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German Pages 272 Year 2006
Schriften zum Prozessrecht Band 199
Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts
Von Gertraud Maria Bauer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
GERTRAUD MARIA BAUER
Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts
Schriften zum Prozessrecht Band 199
Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts
Von
Gertraud Maria Bauer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-11965-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Die Arbeit wurde im März 2004 abgeschlossen. Gesetzesänderungen, neue Rechtsprechung und neue Literatur wurden jedoch bis Juli 2005 berücksichtigt. Ich danke meinem Doktorvater Professor Dr. Dr. h.c. Ekkehard Schumann für die Betreuung der Arbeit. Er hat Entstehung und Fortgang der Arbeit durchweg begleitet und stand mir mit seinem Rat stets hilfreich zur Seite. Ich möchte Herrn Professor Dr. Schumann auf diesem Wege aber insbesondere für die wertvollen Erfahrungen und Ideen danken, die ich nicht nur in seinen Lehrveranstaltungen, sondern auch im Rahmen meiner mehrjährigen Assistententätigkeit bei ihm sammeln durfte. Diese haben meine juristische Arbeit sehr gefördert. Auch die vorliegende Arbeit basiert auf einem konkreten Fall, an dem ich zunächst im Rahmen meiner Tätigkeit für Herrn Professor Dr. Schumann und anschließend für die Kanzlei Bub, Gauweiler & Partner mitarbeiten durfte. Herrn Professor Dr. Robert Uerpmann-Wittzack danke ich nicht nur für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, sondern insbesondere für die Genauigkeit, mit der er meine Arbeit durchgesehen hat, und dass er sie durch zahlreiche sehr gute und hilfreiche Anmerkungen bereichert hat. Ich hoffe, ihre Umsetzung findet seine Zustimmung. Mein besonderer Dank gilt jedoch meiner Familie, meinen Eltern Rita und Johann Bauer. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Sie haben mich und meine Brüder stets auf jede erdenkliche Art und Weise gefördert und liebevoll unterstützt. Ich danke ihnen für ihre Geduld und dass sie mir stets Rückhalt sind. Meinem Bruder Thomas Johann Bauer und seinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Ferdinand Prostmeier, danke ich für die technische Hilfe, die Gestaltung des Layouts und moralischen Beistand. Ich hoffe, ich kann etwas davon zurückgeben. München/Geisling, im Oktober 2005
Gertraud Maria Bauer
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten. . . . . . . . . . . . A. Keine allgemeine Regel des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ausdrückliche Regelung im deutschen Recht nur für die Erteilung sicheren Geleits im eigenen Strafverfahren gegen den Beschuldigten. . . I. Kodifikation des sicheren Geleits in § 295 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltung für alle strafprozessualen Verfahrensabschnitte . . . . . . . . . . . C. Wesen, Begriff und Funktion des sicheren Geleits im eigenen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktion des sicheren Geleits als Gestellungsmittel . . . . . . . . . . . . . . D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten . . . . . . . . . I. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung: Spannungsverhältnis zwischen Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Recht auf Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 261 StPO als eine das ganze Strafverfahren bestimmende Grundsatznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Streben nach materieller Wahrheit im Zentrum des Untersuchungsgrundsatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Notwendigkeit der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderung nach einer disponiblen Ausgestaltung der Anwesenheitspflicht des Angeklagten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung dient der Verwirklichung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör und der Wahrheitsfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Überreste des Abwesenheitsverfahrens in der Strafprozessordnung. . E. Der Abwesende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der eindeutige Wortlaut des § 276 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Doppeldeutige Verwendung des Begriffes „Abwesenheit“ bereits in der Reichsstrafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überschneidungen zwischen dem Abwesenden und dem Ausgebliebenen in der Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 24 24 24 26 26 26 27 28 28 30 31 32 33 33 35 35
36 38 39 39 40 40
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Inhaltsverzeichnis IV. Durchführung der Hauptverhandlung bei Anwesenheitspflicht des Angeklagten als Ziel des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Gestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erscheint der Beschuldigte freiwillig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ist die Gestellung des Beschuldigten ausführbar? . . . . . . . . . . . . . . 4. Erscheint die Gestellung des Beschuldigten angemessen?. . . . . . . 5. Der Aufenthalt ist unbekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kritik an der Vorschrift des § 276 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Vorgehen gegen einen abwesenden Beschuldigten ohne vorherige Gestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Haftbefehl auch bei Sachen von geringer Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . III. Möglichkeit der Abwesenheitsverhandlung bei Strafsachen von geringer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeit der Ladung des abwesenden Angeklagten? . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit der §§ 232, 231 Absatz 2 und 233 StPO auf den Abwesenden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits im Rahmen der Abwesenheitsverhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Strafbefehl gegen einen Abwesenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Sinn und Zweck des sicheren Geleits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das staatliche Strafverfolgungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und spätere Strafvollstreckung als Ziel des sicheren Geleits? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Generalprävention durch gerechte Vergeltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicheres Geleit anstelle der Verurteilung in Abwesenheit . . . . . . . 3. Die Erlöschensgründe „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ und „Anstalten zur Flucht treffen“. . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfriede auch ohne Strafvollstreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Hinausschieben der Verjährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Opferinteressen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Die Vorschrift über das sichere Geleit in der Strafprozessordnung . . . . . . I. § 295 StPO im Vergleich zu § 337 RStPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zuständigkeit für die Erteilung des sicheren Geleits im gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständig ist immer das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit des Ermittlungsrichters vor Erhebung der öffentlichen Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kann das sichere Geleit im Ermittlungsverfahren über dieses hinaus erteilt werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicheres Geleit für die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 42 43 44 47 49 49 51 51 51 52 52 53 57 57 61 61 63 63 64 66 67 67 68 68 70 70 71 71 74 74 77 80
Inhaltsverzeichnis III. Der Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits . . . . . . . . . . . . 1. Vorrang einer Aufhebung des Haftbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erteilung sicheren Geleits immer im Ermessen des Gerichts?. . . 3. Das Erfordernis der Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits für das eigene Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine ungerechtfertigte Besserstellung eines „flüchtigen“ Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erscheint die Erteilung sicheren Geleits im Einzelfall als sinnvoll? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interessen der Verfahrensbeteiligten als Gegenstand der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sind bei der Interessenabwägung allein die Interessen des Antragstellers maßgeblich oder können auch die Interessen Dritter Berücksichtigung finden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kann die Erteilung sicheren Geleits das staatliche Strafverfolgungsinteresse überhaupt beeinträchtigen? . . . . . . . . . . . . . . f) Bei der Erteilung des sicheren Geleits zu beachtende wesentliche Grundprinzipien des Strafverfahrens. . . . . . . . . . . . . . (1) Das rechtliche Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wahrheitsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Mündlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Vieraugengespräch als Sonderfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Erteilung sicheren Geleits unter Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . V. Inhalt des sicheren Geleits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorschrift des § 295 Absatz 2 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befreiung von der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Andere strafprozessuale Freiheitsbeschränkungen als die Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 230 Absatz 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 236 StPO . . c) Dürfen freiheitsbeschränkende Maßnahmen, die nicht gleichzeitig freiheitsentziehende Maßnahmen sind, auf den Beschuldigten angewandt werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reichweite des sicheren Geleits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Für die Straftat, für die es erteilt ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Tat im prozessualen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sicheres Geleit wegen mehrerer, nicht gleichzeitig abzuurteilender Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Reichweite des Art. 12 EuRhÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 81 81 81 82 87 87 87 87
88 89 91 91 91 92 93 95 95 95 95 96 96 99
100 102 102 102 102 103 105
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Inhaltsverzeichnis d) Schützt das sichere Geleit auch vor freiheitsentziehenden Maßnahmen wegen einer anderen als der im Geleitbrief bezeichneten prozessualen Tat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zeitlich vor der Einreise liegende prozessuale Taten. . . (2) Zeitlich nach der Einreise liegende prozessuale Taten . . e) Schützt das sichere Geleit auch vor dem persönlichen Arrest und anderen als strafprozessualen Freiheitsbeschränkungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kann das sichere Geleit Befreiung von der Vollstreckung einer Strafe wegen einer rechtskräftigen Verurteilung in einer anderen Sache gewähren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewahrt das sichere Geleit vor einer Auslieferung an Drittstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sonderfall: Der „Internationale Haftbefehl“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Europäische Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fehlerhaftigkeit der Bewilligung des sicheren Geleits. . . . . . . . . . . . VII. Beendigungsgründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erlöschen des sicheren Geleits. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlöschen des sicheren Geleits durch ein Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils oder wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Was bedeutet sicheres Geleit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erlöschen des sicheren Geleits mit Urteilsverkündung? b) Wann trifft der Beschuldigte Anstalten zur Flucht? . . . . . . . c) Nichterfüllung der Bedingungen, unter denen sicheres Geleit gewährt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Muss das Erlöschen sicheren Geleits durch gerichtlichen Beschluss ausgesprochen werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Muss dem Beschuldigten im Falle des Erlöschens sicheren Geleits die Möglichkeit der Ausreise gewährt werden? . . . . 2. Widerruf des sicheren Geleits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Festhalten am Institut des sicheren Geleits im eigenen Strafverfahren gegen den Beschuldigten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die fehlende Möglichkeit unmittelbaren physischen Einwirkens auf den Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Beschlagnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beweissicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Videovernehmung des Beschuldigten – eine Alternative für das Ermittlungsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein Plädoyer für Mündlichkeit und Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . .
106 106 109
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113 116 123 125 127 127 127
127 127 128 132 136 137 139 140 141 142 142 143 143 150 152 152 154
Inhaltsverzeichnis
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J. Hauptanwendungsbereich des „sicheren Geleits“ außerhalb des eigenen Strafverfahrens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 § 2 Das sichere Geleit für ein nicht gegen den Beschuldigten gerichtetes Strafverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zweck des sicheren Geleits im Strafverfahren gegen Dritte . . . . . . . . . . . C. Für welchen Personenkreis kommt sicheres Geleit im Strafverfahren gegen Dritte in Betracht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Zeuge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeugnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeugnispflicht als allgemeine Staatsbürgerpflicht . . . . . . . . . . b) Folgen des Ausbleibens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Sachverständige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Nebenkläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Privatkläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Welche Rolle spielt die Vorschrift des § 295 StPO bei der Erteilung sicheren Geleits für das nicht gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 295 StPO als einzige Vorschrift des deutschen Rechts über eine Erteilung sicheren Geleits. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit des § 295 StPO auch außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Auslegung des Abwesenheitsbegriffes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Erteilung sicheren Geleits für das nicht gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren weist nur geringe Unterschiede gegenüber der Erteilung sicheren Geleits für das gegen ihn gerichtete Strafverfahren aus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Warum ist § 295 StPO eher geeignet, das Erscheinen des Beschuldigten für ein nicht gegen ihn gerichtetes Strafverfahren herbeizuführen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die Erteilung sicheren Geleits in dem nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsbehelfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits für das Strafverfahren gegen einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erscheinen des Beschuldigten förderlich für ein anderes Verfahren. . 1. Erscheinen als Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beantragte und von Amts wegen bestehende Beweiserhebungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Befreiung vom Verbot der Beweisantizipation bei Beweisantrag auf Vernehmung eines im Ausland zu ladenden Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wann ist der Zeuge unerreichbar?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Welche Rolle spielt die Möglichkeit der Erteilung sicheren Geleits bei der Feststellung der Unerreichbarkeit? . . . . . . . . . . e) Die Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fehlerquellen bei mittelbarer Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . 2. Erscheinen des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beeinträchtigung des Strafverfolgungsinteresses? . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Die Videovernehmung des Zeugen als Alternative? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zweck des sicheren Geleits im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Internationale Rechtshilfe in Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Das Fehlen einer Regelung im deutschen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . F. Die Anwendung der strafprozessualen Regelung auf den Zivilprozess . . I. Die umfassende Anwendung des § 295 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zuständigkeit für die Erteilung sicheren Geleits im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der zivilprozessuale Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Teilnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrecht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung . . c) Sonderfall: Betretungserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausnahmen vom Teilnahmerecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zulässigkeit des sicheren Geleits für die sich im Ausland aufhaltende Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Nebenintervenient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Prozessbevollmächtigte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der Beistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Antrag des Zivilgerichts oder der Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeugen- oder Sachverständigeneinvernahme des Beschuldigten . 2. Sonstiges Auftreten des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verpflichtung des Gerichts, bei fehlendem Grund für die Ablehnung des Beweisantrags sicheres Geleit zu beantragen . . . . . . . . . 4. Rechtsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gerichtsbeschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Dauer sicheren Geleits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 177 178 179 181 182 183 183 186 186 187 187 188 191 193 193 194 195 195 196 197 197 200 202 203 203 204 205 205 206 207 207 208 210 211 212 212
Inhaltsverzeichnis
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G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorrang der Beweisaufnahme im Ausland? – Die Regelung der §§ 363, 364 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Sachvortrag der Parteien als Grundlage der Interessenabwägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz . . . . . V. Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ablehnung eines Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Der Zeuge als das sachnächste Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . IX. Anspruch der Partei auf persönliche Anwesenheit vor Gericht? . . X. Das Erscheinen des Zeugen in der mündlichen Verhandlung ist ohne Einfluss auf den Verlauf des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Das Vieraugengespräch als Sonderfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Erscheinen des Beschuldigten zum Zwecke der gütlichen Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Videovernehmung statt Erteilung sicheren Geleits? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 213 214 219 221 222 223 224 226 229
231 232 234 234
§ 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss . 237 § 5 Reformüberlegungen und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Besteht ein Bedürfnis für eine nationale Regelung über das sichere Geleit?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Regelung des § 295 StPO genügt weitgehend den Anforderungen im gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . D. Notwendigkeit einer Regelung des sicheren Geleits außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten im gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren . III. Besonderheiten im Zivilverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Aufnahme einer Vorschrift über das sichere Geleit ins Gerichtsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Festhalten am Erfordernis eines Beschlusses über die Gewährung sicheren Geleits? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Beendigungsgründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Ausdehnung des Schutzbereichs gemäß Art. 12 EuRhÜbk . . . . . . . . . . . .
244 244 244 246 248 248 249 250 252 252 253 254
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Abkürzungsverzeichnis1 a. A. ABl. L Abschn. a. F. AG AK-StPO Alt. Anh. Anm. AöR Art. AufenthG
Aufl. AuslG Az. BAnz. BayObLG BayOblGSt BayVGH Bd. BGB BGBl. I, II BGH BGHSt BGHZ
andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Abschnitt alte Fassung Amtsgericht Kommentar zur Strafprozessordnung in der Reihe Alternativkommentare (Hrsg. Wassermann) Alternative Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts (zitiert nach Jahr und Seite) Artikel Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (BGBl. 2004 I S. 1950) Auflage Ausländergesetz Aktenzeichen Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Sammlung von Entscheidungen des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, Teil II Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite)
1 Vgl. auch Herbert Kirchner/Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl., Berlin 2003.
Abkürzungsverzeichnis BK-GG
BR-Drucks. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwGE CPO CSIG ders. DRiZ DVBl. ebd. ECHR EGBGB EGMR Einl. EMRK
EPIL EuAlÜbk EuBewVO
EuGRZ EuRhÜbk
EVÜ
FamRZ ff.
17
Abraham, Hans Jürgen/Dolzer, Rudolf (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt., Stand: Juni 2005, Heidelberg Drucksache des Bundesrates Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Civilprozessordnung vom 30. Januar 1877 (RGBl. 1877 S. 83) Convention on Contracts for the International Sale of Goods vom 11. April 1980 (BGBl. 1989 II S. 588) derselbe Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsches Verwaltungsblatt (zitiert nach Jahr und Seite) ebenda European Convention on Human Rights Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686, 953) Encyclopedia of Public International Law, 2000, North-Holland, Vol. 2 Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (BGBl. 1964 II S. 1371; 1976 II S. 1778) Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 174/1 vom 27. Juni 2001 Europäische Grundrechte (Zeitschrift; zitiert nach Jahr und Seite) Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1386; 1976 II S. 1799) EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (BGBl. 1986 II S. 810) Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht (zitiert nach Jahr und Seite) folgende
18 FreizügG/EU FS GA GG GVG HansOLG HK-StPO
h. M. HRR Hrsg. HStR ICJ Rep. InfAuslR IPRax IRG
i. V. m. IZPR JA JR JuS Justiz JVKostO JW JZ KG KK-StPO KMR
Abkürzungsverzeichnis Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern vom 30. Juli 2004 (BGBl. 2004 I S. 1950) Festschrift Goltdammers Archiv für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Grundgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Hanseatisches Oberlandesgericht Lemke, Michael/Julius, Karl-Peter/Krehl, Christoph/Kurth, Hans-Joachim/Rautenberg, Erardo Cristoforo/Temming, Dieter, Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2001, Heidelberg herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung (zitiert nach Jahr und Nummer) Herausgeber Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, Heidelberg, International Court of Justice, Reports of judgements, Advisory Opinions and Orders Informationsbrief Ausländerrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. Dezember 1982 (BGBl. 1982 I S. 2071) in der Fassung vom 27. Juni 1994 (BGBl. 1994 I S. 1537), zuletzt geändert am 21. Juni 2002 (BGBl. 2002 I S. 2144) in Verbindung mit Internationales Zivilprozessrecht Juristische Arbeitsblätter (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite) Die Justiz – Amtsblatt des Justizministerium Baden-Württemberg (zitiert nach Jahr und Seite) Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 14. Februar 1940 (RGBl. I S. 357) – Schönfelder Nr. 120 Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Kammergericht Karlsruhe Kommentar zur Strafprozessordnung (5. Aufl., 2003; zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Loseblattkommentar zur Strafprozessordnung, begründet von Kleinknecht/Müller/Reitberger, 7. Aufl., 1980, herausgegeben von Müller/Sax/Paulus, 8. Aufl., 1990, herausgegeben von
Abkürzungsverzeichnis
19
Fezer/Paulus, nunmehr herausgegeben von v. Heintschel-Heinegg/Stöckel, bis zur 38. Lieferung; zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer KonsG Konsulargesetz vom 11. September 1974 (BGBl. 1974 I S. 2317) KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (zitiert nach Jahr und Seite) LG Landgericht LK-StGB Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar (11. Aufl., zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite) Nachw. Nachweis NJW Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report (zitiert nach Jahr und Seite) OLG Oberlandesgericht OLG-Report OLG-Report; Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte OLGSt Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (zitiert nach Paragraph und Seite, ab 1983 nach Paragraph und Nummer) Pauly Der kleine Pauly – Lexikon der Antike in fünf Bänden, Band 1, 1979, München RG Reichsgericht RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite) RiStBV Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (BAnz. Nr. 113) RiVASt Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 18. September 1984 RIW Recht der Internationalen Wirtschaft, Betriebsberater International Rn. Randnummer RStPO Reichsstrafprozessordnung vom 1. Februar 1877 (RGBl. Nr. 8 S. 253) S. Seite SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen (zitiert nach Jahr und Seite) Schomburg/Lagodny Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (3. Aufl., 1998, zitiert nach Randnummer und Paragraph)
20 SDÜ
SK-StPO
StGB StPO StV StVollstrO StVollzG Var. vgl. VO VRS VwVfG wistra WVRK ZEuP ZfRV ZfStrVo ZP-EuAlÜbk ZPO ZRG KA ZRP ZStW ZZP
Abkürzungsverzeichnis Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990 (Schengener Durchführungsübereinkommen) Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Loseblattkommentar (zitiert nach Bearbeiter, Paragraph und Randnummer) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger (zitiert nach Jahr und Seite) Strafvollstreckungsordnung in der Fassung vom 1. April 2001 Strafvollzugsgesetz (abgedruckt bei Meyer-Goßner Anh. 10) Variante vergleiche Verordnung Verkehrsrechts-Sammlung (zitiert nach Band und Seite) Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Strafvollzug Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 15. Oktober 1975 Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik (zitiert nach Jahr und Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band und Seite) Zeitschrift für Zivilprozess (zitiert nach Band und Seite)
Einleitung Die Bedeutung des freien (sicheren) Geleits als historisch gewachsenes Rechtsinstitut könnte in einer modernen Welt mit zunehmenden Verflechtungen zunehmen. Im deutschen Rechtsraum spielt das sichere Geleit in der in § 295 StPO kodifizierten Form dann, wenn es das Erscheinen des Beschuldigten in dem gegen diesen gerichteten Strafverfahren ermöglichen soll, in der Praxis kaum eine Rolle. Das Verständnis der Strafverfolgungsbehörden geht vielmehr im Ermittlungsverfahren dahin, es stehe dem Beschuldigten frei zu erscheinen, wenn er glaube, durch seine persönliche Anhörung zur Erforschung der materiellen Wahrheit besser als durch schriftliche Äußerungen beitragen zu können. Selbstverständlich wird sich kein Beschuldigter angesichts einer ihm im Inland drohenden Untersuchungshaft von seinem Aufenthaltsort im Ausland nach Deutschland begeben. Im Kampf gegen die wachsende organisierte Kriminalität mit ihren internationalen Strukturen müssen notwendigerweise die Möglichkeiten, die aus der verstärkten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit erwachsen, ausgeschöpft werden. Eine wichtige Rolle kann dabei das sichere Geleit spielen. Nicht nur, dass die unmittelbare Einvernahme eines ohne die Gewährung sicheren Geleits kaum vor Gericht erscheinenden Zeugen einer verbesserten Verbrechensaufklärung dient. Vielmehr muss das sichere Geleit als Mittel verstanden werden, wesentliche der westlichen Hemisphäre innewohnende Verfahrensgrundsätze – auch im Strafverfahren gegen den Beschuldigten – zu garantieren. So mag das sichere Geleit dem Schattendasein entwachsen, das es gegenwärtig in Praxis und Literatur führt. Ein Schritt in diese Richtung war bereits die Kodifizierung des sicheren Geleits in Art. 12 EuRhÜbk für den Beschuldigten, Zeugen und Sachverständige. Andererseits mag eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und der Abbau von Auslieferungshemnissen den Anwendungsbereich des sicheren Geleits dauerhaft beschränken. Insbesondere wenn dem Beschuldigten die Rolle eines Zeugen zukommt, ermöglicht das sichere Geleit aber auch dann noch eine zügige Verfahrensdurchführung gegenüber dem meist langwierigeren Auslieferungsverfahren.1 Das zentrale Ziel dieser Arbeit ist es, die in der Gewährung freien Geleits liegende Chance für die Sachverhaltsaufklärung in den verschiedenen Ver1 Im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus werden auch bei einer Vereinfachung und Beschleunigung des Auslieferungsverfahrens konkurrierende Auslieferungsersuchen weiterhin zu Verzögerungen führen.
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Einleitung
fahren, insbesondere auch im Zivilprozess darzustellen. Das sichere Geleit ist sowohl national als auch international nicht nur im Strafrecht von Bedeutung. Die derzeitige Regelung des sicheren Geleits in § 295 StPO wirft jedoch eine auf den ersten Blick nicht zu erkennende Vielzahl von Problemen auf. Tatsächlich muss derjenige, der mit laienhaftem Verständnis sicheres Geleit begehrt, enttäuscht werden. Das nach § 295 StPO gewährte sichere Geleit mag ihn insbesondere in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren kaum dauerhaft vor der Verhaftung schützen. Ein Verstoß gegen den Geleitbrief wie im Fall des Reformators Johannes Hus ist angesichts des geringen Schutzes, den er zu bieten vermag, dabei nicht erforderlich.2 Die vorliegende Arbeit will das sichere Geleit in seiner gegenwärtigen Ausprägung im deutschen Recht erfassen, seine Schwächen aufzeigen und Reformmöglichkeiten, die sich an einem internationalen Verständnis und der gegenwärtigen Praxis orientieren, aufzeigen. Zugleich soll Zeit- und Gedankenströmungen, die auf den Umgang mit dem Rechtsinstitut des sicheren Geleits einwirken, begegnet werden. Sie befasst sich zunächst mit dem sicheren Geleit in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren. Nur für dieses hat das sichere Geleit eine ausdrückliche Regelung im deutschen Recht erfahren. Um Sinn und Zweck des sicheren Geleits und die Notwendigkeit am Festhalten einer Regelung über das sichere Geleit, aber auch einer Reformierung des § 295 StPO nachvollziehbar darstellen zu können, ist es erforderlich, auf die gesetzgeberische Motivation für die Erteilung sicheren Geleits und wichtige Grundprinzipien der Strafprozessordnung – insbesondere soweit sie die Anwesenheit des Beschuldigten in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren bedingen – einzugehen. Die Darstellung des sicheren Geleits in dem Verfahren gegen den Beschuldigten dient als Grundlage der Darstellung sicheren Geleits auch in anderen Verfahren. Abweichungen ergeben sich jeweils aus der trotz aller Parallelen im Ergebnis unterschiedlichen Zielsetzung der Gewährung sicheren Geleits und der andersartigen Verfahrensgestaltung. Die Darstellung konzentriert sich dabei auf das deutsche Recht, da ein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts zum sicheren Geleit nicht besteht und der Anwendungsbereich völkerrechtlicher Vereinbarungen auf die Vertragsstaaten begrenzt ist. Die Erteilung sicheren Geleits nach § 295 StPO ist ein innerdeutscher Rechtsakt. 2 Der Reformator Johannes Hus erklärte sich unter Zusicherung sicheren Geleits im Jahre 1414 bereit, vor dem Konstanzer Konzil zu erscheinen mit dem Ziel, die Rechtgläubigkeit der böhmischen Reformbewegung zu vertreten. Er wurde am 28. November 1414 verhaftet und einem inquisitorischen Wiederaufnahmeverfahren unterzogen. Am 6. Juli 1415 wurde Johannes Hus verurteilt und verbrannt. Vgl. hierzu Eberhard, S. 340 (341).
§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten A. Keine allgemeine Regel des Völkerrechts Die herrschende Meinung verneint nach wie vor die Existenz eines allgemein anerkannten Grundsatzes des Völkerrechts gemäß Art. 25 GG, demzufolge sicheres Geleit jedenfalls für Zeugen und Sachverständige bestünde, die vor ein inländisches Gericht geladen werden.1 Daran hat auch die Kodifikation des historischen Rechtsinstituts des sicheren Geleits in verschiedenen internationalen Abkommen wie dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zur Rechtspflege nichts geändert.2 Für vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängige Verfahren genießen sowohl Zeugen und Sachverständige, die geladen wurden, als auch Personen, die als Partei, deren Vertreter oder Berater oder sonst mit Billigung des Gerichts an diesem teilnehmen, den besonderen Schutz sicheren Geleits vor Verfolgung und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Beginn ihrer Reise in den Durchgangsstaaten und in dem Staat, in dem die Verhandlung stattfindet. Gleiches gilt für Personen, die das Ministerkomitee in Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 46 Absatz 2 EMRK a. F. zum Erscheinen aufgefordert hat.3 Diese internationale Entwicklung hat weder zu einer Angleichung der Regelung des § 295 StPO an die dort normierten Standards noch ersichtlich zu einer vermehrten Nutzung der dort kodifizierten Möglichkeiten geführt. 1 BGHSt 35, 216 mit Anm. Lagodny, StV 1989, 210; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 33; a. A. Popp, Rn. 51; Zur Bedeutung und Reichweite sicheren Geleits im internationalen Recht vgl. aber auch Robert Linke, in: Österreichische Hefte für die Praxis des internationalen und ausländischen Rechts 1959, S. 133. 2 So auch Art. 20 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zur Rechtspflege. In den Vereinigten Staaten ist eine Person, die sich allein im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren dort aufhält, gegen die Zustellung einer sub poena in einem anderen Verfahren immun, vgl. Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2012. 3 Vgl. hierzu das Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen vom 5. März 1996, BGBl. 2001 II S. 359. Vgl. auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 34.
24
§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
B. Ausdrückliche Regelung im deutschen Recht nur für die Erteilung sicheren Geleits im eigenen Strafverfahren gegen den Beschuldigten I. Kodifikation des sicheren Geleits in § 295 StPO Im deutschen Recht hat das sichere Geleit eine ausdrückliche und umfassende Regelung nur für den Fall erfahren, dass es einem Beschuldigten im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens gewährt werden soll.4 Ausgehend von § 295 StPO rückt damit – angesichts des begrenzten Anwendungsbereiches bestehender völkerrechtlicher Verträge – das Strafverfahren in den Mittelpunkt einer jeden Untersuchung zum sicheren Geleit im deutschen Rechtsraum. Gemäß der Wortwahl des § 295 StPO verwendet die Arbeit den Terminus „sicheres Geleit“ und nicht den historischen und im laienhaften Sprachgebrauch verbreiteteren synonymen Begriff des „freien Geleits“. II. Geltung für alle strafprozessualen Verfahrensabschnitte § 295 StPO eröffnet die Möglichkeit, einem Beschuldigten sicheres Geleit für das Erscheinen im eigenen – also in dem gegen ihn gerichteten – Strafverfahren zu gewähren, sei es bereits im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren5 oder im Zwischenverfahren,6 sei es als Angeklagter in der 4
Das Europäische Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen [EuRhÜbk] ist durch Zustimmungsgesetz vom 3. November 1964 (BGBl. 1964 II S. 1369) gemäß Art. 59 Absatz 2 GG ins deutsche Recht transformiert. Dessen Anwendungsbereich ist aber auf die Vertragsstaaten beschränkt. 5 Auch vorbereitendes Verfahren genannt. Die Vernehmung des Beschuldigten ist in § 163 a StPO geregelt. Sie dient dazu, dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. BGHSt 25, 325 [332]). § 163 a Absatz 1 Satz 1 StPO normiert ausdrücklich die Pflicht zur Vernehmung des Beschuldigten. Die herrschende Meinung hält es für ausreichend, wenn dem Beschuldigten Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, dieser aber die ihm gebotene Möglichkeit nicht wahrgenommen hat, so wenn er z. B. trotz Ladung der polizeilichen Vernehmung fernbleibt; die unterbliebene Beschuldigtenvernehmung macht die Anklageerhebung jedenfalls nicht unwirksam (vgl. KK-StPO/Wache, § 163 a Rn. 4, 37). 6 So Meyer-Goßner, § 295 Rn. 2. Das Gericht kann im sogenannten Zwischenverfahren gemäß § 202 StPO zur weiteren Aufklärung von Amts wegen oder auf Antrag einzelne ihm notwendig erscheinende Beweiserhebungen anordnen, soweit diese gesetzlich statthaft sind. Vgl. dazu Meyer-Goßner, § 202 Rn. 1. Im Rahmen dessen kann auch die Vernehmung des Beschuldigten zu einer bestimmten Beweisfrage angeordnet werden (vgl. OLG Celle MDR 1966, 781; ebenso Meyer-Goßner, § 202 Rn. 2; Löwe/Rosenberg/Rieß, § 202 Rn. 9). Ist der Beschuldigte entsprechend der
B. Ausdrückliche Regelung im deutschen Recht
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Hauptverhandlung.7 Der Wortlaut des § 295 StPO, dessen Absatz 1 explizit von der Erteilung sicheren Geleits für den abwesenden Beschuldigten spricht, enthält keine Beschränkung nur auf einzelne Verfahrensabschnitte.8 Die Verwendung des allgemeinen Begriffs „Beschuldigter“ stellt bereits klar, dass die Erteilung sicheren Geleits in jedem Verfahrensabschnitt möglich ist, also vom Ermittlungsverfahren an bis in die höheren Instanzen.9 Auch die systematische Einordnung der Vorschrift ergibt keine Beschränkung auf einzelne Verfahrensabschnitte. § 295 StPO ist Teil des 7. Abschnittes des 2. Buches der Strafprozessordnung, der das Verfahren gegen Abwesende regelt. Wohl aber spiegelt diese Einordnung die ursprüngliche Motivation des Gesetzgebers wider.10 § 295 StPO soll einem abwesenden Beschuldigten das Erscheinen zwecks Durchführung eines gegen diesen gerichteten Strafverfahrens ermöglichen.11 § 295 StPO spricht nur von der Möglichkeit, einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit zu erteilen, regelt selbst jedoch nicht dessen Zweck. Irreführend ist aber die Beibehaltung des Titels „Verfahren gegen Abwesende“, denn ein solches ist in den §§ 276 ff. StPO seit Aufhebung der §§ 276 Absatz 2, 277 bis 284 StPO durch Art. 21 Numgesetzlichen Regelung im Ermittlungsverfahren vernommen, so erlangt das sichere Geleit im Zwischenverfahren nur geringe Bedeutung, da die Anordnungen dort nie weiter gehen dürfen als dies die Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Anklage erfordert und für eine Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO hinreichender Tatverdacht genügt. Sicheres Geleit sollte, ja müsste jedoch mit Blick auf die Belastungen eines Strafverfahrens erteilt werden, um gegebenenfalls eine im Ermittlungsverfahren unterbliebene Vernehmung des Beschuldigten nachzuholen. 7 Im Strafvollstreckungsverfahren kommt das sichere Geleit nicht in Betracht. Es ist nicht als geeignete Maßnahme zu sehen, den Verurteilten festzunehmen. Als Gestellungsmittel gegenüber dem Abwesenden kommt hier also allein die Vermögensbeschlagnahme gemäß § 290 StPO in Betracht, vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1997, 103. 8 OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5. A.A. noch RGSt 65, 417 (418): „. . . aber die das „Verfahren gegen Abwesende“ behandelnden Vorschriften der §§ 276 bis 295 StPO gelten nicht für das Berufungsverfahren. Sie stehen in dem zweiten Buche der Strafprozessordnung, das schon seiner Überschrift nach nur das „Verfahren in erster Instanz“ betrifft, während die Bestimmungen über das „Rechtsmittel“, darunter auch die Berufung, in dem dritten Buche der StPO zu finden sind.“ 9 AK-StPO/Achenbach, § 295 Rn. 2; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 4; Schlüchter in: SK-StPO, § 295 Rn. 2. Begehrt nunmehr die Staatsanwaltschaft im Falle eines Freispruchs des Angeklagten die Aufhebung dieses Freispruchs, so ist der Haftbefehl ohnehin aufzuheben; denn auf die Richtigkeit und die Rechtskraft der Entscheidung kommt es nicht an. Vielmehr wird vermutet, dass die Haftvoraussetzungen, insbesondere der dringende Tatverdacht, weggefallen sind. Vgl. hierzu Meyer-Goßner, § 120 Rn. 8. 10 Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 242. 11 § 1 C. III.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
mern 74, 75 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 197412 nicht mehr vorgesehen. Im Folgenden wird entsprechend der gesetzlichen Terminologie der Begriff „Beschuldigter“ verwendet, auch wenn gerade im eigenen Strafverfahren zumeist eine Erteilung für den Angeklagten zur Teilnahme an der Hauptverhandlung in Frage stehen wird.
C. Wesen, Begriff und Funktion des sicheren Geleits im eigenen Strafverfahren I. Begriff Sicheres Geleit meint die bindende Zusicherung, von freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen den Beschuldigten abzusehen, solange keine Erlöschensgründe vorliegen, in der Regel also bis zum Ergehen eines Urteils.13 Das Wörterbuch des Völkerrechts enthält eine allgemeine Definition sicheren Geleits: „Sicheres oder freies Geleit bezeichnet eine ausnahmsweise eingeräumte Rechtsstellung, kraft deren der Begünstigte Unverletzlichkeit seiner Person und seines Eigentums (schlechthin oder in bestimmtem Rahmen, unabhängig oder nach Maßgabe von gewissen Bedingungen) genießt.“14
Daraus lässt sich nur folgern, dass die – nach dem Verständnis in der Laiensphäre – unbeschränkte Bewegungsfreiheit nicht zwingend mit dem Begriff „sicheres Geleit“ verbunden ist. Dieses allgemeine Verständnis eines historisch gewachsenen Rechtsinstituts hilft aber nicht, § 295 Absatz 2 StPO zu erfassen. II. Wesen Da das sichere Geleit eine dem Beschuldigten gegenüber bis zu seinem Widerruf oder Erlöschen bindende Zusicherung der Verschonung mit freiheitsenziehenden Maßnahmen darstellt, ist es durchaus möglich, von einem vertragsähnlichen Charakter zu sprechen.15 Es handelt sich hierbei aber lediglich um einen einseitig verpflichtenden „Vertrag“, denn nur auf Seiten 12
BGBl. 1974 I S. 469. So Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 3; Gerd Pfeiffer, StPO, § 295 Rn. 1. 14 Strupp/Schlochauer/Stödter, S. 639. 15 So auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1; FS-Heinitz/Dünnebier, S. 669 (Fußn. 2). Zum einseitig verpflichtenden Vertrag vgl. Palandt/Heinrichs, Einf. v. § 320 Rn. 4. 13
C. Wesen, Begriff und Funktion des sicheren Geleits
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des das sichere Geleit erteilenden Gerichtes wird eine Verpflichtung begründet, nämlich den Beschuldigten von der Untersuchungshaft zu verschonen. Demgegenüber treffen den Beschuldigten keine Pflichten.16 Die Gewährung sicheren Geleits erfolgt jedoch durch gerichtlichen Beschluss, auf den die Vorschriften der Srafprozessordnung Anwendung finden. Einzig unter Bejahung einer solchen Bindungswirkung kann das sichere Geleit den ihm zugedachten Zweck als Gestellungsmittel erfüllen.17 Nur so wird der Beschuldigte, dem sicheres Geleit erteilt wird, auch tatsächlich dazu zu bewegen sein, von diesem Gebrauch zu machen. Eine Bindungswirkung tritt aber erst dann ein, wenn der Beschuldigte von dem ihm gewährten sicheren Geleit tatsächlich Gebrauch gemacht hat.18 III. Funktion des sicheren Geleits als Gestellungsmittel Für den eigenen Strafprozess hat das sichere Geleit die Bedeutung eines Gestellungsmittels, durch das die Möglichkeit einer Hauptverhandlung gegen den Angeklagten erst eröffnet wird. Diese Funktion entspricht der Intention des Gesetzgebers der Reichsstrafprozessordnung, der das sichere Geleit in der auch heute noch fortbestehenden Form kodifiziert hat.19 Ins Zentrum einer jeden Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits rückt daher das Strafverfolgungsinteresse des Staates.20 Das sichere Geleit enthält jedoch noch eine gegensätzliche Komponente, nämlich das Interesse des Beschuldigten selbst an der Erteilung sicheren Geleits. In dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren soll sich der Beschuldigte durch persönliches Erscheinen – sei es im Ermittlungsverfahren oder in der Hauptverhandlung – adäquat gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verteidigen können, ohne gleichzeitig freiheitsentziehende Maßnahmen befürchten zu müssen.
16 Das Gericht kann die Erteilung sicheren Geleits bei seiner Bewilligung aber an Bedingungen knüpfen. Nachträglich ist dies nicht möglich. Vgl. Löwe/Rosenberg/ Gollwitzer, § 295 Rn. 9. 17 Dazu sub § 1 C. III. 18 OLG Zweibrücken NJW 1966, 1722; KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 9. Dazu auch sub § 1 H. VII. 2. Freilich entfaltet ein Widerruf nur bei rechtzeitiger Mitteilung an den Beschuldigten Wirkung, vgl. dazu Palandt/Heinrichs, § 130 Rn. 11. 19 Die Motive des Entwurfs (vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 242) bezeichnen das sichere Geleit zutreffend als Mittel, die Selbstgestellung des Beschuldigten herbeizuführen, und bringen damit die in ihm liegende freiwillige Komponente zum Ausdruck. Wird sicheres Geleit erteilt, so ist es weiterhin der freie Entschluss des Beschuldigten, ob er dieses annimmt und tatsächlich erscheint. 20 Vgl. dazu BGH NJW 1991, 2500 (2501).
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten Das sichere Geleit als Gestellungsmittel gewinnt seine Bedeutung aus dem Zusammenspiel zwischen den Grundprinzipien des Strafprozessrechts. Nicht nur ist die Durchführung des Strafverfahrens in Abwesenheit des Beschuldigten auf Ausnahmefälle beschränkt. Vielmehr gebieten das Streben nach materieller Wahrheit und die Sicherung der Rechte des Beschuldigten, dass er in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren frühzeitig persönlich in Erscheinung tritt. I. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung: Spannungsverhältnis zwischen Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht Im Strafprozessrecht besteht eine mit dem Recht des Angeklagten zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung korrespondierende Pflicht zur Anwesenheit.21 Dies ist die Konsequenz des Versuchs, einerseits dem Angeklagten die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung zu sichern und andererseits durch die Vermittelung eines unmittelbaren Eindrucks von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen gegenüber dem Tatrichter die Wahrheitsfindung zu fördern.22 Die Motivationslage, die einst den Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung zu einer weitgehenden Beschränkung des Abwesenheitsverfahrens bewogen hat, besteht hier fort.23 Die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung stellt dementsprechend einen den Strafprozess beherrschenden Grundsatz dar, von dem nur eng begrenzte Ausnahmen zulässig sind.24 Herzuleiten ist dies nicht nur aus den der Strafprozessordnung immanenten Grundprinzipien, sondern aus einer Vielzahl von Vorschriften, die Recht und Pflicht des Angeklagten zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung gleichsam voraussetzen. Die Frage der Notwendigkeit der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung war ein über lange Zeit kontrovers diskutiertes Thema.25 Derjenige, der sich zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt, wird überrascht sein zu hören, dass das sog. Kontumazialverfahren,26 also die 21
BGHSt 26, 84 (90). BGHSt 3, 187 (190 f.); 26, 84 (90). 23 Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 182 (185 ff.). 24 BGHSt 3, 187 (190). 25 Vgl. zum Stand der Diskussion heute z. B. Kühne, Rn. 709. 26 Der lat. Wortstamm Contumacia (auch contemnere = missachten) bezeichnet im rechtlichen Sinne den Ungehorsam gegen gerichtliche Ladungen (vgl. in: Der 22
D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten
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Hauptverhandlung27 ohne Anwesenheit des Angeklagten, in Deutschland für den Strafprozess erst im Jahre 197428 abgeschafft wurde, ja in Grundzügen sogar noch fortbesteht. Gründe für die Streichung des Abwesenheitsverfahrens waren nicht – wie man vermuten könnte – rechtsstaatliche Bedenken. Die Abschaffung der Übertretungstatbestände29 im materiellen Strafrecht machte die Hauptverhandlung gegen den Abwesenden in der Strafprozessordnung vielmehr überflüssig. Nur bei Vorliegen eines Übertretungstatbestandes, nicht bei Vorliegen eines Vergehens oder Verbrechens kam nach der Strafprozessordnung überhaupt ein Verfahren gegen einen abwesenden Angeklagten in Betracht.30 Für den ausgebliebenen Angeklagten31 besteht demgegenüber die weiter reichende Möglichkeit der Durchführung einer Hauptverhandlung in Abwesenheit fort.32 Kleine Pauly [DKP] Bd. I Sp. 1299). Obwohl die Begriffe Kontumazialverfahren und Abwesenheitsverfahren weitgehend synonym verstanden werden, wird teilweise die Bezeichnung Kontumazialverfahren im Strafrecht als verfehlt angesehen. Das römische Zivilprozessrecht kannte zum einen die „Strafe“ wegen des Ungehorsams. Wie im gemeinen deutschen Prozess wurden Anerkenntnis und Verzicht wegen des Ungehorsams fingiert (vgl. von Rotteck/Welcker, S. 22 ff.). Die Strafrechtswissenschaft lehnte dagegen zum Zeitpunkt des Entstehens der Strafprozessordnung die Dispositionsbefugnis im Strafrecht weitgehend ab, so dass die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung Verfahren gegen Abwesende – verkürzt Abwesenheitsverfahren – vorzugswürdig erscheint, wobei der Entwurf zur Reichsstrafprozessordnung und die Protokolle der Kommission sehr wohl noch vom Ungehorsams- bzw. Kontumazialverfahren sprachen (vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 187, 1444). Eine umfassende Darstellung des Kontumazialverfahrens ist an dieser Stelle nicht möglich. Eine ausführliche Abhandlung mit rechtsgeschichtlicher Darstellung findet sich bei Hugo Meyer, Strafverfahren gegen Abwesende. 27 Begrifflich folgte das Kontumazialurteil der Kontumazialverhandlung. Die Abwesenheit des Täters in der Voruntersuchung ist nur von untergeordneter Bedeutung. Folglich wurde auch in die Reichsstrafprozessordnung eine explizite Regelung für den Fall des Ausbleibens (vgl. § 231 RStPO) bzw. die Abwesenheit (vgl. § 319 RStPO) des Angeklagten nur für die Hauptverhandlung aufgenommen. 28 Art. 21 Nrn. 74, 75 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974, BGBl. I S. 469. Im europäischen Rechtsraum ist die Möglichkeit eines Abwesenheitsurteils nach wie vor verbreitet. Die Frage der Auslieferung zur Strafvollstreckung im Falle eines Abwesenheitsurteils ist nunmehr in Art. 3 ZP-EuAlÜbk [abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Hauptteil II A 2] geregelt. Ein Staat kann danach eine Auslieferung verweigern, wenn er in dem dem Abwesenheitsurteil vorausgegangenen Verfahren die Mindestrechte der Verteidigung nicht gewahrt sieht. Vgl. dazu im Einzelnen Schomburg/Lagodny, § 15 IRG Rn. 33 a ff.; Schomburg/Lagodny, § 73 IRG Rn. 70 ff. Vgl. auch BVerfGE 63, 332 (337 f.). 29 Im Strafgesetzbuch bestand eine Dreiteilung der Straftaten in Übertretungstatbestände, Vergehen und Verbrechen, wobei die Übertretungstatbestände die niedrigste Strafandrohung vorsahen (vgl. dazu BT-Drucks. 7/550, S. 194). 30 BT-Drucks. 7/550, S. 194, 303. 31 Zur Unterscheidung zwischen dem Abwesenden und dem Ausgebliebenen S. 39 ff.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
II. Das Recht auf Gehör Art. 103 Absatz 1 GG garantiert jedermann einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht. Das Verbot, eine Person zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens zu machen, erfordert, bestimmte Mindestgarantien zu gewähren. Der Beschuldigte muss im Rahmen der von der Verfahrensordnung aufgestellten angemessenen Regeln, die Möglichkeit haben, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen, deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen, und diese auch ausüben können.33 Das in Art. 103 Absatz 1 GG vor Gericht34 verfassungsrechtlich normierte Recht auf Gehör hat für das Ermittlungsverfahren in § 163 a StPO eine einfachgesetzliche Konkretisierung erfahren. Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. Eine Vernehmung liegt aber nur dann vor, wenn der Beschuldigte selbst sich mündlich äußert.35 Von dem Beschuldigten kann eine Mithilfe in der Form nicht verlangt werden, dass er sich für die Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Haft begibt. Von einem abwesenden Beschuldigten, gegen den ein Haftbefehl besteht, kann demnach nicht verlangt werden, dass er sich in den Bereich der richterlichen Gewalt zur Verwirklichung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör begibt, solange ihm die Untersuchungshaft droht. Dies widerspräche auch der Wertung, die hinter dem dem Gesetzgeber schon frühzeitig bekannten Grunsatz „nemo tenetur“ steht: „Die Vernehmung wird, wenn und insoweit der Beschuldigte geständig ist, als freiwillig dargebotenes Unersuchungsmittel auch im heutigen Verfahren von größtem Werte sein; es kann aber nicht gefordert werden, dass der Beschuldigte gegen seinen Willen zu seiner Überführung beiträgt. Dadurch wird auch jeder mittelbare Zwang, welcher die Herbeiführung unfreiwilliger Eröffnungen bezweckt, ausgeschlossen, namentlich die Vorlegung von Fragen, deren Tragweite und Zusammenhang mit Belastungsbeweisen der Beschuldigte nicht übersieht.“36 32
Vgl. dazu sub § 1 D. VI. BVerfGE 62, 332 (337 f.). Vgl. hierzu beispielsweise auch BVerfGE 57, 250 (274 f.); 89, 120 (129 ff.). 34 BVerfGE 27, 88 (103); vgl. auch zum Recht auf Gehör vor Gericht grundlegend BVerfGE 9, 89 (95). 35 BGH NStZ 1987, 85 (86); Meyer-Goßner, § 136 Rn. 15; Löwe/Rosenberg/Hanack, StPO, § 136 Rn. 36; SK-StPO/Rogall, § 136 Rn. 12. 36 Hahn, Mot. RStPO, S. 139. 33
D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten
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Das Versäumnis einer persönlichen Anhörung des Beschuldigten stellt dabei immer zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Absatz 1 GG dar. Auch das Prinzip der Waffengleichheit gebietet es angesichts des Ungleichgewichts im Strafverfahren zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem Beschuldigten in besonderem Maße, dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren und eine Durchsetzung dieses Anspruchs nicht zu behindern.37 III. Das Recht auf ein faires Verfahren Anders kann auch das Recht eines Beschuldigten auf ein faires Verfahren nicht gewährleistet werden.38 Zentrales Anliegen eines jeden Strafverfahrens ist die Erforschung des wahren Sachverhalts. Dies muss – insbesondere auch angesichts der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Absatz 2 Satz 2 GG – in der verfahrensrechtlichen Gestaltung seinen Niederschlag finden. Läuft die verfahrensrechtliche Gestaltung der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil zuwider, so tangiert dies auch das Recht auf ein faires Verfahren. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes bei der Ausgestaltung des Strafverfahrens grundsätzlich in der Verantwortung des Gesetzgebers liegt. Ergibt sich bei Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt werden, können sich hieraus aber konkrete Folgerungen für die Ausgestaltung des Strafverfahrens im Rahmen der gesetzgeberischen Grundstruktur ergeben.39 Der Gesetzgeber hat auch für das Vorverfahren das Erfordernis rechtlichen Gehörs für den Beschuldigten in § 163 a StPO geregelt und damit den Erfordernissen, die an ein faires Verfahren zu stellen sind, genügt. Die Strafverfolgungsbehörden bzw. Gerichte40 erfüllen die ihnen nach § 163 a Absatz 1 Satz 1 StPO obliegende Pflicht, wenn sie dem Beschuldigten Gelegenheit zur Äußerung gegeben haben.41 Erscheint der Beschuldigte auf Vorladung nicht, so steht dies einer Fortführung des Verfahrens unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls selbstverständlich nicht im Wege. Anderenfalls könnte der Beschuldigte auf diesem Wege das Strafverfahren zumindest verzögern. 37 38 39 40 41
Grundlegend BVerfGE 52, 131 (156). BVerfGE 57, 250 (274 ff.); 89, 120 (129 ff.). BVerfGE 57, 250 (275 f.). Teilweise werden auch Gerichte zu den Strafverfolgungsbehörden gezählt. KK-StPO/Wache, § 163 a StPO, Rn. 4.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
IV. § 261 StPO als eine das ganze Strafverfahren bestimmende Grundsatznorm Die Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten für die Hauptverhandlung hängt eng mit dem Mündlichkeitsgrundsatz42 zusammen. Somit flammte die Diskussion um den Grundsatz ne absens damnetur mit Abkehr vom inquisitorisch und schriftlich ausgestalteten, geheimen Verfahren des ausgehenden Mittelalters43 wieder auf. Zu dieser Zeit begann sich vermehrt ein Bewusstsein zu entwickeln, dass sich der Richter selbst ein Bild von dem Angeklagten machen solle.44 Der zentrale Zweck des sicheren Geleits in der Strafprozessgesetzgebung ist, als Gestellungsmittel die Hauptverhandlung gegen den abwesenden45 Angeklagten erst zu ermöglichen. Eine geringere Bedeutung kommt ihm naturgemäß dort zu, wo die Möglichkeit eines Kontumazial- bzw. Abwesenheitsverfahrens eröffnet ist.46 42
Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschn. H Rn. 60; KK-StPO/Pfeiffer, Einl. Rn. 8. Vgl. zum Inquisitionsprozess beispielsweise Biener, Inquisitionsprozess; Trusen, ZRG KA Abt. 74 (1988), 168; Henschel, Strafverteidigung im Inquisitionsprozess; FS-von Weber/Schmidt, S. 33–55. 44 So auch Stein, ZStW 97 (1985), 303: „Ist der „Inbegriff der (Haupt-)Verhandlung“ Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO), dann erscheint die Anwesenheit des Angeklagten für die Zuverlässigkeit der Wahrheitsermittlung und die Ausübung der Verteidigungsrechte geradezu dringlich.“ 45 Zum Begriff des „Abwesenden“ unten S. 39 ff. 46 Die Möglichkeit eines Abwesenheitsverfahrens besteht auch heute noch beispielsweise in Griechenland, Frankreich, Italien und den Niederlanden. Die Strafprozessgesetzgebungen der einzelnen Staaten des Deutschen Reiches ließen bis zur Vereinheitlichung des Rechts durch die Reichsjustizgesetze im Jahre 1877 überwiegend das im französischen Recht stark ausgeprägte Kontumazialverfahren zu. Es fand gegen den ausgebliebenen, ordnungsgemäß geladenen Angeklagten statt, auch wenn dieser sich im Bereich der richterlichen Gewalt befand, ebenso wie gegen einen solchen Angeklagten, dessen Vorführung oder Verhaftung nicht erfolgen konnte, weil er sich durch Flucht oder auf andere Weise der richterlichen Gewalt entzogen hat. Vereinfacht dargestellt bestand ein Unterschied jedoch insofern, als ein Verzicht des Angeklagten auf das Recht, mit seiner Verteidigung gehört zu werden, fingiert wurde, im zweiten Falle teilweise jedoch nur eine provisorische, mit der Gestellung des Angeklagten wegfallende Geltung angenommen wurde. Eine umfassendere Untersuchung findet sich bei Planck, § 67. Einigkeit herrschte in der damaligen Literatur darüber, dass es sich bei dem Kontumazialverfahren um den „buntesten Fleck“ der deutschen Strafprozessgesetzgebung handle, so Hahn, Mot. RStPO, S. 238; Hugo Meyer, Verfahren gegen Abwesende, S. 2. Das Statut des aufgrund des Londoner Viermächte-Abkommens vom 8. August 1945 errichteten Militärgerichtshofs eröffnete die Möglichkeit der Verurteilung – gemäß seines Artikel 27 auch zum Tode – in Abwesenheit des Beschuldigten. Das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs war gemäß dessen Artikel 26 Satz 2 endgültig und unanfechtbar. Dies galt auch im Falle der Abwesenheitsverurteilung. Der Kontrollrat für Deutschland war jedoch be43
D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten
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Für den deutschen Juristen unserer Tage ist es selbstverständlich, dass eine Hauptverhandlung ohne den Angeklagten nicht stattfindet.47 Diese Feststellung bedarf keines Rückgriffes auf die speziellen Vorschriften der §§ 230, 285 StPO, die eine Hauptverhandlung gegen den ausgebliebenen bzw. abwesenden Angeklagten untersagen. Die Weichen in diesem Sinne stellt bereits § 261 StPO als die das „ganze Strafverfahren bestimmende Grundsatznorm“:48 „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“49
1. Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit Diese Vorschrift spiegelt wie keine andere unser Verständnis eines rechtsstaatlichen, – im laienhaften Sprachgebrauch – gerechten Strafverfahrens wider. Der Richter soll sich selbst ein Bild von der Tat und ihren Umständen machen. Er kann dies aber nicht, ohne den Angeklagten zu hören oder zu sehen. Nicht von ungefähr leiten sich die Grundprinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, die weder in der Reichsstrafprozessordnung noch in der heutigen Strafprozessordnung eine ausdrückliche Regelung erfahren haben, nicht zuletzt aus § 261 StPO ab.50 2. Das Streben nach materieller Wahrheit im Zentrum des Untersuchungsgrundsatzes Ein hier nicht vernachlässigbarer weiterer relevanter Aspekt ist das Streben nach der materiellen Wahrheit, das dem dem gesamten deutschen Strafverfahren zugrunde liegenden Untersuchungsgrundsatz innewohnt. In dessen fugt, das Urteil jederzeit abzumildern oder in sonstiger Weise abzuändern. Eine Verschärfung war unzulässig (Art. 28 Absatz 1 Satz 2 des Statuts). Die Prozessmaterialien zum Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vom 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946 hat die Komet MA-Service und Verlagsgesellschaft mbH, Frechen, veröffentlicht. Das Statut des Militärgerichtshofs ist in Bd. I, S. 10 bis 18 abgedruckt. 47 Eine Fortsetzung der Verhandlung ist gemäß § 231 Absatz 2 StPO auch ohne den Angeklagten möglich, wenn dieser bei Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt, er über die Anklage schon vernommen ist und das Gericht seine weitere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Vgl. dazu KK-StPO/Tolksdorf, § 231 Rn. 7 f. 48 So Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 261 Rn. 1. 49 Der heute noch in § 261 StPO fortbestehende Grundsatz der freien Beweiswürdigung wurde bereits wortlautgleich mit § 260 RStPO in die Strafprozessrechtsgesetzgebung aufgenommen. 50 Vgl. statt vieler Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschnitt H Rn. 55, 61.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Zentrum steht die Bemühung, den entscheidungserheblichen Sachverhalt so weit als möglich aufzuklären,51 während der Verhandlungsgrundsatz des Zivilprozesses, demzufolge das Sachvorbringen der Prozessbeteiligten und die von ihnen angegebenen Beweismittel materiell entscheidend sind, das Streben nach einer nur formellen Wahrheit eigen ist.52 § 244 Absatz 2 StPO legt demgemäß dem Gericht die Verpflichtung auf, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Das Verfahren nach der Strafprozessordnung ist nach einer modifizierten Form des Akkusationsprinzips ausgestaltet.53 Der Gesetzgeber hat den Strömungen der Zeit folgend weitgehend Elemente des Untersuchungsprinzips54 einfließen lassen.55 Die Aufklärungspflicht als Streben nach materieller Wahrheit bedingt geradezu die Beibehaltung inquisitorischer Grundsätze. Sie verbietet es, das gänzliche Ausbleiben des Angeklagten als bestimmte Form der nicht erklärten Prozessführung und damit als Verzicht auf dessen prozessuale Rechte auszulegen.56 Eine Analogie zum Parteiprozess im Zivilverfahren verbietet sich angesichts der unterschiedlichen Verfahrensgestaltung.57 51 BVerfGE 57, 250 (275); 63, 45 (61); BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats] MDR 1984, 284. 52 Vgl. dazu Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschnitt H Rn. 32 ff.; Trusen, ZRG KA 74 (1988), 168. 53 Bei dem Verfahren der Strafprozessordnung handelt es sich nicht um eine Form des Verfahrens, in der die Parteien den zu beurteilenden Prozessstoff vorzutragen hätten. Nach allgemeiner Meinung wird die Anwesenheit des Angeklagten im Inquisitionsprozess als notwendig angesehen, damit sich der Richter durch dessen Vernehmung ein möglichst sicheres und möglichst vollständiges Bild von dem Fall verschaffen könne, wie es als seine Pflicht anzusehen ist (ausführlich dazu Hugo Meyer, Verfahren gegen Abwesende, S. 8 ff. m. w. N.). 54 Im deutschen Inquisitionsprozess, in dem sich zwar vielfach der Grundsatz ne absens damnetur fand und als rechtlich gültiges Prinzip des deutschen Strafverfahrens aufgefasst wurde, hinderte dies ein Kontumazialverfahren keineswegs, vgl. Meyer, Verfahren gegen Abwesende, S. 7 ff. 55 Vgl. ausführlich dazu Bennecke, S. 393 ff. In der historischen Entwicklung folgte auf den ursprünglichen Anklageprozess der Inquisitionsprozess. 56 Hugo Meyer, Verfahren gegen Abwesende, S. 13 ff. beruft sich zu recht auf den Grundsatz audiatur et altera pars, da der Richter sich kein vollständiges Bild machen könne, wenn er nur die eine Partei gehört hat, und begründet damit die Notwendigkeit der Anwesenheit des Angeklagten bei den wesentlichen Teilen des Verfahrens, insbesondere der Beweisaufnahme. Anderes galt für den Anklageprozess, vgl. Planck, S. 182 f. 57 Der Versuch eines Analogieschlusses erscheint aus unserem heutigen Verständnis heraus geradezu grotesk. Der CPO lag aus den Wertvorstellungen der liberalen Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts heraus ein wesentlich weiteres Verständnis von der Parteiherrschaft als das unserer heutigen Zivilprozessordnung zugrunde. Sie
D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten
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V. Notwendigkeit der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung? 1. Forderung nach einer disponiblen Ausgestaltung der Anwesenheitspflicht des Angeklagten Auch heute noch sind die Stimmen in der Literatur nicht verstummt – wenngleich die Diskussion abgeebbt ist –, die die Anwesenheitspflicht des Angeklagten disponibel ausgestalten wollen.58 De lege ferenda soll dort auf das Mündlichkeitsprinzip verzichtet werden, wo Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sich über die entscheidenden Tatsachen aufgrund gemeinsamer Aktenkenntnis oder eines glaubhaften Geständnisses einig sind, insbesondere um die Länge von Großverfahren zu begrenzen.59 So finde zwar die ständige Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung mit der Aufnahme als Verletzungstatbestand in den Katalog absoluter Revisionsgründe zu Recht ihren Ausdruck als Grundsatz mit hoher rechtsstaatlicher Ausprägung.60 Andererseits habe die bloße Anwesenheit in der Hauptverhandlung eine „aufklärungsneutrale Funktion“.61 Zur besseren Sachaufklärung trage nicht die Teilnahme als solche bei, sondern die in ihr liegende Möglichkeit, der Angeklagte werde freiwillig zur Wahrheitsfindung beitragen.62 Hierfür sei es jedoch ausreichend, wenn dem Gericht im konkreten Fall ein an den Aufklärungserfordernissen der jeweiligen Prozesssituation orientiertes Ermessen, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen und gegebenenfalls zu erzwingen – eine Regelung, wie sie der derzeitige § 236 StPO63 bereits enthält –, eingeräumt wird.64 Der Bundesgerichtshof hat auch in seiner jüngeren Rechtsprechung die Bedeutung der Anwesenheit des Beschuldigten in der Hauptverhandlung gestärkt,65 dabei aber gestand daher den Parteien nicht nur die Verhandlungsmaxime, sondern die Herrschaft über den Verfahrensablauf zu und drängte somit den Richter in eine „passive Rolle“ zurück. Vgl. dazu Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 1. 58 Dölp, NStZ 1998, 235; Julius, GA 1992, 295. 59 Kritisch Kühne, Rn. 709. 60 So Bohnert, NStZ 1983, 344 (345) („unverzichtbare Verfahrensvorschriften“); KMR/Paulus, § 344 Rn. 37 f. mit zahlreichen Nachw.; Löwe/Rosenberg/Hanack, § 337 Rn. 271; Maatz, DRiZ 1991, 200. (Das Anwesenheitsrecht „gehört seit dem Bestehen der Strafprozessordnung zu den Wesenselementen des deutschen Strafverfahrensrechts.“) 61 Julius, GA 1992, 299. 62 Rieß, JZ 1975, 265 (267). 63 Nach § 236 StPO hat das Gericht in Fällen zulässiger Abwesenheitsverhandlung stets die Befugnis, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen und durch einen Vorführungsbefehl oder Haftbefehl zu erzwingen. 64 Julius, GA 1992, 299.
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auch in dem Bewusstsein entschieden, dass aufgrund der Subjektstellung des Angeklagten, die autonomes Handeln zulässt, die prozessuale Fürsorgepflicht nicht überspannt werden darf.66 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 13. Februar 2001 (Az. 29731/96) erneut festgehalten, dass das persönliche Erscheinen des Angeklagten vor Gericht entscheidende Bedeutung hat und der Gesetzgeber somit die Möglichkeit haben muss, einem unentschuldigten Nichterscheinen entgegenzutreten.67 2. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung dient der Verwirklichung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör und der Wahrheitsfindung Der in der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung liegende Grundrechtsschutz68 hat auch eine negatorische Funktion, das heißt, er sichert als objektiv-rechtliches Prinzip elementare rechtsstaatliche Standards für gerichtliche Verfahren, die Grundvoraussetzung gerechten Richtens im Strafprozess sind, und auf die der Einzelne nicht verzichten kann.69 Stein hat hier zutreffend die Frage nach einem Wertungsgesichtspunkt aufgeworfen, „der den Zwang zur Rechtsausübung legitimiert und aus dem sich dann insbesondere auch ergibt, warum die Grenze der Disponibilität gerade zwischen der (erzwingbaren) Anwesenheit und der (nicht erzwingbaren) Ausübung einzelner Äußerungs- und sonstiger Verteidigungsrechte verläuft“,70
warum also das Gehörsgebot nicht voll der Disposition des Angeklagten als Berechtigtem unterliegt, sondern eine objektive Komponente aufweist. Art. 103 Absatz 1 GG muss neben dem ihm innewohnenden subjektiven Recht jedenfalls auch ein objektiv-rechtliches Prinzip, also Doppelcharakter,71 als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips zuerkannt werden:72 65 So z. B. BGH NStZ 2002, 384 gegen eine Ausdehnung des Umfanges der Entfernung des Angeklagten nach § 247 StPO. 66 BGHSt 37, 249 zum eigenmächtigen Fernbleiben. Zustimmend Julius, GA 1992, 306. 67 EGMR NJW 2001, 2387 (2390). Ein Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten verstoße aber dann nicht per se gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wenn der Betroffene später eine Entscheidung eines Gerichts nach seiner Anhörung über die Anklage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht herbeiführen kann, vgl. EGMR NJW 2001, 2387 (2391). 68 Stein, ZStW 1985, 303 (305); Maiwald, FS-Lange, S. 267. 69 Vgl. hierzu Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 103 I Rn. 13 mit zahlreichen Nachw. 70 Stein, ZStW 1985, 312. 71 Die verfassungsrechtliche Doktrin über die Doppelfunktion von Grundrechten ist st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, so z. B. BVerfGE 7, 198 (204 f.).
D. Anwesenheitsrecht und Anwesenheitspflicht des Angeklagten
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„Das rechtliche Gehör ist nicht nur das prozessuale Urrecht des Menschen, sondern ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein gerichtliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar ist.“73
Die bestehende gesetzliche Regelung, die eine Anwesenheitspflicht des Angeklagten vorsieht, genügt aber in der bestmöglichen Weise dem in Art. 103 Absatz 1 GG verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör74 und trägt gleichzeitig dem Recht auf Selbstbehauptung des Angeklagten Rechnung.75 Der Betroffene ist als eigenverantwortliche Person zu achten. Ihm ist im Prozess die Möglichkeit zu geben, sich durch Angriff und Verteidigung selbst zu behaupten. Daraus resultiert die notwendige Anerkennung des Menschen als Subjekt.76 Neben der unbedingt zu verhindernden Verurteilung eines ungehörten Angeklagten als Grundlage der Anwesenheitspflicht haben die Motive zutreffend festgehalten, dass das Gericht der ihm obliegenden vollständigen Ermittlung der Wahrheit und einer gerechten Rechtsfolgenzumessung nicht genüge tun kann, wenn es „nicht den Angeklagten vor sich gesehen und mit seiner Verteidigung, bzw. seinem Geständnis gehört hat“.77
Die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts als Ausprägung des fair trial78 erfordert Hilfe und Unterstützung gegenüber dem Beschuldigten zur sachgemäßen Wahrung und Wahrnehmung seiner prozessualen Belange,79 die sich in Hinweispflichten und der Pflicht, eine angemessene Vorbereitung 72 Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 103 I Rn. 13. Vgl. aber auch Maunz/Dürig/SchmidtAßmann, Art. 103 Abs. 1 Rn. 81. 73 BVerfGE 55, 1 (6). 74 Vgl. zu den Bemühungen des Gesetzgebers zur Sicherung des rechtlichen Gehörs BT-Drucks. IV/178, S. 41 f. Die einzelnen Verfahrensordnungen haben unterschiedliche Problemstellungen zu bewältigen und bauen auf unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen auf. Art. 103 Absatz 1 GG kann nur ein allgemeiner Aussagegehalt beigemessen werden. Die nähere Ausgestaltung obliegt den einzelnen Verfahrensordnungen. Der Richter ist – soweit er von der Verfassungskonformität der einfachen Verfahrensnorm ausgeht – unmittelbar an diese gebunden. Als Auslegungsregel dient Art. 103 Absatz 1 GG der Interpretation des einfachen Rechts. Er greift erst ein, wenn die einfachen Gesetze keine Regelung enthalten bzw. diese den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen. Vgl. dazu HStR VI/Knemeyer, § 155 Rn. 22 f. 75 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 230 Rn. 1. 76 BK-GG/Rüping, Art. 103 Abs. 1 Rn. 11; ders., Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 133; grundlegend BVerfGE 55, 1 (5 f.). 77 Hahn, Mot. RStPO, S. 187. 78 BK-GG/Rüping, Art. 103 Abs. 1 Rn. 57. Vgl. auch BVerfGE 38, 105 (111). 79 Ausführlich dazu HStR VI/Hill, Rn. 47 ff.
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auf veränderte Prozesslagen zu gewähren, widerspiegeln.80 Sie und die aus dem Rechtsstaats- aber auch aus dem Sozialstaatsprinzip81 ableitbare Fürsorgepflicht des Gesetzgebers prägen dessen Gestaltungsauftrag, der das Übergewicht der staatlichen Machtmittel gegenüber dem Beschuldigten abmildern soll.82 Bereits die Motive zum Entwurf einer Strafprozessordnung für das Deutsche Reich nahmen insofern eine Fürsorgepflicht des Staates an, als Prozessformen, die als unentbehrlich zum Schutz des Angeklagten zu erachten seien, nach ihrer Ansicht nicht dem Verzicht des letzteren unterworfen werden können.83 Die Anwesenheitspflicht dient dabei aber nicht nur den Interessen des Angeklagten und der Wahrung seiner Rechte. Vielmehr gebietet auch das öffentliche Interesse an einer möglichst umfassenden und zuverlässigen Wahrheitsermittlung die Anwesenheit des Angeklagten.84 Demgegenüber vermag der Hinweis auf die Möglichkeit einer Selbstbelastung durch den Angeklagten bei Erscheinen in der Hauptverhandlung, die dem „nemo-tenetur“-Satz zuwiderlaufe, nicht zu überzeugen.85 Dem Angeklagten steht die Möglichkeit offen, in vollem Umfang die Einlassung in der Hauptverhandlung zu verweigern. Daraus dürfen für ihn keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden.86 VI. Überreste des Abwesenheitsverfahrens in der Strafprozessordnung Unabhängig von der – teils verwirrenden – Unterteilung in ein Verfahren gegen einen Abwesenden und ein Verfahren gegen einen Ausgebliebenen besteht in den §§ 231 ff. StPO das ursprüngliche Abwesenheitsverfahren in Ausnahmefällen87 fort.88 80
BVerfGE 57, 250 (279 f.). Dreier/Göschner, Art. 20 Rn. 16; vgl. auch HStR VI/Hill, § 156 Rn. 18. 82 HStR VI/Hill, § 156 Rn. 18. Jarass sieht es daher auch als unpassend an, bei Leistungs- bzw. Schutzgrundrechten, zu denen auch Art. 103 Absatz 1 GG zählt (AöR 120 [1995], 345 [355]), von einem objektiv-rechtlichen Gehalt bzw. Schutzgehalt zu sprechen (Jarass in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 35, 52). Vielmehr gehe es darum, den Staat zu bestimmten Handlungen zu zwingen. Leistungsgrundrechte zielten auf ein positives staatliches Handeln, eine staatliche Leistung und staatlichen Schutz (Jarass, AöR 120 [1995], 345 [355]; ders. in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 35 [52]). 83 Hahn, Mot. RStPO, S 185 f. 84 Als abstrakte Zweckbestimmung, vgl. BGHSt 37, 249 (250) mit zahlreichen Nachw. 85 Vgl. Stein, ZStW 1985, 307. 86 BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats) NStZ 1995, 555 (555 f.); BGHSt 25, 365 (368 f.); 32, 140 (144); 34, 324 (326); BGH NStZ 1986, 325. 87 Das Statut des Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg ermöglichte gemäß dessen Artikel 12, 27 eine Verurteilung zum Tode auch in Abwesenheit. Der Ange81
E. Der Abwesende
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E. Der Abwesende Das sichere Geleit richtet sich als Gestellungsmittel an den abwesenden Beschuldigten. Der Begriff des Abwesenden ist in § 276 StPO definiert. Die §§ 276 ff. StPO als Sondervorschriften für das Verfahren gegen Abwesende gelten nicht nur für die Hauptverhandlung.89 § 276 StPO spricht von der „Gestellung vor das zuständige Gericht“. Im Zentrum der Vorschrift steht also die Hauptverhandlung, auch wenn sie schon ihrem Wortlaut nach („Beschuldigter“) für das gesamte Verfahren gilt. An dieser Schwerpunktsetzung orientieren sich auch die Ausführungen im Folgenden. I. Der eindeutige Wortlaut des § 276 StPO Sowohl die Reichsstrafprozessordnung als auch die Strafprozessordnung bieten zwei unterschiedliche Ansatzpunkte für die Frage, wann der Angeklagte nicht anwesend ist. § 230 StPO spricht vom ausgebliebenen Angeklagten, § 276 StPO vom abwesenden Beschuldigten. Für beide Fälle bestehen gänzlich unterschiedliche gesetzliche Regelungen, so dass es einer klaren Abgrenzung bedarf. Während die Aufnahme einer Definition des ausgebliebenen Angeklagten in die Strafprozessordnung nicht erfolgte, ist der Begriff „Abwesenheit“ in § 276 StPO festgelegt.90 So gilt ein Beschuldiger als abwesend, „wenn sein Aufenthalt unbekannt ist oder wenn er sich im Ausland aufhält und seine Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint“. klagte Martin Bormann wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Mit Beschluss des Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg vom 18. Oktober 1945 wurde das Urteil für den Fall des Ergreifens für vollstreckbar ohne weitere Verhandlung erklärt. Vgl. hierzu Prozessmaterialien des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg, Bd. I, S. 112 f. 88 Trotz Einstufung des Kontumazialverfahrens als „ein missbräuchliches Verfahren“ (so der Abgeordnete Dr. Wolffson in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1448 [Protokolle der Kommssion, Zweite Lesung]) erfolgte eine Beibehaltung für Fälle, in denen lediglich eine geringe Strafe drohte, da der Gesetzgeber einerseits der insbesondere für Übertretungen weitgehend als zu einschneidender Eingriff betrachteten Vermögensbeschlagnahme als Gestellungsmittel keinen Raum geben wollte. Bei leichten Vergehen sollten die Lebensverhältnisse des Angeklagten nicht durch eine Rückkehr aus dem Ausland zur Aburteilung gefährdet werden (so der Abgeordnete Dr. Lasker in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1446 [Protokolle der Kommssion, Zweite Lesung]). Andererseits betrachtete es der Gesetzgeber als unbillig, denjenigen, der sich der Hauptverhandlung durch Flucht entziehe, besser zu stellen, als den Anwesenden (vgl. die Diskussion bei Hahn, Mot. RStPO, S. 1442–1451). 89 Dazu bereits § 1 B. II. 90 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 1.
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II. Doppeldeutige Verwendung des Begriffes „Abwesenheit“ bereits in der Reichsstrafprozessordnung Trotz dieses zunächst klar erscheinenden Wortlauts bedarf der Begriff der Abwesenheit näherer Betrachtung. Dies liegt nicht nur in der historischen Verwendung des Begriffs der „Abwesenheitsverhandlung“ sowohl für die Verhandlung gegen den abwesenden als auch gegen den ausgebliebenen Angeklagten begründet. Vielmehr ist dafür auch die Vermischung der Begriffe in der Strafprozessordnung selbst verantwortlich. So findet sich der Begriff der Abwesenheit auch in § 338 Nr. 5 StPO. Demzufolge stellt es einen absoluten Revisionsgrund dar, „wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat“.
Erfasst wird hiervon auch die Person des Angeklagten. Seine Anwesenheit ist gesetzlich vorgeschrieben.91 Aus der Gegenüberstellung der Begriffe Abwesenheit und Anwesenheit in § 338 Nr. 5 StPO lässt sich zwar für diese Vorschrift der Schluss ziehen, dass Abwesenheit als nicht anwesend sein zu verstehen ist, jedoch nicht für § 276 StPO.92 Für § 338 Nr. 5 StPO kann nicht zwischen dem ausgebliebenen und dem im Sinne des § 276 StPO abwesenden Angeklagten unterschieden werden. Entscheidend für das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes ist allein, dass der Angeklagte an der Verhandlung nicht teilgenommen hat.93 III. Überschneidungen zwischen dem Abwesenden und dem Ausgebliebenen in der Strafprozessordnung Eine nähere Betrachtung des Zusammenspiels der Vorschriften über den abwesenden Beschuldigten und den ausgebliebenen Angeklagten wirft die Frage auf, ob eine strikte Trennung zwischen den beiden Begriffen überhaupt möglich ist. So untersagt § 285 Absatz 1 Satz 1 StPO die Durchführung der Hauptverhandlung gegen einen Abwesenden.94 91
Siehe soeben S. 39 ff. Diese undifferenzierte Verwendung des Begriffes Abwesenheit fand sich schon in der Reichsstrafprozessordnung. Auch hier findet sich für das Revisionsrecht die historische Verwendung des Begriffes Abwesenheit als Oberbegriff für den ausgebliebenen und den im Sinne des § 318 RStPO bzw. § 276 StPO abwesenden Angeklagten. Vgl. Löwe, RStPO, 2. Aufl., Anm. 12 zu § 377. 93 Vgl. BGH NJW 1970, 1981; RGSt 1, 149; 29, 324; Löwe/Rosenberg/Hanack, § 338 Rn. 83. 94 § 285 StPO untersagt nur die Durchführung der Hauptverhandlung gegen einen Abwesenden im Sinne des § 276 StPO. Die Abwesenheit steht jedoch weder einer 92
E. Der Abwesende
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§ 232 Absatz 1 Satz 1 StPO lässt demgegenüber die Durchführung der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu, wenn er ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann, und wenn nur Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Verfall, Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung, allein oder nebeneinander, zu erwarten ist.95 Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Vereinfachung des Verfahrens in Strafsachen von geringer Bedeutung. Der Angeklagte wird hier nicht von seiner Pflicht zum Erscheinen entbunden. Erscheint er jedoch nicht, so soll das Gericht sich nicht verpflichtet fühlen, seine Anwesenheit zu erzwingen.96 Die herrschende Meinung nimmt – im Ergebnis zu Recht – eine Anwendbarkeit der §§ 232, 231 Absatz 2, 233 StPO auch auf den im Sinne des § 276 StPO Abwesenden an.97 IV. Durchführung der Hauptverhandlung bei Anwesenheitspflicht des Angeklagten als Ziel des Strafverfahrens Es verwundert also nicht, dass diese Unterscheidung zwischen der Absenzverhandlung nach §§ 230 bis 236 StPO – früher §§ 230 bis 235 RStPO – und dem Abwesenheitsverfahren nach §§ 276 bis 295 StPO – früher §§ 318 bis 337 RStPO – bereits frühzeitig als verwirrend und als unzweckmäßig angesehen wurde.98 Eine vollständige, klare Abgrenzung gegeneinander – wie vom Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung ursprünglich geplant – ist angesichts der soeben dargestellten Überschneidungen nicht möglich. Für den Begriff des „Abwesenden“ im Sinne von § 276 StPO ist allein auf dessen Wortlaut abzustellen. Danach ist der Beschuldigte dann als abweEröffnung des Hauptverfahrens noch einem sonstigen Weiterbetreiben des Verfahrens entgegen. Vgl. dazu KK-StPO/Engelhardt, § 285 Rn. 7. 95 § 329 StPO sieht darüber hinaus für den Fall des Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung vor. 96 Meyer-Goßner, § 232 Rn. 1; Küper, GA 1971, 289 (298). 97 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 285 Rn. 1; KKStPO/Engelhardt, § 285 Rn. 3, jedenfalls dann, wenn die Abwesenheit des Angeklagten erst zwischen Ladung und Hauptverhandlung beginnt; AK-StPO/Achenbach, § 285 Rn. 2; HK-StPO/Julius, § 285 Rn. 1; Oppe, ZRP 1972, 56 (57). A.A. KMR/ Haizmann, § 285 Rn. 9 und die früher h. M., z. B. BGH NJW 1975, 472; LG Verden NJW 1974, 2194 (2195); Kaiser, NJW 1964, 1553 (1554); Oppe, NJW 1966, 2237 (2239); Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor 407 Rn. 45. 98 Vgl. Löwe, RStPO, 2. Aufl., Anm. 3 b zu § 318.
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send anzusehen, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist oder wenn er sich im Ausland aufhält und seine Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint. Bestrebungen, den Abwesenden und den Ausgebliebenen danach zu unterscheiden, ob der Angeklagte nach §§ 216, 217 StPO zur Hauptverhandlung geladen werden kann – und nicht auf die Ladung durch öffentliche Bekanntmachung zurückgegriffen werden muss – haben sich nicht durchgesetzt.99 1. Der Begriff der Gestellung Gestellung des Beschuldigten bedeutet zunächst das durch förmliche Ladung bewirkte Erscheinen des Beschuldigten.100 Die Ladung muss dabei keine – im Ausland auch nicht mögliche – Zwangsandrohung enthalten.101 Die Verwendung des Wortes Gestellung in § 276 StPO ist nicht unproblematisch. Die Vorschrift des § 276 StPO war wortlautgleich in der Strafprozessordnung für das Deutsche Reich – in § 318 RStPO – enthalten. Der Entwurf für eine Strafprozessordnung für das Deutsche Reich bezeichnete in seinen Motiven auch die Vermögensbeschlagnahme als Gestellungsmittel,102 das sichere Geleit demgegenüber als Mittel zur Selbstgestellung,103 also als Mittel, das Erscheinen auf freiwilliger Basis – ohne den auch in der Vermögensbeschlagnahme liegenden Zwang – herbeizuführen. Sowohl die Vermögensbeschlagnahme als auch das sichere Geleit finden jedoch erst dann Anwendung, wenn die Abwesenheit des Beschuldigten bereits festgestellt ist.104 Auch wenn der Gesetzgeber nicht im Gesetzeswortlaut selbst den Begriff „Gestellung“ auf diese unterschiedliche Weise verwendet, so vermag er auch 99 Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 185. A. A. Bennecke/Beling, S. 675 Anm. 6, der allein auf die Ladung abstellt. Auch die Gesetzesmaterialien selbst sind hier unklar. So äußert sich der Geh. Oberregierungsrat Hanauer (Protokolle der Kommission. Erste Lesung in: Hahn, Mot. RStPO, S. 949) wie folgt: „Der Entwurf verstehe unter Abwesenden nur die in § 274 [des Entwufs; aufgenommen als § 318 RStPO] aufgeführten Personen, also nicht die Personen, deren Aufenthalt zur Zeit der Ladung bez. Verhandlung bekannt sei.“ und widerspricht damit dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der denjenigen, der sich im Ausland aufhält und dessen Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint, demjenigen gleichstellt, dessen Aufenthalt unbekannt ist. Weiter enthält § 320 RStPO eine Sonderregelung für die Ladung desjenigen Angeklagten, dessen Aufenthalt unbekannt ist bzw. bezüglich dessen die Befolgung der für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften unausführbar oder voraussichtlich erfolglos erscheint. 100 OLG Frankfurt NJW 1972, 1875; SK-StPO/Schlüchter, § 276 Rn. 6; Löwe/ Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 5; KMR/Haizmann, § 276 Rn. 5. 101 OLG Frankfurt NJW 1972, 1875; Oppe, NJW 1966, 2237 (2238); Löwe/ Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 5. Vgl. auch Nr. 116 RiVASt. 102 Hahn, Mot. RStPO, S. 241. 103 Hahn, Mot. RStPO, S. 242.
E. Der Abwesende
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hier in den einschlägigen Vorschriften keine klare Abgrenzung vorzunehmen. Dennoch lässt sich aufgrund der einzelnen Alternativen des § 276 StPO und seiner Zielsetzung eine klare Eingrenzung der Vorschrift vornehmen. Bieten die Ermittlungen genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage und eröffnet das Gericht das Hauptverfahren, so ist die Durchführung der Hauptverhandlung mit Urteilsfällung Ziel des Verfahrens.105 Liegen nun die Voraussetzungen für die wenigen Ausnahmefälle zulässiger Abwesenheitsverhandlung nicht vor oder hält das Gericht das persönliche Erscheinen des Angeklagten nachträglich für erforderlich (§ 236 StPO), so ist – erscheint der Angeklagte nicht vor Gericht – seine Anwesenheit herbeizuführen. Ist dies tatsächlich möglich, so ist der Beschuldigte nicht als abwesend anzusehen. 2. Erscheint der Beschuldigte freiwillig? Zunächst stellt sich also für jeden Angeklagten die Frage, ob er freiwillig erscheint. Dies muss auch für den Angeklagten, dessen Aufenthalt unbekannt ist, gelten, für den nur die Ladung durch öffentliche Bekanntmachung in Frage kommt, auch wenn sein Erscheinen denkbar unwahrscheinlich ist. Da die Gestellung nicht nur dann als ausführbar anzusehen ist, wenn der Angeklagte zwangsweise vor Gericht verbracht werden könnte, sondern auch dann, wenn dies nicht möglich ist, der Angeklagte aber dennoch – allein aufgrund einer Ladung – erscheint, muss das Gericht klären, ob der Angeklagte tatsächlich freiwillig nicht erscheinen wird. Es wäre missverständlich, hierbei vom Erfordernis eines fehlgeschlagenen Gestellungsversuches zu sprechen.106 § 276 StPO legt den Begriff der Abwesenheit als Fiktion fest und verlangt somit lediglich, dass die Gestellung des Angeklagten vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint. Ob der Angeklagte, der sich außerhalb des Bereichs der richterlichen Zwangsgewalt befindet, gewillt ist, der Ladung des Gerichts freiwillig Folge zu leisten, 104 Auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 290 Rn. 1 sieht es als Zweck der Vermögensbeschlagnahme an, die Gestellung des Abwesenden zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung zu erzwingen. 105 Die Verfahrenseinstellung nach §§ 153 ff. StPO ist nicht von Relevanz. Eine Untersuchung des Strafbefehlsverfahrens erfolgt sub § 1 F. IV. 106 So aber KMR/Haizmann, § 276 Rn. 7 unter unzutreffendem Hinweis auf OLG Frankfurt NJW 1972, 1875, wo das Verstreichenlassen einer Erklärungsfrist auf eine schriftliche Anfrage an den Beschuldigten, ob dieser bereit sei, Ladungen im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens Folge zu leisten, als ausreichend angesehen wurde, um die Gestellung unausführbar erscheinen zu lassen, ein tatsächlicher Gestellungsversuch durch förmliche Ladung also nicht erfolgte. Vgl. auch Oppe, NJW 1966, 2238.
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wird das Gericht ohne Rücksprache mit dem Beschuldigten in dem jeweiligen Verfahren nicht feststellen können. Erforderlich ist hierzu aber keine förmliche Ladung. Ausreichend ist beispielsweise eine schriftliche Anfrage von Seiten der Staatsanwaltschaft, ob der Beschuldigte einer Ladung vor ein deutsches Gericht freiwillig folgen werde. Antwortet der Beschuldigte mit Nein oder innerhalb einer Erklärungsfrist nicht, so gilt seine Gestellung als nicht möglich und er im Rechtssinne abwesend.107 Regelmäßig wird die Staatsanwaltschaft aber bereits im Ermittlungsverfahren mit der Frage der Abwesenheit des Beschuldigten konfrontiert sein. § 163 a Absatz 1 Satz 1 StPO bestimmt, dass der Beschuldigte spätestens vor Abschluss der Ermittlungen – zwingend – zu vernehmen ist. War der Beschuldigte bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens faktisch abwesend, konnte er also noch nicht vernommen werden, so hat die Staatsanwaltschaft zu entscheiden, wie im weiteren vorzugehen sein wird. In der Regel wird sie den Beschuldigten auffordern, zur Vernehmung zu erscheinen. Kommt der Beschuldigte dieser Aufforderung nicht nach, so ist auf Anklageerhebung hin die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen dieses Mangels nicht abzulehnen.108 Der Mangel wird durch die Aufforderung zur Erklärung nach § 201 StPO geheilt.109 Der Beschuldigte kann durch seine Abwesenheit die Anklageerhebung nicht hindern. 3. Ist die Gestellung des Beschuldigten ausführbar? Die Ausführbarkeit der Gestellung setzt notwendigerweise voraus, dass der Angeklagte sich im Bereich der richterlichen Gewalt befindet und das Gericht daher seine Anwesenheit zwangsweise herbeiführen kann. Maßnahmen zum Erzwingen des Erscheinens (§ 230 Absatz 2, § 236 StPO) sind der Haftbefehl (§ 114 StPO) bzw. der Vorführungsbefehl (§ 134 Absatz 2 StPO).110 Die Vermögensbeschlagnahme nach § 290 StPO als weiteres Gestellungsmittel, die zwingend voraussetzt, dass die Abwesenheit des Beschuldigten im Sinne des § 276 StPO bereits festgestellt ist, unterscheidet sich von diesen Zwangsmitteln insofern, als sie keinen physischen Zugriff auf den Beschuldigten bedeutet. Zusätzlich zu dem auf den Beschuldigten ausgeübten Zwang bedarf es immer dessen eigenen Willensentschlusses, die107
OLG Frankfurt NJW 1972, 1875. Ausreichend ist es, wenn dem Beschuldigten Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, dazu bereits Fußn. 5. 109 Meyer-Goßner, § 163 a Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Rieß, § 163 a Rn. 118; a. A. Wagner, ZStW 109 (1997), 545 (577). 110 SK-StPO/Schlüchter, § 276 Rn. 6; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 5; KMR/Haizmann, § 276 Rn. 5. 108
E. Der Abwesende
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sem Zwang nachzugeben. Zutreffend kann hier also von einem psychischen Zwang gesprochen werden. Kommt keines der angeführten Zwangsmittel in Betracht oder zeigen sie keinen Erfolg, so kann das Gericht nur versuchen, das Erscheinen des Angeklagten mit anderen Mitteln zu bewirken. Die Grenze zwischen dem nur Ausgebliebenen und dem tatsächlich Abwesenden muss also dort verlaufen, wo die Gestellung durch Ladung oder die bereits genannten „physischen“ Zwangsmitteln unausführbar erscheint. Dabei ist der Bereich richterlicher Gewalt nicht auf das Inland beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf den im Ausland befindlichen Angeklagten, dessen Gestellung möglich und angemessen erscheint. Gegen diesen kommt als Zwangsmittel nur der Haftbefehl für gewöhnlich in Verbindung mit einem Auslieferungsverfahren in Betracht.111 Zutreffend kann hier also davon gesprochen werden, der Beschuldigte müsse sich im Bereich der richterlichen Zwangsgewalt befinden.112 Im Falle des sich im Ausland aufhaltenden Angeklagten mit bekanntem Aufenthaltsort ist der Versuch der zwangsweisen Gestellung nicht zwingend. Regelmäßig wird das Gericht, wenn es nicht bereits auf andere Weise sicher davon ausgehen kann, der Aufenthaltsstaat werde den Beschuldigten nicht ausliefern, eine Stellungnahme der für das Rechtshilfeersuchen zuständigen Behörde einholen.113 Gemäß § 74 Absatz 1 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen obliegt die Entscheidung darüber, ob der Aufenthaltsstaat um die Auslieferung des Beschuldigten ersucht wird, also über die sogenannte Einlieferung, als Ersuchen um Rechtshilfe an einen ausländischen Staat dem Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt. Anregung und Stellung von Ersuchen um Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten zählen zur Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten i. S. v. Art. 32 GG114 und sind somit Aufgabe des Bundes (Art. 32 Absatz 1 GG). Nr. 2 a) i. V. m. Nr. 1 a) der Zuständigkeitsvereinbarung vom 1. Juli 1993 zwischen Bund und Ländern115 nach § 74 Absatz 2 Satz 1 IRG sieht die Übertragung der Ausübung der Befugnisse der Bundesregierung zur Stellung von ausgehenden Auslieferungsersuchen in begrenztem Umfang vor. 111
Vgl. dazu Nrn. 85 ff. RiVASt. So bereits Birkmeyer, S. 104 für die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich. 113 Das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen enthält in Art. 2 lediglich eine innerstaatliche Ermächtigung zur Auslieferung. Für die Frage der Abwesenheit des Beschuldigten ist jedoch maßgeblich, ob eine Verpflichtung des Aufenthaltsstaates besteht, den Beschuldigten auszuliefern. 114 Schomburg/Lagodny, § 74 IRG Rn. 5. 115 BAnz. 1993, 6383. 112
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Für das mit dem Verfahren gegen den Beschuldigten befasste Gericht bedeutet dies, dass es nicht befugt ist, entgegen einer Feststellung des Bundes oder der Länder die Ausführbarkeit der Auslieferung nicht zu bejahen.116 Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen das Einholen einer solchen Feststellung entbehrlich ist, weil das Gericht davon ausgehen kann, der Aufenthaltsstaat werde den Beschuldigten nicht ausliefern. Das Gericht kann dann dessen Abwesenheit bejahen, ohne die für das Rechtshilfeersuchen zuständige Stelle zu konsultieren. Häufig ist dies der Fall, wenn der Beschuldigte die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates besitzt. So wie Art. 16 Absatz 2 Satz 1 GG für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt, dass kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, verbieten auch zahlreiche ausländische Rechtsordnungen eine Auslieferung eigener Staatsangehöriger.117 Exkurs Auslieferung: Zwischen den EU-Mitgliedstaaten hat das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [EU-AuslÜbk]118 den Abbau solcher Auslieferungsvorbehalte eingeleitet. Dieses Übereinkommen dient zur Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 [EuAlÜbk] als „Mutterkonvention“119 zum europäi116
Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 7. Art. 6 Absatz 1 lit. a EuAlÜbk eröffnet dem Vertragsstaat die Möglichkeit, die Auslieferung seiner eigenen Staatsangehörigen abzulehnen: „Paragraph 1 allows the extradition of nationals if this is not contrary to the laws of the requested country. But even in this case the requested country is not obliged to extradite its nationals; it has the option of granting or refusing their extradition. It was noted that in several States the extradition of nationals is forbidden, whereas in other States the extradition of nationals is permissive.“ (Paragraph 1 ermöglicht die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, soweit dies nicht in Widerspruch zu den Gesetzen des ersuchten Staates steht. Aber auch dann ist der ersuchte Staat nicht verpflichtet, eigene Staatsangehörige auszuliefern; er hat die Wahl, die Auslieferung zu bewilligen oder zu verweigern. Es wurde festgestellt, dass in einigen Staaten die Auslieferung eigener Staatsangehöriger verboten ist, während sie anderen Staaten freisteht. [Übersetzung der Verfasserin]) (Explanatory report on the European Convention on extraditon, p. 17) Für den Beschuldigten, der die Staatsangehörigkeit des ersuchten Staates besitzt und der aufgrund dessen nicht ausgeliefert werden kann, bedeutet dies dennoch nicht, dass er zwangsläufig straffrei bleiben wird. 118 Abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Hauptteil III. A. a. (S. 776 ff.). 119 Schomburg/Lagodny, Hauptteil II. A., Vorbemerkung zum europäischen Auslieferungsrecht, Rn. 1. Das EuAlÜbk ergänzen das Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 15. Oktober 1975 und das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978, abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, S. 465 ff. Das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen [IRG] enthält für die Bundesrepublik Deutschland die innerstaatliche Ermächtigung zur Auslieferung. 117
E. Der Abwesende
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schen Auslieferungsrecht. An die Stelle des Europäischen Auslieferungsübereinkommens trat gemäß Art. 43 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren ab 1. Juli 2004 der Europäische Haftbefehl.120 Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 18. Juli 2005 die Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 21. Juli 2004121 festgestellt.122 Das Bundesverfassungsgericht hat dabei ausgesprochen, dass der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie hinaus dafür Sorge zu tragen gehabt hätte, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Absatz 2 GG schonend erfolgt.123 Für die Bundesrepublik Deutschland existieren im Übrigen zahlreiche bilaterale Übereinkommen.124
4. Erscheint die Gestellung des Beschuldigten angemessen? Die Feststellung, die zwangsweise Gestellung sei unangemessen im Sinne des § 276 [3. Alt.] StPO, ist nur dann möglich, wenn hinreichend feststeht, der Beschuldigte werde der Ladung nicht freiwillig nachkommen;125 denn nur dann ist eine Entscheidung über eine Einlieferung des Beschuldigten zu treffen. Ob eine Gestellung unangemessen erscheint, entscheidet das Gericht. Nr. 88 der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten bestimmt, wann die zuständige deutsche Behörde ein Auslieferungsersuchen anregt. Die Vorschriften der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten gelten gemäß deren Nr. 1 Absatz 1 für Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Behör120
ABl. L 190 vom 18. Juli 2002. BGBl. 2004 I S. 1748. 122 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/04. Dazu sogleich sub § 1 H. V. 8. 123 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/04. Die Bundesrepublik Deutschland hatte einen Vorbehalt nach Art. 7 Absatz 2 EU-AuslÜbk erklärt (vgl. Bekanntmachung vom 24.6.1999, BGBl. 1999 II S. 707), der die Auslieferung eigener Staatsangehöriger wegen Art. 16 Absatz 2 Satz 1 GG ablehnt. Ein solcher Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland besteht auch zu Art. 6 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens [EuAlÜbk]. Art. 16 Absatz 2 Satz 1 GG untersagt die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger. Nach Art. 16 Absatz 2 Satz 2 GG kann die Bundesrepublik Deutschland nunmehr eine Pflicht zur Auslieferung eigener Staatsangehöriger an einen internationalen Strafgerichtshof aufgrund des 1998 unterzeichneten Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs treffen und zukünftig kann der einfache Gesetzgeber eine Ausnahme vom Auslieferungsverbot an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorsehen (vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. November 2000, BGBl. 2000 I S. 1633). Vgl. dazu Böse in: Gleß, Auslieferungsrecht, S. 109 (148 ff.). 124 Solche bilateralen Abkommen bestehen beispielsweise mit Australien (BGBl. 1990 II S. 111, 716), Kanada (BGBl. 1979 II S. 665, 1049) und den Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl. 1980 II S. 646, 1300 und BGBl. 1988 II S. 1087). 125 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 9. 121
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den. Die Anregung eines Auslieferungsersuchens obliegt dabei – anders als das innerstaatliche Ersuchen um Rechtshilfe126 – nicht nur dem Gericht, sondern auch der Staatsanwaltschaft. Daher hat das Gericht regelmäßig seine Entscheidung mit der Staatsanwaltschaft abzustimmen, da diese, wenn sie die Gestellung als angemessen erachtet, die Einlieferung und nicht das Abwesenheitsverfahren127 – bzw. in geeigneten Fällen das Verfahren gegen einen Ausgebliebenen – betreiben wird.128 Nr. 88 Absatz 1 c) RiVASt ist auch für den Begriff der Unangemessenheit maßgebend. Sie sieht vor, dass das Gericht als zuständige deutsche Behörde dann bei der obersten Justizbehörde ein Ersuchen um Auslieferung anregt, wenn „die mit der Auslieferung für den Verfolgten verbundenen Nachteile, insbesondere die Dauer des Auslieferungsverfahrens und die Haftverhältnisse im ausländischen Staat zu dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung oder Vollstreckung nicht außer Verhältnis stehen“.
Für die Abwägung relevant sind auch mit der Erstellung der Auslieferungsunterlagen verbundene Schwierigkeiten und die durch die Erstellung der Unterlagen und den Vollzug der Auslieferung vermutlich entstehenden Kosten. Berücksichtigung finden also sowohl die Interessen des Beschuldigten als auch die Interessen des Staates.129 Gerade in diesem Bereich muss eine Prognoseentscheidung der Regelfall sein. Es bedarf also keines fehlgeschlagenen Auslieferungsersuchens. Dies intendiert bereits der Wortlaut des § 276 [3. Var.] StPO („erscheint“). Insbesondere bei geringer Bedeutung der Sache sollen weder der Verfolgte, noch die Staatskasse unnötig belastet werden. Nur so kann dem in § 276 [3. Var.] StPO zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsprinzip adäquat Rechnung getragen werden. Eine Anregung eines Auslieferungsersuchens kann kaum ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wenn beispielsweise bei geringer Bedeutung der Sache die Auslieferung einen hohen Aufwand erfordert oder dem Verfolgten Haft – wenn auch nur wenige Tage – unter unzumutbaren Bedingungen droht. Angesichts zahlreicher Statistiken, Erfahrungsberichte und fundierter Untersuchungen über ausländische Strafsysteme, Haftbedingungen etc. sollte dem 126 RGSt 46, 175 [177]: „Denn soweit die Befugnis des Richters reicht, eine auf die Erledigung der Rechtssache hinzielende eigene Amtstätigkeit zu entfalten, ebensoweit muss er grundsätzlich auch für befugt angesehen werden, die Rechtshilfe auswärtiger Gerichte in Anspruch zu nehmen.“ Vgl. auch Meyer-Goßner, § 156 Rn. 1. 127 Als Beweissicherungsverfahren. 128 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 11. Vgl. auch Nr. 88 Absatz 1 RiVASt. 129 Die deutschen Kostenvorschriften für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland sind in der Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung (JVKostO) enthalten (vgl. § 82 IRG).
E. Der Abwesende
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Gericht heutzutage eine zutreffende Prognose im Einzelfall hinsichtlich der Angemessenheit eines Auslieferungsersuchens möglich sein.130 5. Der Aufenthalt ist unbekannt Nach dem Ausgeführten ist es also nicht verwunderlich, dass der Beschuldigte, dessen Aufenthalt unbekannt ist, demjenigen, der sich im Ausland aufhält und dessen Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint, gleichgestellt ist. Auch in diesem Fall ist – gleichgültig, ob dieser sich im Inland oder im Ausland aufhält – ein physisches Einwirken auf den Beschuldigten nicht möglich. Entsprechend dem Sinn und Zweck des § 276 StPO ist hierbei nicht nur entscheidend, ob der Aufenthalt des Beschuldigten dem Gericht und den Ermittlungsbehörden tatsächlich bekannt ist, sondern auch, ob der Aufenthaltsort mit einem der Bedeutung der Sache angemessenen Aufwand ermittelt werden kann,131 so wenn beispielsweise bei einer Sache mit geringer Bedeutung von dem Land, in dem die Behörden den Beschuldigte vermuten, Rechtshilfe nur mit großem Aufwand zu erreichen ist. 6. Kritik an der Vorschrift des § 276 StPO Anfängliche Kritik an der Regelung des Begriffes der „Abwesenheit“ ist zwischenzeitlich verstummt. Die hier vorgenommene Eingrenzung der Regelung des § 276 StPO mag aber über deren tatsächliche Schwächen nicht hinwegzutäuschen. Die Frage bleibt, wann der Richter in der Praxis tatsächlich davon ausgehen muss, der Beschuldigte sei abwesend, wenn sein Aufenthalt bekannt ist. Die Vorschrift des § 276 StPO fordert zwar einerseits für die Feststellung der Abwesenheit des Beschuldigten die Unausführbarkeit der Gestellung, die folgenden Vorschriften beschäftigen sich aber durchgehend damit, wie eine Gestellung des Beschuldigten doch noch erfolgen könne. Übersichtlicher wäre es, dem frühzeitig von Löwe gemachten Vorschlag zu folgen und als Abwesenden denjenigen anzusehen, dessen Aufenthalt unbekannt ist oder der sich im Ausland aufhält und für den im Ausland befindlichen Beschuldigten sodann nach den möglichen Mitteln der Gestellung zu differenzieren.132 Ein Abweichen von dem Erfordernis, zunächst festzustellen, ob ein Beschuldigter einer Ladung freiwillig folgen werde, erscheint nicht sinnvoll, auch wenn dies häufig zu einem überflüssigen Ansetzen eines Termins für 130 131 132
Vgl. KK-StPO/Engelhardt, § 276 Rn. 7 f.; SK-StPO/Schlüchter, § 276 Rn. 9. Statt vieler Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 276 Rn. 4. Löwe, RStPO, 2. Aufl., Anm. 3 a. zu § 318 RStPO.
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eine nur in Ausnahmefällen zulässige Hauptverhandlung führen wird133 statt einer Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nur zum Zwecke der Beweissicherung nach §§ 285 ff. StPO und einer vorläufigen Einstellung des Verfahrens nach § 205 StPO.134 Dem steht das Strafverfolgungsinteresse des Staates entgegen. Da es als ausreichend anzusehen ist, wenn das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft im Vorfeld eine Anfrage an den Beschuldigten richtet, ob er freiwillig erscheinen werde, und nicht förmliche Ladung erfolgen muss, ist hier das Verfahren weitgehend entzerrt. Die nach § 163 a Absatz 1 Satz 1 StPO obligatorische Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren – es sei denn die Sache ist einstellungsreif – setzt ohnehin zumindest eine Kontaktaufnahme zu dem Beschuldigten vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens voraus.135 Im Übrigen führt die Ausgestaltung des § 276 StPO als Fiktion immer mehr zur Vagheit und Abhängigkeit des Begriffes Abwesenheit von zu vielen Unabwägbarkeiten. Die Vielzahl nunmehr bestehender Auslieferungsabkommen – seit der Kodifikation in der Reichsstrafprozessordnung sind immerhin mehr als 120 Jahre vergangen – ist dazu angetan, die unverändert fortbestehende Bestimmung des Abwesenden eher zu komplizieren, da für den, dessen Aufenthalt im Ausland bekannt ist, eine Auslieferung immer wahrscheinlicher wird.136 Es muss also in der Mehrzahl der Fälle genau untersucht werden, ob eine Gestellung tatsächlich ausführbar erscheint. Diese Entscheidung obliegt letztlich dem Gericht. Fraglich ist, ob ein Gericht dies überhaupt noch zu leisten vermag und ob nicht eine allzu unterschiedliche Einschätzung von Gericht zu Gericht droht. Zu denken wäre also – trotz des damit verbundenen höheren Verwaltungsaufwandes – an eine zwingende Anfrage bei der für das Auslieferungsersuchen zuständige Stelle verbunden mit einer Festlegung von Ausnahmen für Sachen von geringer Bedeutung oder umgekehrt eine zwingende Anfrage für Strafverfahren mit besonderer Bedeutung. Eine sonst drohende deutliche Ungleichbehandlung des sich im Inland aufhaltenden Beschuldigten und des sich im Ausland aufhaltenden Ver133
Dazu bereits § 1 E. III. Vgl. dazu BGHSt 37, 145 (146). 135 Strittig ist, ob bei unterbliebener Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren der Mangel durch die Aufforderung zur Erklärung nach § 201 StPO geheilt wird. Bejahend Löwe/Rosenberg/Rieß, § 163 a Rn. 1; Meyer-Goßner, § 163 a Rn. 1; a. A. Wagner, ZStW 109 (1997), 545 (577). 136 In Fragen der Auslieferung mögen aber auch immer wieder poitische Erwägungen eine Rolle spielen, so die Frage nach der Auslieferung des mutmaßlich an der Planung der Terroranschläge vom 11. September 2001 beteiligten Ramzi Binalshibh, auf dessen Auslieferung Deutschland verzichtete. „Wenn – wie es den Anschein hat – die USA die Auslieferung verlangen, hat das für uns Vorrang“, so Bundesinnenminister Otto Schily (Quelle: http://www.ftd.de/pw/in/1032093197598. html). 134
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folgten – sei es, dass er sich durch Flucht entzogen hat, sei es, dass er dort tatsächlich seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat – kann in dem zu erwartenden Ausmaße nicht hingenommen werden. Besteht aber die Möglichkeit einer Auslieferung, so gebietet es das Legalitätsprinzip bei bestehendem Tatverdacht ohnehin, einen entsprechenden Antrag zu stellen.
F. Vorgehen gegen einen abwesenden Beschuldigten ohne vorherige Gestellung I. Vorbemerkung Ist die Abwesenheit des Beschuldigten festgestellt, so kann in Ausnahmefällen bei Strafsachen von geringer Bedeutung dennoch gegen den Beschuldigten vorgegangen werden, ohne dass es der besonderen Gestellungsmittel der §§ 276 ff. StPO bedürfte. Hier handelt es sich regelmäßig um Bagatellsachen. Das sichere Geleit kommt ohnehin nur in Betracht, wenn ein Haftbefehl ergehen kann. II. Haftbefehl auch bei Sachen von geringer Bedeutung Die Untersuchungshaft darf gemäß § 112 Absatz 1 Satz 2 StPO zwar nur dann angeordnet werden, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist, sie also zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht außer Verhältnis steht. Aus § 113 Absatz 2 StPO folgt für die Rechtsfolgenerwartung, dass die Anordnung der Untersuchungshaft auch bei Bagatellsachen unter den dort genannten Voraussetzungen möglich ist. Für den Abwesenden im Sinne von § 276 StPO wird dabei regelmäßig entweder der Fall der Nr. 1 vorliegen, nämlich dass der Beschuldigte sich dem Verfahren bereits einmal entzogen hatte, bzw. der Nr. 2, nämlich dass er im Geltungsbereich der Strafprozessordnung keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat. Hat der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland und ist nur eine geringe Strafe zu erwarten, so wird das Gericht bei Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens regelmäßig zu dem Ergebnis gelangen, dass die nur in streng begrenzten Ausnahmefällen137 anzuordnende Untersuchungshaft unverhältnismäßig ist, da hier der Freiheitsanspruch des Beschuldigten, zu dessen Gunsten die Unschuldsvermutung wirkt, das Interesse, ihn zur Sicherung einer wirksamen Strafverfolgung vorläufig in Haft zu nehmen, überwiegt.138 137
Meyer-Goßner, Vor § 112 Rn. 2.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
III. Möglichkeit der Abwesenheitsverhandlung bei Strafsachen von geringer Bedeutung Allein aufgrund der Möglichkeit, einen Haftbefehl auch bei Straftaten mit geringer Strafandrohung zu erlassen, ist die Möglichkeit einer Abwesenheitsverhandlung im Rahmen der Untersuchung sicheren Geleits von Bedeutung. 1. Möglichkeit der Ladung des abwesenden Angeklagten? Unabdingbare Voraussetzung einer Abwesenheitsverhandlung nach § 232 StPO ist die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten. Der im Ausland befindliche Angeklagte, dessen Aufenthalt bekannt ist, kann geladen werden. Für die Zustellung im Ausland sind die einschlägigen staatsvertraglichen Bestimmungen zu beachten.139 Erscheint die Befolgung der für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften unausführbar oder voraussichtlich zwecklos, so eröffnet § 40 StPO die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung.140 Dass eine Ladung zur Hauptverhandlung im Wege der öffentlichen Zustellung in der Ersten Instanz möglich ist, ergibt sich auch aus § 232 Absatz 2 StPO, der eine Hauptverhandlung ohne den Angeklagten auf Grund einer Ladung durch öffentliche Bekanntmachung untersagt und somit ihre Zulässigkeit zwingend voraussetzt.141 Ein Angeklagter, dessen Aufenthalt unbekannt ist, kann zunächst nach § 288 StPO in öffentlichen Blättern aufgefordert werden, vor Gericht zu erscheinen oder eine ladungsfähige Anschrift anzugeben. Diese sog. Aufforderung zum Erscheinen ist weder Ladung noch öffentliche Zustellung nach § 40 StPO, entfaltet somit keine Rechtsfolgen.142 Die Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung kann dann, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten unbekannt ist, weder in der für das Inland vorgeschriebenen Weise bewirkt werden, noch ist sie unter Befolgung der für Zustellungen im Ausland beste138
Vgl. dazu BVerfGE 19, 342 (347 f.); 20, 45 (49); 53, 152 (158). OLG Düsseldorf VRS 1997, 139 (141). 140 Schmid, MDR 1978, 96 (97). 141 Eine andere Frage ist die Zweckmäßigkeit einer solchen öffentlichen Ladung zur Hauptverhandlung in der Ersten Instanz: „Für die Fälle des § 232 I 1 StPO bestimmt bereits § 232 II StPO, dass dies nicht möglich ist. Eine öffentliche Ladung ist zwar zulässig, aber nicht verfahrensfördernd und somit unzweckmäßig“ (Schmid, MDR 1978, 97). Strittig ist hingegen, ob bei nach § 40 StPO erfolgter Ladung eine Berufung nach § 329 Absatz 1 StPO bei Nichterscheinen des Angeklagten verworfen werden kann (bejahend RGSt 65, 417 [418]; 66, 76 [79]; KG NJW 1969, 475; OLG Stuttgart Justiz 1982, 274; Meyer, JR 1978, 393; Schmid, MDR 1978, 97 f.; ablehnend OLG Frankfurt JR 1978, 392). 142 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, §§ 286 bis 288 Rn. 12; KMR/Haizmann, § 288 Rn. 2. 139
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henden Vorschriften möglich.143 Somit ist der unbekannte Aufenthalt des Beschuldigten der Hauptanwendungsfall des § 40 StPO mit der Folge, dass in diesem Fall eine Abwesenheitsverhandlung ausgeschlossen ist.144 Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs muss dem Angeklagten durch entsprechenden Hinweis auf die Zulässigkeit einer Abwesenheitsverhandlung, ermöglicht werden, seine Rechte wahrzunehmen.145 Dieser Hinweis ist unabdingbare Voraussetzung einer Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten.146 Somit kann der Argumentation von Haizmann, der eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 232 StPO auch auf den abwesenden Angeklagten mit der Begründung ablehnt, zumindest bei unbekanntem Aufenthalt des Angeklagten sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör als tragendes Element des rechtsstaatlichen Verfahrens nicht ausreichend gesichert, nicht zugestimmt werden.147 Haizmann führt zwar zu Recht an, dass der Angeklagte sein Recht auf Gehör nur dann wahrnehmen kann, wenn er von der Ladung und dem Termin zur Hauptverhandlung Kenntnis hat, was bei einem Angeklagten mit unbekanntem Aufenthalt nicht gewährleistet ist,148 übersieht jedoch die Vorschrift des § 232 Absatz 2 StPO, der bei einem Angeklagten mit zum Zeitpunkt der Ladung unbekanntem Aufenthaltsort einer Abwesenheitsverhandlung nach § 232 StPO zwingend entgegensteht. 2. Anwendbarkeit der §§ 232, 231 Absatz 2 und 233 StPO auf den Abwesenden? Während der Wortlaut des § 232 StPO die Möglichkeit der Abwesenheitsverhandlung auch gegen den im Sinne des § 276 StPO Abwesenden eröffnet, widerspricht dem die Gesetzessystematik. Die §§ 276 ff. StPO stellen als leges speciales gegenüber den allgemeinen Vorschriften über das Verfahren des ersten Rechtszugs eine abschließende Regelung dar und 143
Löwe/Rosenberg/Wendisch, § 40 Rn. 5. Meyer-Goßner, § 40 Rn. 3. Das Gericht muss jedoch mit allen ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Mitteln versucht haben, den Aufenthaltsort des Beschuldigten zu ermitteln (Meyer-Goßner, § 40 Rn. 4 mit zahlreichen Nachw.). 145 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 232 Rn. 6. 146 Küper, GA 1971, 289 (296 ff.). Das OLG Hamm bezeichnet den Hinweis nach § 232 Absatz 1 StPO als condicio sine qua non, die nicht anderweitig ersetzbar sei (vgl. NJW 1954, 1131). 147 KMR/Haizmann, § 285 Rn. 9. 148 Das RG hat hierzu ausgeführt: „. . . die kategorische Form der Vorschrift aber nötigt zu der Folgerung, dass der Gesetzgeber in dem Hinweise in der Ladung auch das allein geeignete Mittel zur Erreichung jenes Zweckes und damit zur Wahrung der Interessen des Angeklagten erblickt hat“ (RGSt 27, 381). 144
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schließen in § 285 StPO die Hauptverhandlung gegen den Abwesenden ausdrücklich aus. Mit Abschaffung der Übertretungstatbestände in der Strafprozessordnung hat der Gesetzgeber die §§ 277 bis 284 StPO, die die Hauptverhandlung gegen Abwesende regelten, als überflüssig ersatzlos gestrichen, jedoch keine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 232 StPO auch auf den Fall der Abwesenheit nach § 276 StPO vorgenommen, obwohl eine Änderung dieser Vorschrift ebenfalls mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 erfolgte. Der Gesetzgeber nennt in der Begründung zum Entwurf nach wie vor lediglich den Fall des Ausbleibens des Angeklagten, während er eine Verbindung zwischen § 232 StPO und § 276 StPO herzustellen unterließ.149 Damit blieb die strikte Trennung zwischen dem Verfahren gegen Abwesende und dem Verfahren gegen Ausgebliebene erhalten.150 Die herrschende Meinung geht nunmehr jedoch zutreffend davon aus, dass – nach Abschaffung der ursprünglich in den §§ 277 bis 284 StPO geregelten Hauptverhandlung gegen Abwesende – eine Anwendung des § 232 StPO auch auf den Abwesenden nicht mehr ausgeschlossen werden darf.151 So könne es nicht Sinn und Zweck der Regelungen des Siebten Abschnitts des Zweiten Buches der StPO sein, einen flüchtig gewordenen Angeklagten insoweit besser zu stellen als einen, dessen Aufenthalt im Inland bekannt ist.152 Allein die Abschaffung der Hauptverhandlung gegen Abwesende nach §§ 277 ff. StPO kann – nicht zuletzt angesichts der bewussten Begünstigung des Abwesenden gegenüber dem Ausgebliebenen durch den Gesetzgeber153 – als Begründung für die Notwendigkeit der Anwendung des § 232 StPO auch auf den Abwesenden somit nicht ausreichen.154 Insbesondere die 149
Vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 301 f. Die so getroffene Unterscheidung nach der Höhe der zu erwartenden Strafe war der unterschiedlichen Interessenlage geschuldet. 151 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 285 Rn. 1; KKStPO/Engelhardt, § 285 Rn. 3, jedenfalls dann, wenn die Abwesenheit des Angeklagten erst zwischen Ladung und Hauptverhandlung beginnt; AK-StPO/Achenbach, § 285 Rn. 2; HK-StPO/Julius, § 285 Rn. 1; Oppe, ZRP 1972, 56 (57). A.A. KMR/ Haizmann, § 285 Rn. 9 und die früher h. M., z. B. BGH NJW 1975, 472; LG Verden NJW 1974, 2194 (2195); Kaiser, NJW 1964, 1553 (1554); Oppe, NJW 1966, 2237 (2239); Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor 407 Rn. 45. 152 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 2; KK-StPO/Engelhardt, § 285 Rn. 3. 153 Löwe, RStPO, 2. Aufl., § 319 Anm. 2, § 231 Anm. 1. Gegen den Ausgebliebenen konnte hingegen bei Übertretungen und bei den meisten Vergehensarten die Hauptverhandlung gemäß § 231 RStPO stattfinden. 154 Der Enwurf der Reichsstrafprozessordnung schloss eine Hauptverhandlung gegen Abwesende anders als gegen den Ausgebliebenen gänzlich aus. Eine Aufnahme der Hauptverhandlung gegen Abwesende in die Reichsstrafprozessordnung in äußerst 150
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Regelung des § 236 StPO zeigt, dass § 232 StPO auf denjenigen Angeklagten zugeschnitten ist, dessen Aufenthalt im Inland bekannt ist, dessen Gestellung durch Zwangsmittel folglich möglich ist: „Außerdem geht diese Vorschrift [§ 232 StPO], wie u. a. ihr Zusammenhang mit § 236 StPO deutlich macht, davon aus, dass der Angeklagte sich im Machtbereich der inländischen Gerichtsbarkeit befindet. Hält er sich im Ausland auf und erscheint seine Gestellung vor das deutsche Gericht nicht ausführbar“ . . . „so gelten die besonderen Vorschriften der §§ 276 ff. StPO, wie insbesondere auch aus § 285 Abs. 1 StPO folgt.“155
In Zukunft wird aber das Argument des Gesetzgebers der Reichsstrafprozessordnung für eine Unterscheidung zwischen dem Ausgebliebenen und dem Abwesenden, eine Hauptverhandlung gegen einen Abwesenden sei mangels Möglichkeit zur Vollstreckung der Strafe regelmäßig erfolglos, weiter an Bedeutung verlieren; denn die Vollstreckungshilfe als neuere Form der Rechtshilfe hat eine – wenn auch noch zögerliche – Entwicklung aufgenommen. Darüber hinaus ist nunmehr eine ordnungsgemäße Ladung nach §§ 216, 217 StPO im Wege der internationalen Rechtshilfe regelmäßig möglich. Die Frage der Gestellung wird erst dann relevant, wenn das Gericht die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung für die Erforschung der Wahrheit für sachdienlich hält und daher sein persönliches Erscheinen nach § 236 StPO anordnen will. Die Notwendigkeit der positiven Feststellung der Abwesenheit des Beschuldigten im Vorfeld erscheint bei Strafsachen von geringer Bedeutung wenig sachgerecht und als unzumutbare Belastung des Gerichts. Bedenken begegnet insofern, dass im Falle des § 232 StPO – anders als bei § 233 StPO – die richterliche Vernehmung keine Voraussetzung für die Abwesenheitsverhandlung ist.156 § 232 Absatz 3 StPO gebietet lediglich, dass eine vorliegende Niederschrift über eine richterliche Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung verlesen werden muss. Der Richter kann jedoch in geeigneten Fällen rechtzeitig die Vernehmung des Angeklagten durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen und damit der Wahrheitsermittlungspflicht Genüge tun,157 es sei denn wegen der Wichtigkeit des persönlichen Eindrucks kommt nur eine Vernehmung in Gegenwart aller Tatrichter in Betracht.158 Dies hat das Gericht sorgfältig zu restriktiver Form erfolgte unter dem Druck, den Abwesenden – in der Regel als Flüchtigen – nicht allzu sehr begünstigen zu wollen. Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 239. 155 Vgl. BGH NJW 1957, 472. 156 BayOblGSt 74, 35; OLG Schleswig SchlHA 1956, Teil A, 298 (299); MeyerGoßner, § 232 Rn. 15; KK-StPO/Tolksdorf, § 232 Rn. 10. 157 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 232 Rn. 20. 158 BGH, Urt. vom 23. Juni 1981 – 5 StR 164/81 bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1983, 211; BGH NJW 1983, 527; Schomburg/Lagodny, Vor § 68 Rn. 32 f.
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prüfen.159 Dem Beschuldigten sollte aber trotz der Hinweispflicht des § 232 Absatz 1 StPO jedenfalls Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben werden, um zu verhindern, dass er ungehört verurteilt wird. Nun ist das Abwesenheitsverfahren nicht mit dem Säumnisverfahren des Zivilprozessrechts vergleichbar. Die Anforderungen unter denen eine solche Abwesenheitsverhandlung zu Ende geführt werden darf, sind streng. Ist im Interesse der Wahrheitserforschung oder auch nur zur Klärung von Strafzumessungsfragen eine Erörterung der Sache mit den Angeklagten geboten, so ist die Hauptverhandlung abzubrechen.160 Die Hauptverhandlung kann nur in gänzlicher Abwesenheit des Angeklagten stattfinden, wenn dieser schuldhaft nicht erscheint.161 Dann besteht Anlass zu der Annahme, der Angeklagte versuche, sich der Strafverfolgung zu entziehen.162 Eine Differenzierung zwischen dem Abwesenden und dem Ausgebliebenen ist im Rahmen des § 232 StPO somit nicht sachgerecht.163 Dies gilt umso mehr für die Anwendbarkeit des § 231 Absatz 2 StPO auf den Abwesenden. Bei dem Angeklagten, der Gelegenheit hatte, sich hinreichend zu verteidigen, was durch das Erfordernis der Vernehmung zur Sache gewährleistet ist, kann nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht danach differenziert werden, ob dieser sich anschließend ins Ausland begibt, seinen Aufenthaltsort verschleiert oder im Inland verbleibt.164 § 233 StPO dient demgegenüber lediglich dem Schutz des Angeklagten. Ihm sollen in Fällen von geringer Bedeutung unzumutbare Belastungen erspart werden.165 Er ist gemäß § 233 Absatz 2 Satz 1 StPO durch einen beauftragten oder ersuchten Richter über die Anklage zu vernehmen. Eine Anwendung des § 233 StPO auch auf den Abwesenden ist somit ebenfalls zu bejahen.
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BGH NJW 1983, 527; JR 1984, 129 (für den Zeugen). Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 232 Rn. 30; Schmidt, Lehrkommentar StPO, § 232 Rn. 13; KK-StPO/Tolksdorf, § 232 Rn. 16; Meyer-Goßner, § 232 Rn. 20; KKStPO/Schlüchter, § 232 Rn. 35. 161 OLG Karlsruhe NStZ 1990, 505; OLG Frankfurt NJW 1952, 1107. 162 BGHSt 11, 152 (156); Eisenberg, S. 306. 163 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Fälle, in denen eine Verhandlung gegen den Ausgebliebenen zulässig ist, deutlich eingeschränkt. Hinzuweisen ist im Übrigen darauf, dass sich der Abwesende gegebenenfalls gemäß § 234 StPO durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen kann. 164 KK-StPO/Engelhardt, § 285 Rn. 4; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 2; SK-StPO/Schlüchter, § 285 Rn. 2; Meyer-Goßner, § 285 Rn. 1. Maßgeblich ist das Selbstverschulden des Angeklagten, vgl. dazu BGHSt 27, 216. 165 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 233 Rn. 1. Vgl. auch Hahn, Mot. RStPO, S. 188. 160
F. Vorgehen gegen einen abwesenden Beschuldigten
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3. Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits im Rahmen der Abwesenheitsverhandlung Die Erteilung sicheren Geleits im Rahmen der zulässigen Abwesenheitsverhandlung ist naturgemäß von nur geringer Relevanz. Nur wenn das Gericht im Rahmen einer zulässigen Abwesenheitsverhandlung nach § 232 StPO eine Erörterung mit dem Angeklagten aufgrund seiner Sachverhaltsaufklärungspflicht für erforderlich hält, ordnet es pflichtgemäß nach § 236 StPO dessen persönliche Erscheinen an und setzt es gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durch. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist nun die Abwesenheit des Angeklagten festzustellen. Sodann ist für den Angeklagten, der sich nicht im Bereich der richterlichen Gewalt befindet, zu entscheiden, ob das Gericht ihm sicheres Geleit gemäß § 295 erteilt, um damit die Fortsetzung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Nach § 289 StPO ist anderenfalls eine noch erforderliche Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter durchzuführen.166 IV. Der Strafbefehl gegen einen Abwesenden Regelmäßig wird in Fällen, in denen ein Strafbefehl in Betracht kommt, ein Haftbefehl nicht erlassen; denn gemäß § 407 Absatz 2 Satz 2 StPO darf nur dann Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte einen Verteidiger hat und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Für den abwesenden Angeschuldigten ist aber ohnehin zweifelhaft, ob ein Strafbefehl überhaupt erlassen werden kann und soll. Gemäß § 35 Absatz 2 StPO ist der Strafbefehl förmlich zuzustellen, da durch die Zustellung gemäß § 409 Absatz 1 Nr. 7, § 410 StPO die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt wird (§ 35 Absatz 2 Satz 2 StPO). Die Zustellung erfolgt dabei an den Angeklagten oder gemäß § 145 a StPO für diesen an dessen Verteidiger oder – für den Abwesenden – gemäß § 116 a Absatz 3, § 127 a Absatz 2, § 132 Absatz 1 Nr. 2 StPO an einen Zustellungsbevollmächtigten. Nr. 175 Absatz 2 RiStBV bestimmt nun: „Der Erlass eines Strafbefehls soll nur beantragt werden, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten bekannt ist, so dass in der regelmäßigen Form zugestellt werden kann. Sonst ist das Verfahren vorläufig einzustellen oder, wenn sich die Abwesenheit des Beschuldigten erst nach dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls herausgestellt hat, die vorläufige Einstellung des Verfahrens (§ 205 StPO) zu beantragen.“167 166 Demgegenüber führt vor Eröffnung der Hauptverhandlung das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, das erforderliche Beweissicherungsverfahren durch, es sei denn die Staatsanwaltschaft nimmt die Anklage zurück – was ihr in diesem Stadium des Verfahrens noch möglich ist. Vgl. dazu Meyer-Goßner, § 285 Rn. 2.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Während Satz 1 bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft nur bei unbekanntem Aufenthalt des Beschuldigten von einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls absehen soll, spricht Satz 2 von der Abwesenheit des Beschuldigten, schließt also seinem Wortlaut nach auch die Fälle ein, in denen sich dieser bei bekanntem Aufenthalt außerhalb des Bereiches der richterlichen Gewalt befindet. Weitgehend sieht die Literatur den Erlass eines Strafbefehls gegen einen Abwesenden im Sinne des § 276 StPO auch als ausgeschlossen an.168 Für den Abwesenden, dessen Aufenthalt unbekannt ist, ist dies auch folgerichtig, da eine Zustellung nur im Wege der öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 40 StPO erfolgen könnte.169 167
Vgl. dazu auch Schmid, MDR 1978, 96 (98). Meyer-Goßner, § 407 Rn. 4; Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor § 407 Rn. 46. 169 OLG Düsseldorf NJW 1997, 2965 (2966); LG Köln MDR 1982, 601 unter Hinweis auch auf die strengen Anforderungen im Abwesenheitsverfahren nach § 232 StPO in Bagatellsachen, namentlich § 232 Absätze 2, 4 StPO. Der Gegenmeinung vertreten durch das LG München I (MDR 1981, 71 [71 f.]), die die öffentliche Zustellung eines Strafbefehls gegen den Beschuldigten jedenfalls dann als zulässig ansieht, wenn bereits eine Vernehmung des Beschuldigten stattgefunden hat, kann nicht gefolgt werden. Das LG München I führt aus, dass der Erlass eines Haftbefehls als einzige geeignete Alternative zum Strafbefehl, will die Verfolgungsbehörde ihrem Strafverfolgungsanspruch gerecht werden, noch gravierendere Grundrechte in Mitleidenschaft ziehen würde als das Recht auf Gehör, namentlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen und das Grundrecht der Freiheit der Person. Der Erlass eines Haftbefehls muss hier nicht gemäß § 112 Absatz 1 Satz 2 StPO am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern (vgl. insbesondere § 113 Absatz 2 Nr. 2 StPO). Der Richter wird jedoch regelmäßig davon absehen und das Verfahren einstellen (Nr. 175 RiStBV). Dogmatisch spricht aber tatsächlich nichts gegen eine öffentliche Zustellung auch im Strafbefehlsverfahren; insbesondere fehlt eine dem § 232 Absatz 2 StPO vergleichbare Vorschrift, die die Zustellung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung tatsächlich ausschließt (BGH NJW 1959, 1741). Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Rechtskraft ohne Anhörung vor dem zuständigen Richter auch bei derart geringen Strafen (§ 407 Absatz 2 StPO) ist aber mit Rechtsstaatsgesichtspunkten nicht zu vereinbaren. Der Bundesgerichtshof (NJW 1959, 1741) hatte mit guten Argumenten die nach § 182 ZPO vollzogene Mitteilung an den Beschuldigten über die Niederlegung einer gerichtlichen Strafverfügung als rechtlich beachtliche Zustellung im Sinne des § 413 Absatz 5 StPO a. F. i. V. m. § 409 Absatz 1 StPO a. F. (Strafverfügung) angesehen, da der Beschuldigte aufgrund der Vernehmung im Ermittlungsverfahren nicht von der Strafverfügung überrascht sei und ihm daher zuzumuten sei, Vorkehrungen für den Fall seiner Abwesenheit zu treffen. In dem entschiedenen Fall war der Beschuldigte aber nicht abwesend im Sinne des § 276 StPO. Das LG München I, das sich auf diese Entscheidung beruft, übersieht auch, dass der Bundesgerichtshof ausdrücklich davon ausgeht, dass „in den Fällen, in denen der Zustellungsbeamte nach § 182 ZPO verfährt, nur selten die Abholung des auf der Post niedergelegten Schriftstücks unterbleibt“, er also diesen qualitativen Unterschied zur Zustellung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung besonders hervorhebt. Im Übrigen wollte der Bundesgerichtshof die Ausweitung des 168
F. Vorgehen gegen einen abwesenden Beschuldigten
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Für den im Ausland befindlichen Beschuldigten, dessen Aufenthalt bekannt ist gilt Folgendes: Soweit der Beschuldigte einen Zustellungsbevollmächtigten170 hat, kann das Gericht einen Strafbefehl ohne Bedenken erlassen.171 Ist dies nicht der Fall, so soll ein Strafbefehl nur dann erlassen werden, wenn er dem Beschuldigten tatsächlich zugestellt werden kann.172 Ist es nun aber grundsätzlich möglich, die Abwesenheit im Sinne von § 276 StPO immer dann verneinen, wenn eine Zustellung im Wege der internationalen Rechtshilfe oder an einen Zustellungsbevollmächtigten erfolgen kann?173 Besteht dann tatsächlich immer aufgrund der Möglichkeit, den Beschuldigten zu laden, auch die Möglichkeit, der Geladene werde freiwillig erscheinen? Tatsächlich werden diese Fragen praktisch für den Strafbefehl nur wenig Relevanz erfahren. Auch für das Strafbefehlsverfahren ist die Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren obligatorisch.174 Ist nun eine Vernehmung tatsächlich erfolgt und stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, so wird das Gericht die Abwesenheit des Angeklagten kaum aktiv feststellen, vielmehr wird es angesichts der theoretischen Möglichkeit eines freiwilligen Erscheinens des Beschuldigten aufgrund einer Ladung die Gestellung für ausführbar und damit einen Strafbefehl für zulässig ansehen.175 Anwendungsbereichs der auch von ihm als äußerst unsicher angesehenen öffentlichen Zustellung vermeiden (NJW 1959, 1741 [1742]). 170 Die Strafprozessordnung spricht vom Zustellungsbevollmächtigten in § 116 a Absatz 3, § 127 a Absatz 2, § 132 Absatz 1 Nr. 2 StPO. Für den Verteidiger gilt § 145 a Absatz 1 StPO. Für die Zustellung von Strafbefehlen ist vor allem § 132 StPO relevant. 171 Ausführlich dazu Greßmann, S. 216 ff. 172 Die Zustellung im Ausland richtet sich nach § 37 Absatz 1 StPO i. V. m. § 183 ZPO. Gemäß § 16 KonsG, Nr. 129 Absatz 3 RiVASt können Zustellungen an Deutsche im Ausland durch Auslandsvertretungen in eigener Zuständigkeit vorgenommen werden, soweit dies mit dem Recht des Aufenthaltsstaates vereinbar ist. Gemäß Art. 52 Absatz 1 Satz 1 SDÜ werden auch Strafbefehle unmittelbar durch die Post zugestellt (vgl. Heß, NJW 2001, 15 [20]). Soweit Partnerstaaten des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen das Schengener Durchführungsübereinkommen nicht in Kraft gesetzt haben, richtet sich die Übermittlung von Urkunden nach Art. 7 EuRhÜbk. Danach bewirkt der ersuchte Staat die Zustellung von Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen. 173 Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor 407 Rn. 46. 174 Neben der Vernehmung des Beschuldigten im Inland kommt auch eine Vernehmung im Ausland durch ein Gericht, eine Staatsanwaltschaft oder eine andere Behörde entweder in Anwesenheit deutscher Amtsträger (Karl-Friedrich Nagel, S. 180 ff. unter Hinweis darauf, dass die Anwesenheit deutscher Amtsträger in der Praxis bei Ermittlungshandlungen und Beweisaufnahmen im Ausland in weitem Umfang gestattet wird [S. 189]) oder im Wege der Selbstvornahme in Betracht, was unter Zustimmung des Aufenthaltsstaats keinen völkerrechtlichen Bedenken begegnet (Vogler, ZStW 96 [1984], 531 [545]; vgl. hierzu Nrn. 77, 117 RiVASt und §§ 15, 19 KonsularG).
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Was aber, wenn tatsächlich feststeht, der Beschuldigte würde nicht erscheinen? Muss dann aus rechtsstaatlichen Erwägungen bereits der Erlass eines Strafbefehls unterbleiben, weil bei einem etwaigen Einspruch dieser bei Nichterscheinen des Beschuldigten verworfen werden müsste?176 In einer Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl kann sich der Angeklagte gemäß § 411 Absatz 2 Satz 1 StPO durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Er muss also gar nicht persönlich erscheinen, was für den Angeklagten im Ausland eine große Erleichterung bedeutet. Dennoch mag er seine Weigerung, aktiv am Verfahren teilzunehmen, bereits hinreichend zum Ausdruck gebracht haben. Auch in diesem Fall erscheint es aber sinnvoll, den Strafbefehl einer sofortigen Einstellung vorzuziehen, soweit seine Zustellung möglich ist. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass der Beschuldigte, will er wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, die Strafverhängung des Strafbefehls – wenngleich dessen Vollstreckung nicht möglich ist – akzeptiert. Auch gegen den Abwesenden im Sinne des § 276 erwächst der ihm ordnungsgemäß zugestellte Strafbefehl bei ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung nach Verstreichen der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft. Legt der Beschuldigte jedoch Einspruch ein und erscheint er weder vor Gericht noch lässt er sich vertreten, so wird wie bei demjenigen Beschuldigten, dessen Abwesenheit erst jetzt im Wege des Freibeweises177 festgestellt werden muss, das Verfahren nach § 205 StPO vorläufig eingestellt.178 Einer Differenzierung danach, ob der Beschuldigte tatsächlich abwesend im Sinne des § 276 StPO ist, bedarf es also vor Erlass des Strafbefehls nicht. Nr. 175 Absatz 2 RiStBV sollte also dahingehend verstanden werden, dass der Erlass eines Strafbefehls grundsätzlich auch gegen einen Abwesenden im Sinne des § 276 StPO erfolgen kann, soweit sein Aufenthaltsort bekannt und eine Zustellung möglich ist. Angesichts der erhöhten Mobilität aufgrund der zunehmenden Globalisierung erscheint es erforderlich, die wenigen der Strafverfolgungsbehörde gegen einen abwesenden Beschuldigten zur Verfügung stehenden Mittel aktiv auszuschöpfen. Im Einzelfall müssen die Strafverfolgungsbehörden aber selbst entscheiden, ob der mit einem Einschreiten verbundene Aufwand noch im Verhältnis zu dessen Erfolgsaussichten steht. Hier macht es daher Sinn, dass das Gericht im Vorfeld anfragt, ob der Beschuldigte sich mit einem Strafbefehl abfinden werde.179 Eine solche Prognose kann und soll aber nur bei vorheriger Nachfrage abgegeben werden. 175 176 177 178 179
So auch LG Verden NJW 1974, 2194 (2195); Meyer-Goßner, Vor § 407 Rn. 1. Vgl. dazu KK-StPO/Fischer, § 407 Rn. 35. Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor 407 Rn. 47. KK-StPO/Fischer, § 407 Rn. 35; Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor § 407 Rn. 47. KK-StPO/Fischer, § 407 Rn. 35; Löwe/Rosenberg/Gössel, Vor § 407 Rn. 47.
G. Sinn und Zweck des sicheren Geleits
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G. Sinn und Zweck des sicheren Geleits Für die Frage nach Sinn und Zweck des sicheren Geleits sind im Wesentlichen zwei Aspekte von Bedeutung. Soweit die Verurteilung des Beschuldigten in Abwesenheit ausgeschlossen ist, eröffnet sicheres Geleit die Möglichkeit, die Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten durchzuführen. Andererseits hat der Angeklagte selbst ein eigenes Interesse daran, an einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren persönlich mitzuwirken, zur Berücksichtigung auch entlastenden Materials beizutragen und auf den Abschluss des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens – gegebenenfalls, indem er durch sein Erscheinen eine Hauptverhandlung erst ermöglicht – hinzuwirken. I. Das staatliche Strafverfolgungsinteresse Gegenüber der Beschlagnahme als in seiner Effektivität eher zweifelhaftem Zwangsmittel180 erscheint die Möglichkeit der Erteilung sicheren Ge180 Die Beschlagnahme zielt lediglich auf die Verfügungsbefugnis ab (vgl. § 334 Absatz 1 RStPO: „Mit dem Zeitpunkt der ersten Bekanntmachung in dem Deutschen Reichsanzeiger verliert der Angeschuldigte das Recht, über das in Beschlag genommene Vermögen unter Lebenden zu verfügen.“), nicht aber auf das Eigentum. Sie entbehrt damit den Strafcharakter des römischen Rechts. Die RStPO selbst sieht die Beschlagnahme im Übrigen nur für Straftaten einer gewissen Schwere vor (§ 332 Absatz 2 RStPO). Der Angeklagte wird jedoch gegebenenfalls geneigt sein, seine persönliche Freiheit über sein Vermögen zu stellen. Auch bei geringen Vermögenswerten erscheint die Beschlagnahme wenig erfolgversprechend. Ähnlich Direktor von Forcade de Biair, Protokolle der Kommission. Erste Lesung. in: Hahn, Mot. RStPO, S. 950: „Die Vermögensbeschlagnahme sei eine Maßregel, welche auch im Falle ganz gleicher Strafbarkeit den Reichen anders treffe, als den Armen.“ Im Übrigen herrschte Einigkeit darüber, dass die Rechte von Unterhaltsberechtigten nicht durch die Beschlagnahme berührt werden können, so Hahn, Mot. RStPO, S. 241, 950; des weiteren Abgeordneter von Forcade, Protokolle der Kommission. Zweite Lesung in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1445: „Überdies sei Vermögensbeschlagnahme jetzt kein so wirksames Mittel mehr, wie in früherer Zeit; denn die erleichterte Mobilisierung des Vermögens mache es dem Schuldigen möglich, dasselbe – angelegt in Papieren, Wechseln, Grundschuldbriefen – mit sich über die Grenze zu nehmen und dadurch der Beschlagnahme zu entziehen.“ Grundsätzlichen Bedenken, die gegen die Beschlagnahme geäußert wurden, begegnet zusammenfassend Geh. Oberregierungsrat Hanauer, Protokolle der Kommission. Zweite Lesung in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1449: „Bei Abstandnahme vom Kontumazialverfahren sei der Entwurf genötigt gewesen, gegen denjenigen, welcher sich wider die im öffentlichen Interesse gegebenen Strafgesetze vergangen hat, auch einen entsprechenden Zwang eintreten zu lassen, damit derselbe sich den inländischen Gerichten zur Aburteilung stelle. Als Gestellungsmittel sei die Vermögensbeschlagnahme zugelassen. Was man über ihre Härte und Gewaltsamkeit gesagt habe, erledige sich durch die Erwägung, dass es jeden Augenblick in der Hand des von ihr Betroffenen liegt, zurückzukehren und dadurch die Aufhebung der Beschlagnahme zu bewirken. Es konstatiere sich in dieser
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
leits, wie sie in § 295 StPO geregelt ist, ungleich attraktiver, zumindest dann, wenn der Angeklagte begründete Hoffnung hat, durch sein persönliches Erscheinen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften zu können. Erscheint der Angeklagte auf die Beschlagnahme hin, so können die Strafverfolgungsbehörden die ihnen zur Verfügung gestellten Zwangsmittel anwenden, um den Angeklagten daran zu hindern, sich ihnen erneut zu entziehen. Beim sicheren Geleit ist dies nicht möglich, solange nicht einer der Erlöschensgründe des § 295 Absatz 3 StPO eingetreten ist, insbesondere kein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergangen ist.181 Nach der Strafprozessordnung muss der Angeklagte aber nicht zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch anwesend sein. § 231 Absatz 2 StPO182 stellt die Entscheidung, ob eine Hauptverhandlung gegen einen Angeklagten, der sich nach seiner Vernehmung über die Anklage entfernt hat, in dessen Abwesenheit zu Ende geführt werden kann, in richterliches Ermessen. Es kann also gegen denjenigen, dem sicheres Geleit gewährt wurde, ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergehen, obwohl dieser sich der Vollstreckung durch Entfernen entzogen hat. Der rechtsstaatlich ungemein bedeutsame Unterschied zu der Verurteilung in Abwesenheit liegt somit darin, dass der Verurteilte die Möglichkeit hatte, von den ihm nach der Strafprozessordnung zustehenden Möglichkeiten zu seiner Verteidigung Gebrauch zu machen und sich mündlich vor Gericht Gehör zu verschaffen. Was aber kann – abgesehen natürlich von dem Falle des durchaus möglichen, aber ungewissen späteren Ergreifens – das Interesse an der Durchführung eines solchen Verfahrens sein? Der Staat hat sowohl den Anspruch auf Verhängung einer Maßnahme als auch einen Strafanspruch, den es im Wege der Vollstreckung der verhängten Hinsicht in Übereinstimmung mit den übrigen anwesenden Regierungsvertretern, dass, nachdem der Absicht des Entwurfs gemäß die Beschlagnahme cessiere, sobald die Gründe, auf denen sie beruhe, fortgefallen seien, auch das Aufhören der Abwesenheit durch Gestellung des Angeklagten einen Aufhebungsgrund bilde; ebenso könne auch derjenige, welcher Befreiung von dem Haftbefehl durch Sicherheitsbestellung erreiche, die Aufhebung der Beschlagnahme fordern.“ Dazu auch sogleich sub § 1 I. III. 181 Zur Problematik des Erlöschensgrundes „Anstalten zur Flucht treffen“ sogleich ausführlich sub § 1 H. VII. 1. b). 182 § 231 StPO hat folgenden Wortlaut: Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern; auch kann er den Angeklagten während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen. Entfernt der Angeklagte sich dennoch oder bleibt er bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet.
G. Sinn und Zweck des sicheren Geleits
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Maßnahme zu verwirklichen gilt.183 Für die Bestimmung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Zielrichtung beide Komponenten maßgeblich. Im Rahmen der Bestimmung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses ist auch daran zu denken, dass dem staatlichen Strafverfolgungsmonopol zwingend eine umfassende Aufklärungspflicht – gerade auch im Interesse der Opfer – gegenüberstehen muss.
II. Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und spätere Strafvollstreckung als Ziel des sicheren Geleits? 1. Generalprävention durch gerechte Vergeltung „Strafe ist der Ausgleich einer erheblichen Rechtsverletzung durch Auferlegung eines der Schwere von Unrecht und Schuld angemessenen Übels, das eine öffentliche Missbilligung der Tat ausdrückt und dadurch Rechtsbewährung schafft. Die Strafe soll außerdem für den Täter selbst eine positive Wirkung entfalten, indem sie seine Sozialisation fördert oder wenigstens nicht behindert (§ 46 I 2 [StGB]).“184
Die Strafe hat – wie die Definition zeigt – nicht nur Vergeltungscharakter gegenüber dem Täter. Sie soll zugleich die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung widerspiegeln, das allgemeine Rechtsbewusstsein stärken und andere von strafbaren Handlungen abhalten.185 Die Literatur zum Strafverfahren gegen Abwesende hat nicht verkannt, dass es sich – jedenfalls im Falle eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils – um einen nur symbolischen Strafvollzug186 handelt. Soweit die Vergeltung 183
Dazu auch sub § 1 H. IV. 3. e). Jeschek/Weigend, S. 13. 185 LK-StGB/Jescheck, 10. Aufl., Einl. Rn. 23. 186 Dieser Ausdruck findet sich bei Hugo Meyer (Strafverfahren gegen Abwesende, S. 320) für die Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Regelungen im französischen Recht und in der österreichischen Strafprozessordnung von 1853, wonach ein öffentlicher Anschlag des Kontumazialurteils nach eingetretener Rechtskraft des Urteils vorgenommen wurde, während dieser nach den meisten deutschen Strafprozessordnungen bereits vor Eintritt der Rechtskraft erfolgte. In schwurgerichtlichen und teilweise auch in mittleren Straffällen hat das Kontumazialverfahren in den genannten Fällen weitgehend nur provisorisches Bedeutung, d. h. mit Gestellung des Angeklagten wird das in Abwesenheit des Angeklagten gefällte Urteil von selbst hinfällig. Insbesondere wenn ein Kontumazialverfahren mit provisorischem Charakter in der Strafprozessgesetzgebung vorgesehen ist, kommt diesem rein symbolischer Charakter zu. Die Gestellung führt dann für gewöhnlich zu einem völlig neuen Verfahren. Hugo Meyer (Verfahren gegen Abwesende, S. 16 f.) wirft die Frage auf, ob nicht zuweilen das öffentliche Rechtsbewusstsein bzw. die Notwendigkeit der Repression des Staats gegen das begangene Verbrechen es fordern, dass gegen den Abwesenden, 184
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
durch Strafe als zentrales Ziel eines jeden Strafverfahrens angesehen wird, erschließt sich Sinn und Zweck der Erteilung sicheren Geleits nur schwer. Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871187 gründete auf der Vereinigungstheorie, die den Sinn der Strafe in der „Generalprävention durch gerechte Vergeltung“188 sieht. Setzt man dieses neuere Verständnis in Kontrast zu den ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert vorherrschenden relativen Straftheorien, die der Strafe allein den rationalen Zweck der Verbrechensverhütung zugrunde legten,189 so wird die Abkehr vom Kontumazialverfahren verständlich, dessen Zweck insbesondere bei schweren Verbrechen und das durch diese erregte Aufsehen darin lag, durch die Aburteilung der öffentlichen Sicherheit und dem Rechtsgefühl zu dienen.190
2. Sicheres Geleit anstelle der Verurteilung in Abwesenheit Da der Gesetzgeber der Strafprozessordnung für das deutsche Reich die Funktion der Strafe sowohl in der Vergeltung gegenüber dem Verurteilten191 als auch in ihrer abschreckenden Wirkung gegenüber der Allgemeinheit sah, um dadurch strafbare Handlungen für die Zukunft zu verhindern, stellt sich die Frage, ob man daraus folgern kann, dass sicheres Geleit notwendigerweise die Sachverhaltsaufklärung und die Strafvollstreckung sichern soll. wenn auch auf mangelhafter Grundlage, eine wenigstens vorläufige Entscheidung ergeht, und beantwortet diese sogleich wie folgt: „So sehr eine Repression des Staates gegen das begangene Verbrechen erforderlich ist, so ist es doch notwendig, dass dieselbe nur im Wege eines grundsätzlich zulässigen Verfahrens stattfinde, und es bleibt fraglich, ob eine auf mangelhafter Grundlage ergangene und im Wesentlichen nur provisorische Entscheidung überhaupt geeignet ist, auch nur jene Wirkung hervorzubringen. Eine öffentliche Verkündigung der Anklage und der gegen den Abwesenden verhängten Zwangsmaßregeln möchte dem beabsichtigten Zweck hinreichend, ja vielleicht besser genügen, als eine Aburteilung, die doch keine eigentliche Aburteilung ist.“ 187 RGBl. 1872 S. 127. 188 Vgl. LK-StGB/Jescheck, Einl. Rn. 32. Kritisch Hassemer/Reemtsma, S. 113 ff. 189 LK-StGB/Jescheck, Einl. Rn. 30. 190 Hahn, Mot. RStPO, S. 238 f. Beschränkt man diesen abschreckenden Effekt allein auf den Angeklagten, so erschließt sich diese Folgerung nicht ohne weiteres, wobei argumentiert werden könnte, dass die Erwartung einer solchen Strafe ihn möglicherweise von weiteren Taten abhalte. Nicht übersehen werden darf dabei aber auch, dass auch andere „von späteren Missetaten durch das warnende Beispiel abschreckt werden“ sollen, so Binding, S. 80 f. 191 Bei der Aufnahme der Abwesenheitsverhandlung in Art. 12 des Statuts des Internationalen Militägerichtshofs Nürnberg stand wohl ebenfalls der Vergeltungsgedanke im Vordergrund. Art. 12 des Statuts eröffnet die Möglichkeit der Abwesenheitsverhandlung ausdrücklich „im Interesse der Gerechtigkeit“. Vgl. hierzu die Prozessmaterialien des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg, Bd I, S. 13.
G. Sinn und Zweck des sicheren Geleits
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Die Verurteilung allein kann beiden Seiten der Strafe nicht Rechnung tragen. Der Entscheidung, am sicheren Geleit auch für die Reichsstrafprozessordnung festzuhalten, lagen andere Erwägungen zugrunde. Die Abschaffung des Kontumazialverfahrens erfolgte nicht mit Blick darauf, dass sie eine Strafvollstreckung nicht zu ermöglichen vermochte, wenngleich man sich bewusst war, „dass die Kontumazialverurteilung ein völlig wirkungsloser Akt gewesen“
sei; „der Schuldige sei dadurch nicht veranlasst zurückzukehren und der Unschuldige sei, wenn er zurückkehrt, freigesprochen“.192
Diese Feststellung dient insbesondere der Abgrenzung zur Beschlagnahme, der – anders als dem sicheren Geleit – eine Zwangskomponente innewohnt.193 Aufgrund dieser Zwangskomponente vermag die Beschlagnahme anders als das Kontumazialverfahren auch die Strafvollstreckung zu sichern. Die Beschlagnahme kann aber nur in wenigen Fällen tatsächlich Anwendung finden.194 Daher hat der Gesetzgeber als weiteres Gestellungsmittel das sichere Geleit beibehalten. „Der Entwurf nehme den Standpunkt ein, dass das Kontumazialverfahren als unvereinbar mit dem mündlichen Verfahren nicht Platz greifen soll.“195
Wesentlicher Grund für die Abschaffung des Kontumzialverfahrens war die Unvereinbarkeit mit Prinzipien, die der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung als für jedes Strafverfahren elementar angesehenen hat: „Mag auch dem Angeklagten gestattet sein, im Laufe der Hauptverhandlung Schweigen zu beobachten, so ist doch schon in seiner persönlichen Gegenwart und der ihm damit gegebenen Möglichkeit, jederzeit zu seiner Verteidigung in den Gang der Hauptverhandlung eintreten zu können, eine Garantie für die Zulässigkeit des Verfahrens zu suchen, welche selbst unter ausdrücklicher Einwilligung des Angeklagten nicht entbehrt werden kann.“196
Die Wahrheitsfindung als Aufgabe eines Strafverfahrens muss von der Verhängung und Vollziehung der Strafe getrennt werden. Im Interesse der Wahrheitsfindung bedarf es der Anhörung des Beschuldigten.197 Die Erteilung sicheren Geleits dient im Strafverfahren zwei Zwecken. Zum einen soll dem abwesenden Beschuldigten ermöglicht werden, sich gegen Vorwürfe zu 192 193 194 195 196 197
Hahn, Mot. RStPO, S. 1445. Dazu sogleich sub § 1 E. IV. 1. Hahn, Mot. RStPO, S. 1445. Hahn, Mot. RStPO, S. 1444. Hahn, Mot. RStPO, S. 185 f. Vgl. dazu Hahn, Mot. RStPO, S. 187, 238.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
verteidigen, die gegen ihn erhoben werden, ohne dass er die Anordnung von freiheitsentziehenden Maßnahmen befürchten muss. Zum anderen dient das sichere Geleit dem staatlichen Interesse an der Fortführung und Beendigung des Strafverfahrens. Die Aufklärung soll nicht nur der Überführung des Täters dienen, sondern auch ihn entlastende Umstände ermitteln.198 3. Die Erlöschensgründe „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ und „Anstalten zur Flucht treffen“ Der Annahme, der Gesetzgeber hätte mit dem sicheren Geleit nicht auch die Strafvollstreckung sichern wollen, steht die Aufnahme der Erlöschensgründe „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ und „Anstalten zur Flucht treffen “ entgegen. In beiden Fällen ist es den Strafverfolgungsbehörden möglich, den Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, vor Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils in Untersuchungshaft zu nehmen und durch diesen Zwischenschritt die spätere Strafvollstreckung zu sichern. Die Kommission hat der Reichsstrafprozessordnung einen Begriff des sicheren Geleits zugrunde gelegt, der vor der Untersuchungs-, nicht aber vor Strafhaft schützt und auf einzelne – im Geleitbrief genannte – Fälle beschränkt ist.199 Insbesondere die Diskussion der Frage, ob Voraussetzung des Erlöschens sicheren Geleits nicht vielmehr die Rechtskraft des Urteils sei,200 lässt vermuten, dass Intention des Gesetzgebers war, nicht nur die Durchführung des Strafverfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung, sondern gleichzeitig auch die mögliche Vollstreckung eines Urteils zu sichern: „Dass das sichere Geleit erlösche, wenn das auf Freiheitsstrafe lautende Urteil die Rechtskraft beschritten habe, sei selbstverständlich. Allein die Regierungen seien der Ansicht, dass nicht eine Einschränkung auf diesen Fall gemacht werden solle, vielmehr mit dem Ergehen des Urteils – ohne Rücksicht auf die dagegen zulässigen Rechtsmittel – eine solche Änderung der Sachlage zu Ungunsten des Beschuldigten eintrete, dass die Voraussetzung des sicheren Geleits nicht mehr als vorhanden angesehen werden könnte, weshalb er um Wiederherstellung der Vorlage bitte.“201
198 Vgl. KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 1; HK-StPO/Julius, § 295 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 1. 199 Hahn, Mot. RStPO, S. 951. 200 Dazu sogleich sub § 1 H. VII. 1. a). 201 Hahn, Mot. RStPO, S. 1458.
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4. Rechtsfriede auch ohne Strafvollstreckung? Zielsetzung des Strafverfahrens ist, einen Sachverhalt, also die Tat, strafrechtlich zu würdigen. Dazu gehört sowohl die Frage nach dem Vorliegen der materiell-strafrechtlichen Voraussetzungen als auch, den Täter im Wege der Strafvollstreckung – über die Konkretisierung der Sanktion im Strafverfahren hinaus – strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.202 Ist die Strafvollstreckung aber auch für die Sicherung des Rechtsfriedens203 unerlässlich? Das Strafverfahren kann seine friedenssichernde Aufgabe nur dann erfüllen, wenn es sich an den materiellen Zielen des Strebens nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Durchsetzung des materiellen Strafrechts orientiert.204 Auch das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder „das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess betont und die Aufklärung schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet“205
und damit die Aufklärungspflicht in den Mittelpunkt des Strafverfahrens gerückt. Wenngleich die Verteidigung der Rechtsordnung legitimer Zweck der Strafe sein mag und ihrer auch bedarf, so kann auch die lückenhafte Durchsetzung des Strafrechts nur durch Aufklärung der Tat und Feststellung des Unrechts Gerechtigkeit schaffen und Rechtsfriede gewährleisten.206 Die Aufklärung allein trägt wesentlich dazu bei, das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen. Die fehlende Möglichkeit der Strafvollstreckung führt nicht zu einer willkürlichen Ungleichbehandlung.207 5. Hinausschieben der Verjährung Eine Erteilung sicheren Geleits nur zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens erscheint auch deshalb sinnvoll, weil die Verjährung durch Flucht nicht unterbrochen wird. Stellt man darauf ab, dass nach § 231 Absatz 2 StPO die Hauptverhandlung nach Anhörung des Angeklagten zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen auch ohne dessen Anwesenheit zu Ende geführt werden kann, so können sich hier durchaus Auswirkungen ergeben. 202
Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschn. B Rn. 10. Die Sicherung des Rechtsfriedens tritt als Ziel des Strafverfahrens neben das ursprünglich formulierte, wenig greifbare Ziel der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, vgl. Krey, JA 1983, 356 (358). 204 FS-Schäfer/Rieß, S. 155 (170). 205 BVerfGE 38, 105 (116) unter Verweisung auf BVerfGE 34, 238 (248). 206 FS-Schäfer/Rieß, S. 170, 180. 207 Vgl. dazu BVerfGE 21, 329 (343 ff.). Vgl. auch KK-StPO/Pfeiffer, Einl. Rn. 1. 203
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Unterbrochen wird die Verfolgungsverjährung gemäß § 78 c Absatz 1 Nr. 1 StGB durch jede richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder deren Anordnung. Nach dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich trat eine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung auch durch den Beschluss der Gewährung sicheren Geleits ein. Gemäß § 68 Absatz 1 RStGB unterbrach „jede Handlung des Richters die Verjährung.208 Der heutige § 78 c StGB ist demgegenüber eng auszulegen.209 Mit Rechtskraft des Urteils tritt aber an die Stelle der Verfolgungsverjährung die Vollstreckungsverjährung. 6. Ergebnis Wenngleich der Gesetzgeber für das Deutsche Reich bei der Kodifizierung sicheren Geleits nicht nur die Sicherung der Verurteilung, sondern auch die Sicherung der Strafvollstreckung im Auge hatte, so macht eine Gewährung sicheren Geleits im Interesse der staatlichen Aufklärungspflicht zur Durchführung des Strafverfahrens auch dann Sinn, wenn eine spätere Strafvollstreckung dadurch nicht gesichert werden kann. III. Opferinteressen In den letzten drei Jahrzehnten hat die Rechtsstellung des Opfers im Strafverfahren eine erhebliche Stärkung erfahren.210 Aus diesem Grunde erscheint es geboten, zu fragen, inwieweit die Interessen der Opfer für die Frage der Erteilung sicheren Geleits von Bedeutung sind, insbesondere dann, wenn dieses im konkreten Fall geeignet ist, allein die Durchführung des Strafverfahrens, nicht aber die Strafvollstreckung zu sichern. Naturgemäß sprechen sich besonders schwer betroffene Opfer, insbesondere Einbruchs-, Sexual- und Raubopfer, Opfer, die körperliche und psychische Schäden zu beklagten haben, sowie Opfer, deren Täter dem sozialen Umfeld entstammen, für eine Inhaftierung des Täters aus.211 Die Frage, wie ausgeprägt der Vergeltungsgedanke, dem nur durch Strafvollstreckung begegnet werden kann, bei den einzelnen Opfergruppen ausgeprägt ist, ist letztlich aber nicht entscheidend. Eine allgemeinverbindliche 208 209
RG HRR 1940 Nr. 117. BGHSt 26, 80 (81 ff.); 28, 381. Zu § 68 StGB a. F. vgl. BGHSt 4, 135; 18,
278. 210
Hierzu ausführlich Kilchling, Opferinteressen und Strafverfolgung, S. 3 ff. Kilchling, NStZ 2002, 57 (62). Vgl. dazu auch ders., Opferinteressen und Strafverfolgung, S. 516 ff. und Reemtsma, Recht des Opfers auf Bestrafung des Täters. Kritisch Prittwitz, KritV – Sonderheft zum 60. Geburtstag von Winfried Hassemer, S. 162. 211
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Feststellung des „Interesses des Opfers“ ist kaum möglich, zu sehr weichen die Wünsche und Bedürfnisse realer Opfer voneinander ab.212 Die Aufklärung der Tat und die Feststellung des erfolgten Unrechts können aber in vielen Fällen zu einer Resozialisierung des Opfers und einer Bewältigung des diesem Widerfahrenen beitragen, insbesondere als viele Opfer die Realität des Vorgangs zunächst nicht begreifen können.213 Diesen Opferinteressen kann aber durch Erteilung sicheren Geleits Rechnung getragen werden. Im Fall des abwesenden Beschuldigten kann hierdurch wenigstens teilweise auch dem Interesse des Opfers Rechnung getragen werden, wenngleich verständliche „Rachegelüste“ des Opfers bei Ausbleiben der Strafvollstreckung nicht befriedigt werden. Ohne Erteilung sicheren Geleits mag eine lückenlose Aufklärung aber unterbleiben und kann das Strafverfahren nicht zu Ende geführt werden. Wenngleich die Diskussion in den letzten Jahren vermehrt eine Orientierung des Kriminalrechts am Opfer fordert,214 kann dieser Aspekt bei der Erteilung sicheren Geleits nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei der Frage der Einbindung des Opfers in das Kriminalrecht steht die Entscheidung der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden im Vordergrund, wer sich recht und wer sich unrecht verhalten hat, die öffentliche und individuelle Zurechnung von Unrecht und Schuld.215 Rechtfertigungselement der Strafe sind aber nicht Opfergesichtspunkte, sondern deren Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, deren Einhaltung ohne Strafe nicht erzwingbar wäre.216 Fischer hat zutreffend festgestellt, dass eine zu weitgehende Einbindung des Opfers in die Strafverfolgung notwendig auch eine Neudefinition der Rolle des Beschuldigten nach sich ziehen müsste: „Unter der Geltung der Unschuldsvermutung kann die Aufgabe des Strafprozesses nicht die Gefahrbekämpfung sein und sein wesentliches Anliegen nicht der Diskurs zwischen Opfern und Richtern, was mit dem Angeklagten anzufangen sei.“217 212
Hassemer/Reemtsma, S. 113. Hassemer/Reemtsma, S. 127 ff.; Kilchling, NStZ 2002, 57 (58 f.); Geis in: Schneider, Verbrechensopfer, S. 339 (341): „Die Traumatisierung des Notzuchtopfers dauert an vom Zeitpunkt der kriminellen Handlung bis zu den Gerichtsverfahren, eine Sache, die in einer Reihe von Untersuchungen zu den Erfahrungen von Opfern mit Polizei und Gerichten beleuchtet wird.“; Prittwitz in: Schünemann/Dubber, Stellung des Opfers im Strafrechtssystem, S. 51 (73). 214 Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Schilderungen Reemtsmas z. B. in: Reemtsma, Das Recht des Opfers auf Bestrafung des Täters – als Problem. Vgl. hierzu insbesondere Prittwitz in: Schünemann/Dubber, Stellung des Opfers im Strafrechtssystem, S. 51–73; ders. KritV – Sonderheft zum 60. Geburtstag von Winfried Hassemer, S. 162–175; Hassemer/Reemtsma, S. 113 ff. 215 Prittwitz in: Schünemann/Dubber, Stellung des Opfers im Strafrechtssystem, S. 73. 216 LKStGB/Jescheck, Einl. Rn. 23. 213
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Zentrales Ziel des Strafverfahrens bleibt damit im Interesse aller Beteiligten die Wahrheitsermittlung als Schnittmenge im Übrigen widerstreitender Interessen.
H. Die Vorschrift über das sichere Geleit in der Strafprozessordnung I. § 295 StPO im Vergleich zu § 337 RStPO Das sichere Geleit ist nunmehr in § 295 StPO geregelt,218 der gegenüber § 337 RStPO nur eine unwesentliche Veränderung aufweist. Die Formulierung in § 337 Absatz 2 RStPO in der Fassung vom 1. Februar 1877 lautete noch strafbare Handlungen und nicht wie jetzt in § 295 StPO Straftat. Mit dieser Veränderung im Wortlaut sollte die Verwendung von Begriffen im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung vereinheitlicht werden. Zu diesem Zeitpunkt sprachen sowohl das Strafgesetzbuch durchgängig als auch später eingefügte oder geänderte Vorschriften der Strafprozessordnung von Straftat.219 Durch diese Neufassung ist klargestellt, dass § 295 Absatz 2 StPO die Tat im strafprozessualen Sinne (§ 264 StPO) meint.220
217
Fischer, JZ 1998, 816 (818) [Hervorhebung im Original]. § 295 StPO hat folgenden Wortlaut: (1) Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen; es kann diese Erteilung an Bedingungen knüpfen. (2) Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist. (3) Es erlischt, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht oder wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft oder wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, unter denen ihm das sichere Geleit erteilt worden ist. 219 Vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 289, 303. 220 Bereits Stenglein (§ 337 Nr. 3) führte in seiner Kommentierung aus, dass das sichere Geleit „für eine bestimmte Strafsache, ohne Rücksicht auf die Qualifikation der Tat, erteilt werden“ muss. Die Intention der Änderung war dementsprechend auch nicht, den Anwendungsbereich der Vorschrift zu verändern. Laut BT-Drucks. 7/550, S. 289 sollte in der StPO der Begriff „strafbare Handlung“ jeweils durch den im Strafgesetzbuch durchgängig und einheitlich verwendeten Begriff „Straftat“ ersetzt werden. Heranziehen könnte man aber auch im Übrigen die Begründung zur Änderung des § 3 StPO. Der Gesetzgeber wollte die Streitfrage beenden, ob bei der Anwendung der Vorschrift auf die „Tat“ im Sinne des § 264 StPO oder auf die materiell-rechtliche Straftat abzustellen ist (mit Verweisung auf BGHSt 11, 130), wobei im ersteren Sinne entschieden wurde. 218
H. Vorschrift über das sichere Geleit in der Strafprozessordnung
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II. Die Zuständigkeit für die Erteilung des sicheren Geleits im gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren 1. Zuständig ist immer das Gericht § 295 StPO weist die Befugnis zur Erteilung sicheren Geleits dem Gericht zu. Dies ist insofern erstaunlich, als regelmäßig grenzüberschreitende Sachverhalte in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen.221 So kann das Gericht lediglich ein Auslieferungsersuchen anregen, während die Entscheidung über das damit zusammenängende Ersuchen um Rechtshilfe an ausländische Staaten dem Bundesminister der Justiz obliegt. Bereits der Gesetzgeber für die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich hat die oberste Justizverwaltungsbehörde bewusst von der Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits ausgeschlossen.222 Die Gewaltenteilung und verbunden damit die richterliche Unabhängigkeit als Fundamentalprinzipen223 haben in der Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschen Raum zunehmend Beachtung gefunden. Ihren Ausdruck hat diese Entwicklung in § 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 erfahren, wonach die richterliche Gewalt durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt wird.224 Daneben ist später Art. 102 der Weimarer Reichsverfassung getreten, der bestimmt, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind,225 der in Art. 97 Absatz 1 GG erhalten blieb. Alle Eingriffe „von hoher Hand“ in die als unabhängig zu begreifende Rechtspflege waren damit ausgeschlossen.226 Betrachtet man nun Art. 97 Absatz 1 GG und Art. 92 [1. HS] GG, der die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut, so ist die Zuweisung der Zuständigkeit zur Erteilung sicheren Geleits an die Gerichte folgerichtig. Das Bundesverfassungsgericht hat festgehalten, dass die Verurteilung zu einer Kriminalstrafe nach Art. 92 [1. HS] GG ausschließlich den Richtern vorbehalten ist.227 Die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit zählt zu den Kernfunktionen der Dritten Gewalt, der Judikative.228 Das sichere Geleit dient der Gestellung des Beschuldigten zur Durchführung des Strafverfahrens. Die 221
Vgl. dazu Art. 32 GG und § 74 IRG. Hahn, Mot. RStPO, S. 242. 223 So Hoffmann-Riem, DRiZ 2000, 18. 224 Vgl. dazu Hahn, Mot. GVG, S. 371 ff. Zu dem Mitte des 19. Jahrhunderts noch schwelenden Konflikt vgl. auch Pfeiffer, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Richteramts. 225 Heinsheimer, S. 21. 226 Huber, S. 530. 227 BVerfGE 22, 49 (73). 228 BVerfGE 8, 197 (207); 22, 49 (74). 222
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Erteilung sicheren Geleits ist ein innerstaatlicher Rechtsakt, weshalb es – anders als bei der Auslieferung und weitgehend immer noch der sonstigen Rechtshilfe – auch keiner Einschaltung der Exekutive bedarf. Grundsätzlich erhebt zwar die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage (§§ 152, 170 StPO), die gemäß § 151 StPO Prozessvoraussetzung für die gerichtliche Untersuchung ist. § 152 StPO verpflichtet die Staatsanwaltschaft aber, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Das Legalitätsprinzip bedeutet nicht nur Verfolgungszwang,229 sondern auch, bei Vorliegen der Voraussetzungen, Anklagezwang. Die Staatsanwaltschaft kann hierbei zwar nur eine eigene Prognose treffen, ob die Sach- und Rechtslage zu einer Verurteilung am Ende einer Hauptverhandlung ausreichend ist,230 ist hierin aber nicht frei: „Ob ein Strafgesetz verletzt ist und daher Verfolgungszwang besteht, hängt . . . allein von dem Inhalt der Strafgesetze selbst ab. Da diese jedoch kein Eigenleben führen, ist ihre Auslegung und ständige Anwendungspraxis durch die dazu berufenen Gerichte maßgebend, auf welche die Anklagevertretung durch Mitwirkung in der Hauptverhandlung öffentlich Einfluss nimmt und zu nehmen hat.“231
Das Gericht als für die Aburteilung zuständige Instanz kann im Einzelfall entscheiden, ob das Strafverfolgungsinteresse die Erteilung sicheren Geleits gebietet oder verwehrt. Die Erteilung sicheren Geleits macht wie umgekehrt der Erlass eines Haftbefehls die Berücksichtigung der Interessen unterschiedlicher Beteiligter erforderlich. Die notwendige Gewähr für eine sachgerechte Entscheidung kann der Richter als Instanz, die am ehesten geeignet ist, das Erfordernis der Unabhängigkeit und Neutralität zu erfüllen, bieten.232 Die Entscheidung über eine Erteilung sicheren Geleits droht zwar nicht – wie umgekehrt der Haftbefehl – in Freiheitsrechte des Beschuldigten einzugreifen. Im Zentrum der Entscheidung, ob sicheres Geleit erteilt werden soll, steht aber das Recht des Beschuldigten auf Gehör. Im Übrigen muss man sich vergegenwärtigen, dass der Erlass eines Haftbefehls dem Richter vorbehalten ist (Art. 104 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 Satz 2 GG). Es ist nur folgerichtig, über die Aussetzung seines Vollzugs oder seine Aufhebung den Richter entscheiden zu lassen (§§ 116, 117 ff., 120 StPO). Wenngleich sicheres Geleit den Haftbefehl selbst unberührt lässt, besteht eine Ähnlichkeit insofern, als es die Befreiung von der Untersuchungshaft bedeutet, die gleichermaßen dem Richter vorbehalten bleiben muss. 229 230 231 232
BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NStZ 1982, S. 430. Roxin, DRiZ 1997, 109 (114); Meyer-Goßner, § 170 Rn. 2. BGHSt 15, 155 (158). BVerfGE 9, 89 (97); 103, 142 (151).
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Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens233 kann sicheres Geleit nie erteilen, auch nicht im Ermittlungsverfahren. § 151 Satz 1 GVG stellt klar, dass die Staatsanwälte richterliche Geschäfte nicht wahrnehmen dürfen. Daher ist es unverständlich, wenn der Bundesgerichtshof – in diesem Fall für einen Zeugen – ausführt, dass der Tatrichter davon ausgehen durfte, dass die Ladung verzichtbar war, weil sie aufgrund einer Verweigerung sicheren Geleits durch die Staatsanwaltschaft zwecklos erschien: „. . . dass dies hier der Fall ist, hat der Tatrichter unter den gegebenen Umständen ohne Rechtsfehler aus der eindeutigen Erklärung des Zeugen, er wolle nur bei Zusicherung freien Geleits vor dem Landgericht erscheinen, sowie daraus geschlossen, dass die Staatsanwaltschaft in München – die gegen Dr. R. die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe betreibt und zusätzlich wegen Betäubungsmitteldelikten ermittelt – eine solche Zusicherung verweigert hat“.234
Die Problematik dieser Feststellung des Bundesgerichtshofs ist darin begründet, dass im konkreten Fall sicheres Geleit zum Zwecke des Erscheinens des Beschuldigten im gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren beantragt war. Eine Beteiligung der Staatsanwaltschaft in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren findet allenfalls im Wege der Anhörung statt, um eine adäquate Interessenabwägung zu ermöglichen. Im Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten stellt sich angesichts der Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft die Frage, ob diese, wenn der Beschuldigte einen Antrag auf Erteilung sicheren Geleits stellt, um seine Vernehmung im Ermittlungsverfahren zu ermöglichen, diese verweigern könnte. Dem stehen jedoch § 163 a StPO, das Legalitätsprinzip, das Objetivitätsgebot, der Beschleunigungsgrundsatz und der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren entgegen. Grundsätzlich ist die Ladung entbehrlich, wenn bereits feststeht, der Beschuldigte bzw. Zeuge werde aufgrund der Ladung nicht erscheinen.235 Sie ist nicht entbehrlich, solange nicht feststeht, ob dem Beschuldigten bzw. Zeugen sicheres Geleit auf sein Begehr hin tatsächlich verwehrt wird. Die Staatsanwaltschaft – wie vom Bundesgerichtshof impliziert – kann hierüber aber nicht befinden. Im Anwendungsbereich des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen, nach dessen Art. 12 Absatz 1 ein Zeuge, der auf Vorladung vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheint, sicheres Geleit genießt, darf dieser keinesfalls aufgrund seiner „Abwesenheit“ von vornherein für das erkennende Gericht als unerreichbar angesehen werden, weil ihm im ersuchenden Staat selbst die Verhaftung droht.236 233
Statt vieler BVerfG NJW 1976, 231. BGHSt 35, 216. 235 Auf die Ladung kann verzichtet werden, wenn sie zwecklos erscheint. Vgl. hierzu BGHSt 35, 216; BGH NStZ 1991, 143; 1992, 141; 1993, 349 (350). 234
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2. Zuständigkeit im Einzelnen Die Frage, welcher Richter im Einzelfall zuständig ist, ist damit noch nicht beantwortet. Eine Regelung hierüber enthält § 295 StPO nicht. Die Zuweisung der Zuständigkeit an „das Gericht“ meint nicht notwendig das Gericht der Hauptsache. § 295 StPO gilt – weitgehend unstreitig – für alle Verfahrensabschnitte. Für die Zuständigkeit ist dabei auf den jeweiligen Verfahrensstand abzustellen. a) Zuständigkeit des Ermittlungsrichters vor Erhebung der öffentlichen Klage Vor Erhebung der öffentlichen Klage237 nimmt die herrschende Lehre – ohne nähere Begründung – eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für die Erteilung sicheren Geleits an,238 während eine im Verschwinden begriffene Mindermeinung den Haftrichter als zur Entscheidung berufen ansieht.239 § 295 StPO enthält keine dem § 81 Absatz 3 StPO240 entsprechende Regelung, die die Zuständigkeit zur Erteilung sicheren Geleits auch im vorbereitenden Verfahren dem Gericht, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre, zuweisen würde. § 81 Absatz 3 StPO stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass eine Zuständigkeit des erkennenden Gerichts erst mit Erhebung der öffentlichen Klage begründet wird. Erst mit der Anklage wird die Sache bei dem Gericht anhängig.241 Eine Zuständigkeit desjenigen Richters, der auch den Haftbefehl erlassen hat, liegt auf den ersten Blick nahe. Die Zuständigkeit für den Erlass eines 236
BGH NJW 1979, 1788; 1982, 2738. Hingewiesen sei hier darauf, dass das Reichsgericht (RGSt 59, 100 [101 f.]) und der Bundesgerichtshof (BGHSt 12, 191 [193]) ausdrücklich festgehalten haben, dass für die Dauer der – mittlerweile abgeschafften – Voruntersuchung gemäß § 73 Absatz 1 GVG a. F., §§ 178 ff. StPO a. F. die Strafkammer, nicht der Untersuchungsrichter, über das sichere Geleit zu entscheiden hatte. Für das Ermittlungsverfahren gab und gibt es eine solche ausdrückliche Regelung jedoch nicht (vgl. OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5). Vielmehr hat gerade die Abschaffung der Voruntersuchung die Rolle der Staatsanwaltschaft bei der Ermittlung gestärkt. Vgl. dazu Lampe, NJW 1975, 195 (199). 238 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 15; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 10; KKStPO/Engelhardt, § 295 Rn. 7; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 18; Göbel, S. 111. 239 So aber OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5; Schmidt, Lehrkommentar StPO, § 295 Rn. 6 ohne nähere Begründung. 240 § 81 Absatz 3 StPO hat folgenden Wortlaut: Im vorbereitenden Verfahren entscheidet das Gericht, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre. 241 OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5 (7); Meyer-Goßner, Einl. Rn. 60 ff. 237
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Haftbefehls obliegt nach § 125 StPO dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält. § 126 Absatz 1 Satz 1 StPO bestimmt, dass vor Erhebung der öffentlichen Klage für die weiteren richterlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die Untersuchungshaft oder auf die Aussetzung des Haftvollzugs beziehen, der Richter zuständig ist, der den Haftbefehl erlassen hat. Mit dem Wortlaut des § 126 StPO ließe sich also eine Zuständigkeit des Haftrichters durchaus gut begründen; denn sicheres Geleit bedeutet Befreiung von der Untersuchungshaft, wirkt sich also auf den Vollzug des Haftbefehls aus.242 Wird sicheres Geleit gewährt, so bleibt der Haftbefehl – wenn er schon erlassen ist – aber unverändert bestehen.243 Dem Beschuldigten wird lediglich zugesichert, ihn von der Haft zu verschonen. Das Gericht sichert also zu, dass die Strafverfolgungsbehörden von dem Haftbefehl keinen Gebrauch machen werden, jedoch nur, solange sicheres Geleit besteht. Das sichere Geleit lässt sich insofern auch deutlich – wie vom OLG Oldenburg nicht richtig gesehen244 – von der Außervollzugsetzung des Haftbefehls abgrenzen. Beim sicheren Geleit besteht nach wie vor die Gefahr, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren durch Flucht entziehen. Es ist also ein Haftgrund gegeben, dem nicht anders als durch einen Haftbefehl begegnet werden kann. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden auf den Beschuldigten sind demnach geringer. Der Begriff „abwesend“ ist zwar nicht regelmäßig – wie der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung noch annahm245 – mit „flüchtig“ gleichzusetzen. Begibt sich ein Ausländer aber, ohne dass dies mit der Tat in Zusammenhang stünde, in sein Heimatland zurück, so gilt er gegebenenfalls im Sinne des § 276 StPO als abwesend. Eine Würdigung der Umstände des Einzelfalles wird dann regelmäßig ergeben, dass es wahrscheinlicher ist, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen als sich ihm stellen, so dass der Haftgrund der Fluchtgefahr vorläge.246 Lässt der Beschuldigte aber glaubhaft erkennen, dass er sich dem Strafverfahren im Inland stellen und gegebenenfalls an einer Hauptverhandlung teilnehmen werde, so ist eine Fluchtgefahr zu verneinen und der Erlass eines Haftbefehls bereits ausgeschlossen bzw. ein bereits erlassener Haftbefehl ist aufzuheben. Angesichts der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit darf in die242
OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5 (7). Die Entscheidung über sicheres Geleit betrifft nicht den Haftbefehl bzw. die Verhaftung selbst, vgl. OLG Köln NJW 1958, 1985; OLG Frankfurt NJW 1952, 908. 244 OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5 (7). 245 Hahn, Mot. RStPO, S. 238: „wenn der Angeklagte sich der Gewalt des Richters entzogen hat“. 246 Zum Begriff der „Fluchtgefahr“ i. S. d. § 112 Absatz 2 Nr. 2 StPO vgl. OLG Köln NJW 1959, 544; StV 1994, 582; 1995, 475; Meyer-Goßner, § 112 Rn. 17. 243
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ses durch Haft nur eingegriffen werden, wenn und soweit dies der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und auf rasche Bestrafung des Täters zwingend gebietet.247 Ein deutscher Staatsangehöriger, der sich ohne die Absicht zur Rückkehr ins Ausland begibt, ist dagegen in der Regel bereits als flüchtig anzusehen.248 Bei der Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits durch das Gericht bleibt der Haftbefehl bestehen. Eine mittelbare Entscheidung über die Haftgründe erfolgt allenfalls in Ausnahmefällen, so wenn die Verdunkelungsgefahr es gebietet, von der Erteilung sicheren Geleits abzusehen. Das Gericht verzichtet lediglich für die Dauer sicheren Geleits darauf, in irgendeiner Form Zugriff auf den Beschuldigten zu nehmen. Wird sicheres Geleit erteilt, so kann das Gericht dieses – anders als bei der Außervollzugsetzung des Haftbefehls – nach Inanspruchnahme durch den Beschuldigten nicht mehr widerrufen. Dem Beschuldigten ist sicheres Geleit gewährt bis dieses nach § 295 Absatz 3 StPO erlischt. Ein Vergleich mit der Außervollzugsetzung, für die der Haftrichter nach dem Gesetzeswortlaut eindeutig zuständig ist, ist demnach nicht geeignet, dessen Zuständigkeit auch für die Erteilung sicheren Geleits zu begründen. Ebenso greift der Hinweis des OLG Oldenburg nicht, die Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits sei deshalb dem Haftrichter zu überlassen, weil er die Gründe, die ihn – bei Bestehen eines Haftbefehls – zum Erlass des Haftbefehls veranlasst haben, am Besten kennt.249 Regelmäßig wird der Haftbefehl nur aus dem Grunde bestehen, dass der Beschuldigte als flüchtig anzusehen ist bzw. Fluchtgefahr droht. Weitere Haftgründe wie die Gefahr der Vernichtung von Beweismitteln, die es natürlich gebieten können, den Beschuldigten beispielsweise vom Tatort fernzuhalten, werden mangels Relevanz für den Erlass des Haftbefehls dann nicht in Betracht gezogen. Es ist daher nicht notwendig, die Entscheidung über sicheres Geleit und die Entscheidungen und Maßnahmen, die unmittelbar mit dem Haftbefehl zusammenhängen, in einer Hand zusammenzufassen. Weiter geht das OLG Oldenburg fehl, wenn es ausführt, für eine Zuständigkeit des Haftrichters spreche, dass dieser am Besten beurteilen könne, ob der Vollzug des Haftbefehls oder ein anderes Mittel besser geeignet sei, die Anwesenheit des Beschuldigen bei der Untersuchungshandlung, für die die Erteilung sicheren Geleits in Frage steht, herbeizuführen. Solange der Be247 BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2003, 2895 (2896); BVerfGE 32, 87 (93). 248 Zum Begriff „flüchtig“ im Sinne des § 112 Absatz 2 Nr. 1 StPO Meyer-Goßner, § 112 Rn. 12 f. mit weiteren Nachw. 249 OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5 (8).
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schuldigte abwesend im Sinne des § 276 StPO ist, kommt ein Vollzug des Haftbefehls nicht in Betracht. Der Beschuldigte müsste sich in einen Staat begeben, aus dem eine Einlieferung möglich und angemessen erscheint, damit der Haftbefehl tatsächlich vollzogen werden könnte. Die Entscheidung ist hier aber eine gänzlich andere, nämlich ob es die Interessenlage gebietet, die Anwesenheit des Beschuldigten mittels der Erteilung sicheren Geleits für die Untersuchungshandlung herbeizuführen. Welcher Richter ist nun tatsächlich berufen, diese Entscheidung zu treffen? Die Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits ist untrennbar mit der Untersuchungshandlung – beispielsweise einer Vernehmung des Beschuldigten – verbunden, für die die Anwesenheit des Beschuldigten als notwendig erachtet wird, und steht dieser damit näher als dem Haftbefehl. Die für die Erteilung sicheren Geleits notwendige Interessenabwägung – es handelt sich hier um eine Ermessensentscheidung – kann nur bei genauer Kenntnis des Verfahrensstandes und unter Berücksichtigung der Bedeutung der Untersuchungshandlung für die Sachaufklärung getroffen werden. Mit der herrschenden Meinung ist folglich die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters zu bejahen. Regelmäßig sind der Haftrichter und der Ermittlungsrichter freilich dieselbe Person, so dass die vorstehend dargestellte Diskussion insofern weitgehend theoretischer Natur ist. Unterscheidungen können sich aber aufgrund unterschiedlicher örtlicher Zuständigkeiten ergeben. Die Zuständigkeit für die Vornahme einer richterlichen Untersuchungshandlung ist in § 162 StPO geregelt. b) Kann das sichere Geleit im Ermittlungsverfahren über dieses hinaus erteilt werden? Rechtsprechung und Literatur vertreten weitgehend, für die Erteilung sicheren Geleits sei das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, zuständig, wenn dessen Bewilligung über die Anklageerhebung hinaus erfolgen soll, dem Beschuldigten also bereits im Ermittlungsverfahren sicheres Geleit auch für das Hauptverfahren gewährt werden soll.250 Die Situation im Ermittlungsverfahren ist Folgende: § 169 a StPO bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft, erwägt sie, die öffentliche Klage zu erheben, den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt. Die Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde soll das Ermittlungsverfahren unvoreingenommen führen und es schließen, wenn sie aufgrund ihrer Ermittlungen ausreichend Anhaltspunkte zusammengetragen hat, um zu entscheiden, ob diese nunmehr 250 OLG Hamburg JR 1979, 174; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 14; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 10; KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 7; Göbel, S. 111.
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genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten (§ 170 Absatz 1 StPO) oder ob das Verfahren nach § 170 Absatz 2 StPO einzustellen ist. Dies ergibt sich eindeutig aus § 160 Absatz 1 StPO; denn dieser bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft „zu ihrer Entscheidung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen“
hat. Dabei hat die Staatsanwaltschaft wenigstens so viel zu ermitteln, als ihre Entscheidung gemäß § 170 i. V. m. § 203 StPO erfordert.251 Eine Erteilung sicheren Geleits, in die bereits eine zukünftige Hauptverhandlung nach Erhebung der öffentlichen Klage miteinbezogen ist, verträgt sich nicht mit dem Gedanken, dass der Beschuldigte regelmäßig die Möglichkeiten, die ihm sicheres Geleit bietet, gerade mit dem Ziel in Anspruch nehmen wird, durch seine persönliche Beteiligung an der Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Absatz 2 StPO zu erzielen.252 Dass eine umfassende Erteilung sicheren Geleits für den Beschuldigten zunächst günstig ist, spielt insofern keine Rolle. Nun ist zwar das Gericht und niemals die Staatsanwaltschaft für die Erteilung sicheren Geleits zuständig. Die Staatsanwaltschaft ist jedoch Herrin des Ermittlungsverfahrens und sollte regelmäßig für die von ihr durchzuführende Untersuchungshandlung zumindest in Erwägung ziehen, sicheres Geleit zu beantragen. Dieser Antrag kann sich aber nur auf das Ermittlungsverfahren beschränken. Das Bild einer Staatsanwaltschaft, die auf diese Weise das Ergebnis der Ermittlungen, das sie nach der Regelung der Strafprozessordnung dann festzustellen hat, wenn diese abgeschlossen sind, vorwegnähme, ist nicht zu vereinbaren mit der Vorstellung des Gesetzgebers von einer Strafverfolgungsbehörde, die nicht dem Beschuldigten gegenüberstehende Partei ist,253 sondern deren Aufgabe es ist, den Richter bei der Erforschung des wahren Sachverhalts zu unterstützen. Dabei muss der Staatsanwalt nach dem eindeutigen Wortlaus des § 160 Absatz 2 StPO in allen Verfahrensabschnitten den Beschuldigten Ent- und Belastendes gleichermaßen berücksichtigen. Die Staatsanwaltschaft ist als zur Gerechtigkeit und Objektivität verpflichtetes Rechtspflege- und Justizorgan254 immer nicht nur Diener des Staates, sondern zugleich Helfer des Staatsbürgers und somit verpflichtet, diesem zu seinem Recht zu verhelfen.255 Nun ist das Gericht zwar bei der Erteilung sicheren Geleits nicht an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden und 251 252 253 254 255
(368).
Hans Hilger, JR 1985, S. 93 (94). OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5 (6). RGSt 60, 189 (191). Meyer-Goßner, § 160 Rn. 14. BVerwGE 9, 89 (91 f.); vgl. auch BGH DVBl. 1955, 124; BGHZ 18, 366
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kann auch von sich aus oder auf Anregung des Beschuldigten tätig werden. Das Gericht, bei dem die Sache vor Erhebung der öffentlichen Klage noch nicht einmal anhängig ist, kann sich aber nicht über das mit wenigen Ausnahmen bestehende Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft256 hinwegsetzen. Eine Erteilung sicheren Geleits im Ermittlungsverfahren für die Dauer des Strafverfahrens wäre also nur provisorisch. Eine über die Erhebung der öffentlichen Klage hinaus reichende Erteilung sicheren Geleits kommt mithin nicht in Betracht.257 Nun spricht zwar die Vorschrift des § 295 StPO nicht explizit aus, dass eine bedingte bzw. zweckgebundene Erteilung sicheren Geleits möglich ist. § 295 StPO ist – trotz seiner kaum mehr bestrittenen Geltung für das gesamte Strafverfahren – eine primär auf die Hauptverhandlung zugeschnittene Vorschrift.258 Eine Notwendigkeit für den Gesetzgeber, zu regeln, dass das erteilte sichere Geleit für einzelne Verfahrensabschnitte gilt, bestand somit nicht. § 295 Absatz 3 StPO ist zu entnehmen, dass das sichere Geleit nur aus den dort aufgeführten Gründen erlischt. Nach Sinn und Zweck des § 295 StPO muss jedoch auch eine befristete bzw. primär zweckgebundene259 Erteilung sicheren Geleits möglich sein.260 Eine Erteilung in anderen Verfahrensabschnitten als der Hauptverhandlung wäre sonst nicht möglich. Ein Strafverfahren zieht sich – trotz des Beschleunigungsgebots – über mehrere Monate hin, einzelne Strafverfahren dauern sogar über mehrere Jahre an. Bei Bestehen eines Haftgrundes im Sinne des § 112 Absatz 2 StPO kann es dem Beschuldigten nicht über einen derartigen Zeitraum freigestellt werden, sich ohne Beschränkungen zu bewegen. Dies wäre eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung im Inland befindlicher Beschuldigter. Zwar ist eine Eingrenzung der Bewegungsfreiheit des Beschuldigten auch durch die ausdrücklich in § 295 Absatz 1 [2. Halbsatz] StPO geregelte Ver256
Zu den Ausnahmen Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschn. H Rn. 18. So im Ergebnis auch OLG Oldenburg OLGSt § 295 S. 5 (6). 258 Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Gestellungsmittel der Beschlagnahme und des sicheren Geleits die Anwesenheit des Beschuldigten zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung anstelle des nicht in die Reichsstrafprozessordnung aufgenommenen Kontumazialverfahrens ermöglichen sollten. Vgl. hierzu insbesondere Hahn, Mot. RStPO, S. 185 ff., 238 ff. 259 Im Falle einer zweckgebundenen Erteilung sicheren Geleits muss sichergestellt sein, dass der Beschuldigte beispielsweise nach Vornahme der Handlung hinreichend Zeit erhält, Deutschland zu verlassen. Eine Frist für die Ausreise sollte in dem Beschluss auf Erteilung sicheren Geleits ausdrücklich ausgesprochen sein. Ein angemessener Zeitraum kann auch kürzer als der in Art. 12 EuRhÜbk vorgesehene Zeitraum sein. 260 Ohne nähere Begründung ebenso Meyer-Goßner, § 295 Rn. 7; KK-StPO/ Engelhardt, § 296 Rn. 6; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 15; SK-StPO/ Schlüchter, § 295 Rn. 9; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 14. 257
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knüpfung der Erteilung sicheren Geleits mit Bedingungen zu erreichen. Als wirksameres Mittel erscheinen jedoch die Befristung bzw. Zweckbindung. Für den Beschuldigten mag insofern auch der Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ bei einer unbefristeten, nicht zweckgebundenen Erteilung sicheren Geleits für das gesamte Strafverfahren eine gewisse Gefahrenlage darstellen. Regelmäßig dürfte Fluchtgefahr aber bei dessen Rückkehr in seinen gewöhnlichen Aufenthaltsstaat kaum zu bejahen sein, stellt er sich dem Verfahren freiwillig. Ziel des sicheren Geleits als Gestellungsmittel, das eine „Sonderbehandlung“ des Beschuldigten gegenüber der sonstigen in der Strafprozessordnung vorgesehenen Vorgehensweise darstellt, kann nur sein, die Anwesenheit des Beschuldigten, soweit diese erforderlich ist, herbeizuführen. Vor Eröffnung des Hauptverfahrens ist dies nur für einzelne Untersuchungshandlungen wie die Vernehmung des Beschuldigten der Fall. Auch dies spricht im Übrigen dagegen, eine Erteilung sicheren Geleits im Ermittlungsverfahren auch für die Hauptverhandlung überhaupt zuzulassen. Eine vorsorgliche Erteilung sicheren Geleits bereits im Ermittlungsverfahren für eine mögliche spätere Hauptverhandlung kann auch angesichts der erforderlichen sensiblen Interessenabwägung nicht in Betracht kommen. Der zuständige Richter muss angesichts der jeweiligen Sachlage die in seinem Ermessen stehende Entscheidung treffen. Sind die Ermittlungen noch gar nicht abgeschlossen, so kann eine Interessenabwägung für die Hauptverhandlung nicht erfolgen. Der Sachverhalt und dessen rechtliche Beurteilung mögen sich im konkreten Fall ebenso wie die Interessen der Beteiligten als deutlich unterschiedlich zu dem Tatbestand darstellen, der im Ermittlungsverfahren der Interessenabwägung für die Erteilung sicheren Geleits zugrunde gelegt wurde. Eine Zuständigkeit des Gerichts, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, kommt somit vor Erhebung der Anklage nicht in Betracht.261 c) Sicheres Geleit für die Hauptverhandlung Ab Erhebung der öffentlichen Klage liegt die Zuständigkeit zur Erteilung sicheren Geleits bei dem Gericht, das mit der Sache befasst ist. Zwar wird die öffentliche Klage erst mit dem Eröffnungsbeschluss rechtshängig und somit der Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft entzogen (§ 156 StPO),262 die bis dahin die öffentliche Klage zurücknehmen kann. Bereits im Zwischenverfahren entscheidet aber das Gericht, vor dem die Hauptver261 262
So aber insbesondere Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 14. BGHSt 29, 224 (229).
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handlung stattfinden soll, über Anträge und Einwendungen (§ 201 StPO) und ordnet von Amts wegen einzelne Beweiserhebungen zur besseren Aufklärung der Sache an, soweit sie ihm notwendig erscheinen (§ 202 StPO). Mit Erhebung der öffentlichen Klage endet somit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters.263 III. Der Antrag Im Strafverfahren gegen den Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt werden soll, ist dessen Erteilung nicht von einem förmlichen Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten abhängig. Sie kann auch von Amts wegen erfolgen.264 Im Ermittlungsverfahren wird der Ermittlungsrichter regelmäßig gemäß § 162 StPO erst auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig. Eine Zuständigkeit des Richters als Notstaatsanwalt gemäß § 165 StPO ist in Zusammenhang mit der Erteilung sicheren Geleits kaum denkbar.265 Der Beschuldigte kann die Erteilung sicheren Geleits auch im Ermittlungsverfahren gegenüber dem zuständigen Gericht anregen.266 Das Gericht wird sicheres Geleit aber nicht ohne Rücksprache mit dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger gewähren, es sei denn, diese haben sicheres Geleit selbst angeregt, da die Erteilung sicheren Geleits nur dann Sinn macht, wenn der Beschuldigte auch tatsächlich gedenkt, davon Gebrauch zu machen.267 IV. Die Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits 1. Vorrang einer Aufhebung des Haftbefehls Gründet der Haftbefehl im Falle eines Beschuldigten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, allein auf dem Haftgrund der Fluchtgefahr und begehrt dieser Beschuldigte sicheres Geleit, um sich dem Strafverfahren freiwillig zu stellen, so ist vorrangig der Haftbefehl aufzuheben; denn 263 BGHSt 27, 253; OLG Düsseldorf NJW 1981, 2133 (2134); KK-StPO/Tolksdorf, § 202 Rn. 1. 264 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 13; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 9. 265 Zur Begründung einer richterlichen Zuständigkeit im Ermittlungsverfahren Kurzdarstellung bei Schlothauer, StV 2001, 463. 266 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 25. 267 So auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 13. Ein Antrag des Nebenklägers auf Erteilung sicheren Geleits im Verfahren gegen den Beschuldigten ist von dessen Befugnissen nicht gedeckt. Der Nebenkläger betreibt – anders als der Privatkläger – das Verfahren nicht selbst, sondern tritt neben den öffentlichen Ankläger. Vgl. hierzu KK-StPO/Senge, § 397 Rn. 1.
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Zweck des Haftbefehls ist es, die Durchführung des Strafverfahrens und insbesondere die Hauptverhandlung zu ermöglichen.268 Die Gefahr für den Angeklagten liegt darin, dass, falls sich im Laufe der Hauptverhandlung seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe infolge eines für den Angeklagten ungünstigen Verlaufs der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme als äußerst wahrscheinlich darstellt, ein neuer Haftbefehl ergehen kann; denn die Untersuchungshaft soll über die Durchführung des Strafverfahrens hinaus auch die Strafvollstreckung sichern.269 Dies gilt aber nur dann, wenn klare Anhaltspunkte dafür vorliegen, der Angeklagte werde nicht bereit sein, im Falle einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe diese anzutreten.270 Der Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ verlangt demgegenüber ein über das bloße Vorliegen der Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Absatz 2 Nr. 2 StPO hinausgehendes aktives Tun.271 Es empfiehlt sich daher auch bei Aufhebung des Haftbefehls einen Antrag auf sicheres Geleit zu stellen, der das Vorliegen eines Haftbefehls nicht voraussetzt. 2. Erteilung sicheren Geleits immer im Ermessen des Gerichts? § 295 StPO stellt die Erteilung sicheren Geleits in das Ermessen des Gerichts („kann“). Fraglich ist, ob im Ermittlungsverfahren dieses Ermessen einer Einschränkung unterliegt. § 120 Absatz 3 StPO bestimmt, dass der Haftbefehl dann aufzuheben ist, wenn die Staatsanwaltschaft dies vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Im Ermittlungsverfahren ist das Gericht also verpflichtet, auf Antrag der Staatsanwaltschaft – auch wenn dieser Antrag keine Begründung enthält – den Haftbefehl aufzuheben. Der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung, die bereits in ihrem § 126 eine Verpflichtung zur Aufhebung des Haftbefehles auf Antrag der Staatsanwaltschaft enthielt, nennt als Grund für diese Regelung allein die Herrschaft der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren: „Stelle der Staatsanwalt selbst im Vorverfahren den Antrag auf Freilassung, so sei der Amtsrichter hieran gebunden. In diesem Stadium der Sache, in dem sich alle Fäden in der Hand des Staatsanwalts befinden, müsse nicht nur die Frage, ob öffentliche Anklage zu erheben sei, sondern auch die Frage, ob die Fortdauer der Haft notwendig erscheine, vom Staatsanwalte entschieden werden; dieser allein sei hier dominus litis. Um alle Zweifel zu beseitigen, erachte er die Aufnahme der von ihm beantragten Ergänzung [Anm.: in § 115 des Entwurfs nach den Worten „ist aufzuheben, wenn“ fortzufahren: „die Staatsanwaltschaft darauf anträgt oder 268 269 270 271
KK-StPO/Boujong, Vor § 112 Rn. 10. BVerfGE 32, 87 (93). OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. März 2004, Az. 3 Ws 44/04. Dazu sub § 1 H. VII. 1. b).
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wenn nicht binnen einer Woche nach Vollstreckung des Haftbefehls die öffentliche Klage“ u.s.w.] in das Gesetz für notwendig.“272
Der Charakter des Vorverfahrens müsse im Gesetz seinen expliziten Ausdruck finden.273 Für den Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls gemäß § 116 StPO hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof entschieden: „Auch ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls bindet den Ermittlungsrichter in der Weise, dass er nicht einen weitergehenden Eingriff in Grundrechte des Beschuldigten anordnen darf, als er von dem Herrn des Ermittlungsverfahrens in dessen Verantwortung begehrt wird.“274
Eine Verpflichtung des Gerichts, einem Antrag der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens auf Erteilung sicheren Geleits zu folgen, gibt es hingegen nicht: Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof hat eine Anwendung des § 120 Absatz 3 StPO auch auf die Außervollzugsetzung des Haftbefehls auf die Stellung der Staatsanwaltschaft als Herrin im Ermittlungsverfahren gegründet,275 folgt damit also der Argumentation des Gesetzgebers der Reichsstrafprozessordnung zu § 126 RStPO – jetzt § 120 Absatz 3 StPO. Er hat auch nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass sich aus der Bindungswirkung des § 120 Absatz 3 Satz 1 StPO schließen lasse, dies müsse „erst recht“ für die Außervollzugsetzung gelten, und hat damit a majore ad minus geschlossen.276 Die weiteren Ausführungen vermögen indes nicht zu überzeugen. Der Ermittlungsrichter beim BGH argumentiert, der Staatsanwalt könne auf eine Ablehnung der beantragten Außervollzugsetzung hin den Beschluss aufheben lassen und gleichzeitig die Freilassung des Beschuldigten anordnen.277 Theoretisch ist dies möglich. Es ist aber kaum zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft, die die Voraussetzungen für eine Außervollzugsetzung als gegeben ansieht, dann, wenn sie mit diesem Antrag scheitert, die Aufhebung beantragt und damit dem Beschuldigten die Möglichkeit zur Flucht oder zur Verdunkelung eröffnet.278 272 Abgeordneter Wolffson, Protokolle der Kommission. Zweite Lesung in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1266. 273 Abgeordneter Wolffson in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1266. 274 BGH, Ermittlungsrichter, StV 2000, 31. 275 BGH, Ermittlungsrichter, StV 2000, 31. 276 BGH, Ermittlungsrichter, StV 2000, 31. 277 BGH, Ermittlungsrichter, StV 2000, 31. 278 So auch AG Stuttgart NStZ 2002, 391 (392).
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Ist der vom Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung gewollten und in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte anerkannten Stellung der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens tatsächlich eine Anwendung des § 120 Absatz 3 StPO auch auf andere mit dem Haftbefehl zusammenhängende Maßnahmen und Entscheidungen geschuldet? Auf den ersten Blick macht die formal klare gesetzgeberische Entscheidung, eine Bindungswirkung des Antrags der Staatsanwaltschaft nur für die Aufhebung des Haftbefehls zu regeln und gerade nicht für andere Anträge,279 wenig Sinn. Betrachtet man Art. 104 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 Satz 2 GG, so zeigt sich, dass der Richtervorbehalt im Bereich der freiheitsentziehenden Maßnahmen allein für eingreifende Maßnahmen gilt. Dennoch hat der Gesetzgeber bewusst auch sonstige mit dem Haftbefehl zusammenhängende Entscheidungen in das Ermessen des Richters gestellt. Überzeugen kann dabei nicht die Argumentation des AG Stuttgart, das den Grund für die Ausnahmeregelung des § 120 Absatz 3 StPO darin sieht, dass andernfalls der Ermittlungsrichter einen Haftbefehl aufrecht erhalten könnte, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen wollte,280 normiert doch § 120 Absatz 1 Satz 2 StPO die Verpflichtung, den Haftbefehl aufzuheben, wenn das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird. Dennoch ist für eine analoge Anwendung des § 120 Absatz 3 außerhalb des vom Gesetzgeber klar geregelten Bereichs, nämlich der Aufhebung des Haftbefehls vor Erhebung der öffentlichen Klage, kein Raum.281 Eine regelungswidrige Lücke, die der Gesetzgeber bei Einführung des § 116 StPO übersehen hätte, besteht nicht. Die Außervollzugsetzung des Haftbefehls gemäß § 116 StPO mag zwar im Vergleich zu dessen Aufhebung auf den ersten Blick das Mindere sein,282 die Entscheidung ist aber eine gänzlich andere. Die Regelung des § 116 StPO soll gewährleisten, dass „mehr als bisher geprüft wird, ob sich je nach Lage des Falles Mittel und Wege finden lassen, die es trotz Bestehens der Voraussetzungen des Haftbefehls vertretbar erscheinen lassen, den Vollzug der Untersuchungshaft durch weniger einschneidende Maßnahmen zu ersetzen“.283 279 OLG Düsseldorf StV 2001, 462 (463); AG Stuttgart NStZ 2002, 391 (391 f.); KK-StPO/Boujong, § 120 Rn. 23; Löwe/Rosenberg/Hilger, § 120 Rn. 40. 280 AG Stuttgart NStZ 2002, 391. 281 So aber FS-Meyer-Goßner/Nehm, S. 277 (290 f.). Rinio (NStZ 2000, 547) bejaht eine Bindung an den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls unter Hinweis auf die Stellung der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“, der nur durch die Annahme einer solchen Bindungswirkung Genüge getan werden kann. Diese Argumentation vermag insbesondere mit Blick auf die gesetzliche Regelung nicht zu überzeugen. 282 So jedenfalls BGH, Ermittlungsrichter, StV 2000, 31; FS-Meyer-Goßner/ Nehm, S. 291; Löwe/Rosenberg/Hilger, § 120 Rn. 40. 283 BT-Drucks. IV/178, S. 23.
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Soll der Haftbefehl lediglich außer Vollzug gesetzt werden, so liegen nach wie vor die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft284 vor. Lediglich der Zweck der Untersuchungshaft, namentlich die Begegnung von Fluchtgefahr (§ 116 Absatz 1 StPO) oder Verdunkelungsgefahr (§ 116 Absatz 2 StPO), können auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden. Eine tatsächliche Beeinträchtigung der Herrschaft der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren liegt daher nicht vor, überlässt man die Entscheidung über die Außervollzugsetzung des Haftbefehls dem Richter. Die Aufhebung des Haftbefehls hingegen verlangt eine gänzlich andere Beurteilung. Hier stellt sich tatsächlich die Frage, ob beispielsweise ein dringender Tatverdacht noch vorliegt, eine Entscheidung, die systemgerecht im Ermittlungsverfahren zunächst auch der Staatsanwaltschaft obliegt, auf deren Antrag hin der Haftbefehl in diesem Stadium regelmäßig erst erlassen werden kann (§ 125 Absatz 1 StPO). Wie verfehlt eine Anwendung des § 120 Absatz 3 StPO auf eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls wäre, zeigt sich, wenn man die Argumentation von Nehm näher betrachtet. Dieser führt aus, es könne „bei der angesprochenen Bindung selbstverständlich nur um die Grundentscheidung gehen. Mit welchen Auflagen der Beschuldigte vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft zu verschonen ist, entscheidet der Ermittlungsrichter, ohne insoweit an Anträge, Vorschläge oder Vorstellungen der Staatsanwaltschaft gebunden zu sein“.285
Die Grundentscheidung, ob ein geeignetes Mittel zur Erreichung des Zweckes der Untersuchungshaft im Einzelfall existiert, kann nicht ohne Entscheidung über das konkrete Mittel getroffen werden. Dies gilt auch vice versa. Wie das AG Stuttgart zutreffend erkannt hat, steht auch die Regelung des § 116 Absatz 4 StPO einer analogen Anwendung des § 120 Absatz 3 StPO entgegen. § 116 Absatz 4 StPO normiert, dass der Richter bei Außervollzugsetzung des Haftbefehls den erneuten Vollzug in den dort geregelten Fällen anordnet. Folgte man der Ansicht des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof, so könnte die Staatsanwaltschaft diesen jederzeit wieder außer Vollzug setzen lassen, teilte sie die Auffassung des Gerichts nicht.286 Für den Bestand des Haftbefehls ist dieses Zusammenspiel von Erlass und Aufhebung hingegen explizit geregelt. 284 Aus dem Wortlaut des § 116 StPO und dem Umkehrschluss aus § 120 Absatz 1 Satz 1 StPO ergibt sich eindeutig, dass bei Außervollzugsetzung des Haftbefehls die Voraussetzungen der Untersuchungshaft noch bestehen; denn anderenfalls wäre dieser zwingend aufzuheben. 285 FS-Meyer-Goßner/Nehm, S. 291 [Hervorhebung im Original]. 286 AG Stuttgart NStZ 2002, 392.
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Lehnt man nun eine Verpflichtung des Richters zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls auf Antrag der Staatsanwaltschaft ab, so ergibt sich bereits hieraus, dass auch die Erteilung sicheren Geleits im Ermittlungsverfahren allein im Ermessen des Gerichts verbleibt. Wollte man der Ansicht des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof folgen, so wäre es nur konsequent unter der Annahme, es handle sich hierbei als Haftverschonung lediglich um das Mindere im Vergleich zur Aufhebung des Haftbefehls, eine analoge Anwendung des § 120 Absatz 3 StPO auch auf die Erteilung sicheren Geleits zu bejahen. Sicheres Geleit gewährt die Befreiung von der Untersuchungshaft, also Haftverschonung. Das Bestehen eines Haftbefehls nach §§ 112 ff. StPO ist zwar nicht erforderlich.287 Wird sicheres Geleit für das eigene Strafverfahren erteilt, so dauern die Ermittlungen gegen den Beschuldigten noch an. Bei bereits erlassenem Haftbefehl bestehen die Haftgründe fort. Der Haftbefehl wird nicht aufgehoben bzw. die Möglichkeit, einen Haftbefehl zu erlassen, bleibt unberührt. Sicheres Geleit hindert für die Dauer seiner Gewährung nur dessen Vollzug, beeinträchtigt ihn jedoch nicht in seinem Bestand. Somit sind die Parallelen zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls unübersehbar. Ein solches Verständnis würde aber nicht nur die ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Zuständigkeit aushebeln. Vielmehr betrifft die Entscheidung über sicheres Geleit nicht den Haftbefehl beziehungsweise die Verhaftung selbst.288 Die Untersuchungshaft wird zur Erreichung ihres Zwecks nach wie vor als erforderlich angesehen, anderenfalls müsste der Haftbefehl aufgehoben oder jedenfalls außer Vollzug gesetzt werden. Soweit man annimmt, das sichere Geleit diene primär dem Aufklärungsinteresse des Staates,289 ist auch ein Rechtsanspruch des Beschuldigten auf Erteilung sicheren Geleits konsequent zu verneinen.290 Gleichwohl sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits auch die Interessen der jeweiligen Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen.291 Das Rechtsstaatsprinzip vermag dabei jedenfalls das Ermessen des Gerichts in erheblichem Maße zu beschränken. Dies ergibt sich bereits aus § 163 a StPO, der die Subjektstellung des Beschuldigten schon im Ermittlungsverfahren konkretisiert und grundsätzlich dessen Anspruch auf rechtliches Gehör und seinen Beweiserhebungsanspruch schon in diesem Verfarhensabschnitt anerkennt.292 287
Meyer-Goßner, § 295 Rn. 5. OLG Köln NJW 1958, 1985; OLG Frankfurt NJW 1952, 908. 289 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 25. 290 Davon zu unterscheiden ist aber der Anspruch auf die Beachtung freien Geleits, den nicht nur der Zeuge, sondern auch der ersuchte Staat besitzt, vgl. Robert Linke, in: Österreichische Hefte für die Praxis des internationalen und ausländischen Rechts 1959, S. 133 (135). 291 BGH NJW 1991, 2500. 288
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3. Das Erfordernis der Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits für das eigene Strafverfahren a) Keine ungerechtfertigte Besserstellung eines „flüchtigen“ Beschuldigten Die Ausgangslage bei Erteilung sicheren Geleits ist die eines abwesenden Beschuldigten, gegen den ein Haftbefehl besteht bzw. der konkreten Anlass hat, den Erlass eines Haftbefehls zu befürchten. Die übliche Vorgehensweise bei Bestehen des Haftbefehls ist, dessen Vollziehung zu betreiben.293 Hiervon stellt die Erteilung sicheren Geleits eine Ausnahme dar. Zu bedenken ist, dass regelmäßig eine Vollziehung des bestehenden Haftbefehls bei dem abwesenden Beschuldigten gerade nicht möglich ist oder unverhältnismäßig erscheint. Dennoch ist zur Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits eine sorgfältige Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen erforderlich zur Vermeidung des Vorwurfes, die Befreiung von der Untersuchungshaft stelle eine ungerechtfertigte Besserstellung des – regelmäßig – flüchtigen Beschuldigten, der von der Untersuchungshaft verschont bleibt, im Vergleich zu einem anwesenden Beschuldigten dar.294 b) Erscheint die Erteilung sicheren Geleits im Einzelfall als sinnvoll? Das Gericht hat bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen – gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem Beschuldigten –, ob dieser beabsichtige, von dem sicheren Geleit tatsächlich Gebrauch zu machen. Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Geleitbriefs, ist das Gericht nicht verpflichtet, einen solchen zu erteilen, wenn ihm dessen Erteilung nicht als sinnvoll erscheint, sei es, weil nicht zu erwarten ist, dass der Beschuldigte erscheinen werde, oder aus anderen Gründen.295 c) Interessen der Verfahrensbeteiligten als Gegenstand der Abwägung Gegenstand der Abwägung sind die Interessen der am Verfahren Beteiligten. Der Bundesgerichtshof hat hierzu wie folgt Stellung genommen: „Die nach freiem Ermessen zu treffende Entscheidung setzt allerdings eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der das freie Geleit begehrenden Partei, gegen das Verfolgungsinteresse des Staates in dem anhängigen Strafverfahren voraus.“296 292 293 294 295
Löwe/Rosenberg/Rieß, § 163 a Rn. 1. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 425. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 425. Vgl. SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 7 f.
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Im konkreten Fall begehrte der Beschuldigte als Partei in einem Zivilprozess sicheres Geleit. Die Ausführungen des Bundesgerichthofs können aber auf das gegen den Beschuldigten gerichtete Verfahren übertragen werden. Dabei ist zu differenzieren: Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs passen insbesondere auf den Fall, dass sicheres Geleit vom Beschuldigten selbst, sei es im eigenen Strafverfahren oder in einem sonstigen von ihm als Partei betriebenen Verfahren, begehrt wird oder von einem Dritten, der den Beschuldigten in einem Verfahren gegen sich oder einem von ihm betriebenen Prozess als Zeugen vernehmen lassen will. Im Strafverfahren gegen den Beschuldigten selbst kann der Antrag – wie bereits festgestellt – sowohl von Seiten des Beschuldigten als auch durch die Staatsanwaltschaft gestellt werden. In seinem eigenen Strafprozess wird oftmals der Beschuldigte selbst einen Antrag auf Erteilung sicheren Geleits stellen, insbesondere wenn er sich erhofft, das Strafverfahren durch sein persönliches Erscheinen zu einem für sich selbst günstigen Abschluss bringen zu können. In diesem Fall steht dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse sein eigenes Interesse an einer Befreiung von der Untersuchungshaft gegenüber. In Betracht kommt aber auch eine Erteilung des sicheren Geleits von Amts wegen. Stellt dagegen der Staatsanwalt den Antrag auf Erteilung sicheren Geleits für den Beschuldigten, so wird sicheres Geleit für einen Dritten begehrt. Wie bei Erteilung sicheren Geleits von Amts wegen steht auch bei der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde ohnehin das Interesse an einer umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verbunden mit dem Interesse an der Durchführung des Strafverfahrens im Vordergrund, so dass nicht immer eine eindeutige Abgrenzung zum staatlichen Strafverfolgungsinteresse, dem Gericht und Staatsanwaltschaft dienen, möglich ist. d) Sind bei der Interessenabwägung allein die Interessen des Antragstellers maßgeblich oder können auch die Interessen Dritter Berücksichtigung finden? Nach eindeutiger Aussage des Bundesgerichtshofs sind bei der Abwägung die Interessen aller Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen, unabhängig davon, wer im konkreten Fall den Antrag auf sicheres Geleit gestellt hat. Stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf sicheres Geleit oder wird das Gericht von Amts wegen tätig, so mag dabei zwar die prozessuale Fürsorgepflicht297 eine Rolle spielen. Entscheidendes Motiv ist aber regelmäßig als konkretes eigenes Interesse, die Wahrheitsfindung zu gewährleisten. Unter Beachtung aller strafprozessualen Grundsätze und im 296 297
BGH NJW 1991, 2500 (2501). Meyer-Goßner, Einl. Rn. 155 ff.
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Hinblick auf die starke Stellung von Gericht und Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Beschuldigten werden zumeist die Interessen der Verfahrensbeteiligten nicht auseinander zu halten sein, insbesondere als die Strafverfolgungsbehörden gehalten sind, nicht nur Belastendes, sondern auch Entlastendes zu ermitteln. Den Ausschlag zugunsten der Erteilung sicheren Geleits mag im konkreten Fall gerade die Gesamtschau der Interessen geben. Die Bedeutung der Sache und die Schwierigkeit der Sachverhaltsaufklärung sind im Rahmen des Belangs Wahrheitsfindung zu berücksichtigen. e) Kann die Erteilung sicheren Geleits das staatliche Strafverfolgungsinteresse überhaupt beeinträchtigen? Der Bundesgerichtshof hat nicht näher ausgeführt, inwieweit eine Erteilung sicheren Geleits das Strafverfolgungsinteresse überhaupt beeinträchtigen kann. Eine dogmatischer Betrachtung des ineinander Übegreifens der einzelnen Regelungen zeigt jedoch, dass eine Beeinträchtigung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses durch Erteilung sicheren Geleits nicht zu befürchten steht: Eine Erteilung sicheren Geleits kommt nur dann in Betracht, wenn ein Erzwingen des Erscheinens des Beschuldigten vor den staatlichen Strafverfolgungsbehörden bzw. dem Gericht nicht möglich oder nicht angemessen erscheint.298 Aufgrund der Abwesenheit des Beschuldigten wird das Strafverfahren in diesen Fällen regelmäßig gemäß § 205 Satz 1 StPO eingestellt. Eine Durchführung der Hauptverhandlung ist jedenfalls ausgeschlossen. Eine grundlegende Definition des staatlichen Strafverfolgungsinteresses findet sich weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur. Die Zielrichtung des Strafverfolgungsinteresses lässt sich jedoch dem Straftatbestand der Strafvereitelung entnehmen. Wie sich aus § 258 StGB ergibt, hat das Strafverfolgungsinteresse zwei unterschiedliche Komponenten. Eine Strafvereitelung im Sinne des § 258 StGB begeht, „wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird“.299
Tathandlung ist also zum einen die Vereitelung des staatlichen Anspruchs auf Verhängung der Strafe oder Anordnung der Maßnahme.300 298 299 300
Dazu bereits sub § 1 E. IV. § 258 Absatz 1 StGB. BGHSt 31, 10 (12); 45, 97 (100); Tröndle/Fischer, § 258 Rn. 5.
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Eine Strafvereitelung im Sinne des § 258 StPO begeht aber auch, „wer absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen einen anderen verhängten Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil vereitelt“.301
Durch die Unterscheidung zwischen Verfolgungsvereitelung und Vollstreckungsvereitelung trägt die Vorschrift des § 258 StGB der im Strafverfahren selbst klar gezogenen Trennlinie zwischen Verfolgung und Vollstreckung Rechnung. Der Staat hat sowohl den Anspruch auf Verhängung einer Maßnahme als auch einen Strafanspruch, den es zu verwirklichen gilt.302 Nicht nur die Vollstreckung der Strafe, sondern auch bereits die Verhängung der Strafe ist Teil des staatlichen Strafverfolgungsinteresses. Zwar ließe sich argumentieren, dass ohne Verhängung einer Strafe eine Strafvollstreckung nicht möglich ist, so dass eine Aufnahme der Verfolgungsvereitelung in § 258 StGB bereits aus diesem Grunde zwingend war. Der Verhängung der Strafe selbst kommt jedoch im deutschen Recht eine eigene Bedeutung zu.303 Insbesondere dann, wenn die Erteilung sicheren Geleits für die Hauptverhandlung in Frage steht und der Angeklagte für den Fall der Erteilung sicheren Geleits bereit ist, vor dem zuständigen Gericht zu erscheinen, begibt sich der Richter somit selbst in die Gefahr der Verwirklichung des Tatbestandes der Strafvereitelung im Amt. Dies gilt auch dann, wenn zu befürchten steht, der Angeklagte werde sich noch vor Urteilsverkündung dem Verfahren erneut entziehen; denn zum einen eröffnet § 231 Absatz 2 StPO für solche Fälle die Möglichkeit das Verfahren fortzusetzen. Auch bei Abwesenheit des Angeklagten findet § 231 Absatz 2 StPO Anwendung. Zum anderen stellt sich dann die Frage, ob nicht ein Erlöschensgrund nach § 295 Absatz 3 StPO vorliegt.304 Eine Verurteilung wegen eines solchen Vergehens müsste freilich an der Sperrwirkung der Rechtsbeugung scheitern.305 Eine Beugung des Rechts läge nur dann vor, wenn materielles oder prozessuales Recht verletzt, also objektive Rechtsregeln falsch angewandt würden.306 Nach der gegenwärtigen Ausgestaltung des § 295 StPO als Ermessensvorschrift ließe sich dies nur schwerlich begründen. Bei der Frage der Erteilung sicheren Geleits kollidiert also die Möglichkeit einer Durchführung des Strafverfahrens bis zur Urteilsverkündung mit der vorläufigen Einstellung des Verfahrens entweder bereits im Stadium des 301
§ 258 Absatz 2 StGB. BGHSt 30, 77 (78); LK-StGB/Ruß, § 258 Rn. 1. 303 Dazu bereits sub § 1 G. I und sub § 1 G. II. 4. 304 Dazu sogleich sub § 1 H. VII. 305 Zur Sperrwirkung der Rechtsbeugung BGHSt 10, 294 (298); LK-StGB/Spendel, § 339 Rn. 129. 306 Tröndle/Fischer, § 339 Rn. 9. 302
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Vorverfahrens oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens ohne die realistische Erwartung, dieses tatsächlich zu Ende führen zu können. f) Bei der Erteilung des sicheren Geleits zu beachtende wesentliche Grundprinzipien des Strafverfahrens Hinzu kommt, dass eine mangels tatsächlicher Alternative, den Verfolgungsanspruch des Staates zu verwirklichen, sinnentleerte Verwendung des Begriffes Strafverfolgungsinteresse in Widerspruch zu zentralen Prinzipien des Strafverfahrens steht: (1) Das rechtliche Gehör Das in Art. 103 Absatz 1 GG normierte Recht auf Gehör hat in §§ 136, 163 a StPO eine konkrete Regelung für das Strafverfahren erfahren. Gesetzlich vorgesehen ist ausdrücklich eine mündliche Vernehmung,307 wenngleich der grundrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör selbst die mündliche Vernehmung des Beschuldigten nicht gebietet.308 Die Vernehmung des Beschuldigten dient primär seiner Verteidigung, aber auch der Sachverhaltsaufklärung.309 Der Beschuldigte darf nicht zum Objekt des Verfahrens werden.310 Die Strafprozessordnung gebietet daher zu recht die mündliche Vernehmung des Beschuldigten – außer bei einfachen Sachverhalten – jedenfalls vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens.311 (2) Wahrheitsermittlung Gerade da, wo der Beschuldigte Bereitschaft zeigt, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, konterkariert eine Verweigerung sicheren Geleits die Wahrheitsermittlung als zentrales Anliegen eines jeden Strafverfahrens: „Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt (BVerfGE 19, 342 [347]; 20, 45 [49]; 20, 144 [147]), das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess betont (BVerfGE 32, 373 [381]) und die Aufklä307
Löwe/Rosenberg/Hanack, § 136 Rn. 36. Die schriftliche Anhörung wird in der Regel als ausreichend empfunden, vgl. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 711. 309 Rieß, JA 1980, 293 (297); Löwe/Rosenberg/Hanack, § 136 Rn. 35. 310 BVerfGE 7, 53 (58) und öfter. Vgl. dazu auch Kühne, Rn. 264. 311 Ergänzend stellt Nr. 5 Absatz 3 RiStBV die Verpflichtung auf, die Einlassung des Beschuldigten so gründlich aufzuklären, dass die Hauptverhandlung reibungslos durchgeführt werden kann. 308
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rung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (BVerfGE 29, 183 [194]).“
(3) Mündlichkeitsgrundsatz Mit dem Mündlichkeitsgrundsatz312 ist es nicht vereinbar, ein den Beschuldigten in hohem Maße belastendes Strafverfahren und einen gegen diesen bestehenden Haftbefehl aufrecht zu erhalten, ohne ihn jemals mündlich angehört zu haben, obwohl er sich hierzu bereit erklärt hat. Der Mündlichkeitsgrundsatz entfaltet seine eigentliche Bedeutung zwar für die Hauptverhandlung. Für die Hauptverhandlung hat er insbesondere in dem Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme eine ausdrückliche Regelung in der Strafprozessordnung erfahren.313 Die Regelung des § 163 a Absatz 1 Satz 1 StPO, die das Gebot der mündlichen Vernehmung des Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren normiert, belegt jedoch, welche Bedeutung der Gesetzgeber einer frühzeitigen mündlichen Anhörung des Beschuldigten durch die Strafverfolgungsbehörden beigemessen hat,314 zumal der grundrechtlich verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör eine mündliche Anhörung nicht verlangt.315 Selbstverständlich steht es dem Beschuldigten jederzeit frei, sich dem Verfahren im Inland zu stellen und dieses damit zu einem Abschluss zu bringen. Jedoch kann von keinem Beschuldigten verlangt werden, dass dieser sich freiwillig in Haft begebe: „Kein Besch[uldigter] ist verpflichtet, seine Strafverfolgung zu erleichtern. Die Absicht des Besch[uldigten], in der Schweiz zu bleiben, also den derzeitigen Zustand aufrecht zu erhalten, der seine Strafverfolgung zumindest erschwert, kann einem positiven Sichentziehen i. S. d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht gleichgestellt werden (Senatsentscheidung NJW 1972, 2098).“316 312
Dazu bereits sub § 1 D. IV. 1. Meyer-Goßner, § 250 Rn. 1. 314 § 163 a StPO enthält einen „Minimalanspruch“ des Beschuldigten auf rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren. Es soll aber nicht nur dem Beschuldigten rechtliches Gehör gewährt werden, sondern vielmehr durch die Anhörung des Beschuldigten eine Tatsachengrundlage geschaffen werden, auf deren Basis die Staatsanwaltschaft eine Entscheidung nach § 170 StPO treffen kann. Vgl. hierzu SK-StPO/ Wohler, § 163 a Rn. 1, 3. Bedenkt man, welchen Schaden der Ruf des Beschuldigten durch die Anklageerhebung nehmen kann, so zeigt sich, wie wichtig es ist, schon im Ermittlungsverfahren alle Mittel zur Wahrheitsfindung auszuschöpfen und dabei auch den Beschuldigten mündlich anzuhören. 315 Kühne, Rn. 711. 316 OLG Karlsruhe StV 1999, 36; vgl. auch BGH StV 1990, 309; OLG Saarbrücken StV 1991, 266; OLG Stuttgart StV 1995, 258; OLG Naumburg wistra 1997, 80. 313
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Ausgehend von der wertsetzenden Bedeutung des Art. 2 GG, des Art. 5 Absatz 1 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die die Haft nur dann zulassen, wenn sie zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung unerlässlich ist, ist der Wunsch des abwesenden Beschuldigten, an dem Strafverfahren nur dann teilzunehmen, wenn er auf freiem Fuß bleibt, nicht nur legitim, sondern unbedingt zu respektieren.317 Nur so ist die Durchführung des Strafverfahrens gegen einen Beschuldigten, der abwesend im Sinne des § 276 StPO ist, gewährleistet. g) Das Vieraugengespräch als Sonderfall Besondere Anforderungen sind an eine faire Verfahrensführung dann zu stellen, wenn im Zentrum des strafrechtlichen Vorwurfs ein Vieraugengespräch steht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte318 hat entschieden, dass Art. 6 Absatz 1 MRK verletzt wird, wenn ein Zivilgericht nur einen der Partner eines Vieraugengesprächs anhört, die Vernehmung des anderen Partners aber wegen dessen Parteistellung ablehnt. Dabei hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst festgestellt, dass die „dem Konzept einer „fairen Anhörung“ innewohnenden Anforderungen . . . in Fällen, die die Entscheidung über Bürgerrechte und -pflichten betreffen, nicht notwendig dieselben wie in Fällen, die die Entscheidung von strafrechtlichen Beschuldigungen betreffen“,319
sind. In Anlehnung an diese Entscheidung und die hierauf beruhende Judikatur des Bundesgerichtshofs320 hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 21. Februar 2001 (Az. 2 BvR 140/00) ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf wegen Verletzung von Art. 103 Absatz 1 und Art. 2 Absatz 1 GG (in Verbindung mit Art. 20 Absatz 3 GG) aufgehoben, weil die Zivilkammer zum umstrittenen Inhalt eines Vieraugengesprächs nicht die Beschwerdeführerin gemäß § 141 oder § 448 ZPO, jedoch den Zeugen der Gegenpartei vernommen hatte.321 Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren wie auch im Strafverfahren gegen einen Dritten oder in einem Zivilverfahren. Im Strafverfahren besteht sogar in noch höherem Maße die Notwendigkeit, nicht nur einen Partner eines Vieraugen317
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. März 2004, Az. 3 Ws 44/04. NJW 1995, 1413 (1414) = ZEuP 1996, 484 (486 f.) (Dombo Beheer B. V./ Niederlande) jeweils Nr. 33 ff. 319 EGMR NJW 1995, 1413. 320 Vor allem BGH NJW 1999, 363 (364). 321 BVerfG (4. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2001, 2531 f. 318
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gesprächs anzuhören. Dies gilt wegen der gleichlaufenden Interessenlage immer dann, wenn Aussage gegen Aussage steht. Das Strafverfahren wird von verschiedenen Prinzipien beherrscht. Eine ausführliche Darstellung hat in dieser Arbeit insbesondere das Recht auf Gehör erfahren. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts,322 die im Falle eines Vieraugengesprächs der mündlichen Anhörung auch des Beschuldigten als Teilnehmer an diesem Gespräch bedarf. Dem Beschuldigten steht weiter das verfassungsrechtlich anerkannte Recht auf ein faires Verfahren zu.323 Der Beschuldigte, dessen Recht auf Freiheit der Person durch das Strafverfahren bedroht ist, darf nicht „zum bloßen Objekt eines Strafverfahrens herabgewürdigt werden“.324
Das Strafverfahren setzt daher einen „Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen“325
des Beschuldigten je nach Lage des Strafverfahrens voraus. Gilt aber, dass staatliche Organe korrekt und fair zu verfahren haben,326 so gebietet dies die mündliche Anhörung des Beschuldigten zum Inhalt des gegenständlichen Vieraugengesprächs. Der Beschuldigte ist Beweismittel im materiellen Sinn und dient somit als wichtiges Mittel zur Sachverhaltsaufklärung.327 In einer Situation Aussage gegen Aussage gewinnt er umso mehr an Bedeutung. Die Strafverfolgungsbehörden müssen sich einen Eindruck von der Version des Beschuldigten über das in Rede stehende Vieraugengespräch und einen persönlichen Eindruck von dem Beschuldigten machen, wollen sie das Strafverfahren auf diesem Vieraugengespräch aufbauen. Eine zügige mündliche Vernehmung des Beschuldigten gebieten auch der Beschleunigungsgrundsatz und das Interesse des Beschuldigten nicht mit einem Strafverfahren belastet zu sein.328 Eine Interessenabwägung bei der Frage der Erteilung sicheren Geleits muss somit regelmäßig – es sei denn es existiert im Ausnahmefall tatsächlich ein deutlich überwiegender Belang wie z. B. Verdunkelungsgefahr oder die Gefahr der Einflussnahme auf einen Zeugen – zu Gunsten des Beschuldigten ausfallen. Im Einzelfall kann die Gefährlichkeit des Beschuldigten ein Absehen von der Gewährung sicheren Geleits gebieten. 322
BVerfGE 57, 250 (274). BVerfGE 38, 105 (111); 57, 250 (274 f.); 89, 120 (129). 324 BVerfGE 57, 250 (275). 325 BVerfGE 57, 250 (275). 326 BVerfGE 38, 105 (111). 327 Löwe/Rosenberg/Hanack, § 136 Rn. 35. 328 Vgl. zum Recht des Beschuldigten auf eine zügige Verfahrensdurchführung Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschn. G Rn. 31. Vgl. auch BGHSt 26, 1 (4) mit zahlreichen Nachw. 323
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h) Erteilung sicheren Geleits unter Bedingungen § 295 Absatz 1 StPO sieht ausdrücklich vor, dass sicheres Geleit unter Bedingungen erteilt werden kann. Bedingungen sind jedoch nur dann zulässig, wenn sie dem Zweck sicheren Geleits dienen oder aufgrund des Nichtvollzugs der Untersuchungshaft erforderlich sind.329 Weitergehende Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit des Beschuldigten sind unzulässig. Dem Beschuldigten kann untersagt werden, Kontakt zu Mitbeschuldigten aufzunehmen. Er kann angewiesen werden, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten oder eine bestimmte Reiseroute zu wählen. Von ihm können Sicherheitsleistungen, die Abgabe des Reisepasses und regelmäßige Meldungen verlangt werden. Diese Bedingungen dienen dazu, Flucht und Verdunkelung zu verhindern und den Strafantritt zu sichern,330 lassen das sichere Geleit aber teilweise zu einem für den Beschuldigten unwägbaren Risiko werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sicheres Geleit unbefristet oder für die Dauer der Hauptverhandlung gewährt wird, die möglicherweise mit Erlass eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils endet, das zum Erlöschen des sicheren Geleits führt, da der Beschuldigte dann kaum mehr die Möglichkeit haben wird, den Bereich richterlicher Gewalt zu verlassen. V. Inhalt des sicheren Geleits331 1. Die Vorschrift des § 295 Absatz 2 StPO § 295 Absatz 2 StPO legt den inhaltlichen Rahmen für die Erteilung sicheren Geleits fest: „Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist.“
2. Befreiung von der Untersuchungshaft Soweit die Erteilung sicheren Geleits reicht, können bestehende Haftbefehle nicht vollstreckt werden. Der Erlass eines künftigen Haftbefehls wird dadurch nicht verhindert, wohl aber dessen Vollstreckung.332 329
KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 5. Meyer-Goßner, § 295 Rn. 3. 331 Ein Beispiel für einen Beschluss über die Erteilung sicheren Geleits findet sich bei Göbel, S. 111. 332 KMR/Haizmann, § 295 Rn. 11; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 13. Dabei wird über den Wortlaut des § 295 Absatz 2 StPO hinaus ganz überwiegend auch an330
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3. Andere strafprozessuale Freiheitsbeschränkungen als die Untersuchungshaft Das sichere Geleit nach Art. 12 EuRhÜbk erfasst im Gegensatz zu § 295 StPO Haft und sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit. Freiheitsentziehende Maßnahmen nach §§ 230 Absatz 2, 236 StPO sind hiervon jedoch nicht erfasst, da diese nur Handlungen betreffen, die nach der Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates liegen. Das Ministerkomitee der Mitgliedstaaten des Europarates hat in seiner Empfehlung R (83) 12 betreffend das freie Geleit für Zeugen in Anwendung des Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk vom 23. September 1983 – die Freiwilligkeit des Erscheinens des Beschuldigten anerkennend – jedoch ausdrücklich empfohlen von solchen Zwangsmaßnahmen abzusehen.333 In den Wortlaut des Art. 12 EuRhÜbk ist dies freilich nicht eingeflossen. a) Keine freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 230 Absatz 2 StPO Die Strafprozessordnung sieht außer der – in § 295 Absatz 2 StPO ausdrücklich genannten – Untersuchungshaft noch weitere freiheitsentziehende Maßnahmen vor. So ist gemäß § 230 Absatz 2 StPO die Vorführung des Angeklagten anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ist; dabei dient der Haftbefehl nach § 230 Absatz 2 StPO nur dazu, eine Weiterführung und Beendigung des Strafverfahrens zu ermöglichen. Voraussetzung seines Erlasses ist daher allein die Feststellung, der Angeklagte sei nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt. Darüber hinaus ist weder das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts noch eines Haftgrundes im Sinne von §§ 112, 112 a StPO erforderlich.334 § 295 Absatz 2 StPO erfasst freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 230 Absatz 2 StPO seinem Wortlaut nach nicht. Gleichwohl ist derjenige Beschuldigte, dem sicheres Geleit gewährt wurde, auch von diesen befreit: genommen, dass das sichere Geleit von der Haft nach § 230 Absatz 2, § 236 StPO befreit, so etwa Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 5; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 11; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 14. 333 „Weigert sich ein geladener und bei den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheinender Zeuge, ganz oder teilweise auszusagen, sollte er auch dann nicht festgehalten oder sonst am Verlassen des Staates gehindert werden, wenn eine solche Weigerung nach dem Recht des ersuchenden Staates eine Straftat darstellt oder zu Zwangsmaßnahmen Anlass geben könnte.“ (abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG Rn. 29). 334 OLG Karlsruhe MDR 1980, 868; Meyer-Goßner, § 230 Rn. 21. Vgl. auch BVerfGE 32, 87 (93 f.).
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Der abwesende Angeklagte gilt auch nach seinem Erscheinen aufgrund der Erteilung sicheren Geleits noch als abwesend im Sinne des § 276 StPO. Dennoch finden natürlich im Verfahren gegen diesen die übrigen Vorschriften der Strafprozessordnung Anwendung. Der abwesende Angeklagte gilt somit, erscheint er nicht in der Hauptverhandlung, als ausgeblieben im Sinne des § 230 Absatz 1 StPO, wenn er sich noch im Bereich der richterlichen Gewalt befindet. Erscheint der Angeklagte, dem sicheres Geleit gewährt wurde, nicht in der Hauptverhandlung, so konterkariert er damit den Zweck der Erteilung sicheren Geleits als Gestellungsmittel. Im Übrigen besteht sogar eine Pflicht des Gerichts, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass der Angeklagte an der Hauptverhandlung tatsächlich teilnimmt.335 Dennoch kommt eine zwangsweise Sicherstellung der Anwesenheit des Angeklagten gemäß § 230 Absatz 2 StPO nicht in Betracht.336 Zweifel an einer Schutzbedürftigkeit des Angeklagten könnten zwar insofern tatsächlich bestehen, als dieser den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Absatz 2 StPO in diesem Fall „schuldhaft“337 selbst verursacht hat; denn der Angeklagte kann auch wegen einer nach dem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte Gebrauch vom sicheren Geleit gemacht hat, begangenen Straftat verhaftet werden. Es wird aber wegen der Straftat, für die Befreiung von der Untersuchungshaft gewährt wurde, die Hauptverhandlung, in der die Anwesenheit des Angeklagten erzwungen werden soll, durchgeführt, so dass der Zusammenhang zur Erteilung sicheren Geleits fortbesteht. Erscheint der Angeklagte auf die Gewährung sicheren Geleits hin freiwillig im Inland, ist ohnehin anzunehmen, dass er an der Hauptverhandlung auch teilnehmen wird. Macht der Angeklagte hingegen von dem ihm gewährten sicheren Geleit keinen Gebrauch, so kann dieses widerrufen werden. Anders als § 116 Absatz 4 Nr. 2 [2. Alt.] StPO für die Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls enthält § 295 StPO keine ausdrückliche Rege335 BGHSt 3, 187 (190). Vgl. auch HansOLG Hamburg GA 1961, 177 (178): „Diese Befugnisse sind Ausdruck der Pflicht des Vorsitzenden und des Gerichts, dafür zu sorgen, dass der Angekl. an der Hauptverhandlung teilnimmt. Dass insoweit eine Pflicht besteht, ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen, es ergibt sich aber aus der Pflicht zur Durchführung des Verfahrens in Verbindung mit dem Grundsatz, dass die Hauptverhandlung in der Regel nur gegen einen anwesenden Angeklagten stattfinden darf.“ 336 So aber früher KMR/Müller, Stand: August 1988, § 295 Rn. 1 für einen Haftbefehl nach § 230 StPO, der nach Gewährung sicheren Geleits erlassen wurde: „Sonst könnte der im Inland verweilende Beschuldigte durch sein Ausbleiben das Verfahren behindern.“ Diese Ansicht übersieht, dass der Beschuldigte durch sein „freiwilliges“ Erscheinen das Verfahren überhaupt erst ermöglicht hat. 337 § 230 Absatz 2 StPO spricht insofern vom „nicht genügend entschuldigten“ Ausbleiben.
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lung, die das Erlöschen sicheren Geleits dann vorsehen würde, wenn der Beschuldigte auf ordnungsmäßige Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt. Die Vertrauensbasis, die die Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls gemäß § 116 Absatz 4 Nr. 2 StPO voraussetzt, ist beim sicheren Geleit in demselben Maße nicht gegeben. Auch hier wird zwar vom Vollzug eines Haftbefehls abgesehen. Jedoch eröffnet allein der Beschuldigte die Möglichkeit der Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen dadurch, dass er sich, wenn er von dem gewährten sicheren Geleit Gebrauch macht, freiwillig in den Bereich der richterlichen Zwangsgewalt begibt. Es vertraut also der Beschuldigte darauf, die Strafverfolgungsbehörden werden „vereinbarungsgemäß“ den Haftbefehl nicht vollziehen, wohingegen bei Aussetzung des Haftbefehls die Strafverfolgungsbehörden darauf vertrauen, der Beschuldigte werde sich, auch ohne dass er in Untersuchungshaft gehalten wird, dem Strafverfahren stellen. Das sichere Geleit ist ein Mittel, die Selbstgestellung des Beschuldigten herbeizuführen.338 Nach dem traditionellen Verständnis des sicheren Geleits, besaß derjenige, dem sicheres Geleit erteilt wurde, die Gewähr, dass er, wie immer das Urteil gegen ihn ausfallen mochte, ungefährdet zu seinem Asyl oder seinem Wohnsitz zurückkehren durfte.339 Die in die Reichsstrafprozessordnung aufgenommene Beschränkung des sicheren Geleits auf die Zeit bis zum Erlass des Urteils darf nicht über das weite Verständnis, das der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung nichtsdestotrotz von dem Schutz durch sicheres Geleit hatte, hinwegtäuschen. Sicheres Geleit erhielt auch nach der Reichsstrafprozessordnung dem Beschuldigten bis zu seinem Erlöschen vollumfänglich seine Bewegungsfreiheit.340 Die Anwendung nach dem Wortlaut des § 295 Absatz 2 StPO nicht erfasster freiheitsentziehender Maßnahmen auf den Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, hieße, das sichere Geleit zu unterlaufen. Der Beschuldigte könnte bis zum Urteilserlass – und somit bis zum Erlöschen sicheren Geleits – in Haft gehalten werden. Es war aber allein der Angeklagte, der den Behörden – freiwillig – den physischen Zugriff auf seine Person eröffnet hat. Auch würde die Zulassung freiheitsbeschränkender Maßnahmen nach § 230 Absatz 2 StPO das sichere Geleit zu einem für den Beschuldigten höchst unsicheren Gestellungsmittel machen und dessen praktische Anwendbarkeit erheblich beschneiden. Aufgrund der Ähnlichkeit zur Untersuchungshaft ist eine Ausdehnung auf § 230 Absatz 2 StPO, der das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung regelt, zweckmäßig.341 338
Hahn, Mot. RStPO, S. 242. Mettgenberg, S. 7. 340 Zur Kollision eines derart weitreichenden Verständnisses des sicheren Geleits mit dem Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ vgl. § 1 H. VII. 1. b). 339
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b) Keine freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 236 StPO Literatur und Schrifttum vertreten weitgehend, das sichere Geleit befreie auch vom Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen nach § 236 StPO.342 Nach § 236 StPO ist das Gericht stets befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen und durch einen Vorführungsbefehl oder Haftbefehl zu erzwingen. Zweifelhaft ist, ob für denjenigen Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, diese Vorschrift in der Praxis tatsächlich relevant werden kann; denn sie gilt nur für den Fall, dass das Gericht eine Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zwar durchführen könnte, es jedoch die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zur Erforschung der Wahrheit für sachdienlich erachtet.343 Dies ergibt sich zwar nicht explizit aus dem Wortlaut des § 236 StPO, folgt jedoch aus dessen systematischer Stellung und dem Zusammenspiel mit § 230 Absatz 2 StPO, der bereits eine Pflicht normiert, gegen den unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten Zwangsmittel anzuwenden. Verneint man eine Anwendbarkeit des § 232 StPO auf den im Sinne des § 276 StPO Abwesenden, so kann auch § 236 StPO insofern nicht einschlägig sein. Für die von der herrschende Meinung vertretene Gegenansicht gilt Folgendes: Ist der Beschuldigte im Sinne von § 276 StPO abwesend und soll gegen ihn eine Hauptverhandlung stattfinden, so ist es unwahrscheinlich, dass das Gericht, wenn es auch in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln kann, angesichts des bestehenden staatlichen Strafverfolgungsinteresses in der Praxis sicheres Geleit gewähren wird. Regelmäßig wird das Gericht die Abwesenheit des Angeklagten erst dann positiv feststellen, wenn es dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung für sachdienlich erachtet. Sicheres Geleit dient dazu, die Möglichkeit zur Durchführung eines Strafverfahrens zu schaffen, das anderenfalls wegen Abwesenheit des Beschuldigten nicht zu Ende gebracht werden könnte.344 Liegen die Voraussetzungen des § 232 StPO vor, ist in der Regel ohnehin bereits der Erlass eines Haftbefehls unverhältnismäßig, so dass dann eine Erteilung sicheren Geleits weder notwendig wäre noch in Betracht käme. Stellt der Angeklagte gemäß § 233 Absatz 1 StPO einen Antrag, ihn von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, so 341 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 5; AK-StPO/Achenbach, § 295 Rn. 3; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 14. 342 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, Rn. 5; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 5; SK-StPO/ Schlüchter, § 295 Rn. 14; KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 3; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 11. 343 Meyer-Goßner, § 236 Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 236 Rn. 1. 344 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1. Vgl. zum näheren Verständnis auch die Ausführungen bei Hahn, Mot. RStPO, S. 238–242 und S. 1442–1451.
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wird – in der Praxis – ebenfalls eine Erteilung sicheren Geleits unterbleiben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Gericht vor einer Gewährung sicheren Geleits Rücksprache mit dem Angeklagten halten soll. Eine Ausnahme bildet der Fall, dass bereits im Ermittlungsverfahren – wie eigentlich nicht möglich345 – sicheres Geleit auch für die Hauptverhandlung erteilt wird. Der Angeklagte befindet sich dann jedoch nicht im Bereich der richterlichen Gewalt. § 231 a Absatz 1 StPO, der die Abwesenheitsverhandlung dann ermöglicht, wenn der Angeklagte sich vorsätzlich oder schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat, spielt ebenfalls keine Rolle. Es macht keinen Sinn, das persönliche Erscheinen einer Person, die sich in verhandlungsunfähigem Zustand befindet, mit Zwangsmitteln herbeizuführen. Für einen Angeklagten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, kann § 236 StPO somit nur in den Fällen der § 231 Absatz 2, § 231 b Absatz 1 Satz 1 [1. Alt.]346 StPO Anwendung finden, also dann, wenn sich der Angeklagte entweder eigenmächtig aus der Hauptverhandlung entfernt hat bzw. bei Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ferngeblieben ist oder wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungssaal entfernt wurde. Eine Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen kommt auch im Rahmen des § 236 StPO aus den bereits bereits ausgeführten Gründen nicht in Betracht.347 c) Dürfen freiheitsbeschränkende Maßnahmen, die nicht gleichzeitig freiheitsentziehende Maßnahmen sind, auf den Beschuldigten angewandt werden? Gerade die Ähnlichkeit zur in § 295 Absatz 2 StPO ausdrücklich genannten Untersuchungshaft spricht dafür, auch andere freiheitsentziehende Maßnahmen auf den Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, nicht anzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist aber nur eine Unterform der Freiheitsbeschränkung. Freiheitsbeschränkungen sind „alle der öffentlichen Gewalt in allen ihren Erscheinungsformen zurechenbaren Maßnahmen, die die körperliche Bewegungsfreiheit für eine gewisse Mindestdauer allseitig bzw. auf einen engen Raum beschränken, weil physischer Zwang angewendet wird oder, bei Nichtbefolgung einer Anordnung, sehr wahrscheinlich sofortiger Zwang unmittelbar zu erwarten ist.“348 345
Dazu bereits § 1 H. II. 2. b). Die 2. Alternative, ein Abführen des Angeklagten zur Haft, kann bei demjenigen, dem sicheres Geleit gewährt wurde, nicht einschlägig sein. 347 Vgl. § 1 H. V. 3. a). 346
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Eine Freiheitsentziehung liegt demgegenüber dann vor, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit „örtlich umfassend nach jeder Richtung hin auf einen eng umgrenzten Raum“349
eingeschränkt wird. Bereits eine Gegenüberstellung der Begriffsbestimmungen zeigt, dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen Freiheitsentziehungen und sonstigen Freiheitsbeschränkungen nicht immer einfach ist.350 Eine Freiheitsentziehung liegt insbesondere bei Einschließen einer Person in eine Justizvollzugsanstalt oder in einem geschlossenen Krankenhaus gegen oder ohne Willen des Betroffenen vor.351 Demgegenüber stellt die zwangsweise Vorführung lediglich eine Freiheitsbeschränkung dar.352 Eine Freiheitsbeschränkung, die keine Freiheitsentziehung ist, kann als weniger einschneidende Maßnahme gegenüber dem Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, jedenfalls dann ergriffen werden, wenn sie in keinerlei Zusammenhang mit der Haupttat steht, für die dem Beschuldigten sicheres Geleit gewährt wurde. Ein weitergehender Schutz des Beschuldigten wäre mit Sinn und Zweck des sicheren Geleits nicht vereinbar. Häufig dienen solche freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gerade dem Schutz des Betroffenen oder Dritter. Mehrfach wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich der Beschuldigte, der sich auf die Gewährung sicheren Geleits hin in den Bereich der richterlichen Gewalt begibt, freiwillig dem Verfahren stellt. Tut er dies, so ist es nur recht und billig, ihn für die Dauer des Verfahrens von staatlichem Zwang freizustellen.353 Eine Freistellung des Beschuldigten von staatlichem Zwang erfasst aber notwendigerweise auch die zwangsweise Vorführung, so dass auch diese gegenüber dem Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, keine Anwendung findet.
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Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 104 Rn. 22. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 104 Rn. 23 unter Verweisung auf BVerfGE 94, 166 (198) mit zahlreichen weiteren Nachw. 350 Das Bundesverfassungsgericht hat sich meist einzelfallbezogen geäußert. Der Begriff der Freiheitsentziehung ist dementsprechend heftig umstritten. Vgl. dazu ausführlich v. Münch/Kunig, Art. 104 Rn. 19. 351 Sachs/Degenhart, Art. 104 Rn. 6; Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 104 Rn. 23. 352 Sachs/Degenhart, Art. 104 Rn. 3. 353 So auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1. 349
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4. Reichweite des sicheren Geleits a) Historische Aspekte Aus historischer Sicht ist der Schutzbereich, den sicheres Geleit gewährt, nicht einfach zu fassen. Zu viele unterschiedliche Aspekte sind im Laufe der Zeit in dieses Rechtsinstitut eingeflossen. Zum Schutz des Handelsverkehrs war es beispielsweise möglich, sicheres Geleit für Sachen zu erteilen, um sie vor der Arretierung zu schützen. Im Bayern des 19. Jahrhunderts existierte eine explizite Regelung, die vor dem persönlichen Sicherheitsarrest schützte.354 Der Laie wird dann, wenn im umgangssprachlichen Bereich vom „freien Geleit“ die Rede ist, annehmen, dass derjenige, dem dieses gewährt wird, nach einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland diese wieder ungehindert wird verlassen können. § 295 StPO spiegelt dieses Verständnis nicht wider. b) Für die Straftat, für die es erteilt ist (1) Die Tat im prozessualen Sinne Der Gesetzgeber für die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich hat eine klare Eingrenzung des Schutzbereichs vorgenommen, der bis heute unverändert geblieben ist. Nach dem Wortlaut des § 295 Absatz 2 StPO besteht sicheres Geleit nur für die „Straftat, für die es erteilt ist“, d.h. der Beschuldigte bleibt nur insofern von freiheitsentziehenden Maßnahmen verschont, als diese in unmittelbarem Zusammenhang mit der bestimmten Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Absatz 1 StPO) stehen, für die es erteilt wurde.355 Abzustellen ist dabei nicht allein auf den Inhalt des Geleitbriefes, sondern auf den betroffenen geschichtlichen Vorgang in seiner Gesamtheit, wovon auch alle Umstände erfasst werden, die mit diesem bei lebensnaher Betrachtung eine natürliche Einheit bilden.356 Die im Geleitbrief vorgenommene rechtliche Würdigung bzw. Veränderungen in der rechtlichen Beurteilung aufgrund einer späteren Sachaufklärung können dabei naturgemäß keine Berücksichtigung finden.357 354 Vgl. zum persönlichen Arrest Erler/Kaufmann/Koeher, S. 1482. Zum Arrestgeleit ebd. S. 1487. 355 KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 3 f.; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 12; MeyerGoßner, § 295 Rn. 6. 356 BGHSt 13, 320 (321); KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 4; Löwe/Rosenberg/ Gollwitzer, § 295 Rn. 6; AK-StPO/Achenbach, § 295 Rn. 4. 357 SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 15 mit weiteren Nachw.
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Eine weitere Einschränkung des Schutzbereiches des sicheren Geleits, wie dies offensichtlich Kühne verlangt, wenn er davon spricht, sicheres Geleit könne „allein bzgl. des Deliktes, dessen wegen ganz konkret das sichere Geleit zugesagt worden ist“,358
erteilt werden, kommt nicht in Betracht. Dem steht bereits der klare Wortlaut des § 295 Absatz 2 StPO entgegen. Der Gesetzgeber selbst hat durch die Verwendung des Begriffes „Straftat“ zum Ausdruck gebracht, dass es sich hier um eine Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 Absatz 1 StPO handeln solle.359 § 264 Absatz 1 StPO nennt als Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnetet Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Die Bezeichnung „Tat“ meint dabei den „geschichtlichen Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll“.360
Auch die Anklage selbst hat lediglich eine Umgrenzungsfunktion.361 Hat die Staatsanwaltschaft einen Vorgang angeklagt, so stellen sämtliche zugehörige Geschehnisse die in der Anklage bezeichnete Tat dar, unabhängig davon, ob sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt oder sie der Staatsanwaltschaft überhaupt bekannt gewesen sind,362 so dass sich auch auf diese die Erteilung sicheren Geleits erstreckt. Eine Festlegung auf die anzuwendenden Strafgesetze erfolgt erst mit der Verurteilung. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum bei der Erteilung sicheren Geleits anders verfahren werden sollte. Dies wäre auch sachwidrig. Die notwendige Sicherheit, um einen Beschuldigten zur Selbstgestellung zu bewegen, kann diesem nur die Erstreckung sicheren Geleits auf die Tat im prozessualen Sinne, geben. (2) Sicheres Geleit wegen mehrerer, nicht gleichzeitig abzuurteilender Straftaten Es muss auch möglich sein, sicheres Geleit wegen mehrerer Straftaten zu erteilen,363 wobei diese nicht gleichzeitig zu einer Aburteilung gelangen 358
Kühne (Fußn. 310) Rdnr. 1135 (S. 566). Dazu bereits § 1 H. I. 360 BVerfGE 23, 191 (202). Vgl. auch BVerfGE 45, 434 (435). 361 BGHSt 40, 390 (392); BayOLG wistra 1991, 195 („Bestimmung des Prozessgegenstandes“); OLG Frankfurt OLGSt § 200 StPO Nr. 3; Meyer-Goßner, § 200 Rn. 2. 362 SK-StPO/Schlüchter, § 264 Rn. 2. 363 So auch SK-StPO/Schlüchter, § 265 Rn. 15. 359
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müssen. Ist für die Mehrzahl von Straftaten, derentwegen sicheres Geleit erteilt werden soll, ein Gericht zuständig und sollen diese gleichzeitig abgeurteilt werden, so können hier kaum Schwierigkeiten auftreten, da es einer einheitlichen Interessenabwägung nur einer zuständigen Stelle bedarf. Das Strafverfolgungsinteresse an den Straftaten insgesamt kann also bei der Abwägung berücksichtigt werden. Besteht dagegen eine Zuständigkeit verschiedener Gerichte und erfolgt eine Verbindung dieser Straftaten nicht, so stellt sich die Lage deutlich verändert dar. Für jede Straftat muss das jeweils zuständige Gericht eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und den Interessen der Verfahrensbeteiligten vornehmen. Die Situation ähnelt der bei der Erteilung sicheren Geleits für das Strafverfahren gegen einen Dritten, da hier alle Gerichte außer dem für das zentrale Verfahren zuständigen Gericht Haftverschonung zur Durchführung eines Verfahrens gewähren, für das sie gerade nicht zuständig sind. Hierbei rücken also die Interessen der Beteiligten an diesem Verfahren in den Mittelpunkt der Entscheidung. Der Gesetzgeber für die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich hatte zwar bei der Kodifizierung sicheren Geleits das Verfahren wegen der Straftat, für die sicheres Geleit erteilt werden soll, im Auge. Der Wortlaut des § 295 StPO enthält eine solche Beschränkung jedoch nicht, ebensowenig dessen systematische Stellung im Gesetz. Die Regelung unterfällt dem Titel „Verfahren gegen Abwesende“ und spiegelt damit nur ansatzweise diese ursprüngliche Intention des Gesetzgebers wider. Dem hier behandelten Fall liegt die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abwesenden zugrunde. Eine Begrenzung der Vorschrift auf die dem konkreten Verfahren zugrundeliegenden Straftaten lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Sinn und Zweck der Regelung, nämlich die Ermöglichung der Durchführung des Verfahrens gegen den Abwesenden, jedenfalls bedingen ein umfassendes Verständnis des Begriffes „Straftat“ in § 295 Absatz 2 StPO. Sinn macht eine Erteilung sicheren Geleits in diesem Fall aber nur, wenn sie gleichzeitig von allen zuständigen Gerichten vorgenommen wird, da nur dann eine Chance besteht, der Beschuldigte werde davon Gebrauch machen, so dass Absprachen insofern wünschenswert sind. In der Praxis sollte das Gericht, das für die Erteilung sicheren Geleits in dem Strafverfahren, in dem der Beschuldigte persönlich auftreten soll, zuständig ist, bei den für die weiteren Strafverfahren – jedenfalls soweit ihm solche bekannt sind – zuständigen Gerichten anfragen, ob sie sicheres Geleit auch für die vor ihnen anhängigen Strafverfahren erteilen, um damit eine einheitliche Entscheidung zu gewährleisten; denn nur dann, wenn dem Beschuldigten sicheres Geleit in allen anhängigen Strafverfahren erteilt wird, wird dieser auch erscheinen.
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Die 24. Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat in dem bei ihr anhängigen Verfahren Az. 24 KLs 628 Js 35599/00 sicheres Geleit für zwei Zeugen bei dem in deren Ermittlungsverfahren zuständigen Richter beantragt. Sie hat jedoch zutreffend auf die in der Zuständigkeit des in dem jeweiligen Strafverfahren gegen einen Zeugen zuständigen Ermittlungsrichters für die Erteilung sicheren Geleits liegende Gefahr hingewiesen. Der Schutz des Zeugen sei nicht hinreichend gewährleistet. Im Interesse des Beschuldigten wäre vielmehr eine umfassende Erteilung sicheren Geleits durch das in dem Verfahren gegen den Dritten zuständige Gericht geboten. Für den Beschuldigten würde dies eine Befreiung von Haft und sonstigen freiheitsentziehenden Maßnahmen wegen aller vor dessen Erteilung begangener Straftaten durch das erkennende Gericht bedeuten. Mit Beschluss vom 14. März 2005 hat das Amtsgericht Karlsruhe – Ermittlungs- und Haftrichter – antragsgemäß einer Zeugin sicheres Geleit gewährt.364 Für den weiteren Zeugen unterblieb die Gewährung sicheren Geleits, weil dieser Zeuge nach einem entsprechenden Beweisantrag verbunden mit einem Antrag der Verteidigung, die Kammer möge sicheres Geleit beim hierfür zuständigen Ermittlungsrichter beantragen – aber eben noch vor Gewährung der Befreiung von der Untersuchungshaft –, nach seiner Einreise in die Europäische Union verhaftet wurde. Wäre der Geleitbrief zum Zeitpunkt der Verhaftung erteilt gewesen, ohne dass jedoch bereits der Zeitraum, für den sicheres Geleit gewährt werden sollte, begonnen hätte, so hätte dieses keinerlei Wirkung entfaltet. Eine Aufhebung einer bereits vollzogenen Zwangsmaßnahme aufgrund des für einen späteren Zeitpunkt erteilten sicheren Geleits kommt nicht in Betracht. c) Die Reichweite des Art. 12 EuRhÜbk Sicheres Geleit nach Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk erfasst freiheitsbeschränkende Maßnahmen wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Abreise des Beschuldigten aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates nicht, wenn sie in der Vorladung angeführt sind; das heißt der Beschuldigte genießt wegen der „Tat“, wegen der er vor die Justizbehörden des ersuchenden Staates geladen ist, kein sicheres Geleit. Für Untersuchungshandlungen in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren, zu denen der Beschuldigte geladen ist, bedarf es somit einer Erteilung sicheren Geleits nach § 295 StPO, um den Beschuldigten vor dem Vollzug der Untersuchungshaft in diesem Verfahren zu schützen.
364 Amtsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 14. März 2005, Geschäftszeichen 31 Gs 710/05.
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d) Schützt das sichere Geleit auch vor freiheitsentziehenden Maßnahmen wegen einer anderen als der im Geleitbrief bezeichneten prozessualen Tat? (1) Zeitlich vor der Einreise liegende prozessuale Taten Der klare Wortlaut des § 295 Absatz 2 StPO, der eine Befreiung von der Untersuchungshaft nur für die Straftat gewährt, für die sicheres Geleit erteilt ist, erspart dennoch nicht die Frage, ob das sichere Geleit auch von der Untersuchungshaft wegen einer anderen als der im Geleitbrief bezeichneten Straftat befreit. Überwiegend wir dies verneint.365 Bei einem derart klaren Wortlaut ist zwar regelmäßig ein Rückgriff auf andere Auslegungsmethoden nicht gestattet.366 Dennoch erscheint es aus dem Sinn367 der Vorschrift heraus wichtig, einzelne Aspekte dieser Frage hier aufzugreifen. Festgestellt wurde bereits, dass das sichere Geleit dazu dient, das Strafverfahren gegen den Abwesenden überhaupt zu ermöglichen. Der Beschuldigte wird – regelmäßig auch dann, wenn er mit der Möglichkeit seiner Entlastung rechnet – nur von dem ihm gewährten sicheren Geleit Gebrauch machen, wenn er sich nicht der Gefahr einer Verhaftung ausgesetzt sieht. Die Wahrscheinlichkeit einer Selbstgestellung des Beschuldigten ist also davon abhängig, welcher Grad an Sicherheit dem Beschuldigten geboten wird. Hierin zeigt sich die Schwäche des § 295 StPO. Das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 hat folgerichtig einen anderen Ansatz gewählt. Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk gewährt dem Beschuldigten, der auf Vorladung vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheint, sicheres Geleit wegen aller Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates. Die dem zugrunde liegende Intention ist auch aus der Empfehlung R (83) 12 des Ministerkomitees der Mitgliedstaaten des Europarates betreffend das freie Geleit für Zeugen in Anwendung des fast wortlautgleichen, für Zeugen und Sachverständige geltenden Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk vom 23. September 1998 ersichtlich, die diese 365 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 6; KKStPO/Engelhardt, § 295 Rn. 4; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 15. 366 BVerfGE 19, 248 (251); 21, 292 (305); 63, 131 (148); 69, 209 (213 f.); 78, 350 (357). Vgl. dazu auch Bleckmann, JuS 2002, 942 (943 f.). 367 BVerfGE 18, 97 (111); 47, 46 (82); 67, 382 (390). Zwar kommt hier ein Fall verfassungskonformer Auslegung nicht in Betracht. Trotzdem sollten Entstehungsgeschichte – auch wenn diese in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine nur untergeordnete Rolle spielt, vgl. Bleckmann, JuS 2002, 942 (943) – und Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gänzlich außer acht bleiben. Vgl. auch BVerfGE 8, 28 (33 f.); 38 (41).
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„in der Erwägung, dass vor eine Gerichtsbehörde geladene ausländische Zeugen einer Zeugenladung aus Unsicherheit über die Tragweite des Freien Geleits nicht nachkommen“,368
abgegeben haben. Die Interessenlage unterscheidet sich insofern im Falle eines Zeugen oder Sachverständigen und des Beschuldigten selbst nur unwesentlich. Im Falle des Beschuldigten nicht erfasst sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen wegen der in der Vorladung genannten Taten. In dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren wird der Beschuldigte daher regelmäßig nur erscheinen, wenn ihm wegen der ihm dort vorgeworfenen Taten weder die Untersuchungshaft droht, noch er von dem Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils ausgeht, oder das Gericht ihm sicheres Geleit nach § 295 StPO gewährt. Wie der Zeuge genießt der Beschuldigte jedoch Befreiung vor freiheitsbeschränkenden Maßnahmen aufgrund anderer Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem ersuchten Staat. Zwar lässt der Geleitbrief gemäß § 295 StPO durch die Bezeichnung der Straftat, für die sicheres Geleit erteilt ist, wenig Raum für Zweifel über dessen Reichweite. Der Beschuldigte muss jedoch befürchten wegen anderer Straftaten, derer er dringend verdächtig ist, in Haft genommen zu werden, ohne von dem Ermittlungsverfahren tatsächlich Kenntnis zu haben. Durch das Abstellen auf die prozessuale Tat mit ihrem umfassenden Verständnis ist die Missbrauchsgefahr jedoch erheblich eingedämmt. Zu bedenken ist hierbei, dass die Vorschrift des § 295 StPO in einer mehr als einhundertundzwanzig Jahre zurückliegenden Zeit verwurzelt ist, der Gesetzgeber sich also mit ganz anderen Problemen konfrontiert sah. Die vermehrte Speicherung von Daten und der schnellere Informationsaustausch via Datenvernetzung lassen die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldige wegen einer anderen Straftat als der, wegen der ihm ein Gericht sicheres Geleit gewährt hat, in Haft genommen wird, ungleich höher erscheinen. Eine Angleichung des § 295 Absatz 2 StPO an Art. 12 EuRhÜbk erscheint wünschenswert. Die Klarheit und auch die Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Regelung lassen für eine Auslegung in diese Richtung jedoch keinen Raum. Das sichere Geleit ist eine eng zu verstehende Ausnahme von dem grundsätzlichen Vorgehen, die Vollstreckung eines bestehenden Haftbefehls zu betreiben.369 Der Gesetzgeber hat bewusst die sich darin widerspiegelnde Gewichtung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses vorgenommen. Der Abgeordnete Pfafferott schlug vor, die nunmehr in § 295 Absatz 2 StPO enthaltene, dem ursprünglichen Entwurf für eine Straf368 369
Abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG Rn. 29. So auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 425.
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prozessordnung für das Deutsche Reich entsprechende Formulierung wie folgt abzuändern: „Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur in Ansehung derjenigen strafbaren Handlungen, welche von dem Beschuldigten vor dem Tage der Ausfertigung des Geleitbriefes verübt sind.“370
Dieser Antrag, der dem Beschuldigten mehr Sicherheit geben sollte,371 fand keine Mehrheit. Der Geheime Oberregierungsrat Hanauer wandte ein, der Antrag widerspreche dem Begriffe des sicheren Geleits: „In diesem Begriffe liege die Sicherung gegen Untersuchungs-, nicht aber gegen Strafhaft und die Beschränkung auf einen einzelnen Fall.“372
Um unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben373 und im Hinblick auf die für den Beschuldigten gegebenenfalls nur schwer überschaubare Bedrohung durch weitere freiheitsentziehende Maßnahmen zu einer fairen Lösung zu gelangen, sollte dem Beschuldigten vor Vollzug solcher aus anderen Straftaten resultierender freiheitsentziehenden Maßnahmen die Möglichkeit geben werden, umgehend aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen. Im Anschluss daran könnte über eine erneute umfassende Erteilung sicheren Geleits entschieden werden. Es sei hier nochmals daran erinnert, dass der Beschuldigte, auf den die Staatsgewalt nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hätte Zugriff nehmen können, sich nach Erteilung sicheren Geleits freiwillig in die Bundesrepublik Deutschland begeben und sich dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren gestellt hat. Eine Verpflichtung, dem Beschuldigten die Ausreise zu ermöglichen, lässt sich aber auch im Wege der verfassungskonformen Auslegung nicht begründen. Der Vertrauensschutz beschränkt sich zwar nicht auf Akte der Legislative, sondern erstreckt sich auch auf solche der Judikative und der Exekutive.374 Im Falle der Erteilung sicheren Geleits wurde ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend, der Beschuldigte werde wegen einer im Geleitbrief nicht bezeichneten Tat nicht verhaftet, gerade nicht begründet. Aus dem Geleitbrief ergibt sich die Beschränkung auf die darin bezeichnete prozessuale Tat klar und unmissverständlich. Eine angesichts des umgangssprachlich anderen Verständnisses des – synonym verwendeten – Terminus „freies Geleit“ begründete falsche Erwartung ist nicht schutzwürdig. Ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung und ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ist aber dann zu bejahen, wenn die Straf370 371 372 373 374
In: Hahn, Mot. RStPO, S. 950 f. So der Abgeordnete Pfafferott in: Hahn, Mot. RStPO, S. 951. In: Hahn, Mot. RStPO, S. 951. Ausführlich dazu sogleich unter § 1 H. V. 6. Pieroth, JZ 1990, 279 (285).
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verfolgungsbehörden bewusst sicheres Geleit mit der Intention erteilen, die Untersuchungshaft wegen einer anderen Straftat zu ermöglichen;375 denn durch ein solches objektiv unredliches Verhalten wird der Vollzug eines Haftbefehls erst ermöglicht.376 Die für die Anwendbarkeit des § 242 BGB erforderliche rechtliche Sonderverbindung liegt angesichts des vertragsähnlichen Charakters377 des sicheren Geleits vor. Der Begriff der „rechtlichen Sonderverbindung“ ist weit zu verstehen.378 (2) Zeitlich nach der Einreise liegende prozessuale Taten Begeht der Beschuldigte, dem sicheres Geleit gewährt wurde, nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, also nachdem er von dem sicheren Geleit Gebrauch gemacht hat, eine Straftat, so steht einem Vollzug eines Haftbefehls wegen dieser Straftat nichts im Wege.379 Ein anderes Verständis würde den Raum für eine missbräuchliche Verwendung sicheren Geleits eröffnen. Der Beschuldigte ist nicht schutzwürdig und nicht schutzbedürftig, wenn er durch sein schuldhaftes Verhalten eine weitere Straftat begeht. e) Schützt das sichere Geleit auch vor dem persönlichen Arrest und anderen als strafprozessualen Freiheitsbeschränkungen? Auch außerhalb der Strafprozessordnung sind verschiedene freiheitsentziehende Maßnahmen geregelt. Der persönliche Arrest gemäß § 918 ZPO ist auch bei dem im Ausland befindlichen Beschuldigten von geringerer Bedeutung als es auf den ersten Blick scheint. Er dient nicht dazu, die Zwangsvollstreckung gegen denjenigen zu ermöglichen, der im Inland überhaupt kein bewegliches Vermögen hat. Der Beschuldigten kann auf diesem Wege nicht gezwungen werden, sein Vermögen aus dem Ausland herbeizuschaffen.380 Der persönliche Arrest ist gegenüber dem dinglichen Arrest subsidiär. Sein Anwendungsbereich ist daher begrenzt, so dass die Gefahr eine Anordnung des persönlichen Arrests gegenüber dem Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, nur von geringer praktischer Relevanz ist. In Betracht kommt er dann, wenn der Gläubiger den Aufenthaltsort des Schuldnerver375
Vgl. dazu BGHZ 57, 108 (111). Vgl. Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 43. 377 Vgl. sub § 1 C. II. 378 Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 6 mit zahlreichen Beispielen und Nachw. 379 So auch Art. 12 Absatz 1 und 2 EuRhÜbk: „aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates“. 380 Stein/Jonas/Grunsky, 22. Aufl., § 918 Rn. 1; Zöller/Vollkommer, § 918 Rn. 1. 376
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mögens nicht kennt.381 Ziel des persönlichen Arrestes ist es zu verhindern, dass der Schuldner Vermögensgegenstände beiseite schafft.382 Die Vollziehung des persönlichen Sicherheitsarrestes erfolgt gemäß § 933 ZPO durch Anordnung von Haft oder sonstigen Beschränkungen der persönlichen Freiheit. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich in erster Linie mit dem persönlichen Arrest, da diesem in der Praxis wohl dennoch die größte Relevanz zukommt.383 Als weitere freiheitsentziehende Maßnahme ist aber etwa auch an die Unterbringung des Betreuten nach § 1906 BGB zu denken. Der Gesetzgeber hat auf eine explizite Ausdehnung der Reichweite sicheren Geleits auf freiheitsentziehende Maßnahmen außerhalb der Strafprozessordnung verzichtet. § 295 Absatz 2 StPO erfasst seinem Wortlaut nach weder den persönliche Arrest, auch wenn seine Anordnung wegen zivilrechtlicher Ansprüche, die dem Verletzten aus der Straftat erwachsen sind, begehrt wird, noch andere freiheitsentziehende Maßnahmen. Nur strafrechtliche bzw. –prozessuale Aspekte selbst werden berührt. Diese allein hatte der Gesetzgeber sichtlich auch bei Schaffung dieser Vorschrift im Auge.384 Bedenkt man, dass auch die gegenüber der Erteilung sicheren Geleits als „Mehr“ zu sehende Aufhebung des Haftbefehls bei einer Reise ins Inland keinen Schutz vor dem persönlichen Arrest bietet, ist dies auch nachvollziehbar. Die Aufhebung des Haftbefehls geht weiter als die Erteilung sicheren Geleits, da sie im Zeitpunkt der Aufhebung das Vorliegen von Haftgründen verneint. Sowohl das sichere Geleit als auch die Aufhebung des Haftbefehls hindern demgegenüber dessen Neuerlass nicht. Zuständig für die Anordnung des persönlichen Arrestes ist – anders als für die Gewährung sicheren Geleits – die Zivilgerichtsbarkeit. Die Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich von 1877, die zeitgleich mit der Reichsstrafprozessordnung erlassen wurde, enthielt bereits in § 798 eine zu dem heutigen § 918 ZPO wortlautgleiche Vorschrift über den persönlichen Arrest. Dennoch ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber außerhalb der Strafprozessordnung liegende freiheitsentziehende Maßnahmen in seine Überlegungen überhaupt einbezogen hat. Bei einer Beschränkung des durch sicheres Geleit gewährten Schutzes auf den Wortlaut des § 295 StPO 381
Walker, Rn. 239. Zöller/Vollkommer, § 918 Rn. 1. 383 Eine Relevanz besteht dabei weniger für das eigene Strafverfahren des Beschuldigten als vielmehr im Zivilprozess. Wird dort beispielsweise einer Partei sicheres Geleit erteilt, um eine Parteivernehmung herbeizuführen, so kann der persönliche Sicherheitsarrest schnell zu einem Druckmittel der Gegenseite werden, um ein Erscheinen des Beschuldigten zu verhindern. 384 Hahn, Mot. RStPO, S. 238 ff. 382
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vermag dieses an Bedeutung nicht zu gewinnen. Der Beschuldigte könnte es nicht wagen, von dem ihm wegen einer Straftat gewährten sicheren Geleit Gebrauch zu machen; denn er könnte sich bei Einreise in den Bereich der richterlichen Zwangsgewalt plötzlich von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen bedroht fühlen, die möglicherweise für ihn gar nicht überschaubar sind. Nun besteht aber ein Anspruch eines jeden, dass ihm die Gerichte auf sein Gesuch hin angesichts des bestehenden Selbsthilfeverbots verbunden mit einem staatlichen Rechtsprechungs- und Rechtsdurchsetzungsmonopol auf sein Gesuch hin Rechtsschutz gewähren.385 Dies gilt auch für einen Arrestantrag im Sinne von § 920 ZPO. Mit diesem sogenannten Justizgewährungsanspruch als subjektives öffentliches Recht gegen den Staat386 korrespondiert die Pflicht der Gerichte, als Rechtspflegeorgane tätig zu werden.387 Sie sind verpflichtet, alles zur sachgemäßen Erledigung eines Rechtsschutzgesuchs Notwendige zu tun.388 Der Justizgewährungsanspruch erfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung des Richters.389 Der Nichterlass einer Entscheidung bei tatsächlicher und rechtlicher Entscheidungsreife verletzt den zivilprozessualen Justizgewährungsanspruch.390 Trotz des Erfordernisses der Effektivität des dem Bürger auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten gewährten Rechtsschutzes,391 sind dem Rechtsstaatsprinzip Beschränkungen geschuldet. Die Bindung von vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an das „Recht“ in Art. 20 Absatz 3 GG meint eine Festlegung des gesamten Staatshandelns auf das Ziel der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit als Rechtsprinzip.392 Jedwede Rechts385
Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 48. So Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., Einl. Rn. 210. 387 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., Einl. Rn. 203; Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 48. 388 Dabei besteht kein Anspruch auf eine Entscheidung, „die von jedermann als wahr und gerecht anerkannt wird, sondern [die Justizgewährungspflicht] schafft nur das Recht darauf, dass die für die Entscheidung vorgesehenen Richter im vorgeschriebenen Verfahren nach sorgfältiger Prüfung entscheiden, was nach ihrer richterlichen Überzeugung wahr und gerecht ist“, vgl. BGHZ 37, 113 (121). Vgl. auch BGHZ 67, 184 (187 f.); OLG Bamberg NJW-RR 1995, 1029 (1030). 389 BVerfGE 85, 337 (345). 390 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., Einl. Rn. 211. 391 BVerfGE 85, 118 (123); 93, 99 (107); Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 48, 50; vgl. auch Schumann, in: Festgabe 50 Jahre BGH, S. 3 (15 f.). 392 BVerfGE 7, 89 (92); 7, 194 (196); 20, 323 (331); 21, 378 (388); 49, 148 (164); 70, 297 (308); 74, 129 (152); 95, 96 (130). Einschränkend Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 48 f. mit weiteren Nachw. 386
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
pflege muss sich an der Idee der Gerechtigkeit messen lassen.393 Hinsichtlich einer Wahrung der Interessen des Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, lässt sich zwar nach der gegenwärtigen Ausgestaltung des § 295 StPO nur schwerlich mit den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätzen des Vertrauensschutzes argumentieren.394 Ein schutzwürdiges Vertrauen des Beschuldigten ist zu verneinen, weil der ihm erteilte Geleitbrief die Straftat, auf die sich sicheres Geleit bezieht, genau bezeichnen muss.395 Im Ergebnis ist dies nicht sachgerecht. Die hier offensichtlich bestehende Lücke im Gesetz bedarf einer Korrektur durch den Richter.396 Sie resultiert aus einer fehlerhaften – längst überholten397 – Gesamtkomposition der Vorschrift. § 295 StPO ist eine in der Strafprozessordnung enthaltene Vorschrift, die nur für das Strafverfahren relevante Aspekte erfasst und allein den im Strafverfahren zuständigen Richter zur Entscheidung beruft. Dem könnte nur durch eine in die Zivilprozessordnung bzw. übergreifend in das Gerichtsverfassungsgesetz aufzunehmenden Regelung, die es dem jeweils zur Entscheidung berufenen Richter verwehrt, freiheitsentziehende Maßnahmen gegen den Beschuldigten für die Dauer des Bestehens des sicheren Geleits anzuordnen, begegnet werden. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, für den Gläubiger die Möglichkeit der Anordnung eines persönlichen Arrestes überhaupt erst zu eröffnen, indem die Gerichte dem Beschuldigten, der zugleich Schuldner ist, sicheres Geleit erteilen und dieser davon – das ihm von Seiten des Gläubigers drohende Unheil nicht ahnend – Gebrauch macht. Der einzelne rechtssuchende Gläubiger wird dabei in seinem auf Art. 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip398 fußenden Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz auch bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anordnung des persönlichen Arrestes nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.399 Die Situation bei Nichtanordnung des persönlichen Arrestes für den Gläubiger stellt sich so dar, als ob eine Erteilung sicheren Geleits nicht erfolgt wäre. Das für die Anordnung sicheren Geleits zuständige Zivilgericht muss dies im Rahmen der für die Anordnung des persönlichen Arrestes nach § 918 ZPO erforderlichen Interessenabwägung berücksichtigen.400 Die daher jedenfalls vom Arrestgericht im Regelfall zu for393
BVerfGE 70, 297 (308). BVerfGE 74, 129 (152). 395 Vgl. statt vieler Meyer-Goßner, § 295 Rn. 9. 396 Vgl. dazu Schumann, ZZP 81 (1968), S. 79, insbesondere S. 80, 89. 397 Dazu unten § 1. 398 BVerfGE 93, 99 (107); BGHZ 140, 208 (217); Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 50. 399 BVerfGE 85, 118 (124). 400 Eine solche Interessenabwägung erfordert der Wortlaut des § 918 ZPO zwar nicht. Sie ist jedoch notwendig, da die Anordnung des persönlichen Arrestes einen 394
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dernde Ablehnung der Anordnung des persönlichen Arrestes stellt keine Rechtsverweigerung401 von dessen Seite dar. Anders wird jedoch dann zu entscheiden sein, wenn der Beschuldigte seinen Aufenthalt in Deutschland dazu benutzt, Vermögen beiseite zu schaffen. Bei Erteilung sicheren Geleits kann einer solchen Gefahr durch geeignete Bedingungen Rechnung getragen werden.402 Praktisch ist dies jedoch kaum zu bewältigen, hieße dies doch die Erteilung sicheren Geleits von zu vielen sachfremden Erwägungen abhängig zu machen. Im Einzelfall wird der Richter kaum hinreichende Kenntnis von den Vermögensverhältnissen des Beschuldigen und etwaiger bestehender Verbindlichkeiten haben. In diesem Fall müssen die Interessen des Gläubigers Vorrang genießen. Das Gericht kann bei Vorliegen der Voraussetzungen den persönlichen Arrest anordnen. Art. 12 EuRhÜbk schützt demgegenüber zwar vor jeder Form der Beschränkung der persönlichen Freiheit, jedoch nur wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor der Abreise des Beschuldigten aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates. Der Wortlaut des Art. 12 EuRhÜbk erfasst somit den persönlichen Arrest, der verhindern soll, dass der Schuldner Vermögensgegenstände beiseite schafft, also auf ein gegenwärtiges oder zukünftiges Handeln gerichtet ist, nicht. Art. 12 EuRhÜbk zählt zu den Vorschriften über die Rechtshilfe in Strafsachen, so dass ebenfalls bei der Kodifizierung strafrechtliche Aspekte im Vordergrund standen. Der inhaltlich durch Art. 12 EuRhÜbk bezweckte Schutz des Beschuldigten, der sich auf Vorladung freiwillig vor die Justizbehörden des ersuchenden Staates begeben hat, lässt die Anordnung des persönlichen Arrestes gegen diesen zumindest bedenklich erscheinen. 5. Kann das sichere Geleit Befreiung von der Vollstreckung einer Strafe wegen einer rechtskräftigen Verurteilung in einer anderen Sache gewähren? Soll sicheres Geleit auch vor der Vollstreckung einer Strafe wegen einer rechtskräftigen Verurteilung in einer anderen Sache schützen, droht dieses mit dem staatlichen Vollstreckungsinteresse zu kollidieren.403 Während die Eingriff in das Grundrecht des Beschuldigten aus Art. 2 Absatz 2 Satz 2 GG darstellt. Vgl. dazu Schuschke/Walker, § 918 Rn. 4. 401 Vgl. dazu BGH NJW 1418 (1418 f.). Vgl. auch BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats) NJW 2001, 961. 402 Nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland könnten gemäß § 933 ZPO auch weniger einschneidende freiheitsbeschränkende Maßnahmen als milderes Mittel gegenüber der Haft ergriffen werden. 403 Vgl. dazu auch sub § 1 H. IV. 3. e).
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Untersuchungshaft dazu dient, ein geordnetes Verfahren und die sich möglicherweise anschließende Vollstreckung eines Freiheitsentzuges zu sichern,404 verwirklicht die Strafvollstreckung den Strafausspruch.405 Adressat des Strafvollzugs ist – entsprechend dem Verständnis der Strafe als Mittel der Generalprävention – neben dem Beschuldigten auch die Allgemeinheit. Die Strafvollsteckung dient dem Schuldausgleich, der General- und Spezialprävention und der Resozialisierung.406 In ihrer Zwecksetzung als Verwirklichung des Strafausspruches ist sie zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, in der sie gleichzeitig auch ihre Rechtfertigung als Eingriff in die Freiheitsrechte einer Person findet, erforderlich. Die Strafprozessordnung enthält keine Regelung über die Vollstreckungspflicht. Eine bindende Verpflichtung zur Verwirklichung des Strafausspruches ergibt sich aber bereits aus dem Legalitätsprinzip.407 §§ 258, 258 a StGB stellen nicht nur die Vereitelung der Strafverfolgung, sondern auch die Vereitelung der Strafvollstreckung unter Strafe. Der Gesetzgeber der Strafprozessordnung für das Deutsche Reich hat bewusst sicheres Geleit auf die Zeit bis zum Erlass eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils begrenzt.408 Die gesetzgeberische Intention zielte dabei auf das Strafverfahren, zu dessen Durchführung dem Beschuldigten sicheres Geleit gewährt wurde. Hieraus lässt sich eine fehlende Möglichkeit, bezüglich einer anderen Verurteilung sicheres Geleit zu erteilen, nicht herleiten. Da der Gesetzgeber für das deutsche Reich das Verfahren wegen der Straftat im Auge hatte, wegen der sicheres Geleit erteilt werden sollte, hat er dieses folgerichtig auf eine Befreiung von der Untersuchungshaft beschränkt. Will man aber die Durchführung eines Strafverfahrens gegen einen Beschuldigten, der wegen einer anderen Straftat rechtskräftig verurteilt ist, tatsächlich ermöglichen, so muss das sichere Geleit auch der Vollstreckung der in diesem Verfahren verhängten Strafe entgegen stehen. Auch wenn eine Vollstreckungspflicht in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich vorgesehen ist,409 lässt sich aus § 456 Absatz 1 StPO folgern, dass formell rechtskräftige Urteile sofort zu vollstrecken sind. Sinn und Zweck der Erteilung sicheren Geleits gebieten es, auch hier vom unmittelbaren Inhalt des § 295 Absatz 2 StPO abzuweichen und auch das Absehen von einer Vollstreckung rechtskräftiger Urteile in den Geleitbrief aufzunehmen. Bereits die Abwe404 405 406 407 408 409
Rn. 6.
Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 112 Rn. 1. KK-StPO/Fischer, Vor § 449 Rn. 1. SK-StPO/Paeffgen, Vor § 449 Rn. 7 und dazu bereits sub § 1 G. II. Wetterich/Hamann, S. 31. Dazu sogleich sub § 1 H. VII. 1. a) (2). Vgl. dazu Meyer-Goßner, § 449 Rn. 2, Löwe/Rosenberg/Wendisch, § 449
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senheit steht der Strafvollstreckung entgegen, so dass eine Strafvereitelung durch Erteilung sicheren Geleits mangels des Fehlens der Möglichkeit eines Einwirkens auf den Beschuldigten nicht möglich ist. Art. 12 EuRhÜbk ist auch hier wesentlich umfassender. Untersagt sind die Verfolgung, das in Haft Halten und sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit wegen Handlungen und Verurteilungen aus der Zeit vor der Abreise des Zeugen oder Sachverständigen aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates. Die Frage, ob einem Beschuldigten sicheres Geleit in Bezug auf ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil gewährt werden kann, dürfte für das gegen den Beschuldigten selbst gerichtete Verfahren nur geringe praktische Relevanz haben. Ein im Inland bereits rechtskräftig verurteilter Beschuldigter, wird sich nur in seltenen Fällen einem weiteren Strafverfahren in Deutschland stellen. Auf eine geringe Anzahl begrenzt dürften in der Praxis auch die Fälle sein, in denen der abwesende Beschuldigte bereits rechtskräftig verurteilt ist. Zwingende Gründe, die einer Gewährung sicheren Geleits bezüglich der Vollstreckung eines rechtskräftigen, auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils entgegen stünden, bestehen aber nicht. Art. 12 Absätze 1 und 2 EuRhÜbk erstrecken den Schutz sicheren Geleits ausdrücklich auch auf Verurteilungen aus der Zeit vor Abreise des Beschuldigten aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates. Die Strafvollstreckungsbehörden haben auf den abwesenden Beschuldigten keinen Zugriff zur Ausführung der Strafvollstreckung. Das zeitlich begrenzte Absehen von der Strafvollstreckung stellt im Falle des abwesenden Beschuldigten keinen Willkürakt dar. Der Sachverhalt ist mit dem eines sich im Inland – und damit im Bereich der richterlichen Zwangsgewalt – aufhaltenden Beschuldigten nicht vergleichbar. Der Tatbestand der Vollstreckungsvereitelung ist ebenfalls nicht erfüllt, da eine Besserstellung des Beschuldigten im Hinblick auf die Strafvollstreckung nicht eintritt. Die Strafvollstreckung könnte nur dann vereitelt werden, wenn ihre Verwirklichung denkbar wäre.410 § 295 Absatz 2 StPO ist dahingehend auszulegen, dass die Gewährung sicheren Geleits auch von der Vollstreckung einer rechtskräftigen, auf Freiheitsstrafe lautenden Verurteilung befreien kann. Sie steht zwar in Widerspruch zum Wortsinn des § 295 Absatz 2 StPO, entspricht aber der Regelungsabsicht des Gesetzgebers.411 Primäres Ziel der Gewährung sicheren Geleits ist die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Beschuldigten. Hierzu mag es in Einzelfällen nicht nur der Befreiung von der Untersuchungshaft wegen dieser Straftat, sondern auch der Befreiung von der 410 411
BGH JR 1984, 337; LK-StGB/Ruß, § 258 Rn. 10. Grundlegend BGHSt 31, 10. Vgl. hierzu Larenz, S. 329 f.
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Vollstreckung einer rechtskräftigen, auf Freiheitsstrafe lautenden Verurteilung bedürfen. Die Beschränkung sicheren Geleits auf die „Straftat, für die es erteilt ist“ (§ 295 Absatz 2 StPO) birgt bezüglich rechtskräftiger Verurteilungen infolge der Abschaffung des Abwesenheitsverfahrens nur wenig Gefahr für den Beschuldigten. Eine rechtskräftige Verurteilung durch ein deutsches Gericht ist dem Beschuldigten in der Regel bekannt, so dass deren Aufnahme der Befreiung in den Geleitbrief ohne weiteres möglich ist. Erlischt jedoch sicheres Geleit wegen der Straftat, wegen der der Beschuldigte vor die Justizbehörden geladen ist, so stellt sich die Frage, ob der Beschuldigte vor einer Strafvollstreckung wegen der früheren Verurteilung weiterhin geschützt ist. Das sichere Geleit dient nicht dazu, wegen dieser Verurteilung den Zugriff auf den Beschuldigten zu ermöglichen. Nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung, die eine Erteilung sicheren Geleits wegen der jeweiligen Tat erfordert, ist dem in dem jeweiligen Geleitbrief Rechnung zu tragen. 6. Bewahrt das sichere Geleit vor einer Auslieferung an Drittstaaten? Das sichere Geleit schützt den Beschuldigten, dem es erteilt wurde, regelmäßig nicht gegen eine Auslieferung an einen Drittstaat: Der Schutz, den sicheres Geleit gewährt, kann zwar vor dem Vollzug eines Auslieferungshaftbefehls, also der freiheitsentziehende Maßnahme im Inland schützen,412 verbietet jedoch die Auslieferung nicht:413 Auch hier gilt, dass der Beschuldigte aufgrund der Ausgestaltung des § 295 StPO auf einen Schutz vor Auslieferungshaft überhaupt nur dann vertrauen könnte, wenn der Geleitbrief ihn ausdrücklich ausspräche. Dies würde aber wiederum bedeuten, dass in die Erteilung sicheren Geleits zu viele sachfremde Erwägungen einfließen müssten und – bei zeitlich nicht begrenzter, unbedingter Erteilung sicheren Geleits – pro forma auch der Schutz vor Auslieferungshaft zu gewähren wäre. Angesichts des restriktiveren Schutzbereichs des § 295 StPO gegenüber Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk werden Zwangsmaßnahmen in Zusammenhang mit der Auslieferung auch bei Aufnahme der in Rede stehenden Straftat regelmäßig nicht als erfasst anzusehen sein.414 412 Der Auslieferungsvollzugsakt ist nicht zwingend mit Haft verbunden, vgl. BGHSt 23, 380 (385 f.); Schomburg/Lagodny, § 2 IRG Rn. 10. 413 Die Auslieferung ist Maßnahme der zwischenstaatlichen Rechtshilfe. Der Aufenthaltsstaat überstellt eine Person dem die Auslieferung begehrenden Staat zum Zwecke der Strafverfolgung bzw. -vollstreckung, vgl. Ipsen, § 50 Rn. 8. 414 Zum internationalen ne bis in idem-Grundsatz und dem Verbot der Doppelverfolgung vgl. Meyer-Goßner, Einl. Rn. 177 ff.; vgl. z. B. auch Art. 20 IStGH-Statut.
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Die Auslieferung stellt sich im Verhältnis der hieran beteiligten Staaten als völkerrechtlicher Vertrag dar.415 Der um Auslieferung ersuchende Staat macht dem Aufenthaltsstaat ein Vertragangebot (Auslieferungsbegehren), das dieser annimmt (Auslieferungsbewilligung) oder ablehnt.416 Eine gewohnheitsrechtliche Pflicht, die den Aufenthaltsstaat zur Auslieferung – wenn auch möglicherweise eingeschränkt nur an das Herkunftsland – verpflichten würde, hat sich bislang nicht entwickelt.417 Art. 2 IRG, der die innerstaatliche Ermächtigung zur Auslieferung enthält, räumt der Behörde ausdrücklich ein Ermessen bei seiner Entscheidung über die Auslieferung ein („kann“). Allerdings normiert § 1 Absatz 3 IRG, dass Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen vorgehen. Aufgrund einer Vielzahl von völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich somit im Einzelfall eine Auslieferungspflicht.418 Um diese zu beseitigen, müsste sich für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Abkommen selbst oder einem entsprechenden Vorbehalt die Möglichkeit ergeben, von seiner Verpflichtung zur Auslieferung abzuweichen, weil der Person, die ausgeliefert werden soll, sicheres Geleit gewährt wurde. Eine ähnliche Ausprägung wie die Immunität hat das sichere Geleit im Völkergewohnheitsrecht nicht erlangt, obwohl es sich hier um ein über Jahrhunderte international geprägtes Institut handelt,419 so dass auf diesem Wege die Auslieferung nicht versagt werden kann.420 Einen Verstoß gegen den ordre public, der innerstaatlich gemäß § 73 IRG einer Auslieferung im Wege stehen würde, stellt die Auslieferung trotz Gewährung sicheren Geleits ebenfalls nicht dar. 415
BVerfGE 50, 244 (248 f.). Vgl. insbesondere auch Vogler, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, S. 33 f.: das Auslieferungsersuchen ist das völkerrechtliche Angebot, das Ablehnen der Auslieferung ist die Nichtannahme, die Bewilligung die Annahme, die zum Zustandekommen des Rechtsgeschäftes führt; Heinrich Meyer, Einlieferung, S. 14 ff. (18). 416 BVerfGE 50, 244 (249); vgl. auch Schweitzer/Weber, Rn. 670. 417 Ipsen, § 50 Rn. 8; Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 310. Ausführlich zu der früher bestehenden Kontroverse Shearer, S. 23 ff. 418 So normiert beispielsweise Art. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens [EuAlÜbk] eine Verpflichtung, gemäß den Vorschriften und Bedingungen dieses Übereinkommens Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung und Besserung gesucht werden. 419 Vgl. z. B. Haggenmacher, in: EPIL, Vol. 4, p. 277 ff. Vgl. auch Popp, Rn. 290. 420 Wenn Immunität vorliegt, kann jedenfalls von einer Auslieferung abgesehen werden, vgl. Bothe/Dolzer/Hailbronner/Klein/Kunig/Schröder/Graf Vitzthum/Hailbronner, S. 238.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt enthält das innerstaatliche Recht auch keine Vorschrift, die es gebieten würde, eine Auslieferung der Person, der zuvor sicheres Geleit erteilt wurde, abzulehnen, wenngleich auch bei der Frage der Auslieferung strafrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen. Das sichere Geleit kann aber über Art. 2 IRG in die Entscheidung über die Auslieferung einfließen, soweit ein Ermessen besteht. Art. 2 IRG enthält lediglich eine innerstaatliche Ermächtigung zur Auslieferung. Die Befolgung einer nur innerstaatlich wirkenden Vorschrift würde jedoch einem Verstoß gegen die aus dem völkerrechtlichen Vertrag resultierenden Verpflichtungen darstellen. Aus diesem Grunde wäre es zweckdienlich, in völkerrechtliche Verträge eine entsprechende Klausel aufzunehmen, zumal es sich bei dem sicheren Geleit um ein international anerkanntes Rechtsinstitut handelt. Dort, wo eine Auslieferung gemäß einem bestehenden völkerrechtlichen Vertrag zwingend ist,421 stellte eine Gewährung sicheren Geleits, das den Beschuldigten auch vor der Auslieferung schützen soll, eine einseitige Nichtanwendung des Vertrages dar. Die Nichterfüllung eines Vertrages kann ein Vertragspartner nicht mit entgegenstehendem innerstaatlichem Recht rechtfertigen.422 Über ausländische Rechtshilfeersuchen entscheidet aber gemäß § 74 IRG ohnehin die Justizverwaltung.423 Eine Befugnis der Gerichte, die für die Erteilung sicheren Geleits zuständig sind, sicheres Geleit auch auf die Auslieferung zu erstrecken, besteht insofern also nicht. Fraglich ist dennoch, ob eine Verpflichtung besteht, eine Zusicherung von Organen eines Staates, den Beschuldigten nicht auszuliefern, trotz entgegenstehender völkerrechtlicher Pflichten einzuhalten. Der Auszuliefernde kann nach dem heutigen Meinungsstand auch im Völkerrecht nicht mehr nur als bloßes Objekt des Auslieferungsverfahrens angesehen werden.424 Dies ver421 Regelmäßig besteht eine Pflicht zur Auslieferung bezüglich jeder im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates angetroffenen Person, die von einer zuständigen Behörde des ersuchenden Staates wegen einer in deren Hoheitsgebiet begangener Straftat verfolgt wird oder verurteilt wurde, so z. B. Art. 1 Absatz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Auslieferung vom 14. April 1987 (BGBl. 1990 II S. 111, 716, abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Hauptteil V. A. a. [S. 1063]) und des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über die Auslieferung vom 11. Juli 1977 (BGBl. 1979 II S. 665, 1049, abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Hauptteil V A b [S. 1070]). 422 Doehring, Rn. 370. 423 Vgl. auch Hacker/Schomburg/Lagodny/Wolf, Rn. 31. 424 Vogler in: 140 Jahre GA, 251 (261 f.): Natürlich besteht hier das Problem, dass dem Individuum keine originäre Völkerrechtssubjektivität zukommt, vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 7, insbesondere Rn. 5. Der Auszuliefernde kann sich aber jedenfalls auf einen Schutz durch völkerrechtliche Normen berufen. Zum Meinungsstand vgl. Weigend, JuS 2000, S. 105 (111).
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mag auch bei entsprechender Zusicherung eine Auslieferung nicht zu hindern: Ein Auslieferungsgegenrecht lässt sich in Zusammenhang mit der Erteilung sicheren Geleits auf Seiten des Betroffenen nur schwerlich begründen.425 Die Unzulässigkeit einer Auslieferung könnte sich jedoch aus dem zwischen dem auszuliefernden Beschuldigten und dem ersuchten Staat bestehenden Rechtsverhältnis ergeben. Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt als das gesamte Rechtsleben beherrschener Grundsatz426 auch für das öffentliche Recht, insbesondere auch das Verfahrensrecht, erfasst somit auch die Gewährung sicheren Geleits.427 Das Individuum hat durch die zunehmende Entwicklung der Menschenrechte zwischenzeitlich Anerkennung als partielles Völkerrechtssubjekt428 erfahren.429 Es kommt jedoch nicht darauf an, ob sich der Beschuldigte gegenüber dem ersuchten Staat auf den als allgemeine Regel des Völkerrechts anerkannten Grundsatz bona fides berufen kann430 – was im Ergebnis zu verneinen wäre;431 denn die Erteilung sicheren Geleits nach § 295 StPO ist ein innerstaatlicher, kein völkerrechtlicher Akt. Im innerstaatlichen Recht entfaltet der Grundsatz von Treu und Glauben ebenfalls Rechte und Pflichten für den Einzelnen.432 425
Vgl. dazu Vogler in: 140 Jahre GA, S. 251 (259 ff.). Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 1 unter Verweisung auf BGHZ 85, 48. 427 Vgl. Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 17. 428 Auch diese ist – jedenfalls bezüglich ihres Umfangs – höchst umstritten, vgl. Ipsen, § 7 Rn. 4 ff.; Stein/von Buttlar, Rn. 493 ff. Das humanitäre Völkerrecht oder sonstiges elementares Völkerrecht stehen auf völkerrechtlicher Ebene einer Auslieferung nicht entgegen. Vgl. dazu Vogler in: 140 Jahre GA, 251 (262) und Shaw, p. 183: „Nevertheless, modern practice does demonstrate that individuals have become increasingly recognised as participants and subjects of international law. This has occurred primarily but not exclusively through human rights law. (Dennoch hat die Praxis in der neueren Zeit gezeigt, dass das Individuum immer mehr als „Teilhaber“ am und Subjekt des Internationalen Rechts wahrgenommen wird. Diese Erscheinung entspringt in erster Linie aber nicht ausschließlich den „Menschenrechten“. [Übersetzung der Verfasserin]). Hobe (in: Kimminich/Hobe, S. 157) spricht überzeugend von einem „partiellen Subjektstatus“. Das Individuum stehe zwar nicht auf gleicher Stufe mit dem Staat. Es gewinne aber zunehmend das Recht auf auch prozessuale Geltendmachung seiner materiellen Rechte. 429 Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, wonach ein Zeuge, der in einem Strafverfahren vor ein inländisches Gericht geladen wird, bei vertragslosem Rechtshilfeverkehr auch ohne ausdrückliche Gewährung sicheres Geleit genießen würde, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich abgelehnt (BGHSt 35, 216; kritisch hierzu Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG Rn. 25 ff.). Eine solche Regelung kann auch für den Beschuldigten selbst nicht festgestellt werden. 430 IGH ICJ-Reports 1962, 6 (32, 36) (Preah Vihear-Tempel-Fall); ausführlich dazu Schweitzer/Weber, Rn. 292 ff. 431 Vgl. dazu Doehring, Rn. 109 ff. 432 Zur Anwendung im Bereich des öffentlichen Rechts vgl. BGHZ 30, 232 (236 f.); 94, 344 (349); BVerwGE 9, 155 (160); 25, 299 (303). 426
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Über das Verhältnis zu dem um Auslieferung ersuchenden Staat sagt dies nichts aus. Dem in Art. 31 Absatz 1 WVRK als allgemeine Auslegungsregel kodifizierten Grundsatz von Treu und Glauben liegt folgendes Verständnis zugrunde: „These references to context and purpose demonstrate that the substance of the principle of good faith is the negation of unintended and literal interpretations of words that might result in one of the parties gaining an unfair or unjust advantage over another party.“433
Trotz dieses dem internationalen Recht entnommenen Verständnisses vom Grundsatz von Treu und Glauben – der Grundsatz von Treu und Glauben gilt allgemein als zwingend434 – muss der um Auslieferung ersuchende Staat eine Ablehnung der Auslieferung des Beschuldigten durch den ersuchten Staat nicht akzeptieren.435 Der Grundsatz von Treu und Glauben genießt im Rechtshilferecht zwar besondere Bedeutung.436 Jedoch geht es hier um die Frage entgegenstehenden innerstaatlichen Rechts, auf das sich der ersuchte Staat zur Rechtfertigung der Nichterfüllung des Vertrages nicht berufen kann.437 Darüber hinaus stellt sich aber ohnehin die Frage, ob die Zusicherung an den Beschuldigten, ihn nicht auszuliefern, nicht ohnehin nichtig wäre. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt nichtig, wenn sich nicht aus einem Gesetz ein anderes ergibt. Ein Rechtsgeschäft in diesem Sinne liegt dabei schon bei Abgabe nur einer Willenserklärung vor.438 Somit kommt es auch für die Frage der Anwendbarkeit des § 134 BGB nicht auf das Vorliegen eines Vertrages an. Ein öffentlichrechtlicher Vertrag im Sinne des § 54 VwVfG wäre aber bei Zusicherung durch das Gericht mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu verneinen.439 Gerichte können zwar grundsätzlich Behörden im Sinne des § 1 Absatz 4 VwVfG sein, jedoch nur dann, wenn sie nicht als Gericht, sondern im Rahmen der Gerichtsverwaltung oder sonstiger ihnen übertragener Aufgaben tätig werden.440 Die Erteilung siche433 d’Amato in: EPIL, Vol. 2, p. 599: Diese Bezugnahme auf Zusammenhang und Ziel zeigen, dass der Kern des Grundsatzes von Treu und Glauben die Verneinung unerwünschter und allzu wörtlicher Interpretationen ist, die darin resultieren könnten, dass eine der Parteien einen unfairen oder ungerechten Vorteil über die andere Partei erlangt [Übersetzung der Verfasserin]. 434 Popp, Rn. 52. 435 Grundlegend zur Bedeutung des Grundsatzes bona fides im Völkerrecht Constantopoulos/Wehberg/Verdross, S. 29 ff. 436 Popp, Rn. 52. 437 Doehring, Rn. 370. 438 Vgl. Palandt/Heinrichs, Überbl. vor § 104 Rn. 2. 439 Vgl. dazu Stelkens/Bonk/Sachs, § 54 Rn. 20.
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ren Geleits nach § 295 StPO lässt sich nicht als Tätigkeit in diesem Sinne qualifizieren. Eine Nichtigkeit der Gewährung sicheren Geleits nach § 59 Absatz 1 VwVfG in Verbindung mit § 134 BGB kommt somit nicht in Betracht. Die Erteilung sicheren Geleits, die durch Beschluss erfolgt,441 ist aber auch im Übrigen kein – der Verwirklichung der Privatautonomie dienendes – Rechtsgeschäft im Sinne des § 134 BGB.442 Angesichts des abgeschlossenen Rechtsmittelsystems der Strafprozessordnung und im Interesse der Rechtssicherheit ist eine analoge Anwendung des § 134 BGB ebenfalls abzulehnen.443 Auf die Frage, ob hier überhaupt ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB vorliegt, kommt es somit nicht mehr an. Ein solches ließe sich jedoch im Falle einer sich aus einem völkerrechtlichen Vertrag ergebenden Auslieferungspflicht mit guten Argumenten begründen: Verbote in völkerrechtlichen Normen, die gemäß Art. 25 GG bzw. Art. 59 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden sind, fallen zwar unter § 134 BGB.444 Fraglich ist jedoch, ob eine Verpflichtung zur Auslieferung ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB darstellen kann. Ob ein Gesetz ein Rechtsgeschäft verbietet, ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln.445 Das Vorliegen eines Verbotsgesetzes bestimmt sich demgemäß nicht allein nach dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch nach Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift.446 Vorliegend besteht kein ausdrückliches Verbot einer Zusicherung der Nichtauslieferung. Vielmehr wird durch eine solche Zusicherung eine etwaige Verpflichtung zur Auslieferung aus einem völkerrechtlichen Vertrag konterkariert. Dabei können auch in gesetzlichen Normen enthaltene Verpflichtungen zu deren Qualifikation als Verbotsgesetze führen.447 Angesichts des zwingenden Charakters einer sich aus einem völkerrechtlichen Vertrag ergebenen Auslieferungspflicht, ließe sich somit das Vorliegen eines Verbotsgesetzes durchaus begründen. Sicheres Geleit beinhaltet aber ohnehin kein Verbot einer Auslieferung. Eine solche Zusicherung kann das Gericht auch nicht geben. Einer Zusiche440
Kopp/Ramsauer, § 1 Rn. 57. Meyer-Goßner, § 295 Rn. 9. 442 Vgl. dazu Palandt/Heinrichs, Überbl. vor § 104 Rn. 2. 443 Dazu grundsätzlich MüKo-BGB/Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 24. 444 Palandt/Heinrichs, § 134 Rn. 3; MüKo-BGB/Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 39. 445 MüKo-BGB/Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 41. 446 MüKo-BGB/Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 43 ff.; vgl. auch BGHZ 51, 255 (262). 447 Vgl. zu Schweigepflichten MüKo-BGB/Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 54 ff. 441
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
rung einer Nichtauslieferung fehlte die Rechtsgrundlage, da § 295 StPO eine solche nicht vorsieht. Eine Ausdehnung des Schutzes sicheren Geleits auf die Auslieferung kommt bei diesem gänzlich anderen Rechtsinstitut nicht in Betracht. Fraglich ist, ob der in einer solchen Ausdehnung des Schutzbereichs liegende Mangel zur Nichtigkeit des Beschlusses führen kann. Eine solche kommt in Bezug auf gerichtliche Entscheidungen nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Dies wäre dann denkbar, wenn der Beschluss an einem derart schweren Mangel leiden würde, der es bei Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus schlechthin unerträglich machen würde, sie als verbindlichen Richterspruch anzunehmen und gelten zu lassen und der Mangel nach der Evidenztheorie des Bundesverfassungsgerichts für einen verständigen Beurteiler offen zutage liegen würde.448 Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 295 StPO lässt sich die Offenkundigkeit des Mangels zwar begründen.449 Es handelt sich dabei aber nicht um einen so schweren Mangel, dass es bei Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus schlechthin unerträglich wäre, die so zustande gekommene Entscheidung als einen mit staatlicher Autorität ausgestatteten, in einem rechtsförmlichen Verfahren gefundenen verbindlichen Richterspruch anzuerkennen und gelten zu lassen.450 Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der sachlichen Bedeutung der gerichtlichen Entscheidung.451 Die Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits hat nur mittelbaren Einfluss auf die materielle Entscheidungsfindung. Gegen die Erteilung sicheren Geleits steht dem Beschwerten – gegebenenfalls auch der im Rahmen des Auslieferungsverfahrens zuständigen Behörde – aber das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß § 304 StPO zu.452 Eine Auslieferung desjenigen Beschuldigten, dem zuvor sicheres Geleit gewährt wurde, verstößt also wiederum seinem Wortlaut nach nicht gegen den Inhalt des Geleitbriefs. Solange der Geleitbrief die freiheitsentziehenden Maßnahmen, von denen „Befreiung“ gewährt wurde, eindeutig bezeichnet, erscheint es nur schwer möglich, im Falle einer Auslieferung von einem objektiv unredlichen Verhalten zu sprechen. Wenngleich in einem solchen Fall für den Beschuldigten zweifellos ein unfairer Nachteil besteht, fehlt demgegenüber ein Vorteil des ersuchten Staates.453 Ein Vorteil besteht allein auf Seiten des um Auslieferung ersuchenden Staates. Regelmäßig lässt sich also 448 449 450 451 452 453
BGHSt 29, 351 (353); 33, 126 (127); Meyer-Goßner, Einl. Rn. 105. Vgl. dazu BVerfGE 29, 45, 48 f.; BGHSt 10, 178 (180 f.). Vgl. dazu BGHSt 33, 126 (127). Vgl. dazu BGHSt 29, 351 (353 f.). KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 11. Vgl. Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 43.
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schon aus diesem Grunde ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht bejahen. In der Praxis wird das Gericht auch keine Befreiung von einer Auslieferungshaft aussprechen. Sicheres Geleit nach Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk schützt vor Haft und vor jeder sonstigen Beschränkung der persönlichen Freiheit. Die Auslieferung wird hiervon ebenfalls nicht erfasst, mag aber in der Praxis hierdurch undurchführbar sein. 7. Sonderfall: Der „Internationale Haftbefehl“ Die Frage, ob ein Gericht dann von der Anordnung der Haft befreien kann, wenn ein internationaler Haftbefehl vorliegt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls eine nur theoretische. Regelmäßig liegen als Haftbefehle nur nationale Dokumente vor, so dass entscheidend ist, ob das sichere Geleit vor Auslieferungshaft und Auslieferung schützt. Der häufig in Zusammenhang mit der internationalen Ausschreibung zur Fahndung verwendete Begriff des „internationalen Haftbefehls“ findet sich tatsächlich nur in Zusammenhang mit dem Internationalen Strafgerichtshof.454 Art. 58 Absatz 5, 89 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 eröffnet dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Möglichkeit, an einen Vertragsstaat in dessen Staatsgebiet sich ein Verdächtiger vermutlich befindet, ein Ersuchen um Festnahme und Überstellung dieser Person zu richten.455 Gemäß Art. 87 Absatz 7 des IStGH-Statuts kann der Gerichtshof die Angelegenheit der Versammlung der Vertragsstaaten vorlegen oder dem Sicherheitsrat übergeben, wenn ein Staat dem Ersuchen nicht Folge leistet. Das innerstaatliche Recht ist gemäß Art. 59 IStGH-Statut allein für das Verfahren bei Festnahme und Überstellung maßgeblich. Ein nationales Festnahmeermessen besteht bei Vorliegen eines internationalen Haftbefehls nach Art. 58 IStGHStatut nicht mehr.456 Vielmehr trifft die Vertragsstaaten nach Art. 86 IStGH-Statut eine Pflicht zur Kooperation.457 Das nationale Gericht hat in diesem Zusammenhang keine Befugnis zur Gewährung einer Befreiung von einer Verhaftung. Fraglich ist bereits, ob § 295 StPO als Regelung der 454
Schomburg/Lagodny, § 17 IRG Rn. 7. BGBl. 2000 II S. 1394. Vgl. zur Problematik der Rechtshilfe im Zusammenhang mit den UNO-Tribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda Popp, Rn. 100. Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Rechtshilfe ist mangels Errichtung durch Staatsvertrag zweifelhaft. 456 Grützner/Pötz, III 26 Rn. 8. 457 Cassese/Gaeta/Jones/Swart, S. 1680; Lee/Mochochoko, S. 307; Maikowski, S. 178 f.; Bruer-Schäfer, S. 276. 455
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Strafprozessordnung überhaupt zu den in Art. 59 IStGH-Statut genannten Verfahrensvorschriften gehört. Dies ist zu verneinen. Art. 59 IStGH-Statut meint lediglich die Verfahrensvorschriften, die die Verhaftung selbst betreffen. Schlunck verwendet demgemäß den Begriff der „arrest proceedings“.458 Art. 59 Absatz 2 IStGH-Statut nennt ausdrücklich die Frage der zügigen Vorführung vor den zuständigen Richter.459 Art. 89 IStGH-Statut ist in seinem Wortlaut deutlicher als Art. 59 IStGH-Staut und spricht von „procedure under their national law“460, womit eine Abgrenzung zum nationalen Recht im Übrigen erfolgen sollte.461 § 295 StPO betrifft demgegenüber die Frage, ob eine Verhaftung zulässig ist. Dass deren Beurteilung nicht den Vertragsstaaten überlassen ist, ergibt sich aus Teil 9 des IStGHStatuts, auf den Art. 59 Absatz 1 IStGH-Statut neben dem nationalen Recht für die Verhaftung verweist. Artikel 98 IStGH-Statut sieht Ausnahmen von der Überstellungspflicht dann vor, wenn staatliche und diplomatische Immunitäten berührt werden oder bestimmte völkerrechtliche Übereinkünfte entgegenstehen. Nicht nur der abschließende Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch der Verhandlungsverlauf, dessen Ergebnis eine Kompromisslösung zwischen einer absoluten Kooperationspflicht und einer umfassenderen Liste von Verweigerungsgründen ist, sprechen dagegen, weitere Ausnahmen zuzulassen.462 Die Verträge von Rom sind als internationale Verträge nach Art. 31, 32 WVRK auszulegen.463 Eine Kollision der Pflichten aus dem IStGH-Statut und dem Geleitbrief steht nach der derzeitigen Ausgestaltung des § 295 StPO aber ohnehin nicht zu befürchten. Dies liegt in der notwendigen ausdrücklichen Gewährung sicheren Geleits begründet. Zwar kann im Einzelfall die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit wegen eines der in Teil 2 des IStGH-Statut genannten Verbrechen ebenfalls eröffnet sein, so dass die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts zur Gewährung sicheren Geleits begründet wäre. Eine solche hätte jedoch in diesem Fall im Hinblick auf internationale Verpflichtungen zu unterbleiben, respektive wäre der Beschuldigte darauf hinzuweisen, dass eine Befreiung von der Festnahme infolge eines Ersuchens des Internationalen Strafgerichtshofs nicht gewährt wird. Nach Art. 1, 17 IStGHStatut kommt jedoch auch eine Durchführung des Strafverfahrens durch die nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte in Betracht. 458
Triffterer/Schlunck, Art. 59 Rn. 3. Schlunck (S. 180) spricht insofern von der „Wahrung der Rechte des Festgenommenen im Einklang mit nationalem Verfahrensrecht“. 460 „den in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren“ (BGBl. 2000 II S. 1461). 461 Vgl. Lee/Mochochoko, S. 308 („substantive laws of States [national laws]“). 462 Vgl. dazu Maikowski, S. 181 f. 463 Schabas, S. 93 f. 459
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Anders verhält es sich auch nicht im Falle des Art. 12 EuRhÜbk: Das Europäische Rechtshilfeübereinkommen stellt keine völkerrechtliche Verpflichtung im Sinne des Art. 98 Absatz 2 IStGH-Statut dar, das eine Ausnahme von der Überstellungspflicht begründen würde. Art. 98 Absatz 2 IStGH-Statut erfasst „international agreements pursuant to which the consent of a sending State is required to surrender a person of that State to the Court“464. Die Vertragsstaaten des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens sind nicht als „Entsendestaaten“ in diesem Sinne zu betrachten. Art. 98 Absatz 2 IStGH-Statut erfasst die Fälle in denen eine Person, die sich im Gewahrsam des ersuchten Staates befindet, diesem von einem dritten Staat unter der Bedingung ausgeliefert, überstellt oder entsandt wurde, dass sie nach Beendigung der Untersuchung, Strafverfolgung oder Strafvollstreckung zurückkehren darf.465 Wenngleich Ziel des sicheren Geleits ebenfalls ist, die Rückkehr des Beschuldigten in den früheren Aufenthaltsstaat zu ermöglichen, so hat sich dieser hier freiwillig, allein aufgrund der Aufforderung des ersuchten Staates in dessen Hoheitsgebiet begeben. So ist ein nach Art. 12 EuRhÜbk bestehendes sicheres Geleit ohne Auswirkung auf die Überstellungspflicht nach dem IStGH-Statut. Angesichts der zeitlichen Begrenzung des sicheren Geleits und damit des Aufenthalts des Beschuldigten in dem Hoheitsgebietes des Staates, dessen Justizbehörden ihn vorgeladen haben, wird das Rechtshilfeersuchen aber im Regelfall ohnehin an den Staat gerichtet werden, in dem der Beschuldigte sich gewöhnlich aufhält. Für die Frage der Vertragsverletzung im Falle einer Überstellung des Beschuldigten, der sicheres Geleit gemäß Art. 12 EuRhÜbk genießt, an den Internationalen Strafgerichtshof gilt es im Übrigen zu bedenken, dass nahezu alle Vertragsstaaten des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens die Verträge von Rom unterzeichnet haben. Die Möglichkeit der Ableitung unmittelbarer Rechte des Individuums aus einem völkerrechtlichen Vertrag ist demgegenüber nach wie vor zu verneinen.466 8. Der Europäische Haftbefehl Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2005 die Nichtigkeit des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 21. Juli 2004467 festgestellt.468 464 „. . . völkerrechtlichen Übereinkünften . . ., denen zufolge die Überstellung eines Angehörigen des Entsendestaats an den Gerichtshof der Zustimmung dieses Staates bedarf“ (BGBl. 2000 II S. 1470 f.). 465 Triffterer/Prost/Schlunck, Art. 98 Rn. 6. 466 Vgl. zum Individuum als Völkerrechtssubjekt Doehring, Rn. 109 ff.; Stein/von Buttlar, Rn. 493 ff.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung mit einem Verstoß gegen Art. 16 Absatz 2 Satz 1 GG begründet, weil der Gesetzgeber bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl die verfassungsrechtlichen Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts aus Art. 16 Absatz 2 Satz 2 GG nicht erfüllt habe. Der Gesetzgeber sei bei Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verpflichtet gewesen, das Ziel des Rahmenbeschlusses so umzusetzen, dass die Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist. Insbesondere habe der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie hinaus dafür Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Absatz 2 GG schonend erfolgt. Dabei müsse er beachten, dass mit dem Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt werden.469 Durch den Ausschluss des Rechtswegs gegen die Bewilligung einer Auslieferung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union verstoße das Europäische Haftbefehlsgesetz im Übrigen gegen Art. 19 Absatz 4 GG.470 Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für ein Europäisches Haftbefehlsgesetz berühren den für die vorliegende Arbeit maßgeblichen Bereich nicht im Kern. Der Europäische Haftbefehl471 findet gemäß Art. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten primär auf rechtskräftige Urteile, aber auch im Falle der Anordnung der Untersuchungshaft Anwendung, wenn dem Beschuldigten wegen der Tat, der er verdächtig ist, im Falle der Verurteilung eine Haftstrafe droht. Art. 23 des Rahmenbeschlusses sieht Fristen für die Übergabe der „gesuchten Person“ vor. Gemäß Art. 1 des Rahmenbeschlusses muss ein erlassener Europäischer Haftbefehl im gesamten Gebiet der Europäischen Union vollstreckt werden. Das sichere Geleit stellt keinen der in Art. 27 bis 34 des Rahmenbeschlusses genannten Gründe für ein Absehen von der Vollstreckung dar. Soweit Art. 12 EuRhÜbk Anwendung findet, kommt eine Festnahme jedoch nicht in Betracht. Reist ein abwesender Beschuldiger aus einem Nichtvertragsstaat des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens ein, so eröffnet § 295 StPO auch hier keine Möglichkeit eines umfassenden Schutzes. 467
BGBl. 2004 I S. 1748. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/04. 469 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/04 (3. Leitsatz). 470 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/04. 471 Vgl. zum Rahmenbeschluss vom 18. Juli 2002, in Kraft getreten am 7. August 2002, ABl. L 190 v. 18. Juli 2002, S. 1–12 bzw. http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/ pdf/2001/de_501PC0522.pdf. Vgl. zum Europäischen Haftbefehl Bernd von Heintschel-Heinegg/Daniel Rohlff, GA 2003, 44 ff. 468
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VI. Fehlerhaftigkeit der Bewilligung des sicheren Geleits Zuständig für die Bewilligung des sicheren Geleits ist, wie ausgeführt,472 stets nur der zuständige Strafrichter. Sollte jedoch einmal ein unzuständiger Richter – z. B. der Ermittlungsrichter, obwohl das Hauptverfahren schon eröffnet ist – entschieden haben, ist das erteilte sichere Geleit im Interesse der Schutzwürdigkeit des Beschuldigten trotzdem wirksam und nicht abänderbar.473 Die Wirksamkeit wird deshalb auch nicht beeinträchtigt, wenn ein Zivilrichter irrtümlich glaubt, er dürfe das sichere Geleit für ein Auftreten eines Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung bewilligen und es demgemäß erteilt. VII. Beendigungsgründe 1. Erlöschen des sicheren Geleits In § 295 Absatz 3 StPO findet sich eine abschließende Aufzählung von drei Gründen, die zum Erlöschen des erteilten sicheren Geleits führen. Es handelt sich dabei um den Erlass eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils, Anstalten zur Flucht beim Beschuldigten sowie die Nichterfüllung von im Geleitbrief genannten Bedingungen. Dabei bedarf es bei Vorliegen eines der Gründe keines Gerichtsbeschlusses; das sichere Geleit erlischt automatisch.474 a) Erlöschen des sicheren Geleits durch ein Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils oder wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft (1) Was bedeutet sicheres Geleit? Über die Frage hinaus, ob sicheres Geleit einen umfassenden Schutz vor freiheitsentziehenden Maßnahmen bietet, wirft die Formulierung „Befreiung von der Untersuchungshaft“ in § 295 Absatz 2 StPO ein weiteres Problem auf: Hört der Laie den Begriff „freies Geleit“, so assoziiert er damit, die Person, die sicheres Geleit genießt, dürfe nach Einreise in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dieses auch ungehindert wieder verlassen. Der Wortlaut des § 295 Absatz 2 StPO spiegelt dies jedoch nicht wider. Er 472
Oben bei Fußnote § 1 H. II. AK-StPO/Achenbach, § 295 Rn. 9; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 16. 474 Ausführlicher hierzu Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 18 ff.; SK-StPO/ Schlüchter, § 295 Rn. 18 ff. 473
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
besagt nur, der Beschuldigte werde nicht in Untersuchungshaft genommen, solange kein Erlöschensgrund nach § 295 Absatz 3 StPO vorliegt, insbesondere solange er nicht versuche, sich der richterlichen Zwangsgewalt erneut zu entziehen. Darf der Beschuldigte also das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht wieder verlassen, solange das Strafverfahren gegen ihn nicht abgeschlossen ist? Die Regelung des § 295 StPO weicht erheblich von der ursprünglichen Bedeutung sicheren Geleits ab. Bis ins 16. Jahrhundert hinein schützte das sichere Geleit auch den Verurteilten.475 Derjenige, dem es erteilt wurde, hatte die Gewähr, er dürfe zu seinem Wohnsitz zurückkehren, unabhängig davon, wie das Urteil gegen ihn laute.476 Die nunmehr in § 295 Absatz 3 [1. und 2. Alt.] StPO normierten Beschränkungen bestanden ursprünglich also nicht.477 Da der Gesetzgeber der Strafprozessordnung für das Deutsche Reich aber bewusst zu diesem Zeitpunkt bereits „altgewohnten deutschen Rechtsanschauungen“478 gefolgt ist und die bis heute in § 295 Absatz 3 StPO enthaltenen Beschränkungen einer Erteilung sicheren Geleits gesetzlich normiert hat, stellt sich nur noch die Frage, wie diese im Einzelnen zu handhaben sind. (2) Erlöschen des sicheren Geleits mit Urteilsverkündung? Gemäß § 295 Absatz 3 [1. Alt.] StPO erlischt das sichere Geleit mit Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils. Die herrschende Meinung versteht diese Formulierung dahingehend, dass der Schutz des Beschuldigten vor freiheitsentziehenden Maßnahmen ab Urteilsverkündung nicht mehr besteht.479 Dieser Interpretation steht der Wortlaut näher, als dem Versuch, hierin das Erfordernis der formellen Rechtskraft zu erblicken. Die mit dieser Regelung verbundenen Probleme spiegeln bereits die Protokolle der Kommission wider.480 Der Abgeordnete Pfafferott481 forderte, die Worte „wenn 475 Zum Beendigungsgrund „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ bereits § 1 H. VII. 1. a). 476 Mettgenberg, S. 7. 477 Mettgenberg (S. 7.) spricht nur von der Beschränkung auf die Zeit bis zum Erlass des Urteils. Der Erlöschensgrund des „Anstalten zur Flucht Treffens“ kam aber natürlich ebenso nicht in Betracht, sollte doch dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben werden, an seinen Wohnsitz zurückzukehren. 478 Mettgenberg, S. 9. 479 So auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 18; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 8; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 15; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 15. 480 In: Hahn, Mot. RStPO, S. 950 f. 481 In: Hahn, Mot. RStPO, S. 950 f.
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ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht“ ersatzlos zu streichen. Dieser Antrag wurde aber abgelehnt. Der Geheime Oberregierungsrat Hanauer hatte darauf hingewiesen, dass für ihn Absatz 3482 „ein gültiges rechtswirksames Urteil voraussetze, wie solches die Vollziehbarkeit bedinge“,483
und damit ein gewichtiges Argument, auf das die Kommission einzugehen versäumt hat, ins Felde geführt. Das sichere Geleit gewährt gemäß § 295 Absatz 2 StPO Befreiung von der Untersuchungshaft, nicht jedoch von der Vollziehung eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils wegen der Straftat, für die es erteilt wurde. Eine wortlautgetreue Anwendung des § 295 Absatz 3 [1. Var.] StPO hat aber zur Folge, dass der Beschuldigte nach Ergehen des Urteils doch noch in Untersuchungshaft genommen werden kann. Eine Vollstreckung des Strafurteils ist nämlich erst dann möglich, wenn formelle484 Rechtskraft eingetreten ist.485 § 449 StPO – früher § 481 StPO – bestimmt ausdrücklich: „Strafurteile sind nicht vollstreckbar, bevor sie rechtskäftig geworden sind.“486 482 Damals noch § 283 Absatz 3 des Entwurfs der Strafprozessordnung für das Deutsche Reich, dem der heutige § 295 Absatz 3 StPO nahezu wortlautgleich entspricht. 483 In: Hahn, Mot. RStPO, S. 951. 484 Gegenüber allen Prozessbeteiligten, vgl. Meyer Goßner, § 449 Rn. 5. 485 Pohlmann/Jabel/Wolf, § 3 Rn. 2; Wetterich/Hamann, S. 24; Meyer-Goßner, § 449 Rn. 2; Löwe/Rosenberg/Wendisch, § 449 Rn. 1. Vgl. auch §§ 2, 3 StVollstrO. Die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich nahm in § 481 – heute § 449 StPO – ausdrücklich auf, dass Strafurteile nicht vollstreckbar sind, bevor sie rechtskräftig geworden sind. Damit wollte der Gesetzgeber für die Reichsjustizgesetze die in mehreren Bundesstaaten zuvor übliche Regelung beseitigten, nach der es im Interesse des Verurteilten unter gewissen Voraussetzungen gestattet war, die Vollstreckung der Strafe schon vor dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils zu beginnen, vgl. Löwe, RStPO, 2. Aufl., § 481 Anm. 1. Vgl. auch Hahn, Mot. RStPO, S. 292. 486 Aus diesem Grunde sprach sich der Abgeordnete Hanauer bei der ersten Lesung des Entwurfs einer Strafprozessordnung nebst Einführungsgesetz für eine Gewährung sicheren Geleits bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aus: „In diesem Begriffe [Anm.: sicheres Geleit] liege die Sicherung gegen Untersuchungsnicht aber gegen Strafhaft und die Beschränkung auf einen einzelnen Fall.“ und weiter: „Nach seiner persönlichen Anschauung sei er der Ansicht, dass Absatz 3 des § 283 des Entwurfs [Anm.: später § 337 RStPO bzw. § 295 StPO] ein gültiges, rechtswirksames Urteil voraussetze, wie solches die Vollziehbarkeit bedinge.“ zitiert nach Hahn, Mot. RStPO, S. 951. Weiter äußerte der Abgeordnete Hanauer bei der zweiten Lesung des Entwurfs einer Strafprozessordnung nebst Einführungsgesetz: „Dass das sichere Geleit erlösche, wenn das auf Freiheitsstrafe lautende Urteil die Rechtskraft beschritten habe, sei selbstverständlich. Allein die Regierungen seien der Ansicht, dass nicht eine Einschränkung auf diesen Fall gemacht werden solle, vielmehr mit dem Ergehen des Urteils – ohne Rücksicht auf die dagegen zulässigen
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
Die Untersuchungshaft kann grundsätzlich bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils angeordnet werden,487 auch zur Vollstreckungssicherung.488 Demgegenüber gilt zugunsten des Angeklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung.489 Der Beschuldigte muss also regelmäßig damit rechnen, vor Rechtskraft des Urteils in Haft genommen zu werden. Es ist daher wenig glücklich und auch unnötig, dass der Gesetzgeber in § 295 Absatz 3 [1. Var.] StPO davon abgesehen hat, Rechtskraft des auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils zur Voraussetzung des Erlöschens des sicheren Geleits zu machen. Die rein tatsächliche Durchführung des Strafverfahrens würde hierdurch nicht beeinträchtigt. § 295 Absatz 3 [2. Var.] StPO bestimmt, dass das sichere Geleit auch dann erlischt, wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft.490 Daher ist eine Anordnung der Untersuchungshaft auch dann möglich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, der Beschuldigte werde sich der Strafvollstreckung entziehen.491 Das Gericht, dem insofern ein Ermessen zusteht,492 sollte dies auch bei wortlautgetreuer Anwendung des § 295 StPO berücksichtigen und von der Anordnung der Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten ohne Vorliegen weiterer, zwingender Gründe absehen. Es Rechtsmittel – eine solche Änderung der Sachlage zu Ungunsten des Beschuldigten eintrete, dass die Voraussetzungen des sicheren Geleits nicht mehr als vorhanden angesehen werden könnten, weshalb er um Wiederherstellung der Vorlage bitte.“ (ebd. S. 1458). Daraufhin wurde § 283 Absatz 3 des Entwurfs – später § 337 Absatz 3 RStPO – in der heute noch gemäß § 295 Absatz 3 StPO gültigen Fassung wiederhergestellt. Hier zeigt sich eine der Schwächen der gesetzgeberischen Diskussion über die Ausgestaltung sicheren Geleits. Der Gesetzgeber hat es versäumt, das sichere Geleit mit den sonstigen Regelungen der Reichsstrafprozessordnung abzustimmen. 487 Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 112 Rn. 57. Der Begriff des „Beschuldigten“ in § 112 Absatz 1 StPO erfasst den der Tat Verdächtigen über die Dauer des Strafverfahrens bis zur rechtskräftigen Verurteilung, vgl. OLG Hamm NJW 1954, 403 (404) [damals noch „Angeschuldigter“]. 488 BVerfGE 19, 342 (349). Der Begriff „Strafverfahren“ in § 112 Absatz 2 Nr. 2 (Fluchtgefahr) ist im weiten Sinne zu verstehen und erfasst somit auch die Strafvollstreckung, vgl. Schroeder, JZ 1985, S. 1028 (1031). Dieser Aspekt hat bei dem Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde große Bedeutung. Regelmäßig wird sich nur derjenige Beschuldigte freiwillig dem Strafverfahren stellen, der nicht mit einer Verurteilung oder nur mit einer milden Strafe rechnet. Erfolgt nun eine Verurteilung zur Freiheitsstrafe, so ist die Gefahr besonders hoch, der Beschuldigte werde versuchen, sich der Vollstreckung des Urteils zu entziehen. Vgl. auch Löwe/ Rosenberg/Hilger, Vor § 112 Rn. 57 mit weiteren Nachw. 489 BVerfGE 19, 342 (347); 22, 254 (265); Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschn. I Rn. 75. 490 Dazu sogleich § 1 H. VII. 1. b). 491 Dazu bereits Fußn. 488. 492 Der Erlass des Haftbefehls steht stets im pflichtgemäßen Ermessen des Richters („darf“), vgl. BVerfGE 19, 342 (349).
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sollte freiheitsentziehende Maßnahmen also – es sei denn, es liegt ein weiterer Erlöschensgrund vor – erst nach Rechtskraft des Urteils ergreifen, zumal nach Anklageerhebung gemäß § 125 StPO das Gericht für den Erlass des Haftbefehls zuständig ist, das mit der Sache befasst ist, regelmäßig also das Gericht, das – jedenfalls für die Hauptverhandlung493 – sicheres Geleit erteilt hat.494 Eine solche Handhabung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers: „Der salvus conductus erlösche mit dem Urteil auf Freiheitsstrafe; damit sei jedoch noch nicht gesagt, dass das Gericht bei Erlassung eines solchen Urteils stets zu verhaften habe; vielmehr habe das Gericht nach Lage der Umstände zu prüfen, ob Verhaftung zulässig und angezeigt sei.“495
Das sichere Geleit erlischt jedoch mit Urteilsverkündung. Der Gesetzgeber für die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich hat den in Erster Lesung auf Vorschlag des Abgeordneten Hauck vor „Urteil“ eingefügten Zusatz „rechtskräftig“496 auf Wunsch der Regierungen ohne weitere Diskussion gestrichen.497 Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk schützt demgegenüber den Beschuldigten vor freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in dem Verfahren, wegen dem er vor die inländischen Justizbehörden geladen ist, nicht. Der Schutz erstreckt sich lediglich auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen wegen anderer Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor der Abreise des Beschuldigten aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates.498
493 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man annimmt, dass sicheres Geleit im Ermittlungsverfahren nicht über dieses hinaus gewährt werden kann, vgl. dazu bereits § 1 H. II. 2. b). 494 Diese Parallelität der Zuständigkeiten ist dann nicht gegeben, wenn nach Erteilung sicheren Geleits eine Verweisung an ein anderes Gericht erfolgt. Für den Fall, dass ein auf Freiheitsstrafe lautender Strafbefehl ergeht, während sich der Beschuldigte noch im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ist darauf hinzuweisen, dass eine Freiheitsstrafe gemäß § 407 Absatz 2 Satz 2 StPO nur dann festgesetzt werden kann, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Vor Rechtskraft des Urteils dürfte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Untersuchungshaft nicht zu befürchten sein. 495 So äußerte sich der Abgeordnete Thilo bei der ersten Lesung des Entwurfs einer Strafprozessordnung nebst Einführungsgesetz, zitiert nach Hahn, Mot. RStPO, S. 951. Die Verhaftung des Beschuldigten beschädigt immer dessen Reputation und kann in einzelnen Kulturkreisen einen nicht wieder gutzumachenden Schaden bedeuten. Vgl. dazu auch Löwe, Mot. RStPO, § 337 Anm. 4. 496 In: Hahn, Mot. RStPO, S. 951. 497 Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 1458. 498 Art. 12 EuRhÜbk spricht von „nicht in der Vorladung angeführten Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor ihrer Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates“.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
b) Wann trifft der Beschuldigte Anstalten zur Flucht? Gemäß § 295 Absatz 3 [2. Var.] StPO erlischt das sichere Geleit, wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft. So verständlich diese Formulierung in anderem Zusammenhang ist, so schwierig ist die Frage zu beantworten, wann diese Voraussetzungen bei dem Beschuldigten vorliegen, dem sicheres Geleit gewährt wurde. So ordnet beispielsweise § 116 Absatz 3 Nr. 2 [1. Var.] StPO den Vollzug des Haftbefehls an, wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft. Davon ist auszugehen, wenn der Beschuldigte „eine Veränderung seiner Umstände in die Wege leitet, die es den Strafverfolgungsbehörden unmöglich machen soll, seiner habhaft zu werden, oder entsprechende Maßnahmen Dritter kennt und billigt“.499
§ 116 Absatz 4 Nr. 2 [1. Var.] StPO liegt denknotwendig der Fall zugrunde, dass sich der Beschuldigte im Bereich der richterlichen Zwangsgewalt befindet. Anderenfalls könnte er keine Anstalten zur Flucht treffen. Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Absatz 2 Nr. 2 StPO liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen und bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme gegeben ist, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Strafverfahren teilnehmen.500 Fluchtgefahr kann ebenfalls nur dann bestehen, wenn die Strafverfolgungsbehörden in irgendeiner Weise – sei es auch im Wege der Auslieferung501 – auf den Beschuldigten Zugriff nehmen können. Beim abwesenden Beschuldigten ist dies nicht möglich. Der Beschuldigte, der von dem ihm gewährten sicheren Geleit Gebrauch gemacht hat, befindet sich rein tatsächlich im Bereich der richterlichen Zwangsgewalt. Er hat sich jedoch freiwillig von einem außerhalb des Bereichs richterlicher Zwangsgewalt liegenden Ort in die Bundesrepublik Deutschland begeben und genießt Befreiung von der Untersuchungshaft. Wie bereits eingangs dieses Abschnitts dargestellt, hat der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung bewusst davon abgesehen, dem Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt wurde, umfassenden Schutz zu garantieren. Stellt sich der Beschuldigte selbst, so ist Fluchtgefahr regelmäßig zu verneinen.502 Nennt der Haftbefehl als Haftgrund nur Fluchtgefahr so ist nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in diesem Fall der Haftbefehl sogar aufzuheben. Daran ändert nichts, dass sich der Beschuldigte erst nach Erteilung si499
Löwe/Rosenberg/Hilger, § 116 Rn. 49. Vgl. auch KMR/Wankel, § 116 Rn. 9. OLG Köln StV 1991, 472; 1994, 582; 1996, 382; 1997, 642; Löwe/Rosenberg/ Hilger, § 112 Rn. 32; KK-StPO/Boujong, § 112 Rn. 15. 501 Dazu z. B. BGHSt 23, 380 (381). 502 OLG Braunschweig 1995, 257 (258); KK-StPO/Boujong, § 112 Rn. 22. 500
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cheren Geleits ins Inland begeben hat; denn es besteht keine Pflicht, sich freiwillig einer Verhaftung zu stellen.503 Die Anordnung der Verhaftung und Einschließung in eine Haftanstalt setzt mit Blick auf Art. 2 GG, Art. 5 Absatz 1 EMRK und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit voraus, dass unabweisbare Bedürfnisse der Strafverfolgung sie zwingend gebieten.504 Der Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ findet seinen Anwendungsbereich jedoch für denjenigen Beschuldigten, der flüchtig ist. Dies ist insbesondere derjenige Beschuldigte, der seinen Wohnsitz im Inland hat und sich der Strafverfolgung bereits durch Flucht entzogen hat. Hier zeigt sich im Übrigen auch, dass regelmäßig eine Ungleichbehandlung zwischen dem im Inland Inhaftierten und einem abwesenden Beschuldigten durch Erteilung sicheren Geleits nicht zu befürchten steht; denn der abwesende Beschuldigte, der sicheres Geleit begehrt, will durch sein persönliches Erscheinen an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken und sich nach eigenem Bekunden dem Strafverfahren stellen. Für die Frage, ob der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Punkte zu beachten: Praktisch relevant wird der Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ beispielsweise dann nicht, wenn für die Hauptverhandlung nur ein Tag angesetzt wurde, an dessen Ende das Urteil verkündet wird. Wurde dem Beschuldigten sicheres Geleit nur für einen bestimmten Verfahrensteil, insbesondere eine bestimmte Verfahrenshandlung wie die Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren, oder begrenzt auf einen bestimmten Zeitraum gewährt, so darf der Beschuldigte nach Abschluss dieses Verfahrensteils bzw. bis zum Auslaufen der zeitlichen Befristung ungehindert ausreisen.505 Dem Beschuldigten in diesem Falle die Ausreise zu verweigern wäre sach- und rechtsstaatswidrig. Könnte das Gericht selbst auf andere Weise als die in § 295 Absatz 3 StPO genannten Beschränkungen sicheres Geleit begrenzen, so wäre sicheres Geleit für den Beschuldigten vollkommen nutzlos, ja er würde auch bei Nennung der gesetzlich vorgesehenen Erlöschensgründe im Geleitbrief aufs Gröbste getäuscht, dürfte er vor Eingreifen dieser Beschränkung das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verlassen.506 503
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. März 2004, Az. 3 Ws 44/04. BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2003, 2895 (2896); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. März 2004, Az. 3 Ws 44/04. 505 Meyer-Goßner, § 295 Rn. 8; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 8, 18; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 19; KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 6. 506 Mit Eintritt eines der Erlöschensgründe des § 295 Absatz 3 endet das sichere Geleit auch bei Kollision mit der zeitlichen Befristung oder der Zweckbindung. Praktische Relevanz dürfte dabei aber nur der Beendigungsgrund „Nichterfüllung einer Bedingung“ (3. Var.) haben. 504
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Gegenwärtig ist somit wohl davon auszugehen, dass der Beschuldigte, dem sicheres Geleit zeitlich befristet gewährt wurde, das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik vor Ablauf der Frist verlassen darf. Wird hingegen einem Beschuldigten sicheres Geleit für einen bestimmten Verfahrensabschnitt gewährt, so dürfte dieser bei konsequenter Anwendung des § 295 Absatz 3 [2. Var.] StPO erst ausreisen, wenn der Verfahrensabschnitt abgeschlossen ist. Gollwitzer507 will eine zeitliche Befristung bzw. eine Beschränkung sicheren Geleits auf einen Teil des Verfahrens508 nur in Ausnahmefällen zulassen, nämlich dann, wenn die dadurch herbeigeführte Vernehmung der Förderung des Verfahrens gegen Mittäter und Teilnehmer dienen soll. Eine solche Beschränkung des Handlungsspielraums der Strafverfolgungsbehörden erscheint aber im Interesse des Untersuchungsgrundsatzes nicht wünschenswert. § 295 StPO ist – seiner systematischen Stellung nach – eine primär für das gegen den Beschuldigten gerichtete Verfahren geltende Norm. In der Praxis wird auch kaum ein Beschuldigter von einem im Ermittlungsverfahren für die Dauer des Strafverfahrens erteilten sicheren Geleit Gebrauch machen, wenn er Gefahr läuft in Folge des Erlöschensgrundes „Anstalten zur Flucht treffen“ die Bundesrepublik Deutschland für die Dauer des Strafverfahrens, die im Übrigen nicht vorhersehbar ist, nicht wieder verlassen zu dürfen, zumal dessen Ausgang auch dann, wenn er selbst von einem Freispruch ausgeht, für ihn unvorhersehbar ist. Etwas anderes gilt aber dann, wenn sicheres Geleit für die Hauptverhandlung gewährt wurde, an deren Ende das Urteil steht. Folgt man dem Wortlaut des § 295 Absatz 3 [2. Alt.] StPO, so erlischt das sichere Geleit, wenn sich während der Dauer der Hauptverhandlung Anhaltspunkte ergeben, die die Annahme rechtfertigen, der Beschuldigte wolle sich den Strafverfolgungsbehörden entziehen.509 Dabei ist – je nach zu erwartender Dauer der Hauptverhandlung – aber auch die persönliche Situation des Beschuldigten maßgeblich. Bei einem Beschuldigten, der einen festen Wohnsitz im Ausland hat, und nach der jeweiligen Verfahrenshandlung an diesen Wohnsitz zurückkehrt, kann kaum davon ausgegangen werden, dass er Anstalten zur Flucht treffe. Fluchtgefahr ist ebenso bei einem Ausländer abzulehnen, der in sein Heimatland zurückkehrt,510 wie bei einem Inländer, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt schon seit längerem im Ausland hat:511
507
Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 8. Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Erteilung sicheren Geleits für das gesamte Strafverfahren (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) aus, vgl. § 1 H. II. 2. b). 509 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 18. 510 OLG Frankfurt a. M. StV 1994, 581; OLG Brandenburg StV 1996, 381 (382); OLG Naumburg StV 1997, 138. 508
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„Aber auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Absatz 2 Nr. 2 StPO), den das LG jedenfalls hilfsweise bejaht, ist nicht gegeben. Er kann jedenfalls nicht daraus hergeleitet werden, dass der Beschuldigte bisher – möglicherweise unter dem Eindruck des Haftbefehls – keine Anstalten machte nach Deutschland zurückzukehren. Kein Beschuldigter ist verpflichtet, seine Strafverfolgung zu erleichtern. Die Absicht des Besch[uldigten], in der Schweiz zu bleiben, also den derzeitigen Zustand aufrechtzuerhalten, der seine Strafverfolgung zumindest erschwert, kann einem positiven Sichentziehen i. S. d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht gleichgestellt werden (Senatsentscheidung NJW 1972, 2098).“512
Bei demjenigen, der sich unter Inanspruchnahme sicheren Geleits dem Strafverfahren freiwillig stellt, kann nur in Ausnahmefällen die Absicht bejaht werden, er werde sich bei Rückkehr an seinen ausländischen Wohnsitz dauernd oder für längere Zeit dem Verfahren entziehen.513 Die Anforderungen an den Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ sind ungleich höher. Aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen kann von einem Beschuldigten in der Regel nicht erwartet werden, für die Dauer des Strafverfahrens – trotz des geltenden Beschleunigungsgrundsatzes ist regelmäßig von einer Dauer von wenigstens mehreren Monaten auszugehen – seinen Lebensmittelpunkt ins Inland zu verlegen.514 Somit muss ihm auch die Möglichkeit der Ausreise während der Dauer des Strafverfahrens gewährt werden. Dies gilt insbesondere, als der Beschuldigte, dem sicheres Geleit gewährt wird, sich dem Strafverfahren freiwillig stellt. Hier zeigt sich erneut, worin die Defizite der gegenwärtigen Regelung liegen. § 295 StPO ist eine inhaltlich allein auf die Durchführung der Hauptverhandlung zugeschnittene Vorschrift. Dieses Vorgehen des Gesetzgebers der Reichsstrafprozessordnung war konsequent; denn im Zentrum der Diskussion über die Ausgestaltung des Verfahrens gegen Abwesende stand, dem Staat die Verfolgung eines flüchtigen Verbrechers mit Aburteilung zu ermöglichen.515 Die Folge sind kaum zu begründende Unterschiede im Umgang mit dem Beschuldigten; denn jede Verfahrenshandlung dient dazu, die Wahrheit zu ermitteln und damit das Strafverfahren einem Ende zuzuführen, sei es durch Einstellung, Freispruch oder Verurteilung. Gollwitzer516 vertritt im Übrigen die Ansicht, dass das Gericht dann, wenn der Aufklärung der Sache in einer öffentlichen Verhandlung mehr Be511 Hier mag sich allerdings die Konstellation ergeben, dass der Beschuldigte als flüchtig anzusehen ist, wenn er sich dem Verfahren aber freiwillig stellt, die Fluchtgefahr und damit § 295 Absatz 3, 2. Alt. StPO verneint werden muss. 512 OLG Karlsruhe StV 1999, 36 [Hervorhebung nicht im Original]. 513 OLG Frankfurt a. M StV 1994, 581. 514 Die Erteilung sicheren Geleits unter der Bedingung, dass der Beschuldigte einen Wohnsitz im Inland begründet, ist aber als zulässig anzusehen. 515 Protokolle der Kommission. Zweite Lesung in: Hahn, Mot. RStPO, S. 1442 ff.
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deutung zukommt als der Verurteilung des Beschuldigten, nicht gehindert ist, das sichere Geleit bis zu einem Zeitraum von etwa einer Woche vor der dem Angeklagten bekannt zu gebenden Urteilsverkündung zu gewähren, auch wenn dies nicht den Absichten des Gesetzes entspreche und somit die Ausnahme bleiben müsse. Dies erscheint aber als die einzige Möglichkeit, tatsächlich das Erscheinen des Beschuldigten herbeizuführen, solange § 295 Absatz 3 StPO für die Dauer der Hauptverhandlung die Gewissheit, ausreisen zu können, nicht mit letzter Sicherheit beinhaltet. Im Übrigen ist angesichts der derzeitigen Regelung immer von dem für die Erteilung zuständigen Gericht zu fordern, die „Dauer“ sicheren Geleits genau anzugeben. Nach der Ausgestaltung der gegenwärtigen Regelung kann der Beschuldigte bei Erfüllung ensprechender Auflagen bei Außervollzugsetzung des Haftbefehls eher das notwendige Vertrauen schaffen, um damit weitgehende Bewegungsfreiheit zu erhalten. Eine strenge Handhabung der Erlöschensgründe „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ und „Anstalten zur Flucht treffen“ sicherte nicht nur die Durchführung des Strafverfahrens, sondern auch die Vollstreckung des Urteils. Darin zeigt sich, dass das sichere Geleit die eigentlich dem Haftbefehl zukommende Aufgabe erfüllen soll.517 Für die Frage der Anwendung der Erlöschensgründe ist neben der soeben dargestellten am Wortsinn orientierten Anwendung Sinn und Zweck des sicheren Geleits maßgeblich.518 c) Nichterfüllung der Bedingungen, unter denen sicheres Geleit gewährt wurde Erfüllt der Beschuldigte Bedingungen nicht, unter denen sicheres Geleit gewährt wurde, so führt dies gemäß § 295 Absatz 3 StPO zum Erlöschen sicheren Geleits. Erforderlich ist jedoch ein schuldhaftes Handeln des Beschuldigten.519 Gleichwohl nicht erforderlich ist, dass der Beschuldigte – ähnlich § 116 Absatz 4 Nr. 1 StPO – den Bedingungen gröblich zuwider gehandelt hat;520 denn das Erlöschen sicheren Geleits setzt – auch im Hinblick 516
Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 8. Zweck des Haftbefehls ist die Sicherung eines geordneten Verfahrens und der sich daran möglicherweise anschließenden Vollstreckung. Vgl. dazu BVerfGE 19, 342 (349); 20, 45 (49); 32, 87 (93); Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 112 Rn. 1. 518 Dazu bereits sub § 1 G. 519 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 18.; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 15; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 19. 520 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 18.; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 15; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 19. Ob ein „gröbliches Zuwiderhandeln“ im Sinne des § 116 Absatz 4 Nr. 1 StPO vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob der Beschul517
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auf den drohenden Grundrechtseingriff – wenigstens voraus, dass der Beschuldigte die Bedingungen nicht nur in einem unwesentlichen Ausmaß nicht eingehalten hat.521 d) Muss das Erlöschen sicheren Geleits durch gerichtlichen Beschluss ausgesprochen werden? Nach der mittlerweile herrschenden Meinung ist das Erlöschen des sicheren Geleits nicht durch Beschluss auszusprechen.522 Es tritt ex lege ein.523 Nach der früher herrschenden Meinung bedurfte das Erlöschen sicheren Geleits eines den Grund desselben feststellenden gerichtlichen Beschlusses.524 Geht man vom Wortlaut des § 295 Absatz 3 StPO aus, so ist es nicht verwunderlich, dass die früher herrschende Meinung dauerhaft keine Zustimmung fand. Das Erfordernis eines Beschlusses als Voraussetzung für das Erlöschen des sicheren Geleits findet in § 295 Absatz 3 StPO keine Stütze. Die Gesetzesmaterialien enthalten ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte, denen sich entnehmen ließe, dass das Erfordernis eines Beschlusses dem Willen des Gesetzgebers entspräche. Insbesondere beim Erlöschensgrund „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ wäre ein Beschluss schlichtweg überflüssig. Hier ist der Erlöschensgrund für den Beschuldigten deutlich erkennbar. Auch besteht kein praktischer Unterschied zur früher herrschenden Meinung, die eine aufschiebende Wirkung einer gegen den Beschluss gerichteten Beschwerde zutreffend verneinte. Zuständig für den das Erlöschen aussprechenden Beschluss wäre das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht. Das Erlöschen könnte also zeitgleich mit Verkündung des Urteils ausgesprochen werden und – mangels aufschiebender Wirkung einer hiergegen gerichteten Beschwerde – der Beschuldigte sofort im Anschluss in Haft genommen werden. Anders verhält es sich bei den Erlöschensgründen „Anstalten zur Flucht treffen“ und „Nichterfüllung von Bedingungen, unter denen dem Beschuldigte durch sein Verhalten die Sicherungswirkung der Auflagen abschwächt oder beseitigt und dadurch die den Haftgrund bildende Gefahrenlage wieder verstärkt, vgl. OLG Frankfurt StV 1995, 476; KK-StPO/Boujong, § 116 Rn. 28. Durch die Auflagen soll der Haftzweck auch ohne Untersuchungshaft erreicht werden. Auch hier zeigt sich die unterschiedliche Interessenlage bei Außervollzugsetzung des Haftbefehls und bei der Gewährung sicheren Geleits. 521 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 18. 522 So Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 20; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 15; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 20; KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 10. 523 Schmidt, Lehrkommentar StPO, § 295 Rn. 12. 524 Löwe, RStPO, 2. Aufl., § 295 Anm. 5; Stenglein, § 337 Anm. 4; Bennecke, S. 239 f.
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digten sicheres Geleit erteilt worden ist“: Hier dürfte für den Beschuldigten oftmals nicht ersichtlich sein, welche Gründe im Einzelnen zum Erlöschen sicheren Geleits geführt haben. Erlischt das sichere Geleit, weil der Beschuldigte Anstalten zur Flucht getroffen hat und wird er daraufhin in Haft genommen,525 so ist die Frage, ob der Beschuldigte Anstalten zur Flucht getroffen hat, gemäß § 115 Absatz 2, 3, § 128 Absatz 1 StPO im Haftverfahren zu klären, so dass auch hier die Notwendigkeit eines das Erlöschen des sicheren Geleits aussprechenden Beschlusses nicht besteht.526 Insbesondere wirkt die zeitnahe Überprüfung im Haftverfahren bereits der Gefahr einer Unterwanderung des sicheren Geleits durch die – tatsächlich unbegründete und bei Vorliegen des sicheren Geleits schwer zu begründende – Annahme des Vorliegens des Erlöschensgrundes „Anstalten zur Flucht treffen“ entgegen. Das Vorliegen des Erlöschensgrundes „Nichterfüllung der Bedingungen, unter denen sicheres Geleit gewährt wurde“ ist häufig nicht offensichtlich, insbesondere als für die Grenzziehung zwischen der Nichterfüllung in nur unwesentlichem Ausmaß und einer das Erlöschen sicheren Geleits rechtfertigenden Nichteinhaltung keine festen Kriterien vorgegeben sind, und sich solche auch nicht als allgemeingültig vorgeben lassen. Möglichkeiten zur Überprüfung im Wege der Beschwerde bestehen mangels Vorliegens einer anfechtbaren Entscheidung nicht. Wird der Beschuldigte in Haft genommen, so ist auch hier die Durchführung eines Haftverfahrens gemäß § 115 Absatz 2, 3, § 128 Absatz 1 StPO erforderlich. Gemäß § 115 Absatz 3 Satz 2 StPO muss dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, „die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen“.
Zwar ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, sich zu allen für die Haftfrage relevanten Umständen zu äußern.527 § 115 Absatz 3 Satz 2 StPO erfasst seinem Wortlaut nach aber nur Fragen des Bestehens eines für den Haftbefehl erforderlichen Tatverdachts und des Vorliegens von mit einem Haftgrund unmittelbar zusammenhängenden Momenten. Die Prüfung durch den Richter beschränkt sich spiegelbildlich auf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen eines Haftbefehls.528 Das sichere Geleit als eigenständiges Rechtsinstitut muss jedoch auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in 525 Dies dürfte regelmäßig der Fall sein, da dem Beschuldigten im Falle des Erlöschensgrundes „Anstalten zur Flucht treffen“ – wegen des Fehlens eines entsprechenden Beschlusses – nicht bekannt sein dürfte, dass das sichere Geleit erloschen ist. 526 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 20; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 20. 527 KK-StPO/Boujong, § 115 Rn. 9. 528 Löwe/Rosenberg/Hilger, § 115 Rn. 20.
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die Entscheidung des Richters einfließen. Der Beschuldigte würde sonst – mangels der Möglichkeit des Ergreifens sonstiger Rechtsbehelfe – rechtsschutzlos gestellt. Dem Beschuldigten muss – trotz des engeren Wortlauts des § 115 Absatz 3 Satz 2 StPO – Gelegenheit gegeben werden, zu der Frage des Erlöschens sicheren Geleits eingehend Stellung zu nehmen. Er ist spätestens zu diesem Zeitpunkt über die Gründe für das vermeintliche Erlöschen sicheren Geleits umfänglich zu informieren.529 Das Erfordernis des Aussprechens des Erlöschens sicheren Geleits durch Beschluss stellte – mangels aufschiebender Wirkung – keine wesentliche Änderung dar. Der Beschuldigte könnte in jedem Fall unverzüglich in Haft genommen werden. Gleichwohl hätten im Falle der Beschwerde gegen einen solchen Beschluss das Gericht, der Vorsitzende oder der Richter, dessen Entscheidung angefochten wird, sowie das Beschwerdegericht gemäß § 307 Absatz 2 StPO entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles die Möglichkeit, anzuordnen, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen ist. e) Muss dem Beschuldigten im Falle des Erlöschens sicheren Geleits die Möglichkeit der Ausreise gewährt werden? Das sichere Geleit nach § 295 StPO erlischt mit Eintreten eines der in dessen Absatz 3 genannten Ereignisse. Es ist kein Beschluss erforderlich, 529
BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats) NStZ 1994, 551 (552): „Wird der Beschuldigte festgenommen, so ist ihm gemäß § 114 a StPO der Haftbefehl bekanntzumachen, der gemäß § 114 II StPO die Tat, deren der Beschuldigte verdächtig ist, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften, den Haftgrund und die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben, enthalten muss. Außerdem muss er unverzüglich vom zuständigen Richter über den Gegenstand der Beschuldigung vernommen werden (§ 115 II StPO), wobei er auf die ihn belastenden Umstände hinzuweisen ist und ihm Gelegenheit gegeben werden muss, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen (§§ 115 III, 115 a StPO). In diesem Zusammenhang ist dem Beschuldigten das gesamte gegen ihn zusammen getragene Belastungsmaterial, das den Gegenstand des Verfahrens bildet und für die Haftfrage bedeutsam ist, mitzuteilen. Er muss über die Tatsachen, Beweisanzeichen usw., die den dringenden Tatverdacht und den Haftgrund ergeben, ins Bild gesetzt werden. Auch die sich aus den Akten ergebenden entlastenden Umstände müssen ihm bekanntgemacht werden . . . Insbesondere im Rahmen der mündlichen Haftprüfung ist er [Anm.: der Beschuldigte] zu hören (§ 118 a III 1 StPO). Dabei sollen die wesentlichen Ermittlungsergebnisse, wie sie sich nach dem letzten Stand des Verfahrens darstellen, soweit der Untersuchungszweck dem nicht entgegensteht, mit ihm erörtert werden.“ Der Beschuldigte ist über alle mit dem Vorliegen der Haftvoraussetzungen zusammenhängenden Umstände zu informieren, damit notwendigerweise auch über die Gründe für das Erlöschen sicheren Geleits.
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§ 1 Sicheres Geleit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten
der das Erlöschen ausspricht. Bereits hieraus ergibt sich, dass eine Verpflichtung dahingehend, dass dem Beschuldigten im Falle des Erlöschens sicheren Geleits die Möglichkeit der Ausreise gewährt werden muss, nicht besteht. Andere Schlüsse lassen sich auch nicht der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention entnehmen.530 Auch hier zeigt sich der deutliche Unterschied zu der an der ursprünglichen Bedeutung des sicheren Geleits orientierten Regelung des Art. 12 Absatz 3 EuRhÜbk: „The immunity provided for in this article shall cease when the witness or expert or prosecuted person, having had for a period of fifteen consecutive days from the date when his presence is no longer required by the judicial authorities an opportunity of leaving, has nevertheless remained in the territory, or having left it, has returned.“531
Diese Regelung gilt gleichermaßen für den Beschuldigten (Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk) wie für Zeugen und Sachverständige (Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk). 2. Widerruf des sicheren Geleits Das einmal erteilte sichere Geleit kann nicht widerrufen werden, wenn der Beschuldigte sich im Vertrauen darauf im Inland aufhält.532 Es kann auch nicht in der Weise aufgehoben werden, dass dem Beschuldigten eine Frist gestellt wird, während der er sich unbehelligt entfernen kann.533 Solange der abwesende Beschuldigte von der Erteilung sicheren Geleits keinen Gebrauch gemacht hat, ist ein Widerruf möglich.534 Beschlüsse gegen die – wie vorliegend – die einfache Beschwerde zulässig ist, sind jedenfalls wegen veränderter Umstände oder wegen Irrtums widerruflich, weil sie nur laufende Entscheidungen sind.535 Der Widerruf ist somit insbesondere berechtigt, wenn der Beschuldigte von der Gelegenheit, an dem Stafverfahren persönlich teilzunehmen und seine Freisprechung zu erwirken, nicht Gebrauch macht. Damit entfällt der Grund für die Erteilung sicheren Geleits.536 530
Dazu bereits sub § 1 H. V. 4. d) (1). „Der in diesem Artikel vorgesehene Schutz endet, wenn der Zeuge, Sachverständige oder Beschuldigte während fünfzehn aufeinanderfolgenden Tagen, nachdem seine Anwesenheit von den Justizbehörden nicht mehr verlangt wurde, die Möglichkeit gehabt hat, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen, und trotzdem dort bleibt, oder wenn er nach Verlassen dieses Gebietes dorthin zurückgekehrt ist.“ (Übersetzung BGBl. 1964 II S. 1391). 532 OLG Zweibrücken NJW 1966, 1722. 533 Vgl. KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 9; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 22. 534 OLG Zweibrücken NJW 1966, 1722. 535 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 112 a. 531
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Ein Widerruf oder eine Aufhebung sicheren Geleits durch die zuständige Strafkammer kommt aber, nachdem der Beschuldigte hiervon Gebrauch gemacht hat, unter Berufung auf veränderte Umstände nicht in Betracht. Dies gilt bei uneingeschränkter Erteilung sicheren Geleits auch dann, wenn der Beschuldigte nachfolgend einen festen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland begründet hat.537 In einem solchen Fall ist der Zweck sicheren Geleits, nämlich das Sichzurverfügunghalten, erreicht. Eine Feststellung, die Gesetzesvoraussetzungen lägen nicht vor, ist nicht möglich.538 VIII. Rechtsbehelfe Die Zuständigkeit für die Erteilung sicheren Geleits liegt – wie bereits ausgeführt539 – bei dem Gericht, das das Verfahren gegen den Beschuldigten führt. Im Verfahren gegen den Beschuldigten ist die Beschwerde nach § 304 StPO der maßgebliche Rechtsbehelf gegen die Versagung, den Widerruf und – gegebenenfalls540 – die Feststellung des Erlöschens des sicheren Geleits. Beschwerdeberechtigt sind die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte. Die Staatsanwaltschaft kann die Erteilung anfechten, der Beschuldigte nur, wenn er mit Bedingungen beschwert ist.541 Die weitere Beschwerde ist gemäß § 310 Absatz 1 StPO gegen Beschlüsse möglich, die Verhaftungen oder die einstweilige Unterbringung betreffen. Darunter fällt bereits begrifflich nicht die Ablehnung sicheren Geleits.542 Die weitere Beschwerde ist somit gemäß § 310 Absatz 2 StPO ausgeschlossen.
536
OLG Zweibrücken NJW 1966, 1722. OLG Köln NJW 1954, 1856. 538 OLG Köln NJW 1954, 1856 (1857). 539 Oben sub § 1 H. II. 540 Dazu bereits ausführlich sub § 1 H. VII. 1. d). 541 AK-StPO/Achenbach, § 295 Rn. 12; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 26; Meyer-Goßner, § 295 Rn. 11. 542 OLG Frankfurt NJW 1952, 908, da die Entscheidung über den Haftbefehl selbst nicht betroffen ist; OLG Köln NJW 1954, 1856; 1958, 1985: Das sichere Geleit ist nicht Grundlage der Haft. Ebenso Meyer-Goßner, § 295 Rn. 11; § 310 Rn. 5; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 27. 537
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I. Festhalten am Institut des sicheren Geleits im eigenen Strafverfahren gegen den Beschuldigten? I. Vorbemerkung Das sichere Geleit ist unabhängig von den bereits dargestellten, aus dessen konkreter Ausgestaltung resultierenden Problemen ein schwer zu handhabendes Institut, dessen Effektivität – jedenfalls für das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren – im Tatsächlichen zweifelhaft ist. Der Gesetzgeber für die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich suchte durch die Beibehaltung des Rechtsinstitut des sicheren Geleits die durch die als notwendig und richtig empfundene weitgehende Abschaffung des Verfahrens gegen Abwesende mit der Reichsstrafprozessordnung nun nicht mehr vorhandene Möglichkeit, ein Strafverfahren auch gegen einen abwesenden Beschuldigten zu Ende zu führen, auszugleichen. Dem weitgehenden Verzicht auf das Kontumazialverfahren lag die Erkenntnis zugrunde, dass dem häufig ins Feld geführten Argument für eine Beibehaltung des Abwesenheitsverfahrens, unter Umständen könnten die Schwere eines Verbrechens und das dadurch erregte Aufsehen eine alsbaldige Strafverhängung im Interesse der öffentlichen Sicherheit und des Rechtsgefühls erfordern,543 eine veraltete Rechtsauffassung zugrunde lag.544 Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Aufnahme des Kontumazialverfahrens in die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich warf gleichzeitig die Frage auf, mit welchen Mitteln nunmehr dennoch – im Interesse der „bedrohten Rechtspflege“545 – eine Verfolgung des im Ausland befindlichen Beschuldigten ermöglicht werden könne.546 Der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung versuchte mit den in § 295 Absatz 3 StPO aufgenommenen Erlöschensgründen – insbesondere dem Erlöschensgrund „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ – zu verhindern, dass trotz Vorliegens eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils dieses gegen den abwesenden Beschuldigten nicht vollstreckt werden 543
Dazu bereits sub § 1 G. II. Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 239. Vgl. auch die Aussage des Abgeordneten von Forcade in der zweiten Lesung des Entwurfs einer Strafprozessordnung für das Deutsche Reich: „Dass das Kontumazialverfahren gegen Abwesende im Entwurf nicht zugelassen sei, sei ohne wesentliche Bedeutung für die Strafverfolgung. Auch wo dasselbe bestanden, sei es stets eine äußerst selten vorkommende Ausnahme gewesen. . . . Außerdem sei die Kontumazialverurteilung ein völlig wirkungsloser Akt gewesen; der Schuldige sei dadurch nicht veranlasst, zurückzukehren, und der Unschuldige sei, wenn er zurückkehrt, freigesprochen.“ (ebd. S. 1445). 545 Hahn, Mot. RStPO, S. 1445. 546 Hahn, Mot. RStPO, S. 1444. 544
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kann. Da aber die gegenwärtige Ausgestaltung des sicheren Geleits dazu führt, dass ihm in der Praxis im Strafverfahren gegen den Beschuldigten selbst nur wenig Beachtung zukommt, ist fraglich, ob heute noch an diesem Rechtsinstitut festgehalten werden soll. II. Die fehlende Möglichkeit unmittelbaren physischen Einwirkens auf den Angeklagten Bei einem im Bereiche der richterlichen Gewalt befindlichen Angeklagten stellt sich der weitgehende Verzicht auf das Abwesenheitsverfahren nicht als einschneidender Nachteil für die Strafrechtspflege dar. Dem Gericht verbleiben bei unentschuldigtem Fernbleiben zur Ermöglichung der Hauptverhandlung die Mittel der Vorführung und der Haft.547 Diese Zwangsmittel dienen dazu, das Erscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung zu erzwingen, wohingegen bei einem Abwesenden die Durchführung der Hauptverhandlung erst durch dessen freiwilliges Erscheinen ermöglicht wird. Wie bereits ausführlich dargestellt, liegt also in der fehlenden Möglichkeit des unmittelbaren physischen Einwirkens auf den Beschuldigten der Grund für das Festhalten am Institut des sicheren Geleits für das eigene Strafverfahren gegen den Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt werden soll. Das sichere Geleit ist aber nicht das einzige „alternative“ Gestellungsmittel, das der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung geregelt hat. Nach kontroverser Diskussion wurde auch die bis heute beibehaltene Möglichkeit der Beschlagnahme des Vermögens des Beschuldigten in die Reichsstrafprozessordnung aufgenommen. Kann eine Gestellung des abwesenden Beschuldigten nicht erfolgen, so verbleibt den Strafverfolgungsbehörden einzig die Möglichkeit der Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens (§ 285 Absatz 1 Satz 2 StPO).548 III. Die Beschlagnahme § 290 Absatz 1 StPO – früher § 332 RStPO – sieht vor, dass das Vermögen eines Abwesenden, gegen den Anklage erhoben ist und gegen den Verdachtsgründe549 vorliegen, die den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen würden, 547 Dies ist ausdrücklich in § 230 Absatz 2 StPO geregelt. Dazu bereits ausführlich sub § 1 E. IV. 548 Der Beschuldigte ist abwesend im Sinne des § 276 StPO. Die Auslieferung als zwischenzeitlich wichtigstes Mittel, die Strafverfolgung eines im Ausland befindlichen Beschuldigten zu ermöglichen, spielt hier somit keine Rolle. 549 Zum Ausdruck „Verdachtsgründe, die den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen“ ausführlich Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 290 Rn. 8: Die Anordnung der Un-
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im Geltungsbereich der Strafprozessordnung mit Beschlag belegt werden kann.550 Im Ermittlungsverfahren findet die Vermögensbeschlagnahme gemäß § 290 StPO – anders als das sichere Geleit – nach der bisherigen Regelung keine Anwendung. Außer bei den nach § 290 Absatz 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossenen Straftaten mit geringer Strafandrohung werden die Voraussetzungen der Beschlagnahme regelmäßig, d. h. solange sie nicht im Übrigen als unverhältnismäßig im Vergleich zu den Rechtsfolgen anzusehen ist,551 beim abwesenden Beschuldigten vorliegen. Das Gericht wird regelmäßig sogar feststellen, er sei flüchtig oder halte sich verborgen.552 Anders als das sichere Geleit, das auf eine freiwillige Selbstgestellung des abwesenden Beschuldigten zielt, enthält die Vermögensbeschlagnahme eine zielgerichtete Zwangskomponente.553 Deshalb hat der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung die Vermögensbeschlagnahme als „besonders wirksames Zwangsmittel“ beibehalten.554 Auf den Beschuldigten wird mittels der Vermögensbeschlagnahme Zwang ausgeübt, der ihn zum – physisch nach wie vor freiwilligen – Erscheinen bewegen soll.555 Die Vermögensbeschlagnahme stellt ein absolutes Verfügungsverbot gegen jedermann dar. Mit ihrer Anordnung verliert der Beschuldigte das Recht, das in Beschlag genommene Vermögen zu verwalten und darüber unter Lebenden zu verfügen.556 tersuchungshaft muss gerechtfertigt sein. Es müssen dringender Tatverdacht und ein Haftgrund nach § 112 Absatz 2, § 112 a StPO oder der Verdacht einer Straftat nach § 112 Absatz 3 StPO vorliegen. Aus § 120 Absatz 1 Satz 1 StPO folgt, dass die Untersuchungshaft auch nicht zur Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehen darf. 550 Auch das römische Recht kannte bereits die Beschlagnahme, allerdings mit anschließender Konfiskation, als Mittel der Gestellung. Die Konfiskation stellt die Bestrafung der contumacia dar, die strikt von der Strafe wegen der angeklagten Tat zu unterscheiden ist, vgl. Hugo Meyer, Verfahren gegen Abwesende, S. 44 ff. Ein Beschluss über die Vermögensbeschlagnahme zur Erzwingung der Gestellung bzw. der Aufhebung findet sich bei Göbel, S. 110 f. 551 Meyer-Goßner, § 290 Rn. 3. 552 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 290 Rn. 9; Schmidt, Lehrkommentar StPO, § 290 Rn. 2. Ausnahmen sind natürlich möglich, beispielsweise dann, wenn sich der Beschuldigte zwangsweise im Ausland aufhält oder dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vgl. zu letzterem Fall aber Meyer-Goßner, § 112 Rn. 17. 553 Dementsprechend lautet auch die Überschrift bei Göbel (S. 110) „Vermögensbeschlagnahme zur Erzwingung der Gestellung“. 554 Vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 241. 555 So auch Benfer, S. 144. 556 Müller-Tuckfeld, wistra 1995, 330 (332). Verfügungen des Beschuldigten sind nach Sinn und Zweck der Reglung gemäß § 134 BGB nichtig, vgl. BGHZ 19, 355 (359); BGH NJW 1983, 636; Palandt/Heinrichs, § 136 Rn. 2. Durch die Vermögensbeschlagnahme soll dem Beschuldigten die Verfügungsmacht über sein Vermögen entzogen werden. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 292 Absatz 1 StPO, der
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Wegen dieser einschneidenden Wirkung der Vermögensbeschlagnahme sind gegen sie verschiedene Bedenken vorzubringen.557 Zwar handelt es sich bei der Vermögensbeschlagnahme gemäß § 290 StPO nicht um eine Konfiskation. Faktisch kommt sie jedoch als absolutes Verfügungsverbot zumindest für einen nicht unerheblichen Zeitraum einer solchen gleich.558 Die Vermögensbeschlagnahme stellt einen massiven Eingriff in das Eigentum des Angeschuldigten (Art. 14 Absatz 1 GG) und dessen allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Absatz 1 GG) dar. Sie richtet sich gegen das im Geltungsbereich der Strafprozessordnung befindliche Vermögen. Im Einzelfall kann dies einen erheblichen Teil bzw. das Vermögen des Angeschuldigten im Ganzen darstellen. § 290 StPO verlangt als Voraussetzung für die Vermögensbeschlagnahme ausdrücklich dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Absatz 1 Satz 1 StPO.559 Unabhängig von der Frage, ob es einer gleich hohen Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Absatz 1 Satz 1 StPO bedarf, gilt umgekehrt nach wie vor – auch wenn der Grundsatz in dubio pro reo im Rahmen eines Wahrscheinlichkeitsurteils keine Anwendung findet560 – zugunsten des Angeschuldigten die Unbestimmt, dass der Angeschuldigte mit dem Zeitpunkt der ersten Bekanntmachung der Vermögensbeschlagnahme im Bundesanzeiger das Recht verliert, über das in Beschlag genommene Vermögen unter Lebenden zu verfügen. Vgl. dazu Hahn, Mot. RStPO, S. 241; Meyer-Goßner, § 292 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 292 Rn. 2. Wirkung zeigt die Vermögensbeschlagnahme somit auch gegenüber einem gutgläubigen Dritten. Einer Eintragung ins Grundbuch bedarf es nicht (Müller-Tuckfeld, wistra 1995, 330 [332] mit weiteren Nachw.; Meyer-Goßner, § 292 Rn. 1). 557 Bereits der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung hatte erhebliche rechtsstaatliche Bedenken gegen die Vermögensbeschlagnahme, vgl. § 1 Fußn. 88, 180. 558 Ebenso für die Beschlagnahme nach § 111 p StPO, dessen Anwendungsbereich nunmehr – nachdem das Bundesverfassungsgericht die Vermögensstrafe nach § 43 a StGB für verfassungswidrig erklärt hat – entfallen ist, Müller-Tuckfeld, wistra 1995, 330 (333). 559 Auf die Frage, ob der für die Erhebung der öffentlichen Klage und die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderliche hinreichende Tatverdacht eine geringere Wahrscheinlichkeit voraussetzt, kommt es hier also nicht an. Bejaht wird dies z. B. von BGH NJW 1970, 1543 (1544); KK-StPO/Tolksdorf, § 203 Rn. 4; Meyer-Goßner, § 203 Rn. 2 und wohl auch OLG Brandenburg NStZ 1997, 75. A.A. Löwe/Rosenberg/Rieß, § 203 Rn. 11 unter Verweisung darauf, dass die verhältnismäßig niedrige Freispruchsquote zeige, die Rechtsprechung interpretiere den insoweit unbestimmten Rechtsbegriff des hinreichenden Verdachts trotz verbaler Bekenntnisse zur einfachen Wahrscheinlichkeit eher im Sinne des dringenden oder eines sonst starken Tatverdachts; SK-StPO/Paeffgen, § 203 Rn. 11 mit zahlreichen Nachw. Die Rechtsprechung vermeidet jedenfalls weitgehend eine klare Aussage, vgl. BGHSt 35, 39; BayObLG NStZ 1983, 123; OLG Karlsruhe NJW 1974, 806 (807); LG München I StV 1982, 119 (120). 560 BGH NStZ 1999, 205; 2001, 609; OLG Koblenz NJW 1978, 2043 (2044); OLG Koblenz OLGSt § 352 Nr. 2; LG München I StV 1982, 119 (120).
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schuldsvermutung.561 Der in der Vermögensbeschlagnahme liegende Eingriff in die Grundrechte des Angeschuldigten gründet also lediglich auf Verdachtsmomenten.562 Erscheint die Vermögensbeschlagnahme auch vom Standpunkt der Strafverfolgung aus als erforderlich und zweckmäßig, so ist im Hinblick auf das der Vermögensbeschlagnahme innewohnende Ziel, dem Angeschuldigten die Mittel zum Leben zu entziehen, um ihn zu zwingen, sich dem Strafverfahren zu stellen, den in ihr liegenden Grundrechtseingriffen doch der Anspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten auf Wahrung seiner Grundrechte entgegen zu halten.563 Die in der Vermögensbeschlagnahme zu sehenden Grundrechtseingriffe sind jedenfalls nur dann hinzunehmen, wenn ein milderes Mittel zur Sicherung der dahinter stehenden legitimen staatlichen Interessen nicht in Betracht kommt.564 Ziel der Vermögensbeschlagnahme ist, den Angeschuldigten zu bewegen, sich in den Bereich der richterlichen Ge561 Die Unschuldsvermutung entspricht der allgemeinen rechtsstaatlichen Überzeugung und ist in Art. 6 EMRK ausdrücklich normiert, vgl. BVerfGE 19, 342 (347). 562 So auch Müller-Tuckfeld, wistra 1995, 330 (333 f.) für § 111 p StPO. Die Frage des Tatverdachts beinhaltet immer einen gewissen Beurteilungsspielraum. Für den „hinreichenden Verdacht“ hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, es handle sich hierbei um einen auszulegenden unbestimmten Rechtsbegriff, vgl. BGH NJW 1970, 1543 (1544). Der Bundesgerichtshof hat jedoch zum Umfang der Nachprüfung von Telefonüberwachungen – insbesondere zur Frage des Vorliegens eines auf bestimmte Tatsachen gestützten Tatverdachts – wie folgt Stellung genommen: „Als rechtswidrig (mit der Folge eines Verwertungsverbots) stellt sich die von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung nur dann dar, wenn deren Entscheidung – was im Ergebnis auf eine Kontrolle nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung hinauslaufen mag – nicht mehr vertretbar ist. Anderenfalls ist im Verfahren vor dem Tatrichter wie auch im Revisionsverfahren von der Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahme und damit von der Verwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse auszugehen.“ (BGH NJW 1995, 1974 [1975]). Damit wurde ein erheblich größerer Beureilungsspielraum bejaht. Zu Recht hat Störmer hiergegen eingewandt, dass damit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insofern unberücksichtigt bleibe, als diese Anforderungen an die gerichtliche Kontrolldichte von der Intensität und Bedeutung des jeweiligen Grundrechtseingriffs abhängig mache und demgemäß ausführe, die Annahme von Beurteilungsermächtigungen komme um so weniger in Betracht, je intensiver der Eingriff sei (Störmer, ZStW 108 [1996], 494 [517 f.]). 563 Wesentlich deutlicher ist dies natürlich, wenn das Bundesverfassungsgericht für die Untersuchungshaft vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinende Freiheitsbeschränkungen dem Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv dauerhaft gegenüberstellt (BVerfGE 19, 342 [347]; 20, 45 [49]). Im Prinzip kann aber für die bei der Vermögensbeschlagnahme vorliegenden Grundrechtseingriffe nichts anderes gelten, auch wenn die Bedeutung der persönlichen Freiheit als besonders zu schützendes Rechtsgut hier nicht in Zweifel gezogen werden soll. 564 BVerfGE 20, 45 (49).
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walt zu begeben, so dass die Hauptverhandlung durchgeführt werden kann.565 Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem legitimen Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters.566 Als milderes Mittel kommt aber jedenfalls vorrangig das sichere Geleit in Betracht – wenngleich dessen Effektivität nicht zuletzt wegen der vom Gesetzgeber gewählten konkreten Ausgestaltung in Zweifel zu ziehen ist und dieses im Einzelfall die Strafvollstreckung womöglich nicht zu sichern vermag. Verlangt werden kann auch eine Ausschöpfung aller Mittel, die die internationale Rechtshilfe mittlerweile bietet. Darüber hinaus muss aber die Vermögensbeschlagnahme weitgehend an der im Einzelfall erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung scheitern.567 Gegen die Vermögensbeschlagnahme ist weiter einzuwenden, dass im konkreten Fall die Interessen Dritter spürbar beeinträchtigt werden. Dabei geht es nicht allein um die Interessen der Gläubiger des Beschuldigten,568 565 Im sog. Zwischenverfahren – nach Erhebung der öffentlichen Klage aber vor Eröffnung des Hauptverfahrens – sind ebenfalls einzelne Beweiserhebungen möglich (§§ 201, 202 StPO). 566 BVerfGE 19, 342 (348). 567 Meyer-Goßner, § 290 Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 290 Rn. 5. „Die Rechtfertigung der Beschlagnahme gegen Abwesende hänge davon ab, wie weit dieselbe dienlich sein könne, um die Zwecke der Justiz zu erreichen. Stehe der durch die Einschränkung der Disposition zugefügte Nachteil außer jedem Verhältnis zu dem angestrebten Zweck, so werden die Akte der Justiz zu Akten der Rache. In der Ausdehnung des § 279 [Anm.: des Entwurfs] würde die Beschlagnahme solche vindicative Natur haben. Es gehe zu weit und widerstrebe dem Rechtsgefühl, jemanden deshalb, weil er sich wegen eines geringen Vergehens nicht gestelle, durch Beschlagnahme seines Vermögens zu ruinieren; dies sei ein dem Strafzweck nicht aequates Mittel. Im Gebiet der Strafvollstreckung habe der Entwurf den Rechtssatz anerkannt und zur Anwendung gebracht, dass selbst die Strafe keinen größeren Nachteil ausüben dürfe, als der Zweck der Strafjustiz bedinge.“, so der Abgeordnete Lasker, zitiert nach Hahn, Mot. RStPO, S. 1445 f. 568 Hilger sieht zutreffend § 290 StPO als weiteren Weg der Zurückgewinnungshilfe neben § 111 b Absatz 5 StPO (NStZ 1982, 374; zustimmend auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 290 Rn. 16). Dem Pfleger steht es offen, im Rahmen einer rein zivilrechtlichen Vermögensverwaltung Verfügungen zu treffen, vgl. BayObLG NJW 1964, 301 (302). Der gesetzgeberischen Intention entspricht dies nicht. Im Übrigen bestehen auch hier die gegen die Zurückgewinnungshilfe vorzubringenden Bedenken, da der Staat von sich aus zur Sicherung von Ansprüchen der Gläubiger des Angeschuldigten tätig wird. Für die Gläubiger hat der Gesetzgeber als ausreichendes und adäquates Mittel zur Sicherung ihrer Ansprüche in der Zivilprozessordnung Arrest und einstweilige Verfügung geschaffen. Der Gesetzgeber hat dabei in den §§ 916 ff. ZPO ein System geschaffen, das versucht, die Interessen von Gläubiger und Schuldner soweit als möglich zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Gleiches gilt nicht für die in der Strafprozessordnung geregelte Zurückgewinnungshilfe (§ 111 b Absatz 5 StPO). Auf sie finden die Vorschriften der §§ 926, 945 ZPO nach dem Wortlaut des § 111 d StPO keine Anwendung.
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sondern primär auch solcher unterhaltsberechtigter Familienmitglieder, deren Interessen in jedem Fall, auch wenn sie ihre Ansprüche gegenüber der beschlagnahmten Vermögensmasse geltend machen können,569 nachteilig betroffen sind.570 Die Vermögensbeschlagnahme führt aber notwendigerweise auch zu einer eklatanten Ungleichbehandlung. Eine Vermögensbeschlagnahme ist zunächst natürlich nur dann möglich, wenn der Angeschuldigte überhaupt inländisches Vermögen hat, auf das ein Zugriff möglich ist. Auch innerhalb des Personenkreises, der inländisches Vermögen besitzt, ergeben sich aber Unterschiede. Diese liegen zum einen bereits in der Höhe des im Inland befindlichen Vermögens. Ein Eingriff macht nur dann Sinn, wenn er in seiner Schwere für den Angeschuldigten überhaupt spürbar ist, so dass eine Beschlagnahme niedriger Vermögenswerte regelmäßig schon daran scheitert, dass sie nicht geeignet ist, eine Gestellung des Beschuldigten herbeizuführen.571 Eine Vermögensbeschlagnahme kommt nur bei hohen Vermögenswerten in Betracht, die im Einzelfall in Relation zum Gesamtvermögen des Angeschuldigten zu setzen sind. Noch schwerer wiegt allerdings der bestehende Unterschied je nach Beschaffenheit des Vermögens des Beschuldigten. Der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung hatte bereits das Problem der zunehmenden Mobilisierung des Vermögens erkannt.572 Heute ist das Verbringen beispiels569 Der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung hat bewusst davon abgesehen, eine Regelung dahingehend zu treffen, dass alimentationsberechtigten Angehörigen des Angeschuldigten aus dem in Beschlag genommenen Vermögen Unterhalt zu gewähren sei. Bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen folge, dass durch die Beschlagnahme an den bereits bestehenden Rechten Dritter nichts geändert werden könne, vgl. Hahn, Mot. RStPO, S. 241. Infolge der Gesetzgebung zur Bekämpfung der Geldwäsche und sonstiger Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität ist vermehrt eine Tendenz festzustellen, Verbrechen durch Abschöpfung liquider Mittel zu bekämpfen. Der Vermögensbeschlagnahme gemäß § 290 StPO fehlt jedoch dieser präventive Ansatz. Dem Beschuldigten wird das Vermögen im Eigentlichen nur temporär entzogen. Tatsächlich kann dem Beschuldigten auf diesem Wege aber im Einzelfall ein wesentlicher Teil seines Vermögens dauerhaft – solange er sich dem Strafverfahren nicht stellt – entzogen werden. 570 So auch der Abgeordnete von Forcade bei Hahn, Mot. RStPO, S. 1445. Zu bedenken ist hierbei, dass das im Inland befindliche Vermögen des Angeschuldigten auch durch andere Gläubiger aufgezehrt zu werden droht und damit Unterhaltsansprüche Angehöriger nicht mehr als gesichert anzusehen sind. 571 So auch Meyer-Goßner, § 290 Rn. 1. 572 So der Abgeordnete von Forcade bei Hahn, Mot. RStPO, S. 1445: „Überdies sei die Vermögensbeschlagnahme jetzt kein so wirksames Mittel mehr, wie in früherer Zeit; denn die erleichterte Mobilisierung des Vermögens mache es dem Schuldigen möglich, dasselbe – angelegt in Papieren, Wechseln, Grundschuldbriefen – mit sich über die Grenze zu nehmen und dadurch der Beschlagnahme zu entziehen. Die
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weise von Bargeld ins Ausland erheblich erleichtert. Dabei ist der Angeschuldigte nicht auf einen illegalen Transfer von Vermögenswerten angewiesen. Vielmehr überlässt ihm die gegenwärtige Regelung bis zur Erhebung der öffentlichen Klage hinreichend Zeit,573 um beispielsweise die Bank, bei der sich Konten befinden, vom Ausland aus oder über Bevollmächtigte anzuweisen, Überweisungen auf ausländische Konten vorzunehmen. Die Beschlagnahme kann also regelmäßig nur denjenigen treffen, der schwer veräußerbares Vermögen im Inland besitzt, beispielsweise Immobilienvermögen, oder denjenigen Angeschuldigten, der bis zum Zeitpunkt der Beschlagnahme von dem Strafverfahren keine Kenntnis hatte. Somit unterliegt die Anordnung der Beschlagnahme Willkürgesichtspunkten, die nicht mehr mit dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung der Tat und der Bestrafung des Täters zu rechtfertigen sind. Letztlich ist es aber dem Angeschuldigten selbst überlassen, ein Ende der Vermögensbeschlagnahme herbeizuführen. Dies ergibt sich aus § 293 Absatz 1 StPO, der bestimmt, dass die Beschlagnahme zwingend aufzuheben ist, wenn ihre Gründe weggefallen sind.574 Die Vermögensbeschlagnahme ist auch dann aufzuheben, wenn feststeht, eine Gestellung des Abwesenden kann durch die Beschlagnahme nicht erzwungen werden.575 Die vorgetragenen Bedenken gegen die bestehende Regelung können hierdurch aber nicht beseitigt werden – insbesondere als angesichts eines weiten Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Frage, wann feststeht, dass eine Gestellung des Abwesenden durch die Beschlagnahme tatsächlich nicht erzwungen werden kann, eine zwingende zeitliche Begrenzung nicht besteht.576 Im Interesse der Rechtsstaatlichkeit ist jedenfalls zu verlangen, dass das Gericht trotz Leute, welche hauptsächlich ins Ausland fliehen, Betrüger, böswillige Bankrotteure, Menschen, welche fremde Kassen geplündert, werden gewiss dafür sorgen, ihr Vermögen mit sich zu nehmen.“ 573 Der Entwurf für eine Strafprozessordnung für das Deutsche Reich sah noch in § 279 Absatz 1 die Vermögensbeschlagnahme auch für das Ermittlungsverfahren vor („Verdachtsgründe, welche die Erlassung eines Haftbefehls rechtfertigen würden“). 574 Trotz dieser ausdrücklichen Normierung hat das Bayerische Oberste Landesgericht sich darauf beschränkt, festzuhalten, dass jedenfalls ein Entzug aller Mittel nicht mehr geboten ist, wenn der Angeklagte sich gestellt hat (BayObLG NJW 1964, 301 [302] unter Verweisung auf KG JW 37, 412). Nach Gestellung des Beschuldigten muss die Vermögensbeschlagnahme aber nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zwingend und gänzlich aufgehoben werden. 575 OLG Hamburg HRR 1935, 1571; Meyer-Goßner, § 293 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 293 Rn. 2; KK-StPO/Engelhardt, § 293 Rn. 1; SK-StPO/Schlüchter, § 293 Rn. 2. 576 Der Gesetzgeber für die Reichsstrafprozessordnung hat trotz erheblicher Bedenken gegen die Vermögensbeschlagnahme an ihr nur festgehalten, um überhaupt ein Mittel zur Gestellung des Abwesenden zu kodifizieren. Vgl. dazu die Diskussion bei Hahn, Mot. RStPO, S. 1443 ff.
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Fehlens einer ausdrücklichen Regelung auch ohne Antrag in regelmäßigen Zeitabständen577 prüft, ob die Voraussetzungen der Vermögensbeschlagnahme weiterhin bestehen.578 IV. Beweissicherung Ist der Beschuldigte abwesend, kann – ohne eine Gewährung sicheren Geleits579 – der Regelfall allein die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens im Sinne der § 285 ff. StPO sein.580 Für den Fall einer späteren Gestellung des Beschuldigten sollen so die Beweise gesichert werden.581 Nach Abschluss der Beweissicherung hat die Staatsanwaltschaft, wenn der Tatverdacht fortbesteht, folgende Möglichkeiten: Die Staatsanwaltschaft kann in entsprechender Anwendung des § 205 StPO das Verfahren vorläufig einstellen.582 Es steht der Staatsanwaltschaft aber frei, Anklage zu erheben. Das Gericht kann nach freiem Ermessen das Verfahren gemäß § 205 StPO vorläufig einstellen oder nach § 290 StPO die Vermögensbeschlagnahme – soweit diese möglich ist – anordnen.583 Der Durchführung der Hauptverhandlung steht die Abwesenheit des Beschuldigten als Hindernis entgegen. Das Beweissicherungsverfahren soll lediglich die zukünftige Durchführung eines Strafverfahrens sichern. Es bleibt ungewiss, ob die Hauptverhandlung jemals durchgeführt werden kann und das Strafverfahren zu einem Abschluss gebracht werden kann. Zweifelhaft ist auch die Effektivität des Beweissicherungsverfahrens. § 286 Absatz 2 StPO schreibt zwar ausdrücklich vor, dass Zeugen, soweit nicht Ausnahmen vorgeschrieben oder zuge577 In Betracht kommen hier wie bei § 111 b StPO Zeitabstände von zunächst 6 Monaten und im Weiteren 3 Monaten. 578 Im Ergebnis ebenso Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 293 Rn. 1; KMR/Haizmann, § 293 Rn. 1; SK-StPO/Schlüchter, § 293 Rn. 4, die die Zeitabstände nach § 121 Absatz 1 StPO bemessen will. 579 Erklärt sich der Beschuldigte bereit, freiwillig zu erscheinen, ist alternativ eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls unter geeigneten Auflagen zu erwägen. 580 §§ 285 ff. StPO gelten entgegen seinem Wortlaut („Angeklagter“, § 286 Absatz 1 Satz 1 StPO) in allen Verfahrenslagen. Vgl. hierzu Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 6. 581 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 4. 582 Vgl. Nr. 104 Absatz 1 RiStBV; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 285 Rn. 9; Meyer-Goßner, § 205 Rn. 3. 583 Im Falle eines im Sinne des § 276 StPO tatsächlich abwesenden Beschuldigten wird das Gericht das Verfahren regelmäßig aussetzen. Wenn das Hindernis nur für kurze Zeit besteht, ist im Interesse des Beschleunigungsgebotes Zuwarten oder eine Entscheidung nach §§ 228, 229 StPO ausreichend, vgl. Meyer-Goßner, § 205 Rn. 3. Zu den Voraussetzungen vgl. BGHSt 37, 145.
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lassen sind, eidlich zu vernehmen sind. Diese Vorschrift gilt allerdings nur für den Richter. Die Staatsanwaltschaft entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Zeuge richterlich vernommen und vereidigt werden muss, so dass in vielen Fällen eine Vereidigung des Zeugen unterbleiben wird.584 Stirbt der Zeuge später oder kann er aus einem anderen Grund in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden, so ist zwar die Verlesung des Protokolls einer nichtrichterlichen Vernehmung möglich. Der Richter muss jedoch im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 261 StPO angesichts des die Strafprozessordnung beherrschenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes regelmäßig den niedrigeren Beweiswert eines solchen Urkundenbeweises berücksichtigen.585 Steht der Zeuge nach wie vor zur Verfügung, weist er aber erhebliche Erinnerungslücken auf, so kann zwar der diesbezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnises verlesen werden,586 auch dies muss aber im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden.587 Das aus der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht folgende Beschleunigungsgebot588 dient zwar insbesondere den Interessen des Beschuldigten. Es liegt aber auch im öffentlichen Interesse, das Strafverfahren in einem den Schwierigkeiten der Beweisführung Rechnung tragenden Zeitraum einer Klärung zuzuführen.589 Hierbei müssen auch bei einer Verfahrensverzögerung möglicherweise entstehende Probleme der Beweisführung bedacht werden. Eine Verpflichtung zur Durchführung des Beweissicherungsverfahrens ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Gemäß Nr. 104 Absatz 1 RiStBV soll ein förmliches Beweissicherungsverfahren nach § 285 ff. StPO nur in wichtigen Fällen stattfinden, so dass aufgrund des unbestimmten Begriffes „wichtige 584
Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, §§ 286 bis 288 Rn. 8. Im Ramen der freien Beweiswürdigung ist der Richter aber nicht an bestimmte Beweisregeln oder sonstige Richtlinien gebunden, die die Voraussetzungen dafür vorgeben, wann eine Tatsache für bewiesen oder nicht bewiesen zu halten ist oder welcher Wert einem Beweismittel beizumessen ist (BGH NJW 1982, 2882 f.; SK-StPO/ Schoreit, § 261 Rn. 28 ff.). 586 Dies gilt gleichermaßen für Protokolle über die richterliche und die nichtrichterliche Vernehmung eines Zeugen, vgl. BGHSt 1, 337 (339); 3, 281 (282 f.); KKStPO/Diemer, § 253 Rn. 3, Meyer-Goßner, § 253 Rn. 7. 587 Der Grundsatz in dubio pro reo beherrscht die gesamte Urteilsfindung. Jeder nach sorgfältiger Beweiswürdigung nicht behebbare Zweifel im Tatsächlichen wirkt sich bei Anwendung des materiellen Strafrechts zugunsten des Angeklagten aus. Dies steht auch im Einklang mit § 261 StPO, der für eine Verurteilung die volle Überzeugung des Gerichts von den sie tragenden Tatsachen voraussetzt. Vgl. dazu Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 261 Rn. 103. 588 BGHSt 26, 1 (4). 589 BGHSt 26, 228 (232). 585
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Fälle“ ein nicht näher umschriebener Beurteilungsspielraum dahingehend besteht, ob und inwieweit ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt wird. Dieser weite Beurteilungsspielraum widerspricht dem dem Strafverfahren innewohnenden Streben nach Erforschung der materiellen Wahrheit, entspricht aber dem Ziel der Erhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege. Gleichwohl sollten sich die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte in der Praxis – auch angesichts des staatlichen Strafverfolgungsmonopols – gehalten sehen, den Sachverhalt so weit als möglich aufzuklären und die Beweise so weit als möglich zu sichern. Ziel eines jeden Strafverfahrens – vorausgesetzt es besteht bei Abschluss der Ermittlungen ein hinreichender Tatverdacht – ist die Durchführung des Hauptverfahrens. Die Staatsanwaltschaft ist zwar gehalten, unter den Voraussetzungen des § 205 StPO das Ermittlungsverfahren vorläufig einzustellen, wenn der Sachverhalt so weit wie möglich aufgeklärt ist. Sie soll jedoch regelmäßig prüfen, ob die Hinderungsgründe des § 205 StPO noch fortbestehen. V. Die Videovernehmung des Beschuldigten – eine Alternative für das Ermittlungsverfahren? 1. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung Mit dem Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren vom 30. April 1998590 wurde die Möglichkeit der Videovernehmung eines Zeugen in die Strafprozessordnung aufgenommen. Eine entsprechende Regelung für den Beschuldigten besteht nicht. Ohne Aufgabe des strikten Anwesenheitsgebotes und einer Aufgabe wesentlicher Teile des Mündlichkeitsgrundsatzes wäre eine solche Regelung hinsichtlich des Beschuldigten für die Hauptverhandlung auch nicht möglich. Bereits die Bezeichnung als „Zeugenschutzgesetz“ bringt zum Ausdruck, dass eine Durchbrechung dieser Prinzipien gerade nicht gewollt ist. Vielmehr soll insbesondere die Regelung des § 247 a StPO der Wahrheitsfindung unter Wahrung der Interessen besonders schutzbedürftiger Zeugen dienen: „Denn wenn die Rechtspflege den Bürger als Zeugen zur Mitwirkung am Verfahren zwingt, dann sollten die für den Bürger daraus erwachsenden Lasten in Grenzen gehalten werden.“591
Der Gesetzgeber hat sowohl die Videosimultanübertragung592 als auch die Verwendung von Videoaufzeichnungen593 an „enge Voraussetzungen 590 591 592 593
BGBl. 1998 I S. 820. BT-Drucks. 13/7165, S. 4. §§ 168 e, 247 a StPO. §§ 58 a, 255 a StPO.
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geknüpft“.594 Die persönliche Vernehmung des Zeugen genießt weiterhin Vorrang. Nur wenn drohende schwerwiegende Nachteile für den Zeugen nicht in anderer Weise abgewendet werden können, ist die Videovernehmung zulässig. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht alle Möglichkeiten, einen optimalen und gerechten Ausgleich zwischen gerichtlicher Aufklärungspflicht, Verteidigungs- und Zeugeninteressen herbeizuführen, auszuschöpfen.595 Der Gesetzgeber hat aber sowohl der Videosimultanübertragung als auch der Videoaufzeichnung hohen Beweiswert zugemessen.596 Im Vergleich zur Verlesung von Vernehmungsprotokollen mag dies zutreffen; denn die Videovernehmung vermittelt zumindest einen eingeschränkten persönlichen Eindruck des Zeugen. Die für den Zeugen in der Regel ungewohnte Situation, sich vor einer Kamera äußern zu müssen, mag aber zu Hemmungen bei diesem führen, die seine Aussage erheblich beeinträchtigen.597 Die persönliche Anwesenheit der zu vernehmenden Person – sei er Beweisperson oder Beschuldigter – kann durch die Videovernehmung nicht ersetzt werden, da sie in die für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung unerlässliche unmittelbare Kommunikation ein technisches Medium als Filter einbaut und den durch sie vermittelten Eindruck dadurch zu verfälschen droht.598 Regelmäßig mag auch dem Laienrichter der kritische Umgang mit Fernsehbildern nicht gelingen. Fischer spricht von „normativer Gültigkeitskraft von Fernsehbildern“.599 Wenngleich man dem Gericht insbesondere im Falle der Videosimultanübertragung eine realistische Betrachtung durchaus zutrauen darf, so ist der körperlichen Anwesenheit der Person schon aus dem Grunde der Vorzug zu geben, weil wesentliche körperliche Reaktionen, die Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen zulassen, nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden können:600 „§ 250 StPO aber geht vom Wortlaut und der Intention her weiter. Es ist anerkannt, dass es nicht nur auf den Inhalt des gesprochenen Wortes ankommt, sondern genauso wichtig ist, vom Zeugen einen persönlichen Eindruck zu gewinnen. Dabei geht es nicht nur um den direkten visuellen und verbalen Kontakt, sondern auch um das sonstige Verhalten des Zeugen während der Aussage, ob er z. B. weint, 594
BT-Drucks. 13/7165, S. 5. Vgl. auch BGH NStZ 1987, 84 (85) zu § 247 StPO. Diemer, NJW 1996, 1667 (1669). 596 BT-Drucks. 13/7165, S. 5. 597 So auch Diemer, NJW 1996, 1667 (1671). Caesar bemängelt, dass die Ausgestaltung des § 247 a StPO es nicht ermöglicht, ein Vertrauensverhältnis zu zu vernehmenden Kindern aufzubauen (NJW 1998, 2315 [2317]); Arntzen, ZRP 1995, 241. 598 Fischer, JZ 1998, 816 (820); Diemer, NJW 1996, 1667 (1671); KK-StPO/Diemer, § 247 a Rn. 5, Schaumburg, ZRP 2002, 313 (314). 599 Fischer, JZ 1998, 816 (820). 600 Diemer, NJW 1996, 1667 (1671). 595
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schwitzt, mit den Händen nestelt, bei bestimmten Themenbereichen zögerlich antwortet oder den Angeklagten verstohlen anschaut. All diese Wahrnehmungen, die sicherlich ihren Teil zur Wahrheitsfindung beitragen, sind im Rahmen einer Videoübertragung auf ein Minimum reduziert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, von unmittelbarer und mündlicher Kommunikation kann keine Rede mehr sein“.601
Obwohl § 163 a Absatz 1 Satz 1 StPO von der persönlichen Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren als Regelfall ausgeht, ist eine Vernehmung des Beschuldigten im Wege der Videosimultanübertragung auch ohne ausdrücklich gesetzliche Regelung als zulässig anzusehen. Weigert sich der Beschuldigte, zu einer Vernehmung im Inland zu erscheinen,602 so kann im Interesse der Wahrheitsermittlung als Alternative die Videovernehmung in Betracht gezogen werden. Da die Videosimultanübertragung aber gerade nicht die persönliche Anwesenheit ersetzen kann, ist anderen Mitteln, eine Vernehmung des Beschuldigten herbeizuführen, der Vorrang zu geben. Angesichts der in der Videosimultanübertragung liegenden Gefahr, dass ein verfälschter Eindruck von der eigenen Person vermittelt wird, ist dem Beschuldigten von der Wahrnehmung dieser Möglichkeit abzuraten. Insbesondere kann die Videovernehmung des Beschuldigten nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung nur im Ermittlungsverfahren stattfinden. Das derzeitige Verständnis vom Begriff der „Abwesenheit“ ermöglicht eine Hauptverhandlung, bei der der Angeklagte dauerhaft im Wege der Videosimultanübertragung zugeschaltet ist, nicht. Sie wäre regelmäßig auch mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Dies besagt jedoch nicht, dass nicht in absehbarer Zeit eine derartige Ausgestaltung der Hauptverhandlung in das Strafprozessrecht Eingang finden wird. 2. Ein Plädoyer für Mündlichkeit und Unmittelbarkeit „Mündlichkeit ist zu verstehen als Synonym für eine unvermittelte Kommunikation zwischen mehreren sich von Person zu Person gegenüberstehenden Individuen.“603
Diese kurze Definition zeigt das Wesen des Mündlichkeitsgrundsatzes und verdeutlicht, warum an diesem insbesondere für das strafprozessuale Verfahren unbedingt festzuhalten ist. Zentral ist nicht die Unterscheidung zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort. Die Kommunikation beschränkt sich gerade nicht auf die rein akustische Wahrnehmung, sondern umfasst „alle Sinneswahrnehmungen“.604 Nur die optische und akustische 601
Hussels, ZRP 1995, 242 (243). Der Beschuldigte kann nicht durch Verweigerung der nach § 163 a StPO vorgesehenen Vernehmung den Abschluss des Ermittlungsverfahrens verhindern. 603 Kühne, Rn. 710 [Hervorhebung im Original]. 602
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Wahrnehmung ermöglicht es, sich ein vollständiges Bild von dem Beschuldigten zu machen: „Der tönende Schall der lebenden Mienen und Gebärden geben der mündlichen Rede einen Nachdruck, deren die Schrift entbehren muss; daher diese bei weitem nicht so geschickt ist, Empfindungen und Gefühle zu erwecken, als jene; dagegen ist diese, indem sie gleichsam alles äußeren Lebens entbehrt, an den Sinnen kalt vorübergeht und nur vom Geiste geistig vernommen wird, ganz vorzüglich geschickt, reine Gedanken bestimmt und deutlich der stillbesonnenen Überlegung vorzuhalten.“605
Diese sehr poetische Analyse von Feuerbach verdeutlicht eindrucksvoll die wesentlichen Unterschiede zwischen Wort und Schrift. Eine schriftliche Darlegung ist meist wohlüberlegt, mehrfach überarbeitet und in der Praxis regelmäßig – auch dann, wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt – von einem Rechtsanwalt angefertigt. Demgegenüber vermittelt die mündliche Anhörung des Beschuldigten ein wesentlich kompakteres Bild von dem Beschuldigten. Gleichwohl er natürlich auch eine mündliche Anhörung umfassend vorbereiten mag, vermittelt regelmäßig bereits die Schilderung einen Eindruck davon, ob hier die tatsächlichen Geschehnisse oder eine einstudierte Geschichte wiedergegeben werden. Die mündliche Anhörung ermöglicht auch, Fragen zu stellen, einzelne Punkte zu vertiefen und die „Gesinnung“ des Beschuldigten zu erforschen. Gerade der „dialogische Charakter“ der Hauptverhandlung ermöglicht es dem Angeklagten, seine Rechte bestmöglichst wahrzunehmen, insbesondere durch seine Äußerung unmittelbar auf die Meinungsbildung des Gerichts bezüglich einzelner Beweismittel einzuwirken und ein eigenes Bild der Geschehnisse zu vermitteln.606 Da hinreichende Erkenntnisse über Glaubwürdigkeit und Person des Beschuldigten aber ohnehin nur gewonnen werden können, wenn es den Strafverfolgungsbehörden bzw. dem Gericht möglich ist, sich selbst ein umfassendes und unmittelbares Bild von dem Beschuldigten zu machen, sollte auch die Vernehmung im In- und Ausland durch eine ersuchte Stelle ebenso wie die Videovernehmung607 nur als ultima ratio angewandt werden. Wenngleich die „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“608 bei einfach gelagerten Sachverhalten eine Vereinfachung und Beschleunigung des 604 Kühne, Rn. 710. Kühne macht deutlich, dass der Mündlichkeitsgrundsatz auch bei optischer Trennung der Verfahrensbeteiligten trotz perfekter akustiver Verbindung verletzt ist. 605 Feuerbach, S. 231 ff., zitiert nach Kühne, Rn. 708. 606 Dahs, NJW 1995, 553 (555 f.). 607 Zu deren Risiken sub § 1 I. V. 1. 608 Hassemer, StV 1982, 275.
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Strafverfahrens rechtfertigen mag,609 so darf dies doch nicht zu Lasten wichtiger prozessualer Grundprinzipien und des Rechtes des Beschuldigten auf Gehör gehen.
J. Hauptanwendungsbereich des „sicheren Geleits“ außerhalb des eigenen Strafverfahrens Mangels tatsächlicher Alternativen ist weiterhin am Rechtsinstitut des sicheren Geleits auch für das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren festzuhalten. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung beinhaltet aber für den Beschuldigten, dem sicheres Geleit erteilt wird, insbesondere aufgrund der gesetzlich normierten Erlöschensgründe und des durch den Inhalt des Geleitbriefes begrenzten Schutzes vor freiheitsbeschränkenden Maßnahmen einige Risiken. Diese Risiken können bei Gewährung sicheren Geleits zum Erscheinen im Strafverfahren gegen einen Dritten oder in einem Zivilprozess leichter begrenzt werden, so dass dieses nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung in Zukunft dort seinen Hauptanwendungsbereich haben wird.
609 Kritsch hierzu mit Recht Dahs, NJW 1995, 553 (556); Scheffler, NJW 1994, 2191 ff.
§ 2 Das sichere Geleit für ein nicht gegen den Beschuldigten gerichtetes Strafverfahren A. Historische Aspekte Eine frühe Darstellung sicheren Geleits im Strafverfahren gegen einen Dritten findet sich bei Sallust.1 Während des Krieges zwischen Iugurtha, König von Numidien, und Rom, 111 bis 105 vor Christus, wurde Iugurtha vor die Volksversammlung in einem Verfahren gegen römische Militärbefehlshaber im Krieg gegen Iugurtha und ranghöchste römische Beamte wegen Bestechlichkeit unter Zusicherung sicheren Geleits nach Rom geführt („eum interposita fide publica romam duceret“), um zu bezeugen, ob er diese bestochen habe. Während seines Aufenthaltes in Rom lässt Iugurtha seinen Cousin Massiva, Thronprätendent in Numidien, töten. Sein Mittelsmann Bomilca wurde angeklagt, während der Senat Iugurtha wegen der Zusicherung sicheren Geleits aufforderte, Rom zu verlassen.2
B. Zweck des sicheren Geleits im Strafverfahren gegen Dritte Zweck des sicheren Geleits in einem nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren ist ebenfalls, den Beschuldigten zu bewegen, im Bereich der richterlichen Gewalt zu erscheinen, also dessen Anwesenheit herbeizuführen. Die dahinterstehende Intention ist allerdings eine andere. Die Anwesenheit des Beschuldigten soll hier nicht die Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens ermöglichen, sondern sein Auftreten zur Erfüllung der ihm zukommenden Funktion im Strafverfahren gegen den Dritten. Er soll in dem Strafverfahren gegen einen anderen persönlich und ungehindert auftreten können, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl besteht bzw. der Erlass eines Haftbefehls gegen ihn droht. Da der Erteilung sicheren Geleits, unabhängig von dem Verfahren, für das es erteilt werden soll,3 immer zunächst die Motivation zugrunde liegt, den Beschuldigten zum Erscheinen im Bereich der richterlichen Gewalt zu be1
Bellum Iugurthinum 32–35. Andere Darstellung bei Livius (periocha, 64), der erzählt, dass dieser heimlich aus Rom floh („clam pro fugit“). 2
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wegen, gelten die Ausführungen zum Strafverfahren gegen den Beschuldigten weitgehend auch hier. Dennoch ergeben sich nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage signifikante Unterschiede, die auf den ersten Blick nicht sichtbar werden. Darin zeigt sich, dass das sichere Geleit in seiner derzeitigen Ausgestaltung im deutschen Recht eher im Verfahren gegen einen Dritten oder in einem Verfahren außerhalb der Strafprozessordnung, beispielsweise in einem Zivilverfahren, Anwendung finden kann.
C. Für welchen Personenkreis kommt sicheres Geleit im Strafverfahren gegen Dritte in Betracht? Eine Person kann in verschiedenen Rollen zum Beteiligten eines Strafverfahrens werden. Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen Personen, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung das Gesetz vorschreibt (§ 338 Nr. 5 StPO) und den sonstigen Beteiligten. Anwesend müssen sein der Staatsanwalt, der Angeklagte und gegebenenfalls der Verteidiger.4 Im Folgenden soll aber nur auf diejenigen Personen eingegangen werden, für die eine Erteilung sicheren Geleits überhaupt in Betracht zu ziehen ist. Diese sind der Zeuge, der Sachverständige, der Privatkläger und der Nebenkläger.5
3 Zum Zivilprozess und anderen Verfahren ausführlich sub § 3. Dabei wird sich zeigen, dass den für das Strafverfahren gegen Dritte zu treffenden Feststellungen weitgehend auch dort Geltung zukommt. 4 Eine Erteilung sicheren Geleits für einen Verteidiger kommt nicht in Betracht, auch wenn dieser das Verfahren über einen langen Zeitraum geführt hat. Der Beschuldigte kann das Verteidigungsverhältnis jederzeit beenden (vgl. Meyer-Goßner, Vor § 137 Rn. 6) und einen neuen Verteidiger wählen (§ 137 StPO). Bei Ausbleiben des notwendigen Verteidigers steht es dem neu bestellten Verteidiger gemäß § 145 Absatz 3 StPO frei, zu beantragen, die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen, vgl. BGHSt 13, 337. Die Tatsache, dass der Verteidiger nicht ordnungsgemäß vorbereitet war, stellt demgemäß auch keinen absoluten Revisionsgrund dar, vgl. BGH NStZ 2000, 212. Eine Vertretung durch diesen Verteidiger stellt demzufolge keinen gegenüber dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse überwiegenden Belang dar. 5 Das Gericht wird dem Beschuldigten allenfalls dann sicheres Geleit zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gewähren, wenn er als Zeuge auszusagen hat, Privatkläger oder Nebenkläger ist. Aufgrund der bloßen Verletzteneigenschaft wird das Gericht im konkreten Fall sicheres Geleit nicht erteilen. Es gilt das staatliche Strafverfolgungsmonopol. Dem Opfer kommt darin – wenngleich seine Position in den letzten Jahren erheblich gestärkt wurde – keine für den Verlauf des Verfahrens maßgebende Funktion zu.
C. Für welchen Personenkreis kommt sicheres Geleit in Betracht?
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I. Der Zeuge6 Zu denken ist primär an die Rolle des Zeugen. Für ihn muss wegen der in seiner Funktion liegenden besonderen Bedeutung für das Verfahren das sichere Geleit seinen Hauptanwendungsfall im Strafverfahren gegen einen Dritten finden, insbesondere für dessen Auftreten in der Hauptverhandlung. 1. Funktion des Zeugen Der Zeuge berichtet über tatsächliche Vorgänge und Zustände, die Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung sind.7 Er ist persönliches Beweismittel und erfüllt als solches seine Funktion durch seine Aussage.8 Auf den Zeugen selbst kommt es an, solange die durch ihn zu beweisende Tatsache noch nicht als erwiesen anzusehen ist (§ 244 Absatz 3 Satz 2 [3. Var.] StPO). § 250 Satz 1 StPO bestimmt, dass zum Beweis einer Tatsache, die auf der Wahrnehmung einer Person beruht, diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist.9 Es bedarf also der persönlichen Anwesenheit des Beschuldigten als Zeuge in der Hauptverhandlung. Seine mündliche Aussage vor Gericht kann nicht ohne hinreichenden Grund durch die Verlesung eines möglicherweise im Wege der Rechtshilfe gewonnenen Protokolls über eine frühere Vernehmung des Zeugen oder einer von diesem abgefassten schriftlichen Erklärung ersetzt werden (§ 250 Satz 2 StPO). Der Zeugenbeweis genießt Vorrang vor dem Urkundenbeweis, soweit diese nur die Aussage des Zeugen wiedergibt.10 6 Popp (Rn. 51) nimmt nach völkerrechtlichen Grundsätzen zwingend sicheres Geleit für den Zeugen an. A.A. BGHSt 35, 216. Grundsätzlich ist der Argumentation Popps zu folgen, dass eine Person, die sich freiwillig als Zeuge in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates begibt, nicht in ihrer Freiheit beschränkt werden sollte. Ein solcher Schutz besteht jedoch nur aufgrund eines Gesetzes oder eines entsprechenden Beschlusses. 7 RGSt 52, 289; Peters, S. 342; Roxin, S. 296 f.; Schlüchter, Strafprozessrecht, S. 184; Jürgen Meyer, ZStW 95 (1983), 834. 8 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 49. 9 Nr. 67 RiVASt sieht unter Hinweis auf Nr. 121 RiStBV ausnahmsweise die Möglichkeit vor, den Zeugen zunächst nur schriftlich zu vernehmen. Dies gilt aber natürlich nur – die Regelungen der RiStBV sind vornehmlich für die Staatsanwaltschaft bestimmt – im Ermittlungsverfahren. Eine solche Verfahrensweise auch im Zwischenverfahren begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken. 10 Hahn, Mot. RStPO, S. 194: „§ 212 [des Entwurfs; jetzt § 250 StPO] stellt die Regel auf, dass die Verlesung von Protokollen oder schriftlichen Erklärungen an Stelle einer unmittelbaren Vernehmung nicht stattfinden dürfe.“ Grundlegend BGHSt 15, 253 (254): „Der Sinn der Vorschrift des § 250 StPO ist es, dass der Zeugenbeweis vor dem Urkundenbeweis dann unbedingten Vorzug haben soll und den Urkundenbeweis ausschließt, wenn jener grundsätzlich als das verlässlichere Beweis-
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2. Zeugnispflicht a) Zeugnispflicht als allgemeine Staatsbürgerpflicht Nicht anders als der Beschuldigte muss auch der Zeuge im Rahmen seiner Zeugnispflicht zur Vernehmung erscheinen.11 Dies gilt gemäß den Regelungen der Strafprozessordnung nur für die Anordnung des Erscheinens vor dem Richter oder dem Staatsanwalt (§ 161 a Absatz 1 StPO). Nach deutscher Rechtstradition ist die Zeugnispflicht allgemeine Staatsbürgerpflicht.12 Die Strafprozessordnung begründet sie also nicht, sondern setzt sie voraus.13 Die Zeugnispflicht erfasst deutsche Staatsangehörige auch dann, wenn sie sich im Ausland aufhalten. Für Ausländer und Staatenlose gilt sie allerdings nur, soweit diese sich im Inland aufhalten.14
mittel anzusehen ist. Hat eine Person in einem Vernehmungsprotokoll oder einer sonstigen Schrift über einen bestimmten von ihr wahrgenommenen Vorgang berichtet, so soll anstelle der Vernehmung dieser Person die Verlesung der schriftlichen Äußerung nicht zulässig sein. Denn bei der schriftlichen Fixierung der Wahrnehmung könnten Umstände eingewirkt haben, welche die richtige Darstellung dieser Wahrnehmung beeinträchtigten, sei es, dass die betreffende Person selbst absichtlich oder aus Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit eine unwahre, unvollständige oder schiefe Darstellung gegeben, sei es, dass eine Verhörsperson ihre Erklärung missverstanden oder durch die Wahl eigener Formulierungen entstellt hätte.“ Wömpner, NStZ 1983, 293 (294): „Er [§ 250 StPO] zieht für den Bereich des Urkundenbeweises die Konsequenz aus der Erfahrung, dass das originäre (personale) Beweismittel seinem (urkundlich-sachlichen) Surrogat vorzuziehen ist. Deshalb statuiert § 250 S. 1 StPO den prinzipiellen sachlichen Vorrang des Personalbeweises vor dem Sachbeweis mit berichtenden Urkunden.“ Kritisch zur Verwendung von Surrogaten für die unmittelbare Zeugenvernehmung Grünwald, FS-Dünnebier, S. 347 ff. Weiterführend Mehle, FSGrünwald, S. 351 (358) zur Problematik des Zeugen vom Hörensagen. 11 Den Zeugen trifft im Übrigen die Pflicht, wahrheitsgemäß auszusagen und seine Aussage auf Verlangen zu beeiden. Vgl. zu den Zeugenpflichten Meyer-Goßner, Vor 48 Rn. 5; Jürgen Meyer, ZStW 95 (1983), 834; Peters, S. 346; Roxin, S. 297; Schlüchter, Strafprozessrecht, S. 186 ff. 12 BVerfGE 49, 280 (284); BVerfGE 76, 363; OLG Köln NJW 1981, 2480 (2481); Böhm, NStZ 1983, 158. 13 Meyer-Goßner, Vor 48 Rn. 5. 14 Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (MDR 1967, 686) hat für einen im Inland lebenden ausländischen Staatsbürger entschieden, dass die Erscheinenspflicht nur so lange bestand, als dieser sich im Inland aufgehalten habe. Ebenso OLG Düsseldorf MDR 1992, 178. Exterritoriale sind nach §§ 18, 19 GVG von der Zeugnispflicht befreit.
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b) Folgen des Ausbleibens Zur Durchsetzung der Erscheinenspflicht hat die Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Mittel an die Hand gegeben. Gemäß § 51 Absatz 1 Satz 1 StPO sind dem ungehorsamen Zeugen die durch das Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen.15 Gleichzeitig setzt das Gericht ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft fest (§ 51 Absatz 1 Satz 2 StPO). § 51 Absatz 1 Satz 3 StPO eröffnet aber auch die Möglichkeit, den ungehorsamen Zeugen zwangsweise vorzuführen. Als ungehorsam ist dabei derjenige Zeuge anzusehen, der trotz ordnungsmäßiger Ladung ohne rechtzeitige genügende Entschuldigung ausbleibt.16 § 51 StPO gilt aber nicht für den Zeugen, für den eine Erscheinenspflicht nicht besteht.17 Ordnungsstrafen können gegen den als Zeuge geladenen Abwesenden nur dann verhängt werden, wenn dieser sich im Inland aufhält.18 Außerhalb des Geltungsbereiches der deutschen Gesetze sind Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung des Erscheinens des Zeugen unzulässig.19 Der Grundsatz der Gebietshoheit besagt, dass jeder Staat in seinem Staatsgebiet umfassend und ausschließlich für die Ausübung von Hoheitsgewalt zuständig ist.20 Ohne Vorliegen einer besonderen Erlaubnisnorm ist es einem Staat grundsätzlich nicht möglich, auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates Hoheitsakte zu setzen.21 Für den abwesenden Zeugen bedarf es somit, wenn 15 Dies ist zwingend. Der Angeklagte hat im Falle des nicht genügend entschuldigten Ausbleibens einen Rechtsanspruch darauf, von den hierdurch entstandenen Kosten durch einen Beschluss nach § 51 Absatz 1 StPO freigestellt zu werden, vgl. BVerfGHE 18 II 134 (Leitsatz 1). 16 Meyer-Goßner, § 51 Rn. 1. 17 Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat nach Verneinung der Erscheinenspflicht des Zeugen folgerichtig entschieden, dass gegen ihn keine Maßnahmen nach § 51 StPO angeordnet werden durften (MDR 1967, 686). Ebenso OLG Düsseldorf NJW 1991, 2223; NJW 1999, 1647. 18 Ob § 51 StPO auf den im Ausland befindlichen Ausländer Anwendung findet, ist umstritten. Bejahend insofern Löwe/Rosenberg/Dahs, § 51 Rn. 35; Meyer-Goßner, § 51 Rn. 31; KK-StPO/Senge, § 51 Rn. 24; offengelassen von HansOLG Hamburg MDR 1967, 686; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2223; OLG Düsseldorf NJW 1999, 164; ablehnend SK-StPO/Rogall, § 51 Rn. 11. 19 OLG Düsseldorf NJW 1999, 1647 (1648). Strittig ist, inwieweit die Personalhoheit eines Staates auch diejenigen Staatsangehörigen erfasst, die sich außerhalb seines Staatsgebietes, also im Ausland aufhalten. 20 Karl-Friedrich Nagel, Beweisaufnahme, S. 18; Diese sogenannte innere Souveränität umfasst die Dinge und Menschen, die sich auf dem Staatsgebiet befinden, vgl. Ipsen, § 5 Rn. 7. 21 Grundlegend Geck in: Wörterbuch des Völkerrechts, S. 795 mit zahlreichen, teilweise weiterführenden Nachw.
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er sich nicht im Bereich der richterlichen Gewalt befindet, eines Mittels, um ihn zum freiwilligen Erscheinen zu bewegen. II. Der Sachverständige Sicheres Geleit ist auch für einen Sachverständigen denkbar. Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk gewährt ausdrücklich Zeugen und Sachverständigen sicheres Geleit. Außerhalb des Geltungsbereichs des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen ist aber zu bedenken, dass sicheres Geleit nicht – wie bei Art. 12 EuRhÜbk – automatisch gewährt wird, sondern dass es einer ausdrücklichen Erteilung bedarf, für die als Abweichung vom Regelfall des Vollzugs eines Haftbefehls eine sorgfältige Interessenabwägung erforderlich ist. Daher wird eine Erteilung sicheren Geleits nach § 295 StPO für einen Sachverständigen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Auf Sachverständige finden gemäß § 72 StPO die Zeugenvorschriften Anwendung. Zusätzlich normiert § 161 a StPO auch für Sachverständige ausdrücklich die Verpflichtung, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft oder vor dem Richter zu erscheinen. Der Sachverständige soll auf Grund seiner besonderen Sachkunde vor Gericht über Tatsachen oder Erfahrungssätze Auskunft geben oder einen bestimmten Sachverhalt beurteilen.22 Der Unterschied zum Zeugen besteht darin, dass der Sachverständige nicht aufgrund einer persönlichen Wahrnehmung, sondern wegen seiner besonderen Sachkunde zum Beweismittel wird. Dies macht ihn aber zugleich austauschbar, weil nur in wenigen Fällen tatsächlich kein Sachverständiger mit vergleichbarer Sachkunde zu finden sein wird. Etwas anderes kann beispielsweise dann gelten, wenn der Sachverständige die für sein Gutachten notwendigen Untersuchungen vorgenommen hat und die dazu erforderlichen Bedingungen – beispielsweise Spuren am Tatort – nunmehr nicht mehr rekonstruierbar sind. III. Der Nebenkläger § 395 StPO eröffnet den besonders schutzwürdig erscheinenden Verletzten23 oder deren Angehörigen die Möglichkeit, sich in Fällen der öffentlichen Klage anzuschließen, in denen die Strafverfolgung auf Grund der Schwere der Tat der Staatsanwaltschaft obliegt.24 Als Nebenkläger sucht er dabei regelmäßig selbst Genugtuung für das erlittene Unrecht.25 Die Anwe22 23 24
Meyer-Goßner, Vor § 72 Rn. 1. BT-Drucks. 10/5305, S. 11. Zur Vereinbarkeit der Nebenklage mit der Verfassung vgl. BVerfGE 26, 66.
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senheit des Nebenklägers in der Hauptverhandlung ist nicht erforderlich.26 Ihm steht aber umgekehrt ein Recht auf persönliche Anwesenheit zu,27 dessen er bedarf, um seine Befugnisse28 wahrnehmen zu können. Der Nebenkläger kann an dem Verfahren aktiv teilnehmen, indem er Erklärungen abgibt und Fragen und Anträge stellt.29 Insbesondere gibt ihm dies die Möglichkeit, sich gegen den Vorwurf der Mitverantwortung oder des Mitverschuldens zur Wehr zu setzen, seine eigene Darstellung des Sachverhalts zu verteidigen und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen.30 Der Nebenkläger steht trotz der ihm zustehenden Rechte nicht dem Staatsanwalt gleich; denn der Schwerpunkt der Nebenklage liegt darin, dem Verletzten eine gesicherte Schutzposition zu vermitteln.31 Er ist als selbstständiger Beteiligter neben der Anklagebehörde und somit als vollkommen unabhängig von ihr zu sehen.32 Dies gilt umso mehr seit der Neuregelung der Rechtsstellung des Nebenklägers durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986.33 Die Funktion des Nebenklägers liegt in einer privaten Kontrolle staatsanwaltschaftlicher Strafverfolgung.34 Die Hauptrolle fällt aber dem Staatsanwalt zu.35 Da der Nebenkläger – anders als der Staatsanwalt – nicht zur Objektivität verpflichtet ist,36 kommt ihm in gewisser Weise eine Parteirolle zu.37 25 BVerfGE 26, 66 (70); BGHSt 28, 272 (273); OLG Karlsruhe NJW 1974, 658; Meyer-Goßner, Vor § 395 Rn. 1. 26 BGHSt 28, 272 (273). 27 § 397 Absatz 1 Satz 1 StPO; vgl. auch RGSt 31, 37 (38). 28 BT-Drucks. 10/5305, S. 14. 29 Die Rechte des Nebenklägers sind in § 397 StPO geregelt. Weitgehend wird hier auf die Vorschriften zur Privatklage verwiesen. Vgl. hierzu insbesondere die Kommentierung bei Meyer-Goßner, § 397 Rn. 2 ff. 30 Altenhain, JZ 2001, 791 (796). 31 BT-Drucks. 10/5305, S. 13. Dem Nebenkläger kommen weitgehend dieselben Rechte wie dem Staatsanwalt zu. Er hat aber nicht die in den §§ 153 ff. StPO genannten Zustimmungs- und Antragsrechte (vgl. aber § 397 Absatz 2 StPO). Vgl. dazu BGHSt 28, 272 (273). Vor Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153 ff. StPO ist der Nebenkläger aber zu hören, vgl. Löwe/Rosenberg/Hilger, § 397 Rn. 6. 32 BGHSt 28, 272 (273); Schneider, StV 1998, 456 (458). 33 So aber noch BayObLGSt 30, 150 (151) („mit selbstständigen Rechten ausgestatteter Gehilfe der staatlichen Anklagebehörde“). Vgl. nunmehr KK-StPO/Senge, Vor § 395 Rn. 1. 34 Bringewat, GA 1972, 289 (292). 35 BGHSt 15, 60 (61). 36 Schneider, StV 1998, 456 (458). 37 Vgl. dazu Schneider, StV 1998, 456 (458 f.) und darauf erwidernd Maeffert, StV 1998, 461 ff. Kein anderer Fall hat wohl die verschiedenen Aspekte der Nebenklage so deutlich aufgezeigt wie der Fall „Weimar“. Dieser Fall hat gezeigt, dass seine Befugnisse dem Nebenkläger tatsächlich die Möglichkeit geben, ähnlich einer
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Dem Nebenkläger steht ein Recht auf Gehör zu.38 Macht der Nebenkläger aber nicht von seinem Teilnahmerecht an der Hauptverhandlung Gebrauch, so kann diese ungehindert durchgeführt werden (§ 398 StPO). Ist der Nebenkläger also nicht anwesend, so ist er auch dann nicht zu hören, wenn eine Anhörung der Beteiligten gemäß § 33 Absatz 1 StPO verpflichtend ist.39 Gemäß §§ 397 Absatz 1 Satz 1, 378 StPO steht es dem Nebenkläger aber frei, sich von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen.40 Auf diesem Wege kann er, auch ohne zu Erscheinen, auf die Hauptverhandlung einwirken. Da die Durchführung der Hauptverhandlung somit von der tatsächlichen Anwesenheit des Nebenklägers unabhängig ist, kann das persönliche Erscheinen des Nebenklägers – anders als bei der Partei im Zivilprozess – nicht angeordnet werden.41 Eine Anwesenheitspflicht des Nebenklägers besteht nicht.42 Das sichere Geleit ist somit auch bei der Nebenklage von untergeordneter Bedeutung.43 IV. Der Privatkläger § 374 StPO gibt dem Verletzten (§ 374 Absatz 1 StPO) oder einem neben diesem oder an seiner Stelle Berechtigten (§ 374 Absatz 2 StPO) die Möglichkeit, die dort genannten Delikte im Wege der Privatklage zu verfolgen, ohne dass es vorher einer Anrufung der Staatsanwaltschaft bedarf.44 Der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung hat das Privatklageverfahren mit dem Ziel geregelt, bei fehlendem öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung den Strafverfolgungszwang zu lockern.45 Das Privatklageverfahren ist Partei auf den Verfahrensablauf Einfluss zu nehmen. Umfragen haben im Übrigen ergeben, dass der Staatsanwalt auch als Interessenvertreter für das Opfer fungieren sollte und eine weniger objektive Ausrichtung erwünscht ist. Vgl. hierzu Kilching, NStZ 2002, 57 (61). 38 BT-Drucks. 10/5303, S. 14; BGHSt 28, 272 (274). 39 OLG Celle JR 1957, 72: „Die Anhörungspflicht aus § 33 StPO besteht nur gegenüber anwesenden Beteiligten. Das sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich. Es ergibt sich aber aus § 33 in Verbindung mit der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung“ . . . „Ist aber ein Beteiligter, ohne den verhandelt werden darf, nicht anwesend, so braucht er zu den in der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidungen auch nicht gehört zu werden . . .“ Vgl. auch Löwe/Rosenberg/Wendisch, § 33 Rn. 17. 40 BGHSt 28, 272 (274). 41 Meyer-Goßner, § 397 Rn. 3; § 398 Rn. 2; KK-StPO/Senge, § 397 Rn. 8. 42 Löwe/Rosenberg/Hilger, § 397 Rn. 5, 15. 43 Zur tatsächlichen Bedeutung der Nebenklage nach der Reform durch das Opferschutzgesetz vgl. Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 395 Rn. 18. 44 Zur grundsätzlichen Kritik an der Privatklage vgl. die Nachweise bei Löwe/ Rosenberg/Hilger, Vor § 374 Rn. 2 (Fußn. 1).
C. Für welchen Personenkreis kommt sicheres Geleit in Betracht?
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dennoch in seiner Ausgestaltung ein staatliches Strafverfahren.46 Anstelle der Staatsanwaltschaft leitet und betreibt es aber der Verletzte mit dem Ziel, gegen den Beschuldigten eine Kriminalstrafe zu erwirken.47 Durch seine mehrfache Durchbrechung des Legalitätsprinzips und der weitgehend zur Disposition des Klägers gestellten Befugnisse48 nähert sich das Privatklageverfahren dem Parteiprozess an,49 bleibt jedoch in seiner Ausgestaltung insgesamt weit dahinter zurück, da auch hier der Untersuchungsgrundsatz gilt und somit das Gericht, nicht die Partei, die Verantwortung für eine vollständige Sachverhaltsaufklärung trägt.50 Der Privatkläger hat ein Recht auf eigene Teilnahme an der Hauptverhandlung. Dies gilt auch dann, wenn er einen Anwalt bevollmächtigt hat (§ 378 Satz 1 StPO).51 Erscheint jedoch weder der ordnungsgemäß geladene und in der Ladung auf die Folge seines Ausbleibens hingewiesene Privatkläger noch ein von ihm bevollmächtigter Rechtsanwalt, so gilt die Privatklage gemäß § 391 Absatz 2 StPO als zurückgenommen. Ziel dieser Vorschrift ist es, den Privatkläger und dessen Anwalt zu zwingen, das Verfahren pünktlich zu betreiben. Unmittelbare Zwangsmittel gegen den Privatkläger kennt das Gesetz nicht.52 § 391 Absatz 2 StPO sieht eine Rücknahmefiktion dann vor, wenn 45
Hahn, Mot. RStPO, S. 277. Das Bundesverfassungsgericht hat festgehalten, der Privatkläger habe keinen eigenen Anspruch auf Bestrafung des Beschuldigten, sondern helfe nur, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen, vgl. BVerfGE 56, 185 (191). 47 Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 374 Rn. 5. 48 Vgl. dazu KK-StPO/Senge, Vor § 374 Rn. 5; Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 374 Rn. 5. So obliegt es der Entscheidung des Privatklageberechtigten, ob und in welchem Umfang dieser Klage erhebt. Er kann auf die Klageerhebung verzichten und gemäß § 391 Absatz 1 StPO die Klage zurück nehmen oder einen Vergleich schließen. 49 BGHSt 11, 195 (197) spricht davon, dass sich Privatkläger und Angeklagter ähnlich wie im bürgerlichen Rechtsstreit Kläger und Beklagter gegenüberstünden. 50 Löwe/Rosenberg/Hilger, Vor § 374 Rn. 5. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass den Staatsanwalt anders als den Rechtsbeistand des Privatklägers kraft seines Amtes eine Verpflichtung treffe, auch für den Angeklagten sprechende Gesichtspunkte ins Feld zu führen. Dieselbe Verpflichtung treffe in besonderem Maße den Richter, „der im Blick auf seine prozessuale Fürsorgepflicht gerade dann auf Ausgleich und auf äußerste Sorgfalt bedacht sein muss, wenn im Privatklageverfahren nur auf einer Seite ein Rechtsbeistand auftritt. Mehr fordert grundsätzlich auch nicht das Prinzip der prozessualen Waffengleichheit.“ (BVerfGE 63, 380 [392]). Das Bundesverfassungsgericht hat auch deutlich gemacht, dass die Situation im Strafverfahren daher anders liege als beispielsweise im Zivilprozess, der von den Parteien beherrscht wird, vgl. BVerfGE 63, 380 (392). 51 KG JR 1961, 106: „Diesen Rechtsanspruch, in der Hauptverhandlung mitzuwirken und gehört zu werden, hat der Privatkläger auch dann, wenn sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet wird.“ 46
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der Privatkläger trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung oder bei einem anderen Termin ausbleibt. Die Anwesenheit spielt also beim Privatkläger eine erheblich größere Rolle als beim Nebenkläger; denn der Privatkläger betreibt im Gegensatz zum Nebenkläger das Verfahren selbst.53 Bei der Erteilung sicheren Geleits muss dies in die Abwägung einfließen.54 Der Privatkläger kann sich aber durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Rechtsanwalt vertreten lassen.
D. Welche Rolle spielt die Vorschrift des § 295 StPO bei der Erteilung sicheren Geleits für das nicht gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren? I. § 295 StPO als einzige Vorschrift des deutschen Rechts über eine Erteilung sicheren Geleits Eingangs dieser Arbeit wurde bereits darauf hingewiesen, dass im deutschen Recht § 295 StPO die einzige Vorschrift ist, die sich mit der Erteilung sicheren Geleits beschäftigt. Zwar minimiert sich die Bedeutung einer innerdeutschen Regelung für Zeugen und Sachverständige im Geltungsbereich des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen durch dessen Art. 12, der für diese sicheres Geleit vorsieht, ohne dass es einer ausdrücklichen Gewährung bedürfte. Dennoch soll die hier vorliegende Untersuchung sich zunächst allein mit den Möglichkeiten beschäftigen, die das nationale Recht für eine Erteilung sicheren Geleits auch außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens bietet. II. Anwendbarkeit des § 295 StPO auch außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens? Aus dem Wortlaut des § 295 StPO lässt sich nicht folgern, dass sein Anwendungsbereich allein auf das gegen den abwesenden Beschuldigten gerichtete Strafverfahren begrenzt sein soll.55 Eine solche Beschränkung folgt zwar aus der systematischen Stellung des § 295 StPO.56 Das sichere Geleit dient dem Interesse des Staates an der Durchführung des Strafverfahrens.57 52
Löwe/Rosenberg/Hilger, § 391 Rn. 29. Das Bundesverfassungsgericht spricht von maßgeblicher Beteiligung, vgl. BVerfGE 56, 185 (191). 54 BGHSt 15, 60 (61) unter Bezugnahme auf BGHSt 11, 195 (197). 55 So auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 24. 56 Dazu bereits sub § 1 G. 53
D. Welche Rolle spielt die Vorschrift des § 295 StPO?
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Daneben gibt es dem Beschuldigen die Möglichkeit, persönlich an dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren teilzunehmen und seine Freisprechung zu erwirken.58 Gleichwohl bejahen Literatur59 und Rechtsprechung60 überwiegend, insbesondere unter Berufung auf Sinn und Zweck des sicheren Geleits, eine Anwendung des § 295 StPO auch außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens, ohne dabei zwischen direkter und analoger Anwendung zu unterscheiden. Eine direkte Anwendung erscheint vor allem im Hinblick auf den offenen Wortlaut des § 295 Absatz 1 StPO, der die Begrenzung auf das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren nicht vornimmt, möglich. Insbesondere sollte man dabei aber im Auge behalten, dass die primäre Intention, die hinter der Erteilung sicheren Geleits steht, immer die ist, den Beschuldigten, gegen den ein Haftbefehl besteht oder dem der Erlass eines Haftbefehls droht, überhaupt zum Erscheinen zu veranlassen. Da die Systematik, in die § 295 StPO eingebunden ist, nur allzu deutlich widerspiegelt, dass diese Regelung die Erteilung sicheren Geleits zu dem Zwecke im Auge hat, „ein Strafverfahren zu Ende zu führen, um die materielle Gerechtigkeit zu verwirklichen, die in der Verurteilung zu Strafe, aber auch in einem Freispruch zum Ausdruck kommt“,61
erscheint eine direkte Anwendung des § 295 StPO auch auf Zeugen und andere Prozessbeteiligte nicht möglich.62 Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass für den Inhalt einer Norm „der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesvorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist“,
maßgebend ist.63 § 295 StPO ist keine für alle Verfahren und alle Prozessbeteiligten geschaffene Zentralnorm für die Erteilung sicheren Geleits. 57
OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 245; OLG Hamburg JR 1979, 174; MeyerGoßner, § 295 Rn. 1. 58 RG DRiZ 1921 Nr. 207. 59 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 24; KMR/Haizmann, § 295 Rn. 2; KKStPO/Engelhardt, § 295 Rn. 1; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 3 für den Zeugen und für eine Parteivernehmung im Zivilprozess; a. A. Meyer-Goßner, § 295 Rn. 1 jedenfalls bezüglich einer Anwendung sicheren Geleits im Zivilrechtsstreit und grundsätzlich ablehnend Schmidt, Lehrkommentar StPO, § 295 Rn. 3 unter Berufung auf RG DRiZ 1921 Nr. 207. 60 BGHSt 35, 216 (217); BGH Ermittlungsrichter, Beschluss vom 5. August 1991, 4 BJs 42/89 – 3, 2 BGs 243/91, juris-Recherche vom 4. März 2003; BGH NJW 1991, 2500 für eine Partei in einem Zivilrechtsstreit. 61 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 245. 62 Vgl. zur systematischen Auslegung BVerfGE 48, 246 (257).
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Warum der Gesetzgeber der Reichsjustizgesetze eine Regelung des sicheren Geleits für alle Verfahren unterlassen hat, ist unklar. Es ist nicht anzunehmen, dass er davon ausging, die Erteilung sicheren Geleits sei außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Verfahrens weiterhin als justizverwaltende Maßnahme zu qualifizieren; denn Ziel des Gesetzgebers der Reichtsstrafprozessordnung war es, Eingriffe der Justizverwaltungsbehörden in die Rechtspflege möglichst auszuschließen.64 Vielmehr hat diese „strafrechtliche Verwertung“65 sicheren Geleits ihren Ursprung in der damaligen Rechtsanschauung, die es aus seiner ursprünglich vielfältigen Verwendung im deutschen Raum herauslöste und es immer mehr zu einem Mittel werden ließ, des Beschuldigten habhaft zu werden, um seine Verurteilung betreiben zu können.66 Eine Absicht, die Erteilung sicheren Geleits in einem anderen Kontext zu regeln, ist nicht erkennbar. Die Anwesenheit eines sonstigen Prozessbeteiligten erlangt regelmäßig auf den ersten Blick kein solches Gewicht wie die des Beschuldigten in dem gegen ihn gerichteten Verfahren, weil das Verfahren auch ohne ihn zu Ende geführt werden kann. Damit ist bereits die Abwägung, ob von der üblichen Vorgehensweise, den Haftbefehl zu vollziehen, abzuweichen ist, eine gänzlich andere. Vorzugswürdig erscheint somit eine „nur“ analoge Anwendung des § 295 StPO außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens.67 III. Die Auslegung des Abwesenheitsbegriffes Auch bei der Erteilung sicheren Geleits für einen anderen Prozessbeteiligten als den im Strafverfahren Beschuldigten richtet sich der Abwesenheitsbegriff nach § 276 StPO. Die Abwesenheit ist somit in erster Linie für das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren festzustellen. Die Frage, ob die Anwesenheit des Beschuldigten für das gegen ihn gerichtete Strafverfahren herbeigeführt werden kann, unterscheidet sich von der Feststellung, der Beschuldigte verweigere sein Erscheinen in dem nicht gegen ihn gerichteten Strafverfahren und könne dazu auch nicht durch Zwang veranlasst werden. 63 BVerfGE 48, 246 (256) unter Verweisung auf BVerfGE 11, 126 (130 f.). Vgl. auch Larenz, S. 301 ff. 64 Mettgenberg, S. 10. 65 Mettgenberg, S. 10. 66 Ausführlich dazu Mettgenberg, insbesondere S. 10 f. 67 Vgl. zum Vorliegen einer Regelungslücke und zum Verfahren der Analogie Pawlowski, S. 214 ff.
D. Welche Rolle spielt die Vorschrift des § 295 StPO?
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§ 276 StPO nimmt eine Abwesenheit des Beschuldigten dann an, wenn dieser sich im Ausland aufhält und seine Gestellung nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint.68 Ein Erzwingen des Erscheinens kommt bei einem im Ausland befindlichen Beschuldigten mit bekanntem Aufenthaltsort nur durch Stellen eines Auslieferungsersuchens in Betracht. Die Auslieferung als Maßnahme der zwischenstaatlichen Rechtshilfe kommt aber nur zum Zwecke der Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung in Betracht.69 Nun wird zwar regelmäßig gegen den im Ausland befindlichen Beschuldigten ein Auslieferungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung wegen der von ihm begangenen Taten eingeleitet werden, eine Auslieferung zwecks Erscheinen in einem nicht gegen diesen gerichteten Strafverfahren ist aber nicht möglich. Daher hat das Gericht zu entscheiden, ob es im konkreten Fall das Auslieferungsverfahren abwarten will, bevor es die Gewährung sicheren Geleits in Betracht zieht. Eine solche Vorgehensweise ist aber abzulehnen. Widersprüche zum Wortlaut des § 276 StPO müssen hingenommen werden; denn die §§ 276, 295 StPO sind nicht auf die Erteilung sicheren Geleits für andere Verfahrensbeteiligte als den Beschuldigten selbst zugeschnitten. Selbst wenn tatsächlich wegen der Tat, für die ein Haftbefehl besteht bzw. wegen der der Erlass eines Haftbefehls droht, eine Auslieferung möglich erscheint, so ist dies – abgesehen von dem Fall, dass eine Auslieferung unmittelbar bevorsteht – für das Verfahren, in dem der Beschuldigte erscheinen soll, irrelevant. Für das Strafverfahren ist aus dem Rechtsstaatsprinzip, der allgemeinen Fürsorgepflicht70 und Art. 6 EMRK71 ein Beschleunigungsgebot abzuleiten. Will man dem Rechnung tragen, so kommt eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 228 StPO,72 die ohnehin nur in Ausnahmefällen zulässig ist,73 nicht in Betracht. Sie wäre zwar als zulässig anzusehen, da sie der Wahrheitsfindung und somit der Förderung des Verfahrens diente.74 Dennoch gebieten es der Schutz des Beschuldigten und das öffentliche Interesse, die gegen einen Angeklagten erhobenen Beschuldigungen in einem an den Schwierigkeiten der Beweisführung zu orientierenden, angemessenen Zeitraum einer Klärung zuzuführen.75 Es handelt 68 Auf den Fall des unbekannten Aufenthaltsortes ist nicht gesondert einzugehen, da sich hieraus keine Unterschiede ergeben. 69 Ipsen, § 50 Rn. 8. Die Auslieferung ist Gegenstand völkerrechtlicher Verträge. Eine gewohnheitsrechtliche Pflicht des Aufenthaltsstaates zur Auslieferung ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht entstanden. Vgl. auch §§ 2, 3 IRG. 70 BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2001, 2707; BGHSt 26, 1 (4). 71 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 160. 72 Eine zeitlich begrenzte Unterbrechung nach § 229 StPO dürfte kaum ausreichen. Vgl. dazu auch BGHSt 23, 224 (225 f.). 73 OLG Frankfurt MDR 1983, 253; Meyer-Goßner, § 228 Rn. 4. 74 Vgl. dazu OLG Frankfurt MDR 1983, 253. 75 BGHSt 26, 228 (232).
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sich hier um verzögernde Umstände, die nicht in der Person des Beschuldigten liegen. Eine lange Dauer des Verfahrens ist nicht nur für den Beschuldigten unzumutbar, weil auf ihm ein Verdacht ruht, der sich negativ auf sein Ansehen auswirkt, von dessen Ungewissheit er befreit werden muss, und er sich sogar in Untersuchungshaft befinden mag. Auch die Ermittlungen werden dadurch erschwert. Sowohl belastende als auch entlastende Argumente können mit der Zeit ihre Wirkung verlieren, so dass die Wahrheitsfindung erschwert wird.76 Das sichere Geleit gibt den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, das Strafverfahren zügig fortzuführen. Dies gilt natürlich nur, wenn der Beschuldigte von dem ihm gewährten sicheren Geleit tatsächlich Gebrauch machen wird. Auch hier sollte also zunächst Rücksprache mit dem Beschuldigten gehalten werden. Im Rahmen der bei der Erteilung sicheren Geleits zu treffenden Ermessensentscheidung muss dieser Beschleunigungsgedanke berücksichtigt werden.77 Für die Frage, wann dem sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilt werden kann, ist noch auf Folgendes hinzuweisen. Für das Beschleunigungsgebot ist relevant, wann die für die Berechnung der Verfahrensdauer maßgebliche Periode beginnt.78 Der Bundesgerichtshof hat angenommen, die angemessene Frist beginne bereits mit der Bekanntgabe des Schuldvorwurfs an den Betroffenen, jedenfalls aber mit Verhaftung aufgrund eines Haftbefehls.79 Handelt es sich um ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten selbst, so bleibt abzuwarten, ob dieser auf Ladung hin freiwillig erscheinen werde, bevor seine Abwesenheit festgestellt wird. Bei einem anderen Prozessbeteiligten ist aber die Wahrscheinlichkeit, dieser werde erscheinen, denkbar gering, da ihm die Untersuchungshaft wegen der gegen ihn selbst erhobenen Vorwürfe droht. Hier müsste also – gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem Beschuldigten – regelmäßig der Versuch, die Anwesenheit des Beschuldigten in dem nicht gegen ihn gerichteten Verfahren allein durch Ladung herbeizuführen, im Interesse des Beschleunigungsgebots unterbleiben und eine Erteilung sicheren Geleits bereits frühzeitig in Betracht gezogen werden. 76 Vgl. dazu FS-Baumann/Pfeiffer, S. 329 ff., insbesondere S. 332. Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer „wahrheitssichernden Funktion“ der Verfahrensgrundsätze einer „mündlichen, konzentrierten und schleunigen Verhandlung unter beständiger Anwesenheit der zur Wahrheitsfindung berufenen Personen und des Angeklagten“ (BVerfGE 57, 250, [280]). Zum Vorgehen bei überlanger Verfahrensdauer vgl. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 26 mit Nachw. aus Rechtsprechung und Literatur. 77 Vgl. dazu Löwe/Rosenberg/Rieß, Einl. Abschn. G Rn. 33. 78 FS-Baumann/Pfeiffer, S. 334. 79 BGH NStZ 1982, 291; Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Fall „Eckle“ den Begriff der Anklage im Sinne von Art. 6 Absatz 1 EMRK als „offizielle amtliche Anzeige der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm bei Begehung einer Straftat angelastet werde“ definiert (EuGRZ 1983, 371 [379]).
D. Welche Rolle spielt die Vorschrift des § 295 StPO?
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IV. Die Erteilung sicheren Geleits für das nicht gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren weist nur geringe Unterschiede gegenüber der Erteilung sicheren Geleits für das gegen ihn gerichtete Strafverfahren aus Abgesehen von den Abweichungen bei der Feststellung der Abwesenheit des Beschuldigten läuft die Erteilung sicheren Geleits für den Beschuldigten und für sonstige Prozessbeteiligte weitgehend parallel. Dies gilt jedoch nicht in gleichem Maße für die Umstände, die bei der erforderlichen Abwägung im Rahmen der richterlichen Ermessensausübung zu berücksichtigen sind. V. Warum ist § 295 StPO eher geeignet, das Erscheinen des Beschuldigten für ein nicht gegen ihn gerichtetes Strafverfahren herbeizuführen? Die praktische Anwendung zeigt, dass die Gewährung sicheren Geleits nach § 295 StPO eher geeignet ist, einen sonstigen Beteiligten zum Erscheinen zu bewegen als den Beschuldigten des jeweiligen Strafverfahrens. Einzelne Probleme, denen sich der Beschuldigte des durchzuführenden Strafverfahrens gegenüber sieht, ergeben sich bei einem sonstigen Prozessbeteiligten nicht. So hat sich bei den Ausführungen zum gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren gezeigt, dass der Beschuldigte, der für das gegen ihn gerichtete Strafverfahren sicheres Geleit in Anspruch nimmt, möglicherweise das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik nicht wieder wird verlassen können.80 Dem Beschuldigten, der Prozessbeteiligter in einem anderen Verfahren ist, kann aber jedenfalls dann, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat, also zum Beispiel nachdem er als Zeuge aufgetreten ist, die Ausreise nicht verweigert werden, er kann also nicht wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen werden. Es bedarf aber auch hier zur Klarstellung einer entsprechenden Ausgestaltung des Geleitbriefs. Bei einer befristeten oder auf eine bestimmte Handlung bezogenen Erteilung sicheren Geleits muss die Möglichkeit der erneuten Ausreise eröffnet werden.81 Das Amtsgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 14. März 2005 auf Antrag des für die Hauptverhandlung gegen den Dritten zuständigen Landgerichts Mannheim einer Zeugin sicheres Geleit zum Zwecke ihrer Zeugenvernehmung vor diesem erteilt. Dieses war befristet auf einen Zeitraum von 3 Tagen vor bis 16 Tage nach ihrer Zeugenvernehmung.82 Die Staatsanwaltschaft hat die sich daraus erge80
Dazu sub § 1 H. VII. 1. KK-StPO/Engelhardt, § 295 Rn. 6. 82 Amtsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 14. März 2005, Geschäftsnummer 31 Gs 710/05. 81
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bende Gelegenheit genutzt, die Zeugin als Beschuldigte in dem gegen diese gerichteten Strafverfahren persönlich zu vernehmen, um dieses zu einem Abschluss zu bringen. Der Erlöschensgrund „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ kann in einem nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren denknotwendig nicht eintreten. Das Gericht muss hier bei allen auftretenden Problemen immer im Auge behalten, dass sicheres Geleit nicht erteilt wurde, um das Strafverfahren gegen den Beschuldigten, dem es gewährt wurde, zu ermöglichen, er sich diesem also nicht erneut entzieht.83 Ein Erlöschen des sicheren Geleits wegen der Nichterfüllung von Bedingungen ist allerdings auch hier jederzeit möglich. Eine große Gefahr liegt für den Zeugen oder Sachverständigen in der Erteilung sicheren Geleits insofern, als dieses vor der Untersuchungshaft wegen eines Aussagedeliktes nicht schützt. § 153 StGB erfasst nur die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen. Gleiches gilt auch im Anwendungsbereich des Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk, der die Verfolgung, das in Haft Halten und sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit des Zeugen oder Sachverständigen nur wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates untersagt.84
83 Tritt tatsächlich der praktisch kaum denkbare Fall ein, dass gegen den Beschuldigten in einer parallel zu diesem Verfahren stattfindenden Hauptverhandlung, für die der Beschuldigte/Angeklagte von der Verpflichtung zum Erscheinen gemäß § 233 StPO entbunden ist, eine Freiheitsstrafe ergeht, so muss das sichere Geleit auch vor einer Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe schützen, soweit das sichere Geleit die dieser Verurteilung zugrunde liegende Straftat erfasst. 84 Das Ministerkomitee der Mitgliedstaaten des Europarates hat in seiner Empfehlung R (83) 12 betreffend das freie Geleit für Zeugen in Anwendung des Art. 12 Absatz 1 des EuRhÜbk in diesem Fall Zurückhaltung empfohlen: „Wenn gegen einen Zeugen Untersuchungshaft angeordnet werden könnte, der verdächtig ist, in Verbindung mit seiner Aussage vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates eine andere Straftat als eine Aussageverweigerung begangen zu haben, sollte angemessen berücksichtigt werden, ob dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit nicht hinreichend durch andere Maßnahmen Rechnung getragen werden kann, wie der Stellung von Kaution oder Sicherheit oder, soweit möglich, durch Überlassung der Verfolgung an einen anderen Staat.“ (abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG Rn. 29).
E. Die Erteilung sicheren Geleits
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E. Die Erteilung sicheren Geleits in dem nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren I. Zuständigkeit Die Frage, wer für die Erteilung sicheren Geleits zuständig ist, wenn der Beschuldigte als Beteiligter in einem nicht gegen ihn gerichteten Strafverfahren auftreten soll, muss gesondert betrachtet werden, da sie sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Zunächst ist jedenfalls auszuschließen, dass hier die Justizverwaltungsbehörden zur Entscheidung berufen sind. Dem steht der klare Wille des Gesetzgebers entgegen.85 Im Übrigen stellt sich aber die Situation gegenüber dem gegen den Beschuldigten gerichteten Verfahren insofern verändert dar, als hier zwei unterschiedliche Verfahren vorliegen. Dabei wird der Richter, der für das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren zuständig ist, regelmäßig besser beurteilen können, ob das staatliche Strafverfolgungsinteresse ein Absehen von dem üblichen Vorgehen des Vollzugs eines Haftbefehls zulässt. Das Gericht, das in dem Verfahren, in dem der Beschuldigte sonstiger Beteiligter ist, zur Entscheidung berufen ist, wird hingegen die Bedeutung des Erscheinens des Beschuldigten für dieses Verfahren besser beurteilen können. Zuständig ist aber auch hier das Gericht, das über die Erteilung sicheren Geleits für das gegen den Beschuldigten gerichtete Verfahren zu befinden hätte.86 Entscheidend ist dabei, in welchem Verfahrensabschnitt sich das gegen den Beschuldigten gerichtete Verfahren befindet.87 Keinesfalls darf das Gericht, vor dem der Beschuldigte als sonstiger Beteiligter, etwa als Zeuge, erscheinen soll, das sichere Geleit selbst bewilligen. Es hat vielmehr die Erteilung sicheren Geleits bei dem in dem Verfahren gegen den Beschuldigten zuständigen Richter zu beantragen. Der Grund hierfür ist offensichtlich. Er liegt nicht nur in der derzeitigen gesetzlichen Regelung, die davon ausgeht, 85 Die Motive des Entwurfs (in: Hahn, Mot. RStPO, S. 242) machen deutlich, dass Einwirkungen der Justizverwaltung in die Rechtspflege so weit als möglich ausgeschlossen werden sollen. Diese Sichtweise gilt auch heute unverändert fort. Vgl. auch Mettgenberg, S. 9 f. 86 BGHSt 35, 216 (217); AK-StPO/Achenbach, § 295 Rn. 11; Löwe/Rosenberg/ Gollwitzer, § 295 Rn. 25; Gerd Pfeiffer, StPO, § 295 Rn. 2. Vgl. auch RG Archiv für Strafrecht und Strafprozess 73, 173. 87 Hier kann der Fall eintreten, dass beispielsweise der im Ermittlungsverfahren zuständige Richter sicheres Geleit erteilt, später aber eine Änderung der Zuständigkeit eintritt, solange sicheres Geleit noch andauert. Praktisch bedeutsam ist dies nicht, da sicheres Geleit nicht für das Strafverfahren gegen den Beschuldigten erteilt wurde und somit der Vorwurf nicht greift, der Ermittlungsrichter habe in die Befugnisse desjenigen Gerichts eingegriffen, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll und dessen Entscheidung vorweggenommen.
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sicheres Geleit diene dem Aufklärungsinteresse des Staates, nicht dem Interesse desjenigen, der den Beschuldigten in einem anderen Verfahren benötigt, bzw. des Beschuldigten selbst.88 Vielmehr kann dem Beschuldigten überhaupt nur in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren sicheres Geleit erteilt werden; denn die Entscheidung erfolgt darüber, ob der Beschuldigte wegen der Straftaten, wegen der gegen ihn ermittelt wird, von der Untersuchungshaft befreit werden soll, so dass er möglicherweise in dem Verfahren, in dem seine Anwesenheit gewünscht wird, erscheine.89 II. Antrag Soll sicheres Geleit für ein nicht gegen den Beschuldigten gerichtetes Strafverfahren erteilt werden, so wird der Antrag90 der Sphäre dieses Verfahrens entstammen. Weder die Staatsanwaltschaft in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Verfahren noch der Beschuldigte selbst können in diesem Fall gewichtige Gründe für eine Gewährung sicheren Geleits geltend machen. Auch ein Tätigwerden des im Strafverfahren zuständigen Gerichts von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Die Befreiung von der Untersuchungshaft ist als eng begrenzte Ausnahme zu sehen. Daher bedarf es zumindest einer Anregung von Seiten der Beteiligten in dem Verfahren, in dem das Erscheinen des Beschuldigten erwünscht ist, denn diese müssen beurteilen, ob es dort der Anwesenheit des Beschuldigten bedarf. Der Antrag kann also von Seiten des in dem anderen Verfahren Beschuldigten, Staatsanwalts, Nebenklägers,91 Privatklägers oder des dort zur Entscheidung berufenen Gerichts gestellt werden. Sinnvoller erscheint es aber, wenn der Beteiligte, der das Erscheinen des Beschuldigten, dem sicheres Geleit gewährt werden soll, für geboten hält, die Erteilung sicheren Geleits verbunden mit einem entsprechenden Beweisantrag in diesem Verfahren anregt.92 Dann kann zunächst das Gericht entscheiden, ob es nach Lage der Sache des Erscheinens des Beschuldigten überhaupt bedarf und daher für diesen die Erteilung sicheren Geleits beantragt werden soll.93 Das für die Befreiung von der Untersuchungshaft zuständige Gericht bedarf ohnehin ei88
Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 25. RG HRR 1931, 361. 90 Ein förmlich geregeltes Verfahren für die Erteilung sicheren Geleits enthält die Strafprozessordnung nicht. Ein förmlicher Antrag ist nicht erforderlich. Gollwitzer (in: Löwe/Rosenberg, § 295 Rn. 25) spricht daher umfassender von einer „Anregung“ sicheren Geleits. 91 Auch der Nebenkläger kann selbstständig Beweisanträge stellen, jedoch nur, soweit das die Nebenklagebefugnis begründende Delikt in Frage steht (KK-StPO/ Senge, § 397 Rn. 6). Dazu auch bereits § 2 C. III. 92 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 25. 89
F. Die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits
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ner Einschätzung der Bedeutung des Beschuldigten für das andere Verfahren durch das dort zur Entscheidung berufene Gericht, um die erforderliche Interessenabwägung vornehmen zu können. III. Rechtsbehelfe Soll das beantragte sichere Geleit das Erscheinen des Beschuldigten in einem Strafverfahren gegen einen Dritten ermöglichen, so kann der abwesende Beschuldigte niemals beschwert sein.94 Um eine Beschwer nach sich zu ziehen, müsste die ergangene Entscheidung dem Beschwerten einen unmittelbaren Nachteil bringen, dessen Rechte und Interessen müssten unmittelbar beeinträchtigt sein.95 Beschwerdeberechtigt sind der Staatsanwalt und der Beschuldigte in dem Strafverfahren, für das dem Beschuldigten das Erscheinen ermöglicht werden soll.
F. Die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits für das Strafverfahren gegen einen Dritten I. Erscheinen des Beschuldigten förderlich für ein anderes Verfahren Die Entscheidung über eine Befreiung von der Untersuchungshaft kann trotz strikter Trennung zwischen dem gegen den Beschuldigten selbst gerichteten Verfahren und dem Verfahren, in dem dessen Erscheinen erforderlich ist, nicht getroffen werden, ohne beide eingehend zu betrachten. Die Interessen der an dem Verfahren gegen den Dritten Beteiligten sind gegen das Verfolgungsinteresse des Staates in dem gegen den Beschuldigten anhängigen Strafverfahren abzuwägen.96 Eine Entscheidung kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalles getroffen werden. Einzelne Aspekte, die das zuständige Gericht bei der Erteilung sicheren Geleits immer wieder zu berücksichtigen haben wird, bedürfen jedoch einer näheren Untersuchung.
93 Vgl. Amtgericht Karlsruhe, Beschluss vom 14. März 2005, Geschäftsnummer 31 Gs 710/05. 94 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1. 95 BGHSt 16, 374 [376 f.]; 33, 114 [118]; 34, 11 [12]; KK-StPO/Ruß, Vor § 296 Rn. 5. 96 BGH NJW 1991, 2500 (2501).
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§ 2 Sicheres Geleit für ein Strafverfahren gegen Dritte
1. Erscheinen als Zeuge Eine zentrale Rolle bei der Wahrheitsermittlung kommt immer wieder den Zeugen zu. Die Bedeutung eines einzelnen Zeugen kann dabei sehr gering, aber auch sehr hoch sein, je nachdem, wie sich die Beweislage im Übrigen darstellt. Man darf aber nicht vergessen, dass selbst dann, wenn das Gericht angesichts der vorliegenden Beweise den Tathergang als erwiesen ansieht, eine einzige Zeugenaussage dazu geeignet ist, die Geschehnisse in ein völlig anderes Licht zu rücken oder doch wenigstens Zweifel zu erwecken.97 Die Strafprozessordnung versucht diesem Umstand mit einem aufeinander abgestimmten Geflecht von Regelungen zu begegnen. Die sich darin widerspiegelnden Grundprinzipien des Strafverfahrens wurden bereits in § 1 dieser Arbeit eingehend behandelt. Im Zentrum der vorliegenden Betrachtung steht wiederum die Hauptverhandlung. Der Zeuge ist Beweismittel. Die Beweisaufnahme ist in §§ 244 ff. StPO geregelt. a) Beantragte und von Amts wegen bestehende Beweiserhebungspflicht § 244 Absatz 2 StPO verpflichtet das Gericht, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.98 § 244 Absatz 3 StPO sieht daneben die Möglichkeit der Ablehnung eines Beweisantrages nur in Ausnahmefällen vor. Das in § 244 Absatz 3 StPO normierte Beweisantragsrecht dient dazu, das Gericht zu veranlassen, die Beweisaufnahme über das von ihm zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich Gehaltene hinaus zu erstrecken.99 Dass ein tatsächlicher Unterschied zwischen einem Beweisantrag und von Amts wegen bestehender Beweiserhebungspflicht besteht, dürfte sich im Besonderen in dem für diese Arbeit relevanten Bereich zeigen, nämlich der Frage, welches Maß an Anstrengung aufgewendet werden muss, um ein als beweiserheblich eingestuftes Beweismittel herbeizuschaffen.100
97 Vgl. dazu Julius, NStZ 1986, 61 (63); Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 244 Rn. 45, 46 a. 98 Zur Ermittlung des wahren Sachverhalts als zentrales Anliegen des Strafprozesses, vgl. BVerfGE 57, 250 (276 f.); 63, 45 (65). 99 BGHSt 21, 118 (124). Vgl. dazu auch BGHSt 32, 68 (73) und Frister, ZStW 105 (1993), 340 (360). 100 Julius, NStZ 1986, 61 (62) unter Verweisung auf BGHSt 32, 68 (73).
F. Die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits
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b) Befreiung vom Verbot der Beweisantizipation bei Beweisantrag auf Vernehmung eines im Ausland zu ladenden Zeugen § 244 Absatz 5 Satz 2 StPO stellt es ausdrücklich in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts, ob dieses die Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, zur Erforschung der Wahrheit für erforderlich hält. Kommt es hier zu einem negativen Ergebnis, so kann es den Beweisantrag auf Vernehmung dieses Zeugen ablehnen. Ausnahmsweise ist das Gericht also trotz Vorliegen eines Beweisantrages vom Verbot der Beweisantizipation befreit.101 Kommt das Gericht dagegen zu dem Ergebnis, die Vernehmung des Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken ist, ist zur Erforschung der Wahrheit erforderlich,102 ist die für die vorliegende Arbeit zentrale Frage, welche Rolle die Möglichkeit der Erteilung sicheren Geleits für die Frage spielt, wann ein Zeuge als unerreichbar im Sinne von § 244 Absatz 3 Satz 2 [5. Var.] StPO angesehen werden kann.103
c) Wann ist der Zeuge unerreichbar? Für das Strafverfahren ist in den §§ 244 bis 256 StPO eine förmliche Beweisaufnahme, das sogenannte Strengbeweisverfahren, vorgesehen.104 Der dieses ergänzende Mündlichkeitsgrundsatz hat seinen Ausdruck in §§ 250, 251 StPO gefunden, die nur in Ausnahmefällen eine Ersetzung der Zeugenvernehmung durch den Urkundenbeweis mit Protokollen zulassen.105 Der insoweit bestehende Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis gebietet es, zunächst festzustellen, ob eine persönliche Vernehmung des Zeugen in Betracht kommt. Hier muss nicht zwischen der Aufklärungspflicht und der Pflicht, Beweis auf Antrag zu erheben, unterschieden werden, da regelmäßig dann, wenn einer der Ablehnungsgründe des § 244 Absatz 3 StPO vorliegt, auch die Aufklärungspflicht nicht zur Beweiserhebung zwingt.106 § 244 Absatz 3 StPO stellt die Ablehnung in einem solchen Fall in das Ermessen des Gerichts. 101
BGHSt 40, 60 (62). Meyer-Goßner, § 244 Rn. 63. Vgl. auch BGH StV 1981, 5. 103 Vgl. dazu BGH NStZ 1991, 143. 104 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 244 Rn. 3. 105 Selbst wenn die Prozessbeteiligten gemäß § 251 Absatz 2 Satz 1 StPO mit der Verlesung von Protokollen oder Schriftstücken einverstanden sind, kann die Aufklärungspflicht nach § 244 Absatz 2 StPO gebieten, die Beweisperson persönlich zu hören, vgl. BGHSt 10, 186 (191 f.). Vgl. auch BGH NStZ 1988, 37 (38); 283; Rieß/ Hilger, NStZ 1987, 145 (151). 106 Meyer-Goßner, § 244 Rn. 12. 102
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§ 2 Sicheres Geleit für ein Strafverfahren gegen Dritte
Der Tatrichter darf zu einer Feststellung der Unerreichbarkeit des Zeugen nur dann kommen, wenn er zuvor die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um den Zeugen zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu veranlassen.107 Zunächst bedarf es einer ordnungsgemäßen Ladung des Zeugen zur Hauptverhandlung, erscheint diese nicht von vornherein als zwecklos.108 Kommt der Zeuge der Ladung nicht nach und besteht auch keine Aussicht, der Zeuge werde in absehbarer Zeit erscheinen, so kann auch dann, wenn – wie dies bei dem sich im Ausland aufhaltenden Zeugen zumeist der Fall ist109 – es nicht möglich ist, die zwangsweise Vorführung anzuordnen, die Unerreichbarkeit nicht ohne weiteres festgestellt werden.110 Der Bundesgerichtshof hat zutreffend festgehalten, dass „die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit bekannter Zeugen nur dann gerechtfertigt ist, wenn das Gericht unter Beachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung der Zeugen vergeblich entfaltet hat“.111
Dies gilt auch dann, wenn der Zeuge im Ausland wohnt.112 Dabei hat das Gericht die Erteilung sicheren Geleits gemäß § 295 StPO für den Zeugen jedenfalls in Betracht zu ziehen. d) Welche Rolle spielt die Möglichkeit der Erteilung sicheren Geleits bei der Feststellung der Unerreichbarkeit? Der Bundesgerichtshof hat mehrfach darauf verwiesen, dass eine Ladung regelmäßig unter Hinweis auf den Schutz durch sicheres Geleits nach Art. 12 EuRhÜbk zu erfolgen hat, soweit dieser besteht.113 Der Zeuge darf also 107
BGH StV 1981, 5. Der Bundesgerichtshof hat eine Ladung dann für entbehrlich gehalten, wenn das Gericht nach gewissenhafter Prüfung aller Umstände davon überzeugt ist, dass der Zeuge einer Vorladung zur Hauptverhandlung keine Folge leisten werde: „Die erfolglose Ladung ist zwar im allgemeinen eine hinreichende, aber keine nach dem Gesetz notwendige Bedingung für die Feststellung, der Zeuge sei unerreichbar“ (GA 1965, S. 209 [210]). Vgl. auch BGHSt 35, 216; BGH StV 1985, 267; 1992, 216 mit kritischer Anmerkung von Münchhalffen, StV 1992, 217. 109 Dazu bereits § 2 C. I. 2. b). 110 BGH StV 1981, 5. 111 BGH NJW 1953, 1522. Ebenso BGH NJW 1979, 1788; StV 1981, 5. 112 BGH NStZ 1984, 210. 113 BGH NJW 1979, 1788; NStZ 1982, 171; 1982, 212; StV 1982, 207 (208); BGHSt 32, 68 (73 f.). Der Bundesgerichtshof hat aber darauf hingewiesen, dass eine Verletzung der Aufklärungspflicht bei Ladung ohne Hinweis auf sicheres Geleit gemäß Art. 12 EuRhÜbk nicht vorliege, wenn das Schreiben des Zeugen an das Gericht, mit dem er das Erscheinen in der Hauptverhandlung ablehnte, keinerlei Anhaltspunkte enthalte, der Zeuge erscheine deshalb nicht, weil er in der Bundesrepu108
F. Die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits
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nicht wegen der ihm im Inland drohenden Strafverfolgung „von vornherein“ als für das erkennende Gericht unerreichbar angesehen werden, soweit sicheres Geleit nach Art. 12 EuRhÜbk besteht.114 Eine Notwendigkeit, auf die Möglichkeit der Erteilung sicheren Geleits nach § 295 StPO einzugehen, bestand dabei für den Bundesgerichtshof soweit erkennbar nicht.115 Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spiegelt aber das Bewusstsein wider, sicheres Geleit erhöhe die Wahrscheinlichkeit, der Zeuge werde Erscheinen, deutlich. Der maßgebliche Unterschied zwischen dem sicheren Geleit nach der Strafprozessordnung und nach dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen liegt darin, dass sicheres Geleit nach § 295 StPO ausdrücklich gewährt werden muss, wohingegen der Zeuge sicheres Geleit nach Art. 12 EuRhÜbk genießt, soweit nur dessen Voraussetzungen vorliegen. Das für die Erteilung sicheren Geleits nach § 295 StPO zuständige Gericht hat seine Entscheidung nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen,116 nimmt also eine Abwägung der entgegenstehenden Interessen vor. e) Die Abwägung Der Tatrichter, der nicht zur Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits berufen ist, muss unter Beachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht darüber befinden, welche Bemühungen des Gerichts, den Zeugen beizubringen, der Bedeutung und dem Wert des Beweismittels entsprechen.117 Maßgeblich ist dies für die Frage, ob sicheres Geleit überhaupt bei dem Gericht, das in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren zuständig ist, beantragt werden soll, wobei eine unmittelbare Anregung sicheren Geleits nicht nur durch das Gericht, sondern auch durch die Beteiligten in blik Deutschland Strafverfolgung fürchte, vgl. NStZ 1998, 26; ähnlich BGH NStZ 1985, 375. 114 BGH NStZ 1982, 171; 1982, 212. 115 Der Bundesgerichtshof hat es in seinem Urteil vom 22. März 1979 – 4 StR 691/78 (NJW 1979, 1788) – versäumt, auf die unzutreffende Feststellung des LG Dortmund zu erwidern, sicheres Geleit könne einem im Strafverfahren benötigten Zeugen nicht erteilt werden. Vielmehr sah der BGH die Revision wegen eines fehlenden Hinweises auf das in diesem Fall nach Art. 12 EuRhÜbk bestehende freie Geleit als begründet an. Verschiedene Entscheidungen bejahen zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Gewährung sicheren Geleits zum Zwecke des Erscheinens des Beschuldigten in einem Verfahren gegen Dritte, vgl. z. B. BGHSt 35, 216 (217). Ausführungen, wie und nach welchen Kriterien die Erteilung sicheren Geleits im konkreten Fall zu erfolgen hat, finden sich dabei jedoch nicht. 116 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 245. 117 BGHSt 29, 390; BGH NStZ 1982, 78; 212; 1983, 180 (181); 422; 1984, 210; 1985, 375; 1987, 218 (219).
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§ 2 Sicheres Geleit für ein Strafverfahren gegen Dritte
dem Verfahren, in dem das Erscheinen des Beschuldigten gewünscht wird, möglich ist.118 Für die Feststellung, dass der Zeuge in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann, ist weiter erforderlich, die Bedeutung der Sache und die Wichtigkeit der Zeugenaussage für die Wahrheitsfindung einerseits gegen das Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Verfahrens andererseits unter Berücksichtigung der Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung abzuwägen.119 Die Erteilung sicheren Geleits bietet die Möglichkeit, zügig eine persönliche Vernehmung des Beschuldigten als Zeuge herbeizuführen. Sicheres Geleit kann aber nicht der Tatrichter im Verfahren gegen den Dritten gewähren.120 Zwangsläufig muss eine Untersuchung zweier gesonderter Verfahren stattfinden. Das für die Entscheidung über die Gewährung sicheren Geleits zuständige Gericht hat eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten gegenüber dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Verfahren vorzunehmen.121 Wird bei ihm eine Erteilung sicheren Geleits angeregt, so hat es die Bedeutung der persönlichen Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung in seine Entscheidung einfließen zu lassen. Nur so kann es den Interessen der Verfahrensbeteiligten in dem gegen den Dritten gerichteten Verfahren gerecht werden, unabhängig davon, ob das Beweismittel ganz allgemein der Aufklärungspflicht des Gerichts dienen soll oder ein Beweisantrag unter Anregung des sicheren Geleits vorliegt.122 Dabei ist aber zu bedenken, dass, wenn der Tatrichter sicheres Geleit bei dem in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren zuständigen Gericht beantragt, dieser damit bereits zu erkennen gibt, er messe der Vernehmung des Beschuldigten als Zeuge für die Entscheidung in dem vor ihm anhängigen Verfahren eine nicht unerhebliche Bedeutung bei.123 Zwar darf ein Beweisantrag nur aus den in § 244 Absatz 3 StPO genannten Gründen zurückgewiesen werden.124 Das Verbot der vorweggenommenen Beweisantizipation ist aber bei dem im Ausland lebenden Zeugen gemäß § 244 Absatz 5 Satz 2 StPO durchbrochen.125 Soll die Vernehmung des Zeugen aufgrund 118
Dazu bereits § 2 E. II. Grundlegend BGHSt 22, 118 (120). 120 Dazu bereits § 2 E. I. 121 BGH NJW 1991, 2500 (2501) für die Gewährung sicheren Geleits für eine Parteivernehmung im Zivilprozess. Für die Erteilung sicheren Geleits in einem nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren kann nichts anderes gelten. 122 Ein Beweisantrag kann nicht nur durch den Beschuldigten, sondern auch durch andere Prozessbeteiligte gestellt werden, vgl. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 18, 30. 123 Vgl. BGHSt 1, 94 (96); 32, 115 (122). 124 BGHSt 29, 149 (151). 125 Dazu bereits § 2 F. I. 1. b). 119
F. Die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits
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eines entsprechenden Beweisantrages erfolgen, so ist also davon auszugehen, dass das Gericht vor Stellung eines Antrages auf Gewährung sicheren Geleits zu dem Ergebnis gelangt ist, die Vernehmung des Zeugen sei für die Erforschung der Wahrheit erforderlich. Geht also der Antrag auf Gewährung sicheren Geleits von dem Gericht, bei dem das Verfahren gegen den Dritten anhängig ist, aus, so sollte im Interesse der Ermittlung des wahren Sachverhalts dessen Ablehnung den Ausnahmefall bilden, wenngleich es einen für alle Fälle gültigen Maßstab nicht geben kann. Auch ein Prozessbeteiligter kann theoretisch einen Antrag auf sicheres Geleit unmittelbar stellen. Auf die bei der Abwägung durch das für die Gewährung sicheren Geleits zuständige Gericht zu beachtenden Gesichtspunkte hat dies keinen Einfluss. Eine Beurteilung hat anhand der dem Verfahren gegen den Dritten zugrunde liegenden Fakten zu erfolgen. Regelmäßig wird aber sicheres Geleit ohnehin durch das in dem Verfahren gegen den Dritten zur Entscheidung berufene Gericht beantragt werden, da die Beweisanträge diesem gegenüber zu stellen sind und dieses alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen ausschöpfen und gegebenenfalls beurteilen muss, ob dieser unerreichbar im Sinne des § 244 Absatz 3 StPO ist. Das für die Erteilung sicheren Geleits zuständige Gericht hat zwingend in seine Entscheidung einfließen zu lassen, dass der Zeuge, da er Auskunft über persönliche Wahrnehmungen geben soll,126 nicht austauschbar ist. f) Fehlerquellen bei mittelbarer Beweiserhebung In die Abwägung bei der Erteilung sicheren Geleits die Möglichkeit einer nur mittelbaren Beweiserhebung einfließen zu lassen, hätte eine Verkehrung von Ursache und Wirkung zur Folge. Das sachnähere Beweismittel in die Hauptverhandlung einzuführen ist Sinn und Zweck des sicheren Geleits. Erst wenn feststeht, dass dies nicht möglich ist, kann auf das weniger sachnahe Beweismittel zurückgegriffen werden,127 wenngleich die Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht verletzt.128 Zu berücksichtigen ist dabei auch die in §§ 250, 251 StPO 126
BGHSt 22, 347 (348 ff.); Eisenberg, S. 377. BVerfGE 57, 250 (286) für den Fall, dass eine Behörde sich weigert, ihr Wissen vom Aufenthaltsort einer Beweisperson mitzuteilen oder ihren Angehörigen die Aussage über Umstände zu genehmigen, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht. Vgl. dazu auch BGHSt 29, 109 (110 ff.); 390 (391); 30, 34; 35, 82 (84 ff.); 36, 159 (161 ff.). 128 BGHSt 17, 382 (384). Der geringere Beweiswert ist aber im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten. Vgl. BGH NJW 1984, 2039 (2040). 127
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aufgenommene Wertung. Dem Unmittelbarkeitsgrundsatz wird mit gutem Grunde eine hohe Bedeutung zugemessen. Die Rechtsprechung zur Unerreichbarkeit einer Beweisperson, deren Aufenthaltsort durch die Behörde nicht bekannt gegeben wird bzw. für die eine Aussagegenehmigung nach Art. 54 StPO verweigert wird,129 zeigt welch hohen Stellenwert diese der Einführung des sachnäheren Beweismittels in die Hauptverhandlung zumisst. Auch in einem solchen Fall darf das Gericht nicht ohne Weiteres die Unerreichbarkeit des Zeugen im Sinne von § 244 Absatz 3 StPO bejahen, sondern ist vielmehr verpflichtet, „zunächst alles Zumutbare und der Bedeutung der Sache Angemessene zu tun, um die der Heranziehung dieses Beweismittels entgegenstehenden Gründe auszuräumen und zu der Beweisquelle in der unter Wahrung entgegenstehender Belange bestmöglichen Form Zugang zu gewähren, damit die erforderliche Sachaufklärung und die damit verbundenen Rechte der Verfahrensbeteiligten nicht mehr als unvermeidlich beeinträchtigt werden“.130
Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich dazu Stellung genommen, welche Bedeutung der Ermittlung des wahren Sachverhalts zukommt: „Der hohe Rang der gerichtlichen Wahrheitsfindung für die Sicherung der Gerechtigkeit und das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschuldigten gebieten es vielmehr, diese Belange bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen und ihnen genügendes Gewicht zu verleihen. Denn das Staatswohl und die Wahrung öffentlicher Belange erfordern es auch, sowohl die Grundrechte Einzelner zu schützen und niemanden einer ungerechtfertigten Verurteilung auszuliefern als auch den Strafanspruch des Staates durchzusetzen.“131
Diese Aussage wird auch nicht dadurch geschmälert, dass das Bundesverfassungsgericht zuvor ausgeführt hat, durch die Ausgestaltung des Strafverfahrens mit seinen vielfältigen, sich gegenseitig verstärkenden und auf die Schaffung einer wahren Urteilsgrundlage gerichteten Vorkehrungen werde die Gefahr einer Verfälschung des Beweisergebnisses bei Rückgriff auf das qualitativ möglicherweise geringwertigere Beweismittel minimiert,132 da sichtlich an dem Prinzip festgehalten werden soll, zunächst zu versuchen, Zugriff auf das sachnähere Beweismittel zu erlangen. 2. Erscheinen des Sachverständigen Der Sachverständige ist ebenso wie der Zeuge persönliches Beweismittel, so dass im Wesentlichen das bereits Ausgeführte gilt. Theoretisch ist der 129 130 131 132
Siehe dazu Fußn. 127. BVerfGE 57, 250 (285). BVerfGE 57, 250 (286). BVerfGE 57, 250 (280).
G. Die Videovernehmung des Zeugen als Alternative?
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Sachverständige aber – anders als der Zeuge – austauschbar, ein Unterschied, dem die §§ 73 ff StPO Rechnung tragen, die wesentliche Abweichungen von den – im Übrigen anwendbaren – Zeugenvorschriften enthalten.133 In der Praxis sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen es gerade auf den benannten Sachverständigen und seine Sachkunde als Beweismittel ankommt. II. Beeinträchtigung des Strafverfolgungsinteresses? Eine Beeinträchtigung des Strafverfolgungsinteresses durch das Erscheinen des Beschuldigten in dem gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren steht ebenfalls nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu befürchten. Bei Schaffung des Art. 12 EuRhÜbk wurde dies berücksichtigt. Im Rahmen des Art.12 EuRhÜbk findet insbesondere auch die Schwere der gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfe keine Berücksichtigung. Den für das Erscheinen in dem Strafverfahren gegen den Dritten maßgeblichen Bedürfnissen trägt Art. 12 EuRhÜbk somit umfassend Rechnung.134 Staatsanwaltschaft und Gericht sollten vielmehr das Erscheinen des Beschuldigten nutzen, ihn in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren persönlich anzuhören und sich ein persönliches Bild von ihm zu machen.
G. Die Videovernehmung des Zeugen als Alternative? Die Regelungen über die Videovernehmung schützen den Zeugen vor ihm nicht zumutbaren Belastungen.135 Sie soll also nicht den Mündlichkeitsgrundsatz aufweichen.136 Der Gesetzgeber wollte vielmehr der Gefahr begegnen, dass „immer mehr Bürger sich zurückziehen und die Zeugenrolle wo immer möglich zu vermeiden suchen“.137 133
Eisenberg, S. 592. Vgl. Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG Rn. 29. 135 BT-Drucks. 13/7165, S. 4. 136 Dazu bereits sub § 1 I. V. 137 BT-Drucks. 13/7165, S. 4. Erheblichen Bedenken muss aber der gesetzgeberische Hinweis begegnen, dass eine Videovernehmung zum Schutz des Zeugen erforderlich und im Interesse der Wahrheitserforschung unerlässlich sein kann, wenn Gegenstand der Vernehmung ein komplexes Tatgeschehen ist oder sich die Vernehmung besonders schwierig gestaltet: „Denn kommt es zu einer neuerlichen Hauptverhandlung (sei es in der Berufungsinstanz oder nach Aufhebung und damit Zurückverweisung), so kann dem Zeugen damit ggf. eine weitere Vernehmung erspart werden.“ (BT-Drucks. 13/7165, S. 5). Eine solche Handhabung kann tatsächlich nur in Ausnahmefällen erfolgen, soll der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht in erheblichem Maße 134
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§ 2 Sicheres Geleit für ein Strafverfahren gegen Dritte
Während die Videosimultanübertragung es zumindest ermöglicht, Fragen an den Zeugen zu stellen, so dass eine Kollision mit Art. 6 Absatz 3 d) EMRK nicht eintritt, ist dies im Falle der Vorführung einer Videoaufzeichnung einer früheren Vernehmung, die § 255 a StPO nunmehr zulässt, nicht möglich. Das in Art. 6 Absatz 3 d) EMRK garantierte Recht des Beschuldigten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, ist aber dann als gewahrt angesehen, wenn der Beschuldigte Gelegenheit erhalten hat, dem Zeugen Fragen vorlegen zu lassen.138 Auch im Falle der Videosimultanübertragung ist eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen aber nur eingeschränkt möglich.139 Der Gesetzgeber will beide Formen der Videovernehmung nur in Ausnahmefällen zulassen. In Fällen, in denen die Ablehnung eines Beweisantrages nach § 244 Absatz 5 StPO, weil der Zeuge sich im Ausland befindet, oder nach § 244 Absatz 3 StPO wegen Unerreichbarkeit des Zeugen zulässig wäre, ist im Interesse der Aufklärungspflicht die Möglichkeit einer Vernehmung im Wege einer Videosimultanübertragung jedenfalls zu prüfen.140 Die Frage, ob sicheres Geleit zu erteilen ist, wird hiervon nicht berührt. Bei bestehender Möglichkeit einer Vernehmung des persönlich anwesenden Zeugen hat diese immer Vorrang. § 255 a StPO enthält lediglich eine weitgehende Gleichstellung der Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung mit der Verlesung einer Niederschrift.141 Der dem Unmittelbarkeitsgrundsatz eher gerecht werdende § 247 a StPO findet zwar auch auf solche Zeugen Anwendung, die sich im Ausland aufhalten.142 Sie setzt aber voraus, dass ihre Durchführung im Wege der Rechtshilfe möglich ist und die Art der Durchführung § 247 a StPO weitgehend entspricht,143 und erschwert die Feststellung der Unerreichbarkeit des Zeugen nach § 244 Absatz 3 StPO. beschränkt werden. Auch hier droht das Ziel der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens (Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 1) zu Lasten der Wahrheitserforschung zu gehen. Kritisch hierzu auch Fischer, JZ 1998, 816. Einschränkend Hussel, ZRP 1995, 242 (243 f.). 138 BGH NJW 1985, 376 (377). Vgl. dazu auch BVerfGE 57, 250 (275 ff.). 139 Dazu bereits sub § 1 I. V. 140 So auch Schlothauer, StV 1999, 47 (50). 141 § 58 a Absatz 2 Satz 1 StPO über die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung schützt das Persönlichkeitsrecht des Zeugen. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob die Vorführung der Aufzeichnung ergiebiger sein wird als die Verlesung der Vernehmungsniederschrift und bei – regelmäßig – erhöhtem Beweiswert, ob die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung tatsächlich erforderlich ist. Vgl. Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 5. Vgl. auch Seitz, JR 1998, 309 (312 f.); KK-StPO/Diemer, § 255 a Rn. 4: Keine Subsidiarität der Bild-Ton-Aufzeichnung gegenüber der Vernehmungsniederschrift. 142 BGH StV 1999, 580. 143 BGH StV 1999, 580 (581).
G. Die Videovernehmung des Zeugen als Alternative?
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Ein Antrag auf Vernehmung eines Zeugen ist zunächst auf dessen persönliches Erscheinen in der mündlichen Verhandlung gerichtet, erfasst als Weniger aber auch die Vernehmung im Wege einer Videokonferenz.144 Das Gericht hat sich aber um den bestmöglichen Beweis zu bemühen. Dies folgt bereits aus § 244 Absatz 2 StPO, der bestimmt, dass das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.145 Dem widerspräche es, der unmittelbaren Vernehmung des Beschuldigten als Zeuge, der bereit ist auf sicheres Geleit hin zu erscheinen, die insbesondere im Hinblick auf eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung unzuverlässigere Vernehmung per Videokonferenz vorzuziehen. Das Erfordernis der Mündlichkeit beschränkt sich nicht auf die Möglichkeit der Wahrnehmung des gesprochenen Wortes, sondern erfordert eine unmittelbare Wahrnehmung der Beweisperson. Beweiserhebungen außerhalb der Hauptverhandlung und Surrogate für die unmittelbare Beweiserhebung müssen auf ein unerlässliches Mindestmaß beschränkt werden.146
144 Ebenso wie einen Antrag auf kommissarische Vernehmung, BGH StV 1999, 580 unter Verweisung auf BGHSt 22, 118 (122); BGH NJW 1991, 186; NStZ 1983, 277. So genannter „erweiterter Erreichbarkeitsbegriff“, Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 255 Rn. 259. 145 BVerfGE 57, 250 (277). Vgl. auch KK-StPO/Diemer, § 247 a Rn. 6. 146 Fischer, JZ 1998, 816 (821).
§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess A. Allgemeines Für den Zivilprozess gelten weitgehend die soeben für das Strafverfahren gegen Dritte festgestellten Grundsätze. Einer gesonderten Untersuchung bedarf es somit nur für die Bereiche, in denen die unterschiedliche Ausgestaltung der Verfahren Wirkung zeigt. Anders als im Strafverfahren, das vom Offizialprinzip1 und vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird, gelten im Zivilprozess Antragsgrundsatz und Verhandlungsmaxime.2 Es obliegt also dem Einzelnen, wie er seine Rechte geltend macht. Der Kläger entscheidet selbst über die Einleitung eines Verfahrens. Beweis über die anspruchsbegründenden Tatsachen ist erst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu führen. Auch die zum Gegenbeweis angebotenen Zeugen werden erst im Rahmen einer Beweisaufnahme vernommen. Daher spielt das sichere Geleit bei der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche nur im Rahmen eines bereits vor Gericht anhängigen Verfahrens eine Rolle. Ausnahmsweise kann eine Einvernahme von Zeugen auch im Wege eines selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 ff. ZPO erfolgen. Zuständig für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens ist das Prozessgericht – wenn der Rechtsstreit bereits anhängig ist – bzw. das Gericht, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre (§ 486 Absatz 2, 3 ZPO).3 Regelmäßig erfolgt die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht (§ 355 Absatz 1 Satz 1 ZPO). Nur in den ausdrücklich in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Ausnahmefällen kann die Beweisaufnahme einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht übertragen werden (§ 355 Absatz 1 Satz 2 ZPO). Diese Ausnahmefälle spielen für die Erteilung sicheren Geleits gegenüber dem abwesenden Beschuldigten keine Rolle. Sie gelten nicht für denjenigen Prozessbeteiligten, der sich im Ausland aufhält.4 1
Vgl. dazu Meyer-Goßner, § 152 Rn. 1. Vgl. dazu MüKo-ZPO/Lüke, Einl. Rn. 167 ff. 3 Das selbstständige Beweisverfahren ist nach § 485 Absatz 1 ZPO nur dann zulässig, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. 4 Ein Beschuldigter, dessen Aufenthalt den Strafverfolgungsbehörden unbekannt ist, wird seinen Aufenthalt – wenigstens dann, wenn er sich im Bereich der richter2
C. Internationale Rechtshilfe in Zivilsachen
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Für die Vernehmung im Ausland gelten Sondervorschriften, auf die im Folgenden noch einzugehen sein wird.
B. Zweck des sicheren Geleits im Zivilprozess Bereits bei der Zwecksetzung der Erteilung sicheren Geleits für den Zivilprozess sind die Parallelen zum nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren deutlich sichtbar. Der Beschuldigte soll in der mündlichen Verhandlung erscheinen, um die ihm dort zukommende Funktion zu erfüllen. Das sichere Geleit soll ihm die Möglichkeit eröffnen, persönlich an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ohne den Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme befürchten zu müssen. Zivilprozessuale Bedeutung findet das sichere Geleit im Rahmen des internationalen Beweis- und Beweisverfahrensrechts. Der Beschuldigte kann im Zivilprozess zwar Partei, Zeuge, Sachverständiger, Nebenkläger, Streitgenosse, Prozessbevollmächtigter oder Beistand sein. Im Rahmen einer Interessenabwägung wird eine Erteilung sicheren Geleits aber immer nur dann erfolgen, wenn der Beschuldigte etwas zur Aufklärung des Sachverhaltes – wie von den Parteien vorgetragen – beizutragen vermag.
C. Internationale Rechtshilfe in Zivilsachen Der internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen unterfällt nach der Definition des § 2 Absatz 1 ZRHO „jede gerichtliche oder behördliche Hilfe in einer bürgerlichen Rechtsangelegenheit, die entweder zur Förderung eines inländischen Verfahrens im Ausland oder zur Förderung eines ausländischen Verfahrens im Inland geleistet wird“.
Die Rechtshilfeordnung für Zivilsachen enthält als Verwaltungsanordnung5 nur allgemeine Richtlinien für die Durchführung des Rechtshilfeverkehrs. Der Rechtshilfeverkehr selbst erfolgt entweder auf vertragsloser Grundlage oder aufgrund völkerrechtlicher Verträge. Der internationale Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen wird als Ausfluss der Pflege der auswärtigen Beziehungen nach wie vor weitgehend der Justizverwaltung und damit der Exekutive zugeordnet.6 Diese Zuordnung wird aber immer mehr durch eine Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs in völkerlichen Gewalt befindet – nicht offenbaren. Sein Erscheinen im Termin zur mündlichen Verhandlung kann aber möglicherweise – z. B. über einen Zustellungsbevollmächtigen – im Wege der Erteilung sicheren Geleits herbeigeführt werden. 5 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., Einl. Rn. 855. 6 Hartmut Linke, Rn. 458; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 257.
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
rechtlichen Abkommen durchbrochen. Tatsächlich ist abhängig von den völkerrechtlichen Grundlagen der Weg, den ein Rechtshilfeersuchen nimmt, vielfältig.7 Insbesondere das Europäische Zivilprozessrecht lässt sich infolge der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme,8 die seit 1. Januar 2004 gilt, nicht mehr ohne weiteres der Justizverwaltung zurechnen. Diese ermöglicht den Rechtshilfeverkehr unmittelbar zwischen den Gerichten, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats um Beweisaufnahme oder darum ersucht, in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar Beweis erheben zu dürfen. §§ 1072, 1073 ZPO regeln nunmehr eine Beweisaufnahme eines deutschen Gerichts in einem anderen EU-Staat, §§ 1074, 1075 ZPO eine Beweisaufnahme eines ausländischen EU-Gerichts in Deutschland.9 § 1072 ZPO eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, Rechtshilfeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 zu stellen. Eine „zentrale Behörde“ für Rechtshilfeersuchen wie noch das Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. März 1970 sieht die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 nicht mehr vor.10 Auch wenn ein völkerrechtlicher Vertrag einen unmittelbaren Verkehr mit Gerichten – im Rahmen der jeweils geltenden Rechtsvorschriften – zulässt, kann es, wenn im Einzelfall die Pflege auswärtiger Beziehungen ernstlich tangiert ist, zu einer Überlagerung der richterlichen Entschließungsfreiheit durch die Kompetenzen der zuständigen Exekutivorgane kommen.11 Die Beschlussfassung über die Einholung eines Rechtshilfeersuchens selbst stellt aber immer eine richterliche, von der Unabhängigkeitsgarantie des Grundgesetzes geschützte Handlung dar.12
D. Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht Auch im internationalen Zivilprozessrecht gilt die lex fori – also das Prozessrecht des Gerichtsstaates.13 Die deutschen Gerichte verfahren nach der deutschen Zivilprozessordnung.14 Somit entscheidet die lex fori auch 7
Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., Einl. Rn. 857. ABl. L 174 vom 27. Juni 2001. 9 Zöller/Geimer, § 1072 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 1072 Rn. 1. 10 Alio, NJW 2004, 2706 (2707). 11 Hartmut Linke, Rn. 458 f.; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 259. Grundlegend BGHZ 71, 9; BVerfG DRiZ 1979, 219. Zur Beeinflussung auswärtiger Beziehungen durch Gerichtsverfahren und gerichtliche Entscheidungen, vgl. Reinhold Geimer, ZfRV 1992, 410 ff. 12 Reinhold Geimer, Rn. 257, 2396. 13 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl Rn. 736. 8
D. Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
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über Art und Umfang der Justizgewährung.15 Ziel des Gesetzgebers der Zivilprozessordnung war die grundsätzliche Gleichstellung von In- und Ausländern.16 Damit ist der Zugang von Ausländern zu deutschen Gerichten gesichert. Für das internationale Beweis- und Beweisverfahrensrecht erscheint zunächst eine strikte Anwendung der lex fori auf die Frage, wie Beweis zu erheben ist, ebenfalls folgerichtig; denn zuständig für die Beweiserhebung ist das nationale Gericht, so dass es sachgerecht ist, insbesondere die Frage der Zulässigkeit eines Beweises und die technische Durchführung der Beweisaufnahme nach der für dieses Gericht geltenden Prozessordnung zu beurteilen. Dabei sind weniger der hoheitliche Charakter des Gerichtsverfahrens, das Territorialitätsprinzip oder gar der ordre public ausschlaggebend. Vielmehr stehen Praktikabilitätserwägungen im Vordergrund. Müssten deutsche Gerichte bei Auslandsberührungen fremdes Verfahrensrecht anwenden, wäre ihre Effizienz in solchen Fällen nicht mehr gewährleistet und stünden Rechtsfehler bei der Anwendung von Verfahrensregeln zu befürchten.17 Ein Festhalten an dem Grundsatz, dass deutsche Gerichte nur deutsches Verfahrensrecht anwenden, lässt sich damit nicht überzeugend begründen.18 Im Schrifttum haben sich folgerichtig die Stimmen durchgesetzt, die mit Blick auf die enge Verknüpfung von Beweisregelungen mit dem materiellen Recht eine Anwendung der lex causae auch im Beweisrecht fordern.19 Zahlreiche zivilprozessuale Regelungen dienen unmittelbar der Durchsetzung des materiellen Rechts.20 Insbesondere Coester-Waltjen fordert eine Anwendung der lex causae dann, wenn Regelungen in Frage stehen, die auf eine Verkürzung der Wahrheitsermittlung zielen, so z. B. Beweisvermutungen, Beweismaß, Beweislastregelungen und Vorschriften über den Ausschluss des Zeugenbeweises, zumindest soweit die Entscheidungseffizienz der Gerichte nicht beeinträchtigt ist.21 Solche Regelungen ermöglichen eine gerichtliche 14
Zöller/Reinhold Geimer, IZPR Rn. 1. Zöller/Reinhold Geimer, IZPR Rn. 5. 16 Ders., IZPR, Rn. 1906. 17 Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 2; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 322 f. 18 So auch Schack (Rn. 43 f.), der allerdings die lex fori als allgemeinen Anknüpfungspunkt nicht gelten lassen will, sondern auch im Rahmen des Internationalen Zivilverfahrensrechts eine Qualifizierung nach dem „Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses“ für richtig erachtet; wobei man im Ergebnis aber häufig zu einer Anwendung der lex fori gelange. Die Qualifizierung erfolgt bei Schack im konkreten Fall regelmäßig nach Sinn und Zweck der prozessualen Regelung bzw. Praktikabilitätserwägungen. 19 Hartmut Linke, Rn. 286. 20 Schack, Rn. 41. 21 Coester-Waltjen, S. 264 ff., 461. Kritisch Schack, Rn. 657. 15
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
Feststellung der Rechtsfolge des materiellen Rechts, ohne dafür einen absolut sicheren Nachweis des diese Rechtsfolge auslösenden Tatbestandes zu fordern.22 Einer Berücksichtigung materiell-rechtlicher Auswirkungen auf das Beweisrecht stehen weder die vorstehend genannten Praktikabilitätserwägungen noch das frühzeitige Bekenntnis des Reichtsgerichts23 zu einer Anwendung nur des heimischen Prozessrechts durch den deutschen Richter entgegen.24 Schumann hat dies deutlich gemacht, indem er darauf hingewiesen hat, dass die Verfahrensgestaltung nach der lex fori wie alle anderen Sätze des Zivilprozessrechts den allgemeinen Auslegungsprinzipien unterliegt, so auch dem Grundsatz einer materiellrechtsfreundlichen Interpretation.25 Die neueren vertragsrechtlichen Regelungen versuchen der Verflechtung des Beweisrechts mit materiell-rechtlichen Elementen gerecht zu werden und propagieren eine Anwendung sowohl der lex fori als auch der lex causae.26 Damit hat sich im Ergebnis ein liberales Beweisrecht durchgesetzt. Das enge Nebeneinander von verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Normen im Beweisrecht erfordert zunächst eine Qualifikation der jeweiligen Norm.27 Ist diese dem Verfahrensrecht zuzuordnen, kann angesichts einer materiellrechtlichen Verflochtenheit dennoch eine Berücksichtigung der lex causae und damit des ausländischen Rechts geboten sein.28 Eine an22
Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2263. RGZ 46, 193 (199 f.). 24 Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 2. 25 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl. Rn. 737. 26 Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 11. So z. B. Art. 14 EVÜ, nach dem zum Beweis eines Rechtsgeschäfts alle Beweisarten (1) der lex fori oder (2) des Vertragsstatuts oder des fori contractus vorgebracht werden können. Dies gilt allerdings nur dann, wenn letztere vor dem angerufenen Gericht überhaupt Anwendung finden können. Art. 32 Absatz 3 Satz 1 EGBGB erklärt das Vertragsstatut insoweit für anwendbar, als es für vertragliche Schuldverhältnisse gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt. Nach Art. 32 Absatz 3 Satz 2 EGBGB sind zum Beweis eines Rechtsgeschäfts alle Beweismittel des deutschen Verfahrensrechts und, sofern dieses nicht entgegen steht, der als Formstatut berufenen Rechtsordnung zulässig. Für Beweisvorschriften verfahrensrechtlicher Art gilt aber nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin die lex fori (BT-Drucks. 10/503, S. 68). Eine Art. 14 Absatz 2 EVÜ und Art. 32 Absatz 3 Satz 2 EGBGB vergleichbare Vorschrift enthält auch Art. 11 Satz 2 CSIG. 27 Hartmut Linke, Rn. 286. 28 Hartmut Linke, Rn. 286. Grundlegend Coester-Waltjen (S. 461 ff.), derzufolge die lex causae nur für die Regelungen zuständig ist, die nach den ermittelten Kriterien materiellrechtlich verflochten sind, und im Übrigen die lex fori heranzuziehen sei. Zur Erhaltung der Entscheidungseffizienz sei die lex causae gegebenenfalls durch die lex fori zu ersetzen. Ebd. S. 461. Ausführlich Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2261 ff. 23
E. Das Fehlen einer Regelung im deutschen Zivilprozessrecht
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dere Vorgehensweise würde zu einer nicht gerechtfertigten radikalen Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte führen – nämlich von Rechtsstreiten mit Auslandsbeziehungen und reinen Inlandsfällen – und damit im konkreten Fall möglicherweise zu einer Verfälschung des materiellrechtlichen Ergebnisses.29 Nicht jede materiellrechtliche Verknüpfung ist jedoch stark genug, um die ursprüngliche Zuordnung einer Beweisregel zur lex fori aufzulösen.30 Soweit das Beweisrecht für die Frage der Erteilung sicheren Geleits maßgeblich ist, bestimmt es sich nach der lex fori. Die lex fori entscheidet über das Recht einer Partei auf Erhebung eines relevanten Beweises, das Bestehen von Beweisverboten und ob dem Gericht ein Beweiserhebungsermessen zusteht.31 Beweisbeschränkungen sind aber dann zu beachten, wenn sie materielle Gründe haben, also in der lex causae enthalten sind.32 Für prozessuale Beweismittelbeschränkungen wie die Qualifikation eines Zeugen vom Hörensagen gilt dies hingegen nicht. Bereits im Vorfeld der Frage der Erteilung sicheren Geleits ist zu klären, ob eine Tatsache beweisbedürftig ist, das heißt welche Tatbestandsvoraussetzungen zu beweisen sind und welche vermutet werden. Dies richtet sich nach der lex causae. Gleiches gilt für die allgemeinen Regeln über die Beweislast oder gesetzliche Vermutungen, die ebenfalls überwiegend dem materiellen Recht entstammen.33 Die Substantiierungspflicht der Partei unterfällt hingegen der lex fori.34
E. Das Fehlen einer Regelung im deutschen Zivilprozessrecht Die Frage des sicheren Geleits stellt sich im deutschen Zivilprozess, wenn sich eine Partei35 im Ausland aufhält36 und gegen sie ein Haftbefehl besteht oder droht,37 so dass sie damit rechnen muss, spätestens bei Erscheinen in 29
Schack, Rn. 41. Hartmut Linke, Rn. 291. 31 Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 29. 32 Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 33. 33 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2340; Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 58. Vgl. auch Art. 32 Absatz 3 Satz 1 EGBGB. Auch das Reichsgericht hatte bereits erklärt, dass die Grundsätze der Beweislast identisch sind mit den Normen des für das streitige Rechtsverhältnis maßgebenen Normen des materiellen Rechts, RGZ 6, 412 (413). 34 Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 58. 35 Kläger, Beklagter, Nebenintervenient, Beigeladener (§ 640 e, § 865 Absatz 3 ZPO). 36 Wie fast immer im Zivilprozess kommt es auf die Staatsangehörigkeit nicht an. 37 Die Gewährung sicheren Geleits ist nicht davon abhängig, ob die freiheitsentziehende Maßnahme bei Bewilligung des Geleits bereits angeordnet war oder ob sie 30
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
der mündlichen Verhandlung verhaftet zu werden. Dieselbe Frage ist ferner immer dann aufzuwerfen, wenn in der mündlichen Verhandlung andere Personen erscheinen sollen, gegen die ein Haftbefehl besteht, insbesondere Zeugen, aber auch Prozessbevollmächtigte, Beistände, gesetzliche Vertreter, Sachverständige. In der deutschen Zivilprozessordnung sucht man vergeblich nach einer Vorschrift für die Erteilung sicheren Geleits. Hieraus folgt jedoch nicht, dass dem deutschen Zivilprozessrecht die Gewährung sicheren Geleits zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unbekannt wäre. Der Grund, warum die Zivilprozessordnung keine eigene Regelung für die Erteilung sicheren Geleits enthält, ist ein anderer. Die Frage, ob sicheres Geleit zu gewähren oder abzulehnen ist, bleibt – auch wenn die betreffende Person etwa als Zeuge vor einer Zivilkammer erscheinen soll – eine strafrechtliche. Trotz des zivilprozessualen Ausgangspunkts ist auch in einem solchen Fall zu entscheiden, ob der Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen nach der Strafprozessordnung für die Dauer des sicheren Geleits unterbleibt oder ob an dem Vollzug dieser Maßnahmen festgehalten wird, auf die „Gefahr“ hin, dass die betreffende Person zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint. Diese Entscheidung kann nur das für diese strafrechtliche Maßnahme zuständige Organ treffen. Eine ausdrückliche Regelung über das sichere Geleit enthält das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 zur Erleichterung des internationalen Zugangs zur Rechtspflege in Art. 20.38 Dieses wurde jedoch auf Empfehlung des Bundesrates nicht ratifiziert. Der Rechtsausschuss hat hierzu wie folgt Stellung genommen: „Nach Auffassung des Bundesrates reicht der mit der Empfehlung verfolgte Zweck, den Fremdenverkehr in der Gemeinschaft zu erleichtern, nicht aus, um in Bezug auf die Ratifikation des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 ein Vertragsziel der Gemeinschaft und eine auf Artikel 235 EWGV gestützte Kompetenz der Gemeinschaft für die vorgeschlagene Empfehlung bejahen zu können.“39
und weiter: „In der Bundesrepublik Deutschland ist der freie Zugang zu den Gerichten für alle Personen schon uneingeschränkt gewährleistet, und zwar auch insoweit, als nicht ausdrücklich zwischenstaatliche Vereinbarungen bestehen.“40 erst danach verhängt wird, oder ob ein Haftbefehl bereits erlassen ist; es hindert nur die Vollstreckung eines bestehenden oder künftigen Haftbefehls, hindert jedoch nicht den Erlass eines Haftbefehls, so Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 5. Ebenso Gössel, JR 1979, 174. 38 Abgedruckt bei Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2390. 39 BR-Drucks. 182/87, S. 1.
F. Anwendung der strafprozessualen Regelung auf den Zivilprozess
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Eine Stellungnahme zur Frage der Gewährung sicheren Geleits lässt der Rechtsausschuss vermissen. Art. 12 EuRhÜbk findet im Zivilverfahren keine Anwendung. Das Europäische Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen gilt nach seinem Art. 1 ausschließlich in Verfahren, die strafbare Handlungen betreffen.
F. Die Anwendung der strafprozessualen Regelung auf den Zivilprozess I. Die umfassende Anwendung des § 295 StPO Strafprozessuale Praxis und Wissenschaft sehen den Hauptanwendungsfall des sicheren Geleits zwar nach wie vor in der Gewährung sicheren Geleits für das Erscheinen des Beschuldigten in dem gegen diesen gerichteten Strafverfahren. Weitgehend unumstritten ist aber trotz der systematischen Eingliederung des § 295 StPO in die Vorschriften über das Verfahren gegen Abwesende, die der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung bewusst vorgenommen hat,41 dass sicheres Geleit dem Beschuldigten auch in anderen Konstellationen gewährt werden kann, wenn seine Anwesenheit sinnvoll erscheint und dem Fortgang dieses fremden Verfahrens dienlich ist. Dies gilt für den Zivilprozess, aber auch für andere Verfahren wie den Verwaltungsprozess und den arbeitsgerichtlichen Prozess.42 § 295 StPO wird dabei als allgemeine Kodifikation des sicheren Geleits gegenüber einem Beschuldigten angesehen, und zwar für alle staatlichen Verfahren.43 Die Erteilung sicheren Geleits im Zivilprozess ist sowohl für die Partei44 als auch für einen Zeugen oder sonstigen Beteiligten45 weitgehend aner40
BR-Drucks. 182/87, S. 2. Der Wortlaut des § 295 StPO enthält eine solche Beschränkung nicht. 42 Da die Regelungen der Zivilprozessordnung im Verwaltungsprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren weitgehend Anwendung finden und angesichts der zwischen diesen Verfahren bestehenden Parallelen, erübrigen sich gesonderte Ausführungen zur Erteilung sicheren Geleits im Verwaltungsprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren. 43 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 24. Rechtsprechung (Ermittlungsrichter beim BGH, Beschluss v. 6. Mai 1983 – 2 BGs 181/83; zustimmend BGH, NJW 1991, 2500 [2501]) und Schrifttum (allgemein dazu Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1, 24; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 2 f.) bejahen konsequenterweise eine Bewilligung sicheren Geleits für eine Beweisaufnahme vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dazu später sub § 1. 44 BGH NJW 1991, 2500 [2501]; vgl. auch Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 14. Mai 2002, Az. 42 Gs 1121/02. 45 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 24; Nagel/Gottwald, IZPR, § 4 Rn. 11. 41
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
kannt. Unterschiede ergeben sich aber aus der im Vergleich zum Strafprozess andersartigen Ausgestaltung des Verfahrens nach der Zivilprozessordnung. Deutlich wird dies, betrachtet man die Regelung des § 141 Absatz 1 Satz 1 ZPO. Danach soll das Gericht das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Das Erscheinen der Partei vor Gericht ist demnach nur bei entsprechender Anordnung erforderlich; soweit die Partei ordnungsgemäß vertreten ist, zeitigt auch nur in diesem Falle ihr Ausbleiben nachteilige Folgen für sie.46 Im Zivilprozess gilt die Verhandlungsmaxime, auch Beibringungsgrundsatz genannt.47 Die Partei hat den Prozess zu führen und Beweis anzubieten. Diesbezügliche Versäumnisse gehen zu ihren Lasten. Anders als im Strafprozess, wo der Ermittlungsgrundsatz herrscht, wird der „wahre“ Sachverhalt nicht von Amts wegen aufgeklärt.48 Im Zivilprozess dient das sichere Geleit also dazu, im im Einzelfall zu prüfenden Interesse einer Partei deren Anhörung oder Vernehmung, die Vernehmung eines Zeugen oder einer anderen Beweisperson zu ermöglichen.49 Dem gegenüber tritt das staatliche Verfolgungsinteresse in dem anhängigen Strafverfahren, das nicht außer Acht gelassen werden darf. Auch hier kann die Gewährung sicheren Geleits aber dem staatlichen Interesse dienen und sei es nur, um den Fortgang des Verfahrens zu fördern.50 II. Die Zuständigkeit für die Erteilung sicheren Geleits im Zivilprozess Vorstehend wurde bereits darauf hingewiesen, dass nur das für die Verhängung freiheitsentziehender Maßnahmen nach der Strafprozessordnung zuständige Organ die Entscheidung treffen kann, ob der Vollzug dieser strafrechtlichen Maßnahmen für den Zeitraum, für den der Zivilprozess die Anwesenheit des Beschuldigten erfordert, unterbleibt oder ob an dem Vollzug dieser Maßnahmen festgehalten werden soll, auf die „Gefahr“ hin, dass die betreffende Person nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint. Das Zivilgericht, vor dem der Beschuldigte erscheinen soll, kann diese Entscheidung niemals treffen. 46
Thomas/Putzo/Reichold, § 142, Rn. 5. Thomas/Putzo/Reichold, Einl. I Rn. 1 ff. 48 Meyer-Goßner, Einl. 9 f.; § 244 Rn. 11; Es besteht jedoch ein Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz, vgl. dazu Zöller/Vollkommer, Einl. 50 und sogleich sub § 3 G. IV. 49 BGH NJW 1991, 2500 [2501]; Beschluss des Amtagerichts Mannheim vom 14. Mai 2002, Az. 42 Gs 1121/02. 50 Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 1. 47
F. Anwendung der strafprozessualen Regelung auf den Zivilprozess
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Hält das Zivilgericht das Erscheinen eines Beschuldigten, dem freiheitsentziehende Maßnahmen drohen, für erforderlich, so hat es sich, da es selbst keine Kompetenz besitzt,51 das sichere Geleit zu bewilligen, an denjenigen Strafrichter zu wenden, der nach dem Stand des gegen den Beschuldigten anhängigen Strafverfahrens zuständig ist, also in der Regel an den Ermittlungsrichter oder – nach der Eröffnung des Hauptverfahrens – an das erkennende Strafgericht. III. Der zivilprozessuale Personenkreis Signifikante Unterschiede zwischen dem nicht gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren und dem Zivilprozess zeigen sich bei der Feststellung des Personenkreises, dem sicheres Geleit gewährt werden kann, nicht. Für den Zivilprozess kann sicheres Geleit den verschiedenen Prozessbeteiligten gewährt werden.52 Gerade die Bedeutung, die der Erteilung sicheren Geleits für das Verfahren zukommen kann, zwingt aber zu einer genaueren Betrachtung. Dabei dürfte die Erteilung sicheren Geleits für einen Zeugen auch hier der häufigste Fall sein. 1. Der Zeuge Der Zeuge im Zivilprozess unterscheidet sich in seiner Funktion nicht vom Zeugen im Strafverfahren. In beiden Fällen soll der Zeuge durch seine Aussage über Tatsachen und tatsächliche Vorgänge Beweis erbringen. Auch der Zivilprozess kennt die sogenannte Zeugnispflicht als öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Mitwirkung am Prozess anderer, die eine nach § 380 ZPO erzwingbare Pflicht zum Erscheinen – unabhängig von der Staatsangehörigkeit jedoch nur, soweit sich der Zeuge im Inland aufhält53 – ebenso wie die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage (§ 390 ZPO) und zur Eidesleistung umfasst.54 Die Zeugenfähigkeit, das Bestehen von Zeugnisverwei51 BGHSt 35, 216 [217]; BGH Ermittlungsrichter, Beschluss vom 5. August 1991, 2 BGs 243/91 (juris-Recherche vom 19.4.2002). Beide Entscheidungen machen deutlich, dass zuständig für die Erteilung des sicheren Geleits das Gericht bleibt, das das Verfahren gegen den Beschuldigten führt. 52 BGH NJW 1991, 2500 (2501); Zöller/Reinhold Geimer, § 363 Rn. 5 c; ders., IZPR, S. 621; Nagel/Gottwald, § 4 Rn. 11; Missverständlich Meyer-Goßner, § 295 Rn. 1: Sicheres Geleit ist nach allgemeiner Ansicht immer nur in dem anderen Verfahren zu gewähren. Zur Teilnahme an einem Zivilrechtsstreit schließt Meyer-Goßner sicheres Geleit – anders als die Rechtsprechung und die herrschende Meinung – aber grundsätzlich aus. 53 Nagel/Gottwald, § 9 Rn. 72. Eine Vollstreckungsgewalt setzt Hoheitsbefugnisse voraus, die gegenüber dem Ausländer im Ausland mangels Sonderverhältnis zum Gerichtsstaat fehlen (FS-Habscheid/Gottwald, S. 119 [128]).
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
gerungsrechten und sonstiger Privilegien stellen keine materiellen Rechte dar und richten sich nach der lex fori.55 § 355 ZPO normiert den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit. Wenngleich dieses Prinzip lediglich im formellen Sinn zu verstehen ist, also nicht fordert, von allen verfügbaren Beweismitteln das sachnächste, somit dasjenige, das die Erkenntnis über die erheblichen Tatsachen am unmittelbarsten liefert, zu wählen,56 so heißt dies aber nur, dass es den Parteien überlassen ist, welche Beweismittel sie vorbringen wollen.57 Wird der Zeuge jedoch als Beweismittel benannt, so bieten die Wertungen der Zivilprozessordnung genügend Anlass, diesem im konkreten Fall sicheres Geleit zu erteilen. Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass dem Zeugen sicheres Geleit gewährt werden kann. Bei der Interessenabwägung ist zu beachten, dass der Zeuge nicht ersetzbar ist. Es kommt auf die tatsächlichen Vorgänge und Zustände an, über die dieser Zeuge berichten soll.58 Beweisanträge dürfen nicht einfach abgelehnt werden; angebotene Beweismittel sind demnach zu erschöpfen.59 Für den Zeugen gilt anderes nur, wenn die Tatsache als bereits erwiesen anzusehen ist.60 2. Der Sachverständige Auf den Sachverständigenbeweis finden weitgehend die für Zeugen geltenden Vorschriften Anwendung (§ 402 ZPO). Es wurde aber bereits deutlich gemacht,61 dass der Sachverständige – im Gegensatz zum Zeugen – für gewöhnlich austauschbar ist, so dass regelmäßig schon aus diesem Grunde das staatliche Strafverfolgungsinteresse das Interesse der Partei oder des Gerichts am Erscheinen des Sachverständigen überwiegen wird. Beim Sachver54
Zöller/Greger, § 373 Rn. 2. Nagel/Gottwald, § 9 Rn. 89. Ein Verstoß gegen den ordre public des Heimatstaates bei Aussage des Zeugen könnte jedoch Folgen für die Anerkennung und Vollstreckung des Urteils im Ausland haben, ebd. Rn. 97. Vgl. auch Hartmut Linke, Rn. 309 und ausführlicher Coester-Waltjen, S. 391 ff. 56 MüKo-ZPO/Musielak, § 355 Rn. 1; Stein/Jonas/Berger, 21. Aufl., § 355 Rn. 4, 28; Zöller/Greger, § 355 Rn. 1. 57 Stein/Jonas/Berger, 21. Aufl., § 355 Rn. 28. 58 MüKo-ZPO/Damrau, § 373 Rn. 3 f. 59 Hergeleitet wird dies aus dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Beweis als Teil des Justizgewährungsanspruchs oder des Rechtes auf effektiven Rechtsschutz, vgl. dazu MüKo-ZPO/Prütting, § 284 Rn. 18, 86 ff., bzw. dem in § 103 Absatz 1 GG normierten Recht auf Gehör, vgl. dazu Zöller/Reinhold Geimer, § 363 Rn. 3 a; ders., ZfRV 92, 401, 410. 60 MüKo-ZPO/Prütting, § 284 Rn. 94. 61 Dazu bereits § 2 C. II. 55
F. Anwendung der strafprozessualen Regelung auf den Zivilprozess
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ständigen kommt es auf seine Sachkunde an. Dies macht ihn ersetzbar, so dass dem sicheren Geleit für einen Sachverständigen nur geringe Bedeutung zukommt.62 Für den Sachverständigen besteht auch keine der Zeugnispflicht vergleichbare prozessuale Verpflichtung, für das Gericht tätig zu werden. Gemäß § 407 ZPO hat jedoch der zum Sachverständigen Ernannte dieser Ernennung Folge zu leisten, wenn er die dort genannten Anforderungen erfüllt und kein Gutachtenverweigerungsrecht im Sinne des § 408 ZPO vorliegt. Dies gilt auch für einen Ausländer, der sich im Inland aufhält.63 Die Vergabe eines Gutachtensauftrags an eine Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, setzt aber deren Einverständnis voraus.64 Ein zwar schriftlich erstattetes Gutachten kann im konkreten Fall einer mündlichen Erläuterung und einer Befragung des Sachverständigen vor dem erkennenden Gericht bedürfen.65 Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Sachverständige einen nicht wiederholbaren Sachverhalt im Auftrage des Gerichts festgestellt hat, was ihn insoweit zum sachverständigen Zeugen macht und nur hinsichtlich der Schlussfolgerungen zum Sachverständigen.66 Für den sachverständigen Zeugen im Sinne von § 414 ZPO gelten die vorstehend zum Zeugen gemachten Ausführungen. Die Abgrenzung von Zeugen- und Sachverständigenbeweis richtet sich nach dem jeweiligen Prozessrecht, also der lex fori.67 3. Die Partei 68 a) Keine Teilnahmepflicht Den Parteien steht es grundsätzlich frei, persönlich zu erscheinen und das Wort zu ergreifen.69 Die Partei unterliegt zwar einer prozessualen Mitwir62 Es ist zwar denkbar, dass es Fälle gibt, in denen es auf die Sachkunde dieses Sachverständigen ankommt. Dies wäre im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Es handelt sich dann aber um einen seltenen Einzelfall. 63 Nagel/Gottwald, § 9 Rn. 196. 64 Hartmut Linke, Rn. 314. 65 BGHZ 6, 398 (401); 35, 370 (372). Der Bundesgerichtshof verneinte aber unter Hinweis darauf, dass die deutsche Gerichtsbarkeit an den Grenzen Deutschlands Halt mache, ein Recht des Klägers, die Ladung des Sachverständigen vor das erkennende Gericht zu verlangen. Vielmehr sei nach den Vorschriften über die Beweisaufnahme im Ausland zu verfahren. Vgl. BGH IPRax 1981, 57 (58). 66 MüKo-ZPO/Damrau, § 373 Rn. 4. 67 Nagel/Gottwald, § 9 Rn. 183. 68 Der Streitgenosse ist ebenfalls Partei. Gesonderte Ausführungen zu diesem sind daher nicht erforderlich. 69 Zöller/Greger, § 141 Rn. 3. Gemäß § 137 Absatz 4 ZPO ist der Partei auch im Anwaltsprozess auf Antrag das Wort zu gestatten.
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
kungspflicht. Ihre Mitwirkung ist aber nicht unmittelbar erzwingbar.70 Der Beschuldigte kann und wird sich als Partei regelmäßig durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Gemäß § 141 Absatz 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht jedoch das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung geboten erscheint. Dem Gericht soll hierdurch die Möglichkeit gegeben werden, durch Befragung der Parteien den Sachverhalt aufzuklären, und damit ein besseres Verständnis von dem Sachverhalt zu erlangen.71 Die Anordnung des persönlichen Erscheinens steht im Ermessen des Gerichts; ein Rechtsanspruch der Parteien besteht insofern nicht.72 Im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch das Gericht kann im Einzelfall auch eine Pflicht zur Anordnung des persönlichen Erscheinens bestehen.73 Nach dem Gesetzeswortlaut („soll“) entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, von der Möglichkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens regelmäßig Gebrauch zu machen.74 Der persönliche Eindruck einer Partei und die mündliche Sachverhaltsschilderung tragen womöglich zu Erkenntnissen bei, die das Gericht sonst im Wege eines langwierigen Schriftsatzaustausches und einer Beweisaufnahme zu gewinnen hätte.75
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Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 141 Rn. 1. So der eindeutige Wortlaut des § 141 ZPO; OLG Brandenburg, MDR 2001, 411; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl., § 141 I Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, § 141 Rn. 2; Zöller/Greger, § 141 Rn. 1. Für die vorliegende Arbeit ist es unerheblich, ob maßgeblicher Zweck des persönlichen Erscheinens einer Partei auch ist, dass die Erörterung in ihrer Gegenwart eine gütliche Beilegung oder sonstige unstreitige Beendigung des Verfahrens etwa durch Klagerücknahme, Verzicht, Anerkenntnis oder Rechtsmittelrücknahme entscheidend fördern kann (so jedenfalls OLG München MDR 1992, 513; OLG Bremen MDR 1988, 417; einschränkend OLG Brandenburg MDR 2001, 411). Wurde das persönliche Erscheinen einer Partei allein zum Zwecke einer unstreitigen Beilegung des Rechtsstreites angeordnet, so fehlt es bereits an einem für die Gewährung sicheren Geleits erforderlichen, das staatlichen Strafverfolgungsinteresse überwiegenden Belang, da die Partei nicht – wie gesetzlich vorgesehen – an einer weiteren Sachverhaltsaufklärung mitwirken soll. Die Interessen der Partei werden durch Entsendung eines mit allen Vollmachten ausgestatteten Vertreters hinreichend gewahrt. Für die Güteverhandlung gilt im Übrigen § 278 Absatz 3 ZPO. Droht der Partei die Verhaftung, wenn sie sich in den Bereich der richterlichen Zwangsgewalt begibt, so liegt ein wichtiger Grund vor, der die Partei am Erscheinen hindert. 72 Zöller/Greger, § 141 Rn. 3. 73 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 141 Rn. 14; Vgl. auch OLG Zweibrücken NJW 1998, 167. 74 Zöller/Greger, § 141 Rn. 3. 75 Zöller/Greger, § 141 Rn. 3. Vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 141 Rn. 2. 71
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Der Gesetzgeber selbst hat die Möglichkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien begrenzt. Sie ist dann nicht möglich, wenn der Partei ein Erscheinen nicht zumutbar ist. § 141 Absatz 1 Satz 2 ZPO nennt als wichtigen Grund für eine Unzumutbarkeit die große Entfernung, so dass bei demjenigen Beschuldigten, der sich im Ausland aufhält,76 regelmäßig bereits aus diesem Grunde die Anordnung persönlichen Erscheinens nicht in Betracht kommt.77 § 141 Absatz 3 Satz 2 ZPO sieht im Übrigen vor, dass die Partei sich auch dann, wenn ihr persönliches Erscheinen angeordnet wurde, einen Vertreter entsenden kann, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen ermächtigt ist. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass ein Vertreter, wenn er mit der Sachmaterie nicht unmittelbar vertraut ist, im konkreten Fall tatsächlich nicht in der Lage sein mag, zur Aufklärung des Sachverhalts in der erforderlichen Weise beizutragen.78 Die persönliche Anhörung der Parteien dient nicht als Beweismittel. Sie eröffnet vielmehr die Möglichkeit der Klarstellung von Parteibehauptungen. Streitige Tatsachen sind aber nicht auf Grund der Ausführungen der Partei als festgestellt oder widerlegt zu behandeln.79 Es ist zwar möglich, dass die Partei einen für sie ungünstigen Sachverhalt einräumt und somit eine bisher streitige Tatsache nunmehr als unstreitig zu behandeln ist. Durch die Parteianhörung kann der Beweis streitig gebliebener Tatsachen aber nicht geführt 76 Der Beschuldigte, dessen Aufenthalt unbekannt ist, spielt hier nur eine geringe Rolle. Die Rechtsprechung schreibt die Angabe der Anschrift als zwingendes Erfordernis einer ordnungsgemäßen Klageerhebung jedenfalls dann vor, wenn sie ohne weiteres möglich ist und ihr kein schützenswertes Interesse entgegensteht, vgl. BGHZ 102, 332; Zöller/Greger, § 253 Rn. 8. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass eine ladungsfähige Anschrift dann nicht Zulässigkeitsvoraussetzung ist, wenn der Kläger sich bei Nennung der Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen würde (NJW 2001, 1158). In diesem Fall wird die Anordnung persönlichen Erscheinens unterbleiben. Es fehlt in jedem Fall an der Möglichkeit einer Mitteilung gemäß § 141 Absatz 2 Satz 2, 1. HS ZPO an den Beschuldigten als Partei. Die Ladung ist auch dann der Partei selbst mitzuteilen, wenn diese einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat. 77 Allerdings haben die modernen Verkehrsmittel diesen Hinderungsgrund erheblich an Bedeutung verlieren lassen. Auch ist eine Entscheidung im Einzelfall von der Bedeutung der Sache abhängig zu machen. 78 Vgl. dazu Zöller/Greger, § 141 Rn. 17. Eine Festsetzung von Ordnungsgeld, die im Ermessen des Gerichts steht (§ 141 Absatz 3 Satz 1 ZPO), wird aber regelmäßig nicht in Betracht kommen, wenn der Partei bei Erscheinen in der mündlichen Verhandlung die Verhaftung droht. Eine Verhängung von Ordnungsgeld kommt nicht in Betracht gegen eine ausländische Partei, die im Ausland lebt. Die Zwangsbefugnisse deutscher Gerichte enden an den Grenzen der Bundesrepublik. Vgl. OLG München NJW-RR 1996, 59. 79 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl., § 141 Rn. 3.
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werden. Will das Gericht die Angaben einer Partei als Beweismittel verwerten, so muss sie diese nach §§ 445 ff. ZPO als Partei vernehmen.80 Soll die Gewährung sicheren Geleits einer Partei das Erscheinen im Zivilprozess ermöglichen, so wird im Rahmen der Interessenabwägung angesichts der gesetzgeberischen Wertung danach zu unterscheiden sein, ob das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet wurde oder eine Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO vorgesehen ist. b) Grundrecht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung Da keine Teilnahmepflicht besteht, könnte man versucht sein, auch ein Teilnahmerecht zu verneinen. Doch dies wäre ein Trugschluss; denn die Partei hat, selbst wenn sie durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist und auch wenn ihr (etwa im Verfahren vor dem Landgericht) die Postulationsfähigkeit fehlt, ein Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.81 Das Grundrecht auf Gehör gemäß Artikel 103 Absatz 1 GG garantiert jeder Partei die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.82 Nicht we80 BGH MDR 1967, 834. Die Äußerung der Partei im Rahmen einer persönlichen Anhörung kann nicht wie das Ergebnis einer Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO gewürdigt werden. Anderenfalls würden die dafür vorgesehenen Vorschriften umgangen. Ausführlich dazu Zöller/Greger, § 141 Rn. 1. Angesichts des in § 286 Absatz 1 Satz 1 ZPO normierten Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ist das Gericht aber nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, die außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben, vgl. BGH NJW 1999, 363 (364) mit zahlreichen Nachw. 81 BVerwG NJW 1984, 625; MüKo-ZPO/v. Mettenheim, § 78 Rn. 20; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, § 78 Rn. 17; Zöller/Vollkommer, § 78 Rn. 1 a. Die in § 137 Absatz 4 ZPO normierte Pflicht des Gerichts, neben dem Anwalt auch der Partei selbst auf Antrag das Wort zu gestatten, setzt zu dessen Verwirklichung notwendigerweise ein Recht auf Anwesenheit voraus, ebenso die persönliche Beteiligung der Parteien an der Erörterung in der Güteverhandlung. Wird das Anwesenheitsrecht verneint, so würde auch die in § 85 Absatz 1 Satz 2 ZPO der Partei eingeräumte Möglichkeit, Geständnisse und andere tatsächliche Erklärungen des Bevollmächtigten zu widerrufen oder zu berichtigen, obsolet. 82 Art. 103 Absatz 1 GG verbietet es dem Gericht, auch im Vorfeld der Eröffnung seines Schutzbereichs, „diese Position in ihrer Wirksamkeit zu unterlaufen oder entscheidend einzuengen und damit das Recht der Prozessbeteiligten, sich zu äußern, zur inhaltsleeren Form werden zu lassen“ (vgl. BVerfGE 64, 135 [144]). Das Recht der Partei auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ist für die Durchsetzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unerlässlich, so dass die Ablehnung einer unzulässigen Beschränkung gleich käme. Besonders bedeutsam ist dies, da es dem Prozessbeteiligten obliegt, die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfGE 5, 9 [10]). Für die Partei in einem Zivilrechtsstreit kann nichts anderes gelten als für den Angeklagten in einem Strafverfahren, dessen Recht auf Anwesenheit und darauf,
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niger gehört es zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung,83 dass eine Prozesspartei an ihren eigenen Verfahren ungehindert teilnehmen darf; anderenfalls wäre sie nicht mehr Subjekt, sondern Objekt des Prozesses.84 Ob sich aus diesem Teilnahmerecht ein Rechtsanspruch der Partei auf Erteilung sicheren Geleits herleiten lässt, ist damit noch nicht beantwortet.85 Soweit Rechte anderer nicht tangiert werden, hat die Partei aber ein Recht, am Zivilprozess persönlich teilzunehmen. Deshalb hat auch derjenige, der sich in Strafhaft86 oder Untersuchungshaft87 befindet, einen Anspruch auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, es sei denn, der Zweck der Haft wird hierdurch beeinträchtigt oder gefährdet.88 Einem Ausländer kann der Aufenthalt in Deutschland zum Zweck einer solchen Teilnahme gestattet werden;89 selbst dem abgeschobenen Ausländer wird durch sich selbst zu verteidigen, aus Art. 103 Absatz 1 GG anerkannt ist (vgl. BVerfGE 41, 246 [249]). 83 Die durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten elementaren Verfahrensregeln, ohne die ein fairer Prozess und effektiver Rechtsschutz nicht möglich sind, umfassen auch Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Parteien (vgl. BVerfGE 91, 176 [181]). Um deren Verwirklichung zu gewährleisten bedarf es notwendigerweise deren Anwesenheit (vgl. für den Angeklagten BVerfGE 41, 246 [249]). Dies bei Auslegung und Anwendung der jeweils maßgebenden Verfahrensgesetze zu beachten, obliegt den Gerichten (vgl. BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats] NJW 1992, 359). 84 BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats) NJW 1992, 359. Grundlegend hierzu Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Absatz 1 Rn. 33 ff. 85 Dazu sogleich sub § 3 G. IX. 86 § 36 StVollzG regelt in Absatz 1, dass der Anstaltsleiter einem Gefangenen „zur Teilnahme an einem gerichtlichen Termin Ausgang oder Urlaub erteilen [kann], wenn anzunehmen ist, dass er der Ladung folgt und keine Entweichungs- oder Missbrauchsgefahr“ besteht. Absatz 2 normiert, dass für den Fall der Nichtgewährung von Ausgang oder Urlaub der Anstaltsleiter den Gefangenen mit seiner Zustimmung zu dem Termin ausführen lässt, soweit keine überwiegenden Gründe entgegenstehen. § 36 StVollzG dient dazu, „die Stellung des Gefangenen auch hinsichtlich der Teilnahme an gerichtlichen Terminen soweit als möglich der Situation in Freiheit anzugleichen“, ohne dabei „irgendwelche Unterscheidungen in der Art der Gerichtstermine zu machen“ (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1984, 184 [185]). Einer Anordnung des persönlichen Erscheinens bedarf es nicht (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1993, 242 [243]). Ausführlich dazu Feest/Lesting, § 36 Rn. 2 f. 87 Eine dem § 36 StVollzG entsprechende Regelung für die Untersuchungshaft gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Als gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Untersuchungshaft dient § 119 StPO, der insofern jedoch unzureichend ist. Daher sind bis zur Schaffung einer angemessenen gesetzlichen Regelung geeignete Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes auch auf den Untersuchungsgefangenen anwendbar (vgl. Feest/Lesting, § 1 Rn. 11; Meyer-Goßner, § 119 Rn. 2). Als solche ist § 36 StVollzG anzusehen. 88 Etwa bei der Gefahr der Verdunkelung. 89 Grundsätzlich steht Ausländern Einreise und Aufenthalt nicht frei. Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben jedoch gemäß
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das Institut der Betretungserlaubnis ermöglicht, sich in Deutschland für die Zeit seines Prozesses aufzuhalten.90 c) Sonderfall: Betretungserlaubnis Die bisher in § 9 Absatz 3 AuslG geregelte Betretungserlaubnis findet sich nahezu wortlautgleich in § 11 Absatz 2 AufenthG91 wieder. Dieser bestimmt, dass ein Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen darf. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird in der Regel gemäß § 1 Absatz 1 AufenthG befristet. Vor Ablauf der Frist kann dem ausgewiesenen oder abgeschobenen Ausländer jedoch erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Ein zwingender Grund für die Erteilung dieser so genannten Betretungserlaubnis liegt beispielsweise für die Wahrnehmung von Terminen bei Behörden und Gerichten vor, aber nur dann, wenn eine Erledigung durch mündliche oder schriftliche Korrespondenz oder durch Einschaltung eines Vertreters nicht möglich und somit das persönliche Erscheinen erforderlich ist.92 Die Versagung der Erlaubnis zur Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung stellt des Weiteren eine unbillige Härte dar, wenn dort existentielle Fragen zu klären sind und mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu rechnen ist. Insbesondere dann, wenn es auf die persönlichen Lebensumstände ankommt, ist eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten als nicht ausreichend anzusehen.93 Im Rahmen der Ermessensausübung ist zu prüfen, ob der Erteilung § 2 FreizügG/EU ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes (BGBl. 2004 I S. 1950). Darüber hinaus haben Unionsbürger gemäß Art. 18 EUV vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkungen und Bedingungen dieses Vertrages und der Durchführungsvorschriften das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Im Übrigen bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 4 Absatz 1 AufenthG eines Aufenthaltstitels. 90 Die Zuständigkeit richtet sich nach § 71 AufenthG. Zuständig sind regelmäßig nach wie vor die Grenzbehörden. Dies sind in erster Linie die Behörden des Bundesgrenzschutzes oder die Zollverwaltung. Es bedarf jedoch der Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörden und in der Regel ist diejenige Ausländerbehörde zu beteiligen, die den Ausländer ausgewiesen oder abgeschoben hat (§ 72 Absatz 1 AufenthG). Vgl. dazu Hailbronner, Stand: Mai 2002, § 63 AuslG Rn. 20 ff., § 9 AuslG Rn. 26. Die Loseblattsammlung ist derzeit auf dem Stand Juni 2005. Die Neukommentierung zu §§ 11, 71 f. AufenthG ist darin noch nicht enthalten. 91 BGBl. 2004 I S. 1950. 92 Renner, Ausländerrecht in Deutschland, S. 119. 93 BayVGH InfAuslR 2000, 191.
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einer Betretungserlaubnis überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Ein solches überwiegendes Interesse liegt beispielsweise dann vor, wenn eine spätere freiwillige Ausreise nicht gesichert erscheint.94 Trotz der gravierenden Unterschiede – das sichere Geleit schützt eine Person, die nach Deutschland einreisen darf, im Inland vor Befreiung von der Haft, während die Betretungserlaubnis die Einreise und den Aufenthalt ermöglicht – sind deutliche Parallelen zu finden. In beiden Fällen wird der Vollzug staatlicher Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen für einen gewissen Zeitraum ausgesetzt, im Falle des sicheren Geleits der Haftbefehl, im Falle der Betretungserlaubnis das Verbot der Einreise und des Aufenthalts. Dabei weist die Zielsetzung beider Rechtsinstitute Parallelen auf. Sie ermöglichen einer im Ausland befindlichen Person die Interessenwahrnehmung im Inland. Wenngleich es an einer ausdrücklichen Bestimmung fehlt, kann die Betretungserlaubnis unter Auflagen und Bedingungen erteilt werden. Darüber hinaus sind Beschränkungen möglich, soweit sie sich an der Zweckbestimmung der Betretungserlaubnis orientieren. Bestimmt werden können beispielsweise der Reiseweg und der Aufenthaltsort. Die Geltungsdauer selbst ist nach dem Zweck des beabsichtigten Aufenthalts festzulegen.95 d) Ausnahmen vom Teilnahmerecht Das grundrechtlich gesicherte Teilnahmerecht der Partei ist nicht grenzenlos und wird beispielsweise durch die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes eingeschränkt. So kann ein Kläger von der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen werden, wenn er immer wieder den Termin stört96 oder in ihm Straftaten verübt. Wie auch sonst findet also das Teilnahmerecht der Partei seine Grenzen an den Rechten anderer. e) Zulässigkeit des sicheren Geleits für die sich im Ausland aufhaltende Partei Auch der ausländische Kläger oder Beklagte hat ein Recht auf Zugang zu den inländischen Gerichten und ein Teilnahmerecht an der mündlichen Ver94
Renner, Ausländerrecht in Deutschland, S. 119. Renner, Ausländerrecht in Deutschland, S. 119 f.; ders., Ausländerrecht, § 9 Rn. 11. 96 § 177 GVG bestimmt, dass die Partei, die den zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen nicht Folge leistet, aus dem Sitzungszimmer entfernt werden kann. 95
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
handlung. Probleme ergeben sich dann, wenn dieser in die Bundesrepublik Deutschland nicht einreisen darf oder ihm wegen eines bestehenden oder zukünftigen Haftbefehls die Verhaftung droht, falls er von seinem Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung Gebrauch macht. Die einfachste Antwort in dieser Situation wäre, dem Beschuldigten die Wahl zu überlassen, entweder der mündlichen Verhandlung fern zu bleiben oder nach Deutschland einzureisen, sich verhaften zu lassen und zu hoffen, aus der Untersuchungshaft zu dem Termin vorgeführt zu werden. Eine solche Lösung wird aber in ihrer Undifferenziertheit dem grundgesetzlich gesicherten Anspruch der Partei auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht gerecht. Ein Ausschluss einer Prozesspartei von der mündlichen Verhandlung ist – wie dargelegt97 – nur in schwerwiegenden Fällen zulässig.98 Deshalb ist die Erteilung sicheren Geleits zur Teilnahme eines Beschuldigten als Partei an einer mündlichen Verhandlung durchaus zulässig und im Einzelfall zur Verwirklichung des Anspruchs auf Gehör sogar erforderlich. 4. Der Nebenintervenient Der Nebenintervenient – oder Streithelfer – hat gemäß § 67 ZPO weit reichende Befugnisse. Er ist berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zum machen und Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, solange seine Erklärungen und Handlungen mit Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei nicht in Widerspruch stehen. Diese Rechte machen den Nebenintervenienten aber nicht zur Partei.99 Er bleibt, auch nachdem er einer Partei beigetreten ist, Dritter.100 Der Nebenintervenient ist vielmehr Gehilfe der Hauptpartei kraft eigenen Rechts.101 Der Nebenintervenient handelt im eigenen Namen, entweder neben oder an Stelle der von ihm unterstützten Partei.102 97
Oben sub § 3 F. III. 3. d). Zum Teil wird vorsätzliches Verhalten gefordert, so Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, § 177 GVG Rn. 1. Meyer-Goßner (§ 177 GVG Rn. 7) verlangt eine vorhergehende „verständliche und verstandene Anordnung“. Gummer (in: Zöller, ZPO, § 177 GVG Rn. 1) und deutlicher Wolf (in: MüKo-ZPO, § 177 GVG Rn. 4) verlangen, ähnlich wie Meyer-Goßner, eine andauernde Störung nach deutlicher Abmahnung, während Kissel/Mayer (§ 177 Rn. 1) für eine solche Ordnungsmaßnahme kein Verschulden verlangt. Es handelt sich hier um eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Ordnung und nicht um eine Ahndung. 99 BGH NJW 1986, 25; 1995, 198 (199). 100 Zöller/Vollkommer, § 67 Rn. 1. 101 BGH NJW 1995, 198 (199); Zöller/Vollkommer, § 67 Rn. 1. 102 Thomas/Putzo, § 66 Rn. 1; ausführlich Windel, ZZP 104 (1991), 321. 98
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Wie die Partei muss der Nebenintervenient aber nicht persönlich erscheinen. Vielmehr kann bzw. – im Falle des Anwaltsprozess – muss sich der Nebenintervenient vertreten lassen. Sein persönliches Erscheinen ist somit nicht erforderlich.103 Ein die Voraussetzung der Nebenintervention bildendes rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei ist bei einem rechtlichen Einwirken – unmittelbar oder mittelbar – der Entscheidung des maßgeblichen Rechtsstreit auf die Rechtsverhältnisse des Dritten, seien sie privat- oder öffentlich-rechtlich, zu bejahen, wobei der Begriff des rechtlichen Interesses weit auszulegen ist.104 Die in § 68 ZPO normierte Nebeninterventionswirkung105 muss im Einzelfall bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden. Auch der Nebenintervenient ist aber nicht gehalten, seine Rechte selbst geltend zu machen. Einen interessanten Aspekt bietet jedoch die Unterscheidung zwischen dem Nebenintervenienten nach § 66 ZPO, der als Dritter Zeuge sein kann,106 und dem streitgenössischen Nebenintervenienten nach § 69 ZPO, der als Partei zu vernehmen ist.107 5. Streitverkündung Wird einem abwesenden Beschuldigten nach §§ 72 ff. ZPO ein Streit verkündet, so kommt die Gewährung sicheren Geleits nur dann in Betracht, wenn dieser dem Streitverkünder beitritt. Dann gelten im Verhältnis zu den Parteien die Grundsätze über die Nebenintervention (§ 74 Absatz 1 ZPO). Unterbleibt ein Beitritt des Beschuldigten, so wird der Rechtsstreit ohne Rücksicht auf diesen fortgesetzt. Ein im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigendes Interesse an einer Gewährung sicheren Geleits kann in einem solchen Falle nicht bestehen. 6. Der Prozessbevollmächtigte Sicheres Geleit kommt für einen Prozessbevollmächtigten nicht in Betracht. Er wird selbst dann als austauschbar anzusehen sein, wenn es sich 103 Bei der Hauptintervention nach § 64 ZPO wird hingegen eine neue Klage anhängig gemacht. Im Rahmen dieses Verfahrens ist der Hauptintervenient Partei. 104 MüKo-ZPO/Schilken, § 66 Rn. 7. 105 D. h. die Bindung des Gerichts im Rechtsstreit zwischen der Hauptpartei und dem Nebenintervenienten an die das Urteil des Vorprozesses tragenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art, die im neuen Prozess streitig sind, zugunsten der unterstützten Partei wirken und auf denen das frühere Urteil beruht, vgl. Thomas/ Putzo, § 68 Rn. 5. 106 MüKo-ZPO/Schilken, § 67 Rn. 3. 107 OLG Hamm, FamRZ 1978, 204 [205]; Stein/Jonas/Bork, 22. Aufl., § 69 Rn. 11; ausführlich MüKo-ZPO/Schilken, § 69 Rn. 9 ff.
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um einen sehr komplexen Sachverhalt handelt und bei Eintreten der Voraussetzungen für die Erteilung sicheren Geleits der Termin zur mündlichen Verhandlung bereits kurz bevorsteht. Der in § 78 ZPO geregelte Anwaltszwang dient neben dem Interesse einer geordneten Rechtspflege zwar auch dem Schutz der rechtsunkundigen Partei.108 Im Anwaltsprozess mag der Wegfall des Prozessbevollmächtigten die Partei schwer treffen, da diese ohne ihn ihre Rechte nicht ordnungsgemäß wahrnehmen kann109 und bei komplexen Sachverhalten ein Wechsel des Prozessbevollmächtigten mangels Vertrautheit des neuen Rechtsanwalts mit dem Prozessstoff erhebliche Nachteile mit sich bringt. Bei einem Anwaltswechsel aufgrund des gegen den bisherigen Prozessbevollmächtigten anhängigen Ermittlungsverfahrens wird aber regelmäßig ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung im Sinne des § 227 ZPO vorliegen.110 Zur Wahrung der Interessen der durch den Prozessbevollmächtigten vertretenen Partei ist dies ausreichend. 7. Der Beistand Der Beistand im Sinne des § 90 ZPO kann nur neben der Partei bzw. dem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung auftreten. Seine Rechtsposition ist an die Anwesenheit der Partei in der mündlichen Verhandlung gebunden und erstreckt sich nur auf die mündliche Verhandlung.111 Er ist kein Vertreter. Die Partei ist zum sofortigen Widerruf und der sofortigen Berichtigung seines Vortrages befugt.112 Die Stellung des Beistandes im Prozess ist schwächer als die eines Prozessbevollmächtigten. Auch der Beistand ist jederzeit austauschbar. Somit kann ein Interesse an seinem Erscheinen im Termin zur mündlichen Verhandlung kaum das staatliche Strafverfolgungsinteresse überwiegen. Dass die Partei im Einzelfall nicht dazu in der Lage sein mag, selbstständig zu verhandeln,113 und in die Person gerade dieses 108
MüKo-ZPO/v. Mettenheim, § 78 Rn. 4. MüKo-ZPO/Feiber, ZPO, § 244 Rn. 1. 110 Zöller/Stöber, § 227 Rn. 6; Stöber bejaht einen erheblichen Grund jedenfalls bei einem notwendigen Anwaltswechsel. Sowohl für den Fall, dass die Partei nach Bekanntwerden des gegen den Prozessbevollmächtigten gerichteten Ermittlungsverfahrens diesem das Mandat entzieht (hierzu BVerwG NJW 1986, 339), als auch für den Fall, dass der Prozessbevollmächtigte das Mandat niederlegt (hierzu BVerwG NJW 1993, 80), erscheint eine Terminsverlegung geboten, jedenfalls soweit die Partei nicht ausreichend Zeit hatte, vor der mündlichen Verhandlung in zumutbarer Weise für eine anderweitige Bevollmächtigung zu sorgen und der Prozessbevollmächtigte nicht hinreichend Zeit zur Vorbereitung hatte. 111 Musielak/Weth, § 90 Rn. 5. 112 Das Widerrufsrecht des § 90 Absatz 2 ZPO ist weiter als das des § 85 Absatz 1 Satz 2 ZPO. 113 Trotz Vorliegens der Prozessfähigkeit, vgl. Musielak/Weth, § 90 Rn. 5. 109
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Beistandes besonderes Vertrauen hat, vermag hieran nichts zu ändern. Die Erteilung sicheren Geleits kommt somit für den Beistand ebensowenig wie für den Prozessbevollmächtigten in Betracht. IV. Antrag des Zivilgerichts oder der Beteiligten Das sichere Geleit für ein Auftreten vor dem Zivilgericht setzt stets einen (schriftlichen) Antrag an den zuständigen114 Strafrichter voraus.115 1. Zeugen- oder Sachverständigeneinvernahme des Beschuldigten Ist in dem zivilgerichtlichen Termin der Beschuldigte als Zeuge zu vernehmen, sollte in aller Regel das Zivilgericht den Antrag stellen. Da es im Beweisbeschluss – soweit ein solcher förmlich ergangen ist – aufgrund der Tatsachenlage die Vernehmung des Zeugen als wichtig angesehen hat, kann es am besten begründen, aus welchem Grund die persönliche Anwesenheit des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung erforderlich ist. Will die Partei eine Vernehmung des Beschuldigten als Zeuge oder Sachverständiger herbeiführen, so bietet es sich regelmäßig an, einen diesbezüglichen Antrag oder eine Anregung an das Zivilgericht zu richten und dieses zu veranlassen, einen entsprechenden Antrag beim Ermittlungsrichter zu stellen. Hält das Zivilgericht die Vernehmung des Beschuldigten als Zeuge für erforderlich, so ist es regelmäßig auch gehalten, einen Antrag auf sicheres Geleit zu stellen. Zwar gilt im Zivilprozess der Verhandlungsgrundsatz. Gleichwohl besteht einen Pflicht zur Fürsorge des Gerichts gegenüber den Parteien. Sie ergibt sich aus deren Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz.116 Dieser verlangt ein auf Richtigkeitsgewähr ausgerichtetes Verfahren,117 in dem der Streitgegenstand in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend geprüft wird.118 Dieser öffentlich-rechtliche, gegen den Staat gerichtete Anspruch119 der Partei kann also eine Erteilung sicheren Geleits gebieten und somit einen entsprechenden Antrag des Zivilgerichts erfordern. 114
Siehe oben § 3 F. II. Eine amtswegige Bewilligung des sicheren Geleits, wie sie das Strafgericht in der Hauptverhandlung ohne weiteres gewähren darf (Meyer-Goßner, § 295 Rn. 9; SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 7) scheidet aus, weil kein Zivilgericht das sichere Geleit erteilen darf. 116 Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 50. 117 Das Gericht darf die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne weiteres bejahen, vgl. BVerfGE 91, 176 (181). 118 BVerfGE 54, 277 (291); 85, 337 (345). 119 Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 48. 115
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
Es kann allerdings auch eine der Parteien des Zivilprozesses, die an dem persönlichen Auftreten des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung interessiert ist, den Antrag stellen oder auch ein dritter Beteiligter (§§ 64 ff. ZPO). Eine Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten selbst ist nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Sie erscheint aber nicht sachgerecht, da ihre Interessen in dem Verfahren, für das sicheres Geleit erteilt werden soll, nicht berührt sind. Ihre Anhörung vor Erteilung sicheren Geleits erscheint demgegenüber zweckmäßig. Anders als bei sicherem Geleit für das Auftreten in einem strafrechtlichen Verfahren werden der zuständige Staatsanwalt und der Beschuldigte aber ohnehin kaum einen Anlass sehen, einen solchen Antrag für das Auftreten des Beschuldigten in einer mündlichen Verhandlung vor dem Zivilgericht zu stellen. Regelmäßig wird die Staatsanwaltschaft vor Antragstellung auch keine Kenntnis von dem Zivilverfahren haben.120 Der Staatsanwalt mag sich jedoch dem Antrag des Zivilgerichts anschließen, um das Erscheinen des Beschuldigten zu nutzen, diesen im Rahmen des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens zu hören. Der Beschuldigte kann dies gegenüber der Staatsanwaltschaft anregen. Die für eine Zeugeneinvernahme des Beschuldigten vor dem Zivilgericht geltenden Grundsätze finden entsprechende Anwendung, falls dieser als Sachverständiger an der mündlichen Verhandlung teilnehmen soll. Allerdings wird es, wie schon ausgeführt,121 selten Fälle geben, in denen die Teilnahme des Beschuldigten erforderlich ist und nicht etwa ein anderer Sachverständiger auftreten kann. 2. Sonstiges Auftreten des Beschuldigten Wenn einem Beschuldigten sicheres Geleit für ein Erscheinen in einer anderen Rolle als der eines Zeugen oder eines Sachverständigen erteilt werden soll, wird regelmäßig der betreffende Beteiligte122 für sich den Antrag stellen. Dass die Gegenseite den Antrag stellt, ist nicht ausgeschlossen; denn es 120 Etwas anderes kann beispielsweise dann gelten, wenn im Zivilverfahren Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den Beschuldigten geltend gemacht werden, die aus den gegen diesen gerichteten strafrechtlichen Vorwürfen hergeleitet werden. Regelmäßig wird dann die vermeintlich verletzte Partei einen Antrag auf Akteneinsicht nach § 406 e StPO stellen. 121 Dazu, dass kein genereller Anspruch von Dritten auf sicheres Geleit besteht, Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2012; vgl. auch Rn. 2390; vgl. auch Nagel/Gottwald, IZPR, § 4 Rn. 11; Vorschläge insofern für eine Reform: Gregor Geimer, Zustellungsrecht, S. 294. 122 Kläger, Beklagter, Nebenintervenient, Beigeladener (§ 640 e, § 865 Absatz 3 ZPO).
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gibt Situationen, in denen sie sich von dem persönlichen Erscheinen ihres Gegners in der mündlichen Verhandlung einen Vorteil verspricht, etwa wenn sie eine Parteivernehmung (§ 445 Absatz 1 ZPO) beantragt hat: Wird ihrem Gegner sicheres Geleit gewährt und erscheint er trotzdem nicht, ist das Gericht nicht gehindert, aus der Weigerung die in § 446 ZPO ermöglichten Schlüsse zu ziehen.123 Wird der Partei hingegen sicheres Geleit nicht erteilt, so liegen verständliche Gründe für deren Weigerung, sich vernehmen zu lassen, vor, die nachteilige Schlussfolgerungen verbieten.124 Ein Antrag des Zivilgerichts an das Strafgericht ist ebenfalls nicht ausgeschlossen. Bitten Kläger und Beklagter, das Gericht möge den Antrag stellen, bestehen insofern keine Bedenken. Für den Fall der Parteivernehmung wird es sogar regelmäßig das Zivilgericht sein, das einen Antrag auf Erteilung sicheren Geleits für die Partei stellt. Jede Partei kann zwar beantragen, das Gericht möge den Gegner (§ 445 ZPO) bzw. die den Antrag stellende Partei selbst (§ 447 ZPO), soweit sie beweispflichtig ist, vernehmen. Das Gericht entscheidet aber nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es eine Parteivernehmung für erforderlich hält. Kommt das Gericht zu dem Schluss, eine Parteivernehmung sei erforderlich, so wird es regelmäßig – konsequenterweise müsste es sogar – für die im Sinne des § 276 StPO abwesende Partei den Antrag auf Gewährung sicheren Geleits stellen. Das Gericht kann auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast unter den Voraussetzungen des § 448 ZPO die Vernehmung einer Partei anordnen. Auch dann wird das Gericht selbst den Antrag auf Gewährung sicheren Geleits stellen. Besteht aber weder ein Anlass zur Parteivernehmung noch zur Anordnung des persönlichen Erscheinens, und beantragt das Zivilgericht, nicht er selbst sicheres Geleit, so wird der zuständige Richter, wenn er den Antrag nicht bereits als unzulässig zurückweist, im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung zu dem Ergebnis kommen, dass ein überwiegendes Interesse für ein Erscheinen des abwesenden Beschuldigten im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht besteht. In einem solchen Fall ist das Erscheinen des Beschuldigten für die Wahrheitsfindung nicht erforderlich. Es wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass der abwesende Beschuldigte bei Vorliegen eines wichtigen Belangs den erforderlichen Antrag selbst gestellt hätte.
123 Das Bestehen eines Haftbefehls ist ein triftiger Grund, nicht zur mündlichen Verhandlung zu kommen und die Parteivernehmung zu verweigern, vgl. BGH NJW 1991, 2500 [2501]; OLG Düsseldorf WM 1981, 369 [370]; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 446 Rn. 8. 124 BGH NJW 1991, 2500 (2501) mit zahlreichen Nachw.
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
3. Verpflichtung des Gerichts, bei fehlendem Grund für die Ablehnung des Beweisantrags sicheres Geleit zu beantragen Eine Vorschrift vergleichbar der des § 244 Absatz 3 StPO, die regelt, wann im Zivilprozess ein Beweisantrag abgelehnt werden darf, enthält die Zivilprozessordnung nicht. Die Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrages orientieren sich an § 244 Absatz 3 StPO.125 Anerkannte Ablehnungsgründe sind auch hier die fehlende Entscheidungserheblichkeit, die fehlende Beweisbedürftigkeit, die Ungeeignetheit des Beweismittels126 und die Unzulässigkeit der Beweiserhebung. Maßgebend für die Beweiserheblichkeit, die Beweisbedürftigkeit und das Vorliegen eines Beweisverbotes ist die lex fori.127 Spezifische Beweisthemenverbote, die im materiellen Recht begründet sind und der lex causae entstammen, können berücksichtigt werden, soweit sie mit der deutschen lex fori vereinbar sind.128 Wie bei § 244 Absatz 3 StPO steht die Ablehnung des Beweismittels bei Vorliegen eines Ablehnungsgrundes im Ermessen des Gerichts, es sei denn, die Beweiserhebung ist unzulässig. Dann ist der Beweisantrag abzulehnen. Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes wird aber im Rahmen der Interessenabwägung durch das für die Erteilung sicheren Geleits zuständige Gericht bereits dazu führen, dessen Erteilung abzulehnen. Nur wenn kein sonstiger Ablehnungsgrund vorliegt, stellt sich also die Frage, ob der abwesende Beschuldigte als unerreichbar anzusehen ist. An die Frage, ob der Zeuge unerreichbar ist, sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Gericht muss sich bemühen, eine Vernehmung eines sich im Ausland aufhaltenden Zeugen herbeizuführen.129 Will das Gericht seiner Verpflichtung, für wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz zu sorgen, genügen, dann muss es sich gehalten fühlen, gegenüber dem zuständigen 125
BGHZ 53, 245 (259 f.). Dieser Ablehnungsgrund kann nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Vgl. BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats) NJW 1993, 254 (255): „Grundsätzlich stellt es eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar, die Erhebung weiterer Beweise mit der Begründung abzulehnen, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen. Der völlige Unwert eines Beweismittels muss feststehen, um es ablehnen zu dürfen. Nur ausnahmsweise kann dies der Fall sein, wenn beispielsweise nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die vom Gericht bereits gewonnene gegenteilige Überzeugung erschüttern könnte.“ 127 Hartmut Linke, Rn. 292 ff.; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2279 ff. 128 Hartmut Linke, Rn. 296; Schack, Rn. 670. 129 Vgl. dazu beispielsweise BGH NJW 1993, 1768. Zu der Frage der kommissarischen Vernehmung oder der Videovernehmung sogleich sub. § 3 H. 126
F. Anwendung der strafprozessualen Regelung auf den Zivilprozess
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Gericht einen Antrag auf sicheres Geleit zu stellen. Der Justizgewährungsanspruch beinhaltet ein „Recht auf Beweis“.130 Ein Beweisantrag darf nur bei Vorliegen eines der vorstehend genannten Ablehnungsgründe übergangen werden. Ob ein solcher Ablehnungsgrund vorliegt muss sorgfältig geprüft werden. Das erkennende Gericht muss die sich ihm bietenden Möglichkeiten, den angebotenen Beweis zu erheben, ausschöpfen. Andernfalls verletzt es das Recht der Partei auf rechtliches Gehör und begeht somit einen Verfahrensfehler.131 4. Rechtsmittel Von Bedeutung ist, wer für das Zivilverfahren den Antrag auf sicheres Geleit stellt. Der Richter ist nie Verfahrensbeteiligter,132 weshalb ihm die Beschwerdeberechtigung fehlt. Verfahrensbeteiligter ist dagegen die Partei. Die Beschwerde nach § 304 Absatz 2 StPO kann von jeder Person eingelegt werden, die durch den Beschluss beschwert ist, wobei eine Unterscheidung in unmittelbare und mittelbare Betroffenheit aus praktischen Gründen wenig zweckmäßig ist und auch nicht dem Wortlaut der Vorschrift entnommen werden kann.133 Die Partei ist aufgrund der Betroffenheit sowohl bei eigener Antragstellung als auch bei Antragstellung durch das Gericht wegen der Bedeutung für das eigene Verfahren134 beschwerdeberechtigt,135 unabhängig davon, ob sie sicheres Geleit beantragt, um ihr eigenes Erscheinen oder das Erscheinen des Beschuldigten z. B. als Zeuge zu ermöglichen. Beim Prozessgegner dagegen fehlt auch bei weiter Auslegung des Begriffs in der Regel die Rechtsbetroffenheit.
130 Habscheid, ZZP 1996, 306 ff.; Störmer, JuS 1994, 238 (240); Zöller/Vollkommer, Vor § 284 Rn. 8 a. 131 BVerfGE 60, 247 (249); 250 (252); BVerfG NJW 1982, 1636 (1637); 1985, 1150 (1150 f.); 1991, 285 (286). 132 Das Bundesverfassungsgericht spricht insofern von einem „nichtbeteiligten Dritten“, vgl. BVerfGE 3, 377 [381]; 21, 139 [145]; 149 [160]; ebenso Meyer-Goßner, Einl. Rn. 71. 133 BGHSt 27, 175 für den Fall der Versagung der Erlaubnis zum Besuch eines Untersuchungsgefangenen durch den Haftrichter. 134 Die Beweisführung wird erheblich erschwert. 135 A. A. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 30, da ein Rechtsanspruch auf sicheres Geleit nach einhelliger Ansicht (und auch nach Ausgestaltung der Vorschrift als Ermessensvorschrift) nicht besteht.
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
V. Gerichtsbeschluss Das sichere Geleit wird vom zuständigen Strafrichter erteilt, d. h. es ist ein (positiver) Beschluss des Gerichtes (sog. Geleitbrief) notwendig. Dieser hat die Umstände zu bezeichnen, die zur Konkretisierung des erteilten sicheren Geleits notwendig sind.136 Bei der Entscheidung über die Erteilung des sicheren Geleits handelt das Strafgericht nach pflichtgemäßem Ermessen.137 VI. Dauer sicheren Geleits Gemäß § 295 Absatz 3 StPO erlischt sicheres Geleit, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht oder wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft oder wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, unter denen ihm das sichere Geleit erteilt worden ist. Soll dem Beschuldigten sicheres Geleit zum Erscheinen vor dem Zivilgericht gewährt werden, so empfiehlt es sich – im Interesse des Beschuldigten und im öffentlichen Interesse –, dieses entweder zeitlich zu befristen138 oder zweckgebunden139 zu erteilen. Durch die zeitliche Befristung oder die Beschränkung auf die Vornahme einer Handlung ist ein Zeitpunkt festgelegt oder bestimmbar, zu dem sicheres Geleit erlischt. Vor Erlöschen des sicheren Geleits muss der Beschuldigte Gelegenheit erhalten, den Bereich der richterlichen Zwangsgewalt wieder zu verlassen. Erfolgt die Erteilung sicheren Geleits ohne Befristung oder Zweckbindung, so kommt ein Erlöschen nur nach § 295 Absatz 3 StPO in Betracht. Einer näheren Betrachtung bei Erteilung sicheren Geleits zum Erscheinen in 136 Dazu gehören natürlich der Beschuldigte, die Straftat, für die sicheres Geleit gewährt wird, und das Gericht, vor dem der Beschuldigte erscheinen soll, aber auch der genaue Umfang des sicheren Geleits sowie etwaige Bedingungen nach § 295 Absatz 1 Halbsatz 2 StPO. Näher SK-StPO/Schlüchter, § 295 Rn. 5 f. 137 Die Entscheidung „setzt eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der das Geleit begehrenden Partei, gegen das Verfolgungsinteresse des Staates in dem gegen den Beschuldigten anhängigen Strafverfahren voraus“, BGH NStZ 1991, 2500 [2501]. Vgl. auch Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 13. 138 Vgl. z. B. Beschluss des LG Karlsruhe vom 24. Februar 2004, Az. 24 KLs 628 Js 33559/00, für das Erscheinen eines Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss. Die zeitliche Befristung erfasste einen Zeitraum von zwei Tagen vor dem Termin zur Zeugenvernehmung bis 5 Tage nach der Zeugenvernehmung. 139 Zweckbindung kann z. B. die Vornahme einer Handlung (Zeugenaussage etc.) sein. Sichergestellt sein muss jedoch, dass dem Beschuldigten zwischen Vornahme der Handlung und Erlöschen des sicheren Geleits hinreichend Zeit verbleibt, Deutschland zu verlassen. In den Beschluss über die Erteilung sicheren Geleits ist also beispielsweise eine Art. 12 Absatz 3 EuRhÜbk entsprechende Klausel aufzunehmen.
G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren
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einem anderen als dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren bedarf insbesondere der Erlöschensgrund „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ (§ 295 Absatz 3 [1. Var.] StPO). Es ist regelmäßig völlig ungewiss, wann das Strafverfahren gegen den Beschuldigten selbst einen Abschluss finden wird. Der Beschuldigte kann auch dann, wenn er sich aufgrund sicheren Geleits im Inland befindet, nicht dazu gezwungen werden, sich einer Hauptverhandlung zu stellen. Auch andere freiheitsentziehende Maßnahmen als die Untersuchungshaft sind gegen ihn nicht zulässig.140 Sicheres Geleit könnte demnach nach § 295 Absatz 3 [1. Var.] StPO nicht erlöschen. Gleichzeitig liefe insbesondere der Beschuldigte mit deutscher Staatsbürgerschaft und inländischem Wohnsitz, der sich der Strafverfolgung durch Flucht entzogen hatte, Gefahr, dann, wenn er Deutschland wieder verlassen will, gestützt auf den Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ in Untersuchungshaft genommen zu werden.141 Der Beschuldigte wäre also trotz sicheren Geleits nicht mehr in der Lage, Deutschland zu verlassen. Dies kann hier umso mehr nicht hingenommen werden, als das Gericht sicheres Geleit nicht zur Durchführung des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens gewährt hat. Wurde dem Beschuldigten sicheres Geleit nur unter der Bedingung erteilt, dass er sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten habe, so würde dies zu dem grotesken Ergebnis führen, dass der Beschuldigte zwar nicht in Haft genommen werden darf, seine Freiheit aber dauerhaft in unzumutbarer Weise beschränkt würde und somit Druck auf den Beschuldigten ausgeübt würde, sich dem Strafverfahren zu stellen.
G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren I. Vorbemerkung Für die Abwägung bei Erteilung sicheren Geleits im Rahmen eines Zivilprozesses gelten die bereits für das Strafverfahren festgestellten Grundsätze. Die dem § 295 StPO entnommene Wertung gebietet es auch hier, eine Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten des Zivilverfahrens gegen das Verfolgungsinteresse des Staates in dem gegen den Beschuldigten anhängigen Strafverfahren vorzunehmen. Es bedarf auch hier einer eingehenden Betrachtung sowohl des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens als auch des Zivilprozesses. Das in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren zuständige Gericht hat dabei von der Überlegung auszugehen, welche Folgen sich aus dem Nichterscheinen des Beschuldigten 140 141
Dazu bereits sub § 1 H. V. 4. Dazu bereits sub § 1 H. VII. 1. b).
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
in der mündlichen Verhandlung gegenüber dessen tatsächlichem Erscheinen für den Zivilprozess ergäben. Auch hier soll eine an der Funktion des Beschuldigten im Zivilprozess orientierte Betrachtung die wesentlichen, bei der Entscheidung im Einzelfall zu berücksichtigenden Gesichtspunkte aufzeigen. Eine Abwägung hat anhand der Gegebenheiten des Einzelfalles zu erfolgen. Eine theoretische Betrachtung kann somit lediglich exemplarisch auf einzelne Interessen hinweisen, die eine Erteilung sicheren Geleits als besonders wahrscheinlich erscheinen lassen oder ihr möglicherweise entgegenstehen. II. Vorrang der Beweisaufnahme im Ausland? – Die Regelung der §§ 363, 364 ZPO Die Beweisaufnahme im Ausland ist in §§ 363, 364 ZPO ausdrücklich geregelt. Nach § 363 Absatz 3 ZPO sind die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, für deren Durchführung die §§ 1072, 1073 ZPO gelten, gegenüber den §§ 363, 364 ZPO vorrangig. Anhaltspunkte dafür, dass die Beweisaufnahme im Ausland durch die deutschen Auslandsvertretungen oder durch ausländische Behörden – wie Linke meint – Vorrang vor der unmittelbaren Beweisverschaffung aus dem Ausland genössen, soweit der Rechtshilfeverkehr mit dem Staat, in dem sich die Beweisperson oder ein anderes Beweismittel befinden, gewährleistet ist,142 lassen sich diesen Vorschriften jedoch nicht entnehmen. Sie bilden in Verbindung mit den einschlägigen Staatsverträgen nebst Ausführungsbestimmungen und der Rechtshilfeordnung in Zivilsachen vielmehr die Rechtsgrundlage der Beweisaufnahme im Ausland, enthalten aber keinerlei Aussage darüber, wann eine solche vorzunehmen ist. Das Gericht selbst hat zu entscheiden, welche Vorgehensweise es für richtig hält. Es ist in seiner Entscheidungsfreiheit nicht durch die §§ 363, 364 ZPO beschränkt.143 Ein Vorrang der Beweisaufnahme lässt sich auch nicht dadurch begründen, dass die Beweisaufnahme im Ausland durch Staatsverträge erheblich erleichtert wurde. Der wichtigste Kollektivvertrag ist das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18. März 1970.144 Dieses verdrängt nunmehr in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Ge142
Hartmut Linke, Rn. 322. OLG Schleswig RIW 1989, 910; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2380. 144 Ausführungsgesetz vom 22. Dezember 1977, BGBl. I S. 3105. Abgedruckt in Auszügen bei Jayme/Hausmann Nr. 212 a. 143
G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren
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richten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Ziviloder Handelssachen,145 die seit dem 1. Januar 2004 gilt.146 Sowohl die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 als auch das Haager Beweisaufnahmeübereinkommen finden nur in dem Fall Anwendung, dass das erkennende Gericht eine Beweisaufnahme im Ausland für erforderlich hält.147 Das Gericht hat hierüber weiterhin nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. § 355 Absatz 1 Satz 1 ZPO legt im Grundsatz fest, dass die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht erfolgt. Zu diesem Zweck ist das Beweismittel herbeizuschaffen. Nur dann, wenn dies nicht möglich ist, und auch dass Prozessgericht selbst oder ein beauftragter Richter (§ 361 ZPO) aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Beweisaufnahme im Ausland nicht durchführen können, muss die zuständige Behörde im Wege der Rechtshilfe um Aufnahme der Beweise im Ausland ersucht werden.148 Insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001149 sichert dem erkennenden Gericht und den Parteien zwar regelmäßig die Möglichkeit, an der Beweisaufnahme teilzunehmen und sich auch aktiv zu beteiligen.150 § 1073 ZPO hat demgegenüber nur klarstellende Funktion.151 Jedoch wird dem Grundsatz der Unmittelbarkeit nur dann hinreichend Rechnung getragen, wenn das erkennende Gericht vollständig anwesend ist und ebenso wie die Parteien Fragen an die Beweisperson richten kann. Art. 11 Absatz 1 EuBewVO enthält eine Pflicht der Parteien und gegebenenfalls ihrer Vertreter, bei der Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht zugegen zu sein, sofern dies im Recht des Mitgliedstaates des ersuchenden Gerichts vorgesehen ist. Ein Recht auf Anwesenheit ist unmittelbar nicht geregelt. Der ersuchende Staat kann jedoch gemäß Art. 11 Absätze 2, 3 EuBewVO auf eine Anwesenheit und Beteiligung der Parteien hinwirken. Strittig ist, wie weit eine solche Beteiligung reicht. Gemäß § 1073 Absatz 1 Satz 2 ZPO können sich Parteien, deren Vertreter sowie Sachverständige im Rahmen der Beweisauf145
Vgl. Art. 21 Absatz 1 EuBewVO. Abgedruckt in ABl. EG 174/1 vom 27. Juni 2001. Die Verordnung ist für Dänemark nicht bindend und Dänemark gegenüber nicht anwendbar, vgl. ABl. EG 174/2 f. Die VO (EG) 1206/2001 ermöglicht – anders als das Haager Beweisübereinkommen – den unmittelbaren Verkehr zwischen den Gerichten und verpflichtet das ersuchte Gericht zu einer unverzüglichen Erledigung des Ersuchens (Art. 10 EuBewVO). 147 Vgl. hierzu auch Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 7. 148 MüKo-ZPO/Musielak, § 363 Rn. 1. 149 Das sichere Geleit wird im Hoheitsbereich der Europäischen Union zumindest noch eine Rolle spielen, solange einzelne Mitgliedstaaten eigene Staatsangehörige nicht ausliefern. 150 Vgl. Art. 11, 12 EuBewVO. 151 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 1073 Rn. 1. 146
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
nahme durch das ersuchte ausländische Gericht in dem Umfang beteiligen, in dem sie in dem betreffenden Verfahren an einer inländischen Beweisaufnahme beteiligt werden dürfen. Gegenüber dem ersuchten ausländischen Gericht entfaltet diese Vorschrift jedoch keine Wirkung. Eine ausdrückliche Regelung über den Umfang der Beteiligung enthält die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 nicht. Für die Ansicht von Gottwald, dass eine Beteiligung nur soweit reicht, wie dies das Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts zulässt,152 spricht, dass Art. 12 Absatz 3 EuBewVO einen Antrag des ersuchenden Gerichts an das ersuchte Gericht auf Beteiligung der Beauftragten des ersuchenden Gerichts verlangt und das ersuchte Gericht gemäß Art. 12 Absatz 4 EuBewVO die Bedingungen für deren Teilnahme festlegt. Gemäß Hartmann hat aber ein Antrag nur dahingehend zu erfolgen, dass eine Beteiligung stattfinde. Das ersuchende Gericht müsse nicht im Einzelnen vorweg mitteilen oder gar eine Zustimmung dazu erbitten, wie weit die Beteiligung tatsächlich gehen solle.153 Insbesondere ist aber in Art. 10 Absatz 2 EuBewVO audrücklich festgelegt, dass das ersuchte Gericht das Ersuchen nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats erledigt. Im Ergebnis bestimmt nach dem eindeutigen Wortlaut der Art. 11 Absatz 3, 12 Absatz 4, 17 Absatz 4 EuBewVO in jedem Fall das ersuchende Gericht, unter welchen Bedingungen eine über das bloße Anwesenheitsrecht hinausgehende Beteiligung an der Beweisaufnahme erfolgt.154 Über Anträge auf aktive Beteiligung durch Fragen entscheidet somit das ersuchte Gericht nach eigenem Ermessen.155 Der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit beinhaltet aber auch die Möglichkeit, spontan Fragen an die Beweisperson zu richten. Die Möglichkeit, im Vorfeld Fragen mittels Formblatt vorzulegen, gewährleistet nicht, sich ein vollständiges Bild von dem Beweisthema und der Beweisperson machen zu können. Hierzu bedarf es der Möglichkeit, konkrete, sich während der Beweisaufnahme ergebende Nachfragen an die Beweisperson richten zu können. Bereits die Gewährleistung der Anwesenheit des erkennenden Gerichts und der Parteien ist im Übrigen regelmäßig mit erheblichen, häufig unverhältnismäßigen Kosten verbunden, bedenkt man, dass umgekehrt die Erteilung sicheren Geleits zum Zwecke der Ver152
„Die Parteien und gegebenenfalls ihre Vertreter sollten der Beweisaufnahme beiwohnen können, wenn dies im Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts vorgesehen ist, damit sie die Verhandlungen wie im Falle einer Beweisaufnahme im Mitgliedstaat des ersuchenden Gerichts verfolgen können. Sie sollten auch das Recht haben, die Beteiligung an den Verhandlungen zu beantragen, damit sie an der Beweisaufnahme aktiver mitwirken können. Die Bedingungen jedoch, unter denen sie teilnehmen dürfen, sollten vom ersuchten Staat nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats festgelegt werden.“ (ABl. EG 174/2, Ziff. 13). 153 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 1073 Rn. 6. 154 Zöller/Geimer, § 1073 Rn. 4. 155 Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 18.
G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren
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nehmung durch das erkennende Gericht sich regelmäßig neutral zu dem Strafverfahren gegen den Beschuldigten verhält156 und in diesem Fall nur die Kosten der Anreise einer Person entstehen. Gleiches gilt für eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht nach Art. 17 EuBewVO. § 1073 Absatz 2 ZPO sieht in Übereinstimmung mit Art. 17 Absatz 3 EuBewVO nur vor, dass die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland durch Mitglieder des Gerichts sowie von diesem beauftragte Sachverständige durchzuführen ist. Soweit sie durch einen Beauftragten oder ein Mitglied des erkennenden Gerichts allein durchgeführt wird, stellt dies einen erheblichen Eingriff in den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit dar. Das Haager Beweisübereinkommen ermöglicht eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht nicht.157 Die Beweisaufnahme kann durch einen diplomatischen oder konsularischen Vertreter oder einen Beauftragten des ersuchenden Staates erfolgen.158 Als beauftragter Richter kann aber gemäß § 375 Absatz 1 a ZPO ein Mitglied des Prozessgerichts entsandt werden. Gemäß Art. 8 HBÜ obliegt es dem ersuchten Staat, die Anwesenheit von Migliedern der ersuchenden gerichtlichen Behörde des ersuchenden Staates bei der Beweisaufnahme durch die ersuchte Behörde zuzulassen. Regelungen über ein Fragerecht anwesender Mitglieder des erkennenden Gerichts enthält das Haager Beweisübereinkommen nicht. Im Interesse des Unmittelbarkeitsgrundsatzes sollte in der Teilnahme auch ein Fragerecht beinhaltet sein.159 Für die Parteien sieht Art. 7 HBÜ ein Recht, im Beweistermin anwesend zu sein, ausdrücklich vor, um Eingriffe in den Unmittelbarkeitsgrundsatz so gering wie möglich zu halten.160 Mit Blick auf wesentliche Grundprinzipien des Zivilprozesses hat das Gericht von der Beweisaufnahme im Ausland somit nur restriktiv Gebrauch zu machen. Durch §§ 363, 364 ZPO werden die Grundsätze der Beweisunmittelbarkeit und Parteiöffentlichkeit durchbrochen.161 Bereits aus § 169 GVG, der den Grundsatz der Öffentlichkeit auf die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse erstreckt, ergibt sich im Wege des Umkehrschlusses, dass die Verhandlung vor dem ersuchten Gericht nicht öffentlich ist.162 156 157 158 159 160 161 162
Dazu sogleich sub § 3 G. X. Zu den Vertragsstaaten vgl. Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 25. Vgl. zu den Voraussetzungen Kapitel II des Haager Beweisübereinkommens. Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 51. Schack, Rn. 730. Vgl. dazu Nagel in: Nagel/Arnaudova, S. 95 (101). Nagel in: Nagel/Arnaudova, S. 95 (101).
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
Es erstaunt daher, dass die Rechtsprechung es bisher unterlassen hat, die Beweisaufnahme im Ausland als subsidiär einzustufen.163 Das Gericht muss sich jedoch im konkreten Fall gehalten sehen, zunächst zu versuchen, eine Beweisaufnahme im Inland vor dem erkennenden Gericht herbeizuführen. Gelingt dies nicht, so müsste das Gericht zumindest jede Anstrengung unternehmen, um seine Teilnahme oder die Teilnahme eines beauftragten Richters als Fragesteller oder Beobachter an der Beweisaufnahme zu erreichen.164 Dem Beweisführer steht als Ausprägung des Rechts auf Gehör das Recht zu, seine Beweise dem Gericht effizient präsentieren zu können.165 Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Inland vor dem erkennenden Gericht wird regelmäßig aber dadurch erschwert, dass die Ausübung unmittelbaren Zwanges gegenüber dem Zeugen oder der Partei – im Falle der Parteivernehmung – unzulässig ist;166 denn die Ausübung der Gerichtsgewalt ist räumlich unstreitig auf das eigene Staatsgebiet beschränkt. Kein Gericht darf auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates tätig werden, soweit dieser nicht zugestimmt hat.167 Für die Partei stellt eine Sanktion aber der – nicht zuletzt aufgrund der ihr obliegenden Pflicht zur Prozessförderung – drohende Prozessverlust dar.168 Dafür, eine Erteilung sicheren Geleits im konkreten Fall wenigstens zu prüfen, spricht auch Folgendes: Vor einer förmlichen Ladung kann das Prozessgericht eine formlose Anfrage an die Beweisperson richten, ob sie bereit ist, im Falle einer Erteilung sicheren Geleits im Beweistermin zu erscheinen. Eine solche formlose Anfrage ist nicht völkerrechtswidrig;169 denn hoheitliches Handeln auf fremdem Staatsgebiet stellt dies nicht dar.170 Eine solche formlose Anfrage kann auch der beweisverpflichteten Partei aufgegeben werden.171 In der Praxis ist dies häufig der Fall.172 Das Gericht kann somit zügig feststellen, ob die Beweisperson erscheinen wird. Anderes gilt für die Ladung des Zeugen. Nicht völkerrechtswidrig ist zwar die formlose Bitte oder Anfrage an die Beweisperson, freiwillig in der mündlichen Verhandlung zu erscheinen.173 Der Regelfall ist aber die Ladung 163
Zöller/Geimer, § 363 Rn. 3 a. Vgl auch FS-Habscheid/Gottwald, S. 119 (125). Zöller/Geimer, § 363 Rn. 3 a. 165 Reinhold Geimer, ZfRV 1992, 321 (410). 166 FS-Habscheid/Gottwald, S. 119 (129). 167 FS-Habscheid/Gottwald, S. 119 (120) mit weiteren Nachw. 168 Vgl. auch Schack, Rn. 714. 169 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 437, 2389; FS-Habscheid/Gottwald, S. 119 (128). 170 Vgl. dazu Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2083. 171 Hartmut Linke, S. 134. 172 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2389 Fußn. 229. 173 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 437, 2389. Zur Frage der Völkerrechtswidrigkeit auch sogleich sub § 3 G. VIII. 164
G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren
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des Zeugen auf dem Rechtshilfeweg.174 Die Bundesrepublik Deutschland hat im Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen175 der Postzustellung widersprochen. Dies betrifft zwar nur die Zustellung ins Inland. In der Praxis macht die Bundesrepublik Deutschland von der Zustellung durch die Post nach außen aber ebenfalls keinen Gebrauch.176 Die förmliche Zustellung ist ein staatlicher Hoheitsakt.177 Angesichts weit reichender Zustellungsregelungen im internationalen Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen besteht auch keine Notwendigkeit, für die Zeugenladung den Rechtshilfeverkehr zu umgehen und auf eine direkte, formlose postalische Ladung zurückzugreifen.178 Die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten stellt es nach seinem Art. 14 Absatz 1 jedem Mitgliedstaat frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Das neu reformierte deutsche Recht sieht hierfür eine Zustellung im Ausland durch die Post per Einschreiben mit Rückschein (§ 183 Absatz 1 Nr. 1 ZPO) vor. Ist eine solche völkerrechtlich nicht zulässig, erfolgt die Zustellung im Ausland auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts durch die Behörden des fremden Staaten oder durch die diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes, die in diesem Staat residiert (§ 183 Absatz 1 Nr. 2 ZPO).179 III. Der Sachvortrag der Parteien als Grundlage der Interessenabwägung Im Strafverfahren sowohl gegen einen abwesenden Beschuldigte als auch gegen einen Dritten gebietet regelmäßig bereits der Untersuchungsgrundsatz bei einer auch nur entfernt bestehenden Möglichkeit, der abwesende Beschuldigte könnte zur Wahrheitsfindung beitragen, eine Erteilung sicheren 174
Hartmut Linke, Rn. 219, 311. BGBl. 1977 II S. 1453. 176 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2084 f. 177 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2075. Geimer weist aber zu Recht darauf hin, dass der sowohl verfassungsrechtlich als auch völkerrechtlich verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör es gebietet, alle Möglichkeiten von Amts wegen auszuschöpfen, um sicherzustellen, dass der Zustellungsempfänger auch tatsächliche Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erlangt (ebd. Rn. 2086 ff.). 178 Zur Zustellung im Internationalen Zivilprozessrecht vgl. Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 414. 179 Es gilt nach wie vor der Grundsatz, dass Zustellungen von Amts wegen und nicht durch Privatpersonen zu veranlassen sind, vgl. Schack, Rn. 614 b. 175
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
Geleits. Im Zivilverfahren ist die Lage aufgrund der Verhandlungsmaxime eine andere: „Grundsätzlich darf das Gericht seiner Entscheidung nur die Tatsachen zugrunde legen, die von den Parteien vorgetragen sind.“ . . . „Sie [Anm.: die am Prozess beteiligte Partei] wirkt vor allem auf die Sammlung des Tatsachenstoffes hin, der Grundlage für die richterliche Entscheidung ist.“180
Die Frage der Notwendigkeit des Erscheinens des abwesenden Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung und der Erteilung sicheren Geleits orientiert sich zunächst daran, was die Parteien im Prozess vorgetragen haben. Die Partei trifft im Zivilprozess die Substantiierungslast.181 Weder soll ohne greifbaren Anlass die Gegenpartei ausgeforscht, noch eine gerichtliche Beweisaufnahme eingeleitet werden.182 Das Substantiierungsrisiko soll missbräuchlicher Einleitung von Prozessen oder Beweisverfahren entgegenwirken.183 Es erscheint aber auch sinnvoll, um nicht gerechtfertigte Eingriffe in die Freiheits- und Persönlichkeitssphäre der Gegenpartei und Dritter, beispielsweise als Zeugen, zu vermeiden.184 Unabhängig davon obliegt die materielle Prozessleitung, deren Inhalt und Grenzen in § 139 ZPO normiert sind, auch im Zivilprozess dem Gericht.185 Dem Richter ist damit keine selbstständige Aufklärungspflicht übertragen. Durch das ZPO-Reformgesetz vom 27. Juli 2001 ist die materielle richterliche Prozessleitung noch intensiviert worden. Der Richter soll stärker in das Geschehen eingreifen. Ziel des Gesetzgebers war es, die Beendigung des Rechtsstreits in der ersten Instanz zu fördern.186 Die einzelnen Beweismittel hat aber die Partei zu bezeichnen. Die amtswegige Beweisaufnahme ist in §§ 142, 143, 144, 448 ZPO abschließend geregelt. Die Beweisaufnahme erfolgt jedoch durch das erkennende Gericht, dem sowohl bezüglich des „Ob“ als auch bezüglich des Umfangs der Beweisaufnahme ein Ermessen – jedoch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben187 – zusteht. Der Richter ist nicht verpflichtet, allen zulässigen Beweisanträgen stattzugeben.188 Das Gericht wirkt eigenverantwortlich an der Sachaufklärung mit, so dass die prozessualen Befugnisse der Parteien nach der Zivil180
BVerfGE 91, 176 (181). Beispielsweise in Ehe- und Kindschaftssachen gilt auch im Zivilprozess die Untersuchungsmaxime. 182 Stürner, S. 107. 183 Stürner, S. 113 ff. 184 Stürner, S. 114. 185 Vgl. dazu Nagel in: Nagel/Arnaudova, S. 95 (97 f.). 186 Vgl. dazu beispielsweise Zöller/Greger, Vor § 128 Rn. 1. 187 Dazu sogleich sub § 3 G. V. 188 Stickelbrock, S. 393 mit zahlreichen Nachw. 181
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prozessordnung nicht unerheblich beschränkt sind.189 Folgt das Gericht dem Beweisantrag der Partei nicht, so kommt auch eine Erteilung sicheren Geleits nicht in Betracht. IV. Der Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz Jedermann hat infolge des dem Selbsthilfeverbots notwendigerweise gegenüberstehenden Justizgewährungsanspruchs als öffentlich-rechtlichem Anspruch gegen den Staat einen Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz.190 Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundrecht aus Art. 2 Absatz 1 GG eine Rechtsschutzgarantie als Teil dieses Justizgewährungsanspruchs entwickelt.191 Dieser Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz verlangt den Gerichten ebenfalls ab, auf die Richtigkeit der Entscheidung zu zielen und den Parteien dabei – der Verhandlungsmaxime geschuldet – volle Mitwirkungs- und Kontrollrechte zu gewähren.192 Der Streitgegenstand ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen und verbindlich zu entscheiden.193 Der Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz umfasst zwingend auch eine Verpflichtung des Gerichts, sich zu Bemühen, das Erscheinen des Beschuldigten als Zeuge herbeizuführen. Erst wenn dieses Bemühen – z. B. durch Antrag auf sicheres Geleit und eine entsprechende Gewährung gegenüber dem Zeugen – scheitert, darf der Zeuge als unerreichbar angesehen werden.194 Kommt es im Zivilverfahren entscheidend auf die Vernehmung oder Anhörung der Partei an, so ist das erkennende Gericht auch in diesem Fall gehalten, durch Antrag auf Erteilung sicheren Geleits zu versuchen, dieser das Erscheinen zu ermöglichen. Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn die Partei gewillt ist, im Falle der Gewährung sicheren Geleits auch tatsächlich im Termin zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen.195 189
Nagel in: Nagel/Arnaudova, S. 95 (97). Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl Rn. 204. 191 BVerfGE 85, 337 (345 f.); 88, 118 (123); 93, 99 (107); 94, 166 (213); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats) NJW 2001, 961; BGHZ 140, 217. Vgl. auch Zöller/ Vollkommer, Einl. Rn. 48, 50. 192 BVerfGE 91, 176 (181). 193 BVerfGE 54, 277 (291); 85, 337 (345); Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl Rn. 210. 194 Vgl. dazu beispielsweise BGH NJW 1993, 1768. und bereits sub. § 3 F. IV. 3. 195 Auch hier wird das Zivilgericht oder der zur Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits berufene Richter zunächst beim Beschuldigten anfragen, ob dieser gewillt ist, im Falle der Erteilung sicheren Geleits zu erscheinen. 190
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
Der Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz verpflichtet aber nicht nur das Zivilgericht, sicheres Geleit beim zuständigen Richter zu beantragen. Der für die Erteilung sicheren Geleits zuständige Richter hat vielmehr im Rahmen seiner Interessenabwägung zu bedenken, dass die Partei angesichts des Selbsthilfeverbots Rechtsschutz nur im Wege der Geltendmachung dieses Anspruchs durch Klage vor dem Zivilgericht erlangen kann. Der Justizgewährungsanspruch, der als öffentlich-rechtlicher Anspruch gegenüber dem Staat wirkt, verlangt damit auch, dem Beschuldigten für das Erscheinen – sei es als Zeuge oder als Partei – im Zivilprozess sicheres Geleit zu gewähren. Etwas anderes kann nur bei Vorliegen eines das Interesse am Erscheinen des Beschuldigten im Termin zur mündlichen Verhandlung deutlich überwiegenden Belanges gelten.196 Auch im Zivilverfahren stellt die Ablehnung einer Beweisaufnahme mit der Begründung, das Gegenteil sei bereits erwiesen, eine verbotene vorweggenommene Würdigung des nicht erhobenen Beweises dar.197 Die Zivilprozessordnung enthält zwar anders als die Strafprozessordnung keine ausdrückliche Regelung über die Voraussetzungen und das Verfahren für die Ablehnung von Beweisanträgen.198 Teil eines effektiven Rechtsschutzes und damit des Justizgewährungsanspruchs ist aber auch ein „Recht auf Beweis“.199 V. Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel Daneben besteht im Zivilprozessrecht eine aus der Wahrheitserforschungspflicht der Gerichte, der Verhandlungsmaxime und dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Justizgewährung herzuleitende allgemeine Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel.200 Eine Entscheidung über eine Ablehnung eines Beweisantrages erfolgt – neben den in der Zivilprozessordnung geregelten Gründen der Offenkundigkeit einer Tatsache (§ 291) und der unterlassenen Beibringung eines Beweismittels (§ 356 ZPO) 196 Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn bei Einreise des Beschuldigten zu befürchten stünde, dass die Aufklärung im Strafverfahren – beispielsweise weil Zeugen eingeschüchtert oder Beweise vernichtet werden könnten – unzumutbar erschwert würde. Bei dem relativ kurzen Zeitraum, für den sicheres Geleit gewährt wird, sind solche Fälle aber nur ganz ausnahmsweise denkbar. Ihnen kann im Übrigen auch durch Erteilung sicheren Geleits unter Bedingungen wie z. B. Anweisungen bezüglich des Aufenthaltsortes begegnet werden. 197 BGH NJW-RR 2002, 1072 (1073) unter Verweisung auf BGHZ 53, 245 (260). Vgl. auch Zöller/Greger, Vor § 284 Rn. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 286 Rn. 35. 198 Zöller/Greger, Vor § 284 Rn. 8 a; Störmer, JuS 1994, 238 (241). 199 Habscheid, ZZP 1996, 306 (308); Störmer, JuS 1994, 238 (240); Stickelbrock, S. 397. Dazu auch bereits sub § 3 F. IV. 3. 200 BGHZ 53, 245 (259 f.); Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 284 Rn. 51.
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– in Anlehnung an § 244 StPO.201 In dem unberechtigten Übergehen eines Beweisantrages liegt immer eine Versagung rechtlichen Gehörs.202 VI. Ablehnung eines Beweismittels Wird der Beschuldigte als Zeuge angeboten, so hat das Gericht zunächst die Notwendigkeit der Beweiserhebung zu prüfen. Nachdem durch das ZPOReformgesetz die Funktion der Berufungsinstanz als zweite Tatsacheninstanz abgeschwächt wurde und diese verstärkt der reinen Rechtskontrolle dient,203 hat die Entscheidung über die Ablehnung eines Beweisantrages mit noch größerer Sorgfalt zu erfolgen Die Zivilprozessordnung enthält – über § 291 ZPO hinaus – keine Regelung für die Ablehnung eines Beweisantrages. Trotz der grundlegend unterschiedlichen Prozessmaximen finden auch hier die in der Strafprozessordnung in § 244 geregelten Prinzipien Anwendung. Der Zivilrichter darf somit auf Anordnung der Vernehmung des Zeugen verzichten, „wenn die unter Beweis gestellte Tatsache unerheblich, bereits erwiesen oder offenkundig ist, wenn das Beweismittel unzulässig, unerreichbar oder völlig ungeeignet ist oder wenn die behauptete Tatsache als wahr unterstellt wird, wobei die Wahrunterstellung nicht zum Nachteil der Gegenpartei verwertet werden darf, wenn diese die Behauptung bestritten hat“.204
Das Zivilgericht darf einen Beweisantrag aber nicht deshalb ablehnen, weil es das Gegenteil der behaupteten Tatsache als erwiesen ansieht.205 Die Wahrunterstellung befreit nur dann von einer Beweiserhebung, wenn das Gericht die behauptete Tatsache nicht nur als wahr unterstellt, sondern sich damit auch nicht in Widerspruch zu sonstigen Annahmen setzt.206 Wird ein abwesender Beschuldigter als Zeuge benannt, so ist für die Frage, ob ein Beweisantrag abgelehnt werden darf, entscheidend, ob der Zeuge allein aufgrund seiner Abwesenheit als unerreichbar angesehen werden darf: „Das Gericht hat die Pflicht zur möglichst vollständigen Aufklärung des Sachverhalts. An die Annahme, ein Zeuge sei unerreichbar oder er wolle sich der Verneh201
Ausführlich dazu Stickelbrock, S. 397 ff. BVerfGE 60, 247 (249); 69, 141 (143 f.); BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats) NJW 1991, 285 (286); NJW-RR 1995, 441. 203 Vgl. dazu Zöller/Gummer/Heßler, Vor § 511 Rn. 1. 204 BGHZ 53, 245 (259 f.) nach § 244 Absatz 3 StPO. Zu den Einzelheiten vgl. auch Stickelbrock, S. 398 f. 205 Dies würde eine verbotene vorweggenommene Würdigung eines nicht erhobenen Beweises darstellen, vgl. BGHZ 53, 245 (260). 206 BGHZ 53, 245 (260). 202
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mung auf Dauer entziehen, sind deswegen strenge Anforderungen zu stellen; sie rechtfertigt sich nur, wenn der Zeuge auf unabsehbare Zeit nicht erreichbar sein wird. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz ist ein schwerer Verfahrensmangel.“207
Ein Zeuge, der sich im Ausland befindet, ist nur dann unerreichbar, wenn nach entsprechenden Bemühungen endgültig anzunehmen ist, er werde vor dem Prozessgericht nicht erscheinen.208 Anhand des konkreten Einzelfalles ist zu beurteilen, welche Nachteile der Partei, die den abwesenden Beschuldigten als Zeugen angeboten hat, entstehen, wenn dieser in der mündlichen Verhandlung nicht erscheint. VII. Der Zeuge als das sachnächste Beweismittel § 355 Absatz 1 ZPO normiert – wie bereits dargestellt – für den Zivilprozess den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit, jedoch nur in seiner formellen Ausprägung.209 Beantragt die Partei die persönliche Einvernahme eines Zeugen, so hat das Gericht dies zu berücksichtigen.210 Den Parteien steht das Recht zu, die unmittelbare Anhörung des Zeugen zu beantragen, auch wenn ersatzweise der Urkundenbeweis möglich wäre.211 Beantragt die Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung eines Zeugen, so ist die Verwertung seiner früheren Aussage im Wege des Urkundenbeweises anstelle der Vernehmung des Zeugen im anhängigen Verfahren unzulässig.212 Häufig wird der Partei der Zeuge auch als einziges Beweismittel zur Verfügung stehen. Wird die Erteilung sicheren Geleits für den Beschuldigten als Zeuge abgelehnt und erscheint dieser infolgedessen nicht, so bleibt der Partei, da gegen den sich im Ausland aufhaltenden Zeugen Zwang nicht ausgeübt werden kann,213 nur die Möglichkeit, mit einem entsprechenden Beweisantrag auf das sachfernere Beweismittel zurückzugreifen. Der Bundesgerichtshof hat 207
OLG Köln MDR 2001, 109 [Leitsatz]. Eine Beibringungsfrist nach § 356 ZPO kann in einem solchen Fall nicht gesetzt werden. § 356 ZPO findet nur dann Anwendung, wenn das Hindernis in der Risiko- und Einflussphäre des Beweisführers liegt. Das Hindernis muss – unabhängig vom Verschulden – behebbar sein. Vgl. Zöller/Greger, § 356 Rn. 2. 209 Dazu bereits § 3 F. III. 1. 210 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 286 Rn. 69. 211 BGHZ 7, 116 (121 f.); Zöller/Greger, § 373 Rn. 9. 212 BGH NJW 2000, 1420 (1421); 1995, 2856 (2857); NJW-RR 1992, 1214 (1215). 213 Nur im Anwendungsbereich von Staatsverträgen kann der Einsatz von Zwangsmitteln durch deutsche Gerichte gegen sich sträubende Personen in Betracht kommen. Nur in einem solchen Fall ist eine Beweisaufnahmen gegen den Willen des Betroffenen möglich. Vgl. Reinhold Geimer, ZfRV 1992, 321 (418). 208
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aber mit Recht dem Zeugenbeweis den klaren Vorzug gegenüber dem Urkundenbeweis über dessen frühere Vernehmung gegeben: „Der persönliche Eindruck des Zeugen, die Anwesenheit der Parteien, das ihnen eingeräumte Fragerecht sowie die Möglichkeit und Zulässigkeit der Gegenüberstellung von Zeugen bieten eine Gewähr für die Ermittlung der Wahrheit, die dem Vortrage in der Niederschrift wiedergegebener Zeugenaussagen, also dem Urkundenbeweise auch dann mangelt, wenn in einem früheren Prozess die Vernehmung in Anwesenheit derselben Parteien über denselben Gegenstand stattgefunden hat.“214
Daran vermag auch der berechtigte Einwand nichts zu ändern, kein anderes Beweismittel sei so anfällig gegen Verfälschung wie der Zeuge. Dessen Aussage unterliege Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Reproduktionsmängeln, sowie der bewussten oder unbewussten Parteilichkeit.215 So mögen zum Teil Urkunden mehr Information über die tatsächlichen Umstände des nunmehr vor Gericht auszutragenden Streites enthalten.216 Gerade Protokolle über eine Vernehmung eines Zeugen, dessen persönliche Einvernahme in der mündlichen Verhandlung erfolgen soll, sind aber nicht geeignet, den Zeugenbeweis an Wert zu übertreffen.217 Die ihnen zugrunde liegende Aussage mag zwar zeitlich näher an dem Ereignis liegen, so dass Erinnerungsmängel weniger gravierend sind. Im Übrigen leiden sie aber an denselben Mängeln wie die ihnen zugrunde liegenden Zeugenaussagen, geben aber dem zur Entscheidung berufenen Richter nicht die Möglichkeit, sich selbst einen Eindruck von dem Zeugen zu verschaffen. Der Tatrichter hat – gegebenenfalls mit Hilfe der Mittel der Vernehmungspsychologie – die Richtigkeit der Zeugenaussage zu beurteilen.218 Dies kann er aber regelmäßig nur dann, wenn er einen unmittelbaren Eindruck hat, den er im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu berücksichtigen vermag.219 Der Urkundenbeweis ist demgegenüber weder geeignet, Beweis über die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aussage zu erbringen,220 noch lässt er eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu.221 Eine Be214
BGHZ 7, 116 (122) unter Verweisung auf RGZ 46, 412; 105, 221. Zöller/Greger, § 373 Rn. 10; Knippel, MDR 1980, 112; Stein/Jonas/Berger, 21. Aufl., Vor § 373 Rn. 21. 216 So Knippel, MDR 1980, 112. 217 Zöller/Greger, § 373 Rn. 9; Hartung, VersR 1982, 141 (142). 218 Zöller/Greger, § 373 Rn. 10. 219 Zöller/Greger, § 355 Rn. 1. Das Aussageverhalten ist ein maßgebliches Kriterium, Musielak/Foerste, § 286 Rn. 12. 220 Hartung, VersR 1982, 141 (142): Das Protokoll sagt nur aus, dass der Aussagende eben jene Aussage gemacht hat. Für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit finden sich allenfalls Anhaltspunkte. 221 BGH NJW 2000, 1420 (1421). 215
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urteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist nur dann möglich, wenn sie auf der Wahrnehmung der an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder die für die Würdigung maßgeblichen Umstände in den Akten festgehalten worden sind. Im Übrigen ist den Parteien Gelegenheit zu geben, zu der Aussage des Zeugen Stellung zu nehmen. Die Partei selbst bzw. deren Prozessbevollmächtigte müssen die Möglichkeit erhalten, Fragen an den Zeugen zu richten. Anders kann den Grundsätzen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht Rechnung getragen werden.222 Je größer die Bedeutung der Aussage des betreffenden Zeugen für den Ausgang des Rechtsstreits ist, desto höhere Anforderungen sind an die Einhaltung dieser Prinzipien zu stellen.223 VIII. Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, die Vernehmung eines Zeugen, der sich im Ausland aufhält, sei erforderlich, so hat es zu entscheiden, wie die Beweisaufnahme durchzuführen ist. Befindet sich ein Zeuge im Ausland, so ist das Gericht stets mit der Frage konfrontiert, wie eine Beweisaufnahme durchzuführen ist, ohne die Hoheitsrechte eines anderen Staates zu verletzen. Tatsächlich ist höchst umstritten, inwieweit grenzüberschreitende Maßnahmen zur Beweisbeschaffung zulässig sind. Insbesondere gehen die Meinungen hinsichtlich der Reichweite zulässiger Maßnahmen gegenüber Dritten weit auseinander. Die Gewährung sicheren Geleits zielt immer auf ein freiwilliges Erscheinen des abwesenden – und damit für die Gerichtsgewalt mit Zwangmitteln nicht erreichbaren – Beschuldigten. Mit Blick auf den Begriff der „Abwesenheit“ soll daher kurz auf die wesentlichen Meinungen eingegangen werden. Leipold weist darauf hin, dass insbesondere das Europäische Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen ein Ersuchen an den Aufenthaltsstaat um Zustellung der Vorladung des Zeugen oder Sachverständigen, dessen persönliches Erscheinen vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates für erforderlich gehalten wird, ausdrücklich verlangt. Schon Art. 10 EuRhÜbk mache somit deutlich, wie sehr bereits die über die Grenzen hinauswirkende Sollensanordnung als völkerrechtlich bedenklich angesehen werde. Das Europäische Rechtshilfeübereinkommen verlange im Übrigen, dass dem Zeugen oder Sachverständigen eine Entschädigung zu gewähren ist, sowie Reise- und Aufenthaltskosten zu erstatten sind. Darüber hinaus genieße der Zeuge oder Sachverständige, der der Ladung im Wege 222 223
BGHZ 53, 245 (257); BGH NJW 1995, 2856 (2857); NJW 2000, 1420 (1421). BGH NJW 2000, 1420 (1421).
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der internationalen Rechtshilfe folge, sicheres Geleit. Hieraus lasse sich der Schluss ziehen, dass ohne diese völkervertraglichen Regeln der Empfangsstaat kraft seiner Gebeitshoheit einer solchen Ladung – auch wenn diese keine Sanktionsdrohung enthalte – widersprechen dürfe. Soweit es um extraterritorial wirkende Aufforderungen an Zeugen oder Sachverständige gehe, vor dem erkennenden Gericht im Gerichtsstaat zu erscheinen, ergebe sich aus der lex-fori-Regel keine Einschränkung des Souveränitätsanspruchs, so dass der Aufenthaltsstaat die Zustellung solcher Ladungen wegen Verletzung seiner Gebietshoheit ablehnen könne und den Gerichtsstaat auf die Möglichkeit der Beweisaufnahme im Wege der Rechtshilfe verweisen könne.224 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Durchführung von Prozessen nach der jeweiligen lex fori wechselseitige international Anerkennung genießt. Wird die Durchführung von Prozessen nach der lex fori des jeweiligen Gerichtsstaates aber durch die anderen Staaten respektiert, so gibt es keinen Grund, diese nicht auch gegenüber Dritten anzuwenden.225 Anders ließe sich der lex fori-Grundsatz nicht verwirklichen. Mössle nimmt eine von der internationalen Zuständigkeit zu unterscheidende internationale Beweiszuständigkeit an.226 Ein Zeuge könne nach Völkerrecht immer dann zur Aussage verpflichtet werden, wenn er als Person hinreichende Kontakte mit dem Forumstaat aufweist, welche die Ausübung von Hoheitsgewalt („personal jurisdiction“) durch inländische Gerichte oder Behörden als sachgemäß erscheinen lasse. Mit Bestehen der Hoheitsgewalt über die Person sei hier immer auch automatisch die Beweiszuständigkeit gegeben.227 Der Versuch, eine eigene internationale Beweiszuständigkeit zu begründen, ist wenig überzeugend und kann sicher nicht allgemeine Anwendung auf den Zivilprozess finden. Es ist völkerrechtlich anerkannt, dass Staaten Prozesse auch gegenüber Ausländern durchführen können. Darin muss auch das Recht eingeschlossen sein, von allen Verfahrensbeteiligten das zu verlangen, was von inländischen Beteiligten aufgrund der lex fori in einer vergleichbaren Situation verlangt wird.228 Wie ein Gericht einen Prozess ohne Möglichkeit einer Beweisaufnahme durchführen soll und wo die Grenze zwischen Zulässigem und Unzulässigem verläuft, bleibt ungeklärt.229 Schlosser geht zwar grundsätzlich davon aus, dass gegenüber einem Dritten Gerichtsbarkeit in Anspruch genommen werden könne, wenn beispiels224 225 226 227 228 229
Leipold, S. 61 ff. So auch FS-Lorenz/Schlosser, S. 497 (508). Mössle, S. 200. Mössle, S. 341. So auch FS-Lorenz/Schlosser, S. 497 (510). Vgl. auch die Beispiele bei FS-Lorenz/Schlosser, S. 497 (510).
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weise sein Wissen als Zeuge für den Inlandsprozess von Bedeutung sei. Allein die Tatsache, dass die Information für einen legitimerweise im Inland laufenden Prozess benötigt werde, reiche hierfür jedoch nicht aus.230 Am überzeugendsten erscheint es, mit Geimer und Schack nach Staatsangehörigkeit und Aufenthalt zu unterscheiden. Handelt es sich bei dem Zeugen um einen deutschen Staatsangehörigen, so ist dieser auch bei einem Aufenthalt im Ausland kraft Personalhoheit weiterhin der deutschen Gerichtsgewalt unterworfen.231 Fremde Staatsangehörige unterliegen der deutschen Gerichtsgewalt nur dann – kraft Gebietshoheit –, wenn sie sich im Inland aufhalten. Bei Aufenthalt im Ausland unterliegen ausländische Zeugen weder der inländischen Gerichtsgewalt noch der Zeugnispflicht. Das Gericht kann also nur versuchen, den im Ausland lebenden ausländischen Zeugen zu veranlassen, freiwillig vor Gericht zu erscheinen.232 Eine Androhung von Zwang würde in diesem Fall eine Verletzung der Gebietshoheit und damit der Souveränität des Aufenthaltsstaates darstellen.233 Anders liegt dies, wenn sich eine ausländische Partei im Ausland aufhält. Die klagende Partei bzw. der Antragsteller weist schon aus dem Grunde, dass er sich an das deutsche Gericht gewandt hat, eine ausreichende Beziehung zum Gerichtsstaat – sog. minimum contact – auf, die ihn zu prozessualer Mitwirkung verpflichtet, so dass von ihm auch ein Erscheinen vor Gericht verlangt werden kann.234 Für den Beklagten gilt dies jedenfalls bei Vorliegen einer internationalen Zuständigkeit gleichermaßen.235 Es besteht im Ergebnis weitgehend Einigkeit, dass bei Anordnungen gegenüber einer sich im Ausland aufhaltenden Partei die Grenzen völkerrechtlicher Unzulässigkeit angeordneter Maßnahmen selten erreicht sein werden bzw. grenzüberschreitende Aufforderungen in erheblichem Ausmaß hinzunehmen sind.236 230
FS-Lorenz/Schlosser, S. 497 (511); Daoudi, S. 89. Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 426 f., der aber zutreffend den Handlungsspielraum eines Staates gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen durch das Übermaßverbot – auch als völkerrechtlich verbürgtes Menschenrecht – eingeschränkt sieht (ebd. Rn. 428); Ewald Geimer, Internationale Beweisaufnahme, S. 38 ff.; Schack, Rn. 715; Daoudi, S. 90. 232 Schack, Rn. 716. 233 Daoudi, S. 91; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 430. 234 Das OLG München hat festgestellt, dass das persönliche Erscheinen eines im Ausland lebenden Ausländers zwar angeordnet, aber nicht gemäß § 141 Absatz 3, § 380 Absatz 1 ZPO erzwungen werden könne, da die Zwangsbefugnisse deutscher Gerichte an den Grenzen der Bundesrepublik endeten (NJW-RR 1996, 59 [60]). 235 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 429 ff. 236 Daoudi, S. 81; Leipold, S. 64; Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2381; FS-Lorenz/ Schlosser, S. 497 (510). 231
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Auch die theoretische Möglichkeit, Zwangsmittel gegen Beteiligte im Ausland zu ergreifen, wäre auf den Abwesenden ohne Einfluss; denn er befindet sich außerhalb des Bereiches richterlicher Zwangsgewalt. Die vorstehenden Ausführungen sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch derjenige Staat eine unerlaubte Handlung begeht, der in fremdem Territorium seine Ziele ohne Zwangsmittel zu erreichen sucht.237 Entscheidend ist dies für die Frage der Ladung des im Ausland befindlichen Zeugen; denn Hoheitsakte eines Staates dürfen auf fremdem Staatsgebiet nicht durchgesetzt, das heißt vollstreckt werden. Keine Verletzung der Souveränität des ausländischen Aufenthaltsstaates des Empfängers stellt die Übermittlung einer Ladung durch schlichten Postweg dar, da in diesem Fall der deutsche Hoheitsakt in der Bundesrepublik Deutschland vollzogen wird.238 Für die Zustellung von Hoheitsakten ist jedoch die Zustimmung des Staates, auf dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll, erforderlich.239 Ein Staat kann die Ausübung von Hoheitsrechten durch einen anderen Staat in seinem territorialen Herrschaftsbereich zulassen, entweder im Wege einer Einräumung von vertraglichen Rechten oder durch stillschweigende Duldung.240 Diese völkerrechtlichen Grenzen hat der Gesetzgeber bei Neufassung des § 183 ZPO berücksichtigt. Eine Vielzahl von Rechtshilfeabkommen vereinfacht aber mittlerweile ohnehin den internationalen Rechtshilfeverkehr. IX. Anspruch der Partei auf persönliche Anwesenheit vor Gericht? Gottwald nennt als Rechtsgrundlage für eine Erteilung sicheren Geleits auch Art. 6 Absatz 1 EMRK.241 Ein Recht auf Anwesenheit ist in Art. 6 Absatz 1 EMRK nicht ausdrücklich geregelt. Ein solches lässt sich aber mitunter aus dem in Art. 6 Absatz 1 EMRK verankerten Grundsatz auf ein faires Verfahren herleiten; denn der Grundsatz der Waffengleichheit ist zentraler Bestandteil des Fairnessgebots und stellt gleichzeitig eine besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes dar.242 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfordert der Grundsatz der Waffengleichheit, dass jeder Partei eine vernünftige Möglichkeit eingeräumt wird, ihren Fall vor Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die für diese Partei keinen substanziellen Nachteil im Verhältnis zu seinem Prozessgegner 237 238 239 240 241 242
Schweitzer/Weber, Rn. 842. Zöller/Geimer, § 183 Rn. 4. Schweitzer/Weber, Rn. 842. Doehring, Rn. 88 ff. Nagel/Gottwald, IZPR, § 4 Rn. 11. Grabenwarter, S. 310.
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bedeuten.243 Dies kann mitunter auch die Anwesenheit der Partei bedingen. Einen weiter reichenden Anspruch der Partei auf persönliche Anwesenheit vor Gericht bedingt der in Art. 6 Absatz 1 EMRK normierte Grundsatz auf effektiven Zugang zu den Gerichten jedoch nicht:244 Weitgehend ist ungeklärt, inwieweit die Garantie eines Zugangs zu den Gerichten ein Recht auf persönliches Auftreten vor Gericht beinhaltet. Im konkreten Fall mag ein faires Verfahren ohne unmittelbare Anwesenheit der Partei überhaupt nicht möglich sein. Uneingeschränkt gilt dies für Verfahren vor Strafgerichten, die aber auch nach der deutschen Strafprozessordnung nur in wenigen, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbaren Fällen ohne den Angeklagten möglich sind.245 Diese Grundsätze finden aber auch in Zivilverfahren Anwendung. So mag es z. B. Fälle geben, in denen der persönliche Eindruck einer Partei von entscheidender Bedeutung für die Entscheidungsfindung des erkennenden Gerichtes ist.246 Ein Anspruch auf Gewährung sicheren Geleits nach § 295 StPO ließe sich auch dann nicht begründen, wenn man der Partei einen Anspruch auf persönliche Anwesenheit vor Gericht zubilligen würde. Ein allgemeines Recht auf Einreise in einen fremden Staat kennt das Völkergewohnheitsrecht nicht.247 Ein Recht zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und zur Beratung mit einem inländischen Anwalt wird zum Teil bejaht.248 Aus dem Recht auf persönliches Erscheinen vor Gericht leitet sich – soweit ein solches bejaht wird – zunächst nur ein Anspruch der Partei auf Einreise ab,249 nicht auf eine Gewährung sicheren Geleits.250 Bei der Ermessensausübung im Rahmen einer Gewährung sicheren Geleits ist ein solches Recht auf persönliches Erscheinen vor Gericht jedenfalls des Beklagten, aber gemessen an den Erfordernissen des Einzelfalles auch für die Klägerpartei, zu berücksichtigen. Der Beklagte ist bei Vorliegen eines 243
NJW 1995, 1413 (Dombo Beheer B. V./Niederlande). Vgl. dazu Reid, S. 63 ff.; vgl. auch Jacobs/White, 3. Aufl., S. 159. 245 Das Anwesenheitsrecht ist auch für die Hauptverhandlung keine absolute Garantie. Eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten kann im Interesse der öffentlichen Strafverfolgung dann zulässig sein, wenn die Beseitigung von Beweismitteln droht oder der Angeklagte über einen längeren Zeitaum seine Abwesenheit selbst verschuldet. Vgl. Peters, S. 128. 246 Peters, S. 128; so auch noch Jacobs/White, 2. Aufl., S. 126. 247 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2010 mit weiteren Nachw. 248 Nagel/Gottwald, IZPR, § 1 Rn. 29; § 4 Rn. 10 [S. 240]) sieht dies als Teil des Rechts der ausländischen Partei auf Justiz und Zugang zu den Gerichten an, das nicht zuletzt auf Art. 103 Absatz 1 GG gründet. 249 Reinhold Geimer in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 213 (223). 250 Nagel/Gottwald, IZPR, § 4 Rn. 10 f. 244
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Anknüpfungspunktes für eine internationale Zuständigkeit Deutschlands im Inland gerichtspflichtig.251 Droht ihm wegen einer Straftat die Untersuchungshaft, so ist es ihm faktisch verwehrt, persönlich an dem Prozess teilzunehmen. Ein solches Ergebnis erscheint zumindest fragwürdig.252 Art. 7 HBÜ eröffnet den Parteien und ihren Vertretern die Möglichkeit der Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung. Geimer leitet hieraus zutreffend einen Anspruch auf Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ab, da das Teilnahmerecht sonst leer liefe.253 Ein Anspruch auf Gewährung sicheren Geleits lässt sich hieraus aber auch für den Beklagten nicht herleiten; denn das Recht auf Gehör nach § 103 Absatz 1 GG hat für den Zivilprozess keine dahingehende Konkretisierung erfahren, dass die persönliche Anwesenheit der Parteien in der mündlichen Verhandlung zwingend vorgeschrieben wäre. X. Das Erscheinen des Zeugen in der mündlichen Verhandlung ist ohne Einfluss auf den Verlauf des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten Bereits bei Betrachtung des sicheren Geleits für das gegen den Beschuldigten selbst gerichtete Verfahren hat sich gezeigt, dass im Falle eines abwesenden Beschuldigten durch die Erteilung sicheren Geleits dem dort im öffentlichen Interesse vorherrschenden Streben nach der materiellen Wahrheit am Besten Rechnung getragen werden kann.254 Die Erteilung sicheren Geleits für ein Zivilverfahren erweist sich demgegenüber für das Strafverfahren gegen den Beschuldigten selbst als vollkommen neutrales Ereignis. Weder die Erteilung sicheren Geleits für den Beschuldigten zum Erscheinen im Zivilprozess noch die Versagung sicheren Geleits tragen zur Aufklärung in dem gegen diesen gerichteten Strafverfahren bei. Sehr wohl kann aber das Erscheinen des Beschuldigten als Beteiligter im Zivilprozess dazu genutzt werden, diesen im Strafverfahren mündlich anzuhören oder zu vernehmen. Der Gefahr, der Beschuldigte nutze sein Erscheinen im Bereich der richterlichen Gewalt für Verdunkelungshandlungen, kann durch geeignete Auflagen begegnet werden.255 251
Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 1193. Grundlegend Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2011. 253 Reinhold Geimer, IZPR, Rn. 2511. 254 Dazu bereits sub § 1 G. 255 Vgl. hierzu z. B. Beschluss des LG Mannheim vom 24. Februar 2004, Az. 24 KLs 628 Js 33559/00, zum Zwecke des Erscheinens eines Beschuldigten vor einem Untersuchungsausschuss. Das LG Mannheim hat hier den Bereich, in dem sich der Beschuldigte aufhalten darf, einschließlich des Anreiseweges, eng begrenzt. 252
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
XI. Das Vieraugengespräch als Sonderfall In der Regel muss die Partei vor Gericht nicht selbst erscheinen.256 Dies findet Berücksichtigung auch bei der Ermessensausübung durch das für die Erteilung sicheren Geleits zuständige Gericht. Die Parteivernehmung ist nach §§ 445, 448 ZPO subsidiär, das heißt andere Beweismittel müssen erschöpft sein, ohne dass der Beweis vollständig geführt ist, oder vollständig fehlen. Diese Subsidiarität bleibt auch in Fällen mit internationalem Bezug erhalten.257 Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen über die Parteivernehmung.258 Nur ausnahmsweise besteht eine Pflicht zur Parteivernehmung.259 Verfügt die Partei – wie regelmäßig im Falle eines Vieraugengesprächs – über kein anderes Beweismittel, so steht der Subsidiarität der Parteivernehmung die in Art. 6 Absatz 1 EMRK normierte Garantie eines fairen Verfahrens – als Mindeststandard – entgegen.260 Soll Beweis über den Inhalt eines behaupteten Vieraugengesprächs geführt werden, so kann es geboten sein, die Partei nach § 141 ZPO oder § 448 ZPO zum Inhalt eines solchen Gesprächs zu vernehmen.261 Weitgehend wird es (sogar) geboten sein, das persönliche Erscheinen der Partei oder eine Parteivernehmung anzuordnen, wenn bei einem Gespräch allein die Partei und ein von der Gegenseite angebotener Zeuge anwesend waren. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: „In der hier gegebenen Konstellation des Vier-Augen-Gesprächs konnte die Bf. den Gegenbeweis auch nur im Wege der Parteianhörung bzw. -vernehmung durch Bekundungen führen, die geeignet waren, die Aussage des Zeugen der Bekl. des Ausgangsverfahrens zu erschüttern. Die Verfahrensweise des LG begünstigte daher einseitig die Bekl., die mit ihrem Angestellten über einen Zeugen verfügte. Um dies zu vermeiden hätte das LG, nachdem es den Angestellten der bekl. GmbH zum umstrittenen Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs erneut als Zeugen vernommen hatte, auch der Bf. die Möglichkeit einräumen müssen, den Gegenbeweis zu führen. Insbesondere hätte ihr die Gelegenheit gegeben werden müssen, auf die Aussagen des Zeugen in dessen neuerlicher Vernehmung (§ 398 I ZPO) reagieren zu können, da das LG von der Beweiswürdigung der Vorinstanz abweichen wollte, die sich auf die protokollierte Anhörung der Bf. stützte.“262 256
Dazu bereits sub. § 3 F. III. 3. Nagel/Gottwald, IZPR, § 9 Rn. 102. 258 BGH NJW-RR 1994, 1143 (1144); NJW 1999, 363 (364). 259 Vgl. dazu Stickelbrock, S. 590. 260 Stickelbrock, S. 590; Hartmut Linke, Rn. 321; Roth, ZEuP 1996, 490; Schöpflin NJW 1996, 2134; Schlosser, NJW 1995, 1404 (1405). 261 BVerfG (4. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2001, 2531; BGH NJW 1999, 363 (364); EGMR, NJW 1995, 1413 (1414). 262 BVerfG (4. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2001, 2531 (2531 f.); vgl. auch BGH NJW 1999, 363 (364); OLG Saarbrücken OLG-Report 2000, 296; OLG Zwei257
G. Die Abwägung bei sicherem Geleit für ein Zivilverfahren
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Das Bundesverfassungsgericht hat damit den Beweiswert der Parteivernehmung gestärkt. Es hat deutlich gemacht, dass das erkennende Gericht im Falle eines Vieraugengesprächs den geringeren Beweiswert der Aussagen der Partei im Zivilprozess zwar bei der Beweiswürdigung berücksichtigen kann, jedoch einen der Parteivernehmung als Beweismittel innewohnenden Beweiswert – insbesondere dann, wenn der Beweis für das Vorbringen der Partei nicht auf anderem Wege geführt werden kann – nicht von vornherein als ausgeschlossenen ansehen kann.263 Regelmäßig ist dann zumindest eine Anhörung der Partei gemäß § 141 ZPO sogar geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat dem folgende Erwägungen zugrunde gelegt: „Art. 103 I GG gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um den in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernissen eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. Insbesondere müssen die Beteiligten einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten.“ . . . „Auch gehört es zu den für einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unerlässlichen Verfahrensregeln, dass das Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht.“ . . . „Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage. Um sie zu gewährleisten, bedarf es eines Mindestmaßes an rechtlichem Gehör.“264
Für die Interessenabwägung im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits bedeutet dies, dass, wenn Beweis über den Inhalt eines Vieraugengesprächs zu führen ist, der Partei – wie einem Zeugen – sicheres Geleit, um ihr das Erscheinen in der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen, nur in seltenen Fällen wird verweigert werden können. Im Übrigen bedarf die Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach dem Verständnis des Art. 103 Absatz 1 GG nur selten des persönlichen Erscheinens der Partei und damit einer Erteilung sicheren Geleits. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen dem rechtlich Notwendigen und der im Einzelfall der Wahrheitsfindung auch im Zivilprozess tatsächlich mehr dienenden persönlichen Anwesenheit der Partei. Auch wenn das Strafverfolgungsinteresse tatsächlich regelmäßig nicht beeinträchtigt ist, bedarf es dennoch eines Belangs von gewissem Gewicht, um von dem Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen als der üblichen Vorgehensweise nach den Regelungen insbesondere der Strafprozessordnung abzuweichen. brücken NJW 1998, 167 (168); Musielak/Huber, § 448 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold, § 448 Rn. 2, 4; Kritisch Schlosser, NJW 1995, 1404 (1405 f.); Zöller/Greger, § 448 Rn. 2 a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 448 Rn. 7. Eine Anwendbarkeit des Urteils des EGMR vom 27. Oktober 1993 auf deutsches Zivilprozessrecht hat Wittschier (DRiZ 1997, 247 [249 f.]) verneint. 263 BVerfG a. a. O. 2532. 264 BVerfG (4. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2001, 2531.
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
XII. Erscheinen des Beschuldigten zum Zwecke der gütlichen Streitbeilegung Gemäß § 278 Absatz 3 Satz 1 ZPO soll das Gericht das persönliche Erscheinen der Parteien für die Güteverhandlung anordnen. Regelmäßig geht nunmehr der mündlichen Verhandlung eine Güteverhandlung voraus. Für diese Güteverhandlung wird kaum eine Erteilung sicheren Geleits in Betracht kommen. Auch bei Anordnung des persönlichen Erscheinens kann die Partei einen Vertreter entsenden, jedoch nur dann, wenn dieser zur Abgabe sämtlicher prozessual gebotener Erklärungen und zum unbedingten Vergleichsabschluss bevollmächtigt ist.265 Die gütliche Streitbeilegung bedarf weder im Gütetermin noch sonst im Laufe des Zivilprozesses266 des persönlichen Erscheinens des Beschuldigten als Partei. Aus diesem Grunde kommt im Regelfall eine Erteilung sicheren Geleits nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung nicht in Betracht.
H. Videovernehmung statt Erteilung sicheren Geleits? Im Zivilprozess sind nunmehr gemäß § 128 a Absätze 1 und 2 ZPO die Videoverhandlung und die Zeugenvernehmung im Wege der Videosimultanübertragung gestattet.267 Diese Lockerung des Erfordernisses der körperlichen Anwesenheit der am Prozess Beteiligten ist aber nur bei Einverständnis und entsprechendem Antrag der Parteien möglich.268 Die Videoverhandlung steht nicht wie im Falle des § 247 a StPO allein im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Auch hierin zeigt sich der Unterschied zwischen Verhandlungsmaxime und Untersuchungsgrundsatz. Die Videoverhandlung nach § 128 a Absatz 1 ZPO kann die Erteilung sicheren Geleits für die Partei nicht ersetzen.269 In Fällen mit Auslandsbezug 265 OLG München NJW-RR 1992, 827; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 141 Rn. 49 f.; Die Prozessvollmacht erfasst gemäß § 81 ZPO auch das Recht zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich. 266 Gemäß § 278 Absatz 1 ZPO soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. 267 Die Beweisaufnahme per Videoübertragung wurde auch vor Aufnahme des § 128 a Absatz 2 Satz 1 ZPO als zulässig betrachtet, vgl. Zöller/Greger, Vor § 284 Rn. 14; § 128 a Rn. 1. Eine Verpflichtung des Gerichts, für eine entsprechende Ausrüstung zu sorgen, besteht aber nicht, vgl. BT-Drucks. 14/6036, S. 120. 268 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 128 a Rn. 4 f.; Schaumburg, ZRP 2002, 313. Auch hier muss man davon ausgehen, dass der Beweisantrag auf Zeugenvernehmung als Weniger die Vernehmung im Wege der Videosimultanübertragung enthält. Dazu bereits sub § 1 I. V. 269 Auch hier wird mangels praktischer Relevanz der Fall vernachlässigt, dass sich der Beschuldigte an einem unbekannten Ort im Inland aufhält.
H. Videovernehmung statt Erteilung sicheren Geleits?
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kann sie ohne Zustimmung des Drittstaats keine Anwendung finden; denn dies stellte eine Ausübung deutscher Gerichtsbarkeit also hoheitlichen Handelns auf ausländischem Territorium dar.270 Soll ein sich im Ausland befindender Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei im Wege der Videosimultanübertragung vernommen werden, so sind hierbei die Regelungen der internationalen Rechtshilfe zu beachten.271 Auch im Zivilprozess kann die Videosimultanübertragung einer Vernehmung des Zeugen, des Sachverständigen oder der Partei deren Vernehmung bei persönlicher Anwesenheit im Gerichtssaal nicht ersetzen. Im Einverständnis mit den Parteien ist sie zwar ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen in das gerichtliche Ermessen gestellt. Sie kann aber auch im Zivilprozess nicht an die Stelle sicheren Geleits treten. Der wesentliche Unterschied zwischen der Verhandlungsmaxime des Zivilprozesses und der Aufklärungspflicht im Strafverfahren liegt in dem Erfordernis eines entsprechenden Beweisantrages, ohne den im Zivilprozess ein Beweis nicht erhoben wird.272 Die in § 286 ZPO normierte Freiheit der Beweiswürdigung beinhaltet keine Freiheit der Beweiserhebung. Ein angebotener Beweis ist zu erheben, sofern er zur Beweisführung zulässig und geeignet ist und von der beweisbelasteten Partei oder gegenbeweislich angeboten wurde.273 Wenngleich auch im Zivilprozess der Antrag auf Vernehmung der Beweisperson als Weniger die Vernehmung im Wege der Videosimultanübertragung enthält, so wird hierdurch nur die Feststellung der Unerreichbarkeit der Beweisperson erschwert. Vorrangig ist – soweit dies, wenn auch im Wege der Erteilung sicheren Geleits, möglich ist – Beweis durch Vernehmung der Beweisperson bei persönlicher Anwesenheit zu erheben. Auch im Zivilprozess gilt der Unmittelbarkeitsgrundsatz.274 Das Gericht hat daher in seine Ermessensentscheidung die Überlegung einfließen zu lassen, ob die Qualität der Beweisergebnisse durch die Zulassung einer Videoverhandlung und die darin liegende Verringerung der Unmittelbarkeit leidet.275 Mit zunehmender Weiterentwicklung der Internationalen Rechtshilfe ist aber zu erwarten, dass gerade im Zivilprozess bei Einverständnis beider Par270
Vgl. dazu Schaumburg, ZRP 2002, 313 (315). Vgl. hierzu § 363 Absatz 1 ZPO. 272 Die Anordnung der Parteivernehmung ist zwar gemäß § 448 ZPO auch von Amts wegen möglich, stellt aber einen Ausnahmefall dar und bedarf eines entsprechenden Tatsachenvortrages. 273 Zöller/Greger, § 286 Rn. 12; Musielak/Foerste, § 284 Rn. 14. 274 Ausführlich dazu Zöller/Greger, § 128 Rn. 1; Musielak/Stadler, § 128 Rn. 1, 5 ff. 275 MüKo-ZPO-Reform/Peters, § 128 a Rn. 8. Böhm in: Nagel/Arnaudova, S. 131 (134). 271
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§ 3 Das sichere Geleit im Zivilprozess
teien die Vernehmung einer Beweisperson im Wege der Videosimultanübertragung die Erteilung sicheren Geleits verdrängen wird. Die darin liegende Durchbrechung der Beweisunmittelbarkeit wird im Zivilprozess im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit und Vereinfachung hingenommen werden.276 Der Gesetzgeber selbst hat in § 375 Absatz 1 Nr. 3 ZPO eine Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter an die zusätzliche Voraussetzung geknüpft, dass eine Zeugenvernehmung nach § 128 a Absatz 2 ZPO nicht stattfindet, und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Gerichte jedenfalls ein Höchstmaß an Unmittelbarkeit aufrecht zu erhalten haben.277
276
Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 128 a Rn. 2; Zöller/Greger, § 363 Rn. 3 a. 277 Böhm (in: Nagel/Arnaudova, S. 131 [136]) sieht in der Vernehmung per Videokonferenz keine Durchbrechung der Unmittelbarkeit des Zeugenbeweises.
§ 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss Wenngleich Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und dem staatlichen Strafverfahren gemeinsam ist, dass sie beide nach der Aufklärung des wahren Sachverhaltes streben,1 ist doch die Zielrichtung eine andere. Während im Strafverfahren die Aufklärung des Sachverhaltes Teil des staatlichen Strafanspruchs ist, ist der Untersuchungsausschuss ein „spezifisches Instrument parlamentarischer Kontrolle“.2 Der Untersuchungsausschuss dient der Verwirklichung und Durchsetzung des Grundsatzes der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung.3 Die Verhängung von Sanktionen rechtlicher Natur – also primär von „Strafen“ im Sinne des Strafgesetzbuchs – bleibt weiterhin den Gerichten vorbehalten. Mittel der parlamentarischen Kontrolle ist die drohende politische Sanktion.4 Die Tätigkeit der Strafgerichtsbarkeit bleibt von den Feststellungen und Beschlüssen des Untersuchungsausschusses unberührt.5 Rechtsprechung6 und Literatur7 haben die Möglichkeit der Erteilung sicheren Geleits vor dem Untersuchungsausschuss unter Heranziehung des § 295 StPO bejaht. Während die für Untersuchungsausschüsse vor den Länderparlamenten geltenden Regelungen die Regelungen der Strafprozessordnung für anwendbar erklären und somit bereits aus diesem Grunde § 295 StPO Anwendung findet, erklärt das Gesetz zur Regelung des Rechts der 1 Vgl. hierzu z. B. Art. 2 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags. 2 Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 8. Ausführlich hierzu Maunz/Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 1 ff. 3 Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 8; BVerfGE 49, 70 (85). 4 Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 9. Zum Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss als politisches Verfahren vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein/Brockmeyer, Art. 44 Rn. 1. Zur Außenwirkung von Beschlüssen ebd. Rn. 11. Zur Rolle des Untersuchungsausschusses als „schärfste Form der parlamentarischen Kontrolle“, vgl. Vetter, S. 112 ff. 5 Vgl. dazu Art. 44 Absatz 4 GG: „Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse sind der richterlichen Erörterung entzogen. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung zugrunde liegenden Sachverhalts sind die Gerichte frei.“ 6 Ermittlungsrichter beim BGH, Beschluss v. 6. Mai 1983 – 2 BGs 181/83; zustimmend BGH, NJW 1991, 2500 [2501]; LG Mannheim, Beschluss v. 24. Februar 2004, Az. 24 KLs 628 Js 33559/00 (für Länderparlamente). 7 Allgemein dazu Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, Rn. 1, 24.
238 § 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss
Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages einzelne Regelungen der Strafprozessordnung ausdrücklich für anwendbar und schließt andere ausdrücklich aus. Einzelne Regelungen der Strafprozessordnung müssen deshalb für ausdrücklich anwendbar erklärt werden, weil sie sonst aufgrund abweichender Begriffsbestimmung im Untersuchungsausschussgesetz des Bundestages keine Anwendung finden könnten.8 So ist auch der von der Untersuchung unmittelbar Betroffene, der in einem parallel laufenden Strafverfahren Beschuldigter wäre,9 vor dem Untersuchungsausschuss nur Zeuge.10 Umgekehrt sind die Regelungen der Strafprozessordnung auszuschließen, soweit sie aufgrund des Unterschiedes zwischen einem Untersuchungsverfahren und einem Strafverfahren keine Anwendung finden sollen.11 Bereits aus Art. 44 Absatz 2 Satz 1 GG ergibt sich, dass die Regeln der Strafprozessordnung auch auf Beweisaufnahmen im Verfahren vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages Anwendung finden.12 Wenngleich somit die Grundprinzipien des Strafprozessrechts auch auf Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Anwendung finden, sind bei der Frage der Erteilung sicheren Geleits wesentliche Unterschiede zu berücksichtigen. Zumeist sehen sich die Mitglieder eines Untersuchungsausschusses, die die Vernehmung des Beschuldigten13 für erforderlich halten, mit der Frage konfrontiert, ob sie für diesen sicheres Geleit beantragen14 oder ihn – soweit dies nach den Grundsätzen der internationalen Rechtshilfe möglich ist – an seinem derzeitigen Aufenthaltsort vernehmen 8
BT-Drucks. 14/5790, S. 18. Soweit Art. 46 Absatz 2 GG dies erlaubt. 10 Zur Stellung des Zeugen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ausführlich Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. 11 BT-Drucks. 14/5790, S. 19. 12 BT-Drucks. 14/5790, S. 13: „Dem 1. Ausschuss war bei seinen Beratungen bewusst, dass die Kodifizierung des Untersuchungsausschussrechts die sich unmittelbar aus Artikel 44 GG ergebende Rechtsfolge unberührt lässt, wonach im Untersuchungsausschussgesetz nicht enthaltene Verfahrensregeln des Strafprozesses über die Beweiserhebung sinngemäß weiterhin gelten, sofern sie auf ein Untersuchungsausschussverfahren anwendbar sein können.“ Vgl. hierzu auch Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Brockmeyer, Art. 44 Rn. 7; Kritisch Maunz/Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 28 f. 13 Dieser kann natürlich auch Beschuldigter in einem nicht mit dem Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang stehendem Strafverfahren sein. 14 Der Beschuldigte selbst mag hier zwar sicheres Geleit anregen, weil er sich durch seine Anhörung möglicherweise eine Entlastung in einem parallel laufenden Strafverfahren erhofft oder weil er hofft, bei dieser Gelegenheit in dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren mündlich angehört zu werden. Der Antrag ist jedoch durch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zu stellen, da das parlamentarische Aufklärungsinteresse Grundlage des Verfahrens vor dem Untersuchungsausschuss ist. 9
§ 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss 239
sollen. Für die Frage, ob die Öffentlichkeit an einer solchen Vernehmung teilnehmen kann, ist diese Weichenstellung von entscheidender Bedeutung. Die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen ist in den Untersuchungsausschussgesetzen als Grundsatz geregelt.15 In gerichtlichen Verfahren dient der Öffentlichkeitsgrundsatz dem Ausschluss eines Geheimverfahrens im Interesse der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten im Strafverfahren, durch öffentliche Kontrolle, der Sicherung der Unabhängigkeit der Richter gegenüber geheimen Eingriffen der Staatsgewalt oder anderer und der Kontrolle der Richter durch das Volk.16 Wenngleich die Öffentlichkeit als notwendiger Kontroll- und Sicherungsmechanismus in unserem von Gewaltenteilung und den damit einhergehenden Sicherungen geprägten Rechtsstaat teilweise an Bedeutung verloren hat,17 ist sie insbesondere zum Schutz des Angeklagten und der Kontrolle des Richters immer noch als unerlässlich anzusehen. Auch im Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss kommt dem Öffentlichkeitsgrundsatz erhebliche Bedeutung zu, wenngleich dieses nur der Aufklärung nicht der Strafe dient. Obwohl schon aus parteipolitischem Interesse sichergestellt ist, dass zumindest ein Teil der Mitglieder des Untersuchungsausschusses auf eine umfassende Aufklärung hinwirkt, so ist angesichts der Zusammensetzung der Untersuchungsausschüsse nach Mehrheitsverhältnissen18 die Öffentlichkeit eine zusätzliche wirksame Kontrolle:19 „Erst durch die Veröffentlichung bekannt gewordener Missstände gewinnt das parlamentarische Untersuchungsrecht Effizienz.“20
Art. 44 Absatz 1 Satz 2 GG lässt daher den Ausschluss der Öffentlichkeit bei Erhebung der Beweise vor dem Untersuchungsausschuss nur in Ausnahmefällen zu. Einen solchen Ausnahmefall begründet der Aufenthalt des Zeugen im Ausland jedoch nicht.21 15 So z. B. Art. 9 Absatz 1 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags und § 13 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, der allerdings nur Sitzungen zur Beweisaufnahme betrifft. Sitzungen zur Beratung und Beschlussfassung des Untersuchungsausschusses des Bundestages sind hingegen nicht öffentlich (Art. 12 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages). 16 Kissel/Meyer, § 169 Rn. 1. 17 Kissel/Meyer, § 169 Rn. 1. 18 Vgl. hierzu z. B. Art. 4 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags und § 4 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages. 19 Vgl. hierzu auch BVerfGE 49, 70 (85 ff.). 20 Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 12. 21 Zu Ausnahmefällen, in denen ein Ausschluss der Öffentlichkeit in Betracht kommt, vgl. Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 41.
240 § 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss
Kann also dem Grundsatz der Unmittelbarkeit durch die Anwesenheit sämtlicher Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses bei einer Vernehmung im Ausland noch hinreichend Rechnung getragen werden, so wird die Öffentlichkeit als „externe Rechtfertigungskontrolle“22 ausgeschlossen und somit ein verfassungsrechtlich gewährtes Prinzip in einer die Zwecksetzung der ausdrücklichen Regelung in Art. 44 Absatz 1 GG konterkarierenden Weise beschnitten.23 Art. 44 Absatz 1 GG erstreckt den Grundsatz der Öffentlichkeit aus gutem Grunde auch auf die Beweisaufnahme vor dem Untersuchungsausschuss. Die Verantwortlichkeit politischer Entscheidungsträger verlangt nach Publizität.24 Einziges wirksames Korrektiv gegen eine einseitige Wertung der gewonnenen Aussage und gegen eine parteipolitisch eingestellt Berichterstattung an das Plenum ist die Öffentlichkeit.25 Die Vernehmung des Zeugen im Ausland sollte daher die ultima ratio bleiben. Gleichwohl hat der „Untersuchungsausschuss Karlheinz Schreiber“ diesen Weg gewählt und sich trotz monatelanger Diskussion über eine Erteilung sicheren Geleits zur Vernehmung Karlheinz Schreibers nach Kanada begeben. Die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu fordernde Anwesenheit sämtlicher Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschuss bei der Vernehmung des Zeugen ist außerdem in der Regel mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Auch im Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist somit die Vernehmung des Beschuldigten im Inland der Vernehmung im Ausland vorzuziehen. Das sichere Geleit als effizientes Mittel, in solchen Fällen ein Erscheinen des Beschuldigten vor dem Untersuchungsausschuss herbeizuführen, darf – soweit der Beschuldigte bereit ist, davon Gebrauch zu machen, und anzunehmen ist, dass er zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen vermag – nicht abgelehnt werden. Hinter dem mit dem Untersuchungsauftrag des Ausschusses verbundenen öffentlichen Aufklärungsinteresse muss das Strafverfolgungsinteresse zumindest zeitweilig zurücktreten, so dass sicheres Geleit in dem Umfang zu gewähren ist, in dem es die Zeugenvernehmung des Beschuldigten vor dem Untersuchungsausschuss erfordert.26 Eine zeitliche und räumliche Begrenzung ist im Regelfall unbedenklich. Ton- und Bildübertragungen stellen nie einen adäquaten Ersatz des von einem Anwesenden vermittelten persönlichen Eindrucks dar. § 13 Absatz 1 22
Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 12. Ein Ausnahmetatbestand des abschließenden Kataloges des § 14 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages liegt hier nicht vor. Zu denken ist hier aber an § 247 a StPO. Dazu sogleich. 24 Maunz/Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 173. 25 Heck, S. 76. 26 LG Mannheim, Beschluss vom 24. Februar 2004, Az. 24 KLs 628 Js 33559/00. 23
§ 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss 241
des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages lässt Ton- und Bildübertragungen nur in Ausnahmefällen zu, nämlich dann, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder sowie die zu vernehmende oder anzuhörende Person zustimmen. Durch die Videoübertragung könnte zwar auch bei Vernehmung des Beschuldigten im Ausland das Öffentlichkeitsprinzip gewahrt werden. Die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit ist zwar nicht der Funktion eines Richters und der sonstigen im Strafverfahren unmittelbar beteiligten Personen vergleichbar. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Öffentlichkeit regelmäßig auch bei Erscheinen des Beschuldigten vor dem Untersuchungsausschuss nur ein durch die Medien wiedergegebenes Bild von dessen Vernehmung erhalten wird. An die Unmittelbarkeit sind vor dem Untersuchungsausschuss angesichts seiner primär aufklärenden – und nur mittelbar sanktionierenden – Funktion wohl ebenfalls geringere Anforderungen zu stellen. Um die Aufweichung wesentlicher Verfahrensgrundsätze zu verhindern und im Hinblick darauf, dass die Videoübertragung regelmäßig nur ein verfälschtes Bild von der vernommenen Person zu geben mag, sollte hiervon dennoch nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn das persönliche Erscheinen des Beschuldigten auch durch Gewährung sicheren Geleits nicht herbeigeführt werden kann. Gollwitzer bejaht ebenfalls die Möglichkeit einer Bewilligung sicheren Geleits zum Zwecke der Anhörung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss,27 verneint aber ohne nähere Begründung eine Anwendung des Art. 12 EuRhÜbk.28 Nach Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk genießt der Zeuge oder Sachverständige sicheres Geleit, wenn er auf Vorladung vor den Jusitzbehörden29 erscheint. Nach deutschem Staatsorganisationsrecht ist der parlamentarische Untersuchungsausschuss, wenngleich er öffentliche Gewalt ausübt,30 ein Gremium des Parlaments und stellt als solches keine Behörde dar.31 Er ist Teil des obersten Staatsorganes Bundestag bzw. des jeweiligen Landesparlaments, begrifflich umschrieben als Hilfs-, Unter- oder Teilorgan.32 Diese sind Teil der Exekutive, nicht der Judikative. Sowohl in Europa als auch außerhalb Europas haben parlamentarische Untersuchungsausschüsse weitgehend verfassungsrechtliche Anerkennung erfahren. Soweit sie – wie in Frankreich und den USA – nicht verfassungs27
Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Rn. 24. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, § 295 Fußn. 43 zu Rn. 24. 29 Im englischen Vertragstext „judicial authorities“. 30 BVerfGE 76, 363 (387); 77, 1 (46). 31 Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 14 mit zahlreichen Nachw. 32 Für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages Maunz/ Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 64; v. Münch/Kunig/Versteyl, Art. 44 Rn. 18. 28
242 § 4 Sicheres Geleit für die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss
rechtlich verankert sind, haben sie sich gleichwohl in der Praxis durchgesetzt.33 Über deren Rechtsstellung ist damit noch nichts ausgesagt. Weitgehend wird jedoch im Anwendungsbereich des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens auf eine strikte Trennung zwischen der Arbeit der Gerichte und der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse geachtet, um die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten. So binden nach ausdrücklicher Regelung in Frankreich und Spanien Ergebnisse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Gerichte nicht. Zum Teil – so in Frankreich und Großbritannien – ist eine parlamentarische Untersuchung sogar untersagt, wenn in gleicher Sache ein Gerichtsverfahren anhängig ist.34 Die Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung im System des parlamentarischen Untersuchungsausschusses widerspricht somit einer Anwendung des Art. 12 EuRhÜbk, der seinem Wortlaut nach auf Ladungen vor Justizbehörden Anwendung findet. Gegen eine Anwendung des Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk auf Verfahren vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss spricht aber insbesondere der Anwendungsbereich des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens, der in dessen Art. 1 festgelegt ist. Nach Art. 1 EuRhÜbk ist Rechtshilfe zu leisten in allen Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen, zu deren Verfolgung in dem Zeitpunkt, in dem um Rechtshilfe ersucht wird, die Justizbehörden des ersuchten Staates zuständig sind.35 Wenngleich die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen neigt,36 lässt sich auf diesem Wege eine Anwendung des Art. 12 EuRhÜbk auf die Ladung des Beschuldigten vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss nur schwerlich begründen. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist gemäß Art. 31 Absatz 1 WVRK in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Für die innerstaatliche Auslegung völkerrechtlicher Verträge gelten somit auch die wörtliche Auslegungsmethode, die systematische Auslegungsmethode und die teleologische Auslegungsmethode.37 Das Europäische Rechtshilfeübereinkommen regelt die Zusammenarbeit zwi33 Vgl. dazu Maunz/Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 5 ff., 51 ff.; Zu den Mitgliedsländern der Europäischen Union ausführlich Beckedorf, S. 33 ff. 34 Vgl. dazu Maunz/Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 7, 51 ff. 35 Im englischen Vertragstext „in proceedings in respect of offences the punishment of which, at the time of the request for assistance, falls within the jurisdiction of the judicial authorities of the requesting party“ („in allen Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen, zu deren Verfolgung in dem Zeitpunkt, in dem um Rechtshilfe ersucht wird, die Justizbehörden des ersuchenden Staates zuständig sind“ [BGBl. 1964 II S. 1386]). 36 Vgl. BVerfGE 4, 157 (168 f.); BGHZ 52, 216 (220); vgl. auch Schweitzer/ Weber, Rn. 122 ff. 37 Schweitzer/Weber, Rn. 123.
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schen den Vertragsstaaten in strafrechtlichen Angelegenheiten. Der Begriff der „strafrechtlichen Angelegenheiten“ umfasst Verfahren, die wegen einer tatsächlich oder mutmaßlich bereits begangenen Straftat oder einer mit einer Geldbuße bedrohten Ordnungswidrigkeit von einem Staat betrieben werden und die Verhängung oder Vollstreckung einer strafrechtlichen Sanktion gegen einen bestimmten Täter zum Ziel haben.38 Wenngleich sich diese Definition so in Art. 1 EuRhÜbk nicht findet, ist seiner Zielsetzung nach das Europäische Rechtshilfeübereinkommen auf das Verfahren wegen der Straftat selbst begrenzt. Die Umgrenzung des Anwendungsbereiches im englischen Vertragstext („proceedings in respect of offences“39) ist insofern hinreichend deutlich, zumal Art. 1 EuRhÜbk verlangt, dass die Justizbehörden des ersuchenden Staates für die Verfolgung der strafbaren Handlung zuständig sind. Eine Anwendung der Vorschriften des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens, insbesondere dessen Art. 12, auf parlamentarische Untersuchungsausschüsse als parlamentarisches Kontrollmittel gegenüber der Exekutive,40 deren Untersuchungszweck die Aufklärung von Vorgängen,41 jedoch nicht deren Sanktion ist, lässt sich somit auch im Wege der Auslegung nicht begründen. Es ist insofern unerheblich, dass sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Rahmen ihrer Tätigkeit auch mit der Aufklärung von Straftaten beschäftigen.
38
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, S. 1. „. . . allen Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen . . .“ (Übersetzung BGBl. 1964 II S. 1386). 40 Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Beckedorf, S. 109 f.; Vgl. für die Bundesrepublik Deutschland Dreier/Morlok, Art. 44 Rn. 8. 41 Maunz/Dürig/Klein, Art. 44 Rn. 2. 39
§ 5 Reformüberlegungen und Zusammenfassung A. Vorbemerkung Im Folgenden sollen nochmals die zentralen Punkte der vorliegenden Untersuchung zusammengefasst und mit Reformüberlegungen verbunden werden. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Regelung des § 295 StPO in einzelnen Punkten für ihre direkte Anwendung im Strafverfahren gegen den Beschuldigten Anlass zur Kritik bietet. Die Problematik der derzeitigen gesetzlichen Regelung liegt jedoch insbesondere im Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für die anderen im Einzelnen dargestellten Fallgruppen des sicheren Geleits. Das sichere Geleit nach § 295 StPO lässt zum Teil mehr Fragen offen als es beantwortet und wird somit einer zunehmenden Bedeutung des sicheren Geleits nur schwer gerecht. Allein die Bezeichnung „sicheres Geleit“ vermag den Beschuldigten in einer Sicherheit zu wiegen, die bei wörtlicher Anwendung der Vorschrift nicht gegeben ist. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung verlangt eine sensible Handhabung durch die zur Entscheidung berufenen Gerichte. Geboten erscheint aber auf Dauer eine Reform des Rechtsinstituts des sicheren Geleits orientiert an den sich in Art. 12 EuRhÜbk widerspiegelnden internationalen Standards und dem Ziel einer höheren Praktikabilität und mehr Rechtssicherheit.
B. Besteht ein Bedürfnis für eine nationale Regelung über das sichere Geleit? Trotz einer insbesondere in den letzten Jahrzehnten zügigen Entwicklung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen besteht nach wie vor eine Notwendigkeit für eine Regelung sicheren Geleits auch im nationalen Recht. Art. 12 EuRhÜbk macht eine solche Regelung angesichts dessen begrenztem Anwendungsbereich nicht überflüssig. Demgegenüber ist eine allgemeine Regel des Völkerrechts, derzufolge jedenfalls Zeugen und Sachverständige den Schutz sicheren Geleits genössen, zu verneinen. Die Entscheidung, ob ein Gericht Befreiung von Haft oder sonstigen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gewährt, ist eine innerstaatliche. Will das Gericht von der üblichen Vorgehensweise, der Anordnung von Haft oder anderen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, abweichen, be-
B. Besteht ein Bedürfnis für eine Regelung des sicheren Geleits?
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darf es hierzu einer innergesetzlichen Ermächtigung. Der in innerstaatliches Recht transformierte Art. 12 EuRhÜbk gilt nur im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander. Nur durch eine klare umfassende Regelung kann dem im Einzelfall bestehenden Konflikt zwischen Justizgewährungsanspruch und staatlichem Strafverfolgungsmonopol Rechnung getragen werden. Die Regelungen des Art. 12 EuRhÜbk und des Art. 20 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zur Rechtspflege machen deutlich, dass international angesichts der Zunahme von Verfahren mit Auslandsbezug insbesondere für Zeugen, Sachverständige und die Partei, zumindest soweit sie zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen vermag, die Notwendigkeit einer Befreiung von der Untersuchungshaft zur Erhaltung der Effektivität der Gerichte und zur Sicherung der Durchsetzung der Rechte der „Beteiligten“, seien es Ansprüche der Partei oder das staatliche Strafverfolgungsmonopol, die Gewährung sicheren Geleits jedenfalls für Zeugen und Sachverständige – und damit deren Befreiung von Zwangsmaßnahmen – erforderlich ist. Das sichere Geleit wird auch im Falle einer Neuregelung in der Praxis seinen Hauptanwendungsbereich außerhalb des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten finden. Fehlt die Möglichkeit der Strafvollstreckung, so wird in der Regel auch ein Bedürfnis für die Durchführung der Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen den Beschuldigten verneint werden. Mit Blick auf die Unschuldsvermutung begegnet dies erheblichen Bedenken. An der konkreten Möglichkeit der Erteilung sicheren Geleits auch im Strafverfahren gegen den Beschuldigten sollte der Gesetzgeber aber auch im Interesse der Aufklärungspflicht festhalten. Insofern scheint es auch geboten, von der Vorschrift des Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk abzuweichen und den Beschuldigten jedenfalls von der Untersuchungshaft wegen der in der Vorladung genannten „Taten“ zu befreien. Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk beschränkt sicheres Geleit auf nicht in der Vorladung genannte Straftaten. Angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffes durch eine möglicherweise monatelang andauernde Untersuchungshaft darf der zur Mitwirkung bereite Beschuldigte nicht darauf verwiesen werden, dass er sich unter der Garantie eines rechtsstaatlichen Verfahrens im Inland in Haft begeben solle. Der Beschuldigte wird aber auch allein durch das Bestehen eines nicht vollzogenen Haftbefehls in erheblichem Maße in seinen Freiheitsrechten beschränkt, da er seinen Aufenthaltsort nicht mehr verlassen kann, sobald er international zur Fahndung ausgeschrieben ist.
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§ 5 Reformüberlegungen und Zusammenfassung
C. Die Regelung des § 295 StPO genügt weitgehend den Anforderungen im gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren § 295 StPO enthält eine Regelung über das sichere Geleit für alle Abschnitte des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens. Sicheres Geleit meint dabei die bindende Zusicherung der Verschonung mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in Form eines einseitig verpflichtenden „Vertrages“. Nach seiner ursprünglichen Zielsetzung dient § 295 StPO der Durchführung des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten selbst. Grundlage dessen ist die mit dem Anwesenheitsrecht des Angeklagten im Strafprozess korrespondierende Anwesenheitspflicht des Angeklagten sowie die Durchsetzung elementarer – insbesondere auf dem Recht auf Gehör fußender – Verfahrensgrundsätze. Der in § 276 StPO definierte Begriff des „Abwesenden“ stimmt nicht mit der sonstigen Verwendung des Begriffes „abwesend“ in der Strafprozessordnung überein. Die Problematik liegt insofern aber vielmehr in der Beibehaltung der strikten Trennung zwischen dem Verfahren gegen den ausgebliebenen Beschuldigten und dem Verfahren gegen den abwesenden Beschuldigten. Für die Erteilung sicheren Geleits spielt dies zwar nur eine untergordnete Rolle, da ein Haftbefehl bei Bagatellsachen nur in den engen Grenzen des § 113 Absatz 2 StPO erlassen werden kann. Gleichwohl erscheint es sinnvoll, diese nur noch formal bestehende strikte Trennung aufzuheben. Dies erspart den Gerichten bei bekanntem Aufenthalt des Beschuldigten die postitve Feststellung der Abwesenheit des Beschuldigten nach den Grundsätzen des § 276 StPO in Bagatellsachen. Das sichere Geleit dient in dem gegen den Beschuldigten selbst gerichteten Strafverfahren sowohl dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse als auch dem Interesse des Beschuldigten selbst an der Durchführung des Strafverfahrens und der umfassenden Sachverhaltsaufklärung. Da Gegenstand der Strafverfolgung nicht nur die Strafvollstreckung sondern insbesondere die Durchführung des Strafverfahrens bis zur Beendigung, sei es im Wege der Einstellung oder durch Urteil, ist, erscheint die Ersetzung des Erlöschensgrundes „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ durch „rechtskräftige Verurteilung“ gerechtfertigt, wenngleich dies die Gefahr eröffnet, dass gegen den Beschuldigten eine Strafe verhängt wird, deren Vollstreckung der Beschuldigte vereitelt, indem er sich nach Urteilsverkündung aus dem Bereich der richterlichen Zwangsgewalt entfernt. Gegebenenfalls könnte ein Strafverfahren nach der hier und von der herrschenden Meinung vertretenen Auffassung nach § 231 Absatz 2 StPO in geeigneten Fällen sogar ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden. Demgegenüber bedarf der Erlöschensgrund „Anstalten zur Flucht treffen“ einer sensiblen Hand-
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habung durch die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Bei demjenigen, der sich unter Inanspruchnahme sicheren Geleits dem Strafverfahren stellt, kann nur in Ausnahmefällen die Absicht bejaht werden, er werde sich bei Rückkehr an seinen ausländischen Wohnsitz dauernd oder für längere Zeit dem Verfahren entziehen. Zuständig für die Erteilung sicheren Geleits – sowohl im Strafverfahren gegen den Beschuldigten als auch bei den weiteren Fallgruppen – ist immer das für das Strafverfahren gegen den Beschuldigten zuständige Gericht. Im Interesse der praktischen Handhabung ist die Erteilung sicheren Geleits beschränkt auf den jeweiligen Verfahrensabschnitt zweckmäßig. Für das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren gilt jedoch, dass, wenn der Beschuldigte bereit ist, sich dem Verfahren zu stellen, vorrangig der Haftbefehl aufzuheben ist. Ein Rechtsanspruch des Beschuldigten auf Erteilung sicheren Geleits besteht demgegenüber jedoch nicht. Die Erteilung sicheren Geleits steht immer im Ermessen des Gerichts. Dies ist schwieriger zu handhaben außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens, wo die Interessen Dritter – zum Beispiel der jeweiligen Partei in dem Zivilprozess, in dem der Beschuldigte als Zeuge auftreten soll – tangiert werden. Nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung erfordert die Erteilung sicheren Geleits eine sorgfältige Interessenabwägung. Einer Reform bedarf die Erteilung sicheren Geleits für alle Bereiche bezüglich dessen Reichweite. Nach seinem Wortlaut beschränkt § 295 StPO die Reichweite sicheren Geleits auf die Untersuchungshaft wegen der im Geleitbrief genannten Straftaten. Es kann jedoch nicht hingenommen werden, dass ein Beschuldigter, der sich freiwillig dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren stellt, sich plötzlich weiteren freiheitsentziehenden Maßnahmen gegenüber sieht. Problematisch erscheinen hier angesichts des Beschlusserfordernisses die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die in unterschiedlichen Verfahren in Betracht kommenden freiheitsentziehenden Maßnahmen. Im Interesse des Beschuldigten muss dies im Zweifel hingenommen werden. Insbesondere für eine auf die weiteren Fallgruppen zugeschnittene Regelung würde sich aus diesem Grunde anbieten, von dem Beschlusserfordernis abzuweichen und die Befreiung von freiheitsentziehenden Maßnahmen im Falle der Vorladung vor deutsche Gerichte und Behörden aufzunehmen. Um dem Beschuldigten die weitestgehende Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen, ohne dass er sich hierfür in Haft begibt, und die Durchführung des Strafverfahrens bis zur Beendigung auch in dessen Interesse zu gewährleisten, ist das sichere Geleit – soweit nicht ohnehin der Haftbefehl aufzuheben ist – das wirksamste Mittel. Die Videovernehmung des Beschuldigten stellt demgegenüber keine Alternative dar.
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§ 5 Reformüberlegungen und Zusammenfassung
D. Notwendigkeit einer Regelung des sicheren Geleits außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens I. Grundsätzliches Allein die Strafprozessordnung enthält eine ausdrückliche Regelung über das sichere Geleit in § 295 StPO. Dieser findet (analoge) Anwendung auch in anderen Verfahren. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich dabei mit der Erteilung sicheren Geleits in einem gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren und zentral im Zivilprozess, aber auch vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Anwendung des § 295 StPO außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens ist insofern problematisch, als die darin enthaltenen Regelung allein auf das gegen den Beschuldigten selbst gerichtete Strafverfahren zugeschnitten ist. Das sichere Geleit dient immer – auch im gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren und im Zivilprozess – der Herbeiführung der Anwesenheit des Beschuldigten im Bereich der richterlichen Zwangsgewalt. Insofern lassen sich die für das Verfahren gegen den Beschuldigten geltenden Grundsätze weitgehend übertragen. Signifikante Unterschiede liegen aber insbesondere in der gänzlich anderen Interessenlage. Nicht die im Strafverfahren gegen den Beschuldigten zuständige Gerichte und dieser selbst haben ein Interesse am Erscheinen des Beschuldigten, sondern der Dritte, gegen den ein Strafverfahren anhängig ist, die dort zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, die Partei im Zivilprozess und das für diesen zuständige Gericht. Bedeutung erlangt dabei sicheres Geleit in erster Linie – aufgrund dessen stets zentraler Rolle – für den Zeugen; eine Erteilung sicheren Geleits ist aber auch für sonstige Verfahrensbeteiligte denkbar. Bei der Bestimmung der Abwesenheit des Beschuldigten kann nicht strikt an der Definition in § 276 StPO festgehalten werden. Außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens ist es im Interesse der jeweiligen Verfahrensbeteiligten nicht zumutbar, ein etwaiges gegen den Beschuldigten gerichtetes Auslieferungsverfahren abzuwarten. Untauglich sind auch die auf das Strafverfahren gegen den Beschuldigten gerichteten in § 295 Absatz 3 StPO normierten Beendigungsgründe „Anstalten zur Flucht treffen“ und „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“. Dem kann auch nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung dadurch begegnet werden, dass eine Frist vor und nach dem festgesetzten Termin bestimmt wird, innerhalb derer der Beschuldigte in den Bereich der richterlichen Zwangsgewalt einreisen kann und diesen auch wieder verlassen kann, ohne freiheitsentziehende Maßnahmen befürchten zu müssen.
D. Notwendigkeit einer Regelung außerhalb des Strafverfahrens
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Die größte Gefahr bei der Erteilung sicheren Geleits außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens liegt jedoch darin, dass dieser nicht vor der Untersuchungshaft wegen eines Aussagedelikts in Zusammenhang mit seinem Erscheinen als Zeuge vor Gericht geschützt ist. Einen solchen Schutz genießt der Zeuge auch nicht im Rahmen des Art. 12 EuRhÜbk. Insofern sind die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zu einer sensiblen zurückhaltenden Handhabung berufen, um Missbrauch entgegenzuwirken. Den Beschuldigten als Zeugen durch eine entsprechende Neuregelung zu schützen, lässt sich hingegen kaum rechtfertigen. Soweit auch bei einer Neuregelung des Rechtsinstitut des sicheren Geleits außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens an dem Erfordernis einer Erteilung sicheren Geleits durch Beschluss festgehalten werden soll, ist an der Zuständigkeit des im Verfahren gegen den Beschuldigten zuständigen Gerichts festzuhalten; denn die Entscheidung über die Erteilung sicheren Geleits nach innerstaatlichem Recht ist die, ob der Beschuldigte wegen der Straftaten, wegen der gegen ihn ermittelt wird, von der Untersuchungshaft befreit werden soll, um ihm das Erscheinen vor einer inländischen Behörde oder einem inländischen Gericht zu ermöglichen. Im Rahmen der Interessenabwägung hat das zuständige Gericht der Bedeutung des Erscheinens des Beschuldigten in dem anderen Verfahren hinreichend Rechnung zu tragen.
II. Besonderheiten im gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren Im Strafverfahren gegen einen Dritten können dem Beschuldigten verschiedene Rollen zukommen, insbesondere die eines Zeugen. Die Erteilung sicheren Geleits im gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahren als Zeuge hat sich an den Vorgaben der Strafprozessordnung, den §§ 244 ff. StPO, zu orientieren. Der Zeuge darf dabei wegen der ihm im Inland drohenden Strafverfolgung nicht ohne weiteres als unerreichbar angesehen werden. Dabei erhöht sicheres Geleit die Wahrscheinlichkeit, der Zeuge werde erscheinen, deutlich. Vor dem Antrag auf Erteilung sicheren Geleits bietet es sich aber an, mit dem Beschuldigten Rücksprache zu halten, ob er unter Zusicherung der Befreiung von der Untersuchungshaft erscheinen werde. Für die Abwägung nicht zu berücksichtigen ist die Möglichkeit einer nur mittelbaren Beweiserhebung, da auf das weniger sachnahe Beweismittel erst dann zurückgegriffen werden kann, wenn feststeht, dass das sachnähere Beweismittel für das Strafverfahren – insbesondere für die Hauptverhandlung – nicht zur Verfügung steht. Außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens steht eine Begrenzung des Strafverfolgungsinteresses in dem gegen
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den Beschuldigten gerichteten Strafverfahren kaum zu befürchten. Einer solchen könnte regelmäßig durch geeignete Maßnahmen begegnet werden. Demgemäß gewährt Art. 12 EuRhÜbk sicheres Geleit ohne Erfordernis eines ausdrücklichen Beschlusses dann, wenn der Beschuldigte auf Vorladung vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheint. Eine Regelung über das sichere Geleit außerhalb des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens sollte sich daher an Art. 12 Absatz 1 EuRhÜbk orientieren. III. Besonderheiten im Zivilverfahren Für die Erteilung sicheren Geleits im Rahmen eines Zivilprozesses ergeben sich hierzu nur wenige Unterschiede. Insbesondere gilt im internationalen Zivilprozessrecht die lex fori – also das Prozessrecht des Gerichtsstaates. Diese entscheidet auch über Art und Umfang der Justizgewährung. Soweit das Beweisrecht für die Erteilung sicheren Geleits maßgeblich ist, bestimmt es sich nach der lex fori. Die lex fori entscheidet über das Recht einer Partei auf Erhebung eines relevanten Beweises, das Bestehen von Beweisverboten und ein etwaiges Beweiserhebungsermessen des Gerichts. Beweisbeschränkungen sind zu beachten, soweit sie materielle Gründe haben und damit in der lex causae enthalten sind. Das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 zur Erleicherung des internationalen Zugangs zur Rechtspflege, das in seinem Art. 20 eine ausdrückliche Regelung über das sichere Geleit enthält, hat die Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. Art. 12 EuRhÜbk findet ausschließlich in Verfahren, die strafbare Handlungen betreffen, und somit nicht im Zivilverfahren Anwendung. Auch im Zivilprozess orientieren sich die Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrages an § 244 Absatz 3 StPO. Auch hier stellt sich nur, wenn kein sonstiger Ablehnungsgrund vorliegt, die Frage, ob der Zeuge unerreichbar ist. Insbesondere wenn der Beschuldigte als Zeuge vernommen werden soll, muss sich das Zivilgericht gehalten sehen, bei dem zuständigen Gericht sicheres Geleit für diesen zu beantragen, will es seiner Verpflichtung nachkommen, für wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz zu sorgen. Bei der Frage der Erteilung sicheren Geleits für die Partei ist deren Teilnahmerecht an der mündlichen Verhandlung, das ihr auch bei Aufenthalt im Ausland zusteht, – nicht zuletzt zur Verwirklichung des Anspruchs auf Gehör – insbesondere für den Beklagten – zu berücksichtigen. Zweckmäßig ist auch hier eine befristete Erteilung sicheren Geleits; denn die zweckgebundene Erteilung sicheren Geleits enhält ohne ausdrückliche Regelung Unsicherheit darüber, wieviel Zeit dem Beschuldigten bleibt, um in den Bereich der richterlichen Zwangsgewalt einzureisen und diesen wieder zu verlassen.
D. Notwendigkeit einer Regelung außerhalb des Strafverfahrens
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Für die Abwägung bei Erteilung sicheren Geleits im Rahmen eines Zivilverfahrens gilt Folgendes: §§ 363, 364 ZPO durchbrechen zwar die Grundsätze der Beweisunmittelbarkeit und der Parteiöffentlichkeit. Im konkreten Fall muss sich das Zivilgericht gleichwohl gehalten sehen, zu versuchen, zunächst eine Beweisaufnahme im Inland vor dem erkennenden Gericht herbeizuführen. Grundlage der Interessenabwägung ist angesichts des im Zivilverfahren vorherrschenden Verhandlungsgrundsatzes der Vortrag der Parteien. Das „Ob“ und der Umfang der Beweisaufnahme stehen aber letztlich im Ermessen des Gerichts. Grundsätzliche Bedeutung gewinnt hier der Anspruch der Partei auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz, der dem Selbsthilfeverbot geschuldet ist. Teil eines effentkiven Rechtsschutzes und damit des Justizgewährungsanspruchs ist auch ein „Recht auf Beweis“. Dazu gehört angesichts dessen zentraler Bedeutung als Beweismittel zwingend die Verpflichtung des Gerichts, sich zu bemühen, das Erscheinen eines Zeugen herbeizuführen. Beweismittel sind zu erschöpfen. Das ungerechtfertigte Übergehen eines Beweisantrages stellt immer eine Versagung rechtlichen Gehörs dar. Der in § 355 Absatz 1 ZPO für den Zivilprozess normierte Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit gilt zwar nur in seiner formellen Ausprägung. Beantragt die Partei aber die persönliche Einvernahme des Zeugen, so hat das Gericht dies zu berücksichtigen. Dabei ist insbesondere auch die Herbeischaffung eines Beweismittels aus dem Ausland sorgfältig zu prüfen, wobei weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass bei Anordnungen gegenüber einer sich im Ausland aufhaltenden Partei die Grenzen völkerrechtlicher Unzulässigkeit angeordneter Maßnahmen selten erreicht sein werden bzw. grenzüberschreitende Aufforderungen in erheblichem Ausmaße hinzunehmen sind. Die soeben dargestellten Grundsätze müssen regelmäßig zu einer Erteilung sicheren Geleits durch das hierzu berufene Gericht führen; denn die Erteilung sicheren Geleits für ein Zivilverfahren erweist sich demgegenüber für das Strafverfahren gegen den Beschuldigten selbst als vollkommen neutrales Ereignis. Für die Partei, die regelmäßig nur ein Teilnahmerecht besitzt, jedoch nicht vor Gericht erscheinen muss, ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sicheres Geleit jedenfalls dann zu erteilen, wenn Beweis über den Inhalt eines Vieraugengesprächs zu erheben ist, an dem diese beteiligt war. Im Übrigen bedarf die Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach dem Verständnis des Art. 103 Absatz 1 GG nur selten des persönlichen Erscheinens der Partei und damit einer Erteilung sicheren Geleits. Nach denselben Grundsätzen ist auch die Erteilung sicheren Geleits zur Ermöglichung des Erscheinens des Beschuldigten vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss möglich.
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E. Aufnahme einer Vorschrift über das sichere Geleit ins Gerichtsverfassungsgesetz Zweckmäßig erscheint es im Interesse der Rechtssicherheit, eine umfassende Regelung nach dem Vorbild des Art. 12 EuRhÜbk zu schaffen, die zwischen den dem Beschuldigten in dem jeweiligen Verfahren zukommenden Funktionen unterscheidet. Im Unterschied zu Art. 12 EuRhÜbk wäre es mit Blick auf deren Teilnahmerecht im Zivilverfahren wünschenswert, dabei auch die Möglichkeit einer Erteilung sicheren Geleits für den Beschuldigten als Partei eines Zivilprozesses zu kodifizieren. Der geeignete Ort für eine solche Regelung ist das Gerichtsverfassungsgesetz als konkrete Grundlage des Verfahrensrechts, die durch die übrigen Verfahrensordnungen nur ergänzt wird.1 Anderenfalls wäre eine gesonderte Regelung in die jeweiligen Verfahrensordnungen aufzunehmen.
F. Festhalten am Erfordernis eines Beschlusses über die Gewährung sicheren Geleits? Das Festhalten am Erfordernis einer ausdrücklichen Gewährung2 sicheren Geleits durch ein nationales Gericht begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken. Zwar bedarf es auch im Anwendungsbereich des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens eines Rechtsaktes in Form der Ladung, ohne die ein Schutz des Beschuldigten durch sicheres Geleit nicht besteht. Durch einen ausdrücklichen Gerichtsbeschluss kann den Erfordernissen des Einzelfalles, beispielsweise durch Aufnahme geeigneter Auflagen, aber besser Rechnung getragen werden. Die Entscheidung über die Gewährung sicheren Geleits verbleibt auf diese Weise bei dem für das Strafverfahren gegen den Beschuldigten zuständigen Gericht, das am ehesten entscheiden kann, ob möglicherweise Gründe vorliegen, sicheres Geleit nicht zu gewähren. Auch bedürfte es einer Sonderregelung für die Partei im Zivilprozess, die, soweit das Gericht deren persönliches Erscheinen – wie im Regelfall – nicht anordnet, nicht als geladen anzusehen ist. Andererseits droht sicheres Geleit durch das Erfordernis eines Gerichtsbeschlusses angesichts der restriktiven Haltung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte – für die mangels tatsächlicher Implikationen für das gegen den Beschuldigten gerichtete Strafverfahren kein Anlass besteht – auch weiterhin ein Schattendasein zu führen. Auch vermag der Umfang des siche1
KK-StPO/Pfeiffer, § 1 GVG Rn. 1. Anders verhält es sich mit der Immunität bzw. Exterritorialität. Bei Vorliegen der Voraussetzungen genießt der Betroffene Immunität; einer Einzelfallentscheidung hierüber bedarf es also nicht. 2
G. Beendigungsgründe
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ren Geleits nach Art. 12 EuRhÜbk den Interessen des Beschuldigten besser zu genügen; denn Art. 12 EuRhÜbk schützt vor einer Verfolgung oder Verhaftung wegen aller Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Abreise des Beschuldigten aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates. Der Beschuldigte genießt aber nach Art. 12 Absatz 2 EuRhÜbk den Schutz sicheren Geleits in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht. Gegebenenfalls wäre dem zuständigen Gericht die Befugnis einzuräumen, eine Befreiung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen wegen aller Handlungen und Verurteilungen aus der Zeit vor der Abreise des Beschuldigten aus dem Aufenthaltsstaat zu erteilen. Angesichts einer möglichen Kollision von Zuständigkeiten erscheint dies jedoch nicht sachgerecht. Im Hinblick darauf, dass eine Beeinträchtigung des Strafverfolgungsinteresses ohnehin kaum denkbar ist, erscheint es aus Praktikabilitätserwägungen vertretbar, die Zuständigkeit für die Erteilung sicheren Geleits dem für das Verfahren, in dem der Beschuldigte persönlich erscheinen soll, zuständigen Gericht zuzuweisen, wenngleich dies im konkreten Fall eine Zuständigkeit auch des Zivilgerichts bedeuten würde. Die infolgedessen gegebene Rechtslage würde eine Annäherung an Art. 12 EuRhÜbk bedeuten, da auch dort durch die Ladung quasi das „Drittgericht“ entscheidet. Dadurch kann dem Schutz des Beschuldigten am ehesten genüge getan werden.
G. Beendigungsgründe Soll sicheres Geleit in der Praxis tatsächlich Bedeutung erlangen, so bedarf es zwingend einer Neugestaltung der Gründe für das Erlöschen sicheren Geleits. Auch hier empfiehlt sich eine Regelung entsprechend Art. 12 Absatz 3 EuRhÜbk. Der Beschuldigte, dem sicheres Geleit gewährt wurde, muss hinreichend Gelegenheit haben, die Bundesrepublik Deutschland wieder zu verlassen. Enthält die Regelung einen festen Zeitraum – beginnend mit dem Zeitpunkt, zu dem die Justizbehörde, die den Beschuldigten geladen hat, seine Anwesenheit nicht mehr verlangt – mit dessen Ablauf sicheres Geleit erlischt, so ist der Beschuldigte hinreichend geschützt. Ein Zeitraum von sieben bis maximal – wie in Art. 12 Absatz 3 EuRhÜbk vorgesehen – 15 Tagen sollte hierfür ausreichend sein. Seit Inkrafttreten des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens haben sich die Reisewege vereinfacht und erheblich beschleunigt. Der Beschuldigte muss im Übrigen auch während des Zeitraumes, in dem die Justizbehörden seiner Anwesenheit bedürfen, befugt sein, das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, ist er doch freiwillig dorthin eingereist. Der Verzicht auf den Erlöschensgrund „Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils“ begegnet keinen Bedenken. Dem für das Hauptverfahren
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§ 5 Reformüberlegungen und Zusammenfassung
zuständigen Gericht steht es frei, ob es im Interesse der Aufklärungspflicht die Durchführung der Hauptverhandlung durch Gewährung sicheren Geleits ermöglichen will. Die Wahrscheinlichkeit, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren stellen, wird sich durch eine solche Neuregelung erhöhen. Jedenfalls sollte aber das zuständige Gericht die Möglichkeit haben, im Falle eines nach der Lage des Einzelfalles zu beurteilenden besonderen öffentlichen Interesses an der Sachverhaltsaufklärung den Schutz sicheren Geleits über das Ergehen eines Urteils hinaus zu erstrecken. Immerhin erklärt sich der Beschuldigte im Falle des Erscheinens freiwillig zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung bereit.
H. Ausdehnung des Schutzbereichs gemäß Art. 12 EuRhÜbk Der Schutzbereich einer Vorschrift über das sichere Geleit im innerstaatlichen Recht sollte im Interesse der Rechtssicherheit und Praktikabilität dem des Art. 12 Absätze 1 und 2 EuRhÜbk weitgehend angeglichen werden,3 wenngleich auch dadurch Kollisionen mit internationalen Verpflichtungen nicht gänzlich vermieden werden können. Die Erstreckung auf Haft und sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen schafft Klarheit über die Reichweite sicheren Geleits und die Handhabung des Rechtsinstituts des sicheren Geleits.
3 Der Wortlaut des Art. 12 EuRhÜbk enthält keine Beschränkung auf „Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen“.
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Sachverzeichnis Abwägung 179 Abwesender 39–40 Abwesenheit 40, 168 Abwesenheitsverfahren 48 allgemeine Regel des Völkerrechts 23 analoge Anwendung 167 Anklage 103 Anklagezwang 72 Anordnung des persönlichen Erscheinens – Ermessen 198 – Unzumutbarkeit 199 Anspruch auf Gewährung sicheren Geleits 230 Anspruch auf wirkungsvollen (effektiven) Rechtsschutz 207, 221 Anstalten zur Flucht treffen 66, 127, 132, 213 Antrag 81, 174, 207 Antragsgrundsatz 186 Antragspflicht 210 Anwesenheitspflicht 28, 35, 164 Anwesenheitsrecht 28 arrest proceedings 124 Art. 12 EuBewVO 216 Art. 12 EuRhÜbk 21, 64, 73, 79, 96, 105, 109, 113, 116, 123, 125–126, 131, 140, 162, 166, 172, 178–179, 183, 193, 212, 239, 241, 244, 254 Aufenthalt, unbekannt 43, 49, 58 Aufenthaltsort 203 Aufhebung siehe Widerruf 141 Aufklärungspflicht 63 Auflagen 203, 231 Ausgebliebener 39–40 Auslegung 120 Auslieferung 46, 116
Auslieferungsbegehren 117 Auslieferungsbewilligung 117 Auslieferungsfreiheit 126 Auslieferungspflicht 117 Auslieferungsverbot 126 Ausreise 139 Aussage gegen Aussage 94 Ausübung von Hoheitsrechten – Duldung 229 Bedeutung sicheren Geleits 127 Bedingungen 95, 203 Beendigungsgründe 127 Befristung 80, 134, 212 Begriff 26 Beibringungsgrundsatz siehe Verhandlungsmaxime 194 Beistand 206 Bereich der richterlichen Zwangsgewalt 44, 98 Beschlagnahme siehe Vermögensbeschlagnahme 143 Beschleunigungsgrundsatz 94, 151 Beschluss 121 Beschränkung 134 Beschwer 175 Beschwerde 141 Betretungserlaubnis 202 Beweisantizipation 177 Beweisantrag 196, 210 – Ablehnung 176 – Ablehnungsgründe 210 Beweisantragsrecht 176 Beweisaufnahme 220 – durch das ersuchte ausländische Gericht 216
Sachverzeichnis Beweisaufnahme im Ausland 214 – Anwesenheit 215 – Beteiligung 215 Beweisbeschränkung 191 Beweiserhebung, mittelbare 181 Beweiserhebungsermessen 191 Beweiserhebungspflicht 176 Beweislast 191 Beweismittel – Ablehnung 223 – Beschaffung aus dem Ausland 226 – Pflicht zur Erschöpfung 222 Beweisperson – Unerreichbarkeit 235 Beweisrecht, internationales 188 Beweissicherung 50, 150 Beweissicherungsverfahren – Beurteilungsspielraum 152 Beweisunmittelbarkeit 196, 224 – formelle 224 Beweisverbot 191 Beweisverfahrensrecht, internationales 188 Beweiswert 153 Beweiszuständigkeit, internationale 227 Bindungswirkung 27 bona fides siehe Treu und Glauben 119 Dauer 212 dinglicher Arrest 109 Durchführung Strafverfahren 63 Durchsetzung des materiellen Strafrechts 67 effektiver Zugang zu den Gerichten 230 Einlassung 38 Einlieferung 48 Einreise- und Aufenthaltsverbot 202 Einstellung, vorläufige 50, 150 Ergehen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils 66, 127–128, 213
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Erlöschen 127, 212 – Beschlusserfordernis 137 Ermessen 82 Ermittlungsrichter 74 Ermittlungsverfahren 77 Erzwingen des Erscheinens 44 EuBewVO 215 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 23, 36, 93, 229 Europäischer Haftbefehl 47, 125 Europäisches Haftbefehlsgesetz 47, 126 fair trial siehe faires Verfahren 37 faires Verfahren 31, 37, 73, 94, 229–230, 232 Fehlerhaftigkeit der Bewilligung 127 Fiktion 43 Fluchtgefahr 132 Fragerecht 217 freie Beweiswürdigung 225 freies Geleit 24, 127 Freiheitsanspruch 51 freiheitsbeschränkende Maßnahmen 100 freiheitsentziehende Maßnahmen 96 Funktion 27 Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 155 Fürsorgepflicht 38, 151, 165, 169, 207 – prozessuale 34, 36–37, 88, 107, 110, 119, 165, 191, 197 Gebietshoheit 161, 228 Geleitbrief 87, 122, 212 Geltungsbereich 24 Gerechtigkeit 67 – materielle 111 Gerichtsbeschluss 212 Gerichtsgewalt 228 gerichtspflichtig 231 gesetzliche Vermutungen 191
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Sachverzeichnis
Gestellung 42 – ausführbar 44 – durch Zwangsmittel 55 – unangemessen 47 Gestellungsmittel 25, 27, 39, 42, 44, 51, 61, 65, 79–80, 97–98, 143 Gestellungsversuch, fehlgeschlagener 43 Gewaltenteilung 71 Glaubwürdigkeitsbeurteilung 153, 184, 225 Gutachtenverweigerungsrecht 197 Güteverhandlung 234 Haager Beweisaufnahmeübereinkommen 215 Haftbefehl 44 – Aufhebung 81 – Außervollzugsetzung 83 – Vollziehung 87, 109 Haftrichter 74 Hauptverhandlung 80 Hoheitsakt 161 in dubio pro reo siehe Unschuldsvermutung 145 Inhalt 95 Interessenabwägung 87, 104, 175, 213 – Sachvortrag 219 Internationale Rechtshilfe, in Zivilsachen 187 Internationaler Haftbefehl 123 Internationaler Strafgerichtshof 123 – Verhaftung 124 IStGH-Statut 124 Justizgewährungsanspruch 111, 211, 221 Kodifikation 24, 193 Konfiskation 145 Kontumazialverfahren 28–29, 32, 34, 61, 63–64, 142 Kooperationspflicht 124
Ladung 45, 219, 229 – durch öffentliche Bekanntmachung 43 Legalitätsprinzip 72, 114 lex causae 190 lex fori 188, 227 materielle Prozessleitung 220 Mündlichkeit 154 Mündlichkeitsgrundsatz 32, 92, 155, 177, 183 ne absens damnetur 32 Nebenintervenient 204 – streitgenössischer 205 Nebeninterventionswirkung 205 Nebenkläger 162 nemo tenetur 30, 38 Nichterfüllung der Bedingungen, unter denen sicheres Geleit gewährt wurde 138 Nichtigkeit 122 Objekt 118 Öffentlichkeit 217 – externe Rechtfertigungskontrolle 240 Öffentlichkeitsgrundsatz 239 Offizialprinzip 186 Opfer 68 Ordnungsstrafen 161 parlamentarische Kontrolle 237 Partei 197 – Mitwirkungs- und Kontrollrechte 221 – persönliche Anhörung 199 – persönliche Anwesenheit 229 – prozessuale Mitwirkungspflicht 198 – Recht auf Teilnahme 200 – Teilnahmepflicht 197 Parteivernehmung 200, 232 – Pflicht zur ~ 232
Sachverzeichnis personal jurisdiction 227 Personalbeweis siehe Zeugenbeweis 177 Personalhoheit 228 persönlicher Arrest 109–110 persönlicher Sicherheitsarrest siehe persönlicher Arrest 110 persönliches Erscheinen 55 Pflicht zur Kooperation 123 politische Sanktion 237 Privatkläger 164 Privatklageverfahren 164 Prozessbevollmächtigter 205 Recht auf Anwesenheit siehe Recht auf Teilnahme 163 Recht auf Beweis 211, 222 Recht auf Einreise 230 Recht auf Gehör 30, 72, 91, 164 Recht auf Teilnahme 163–165, 200–201, 203, 215, 230–231, 250 rechtliche Sonderverbindung 109 Rechtsanspruch 86, 201 Rechtsbehelf 141, 175, 211 Rechtsbeugung – Sperrwirkung 90 Rechtsdurchsetzungsmonopol 111 Rechtsgeschäft 120 Rechtshilfeabkommen 229 Rechtskraft, formelle 128 Rechtsmittel siehe Rechtsbehelf 211 Rechtsprechungsmonopol 111 Rechtsschutzgarantie 221 Rechtssicherheit 126 Rechtsstaatsprinzip 31, 86, 111–112, 169, 201, 221, 233 Reichweite des sicheren Geleits 102 Reiseweg 203 relative Straftheorien 64 Revisionsgrund, absoluter 35, 40 richterliche Unabhängigkeit 71 Rücknahmefiktion 165
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Sachkunde 162 Sachverhaltsaufklärung siehe Wahrheitsermittlung 91 Sachverständiger 162, 182, 196 Selbstgestellung 42, 144 Selbsthilfeverbot 111, 221 Sicherung des Rechtsfriedens 67 Souveränität 228 Sozialstaatsprinzip 38 Strafanspruch 62 Strafbefehl 57 Strafe 63 – Rechtfertigungselement 69 – Vollstreckung 113 Strafsachen von geringer Bedeutung 41 Straftat 104 Strafvereitelung 115 Strafverfolgungsinteresse 27, 50, 63, 72, 88–89, 91, 104, 158, 173, 180, 183, 196, 198, 206, 233, 240 – staatliches 61 Strafverfolgungsmonopol 63, 152 Strafverfolgungszwang 164 Strafvollstreckung 63, 66–67, 114 Streben nach materieller Wahrheit 231 Streitverkündung 205 Strengbeweisverfahren 177 Subjekt 36–37, 119, 201 Subjektstellung 86 Substantiierungslast 220 Substantiierungspflicht 191 Substantiierungsrisiko 220 Tat im prozessualen Sinne 102 – im Geleitbrief bezeichnet 106 – nach der Einreise liegende 109 – zeitlich vor der Einreise 106 Treu und Glauben 108, 119 Überstellungspflicht 124 – Ausnahmen von ~ 124
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Sachverzeichnis
Übertretungstatbestand 29, 54 Unmittelbarkeit 33, 92, 154, 215, 226, 235–236, 240–241 Unmittelbarkeitsgrundsatz 151, 235 Unschuldsvermutung 145 Unterbringung des Betreuten 110 Untersuchungsausschuss 237 – Beweisaufnahme 240 Untersuchungsgrundsatz 33, 165, 186, 219, 234 Untersuchungshaft 95 – Befreiung von ~ 127 – zur Vollstreckungssicherung 130 Urkundenbeweis 159, 177, 224 – Beweiswert 151 Urteilsverkündung 128 Verbotsgesetz 121 Verfahren gegen Abwesende 25, 54 Verfahren gegen einen Ausgebliebenen 48, 54 Verfahrensverzögerung 151 Verfolgungsvereitelung 90 Verfolgungszwang 72 Verfügungsverbot, absolutes 144 Verhältnismäßigkeitsprinzip 48, 51 Verhandlungsgrundsatz 34, 207 Verhandlungsmaxime 186, 194, 220 Verjährung 67 Vermögensbeschlagnahme 42, 44, 65, 143–144 – Aufhebung 149 Vernehmung 30, 44 – durch beauftragten oder ersuchten Richter 55 – mündliche 92 – per Videokonferenz 185 – persönliche 180 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 214 Verpflichtung 27 Vertrag, öffentlich-rechtlicher 120 Verträge von Rom 124 Vertrauensschutz 108, 112, 126
Verurteilung, rechtskräftige 113 Verweigerungsgründe 124 Videoaufzeichnung 152 Videosimultanübertragung 152, 184, 234 Videoverhandlung 234 Videovernehmung 152, 183, 234 Vieraugengespräch 93, 232 völkerrechtlicher Vertrag 117 Völkerrechtssubjekt, partielles 119 Vollstreckungshilfe 55 Vollstreckungsinteresse, staatliches 113 Vollstreckungspflicht 114 Vollstreckungsvereitelung 90, 115 Vorführungsbefehl 44 Waffengleichheit 31, 229 Wahrheit 21, 31, 37, 67, 135, 176–177, 181, 225 – formelle 34, 196 – materielle 28, 33, 152 Wahrheitsermittlung 91 Wahrheitsermittlungspflicht 55 Wahrunterstellung 223 weitere Beschwerde 141 Wesen sicheren Geleits 26 Wesensgehaltsgarantie 126 Widerruf 140–141 Zeuge 159, 176, 195 – Ausbleiben 161 – eigene Wahrnehmung 159 – Funktion 159 – Glaubwürdigkeit 153 – sachnächstes Beweismittel 224 – unerreichbar 177–178, 223 – ungehorsam 161 Zeugenbeweis 159, 177 – Vorrang 177 Zeugnispflicht 160, 195, 228 Zivilprozess 186 Zugriff, physischer 44
Sachverzeichnis Zuständigkeit 71, 173 Zustellung – förmliche 219 – im Ausland 52 – öffentliche 52 – staatlicher Hoheitsakt 219 – Verletzung der Gebietshoheit 227
Zustellungsbevollmächtigter 59 Zwangsmittel 45, 99, 229 Zweck des sicheren Geleits 61 – Zivilprozess 187 Zweckbindung 80 zweckgebunden 212
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