur eines Rechts- und Sozialstaates bilden. Dieser Gleichklang wird allerdings von tatsächlichen Unterschieden in den Gemeinschaften begleitet, die sich in den Verfassungsbegriffen des Art. 6 GG widerspiegeln und Spannungslagen zwischen Ehe und Familie entstehen lassen, die im Verfassungsverständnis angelegt und nicht zu lösen sind. Die Ehe als eine vor dem Standesbeamten geschlossene, auf Dauer angelegte Lebens-, Wirtschafts-, Hausund Beistandsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, für die sich beide frei entschieden haben, ist eine Beziehung gleichberechtigter Partner, die ihr Zusammenleben autonom ausgestalten und im Ausnahmefall auch wieder lösen können. Im Gegensatz dazu steht in der grundsätzlich unscheidbaren, auf natürliche Weise entstandenen Familie als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und verantwortungsbewussten Eltern das Wohl des pflege- und erziehungsbedürftigen Kindes im Vordergrund. Die Familie dient der Ent-
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5. Teil: Zusammenfassung in Thesen
faltung der Persönlichkeit des Kindes und sichert mit den im familiären Zusammenhalt aufwachsenden Kindern die Existenz von Staat, Wirtschaft und Kultur in der Zeit. Gegensätzlichkeiten, die durch diese tatsächlichen Unterschiede entstehen, kann der Gesetzgeber nur mildern, nicht gänzlich beseitigen. 3. Dem Wesen der Ehe als einer autonom ausgestalteten Gemeinschaft gleichberechtigter Partner läuft jeglicher staatliche Eingriff zuwider. Der Schwerpunkt der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 GG liegt bei der Ehe deshalb auf einem Abwehrrecht, dass die Privatsphäre der Ehegatten gewährleistet und die Ehe zu einem staatsfreien Raum macht. Der Staat wirkt an der Gründung der Ehe mit, um dann die Ehepartner in ihre gemeinsame Freiheit zu entlassen. Er trifft typisierende Regelungen zur Ausgestaltung der Einrichtungsgarantie, um den Freiheitsberechtigten rechtliche Sicherheit in möglichen Konfliktsituationen anzubieten, vermeidet gleichzeitig aber bevormundende Detailregelungen. Demgegenüber steht in der Familie wegen der Schutzbedürftigkeit des Kindes der besondere, über die allgemeine grundrechtliche Wertentscheidung hinausreichende Schutzauftrag des Art. 6 GG im Vordergrund. Dieser richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber, der finanzielle und strukturelle Benachteiligungen der Familie abbauen, die Familie als Erziehungsgemeinschaft durch geeignete Maßnahmen fördern und dadurch die Entscheidung für das Leben mit Kindern spürbar erleichtern soll. Daneben ergibt sich aus der eingegangenen Beistands- und Erziehungsverantwortung eine besondere Schutzpflicht des Grundrechtsberechtigten für den ihm anvertrauten Menschen, die für die Eltern in Art. 6 Abs. 2 GG ihre verfassungsrechtliche Verankerung findet, mit rechtlichen Mitteln aber kaum durchsetzbar ist, weil die Rechtsgemeinschaft grundsätzlich auf das Verantwortungsbewusstsein des Freiheitsberechtigten vertraut. 4. Aus Art. 6 GG lassen sich sieben verfassungsrechtliche Regeln ableiten, die das Verhältnis zwischen Ehe und Familie charakterisieren. Der unterschiedliche Schutz und die Lösung der Konfliktfelder zwischen den Mitgliedern dieser Lebensgemeinschaften werden durch den Gesetzgeber als den Erstinterpreten des Verfassungstextes verdeutlicht. Die Europäische Menschenrechtskonvention bestätigt als ein für die Auslegung maßgeblicher internationaler Wertkonsens den Inhalt und die Reichweite von Art. 6 GG, betont die Bedeutung von Ehe und Familie als einen staatsfernen Raum zur Entfaltung der Persönlichkeit und verstärkt damit vor allem die abwehrrechtliche Dimension dieses Gemeinschaftsgrundrechts. Die Regelungen der Grundrechtecharta zu Ehe und Familie entfalten im Rahmen einer gemeinschaftsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes nur Signalwirkung, bleiben letztlich aber ohne Auswirkung auf die Interpretation von Art. 6 GG, weil sie keine Rechtsverbindlichkeit besitzen und im Bereich von Ehe und Familie auch keine gemeinsame Tradition der europäischen Verfassungen im Sinne des 6 Abs. 2 EU ausdrücken. 5. Art. 6 GG schützt die Rechtsinstitute Ehe und Familie unabhängig voneinander um ihrer selbst willen. Die Ehe ist als Lebens- und Erwerbsgemeinschaft von
5. Teil: Zusammenfassung in Thesen
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Mann und Frau nicht nur eine Vorstufe zur Familie, die Familie ist die Gemeinschaft von Eltern und Kindern, auch wenn die Eltern nicht oder nicht mehr verheiratet sind. Dieser getrennte Schutz, der seine Grundlage in einem umfassenden Familienbegriff findet, wird durch die Regelungen der EMRK und der Grundrechtecharta auf europäischer Ebene bestätigt. Aufgrund ihrer Eigenart bedarf die Ehe primär einer strukturellen Förderung, in der ein staatlicher Freiraum für das Zusammenleben von Mann und Frau gewährleistet wird. Demgegenüber entfaltet sich der Familienschutz vor allem in der finanziellen Förderung des wirtschaftlichen Zusammenhalts der Familie und im Ausgleich finanzieller Belastungen, die die Erziehung der Kinder mit sich bringt. Der Schutz der Ehe richtet sich vorrangig an den Rechtsstaat und erwartet gutes Recht, der Schutz der Familie an den Sozialstaat und erwartet gutes Geld in Form der fördernden Hilfe. 6. Weil Ehe und Familie übereinstimmend eine Grundlage für das menschliche Zusammenleben in einer Lebens-, Haus-, Verantwortungs-, Dialogs- und Beistandsgemeinschaft bilden und sich in dieser umfassenden, gegenseitigen Zuwendung gegenüber anderen Gemeinschaften abheben, lässt Art. 6 GG ihnen gleichermaßen einen besonderen Schutz zuteil werden, der sich in einem Auftrag zu einer besonderen Förderung im Rahmen des staatlich Möglichen niederschlägt. Bei diesem besonderen Schutz, der sich nicht in Regelungen auf europäischer Ebene wieder findet, ist jede Ehe und jede Familie unabhängig von ihrer sozialen Stellung zu fördern und zu schützen. Aufgrund des Gleichbehandlungsgebots zwischen Ehe und Familie geht einer solchen, allen Gemeinschaften zuteil werdenden Bevorzugung ein Abbau von bestehenden Benachteiligungen voraus, die in der heutigen Rechtslage vor allem zulasten der Familie bestehen. Unterschiedliche Ausprägungen der besonderen Förderung und Privilegierung von Ehe und Familie, die sich an den Wesensunterschieden einer Gemeinschaft gleichberechtigter Partner im Gegensatz zu einer Erziehungsgemeinschaft mit Kindern orientieren, sind als Ausfluss des Differenzierungsgebots von Art. 6 GG gewollt. 7. Art. 6 Abs. 1 GG trifft eine Wertentscheidung für die Einheit von Ehe und Familie, indem er Ehe und Familie in einem Atemzug nennt und sie gemeinsam unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Diese Leitidee findet in Art. 12 EMRK eine besondere Ausprägung und trägt der Lebenserfahrung Rechnung, dass die Stabilität der Ehe einen verlässlichen Ordnungsrahmen und die beste Grundlage für die Familie als Erziehungsgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern bildet und dass gleichzeitig das gemeinsame Erleben und Erziehen der Kinder in der Familie die eheliche Gemeinschaft festigt. Die verfassungsrechtliche Erwartung an die Ehe als potentielle Elternschaft von Mann und Frau ist final auf die Familie ausgerichtet, die Annahme dieses Verfassungsangebots durch die Gründung einer Familie bleibt den Freiheitsberechtigten überlassen. Die Wertentscheidung von Art. 6 GG gibt aber der familiären Begegnung zwischen Eltern und Kind in der Ehe ein Fundament, das zuvörderst dem Schutz ihres schwächsten Mitgliedes, dem Kind, dient.
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5. Teil: Zusammenfassung in Thesen
8. Eine Gesamtschau auf die Absätze des Art. 6 GG verdeutlicht sein vorrangiges Anliegen, das Kind in den Mittelpunkt seines Schutzes zu stellen. Er wird darin durch die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Charta der Grundrechte bestätigt. Weil das schutzbedürftige Kind in der Familie am besten zur Entfaltung kommt und zudem die Erziehungsgemeinschaft der Familie für einen zukunftsorientierten Staat wertvolle Leistungen erbringt, liegt der Schwerpunkt des verfassungsrechtlichen Schutzes innerhalb von Art. 6 GG auf der Familie. Gleichzeitig ist die Ehe auf das Kind ausgerichtet und gewinnt in Zeiten eines demographischen Wandels und einer Kinderarmut vor allem als potentielle Elternschaft eine besondere Bedeutung. Die in der gesellschaftlichen Entwicklung vollzogene tatsächliche Abkoppelung der Ehe von der Familie zwingt zum Wohl des nichtehelichen Kindes zu einem besonderen, eheunabhängigen Familienschutz. Art. 6 Abs. 5 GG sucht einen Ausgleich für das Fehlen der von Art. 6 Abs. 1 GG als Leitidee vorausgesetzten ehelichen Familiengemeinschaft zu schaffen, fordert den Staat zu einer Gleichstellung des nichtehelichen Kindes aber erst heraus, wenn seine tatsächlichen Lebensverhältnisse von denen eines ehelichen Kindes abweichen. Weil die Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG auch die eheunabhängige Gemeinschaft mit Kindern umfasst, besteht zwischen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 5 GG kein Gegensatz. Vielmehr begrenzen sich beide Absätze gegenseitig, indem sie stets das Kind in den Mittelpunkt stellen. 9. Die Einrichtungsgarantien von Ehe und Familie bieten dem Freiheitsberechtigten Kontinuität und Sicherheit in seinen Lebensbedingungen. Sie sind darauf angelegt, Krisen zu überwinden und vorübergehend gestörte Gemeinschaften zu erneuern. Grundsätzlich lösen die Beteiligten Konflikte zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen innerhalb von Ehe und Familie jeweils autonom in Freiheit. Allerdings beauftragt das Grundgesetz den Staat, freiheitskonform auf die Kontinuität dieser Gemeinschaften einzuwirken und deren Auflösung im Interesse des schwächeren Mitglieds zu erschweren, weil eine lebenslange Gemeinschaft dem menschlichen Bedürfnis nach Gemeinsamkeit grundsätzlich am ehesten entspricht. Dieser Auftrag erlischt auch dann nicht, wenn eine der Gemeinschaften scheitert. Scheitert die Ehe, ist der Staat berufen, vor allem das Aufrechterhalten der familiären Beziehungen in Teilfamilien zu unterstützen. Droht die Erziehungsgemeinschaft der Familie zu zerbrechen, fordert der Verfassungsauftrag zur Kontinuität nicht nur, die eheliche Gemeinschaft zu stützen, sondern vor allem der Familie Unterstützung anzubieten, um die Elemente der ursprünglichen Gemeinsamkeiten so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Dieser abgestufte Schutzauftrag ist die notwendige Konsequenz der Unauflöslichkeit der Elternschaft im Gegensatz zur scheidbaren Ehe. 10. Nach einer Auflösung der Ehe oder der Familie nimmt der Staat die Freiheitsberechtigten in unterschiedlicher Intensität in Pflicht. Bei einer Scheidung verlieren die Eheleute ihren Status als Ehegatten. Das einmal eingegangene Ver-
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sprechen auf lebenslange Gemeinschaft wirkt nur in zivilrechtlichen Verpflichtungen nach. Im Gegensatz dazu kann das familiäre Band auch beim Scheitern der Haus- und Erziehungsgemeinschaft der Familie nicht zerschnitten werden. Die unkündbare Familie setzt sich in Teilfamilien fort, die Pflicht der Eltern zur Sorge um ihr Kind bleibt in gleichem Maß bestehen. Das Elternrecht ist als einziges Grundrecht im Text des Grundgesetzes auch als Pflicht ausgestaltet. Diese Verantwortung zur Erziehung der Kinder obliegt den Eltern vor allen anderen Pflichten und deshalb auch vor der Verantwortung gegenüber dem Ehegatten, weil auch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG maßgeblich dem Kindeswohl dient und weniger Rechte der Eltern, sondern vor allem Rechte des Kindes begründet. 11. Wenn die Kontinuität der autonomen Gemeinschaft von Ehe und Familie nicht zu wahren ist und der Freiheitsberechtigte seine Pflichtenbindung nicht erfüllt, erfahren Kinder und Ehegatten in der staatlichen Gemeinschaft eine subsidiäre rechts- und sozialstaatliche Stütze. Dabei gibt Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG der staatlichen Gemeinschaft in der Familie den Auftrag, über die elterliche Erziehung zu wachen, weil das Recht das Kind in der Verantwortung der Eltern belässt und das Kind selbst die Familienbeziehung nicht umgestalten oder kündigen kann. Je weniger die Eltern in der gemeinsamen Elternverantwortung verbunden sind, desto mehr ist das Ordnungsmandat des Staates herausgefordert. Gleichzeitig bedeutet das Wächteramt auch einen Schutz vor staatlicher Bevormundung, der die natürliche elterliche Verantwortung gegen die Erziehungsbestrebungen von Schulen oder Religionsgemeinschaften abschirmt. Im Gegensatz dazu bleibt der Rechtsstaat in der Ehe stets auf Distanz und greift nur unter Respekt der Privatsphäre zur Wahrung der allgemeinen Grundrechte ein. 12. Die von der gesellschaftlichen Entwicklung verursachten Spannungslagen zwischen den Rechtsinstituten des Art. 6 GG lassen sich in erster Linie durch einen getrennten und andersartigen Schutz von Ehe und Familie lösen. Damit das Verfassungsangebot der ehelichen Lebensgemeinschaft von den Freiheitsberechtigten angenommen wird, ist der Staat gefordert, durch Öffentlichkeitsarbeit die Bedeutung der Ehe als lebenslange Erwerbs- und Beistandsgemeinschaft und als Basis für eine zukünftige Elternschaft zu vermitteln. Im Gegensatz dazu ist eine verfassungskonforme Förderung der Familie zunächst durch eine Stärkung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Familie zu erreichen, welche die Erziehungsleistung jeder Familie finanziell anerkennt. Darüber hinaus würde eine am Kindeswohl orientierte Strukturförderung das Leben mit Kindern spürbar erleichtern und die Entscheidungsfreiheit zwischen Familien- und Erwerbsarbeit bei den Eltern belassen. Ein solcher Abbau der Hindernisse, die dem in der Gesellschaft vorherrschenden Willen zum Kind und zur Familie entgegenstehen, könnte einen Beitrag zur Umkehr der derzeitigen demographischen Entwicklung in Deutschland leisten. 13. Entsteht durch die Geburt eines Kindes aus einer Ehe eine Familie, wird die Freiheit der gleichberechtigten Ehegatten, autonom über ihren Lebensstil und die Aufgabenverteilung untereinander zu entscheiden, durch die Erziehungsverantwor18 Nesselrode
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5. Teil: Zusammenfassung in Thesen
tung für das Kind überlagert. In dieser natürlichen Spannungslage ist die staatliche Gemeinschaft aufgefordert, durch strukturelle Unterstützung die freiheits- und verantwortungsbewussten Eltern zu stärken, indem ihnen Verantwortung zugetraut und die Entscheidung über die Erziehung ihres Kindes und die Ausgestaltung ihres Familienlebens belassen wird. Zu einer echten Entscheidungsfreiheit könnte ein flexibles Angebot an Kinderbetreuung und die finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern zu Hause sowie ein auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmtes Arbeitsrecht beitragen, das den Eltern eine freie Wahl zwischen Erwerbsund Familienarbeit erlaubt. Das Wächteramt des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG fordert den Staat zur grundsätzlichen Zurückhaltung auf, in die familiäre Autonomie und Erziehungsverantwortung der Eltern zum Wohl des Kindes einzugreifen. Staatliche und gesellschaftliche Offenheit gegenüber den vielfältigen Lebensformen erleichtern ein dauerhaftes Leben in der ehebasierten Familie. 14. Fallen die Lebensgemeinschaften von Ehe und Familie auseinander, weil die Eltern nicht heiraten oder sich scheiden lassen, wird ihr Wille zur Bindungslosigkeit von der dauerhaften und unkündbaren Bindung zu ihrem gemeinsamen Kind überlagert. Die Erwartung des Kindes auf die Begegnung mit Vater und Mutter fordert Kontinuität und ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft zwischen seinen Eltern. Diese Spannungslage löst der Gesetzgeber zugunsten des Kindes, indem er die Kontinuität der familiären Beziehungen so weit wie möglich gewährleistet. An eine Ehescheidung, von der gemeinsame Kinder betroffen sind, sind höhere Anforderungen zu stellen als an eine Scheidung kinderloser Ehegatten. Daneben erhält der Gesetzgeber zum Wohl des Kindes das gemeinsame Sorgerecht der Eltern auch über eine Scheidung hinaus, fordert im Gegensatz dazu aber für eine gemeinsame Sorge nie verheirateter Eltern eine gemeinsame Sorgeerklärung als Ausdruck einer dauerhaften, tragfähigen Basis für die gemeinsame Erziehungsverantwortung. Fehlt diese Erklärung, gibt der Gesetzgeber zu Recht der mit der Schwangerschaft und der frühkindlichen Zuwendung kontinuierlich gewachsenen Bindung der Mutter zu ihrem Kind den Vorrang gegenüber der Vater-Kind-Beziehung. 15. Das Prinzip des getrennten Schutzes von Ehe und Familie und einer daran anknüpfenden unterschiedlich starken Pflichtenbindung gegenüber dem Ehegatten im Gegensatz zum schutzbedürftigeren Kind verlangt im nachehelichen Unterhaltsrecht eine stärkere Eigenverantwortung des Partners und einen stets vorrangigen Anspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern, der unabhängig von einer Ehe nicht nur das sächliche Existenzminimum, sondern auch seinen Betreuungsbedarf abdeckt. Die Ehe als Lebens- und Beistandsgemeinschaft vollzieht sich in einer finanziellen Verantwortung für den Partner während der bestehenden Ehe, begreift aber gleichzeitig den gegenseitigen Unterhalt nach der verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht gewollten Auflösung dieser Solidargemeinschaft als Ausnahmetatbestand und fordert Eigenverantwortung von beiden Ehegatten, die nur dann als Folgewirkung der eheautonomen Aufgabenverteilung durchbrochen werden muss, wenn einer der Ehegatten unter Verzicht auf seine eigenen Interessen die gemeinsamen Kinder erzogen und insoweit den anderen entlastet hat. Nach einer Schei-
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dung setzt sich die Kontinuität der Familie in einem Unterhaltsanspruch des Kindes auf die Sicherung seiner Lebensgrundlage und die Gewährleistung seiner Betreuung fort. Weil die Betreuung ein besonderer Bedarf eines minderjährigen Kindes ist, ist sein Anspruch gegen die Eltern unabhängig von einer Ehe auch für nichteheliche Kinder zu gewähren. Seine Höhe muss die Kosten der Betreuung des Kindes abdecken, frühere eheliche Lebensverhältnisse sind entgegen der jetzigen Rechtslage unerheblich, weil es in der Sache nicht um das Recht des Betreuenden auf die volle oder teilweise Freistellung von einer Erwerbstätigkeit, sondern um die Deckung eines Bedarfs des Kindes geht. 16. Die freiheitliche Verfassung erlaubt die Scheidung, die Wiederheirat und die erneute Gründung einer Familie, erhofft sich aber gleichzeitig den Regelfall der lebenslangen Einheit von Ehe und Familie. Beziehungen außerhalb einer sozialen Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern, die allein auf der biologischen Abstammung beruhen und keine tatsächlich übernommene Verantwortung für einen anderen Menschen begründen, genießen nicht den Schutz des Art. 6 GG. Spannungslagen zwischen biologischem Ursprung und einer ehebasierten Stieffamilie lösen sich in der Regel zugunsten der letzteren mit Hilfe des Verfassungsbegriffs der Familie, der nur die Gemeinschaft mit Kindern unter seinen besonderen Schutz stellt, in der die Erziehenden Verantwortung für das Kind übernehmen. Die Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehegatten der Mutter und die hohen Anforderungen an das Anfechtungsrecht eines nicht in der Erziehungsverantwortung stehenden, biologischen Vaters gewährleisten für das Kind Kontinuität und Verlässlichkeit in seinen Bezugspersonen. Die gerichtliche Bleibeanordnung in der Stieffamilie und das Mitsorgerecht zugunsten des Ehegatten der allein sorgeberechtigten Mutter stützen die soziale Familieneinheit als Grundlage einer stabilen und verlässlichen Gemeinschaft für die Entwicklung des Kindes. Diese Regelungen spiegeln den verantwortungsgeprägten Familienbegriff wider, gehen vom Leitbild der Einheit von Ehe und Familie aus und entsprechen so den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 6 GG. 17. Um ehebasierte Familien nicht zu benachteiligen und der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Einheit von Ehe und Familie nicht zu widersprechen, müssen Sonderreglungen für Alleinerziehende im Sozial- und Steuerrecht zugunsten eines einheitlichen Familiengeldes, das jede Erziehungsleistung unabhängig von dem Status der Eltern anerkennt, abgeschafft werden. Ein solches einheitliches Förderungsinstrument verhindert zudem ein Ausnutzen von steuer- und sozialrechtlichen Vorteilen durch Personen, die eine zunehmende Pluralisierung familiärer Lebensformen rechtskundig für die eignen finanziellen Interessen ausnutzen. Diesem Missbrauch kann auch die möglichst einheitliche Behandlung von ehelichen und nichtehelichen Gemeinschaften mit Kindern beim Bezug von Sozialhilfe und Elterngeld entgegenwirken. 18. Die umlagefinanzierten Versicherungssysteme vertrauen auf das Heranwachsen einer nächsten Generation als Finanzierungsgrundlage für die Leistungen der 18*
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jetzigen Beitragszahler und müssen deshalb die Erziehung der Kinder in besonderer Weise systemimmanent anerkennen. In der Rentenversicherung kann dieses Ziel erreicht werden, wenn die Erziehungsleistung als Grundlage der öffentlichen Rentenversicherung gleichwertig neben den monetären Beiträgen berücksichtigt wird und zu einem Leistungsanspruch im Rentenalter führt. Weil jeder Real- und Geldbeitrag nach seinem Gewicht honoriert werden muss, führt eine folgerichtig am Beitrag orientierte Leistungsgewährung zu einem höheren Rentenanspruch für Erziehende mit vielen Kindern als für Kinderlose. Diese Aufwertung der Kindererziehung löst die Spannungslagen zwischen erziehenden Eltern und kinderlosen Ehepaaren, indem sie jedem Ehepaar als Ausdruck ihrer Wirtschafts- und Beistandsgemeinschaft eine gegenseitige Absicherung im Alter durch Witwen- und Witwerrentenansprüche ermöglicht. Die Mitversicherung von jedem erwerbslosen Ehegatten in der Pflegeversicherung findet im Schutz der Beistandsgemeinschaft der Ehe in Art. 6 GG hingegen keine Grundlage. Vielmehr legt die Verfassung eine beitragsfreie Mitversicherung erziehender, nicht erwerbstätiger Eltern als Anerkennung jeder Erziehungsleistung im umlagefinanzierten System nahe. Eine solche Regelung würde nur der Gemeinschaft der Familie zugute kommen, weil auch nur diese im Gegensatz zur Ehe durch Erziehung einen Beitrag zur Umlagefinanzierung leistet. Zudem würden Alleinerziehende und Ehepaare, in denen Kinder aufwachsen, ihrer Leistung entsprechend gleich behandelt.
Rechtsprechungsverzeichnis BVerfGE 2, 380 – Haftentschädigung. BVerfGE 6, 55 – Steuersplitting. BVerfGE 7, 198 – Lüth. BVerfGE 8, 210 – Vaterschaft. BVerfGE 9, 237 – Ehegatten-Mitwirkungsverträge. BVerfGE 10, 59 – Elterliche Gewalt. BVerfGE 19, 342 – Untersuchungshaft. BVerfGE 21, 329 – Hinterbliebenenversorgung. BVerfGE 22, 163 – Zweitkindergeld. BVerfGE 22, 254 – Strafverfahrenskosten. BVerfGE 24, 119 – Adoption I. BVerfGE 25, 167 – Nichtehelichkeit. BVerfGE 25, 327 – Bilanzbündeltheorie. BVerfGE 26, 265 – Unterhalt II. BVerfGE 28, 324 – Heiratswegfallklausel. BVerfGE 29, 166 – Ferntrauung. BVerfGE 31, 58 – Spanier-Beschluss. BVerfGE 31, 314 – 2. Rundfunkentscheidung (Umsatzsteuer). BVerfGE 33, 303 – numerus clausus I. BVerfGE 34, 165 – Hessische Förderstufe. BVerfGE 36, 1 – Grundlagenvertrag. BVerfGE 36, 146 – Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft. BVerfGE 37, 217 – Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen. BVerfGE 38, 241 – Ehelichkeitsanfechtung. BVerfGE 39, 1 – Schwangerschaftsabbruch I. BVerfGE 39, 316 – Kinderzuschuss in der Knappschaft. BVerfGE 40, 121 – Waisenrente II. BVerfGE 40, 141 – Ostverträge. BVerfGE 42, 64 – Zwangsversteigerung I. BVerfGE 43, 108 – Kinderfreibeträge. BVerfGE 44, 249 – Alimentationsprinzip. BVerfGE 45, 104 – Unterhaltsleistung Geschiedener.
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Rechtsprechungsverzeichnis
BVerfGE 46, 160 – Schleyer-Entführung. BVerfGE 48, 327 – Familiennamen. BVerfGE 49, 89 – Kalkar I. BVerfGE 49, 220 – Zwangsversteigerung III. BVerfGE 49, 286 – Transsexuelle I. BVerfGE 52, 223 – Schulgebet. BVerfGE 53, 30 – Mühlheim-Kärlich. BVerfGE 53, 224 – Ehescheidung (Zerrüttungsprinzip). BVerfGE 53, 257 – Versorgungsausgleich I. BVerfGE 55, 100 – Kindergeld. BVerfGE 55, 171 – Sorgerechtsentscheidung. BVerfGE 56, 54 – Fluglärm. BVerfGE 56, 363 – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. BVerfGE 57, 170 – Briefverkehr in der Untersuchungshaft. BVerfGE 57, 250 – V-Mann. BVerfGE 57, 361 – Erstes Eherechtsreformgesetz = BVerfG FamRZ 1981, 745. BVerfGE 58, 377 – Vorzeitiger Erbausgleich. BVerfGE 59, 52 – Generationen-Großfamilie. BVerfGE 59, 360 – Schülerberater. BVerfGE 60, 79 – Unverschuldete Gefährdung des Kindeswohls. BVerfGE 60, 329 – Vereinbarung über Versorgungsausgleich. BVerfGE 61, 319 – Ehegattensplitting. BVerfGE 61, 358 – Gemeinsames Sorgerecht. BVerfGE 62, 323 – Hinkende Ehe. BVerfGE 63, 131 – Gegendarstellung. BVerfGE 63, 343 – Rechtshilfevertrag. BVerfGE 66, 84 – Unterhalt III. BVerfGE 67, 186 – Gemeinsame Arbeitslosenhilfe der Ehegatten. BVerfGE 67, 329 – Weichender Miterbe. BVerfGE 68, 176 – Pflegefamilie. BVerfGE 68, 256 – Leistungsfähigkeit des geschiedenen Elternteils. BVerfGE 69, 188 – Betriebsaufspaltung. BVerfGE 72, 122 – Sorgerechtsentzug. BVerfGE 72, 155 – Elterliche Vertretungsmacht. BVerfGE 73, 339 – Solange II. BVerfGE 74, 102 – Erziehungsmaßregeln. BVerfGE 74, 358 – Unschuldsvermutung. BVerfGE 75, 40 – Privatschulfinanzierung.
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BVerfGE 76, 1 – Familiennachzug. BVerfGE 77, 170 – C-Waffen-Lagerung. BVerfGE 78, 38 – Gemeinsamer Familienname. BVerfG, FamRZ 1988, 807 – Einwilligung zur Kindesannahme (Mitteilung von K. Gawlitta). BVerfGE 79, 51 – Sorgerechtsprozess. BVerfGE 79, 203 – Legitimation eines nichtehelichen Kindes. BVerfGE 79, 256- Kenntnis der eigenen Abstammung. BVerfGE 80, 81 – Erwachsenenadoption. BVerfGE 80, 286 – Ausschluss des Unterhaltsanspruchs. BVerfGE 81, 1 – Schlüsselgewalt. BVerfGE 81, 363 – Beamtenbaby. BVerfGE 82, 60 – Familienexistenzminimum. BVerfGE 83, 119 – Bewährungsauflage gemeinnützige Leistung. BVerfGE 84, 9 – Ehenamen = FamRZ 1991, 535. BVerfGE 84, 168 – Sorgerecht für nichteheliche Kinder. BVerfGE 85, 80 – Rechtsweg für nichteheliche Kinder. BVerfGE 87, 1 – Trümmerfrauen. BVerfGE 87, 153 – Grundfreibetrag. BVerfGE 87, 234 – Einkommensanrechnung (Eheähnliche Gemeinschaft). BVerfG NJW 1993, 3058 – Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare. BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. BVerfGE 90, 107 – Freie Waldorfschule. BVerfGE 91, 346 – Abfindung des Miterben. BVerfGE 91, 389 – Einkommensanrechnung der Ehegatten = NJW 1995, 1341. BVerfG BStBl. II 1996, 34 – Oder-Konto. BVerfGE 92, 158 – Adoption II. BVerfGE 96, 56 – Vaterschaftsauskunft. BVerfGE 99, 145 – Gegenläufige Entführungen. BVerfGE 99, 216 – Kinderbetreuungskosten = BStBl. II 99, 182. BVerfGE 99, 246 – Familienleistungsausgleich. BVerfGE 99, 268 – Kinderexistenzminimum II. BVerfGE 99, 273 – Kinderexistenzminimum III. BVerfGE 101, 158 – Länderfinanzausgleich III. BVerfGE 103, 242 – Pflegeversicherung III. BVerfGE 104, 373 – Familiendoppelnamen. BVerfGE 105, 313 – Lebenspartnerschaftsgesetz. BVerfG FamRZ 2002, 877 – Elterliche Namenswahl. BVerfGE 107, 150 – Sorgerechtsregelung für Altfälle.
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BVerfGE 108, 82 – Biologischer Vater = FamRZ 2003, 816. BVerfGE 108, 351 – Unterhalt und Ehegattensplitting. BVerfG NJW 2004, 3407 – Umgangsrecht des Kindesvaters (Bindungswirkung des EGMR). BVerfGE 109, 256 – Gemeinsame elterliche Sorge. BVerfG NJW 2005, 1927 – Elternunterhalt = FamRZ 2005, 1051 ff. BVerfG NJW 2005, 2448 – Abzugsbeschränkung für Kinderbetreuungskosten. BVerfG NJW 2007, 1735 – Dauer des Betreuungsunterhalts. EGMR Belgischer Sprachenfall, Urteil vom 23. 7. 1968, Serie A / No. 6 = EuGRZ 1979, 298. EGMR, Marckx v. Belgium, Urteil vom 13. 6. 1979, Serie A / No. 31, = EuGRZ 1979, 454. EGMR Abdulaziz, Cabales and Balkandali v. UK, Urteil vom 28. 5. 1985, Serie A / No. 94 = EuGRZ 1985, 567. EGMR Berrehab v. NL, Urteil vom 21. 6. 1988, Serie A / No. 138. EGMR Cossey v. UK, Urteil vom 27. 9. 1990, Serie A / No. 184 = ÖJZ 1991, 173. EGMR Margareta u. Roger Andersson, Urteil vom 25. 2. 1992, Serie A / No. 226. EGMR, Keegan v. Ireland, Urteil vom 26. 5. 1994, Serie A / No.290 = EuGRZ 1995, 113. EGMR FamRZ 1995, 110. EGMR, Gül v. CH, Urteil vom 19. 2. 1996, RJD 1996 – I = ÖJZ 1996, 593. EGMR Johansen, Urteil vom 7. 8. 1996, RJD 1996 – III, § 52. EGMR X., Y. und Z., Urteil vom 22. 4. 1997, Nr. 21830 / 93, RJD 1997 – II. EGMR NVwZ 1999, 57. EGMR Elsholz v. FRG, Urteil vom 13. 7. 2000, RJD 2000 – VIII = EuGRZ 2002, 595. EGMR Kutzner v. D, Urteil vom 26. 02. 2002, RJD 2002 – I, = EuGRZ 2002, 244. EGMR D.P. u. J.C. v. UK, Urteil vom 10. 10. 2002, (S I) – 38719 / 97. EGMR Venema v. NL, Urteil vom 17. 12. 2002, (S II) – 35731 / 97 = ÖJZ 2004, 275. EKMR, X. v. Austria, 5. 1. 1960, B 514 / 59, YB 3, 196. EKMR, X v. Belgium, 10. 7. 1975, E 6482 / 74, DR 7, 75. EKMR, Mrackx v. Belgium, 10. 12. 1977, B 6833 / 74, Serie B / No 29. EKMR, X v. UK, 11. 7. 1977, E 7626 / 76, DR 11, 160. EKMR, X v. CH, 10. 7. 1978, E 8257 / 78, DR 13, 248. EKMR Albert und Margit Graf-Zwahlen v. CH, E 8166 / 78, EuGRZ 1978, 518. EKMR, van Oosterwijck v. Belgium, 1. 3. 1979, B 7654 / 76 = EuGRZ 1979, 566. EKMR, X v. France, 5. 10. 1982, E 9993 / 82, DR 31, 241. EuGH DVBl. 2001, 1199. BVerwG 14, 21. BVerwG FEVS 21, 1.
Rechtsprechungsverzeichnis BVerwG FEVS 28, 309. BVerwG NDV-RD 1996, 38. BVerwGE 91, 130. BVerwGE 98, 195 = FEVS 46, 1. BVerwG FEVS 46, 441. BVerwG FEVS 46, 89. BGHSt 6, 46. BGH NJW 1980, 2415. BGH NJW 1984, 1538. BGHZ 104, 158 = NJW 1988, 1722. BGH FamRZ 1992, 1045 BGH NJW 1997, 1919. BGH NJW 1999, 717. BGH NJW 2000, 3140. BGHZ 133, 384. BGH, NJW 2001, 2472 = FamRZ 2001, 907. BGH NJW 2005, 500 = FamRZ 2005, 354. BGH NJW 2005, 497 = FamRZ 2005, 340. BAGE 4, 274 OVG Nordrhein-Westfalen FEVS 41, 345 VGH Baden-Württemberg, ZFSH / SGB 1998, 471. OVG Mecklenburg-Vorpommern DVBl. 2000, 1217. VGH Bayern, FEVS 53, 550. OVG Nordrhein-Westfalen ZFSH / SGB 2003, 538. OLG-Hamburg FamRZ 1986, 469. OLG-Stuttgart FamRZ 1993, 733. LG-Passau FamRZ 1988, 144. Rastatt FamRZ 1996, 1299. Hamm FamRZ 1997, 1073. Köln FamRZ 1998, 827.
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Sachwortverzeichnis Abstammung 77, 265 Abstandsgebot 157, 170, 198 Abtreibung 52 Abwehrrecht 132 Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) 217 Adoption 125 Alleinerziehende 35 – Sonderregelungen 80, 236 – Sozialhilfeanspruch 85 – sozialhilferechtlicher Mehrbedarf 80, 236 – steuerlicher Entlastungsbetrag 81, 236 Auslegung völkerrechtlicher Verträge 215 Bedarfsgemeinschaft siehe Einsatzgemeinschaft Begegnungsgemeinschaft 128, 176, 203, 207 Begründungsverbot 156 Beistandsgemeinschaft der Ehe 118 Benachteiligungsverbot 155, 170, 181, 197, 235 Beruf – Flexibilität 45, 59 – Fortsetzungsmöglichkeit 44, 240 – Tarif- und Beschäftigungsstruktur 46 – Teilzeitbeschäftigung 45, 240 besonderer Schutz der staatlichen Ordnung 148, 154 Betreuungsbedarf 195, 204, 259 Betreuungsunterhalt 72, 258 Bildungssystem 42, 60 Bleibeanordnung 78,266 Charta der Grundrechte 221 Dauerhaftigkeit siehe Kontinuität Demographische Entwicklung 28
Differenzierungsgebot 157, 171, 197 Diskriminierungsverbot 156 effet-utile-Prinzip 216 Ehe – als Basis der Familie 104, 173, 175 – als Entlastung des Rechtsstaates 103 – als Entlastung des Sozialstaates 102 – als Intim- und Liebesbeziehung 55 – als Lebens- und Beistandsgemeinschaft 118 – als Ort des Zusammenlebens 101 – als potentielle Elternschaft 181 – als Wirtschaftsgemeinschaft 118 – Bedeutung für Staat und Gesellschaft 100, 233 – Definition 113 – Ehename 65, 254 – Eheschließungen 30 – Eheverbot 68 – Gemeinsamkeiten mit der Familie 109 – Geschichte der 112 – Gründe für schwindenden Willen zur 55 – in den Sozialversicherungssystemen 85, 241, 244 – in Ostdeutschland 36, 234 – in Westdeutschland 36, 235 – institutionelle Stütze für Kinder 174 – kinderlose 32 – Scheidungen 30 – Schutz der Struktur 167 – Schutzbereich des Art. 6 GG 112 – Schutzwürdigkeit 165 – Spannungsverhältnis zur Familie 110 – staatliche Mitwirkung 113 – Unabhängigkeit zur Familie 165 – Unauflöslichkeit, grundsätzliche 116 – Unterschiede zur Familie 130 – Verantwortung und Freiheit der Ehepartner 135
Sachwortverzeichnis – Verfassungsbegriff 113 – Verschiedengeschlechtlichkeit 115 – Vorstufe zur Familie 219 – Wille zur Ehe 38 Eheautonomie 63, 119, 188 Ehegattenerbrecht 194, 201 Ehegattensplitting 194, 197, 199 Ehegattenunterhalt 72, 256 Eheliche Lebensverhältnisse 257 Eheschließungsfreiheit 119 – und Elternverantwortung 74 – und Unterhalt 75 Eheschließungsfreiheit (Art. 9 GRC) 226 Eheschließungsfreiheit (Art. 12 EMRK) 216 Eigenverantwortung, Grundsatz der 72, 257 Einehe 117 Eingetragene Lebenspartnerschaft 59 Einheit von Ehe und Familie 25, 172, 219, 229 Einrichtungsgarantie 138, 142 Einsatzgemeinschaft 83, 247 Einstellungen zu Ehe und Familie 37 Elterngeld 49, 64, 200, 205 Elternpflicht 182, 186 Elternschaft – hohe Ansprüche an 40 – Unkündbarkeit der 69 Elternverantwortung 121, 125, 161, 207 Elternzeit 64, 240 Erbrecht 192, 200 Erstinterpret der Verfassung 191 Erwerbsort 41 Erziehung – Erziehungsverantwortung 63 – wirtschaftlicher Wert der 46, 49, 238 Erziehungsgemeinschaft 129 Europäische Charta der Grundrechte 221 – Einfluss auf Art. 6 GG 224, 225 Europäische Integration 212 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte 213 – Einfluss auf Art. 6 GG 221 Existenzminimum 195, 199 Familie – als Einsatzgemeinschaft in der Sozialhilfe 82 – als Entlastung des Staates 108
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– als meistgelebte Lebensform 109 – Bedeutung für Staat und Gesellschaft 100, 104 – Begegnungsgemeinschaft 128 – Definition 120, 127 – Einkommen einer 46 – Erziehungsgemeinschaft 129 – finanzielle Förderung 167, 238 – Gemeinsamkeiten mit der Ehe 109 – Gemeinschaft zur Entfaltung der Persönlichkeit 104 – Lebens- und Hausgemeinschaft 128 – Pflegefamilie 126 – Schutzbereich des Art. 6 GG 120 – Schutzwürdigkeit 154, 178 – Schwerpunkt des Schutzes der Grundrechtecharta 227 – Schwerpunkt des Schutzes des Art. 6 GG 177 – Schwerpunkt des Schutzes des Art. 8 EMRK 220 – Sicherung der Existenz des Staates 106 – sozialstaatliche Regelungen zulasten der 50 – Sozialversicherungsbeiträge einer 86 – Spannungsverhältnis zur Ehe 110 – Steuerrechtliche Benachteiligung der 51 – Unabhängigkeit von der Ehe 122, 166 – Unscheidbarkeit 21 – Unterhaltsgemeinschaft 130 – Unterschiede zur Ehe 130 – Verantwortung in der 136 – Wertevermittlung 106 – Wille zur 37 Familienbegriff der EMRK 217 Familienformen 22 – Adoption 125 – Alleinerziehende 35 – ehebasierte Familie 63 – Ein-Eltern-Familien 31, 124 – Familien ohne eheliche Grundlage 33, 122 – in Ost- und Westdeutschland 33, 36 – Patchwork-Familien 35 – Stieffamilien 31, 125 Familiengeld 238 Familiengründungsfreiheit (Art. 9 GRC) 226
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Sachwortverzeichnis
Familiengründungsfreiheit (Art. 12 EMRK) 216 Familienlastenausgleich 168, 179, 195, 197, 205 Familienleistungsausgleich 168, 179, 197 Familiensplitting 196 Familienunterhalt 202 Förderpflicht, allgemeine 153 Förderpflicht, besondere 179, 197, 205 Förderungsgebot, besonderes 158, 170, 232 Fortpflanzungsfähigkeit 115 Fortpflanzungsfreiheit 120 Geburtenrückgang 28 Gemeinsamkeiten von Ehe und Familie 109 Generationenvertrag 87 gesellschaftlicher Wandel 27 Gesetz der demographischen Trägheit 29 Gesetzgebungsauftrag 231 Gleichbehandlung 171 Gleichberechtigung 53, 56 Gleichheitssatz 155 Großeltern 128 Grundrechte als wertsetzende Grundsatznormen 97, 146, 149, 172 Grundrechtecharta der EU 221 Grundrechtsberechtigter, Schutzpflicht des 160 Hausgemeinschaft 83, 128 Heiratsalter 30 Heirat 30 Homoehe 115 Individualität 21 Institutionelle Garantie 140 Institutsgarantie 140 Internationaler Wertkonsens 214 Keimzelle 169 Kernbereich des Art. 6 GG 139 Kinder – Betreuung 42, 63, 64, 205, 239 – Betreuungskosten 64 – Betreuungsunterhalt 258 – Einzelkinder 33
– – – – –
Enkelkinder 128 Entfremdung gegenüber 53 Förderung in der Familie 178 Gründe der Kinderlosigkeit 39 Kenntnis der eigenen Abstammung 77, 265 – kinderfeindliche Berufswelt 44 – nichteheliche 122, 124, 179, 192 – Schutz in der Grundrechtecharta 228 – Schutzbedürftigkeit 166 – Selbstbestimmung 207 – staatlicher Schutz 189 – Unterhalt 203, 206 – vorehelich geborene 33, 34 – Wille zum Kind 38 Kinderbetreuung 42, 63, 64, 205, 239 Kindererziehung – finanzielle Anerkennung 238 – in den Sozialversicherungssystemen 85 Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung 88 Kinderfreibetrag 195 Kindergarten 205, 239 Kindergeld 195 Kinderlosigkeit 28, 32 – Gründe für die 39 Kinderrechte – Vorrang gegenüber Rechten der Ehegatten 182 Kinderschutzklausel 70, 249 Kindeswohl 63, 70, 177, 190, 206, 210 – Gefährdung des 67, 255 Kindschaftsrechtsreform 193 Kompensation 267 Konkretisierungsauftrag des Gesetzgebers 138 Kontinuität 183, 208, 249 Lebensgemeinschaften 118, 128 – Anerkennen alternativer 58 – Eheähnlichkeit in der Sozialhilfe 84 – nichteheliche 23, 31, 248 – unverbindliche 39 Lebenspartnerschaft 198 – Abstandsgebot zur 157 Leistungsfähigkeit 195 Menschenrechtskonvention 213 Mutterschutz 63, 240
Sachwortverzeichnis Namensrecht 65, 254 Neminem-Laedere-Pflicht 149 Nizza 222 objektive Werteordnung 152 Öffentlichkeitsarbeit 233 Ost- und Westdeutschland 36, 234 Patchwork-Familie 35 Pflegefamilie 126 Pflegeversicherung 90, 244 – Beitragsfreiheit von kinderlosen Ehegatten 92, 245 – Mitversicherung von Familienangehörigen 91, 245 – Mitversicherung von Kindererziehenden 246 Privilegierung 170 Rechtserkenntnisquelle 223 Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1 GG – Abwehrrecht 132 – besondere Schutzpflicht 148, 154 – Einrichtungsgarantie 138 – wertentscheidende Grundsatznorm 146 Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta 224 Reformbedarf im öffentlichen Recht 232 Reformbedarf im Zivilrecht 249 Rentenversicherung – Kindererziehung in der 86, 241 Reproduktionsmedizin 127 Schädigungsverbot 153 Scheidung 22, 30, 69, 184, 186, 187, 208, 209, 256 – Betreuungsunterhalt 258 – nachehelicher Unterhalt 72, 258 – und Erziehungsverantwortung 69 – und Kindeswohl 70, 249 – und Sorgerecht 71 Schutz von nichtehelichen Kindern 179 Schutz vor Aushöhlung 151 Schutz, besonderer 197 Schutzbereich – der Ehe 112 – der Familie 120 Schutzinhalte 167 20 Nesselrode
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Schutzpflicht – allgemeine 149 – besondere 25, 154, 169 – besondere, als Gesetzgebungsauftrag 155 – des Grundrechtsberechtigten 160 – staatliche 23 Schwerpunkt des Schutzes des Art. 6 GG 177 Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten 119 Sorgerecht 22, 192, 203, 210 – bei Scheidung 71, 251 – des Ehegatten des alleinsorgeberechtigten Elternteils 79, 266 – des Vaters eines nichtehelichen Kindes 74, 253 – nicht verheirateter Eltern 251 Sorgerechtsverfahren 193 Sozialhilfe 23, 82, 247 – Einsatzgemeinschaft 83 – Hausgemeinschaft 83 Sozialstaat – Ehe als Entlastung des 102 Sozialversicherungssysteme 24, 50, 57, 85, 241, 246 staatliche Mitwirkung bei der Ehe 113 Staatsferne 137 Steuerfreibetrag 199 Steuerrecht 195, 197, 204 – Leistungsfähigkeit und Unterhaltsverpflichtungen 51 Stieffamilie 76, 266 Systemberichtigung 267 Teilzeitbeschäftigung 45 Typisierung 142 Umgangsrecht 203, 251 – bei Scheidung 71 – des Vaters eines nichtehelichen Kindes 74 Umlagefinanzierung 24, 85, 241 Umlageverfahren 87 unantastbarer Garantiebereich 139, 141 Unfruchtbarkeit 52 Unterhaltsanspruch – des Ehegatten 72, 256 – des ersten und zweiten Ehegatten 79 – der ledigen Mutter 75
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Sachwortverzeichnis
– im Mangelfall 74, 262 – wegen Kinderbetreuung 72, 258 Unterhaltsausschluss 73 Unterhaltsgemeinschaft 130 Unterhaltspflicht 208 Unterhaltsrecht 72, 192, 193, 202, 256 – Konkurrenz der Ansprüche 261 Unterschiede zwischen Ehe und Familie – im Schutzbereich 130 – in den Rechtsfolgen des Art. 6 GG 131 Vater – Anfechtung der Vaterschaft 77 – Anfechtungsrecht des biologischen 76, 264 – nichtehelicher 124 – Vaterschaftsvermutung 76, 263 Verantwortung – der Eltern 161 – des Freiheitsberechtigten 135 – des Grundrechtsberechtigten 161 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 63 Verfahrenspfleger 211
Verfassung – als rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens 97 Verfassungen der Mitgliedstaaten der EU 223 Verfassungstradition der Mitgliedstaaten 223 Verfassungswandel 24, 98 Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 und 5 GG 180 Verhältnis von Ehe und Familie 163 Verhütung 52 Verschiedengeschlechtlichkeit 115 Völkerrechtskonforme Auslegung 213, 215 Wächteramt 67, 137, 188, 189, 209, 255 Wandel, gesellschaftlicher 144 wertentscheidende Grundsatznorm 146, 149, 172 Wertewandel 54 Wirtschaftsgemeinschaft 118 Wohlstand 60 Zivilrecht 62, 249 Zugewinngemeinschaft 193, 198, 208