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German Pages 1306 Year 2008
TIZIANA J. CHIUSI, THOMAS GERGEN und HEIKE JUNG (Hrsg.)
Das Recht und seine historischen Grundlagen
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 139
Das Recht und seine historischen Grundlagen Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag
Herausgegeben von Tiziana J. Chiusi, Thomas Gergen und Heike Jung
Duncker & Humblot • Berlin
Die Herausgeber danken der Montan-Stiftung-Saar, der Siebenpfeiffer-Stiftung und der Union Stiftung für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Obersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-12628-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 © Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Herausgeber, Kollegen, Schüler und Freunde wollen mit dieser Festschrift Prof. Dr. Elmar Wadle zu seinem 70. Geburtstag ehren. Wir ehren damit einen herausragenden Gelehrten, einen Rechtshistoriker von Rang. Die große Wertschätzung, die er in Fachkreisen genießt, zeigte sich schon anlässlich des Kolloquiums zu seinem 65. Geburtstag (vgl. Gergen [Hrsg.], Vielfalt und Einheit in der Rechtsgeschichte, 2004). Nun wird sie eindrucksvoll durch die große Zahl der Mitwirkenden an „seiner" Festschrift unterstrichen. Elmar Wadle wurde 1975 auf eine Professur in Bielefeld berufen. 1978 folgte er einem Ruf an die Universität des Saarlandes auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte. Der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes hielt er trotz eines ehrenvollen Rufes an die Ruhr-Universität Bochum bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2006 die Treue. Elmar Wadles rechtshistorische Forschungen kreisen vor allem um zwei Schwerpunkte: die mittelalterliche Rechtsgeschichte sowie die Geschichte des Geistigen Eigentums. Elmar Wadle legt bei seinen rechtshistorischen Forschungen stets großen Wert auf Quellen- und Archivarbeit. Er stellt keine wolkigen Thesen in den Raum. Seine Beiträge haben dementsprechend immer Neuigkeitswert. Als Beleg für seinen Forschungsstil mag das von der DFG seit März 2006 geförderte Projekt „Privilegia impressoria vor dem Reichshofrat", das Elmar Wadle im Rahmen seiner Forschungsstelle zur „Geschichte des Geistigen Eigentums" an seiner Fakultät betreibt, gelten. Dass Elmar Wadle dieses prestigeträchtige Drittmittelprojekt einwerben konnte, gereicht auch seiner Fakultät zur Ehre. Doch wie begann die wissenschaftliche Karriere des Jubilars? Nach dem Jurastudium in München und Heidelberg reifte noch während der Referendarzeit als Mitarbeiter am Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft der Universität Heidelberg Elmar Wadles, von Prof. Dr. Siegfried Reicke betreute Dissertation zu „Reichsgut und Königsherrschaft unter Lothar III. (1125-1137)". Mit diesem Beitrag zur Verfassungsgeschichte des 12. Jahrhunderts, der 1969 erschien, legte er den Grundstein zu weiteren mediävistischen Forschungen, die ihm den Zugang zum „Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte" eröffneten. In zahlreichen Aufsätzen, die 2001 als Sammelband unter dem Titel „Landfrieden, Strafe, Recht. Zwölf Studien
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zum Mittelalter" vereinigt worden sind, befasste er sich anhand der Quellen zur Gottes- und Landfriedensbewegung immer wieder mit zentralen Fragen um Recht und Gesetz, Strafe und Gericht. Dabei beschäftigt ihn die Frage nach der Definition und Abgrenzung der Gottes- und Landfrieden; rezipiert wurde seine Sicht des Friedens von 1235 als „Reichsfrieden", und eben nicht als „Reichslandfriede". Mit seinen Forschungen über die Gottes- und Landfrieden hat er zugleich einen bedeutsamen Beitrag in der Diskussion um die Herausbildung eines öffentlichen Strafrechts im Mittelalter geliefert. Neben diesen Studien zur Geschichte der mittelalterlichen Rechtswelt wurden schon frühzeitig die Grundlagen für den zweiten Schwerpunkt gelegt, die Geschichte von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrecht. Ausgangspunkt war die im Wintersemester 1973/74 vorgelegte Habilitationsschrift zur Geschichte des Markenrechts. Dieses Werk, das in zwei Bänden unter dem Titel „Fabrikzeichenschutz und Markenrecht. Geschichte und Gestalt des deutschen Markenschutzes im 19. Jahrhundert" erschien, entstand auf der Basis umfangreicher Studien in deutschen Archiven, nicht zuletzt in den seinerzeit bereits zugänglichen Archiven von Potsdam und Merseburg. Dabei hat er Anregungen von Prof. Dr. Götz Landwehr aufgegriffen. Prof. Dr. Dr. h.c. Adolf Laufs hat den Abschluss dieser Arbeit gefördert. Stets von neuem faszinierte ihn der Zusammenhang zwischen der verfassungsrechtlichen Struktur Deutschlands im 19. Jahrhundert einerseits und den Möglichkeiten einer Gesetzgebung in wirtschaftsnahen Bereichen andererseits. Mehr und mehr wurden die Forschungen zum Markenschutz und Patentrecht vertieft und durch Studien zur Geschichte des Urheberrechts ergänzt. Der Ertrag dieser Arbeiten wurde in den beiden Bänden zum Geistigen Eigentum (1996/2003) zusammengefasst, die er als Bausteine zur Rechtsgeschichte angelegt hat. Einmal mehr wird hier Elmar Wadles Meisterschaft deutlich, allgemeine Überlegungen und konkrete Anschauung zu verbinden und damit plastische, um nicht zu sagen spannende Beiträge zur rechtshistorischen Grundlagenforschung zu liefern. In diese Richtung geht auch das jüngste Buch des Jubilars, das in diesem Jahr erschienen ist: Unter dem Titel „Verfassung und Recht. Wegmarken ihrer Geschichte" publiziert Elmar Wadle seine Studien zur Verfassungsgeschichte, ein weiterer Beleg für die Breite seines rechtshistorischen Forschungsansatzes. Einen grundlegenden Aufsatz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germanist. Abteilung) 106 (1989) betitelte Elmar Wadle mit „Der Bundesbeschluss vom 9. November 1837 gegen den Nachdruck - Das Ergebnis einer Kontroverse aus preußischer Sicht". Dort unterstrich er die Rolle Preußens als Vörreiter, Vorbild und Schrittmacher für alle Staaten des Deutschen Bundes, um ein modernes Urheberrecht für ganz
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Deutschland zu erwirken. Auch die Privilegienpraxis beleuchtete er beispielhaft anhand mehrerer Staaten, um den langsamen Gang hin zu einem gesetzlich geregelten Urheberrecht aufzuzeigen. Hier entstanden auch Arbeiten von Elmar Wadles Schülern zu Preußen, Württemberg, Baden, Bayern, Nassau und Hannover. Beim Rechtshistorikertag in Jena im Jahr 2000 stellte Elmar Wadle diese Forschungen ausführlich dar (vgl. Privilegien für Autoren oder Verleger? Eine Grundfrage des Geistigen Eigentums in historischer Perspektive, ZRG German. Abt. 124 [2007], S. 144-166). Die Abschluss Vorlesung Elmar Wadles am 17. November 2006 war geprägt von dem Anliegen, die Rechtsgeschichte in der Juristenausbildung zu bewahren: „Jeder junge Jurist sollte wissen und erfahren, dass der Gegenstand seiner Bemühungen in den Lauf der Zeiten eingebunden ist und nur in diesem Kontext hinreichend verstanden werden kann", so Elmar Wadle, der die Vorlesung der Urheberrechtsgeschichte widmete: „Urheberrecht zwischen Gestern und Morgen - Anmerkungen eines Rechtshistorikers" (Universität des Saarlandes Universitätsreden 69, 2007). Die Beschäftigung mit dem Urheberrecht erhält eine zusätzliche Bewandtnis, wenn man den Musikliebhaber und Künstler Elmar Wadle dazunimmt, dem im Jahre 2000 in St. Ingbert eine umfängliche Ausstellung seiner Aquarelle zuteil wurde. Der Rechtshistoriker Elmar Wadle hat sich zugleich als Rechtsvergleicher profiliert; so legte er als Festgabe anlässlich der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung im Jahre 1994 eine Untersuchung über „Einhundert Jahre Rechtsvergleichende Gesellschaften in Deutschland" vor. Aus Elmar Wadles Feder stammen außerdem zahlreiche Untersuchungen zum Einfluss des französischen Rechts in Deutschland (Französisches Recht in Deutschland, 2002), womit er auch die Brücke zum französischen Recht geschlagen und damit einen genuinen Beitrag zum „Frankreichprofil" der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes geliefert hat. Sein Aufsatz über „Französisches Recht und deutsche Gesetzgebung im 19. Jahrhundert" (a.a.O., S. 41) ist ein ausgesprochenes Kabinettstück zum Verhältnis von Rechtgeschichte und Rechtsvergleichung, geradezu eine „Pflichtlektüre" für jeden Rechtsvergleicher. Dies gilt namentlich für seine Ermunterung und Mahnung an die Rechtsvergleicher: „Wenn Rechtsvergleicher gelegentlich auf historischen Pfaden wandeln, so freut dies niemand mehr als den Rechtshistoriker; und doch darf er als Historiker kritisch anmerken, daß der Griff in die Geschichte einer sorgfältigen methodischen Absicherung bedarf. Man muß sich der Verfahrensweise eines Historikers bedienen, wenn man in die Geschichte zurückschaut; nur so kann man verhindern, daß die Auswahl der Quellen, auf die man sich stützt, mehr durch Zufall bestimmt wird als durch sorgfältige Abwägung" (a.a.O., S. 45).
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Es passt zu dem Pfälzer Elmar Wadle, dass er mit seinen Forschungen zum Vormärz einen weiteren regionalgeschichtlichen Akzent gesetzt hat, der die Fragen der Rezeption des französischen Rechts und die Bedeutung der Regionalgeschichte des Südwestens für die Entwicklung der deutschen Politik und des deutschen Rechts hervorhebt. Speziell die „SiebenpfeifferRenaissance" hat Elmar Wadle maßgeblich gefördert durch seinen Einsatz in der Siebenpfeiffer-Stiftung, seine Initiative bei der Gründung einer wissenschaftlichen Schriftenreihe, die von ihm organisierten Fachkolloquien und die Betreuung von einschlägigen Dissertationen. Elmar Wadles Forschungen zu Siebenpfeiffer und Rebmann strebten dabei „nicht Heldenverklärung, sondern wissenschaftliche Analyse" an, wie es Adolf Laufs bei seiner Laudatio im August 2003 anlässlich des Kolloquiums zum 65. Geburtstag betont hat. Elmar Wadle ist Mitherausgeber in der Rechtshistorischen Reihe und den Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte. Bei der germanistischen Abteilung der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte fungierte er von 1992-2007 als Mitherausgeber, bei den Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte seit 1993. Bei der Savigny-Zeitschrift betreute er zunächst den Rezensionsteil und dann den Aufsatzteil. Das Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG) verdankt ihm zahlreiche Einträge. Elmar Wadle ist Mitbegründer des Arbeitskreises für die Geschichte des Urheberrechts. Zudem wirkt er als Beirat in der Zeitschrift für Erbrecht und Steuerrechtspraxis (ZERB). Sein Engagement als Mitglied der wissenschaftlichen Kommission der V G Wort und als Mitglied des Verlagsausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist angesichts seiner Forschungsinteressen nur folgerichtig. Elmar Wadle hat viele Ämter an der Universität des Saarlandes wahrgenommen; in der universitären Selbstverwaltung wirkte er als Prodekan, Dekan, Senator, Mitglied der Forschungskommission und Direktor der Juristischen Seminarbibliothek. Hervorzuheben ist außerdem seine Tätigkeit als Richter am Verfassungsgerichtshof des Saarlandes von 1997 bis 2008, seit 2003 als Vizepräsident. Der Elmar Wadle überreichte Themenstrauß zielt auf seine Forschungsschwerpunkte und soll den Facettenreichtum der rechtsgeschichtlichen Forschung bis ins geltende Recht hinein widerspiegeln. Elmar Wadle ist nicht nur ein Kenner der gesamten deutschen Rechtsgeschichte mit ihren europäischen Bezügen seit dem frühen Mittelalter bis in die juristische Zeitgeschichte hinein. Neben den Epochen der Geschichte ist sein Werk auch regional fassbar, denn er behandelt die Landes- und Regionalgeschichte mit demselben wissenschaftlichen Engagement wie die Rechtsentwicklung in
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ganz Deutschland, wobei hier immer der enge Bezug zur quellengestützten regionalhistorischen Forschung durchdringt. In tief gehender Weise widmete er sich der Privatrechts- wie der Verfassungsgeschichte, ohne die Strafrechtsgeschichte auszublenden. Über diese reichen wissenschaftlichen Früchte legt sein Schriftenverzeichnis Zeugnis ab. Dreißig Dissertationen, die unter seiner Ägide abgeschlossen wurden, sprechen für seine Fähigkeit, den wissenschaftlichen Nachwuchs für die Rechtsgeschichte zu begeistern. Autoren und Herausgeber verbinden mit dieser Festschrift ihre Glückwünsche für den Jubilar. Er mag sie auch als Ermunterung zu weiteren wissenschaftlichen Großtaten verstehen, wenn es denn angesichts seiner ungebrochenen Schaffenskraft einer solchen bedürfte. August 2008
Die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis Martin Vogel Elmar Wadle und die Geschichte des Urheberrechts
1
Hans-Jürgen Becker Gerichtsverfassung und Architektur - Zur Geschichte der Justizpaläste
11
Theodor Bühler Der Beitrag des revolutionären Frankreich an einer Wissenschaft des schweizerischen Rechtes
23
Arno Buschmann Johann Daniel von Olenschlager als Kommentator der Goldenen Bulle von 1356
43
Tiziana J. Chiusi Die Auseinandersetzung der römischen Juristen mit der Sklaverei Zur Stabilisierungsfunktion des Privatrechts in der Gesellschaft
71
Adolf Dietz Der Einbruch der kulturellen Vielfalt ins Urheberrecht
91
Barbara Dölemeyer Der Code civil in der napoleonischen Ikonographie
111
Franz Dorn Von der vertraglichen Selbstverknechtung auf Lebenszeit zum § 624 BGB Ulrich Eisenhardt Die Annahme des Titels „Erwählter Römischer Kaiser"
129
175
Michael Elicker Steuern und Finanzen im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken unter Christian IV. und Karl II. August
193
XII
Inhaltsverzeichnis
Elisabeth Fehrenbach Ein Rechtsstreit des Vormärz um die Adelsprivilegien im Königreich Württemberg Wilfried
215
Fiedler
Historische und rechtshistorische Argumente in den Verhandlungen über die Restitution von Kulturgütern zwischen Deutschland und Rußland
229
Johannes Fried Schuld und Mythos. Die Eroberung Konstantinopels (1204) im kulturellen Gedächtnis Venedigs Hans-Werner
239
Goetz
Pacem et iustitiam facere. Zum Rechts Verständnis in den Gottes- und Landfrieden
283
Albrecht Götz von Olenhusen Ehre, Ansehen, Frauenrechte - Max Weber als Prozessjurist
297
Christoph Gröpl Die Rundfunkgebühr in ihrer geschichtlichen Entwicklung
317
Hans Hattenhauer Die Gründungen Roms und Konstantinopels in der Geschichtsschreibung des Heiligen Römischen Reiches
337
Hans-Walter Herrmann Beiträge zur Überlieferung und Datierung des Saarbrücker Landrechts
355
Uwe Hüjfer Gesellschaftsrechtliche Mitgliedschaften als Gegenstand absoluter subjektiver Rechte
387
Günter Jerouschek Dämonologie und Magie im „Hexenhammer": Zur Kriminalisierung volksmagischen Brauchtums seit dem späten Mittelalter
407
Egbert Jestaedt Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Sozialversicherungsbeiträge ..
425
Inhaltsverzeichnis
XIII
Heike Jung Montaigne und die Juristen
437
Bernd-Rüdiger Kern Der Prozeß um Rellstabs „Henriette, oder die schöne Sängerin"
447
Gerd Kleinheyer Der Prozeß Dopmann contra Regensburg
463
Diethelm Klippel „Ueber die Unzulässigkeit des Büchernachdrucks nach dem natürlichen Zwangsrecht". Der Diskurs über den Büchernachdruck im Jahre 1784
477
Gerhard Köhler Vom Urheber und Patent zum Urheberrecht und Patentrecht
499
Peter Landau Feudistik und Kanonistik. Ein neuer Quellenfund zum lombardischen Lehnrecht
525
Adolf Laufs Monarchisches oder staatliches Vermögen? Erörterungen zur badischen und zur bayerischen Verfassungsurkunde des Jahres 1818
537
Michael Martinek Die modernen Mediaagenturen als Nachfolger der Werbeagenturen Rechtstatsachen und Rechtsverhältnisse
551
Stephan Meder, Nikolaus Brehmer und Thomas Gergen Leistungsberechtigung und Kausal- oder Drittverhältnis - Grund und Grundlagen der Leistungsrichtung
595
Heinz Mohnhaupt Privileg, Gesetz, Vertrag, Konzession. Subjektives Recht und Formen der Rechtserteilung zwischen Gnade und Anspruch
627
Wolfgang Müller „Wir leben jetzt in einer sehr interessanten Übergangszeit" - Prof. Dr. Rudolf Schranil (1885-1956) als Jurist an den Universitäten in Prag, Halle und Saarbrücken
643
XIV
Inhaltsverzeichnis
Heinz Müller-Dietz Rechtsutopien in Bettine von Arnims „Königsbuch"?
683
Ulrike Müßig Höchstgerichtsbarkeit als Motor des frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesses: Frankreich und das Heilige Römische Reich im Vergleich
703
Reinhard Mußgnug Badens langer Weg zum Amtsgericht. Anmerkungen zu der Großherzoglich Badischen Verordnung vom 18. Juli 1857 über die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung in unterer Instanz
733
Hermann Nehlsen Reaktionsformen der Gesellschaft auf Verletzung und Gefährdung von Gemeinschaftsinteressen in Spätantike und frühem Mittelalter bei den germanischen Stämmen. Ein Beitrag zur Strafrechtsgeschichte
759
Karin Nehlsen-von Stryk Parteienherrschaft und Strafverfahren: Das Folterbegehren der Prozeßparteien
783
Knut Wolfgang Nörr Entwicklungsstufen der Schöffengerichtsbarkeit in den Perioden des Deutschen Bundes, der Kaiserzeit und der Weimarer Republik
801
Rainer Nomine Dühring gegen Wagener - Die Arbeiterfrage vor dem preußischen Richter in Urhebersachen
819
Thomas Olechowski Über die Herkunft Hans Kelsens
849
Walter Pintens Das Testament in der Kunst. Sir David Wilkie und die Testamentseröffnung
865
Filippo Ranieri Eine frühe deutsche Übersetzung der „Commentaries on the Laws of England" von William Blackstone. Zugleich ein Beitrag zur Instrumentalisierung des Common law in der deutschen Germanistik des 19. Jahrhunderts 875
Inhaltsverzeichnis
XV
Manfred Rehbinder Die politischen Schriften des Rechtssoziologen Eugen Ehrlich auf dem Hintergrund seines bewegten Lebens
901
Georg Ress Der zerrissene Staat oder der Mehrebenenstaatenbund. Bemerkungen zur Struktur der Europäischen Union aus historischer Perspektive
917
Klaus Richter BGB und Europäisches Zivilgesetzbuch. Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Lichte der Harmonisierung europäischen Privatrechts
927
Andreas Roth Zu den Anfängen der Vormundschaft über Erwachsene im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
945
Joachim Rückert , Große4 Erzählungen, Theorien und Fesseln in der Rechtsgeschichte
963
Gerhard Sauder Restitutionsfragen - am Beispiel der Albert-Weisgerber-Sammlung der Stadt St. Ingbert
987
Haimo Schack Zur Rechtfertigung des Urheberrechts als Ausschließlichkeitsrecht
1005
Joanna Schmidt-Szalewski La transposition en France de la directive n° 2004/48 relative au respect des droits de propriété intellectuelle
1025
Reinhard Schneider Königliche Wahlkapitulationen des Früh- und Hochmittelalters
1037
Clausdieter Schott Hermann Comings „Respublica Helvetiorum"
1051
Klaus-Peter Schroeder „Ich kann nur sagen, dass ich, was ich auch immer von ihm las, gern las" Skizzen aus Leben und Werk Eberhard Freiherr von Künßbergs (1881-1941)
1071
XVI
Inhaltsverzeichnis
Werner Schubert Zur Einführung der Zwangshypothek nach dem Vorbild der Judikatshypothek (hypothèque judiciaire). Ein Beitrag zur Rezeption französischen Rechts im 19. Jahrhundert
1101
Peter Schuster Diebinnen - Zur Bestrafung weiblicher Kriminalität im Spätmittelalter
1119
Dieter Schwab Philosophie und geistiges Eigentum - Der Beitrag von Johann Georg Heinrich Feder zur Entwicklung des Urheberrechts
1131
Fritz Sturm Le Code civil du Grand-Duché de Bade. Coexistence du droit commun et du droit français
1147
Andreas Wache Vom „Schmachgeld" zum Schmerzensgeld und wieder zurück Artur-Axel
1163
Wandtke
Abstracts als Bearbeitungen von Rezensionen belletristischer Werke
1187
Rudolf Wendt Belastende Analogie im Steuerrecht? Rechtsgeschichtliche Hintergründe einer ungelösten Streitfrage
1203
Dietmar Willoweit Amtleute und Diener in der spätmittelalterlichen Landesherrschaft
1223
Claude Witz Napoléon et la lésion dans la vente d'immeuble
1239
Clemens Zimmermann Die langen Jahrhunderte der Standardisierung: Phasen - Felder - Akteure eines Forschungsfeldes
1255
Schriftenverzeichnis Professor Dr. Elmar Wadle
1269
Autoren Verzeichnis
1285
Elmar Wadle und die Geschichte des Urheberrechts Von Martin Vogel
L Wer im akademischen Bereich etwas geleistet und viele Freunde sowie ihm wohlgesinnte Kollegen um sich hat, dem wird gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn nicht selten eine Festschrift zuteil. Für den jeweiligen Jubilar hat eine solche Ehrung in der Regel eine Vorgeschichte. Denn vor ihm erreichen einige seiner Freunde und Kollegen das Alter, in dem gewöhnlich diese Anerkennung verliehen wird, und so verwundert es nicht, daß der allseits persönlich und wissenschaftlich hochgeachtete Adressat dieser Festschrift in der Vergangenheit selbst zur Feder gegriffen hat, um älteren Kollegen einen wissenschaftlichen Beitrag zu widmen. Für Elmar Wadle sind Festschriftbeiträge - sie alle sind im Verzeichnis seiner Werke im Anhang dieses Buches aufgeführt - zu einem wesentlichen, bei weitem freilich nicht zum dominierenden Teil seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen geworden. Das hat mit seiner wissenschaftlichen Methode zu tun. Denn lange bevor er sich an eine geschichtliche Gesamtbetrachtung macht, richtet er in kleineren Formaten einen sorgfältigen Blick auf die Details, und auch dann bleibt er in seinen Wertungen hinsichtlich des Ganzen, wie man es von ihm als Historiker in großartiger Weise lernen kann, behutsam. So haben ihn die Urheberrechtler aus allerlei Ländern, die unter der Ägide von Manfred Rehbinder 1986 anläßlich des achtzigsten Geburtstags von Hans Thieme und seither in meist zweijährigem Abstand zu einem urheberrechtsgeschichtlichen Symposion zusammenkommen, kennengelernt. Schon bald wurde er dort mit seinen Vorträgen und - immer wieder auch disziplinübergreifenden - Diskussionsbeiträgen zu einer tragenden Säule. Als Elmar Wadle 1988 dazustieß, hatte er sich längst mit seiner fulminanten Habilitationsschrift „Fabrikzeichenschutz und Markenrecht. Geschichte und Gestalt des deutschen Markenschutzes im 19. Jahrhundert" einen Namen gemacht. Überdies füllten damals schon zahlreiche Aufsätze zu vielfältigen Aspekten des Rechts des Mittelalters bis zur Neuzeit sein Literaturverzeichnis. Doch ab diesem Zeitpunkt dauerte es nicht lange, bis ihn die Urheberrechtsgeschichte ganz in ihren Bann zog. Nach einem er-
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Martin Vogel
sten, 1976 erschienenen Aufsatz über die Abrundung des Deutschen Urheberrechts im Jahre 1876, der in detailgenauer Analyse der Materialien die noch gewerbeschützenden Intentionen der Gesetzgebung von 1870/1876 herausarbeitete, dauerte es mehr als zehn Jahre bis zum Erscheinen seiner vielzitierten Betrachtung über die Entfaltung des Urheberrechts als Antwort auf technische Neuerungen im Jahre 1985. Seither wurden die Abstände zwischen seinen urheberrechtsgeschichtlichen Publikationen immer kürzer - stets ausgefüllt mit Aufsätzen u. a. zur Geschichte des Markenrechts, zur Rechtsgeschichte der Zeit Friedrich Barbarossas und Heinrichs IV., zu normativen Rechtsaufzeichnungen im Mittelalter, zum Münzwesen und natürlich zum ständigen Begleiter seiner historischen Forschung, zu Philipp Jakob Siebenpfeiffer, dem 1789 in Lahr geborenen Vertreter der bürgerlichliberalen Opposition des Vormärz und einem der Hauptredner des Hambacher Festes von 1832. Es spricht für seine wissenschaftliche Bescheidenheit und Zurückhaltung, daß Elmar Wadle schon etwas gedrängt werden mußte, bis er nach dem ersten Band von 1996 dem Gedanken einer weiteren zusammenfassenden Veröffentlichung seiner Beiträge zur Geschichte des geistigen Eigentums nähertrat. Noch am Rande unserer urheberrechtgeschichtlichen Tagung vom September 1997 in der Villa Vigoni oberhalb des Corner Sees äußerte er sich auf einem Spaziergang durch den dortigen Park eher skeptisch. 2003 erschien der Band dann doch. Heute gehören die beiden Bände mit dem Titel „Geistiges Eigentum" zusammen mit seiner Habilitationsschrift und seinem Aufsatz „Der Weg zum gesetzlichen Schutz des geistigen und gewerblichen Schaffens - die deutsche Entwicklung im 19. Jahrhundert" zur historischen Standardliteratur dieses Rechtsgebiets. Der Untertitel beider Bände „Bausteine zur Rechtsgeschichte" steht für Wadles wissenschaftliche Vörgehensweise. Denn es sind die verschiedenen Blickwinkel und die abwechselnden Brennweiten, unter denen er sich vorsichtig seinen Themen zu nähern und sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen pflegt.
II. Bei der inhaltlichen Strukturierung seiner Aufsätze zur Urheberrechtsgeschichte sind es, wie es nicht ganz fernliegt, zwei Bereiche, denen sich Elmar Wadle immer wieder zuwendet: zum einen ist es die Rechtsnatur des Privilegs und die Entwicklung seines Wesens im Laufe der Jahrhunderte, zum anderen die Emanzipation des Urheberrechts vom Erfordernis hoheitlicher Bewilligung und seiner Beschränkung auf gedruckte Werke unter den verschiedensten Aspekten der Urheberrechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Elmar Wadle und die Geschichte des Urheberrechts
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Beide Schwerpunkte drängten sich auf, nachdem Elmar Wadle eine Bestandsaufnahme dessen vorgenommen hatte, was in jüngerer Zeit im Bereich der Urheberrechtsgeschichte vorgelegt worden war („Neuere Forschungen zur Geschichte des Urheber- und Verlagsrechts"). Daraus ergaben sich für ihn als Rechtshistoriker, wie sich alsbald zeigte, zwangsläufig neue Fragestellungen sowohl, was die vielfältigen Erscheinungsformen des Privilegs angeht, als auch hinsichtlich der Umbrüche, die das 19. Jahrhundert mit dem Autoritätsverlust der naturrechtlichen Lehre vom geistigen Eigentum des Urhebers und der inhaltlichen Auflösung des Begriffs des Nachdrucks mit sich brachte, und zwar beides unter Berücksichtigung neu entdeckter, erst noch zu sichtender Materialien. Es würde im Rahmen dieses kleinen Geburtstagsgrußes zu weit führen, sämtliche Marksteine abzuschreiten, die Wadle auf dem Gebiet der Privilegienforschung gesetzt hat. Gegenüber all denjenigen, die sich bisher dazu geäußert hatten (Gieseke, Pohlmann, Bappert y Mohnhaupt, Dölemeyer, Vogel u.a.), vermochte er dieses Rechtsinstitut auf breitem rechtshistorischem Fundament und wiederholt mit einem vergleichenden Blick über die Landesgrenzen als Erscheinungsform seiner Zeit zu interpretieren. Dabei stellte er es in den damaligen staatsrechtlichen Zusammenhang und befreite unser Privilegienverständnis von Vorstellungen, die im modernen Urheberrecht wurzeln und deshalb mit dem Bewußtsein des Privilegienzeitalters nur bedingt etwas zu tun haben. Zu den Privilegien hat Elmar Wadle noch längst nicht alles gesagt. Eine große Anzahl unausgewerteter Privilegienurkunden aus dem Wiener Reichshofratsarchiv sind Gegenstand der Untersuchung mit dem Arbeitstitel „Privilegia impressoria vor dem Reichshofrat", die Elmar Wadle im Rahmen seines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts an der Forschungsstelle zur Geschichte des „Geistigen Eigentums" seiner Fakultät betreibt. Eine Würdigung seiner Privilegienforschung erscheint deshalb noch verfrüht, so daß wir an dieser Stelle einen genaueren Blick nur auf seine Arbeiten zur Urheberrechtsgeschichte des Deutschen Bundes als pars pro toto richten wollen, die in ihrer Darstellungsweise viele Gemeinsamkeiten mit der Art und Weise seiner Auseinandersetzung mit dem Privilegienwesen aufweisen.
III. A m Beginn der Entwicklung des Urheberrechts im Deutschen Bund stand bekanntlich Artikel 18d der Wiener Schlußakte. Er hat folgenden Wortlaut: „Die Bundesversammlung wird sich bey ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreyheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen." Was sich hinter diesem Auftrag an juristischen und politischen Problemen verbarg, wurde schon bald deutlich, als Metternich aus dieser Vor-
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Martin Vogel
schrift das Gebot einer gleichzeitigen Regelung von Zensur und Nachdruckverbot herleitete und streitig wurde, in welchem Umfang die Formulierung der „gleichförmigen Verfügungen" die Regelungsbefugnis des Bundes gegenüber der Gesetzgebung der einzelnen Staaten bestimmte, welcher Natur die Rechte der Schriftsteller waren und welcher sachliche Umfang dem Begriff des Nachdrucks zukam. Schon 1988 konnte Elmar Wadle in seinem wegweisenden Aufsatz „Das preußische Urheberrechtsgesetz von 1837 im Spiegel seiner Vorgeschichte" in der ihm eigenen vornehmen Zurückhaltung konstatieren: „Die gedruckten Materialien, auf die sich ältere Darstellungen stützen, bieten zwar wichtige Anhaltspunkte; in ihrer ganzen Breite erschließt sich die Vorgeschichte des Gesetzes aber erst, wenn man auch die ungedruckten Archivalien einbezieht." Er tat dies nach mühevoller und sorgfältiger Sichtung und Bewertung der Quellen im Zentralen Staatsarchiv in Merseburg sowie im Geheimen Staatsarchiv in Dahlem, in den Archiven in Karlsruhe, Stuttgart, München u.a. und brachte in diesem wie in weiteren Aufsätzen Schritt für Schritt Neues zu diesem Forschungsschwerpunkt ans Licht. Arbeit im Archiv also war seine Richtschnur, wo bisher die Literatur sich im wesentlichen an den gedruckten Protokollen der Bundesversammlung orientiert hatte und deshalb nur grobe, teils lediglich spekulative Entwicklungslinien zu ziehen wußte. Die genaue Erschließung, kritische Bewertung und Interpretation der Akten mit dem professionellen Handwerkszeug der historischen Hilfswissenschaften war - da geben ihm seine Ergebnisse recht - Voraussetzung für eine tragfähige Antwort insbesondere auf die Frage, weshalb der Deutsche Bund mehr als zwanzig Jahre benötigte, um die in Artikel 18d enthaltene Verpflichtung umzusetzen. Zwei Zeiträume mit einer fünfjährigen Unterbrechung sind es, in denen die Dinge in Frankfurt verhandelt wurden, obwohl gerade Preußen immer wieder, selbst in der Zwischenzeit, Anstrengungen unternommen hatte, die Diskussion durch neue Initiativen und Vorlagen in den jeweiligen Kommissionen zu befördern.
IV. Der eine Zeitraum umfaßt im wesentlichen die Jahre 1819 bis 1824 und gilt der Erörterung und dem Scheitern des sog. Frankfurter Urheberrechtsentwurfs von 1819, den der 1817 beauftragte oldenburgische Gesandte Günther Heinrich von Berg vorgelegt hatte. Wadle beleuchtet im einzelnen anhand der Akten, wie nach den Karlsbader Beschlüssen die Restauration durch die von Metternich betriebene Verknüpfung von Nachdruckverbot und Zensur die Beförderung einer bundesweiten Nachdruckgesetzgebung behinderte. Dies war freilich, wie Wadle nachweist, nicht der einzige Be-
Elmar Wadle und die Geschichte des Urheberrechts
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weggrund Österreichs. Die Beschränkung einer Nachdruckgesetzgebung des Deutschen Bundes auf die Erblande bereitete Wien ebenso Kopfzerbrechen wie eine letztlich nicht auszuschließende Abschaffung des Privilegiensystems überhaupt. Zu viele Divergenzen bestanden auch unter weiteren bedeutenden Staaten des Bundes, in denen dem Nachdruck jeweils eine andere wirtschaftliche Bedeutung zukam. War der Nachdruck ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung erlaubt oder aus dem natürlichen Recht des Urhebers verboten, folgte ein Nachdruckverbot bereits aus dem Wortlaut des Art 18d der Bundesakte oder kam erst einer gemeinsamen Verfügung die notwendige konstitutive Wirkung zu? Dies war nur ein, wenngleich wesentlicher Teil der Fragestellungen, um die sich die rechtlichen Auseinandersetzungen der Staaten des Deutschen Bundes drehten. Während Preußen die Fahne des Fortschritts hochhielt und für naturrechtlich begründete Eigentumsrechte des Urhebers eintrat, lehnte Württemberg dies mit der Begründung ab, der Nachdruck sei ein Ausdruck natürlicher Freiheit. Dennoch befürwortete Württemberg einen zeitlich befristeten urheberrechtlichen Schutz unter Abschaffung des Privilegs. Mochte sich Preußen jedoch noch so sehr um Kompromißlösungen bemühen, Österreich blieb passiv, weil es keine bundesweite Regelung wollte. Als schließlich Bayern in erster Linie die Beibehaltung des Privilegs favorisierte, bedeutete dies letztlich das Ende des Frankfurter Entwurfs.
V. Gleich drei besonders lesenswerte Aufsätze mit unterschiedlicher Perspektive widmet Elmar Wadle den Ende 1824 einsetzenden sehr langwierigen und von Preußen unterstützten Bemühungen Goethes um eine bundesweite Privilegierung seiner Ausgabe letzter Hand („Goethes Gesuch um ein Nachdruckprivileg des Deutschen Bundes und die preußische Politik", „Rechtsprobleme um Nachdruck und geistiges Eigentum in Goethes Praxis" und „Goethes Wünsche zum Nachdruckschutz außerhalb des Deutschen Bundes"), die letztlich im zweiten Zeitraum der Jahre 1829 bis 1837 die gesetzgeberischen Anstrengungen zur Umsetzung der Vorgaben des Artikel 18d wieder in Gang brachten. In diese Zeit fiel mit dem Bundesbeschluß vom September 1832 die Vereinbarung der bundesweiten Anwendung des Grundsatzes der Inländerbehandlung, nachdem angesichts des Stillstands in Frankfurt Preußen zuvor durch den Abschluß von Gegenseitigkeitsverträgen mit anderen Territorialstaaten den Rechtsschutz wenigstens seiner eigenen Schriftsteller und Verleger innerhalb des Deutschen Bundes befördert hatte. Doch der Beschluß von 1832 führte noch nicht zu einem einheitlichen Verbot des Nachdrucks. Erst mit dem weiteren Beschluß vom 2. April 1835 wurde in der Folge der Ergebnisse der Wiener
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Ministerkonferenz von 1834 ein bundesweites Nachdruckverbot erreicht. Zur selben Zeit kam es nach fast zwanzig Jahren endlich auch, wie Wadle in einer weiteren Publikation („Das Junktim zwischen Zensur und Nachdruckschutz und dessen Aufhebung im Jahr 1834") auf der Grundlage der Archivalien Schritt für Schritt entwickelt, zur Entkoppelung von Preß- und Nachdruckgesetzgebung des Deutschen Bundes, weil die Preßgesetzgebung innerhalb der Gesetzgebung des Bundes einen eigenen vom Nachdruck unabhängigen Platz gefunden hatte. Sodann verdankt die Geschichtsforschung gerade Wadles Arbeiten Einblicke, wie sich - befördert durch die Verhandlungen beim Bundestag - die innerhalb seiner Ministerien keineswegs unumstrittenen Vorstellungen Preußens über die Erfordernisse eines modernen Urheberschutzes konkretisierten, ohne daß damit zugleich auch Fortschritte in Frankfurt einhergegangen wären („Berliner , Grundzüge 4 eines Gesetzentwurfs zum Urheberschutz ein gescheiterter Versuch im Deutschen Bund (1833/34)"). Es waren die angesichts kontroverser Standpunkte innerhalb des Deutschen Bundes immer wieder notwendig gewordenen Anweisungen Preußens an seinen Gesandten in Frankfurt, die die Berliner Ministerien zur weiteren rechtlichen Durchdringung der Materie und zur Bildung einer einheitlichen Position des preußischen Staatsrats herausforderten. Die Diskussionen der preußischen Staatsorgane offenbarten, welche vor- und rückwärtsgewandten Gedanken selbst innerhalb des preußischen Kabinetts aufeinandertrafen - Antipoden waren hier namentlich der Minister des für die Novellierung des ALR verantwortlichen Ressorts der Justiz und Gesetzesrevision von Kamptz und das Außenministerium unter Federführung des Geheimen Legationsraths Philipsborn - und wie in der Auseinandersetzung die Entwürfe des preußischen Gesetzes von 1837 zunehmend schärfere Konturen gewannen. Sie gingen weit über die im Deutschen Bund noch herrschenden Vorstellungen von einem gebotenen Schutz des Urhebers hinaus. Trotz bedeutender Anstrengungen Preußens, der eigenen Konzeption auch in Frankfurt zum Durchbruch zu verhelfen, konnten sie wegen ihres Regelungsumfangs, aber auch wegen der auf Bundesebene wachsenden österreichisch-preußischen Rivalität, dort zunächst nur sehr bedingt richtungsweisend wirken.
VI. Das preußische Gesetz zum Schutze des Eigentums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung wurde am 18. Dezember 1837 im Gesetzblatt veröffentlicht, obwohl der König es bereits am 11. Juni 1837 unterzeichnet hatte. Zwischen der Unterzeichnung und der Veröffentlichung lag also fast ein halbes Jahr. Warum das so war, hat Wadle
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in einem weiteren Aufsatz „Der Bundesbeschluß vom 9. November 1837 gegen den Nachdruck" ergründet, der auf der Grundlage der Akten das spannende, ja geradezu dramatische diplomatische Tauziehen nachzeichnet, das sich in diesem Zeitraum in Frankfurt unter den Gesandten der Territorialstaaten abspielte, namentlich dem Preußens einerseits sowie denjenigen Württembergs und Österreichs andererseits. Preußen wollte bis zuletzt möglichst viel seines gerade erst unterzeichneten Gesetzes zum bundesweiten Standard machen, während Österreich und Württemberg noch nicht bereit waren, ihre am Tatbestand des Nachdrucks orientierten Rechtsvorstellungen aufzugeben. Bei der Präsidialmacht Österreich kam die bereits sich anbahnende Konkurrenz um die Dominanz im Deutschen Bund hinzu sowie die Option, sich bei einer eigenen Gesetzgebung so wenig wie möglich durch Bundesbeschlüsse präjudiziell zu sehen. Zuletzt ging es im wesentlichen um den Schutz noch ungedruckter Werke, den Württemberg nicht akzeptieren wollte, sowie um den Wunsch Preußens nach Aufnahme einer materiellen Gegenseitigkeitsklausel, um nicht Angehörigen anderer Staaten das eigene hohe Schutzniveau ohne Gegenleistung gewähren zu müssen. Erstere Frage wurde im Sinne Preußens gelöst, letztere Frage schließlich im Kompromißwege durch eine Vorbehaltserklärung, in der angesichts dadurch möglicher Separatabkommen zum Ausdruck gebracht wurde, daß diese nicht in einer Weise eingesetzt werden, die das gemeinsame integrative Ziel bundesweit einheitlichen Rechts stören könnte. Im übrigen blieb der Beschluß vom 9. November 1837 über gleichförmige Grundsätze gegen den Nachdruck weit hinter den preußischen Zielen zurück. Zwar galt der Schutz literarischer und artistischer Werke vor mechanischer Vervielfältigung dem Urheber, und zwar auch für seine unveröffentlichten Werke, jedoch in der Tradition der Privilegienzeit nur für zehn Jahre ab ihrem Erscheinen. Erst am 19. Juni 1845 wurde für das gesamte Bundesgebiet die dreißigjährige Schutzfrist post mortem auctoris beschlossen. Vier Jahre zuvor, am 22. April 1841, hatte - auch insoweit preußischem Vorbild folgend - die Bundesversammlung nach insgesamt mühseligen Auseinandersetzungen die Gewährung eines Aufführungsrechts an ungedruckten Werken beschlossen. Die diesem Beschluß vorangegangenen Diskussionen sowohl im Bund als auch in Preußen analysiert der Jubilar in seiner Untersuchung „Die Anfänge des Aufführungsrechts in Preußen und im Deutschen Bund". Auch bei dieser Frage ging es wieder um den Umfang des Auftrags des Artikel 18d, namentlich um die Auslegung des Begriffs des Nachdrucks. Ferner bestand keine Einigkeit, ob das Aufführungsrecht sich auf lediglich ungedruckte Werke beziehen oder uneingeschränkt für alle Werke gelten sollte. In Berlin standen sich auch insoweit wieder die alten Lager Ministerium für Justiz und Revision unter von Kamptz und Außenministe-
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rium, vertreten durch Philipsborn - gegenüber. Zuletzt verneinte der preußische Staatsrat mit 18 gegen 7 Stimmen die Frage, ob der Schriftsteller die Aufführung seines gedruckten Werkes untersagen könne, und blieb damit hinter der Befürwortung eines uneingeschränkten Aufführungsrechts zurück, das Außenminister Ancillon noch mit Weisung vom 29. März 1834 dem preußischen Gesandten bei der Bundesversammlung als Verhandlungsmandat mit auf den Weg gegeben hatte. Trotz vielfältiger Unterstützung des Vorschlags eines auf ungedruckte Werke beschränkten Aufführungsrechts wurde die Abstimmung in diesem Punkt zurückgestellt und mit Separatbeschluß vom 9. November 1837 neuer gutachtlicher Vortrag in Auftrag gegeben. Als dieser im Grundsatz positiv ausfiel, kam es am 22. April 1841 zum Beschluß eines bundesweiten Aufführungsrechts an ungedruckten Werken, beschränkt auf 10 Jahre nach der ersten rechtmäßigen Aufführung, und damit zur erstmaligen gesetzlichen Regelung einer unkörperlichen Form der Werknutzung, die freilich immer noch unter Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Belange der Bühnen und die Interessen des durch die Aufführung beeinträchtigten Papiergeschäfts der Verleger stand.
VII. Wadles Forschungen beschränken sich bei weitem nicht auf den bloßen Verlauf der Gesetzgebungsgeschichte. Alle in den einschlägigen Kommissionen und Gremien agierenden Beamten, alle konsultierten Rechtsgelehrten, Künstler und Schriftsteller werden namentlich und bisweilen mit einer kurzen Biographie vorgestellt. Von ihren Stellungnahmen zur Sache zieht Elmar Wadle wiederholt Verbindungslinien zu den andernorts, namentlich in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertretenen Auffassungen vom Wesen des Urheberrechts. Mitunter widmet er - wie im Falle Leopold Joseph Neusteteis („Nachdruck als Injurie") - der Arbeit eines einzelnen Rechtswissenschaftlers gar einen eigenen Aufsatz. Neustetel rekurrierte, wie Wadle referiert, bei der Begründung der Rechte des Urhebers auf die Anerkennung der guten Sitte durch das römische Recht und wertete den Nachdruck als eine gegen die Persönlichkeit des Autors gerichtete Injurie, die der Urheber mit der actio iniuriarum abwehren könne. Die Theorie seines Protagonisten erörtert Wadle unter Heranziehung der zeitgenössischen Kritik von Jolly, Kramer, Schmid, Lange und Elvers f durch die die Defizite der Lehre Neustetels, wie etwa die fehlende Möglichkeit der Geltendmachung eines Schadensersatzes durch die actio iniuriarum, deutlich werden. Wenn die Rechtswissenschaft der damaligen Zeit Neustetel die Gefolgschaft versagte, so konstatiert Wadle, hatte dies darin seinen Grund, daß die Zeit der Ableitung
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des Urheberschutzes aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen des geltenden Rechts vorbei war. „Fortan argumentierte man positivistisch." In einem weiteren Aufsatz („Savignys Beitrag zum Urheberrecht") ging Wadle an Hand der Quellen dem oft erwähnten, dabei aber niemals wirklich ergründeten Beitrag Savignys zum preußischen Gesetz von 1837 nach. Savigny war seit 1817 einfaches Mitglied der Justizabteilung des Staatsrats, dem der König einen ersten Ministerialentwurf vorlegte. Doch die diesbezüglichen Akten im Zentralen Staatsarchiv in Merseburg vermochten ein zuverlässiges Bild der Beteiligung Savignys an der Entstehung des Gesetzes von 1837 nicht zu vermitteln. Bei weiterer Suche in den Archiven, diesmal der Universitätsbibliothek Marburg, wurde Wadle fündig. Die dort aufbewahrten Archivalien lohnten den Aufwand. Denn unter ihnen befindet sich ein undatiertes aufschlußreiches handschriftliches Exposé Savignys über den Nachdruck, das Wadle, wie so oft in derartigen Untersuchungen, seinen Ausführungen anfügt. In sorgfältiger Bewertung und historischer Einordnung dieses Dokuments weist er nach, daß Savigny nicht mehr zu jenen gehörte, die in der damaligen Zeit des Umbruchs das Recht des Autors aus dem natürlichen Eigentum des Urhebers rechtfertigten, wie es seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vorherrschend war. Mit der Auffassung der historischen Rechtsschule konnte diese Lehre nicht mehr in Einklang gebracht werden. Für Savigny resultierte deshalb das Recht des Urhebers aus dem positiven gesetzlichen Verbot des Nachdrucks, d.h. aus einem deliktischen Schutz, der seine Rechtfertigung darin findet, daß der Nachdruck „contra bonos mores zugleich gegen die publica utilitas" gerichtet ist. Das Gesetz war deshalb für Savigny, wie die Quellen offenbaren, in Anknüpfung an den Begriff des Nachdrucks „nur eine vollkommenere Entwicklung der Praxis der Privilegien". Die Werkschöpfung als rechtlicher Ausgangspunkt dafür, daß die aus ihr resultierenden wirtschaftlichen Früchte ihrem Urheber zuzuordnen sind, vermochte Savigny ohne gesetzliches Gebot nicht anzuerkennen. Deshalb trat er auch gegen eine aus dem Eigentumsbegriff resultierende ewige Schutzfrist an, befürwortete jedoch einen fünfzigjährigen Schutz post mortem auctoris, den der Gesetzgeber von 1837 aber auf für die damalige Zeit immer noch beachtliche 30 Jahre reduzierte.
VIII, An dieser Stelle wollen wir die Besichtigung des Werkschaffens Elmar Wadles zur Geschichte des Urheberechts im Deutschen Bund abbrechen, wenngleich wir ihm mit so wichtigen Untersuchungen wie „Sonderrecht für Werke der bildenden Künste? Ein preußisches Reformprojekt", „Der Schutz telegraphischer Depeschen", „Die Geldbuße im Urheberrecht", „Der Frank-
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furter Entwurf eines deutschen Urheberrechtsgesetzes von 1864" sowie seinen großartigen Aufsatz „Photographie und Urheberrecht im 19. Jahrhundert - Die deutsche Entwicklung" noch bedeutende Erhellungen der Geschichte dieses faszinierenden Rechts in der Zeit des Deutschen Bundes verdanken. Insbesondere bei der Erschließung der hier näher beleuchteten Epoche erwies sich Elmar Wadle auch als ein großartiger Lehrer und Förderer seiner Schüler. So überließ er es Rainer Nomine , den nach seiner organisatorischen Struktur und seiner Spruchpraxis für die urheberrechtliche Judikatur seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts einzigartigen Spruchkörper des Königlich Preußischen Literarischen Sachverständigenvereins zu ergründen und in einer weiteren Publikation „Vestigia terrent: Zur Entstehung des sächsischen Gesetzes den Schutz der Rechte an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst betreffend, vom 22. Februar 1844" in einer archivgestützten Studie den sächsischen Gesetzesweg vorzustellen. Beeinflußt vom preußischen Gesetz von 1837 wurde in Bayern 1840 ein ähnliches Gesetz beraten und beschlossen, dessen Vorgeschichte und Zustandekommen Andreas Feld in seiner von Elmar Wadle betreuten Dissertation „Das Bayerische Gesetz zum Schutz des Eigentums an Erzeugnissen der Literatur und Kunst gegen Nachdruck vom 15. April 1840" anhand zahlreicher Originalquellen aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv sowie der Parlamentsprotokolle untersucht. Nicht zuletzt verdient in diesem Zusammenhang die Habilitationsschrift seines Schülers Thomas Gergen erwähnt zu werden, die 2005 zum Thema „Die Nachdruckprivilegienpraxis Württembergs im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für das Urheberrecht im Deutschen Bund" entstand. Gerade auch bei dieser Untersuchung wird deutlich, in welch überzeugender Weise Elmar Wadle es als Universitätslehrer vermocht hat, die eigene wissenschaftliche Betrachtungsweise seinen Schülern weiterzugeben und insbesondere die Bedeutung der Quellenarbeit in den Archiven zu vermitteln. Wir wünschen ihm, seinen Schülern und natürlich uns als seinen Lesern, daß ihm das noch lange gegönnt ist.
Gerichtsverfassung und Architektur Zur Geschichte der Justizpaläste Von Hans-Jürgen Becker Nachdem die Neuordnung des durch Napoleon zerrütteten Römischen Reiches 1815 durch den Deutschen Bund einen äußeren Rahmen erhalten hatte, ging es im Hinblick auf die Verfassung Deutschlands im 19. Jahrhundert um die Lösung dreier Kernfragen, um die Lösung des nationalen, des konstitutionellen und des sozialen Verfassungsproblems. 1 Mit Gründung des Deutsches Reiches und der Schaffung der Bismarck-Verfassung von 1871 sowie mit den Sozialgesetzen der Jahre 1883-1891 hatten diese Fragen im Ansatz eine vorläufige Antwort gefunden. Ein dauerndes Problem blieb jedoch in den ersten Jahrzehnten des Kaiserreichs zu lösen: die Festigung und der Ausbau des Rechtsstaates.2 Wie dieser Weg beschritten wurde, illustrieren viele Gerichtsbauten, die in Deutschland in den Dezennien nach 1871 errichtet worden sind. Diese Bauten legen, trotz mancher Kriegsbeschädigung, noch heute ein anschauliches Zeugnis einer bedeutenden Phase der deutschen Justizgeschichte ab.
I. Der Ausbau des Rechtsstaates und der Weg zur Rechtseinheit in Deutschland Wichtige Epochen auf dem Weg zum Rechtsstaat waren bekanntlich die Durchsetzung der Gewaltentrennung, insbesondere die Trennung von Justiz und Verwaltung, die Garantie der Unabhängigkeit des Richters, die Bindung aller staatlichen Gewalt an Recht und Gesetz. Was die Rechtseinheit angeht, so hätte man erwarten können, dass nach der Begründung der nationalen Einheit nun auch die Vereinheitlichung von Justizverfassung, Prozesswesen und materiellem Recht bald folgen würde. Doch sollte sich dieser Weg als schwierig erweisen. Ein erster Entwurf für ein Gerichtsverfassungs1
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, in: ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1918), Köln 1972, S. 13-23. 2 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: ders. (Hg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1976, S. 65-92.
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gesetz3 scheiterte, weil einige Bundesstaaten dadurch ihre Justizhoheit und damit ihre föderalen Rechte bedroht sahen. Streitpunkte waren insbesondere die Stellung des Richters, die Aufhebung jeder Standes- und Privatgerichtsbarkeit, das Schwurgericht. Um einen Kompromiss zu finden, wurde eine Reichsjustizkommission eingesetzt. In zähen Verhandlungen gelang es in den Jahren 1875 und 1876, eine gemeinsame Basis zu finden. Endlich konnte das Gerichtsverfassungsgesetz am 21.12.1876 im Reichstag verabschiedet werden. Zusammen mit den anderen Reichsjustizgesetzen, also Zivilprozessordnung, Strafprozessordnung, Konkursordnung und Rechtsanwaltsordnung, trat es am 1. Oktober 1879 in Kraft. Nunmehr war ein Organisationsrahmen für die Justiz in Deutschland geschaffen. In allen Bundesstaaten war die Gerichtsorganisation völlig neu zu gestalten. Die Appellationsgerichte und die Landgerichte älterer Art mussten den neuen Gerichtstypen weichen. Das Gerichtswesen der alten Zeit wies eine Fülle von ganz unterschiedlichen Gerichtstypen auf, deren Geschichte teilweise in das Mittelalter zurückreichte, die aber in der Regel zur Zeit der Aufklärung einem Rationalisierungs- und Vereinheitlichungsprozess unterworfen worden waren. Allen Gerichtstypen des Ancien Régime war aber gemein: Sie benötigten nur sehr kleine Räumlichkeiten, denn das Verfahren war schriftlich und geheim. In der Regel wurden, da die Richter unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagten, kleine Nebenräume in einem größeren Verwaltungsgebäude als völlig ausreichend angesehen. Städtische Ratsgerichte waren häufig in einem Trakt des Rathauses untergebracht. Selbst die größeren Landgerichte der Territorien hatten im Ancien Régime nur selten ein eigenes Gebäude zur Verfügung. In der Regel waren sie in einer Kammer eines Kanzleigebäudes untergebracht, was zu ihrer Namensgebung beigetragen hat. Selbst das alte Kammergericht in Berlin 4 war zwar seit 1735 in einem edlen schlossartigen Palais, dem sog. CollegienHaus, untergebracht, doch standen ihm in dem durch den Architekten Philipp Gerlach erbauten Gebäude nur wenige Zimmer zur Verfügung. Die anderen Räume wurden von Behörden wie dem Konsistorium, dem Baukolleg oder dem Lehensarchiv genutzt. Erst ab 1879 durfte das Kammergericht das gesamte Collegien-Haus in Anspruch nehmen. 3 Grundlegend Werner Schubert, Die deutsche Gerichtsverfassung (1869-1877): Entstehung und Quellen (lus commune, Sonderhefte 16), Frankfurt am Main 1981. Vgl. ferner Otto Rudolf Kissel, 100 Jahre Gerichtsverfassungsgesetz, NJW 1979, S. 1953-1959; Gregor Biebl, Bayerns Justizminister von Fäustle und die Reichsjustizgesetze. Ein Beitrag zum deutschen Föderalismus in der Bismarckzeit (Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät Bd. 90), Ebelsbach 2003. 4 Volker Kähne, Gerichtsgebäude in Berlin. Eine rechts- und baugeschichtliche Betrachtung, Berlin 1988, S. 29-33; Klemens Klemmer/Rudolf Wassermann/Thomas Michael Wessel, Deutsche Gerichtsgebäude. Von der Dorflinde über den Justizpalast zum Haus des Rechts, München 1993, S. 25-27.
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II. Der Justizpalast als Symbol der Unabhängigkeit der dritten Gewalt Nachdem sich aber in Folge der Französischen Revolution die Rechtsstaatsidee mit der Forderung nach richterlicher Unabhängigkeit und Transparenz des Verfahrens durchsetzen konnte, nachdem sich der Ruf nach Gerichtsöffentlichkeit, Errichtung einer Staatsanwaltschaft und Beteiligung von Laien an der Rechtsfindung Gehör verschafft hatte, reichten die alten Gerichtssäle, die nur den schriftlichen Prozess und ein Verfahren vor wenigen Berufsrichtern unter Ausschluss der Öffentlichkeit gekannt hatten, nicht mehr aus. Auch die Verteilung der Justiz auf unterschiedliche Gebäude ließ sich mit dem Gedanken der Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung schlecht vereinen. Man musste neue Gerichtsgebäude schaffen, die genügend Raum nicht nur für alle an einem Ort ansässigen Gerichte und ihre Richter, sondern auch für Staats- und Rechtsanwaltschaft, für die Geschworenen bzw. Schöffen und nicht zuletzt für das Publikum boten. Dies bedeutete, dass man nicht nur für die Verhandlungen große Gerichtssäle, sondern für Zeugen und Zuhörer auch geräumige Eingangs- und Wandelhallen und breite Treppenhäuser benötigte, die den ungewohnten Besucherstrom aufnehmen konnten. Seitdem im Jahre 1879 die Reichsjustizgesetze in Kraft getreten waren, musste man für die neu vorgesehenen Gerichte die erforderlichen Gebäude zur Verfügung zu stellen. Zunächst wurden sie allerdings in der Regel in bereits vorhandene Gebäude eingewiesen, von denen schon bald feststand, dass sie den neuen Anforderungen nicht gerecht werden konnten. Auch wurde der Raumbedarf völlig falsch eingeschätzt, da man zunächst die zu dieser Zeit sprunghaft steigenden Bevölkerungszahlen und das Anwachsen der Städte durch die Eingemeindungen von Umlandsgemeinden nicht in Rechnung stellte. Es sollten in der Regel viele Jahre vergehen, bis hier Abhilfe geschaffen werden konnte. Als man endlich in den Jahren nach 1879 - verstärkt aber erst nach der Jahrhundertwende - die Aufgabe der Errichtung neuer und zweckmäßiger Justizgebäude in Deutschland in Angriff nehmen konnte, war es hilfreich, dass man auf die europäische Idee des Justizpalastes zurückgreifen konnte. In vielen Hauptstädten Europas hatte man nämlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Justiz wahre Tempel errichtet. Dort, wo man schon einige Jahre vor den Deutschen zur Gründung eines Nationalstaates gelangt war, bemühte man sich, die gewonnene Einheit der Nation und die von ihr getragene Staatsgewalt in markanten Gebäuden der jeweiligen Hauptstadt zur Geltung zu bringen. Neben den großen Palästen für die Regierung und für die gesetzgebende Körperschaft errichtete man für die dritte Gewalt im Staate große repräsentative Paläste.
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A m Anfang dieser Entwicklung steht der Justizpalast in Paris. 5 Das französische Parlament, also der höchste Gerichtshof, hatte schon zu Zeiten des Ancien Régime den König aus seinem Königsschloss auf der Cité-Insel in den Louvre verdrängt, so dass aus dem „Palais du Roi " ein „Palais de Justice" und aus der 70 m langen „Grand' Salledem Festsaal des Königs, schließlich die „Salle des pas perdus die große Wandelhalle des Pariser Justizpalastes wurde. Es folgte Brüssel mit seinem riesigen Palais de Justice 6 , das hinsichtlich der Monumentalität unerreichtes Vorbild für die späteren Justizpaläste in Deutschland wurde. Das Bauwerk wurde 1866 bis 1883 nach den Plänen des Architekten Joseph Poelaert (1817-1879) errichtet und wird durch drei Elemente charakterisiert, die für die Nachfolgebauten wegweisend sein sollten: eine mächtige Wandelhalle (Salle des pas perdus), ein großer Sitzungssaal (Salle de la cour d'assises) und eine monumentale Kuppel, die mit 122 m nahezu die Höhe der Kuppel der Peterskirche in Rom (133 m) erreicht. Belgien begriff die Justizarchitektur als eine bedeutende nationale Aufgabe. Der Justizpalast stellt sich dar als „eine Kathedrale des bürgerlichen Verfassungsstaates". 7 Der Justizpalast in Rom 8 wurde seit 1880 geplant und unmittelbar am Tiber in Sichtweite zum Vatikan errichtet. Er ist das Hauptwerk des Architekten Guglielmo Calderini (1837-1916). Die gigantischen Baumassen des römischen Justizpalastes, den die Römer respektlos 5 Henri Stein, Le Palais de Justice et la Sainte-Chapelle de Paris, Paris 1927; Klemens Klemmer u.a. (wie Anm. 4), S. 34 ff.; Jean Favard, Au Coeur de Paris, un palais pour la justice, Paris 1995. 6 F. Wellens, Nouveau Palais de Justice de Bruxelles, Brüssel 1881; Pierre Loze, Le Palais de Justice de Bruxelles, Brüssel 1983; Poelaert et son temps: Palais de Justice de Bruxelles (Ausstellungskatalog), Brüssel 1980. 7 Peter Landau, Reichsjustizgesetze und Justizpaläste, in: Kunstpolitik und Kunstförderung im Kaiserreich, hg. von Ekkehard Mai/Hans Pohl/Stephan Waetzoldt (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich 2), Berlin 1982, S. 197-223, insbes. S. 218. Vgl. hierzu auch Werner Gephart, Recht als Kultur. Zur kultursoziologischen Analyse des Rechts (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 209), Frankfurt am Main 2006, insbes. S. 237 ff.; Markus Dauss, Identitätsarchitekturen: öffentliche Bauten des Historismus in Paris und Berlin (1871-1918), Dresden 2007. Zu England, das hier nicht behandelt wird, vgl. David Sugarman, Images of Law. Legal Buildings, Englishness and the Reproduction of Power, in: Reiner Schulze (Hg.), Rechtssymbolik und Wertevermittlung (Schriften zur Europäischen Rechtsund Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004, S. 167-199. 8 II palazzo di giustizia in Roma: Relazione e descrizione del progetto justitiae triumphus, Rom 1886; Terry Rossi Kirk, Church, state and architecture: the palazzo di Giustizia of nineteenth-century Rome, New York (Columbia Univ.) 1997; Marcello Fabri/Augusto De Luca, II Palazzo di Giustizia a Roma, 2. Aufl. Roma 2002; Carolina Marconi! Mar gherita Guccione, Fotografie e disegni del Palazzo di Giustizia di Roma, Rom 2006.
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„Palazzaccio" nennen, erforderten eine Bauzeit von 1888-1911. In Wien wurde der Justizpalast an der berühmten Ringstraße in den Jahren 1874 bis 1881 errichtet. 9 Bei der Einweihung in Gegenwart von Kaiser Franz Joseph betonte der Justizminister, dass bei diesem Bauwerk in Nachbarschaft zum Gebäude des Reichsrats, die übliche „Sparwut" auf taube Ohren gestoßen sei, weil man erkannt habe, es gehe hier nicht um die Errichtung irgendeines Amtshauses, sondern um einen „Tempel der Gerechtigkeit". Und auch der Kaiser, der sonst nur die kurzen Worte „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut" zu sprechen pflegte, ließ sich zu dem Lob hinreißen, der Prachtbau sei wunderschön und übertreffe alle Erwartungen. Das 1871 neu gegründete Deutsche Reich konnte und wollte hier nicht zurückstehen. Allerdings entstand das Reichsgericht, das höchste deutsche Gericht, nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, in der Reichshauptstadt als Gegenstück zum Reichstag, sondern gemäß den föderalen Forderungen, die insbesondere von Bayern vehement vertreten wurden, in Leipzig. 1 0 1884 erließ das Reichsjustizamt ein Preisausschreiben zur Einreichung von Entwürfen für ein in Leipzig zu bauendes „Reichsgerichtshaus". Den ersten Preis errang - unter 119 Bewerbungen - der Darmstädter Architekt Ludwig Hoffmann (1852-1932), der allerdings seinen ursprünglichen Entwurf bei der Ausführung in den Jahren 1888 bis 1895 noch einige Male umarbeiten musste: Unter anderem wurde nachträglich - das Vorbild in Brüssel ist nicht zu übersehen - eine große Kuppel eingeplant und die zunächst sehr kleine Halle deutlich vergrößert. Eine besondere Betonung erhielten der große Sitzungssaal für die vereinigten Zivil- und Strafsenate und für das Plenum des Reichsgerichts und die Räume für die Bibliothek des Reichsgerichts. 9
A. von Wielemans, Der k.k. Justizpalast in Wien, Wien 1885; Otto Huber , Der Wiener Justizpalast, Wien 1986; Klemens Klemmer u.a. (wie Anm. 4), S. 82 ff.; Der Wiener Justizpalast, hg. vom Bundesministerium für Justiz, Wien 2007. 10 Zur Geschichte: Elmar Wadle , Das Reichsgericht im Widerschein denkwürdiger Tage, Juristische Schulung (JuS) 1979, S. 841-847; ders., Hüter der Rechtseinheit: Aufgabe und Last des Reichsgerichts im Lichte der kaiserlichen Verordnung vom 28. September 1879, in: Verfahrensrecht am Ausgang des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Gerhard Lüke zum 70. Geburtstag, München 1997, S. 897-913; ders., Eduard von Simson: erster Präsident des Reichsgerichts, in: Bernd-Rüdiger Kern (Hg.), 125 Jahre Reichsgericht (Schriften zur Rechtsgeschichte 126), Berlin 2006, S. 431-457. Zum Gebäude: Volkmar Müller ; Der Bau des Reichsgerichts zu Leipzig, Berlin 1895 (Nachdr. Leipzig 1995); Klemens Klemmer u.a. (wie Anm. 4), S. 62 ff.; Das Reichsgericht, hg. vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, Leipzig 1995; Thomas G. Dorsch, Der Reichsgerichtsbau in Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsarchitektur (Europäische Hochschulschriften, Reihe Architektur Band 21); Frankfurt am Main 1999.
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Die Idee, die diesen Justizpalästen in Europa zugrunde liegt, ist einleuchtend. In erster Linie geht es darum, die rechtsprechende Gewalt als eine tragende Kraft im modernen Staat darzustellen und ihre Unabhängigkeit zu betonen. Es handelt sich vor allem um Zweckbauten, die berücksichtigen müssen, dass genügend Platz für die Organe der Rechtspflege, für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, für die Geschäftsstellen und die Register vorhanden sein muss. Eine besondere Rolle aber spielen nun die Bürger, die eingeladen sind, den öffentlichen Gerichtsverhandlungen beizuwohnen. Der Raumbedarf ist also sehr viel größer, als dies bei den Gerichten des alten Typs der Fall war. Gleichzeitig aber sollen die Justizpaläste die Würde der Rechtspflege repräsentieren. Deshalb schien es nötig zu sein, die Gestaltung der neuen Gebäude einem bestimmten Programm zu unterwerfen. Die Architekten sind sehr sorgfältig bemüht, diese Aufgabe in der Wahl des Architekturstils, der Dekoration der Fassaden, der Hallen und Treppenhäuser zu berücksichtigen. Immer wieder wurde durch Plastiken und Gemälde an die Ideale der Rechtsprechung erinnert: Die Figuren der Justitia und der ihr zugeordneten Tugenden wie Wahrheit, Friedfertigkeit, Weisheit und Gnade finden sich immer wieder. Nicht selten werden auch die Gestalten der großen Gesetzgeber wie Justinians als Schöpfer des Corpus iuris civilis und Papst Gregors IX. als Schöpfer des Liber Extra, eines wichtigen Bestandteils des Corpus iuris canonici, in Erinnerung gerufen. In Deutschland wird gern das Gedächtnis an Kaiser Karl V., den Schöpfer der Peinlichen Halsgerichtsordnung, und an Friedrich den Großen, Schöpfer des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten, beschworen. Auch andere große Juristen aus der deutschen Rechtsgeschichte werden als Leitfrguren abgebildet: Eike von Repgow mit seinem Sachsenspiegel, Johann von Schwarzenberg mit seiner Constitutio Criminalis Bambergensis, Johann Jakob Moser als geistiger Kopf des ius publicum des Heiligen Römischen Reiches, Karl Gottlieb Suarez als Wegbereiter des preußischen Rechtsstaats, Johann Anselm von Feuerbach als Schöpfer des liberalen Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813 und Friedrich Karl von Savigny als Begründer der Historischen Rechtsschule. Die Symbole der Gerechtigkeit, Schwert und Waage, Gesetzbuch oder Gesetzestafeln, aber auch das Liktorenbündel und das Haupt der das Böse abwehrenden Medusa sind fast überall zu finden. Daneben finden sich die Hoheitszeichen des jeweiligen Staates bzw. des Monarchen, in dessen Namen das Recht gesprochen wird. Auch die Stilrichtung der Architektur gibt Auskunft über das Ziel, das mit diesen Justizbauten erreicht werden sollte. Während die Neo-Gotik, die an die Freiheit der Stadtbürger im Mittelalter erinnern wollte, vorzugsweise an den Neubauten der bürgerlichen Selbstverwaltung, also an den Rathäusern Verwendung fand, bevorzugte man bei den Justizbauten in der ersten
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Phase die Neo-Renaissance, später den als freier und anpassungsfähiger empfundenen Neo-Barock. Zur Wahl dieser Stilformen führt Thomas Nipperdey in seiner „Deutschen Geschichte von 1866 bis 1918" aus: „Für Semper [gemeint ist der Architekt Gottfried Semper, der in Dresden und Zürich so Großartiges geleistet hat], den bedeutendsten Anfänger dieser Erneuerung ... war die Renaissance deshalb vorbildlich gewesen, weil ihr griechischer Ursprung Demokratie und Polis repräsentierte, aber ihre römischen Formen allein für das moderne Massenzeitalter funktionsgerecht waren. Für den Normalbürger und die Bauherren der Gründerzeit war anderes, waren »Assoziationen' entscheidend: Die Renaissance war die Zeit des Individualismus, der Urbanität, der Entdeckungen, der Wissenschaften, der beginnenden Aufklärung, der Größe, der Modernität und der Verklärung des »Klassischen4. Neo-Renaissance war modern und zeitgemäß, zuerst liberal-bürgerlich, dann öffentlich und auch höfisch. Die Renaissance war, so meinte man, der Boden, auf dem sich ein moderner lebensfähiger Stil entwickeln könne"11. Man könnte hinzufügen: Der Rückgriff auf die Stilformen von Renaissance und Barock lenkte den Blick auf das gemeinsame europäische Erbe, ist doch Europa aus dem Geist Roms und der in ihm tradierten Kultur Griechenlands gewachsen. Nicht umsonst finden sich diese der Antike verpflichteten Architekturformen in allen Teilen Europas, von Madrid bis Krakau, von Paris bis nach Rom, von London bis Lemberg, von Wien bis Kopenhagen.
III. Die Errichtung von Justizpalästen für die Oberlandesgerichte Es lässt sich nicht leugnen, dass man den Aufwand in den Justizpalästen zuweilen übertrieben hat und - im Interesse der Repräsentation - die Funktion vernachlässigte. Selbst das Gebäude des Reichsgerichts in Leipzig, das zu den wirklich gelungenen Justizbauten der Zeit zu rechnen ist, weist einen Schönheitsfehler auf: Die Kuppel, die erst nachträglich in der Planung erscheint, ist funktionslos. Sie spendet nicht etwa, wie dies in Brüssel oder in München der Fall ist, das erforderliche Licht für das Treppenhaus bzw. die Wandelhalle, sondern wird nach unten hin durch eine eingezogene Decke abgeschlossen. Da es sich um ein Revisionsgericht handelt, das keinen 11 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1: Arbeits weit und Bürgergeist, München 1998, S. 179. - Zu den Stilformen der Justizgebäude vgl. Wolfgang Götz, Die Reaktivierung des Historismus. Betrachtungen zum Wandel der Wertschätzung der Baukunst des späten 19. Jahrhunderts, in: Wulf Schadendorf (Hg.), Beiträge zur Rezeption der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1975, S. 37-61; ders., Das Landgericht in Saarbrücken. Beiträge zur Baugeschichte, in: 150 Jahre Landgericht Saarbrücken. Festschrift, hg. vom Präsidenten des Landgerichts in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität des Saarlandes, Köln/Berlin/München 1985, S. 33-66, insbes. S. 40 ff.
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großen Publikumsverkehr zu erwarten hatte, war kein weiterer lichter Raum erforderlich. Die Kuppel hat hier also lediglich die Funktion, schon aus der Ferne auf die Kathedrale des Rechts aufmerksam zu machen. Im Folgenden sollen einige ausgewählte Beispiele von Justizarchitektur für die neuen Oberlandesgerichte angesprochen werden. Das Kammergericht in Berlin, das für die Entwicklung des Rechtsstaates in Preußen eine so bedeutende Rolle gespielt hat und das seit 1879 als OLG fungiert, erhielt ein neues Gebäude am Kleistpark. 12 Es wurde in den Jahren 1909-1913 von den Architekten Paul Thoemer (1851-1918) und Rudolf Mönnich (1854-1922) errichtet. Im prunkvollen Sitzungssaal dieses Gerichts, so muss man leider vermerken, fand im August 1944 der Schauprozess des Volksgerichtshofs unter Roland Freisler gegen die Widerstandskämpfer vom 20. Juli statt. Das war sicher auch der Grund, weshalb der Prozess der Alliierten gegen die Hauptkriegsverbrecher im gleichen Saal eröffnet wurde, bevor er dann nach Nürnberg verlegt wurde. Später nahm der Kontrollrat der vier Siegermächte hier seinen Sitz und verabschiedete jene Kontrollratsgesetze, z.B. das Ehegesetz, die noch lange nach der Begründung der Bundesrepublik einen Teil des materiellen Rechts in Deutschland bestimmen sollten. Das Kammergericht musste seit 1945 an einem anderen Ort tagen und konnte erst 1991 wieder in seinen angestammten Justizpalast zurückkehren. In München wurde der Justizpalast, der das Justizministerium und vier Gerichte beherbergen sollte, in den Jahren 1890 bis 1897 von dem Architekten Friedrich Thiersch (1852-1921) errichtet. 13 War in den Vorentwürfen noch ein Bau im Stil der Hochrenaissance geplant, so wurde das Gebäude dann im Barockstil ausgeführt. Besonders markant sind an diesem prächtigen Bauwerk die gewaltige, lichterfüllte Halle, die harmonisch in das weite Treppenhaus übergeht, die riesige Kuppel, der zweigeschossige Schwurgerichtssaal an der Nordseite zum Botanischen Garten hin mit einer Fläche von 240 qm und die Räume für die Bibliothek. Schon bald nach Fertigstellung des Justizpalastes musste man feststellen, dass der Raum für die gewachsenen Bedürfnisse nicht ausreichte. So erging erneut ein Auftrag an Friedrich von Thiersch, auf einem benachbarten Grundstück einen weiteren Justizbau zu errichten, der 1905 bezogen werden konnte. Für dieses Neue Justizgebäude bevorzugte der Architekt einen gotischen Baukörper in Ziegelbauweise. 14 12
Volker Kähne, Gerichtsgebäude in Berlin, Berlin 1988, S. 34-36. Friedrich Wilhelm Thiersch, Der Justizpalast zu München, München 1899; Theodor Fischer, Der Justizpalast und das Neue Justizgebäude in München, München 1926; Klemens Klemmer u.a. (wie Anm. 4), S. 71 ff.; Erika Falkenhausen, 100 Jahre Justizpalast München 1897-1997, Architekt Friedrich von Thiersch, hg. vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz, München 2004. 13
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In Nürnberg wurde zunächst in den Jahren 1872 bis 1877 das Centraijustizgebäude an der Augustinerstraße errichtet, das sich schon bald als zu klein erwies. Im Jahre 1909 konnte man nach Plänen von Ministerialrat Hugo von Höfl und Baurat Günther Blumentritt mit dem Bau des neuen Justizgebäudes im Stil der sog. deutschen Renaissance beginnen. 15 Die Fertigstellung erfolgte aber erst mitten im Ersten Weltkrieg im Jahre 1916. Nürnberg verfügte damals über das größte Justizgebäude im Königreich Bayern. Die Zahl der Dienstzimmer übertraf selbst den Justizpalast in München. Der Bau wirkt sachlich und schlicht, doch nehmen der große Wandelgang vor dem Haupteingang sowie der Marmorschmuck der inneren Wandelhallen und der Treppenhäuser den Stil der Justizpaläste der Zeit auf. In Köln verfügte man bereits lange Zeit vor der Einführung der Reichsjustizgesetze über ein Gerichtsgebäude, das eigens errichtet worden war, um den modernen Anforderungen an die Justiz im Hinblick auf Gerichtsöffentlichkeit und Schwurgericht gerecht zu werden: der Rheinische Appellationsgerichtshof am heutigen Appellhofplatz. 16 Da die Rheinlande das Französische Recht und damit die moderne Gerichtsverfassung auch nach dem Übergang an das Königreich Preußen zunächst beibehielten, wurde nach den Plänen des Architekten und Stadtbaumeister Johann Peter Weyer (1794-1864) ein diesen Bedürfnissen gerecht werdendes Gerichtsgebäude in den Jahren 1823 bis 1826 errichtet. Der Bau musste allerdings 1883 bis 1893 unter Leitung von Paul Thoemer (1851-1918), der sich zum bedeutendsten Justizarchitekten Preußens entwickelt hatte, erheblich verändert werden. Trotz der Erweiterung reichte das Gebäude nicht aus, so dass in den Jahren 1907 bis 1911 für das Oberlandesgericht der neobarocke Justizpalast am Reichenspergerplatz nach Plänen von Paul Thoemer und Baurat Ahrns errichtet werden musste, der insbesondere wegen seines imposanten Treppenhauses auch heute noch Aufsehen erregt. 17 14 Michael Haußner, 100 Jahre Neues Justizgebäude München 1905-2005, Architekt Friedrich von Thiersch, hg. von der Präsidentin des OLG München, München 2005. 15 Ulrich Grimm, Zur Geschichte des Oberlandesgerichtes Nürnberg, hg. vom Oberlandesgericht Nürnberg, Nürnberg 2004; dersDas Oberlandesgericht Nürnberg und sein neues Gebäude. Ein Rückblick auf den 11. September 1916, hg. vom Oberlandesgericht Nürnberg, Nürnberg 2006. 16 Adolf Klein, Hardenbergs letzte Reform. Die Gründungsgeschichte des Rheinischen Appellationsgerichtshofes, in: Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart. 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, hg. von Dieter Laum/Adolf Klein/Dieter Strauch, Köln 1994, S. 9-55; Dieter Strauch/Joachim Amt/Jürgen Schmidt-Troje, Der Appellhof zu Köln. Ein Monument deutscher Rechtsentwicklung, Bonn 2002; Ernst Kutscheidt, Verfassung und Architektur: Der Appellhof in Köln als Modell neuer Gerichtsverfassungen, in: Hans-Jürgen Becker (Hg.), Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur (Der Staat, Beihefte 15), Berlin 2003, S. 175-187.
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Bereits 1906 war in Düsseldorf ein weiteres Oberlandesgericht für die preußischen Rheinlande gegründet worden. 18 Nach den Plänen von Paul Thoemer, der mit den Plänen für Düsseldorf ein Muster für viele späteren Gerichtsbauten in Preußen entwarf, wurde der zum Rhein hin orientierte Bau in einer Bauzeit von vier Jahren errichtet und konnte 1910 eingeweiht werden. In Zweibrücken 19 , das damals zur bayerischen Rheinpfalz gehörte, wandelte man einen bereits bestehenden Palast, das ehemalige Residenzschloss der Herzöge von Zweibrücken, in ein Gebäude der Justiz um. Die Idee dazu wurde bereits 1861 geboren und in den Jahren 1867 bis 1869 durch Umbauten realisiert. Das Saarländische Oberlandesgericht ist im historischen Gebäude des Landgerichts Saarbrücken untergebracht, das in den Jahren 1909/10 geplant und dann von 1911 bis 1914 errichtet worden ist. 2 0 Dieser 1911 begonnene und 1914 eingeweihte Bau geht auf Pläne zurück, die mit den Architekten Paul Thoemer und Rudolf Mönnich in Verbindung gebracht werden und die ganz in der Tradition der preußischen Gerichtsarchitektur stehen.
IV. Das Ringen um das Recht: Das Symbol der Medusa Viele Fassaden und Räume der zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichteten Gerichtsgebäude zeigen ein allegorisches Bild, das uns heute fremd erscheint: das furchterregende, mit Schlangen umgebene Haupt der Medusa. Was ist mit diesem rätselhaften Bildschmuck gemeint? Es wurde schon erwähnt, dass die Gerichtsgebäude oft allegorische Dekorationen aufweisen, 17 Horst Johannes Tiimmers, Das Haus des Oberlandesgerichts Köln - seine Architektur und seine Kölnische Nachbarschaft, in: Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart. 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, hg. von Dieter Laum, Adolf Klein und Dieter Strauch, Köln 1994, S. 57-78. 18 Gisbert Knopp, Vom Königsplatz zum Kaiser-Wilhelm-Park. Das Gebäude des Oberlandesgerichts in Düsseldorf, in: Heinrich Wiesen (Hg.), 75 Jahre Oberlandesgericht Düsseldorf, Köln/Berlin/Bonn/München 1981, S. 169-194; ders., Regierungspräsidium und Oberlandesgericht Düsseldorf (Rheinische Kunststätten 428), Köln 1998; Anne-José Paulsen, 100 Jahre Oberlandesgericht Düsseldorf, Berlin
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Wilhelm Weber, Vom herzoglichen Residenzschloß zum Justizpalast, in: Sven Paulsen (Hg.), 175 Jahre pfälzisches Oberlandesgericht, Neustadt an der Weinstraße 1990, S. 75-99. 20 Wolf gang Götz, Das Landgericht in Saarbrücken, in: 150 Jahre Landgericht Saarbrücken, hg. vom Präsidenten des Landgerichts in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität des Saarlandes, Köln/Berlin/München 1985, S. 33-66.
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die auf den Staat hinweisen, der für die Ausübung der dritten Gewalt verantwortlich ist. Andererseits deuten häufig Dekorationen auf die rechtsprechende Gewalt hin, die in dem Gebäude ihrem Auftrag nachgeht. Wir finden also vor allem die Wappen und Symbole des jeweiligen Reichs- bzw. Bundeslandes, daneben Symbole wie Gesetzestafeln, Schwert und Waage, das Haupt der weisen Athena oder Rutenbündel mit dem Beil, also die antiken Fasces, als Zeichen der richterlichen Amtsgewalt. Vor allem aber finden wir Darstellungen der Justitia. Die Architekten der Justizpaläste waren sich wohl der Gefährdung der Justiz durch politische und wirtschaftliche Beeinflussung und durch Willkür bewusst, denn nicht umsonst wird immer wieder in Skulpturen und Reliefs, in Gemälden und Wortbändern das eigentliche Ziel, die Gerechtigkeit, vor Augen geführt. Otto Rudolf Kissel hat dazu ausgeführt: „Die Justitia ist kein Symbol für einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang ..., sie ist keine historische Reminiszenz, kein Zeugnis allein für vergangenes Rechtsdenken und kein traditioneller Schmuck. Jede Justitia-Darstellung sollte ein Denkanstoß sein; sie sollte uns immer wieder zum Nachdenken darüber veranlassen, dass die Verwirklichung der Gerechtigkeit für alle ein immerwährendes Sehnen durch die ganze Menschheitsgeschichte ist, das auch in unseren Tagen unverändert und leider weitgehend noch unerfüllt ist." 21 Zu den unbekannteren Symbolen, die den Weg zur Gerechtigkeit weisen sollen, gehört nun das Haupt der Medusa. Es findet sich an oder in nahezu allen Justizgebäuden Europas, etwa dem Justizpalast zu Paris. A m Bau des Reichsgerichts in Leipzig trifft man vor allem in der großen Wandelhalle (Kuppelmitte und jeweils über den Portalen der Balustrade) auf diese Darstellung. Aber auch die Justizpaläste in München, in Köln, in Düsseldorf tragen an markanter Stelle, nämlich über dem Hauptportal, dieses furchterregende Zeichen. Nach der griechischen Sage 22 gehörte die Medusa zu den drei Gorgonen, die goldene Flügel, aber eherne Hände hatten. Das Haupt einer Gorgo war so schrecklich, weil es von Schlangen umgeben war. Jeder, der das Haupt anblickte, erstarrte unweigerlich zu Stein. Athene, die Göttin der Weisheit, war es, die dem Perseus den Hinweis gab, wie man schadlos das Haupt der Medusa abschlagen und an sich reißen könne. Nach dieser Tat nahm Pallas Athene das Haupt und trug es als Zeichen entweder auf ihrem Schild oder auf ihrem Brustpanzer. 21 Otto Rudolf Kissel , Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der bildenden Kunst, München 1997, S. 126 f. 22 Karl Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 1: Die Götter und Menschheitsgeschichten, München 1966, S. 44 ff.; Arthur Henkel!Albrecht Schöne (Hg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart/Weimar 1996, S. 1666 f. u. S. 1735 f.
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Was aber hat dieses Symbol mit der Justiz zu tun? Sicher ist es für die Justiz weniger von Bedeutung, dass aus dem blutenden Halse der Medusa das geflügelte Ross Pegasos hervorsprang, denn nicht alle Juristen sind so wortbegabt, als dass man sie als von Pegasos Inspirierte ansehen könnte. Nein, das Haupt der Medusa will daran erinnern, dass die Studien der Weisheit und auch das Ringen um Gerechtigkeit nur im Schutz der Minerva, der Göttin Athene, gelingen, dass aber jeder, der sich nur auf eigene Macht und Stärke verlässt, durch den Blick auf die Gorgo erstarren und erschlaffen wird. Das Haupt der Medusa - oder in abgemilderter Form das Haupt der Pallas Athene 23 - soll also das Unheil, das entweder von außen oder aus der eigenen Ignoranz kommt, abwehren, damit der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit gelingen kann. 2 4 So gehören also das Haupt der Medusa und die Justitia eng zusammen. Sie wachen über die Justiz und beschützen sie.
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So über dem Hauptportal des Landgerichts Saarbrücken. Knopp, Vom Königsplatz (wie Anm. 18) deutet die Medusa etwas anders: „Über die allgemeine Sinndeutung hinaus dürfte es sich hier um eine Anspielung auf die beiden Strafrechtstheorien der Generalprävention, vertreten durch Paul Johann Anselm von Feuerbach (gest. 1833), und der Spezialprävention, propagiert von Franz von Liszt (gest. 1919), handeln: die eine als Abschreckung der Allgemeinheit durch hohe Strafandrohung sowie exemplarische Strafvollstreckung, die andere als Verbrechensverhütung durch Einwirkung auf den Sträfling." 24
Der Beitrag des revolutionären Frankreich an einer Wissenschaft des schweizerischen Rechtes Von Theodor Bühler Der Jubilar hat sich eingehend mit dem französischen Recht und seinen Einfluss auf das Deutsche Recht befasst. Ihm soll daher dieser Beitrag als Geburtstagsgeschenk gewidmet werden.
I. Ausgangslage: Der Standpunkt von Ulrich Stutz Bisher galten Friedrich Ludwig Keller und die sogenannten „jungen Juristen" aus Zürich als die Begründer der Rechtswissenschaft in der Schweiz im 19. Jahrhundert 1. Unter der Überschrift „moderne Rechtsbildung" und ohne diese zu nennen, führte Ulrich Stutz 2 in seiner Basler Vorlesung über schweizerische Rechtsgeschichte3 folgendes aus: „Seit dem Anfang des Jahrhunderts (gemeint ist das 19. Jahrhundert) ändert sich der Charakter unserer Rechtsbildung, die Anregungen gab Frankreich. Im April 1798, helvetische Verfassung und Einheitsstaat, der 1800 mit dem französischen Direktorium fiel, damit hörte aber die Einmischung Frankreichs noch nicht auf; durch Napoleon kam im März 1803 die Mediation. Erst 1815 wurde die Schweiz wieder selbständig. Die französische Periode brachte eine Fülle von Anregungen." 4 Als solche nennt Ulrich Stutz folgende: 1. Streben nach umfassender Gesetzgebung, 2. Differenzierung, 3. Wissenschaftlichkeit, 4. Vollständigkeit. 1
In diesem Sinn Beck, Friedrich Ludwig Keller S. 108 und Elsener, Die Schweizer Rechtsschulen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, S. 372; kritischer dazu Weibel S. 38 f. Über die sog. „jungen Juristen" Fritzsche und Elsener S. 394 ff. 2 1868-1932; bedeutender Rechtshistoriker und Kanonist mit Zürcher Wurzeln, der seine wissenschaftliche Laufbahn an der Universität Basel 1894 begann, jedoch an den deutschen Universitäten Freiburg i.Br., Bonn und Berlin zur Vollendung brachte; Begründer der kanonistischen Abteilung der Savigny-Zeitschrift. Über ihn Bader, In Memoriam Ulrich Stutz; über seine Basler Zeit Bühler, in: Bauhofer/Bühler/Schmid (Hrsg.) S. 29 f. 3 Diese hielt Stutz im Wintersemester 1895/96 an der Universität Basel. Der Verfasser besitzt davon eine Nachschrift von Dr. Adolf Im Hof {18. September 187621. November 1952). Sie behandelte die „Schweizerische Rechtsgeschichte mit Ausnahme des Privatrechts, des Kirchenrechts und der Strafrechts". 4 Das Zitat stammt aus der eben genannten Vorlesungsnachschrift.
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Zur Differenzierung führt nun Stutz folgendes aus: „Bis zu unserem Jahrhundert hat der urdeutsche Grundsatz der Einheit des Rechtes auf unsere Rechtsquellen Einfluss. Seit der französischen Zeit hat sich das geändert; auch bei uns erhielt jedes Rechtsgebiet seine besonderen Rechtsquellen. So ein eidgenössisches Verfassungsgesetz, ausgearbeitet von Peter Ochs, ein eidgenössisches Strafgesetzbuch. Diese Vorläufer fanden Nachfolger, teils der Mode zuliebe, teils der Erkenntnis zu Folge, dass die verschiedenen Materien verschiedene Behandlung verlangen. Ja man hat begonnen, System in die Rechtsquellen zu bringen und nicht äusserlich, sondern Einteilungen dem Stoff selbst entnommen. Dazu bedurfte man aber einer vertieften Kenntnis des Rechtes und seiner Zusammenhänge, eine Rechtswissenschaft". Zum Kriterium der Wissenschaftlichkeit führte Stutz ferner aus: „Wissenschaftlichkeit will nicht heissen, dass unsere Gesetze alle wissenschaftlich seien, das ist auch nicht zu verlangen, der Gesetzgeber braucht das Verhältnis seiner Tat zu dem, was früher gewesen ist, nicht zu kennen. Wissenschaftliche Durchdringung nützt dem zwar wohl". Diese beiden letzten Sätze scheinen eine eigentliche Absage an die historische Rechtsschule von Friedrich Karl von Savigny 5 zu sein. Dieser Eindruck wird jedoch durch den folgenden Absatz der Vorlesungsnachschrift korrigiert: „Die Wissenschaft kommt zur Hilfe, indem sie die Basis des Gesetzes gibt; sie hat die festen Grundsätze neben dem Zusammenhang des früheren. Sie trägt die Gesetzgebung wie früher die Gewohnheit das Recht trug. Sie baut auch aus durch Interpretation und erreicht so Vollständigkeit". Die übrigen zitierten Ausführungen dagegen sind eine Reverenz an Frankreich, das damals die Schweiz erobert hatte und die verfassungsmässige Gestaltung der damaligen schweizerischen Eidgenossenschaft massgebend bestimmte, indem es aus den heterogenen eidgenössischen Ständen einen helvetischen Einheitsstaat schuf. Das französische Protektorat über die damalige Schweiz bedeutete auch, dass die protegierende Macht der Eidgenossenschaft ihre Rechtsordnung diktierte, was in der schweizerischen Geschichte bisher als sehr negativ betrachtet wurde 6 . Die Periode der Helvetik 7 ist daher in der schweizerischen Geschichte und Rechtsgeschichte immer noch ein gewisses Tabu und man wird ganz kritisch betrachtet, 5
Namentlich an sein Postulat des „organisch gewachsenen Rechts"; hierüber Gmür, Savigny und die Entwicklung der Rechtswissenschaft S. 13 f. 6 Exemplarisch Heusler, Schweizerische Verfassungsgeschichte S. 307-311. 7 Zur Helvetik und ihrer Geschichte: Umfassend und ohne Beschönigung: Rufer, Helvetische Republik in: HBLS IV (1927) S. 142-178; Staehelin, Andreas in: Handbuch der Schweizer Geschichte Bd. 2 (1977) S. 787 ff.; Staehelin, Hans, Die Civilgesetzgebung der Helvetik; Im Hof, in: Handbuch der Schweizer Geschichte Bd. 2 S. 772 ff.; Strickler, Die Helvetische Revolution 1798.
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wenn man die Vorzüge der Helvetik hervorhebt 8. Umso mutiger war es von Ulrich Stutz, dass er Ende des 19. Jahrhunderts, als die Ablehnung der Helvetik noch vorherrschend war, ausgerechnet der Helvetik bzw. den französischen Eroberern das Verdienst zuwies, eine schweizerische Rechtswissenschaft massgebend veranlasst zu haben. Ulrich Stutz bezieht sich ausdrücklich auf das französische Direktorium, die Helvetik und die anschliessende Mediation. Die quatre codes von Napoléon sind nicht erwähnt. In der Tat sind diese nicht mehr „revolutionär" im eigentlichen Sinn, wie dies Johann Caspar Bluntschli treffend hervorhebt 9: „Die Revolution, die alles Bestehende negirt hatte und in allen Dingen auf ursprüngliche Prinzipien zurückzugehen versuchte, hatte auch den ganzen Rechtszustand in Frage gesetzt, aber eben desshalb den Gedanken einer eingreifenden, modernen Gesetzgebung erweckt. Damit diesem Gedanken Folge gegeben werden konnte, musste aber die Revolution erst selber überwunden werden, denn sie hätte nur zerstören, nicht schaffen können. Da wurde Napoleon, aus der Revolution hervorgegangen, ihr Ueberwinder und ihr Beherrscher, und er fühlte nun den Beruf in sich, in einer andern Weise als bisher der Gesetzgeber seiner Nation zu werden". Daraus ergibt sich klar, dass die Codes Napoleons zwar eine Frucht der Revolution waren, aber nur abgeleitet davon.
1. Streben nach umfassenden Gesetzgebungen Mit der Helvetik erhielt die Eidgenossenschaft erstmals eine geschriebene und gesamteidgenössische Verfassung 10, die weitgehend eine Kopie der französischen Direktorialverfassung (constitution de l ' A n I I I = vom 22. August 1795) 11 gewesen ist 1 2 . Die Verfassung der helvetischen Republik vom 12. April 1798 schuf einen einheitlichen („unzerteilbaren") Staat (Art. 1 Abs. I ) 1 3 . Die Kantone werden zu blossen Bezirken (Art. 15), ihr Umfang kann durch blosses Gesetz verändert oder berichtigt werden (Art. 16) 14 . Die 8 Hierüber Luminati, in: ZNR 5 (1983) S. 163 ff.; Simon, in: Blicke auf die Helvetik/Regards sur l'Hélvétique S. 239-263. 9 In Beilage zu Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich mit Erläuterungen von Dr. Bluntschli Bd. 1 (1854): „Das privatrechtliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich" (Aus dem Beobachter der östlichen Schweiz, Januar 1844) S. XXI f. 10 Hierzu Jenny S. i 10-112; His, Geschichte des neuen Schweizerischen Staatsrechts S. 24-^42. 11 Text in Kölz, Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte, Quellenbuch S. 79 ff.; SchaafS. 23-25 und 115-118. 12 Halpérin, in: Bonaparte, la Suisse et l'Europe, Colloque européen d'histoire constitutionnelle pour le bicentenaire de l'Acte de Médiation (1803-2003) (Bruxelles, Berlin, Zürich 2003) S. 41^4.
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Kantone erhalten die gleiche Stellung wie französische Departemente. Das abstrakte Prinzip der „einen und unteilbaren" Republik war in Frankreich an die Stelle des die Einheit der Nation garantierenden personalen Königtums getreten. 15 Auch in anderer Hinsicht war die Abhängigkeit der Schweiz von Frankreich bezüglich Verfassungsentwicklung ausserordentlich gross. Der von Peter Ochs 1 6 ausgearbeitete Verfassungsentwurf wird vom französischen Direktorium in mehrfacher Hinsicht im Sinne einer noch stärkeren Annäherung an die französische Direktorialverfassung abgeändert 17. Die Regierungsform war jene einer repräsentativen Demokratie 18 . Nach Art. 13 darf kein Grundstück für unveräusserlich erklärt werden 19 . Ferner schuf die helvetische Verfassung erstmals ein schweizer Bürgerrecht (Art. 19). Die helvetische Verfassung führt den Bikameralismus in Form eines Senats und eines Grossen Rats ein (Art. 36). Die Regierung wird von 5 Direktoren gebildet (Art. 71), die in einem komplizierten Verfahren gewählt werden und über weitgehende Kompetenzen verfügen 20 . Sie hat jedoch kein Gesetzesantragsrecht. In den Kantonen wurde eine dreistufige, mit Statthalter und Unterstatthalter, streng hierarchische und exekutivlastige Verwaltungsorganisation eingeführt 21 . Schliesslich wurde ein oberster Gerichtshof der Helvetik eingerichtet (Art. 86 ff.). Neu waren auch ausdrückliche Bestimmungen über die Verfassungsänderung 22. Hier wurden vor allem jene Verfassungsbestimmungen aufgeführt, die Stoff für die künftige Bundesstaatsrechtslehre geliefert haben. Nach einem Staatsstreich wurde eine neue Verfassung am 5. Heumonat 1800 entworfen 23 , die jedoch infolge eines weiteren Staatsstreiches nie in Kraft trat. Im Frühjahr 1801 griff nun der erste Konsul Napoleon ein und es entstand der sogenannte Malmaison-Entwurf 24 . Nach einem weiteren 13 Kölz, Neuere Schweizerische Verfassungsgeschichte S. 105-123. Die Verfassung ist abgedruckt in: Kölz, Quellenbuch S. 126-152; Entwurf von Peter Ochs ebenda S. 113 ff. 14 Hierzu Kölz FN 13, S. 110. 15 Ebenda S. 100. 16 1749-1824; über ihn: Elsener FN 3, S. 260 f.; Kölz FN 13, S. 101; Andreas Staehelin, Peter Ochs als Historiker; Hoyt, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 87 (1987) S. 71-93; Peter F. Kopp, Peter Ochs (Basel 1992). 17 Kölz FN 13, S. 103; Kopp FN 26, S. 126 f. 18 Art. 2 Abs. 1 lautet: „Die Regierungsform, wenn sie auch sollte verändert werden, soll allezeit eine repräsentative Demokratie sein". 19 Kölz FN 13, S. 108. 20 Ebenda S. 117. 21 Ebenda S 119. 22 Ebenda S. 121 f. Ausführliche Zusammenfassung dieser Verfassung bei Heusler, Schweiz. Verfassungsgeschichte S. 307-311. 23 Kaiser, Simon/Strickler, Johannes S. 48 ff.; SchaafS. 118-120. 24 Über ihn Kölz FN 13, S. 138-140; His S. 42-50; SchaafS. 121 f.
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Staatsstreich - der vierte - wurde die Zweite helvetische Verfassung vom 20. Mai 1802 25 auf Grund des Malmaison-Entwurfes geschaffen. Diese brachte auch keine stabilen Verhältnisse. Nach dem Rückzug der französischen Truppen aus der Schweiz kam es zu Wirren, worauf Napoleon mit erneuter Intervention drohte 26 , jedoch seine Mediation anbot 27 . Die sogenannte Consulta, ein aus Vertretern des helvetischen Senats zusammengesetztes Gremium, das in Paris tagte, schuf die Kantonsverfassungen der neuen Kantone Waadt, Aargau, Thurgau und Teile von St. Gallen und des Tessin, während Napoleon sich den Entwurf der Bundesverfassung vorbehielt. Die aus beiden Teilen, Kantonsverfassungen und Bundesverfassung zusammengesetzten sogenannte Mediationsakte wurden am 19. Februar 1803 unterschrieben und am 5. März vom Senat verabschiedet, womit die Helvetik zu bestehen aufhörte 28 . Auch die neu gegründete Republik Wallis erhielt am 30. August 1802 eine eigene Verfassung 29. Auf dem Gebiet des Privatrechts wurde die Schaffung eines eidgenössischen Civilcodexes angeregt. So stellte Samuel Ackermann 30 den Antrag, aus den unzähligen kantonalen Rechten jeweils das Beste zu entnehmen und so ein Zivilgesetzbuch zu schaffen, das für Land und Leute passend sei 3 1 . Josef Anderwert 32 schuf die ersten erhaltenen Fragmente des geplanten Gesetzbuches mit einer Einteilung, die sich stark an die Systematik der französischen Entwürfe zum Code civil anlehnte 33 . Die Privatrechtsvereinheitlichung blieb zwar erfolglos, es kann aber nicht übersehen werden, dass ohne diese Impulse die kantonalen Zivilrechtskodifikationen wohl nicht und sicher nicht so schnell entstanden wären und dass Eugen Huber bei der Ausarbeitung des schweizerischen Zivilgesetzbuches genau den Antrag von Samuel Ackermann befolgt hat. Die Helvetik schuf ein gemeineidgenössisches Strafgesetzbuch, das helvetische peinliche Gesetzbuch vom 3. Mai 1799, das eine Kopie des franzö25
His S. 50-54 und 126-128. Proklamation vom 30. September 1802. 27 Diesbezüglich besteht eine Kontroverse, ob das Angebot einer Mediation ein Diktat oder von helvetischer Seite gewünscht worden war: Dufour, „D'une médiation à l'autre" in: Bonaparte, la Suisse et l'Europe S. 7; Andrey, L'Acte de Médiation du 19 février 1803 porte-t-il bien son nom? S. 15-39. 28 Kölz FN 13, S. 143-145; hierzu Victor Monnier (Hrsg.), Bonaparte et la Suisse, Travaux préparatoires à l'Acte de Médiation (Genf 2002). 29 Arlettaz S. 257-275. 30 1749-1810, HBLS 1 (1921) S. 90. 31 Elsener S. 274. 32 26.2.1767-14.2.1841; André Salathé, in: HLS 1 (2001) S. 333 f.; Lei, in: Grosse Verwaltungsmänner der Schweiz (Solothurn 1975) S. 114-120. 33 Elsener S. 275. 26
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sischen code pénal von 1791 darstellte und alle Regelungen über Verbrechen und Vergehen enthielt. Alle genannten Vorschläge gingen darauf hinaus, für jedes Rechtsgebiet eine spezifische und zugleich vollständige Kodifikation zu schaffen.
2. Differenzierung Das System der bisherigen „Einheitsgesetzbücher", wie sie namentlich die Stadtrechts- und Landrechtsreformationen darstellten 34 , wurde endgültig aufgegeben: Seit der Helvetik gab es in der Eidgenossenschaft und in den Kantonen nur noch einzelne Materien umfassende und somit spezialisierte Gesetzgebungen wie Verfassung, Strafgesetzbuch, Privatrechtskodifikation, Zivilprozessordnung, Handelsgesetzbuch, Gesellschaftsrechtsgesetz und Gesetze über Schuldbetreibung und Volkstreckung. Diese Gesetze und Gesetzbücher wurden gegliedert und systematisiert, wobei anfänglich Gliederung und Systematik einfach der Gliederung und der Systematik der entsprechenden französischen Gesetze folgten. Dieser Differenzierung folgte nun auch - man kann sagen zwangsläufig die Wissenschaft, namentlich kam es nun zur Aufteilung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. So wurden an der Universität Basel mit der Reform von 1818 erstmals die Lehrfächer Kriminalrecht, Wechsel- und Handelsrecht sowie „vaterländisches" Zivilrecht als jeweils voneinander unterschiedlichen Fächer eingeführt 35 . Auch am Politischen Institut in Zürich, dem Vorläufer der dortigen Universität wurden 1828 drei Professuren je für Zivil-, Straf- und Staatsrecht eingerichtet 36 .
3. Wissenschaftlichkeit Vor der Helvetik gab es in der Schweiz und dies im Gegensatz zu Frankreich für das geltende französische Recht 3 7 keine Wissenschaft des in den eidgenössischen Ständen geltenden Rechts, so wie es Ulrich Stutz in 34
So das Solothumer Stadtrecht von 1604 (vgl. René Aerni, Johann Jakob von Staal und das Solothumer Stadtrecht von 1604 in: Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft 437/1974 S. 218 ff.) oder die Municipale von Freiburg von 1648 (hierzu Louis Carlen, Die Municipale von Freiburg in: Aufsätze zur Rechtsgeschichte in der Schweiz, Hildesheim 1994, S. 207-213), die sowohl privatrechtliche als auch strafrechtliche Bestimmungen enthielten. 35 Edgar Bonjour, Die Universität Basel (1960) S. 345. 36 Elsener S. 365; Weibel S. 21 f. 37 Hierüber Bühler, Gewohnheitsrecht - Enquête - Kodifikation, Rechtsquellenlehre S. 54-64.
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dem einleitenden Zitat verstanden hat. An der Universität Basel und an den verschiedenen Rechtsschulen und Akademien von Zürich, Bern, Lausanne, Sitten und Genf wurde römisches Recht nach dem Corpus juris Justinians und seit dem 17. Jahrhundert Naturrecht gelehrt, somit Rechte, die nicht mit dem in den eidgenössischen Ständen geltenden einheimischen Recht gleichzusetzen waren. Mit dem einheimischen Recht befassten sich, mehrheitlich nur beschreibend und somit ohne sich damit kritisch auseinander zu setzen, einige wenige nicht akademische Praktiker wie Johann Jakob Leu und David Wyss in Zürich, Samuel Mutach und Gottlieb Walter in Bern, Pierre Quisard, Jacques François und Jerôme Boyve, Gabriel Olivier, François de Seigneux, François Samuel und Théodore de Porta in der Waadt, Etienne de Torrenté im Wallis, Jean Hory, Samuel Ostervald und Georges de Montmollin in Neuenburg sowie François André Naville in Genf 3 8 . Sie beschreiben das Recht ihres Kantons ohne jedoch die Geltung oder Weiterentwicklung dieses Rechts beeinflussen zu können, wie dies seit langem die französische Rechtswissenschaft tat. Letzteres wird von Bluntschli allerdings nur im Zusammenhang mit dem Code civil bestätigt: „In Frankreich besteht eine tüchtige französische Jurisprudenz nicht bloss trotz des Code, sondern zum Theil durch den Code und sie ruht wesentlich auf i h m " 3 9 . Von einer Wissenschaftlichkeit des Rechts ist auch in der Zeit der Helvetik wenig zu spüren. Lediglich die Rechtsprechung des Obersten Helvetischen Gerichtshofes erhielt unter seinem Präsidenten, Johann Rudolf Schnell 40 ein gewisses wissenschaftliches Ansehen, da dieser Gerichtshof die „wohl am besten funktionierende Zentralbehörde der Helvetik" war 4 1 . Im Neunzehnten Jahrhundert erscheint im schweizerischen Schrifttum eine neue wissenschaftliche Methode, die Kommentierung von Gesetzen, so die Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen des Zürcher Privatrechtlichen Gesetzbuches durch Johann Caspar Bluntschli 4 2 oder der Kommentar des Walliser Zivilgesetzbuches 43 durch dessen Redaktor Bernard Etienne Cropt 4 4 . Die rein deskriptive wird zugunsten der normativen und streng be38
Umfassend Johannes Schnell, in: ZSR 13 (1866) S. 114 ff. Ferner Elsener, Rechtsschulen, wo auch alle Biographien zu den hier Genannten zu finden sind. 39 Das privatrechtliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich (Aus dem Beobachter aus der östlichen Schweiz, Januar 1844) Beilage zu Bd. 1 des Privatrechtlichen Gesetzbuches mit Erläuterungen herausgegeben (1854) S. XXI. 40 1767-1829; Adrian Staehelin, in: Basler Zeitschrift 91 (1991) S. 197-208. 41 Staehelin FN 40, S. 203. 42 Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich mit Erläuterungen hrsg. von Dr. Bluntschli, Redaktor des Gesetzes Bd. 1 (1854), Bd. 2 (1855), Bd. 3 (1855) und Bd. 4 (1856). 43 Théorie du Code civil du Valais 2 Bde (1858/60).
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grifflichen Methode aufgegeben, was eine Folge des aus der Revolution herausgewachsenen Rationalismus und seines abstrahierenden Denkens war.
4. Begründung einer Staatsrechtslehre Nun hat aber das revolutionäre Frankreich nicht nur bewirkt, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft erstmals eine Verfassung erhielt, sondern hat nach deren Ersatz durch die sog. Mediationsverfassung Napoleons durchgesetzt, dass die meisten Kantone Verfassungen erliessen 45 . Damit verbunden war naturgemäss die Entstehung einer Staatsrechtswissenschaft 46 und im Anschluss daran einer Verwaltungsrechtswissenschaft. Trotz ihrer Unpopularität blieben die durch Revolution und Helvetik geschaffenen staatsrechtlichen Zustände während der sog. Restauration weitgehend erhalten, was vom eher konservativen Johann Caspar O t t 4 7 bestätigt wird: „Zu jener Zeit (1814) wurde der Übergang von der mediationsmässigen zu der darauf gefolgten, in administrativer Hinsicht weit vorzüglicheren Verfassung (des Kantons Zürich) auf dem ruhigsten und gelindesten Wege bewerkstelligt und wenn Mitglieder der Regierung entfernt und Beamtete durch andere Personen ersetzt wurden, so waren es meistens solche, welche keine Anhänger der Revolution von 1798 gewesen waren. Dagegen blieben die tätigsten und eifrigsten Freunde und Beförderer der Staatsumwälzung im ununterbrochenen Staatsdienst und wurden durch den neuen zur Mehrheit aus Bürgern von Zürich bestehenden Grossen Rat periodisch stets wieder bestätigt" 48 . So blieb Hans Conrad Escher von der Linth, der zeitweilig Mitglied des helvetischen Direktoriums gewesen war, Zürcher Bürgermeister und selbst Peter Ochs blieb in Ehren und konnte seine Reform der Basler Universität mit Erfolg zu Ende führen. 44 1794-1896: Louis Carlen, Das neue Recht im Wallis nach der Französischen Revolution in: Blätter aus der Walliser Geschichte Bd. XXX (1998) wieder abgedruckt in: Kirchliches und Wirkliches im Recht (Hildesheim 1998) S. 99. 45 Exemplarisch die Verfassung der Republik Wallis von 1802, deren Entwurf am 8. Juli 1802 in Paris genehmigt wurde: Carlen S. 93. 46 Grundlegend Kölz, Der Weg der Schweiz zum modernen Bundesstaat, Historische Abhandlungen 1789, 1798, 1848, 1998 (Chur/Zürich 1998). Dass vor der Helvetik die staatswissenschaftlichen Kenntnisse in der Schweiz kaum verbreitet waren, wird durch die am 4. Oktober 1798 von Hans Conrad Escher (von der Linth) gehaltene Eröffnungsrede der gesetzgebenden Räte bestätigt. Siehe Zitat bei Schaaf S. 191. 47 1780-1856; Oberamtmann von Greifensee und eidgenössischer Oberst. Über ihn, Bruno Schmid, Einleitung zu Christof Mörgeli, „Beiträge zur Revolutionsgeschichte des Kantons Zürich" (Stäfa 1991) S. 9-16. 48 Ott, in: Mörgeli, S. 24; ferner Matthias Müller S. 22: „Es findet 1814 kein Machtwechsel statt; die Regierung bleibt an der Regierung".
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Diese „Kontinuität" hatte zur Folge, dass ein vollständiges Absterben der Ideen von 1798 verhindert werden konnte. Zwar blieb die Tessiner Verfassung von 1814, welche in Art. 2 erklärte, dass die Souveränität auf der Gesamtheit der Bürger beruhe, ein Einzelfall 49 , doch wirkten auch in anderen kantonalen Verfassungen die Prinzipien der Französischen Revolution nach 50 . Allerdings war es nicht karrierefördernd, sich auf die Französische Revolution, die Helvetik und die napoleonische Ära zu berufen. Auch erhielten die konterrevolutionären Theoretiker mehr und mehr Zulauf 5 1 . Trotzdem trugen einige das Gedankengut der Helvetik weiter 5 2 und blieben entsprechend aktiv 5 3 , so Paul Usteri 5 4 , Albrecht Rengger 55 , Heinrich Zschokke 56 , Charles Monnard 57 ,Ignaz Paul Vital Troxler 5 8 und unter den damals Jüngeren Casimir Pfyffer 59 , Josef Anton Henne 6 0 und Joachim Leonz Eder 6 1 . Schliesslich kamen Emigranten, die sich wegen ihrer Anhängerschaft für die Ideen der Französischen Revolution in ihrem Heimatland verfolgt fühlten 6 2 , in die Schweiz, wo sie ihre Ideen weiterhin verteidigten, so die Gebrüder Snell 6 3 und Pellegrino Rossi 64 . Von Frankreich her wirkte auf die „Verfassungsrechtswissenschaft" in der Schweiz Benjamin Constant 65 , eine der überlebenden Grössen der Französischen Revolution. Sie alle haben das Fundament für die künftige Schweizerische Bundesstaatsrechtslehre gelegt. 49
Dian Schefold S. 18. So Zürich Art. 2; Schaffhausen Art. 28; St. Gallen Art. 3; Aargau Art. 25; Thurgau Art. 3; Tessin Art. 4; Waadt Art. 32; Genf I. 3. 51 Kölz FN 46, S. 156 f. 52 His S. 680. 53 Kölz, Die Bedeutung der Französischen Revolution für das schweizerische öffentliche Recht und politische System in: Der Weg der Schweiz S. 25. 54 1768-1831; HBLS VII (1934) S. 177 f.; Schaaf FN 43 S. 118. 55 1764-1835; Kölz FN 53, S. 126 f. FN 55 und S. 211 f. FN 4; Schaaf FN 76 S. 125. 56 1771-1848; Kölz FN 13, S. 211; Renner S. 137-168. 57 1790-1865; Kölz FN 13, S. 211. 58 1786-1966; Renner S. 169-178; Heusser. 59 Über ihn ausführlich Annemarie Schmid S. 4-48; ferner Meier/Mattioli/Bossard-Borner/Bühler, in: Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern 13 (1995) S. 2-28, für unsere Thematik insbesondere Konrad Nick und Plazid Meyer von Schauensee, in: Festschrift für Georg Cohn zum siebzigsten Geburtstag (Zürich 1915) S. 18 f. 60 22. VII. 1798-22. Nov. 1870: HBLS IV S. 183 f. 61 Über ihn Rolf Soland. 62 Hierüber Heusler, Verfassungsgeschichte S. 351. 63 Ludwig Snell (geb. 1775); Elsener FN 75 S. 303; Wilhelm Snell (1789-1851), Elsener FN 70 S. 301 und FN 75 S. 304. 64 1787-1848; namentlich Verfasser eines Traité de droit pénal (1829). 65 1767-1830; Kölz FN 13, S. 235. 50
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Auf die Französische Revolution zurückzuführen sind die Freiheitsrechte 66 , insbesondere die wirtschaftliche Freiheit 67 , die Aufhebung der Feudallasten 68 , die Aufhebung der Untertanenverhältnisse, die Idee der Volkssouveränität 69 , jene des jederzeitigen „pouvoir constituant" des Volkes 7 0 , der Verfassungsrat 71, das Verfassungsreferendum, die Initiative und das Referendum für Gesetze, die Theorie des Gesellschaftsvertrages 72, das Repräsentationssystem 73, das Abberufungsrecht, das zensusfreie Wahlrecht und erste Ansätze zum proportionalen Wahlrecht 74 und die Gewaltenteilung 75 . Das heute als typisch schweizerisch geltende Kollegialsystem in der Regierung nahm in der Helvetik ihren Anfang und ist auf das Direktorium zurückzuführen. Ebenso war der Oberste Gerichtshof der Helvetik der Vorläufer des Schweizerischen Bundesgerichts 76 . „Fast alle Ideen, welche heute den Ruhm der nachmaligen Ersten Bundesverfassung von 1848 ausmachen, und die besten Theile der jetzigen zweiten (1874) stammen aus der Helvetik und werden der Theorie nach von ihr noch übertroffen" 77 . Ein wichtiger Verfassungstheoretiker war Ludwig Snell. Seine staatsrechtlichen Reformvorschläge, die er ohne Quellenangabe macht, erweisen sich nach den Untersuchungen von Alfred K ö l z 7 8 auf weite Strecken als eine Zusammenfassung der Staatsideen der Französischen Revolution 79 . All66
His S. 67-73. Neuestens umfassend behandelt durch Bernhard Schaaf insbesondere S. 58. 68 Schaaf S. 147-161. 69 Sie geht auf J. J. Rousseau, Contrat Social II, 1. und 2 zurück: Imboden S. 14 ff. 70 Schefold S. 107. 71 Nach Sieyes (die massgebende Biographie von Jean-Denis Bredin, Sieyès, la clef de la Révolution française 1988 war mir nicht zugänglich), zur Idee des Verfassungsrates François Furet, La Révolution 1770-1814 (Paris 1958) S. 292; Schefold S. 105. 72 Nach Rousseau, Contrat Social, die Theorie wurde namentlich von Henke vertreten: Schefold S. 113. 73 Ebenfalls von Sieyes entwickelt (Furet S. 92, 134, 362). In der Schweiz wurde sie namentlich durch Druey (vgl. Olivier Meuwly, La notion de souveraineté populaire chez Henri Druey, in: Henri Druey 1799-1855, S. 63-86) und Pfyjfer vertreten. Dazu Schefold S. 136 und 172 ff. 74 Kölz, Die Bedeutung der Französischen Revolution für das schweizerische öffentliche Recht und politische System in: Der Weg der Schweiz S. 28. 75 Schefold S. 316 und 323; sie wurde am konsequentesten in der von Pfyjfer konzipierten Verfassung des Kantons Luzern von 1829 verwirklicht: Plazid Meyer von Schauensee S. 40. 76 Jenny S. 123. 77 Carl Hilty, Öffentliche Vorlesungen über die Helvetik (1875-1877) nach Jenny S. 120. 67
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gemein erfolgten Übernahmen aus der Helvetischen Verfassung während der Regenerationszeit und der Errichtung des Bundesstaates von 1848 ohne Angabe der Quellen, weil ein Verweis auf die Französische Revolution und auf die Helvetik wegen deren Unpopularität als unopportun erschien 80 . Der zweite bedeutende „Staatsrechtler", der in der Schweiz das aus der Französischen Revolution stammende Verfassungsrecht vertrat, war der Solothurner Simon Kaiser 81 . Er war der erste, der eine Gesamtdarstellung des schweizerischen Staatsrechts unter Einbezug des neugeschaffenen Bundes im Jahre 1858 publizierte 82 . Für Kaiser waren „die Grundsätze der Französischen Revolution die politische Wahrheit" 8 3 . Wie Alfred Kölz festgestellt hat 8 4 , beruht das in der Schweiz rezipierte „deutsche" Verwaltungsrecht in seinen methodischen Grundlagen und in seiner Funktion als konkretisiertes Verfassungsrecht auf französischem Revolutionsrecht, wie es im 19. Jahrhundert vom Conseil d'Etat und der französischen wissenschaftlichen Literatur auf der Grundlage der Erklärung von 1789 entwickelt worden ist, bevor es dann von dem in Strassburg lehrenden süddeutschen Professor Otto Mayer 8 5 aufgenommen und unter mannigfachen Änderungen und Erweiterungen im obrigkeitlichen Sinn in „nationales" deutsches Recht transponiert wurde. Dieses französisch-deutsche Verwaltungsrecht wurde dann von Fritz Fleiner 86 rezipiert.
5. Begründung einer eigenständigen Strafrechtslehre Die Helvetik übernahm den französischen code pénal von 1791 87 . Dieses brachte vor allem das System der gesetzlich fixierten Strafen, die Humani78 KölzFN 13, 246-264 und ders., Der Verfassungsentwurf von Ludwig Snell als Quelle der Regenerationsverfassung in: Der Weg der Schweiz S. 171-197. 79 Kölz FN 13, S. 248; ders., Der Weg der Schweiz S. 194 f. Rezipiert wurde das Gedankengut aus der Menschenrechtserklärung von 1798, der französischen Verfassungen von 1791 bis 1795 und der Helvetischen Verfassung. 80 Im Einzelnen Kölz, in: Der Weg der Schweiz S. 195 f. 81 1828-1898; über ihn Kölz, in: Der Weg der Schweiz S. 31 und ders., Simon Kaiser (1828-1898) ebendort S. 199-209; Renner S. 135-152. 82 Kölz, in: Der Weg der Schweiz S. 200; Würdigung des Werkes durch Renner S. 135 ff. 83 Kölz, in: Der Weg der Schweiz S. 202. 84 Ebenda S. 29 sowie insbesondere Von der Herkunft des schweizerischen Verwaltungsrechts ebenda S. 95-116. 85 1846-1924; über ihn Erwin Forster, in: Kleinheyer/Schröder S. 270-273; W. Pauly, in: Stolleis S. 430 f. 86 1867-1937; über ihn neuestens Roger Müller, Verwaltungsrecht als Wissenschaft, Fritz Fleiner (1867-1937), Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte Bd. 198 (2006).
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sierung des bisherigen Strafrechtes und die Abschaffung der Folter 88 . Die Schaffung eines eigenständigen helvetischen Gesetzbuches hätte viel zu viel Zeit in Anspruch genommen, sodass die Kommissionen vom (helvetischen) Grossen Rat und vom (helvetischen) Senat übereinstimmend beschlossen, den französischen code pénal als Grundlage zu nehmen 89 . In Geltung war damals der code pénal von 1791. Die mit der Beratung beauftragten Kommissionen nahmen nur unwesentliche Abänderungen vor. Diese betrafen hauptsächlich Bezeichnungen, bedingt durch andersartige organisatorische Einrichtungen der Helvetischen Republik 9 0 . Dennoch übernahm der Helvetische Grosse Rat die Kommissionsvorlage nicht ohne Diskussion, welche einige grundsätzliche Fragen namentlich die Zulassung der Todesstrafe betraf 9 1 . Die trotzdem unverändert gebliebene Kommissions vorläge ging dann zusammen mit dem Kommissionsbericht an den Helvetischen Senat. In dieser Kammer kam es zu keiner grundsätzlichen Diskussion mehr und das Strafgesetzbuch wurde am 3. Mai 1799 angenommen 92 . Die Drucklegung verzögerte sich allerdings 93 . Das Helvetische Peinliche Gesetzbuch unterscheidet sich von seiner Vorlage im Formellen durch eine durchgehende Nummerierung seiner Artikel. Die deutsche Übersetzung ist unpräzis, fehlerhaft und missverständlich 94 . Der französische code pénal von 1791 war auch Grundlage des Strafgesetzbuches für das Unterwallis von 1794 95 . Dieses schuf die Folter und die meisten Religionsdelikte wie die Blasphemie ab. Nach der Einverleibung in die Helvetische Republik übernahm das Wallis das Helvetische Peinliche Gesetzbuch 96 . Von 1812 bis 1814 war das Wallis ein französisches Departement (Simplon) und als solches hatte es den code pénal vom 1. Januar 1811 zu übernehmen 97 . Nach dem Scheitern des Einheitsstaates erhielten die Kantone durch die sog. Mediationsverfassung die Kompetenz auf dem Gebiet der Strafgesetzgebung und der Strafgerichtsbarkeit zurück 98 . Danach wurde die Fortbil87
Alkalay (1984). Pascal Gilliéron, Henri Druey et l'élaboration du Code pénal de 1843 in Henri Druey 1799-1855 S. 101. 89 Zwicky S. 12-14. 90 Alkalay S. 161 f.; die Abänderungen sind durch Alkalay S. 162 bis 166 im Einzelnen aufgeführt und erläutert; vgl. ferner Carl Stooss S. 2. 91 Alkalay S. 149-160. 92 Zu Entstehungsgeschichte im Einzelnen: Werner Lüthi S. 5 ff. 93 Alkalay S. 161. 94 Ebenda S. 162; im Einzelnen Stooss S. 1-6. 95 Carlen S. 94-97. 96 Ebenda S. 98. 97 Ebenda. 88
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dung des Helvetischen Peinlichen Gesetzbuches zur Aufgabe jener Kantone, die es beibehielten. Es waren dies die Waadt bis 1843 99 , Solothurn bis 1859, Luzern bis 1827, wobei diese beiden Kantone das Helvetische Peinliche Gesetzbuch nur subsidiär gelten Hessen 100 und Thurgau bis 1841. In Bern setzte die Mediationsregierung das helvetische Strafgesetzbuch ausser Kraft 1 0 1 , behielt es jedoch als zu den Strafbestimmungen der Bernischen Gerichtssatzung subsidiäres Recht 1 0 2 , während Freiburg zur Carolina zurückkehrte 103 . Dennoch Hessen sich trotz Aufhebung des Helvetischen Peinlichen Gesetzbuchs das alte Recht und ihr Rechtsdenken nicht wieder herstellen 104 . Die Todesstrafe wird nun noch in der Form der Enthauptung ohne jegliche Zufügung von Martern vollstreckt und das Anwendungsgebiet der Todesstrafe gegenüber den älteren gemeinrechtlichen Kodifikationen eingeschränkt 105 . Insbesondere in den neuen Strafgesetzbücher der Kantone Aargau, St. Gallen, Tessin, Basel und Luzern hat sich die Zahl der todeswürdigen Delikte - verglichen mit dem gemeinen Recht - auf ein Minimum reduziert, nämlich auf schwerste politische Verbrechen, Mord, Erpressung, Menschenraub, und Brandstiftung 106 . Das Helvetische Peinliche Gesetzbuch selbst wurde Gegenstand einer eingehenden „wissenschaftlichen" Auseinandersetzung durch die Gerichte: Der helvetische Kleine Rat beauftragte am 31. Mai 1802 das Justizdepartement „durch zweckmässige Schreiben den obersten Gerichtshof und die Cantonsgerichte einzuladen, ihr gutachtliches Befinden über die Mängel und Gebrechen des jetzigen peinlichen Gesetzes einzugeben, nebst ihren Vorschlägen über die Bestimmungen, womit denselben am besten abgeholfen werden könne" 1 0 7 . Das Justizdepartement kam dieser Aufforderung am 7. Juni mit einem Kreisschreiben nach. Justizminister B. F. Kuhn fragte darin die Richter und öffentlichen Ankläger an, wo sie den Text der Strafgesetze dunkel, zweideutig und unvollständig und nicht auf alle vorkommenden Fälle pas98
§ 12 der Mediationsakte, Teil Bundesverfassung bei Nabholz/Kläui, Quellenbuch zur Verfassungsgeschichte der Schweiz. Eidgenossenschaft und der Kantone (1940) S. 198. 99 Hierüber nun Pascal Gillieron S. 104. 100 Mettler S. 68. 101 Gesetz vom 27.6.1806. 102 Hans Ulrich Dürrenmatt S. 126. 103 Mettler S. 68. 104 Für den Kanton Schwyz: Eva Petrig Schuler S. 20 f. 105 Bettina Strub S. 178. 106 Ebenda S. 177 f. 107 Amtliche Sammlung der Acten aus der Zeit der Helvetischen Republik bearb. von J. Strickler Bd. VIII S. 389; Alkalay S. 187.
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send gefunden hätten. 108 . Obwohl es sich hierbei eher um eine sog. Vernehmlassung 109 als um eine wissenschaftliche Kritik handelte, war es das erste Mal, dass ein in der Schweizerischen Eidgenossenschaft geltendes Gesetz einer einlässlichen Kritik unterzogen worden ist, was später zur Norm wurde. Bereits 1802 veröffentlichte Ludwig Meyer von Knonau, der am Politischen Institut in Zürich Strafrecht lehrte, seine Bemerkungen über die Gebrechen des helvetischen Criminalwesens und ihren Einfluss auf öffentliche Sicherheit und Moralität mit einigen allgemeinen Vorschlägen zur Hebung derselben und verwarf die im Helvetischen Peinlichen Gesetzbuch niedergelegten Humanitätsgedanken 110 . Nachdem der Code pénal Napoleons von 1811 an die Stelle des „revolutionären" Code pénals getreten war, interessierte auch in der Schweiz nur noch dieses Gesetzbuch die Wissenschaft und die kantonalen Gesetzgeber. Im übrigen verdrängten die deutsche Strafrechtslehre, namentlich jene von Feuerbach, und das neueste österreichische Strafgesetzbuch von 1803 das allzu rigide französische Strafgesetzbuch von 1791 1 1 1 . Das aus dem englischen Recht stammende Prinzip der Schwurgerichtsbarkeit wurde von der Französischen Revolution, jedoch weder durch die helvetische Gesetzgebung von 1799, noch durch jene von 1802, noch durch die Mediationsverfassung von 1803 übernommen. Dennoch wurde das Schwurgericht in einigen Kantonen 1 1 2 und sehr viel später auch im Bund eingeführt. Es blieb nach wie vor kontrovers und hat die Strafrechtswissenschaft in der Schweiz bis in die Gegenwart immer wieder beschäftigt 113 . Die meisten Kantone, die das Schwurgericht eingeführt hatten, schufen es wieder ab.
6. Fragmentarisches im Zivilrecht Obwohl ein einheitliches bürgerliches Zivilgesetzbuch in enger Anlehnung an den sog. „droit intermédiaire" und die französischen Zivilgesetz108
Alkalay S. 187. Ausführlich dargestellt bei Alkalay S. 187-216. 110 S. 9 und Zwicky S. 17. 111 Thomas Mettler S. 94-101; Gilliéron S. 102; Bühler, Kasimir Pfyffer, ein grosser Luzerner und Schweizer Jurist des 19. Jahrhunderts S. 21; Heinrich Pfenniger, Das Strafrecht der Schweiz (Berlin 1890). 112 In chronologischer Reihenfolge der Einführung Genf, Waadt, Bern, Wallis, Freiburg, Neuenburg, Zürich, Aargau, Schaffhausen, Tessin und Solothurn. 113 Umfassend Jean Graven, Le jury et les tribunaux d'échevins en Suisse S. 2a-24a; dem heftig widersprechend H F. Pfenninger, Schwur- und Schöffengericht in der Schweiz S. 697a bis 747a, Pfenninger war wohl der letzte, der auch hochemotional für die Beibehaltung des Schwurgerichtes kämpfte. 109
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entwürfe von 1796 und 1799 geplant waren, kam man in der Helvetik über Vorarbeiten nicht hinaus 1 1 4 . Immerhin ergingen Gesetze über die Bodenbefreiung, die sich an den Massnahmen der Constituante und nicht an den Dekreten von 1792/93 orientierten 115 . Auf dem Gebiet des Personenrechts wurde lediglich ein Gesetz über die Rechtstellung der nichtehelichen Kinder vom 28.12.1798 116 erlassen und die Geschlechtsvormundschaft abgeschafft. Zunftzwang, Handels- und Gewerbeschranken, Zölle, Ausschluss der untern Bevölkerungsklasse von bestimmten Berufen und Gewerben, sowie zahlreiche Lasten und Abgaben und Frondienste wurden ebenfalls abgeschafft 117 . Die Verfassung von 1798 verbot die Fideikommisse in Art. 13: „Kein liegendes Gut darf unveräusserlich erklärt werden, weder für eine Korporation oder eine Gesellschaft, noch für eine Familie. Das ausschliessliche Recht, liegende Güter zu besitzen, führt zur Sklaverei" 1 1 8 . Die abgeänderte Verfassung vom 20. Mai 1802 ordnet in Art. 16 an, dass kein Grundstück für unveräusserlich erklärt, noch mit einer immerwährenden Abgabe belastet werden könne. Zur Durchsetzung des Verbotes wäre ein entsprechendes Gesetz erforderlich gewesen, doch wurde ein solches nie erlassen 119 . Auf alle Fälle hat die französische Revolution und in deren Folge die Helvetik die Diskussion um Beibehaltung oder Verbot der Fideikommisse angestossen, eine Diskussion, welche bis zum Erlass des Schweizerischen Zivilgesetzbuches 1907 sowohl auf kantonaler als auch auf eidgenössischer Ebene fortgeführt worden i s t 1 2 0 .
II. Schluss Das in der Schweiz vorherrschende rechtsgeschichtliche Schrifttum ist im Anschluss an Savigny allzu sehr auf das Privatrecht und dessen Geschichte gerichtet. Die Verdienste der Französischen Revolution auf diesem Gebiet sind in der Tat bescheiden und es ist unbestreitbar das Verdienst der historischen Rechtsschule, die römischrechtlichen und die germanistischen Grundlagen des europäischen und insbesondere des schweizerischen Privatrechts herausgearbeitet zu haben. Die einseitige Sicht auf das materielle Recht hat aber den Blick versperrt dafür, dass das materielle Recht erst dann seine volle Qualität erlangt, wenn es in einen Rahmen gefügt wird, der es greif114
Hans Staehelin, Civilgesetzgebung der Helvetik S. 52-82; Elsener S. 237^07 insb. S. 284-290. 115 Haipinn S. 43. 116 Werner Schubert S. 27. 117 Peter Walliser S. 94. 118 Hans Staehelin S. 49. 119 Theodor Bühler, Der Kampf um das Fideikommiss im 19. Jahrhundert S. 141. 120 Ebenda S. 142 ff.
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bar und verständlich machen. Hierzu dienen Gliederung und Systematik sowie die klare Trennung von den anderen Rechtsgebieten. Dazu hat die Französische Revolution Bahnbrechendes geleistet, das dann durch die Helvetik in der Schweiz rezipiert worden ist. Dies erscheint in Deutschland und in Österreich als weniger evident, weil hier das Allgemeine Landrecht für die Preussischen Staaten und das ABGB ebenfalls präjudizierend wirkten. In der Schweiz gab es bis zur Helvetik nichts entsprechendes. In anderen Worten, die Kodifikationswelle des 19. Jahrhunderts auf kantonaler und danach auf eidgenössischer Ebene wäre ohne Helvetik nicht so schnell und nicht so intensiv erfolgt. Auch dürfte heute feststehen, dass erst mit der Helvetik eine Staatsrechtslehre und eine Strafrechtslehre, die diesen Namen verdienen, entstanden sind. „Ohne Französische und Helvetische Revolution hätte in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts (gemeint ist das 19. Jahrhundert) keine Regenerationsbewegung stattgefunden, wäre die Bundesstaatsgründung 1848 nicht gelungen, hätte 1860-1870 keine demokratische Bewegung stattgefunden, wäre 1874 die Totalrevision nicht erfolgt" schrieb Alfred Kölz im Jahre 1998 1 2 1 , ein Jahr vor Erlass der neuen Bundesverfassung 122 . Es ist deshalb kein Zufall, dass die beiden Standardwerke zur Schweizerischen Verfassungsgeschichte 123 erst mit der Französischen Revolution beginnen. Mit anderen Worten die für ihre Zeit erstaunlichen Ausführungen von Ulrich Stutz vor seinen Studenten treffen zweifellos zu.
Literatur Alkalay, Michael: Das materielle Strafrecht der Französischen Revolution und sein Einfluss auf Rechtsetzung und Rechtsprechung der Helvetischen Republik in: Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 10 (1984). Andrey, Georges: L'Acte de Médiation porte-t-il bien son nom? in: Quand Napoléon recréa la Suisse, La Genèse et la mise en œuvre de l'Acte de Médiation, Collection études révolutionnaires Nr. 7 (2005) S. 15-39. Arléttaz, Silvia: Regards sur les institutions et les droits fondamentaux de la République indépendante du Valais (1802-1810) in: Bonaparte, la Suisse et l'Europe, Colloque européen d'histoire constitutionnelle pour le bicentenaire de l'Acte de Médiation (2003) S. 257-275). Bader, Karl Siegfried: In Memoriam Ulrich Stutz, in: Alma Mater, Beiträge zur Geschichte der Universität (Bonn) (1969). 121
In: Der Weg der Schweiz zum modernen Bundesstaat, S. 44. Vom 18. April 1999, die ebenfalls vom Gedankengut der Französischen Revolution zehrt. 123 Gemeint sind jene von Eduard His und von Alfred Kölz. 122
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Johann Daniel von Olenschlager als Kommentator der Goldenen Bulle von 1356 Von Arno Buschmann Kennern von Goethes Werken ist der Name Johann Daniel Olenschlager wohlbekannt. Olenschlager gehörte zu den väterlichen Freunden Goethes, dessen Persönlichkeit von Goethe in „Dichtung und Wahrheit" anschaulich beschrieben wird. Er sei ein schöner, behaglicher und sanguinischer Mann gewesen, der in seiner bürgermeisterlichen Tracht einen angesehenen französischen Prälaten hätte darstellen können. Er habe ihn, Goethe, besonders geschätzt und mit ihm oft über Dinge gesprochen, die Olenschlager besonders interessiert hätten. Wörtlich heißt es bei Goethe: „Ich war um ihn, als er eben seine Erläuterung der güldenen Bulle schrieb; da er mir denn den Wert und die Würde dieses Dokuments sehr deutlich herauszusetzen wußte" 1 . Und weiter berichtet Goethe, daß er seit seiner Kindheit die wunderliche Gewohnheit gehabt hätte, die Anfänge von Büchern und Abteilungen auswendig zu lernen. So habe er es auch mit der Goldenen Bulle gehalten und seinen Gönner oft zum Lächeln gebracht, wenn er „ganz ernsthaft und unversehens" den Anfang des Prooemiums der Goldenen Bulle rezitiert habe: „Omne regnum in se divisum desolabitur: nam principes ejus facti sunt socii furum". Der kluge Mann habe bei diesem Ausruf lächelnd mit dem Kopf geschüttelt und bedenklich gesagt: „Was müssen das für Zeiten gewesen sein, in welchen der Kaiser auf einer großen Reichsversammlung seinen Fürsten dergleichen Worte ins Gesicht publizieren ließ." 2 Noch in einem anderen Zusammenhang begegnet die Person Olenschlagers in Goethes Werken. Von der literaturwissenschaftlichen Forschung wird sie als Vorlage für die Gestalt des Narziß in Wilhelm Meisters Lehrjahren angesehen. Narziß wird dort als ein junger Mann beschrieben, der sich in der diplomatischen Laufbahn einen guten Ruf erworben hat und dem es gelungen war, dank seiner Kenntnisse und seines Auftretens Eingang in die Gesellschaft der würdigsten Männer in Frankfurt zu finden 3 . Es 1
Goethe, Dichtung und Wahrheit, Viertes Buch, hier zitiert nach: Goethe Werke, Jubiläumsausgabe, Band 5, Frankfurt am Main und Leipzig 1998, S. 143 ff. 2 A.a.O., S. 144. 3 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Sechstes Buch, Bekenntnisse einer schönen Seele, hier wiederum zitiert nach: Goethes Werke, Jubiläumsausgabe, Band 4, S. 416.
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wird die Ansicht vertreten, daß hier Persönlichkeit und Stellung des jungen Olenschlager in der Frankfurter Gesellschaft Goethe zur Gestalt des Narziß inspiriert hätten. Ob diese Deutung der Goetheforschung, zutrifft, ist hier nicht zu entscheiden. Immerhin ist der Name Narziß als Spottname Olenschlagers in der Frankfurter Gesellschaft eindeutig bezeugt4. Wichtig ist nur, daß es auch hier um den Verfasser der Erläuterung der Goldenen Bulle geht, der Goethe offenbar so beeindruckt hat, daß er sich seiner nicht nur in „Dichtung und Wahrheit" erinnert, sondern ihn auch in einer der Gestalten in Wilhelm Meisters Lehrjahren hat fortleben lassen.
L Olenschlagers Erläuterung der Goldenen Bulle erschien 1766 unter dem umfänglichen Titel „Johann Daniels von Olenschlager Schöffens und des Raths zu Frankfurt Neue Erläuterung der Güldenen Bulle Kaysers Carls IV. aus den älteren Teutschen Geschichten und Gesezen zur Aufklärung des Staatsrechts mittlerer Zeiten als dem Grunde der heutigen Reichsverfassung" 5 . Das Werk besteht aus zwei Teilen, einem ersten, der ausschließlich der Erläuterung der Goldenen Bulle und ihrer Vorschriften gewidmet ist und einem zweiten, in dem die wichtigsten auf die Goldene Bulle und ihren Inhalt bezüglichen Urkunden zusammengestellt sind. Es umfaßt in seiner Gesamtheit nicht weniger als 675 Seiten zuzüglich eines ausführlichen Registers und zählt damit zu den umfangreichsten Erläuterungswerken, die in der Reichspublizistik über die Goldene Bulle verfaßt worden sind. In der bisherigen rechts- und verfassungsgeschichtlichen Forschung - älteren wie neueren - ist von Olenschlager und seiner Erläuterung zur Goldenen Bulle nur selten die Rede. Johann Stephan Pütter erwähnt zwar Person und Werk in seiner „Litteratur des Teutschen Staatsrechts", doch mit nur kurzen biographischen Angaben und ohne nähere Charakterisierung des Werkes über die Goldene Bulle 6 . Ausführlicher ist dagegen die Würdigung 4
Vgl. dazu Franz Gotting, Johann Daniel von Olenschlager, in: Goethekalender auf das Jahr 1940, S. 69 ff., insbes. S. 75. 5 Erschienen in Frankfurt und Leipzig in der Fleischerschen Buchhandlung. Der zweite Teil trägt den Titel „Urkunden-Buch zur neuen Erläuterung der Güldenen Bulle" und enthält insgesamt 116 mit römischen Ziffern versehene Urkundenabdrucke. Das Register ist nicht nur ein Verzeichnis von Fundstellen, sondern bietet zugleich knappe lexikalische Erläuterungen zu den einzelnen Stichworten. Eine Neuausgabe des Werkes befindet sich im Druck: Johann Daniels von Olenschlager Neue Erläuterumg der Güldenen Bulle. Mit einer Einleitung herausgegeben von Arno Buschmann, Hildesheim, Zürich, New York 2008. 6 Johann Stephan Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, Zweyter Theil, Göttingen 1781 (hier zitiert nach dem Neudruck Frankfurt am Main 1965), S. 139 f.
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bei Stintzing-Landsberg in dessen „Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft". In ihr wird Olenschlager im Zusammenhang mit der Pflege der „Deutschen Rechtsaltertümer" in der Mitte des 18. Jahrhunderts erwähnt und als gründlicher Forscher und besonnener Historiker gekennzeichnet. Vor allem seine Erläuterung der Goldenen Bulle wird wegen der Sachlichkeit der Argumentation, des feinen historischen Verständnisses und wegen der „Trefflichkeit der deutschen Sprache" gerühmt 7 . In jüngster Zeit hat Hans-Jürgen Becker ein kurzes Porträt von Olenschlager geliefert und darauf hingewiesen, daß dessen Erläuterung der Goldenen Bulle wegen der Quellenkenntnis noch heute von Wert sei 8 . Ansonsten wird Olenschlager, wenn überhaupt, allenfalls im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Halleschen publizistischen Schule erwähnt und auch hier nur am Rande und ohne Hinweis auf die Bedeutung und Wirkung von dessen Werk über die Goldene Bulle 9 . Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diesem Mangel abzuhelfen und Olenschlagers Biographie, die Entstehung und Methode seiner „Neuen Erläuterung der Güldenen Bulle" sowie die Bedeutung und Wirkung dieses Werkes in der späten Reichspublizistik, aber auch in der Forschung des 19. Jahrhunderts einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Es werden damit Forschungen weitergeführt, die der Verfasser im Rahmen seiner Untersuchungen zur Rezeption der Goldenen Bulle in der Reichspublizistik angestellt hat 1 0 .
II. Über Olenschlager als Person ist insgesamt nur wenig bekannt. Johann Daniel von Olenschlager stammte aus einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie und war der Schwiegersohn des bekannten Frankfurter Rechtsgelehrten Johann Philipp Orth, der ebenfalls bei Goethe in dessen „Dichtung und Wahrheit" erwähnt wird und über den Goethe berichtet, daß Dort finden sich auch Angaben über die sonstigen staatsrechtlichen Schriften Olenschlagers. 7 Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, III 1, München und Leipzig 1898 (Neudruck Aalen 1957 u.ö.), S. 249 f. (Text) und S. 167 (Noten) mit Nachweisen aus der älteren Literatur. 8 Hans-Jürgen Becker, HRG III (1982), Sp. 1239 f. 9 So z.B. bei Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 1, München 1988, S. 307, Anmerk. 69. 10 Erste Ergebnisse wurden auf dem Symposion, das die Berliner Arbeitsstelle der Monumenta Germaniae Histórica im Oktober 2006 aus Anlaß der 650jährigen Wiederkehr der Verkündung der Goldenen Bulle in Berlin veranstaltet hat, vorgetragen. Sie werden demnächst in dem in Druck befindlichen Tagungsband publiziert werden.
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er die historischen Kapitel von dessen Anmerkungen zur Frankfurter Reformation von 1731 in seiner Jugend eifrig studiert habe 11 . Geboren 1711 in Frankfurt, absolvierte Olenschlager wie nach ihm auch Goethe ein Studium der Rechte an den Universitäten Leipzig und Straßburg, das er in Leipzig mit dem Erwerb des juristischen Doktorgrades abschloß. Zuvor hatte er seine Disputation „Origines juris publici imperii Romano-Germanici, illustratae ex rebus imperatorum Saxonicorum" unter dem Präsidium von Johann Jacob Mascov erfolgreich verteidigt 12 . Nach dem Abschluß seines Studiums begab er sich auf eine Reise durch Deutschland und Italien und besuchte zahlreiche Höfe, um, wie es hieß, seine „publizistischen" Kenntnisse zu vermehren und wohl auch, um gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen. 1737 ließ er sich in seiner Heimatstadt als Advokat nieder. Ein Jahr später wurde er mit dem Titel eines kurfürstlich sächsischen und königlich polnischen Hofrates ausgezeichnet und zum ständigen Mitglied der kursächsischen Gesandtschaft in Frankfurt ernannt, wobei seine Hauptaufgabe darin bestand, politische Berichte an den kursächsischen Hof in Dresden zu liefern. 1747 erhob ihn der Kaiser zusammen mit seinem Bruder, einem Kaufmann, als Olenschlager von Olenstein in den erblichen Adelsstand. Ein Jahr später trat er in den Rat der Stadt Frankfurt ein, um 1761 in den siebenköpfigen Schöffenrat der Stadt gewählt zu werden. 1771 erhielt er vom Kaiser den Titel eines kaiserlichen Rates. Für die Funktionsperiode von 1771 bis 1772 wurde er vom Schöffenrat zum Älteren Bürgermeister der Stadt gewählt. In dieser Eigenschaft nahm er seinem Schützling Goethe den Bürger-, und vor der Aufnahme von dessen Tätigkeit als Advokat, auch den 11
Johann Philipp Orth (1698-1783), studierte in Halle die Rechte und schloß sein Studium mit der Promotion zum Dr. iur. unter dem Präsidium von Johann Peter (von) Ludewig ab. Er war Burggraf der adeligen Herrschaft Frauenstein. Besondere Verdienste erwarb er sich um die Erforschung des einheimischen deutschen, vor allem des Frankfurter Rechts. Seine wichtigsten Schriften waren seine Anmerkungen zur Frankfurter Reformation von 1731 aus den Jahren von 1742 bis 1757 und seine siebzehnteiligen Rechtshändel aus der Zeit von 1763 bis 1778, die sich allerdings nicht nur auf Frankfurter Verhältnisse bezogen. Zu seiner Biographie vgl. StintzingLandsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft III 1, S. 245 (Text), S. 161 f. (Noten), mit weiteren Nachweisen. 12 Die Disputation erschien gedruckt 1732 in Leipzig. Johann Jacob Mascov (1689-1761) zählt zu den wichtigsten Vertretern der Halleschen Schule der Reichspublizistik außerhalb Halles. Sein publizistisches Hauptwerk waren die „Principia Juris publici imperii Romano-Germanici", die in konzentrierter Form das deutsche Reichsstaatsrecht im Sinne der Halleschen Schule behandelten und etliche Auflagen erlebten. Über Mascov vgl. Johann Stephan Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, Erster Theil, Göttingen 1776, hier zitiert nach dem Neudruck Frankfurt Main 1965, S. 388 ff.; Stintzing-Landberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, III 1, S. 128 ff. (Text) und S. 76 (Noten); aus neuerer Zeit vor allem Notker Hammerstein, Jus und Historie, Göttingen 1972, S. 284 ff. und Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 1, München 1988, S. 307.
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Advokateneid ab. Er starb hochangesehen in seiner Heimatstadt Frankfurt im Februar des Jahres 1778 13 . Schon früh hatte sich Olenschlager neben seiner Anwaltstätigkeit und der Wahrnehmung seiner öffentlichen Ämter mit historischen Forschungen beschäftigt, zunächst mit der Verfassungsgeschichte seiner Zeit, danach vor allem mit der Verfassungsgeschichte des Spätmittelalters. Die Ergebnisse seiner Forschungen zur Verfassungsgeschichte seiner Zeit faßte er in einer Darstellung des Verfassungszustandes des Reiches nach dem Tode Kaiser Karls VI. zusammen, die ab 1746 in vier Teilen erschien 14 . Seine Forschungen zur Verfassungsgeschichte des Spätmittelalters bildeten die Grundlage für eine „Staatsgeschichte des Römischen Kayserthums in der ersten Helfte des Vierzehnten Jahr-Hundert", die knapp zehn Jahre später veröffentlicht wurde 1 5 . Anlaß für die Beschäftigung mit der Geschichte gerade dieses Jahrhunderts war Olenschlagers Erkenntnis, daß in diesem Jahrhundert die rechtlichen Grundlagen für die Verfassung des Reiches bis zum 18. Jahrhundert gelegt wurden. Eine Auseinandersetzung mit diesem Zeitalter erschien ihm daher für die Kenntnis der Reichsverfassung unerläßlich. Zu Unrecht habe sich, kritisiert er, die zeitgenössische Historiographie und Jurisprudenz der Erforschung dieses Jahrhunderts kaum angenommen. Dieser Umstand und die Tatsache, daß zahlreiche einschlägige Urkunden neu entdeckt worden seien, hätten ihn auf den Gedanken gebracht, sich nicht nur mit diesem Jahrhundert eingehend zu beschäftigen, sondern auch die neu entdeckten Urkunden zusammen mit den bereits bekannten in einer geschlossenen Urkundensammlung abzudrucken 16 . Jede dieser Urkunden markiert für ihn eine wichtige Station in der Entwicklung der Reichsverfassung. „Man siehet daher dieses Jahr-Hundert mit allem Recht für die Wiege der neuern Reichs-Verfassung an; so wie man hingegen von dem ältesten Teut13 Zu Olenschlagers Biographie vgl. außer den bereits Genannten Johann Georg Meusel, Lexikon der 1750-1800 verstorbenen Schriftsteller, X, Leipzig 1810 (Neudruck Hildesheim 1968), S. 219 ff.; Baur u. Spangenberg, in: Ersch-Gruber, Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste III, (1832), S. 50 f., dort auch ein Verzeichnis von Olenschlagers Schriften; ferner Hermann Grotefend, ADB 24 (1885), S. 285 f.; Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft III 1, S. 249 f. (Text), S. 167 (Noten), weiters Franz Gotting, Johann Daniel von Olenschlager, Goethekalender, S, 69 ff. (wie Anmerk. 4). Ein Bild Olenschlagers, gemalt von Johann Georg Ziesenis, hängt im Frankfurter Goethe-Museum. 14 Johann Daniel Olenschlager, Geschichte des Interregni nach Absterben Kaysers Karl VI., 4 Theile, Franckfurt am Mayn 1746 ff. 15 Der vollständige Titel lautet: Johann Daniels von Olenschlager Erläuterte Staats-Geschichte des Römischen Kayserthums in der ersten Helfte des Vierzehnten Jahr-Hunderts, worinn die Regierung Kaysers Albrechts des I., Henrichs des VII., Ludwigs des Bayern, und der Anfang Carls IV. pragmatisch beschrieben werden. Samt einem Urkundenbuche. Franckfurt am Mayn 1755. 16 Olenschlager, a.a.O., Vorrede.
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sehen Staats-Wesen auch hier und dar noch einige sehr denckwürdige Überbleibel darinn antritt" 1 7 .
III. Es steht zu vermuten, daß die Erkenntnis von der maßgeblichen Bedeutung des 14. Jahrhunderts Olenschlager dazu veranlaßt hat, sich eingehend mit der Goldenen Bulle auseinanderzusetzen und ein Erläuterungswerk über dieses „Haupt-Grund-Gesez der Teutschen Staatsverfassung" zu schreiben. Aus der Vorrede zu diesem Werk erfahren wir, daß für ihn die Kenntnis der Goldenen Bulle der Schlüssel für das Verständnis der gesamten mittelalterlichen Reichsverfassung wie deren späterer Entwicklung ist. Die Goldene Bulle sei nicht nur das vornehmste unter den Reichsgrundgesetzen, sondern enthalte darüber hinaus so viele „Überbleibsel aus dem Teutschen StaatsRechte mittlerer Zeiten", das man sie fast als einen „knappen Inbegriff des mittelalterlichen Staatsrechts" ansehen könne. Nicht zuletzt deswegen müsse man sie im Kontext der mittelalterlichen Verfassung betrachten und erläutern. Es genüge nicht, sie bloß juristisch zu erklären, vielmehr müsse man sie vor allem geschichtlich erläutern 18 . Olenschlager bemängelt, daß diese Notwendigkeit einer geschichtlichen Erläuterung der Goldenen Bulle bisher wenig Beachtung gefunden habe. Ohne die Verdienste der Rechtsgelehrten um die Erläuterung der Goldenen Bulle schmälern zu wollen, meint er, müsse man doch feststellen, daß diese die „Teutschen Rechtsalterthümer", d.h. das einheimische deutsche Recht, nur unzureichend herangezogen hätten. Die Folge sei gewesen, daß man es nicht nur am wirklichen Verständnis der Goldenen Bulle haben fehlen lassen, sondern nicht selten auch gegen den Sinn und die „wahre Meynung der in der Güldenen Bulle enthaltenen Verordnungen verstoßen habe(n)" 19 . Wiederholt sei daher die Forderung erhoben worden, eine Erläuterung der Goldenen Bulle auf der Grundlage der Geschichte der mittelalterlichen Reichsverfassung vorzunehmen, ohne daß dies bisher in zureichendem Maße geschehen sei. Dieser Forderung will Olenschlager nachkommen und die Goldene Bulle, wie schon der Titel seines Werkes erkennen läßt, auf der Basis der „älteren Teutschen Reichsgeschichten und Geseze(n)" erklären. Vor allem will er den geschichtlichen Ursprüngen der einzelnen Bestimmungen nachgehen, um auf diese Weise den wirklichen Sinn und Zweck - Olenschlager spricht vom „wahren Verstand" - der in diesen Bestimmungen enthaltenen Regelungen sichtbar zu machen. 17 18 19
A.a.O., Einleitung, a.E. Olenschlager, Erläuterung der Güldenen Bulle, Vorrede. Olenschlager, Vorrede, S. 3.
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Olenschlager vergißt nicht zu erwähnen, daß dies schon vor ihm Johann Peter von Ludewig in seiner „Vollständige(n) Erläuterung der Goldenen Bulle" versucht hat, doch hätte dessen ungerechtfertigte Polemik gegen den kaiserlichen Gesetzgeber vielfach zu einem verzerrten Bild von Inhalt und Bedeutung der Goldenen Bulle geführt 20 . Zu Unrecht habe Ludewig den kaiserlichen Gesetzgeber immer wieder getadelt und mit der Behauptung verunglimpft, die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches nicht gekannt und zahlreiche widersprüchliche Regelungen in der Goldenen Bulle erlassen zu haben. Außerdem hätte Ludewig fälschlicherweise die Auffassung vertreten - Olenschlager spricht von einer „vorgefaßten Meinung" - , daß die Kurfürsten den Kaisern ursprünglich gleichgestellt gewesen seien und erst im Verlauf der Zeit diese Stellung als Folge einer Unterdrückung durch die Kaiser verloren hätten. Diese Irrtümer müßten dringend korrigiert und der Kaiser als Gesetzgeber insgesamt vor Ludewigs ungerechtfertigten Angriffen in Schutz genommen werden. Bei genauer geschichtlicher Betrachtung ergebe sich nämlich, daß sämtliche Vorschriften der Goldenen Bulle auf der alten Reichsverfassung beruhten und von mangelnder Kenntnis der Reichsverfassung des Kaisers keine Rede sein könne 21 . In diesem Zusammenhang sieht es Olenschlager auch als seine besondere Aufgabe an, die Entstehung und Entwicklung des kurfürstlichen Kollegiums nachzuzeichnen, um der von ihm für unbegründet gehaltenen Meinung Ludewigs wirksam entgegenzutreten. Auf die Schilderung der späteren Veränderungen der Reichsverfassung und deren Auswirkungen auf die Goldene Bulle w i l l er dagegen verzichten. Dies hätten die bisherigen „Ausleger" der Goldenen Bulle hinreichend besorgt, so daß es ihm „unschicklich" erschienen sei, dies zu wiederholen 22 .
IV. Olenschlager beginnt seine Erläuterungen mit einem Abdruck des Textes der Goldenen Bulle auf der Basis des Frankfurter Exemplars, den er mit vergleichenden Hinweisen auf die Lesarten der übrigen Exemplare versieht, von denen er vor allem das Mainzische, das Trierische, das Pfälzische Exemplar und die Wenzelshandschrift sowie die in der Senckenberg'sehen 20
Olenschlager, a.a.O., S. 4. Olenschlager bezieht sich hier auf Ludewigs „Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle", die 1716 und 1719 in zwei Teilen erschienen war und wegen seiner polemischen Kritik am Kaiser den Verfasser fast die Verleihung des erblichen Adels gekostet hätte. Vgl. dazu die Vorrede von Johann Georg Estor zur zweiten Auflage des Werkes im Jahre 1752 und die ausführliche Einleitung von Hans Hattenhauer zum Neudruck der zweiten Auflage des Werkes, Hildesheim, Zürich, New York 2005, S. XVII ff. 21 Olenschlager, Vorrede, S. 5. 22 A.a.O., S. 6.
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Sammlung der Reichsabschiede angegebenen Handschriften hervorhebt 23 . Wenn man will, kann man hierin einen ersten Versuch einer kritischen Edition des Gesetzestextes sehen. Es folgt eine Darstellung des allgemeinen Zustandes der Reichsverfassung am Anfang des 14. Jahrhunderts. Sie bildet für Olenschlager die Grundlage sowohl für die Schilderung der Entstehungsgeschichte der Goldenen Bulle wie für die Erläuterung der einzelnen Bestimmungen. Wesentliches Merkmal des allgemeinen Verfassungszustandes dieser Zeit ist für ihn das Fehlen jedweder gesetzlicher Grundlagen. Die Reichsverfassung habe allein aus dem Herkommen bestanden und einen wirksamen gesetzlichen Schutz der ständischen Freiheiten nicht gewährt. Die ständischen Freiheiten, meint Olenschlager, seien mehr „durch den Degen" als durch Gesetze geschützt worden. Vergeblich habe man versucht, die daraus resultierende Rechtsunsicherheit durch die Anwendung des Römischen und des Kanonischen Rechts sowie durch die Sammlung der einheimischen Rechtsquellen und deren Autorisierung als Reichsrecht zu beheben. Schließlich sei man zu der Erkenntnis gelangt, daß man diesen Mißstand nur durch die Abfassung eines „Teutschen Gesetzbuches" würde beseitigen können 24 . In dieser Erkenntnis von der Notwendigkeit einer allgemeinen Reform der Reichsverfassung sieht Olenschlager den eigentlichen Anlaß für die Abfassung der Goldenen Bulle. Von ihr sei Karl IV. ausgegangen und sie habe ihn zu dem Entschluß geführt, ein Reformgesetzbuch zu schaffen, in dem eine gesetzliche Ordnung für das Reich, vor allem aber eine abschließende Regelung der deutschen Königswahl, enthalten sein sollte. Als Beleg führt Olenschlager das kaiserliche Ladungsschreiben an, das er nach dem bekannten Bericht der Straßburger Gesandten zitiert, aber auch das Prooemium der Goldenen Bulle, in dem vor den schädlichen Folgen der Zwietracht unter den Fürsten für den Bestand eines Reiches und von der Notwendigkeit ihrer Beseitigung die Rede ist. Der Kaiser habe deshalb schon unmittelbar nach seiner Kaiserkrönung in Rom im Jahre 1355 einen Reichstag nach Nürnberg einberufen, um den dort zahlreich versammelten Reichsständen seine Re23
Gemeint ist die „Neue und Vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Vier Theile, Franckfurt am Main 1747", die von dem Frankfurter Rechtsgelehrten Heinrich Christian von Senckernberg bearbeitet worden war und deren Vorrede Olenschlager zugeschrieben wird. Herausgegeben wurde die Sammlung schließlich von dem Frankfurter Verleger Ernst August Koch. Vgl. dazu Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, Zweyter Theil, S. 440 f. Bei Stintzing-Landsberg, Geschichte deutschen Rechtswissenschaft III 1 (Anmerk. 7), Noten S. 165, wird behauptet, daß Olenschlager mit der Vorrede und der Herausgabe nichts zu tun habe. Ein Beleg für diese Behauptung wird nicht angeführt. 24 Olenschlager, Neue Erläuterung, § I, S. 3. Die folgenden Zitate beziehen sich samt und sonders auf dieses Werk.
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formpläne kundzutun 25 . Er sei entschlossen gewesen, mit „Zuziehung und Beyrath sämtlicher Fürsten, Herren und Städte" alle zur Realisierung erforderlichen Maßnahmen zu erlassen 26. Bei den Beratungen habe es allerdings einen Unterschied gegeben, je nachdem ob die Rechte der Kurfürsten berührt worden seien oder ob sie das Reich und dessen Verfassung im Ganzen betroffen hätten. Bei den ersteren habe der Kaiser nur mit den Kurfürsten verhandelt, bei den letzteren hingegen seien alle Reichsstände beteiligt ge27
wesen . Im Anschluß daran schildert Olenschlager zunächst die Bemühungen des Kaisers, noch vor Beginn der eigentlichen Beratungen über seine Reformpläne die Streitigkeiten in den kurfürstlichen Häusern Pfalz und Brandenburg über die Ausübung der Kurstimme beizulegen. Für die Pfalz hätte der Kaiser mit Zustimmung der Kurfürsten - Olenschlager spricht hier von Wahlfürsten - die Festlegung erreicht, daß als Voraussetzung für das Recht auf die pfälzische Kurstimme die Inhaberschaft des Truchsessenamtes und des pfälzischen Territoriums anerkannt worden sei. Es sei festgestellt worden, daß es ohne Truchsessenamt und Territorium keine rechtmäßige Ausübung der pfälzischen Kurstimme geben könne 2 8 . Beim Streit im Brandenburgischen Hause habe der Kaiser entschieden, daß Markgraf Ludwig der Römer das Recht auf die Ausübung der Kurstimme zustehen solle, auch wenn sich sein älterer Bruder dieses Recht auf Lebenszeit vorbehalten habe. Zur Bekräftigung sei Ludwig der Römer, der ohnehin im Besitz der Mark Brandenburg gewesen sei, feierlich mit der Mark belehnt worden 29 . Erst danach hätten die eigentlichen Beratungen über die kaiserlichen Reformpläne und damit über die Abfassung der Goldenen Bulle begonnen. Olenschlager betont, daß wegen der Kürze der Zeit nicht alle Gegenstände hätten beraten werden können. In erster Linie seien es jene gewesen, mit denen die „Eintracht unter den Kurfürsten bey den künftigen Kayserwahlen" gewährleistet, die kurfürstlichen Privilegien bestätigt und Frieden und Wohlstand im Reich hätten gesichert werden sollen. Sie seien im Vordergrund der kaiserlichen Bemühungen gestanden. Alle Beschlüsse seien als „ewige und unverbrüchliche Reichsgesetze" vom Kaiser Anfang 1356 in Nürnberg feierlich verkündet worden, wobei sämtliche Kurfürsten, Fürsten, Grafen und Herren und die Gesandten der Städte ihm „zu Seiten" hätten sitzen müssen 30 . Olenschlager äußert die Vermutung, daß der Kaiser ur25 26 27 28 29 30
§ III, S. 4 ff. § III, S. 6. § IV, S. 7. § IV, S. 8. § IV, S. 8 f. § V, S. 10.
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sprünglich mit der Verkündung dieser Beschlüsse sein Gesetzbuch habe beenden wollen, doch seien noch weitere Gegenstände hinzugekommen, die erst bei der abschließenden Redaktion der Goldenen BttHe hinzugefügt worden seien 31 . Man habe sie daher in Metz als ein eigenes Gesetz („Satzung") beschlossen und mit einem eigenen Prooemium versehen dem Text der Goldenen Bulle eingefügt 32 . Aus dieser Entstehungsgeschichte folgert Olenschlager, daß die Goldene Bulle nicht als ein in sich geschlossenes Gesetzeswerk, sondern aus verschiedenen Einzelgesetzen, „Satzungen" wie er sie nennt, entstanden ist, die erst nachträglich zu einem Gesamtwerk zusammengestellt worden seien. In diesen „Satzungen" habe man die Beschlüsse über die einzelnen Gegenstände der besseren Ordnung und Übersichtlichkeit halber zusammengefaßt. Sie müßten daher als die eigentliche Einteilung der Goldenen Bulle angesehen werden, in denen sich auch die chronikalische Folge der Beratungen manifestiere. Die übliche Einteilung der Goldenen Bulle in Kapitel habe man erst nachträglich vorgenommen. Im Gegensatz zu den bis dahin erschienenen reichspublizistischen Erläuterungswerken vertritt Olenschlager die Auffassung, daß jede geschichtliche Erläuterung der Goldenen Bulle von den einzelnen „Satzungen", nicht hingegen von den Kapiteln ausgehen müsse. Erstmals wird hier die sog. „Satzungstheorie" von der Entstehung der Goldenen Bulle als Ausgangspunkt aller geschichtlichen Erläuterung der Goldenen Bulle formuliert, von der er auch in seinem eigenen Erläuterungswerk ausgeht. Für Olenschlager besteht die Goldene Bulle aus insgesamt fünf „Satzungen", von denen vier in Nürnberg und die fünfte - wie bereits erwähnt erst auf dem Reichstag zu Metz im Rahmen der feierlichen Verkündung des gesamten Gesetzeswerkes verkündet wurden. Diese fünf „Satzungen" bilden denn auch die Grundlage für die Einteilung von Olenschlagers Erläuterungen, nicht die übliche Kapitelfolge der Goldenen Bulle 3 3 . Entsprechend dem Grundkonzept enthalten diese auch keine am Wortlaut des Gesetzestextes orientierte juristische Auslegung, sondern geschichtliche Abhandlungen zum Inhalt der einzelnen „Satzungen", die der besseren Übersicht halber in Paragraphen untergliedert sind. Volumen und Intensität dieser Abhandlungen sind unterschiedlich, zeigen jedoch z.T. einen beachtlichen Umfang. Besonders ausführlich sind die Ausführungen zur zweiten „Satzung". Sie umfassen nicht weniger als 33 Paragraphen. Umfangreich sind auch die Abhandlungen zur dritten „Satzung". Auch die zur fünften und letzten „Satzung" kommen auf die stattliche Zahl von 24 Paragraphen. Im einzelnen 31 32 33
§ LXXXII, S. 325 ff. § LXXXII, S. 326. § V, S. 10 f.
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verfährt Olenschlager in der Weise, daß er jeweils den Rechtszustand vor der Verkündung der Goldenen Bulle schildert, um danach die Absicht des kaiserlichen Gesetzgebers und den Zweck der gesetzlichen Regelungen zu erklären. Schwerpunkt von Olenschlagers Erläuterungen zur ersten „Satzung", die für ihn die Kapitel I und I I der Goldenen Bulle umfaßt, ist zunächst die Bestimmung von Frankfurt am Main als dem endgültigem Wahlort für die deutsche Königswahl 34 . Sie ergibt sich ausschließlich aus der fränkischen Herkunft des „Teutschen Reiches", nach der die Wahl eines deutschen Königs und künftigen Kaisers stets auf fränkischem Boden habe stattfinden müssen. Ursprünglich sei Aachen wegen des dort befindlichen Throns Karls des Großen der Wahlort gewesen, später habe der Erzbischof von Mainz als Kanzler des Reiches die Wahl in die Ebene zwischen Mainz und Worms verlegt, weil nur dort genügend Raum für die als Wahlversammlung fungierende Reichsversammlung vorhanden gewesen sei. Schließlich habe man die Wahl in der Stadt Frankfurt am Main abgehalten und dies zu einem festen Herkommen werden lassen. Schon in den deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters sei dieses Herkommen anerkannt worden. Der kaiserliche Gesetzgeber habe mit seiner Festlegung auf Frankfurt am Main als dem endgültigen Wahlort für die deutsche Königswahl daher nur den bestehenden Rechtszustand reichsgesetzlich bestätigt 35 . Rechtliche Konsequenz ist nach Olenschlagers Meinung, daß sämtliche nicht in Frankfurt abgehaltenen Wahlen für ungültig erachtet werden müssen 36 . Ein weiterer Schwerpunkt sind die Bestimmungen über die zahlenmäßige Beschränkung des kurfürstlichen Gefolges, das Verbot des Einlassens von Fremden während der Dauer der Wahl und die Geleitsbestimmungen sämtlich Bestimmungen, die der Sicherheit der Wahl hätten dienen sollen. Die erste Bestimmung erklärt Olenschlager damit, daß es vor dem Erlaß der Goldenen Bulle immer wieder vorgekommen sei, daß die Wahlfürsten zur Beeinflussung der Wahl mit großem militärischen Aufgebot in Frankfurt erschienen seien. Dies habe die Frankfurter Bürger wiederholt veranlaßt, aus Sicherheitsgründen die Tore der Stadt zu schließen, so daß sich die Königswähler mit ihrem Gefolge vor der Stadt hätten niederlassen müssen. Friedrich II. von Hohenstaufen hätte daraufhin der Stadt verboten, die Tore vor den Wahlfürsten zu schließen, wenn dadurch die Abhaltung der Wahl beeinträchtigt würde. Durch die Beschränkung des Gefolges der Kurfürsten habe der Kaiser eine militärische Einflußnahme auf die Wahl verhindern und die ordnungsgemäße Abhaltung der Wahl gewährleisten wol34 35 36
§ VI, S. 11. § VI, S. 13, § VII, S. 14 ff. § VIII, S. 17 ff.
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len 3 7 . Dem gleichen Ziel habe auch die zweite Bestimmung mit dem Verbot des Einlassens von Fremden während der Dauer der Wahl dienen sollen, um vor allem militärische Auseinandersetzungen mit den kurfürstlichen Gefolgen in der Stadt, wie in der Vergangenheit häufig genug geschehen, zu unterbinden 38 . Auch die Geleitsbestimmungen mit ihren strengen Sanktionen sind für Olenschlager Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Wahl. Auch sie erklären sich für ihn aus der bis dahin gegebenen Situation einer bestehenden Unsicherheit des Zuganges der Kurfürsten zum Wahlort Frankfurt am Main. Auch hier habe der kaiserliche Gesetzgeber vielfach an bereits bestehende Geleitsprivilegien angeknüpft und die Verletzung der bestehenden Schutzpflichten entsprechend den landfriedensrechtlichen Vorschriften mit scharfen Sanktionen bedacht. Neue Vorschriften seien dadurch nicht geschaffen worden, vielmehr hätten diese insgesamt dem vorhandenen Rechtszustand entsprochen 39 . Ein Schwerpunkt sind schließlich auch die Bestimmungen über die Wahlausschreibung und die Wahlhandlung. Auch diese ergeben sich für Olenschlager aus dem gegebenen geschichtlich bedingten Rechtszustand. Das gilt zunächst für die Wahlausschreibung und hier vor allem für die Befugnis des Erzbischofs von Mainz bzw. bei dessen Säumigwerden der Versammlung der Kurfürsten zur Ausschreibung der Wahl. Dem Erzbischof von Mainz als dem Kanzler des Reiches habe dieses Recht seit alters zugestanden und sei durch die Bestimmung der Goldenen Bulle nur mehr reichsgesetzlich bestätigt worden. Der Kaiser habe durch diese Bestimmung die Durchführung der Wahl ebenso sicherstellen wollen wie durch die Vorschrift, daß die Ausschreibung der Wahl binnen drei Monaten nach dem Tode eines Königs und Kaisers vorgenommen werden muß. Dies habe sich ebenfalls aus dem Rechtszustand vor dem Erlaß der Goldenen Bulle ergeben und sei keine neue rechtliche Regelung 40 . Auch die Regelung der Wahlhandlung folgt für Olenschlager aus dem geschichtlich gegebenen Rechtzustand. Er erwähnt hier, daß seit dem Beginn des 14. Jahrhundert der Wahl stets eine Zusammenkunft der Kurfürsten, zumeist in Rhens, vorausgegangen sei und man sich bemüht habe, für die Wahl „unter der Hand" so viele Fürsten und Herren „herbeizubringen", so daß der Charakter der Wahl als einer Wahl durch die Reichsversammlung hätte gewahrt werden können. Bei der Wahl selbst habe man immer auf die Mehrheit der abgegebenen Stimmen geschaut und der Minderheit keine Bedeutung mehr beigemessen, damit Wahl „solcherart" stets als einmütig 37 38 39 40
§ VII, S. 15 f. § XI, S. 35. § XI, S. 34. § XI, S. 34 f.
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habe angesehen werden können. Auch eine nachträgliche Stimmabgabe sei immer möglich gewesen, was allerdings häufig zu Zwistigkeiten zum Nachteil des Reiches geführt hätte. Aus dem Bemühen des Kaisers, solche Zwistigkeiten zu vermeiden, erklärt sich für Olenschlager die Regelung, daß der zu spät eintreffende Kurfürst, sofern er noch vor dem Ende des Wahl ankommt, an der Wahl teilnehmen kann. M i t der Bestimmung, daß drei Kurfürsten den vierten im Zweifel mit dessen eigener Stimme zum König wählen können, habe der Kaiser lediglich klarstellen wollen, daß die Wahl eine Mehrheitswahl sei und diese auch dann als gültig angesehen werden müsse, wenn die Mehrheit mit der Stimme des Gewählten hergestellt werden sollte. Alle diese Regelungen hätten dem Herkommen entsprochen und seien auch hier lediglich reichsgesetzlich sanktioniert worden 41 . Ähnlich verfährt Olenschlager bei der Erläuterung der zweiten „Satzung", die nach seiner Ansicht die Kapitel I I I bis V I der Goldenen Bulle enthält. Schwerpunkt der Erläuterungen sind zunächst die Entstehung und Ausbildung des Kurrechts und des Kurfürstenkollegiums, die für Olenschlager die Grundlage aller übrigen Bestimmungen über die Rechtsstellung der Kurfürsten bilden. Ihre Schilderung von den Ursprüngen bis ins 14. Jahrhundert ist daher für ihn unerläßliche Voraussetzung für deren Verständnis 42 . Die Ursprünge des Kurrechts und den Kurfürstenkollegiums sind für Olenschlager in den vier Hausämtern der germanischen Völker, die sich im Verlauf der Zeit zu Hofämtern entwickelt hätten, zu sehen. Unter Karl dem Großen seien zu den Inhabern der Hofämter noch die vornehmsten Erzbischöfe des Fränkischen Reiches hinzugekommen, die der Kaiser als Berater an seinen Hof geholt habe, um mit ihnen über das Wohl des Reiches und Kirche zu beraten. Diese hätten zusammen mit den Inhabern der Hofämter schon früh bei der Wahl eines neuen Königs eine wichtige Rolle gespielt. Für Olenschlager ist dies der Grund für die Behauptung der Kurfürsten vor dem Erlaß der Goldenen Bulle gewesen, daß sich ihr Kurrecht auf Karl den Großen zurückführen ließe 43 . Entscheidend für die Entstehung des Kurrechts und des Kurfürstenkollegiums ist für ihn jedoch die Entwicklung der deutschen Königswahl. Sie sei die eigentliche Basis für die Herausbildung des Kurrechts und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums. Auch deren Ursprung liegt für Olenschlager in der Fränkischen Zeit, in der die Inhaber der Hofämter allerdings noch keine besondere Stellung bei der Wahl gehabt hätten. Als erste einschneidende Veränderung erscheint ihm die Wahl des Sachsenherzogs zum deutschen König. Von dieser datierten die Rechte der „Teutschen Hauptvöl41 42 43
§ XI, S. 36. § XII, S. 36 ff. § XII, S. 37.
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ker", d.h. des Volkes der Sachsen, der Schwaben, der Bayern und der fränkischen Völker, und deren Anführer. Das Reich sei jedoch fränkisch geblieben und die Königswahl hätte auch weiterhin nach fränkischem Recht und auf fränkischem Boden stattfinden müssen 44 . Als Beleg führt Olenschlager an, daß Otto der Große bei seiner Wahl in Aachen fränkische Kleidung habe anlegen und die Herzöge der vier „Teutschen Völker" beim Krönungsmahl die Hofämter nach fränkischem Ritus in Person hätten wahrnehmen müssen. Auch die Mitwirkung der drei rheinischen Erzbischöfe sei bezeugt 45 . Zum ersten Mal seien hier die sieben späteren „Erzbeamten" in Erscheinung getreten, die bei den späteren Wahlen eine so herausragende Rolle gespielt hätten 46 . Im Anschluß daran schildert Olenschlager die weiteren Stationen in der Entwicklung der deutschen Königswahl. In salischer Zeit hätten sich die vier „Teutschen Hauptvölker" erstmals statt in Aachen in der Gegend zwischen Worms und Mainz versammelt, die Sachsen, Schwaben und Bayern (einschließlich der Thüringer) auf der rechten, die fränkischen Völker, d.h. die ripuarischen-, moselländischen sowie die lothringischen, auf der linken Rheinseite. Hier sei der Erzbischof von Mainz aufgefordert worden, als erster seine Stimme abzugeben, was bei der Wahl Konrads II. die Wahl entschieden hätte. Olenschlager meint, daß schon bei dieser Wahl nicht mehr die Herzöge aller deutschen Völker an der Wahlhandlung teilgenommen hätten. An ihre Stelle seien als Anführer der moselländischen, der ripuarischen und der lothringischen Franken die rheinischen Erzbischöfe getreten. Olenschlager stützt sich bei seiner Darstellung vor allem auf die Angaben in Wipos „Gesta Chuonradi", dessen Schilderung er ausführlich wiedergibt 4 7 . Aus der Zeit Konrads datiert für ihn schließlich auch die Bestätigung des Kanzleramtes „per Italiam" für den Erzbischof von Köln und „per Arelatam" für den Erzbischof von Trier 4 8 . Die wichtigsten Veränderungen finden sich für Olenschlager jedoch in staufischer und nachstaufischer Zeit. In staufischer Zeit hätten erstmals Könige, Pfalzgrafen, Herzöge und Markgrafen auf dem großen Reichstag von 1184 die Erzämter in Person wahrgenommen 49 . 1208 und 1209 seien im Zusammenhang mit der Abwehr der staufischen Bestrebungen, die Königsund Kaiserwürde erblich zu machen, auch die Wahlrechte der drei rheinischen Erzbischöfe und der vier Inhaber der weltlichen Hofämter feierlich 44 45 46 47 48 49
§ XV, S. 45 ff. § XV, S. 47. § XV, S. 48. § XVII, S. 53 ff. § XXI, S. 65 ff., insbes. S. 66 ff. § XX VIII, S. 94 f.
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bestätigt worden. Zugleich seien die alten Wahlversammlungen endgültig außer Übung gekommen. Umstritten sei nur das Wahlrecht des böhmischen Königs gewesen, weshalb die Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts nur 6 Kurfürsten erwähnt hätten 50 . Nach den Versuchen einer päpstlichen Einflußnahme auf die deutsche Königswahl bei der Wahl Friedrichs II. von Hohenstaufen und nach den Auseinandersetzungen über die Zusammensetzung des Kollegiums der Wahlfürsten während des Interregnums habe sich schließlich in der nachstaufischen Zeit die Überzeugung durchgesetzt, daß die sieben Wahlfürsten die Wahl des deutschen Königs vorzunehmen hätten. Das Wahlrecht des Königs von Böhmen sei allerdings erst durch Rudolf von Habsburg endgültig bestätigt worden 51 . Die letzte Station in der Entwicklung der deutschen Königswahl vor dem Erlaß der Goldenen Bulle sieht Olenschlager in der Abwehr des päpstlichen Approbationsanspruchs durch den förmlichen Reichsschluß von 1338, d.h. durch das Reichsgesetz „Licet iuris". Umso unbegreiflicher erscheine es daher, meint er, daß heutzutage, d.h. zu seiner Zeit, noch immer die Behauptung von einem päpstlichen Approbationsrecht aufrechterhalten werde 52 . Die Regelungen über das Kurrecht und das Kurfürstenkollegium sind für Olenschlager daher nicht durch die Goldene Bulle geschaffen worden, sondern hätten in vollem Umfang dem Rechtszustand seit dem Interregnum entsprochen. Der Kaiser habe sich in der Goldenen Bulle darauf beschränkt, Unklarheiten und Uneinigkeiten unter den Kurfürsten zu beseitigen und ansonsten den bestehenden Rechtszustand reichsgesetzlich zu sanktionieren 53 . Neues Recht sei durch den Kaiser nicht geschaffen worden. Was Ludewigs These von der Unterdrückung der Kurfürsten durch die kaiserliche Gewalt betrifft, so ist sie für Olenschlager durch die Geschichte der Entstehung und Ausbildung des Kurrechts und des Kurfürstenkollegiums eindeutig widerlegt. Ein weiterer Schwerpunkt der Erläuterungen sind für Olenschlager Vorschriften über die Gleichrangigkeit der geistlichen Kurfürsten, über kurfürstlichen Rechte bei feierlichen Reichshandlungen sowie über Reichsvikariat. Auch sie werden von ihm eingehend behandelt und aus Geschichte erklärt.
die die das der
Was die Gleichrangigkeit der geistlichen Kurfürsten angeht, hält er fest, daß alle drei seit jeher als Inhaber eines Erzkanzleramtes im Rang gleichgestellt gewesen seien und sich auch mit guten Gründen stets darauf beru50 51 52 53
§ XXX, S. 104 ff., § XXXIII, S. 114 ff. § XXXVI, S. 131. § XXXVII, S. 131 ff. § XXXIX, S. 136 ff.
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fen hätten, Trier auf sein Alter, Mainz auf die Nachfolge des Bonifatius und Köln auf zahlreiche Titel von Papst und Kaiser. Die bestehenden Rivalitäten, meint Olenschlager, seien durch die Goldene Bulle zwar nicht beseitigt, aber doch einvernehmlich im Sinne einer Gleichrangigkeit aller drei geistlichen Kurfürsten geregelt worden. Die letztere komme auch dadurch zum Ausdruck, daß die geistlichen Kurfürsten im Text der Goldenen Bulle stets in abwechselnder Reihenfolge genannt würden 54 . Wesentlich weniger Schwierigkeiten habe es bei der Festlegung der kurfürstlichen Rechte bei feierlichen Reichshandlungen gegeben. Sie alle seien lange vor der Entstehung der Goldenen Bulle durch Herkommen anerkannt gewesen. Das Recht des Königs von Böhmen mit dem Erzbischof von Mainz neben dem Kaiser zu sitzen, sei ebenso unumstritten gewesen wie das Recht des Erzbischofs von Mainz auf die Umfrage, d.h. auf das Einsammeln der Voten bei der Königswahl, und das Recht des Erzbischofs von Trier auf Abgabe der ersten Stimme. Auch das Recht des Böhmischen Königs, bei Ausübung seines Hofamtes auf den Reichstagen nicht die Böhmische Krone tragen zu müssen, sei schon vor dem Erlaß der Goldenen Bulle unbestritten gewesen 55 . Auch die Regelungen bezüglich des Vikariatsrechts des Pfalzgrafen bei Rhein und des Herzogs von Sachsen sind für ihn das Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung, hier der Geschichte der „Reichsverwesung", deren Verlauf ähnlich wie die Geschichte des Kurrechts und des Kurfürstenkollegiums, diesmal allerdings nur sehr kurz, dargestellt wird. Den Ursprung des Vikariatsrechts sieht Olenschlager allerdings nicht in der Fränkischen Zeit, sondern erst im 13. Jahrhundert, weil es vor diesem Zeitraum kaum Fälle von „Interregna" gegeben habe. Bei den ersten auftretenden Fällen hätte der Papst das Vikariatsrecht für sich in Anspruch genommen, sei damit jedoch auf den Widerspruch der deutschen Fürsten gestoßen. Seit Rudolf von Habsburg sei das Vikariatsrecht des Pfalzgrafen bei Rhein und des Herzogs von Sachsen aber allgemein anerkannt. Wie schon zuvor bei den anderen Regelungen enthalte die Goldene Bulle auch hier nur die Bestätigung des bestehenden Rechtszustandes56. Nicht eindeutig durch die Geschichte zu erklären ist für Olenschlager dagegen die Herkunft der wichtigen Regelung bezüglich der Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen bei Rhein über den König. Ihren Ursprung vermutet er in der herausragenden Stellung des Pfalzgrafen bei Rhein, weil die Pfalz bei Aachen in seinem Amtsbereich lag. Ob damit die Gerichtsbarkeit über den 54 55 56
§ XXXIX, S. 137 ff. § XXXIX, S. 137 f. § XLI, S. 143 ff., insbes. S. 146.
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König verbunden war, ist für Olenschlager unklar. In den Rechtsbüchern des Mittelalters werde diese Gerichtsbarkeit zwar erwähnt, in der Geschichte habe sich jedoch kein Beispiel für die tatsächliche Praxis ausmachen lassen. Dies ist für ihn die Erklärung dafür, daß der Kaiser in der Goldenen Bulle die Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen auf den Fall der Ausübung auf einem Reichstag in Gegenwart des Königs und Kaisers beschränkt hat 5 7 . Im Mittelpunkt der Erläuterungen zur dritten „Satzung", die für Olenschlager aus den Kapiteln V I I bis X I der Goldenen Bulle besteht, stehen zunächst die kurfürstlichen Rechte in deren Territorien und die Unteilbarkeit der Kurlande. Auch sie werden von ihm durch Rückgriff auf die geschichtliche Entwicklung erklärt. Die kurfürstlichen Rechte beruhen, meint Olenschlager, auf den Rechten der alten „Pfalzerzfürsten" der „Teutschen Hauptvölker" - gemeint sind die Stammesherzöge -, die diesen allerdings nicht als eigene Rechte zugestanden hätten, sondern ihnen von ihren Völkern übertragen worden seien. Durch diese hätten die „Pfalzerzfürsten" eine königsgleiche Stellung bei ihren Völkern erlangt und alle jene Rechte erhalten, die zur königlichen Gewalt gehören. Mit dem Reich seien sie nur auf Grund eines Lehnsverhältnisses verbunden gewesen. Daraus seien die kurfürstlichen Rechte in den Kurlanden entstanden, später jedoch durch mancherlei „Irrungen" in Zweifel geraten. Um diese Zweifel zu beseitigen, habe der Kaiser auf das „alte und löbliche" Herkommen zurückgegriffen und alle daraus resultierenden Rechte reichsgesetzlich bestätigt. Den Hauptzweck sieht Olenschlager in der Sicherstellung der Rechte als Grundlage für die Ausübung des kurfürstlichen Amtes 5 8 . Ähnlich verhält es sich für ihn mit den Regelungen über die Unteilbarkeit der Kurlande. Auch hier habe der Kaiser an das alte Recht der „Pfalzerzfürsten" angeknüpft, deren Lande unteilbar gewesen seien. Es habe das Erstgeborenenrecht und bei Minderjährigkeit des Erstgeborenen das Vormundschaftsrecht gegolten. Nach dem Ende der Herzogtümer der „Pfalzerzfürsten" unter Friedrich Barbarossa habe es insofern eine Änderung gegeben, als das Allodialerbrecht an die Stelle des Erstgeborenenerbrechts getreten sei. Die Folge sei die Aufsplitterung der Herzogtümer gewesen. Um diese Folge für die weltlichen Kurlande und daraus resultierend für die Ausübung der Kur zu verhindern, habe der Kaiser auch hier auf das alte Recht der „Pfalzerzfürstentümer" zurückgegriffen und das ursprüngliche Erstgeborenenrecht wie das Vörmundschaftsrecht wiederhergestellt 59 . 57 58 59
§ XLIII, S. 154 ff., insbes. S. 159. § XLV, S. 161 ff., insbes. S. 164. §§ XLV ff., S. 161 ff., insbes. § XLVIII, S. 173 ff.
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Ein Schwerpunkt sind auch die Erläuterungen zu den Regelungen über die Gerichtsprivilegien des Königs von Böhmen, über die Regalien für die Kurfürsten und über die Gerichtsprivilegien der geistlichen Kurfürsten. Auch sie werden von Olenschlager geschichtlich erklärt. Die Regalien und Gerichtsrechte sind für Olenschlager die Nachfolger der alten Herrschaftsrechte der „Pfalzerzfürsten" bei den „Teutschen Völkern" gewesen, die diesen seit jeher zugestanden hätten. Anders verhalte es sich nur mit den Gerichtsprivilegien des Königs von Böhmen. Sie beruhen für Olenschlager zum einen auf früher erteilten Privilegien und zum anderen auf der Tatsache, daß der König von Böhmen als Königswähler den übrigen Kurfürsten gleichgestellt gewesen sei, zumal er sich wie diese in einem Lehnsverhältnis zum Reich befunden hätte 60 . Alle diese Rechte seien vom Kaiser lediglich bestätigt worden. Einen Unterschied zwischen den Kurfürsten als Nachfahren der alten „Pfalzerzfürsten" und dem König von Böhmen sieht er nicht. Das Gleiche läßt sich für Olenschlager für das Recht auf Erweiterung der Kurlande sagen. Auch dieses Recht habe den alten „Pfalzerzfürsten" zugestanden und sei vom Kaiser lediglich bestätigt worden. Die von vielen Rechtsgelehrten vertretene Ansicht, nach der diese Bestimmung in die Goldene Bulle aufgenommen worden sei, um die Expansionsbestrebungen des Kaisers in Bezug auf sein Königreich Böhmen zu legitimieren, sei unzutreffend 61 . Ausführlich beschäftigt sich Olenschlager mit der Frage, aus welchem Grund die Gerichtsprivilegien der geistlichen und weltlichen Kurfürsten nicht bereits im Zusammenhang mit den Regelungen über die Gerichtsprivilegien des Königs von Böhmen behandelt wurden 62 . Hier meint er, daß der Eindruck hätte vermieden werden sollen, als hätten sich die geistlichen und weltlichen Kurfürsten ihre Gerichtsprivilegien nach dem Vorbild des Königs von Böhmen bestätigen lassen. Vielmehr sei es deren Bestreben gewesen darzutun, daß ihnen diese Rechte als Nachfolger der alten „Pfalzerzfürsten" schon immer zugestanden hätten und der Kaiser sie auf dieser Grundlage bestätigt habe. Die vierte „Satzung" der Goldenen Bulle mit den Kapiteln X I I bis X V I I der Goldenen Bulle ist für ihn eine Sammlung von verschiedenen „Satzungen", deren Regelungen sich ebenfalls aus der geschichtlichen Entwicklung ergeben, zum Teil allerdings schon auf früheren Reichstagen behandelt worden seien. Schwerpunkte der Erläuterungen sind neben den Bestimmungen über den Kurfürstenrat und den Widerruf von für die Kurfürsten nachteiligen Privilegien vor allem die landfriedensrechtlichen Bestimmungen 63 . 60 61 62 63
§ LI, S. 182. § LH bis LX, S. 6 ff., insbes. S. 222 ff. § LX, S. 225 ff. § LXXIII, S. 285 ff.
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Der Kurfürstenrat, von Olenschlager als Kurfürstentag bezeichnet, ist für Olenschlager Nachfahre der alten karolingischen Hofversammlungen. Nach dem Erlaß der Goldenen Bulle hätten die Regelungen über die Kurfürstentage vor allem in der Regierungszeit König Wenzels eine besondere Bedeutung erlangt, als dieser begonnen habe, ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl Reichsgut zu verschleudern. Hier hätten sich die Kurfürsten auf einem Kurfürstentag des Jahres 1399 darauf verständigt, solchen Veräußerungen des Königs künftig generell ihre Zustimmung zu verweigern und sie damit unwirksam werden zu lassen 64 . Die Regelung über den Widerruf von für die Kurfürsten nachteiligen Privilegien hat für Olenschlager dagegen einen unmittelbaren geschichtlichen Hintergrund. Anlaß seien die vor dem Erlaß der Goldenen Bulle der Stadt Köln erteilten und gegen den Kurfürsten von Köln gerichteten, später aber widerrufenen kaiserlichen Privilegien. Dem Kurfürsten von Köln und den anderen Kurfürsten sei dieser Widerruf jedoch nicht ausreichend gewesen. Die Folge sei gewesen, daß die Kurfürsten die Regelung, nach der in Zukunft keine für die Kurfürsten nachteiligen Privilegien erteilt werden dürfen und alle etwa in der Vergangenheit erteilten als widerrufen zu gelten haben, ausdrücklich in die Goldene Bulle hätten „einrücken lassen". Der Kaiser habe aber sorgfältig darauf geachtet, daß mit dieser Maßnahme keine Rechte der übrigen Reichsstände beeinträchtigt wurden 65 . Auch bei den landfriedensrechtlichen Regelungen habe der Kaiser an bereits bestehende Landfriedensbestimmungen angeknüpft. Die Bestimmung über den Treubruch von Lehnsleuten schließe an den seit langem im Landfriedensrecht sanktionierten Bruch des Handfriedens an. Wegen der besonderen Verwerflichkeit habe der Kaiser den Treubruch der Lehnsleute daher nicht nur mit der Reichsacht, sondern wegen der Lehnsbindung zusätzlich noch mit dauernder Verwirkung aller Lehnsrechte bedroht 66 . Für Olenschlager steht diese Regelung durchaus im Einklang mit dem geltenden Lehnsrecht. Ähnlich verhält es sich für ihn mit dem Verbot der Schwurvereinigungen in den Städten. Auch dieses Verbot beruhe auf dem geltenden Landfriedensrecht, dessen Entstehung und Entwicklung von Olenschlager ausführlich erörtert wird. Anlaß für das Verbot seien die Auseinandersetzungen zwischen den Zusammenschlüssen des städtischen Patriziates in den oberitalienischen Städten. Diese hätten schon Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahre 1158 veranlaßt, ein Verbot zu erlassen, ohne daß dieses allerdings Wirkung gezeitigt hätte. Es sei daher von Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen 1231 noch einmal erneuert worden, doch auch diese Erneuerung sei 64 65 66
§ LXXIII, S. 286 f. § LXXV, S. 293 f. § LXXVI, S. 296 ff.
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ohne Wirkung geblieben, so daß sich der Kaiser in der Goldenen Bulle gezwungen gesehen habe, dieses Verbot nicht nur zu erneuern, sondern es noch zu erweitern. Bei der Erweiterung habe, meint Olenschlager, auch die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und deren Trennung vom Reich eine Rolle gespielt, die ja auch auf eine solche verbotene Vereinigung zurückgegangen sei. Auch deshalb habe der Kaiser in der Goldenen Bulle ein für alle Mal reichsgesetzlich feststellen lassen wollen, daß Vereinigungen dieser Art in der Zukunft ohne Zustimmung des Kaisers nicht geschlossen werden dürften und generell verboten sind 6 7 . Eine ähnliche Argumentation findet sich bei den Erläuterungen zum Pfahlbürgerverbot. Auch hier schildert Olenschlager zunächst die Entstehung des Instituts der Pfahlbürger, sodann die Beschwerden der Fürsten und des Landadels über dessen Ausbreitung und dessen Mißbrauch, um im Anschluß daran die ersten Verbote durch König Heinrich (VII.) und Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen und deren Hintergründe zu erläutern. Den Ausdruck Pfahlbürger erklärt Olenschlager damit, daß es sich um Personen gehandelt habe, die als städtische Bürger ihren Wohnsitz innerhalb des mit Pfählen abgezäunten städtischen Territoriums gehabt und dort nicht anders gelebt hätten als die Bauern in der Umgebung der Stadt 68 . Schließlich ergibt sich für ihn auch die Regelung über die Fehdeansage aus der geschichtlichen Entwicklung des Landfriedensrechts. Er meint, daß deren Ursprung im Reichslandfrieden Kaiser Friedrich Barbarossas von 1187 - gemeint ist Friedrichs Nürnberger Reichslandfriede von 1186 - liege. Im Mainzer Reichslandfrieden Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen sei sie zu einem förmlichen Reichsgesetz erhoben und später immer wieder, zuletzt durch Kaiser Ludwig von Bayern, erneuert worden. Die Textfassung des Verbots der Goldenen Bulle beruht für ihn auf dem Text Philipps von Schwaben, ohne daß er hierzu nähere Angaben macht 69 . A m Schluß seiner Erläuterungen erklärt Olenschlager, daß der Kaiser ursprünglich die Absicht gehabt hätte, mit dieser vierten „Satzung" sein Gesetzeswerk endigen zu lassen, um es, wie es seit jeher bevorzugte Übung bei den Kaisern gewesen sei, zu Weihnachten zu verkünden. Darauf deute die Mitteilung der Formulare für die Wahlausschreibung und für die Gesandtenvollmacht am Ende der „Satzung" hin. Aus unbekannter Ursache habe sich jedoch die Verkündung des Gesetzbuches verzögert, so daß diese erst am 9. Januar erfolgt sei. Die ausständigen Kapitel seien offensichtlich so „eilfertig abgefaßt worden", daß man sie bei der Verkündung in Nürnberg nicht hätte verwenden können. Sie seien daher im Rahmen einer eige67 68 69
§ LXXVII, S. 299 ff. § LXXX, S. 316 ff. § LXXXI, S. 321 ff.
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nen „Satzung" erst in Metz publiziert worden. Dies sei auch der Grund, warum die fünfte „Satzung" mit einem eigenen Prooemium beginne 70 . Die fünfte „Satzung" enthält für Olenschlager neben diesen restlichen Kapiteln einige ergänzende Regelungen, die sich für ihn aus der konkreten politischen Situation nach der Verkündung der Goldenen Bulle in Nürnberg ergeben hätten. Wegen der Unzufriedenheit von etlichen Fürsten, namentlich der Habsburger, der Lauenburger und der Wittelsbacher und wegen vielfältiger Zweifel an der Berechtigung der Privilegien des Königs von Böhmen sowie wegen Klagen der Städte über die sie betreffenden Regelungen habe sich der Kaiser entschlossen, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Prag erneut einen Reichstag, diesmal nach Metz, auszuschreiben, um das Festhalten an den in Nürnberg verkündeten Regelungen, namentlich jener zugunsten der Kurfürsten, noch einmal zu bekräftigen und zu ergänzen 71 . Als erste dieser Regelungen erläutert Olenschlager die zum Schutz der Kurfürsten erlassene Regelung des „crimen laesae maiestatis". Sie sei Ausdruck des Bemühens des Kaisers gewesen, jeden der Kurfürsten vor kriminellen Angriffen auf die Person zu schützen. Zu diesem Zweck habe der Kaiser auf die römischrechtliche Vorschrift des „Crimen laesae maiestatis" zurückgegriffen und sie in sein Gesetz „einrücken" lassen 72 . Auch hier versucht Olenschlager, für diese Rezeption eine geschichtliche Begründung zu liefern. Zwar habe die Vorschrift in der Fränkischen Zeit noch nicht gegolten, doch habe es ähnliche Vorschriften gegeben, mit denen Angriffe auf die Person der Stammesherzöge hätten abgewehrt werden sollen. Auch im Mittelalter sei die Person der „Erzpfalzgrafen" besonders geschützt gewesen und seien Angriffe auf deren Person mit der Reichsacht und vollständigem Vermögensverlust bestraft worden, eine Erstreckung der Bestrafung und des Vermögensverlustes auf die Nachkommen, wie im römischen „Crimen laesae maiestatis" vorgesehen, habe man jedoch abgelehnt 73 . Erstmals nach der Ermordung des Kurfürsten Engelbert von Köln im Jahre 1255 sei eine päpstliche Konstitution mit den römischen Strafandrohungen ergangen und der Täter auf Grund dieser Konstitution zum Tode verurteilt und hingerichtet worden, doch ob es eine eigene „Reichssatzung" zum Schutz der Kurfürsten zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben habe, stehe zwar zu vermuten, sei aber nicht sicher 74 . Die erneute Behandlung der Regelungen über die Unteilbarkeit der Kurlande und der Erbfolge in den weltlichen Kurfürstentümern, die schon zu70 71 72 73 74
§ LXXXII, S. 325 ff. § LXXXV, S. 331 ff., insbes. S. 332. § LXXXVII, S. 336 ff. § LXXXVII, S. 341. A.a.O., S. 336 ff.
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vor in der zweiten „Satzung" behandelt worden waren, erklärt Olenschlager mit dem Bestreben des Kaisers, die Kurlande, die an die Stelle der alten Herzogtümer getreten seien, noch einmal nachdrücklich in ihrem tatsächlichen Bestand zu bestätigen und die Befugnis zur Erweiterung nach dem Vorbild der alten Herzogtümer ein für alle Mal sicherzustellen 75 . Auch bei der Erbfolgeregelung der weltlichen Kurfürstentümer habe der Kaiser die Anknüpfung an die alten Herzogtümer, in denen es bereits das Erstgeborenenrecht gegeben habe, noch einmal bestätigen wollen. Trotz dieser Bestätigung und trotz der eingehenden Regelung in der Goldenen Bulle habe es jedoch in den nachfolgenden Jahrhunderten immer wieder Mißdeutungen und fehlerhafte Auslegungen dieser Regelungen der Goldenen Bulle gegeben, so daß notwendig geworden sei, ergänzend zu den gesetzlichen Regelungen in der Goldenen Bulle auf das Herkommen zurückzugreifen und es als Rechtsquelle heranzuziehen 76. Ein besonderer Schwerpunkt der Erläuterungen ist die Erläuterung der Bestimmungen über das große Hofzeremoniell auf den Reichstagen und bei feierlichen Reichshandlungen. Auch hier verweist Olenschlager auf die geschichtliche Entwicklung und führt deren Ursprünge bis in die Fränkische Zeit zurück 77 . Den Anfang sieht er im Zeremoniell der fränkischen Reichsversammlungen und Hoftage, auf denen es üblich gewesen sei, daß die vornehmsten Fürsten des Reiches vor den Teilnehmern der Versammlungen in Person den Hofdienst geleistet hätten. Für Karl IV. habe keine Veranlassung bestanden, dieses überlieferte Zeremoniell zu ändern, vielmehr sei es ihm darum gegangen, es reichsgesetzlich festzuschreiben. Olenschlager beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch mit den Reichsinsignien, insbesondere der Reichskrone und deren Geschichte, und betont hierbei, daß die Reichskrone stets sowohl als Königs- wie als Kaiserkrone Verwendung gefunden habe und mit Recht als „Römische Königliche Krone" bezeichnet worden sei 78 . Auch für die Regelung des Sprachunterrichts für die Erben der weltlichen Kurfürsten versucht Olenschlager eine geschichtliche Erklärung zu geben. Da es das Hauptziel aller Reichstage und Reichsversammlungen gewesen sei, meint er, „die gesetzmäßigen Zusammenhänge und Versehung des Reichs in Staats- Lehns Gerichts- und Gnadensachen" zu beraten, habe dies stets die Kenntnis aller im Heiligen Römische Reiche lebenden „Nationen", deren Sprachen, Sitten und Gebräuche erfordert. Dies sei der Grund gewesen, daß der Kaiser verfügt habe, die Erben der weltlichen Kurfürsten neben 75 76 77 78
§ LXXXVIII, S. 341 ff., insbes. S. 343. A.a.O., S. 344. § LXXXIX, S. 347 ff. § XCI, S. 357 ff.
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der deutschen Sprache auch im Lateinischen, Italienischen und Wendischen unterrichten zu lassen, weil diese Sprachen im Reich vornehmlich gesprochen würden und daher von den künftigen Kurfürsten als den Säulen des Reiches beherrscht werden müßten. Ob sich der Kaiser bei dieser Regelung auf ältere „Reichssatzungen" bezogen habe, sei zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher. Die Kenntnis der wendischen Sprache sei allerdings sehr bald außer Übung gekommen und in den Wahlkapitulationen seit Karl V. nur mehr das Deutsche und das Lateinische als Amtsprache im Reich anerkannt worden. Merkwürdig findet Olenschlager, daß die Kenntnis des Französischen nicht gefordert worden sei, obschon man es doch in weiten Teilen des Reiches, vor allem im Westen, gesprochen und es der Kaiser selbst beherrscht habe. Als Erklärung bietet Olenschlager an, daß auch in diesen Teilen des Reiches wie auch in Frankreich zu Zeiten der Abfassung der Goldenen Bulle das Lateinische die Amtssprache gewesen sei 7 9 . A m Ende der Erläuterungen findet sich noch eine kurze Erörterung der Frage nach der Urheberschaft der Goldenen Bulle, eine Charakteristik der Person des Kaisers sowie mit eine Auseinandersetzung mit der nach der Verkündung der Goldenen Bulle geäußerten Kritik und mit den vor allem in der Reichspublizistik der Neuzeit vorgetragenen Zweifeln an Geltung, Zustandekommen und Inhalt der Goldenen Bulle 8 0 . Die päpstliche Kritik an der Goldenen Bulle wegen des Übergehens der päpstlichen Rechte habe der Kaiser zurückgewiesen und später durch finanzielle Zuwendungen endgültig aus der Welt geschafft. Die Kritik Bayerns sei durch Einräumung der Rechte des alten Pfalzerzfürstentums - gemeint ist das alte Stammesherzogtum - besänftigt worden und auch die Kritik des österreichischen Herzogs, der sich 1359 die Würde eines Erzpfalzgrafen und sogar königliche „Zierden" zugelegt habe - gemeint ist hier das sog. Privilegium maius von 1358 - sei vom Kaiser egalisiert worden. Auf die königlichen „Zierden" habe der Herzog jedoch auf kaiserliches Verlangen verzichten müssen 81 . Die in der der Neuzeit geäußerten Zweifel an der Geltung der Goldenen Bulle hält Olenschlager für unbegründet. Durch kaiserliche Urkunden, die unmittelbar nach der Verkündung der Goldenen Bulle ausgefertigt wurden, sei erwiesen, daß die Goldene Bulle schon zu Lebzeiten Karls IV. allgemeine Anerkennung erlangt habe. Ebenso sind die Zweifel an der Geltung der Goldenen Bulle wegen des Fehlens des Datums und der kaiserlichen Unterschrift in den Originalen für Olenschlager nicht berechtigt. Auch frühere Reichsgesetze, an deren Geltung es keinen Zweifel gegeben habe, hätten häufig keine Datierung und Unterschrift des Kaisers aufzuweisen gehabt. Außer79 80 81
A.a.O., S. 386 ff. § XCIXI, S. 390 ff. § CIV, S. 403 ff.
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dem habe der Kaiser die Gültigkeit mit seinem kaiserlichen Siegel bekräftigt und sie damit eindeutig bestätigt. Endlich entspreche die gelegentlich geäußerte Behauptung, daß der Inhalt der Goldenen Bulle erst später formuliert worden sei, nicht den Tatsachen. Gleiches gelte von der Kritik an der Bevorzugung Böhmens in der Goldenen Bulle 8 2 . Daß die Frage der Königswahl zu Lebzeiten des Kaisers nicht behandelt worden ist, erklärt Olenschlager mit dem Hinweis, daß sie auch in der Vergangenheit umstritten gewesen sei und man dem Kaiser den Rat gegeben habe, aus diesem Grunde auf die Behandlung der Frage in der Goldenen Bulle zu verzichten 83 . Insgesamt ist für Olenschlager durch die Goldene Bulle kein neues Recht erzeugt, sondern im wesentlichen das zur Zeit der Abfassung der Goldenen Bulle geltende Recht bestätigt und reichsgesetzlich fixiert worden. Die Goldene Bulle ist für ihn somit keine Neuschöpfung, sondern lediglich eine gesetzliche Fixierung, eine „Kodifikation", des geltenden, bis dahin weitgehend ungeschriebenen Herkommens. Olenschlager sieht in ihr vor allem die Absicht des Kaisers verwirklicht, an die Stelle des unsicheren Herkommens eine dauerhafte und feste reichsgesetzliche Regelung treten zu lassen. Vor allem sollten die Unsicherheiten in Bezug auf die deutsche Königswahl endgültig beseitigt werden. Wichtig ist auch die Theorie von der Entstehung der Goldenen Bulle aus einzelnen „Satzungen", d.h. daß die Goldene Bulle nicht als ein geschlossenes Gesetzeswerk entstanden ist, sondern aus einzelnen Gesetzen, „Satzungen", besteht, die erst nachträglich zu einem Gesetzeswerk zusammengefügt wurden.
V. Olenschlagers „Neue Erläuterung der Güldenen Bulle" ist die letzte der zahlreichen reichspublizistischen Erläuterungen zur Goldenen Bulle, die mit Gerlach Buxtorfs Traktat über die Goldene Bulle am Anfang des 17. Jahrhunderts ihren Anfang nahmen und mit Johann Peter (von) Ludewigs „Vollständige^) Erläuterung der Güldenen Bulle", die zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschien, ihren Höhepunkt erlebten 84 . Zugleich war es der erste wirklich geschichtliche Kommentar, in dem der Inhalt der Goldenen Bulle konsequent als Ergebnis der mittelalterlichen Reichsverfassung erläutert wurde. Zwar hatten schon Ludewig und die anderen Repräsentanten der Halleschen publizistischen Schule die „Reichshistorie" zur Erläuterung der 82
§ CV, S. 406 ff. § CVI, S. 408 ff. 84 Gerlach Buxtorf, Dissertatio historico-juridica in XVII priora Aureae Caroli IV. Bullae capita, Basilae 1617; Johann Peter Ludewig, Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle (Anmerk. 19). 83
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Goldenen Bulle herangezogen, doch war für keines dieser Werke die Geschichte der mittelalterlichen Reichsverfassung und die geschichtliche Erklärung der einzelnen Bestimmungen Grundlage der Erläuterung. Insofern kann man die Behauptung wagen, daß mit Olenschlagers Werk die geschichtliche Erklärung der Goldenen Bulle und ihres Inhaltes beginnt. In der Reichspublizistik wurde Olenschlagers Werk von Anfang an freundlich aufgenommen 85 . Man rühmte die Gelehrsamkeit des Verfassers, seine Kenntnis der Geschichte, den Reichtum seiner Gedanken und die Gründlichkeit seiner Argumentation. So bezeichnete etwa der Naumburger Domherr Ernst Ludwig Wilhelm von Dacheröden in seiner Untersuchung über die Frage nach der Autorschaft der Goldenen Bulle, eine der letzten Abhandlungen aus dem Bereich der Reichshistorie, die noch vor dem Jahre 1806 erschienen, Olenschlagers „Neue Erläuterung der Güldenen Bulle" als ein „an gründlicher Kenntniß der Staatsverfassung des mittleren Zeitalters überaus reichhaltiges Werk", das neben Ludewigs Werk zu den „vorzüglichsten" Kommentaren zur Goldenen Bulle zu zählen sei 8 6 . Auch in den staatsrechtlich orientierten Werken der späten Reichspublizistik wurde Olenschlagers Erläuterung wegen des Reichtums ihres Inhaltes lobend hervorgehoben. So spricht etwa Johann Christian Majer in seinem „Teutschen Staatsrecht" davon, daß man zwar von der Entstehung der Goldenen Bulle keinerlei Unterlagen über die Verhandlungen habe, umso größer daher Nutzen derjenigen Schriften sei, in denen die Goldene Bulle aus der Geschichte erläutert werde, von denen Olenschlagers Werk unter allen anderen wohl den Vorzug verdiene 87 . Bei Justus Christoph Leist in dessen Staatsrecht heißt es sogar, daß durch Olenschlagers Kommentar alle bisherigen Kommentare, selbst der von Johann Peter (von) Ludewig, „fast gänzlich überflüssig" geworden seien 88 . Nicolaus Thaddäus Gönner schließlich führt neben Ludewigs Erläuterungen vor allem Olenschlagers Werk als einziges Erläuterungswerk zur Goldenen Bulle an und läßt die älteren Kommentare gänzlich unerwähnt 89 . Ebenso wurde in der rechts- und verfassungshistorischen wie auch der historischen Forschung des 19. Jahrhunderts immer wieder auf Olenschla85
Zu den Querelen um die Entstehung von Ludewigs Werk und zu der Kritik an dessen Inhalt vgl. zuletzt Hattenhauer, a.a.O., S. XVII ff. 86 Ernst Ludwig Wilhelm von Dacheröden, Untersuchung der Frage: Wer für den eigentlichen Verfasser der Goldnen Bulle zu halten sey?, Erfurt 1786, S. 5, auch S. 20. 87 Johann Christian Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Erster Band, Leipzig 1775, S. 139 f. 88 Justus Christoph Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, Göttingen 1803, S. 13, Fn. 2. 89 Nicolaus Thaddäus Gönner, Teutsches Staatsrecht, Landshut 1804, S. 42.
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gers Werk verwiesen, und zwar sowohl auf den ersten wie auf den zweiten, die Urkunden enthaltenden Teil. Als Beispiel sei hier zunächst Karl Friedrich Eichhorns „Staats- und Rechtsgeschichte" angeführt, in der ausdrücklich auf Olenschlagers Erläuterungen und deren editorischen Apparat zum Text der Goldenen Bulle verwiesen wird 9 0 . Ähnlich verhält es sich mit Ferdinand Walters damals verbreitetem rechtsgeschichtlichem Lehrbuch, das ebenfalls auf Olenschlagers Werk hinweist und es als die beste Ausgabe und Erläuterung der Goldenen Bulle bezeichnet 91 . Als letzter sei Heinrich Zoepfl und seine Deutsche Rechtsgeschichte genannt, der Olenschlagers Kommentar zusammen mit Ludewigs Erläuterungen als wichtigste Literatur zur Goldenen Bulle angibt und auch sonst auf Olenschlager Bezug nimmt. Weitere bekannte Vertreter der Deutschen Rechtsgeschichte als wissenschaftlicher Disziplin wie George Phillips, Johann Friedrich v. Schulte können hier noch erwähnt werden, die allesamt auf Olenschlagers Werk hinweisen 92 . Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich auch in der Historiographie Untersuchungen und Darstellungen, in denen nicht nur auf Olenschlagers Werk verwiesen wird, sondern direkt oder indirekt Olenschlagers Erkenntnisse und Thesen rezipiert werden 93 . Das gilt vor allem für die von ihm aufgestellte sog. „Satzungstheorie". Hier mag als erster Emil Nerger hervorgehoben werden, der in seiner Untersuchung über den reichsrechtlichen Inhalt der Goldenen Bulle nicht nur an zahlreichen Stellen auf den Urkundenteil von Olenschlagers Werk Bezug genommen hat, sondern vor allem die Entstehungsgeschichte der Goldenen Bulle auf der Grundlage von Olenschlagers „Satzungstheorie" schildert - allerdings ohne ausdrückliche Hinweis auf Olenschlagers Kommentar 94 . 90
Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Dritter Theil, hier zitiert nach der 3. Ausgabe Göttingen 1822, § 395, S. 34 ff., insbes. Fn. b). Olenschlagers Werk wird dort als einziger Literaturhinweis für eine geschichtliche Erläuterung der Goldenen Bulle angeführt. 91 Ferdinand Walter; Deutsche Rechtsgeschichte, hier verwendet: 2. verbesserte und vermehrte Ausgabe, Bonn 1857, Nr. 332, S. 399, Fn. 13. 92 Heinrich Zoepfl, Deutsche Rechtsgeschichte, Zweiter Band, Zweiter Theil, hier: 4. vermehrte und verbesserte Auflage Braunschweig 1872, § 59, S. 315, Fn.* u. 6). George Phillips, Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, hier benutzt: 4. vermehrte Auflage, München 1850, § 114, S. 372, Fn. 6); Johann Friedrich von Schulte, Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte, zitiert nach der 5. verbesserten Auflage, Stuttgart 1881, § 58, S. 153, Fn. 7. 93 Die Zahl der Einzeluntersuchungen ist insgesamt nicht sehr groß. Von Zeitgenossen wird sie sogar als „dürftig" bezeichnet. Vgl. Heinrich Friedjung, Kaiser Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit, Wien 1876, S. 87, Fn. 1. 94 Emil Nerger, Die Goldene Bulle nach ihrem Ursprung und ihrem Reichsrechtlichen Inhalt, phil. Diss. Göttingen, Prenzlau 1877, S. 3 ff., insbes. S. 16 ff.
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Olenschlagers in der Folgezeit allgemein anerkannte„Satzungstheorie" wurde erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Otto Harnack in dessen Untersuchung über das Kurfürstenkollegium nachhaltig bestritten 95 . Unter Hinweis auf die Überlieferungsgeschichte des Textes der Goldenen Bulle und die Kapiteleinteilung der als Original betrachteten Böhmischen Ausfertigung bezeichnete er die Einteilung in „Satzungen" und die darauf gestützte Ansicht von der Entstehung der Goldenen Bulle aus einzelnen „Satzungen" als eine „sich grundlos forterbende Sage", die in den Kommentaren „eine unverwüstliche, rätselhafte Existenz" führe. Ausdrücklich wird Olenschlager und sein Kommentar genannt, der diese Einteilung nach „Satzungen" seinen Erläuterungen zugrunde gelegt habe 96 . In der sich anschließenden Kontroverse wurde vor allem von Eugen Reimann in einer kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts erschienenen Studie über die Vorlagen und die Abfassung der Goldenen Bulle betont, daß man Harnacks Argumentation gegen die Ursprünglichkeit der Einteilung in „Satzungen", die zuvor noch von Heinrich Friedjung in dessen Darstellung über Karl IV. bekräftigt worden war, als „nicht schlagend" ansehen könne. Allerdings schränkt er seine Ablehnung der Kritik Harnacks insofern ein, als er behauptet, daß man aus der Einteilung in „Satzungen" keine Rückschlüsse auf die Entstehung der Goldenen Bulle ziehen dürfe 97 . Es ginge zu weit, wenn behauptet werde, daß die einzelnen „Satzungen" alle für sich zunächst als vollständige Urkunden abgefaßt und deren Protokolle erst nachträglich weggelassen worden seien 98 . Als Abschluß dieser Diskussion um die „Satzungstheorie" kann Karl Zeumers Darstellung in seiner bekannten und inzwischen als klassisch eingestuften Monographie über die Goldene Bulle g e l t e n 9 9 , 1 0 0 . Zeumer geht wie selbstverständlich von Olenschlagers These aus und verteidigt sie nachdrücklich gegen Harnacks Einwände, ohne daß er allerdings auf die Herkunft dieser These eingeht, wie er überhaupt Olenschlagers geschichtliches 95 Hinweise auf die Einteilung der Goldenen Bulle nach „Satzungen" finden sich etwa bei Zoepfl, Phillips, aber auch bei Friedjung. 96 Otto Harnack, Das Kurfürstenkollegium bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, Gießen 1883, S. 174 ff. 97 Eugen Reimann, Untersuchung über die Vorlagen und die Abfassung der Goldenen Bulle, phil. Diss., Halle/Saale 1898, S. 45 ff. 98 Reimann, a.a.O., S. 46. 99 Karl Zeumer, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Teile, Weimar 1908, Neudruck Hildesheim 1972 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit. Band II). 100 Die Untersuchung von Oskar Hahn, Ursprung und Bedeutung der Goldenen Bulle Karls IV., phil Diss. Breslau 1902, in der die Behauptung aufgestellt wird, daß die Goldene Bulle „nach keinerlei Grundsätzen systematisch geordnet und aufgebaut" sei (S. 8), ist ohne Echo geblieben.
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Erläuterungswerk zur Goldenen Bulle zwar im Verzeichnis der benutzten Literatur anführt, nicht aber, daß es ihm als Vorbild für seine eigene Darstellung gedient haben dürfte 1 0 1 . In seiner Argumentation gegen Harnack meint Zeumer, daß es sich Harnack mit seiner Ablehnung der ursprünglichen „Satzungen" entschieden zu leicht mache. Es spreche alles dafür, daß die Goldene Bulle in der Tat durch die Zusammenfügung ursprünglich selbstständiger Bestandteile, die sich mit der Kapiteleinteilung nicht durchweg deckten, entstanden sei, auch wenn sich bei näherer Betrachtung gegenüber der älteren „Satzungstheorie" mancherlei Abweichungen ergäben. Aus dem von Harnack angefühlten Umstand, daß die älteste Ausfertigung des Gesetzestextes in Kapitel eingeteilt sei, ließen sich keinerlei Gründe gegen Annahme herleiten, daß die Goldene Bulle ursprünglich aus verschiedenen selbstständigen Teilen bestanden habe, die nachträglich zusammengefügt worden seien 1 0 2 . Zeumers Ansicht wurde in der Folgezeit nicht in Frage gestellt und in der neuesten Forschung, etwa in der Untersuchung Bernd-Ulrich Hergemöller, als Faktum akzeptiert, auch wenn dort vor allem nach den historischen Voraussetzungen und Ereignissen, die zur Entstehung der Goldenen Bulle und ihrer Reglungen geführt haben, gefragt und damit ein anderer Ansatzpunkt für die Frage nach der Entstehung gewählt wird. Auch in der gegenwärtigen Forschung bleibt es dabei, daß die Goldene Bulle aus einzelnen ursprünglich selbstständigen Teilen, „Satzungen", entstanden ist, die nachträglich zusammengefügt wurden und erst durch diese Zusammenfügung zu einem Gesetzeswerk wurden - eine Erkenntnis, von der nicht uninteressant ist zu wissen, daß sie auf den ersten geschichtlichen Kommentar zur Goldenen Bulle des rechtsgelehrten Frankfurter Advokaten, Schöffen und Bürgermeister Johann Daniel (von) Olenschlager, Goethes väterlichen Freund, zurückgeht 103 .
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Zeumer weist zwar gelegentlich in den Fußnoten auf Olenschlagers Werk hin wie etwa S. 192, als Anknüpfungspunkt oder gar als Vorlage für sein eigenes Werk wird es jedoch mit keinem Wort erwähnt, obschon Zeumers Einteilung in einen ersten, der geschichtlichen Darstellung gewidmeten und einen zweiten, die einschlägigen Urkunden enthaltenden Teil exakt Olenschlagers Erläuterungen entspricht und auch die Grundidee von einer geschichtlichen Erläuterung der Goldenen Bulle mit der von Zeumers Untersuchung identisch ist. 102 Zeumer, a.a.O., S. 132 ff., insbes. S. 133. 103 Bernd-Ulrich Hergemöller, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV., Köln Wien 1983 (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, Band 13), pass., insbes. S. 6 ff., u.ö., namentlich S. 31, in der auf eine lateinische Urkunde vom 25.1.1356 an den EB von Köln verwiesen wird, die in Bezug auf die Goldene Bulle ausdrücklich von „plures leges et constitutiones imperiales" spricht.
Die Auseinandersetzung der römischen Juristen mit der Sklaverei - Zur Stabilisierungsfunktion des Privatrechts in der Gesellschaft* Von Tiziana J. Chiusi
I. Einleitung Die Sklaverei ist ein der Antike sehr vertrautes Phänomen1. Für uns ist es selbstverständlich, daß der Mensch mit der Geburt ein Rechtssubjekt wird, d.h. daß er Träger von Rechten und Pflichten sein kann 2 . In Rom wie auch sonst in der Antike war dies nicht so: Geboren zu werden bedeutete nicht automatisch, ein Rechtssubjekt zu sein. Gegen die aristotelische Lehre, nach der die Sklaverei ein Produkt der Natur sei 3 , vertreten die römischen Juristen allerdings die Auffassung, daß sie ein historisches Produkt sei, die Konsequenz bestimmter Umstände, da von Natur aus alle Menschen frei geboren werden. So schreibt Ulpian, ein Jurist des dritten Jahrhunderts n. Chr., daß „iure naturali omnes liberi nascerentur" 4, daß nach dem Naturrecht alle frei geboren werden; und Florentinus, ein Jurist des zweiten Jahrhunderts, daß „qua [Servitute] quis dominio alieno contra naturam subicitur" 5, daß durch die Sklaverei jemand gegen die Natur der Herrschaft eines anderen unterworfen wird 6 . Da sie aber allen Völkern bekannt sei, wird sie von den römischen Juristen als ein Institut des ius gentium, des Rechts * Der folgende Beitrag beruht auf einem Vortrag, den ich am 11.2.2007 in der Alten Abtei Mettlach im Rahmen der Wissenschaftsmatineen des WissenschaftsForumSaar gehalten habe. Meinem hoch geschätzten Kollegen Elmar Wadle sei er in Freundschaft gewidmet. 1 J. M. Rainer/E. Herrmann-Otto, Prolegomena (zum Corpus der Römischen Rechtsquellen zur Antiken Sklaverei), Stuttgart 1999. Klassisch immer noch W. W. Buckland, The Roman law of slavery. The condition of the slave in private law from Augustus to Justinian, Cambridge 1908. Insbesondere zur Bedeutung von Sklaverei und Privatrecht siehe v.a. auch H.-D. Spengler, Zugleich Person und Sache vielleicht Arbeitstier und Unternehmer: Rechtliche Aspekte der römischen Sklaverei, in: R. Krause u. a. (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, Berlin 2004, S. 271 ff. 2 Vgl. nur Art. 1, 2 GG und § 1 BGB. 3 Arist. Polit. 1(A).4.1253b. 4 D. 1.1.4 Ulp. 1 inst. 5 D. 1.5.4.1 Florent. 9 inst.
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der Völker definiert; und weil die Sklaverei in die Rechtsordnung eingedrungen sei, wurde danach die Wohltat der Freilassung erfunden 7. Damit sind die fundamentalen Koordinaten der Sklaverei in Rom mindestens angedeutet, wenn nicht angesprochen: sie ist nicht rassistisch geprägt und ihre Ausgestaltung folgt, ebenso wie ihre Beendigung, juristischen Regeln 8 . Um dies besser verstehen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die Struktur der römischen familia zu werfen und sich gleichzeitig der römischen Idee des Eigentums zu nähern.
II. Zur Struktur der Familie Dem praktischen Sinn der Römer hat es schon immer widersprochen, sich mit theoretischen Definitionen ausgiebig zu beschäftigen. Man sucht daher in der juristischen und nichtjuristischen römischen Literatur vergeblich nach einer technischen und abstrakten Begriffsbestimmung des Eigentums 9 . Vielmehr kennen wir konkrete Vorstellungen vom Eigentum, die Idee, daß man etwas hat, und zwar mit besserem Recht als ein anderer: meum esse aio 10 (ich behaupte, daß es mein ist). Diese Vorstellung ist sehr alt. Doch stellt sich die Frage, wem denn überhaupt etwas konkret gehören konnte und welche Befugnisse damit verbunden waren. Damit sprechen wir ein für die römische Gesellschaft und Rechtsordnung sehr wichtiges und strukturprägendes Element an, die Besonderheit der Fami6
Vgl. E. Hermann-Otto, Die Bedeutung der antiken Sklaverei für die Menschenrechte, in: dies. (Hrsg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, Hildesheim u.a. 2005, S. 56 ff., insb. S. 61 ff. 7 D. 1.1.4 Ulp. 1 inst. 8 J. M. Rainer/E. Herrmann-Otto, Prolegomena (Fn. 1), S. 8 ff.; vgl. auch H. J. Wieling, Die Begründung des Sklavenstatus nach ius gentium und ius civile, Stuttgart 1999. 9 Vgl. zum Eigentumsbegriff T. J. Chiusi, Strukturen des römischen Eigentums im Spiegel rhetorisch-philosophischer Texte Ciceros, in: A. Eckl/B. Ludwig (Hrsg.), Was ist Eigentum? Philosophische Eigentumstheorien von Piaton bis Habermas, München 2005, S. 59 ff.; dies., Das römische Eigentum zwischen Recht und Rhetorik. Einige allgemeine Bemerkungen, in: Aa.Vv., Studi in onore di Giovanni Nicosia, II, Mailand 2007, S. 423 ff.; G. Jahr, Zum römischen (romanistischen) Begriff des Eigentums (des subjektiven Rechts), in: D. Nörr/D. Simon (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel, Frankfurt a.M. 1984, S. 69 ff.; Th. Mayer-Maly, Das Eigentumsverständnis der Gegenwart und die Rechtsgeschichte, in: G. Baumgärtel u.a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 7. November 1984, Berlin, New York 1984, S. 145 ff. Zur Berücksichtigung der Familienstruktur vgl. auch L. Capo grossi Cologne si, La Struttura délia propriété e la formazione dei „Iura praediorum" nell'età republicana, I, Mailand 1969. 10 Gai. inst. 1.119. Zu diesem Formelbestandteil sowohl der mancipatio als auch der vindicatio M. Käser, Das Römische Privatrecht, I, 2. Aufl. München 1971, S. 43 ff.
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lienstruktur 11 . Hier ist der für den modernen Betrachter überraschende Umstand zu betonen, daß nach römischer Auffassung von den Bürgern nur diejenigen vermögensfähig sind, die keinen Vater als Familienoberhaupt über sich haben (sui iuris) und daher selbst patres familias sind 12 . Irrelevant für diese Stellung ist, ob man tatsächlich Kinder hat. Unter dieser den Römern eigentümlichen Gewalt des pater familias stehen einerseits die Sklaven als unfreie, andererseits die Hauskinder als freie Personen 13. Hauskinder können daher kein Eigentum haben, genausowenig wie Sklaven. Im pater familias bündelt sich sozusagen das Eigentum, denn alles, was er, seine Kinder oder Sklaven erwerben - wie, werden wir später sehen - , steht rechtlich ihm als Eigentum zu 1 4 . Das bedeutet, daß sich die Vermögensfähigkeit konzentriert auf einen kleineren Kreis - Hauskinder sind natürlich römische Bürger 15 - als den der Bürger. Das darf nicht außer acht gelassen werden, wenn das Problem des Verhältnisses von Recht und Sklaverei vor dem Hintergrund der Frage nach dem allgemeinen „Funktionieren" des römischen Privatrechts untersucht werden soll. Als auf gleicher Ebene stehend und im Rechtssinne in vollem Umfang wirksam handelnd - also dem Risiko der Verurteilung und Vollstreckung in das eigene Vermögen ausgesetzt - können folglich nicht alle freien Bürger, sondern nur die einzelnen Familienoberhäupter betrachtet werden. Hier merkt man, daß die unbedingte Geltung des Gleichheitsgrundsatzes in unserer Gesellschaft einen Paradigmenwechsel zu den römischen - und allgemein antiken - Gesellschaftsstrukturen darstellt. Man kann geradezu sagen, daß die rechtliche Ungleichheit - nota bene: nicht nur die wirtschaftliche! die römische Gesellschaft prägt: sowohl Ungleichheit im Status als auch Ungleichheit in den Handlungsmöglichkeiten. Dies wirkt sich auf zwei verschiedene Sphären aus: zum einen die persönliche Freiheit (mit der Konsequenz der Schichtung in Freigeborene, Freigelassene und Unfreie [Sklaven]) 16 , zum 11
Vgl. allgemein G. Franciosi, La famiglia romana. Societä e diritto, Turin 2003. Zum Begriff familia Th. Mayer-Maly, familia, in: H.-G. Knothe/J. Kohler (Hrsg.), Status familiae. Festschrift für Andreas Wacke zum 65. Geburtstag, München 2001, S. 261 ff.; H. H. Seiler, Familia und Familienrecht oder: Familienrecht ohne Familie. Eine rechtshistorische Betrachtung, in: H.-G. Knothe/J. Kohler (Hrsg.), Status familiae. Festschrift für Andreas Wacke zum 65. Geburtstag, München 2001, S. 437 ff. 12 Zur patria potestas siehe F. Gallo, „Potestas" e „dominium" nell'esperienza giuridica romana, in: Labeo 16 (1970), S. 17 ff.; C. Gioffredi, Funzioni e limiti della „patria potestas", in: ders., Nuovi studi di diritto romano e greco, Rom 1980, S. 75 ff.; A. M. Rabello, Effetti personali della „patria potestas", Mailand 1979; G. Franciosi, La famiglia romana (Fn. 11), S. 85 ff.; M. Käser, Der Inhalt der patria potestas, in: ZRG Rom. Abt. 58 (1938), S. 62 ff. 13 Gai. inst. 1.48 f., 52, 55. 14 Gai. inst. 2.86 f. 15 Vgl. Gai. inst. 1.9 f. 16 Vgl. zu dieser Dreiteilung D. 1.1.4. Ulp. 1 inst.
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anderen die Stellung im Familienverband: pater familias mit voller Handlungsfähigkeit und alle übrigen Mitglieder der Familie (Hausfrau, Kinder, Sklaven), die in ihrer Handlungs-, Vermögens- und Rechtsfähigkeit (sowie ihrer Stellung im Prozeß) in unterschiedlicher Weise beschränkt sind 1 7 . Da aber alle diese Personen inklusive der Sklaven trotzdem am Rechtsverkehr teilnehmen sollen und können, stellt eine so differenzierte Struktur das Funktionieren des Systems im Konfliktfall vor komplizierte Fragen. Sie zu lösen, oblag den römischen Juristen, die dazu ein extrem raffiniertes privatrechtliches Instrumentarium entwickelten.
I I I . Das peculium und die sog. actiones adiecticiae qualitatis Unter den verschiedenen Konfliktlösungsinstrumenten ist das Pekulium für unsere Fragestellung von zentraler Bedeutung. Das Pekulium 18 ist das Quasivermögen des Gewaltunterworfenen (D. 15.1.47.6 Paul. 4 ad Plaut.; D. 15.1.5.3 Ulp. 29 ad ed.); es enthält alle Arten von Vermögenswerten, nicht aber die Kleidung und das Essen, die als Pflichtleistungen des Herrn angesehen werden 19 . Es wird dem Gewaltunterworfenen durch einen bewußten Akt des Gewalthabers zur freien Verfügung gestellt (D. 15.1.4pr. Pomp. 7 ad Sab.). Einer Mindermeinung scheint der Spätklassiker Ulpian zu folgen, indem er für das Entstehen des Pekuliums nicht auf das Geben, sondern auf das Nicht-Entziehen von Vermögenswerten, die sich beim Gewaltunterworfenen befinden, durch den Gewalthaber abstellt. Der Jurist erachtet es dann aber für notwendig, dem Gewaltunterworfenen durch einen speziellen Akt das Recht zur freien Verfügung einzuräumen (D. 15.1.7.1 Ulp. 29 ad ed.). Das Pekulium kann durch das Wirtschaften des Gewaltunterworfenen vergrößert oder vermindert werden; es kann zu Ende gehen wegen Mißwirtschaft des Sklaven oder aufgrund der jederzeit möglichen Entziehung durch den Gewalthaber (D. 15.1.39 Florent. 11 inst.; D. 15.1.40 Marcian. 5 reg.) 20 . De facto wird von dieser Möglichkeit nur selten Ge17 Insbesondere zu den vermögensrechtlichen Aspekten der familia s. G. Franciosi, La famiglia romana (Fn. 11), S. 209 ff.; vgl. allgemein auch A. Bürge, Römisches Privatrecht. Rechtsdenken und gesellschaftliche Verankerung. Eine Einführung, Darmstadt 1999, S. 171 ff. 18 G. Micolier, Pécule et capacité patrimoniale. Étude sur le pécule, dit profectice, depuis l'édit „de peculio" jusqu'à la fin de l'époque classique, Lyon 1932; G. Franciosi, La famiglia romana (Fn. 11), S. 225 ff. 19 Vgl. D. 15.1.25 Pomp. 23 ad Sab., D. 15.1.40.1 Marcian. 5 reg. Zu den cibaria siehe auch A. Bürge, Cibaria - Indiz für die soziale Stellung des römischen Arbeitnehmers?, in: J. M. Schermaier/Z. Végh (Hrsg.), Ars boni et aequi. Festschrift für Wolfgang Waldstein zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1993, S. 63 ff. 20 Zum überschuldeten peculium vgl. I. Kroppenberg, Die Insolvenz im klassischen römischen Recht. Tatbestände und Wirkungen außerhalb des Konkursverfah-
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brauch gemacht, und zwar nur dann, wenn dem Sklaven grobes Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Selbst wenn der Herr Geld braucht, ist es für ihn zweckmäßiger, beim Sklaven einen Kredit aufzunehmen als das Pekulium einzuziehen: damit würden seine finanziellen Probleme nach außen hin nicht sichtbar 21 . Das Pekulium gehört juristisch dem Gewalthaber. Indem es aber dem Gewaltunterworfenen die Gelegenheit bietet zu handeln, relativiert es in praktischer wie in juristischer Hinsicht die Folgen des auf der ausschließlichen Vermögensfähigkeit des pater familias basierenden römischen Rechtssystems. Es erlaubt nämlich die prinzipiell ansonsten unmögliche Einbeziehung der Gewaltunterworfenen in das wirtschaftliche Leben und eröffnet ihnen die Perspektive einer selbständigen Tätigkeit. Vor allem die Sklaven können ihre Pekuliarmittel dazu verwenden, um sich das Einverständnis des Herrn vorausgesetzt - die Freiheit zu „erkaufen". Damit verkörpert das Pekulium einen wichtigen und effektiven Faktor der sozialen Stabilität. Den Herren sichert es andererseits die Produktivität der Sklaven, die Optimierung ihres Einsatzes als Arbeitskräfte. 22 Die besondere Natur des Pekuliums - zum einen dem Gewalthaber gehörend, zum anderen ein de-facto-Vermögen der juristisch vermögensunfähigen Sklaven und Kinder - war den Juristen bewußt. In diesem Zusammenhang verwenden sie den Begriff der natürlichen Verbindlichkeit (naturalis obligatio, D. 15.1.50.2 Pap. 9 quaest.) 23 . Ulpian schreibt hinsichtlich der Forderungen von und gegen Sklaven, daß das Wort „schulden", „debere", hier mißbraucht werde, um ein Faktum zu beschreiben, nicht um dabei die entsprechende zivilrechtliche Verbindlichkeit zu bezeichnen (D. 15.1.41 Ulp. 43 ad Sab.). Aus den Geschäften, die die Gewaltunterworfenen, Sklaven und Hauskinder abgeschlossen hatten, - damit kommen wir zum anderen wichtigen Konfliktlösungsinstrument - haftete der Gewalthaber mit Klagearten, die eirens, Köln u.a. 2001, S. 130 ff. Dazu K. Hackl, Rz. zu I. Kroppenberg: Die Insolvenz im klassischen römischen Recht. Tatbestände und Wirkungen außerhalb des Konkursverfahrens, in: ZRG Rom. Abt. 122 (2005), S. 333 ff., v.a. S. 336 ff. 21 Zur Einziehung des peculium M. Käser, Der Inhalt der patria potestas (Fn. 12), S. 85 ff. 22 Zu den wirtschaftlichen Implikationen insbesondere auch mit Hinblick auf die actiones adiecticiae qualitatis vgl. T. J. Chiusi, Diritto commerciale romano? Alcune osservazioni, in: Aa.Vv., Fides. Humanitas. lus. Scritti in onore di Luigi Labruna, Neapel 2007 (im Druck); P. Cerami/A. Di Porto/A. Petrucci, Diritto commerciale romano. Profilo storico, 2. Aufl. Turin 2004; A. Földi, Eine alternative Annäherungsweise: Gedanken zum Problem des Handelsrechts in der römischen Welt, in: RIDA 3e série, 48 (2001), S. 65 ff. 23 P. Cornioley, Naturalis Obligatio. Essai sur l'origine et l'évolution de la notion en droit romain, Genf 1964; H. Siber, Naturalis obligatio, Leipzig 1925; A. Burdese, La nozione classica di naturalis obligatio, Turin 1955; P. L. Landolt, „Naturalis obligatio" and bare social duty, Köln u. a. 2000.
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gens dafür von den Prätoren als den zuständigen Gerichtsmagistraten geschaffen worden waren, den sogenannten actiones adiecticiae qualitatis 24. Als solche bezeichnet man besondere Klagen des römischen Rechts, die unter bestimmten Voraussetzungen einem Dritten als Gläubiger wegen Rechtsgeschäften, die er mit einem Gewaltunterworfenen (filius familias oder Sklaven) abgeschlossen hatte, gegen dessen Gewalthaber (pater familias oder dominus) gewährt wurden. Die Struktur der römischen Familie, die, wie schon angedeutet, auf der Unterscheidung zwischen Personen sui iuris und alieni iuris basierte, machte diese Klagen erforderlich. Nach den strengen Regeln des ius civile waren sui iuris und daher vermögensfähig nur die Rechtssubjekte, die kein Familienoberhaupt über sich hatten und daher selbst patres familias waren. Alieni iuris waren alle anderen Personen: Söhne, Töchter sowie Ehefrauen, die in einer besonderen Eheform verheiratet waren, kraft der der Ehemann die manus über die Frau erlangte. Die Sklaven, die wie die anderen alieni iuris unter der Gewalt (potestas) des pater standen, waren allerdings nicht nur Vermögens-, sondern auch rechtsunfähig. Das bedeutete, daß sich Sklaven weder verpflichten konnten noch prozeßfähig waren, während Hauskinder sich zwar verpflichten, verklagt und verurteilt werden konnten, aber gegen sie mangels Vermögensfähigkeit keine Vollstreckung möglich war. Damit wären diejenigen, die mit Hauskindern oder Sklaven kontrahierten, letztlich ohne Rechtsschutz nach ius civile geblieben. Um dieser Situation abzuhelfen, schuf der Prätor die sog. adjektivischen Klagen, die unter verschiedenen Voraussetzungen den Gewalthaber für die Verpflichtungen aus den Geschäften der Gewaltunterworfenen haften ließen und damit auch eine effektive Teilnahme von Personen alieni iuris am Rechtsverkehr ermöglichten. Technisch wurde das durch eine Modifizierung der jeweiligen Vertragsklage erreicht: Die intentio der Prozeßformel nannte den Gewaltunterworfenen als den Vertragsschließenden und enthielt im Fall des Handelns von Sklaven eine fictio libertatis; die condemnatio nannte dagegen den Gewalthaber als Beklagten 25 . Die Klagen stellen eine 24
Zur den adjektizischen Klagen s. zuletzt T. J. Chiusi, s.v. Actiones adiecticiae qualitatis, in: H. Heinen u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CD-ROM) m.w.N.; außerdem A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick, ZRG Rom. Abt. 111 (1994), S. 280 ff.; M Miceli, Sulla struttura formulare delle „actiones adieticiae qualitatis", Turin 2001. L. De Ligt, Legal history and economic history: the case of the actiones adiecticiae qualitatis, in: TS 67 (1999), S. 205 ff.; E. V'aliño, Las „actiones adiecticiae qualitatis" y sus relaciones básicas en derecho romano, in: AHDE 37 (1967), S. 339 ff. und AHDE 38 (1968), S. 377 ff. Zur Rezeption siehe den Überblick von L. F. Correa , La survivance des actiones adiecticiae qualitatis, in: RIDA 3e série, 48 (2001), S. 31 ff. 25 Zu den Formeln vgl. E. Lenel, Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, 3. Neudr. der 3. Aufl. Leipzig 1927, Aalen 1985, S. 257 ff. und M Miceli, Sulla struttura formulare (Fn. 24), Turin 2001.
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prozessuale Veränderung der normalen Klage aus dem Vertrag dar, die durch den Subjektwechsel - der Verurteilte ist jemand anderes als der Vertragsschließende - gekennzeichnet ist. Somit bewirken die a.a.q. eine Öffnung der geschlossenen Struktur der römischen Familie und erfüllen zum Teil die Funktion des - im römischen Privatrecht nicht praktizierten - Instituts der direkten Stellvertretung 26 . Sie umfassen die actio exercitoria, die actio institoria, die actio tributoria, die actio quod iussu, die actio de peculio und die actio de in rem verso. Die ersten beiden Klagen bezogen sich auf Rechtsgeschäfte, die im Rahmen einer mit Mitteln des Geschäftsherrn betriebenen Tätigkeit abgeschlossen wurden und gewährten eine Haftung auf den Gesamtbetrag der vertraglichen Forderung (in solidum) 21. Hier konnten die Handelnden sowohl frei als auch unfrei, sui oder alieni iuris sein 28 . Die anderen vier Klagen bezogen sich auf Rechtsgeschäfte, die im Rahmen einer mit Pekuliarmitteln betriebenen Tätigkeit abgeschlossen wurden, wobei die actiones de peculio, de in rem verso, quod iussu im prätorischen Edikt als sog. edictum triplex unter dem Titel „Wenn behauptet wird, daß mit einem unter fremder Gewalt Stehenden ein Geschäft abgeschlossen wurde" 2 9 zusammengefaßt waren. Die erstgenannten Klagen beziehen sich wegen der Einsetzung durch den Gewalthaber auf eine auf ihn zurückzuführende betriebswirtschaftliche Organisation, während die Klagen des edictum triplex auf einen Gewaltunterworfenen abstellen, der mit seinem Pekulium im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit handelt 30 . Die einheitliche Bezeichnung „adjektizische Klagen" ist mittelalterlich und geht auf eine Digestenstelle zurück, in der der Jurist Paulus schreibt, daß die Haftung des Vaters zu der des Sohnes „hinzukommt" (adicitur) 31. Damit wird ausgedrückt, daß zwar ein Urteil gegen das Hauskind mangels Vermögensfähigkeit nicht vollstreckbar war, die Haftung des Vaters aber 26
Vgl. zur Stellvertretung A. Claus, Gewillkürte Stellvertretung im römischen Privatrecht, Berlin 1973, insbesondere S. 64 ff., S. 145 ff., S. 255 ff., S. 349 ff.; A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 284 ff. Vgl. auch G. Coppola Bisazza, Lo iussum e la sostituzione negoziale nell'esperienza romana, Mailand 2003, S. 169 ff. A. M M. Schleppinghoff, Actio quod iussu. Die Geheißklage (und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Stellvertretungsgedankens im 19. Jahrhundert), Köln 1996. 27 Vgl. z.B. D. 14.1.1.20 Ulp. 28 ad ed.; D. 14.3.5.1-2 Ulp. 28 ad ed. 28 D. 14.1.1.5 Ulp. 28 ad ed.; D. 14.3.7.1 Ulp. 28 ad ed. 29 D. 15.1.1.1-2 Ulp. 29 ad ed. 30 Zur Einordnung der verschiedenen Klagetypen A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 290 ff.; L. De Ligt, Legal history and economic history (Fn. 24), S. 208 ff. Vgl. auch zu den Funktionen der einzelnen Klagen T. J. Chiusi, Diritto commerciale romano? (Fn. 22), (im Druck); E. Valiho, Las „actiones adiecticiae qualitatis", in: AHDE 37 (Fn. 24), S. 355 f. 31 D. 14.1.5.1 Paul. 29 ad ed. a.E. Zum Begriff s. auch A. Wache, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 281 ff.
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neben der des handelnden Hauskindes bestand, da es verklagt werden konnte. Auf die verschiedenen Klagen und auf die dahinter stehenden wirtschaftlichen Tätigkeiten der Sklaven ist jetzt näher einzugehen, um ein deutlicheres Bild der Stellung der Sklaven in Gesellschaft und Rechtsordnung zu gewinnen.
1. Actio exercitoria Beginnen wir mit der actio exercitoria 31. Damit wird die Klage bezeichnet, mit der der Gläubiger einen Reeder (exercitor) aus Verträgen verklagen kann, die er mit dem vom Reeder eingesetzten Schiffskapitän (magister navis) abgeschlossen hat. Die Haftung geht auf den gesamten Umfang der vertraglichen Forderung (in solidum). Dem Kapitän ist die Sorge für das Schiff anvertraut; er ist oft ein Sklave, obwohl er auch ein Freier sein kann. Der exercitor soll nur für die Verträge haften, die der Kapitän im Rahmen des Aufgabenbereichs abgeschlossen hat, für den er eingesetzt worden ist (praepositio 33), (D. 14.1.1.7 Ulp. 28 ad ed.). Darunter fallen alle Verträge, welche die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Schiffs ermöglichen. Unter den Juristen wird in diesem Zusammenhang die Frage diskutiert, ob auch ein Darlehensvertrag, den der Kapitän (der ein Sklave sein kann) zwecks Beschaffung von Mitteln für die Wiederinstandsetzung des Schiffes abschließt, die Haftung mit der actio exercitoria verursachen kann (D. 14.1.1.8-11 Ulp. 28 ad ed.). Grundsatz ist, daß der Umfang der praepositio auch die Grenze der Haftung des Reeders darstellt (D. 14.1.1.12 Ulp. 28 ad ed.). In Fällen, in denen dieser Umfang nicht klar erkennbar ist, scheint der Gedanke, daß das Vertrauen des Gläubigers in die Legitimation des Kapitäns zu schützen sei, eine (größere) Rolle zu spielen. Wenn z.B. der Kapitän (der ein Sklave sein 32
Zur actio exercitoria im allgemeinen und umfassend A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 298 ff.; G. Pugliese, In tema di „actio exercitoria", in: Labeo 3 (1957), S. 308 ff.; E. Valiño , Las „actiones adiecticiae qualitatis", in: AHDE 37 (Fn. 24), S. 381 ff. Neuerdings auch T. J. Chiusi, s.v. actio exercitoria, in: H. Heinen u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CD-ROM) m. w. N. Unter besonderer Berücksichtigung des wirtschaftsrechtlichen Aspekts siehe auch P. Cerami/A. Di Porto!A. Petrucci, Diritto commerciale romano (Fn. 22), S. 231 ff. 33 Näher zum Inhalt der praepositio sowie der Darlehensaufnahme durch den magister navis A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 307 ff. G. Pugliese, In tema di „actio exercitoria" (Fn. 32), S. 316 ff.; P. Cerami, „Mutua pecunia a magistro ,navis reficienda causa* sumpta" e „praepositio exercitoris" (profili storico-comparatistici), in: R. Ruedin (Hrsg.), Mélanges en l'honneur de Carlo Augusto Cannata, Bâle u.a. 1999, S. 271 ff.; P. Cerami/A. Di Porto/A. Petrucci, Diritto commerciale romano (Fn. 22), S. 234 ff.
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kann) ein Darlehen aufnimmt, um das Schiff zu reparieren, dann aber das Geld für eigene Zwecke verwendet, stellen die Juristen für die Frage der Haftung des Reeders darauf ab, ob eine entsprechende Reparaturklausel den Darlehensvertrag begleitet oder nicht 3 4 . Auch bei der Frage der Duldung eines Kapitäns, der nicht vom Reeder eingesetzt wurde, wird auf den Vertrauensschutz abgestellt: der Reeder haftet, wenn sein Kapitän seinerseits einen Kapitän eingesetzt hat, und zwar auch, wenn er nichts von dieser „Untereinsetzung" weiß oder sie sogar verboten hat 3 5 . Diese Rücksicht auf den Vertrauensschutz des Dritten wird mit der Spezifität des Seehandels gerechtfertigt (D. 14.1.1.5 Ulp. 28 ad ed.). Auffällig ist die in D. 14.1.1.19 Ulp. 28 ad ed. überlieferte Ediktsklausel: aus Verträgen, die ein Kapitän abgeschlossen hat, der von einem eine Reederei betreibenden Sklaven eingesetzt worden war, wird die actio exercitoria gegen den Herrn gewährt, der den Sklaven zum Betrieb der Reederei ermächtigt hat. Diese Regelung ist insoweit eine Besonderheit des Seehandels, als eine ähnliche Lösung für den Handel zu Lande vom Prätor nicht gefunden wurde (D. 14.1.1.20 Ulp. 28 ad ed.) 3 6 . Aufgrund ihrer Spezialität - sie betrifft ausschließlich die Reederei - als auch wegen der Bedeutung des Seehandels ist die actio exercitoria wahrscheinlich die älteste der adjektizischen Klagen 3 7 .
2. Actio institoria Die zweite wirtschaftlich und juristisch wichtigste Klage ist die actio institoria 3*. Damit wird die Klage bezeichnet, mit der der Gläubiger den Geschäftsherrn verklagen kann aus Verträgen, die er mit dem vom Geschäftsherrn in einem Laden oder zwecks einer Gewerbetätigkeit eingesetzten Geschäftsführer (institor, D. 14.3.3 Ulp. 28 ad ed.) abgeschlossen hat. Die 34
So Ofilius und Pedius in D. 14.1.1.9 Ulp. 28 ad ed. Julian in D. 14.1.1.5 Ulp. 28 ad ed. 36 Zu den Vertrauensschutzgesichtspunkten bei der actio exercitoria zuletzt T. J. Chiusi, Zum Zusammenspiel von Haftung und Organisation im römischen Handelsverkehr, in: ZRG Rom. Abt. 124 (2007), S. 94 ff. Vgl. auch G. Pugliese, In tema di „actio exercitoria" (Fn. 32), S. 321 ff. 37 A. Wache, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 291 ff.; G. Pugliese, In tema di „actio exercitoria" (Fn. 32), S. 308 ff. Vgl. dazu im übrigen die laudatio edicti von D. 14.1.1pr. Ulp. 28 ad ed. Zu den Ediktslaudationen Ulpians auch U. Babusiaux, Zur Funktion der aequitas naturalis in Ulpians Ediktlaudationen, in: D. Mantovani/A. Schiavone (Hrsg.), Testi e problemi del giusnaturalismo romano, Pavia 2007, S. 603 ff. 38 T. J. Chiusi, s.v. actio institoria, in: H. Heinen u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CD-ROM) m.w.N.; dies., Landwirtschaftliche Tätigkeit und actio institoria, in: ZRG Rom. Abt. 108 (1991), S. 155 ff.; A. Wache, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 311 ff.; E. Valino, Las „actiones adiecticiae qualitatis", AHDE 37 (Fn. 24), S. 356 f. 35
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Haftung des Geschäftsherrn geht auf den gesamten Umfang der vertraglichen Forderung (in solidum). Die Einsetzung (praepositio) eröffnet und begrenzt gleichzeitig die Verantwortlichkeit des Einsetzenden: dieser haftet für all die Verträge, die der Geschäftsführer zum Zweck der ökonomisch sinnvollen Ausübung seiner Tätigkeit abgeschlossen hat. Die wirtschaftlichen Charakteristika der jeweiligen Erwerbstätigkeit stellen einen Maßstab dar, nach dem der Gläubiger beurteilen kann, ob der vom Geschäftsführer abgeschlossene Vertrag mit seinen Aufgaben verknüpft ist. Dem Gläubiger obliegt jedenfalls der Beweis, daß der Vertrag mit dem Geschäftsführer der Ausübung der Gewerbetätigkeit dient (D. 14.3.13pr. Ulp. 28 ad ed.). Der Geschäftsherr kann die Haftung vermeiden durch ein ausdrückliches Verbot, mit dem Geschäftsführer zu kontrahieren; fehlt dieses dem Geschäftspartner klar bekanntzugebende Verbot, dann haftet er aufgrund des Umstands der Einsetzung selbst (D. 14.3.11.2 Ulp. 28 ad ed.). Eine Haftung trotz dem Verbot wird hier - anders als bei der actio exercitoria - nicht erwogen. Der Bedarf nach Vertrauensschutz scheint den Juristen hier auch weniger ausgeprägt als beim Seehandel39. Ein „Unterinstitor" - ähnlich dem „Untermagister" bei der actio exercitoria - ist nicht bekannt. Geschäftsführer sind sehr oft Sklaven, sie können aber sowohl sonstige Gewaltunterworfene, d.h. Hauskinder, als auch Personen sui iuris sein (D. 14.3.7 Ulp. 28 ad ed.) 40 . Sie (wobei auch Frauen als Geschäftsführerinnen tätig werden können 41 ) werden in einem Laden oder auf einem Platz oder auch ohne einen bestimmten Platz zum Kaufen oder Verkaufen eingesetzt. Die Haftung auf das Ganze und daher die Anwendbarkeit der actio institoria betrifft allerdings jede Art von Gewerbetätigkeit. So gelten z.B. auch Hausverwalter, Flickschneider, Walker oder Stallwirte als Geschäftsführer (D. 14.3.3 Ulp. 28 ad ed.; D. 14.3.5.1 Ulp. 28 ad ed., D. 14.3.5.3-7 Ulp. 28 ad ed.); die Juristen sprechen im allgemeinen von Erwerbstätigkeit (Gai. inst. 4.71). Herkömmlicherweise wird die actio institoria als Handelsklage betrachtet 42 . Doch kann auch der Sklave, der als Gutsverwalter tätig ist, die Haftung aus dieser Klage durch Rechtsgeschäfte verursachen, die ihm die sachgerechte Ausübung seiner umfangreichen Aufgaben ermöglichen (D. 14.3.5.2 Ulp. 28 ad ed.; D. 14.3.16 Paul. 29 ad ed.) 43 . Wenn sich die Einsetzung nicht auf die 39 Zusammenfassend zu Umfang und Beschränkung der Haftung für den institor A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 322 ff. 40 Vgl. mit Hinblick auf die Anwendbarkeit der actio institoria auf den procurator A. Burdese, „Actio ad exemplum institoriae" e categorie sociali, in: BIDR 74 (1971), S. 61 ff. 41 D. 14.3.7.1 Ulp. 29 ad ed. 42 Vgl. dazu A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 311 ff., S. 352 ff. und T. J. Chiusi, Diritto commerciale romano? (Fn. 22), (im Druck). 43 Vgl. T. J. Chiusi, Landwirtschaftliche Tätigkeit (Fn. 38), S. 155 ff.
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Tätigkeit in einem Laden bezieht, muß diese einen gewissen Charakter der Kontinuität und Regelmäßigkeit haben (D. 14.3.5.9 Ulp. 28 ad ed.). Die Waren und die Einrichtung des Ladens oder der Gewerbetätigkeit müssen dem Vermögen des Gewalthabers angehören 44 .
3. Actio tributoria Die nächste zu besprechende Klage ist die actio tributoria 45. Sie erfaßt denselben wirtschaftlichen Bereich wie die actio institoria, d.h. die Gewerbetätigkeit zu Lande. Der Unterschied liegt zum einen darin, daß bei der Anwendung der actio tributoria die Waren dem Pekulium des Gewaltunterworfenen angehören (D. 14.3.11.7 Ulp. 28 ad ed.), zum anderen in den besonderen subjektiven Voraussetzungen der Klage: Nicht nur der Herr haftet, mit dessen Willen der Sklave seine Tätigkeit ausführt, sondern auch derjenige, der sie nur kennt und duldet (D. 14.4.1.3 Ulp. 29 ad ed.) 4 6 . Mittels dieser Klage werden die Gläubiger durch die Zuteilung von Waren aus dem Betrieb befriedigt. Die Befriedigung aller Gläubiger erfolgt proportional zu ihren jeweiligen Forderungen. Deswegen muß derjenige, der zuerst oder allein seine Forderung in vollem Umfang befriedigt, versprechen, daß er eventuell auftauchenden anderen Gläubigern den ihnen zustehenden Betrag proportional zurückgeben wird (D. 14.4.5.19 Ulp. 29 ad ed.). Bei der Zuteilung der Waren werden die Forderungen des Herrn genau so berücksichtigt wie die der anderen Gläubiger, d.h. anders als bei der actio de peculio hat hier der Herr nicht die Möglichkeit, seine Posten bevorzugt zu befriedigen (D. 14.4. lpr. Ulp. 29 ad ed.) 47 . Die angestrebte Gleichbehandlung der Gläubiger hat zu Unrecht in der Literatur 48 den Vergleich mit modernen Insolvenzverfahren veranlaßt: weder ist die Insolvenz des Sklaven noch die gleichzeitige Befriedigung aller Gläubiger für die Anwendbarkeit der actio tributoria nötig. Die Verteilung der Waren (und gegebenenfalls der Einrich44
D. 14.3.11.7 Ulp. 28 ad ed. Allgemein zur actio tributoria, E. Valino, La „actio tributoria", in: SDHI 33 (1967), S. 103 ff.; T. J. Chiusi, Contributo allo studio dell'editto „de tributoria actione", Rom 1993 und dies., s.v. actio tributoria, in: H. Heinen u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CD-ROM) m. w. N. 46 Vgl. T. J. Chiusi, Contributo allo studio dell'editto „de tributoria actione" (Fn. 45), S. 387 ff.; A. Wacke, Die adjektizischen Klagen im Überblick (Fn. 24), S. 330 ff.; A. Földi, Eine alternative Annäherungsweise (Fn. 22), S. 83 ff. 47 Zum Verhältnis beider Klagen vgl. E. Valino, La „actio tributoria" (Fn. 45), S. 119 ff. und T. J. Chiusi, Contributo allo studio dell'editto „de tributoria actione" (Fn. 45), S. 379 ff. 48 Vgl. A. Di Porto, Impresa collettiva e schiavo „manager" in Roma antica (II sec. a. C.-II sec. d. C), Mailand 1984, S. 207 ff.; P. Cerami/A. Di Porto/A. Petrucci, Diritto commerciale romano (Fn. 22), S. 81. 45
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tung, D. 14.4.5.13 Ulp. 29 ad ed.) kann vom Herrn durchgeführt werden oder, wenn er dies nicht tun möchte, von einem vom Prätor bestimmten Schiedsrichter. Die Haftungsmasse erstreckt sich auf die aus Pekuliarmitteln stammenden, dem Betrieb zugehörigen Waren (merces peculiares 49) sowie auf sonstige Sachen, die mittels der ausgeübten Tätigkeit erworben worden sind. Auffällig ist, daß die Juristen bei der Erörterung der Klage fast immer von der Tätigkeit eines Sklaven ausgehen. Hier dürfte daher die actio tributoria ihre häufigste, obgleich nicht ausschließliche Anwendung gefunden haben (vgl. D. 14.4.1.4-5 Ulp. 29 ad ed.).
4. Actio quod iussu Mit der actio quod iussu 50 kommen wir auf die Klagen zu sprechen, die auf eine noch größere Selbstständigkeit des Sklaven hindeuten, weil sie grundsätzlich die Existenz des Pekuliums und die freie Entscheidung des Sklaven hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit voraussetzen. Die actio quod iussu, anders als die übrigen Klagen des edictum triplex, actio de peculio und actio de in rem verso, sieht in jedem Fall eine Haftung auf den Gesamtbetrag der vertraglichen Forderung (in solidum) für den Gewalthaber vor (D. 14.5.1 Gai. 9 ad ed. prov.). Hat der Sklave oder das Hauskind mit dem Gläubiger auf Geheiß seines Gewalthabers einen Vertrag abgeschlossen, so haftet der Gewalthaber mit der actio quod iussu. Dadurch wird der Gewalthaber zur Verantwortung gezogen, der durch seine Intervention die wirtschaftliche Tätigkeit des Gewaltunterworfenen unterstützt hat. Die Höhe der Haftung auf das Ganze ist durch den Vertrauensschutz gerechtfertigt, den der Dritte aufgrund der ihm gegenüber vom Gewalthaber erteilten Ermächtigung genießt: damit hat er in gewisser Weise mit dem Gewalthaber selbst kontrahiert (D. 15.4.lpr. Ulp. 29 ad ed.). Diese Begründung Ulpians rückt die Ermächtigung in die Nähe der modernen Außenvollmacht bei der direkten Stellvertretung. Die Ermächtigung kann mündlich, vor Zeugen, per Brief oder durch Boten erteilt werden und kann sowohl einen einzelnen Vertrag als auch generell alle Geschäfte des Gewaltunterworfenen betreffen (D. 15.4.1.1 Ulp. 29 ad ed.). Im Rahmen der actio quod iussu handelte es sich um Geschäfte, die der Gewaltunterworfene mit und für sein Pekulium 49 Umfassend zur merx peculiaris T. J. Chiusi, Contributo alio studio deireditto „de tributoria actione" (Fn. 45), S. 283 ff. 50 Zur actio quod iussu T. J. Chiusi, s.v. actio quod iussu, in: H. Heinen u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CDROM); G. Coppola Bisazza, Lo iussum (Fn. 26), S. 152 ff.; L. De Ligt, D. 15,1,1,1 and the early history of the actio quod iussu, in: ders. u.a. (Hrsg.), Viva Vox iuris romani. Essays in honour of Johannes Emil Spruit, Amsterdam 2002, S. 197 ff.; E. Valino , Las „actiones adiecticiae qualitatis", in: AHDE 37 (Fn. 24), S. 407 ff.
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unternahm. Dies und der Umstand, daß die Ermächtigung nicht unbedingt eine Gewerbetätigkeit betreffen mußte, unterscheidet die actio quod iussu von der actio institoria 51.
5. Actio de peculio Damit kommen wir zu der wichtigsten der Klagen des triplex edictum, der actio de peculio 52. Hinsichtlich der Rechtsgeschäfte, die ein mit einem Pekulium ausgestatteter Gewaltunterworfener abschließt, gewährt der Prätor dem Gläubiger die actio de peculio gegen den Gewalthaber. In der Ordnung des prätorischen Edikts ist sie die erste der im edictum triplex geregelten Klagen und die ökonomisch und sozial wichtigste. Für die Anwendbarkeit der Klage ist es nicht notwendig, daß der Gewalthaber über die Tätigkeit seines Sklaven oder Hauskindes informiert ist (Gai. inst. 4.72a), seine Haftung gründet sich auf die Zurverfügungstellung des Pekuliums (D. 15.1.4pr. Pomp. 7 ad Sab.). Daher ist sie auf die Höhe des Pekuliums zum Zeitpunkt der Verurteilung beschränkt (D. 15.1.47.2 Paul. 4 ad Plaut.; D. 15.1.30pr. Ulp. 29 ad ed.; ferner D. 15.1.10 Gai. 9 ad ed. prov.). Das bedeutet, daß der Gläubiger, dessen Forderung den Umfang des Pekuliums übersteigt, mit dem Rest ausfällt. Die Formel der actio de peculio enthält eine Klausel für den Fall, daß der Gewalthaber arglistig die Höhe des Pekuliums vermindert hat: als maßgebend gilt dann die ursprüngliche unverminderte Summe 53 . Er genießt - anders als bei der actio tributoria - das Privileg, seine Forderungen gegenüber dem Gewaltunterworfenen vor den anderen Gläubigern zu befriedigen (Privilegium deductionis) 54. Daher sagen die Juristen, das Pekulium sei das, was dem Gewaltunterworfenen bleibt nach Abzug seiner Schulden gegenüber dem Gewalthaber (D. 15.1.5.4 Ulp. 29 ad ed.). Die reiche Kasuistik des Digestentitels de peculio (D. 15.1) zeigt, daß die Probleme der Klage vor allem die Berechnung des Pekuliums in mehrstufigen Konstellationen betreffen, etwa in den Fällen des „Obersklaven", in dessen Pekulium sich ein „Untersklave" mit eigenem Pekulium befindet (servus or51
Vgl. zum Verhältnis beider Klagen G. Coppola Bisazza, Lo iussum (Fn. 26), S. 157 ff. 52 Allgemein zur actio de peculio T. J. Chiusi, s.v. actio de peculio, in: H. Heinen u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CD-ROM) m.w.N.; S. Solazzi, Studi sull\,actio de peculio", in: BIDR 17 (1905), S. 208 ff., BIDR 18 (1906), S. 228 ff. und BIDR 20 (1908), S. 5 ff.; G. Micolier, Pécule et capacité patrimoniale (Fn. 18); A. Burdese, Considerazioni in tema di peculio c.d. prefettizio, Mailand 1982; E. Valino, Las „actiones adiecticiae qualitatis", AHDE 37 (Fn. 24), S. 391 ff. 53 E. LeneU Das Edictum perpetuum (Fn. 25), S. 282. 54 Zum Verhältnis von actio tributoria und actio de peculio A. Bürge, Occupantis melior est condicio, in: ZRG Rom. Abt. 106 (1989), S. 248 ff., v.a. S. 260 ff.
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dinarius und vicarius, D. 15.1.17 Ulp. 29 ad ed.) 55 . Man kann zusammenfassend sagen, daß die Entscheidungen der Juristen von folgenden Kriterien geleitet werden: zum einen, daß das Pekulium Mobilien, Immobilien und Forderungen enthalten kann (D. 15.1.7.4 Ulp. 29 ad ed.), zum anderen, daß jedes Pekulium eine an sich geschlossene Haftungsmasse bildet. Auffällig ist, wie im Bereich der actio de peculio die Juristen auf die aequitas, die Billigkeit, rekurrieren, um Grenzfälle zu entscheiden, die nach den strengen Regeln des ius civile nicht gerecht gelöst werden können (D. 15.1.3.12 Ulp. 29 ad ed.; D. 15.1.36pr. Ulp. 2 disp.; D. 15.1.37.3 Iul. 12 dig.; D. 15.1.32pr. Ulp. 2 disp.). Wegen der Haftungsbeschränkung diente das Pekulium der vom römischen Recht geprägten deutschen Zivilrechtswissenschaft im 19. Jh., der Pandektistik, als Modell für das Zweckvermögen der Gesellschaften mit beschränkter Haftung (E. I. Bekker) 56 . Im umgekehrten (Irr-) Weg wurde in den 80er Jahren des 20. Jh. versucht, in die römischen Quellen zur actio de peculio und der anderen adjektizischen Klagen moderne Formen der Unternehmensorganisation hineinzulesen 57 . Dabei wird unter anderem verkannt, daß im Gegensatz zu diesen, die auf die Kontinuität der Gewinne für die Kapitalgeber ausgerichtet sind, das Pekulium strukturell auch und gerade dann, wenn es erfolgreich bewirtschaftet wird, Gefahr läuft, für den Herrn als „Kapitalgeber" zu Ende zu gehen, und zwar durch den Selbstfreikauf des Sklaven 58 .
6. Actio de in rem verso Schließlich sei die Klage erörtert, die in ganz besonderem Maße die Eigentümlichkeit der Beziehungen zwischen Herrn und Sklaven zeigt. Hier nämlich beruht die Haftung des Herrn auf der selbständigen Initiative des Sklaven, die Interessen seines Herrn zu wahren. Der Gläubiger, der mit einem Gewaltunterworfenen einen Vertrag abgeschlossen hat, kann dessen Gewalthaber, wenn dieser aus diesem Vertrag einen Vermögensvorteil erlangt hat, mit der actio de in rem verso 59 verklagen (D. 15.1.1pr. Ulp. 29 ad ed.; 55 H. Erman, Servus vicarius. L'esclave de l'esclave romain, Neapel 1986. F. Reduzzi Merola, „Servo parere". Studi sulla condizione giuridica degli schiavi vicari e dei sottoposti a schiavi nelle esperienze greca e romana, Neapel 1990. 56 E. I. Bekker, Zweckvermögen, insbesondere Peculium, Handelsvermögen und Aktiengesellschaften, in: Zeitschrift f. ges. Handelsrecht 4 (1861), S. 499 ff. 57 Vgl. dazu A. Di Porto, Impresa collettiva e schiavo „manager" (Fn. 48). 58 A. Bürge, Römisches Privatrecht (Fn. 17), S. 197 ff. 59 Dazu allgemein T. J. Chiusi, Die actio de in rem verso im klassischen römischen Recht, München 2001 und zuletzt dies., s.v. actio de in rem verso, in: H. Heinen u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur Antiken Sklaverei, Stuttgart 2006 (zunächst als CD-ROM) m.w.N.; G. MacCormack, The early history of the „actio de in rem verso" (Alfenus to Labeo), in: Aa.Vv., Studi in onore di Arnaldo Biscardi,
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D. 14.5. lpr. Gai. 9 ad ed. prov.). Die Klage, die auf die Höhe der Bereicherung des Gewalthabers geht, ist dann anwendbar, wenn sich eine objektive, dauerhafte Bereicherung, ein versum, im Vermögen des Gewalthabers ergeben hat. Dies bedeutet, daß das Vermögen des Gewalthabers durch die Tätigkeit des Gewaltunterworfenen entweder vermehrt oder eine Verschlechterung für ihn verhindert wurde. Die abgeschlossenen Verträge können aller Art sein, doch der topischen Argumentation der Juristen lassen sich typisierte Tätigkeiten entnehmen, aus denen ein solcher Vorteil entstehen konnte: der Kauf von Kleidern und Getreide für die Familie des Gewalthabers oder die Versorgung eines kranken Sklaven - solche Pflichten oblagen dem Herrn gegenüber seinen Sklaven - oder das Abstützen eines dem Herrn gehörenden Gebäudes60. Die Klage konkurriert mit der actio de peculio, weil in fast allen Fällen, in denen die actio de in rem verso in Betracht kommt, auch die actio de peculio anwendbar ist. Indem aber die actio de in rem verso auf die eingetretene und noch vorhandene (D. 15.3.10.6 Ulp. 29 ad ed.) Bereicherung abstellt, kann sie dem Gläubiger die volle Befriedigung der Forderung ohne die Beschränkung auf das Pekulium wie bei der actio de peculio gewähren. Allerdings ist der Beweis der Bereicherung des Gewalthabers schwieriger zu erbringen als der der Existenz des Pekuliums 61 . Mehr als alle anderen adjektizischen Klagen hat die actio de in rem verso eine erfolgreiche Geschichte in der europäischen Rechtstradition erlebt. Als allgemeine bereicherungsrechtliche Klage, die sich auf die Rechtsregel des klassischen Juristen Pomponius (D. 50.17.206 Pomp. 9 ex var. lect.: naturrechtlich ist es billig, daß niemand zum Schaden eines anderen und widerrechtlich bereichert wird, iure naturae aequum est neminem cum alterius detrimento et iniuria fieri locupletiorem) stützt, lebt die Versionsklage weiter für den Fall, daß jemand ohne Rechtsgrund aus der Handlung eines anderen einen Vorteil erlangt hat. Der BGB-Gesetzgeber von 1900 hat auf sie bewußt verzichtet; in fast allen anderen modernen europäischen Rechtsordnungen hat sie dagegen überlebt 62 . Seit Mitte des 20. Jh. wird sie auch im II, Mailand 1982, S. 319 ff. und ders., The later history of the „actio de in rem verso" (Proculus - Ulpian), in: SDHI 48 (1982), S. 318 ff. A. v. Tuhr, Actio de in rem verso. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Geschäftsführung, Freiburg i. Br. 1895. 60 Z.B. D. 15.3.3.1, 7-8 Ulp. 29 ad ed. 61 Zum Verhältnis beider Klagen T. J. Chiusi, Die actio de in rem verso (Fn. 59), S. 49 ff. 62 Vgl. T. J. Chiusi, Die actio de in rem verso (Fn. 59), S. 193 ff. Siehe zu deren Rezeption insbesondere in Frankreich auch A. Bürge, Der Arrêt Boudier von 1892 vor dem Hintergrund der Entwicklung des französischen Bereicherungsrechts im 19. Jahrhundert, in: M. Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa. Vielfalt, Kollision, Kooperation. Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger zum 70. Geburtstag, München 2004, S. 3 ff.
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anglo-amerikanischen Rechtskreis intensiv diskutiert (P. Birks) 6 3 , der prinzipiell kein Bereicherungsrecht im kontinentaleuropäischen Sinn kennt. Dabei wird der Name actio de in rem verso weiter benutzt, obwohl damit ein allgemeines bereicherungsrechtliches Institut gemeint ist, das nur wenig mit der ursprünglichen römischrechtlichen Klage zu tun hat.
I V . Favor libertatis Die Erörterung des raffinierten und vielfältigen Instrumentariums, das den Sklaven (und den anderen Gewaltunterworfenen) zur Verfügung stand, um am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen, könnte allerdings den falschen Eindruck erwecken, daß es in Rom nur selbständig agierende Sklaven gab, denen soziale Aufstiegsmöglichkeiten offen standen. Neben den Sklaven als Unternehmern, Geschäftsleuten, Bevollmächtigten ihrer Herren oder in intellektuellen Berufen Tätigen (Arzte, Rethoren, Lehrer etc.) 6 4 darf man nicht die vielen vergessen, die z.B. im Bergbau als Strafgefangene oder von ihren Herren Vermietete, als Galeerenruderer, als Ackersklaven in den größeren Landgütern arbeiteten, fast immer unter fürchterlichen Bedingungen 65 . Das statistische Verhältnis zwischen den Sklavengruppen sowie ihre konkreten Lebensbedingungen sind unter historischen Gesichtspunkten von großem Interesse. Unsere heutige Fragestellung ist allerdings nicht eine historische, sondern eine juristische. Wir versuchen, das Phänomen der Sklaverei zu verstehen durch die Analyse der Stellung der Sklaven innerhalb der Rechtsordnung, durch die rechtliche Erfassung der Sklaverei. Daher sind die Instrumente des Privatrechts, die gerade erörtert wurden, aufschlußreich. Ausgehend von dem anfänglich hinsichtlich der Definition der Sklaverei seitens der römischen Juristen Gesagten soll auf einige öffentlichrechtliche Aspekte des Sklavenstatus eingegangen werden. Sklave wird man grundsätzlich (neben der Geburt von einer Unfreien) durch Kriegsgefangenschaft, die als „Rechtsgrund" der Sklaverei anerkannt ist; dies gilt übrigens auch für Römer, die in Gefangenschaft geraten, wobei, sollte ihnen die Rückkehr nach Rom gelingen, sie wieder in ihre alten Rechte eingesetzt werden können 66 . Allerdings hat die Sklaverei in Rom 63
Vgl. P. Birks, An introduction to the law of restitution, Oxford 1985. Vgl. dazu F. Kudlien, Die Stellung des Arztes in der römischen Gesellschaft, Wiesbaden 1986 und J. Christes, Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philologen im antiken Rom, Wiesbaden 1979. 65 Vgl. zu den Strafsklaven z.B. D. 29.2.25.3 Ulp. 7 ad Sab.; D. 48.19.36 Herrn. 1 iur. epit.; D. 48.19.12 Macer. 2 de off. praes.; D. 48.19.17pr. Marcian. 1 inst.; D. 48.19.33 Pap. 2 quaest.; D. 48.20.5pr. Ulp. 33 ad ed. Zur Stellung der Sklaven im übrigen A. Bürge, Römisches Privatrecht (Fn. 17), S. 196 ff. 64
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bis zum Sieg über Karthago keine größere Rolle gespielt; man bevorzugte, die eroberten Völker durch Verleihung des Bürgerrechts oder durch politische Bündnisse an Rom heranzuziehen. Eine wirkliche Sklavenökonomie in dem für Rom maßgeblichen wirtschaftlichen Sektor, der Landwirtschaft, läßt sich erst ab dem 2. Jh. v. Chr. feststellen, als die Römer mit einer fremden, industriellen Art der Sklaverei in Kontakt kamen 67 . Ob dies in den anfangs zitierten Worten Ulpians anklingt, wenn er das Wort invasit, eindringen, benutzt, um das Entstehen der Sklaverei in Rom zu beschreiben? Man sollte sich nicht auf das gefährliche Feld der Spekulation begeben. Sicherlich strömten aber erst infolge der Niederlage Karthagos Massen von Sklaven nach Rom und den Römern wurde die auf Massenarbeit von Sklaven fundierte Landwirtschaft bekannt. Freilich rentiert sich Sklavenarbeit auf dem Feld gegenüber dem Einsatz von freien Arbeitern nur, wenn sehr viele billige Sklaven zur Verfügung stehen. Ein Sklave nämlich stellt einen dauerhaften Kostenfaktor dar, anders als ein Lohnarbeiter, der nur dann, wenn er im Einsatz ist, Kosten verursacht. Die außerordentlich starke Tendenz zur Freilassung von Sklaven läßt sich in dieses Schema nicht recht einordnen. Der ehemalige Herr, der patronus, genießt zwar gegenüber seinem Freigelassenen die Patronatsrechte, aufgrund dessen der Freigelassene verpflichtet war, ihm Dienstleistungen unterschiedlicher Natur zu erbringen 6 8 . Die Freilassung aber bleibt grundsätzlich eine nicht geschuldete Großzügigkeit, selbst wenn der Sklave die Freiheit mittels seines Pekuliums „erkauft": rechtlich gehört das Pekulium sowieso dem Herrn! Wegen der Gefahr der Überfremdung - die Freigelassenen erwerben grundsätzlich mit der Freiheit auch das römische Bürgerrecht - versucht Augustus das Phänomen einzudämmen, indem er die Freilassungsmöglichkeiten beschränkt ohne nennenswerten Erfolg 6 9 . In diesem Zusammenhang auch zu erwähnen ist der spezifisch für die Sklaven wirkende sogenannte favor libertatis 10, die Freiheitsvermutung, der 66
M. Käser, Das Römische Privatrecht (Fn. 10), S. 289 ff.; H. J. Wieling, Die Begründung des Sklavenstatus (Fn. 8). Zum postliminium vgl. U. Ratti, Studi sulla captivitas e alcune repliche in tema di postliminio, Neapel 1980; M. F. Cursi, La struttura del „postliminium" nella repubblica e nel principato, Neapel 1996; M. V. Sanna, Ricerche in tema di postliminium e redemptio ab hostibus, Cagliari 1998 und dies., Nuove ricerche in tema di postliminium e redemptio ab hostibus, Cagliari 2001. 67 M. Käser, Das Römische Privatrecht (Fn. 10), S. 283 ff. 68 W. Waldstein, Operae libertorum. Untersuchungen zur Dienstpflicht freigelassener Sklaven, Wiesbaden 1986. Siehe außerdem umfassend M. Käser, Die Geschichte der Patronatsgewalt über die Freigelassenen, in: ZRG Rom. Abt. 58 (1938), S. 88 ff. 69 Zu den leges Fufia Caninia und Aelia Sentia s. M. Käser, Das Römische Privatrecht (Fn. 10), S. 296 f. m.w.N.
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als Schutz im weiteren Sinne interpretiert werden kann. Empfing eine Freie ein Kind und brachte sie es zu einer Zeit zur Welt, in der sie Sklavin war, war das Kind freigeboren 71 . Wurde ein Sklave vermacht und testamentarisch freigelassen, so hatte die Freilassung - untechnisch gesprochen - Vorrang 72 . In allen Fällen, in denen es nicht klar war, ob jemand schon frei war oder noch nicht oder ob er frei werden sollte, entschied man sich im Zweifel für die Freiheit. Mittelbarer Schutz für die Sklaven wurde durch kaiserliche Reskripte erzielt. So erkannte ein Reskript von Antoninus Pius zwar die unbeschränkte Gewalt der Eigentümer über ihre Sklaven an, wies den Eigentümer, der gegen seine Sklaven gewütet hatte und ihnen Hunger und unerträgliches Umecht zugefügt hatte, aber in die Schranken und ordnete an, daß die Sklaven verkauft werden mußten mit der Klausel, daß sie nicht in die Gewalt dieses Eigentümers zurückkehren durften 73 .
V. Schluß Versucht man die vorstehenden Überlegungen zusammenfassen, so zeigt sich, daß die Ausgangsfrage: „Wer ist ein Rechtssubjekt in Rom" die Möglichkeit bietet, die Sklaverei in einer neuen, erkenntnisversprechenden Perspektive zu sehen. Von den freien Personen sind voll handlungsfähig nur die patres familias; die anderen aber können, wie gesehen, trotzdem am Rechtsverkehr teilnehmen unabhängig davon, ob sie Freie oder Sklaven sind. Die Frage nach der Subjektqualität ist vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Verständnisses der Rolle der rechtlichen Gleichheit zu sehen sowie der Verbreitung und sozialen und wirtschaftlichen Relevanz der Sklaverei. Den Juristen war es sehr klar, daß diese nicht einem natürlichen Zustand entsprach, sondern eine Erfindung der Menschen war. Die berühmte Stelle von Ulpian haben wir eingangs gesehen, in der er festhält, daß von 70 Zum favor libertatis P. Starace, Lo statuliber e l'adempimento fittizio della condizione. Uno, studio sul favor libertatis fra tarda Repubblica ed etä antonina, Bari 2006; H Ankum, Der Ausdruck favor libertatis und das klassische römische Freilassungsrecht, in: E. Hermann-Otto (Hrsg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, Hildesheim u.a. 2005, S. 82 ff.; G. Härtel, Der „favor libertatis" im Imperium Romanum und sein gesellschaftlicher Zusammenhang nach den Digesten im 2.-3. Jahrhundert u.Z., in: Index 5 (1974/75), S. 281 ff. C. Castello, „Humanitas" e „favor libertatis". Schiavi e liberti nel I secolo, in: Aa.Vv., Sodalitas. Scritti in onore di Antonio Guarino, V, Neapel 1984, S. 2175 ff. 71 Gai. inst. 1.89. 72 Vgl. G. Impallomeni, Le manumissioni mortis causa. Studi sulle fonti autoritative romane, Padua 1963 und insbesondere zur Testamentsauslegung H. J. Wieling, Testamentsauslegung im Römischen Recht, München 1972. 73 Vgl. D. 1.6.2 Ulp. 8 de off. proc.
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Natur aus alle Menschen frei geboren werden. Die Möglichkeit der Freilassung stellt den Versuch dar, dem Institut der Sklaverei, die durch das ius gentium eingeführt wurde, abzuhelfen 74 . Dieses - wenn man so will - zwiespältige Verhältnis zur Sklaverei, das zum einen aus der Akzeptanz des Instituts und zum anderen aus dem Bewußtsein seiner Unnatürlichkeit besteht, durchzieht die römische Rechtsordnung. Das juristische Regelwerk, das exemplarisch erörtert wurde, bezeugt das. Der Gleichheitsgrundsatz, der nur innerhalb des Kreises der Familienväter galt, wird durch die Tatsache stark relativiert, daß ihm, wie gerade gesagt, die grundsätzliche Ungleichheit der Personen in der Struktur der Gesellschaft gegenüberstand. Innerhalb der Familie, und die Sklaven gehörten auch rechtlich zur der Familie, wurden - wie wir gesehen haben - Lösungen und Differenzierungen gefunden, die in der Lage waren, der Komplexität der Rechtsverhältnisse Rechnung zu tragen; dank ihrer Flexibilität garantierten sie auch den „Ungleichen" Betätigungsspielräume und erkennbare Aufstiegschancen. Diese Stabilisierungsfunktion des Privatrechts läßt sich aus dem Umstand ablesen, daß es abgesehen von dem Aufstand in Sizilien in den Jahren 136 bis 132 v. Chr. und dem von Spartacus in den Jahren 74 bis 71 v. Chr. kaum zu revolutionären Bewegungen der Sklaven kam und daß im allgemeinen der Freilassungswunsch keinesfalls die Mentalität der Sklaven beherrscht zu haben scheint. Diese Stabilität erweist sich für den modernen Beobachter, der an die letzten Jahrhunderte der europäischen Geschichte mit ihren sozialen Unruhen und grundlegenden Veränderungen denkt, als ein beeindruckendes und unerwartetes Faktum 7 5 . Ist es also möglich, daß eine Gesellschaft, die ein so fundamentales Grundrecht wie das der rechtlichen Gleichheit nicht kennt, nicht in sich zusammenbricht, sondern durch das Privatrecht irgendwie zusammengehalten wird? Oder von einer anderen Perspektive her formuliert: war das römische Privatrecht, dem es gelang, diesen Zusammenhalt zu gewährleisten, etwas anderes als das moderne Privatrecht? Die Antwort lautet auf beide Fragen ja. Aus der modernen Idee des Staates folgt, daß der Schutz der Grundrechte, als erstes davon der Gleichheitsgrundsatz, dem Staate obliegt; bei einem anderen Verständnis des Staates können mindestens einige der grundrechtlichen Schutzfunktionen vom Privatrecht ausgeübt werden, dessen Rolle insoweit dann damals auch anders als in der modernen Gesellschaft konzipiert war 7 6 . 74
D. 1.1.4 Ulp. 1 inst. Vgl. A. Bürge, Römisches Privatrecht (Fn. 17), S. 203. 76 Vgl. E. Hermann-Otto, Die Bedeutung der antiken Sklaverei für die Menschenrechte (Fn. 6), S. 56 ff. und T. J. Chiusi, Die umfassende Dimension des römischen Privatrechts. Systemtheoretische Bemerkungen über eine Rechtsordnung, die keine 75
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Ab dem vierten Jh. verzichtet man immer mehr auf die Sklaverei. Die christlichen Kaiser schaffen sie zwar nicht ab, sie ist aber mit der christlichen Lehre nicht vereinbar 77 . Außerdem fließen die Massen von Kriegsgefangenen aus Eroberungskriegen nicht mehr wie früher, diejenigen Gefangenen aus barbarischen Stämmen, die vorhanden sind, werden eher als freie Arbeitskräfte rekrutiert. Damit aber werden die Lebensbedingungen der Unterschicht nicht besser. Manchmal beklagen ehemalige Sklaven ihr derzeitiges Leben gegenüber dem vorherigen, als noch ihr Unterhalt vom Herrn gesichert werden mußte. Anstelle der Sklaven kommen langsam die coloni, die aufschlußreicherweise bald als servi glebae bezeichnet werden 78 . Diese in der Tat leben nicht wesentlich anders und werden nicht anders behandelt als Sklaven.
„Grundrechte" kennt, in: J. Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, Tübingen 2007, S. 3 ff. 77 Dazu T. J. Chiusi, Der Einfluß des Christentums auf die Gesetzgebung Konstantins, in: K. M. Girardet (Hrsg.), Kaiser Konstantin der Große. Historische Leistung und Rezeption in Europa, Bonn 2007, S. 55 ff., insb. S. 60 f. m.w.N.; H. Langenfeld, Christianisierungspolitik und Sklavengesetzgebung der römischen Kaiser von Konstantin bis Theodosius II., Bonn 1977. 78 Vgl. G. Giliberti, Servi della terra. Ricerche per una storia del colonato, Turin 1999; ders., Servus quasi colonus. Forme non tradizionali di organizzazione del lavoro nella societä romana, Neapel 1981; P. Rosaflo, Studi sul colonato. Documenti e studi, Bari 2002.
Der Einbruch der kulturellen Vielfalt ins Urheberrecht Von Adolf Dietz
Vorbemerkung Elmar Wadle, dem ich, auch in metajuristischen Zusammenhängen, seit langem freundschaftlich verbunden bin, möchte ich mangels ausgeprägter historischer Kompetenz einen eher rechtspolitisch orientierten Beitrag widmen, der ihn vielleicht auch aus rechtshistorischer Sicht zu interessieren vermag. Viele seiner Arbeiten galten ja der Entstehungsphase des modernen Urheberrechts im 19. Jahrhundert1, bis dieses historisch durchaus junge Rechtsgebiet sich nach langen Windungen und Wendungen zu seiner gegenwärtigen Hochblüte entwickeln konnte. Doch wird diese von Bestand sein? In der Tat überkommen einen angesichts der zunehmend schärfer werdenden Diskussion um die Rechtfertigung des herkömmlichen Urheberrechts im digitalen Zeitalter manchmal Zweifel, ob es nicht eher seinem Untergang entgegen treibt oder jedenfalls den Höhepunkt seiner Entwicklung bereits überschritten hat. Insbesondere droht angesichts der zunehmend dominant auftretenden großindustriellen Protagonisten und der damit verbundenen Ökonomisierung aller Lebensbereiche die natürliche Verbindung von Urheberrecht und Kultur oder - besser - seine intensive Beziehung zur Kultur- und Kreativitätsförderung dem Blickfeld zu entschwinden. Doch wo Gefahr ist, naht das Rettende auch, ja es mag durchaus sein, dass das Urheberrecht vor einem „cultural turn" oder „cultural return" steht. Dies nachzuweisen oder jedenfalls dazu einen Anstoß zu geben, soll in diesem Beitrag versucht werden. Vielleicht können sich auf diese Weise Vergangenheit und Zukunft erneut begegnen. Möglicherweise hätte auch der Rechtshistoriker seine Freude daran2.
1
Vgl. insbesondere die dem Urheberrecht gewidmeten Teile seiner „Bausteine zur Rechtsgeschichte" I und II, nämlich Wadle, Geistiges Eigentum, Bd. I, Weinheim etc. 1996, Bd. II, München 2003. 2 In diesem Sinne jedenfalls die Abschiedsvorlesung von Elmar Wadle an seiner Alma Mater: „Urheberrecht zwischen Gestern und Morgen - Anmerkungen eines Rechtshistorikers", Universitätsreden der Universität des Saarlandes Nr. 69, 2007.
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I. Einleitung: ein neues völkerrechtliches Instrument zum Schutz der kulturellen Vielfalt A m 20. Oktober 2005 hat die Generalversammlung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) auf ihrer 33. Tagung in Paris mit überwältigender Mehrheit der mehr als 190 Mitgliedstaaten der UNESCO (bei nur zwei Gegenstimmen) das Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen angenommen.3 M i t Gesetz vom 1. März 2007 4 hat ihm auch der deutsche Gesetzgeber bereits zugestimmt. 5 Inzwischen ist das neue UNESCO-Übereinkommen gemäß seinem Art. 29 Abs. 1 Satz 1 drei Monate nach Hinterlegung der dreißigsten Ratifikationsurkunde für die betroffenen Staaten in Kraft getreten, und zwar am 18. März 2007 6 . Die erforderlichen dreißig Ratifizierungen waren also bereits am 18. Dezember 2006, nur gut ein Jahr nach der Annahme des Übereinkommens in Paris erreicht worden, was als ungewöhnlich rasch bezeichnet werden muss. Deutschland hat das Übereinkommen am 12. März 2007 ratifiziert, so dass es gemäß seinem Art. 29 Abs. 1 Satz 2 für Deutschland drei Monate später (am 12 Juni 2007 7 ) in Kraft getreten ist. Dieses neue UNESCO-Übereinkommen mit seinem Zentralbegriff der kulturellen Vielfalt ist als Magna Charta der internationalen Kulturpolitik 8 gerühmt worden; was bedeutet es aber für das Urheberrecht? Kann es der Rückbesinnung des Urheberrechts auf seine kulturellen Wurzeln oder gar deren Revitalisierung dienen?
II. Die kulturellen Wurzeln und Funktionen des Urheberrechts Die enge, ja symbiotische Beziehung zwischen Kultur und Urheberrecht liegt schon angesichts des Gegenstands des Urheberrechts auf der Hand, wie er - deutlicher noch als in §§ 1 und 2 UrhG („die Werke der Literatur, 3
Vgl. im Einzelnen Metze-Mangold/Merkel , Die UNESCO-Kulturkonvention vor der Ratifizierung. Magna Charta der internationalen Kulturpolitik, MEDIA PERSPEKTIVEN 7/2006, S. 362 ff. 4 BGBl. II Nr. 6 v. 6.3.2007, S. 234. 5 Amtliche deutsche Übersetzung des Übereinkommens nebst dessen englischer und französischer Originalfassung abgedruckt a.a.O. S. 235 ff. sowie in GRUR Int. 2007, 35. 6 Siehe den Bericht „UNESCO. Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt tritt am 18. März 2007 in Kraft", in: IRIS 2007 Nr. 2 S. 2. 7 Siehe die amtliche Mitteilung in BGBl. II 2007 Nr. 35 S. 1685. 8 Siehe Metze-Mangold/Merkel a.a.O. (oben Fn. 3).
Der Einbruch der kulturellen Vielfalt ins Urheberrecht
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Wissenschaft und Kunst") - seit 1886 im Titel der altehrwürdigen „Berner Übereinkunft von Werken der Literatur und Kunst" zum Ausdruck kommt. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass angesichts des breiten Spektrums kraft modernen Urheberrechts geschützter Werke (insbesondere unter Einschluss von wissenschaftlichen Werken, Computerprogrammen und Datenbanken) deren Nutzung keineswegs nur auf den kulturellen Sektor im engeren Sinn beschränkt ist. Jedenfalls spielt das Urheberrecht, wie auch zahlreiche Untersuchungen zur wirtschaftlichen Bedeutung der sog. Urheberrechtsindustrien („Copyright Industries") ausweisen, seine zentrale Rolle in einem weit verstandenen Kultursektor 9 , also insbesondere auf den Gebieten des Verlags- und Pressewesens, der Theater- und Musikaufführungen, der Tonträgerindustrie, der Filmwirtschaft, des Rundfunks und Fernsehens sowie zunehmend der Internetverwertung, der Museen, Galerien und des Kunsthandels sowie schließlich der Architektur und der aus dem engeren Kultursektor eher hinausführenden Bereiche von Werbung, Grafik, Design und Fotografie 10 . Eine nähere Erörterung und Abgrenzung dessen, was eigentlich zum Kultursektor gehört, kann deshalb für unsere Fragestellung unterbleiben 11 . Schon die erwähnten Untersuchungen wie überhaupt die innere Struktur des Urheberrechts mit seiner Gewährung von wirtschaftlichen Verwertungsrechten und vorwiegend ideelle Interessen schützenden Persönlichkeitsrechten zeigen im Übrigen, dass der Kultursektor und somit auch die Beziehung 9 Vgl. zuletzt die im Auftrag der EU-Kommission erstellte Studie „The Economy of Culture in Europe", 2007; in der deutschen Zusammenfassung dieser Studie wird der kulturelle und kreative Sektor folgendermaßen umschrieben: Kerngebiete der Kunst (bildende Künste, darstellende Künste, kulturelles Erbe); Kreis 1: Kulturbranchen (Film und Video, Fernsehen und Rundfunk, Videospiele, Musik, Bücher und Presse); Kreis 2: kreative Branchen und Aktivitäten (Gestaltung, Architektur, Werbung); Kreis 3: verwandte Industrien (Hersteller von PC, MP3-Playern, Mobiltelefonen usw.). 10 Vgl. insoweit auch die Aufgliederung der urheberrechtsbezogenen Wirtschaftsbereiche bei Hummel, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Urheberrechts, Berlin/München 1986, S. 39 ff. (ursprünglich Anlage zu BT-Drucksache 11/4929 v. 7.7.1989 - Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovelle 1985, S. 69 ff.); Computerprogramme werden in der Untersuchung meist ausgeklammert. Vgl. auch Cohen Jehoram, Kritische Überlegungen zur wirtschaftlichen Bedeutung des Urheberrechts, GRUR Int. 1988, 23 ff., der bereits elf nationale Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung des Urheberrechts auflistet; vgl. daneben die Angaben zum Welthandel in Kulturgütern (Literatur, Musik, bildende Kunst, Fotographie, Rundfunk und Fernsehen etc.) bei Metze-Mangold/Merkel, a.a.O. (oben Fn. 3), S. 363. 11 Vgl. die einschlägigen Abgrenzungsversuche bei Weher/Roßnagel/Osterwalder/Scheuer/Wüst, Kulturquoten im Rundfunk, Baden-Baden 2006, S. 70 ff. und Ader, Der kulturelle Auftrag und der Aspekt „Regionalität" im Pflichtenprogramm der Rundfunkveranstalter, in: iris plus, Beilage zu IRIS Ausgabe 2006-8, S. 2.
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von Urheberrecht und Kultur nicht in einem abgehobenen Sinn als „reine", vom Industriesektor getrennte Sphären verstanden werden dürfen. Doch ist Ausgangspunkt und ursprüngliches Subjekt des Urheberrechts nach kontinentaleuropäischer Auffassung, insbesondere auch nach insofern konsequenter deutscher Regelung eben nicht der industrielle Verwerter von Urheberrechten, sondern die schöpferische Persönlichkeit selbst; gemäß § 1 UrhG sind es nämlich die Urheber der Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst, die Schutz nach Maßgabe des Gesetzes genießen, und nach der kürzesten und prägnantesten Vorschrift des deutschen Urheberrechts (§ 7 UrhG) ist Urheber eben der Schöpfer des Werkes und kein anderer. Wo das Urheberrecht in diesem Sinne funktioniert, müsste es demnach als direktes Instrument zur Förderung der Kreativität von Urhebern wirken, und zwar, wie eben angedeutet, weit überwiegend im Kultursektor. Im Endergebnis bedeutet also Förderung der Kreativität durch das Urheberrecht zumindest auch Förderung von Kultur an der Quelle, dort wo Werke und kulturelle Leistungen - noch vor ihrer Umwandlung in handelbare Güter und Dienstleistungen - durch persönlichen schöpferischen Einsatz entstehen. Dass zu dieser direkten Förderung an der Quelle die indirekte Förderungswirkung zugunsten der Urheberrechtsindustrien hinzutritt, die ohne Urheberrechtsschutz vielfach gar nicht existenzfähig wären, verstärkt nur diesen Effekt. Beide Wirkungen zusammengenommen machen die kulturelle Funktion und Dimension des Urheberrechts aus.
III. Die fehlende verfassungsrechtliche Absicherung der kulturellen Förderungsfunktion und ihr gemeinschaftsrechtlicher Ersatz In verfassungsrechtlicher Hinsicht kommt die kulturfördernde Ziel- und Zwecksetzung des Urheberrechts jedenfalls in Kontinentaleuropa nur wenig zum Ausdruck, was klar mit der bekannten Klausel der US-Verfassung von 1787 („promotion of science and useful arts") kontrastiert 12 . Umso bedeutsamer erscheint es, dass dieses verfassungsrechtliche „missing link" zwischen Urheberrecht und Kreativitäts- bzw. Kulturförderung inzwischen durch deutliche rechtspolitische Aussagen des europäischen Richtliniengesetzgebers zumindest überbrückt wurde. Dies trifft insbesondere für die Erwägungsgründe 9 bis 12, aber auch etwa 14 und 22 der Richtlinie über Urheberrecht in der Informationsgesellschaft 13 z u 1 4 , die folgendermaßen lauten: 12 Vgl. des Näheren Dietz, Verfassungsklauseln und Quasi-Verfassungsklauseln zur Rechtfertigung des Urheberrechts - gestern, heute und morgen, GRUR Int. 2006, 1 ff.
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(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller und Verbraucher, von Kultur und Wirtschaft sowie der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Eigentums anerkannt worden. (10) Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten, was ebenso für die Produzenten gilt, damit diese die Werke finanzieren können. Um Produkte wie Tonträger, Filme oder Multimediaprodukte herstellen und Dienstleistungen, z.B. Dienste auf Abruf, anbieten zu können, sind beträchtliche Investitionen erforderlich. Nur wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag dieser Investitionen sichergestellt werden. (11) Eine rigorose und wirksame Regelung zum Schutz der Urheberrechte und verwandten Schutzrechte ist eines der wichtigsten Instrumente, um die notwendigen Mittel für das kulturelle Schaffen in Europa zu garantieren und die Unabhängigkeit und Würde der Urheber und ausübenden Künstler zu wahren. (12) Ein angemessener Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken und sonstigen Schutzgegenständen ist auch kulturell gesehen von großer Bedeutung. Nach Artikel 151 des Vertrags hat die Gemeinschaft bei ihrer Tätigkeit den kulturellen Aspekten Rechnung zu tragen. (14) Ziel dieser Richtlinie ist es auch, Lernen und kulturelle Aktivitäten durch den Schutz von Werken und sonstigen Schutzgegenständen zu fördern; hierbei müssen allerdings Ausnahmen und Beschränkungen im öffentlichen Interesse für den Bereich Ausbildung und Unterricht vorgesehen werden. (22) Die Verwirklichung des Ziels, die Verbreitung der Kultur zu fördern, darf nicht durch Verzicht auf einen rigorosen Schutz der Urheberrechte oder durch Duldung der unrechtmäßigen Verbreitung von nachgeahmten oder gefälschten Werken erfolgen. Es gibt in der Tat - weder im kontinentaleuropäischen noch im angloamerikanischen Raum - keine auch nur annähernd vergleichbaren Klauseln, die in einer dermaßen luziden, detaillierten und dennoch prägnanten Weise zum Ausdruck brächten, worum es bei der modernen Urheberrechtsgesetzgebung eigentlich geht, wie eben diese insgesamt - auch von den Dienststellen der EU-Kommission selber - viel zu wenig beachteten15 Erwägungs13 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10 = GRUR Int. 2001, 745. 14 Vgl. daneben etwa auch die Erwägungsgründe 4, 19, 36, 44 und 58. 15 Es verdient Hervorhebung, dass der EuGH in seiner urheberfreundlichen Entscheidung im Fall Hotelfernsehen (Rechtssache C-306/05), GRUR Int. 2007, 316,
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gründe des Gemeinschaftsgesetzgebers. Sie beziehen ihre nachdrückliche rechtspolitische Legitimität trotz der fehlenden unmittelbaren rechtlichen Verbindlichkeit als bloße Erwägungsgründe aus der Einstimmigkeit, mit der sie ebenso wie die Infosoc-Richtlinie selbst, vorbereitet und vorformuliert von den beteiligten Dienststellen der Kommission, sowohl im Ministerrat wie im EU-Parlament angenommen wurden. In unserem Zusammenhang ist insbesondere der in Erwägungsgrund 12 enthaltene Hinweis auf den sog. Kulturartikel des EG-Vertrages (Art. 151) als Teil des primären Gemeinschaftsrechts von Bedeutung; nach dessen Absatz 4 trägt die Gemeinschaft bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen dieses Vertrages den kulturellen Aspekten Rechnung, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen. Dies hat also nach der deutlichen Aussage in Erwägungsgrund 12 der Richtlinie nach Auffassung des EU-Gesetzgebers fürderhin auch im Urheberrecht zu geschehen. Der Zusammenhang zwischen Urheberrecht, Kulturpolitik und kultureller Vielfalt kann eigentlich gar nicht deutlicher zum Ausdruck kommen 1 6 . Genau an dieser Stelle kommt nun das neue UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt ins Spiel, das gerade von EU-Seite mit besonderem Nachdruck gefördert wurde, so dass es schließlich, wie erwähnt, mit überwältigender Mehrheit bei nur zwei Gegenstimmen angenommen werden konnte 17 .
IV. Das neue UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt und seine Bedeutung für das Urheberrecht Das neue UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt ist auch vor dem Hintergrund einer mit erheblicher Kritik begleiteten Entwicklung stets zunehmender Homogenität und „Einfalt" kultureller Erzeugnisse und Großveranstaltungen zu sehen 18 . Dies betrifft naturgemäß in erster Linie die global agierenden und damit auch globalen Kultureinfluss ausübenden Großu. a. die Erwägungsgründe 9 und 10 der Infosoc-Richtlinie, soweit ersichtlich, zum ersten Mal an prominenter Stelle unterstützend herangezogen hat; vgl. Rdnr. 11 und 12 der Entscheidung. 16 Ganz ähnlich neuerdings die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung vom 10.5.2007, KOM(2007) 242 endg., S. 6. 17 Vgl. die Schilderung bei Metze-Mangold/Merkel a.a.O. (oben Fn. 3) S. 362. 18 Vgl. etwa die einschlägige massive Kritik bezüglich des Filmsektors bei Macmillan, The Cruel ©: Copyright and Film, European Intellectual Property Re-
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konzerne des Kultursektors, die sog. global players oder major companies, insbesondere auf den Gebieten des Verlagswesens, der Musik und der Audiovision (Film, Fernsehen und Internet) 19 . Vom Gesichtspunkt der kulturellen Vielfalt, die hier in Übereinstimmung mit den dem neuen UNESCO-Übereinkommen zugrunde liegenden Prinzipien 2 0 als ein Menschheitswert ersten Ranges betrachtet wird, besteht in der Tat die reale Gefahr, dass lokale und regionale Kulturproduktionen auch in ihren natürlichen Einzugsgebieten mit den Erzeugnissen dieser marktstarken und marketingstarken global players nicht mehr konkurrieren können, da letztere schon aus Kosten- und Gewinnmaximierungsgründen dazu tendieren, sog. blockbuster-Erzeugnisse bis in die letzten Dörfer des Globus zu vermarkten. Dass diese Gefahr zunehmend gesehen und ihr entgegenzuwirken versucht wird, davon zeugt gerade das neue mit breiter internationaler Unterstützung zustande gekommene UNESCO-Übereinkommen. Um die weit reichenden Zielsetzungen dieses Übereinkommens zu verdeutlichen, seien sie hier so zitiert, wie sie in Art. 1 zusammengefasst sind: a) die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu schützen und zu fördern; b) die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kulturen sich entfalten und frei in einer für alle Seiten bereichernden Weise interagieren können; c) den Dialog zwischen den Kulturen anzuregen, um weltweit einen breiteren und ausgewogeneren kulturellen Austausch zur Förderung der gegenseitigen Achtung der Kulturen und einer Kultur des Friedens zu gewährleisten; d) die Interkulturalität zu fördern, um die kulturelle Interaktion im Geist des Brückenbaus zwischen den Völkern weiterzuentwickeln; e) die Achtung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu fördern und das Bewusstsein für den Wert dieser Vielfalt auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu schärfen; view Vol. 24 (2002), p. 483, vgl. allgemein auch Metze-Mangold/Merkel a.a.O. (oben Fn. 3) S. 363 ff. m.w.N. 19 Vgl. etwa Bernecker, Kultur in Europa und Kultur im Kontext der Globalisierung, in: politik und kultur (Zeitung des Deutschen Kulturrats) Nov./Dez. 2006 S. 25. Gewissermaßen wie in einem Spiegel zeigt sich diese Sachlage etwa auch in der engagierten Bekämpfung der weltweiten Musikpiraterie durch die globale Musikindustrie (repräsentiert durch die internationale Vereinigung der Tonträgerindustrie IFPI), ohne dass dabei auch nur im mindesten die Ungleichgewichte des Musikmarktes ins Blickfeld gerieten; vgl. etwa Swaine, Biting back. Music industry can't tackle piracy on its own, Copyright World Issue Nr. 164, Okt. 2006, S. 20 ff. 20 Vgl. nur die Auflistung der leitenden Grundsätze in Art. 2 des Übereinkommens sowie die große Zahl rechtspolitischer Postulate in ihrer Präambel, beginnend mit der Bekräftigung, dass die kulturelle Vielfalt ein bestimmendes Merkmal der Menschheit ist.
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f) die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Kultur und Entwicklung für alle Länder, insbesondere für die Entwicklungsländer, zu bekräftigen und die Maßnahmen zu unterstützen, die auf nationaler und internationaler Ebene ergriffen werden, um die Anerkennung des wahren Wertes dieses Zusammenhangs sicherzustellen; g) die besondere Natur von kulturellen Aktivitäten, Gütern und Dienstleistungen als Träger von Identität, Werten und Sinn anzuerkennen; h) das souveräne Recht der Staaten zu bekräftigen, die Politik und die Maßnahmen beizubehalten, zu beschließen und umzusetzen, die sie für den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in ihrem Hoheitsgebiet für angemessen erachten; i) die internationale Zusammenarbeit und Solidarität in einem Geist der Partnerschaft zu stärken, um insbesondere die Fähigkeiten der Entwicklungsländer zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu erhöhen. Gerade weil, wie oben kurz darzustellen versucht wurde, eine starke, ja sogar identitätsstiftende gegenseitige Beziehung von Urheberrecht und Kultur besteht, liegt es auf der Hand, dass diese hehren Zielsetzungen des neuen UNESCO-Übereinkommens nicht ohne Einfluss auf das Urheberrecht bleiben können. Wenn beispielsweise gemäß Art. 1 Buchst, g des Übereinkommens die besondere Natur von kulturellen Gütern und Dienstleistungen als Träger von Identität, Werten und Sinn hervorgehoben wird, dann ist sogleich hinzuzufügen, dass die große Mehrheit dieser wert- und sinnbehafteten Güter und Dienstleistungen urheberrechtlich geschützt sind. Wenn das neue Übereinkommen darüber hinaus mehrfach, insbesondere bereits in Art. 1 Buchst, h) das souveräne Recht der Staaten bekräftigt, die Politik und die Maßnahmen beizubehalten, zu beschließen und umzusetzen , die sie für den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in ihrem Hoheitsgebiet für angemessen erachten, dann ist dies wohl auch für das dem Kultursektor so eng verbundene Urheberrecht relevant. Die enge Verbindung von kultureller Vielfalt, Kreativität und Urheberrecht wird in der Präambel des Übereinkommens im Übrigen selbst angesprochen, wenn dort die Bedeutung der Rechte des geistigen Eigentums zur Unterstützung derer, die an der kulturellen Kreativität beteiligt sind, ausdrücklich anerkannt wird.
V. Verhältnis zu bestehenden internationalen Verträgen Natürlich steht das neue UNESCO-Übereinkommen nicht im leeren Raum da, vielmehr müssen die bestehenden internationalen Urheberrechtskonventionen, insbesondere die altehrwürdige Berner Übereinkunft und das
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die letztere in das Welthandelssystem (WTO-System) integrierende Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistiges Eigentums (TRIPS-Übereinkommen von 1994) sowie die beiden WIPO-Verträge von 1996 (WlPO-Urheberrechtsvertrag - WCT und WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger - WPPT) dabei berücksichtigt werden. Das Verhältnis zu diesen bestehenden (und möglichen zukünftigen) internationalen Verträgen war im Übrigen einer der schwierigsten Diskussionspunkte in der Vörbereitungsphase des neuen Übereinkommens überhaupt. 21 Der erreichte und unter den gegebenen Umständen gerade noch erreichbare Kompromiss findet seinen Niederschlag in Art. 20 des neuen Übereinkommens. Zwar gelten im Verhältnis zu anderen Verträgen die schon in der Überschrift wie auch in Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift verankerten Grundsätze der wechselseitigen Unterstützung, Komplementarität und Nicht-Unterordnung 22 ; doch ist das neue Übereinkommen gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift - in einem gewissen Gegensatz zu diesen Prinzipien nicht so auszulegen, als verändere es die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien aus anderen Verträgen, deren Vertragsparteien sie sind 2 3 . Auch anerkennen die Vertragsparteien in Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich, dass sie ihre Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen und allen anderen Verträgen, deren Vertragsparteien sie sind, nach Treu und Glauben zu erfüllen haben. Diese Festlegungen entsprechen sicherlich klassischem internationalen Vertragsrecht („pacta sunt servanda") und sollen hier als solche nicht kritisiert werden. Sie werden und sollen aber zu neuen Akzentsetzungen bei der Auslegung bestehenden Vertragsrechts unter Gesichtspunkten des Schutzes der kulturellen Vielfalt führen, jedenfalls soweit entsprechende Ansätze für solche Auslegungen vorhanden sind, auch wenn sie in der Vergangenheit vielleicht nicht genügend Beachtung fanden. Das gilt schon deswegen, weil, wie dargestellt, nationales wie internationales Urheberrecht von Anfang an der Kultursphäre eng verbunden war und ist und deshalb seinem Gegenstand nach enge Verbindungen mit dem neuen UNESCO-Übereinkommen aufweist. Die - auch rechtsdogmatische - Schwierigkeit liegt hier freilich darin, dass die Beziehung zwischen Kultur, kultureller Vielfalt und Urheberrechts21
Vgl. des Näheren Metze-Mangold/Merkel a.a.O. (oben Fn. 3), S. 368 ff.; wegen der bewussten Förderung des neuen Übereinkommens als Korrekturinstrument zu den Handelsverträgen des WTO-Systems vgl. etwa Ader a.a.O. (oben Fn. 11) S. 3. 22 Vgl. im Einzelnen Metze-Mangold/Merkel a.a.O., S. 362 und 368 ff. 23 Diesen Aspekt betont bezüglich der internationalen Urheberrechtskonventionen Desurmont, Reflexions on the Relationship between the Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions and the Protection of Authors' Rights, RIDA Nr. 208 (April 2006), S. 2 ff., 8 ff.
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schütz, wie bereits angedeutet, bisher wenig diskutiert wurde. Das neue UNESCO-Übereinkommen sollte zu einer entsprechenden Klärung aber Anlass geben.
VI. Urheberrecht und „exceptions culturelles" Eines der möglichen Ergebnisse einer neuen und präziseren Verhältnisbestimmung zwischen Urheberrecht und Schutz der kulturellen Vielfalt wäre etwa, dass zukünftige oder zu revidierende bestehende Instrumente des internationalen Urheberrechts stärker als bisher „kulturelle Optionen" oder „exceptions culturelles" 24 vorsehen könnten, auch und besonders, was die strikte Befolgung des Inländerbehandlungsgrundsatzes anbetrifft. Interessanterweise wurden solche Ausnahmen oder „kulturellen Vorbehalte" in begrenztem Umfang auf der Grundlage von Gegenseitigkeitsvereinbarungen bereits seit längerem in der internationalen Praxis der Verwertungsgesellschaften akzeptiert 25 ; doch sind sie wegen ihrer angeblich fehlenden Grundlage im internationalen Vertragsrecht gerade in den letzten Jahren vermehrt unter Beschuss geraten 26 . Es handelt sich insbesondere um die sog. CISAC 27 -Regel, die einen 10%-Abzug für kulturelle (und soziale) Zwecke im Rahmen der Verrechnungen zwischen den beteiligten Musikverwertungsgesellschaften aus verschiedenen Ländern (neuerdings nur noch im Bereich der EU) erlaubt, jedenfalls soweit es um das Recht der öffentlichen Wiedergabe einschließlich des Senderechts geht; die sog. mechanischen Rechte (Musik auf Tonträgern) blieben von vorneherein ausgeschlossen28. 24 Vgl. allgemein, soweit es um den audiovisuellen Sektor geht, Doutrelepont (Hg.), L'Europe et les enjeux du GATT dans le monde de l'audiovisuel, Brüssel 1994, insbes. S. 99 ff.; vgl. daneben Gilliéron, Collecting Societies and the Digital Environment, HC 2006, S. 939 ff., S. 969. 25 Grundlegend Lerche , Rechtsfragen der Verwirklichung kultureller und sozialer Aufgaben bei der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten, insbesondere im Blick auf den sogen. 10%-Abzug der GEMA, in: GEMA Jahrbuch 1997/1998, S. 80 ff., S. 92 ff. (mit zahlreichen weiteren Nachweisen); vgl. daneben die Übersicht über die deutsche Praxis bei Bartels , Die Abzüge der Verwertungsgesellschaften für soziale und kulturelle Zwecke, UFITA Bd. 2006/11, S. 325 ff. sowie den historischen Überblick bei Hauptmann , Die Vergesellschaftung des Urheberrechts, Baden-Baden 1994, S. 67 ff. 26 Vgl. die Angaben bei Lerche a.a.O. S. 95 und S. 114 ff.; sowie allgemein Bartels a.a.O. (mwN) und Hauptmann a.a.O. passim; vgl. insbes. den Vorschlag Hauptmanns für ein Wahlrecht a.a.O. S. 156 ff. 27 CISAC = Confédération Internationale des Sociétés d'Auteurs et Compositeurs. 28 Vgl. Art. 8 Abs. II des „Mustervertrags im EU-Bereich für das Aufführungsund Senderecht gemäß CISAC-Standardvertrag", abgedruckt in: GEMA Jahrbuch 2005/2006, S. 235; vgl. auch Lerche a.a.O. S. 93, Hauptmann a.a.O. S. 75 ff.
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Ein ähnliches, freilich auf festerer Grundlage, nämlich immerhin auf nationalen Gesetzesvorschriften beruhendes Beispiel bilden die Bestimmungen über die zulässige oder sogar vorgeschriebene Verwendung eines - in manchen Ländern durchaus substantiellen - Teils der Einnahmen von Verwertungsgesellschaften für kulturelle und/oder soziale Zwecke, soweit es dabei um (Geräte- und/oder Träger-)Vergütungen für die erlaubte private Überspielung oder Aufzeichnung von geschützten Werken geht. 29 Auch der Sonderfall der sog. Bibliothekstantieme bzw. des „public lending right" kann hier genannt werden. Bevor der EU-Gesetzgeber hier harmonisierend eingriff 3 0 , haben insbesondere die Nordischen Länder, aber auch die Niederlande oder das Vereinigte Königreich die für den öffentlichen Verleih von Büchern und anderen Medien vorgesehene, dem Charakter nach urheberrechtliche oder doch urheberrechtsähnliche Vergütung außerhalb des Urheberrechts geregelt, weil sie auf diese Weise Zahlungsverpflichtungen ins Ausland auf der Grundlage des Inländerbehandlungsgrundsatzes vermeiden wollten 3 1 ; um es positiv zu formulieren: Sie beabsichtigten eine spezifische Förderung der Kreativen des eigenen Landes im Interesse der Förderung der nationalen und/oder einer bestimmten Sprachkultur. Die augenblicklich (Juni 2007) vom Scheitern bedrohte sog. Doha-Runde der internationalen Handelsgespräche unter der WTO-Ägide 3 2 , die sich auch mit dem Schutz des geistigen Eigentums befasst, wäre an sich eine geeignete Plattform für Diskussionen oder Lösungen dieser Art, doch sind die „psychologischen" Voraussetzungen hierfür bei den überwiegend dem Handelsbereich entstammenden Vertretern dieser Verhandlungen alles andere als günstig; dies gilt auch angesichts der im Rahmen der Vorbereitung des UNESCO-Übereinkommens sichtbar gewordenen Spannungen 33 . Eine näher liegende Möglichkeit wären wohl Verhandlungen im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf, zumal dort 29
Wegen Einzelheiten und Beispielen aus zahlreichen Ländern vgl. Dillenz, Die Vergütung für private Überspielung und der Grundsatz der Inländerbehandlung, GRUR Int. 1988, S. 906 ff. 30 Vgl. insbes. Art. 5 der sog. Vermiet- und Verleihrechtsrichtlinie (Richtlinie 92/100/EWG vom 19.11.1992), ABl. EG Nr. L 346 v. 27.11.1992, S. 61. 31 Vgl. von Lewinski, Die urheberrechtliche Vergütung für das Verleihen und Vermieten von Werkstücken (§27 UrhG). Eine rechts vergleichende Untersuchung, München 1990, passim, vgl. insbes. das Resümee S. 258 ff.; dieselbe, Public Lending Right: A General and Comparative Survey of the Existing Systems in Law and Practice, RIDA Nr. 154 (Oktober 1992), S. 3 ff., insbes. S. 51 ff. 32 Vgl. bereits die amtliche Feststellung der deutschen Bundesregierung in BTDrucks. 16/2410 vom 15. August 2006. 33 Vgl. Metze-Mangold/Merkel a.a.O. (oben Fn. 3), S. 362 ff.
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seit längerer Zeit das Projekt eines internationalen Schutzes für Folklore beraten wird; ähnlich wie die gleichlaufenden Verhandlungen über den Schutz traditionellen Wissens (traditional knowledge 34) ist es u.a. dazu bestimmt, die „terms of trade" zwischen Entwicklungs- und entwickelten Ländern im Bereich des geistigen Eigentums im weitesten Sinn des Wortes zu verbessern. Wie ich an anderer Stelle 35 nachzuweisen versucht habe, handelt es sich bei dem Folkloreschutz - soweit es um die ökonomische Dimension geht im Grunde genommen um eine Sonderform eines speziell gemeinschaftsbezogen ausgestalteten Schutzes gemeinfreier Werke (domaine public payant oder Urhebergemeinschaftsrecht 36). Der Unterschied zu einem möglichen Folkloreschutz besteht darin, dass bei letzterem Finanzierungsquellen aus der Nutzung im Ausland gesucht werden - die internationale Kulturindustrie soll auch für die Nutzung von Folklore bezahlen - , während beim domaine public payant (Urhebergemeinschaftsrecht) die rein inländische Nutzung gemeinfreier Werke, die aus dem Inland, insbesondere aber auch aus dem Ausland stammen können, für die Förderung des jeweils inländischen kulturellen Schaffens nutzbar gemacht werden soll (nach dem Motto: Mozart auf allen Kanälen in Zukunft nicht mehr kostenlos). In beiden Fällen geht es letztlich aber um eine Art Selbstfinanzierung des Kultursektors, insbesondere, aber keineswegs ausschließlich in Entwicklungsländern, also um kulturpolitische Instrumente, die die herkömmlichen Regeln des nationalen und internationalen Urheberrechts ergänzen und bereichern sollen, und ganz allgemein die bestehenden Ungleichgewichte im Handel mit kulturellen Gütern und Dienstleistungen wenigstens etwas korrigieren könnten. Dabei müsste auch ins Bewusstsein gerufen werden, das vornehmstes Ziel und eigentliche ratio essendi des Urheberrechts im Sinne seiner kulturellen Funktion aber auch im Hinblick auf das nunmehr international verankerte Postulat der kulturellen Vielfalt es ist, zunächst die jeweils eigenen Kreativen und die eigene Kulturindustrie des betreffenden Landes zu för34
Vgl. allgemein von Lewinski (Hg.), Indigenous Heritage and Intellectual Property. Genetic Resources, Traditional Knowledge and Folklore, Den Haag/London/ New York 2004, p. 259 ff. (mit zahlreichen weiteren Nachweisen) [2. Aufl. in Vorbereitung]. 35 Siehe Dietz, Urheberrecht und Entwicklungsländer, München 1981, S. 49 ff.; vgl. allgemein auch Lucas-Schloetter, Section 4. Folklore, in: von Lewinski (Hg.) a.a.O. S. 259 ff. (mit zahlreichen weiteren Nachweisen). 36 Siehe im Einzelnen Dietz, Das Projekt Künstlergemeinschaftsrecht der IG Medien, ZRP 2001, 165 ff.; derselbe, Term of Protection in Copyright Law and Paying Public Domain: A New German Initiative, in: European Intellectual Property Review 2000, S. 506 ff.
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dem und zu stärken 37 . Es ist daher m.E. ein legitimes politisches Ziel, dafür zu sorgen, dass diese kulturbasierten Grundanliegen des Urheberrechts nicht durch Effekte der Internationalisierung und Globalisierung der Werkverwertung vereitelt oder minimiert werden. 38 Natürlich soll hier - gerade im Hinblick auf das Postulat der kulturellen Vielfalt - nicht einem engstirnigen exklusivistischen Konzept der Kulturförderung das Wort geredet werden 39 ; es geht vielmehr angesichts der Doppelstruktur des Urheberrechts sowohl in kultureller wie in ökonomischer Hinsicht um die Herstellung eines einigermaßen ausgeglichenen Zustands. So gesehen sollte der nationale wie der regional-europäische Gesetzgeber dazu ermuntert werden, bei künftigen Regelungen des Urheberrechts, auch und gerade auf dem Gebiet des Rechts der Verwertungsgesellschaften, verstärkt im Sinne der Sicherung kultureller Interessen zu intervenieren. Oft noch sehr zaghafte Beispiele dieser A r t 4 0 sind etwa § 7 zweiter Satz (Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen bei der Verteilung) und § 8 des deutschen Urheberwahrnehmungsgesetzes (Schaffung von Vorsorgeund Unterstützungseinrichtungen für die Rechtsinhaber) oder auch die bereits erwähnten Vorschriften über die teilweise Verwendung der Einnahmen aus der privaten Überspielungsvergütung zu kulturellen (und sozialen) Zwecken 4 1 . Alle diese Beispiele leiden ebenso wie die bereits erwähnte 10%-Regel des CISAC-Systems darunter, dass sie im internationalen Urheberrecht bisher nicht abgesichert sind und deswegen auch entsprechend angefochten 37
Ähnlich Lerche a.a.O. (oben Fn. 25) S. 115 m.w.N.; Lerche erklärt die traditionell urheberfreundliche Grundhaltung des deutschen Urheberrechtsgesetzgebers mit dessen Erwartung, dass die hinter dem Urheberrecht stehenden kulturellen und sozialen Zielsetzungen realisiert werden; vgl. auch Dietz, Rationales of Copyright and Collective Administration in the Information Society, in: Graber/Govoni/Girsberger/Nenova (Hg.), Digital Management: The End of Collecting Societies?, Bern etc. 2005, S. 57 ff., S. 60, sowie aus der Sicht der Mitglieder von Verwertungsgesellschaften Gilliéron a.a.O. (oben Fn. 24), S. 958. 38 Ähnlich Gilliéron a.a.O. S. 969. 39 Vgl. bereits Dietz, Cultural Diversity and Copyright, in: Mélanges Victor Nabhan, Cowansville (Québec), 2004, S. I l l ff., S. 118 ff. 40 Siehe die - freilich aus kritischer Sicht - erwähnten Beispiele bei Bartels a.a.O. (oben Fn. 25), S. 333 ff.; vgl. auch Dietz, Legal Regulation of Collective Management of Copyright (Collecting Societies Law) in Western and Eastern Europe, Journal of the Copyright Society of the USA Vol. 49 No. 4 (Summer 2002), S. 897 ff., S. 912 ff. sowie, speziell für die private Überspielungsvergütung, Dillenz, a.a.O. (oben Fn. 29) S. 906 ff., und, speziell für das public lending right, von Lewinski (oben Fn. 31). 41 Vgl. insbes. Dillenz a.a.O.; Dietz a.a.O. (oben Fn. 40).
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werden 42 . Um Unsicherheiten bezüglich ihrer Zulässigkeit zu beseitigen, wäre daher eine entsprechende Klärung im internationalen Konventionsrecht, möglicherweise bereits im Zusammenhang mit dem geplanten Folkloreschutz zu erwägen, und zwar durchaus unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Förderung der kulturellen Vielfalt auch mit Mitteln des Urheberrechts.
VII. Die widersprüchliche Haltung der EU-Kommission zur kulturellen Vielfalt 1. Ein fulminanter Start... Abgesehen von den eingangs geschilderten bedeutsamen rechtspolitischen Feststellungen und Festlegungen des EU-Richtliniengesetzgebers bezüglich der Zusammenhänge von Kreativitätsförderung, Kultur und Urheberrecht kann die grundsätzlich positiv gestimmte Haltung europäischer Instanzen zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt im Sinne des UNESCO-Übereinkommens auch in einer Reihe weiterer EU-Dokumente nachgewiesen werden. Dies gilt in besonderer Weise etwa für die Begründung des seinerzeitigen Kommissionsvorschlags 43 für einen Beschluss des Rates zur Annahme eben dieses UNESCO-Übereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft selber. Dort wird zunächst, vielleicht in etwas treuherziger Weise, die den Realitäten des gesetzgeberischen Alltags nicht immer entsprechen mag, hervorgehoben, die Europäische Union erkenne schon lange an, dass kulturelle Güter und Dienstleistungen sowohl eine kulturelle als auch eine wirtschaftliche Seite haben; auch sehe der EG-Vertrag vor, dass die Gemeinschaft in ihrer gesamten Tätigkeit kulturellen Aspekten Rechnung trägt (Artikel 151 Abs. 4). Auf internationaler Ebene gebe es jedoch kein rechtsverbindliches Instrument, mit dem der besondere Charakter der kulturellen Ausdrucksformen anerkannt wird. Unter erneutem Hinweis auf den Einklang des neuen UNESCO-Übereinkommens mit Artikel 151 Abs. 4 EG-Vertrag wird bezeichnenderweise unter den insoweit kohärenten Zielen aus anderen Politikbereichen auch die 42
Vgl. Lerche a. a. O. (oben Fn. 25) S. 95 und 114 ff. sowie die beiden grundsätzlich kritischen Beiträge von Bartels a. a. O. (oben Fn. 25) S. 325 ff. und Hauptmann (oben Fn. 25) S. 67 ff. 43 Siehe Vorschlag für einen Beschluss des Rates zum Abschluss des UNESCOÜbereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, KOM(2(X)5) 678 endg. vom 21.12.2005; siehe nunmehr Beschluss des Rates vom 18. Mai 2006 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2006/515/EG), ABl. EU Nr. L. 201 v. 25.7.2006, S. 15 = GRUR Int. 227, 35.
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Vollendung des Binnenmarkts, „insbesondere hinsichtlich des geistigen Eigentum" genannt. Das ist ein gewichtiges Postulat, dessen Einlösung, wie wir sogleich sehen werden, gerade auf dem Gebiet der Regulierung des Rechts der Verwertungsgesellschaften noch vollständig aussteht, ja geradezu konterkariert wurde. Die Kommission und der europäische Gesetzgeber insgesamt sollten nämlich die Grundsätze selbst beherzigen, die in der erwähnten Begründung des Kommissionsvorschlags 44 wie folgt zusammengefasst werden: die uneingeschränkte Mitwirkung der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten 45 an der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens solle insbesondere dazu beitragen, - eine neue Säule der globalen Governance zu etablieren, die den Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt zum Gegenstand hat, - den besonderen und doppelten Charakter (kultureller und wirtschaftlicher Aspekt) kultureller Güter und Dienstleistungen hervorzuheben, - die Rolle und die Berechtigung politischer Strategien zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt anzuerkennen, - die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit anzuerkennen und diese Zusammenarbeit zu fördern, um Situationen - insbesondere in Entwicklungsländern - zu bewältigen, in denen die kulturelle Vielfalt gefährdet ist, - eine angemessene Abstimmung mit den übrigen internationalen Instrumenten zu erreichen, um die wirksame Umsetzung des Übereinkommens zu gewährleisten. Diese erstaunlich positive Einschätzung der EU-Kommission wurde vom Ratifizierungsbeschluss des Rates 46 deutlich bekräftigt, wenn es in Erwägungsgrund 3 heißt, das UNESCO-Übereinkommen sei ein relevantes, wirksames Instrument für die Förderung der kulturellen Vielfalt und des kulturellen Austauschs, denen sowohl die Gemeinschaft, wie dies in Artikel 151 Abs. 4 des EG-Vertrags zum Ausdruck kommt, als auch ihre Mitgliedstaaten größte Bedeutung beimessen. Auch in dem Ratsbeschluss kommt der Zusammenhang mit dem Urheberrecht im Übrigen deutlich wenn auch indirekt zum Ausdruck, wenn in Anhang l b des Beschlusses47, der die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten betrifft, bezeichnender44
A.a.O. S. 3. Wegen der inzwischen ebenfalls erfolgten Ratifizierung des Übereinkommens durch Deutschland vgl. bereits oben Fn. 4 ff. 46 Beschluss des Rates vom 18. Mai 2006 a.a.O. (oben Fn. 43). 45
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weise auch die Harmonisierungsrichtlinien zum Urheberrecht (konsequenterweise mit Ausnahme der Computerprogramm-Richtlinie und der Datenbank-Richtlinie) sowie darüber hinaus auch die Durchsetzungsrichtlinie (Richtlinie zur Durchsetzung der Rechts des geistigen Eigentums) und die Fernsehrichtlinie aufgelistet werden. Es liegt ebenfalls auf dieser Linie, dass die so heiß umkämpfte, in der vom Parlament wesentlich „entschärften" Fassung letztlich doch angenommene Dienstleistungsrichtlinie 48 bereits in ihrem ersten, dem Regelungsgegenstand gewidmeten Artikel, und zwar in dessen Absatz 4 4 9 , festlegt, dass diese Richtlinie nicht die Maßnahmen berührt, die auf gemeinschaftlicher oder nationaler Ebene unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts ergriffen werden, um die kulturelle oder sprachliche Vielfalt oder den Pluralismus der Medien zu schützen oder zu fördern. Der den Anwendungsbereich der Richtlinie regelnde Artikel 2 5 0 ergänzt gemäß Buchst, g) die allgemeine Abgrenzung dahin, dass die Richtlinie u.a. auf audiovisuelle Dienste, auch im Kino- und Filmbereich, ungeachtet der Art ihrer Herstellung, Verbreitung und Ausstrahlung, und auch auf den Rundfunk keine Anwendung findet. Wie gleich zu zeigen ist, wäre es mehr als sinnvoll gewesen, hier auch die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften mit ihrer - gerade in kleineren Ländern höchst bedeutsamen - kulturellen Rolle vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Schließlich lässt auch die aus jüngster Zeit stammende Mitteilung der Kommission „über die europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung" 51 in diesem Zusammenhang aufhorchen. Die kulturelle Vielfalt und der interkulturelle Dialog seien weltweit zu einer großen Herausforderung geworden, so heißt es, und ein wesentlicher Schritt in diesem Zusammenhang sei das Inkrafttreten des UNESCO-Übereinkommens, zu dem die EU einen wichtigen Beitrag geleistet habe. Dabei wird auch hier wiederholt auf den „Kulturartikel" (Artikel 151) des EG-Vertrags hingewiesen. Bei Ge47
Dieser dem Anhang lb des Kommissions Vorschlags entsprechende Anhang beruht auf Art. 2 Abs. 2 des Beschlusses, der wiederum auf die gemäß Art. 27 Abs. 3 Buchst, c des UNESCO-Übereinkommens der Beitrittsurkunde beizufügende Erklärung über die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten verweist. 48
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rats über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 12.12.2006, ABl. EU Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36, vgl. die einschlägigen Berichte in AfP 2006, 128 ff. und von Lengauer in EuZ 2007, 2 ff. 49 Siehe auch den einschlägigen Erwägungsgrund 11 der Richtlinie. 50 Siehe auch den einschlägigen Erwägungsgrund 24. 51 Mitteilung der Kommission über die europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung vom 10.5.2007, a.a.O. (oben Fn. 16).
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meinschaftsmaßnahmen nach Abs. 4 dieses Artikels gelte es, das richtige Gleichgewicht zwischen verschiedenen legitimen Zielen der öffentlichen Politik, wie etwa die Förderung der kulturellen Vielfalt, zu finden. Und um alle Zweifel zu beseitigen, wird im Anschluss an diese Feststellung erneut auf den engen Zusammenhang zwischen der Förderung von Kultur und Kreativität und den urheberrechtlichen Vorschriften der EU hingewiesen. Diese Vorschriften schützten die Rechte von Autoren, Produzenten und Künstlern, damit diese einen angemessenen Ausgleich für ihr Schaffen erhalten können, und ermöglichten eine weite Verbreitung von geschützten Arbeiten und Tonaufzeichnungen, wodurch mehr Bürger Zugang zum reichen und vielfältigen europäischen Kulturerbe erhielten. Begreift man alle diese eben dargestellten Feststellungen, Festlegungen und Selbstverpflichtungen der europäischen Instanzen, die die kulturelle Vielfalt in all ihren Dimensionen, insbesondere auch in ihrer Verbindung mit dem Urheberrecht und der Kreativitätsförderung ansprechen und hervorheben, als Mosaiksteine eines sich allmählich herausbildenden Gesamtbildes, dann dürfte einem um die Zukunft eines europäisch zu regelnden Urheberrechts oder doch eines Teilausschnitts davon, etwa des Rechts der Verwertungsgesellschaften, eigentlich nicht bange sein 52 , vorausgesetzt die linke Hand (der Kommission) weiß, was die rechte tut.
2. ... und eine erste Bruchlandung beim Recht der Verwertungsgesellschaften Erhebliche Zweifel an diesem sehr erfreulichen Gesamtbild entstehen freilich, wenn man die jüngere Entwicklung auf dem Gebiet des Urheberrechts betrachtet, die just das Recht der Verwertungsgesellschaften und ihre auch kulturellen Funktionen betrifft. Hier scheinen die betroffenen Dienststellen der Kommission die hehren Festlegungen zur kulturellen Vielfalt und zum Zusammenhang mit dem Urheberrecht schlicht nicht zur Kenntnis zu nehmen oder gar bewusst zu ignorieren, und das trotz entsprechender deutlicher Ermahnungen durch das Europäische Parlament. In der Tat zeichnete sich bei den Bestrebungen der EU-Kommission (konkret der für Urheberrecht zuständigen Abteilung im Rahmen der Generaldirektion Binnenmarkt) zur Regelung des Rechts der Verwertungsgesellschaften von Anfang an ein eigenartiges Tauziehen zwischen Parlament und Kommission ab. Zunächst hatte das EU-Parlament bereits am 15. Januar 2004 wohl in Kenntnis der Dinge, die da kommen sollten, einstimmig eine Entschließung zu einem Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesell52
Im selben Sinn Gillieron a.a.O. (oben Fn. 24) S. 969.
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Schäften 53 angenommen, die eine ziemlich ausgewogene Darstellung und Traktandenliste für eine mögliche und vom Parlament gewünschte Regelung des Rechts der Verwertungsgesellschaften enthielt 54 . In unserem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass die Kommission gemäß Nr. 26 dieser Entschließung aufgefordert wird, bei der Prüfung der Frage der Verwertungsgesellschaften die kulturelle Dimension der Verwertung von Rechten entsprechend zu berücksichtigen, was sodann näher begründet wird. Es muss als merkwürdig, ja eigentlich als skandalös bezeichnet werden 55 , dass die Kommission in ihrer drei Monate später(!) am 16. April 2004 veröffentlichten Mitteilung 5 6 über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt mit keinem Wort auf diese Forderung eingeht, schon deswegen, weil sie die Entschließung des Parlaments überhaupt nicht - nicht einmal in einer Fußnote - erwähnt. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Das in der Mitteilung der Kommission noch ins Auge gefasste Vorhaben einer vorsichtigen allgemeinen Regelung (Harmonisierung) des Rechts der Verwertungsgesellschaften 57 wurde im weiteren Verlauf zumindest vorläufig wieder fallen gelassen, weil man eine spezielle Lösung für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung im Bereich der Online-Musikdienste für dringlicher hielt. Wohl auch, um sich den mühsamen Weg des Richtlinienverfahrens zu ersparen, griff die Kommission hier auf die Möglichkeit einer unverbindlichen Empfehlung 58 gemäß Art. 211 EG-Vertrag zurück. Die Zielsetzung dieser Empfehlung 59 wird u. a. im Erwägungsgrund 8 verdeutlicht: Im Zeit53
Entschließung des Europäischen Parlaments zu einem Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte (2002/2274 (INI)), ABl. EU Nr. C 92 E v. 16.4.2004, S. 425. 54 Vgl. des Näheren Dietz, European Parliament Versus Commission: How to Deal with Collecting Societies?, HC 2004, S. 809 ff. 55 Vgl. bereits die Kritik bei Dietz a.a.O. S. 814. 56 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt", KOM(2004) 261 endgültig, vom 16.4.2004. 57 Vgl. Mitteilung a.a.O. S. 23: „Um die in dieser Mitteilung dargestellten Ziele zu erreichen, beabsichtigt die Kommission ein Rechtsinstrument vorzuschlagen, das bestimmte Aspekte der kollektiven Wahrnehmung und die redliche Verwaltung von Verwertungsgesellschaften regelt." 58 Vgl. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden (2005/737/EG), ABl. EU Nr. L 276 vom 21.10.2005, S. 54, mit Berichtigung des Datums, ABl. EU L 282 vom 27.10.2005, S. 10; deutscher Text auch in GRUR Int. 2006, 220, mit Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum a. a. O. S. 222 ff.
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alter der Online-Nutzung von Musikwerken brauchen gewerbliche Nutzer ein multiterritorial ausgerichtetes Lizenzierungssystem, das der Grenzenlosigkeit der Onlinewelt gerecht wird. Obwohl hier nicht der Ort für eine eingehende und notwendigerweise kritische Analyse 60 dieser Empfehlung ist, soll doch hervorgehoben werden, dass sie sich sichtbar bereits jetzt dahin auswirkt, dass das von den eingangs erwähnten global playern angebotene internationale, vorwiegend also angloamerikanische Musikrepertoire zulasten des kleinteiligen, kulturell vielfältigen, oft von wenig marktstarken nationalen Verwertungsgesellschaften kleinerer Länder vertretene Repertoire erheblich begünstigt wird, die kulturelle Vielfalt also geradezu zurückgedrängt wird. In der Stellungnahme des Max-Planck-Instituts wird diese Kritik folgendermaßen ausgedrückt: „Die Kommissionsempfehlung begünstigt mit ihrer ausschließlichen Orientierung an der Marktrationalität ausschließlich jene Musik, die heute für die grenzüberschreitende Verwertung hohe Einkünfte verspricht. ... Beschränkt wird sowohl die Kreativität als auch die für Europa besonders wichtige kulturelle Vielfalt von Musik im Online-Bereich. Die Empfehlung untergräbt damit geradezu zentralste Zielsetzungen des Urheberrechts ...". Es ist daher nicht sonderlich überraschend, dass sich das EU-Parlament, das sich in einer so wichtigen Angelegenheit übergangen fühlte, in einer geharnischten zweiten Entschließung 61 zu Wort gemeldet hat. Zum einen wird die - gelinde gesagt undemokratische - Vorgehensweise der Kommission gerügt; die Tatsache, dass die Kommission es unterlassen hat, das Parlament förmlich zu beteiligen, insbesondere mit Blick auf dessen Entschließung vom 15. Januar 2004 6 2 , könne nicht hingenommen werden, da die Empfehlung über die bloße Auslegung und Ergänzung bestehender Vorschriften eindeutig hinausgehe. 59
Vgl. des Näheren Drexl, Auf dem Weg zu einer neuen europäischen Marktordnung der kollektiven Wahrnehmung von Online-Rechten der Musik? - Kritische Würdigung der Kommissionsempfehlung vom 18. Oktober 2005, in: Riesenhuber (Hg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, Berlin 2006, S. 193 ff.; sowie die Stellungnahme des Max-Planck-Instituts a.a.O.; vgl. auch M. M. Schmidt, Die kollektive Verwertung der Online-Musikrechte im Europäischen Binnenmarkt, ZUM 2005, 783 ff. 60 Vgl. insbesondere Drexl a.a.O. 61 Entschließung des Europäischen Parlaments zur Empfehlung der Kommission vom 18. Mai 2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, für die legale Online-Musikdienste benötigt werden (2005/737/EG) (2006/2008(INI)) (Berichterstatterin: Katalin Levai), angenommen am 13. März 2007; ABl. EU Nr. C 301 E vom 13.12.2007, S. 64. 62 Vgl. oben Text bei Fn. 53.
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Auch in der Sache selbst greift das EU-Parlament auf seine ursprünglichen Überlegungen in der Entschließung vom 15. Januar 2004 zurück und betont an zahlreichen Stellen die Relevanz der Verwertungsgesellschaften für die kulturelle Vielfalt in Europa. So heißt es etwa in Buchstaben E und F der Entschließung, dass Musik keine Ware sei, dass die Verwertungsgesellschaften größtenteils nichtkommerzielle Organisationen seien, und dass den Interessen der Rechteinhaber oder der Förderung der kulturellen Vielfalt und Kreativität u.U. nicht damit gedient sei, dass ein System eingeführt wird, das auf uneingeschränktem Wettbewerb beruht; des weiteren dass nationale Verwertungsgesellschaften weiterhin eine wichtige Rolle bei der Unterstützung zur Förderung von neuen Rechteinhabern und Minderheitenrechteinhabern, kultureller Vielfalt , Kreativität und lokalen Repertoires spielen sollten. Es liegt auf der Hand, dass derartige Prärogativen zu einem ganz anderen Regelungsmodell für Verwertungsgesellschaften im EU-Raum führen müssen, als es die EU-Kommision in ihrer erwähnten Empfehlung angedacht hat, selbst wenn es sich um länderübergreifende Online-Musiknutzung handelt. Es kann daher nur nachdrücklich gefordert werden, dass sich die EUKommission die in anderen Zusammenhängen von ihr selbst mit Verve geforderte Berücksichtigung des Anliegens der kulturellen Vielfalt in Zukunft mehr als bisher auch bei ihren Urheberrechtsaktivitäten zu Herzen nimmt. Alles in allem ist der Einbruch der kulturellen Vielfalt ins Urheberrecht jedenfalls unverkennbar, doch wird er auch nachhaltig sein? Was werden der europäische und die nationalen Urheberrechtsgesetzgeber schließlich daraus machen? Werden sie die einerseits notwendige und heilsame, andererseits systemsprengende Wirkung dieser Entwicklung aufgreifen oder müssen sie unter dem Druck übermächtiger Verwerterinteressen wie gelähmt einer zunehmenden Legitimationskrise des Urheberrechts entgegensehen?
Der Code civil in der napoleonischen Ikonographie* Von Barbara Dölemeyer Napoleon war bekanntlich ein Meister der politischen Inszenierung und bediente sich in umfassender Weise aller Medien zur Demonstration von politischen Ansprüchen und zum Aufbau seines Mythos als Herrschaftsinstrument, 1 wobei das Bild des Genies dazu beitrug, das autokratische Element vom feudalen ins bürgerliche Zeitalter zu übertragen. 2 Unter den Medien nahm die bildende Kunst eine wichtige Stellung ein; Napoleon nutzte die Bildpropaganda zur Erreichung dieser Ziele, sei es im Bereich der Historienmalerei, 3 sei es in der Plastik, sei es auch im Bereich der Medaillenkunst. 4 Der wichtigste Berater und Helfer in dieser napoleonischen Selbstinszenierung war der Archäologe und Historiker Vivant Denon, seit 1802 Directeur-Général du Musée Central des Arts , der auch das große Medaillenprogramm, die Histoire métallique der Taten Napoleons konzipierte. Während - vor allem in der Malerei - bis etwa 1804/1805 die Darstellung der fastes militaires (der siegreichen Schlachten) dominierte, diente die Kunstproduktion danach stärker der „Entmilitarisierung" des Napoleonbildes, und der Akzent verlagerte sich auch auf die fastes civils (die „fried* Für Elmar Wadle, dem deutsch-französische Rechtshistorie immer ein Anliegen war und ist. Vgl. nur „Französisches Recht in Deutschland. Acht Beiträge zur Geschichte des 19. Jahrhunderts", Köln u.a. 2002; jüngst etwa „Rezeption durch Anpassung: Der Code Civil und das Badische Landrecht - Erinnerung an eine Erfolgsgeschichte", in: ZEuP 2004. 1 Allgemein vgl. François Monnier, Art. Propagande, in: Jean Tulard (Hg.), Dictionnaire Napoléon, 2. Aufl. Paris 1999, II, S. 586-592; Jean Tulard, Légende Napoléonienne, ebenda II, S. 175-176; Werner Telesko, Napoleon Bonaparte. Der „moderne Held" und die bildende Kunst 1799-1815, hg. von der Österreichischen Galerie Belvedere, Wien 1998. 2 Rainer Schoch, Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 23), München 1975, S. 49-88, hier S. 49 f. 3 Etwa durch Instrumentalisierung williger Künstler, wie Antoine-Jean Gros; vgl. neuestens David O'Brien, „After the Revolution". Antoine-Jean Gros. Painting and Propaganda under Napoleon, The Pennsylvania State University Press, Pennsylvania
2006.
4 Die „Histoire métallique" Napoleons, ein spezielles Feld seiner Ikonographie, wurde jüngst in einem prächtigen Bildband „Napoleons Medaillen" vorgestellt: Lisa Zeitz/Joachim Zeitz, Napoleons Medaillen („Die einzigen Zeugnisse des Ruhms, die alle Jahrhunderte überdauern"), Petersberg 2003.
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liehen" Erfolge) des Empereurs. François Monnier betont, dass in der napoleonischen Propaganda zwei Bilder - die des Mannes und die des von ihm geprägten Staats bzw. Regimes - wenngleich eng miteinander verbunden, doch zu unterscheiden sind, die auch unterschiedlich lange gepflegt wurden und überlebt haben.5 Festzustellen ist, dass gerade bei der Verwendung des Attributs „Code civil" diese beiden Bilder häufig ineinander fließen und dass das Gesetzbuch einen großen Anteil am - auch nach 1821 fortdauernden - mythe napoléonien hat. Hier soll die Verabschiedung des Code civil als ein wichtiges Element der fastes civils Napoleons zum einen in zeitgenössischen Beispielen der Selbststilierung des Herrschers, zum anderen in späteren Bilddarstellungen, die der légende napoléonienne dienten, betrachtet werden. 6 Als „Code civil des Français" trat das Gesetzbuch 1804 in Kraft; durch Dekret vom 3. September 1807 erhielt es den Namen „Code Napoléon", welcher nach Napoleons Niederlage 1814 sogleich wieder durch „Code civil" ersetzt wurde. Den politischen Gegebenheiten folgend, wurde es unter dem Second Empire von 1852 bis 1870 - erneut „Code Napoléon" genannt, nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs gilt es bis heute wieder als „Code civil" - ohne dass eine förmliche Änderung der Bezeichnung stattgefunden hätte.7
I. Selbstinszenierung und Propaganda Bei der Verabschiedung des Code civil beschloss die Kammer, zur Erinnerung eine Statue Napoleons als Législateur im Sitzungssaal des Corps législatif aufzustellen. Antoine-Denis Chaudet schuf die erste ganzfigurige Marmorstatue des Kaisers, die am 13. Januar 1805 eingeweiht wurde und die zum Vorbild für unzählige offizielle Napoleonbüsten wurde. Während der feierlichen Enthüllung dieser Statue durch die Marschälle Murat und Masséna ertönten die Rufe „ Vive V Empereur". Diese Statue ist auf der Vorderseite der Medaille zu sehen, die die Verabschiedung des Code civil feiert. 8 Medaillen wurden zu einem wichtigen Propagandainstrument Napoleons, wobei er an die Tradition der Histoire Métallique der Monarchie Louis X I V . und seiner Nachfolger anknüpfen konnte. Dabei nutzte er dieses Me5
Monnier, Propagande (Anm. 1), S. 587. Rémy Cabrillac , Le symbolisme des codes, in: Mélanges F. Terré, Paris 1999, S. 211-220, hier S. 213 f.: „codicolâtrie" napoléonienne. 7 Vgl. Valérie Lasserre-Kiesow, Les éditions du Code civil, in: Le Code civil. 1804-2004. Un passé - un présent - un avenir, Paris 2004, S. 135-154; Murad Ferid/Hans Jürgen Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, 2. Aufl., 1/1, Heidelberg 1994, S. 94. 8 Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4). 6
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Vs.: Napoleons Statue mit Toga und Kranz, in der rechten Hand eine Schriftrolle (das Gesetzbuch); Umschrift: NAPOLEON EMPEREUR; Signaturen des Künstlers Brenet F[ecit] und des Direktors Denon D[irexit] Rs.: Pallas Athene mit Schriftrolle; Umschrift: EN L'AN XII. LE CODE CIVIL EST DÉCRÉTÉ; Sign, des Künstlers Brenet (F) und des Direktors Denon (D)
Abbildung 1: Nicolas Guy Antoine Brenet (1773-1846), Medaille auf den Code civil, 1804 9
dium umfassend und „flächendeckend": „Ich wünsche, dass auf alle glorreichen oder glücklichen Ereignisse aus der Vergangenheit und der Zukunft der Republik Medaillen geprägt werden, und zwar nach dem Vorbild der Griechen und Römer." Vivant Denon, den Napoleon zum obersten Museumsleiter und zum Direktor der Monnaie des Médailles gemacht hatte, wurde zum Propagator seines Ruhms durch die Gestaltung dieser Prägungen. 10 Die Medaillen wurden z.T. zeitgleich zu den Ereignissen, z.T. retrospektiv geschaffen. In seinem Bericht an Napoleon vom 11. November 1810 über den Pariser Salon formulierte Denon seine Intentionen so: die Medaillen seien „les seuls témoignages de gloire qui survivent à tous les siècles". 11 Die Vorderseite zeigt die von Antoine-Denis Chaudet geschaffene antikisierende Marmorstatue Napoleons, die in der rechten Hand eine Schriftrolle hält, welche den Code symbolisiert. Die Figur auf der Rückseite stellt als Pendant die Statue der Pallas Athene ebenfalls mit einer Schriftrolle in der Hand dar. Diese antike Pallas-Statue war 1798 in Velletri nahe Rom gefun9
Abb.: Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 100 f. Jean-Marie Darnis, Die Medaille, Kunst und Propaganda im Dienst Napoleons, in: Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 15-17. 11 Lisa Zeitz, Zeugen des Ruhms - Napoleons Medaillengeschichte, ebenda, S. 18, Anm. 13. 10
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[Vs.: Portraitkopf Napoleons; Umschrift NAPOLEON EMPEREUR; Büste mit Lorbeerkranz nach rechts; Signatur DENON D(irexit); ANDRIEU F(ecit)] Rs.: Louis Jaley, Krone mit einer Reihe von Engeln und Heiligen; darunter in kleiner Schrift: AGILVLFVS. GRATIA. DEI GLORIOSVS REX; im Abschnitt: COURONNÉ A MILAN/LE XXIII MAI MDCCCV; darunter DENON D(irexi) T JALEY F(eci)T
Abbildung 2: Louis Jaley (1763-1838), Medaille auf die Krönung Napoleons in Mailand 1805 12
den und auf Napoleons Geheiß 1803 nach Paris gebracht worden. Sie wurde im Laokoonsaal des Musée Napoléon aufgestellt, dessen Einrichtung 1804 Gegenstand einer Medaillenprägung durch Bertrand Andrieu wurde. 13 Bereits die Friedensschlüsse, die Eroberungen Napoleons besiegelten, welche die Eingliederung großer Teile Europas in das Empire, die Ausbreitung des französischen Rechts, vor allem die Einführung des Code civil in diesen Gebieten zur Folge hatten, waren Gegenstand von Medaillenprägungen geworden, darunter der Frieden von Campoformio 1797 und der Frieden von Lunéville 1801. Für Letzteren existieren zwei unterschiedliche Exemplare, eines davon mit der programmatischen Umschrift: BONHEUR A U CONTINENT. 1 4 Weitere Medaillen erinnern an Ereignisse, die im Zusammenhang der europaweiten Ausbreitung des Code civil stehen, der nach dem Willen des Kaisers zum Droit commun de VEurope werden sollte. 15 12
Abb.: Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 118 f. Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 90 f. 14 Vgl. Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 44-47; S. 68-71. 15 Vgl. Barbara Dölemeyer, „Wohin Napoleons Gesetzbuch kommt, da entsteht eine neue Zeit, eine neue Welt, ein neuer Staat" - Nachwort und Bibliographie zu: Napoleons Gesetzbuch/Code Napoléon. Faksimile-Nachdruck der Original-Ausgabe von 1808, Frankfurt am Main 2001, S. 1056-1107. 13
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Die Krönung Napoleons in Mailand zum Roi d'Italie 1805 mit der alten eisernen Krone von Monza hatte nicht nur symbolische Bedeutung wie viele der großartigen Inszenierungen napoleonischer Propaganda, sondern ist auch im Zusammenhang der Einführung des Code civil in großen Teilen Italiens zu sehen. Ab 1805/06 erschienen zahlreiche italienische Übersetzungen und Ausgaben des Code civil, und zwar sowohl private wie offizielle. Die wichtigste amtliche Ausgabe wurde 1805 anläßlich der Einführung des Code ins Regno d'Italia von einer Mailänder Kommission erarbeitet und erschien 1806 als französischer Text mit italienischer und lateinischer Übersetzung. 16 Sie diente als Vorbild für die meisten späteren Ausgaben und wurde 1809 in Neapel als amtliche italienische Fassung übernommen. Johann Anton Ludwig Seidensticker meinte, der Code Napoléon habe in Italien sein zweites Vaterland gefunden: „Es ist ja zum Theil, möchte man sagen, fast nichts als eigenes Fett, womit das italienische Land bey dieser Gelegenheit beträufelt wird; und in Frankreich selbst gefällt man sich in dem Gedanken, man habe in dem C.N. ein längst erborgtes Capital mit reichen Zinsen an Italien zurückgegeben." 17 Eine Medaille, die - im Zusammenhang der Reichsauflösung, der Gründung des Rheinbundes 1806 und der Schaffung weiterer von Napoleon abhängiger „souveräner" Staaten - auch auf die Intentionen Napoleons in Bezug auf die Einführung des Code civil hinweist, ist das Stück „Souverainetés données Vor einem leeren Thronsessel steht ein antiker Tragetisch, darauf mehrere Kronen und Szepter, auf dem Boden weitere Kronen, oben schwebt ein Adler mit Fascesbündel: Die Kronen spielen auf die Herrscher an, die ihre Titelerhöhung Napoleon bzw. ihrem Beitritt zum Rheinbund verdanken: Ganz rechts sieht man die toskanische Krone, die das Königreich Etrurien (1801) symbolisiert; die umgedrehten Kronen und daneben die Dogenmütze auf dem Boden verweisen auf die Auflösung des Königreichs Sardinien 1802 und die Besetzung Hannovers 1803 sowie die Aufhebung der Dogenherrschaft 1797. Vivant Denon erläuterte die Darstellung so: „Die Medaille erinnert an die Schaffung der Königreiche Toscana, Bayern, Württemberg und Neapel, an das Großherzogtum Baden, die Grafschaften Piombino, Cleve, Neuchâtel etc." [...]. „ I m Feld hält ein Adler [...] in seinen Fängen das Faszienbündel mit dem Szepter Karls des Großen, Emblem der Liga von Fürsten unter dem Schutz des französischen 16 Codice di Napoleone i l Grande pel Regno d'Italia. Edizione originale e la sola ufficiale, Milano [Stamperia Reale] 1806. 17 Johann Anton Ludwig Seidensticker, Einleitung in den Codex Napoleon, Tübingen 1808, Nachdruck Glashütten 1972, S. 455.
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[Vs.: Portraitkopf Napoleons; Umschrift NAPOLEON EMP(ereur) ET ROI; Büste mit Lorbeerkranz nach rechts; Signatur ANDRIEU F(ecit)] Rs.: Vor einem leerstehenden Thronsessel ein antiker Tragetisch, darauf mehrere Kronen und Szepter, auf dem Boden weitere Kronen, oben schwebt ein Adler mit Fascesbündel; darunter: SOUVERAINETÉS DONNÉES, MDCCCVI; Signatur ANDRIEU F(ecit), DENON D(irexit)
Abbildung 3: Medaille auf die Einsetzung der Herrscher der französischen Satellitenstaaten durch Napoleon, 1806 18
Szepters." 19 Auf dem Thron sind ein Mantel und das Szepter Karls V. zu sehen, das seinerseits Karl den Großen abbildet. Die Attribute großer Herrscher, deren Nachfolge Napoleon reklamiert, werden also in doppelter historischer Perspektive zu seiner Legitimation herangezogen. Wenngleich die Medaille auf den Code civil als nur eine in der Reihe von 141 figuriert, die das umfassende Medaillenprogramm Denons bilden, gibt es eine Reihe von anderen Bildzeugnissen, in denen an prominenter Stelle oder unterschwellig auf das Gesetzbuch hingewiesen wird, welches Napoleon als eine herausragende Leistung gewertet und als „ é t e r n e l a l s „fortdauernd" bezeichnet hat. Jedenfalls ist der Code auch in der numismatischen „Ewigkeit", als Zeugnis des Ruhms, das alle Jahrhunderte überdauert, festgehalten worden. In mehreren bildlichen Darstellungen des Kaisers taucht sein Gesetzbuch auf - teils versteckt, teils vordergründig auf die Wichtigkeit hinweisend, die ihm sein „Schöpfer" beimaß. 18
Abb.: Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 148 f. Zeitz/Zeitz, Napoleons Medaillen (Anm. 4), S. 148 [übersetzt nach Marie-Anne Dupuy /Isabelle le Masne de Chermont u. a. (Hg.), Vivant Denon, Directeur des musées sous le Consulat et l'Empire. Correspondance 1802-1815, 1999, A N 56]. 19
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Abbildung 4: Jacques Louis David (1748-1825), Napoléon dans son cabinet des Tuileries (Napoleon in seinem Arbeitskabinett in den Tuilerien) 1812 20
Das Gemälde von Jacques Louis David, den Napoleon am 18. Dezember 1804 zum kaiserlichen Hofmaler ( Premier Peintre de VEmpereur ) ernannt hatte, zeigt den Herrscher, der sich 1812 auf dem Höhepunkt seiner Macht befand, in seinem Arbeitskabinett. Die Darstellung des Kaisers in Uniform nimmt - vor allem in Bezug auf seine Haltung, die Ausstattung des Raums und die Requisiten als Zeichen seiner Tätigkeit - ganzfigurige Portraits des Ersten Konsuls aus den Jahren 1802-1804 auf, die als Auftragsarbeiten von diversen Malern (Gros, Meynier, Lefevre etc.) geschaffen worden waren, um einen verbindlichen Typus zu formieren. Meist weist in dieser Portraitserie Napoleon auf wichtige Schriftstücke hin, die seine Taten re20
Abb.: Kopie nach einem Gemälde von Jacques Louis David, Öl auf Kupfer, 1. Hälfte 19. Jahrhundert, 40 x 22 cm; Privatbesitz; aus Katalog „Napoleon und Nassau", hg. von Georg Schmidt-von Rhein , Ramstein [Paque] 2006, Nr. 142, S. 294; vgl. Schock , Herrscherbild (Anm. 2), S. 61 f.
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präsentieren, seien es Friedensverträge (u.a. Campo Formio, Lunéville, Marengo, Amiens) wie auf dem Bild Jean-Antoine Gros' „Napoleon als Erster Konsul", 2 1 sei es ein Dokument, das den Wiederaufbau eines zerstörten Stadtteils in Lüttich - als Ausdruck der dementia des Tugendherrschers - garantiert, 22 sei es eben hier das Zivilgesetzbuch. Die Erinnerung an einen bestimmten „Typus des aufgeklärt-absolutistischen Staatsporträts" 2 3 ist beabsichtigt. Man denke etwa an das Doppelporträt Pompeo Batonis von Kaiser Josef II. und Großherzog Leopold von Toskana in Rom, 1790, auf dem die Hand des Kaisers auf Montesquieus „De l'Esprit des Lois" weist. 2 4 Das Gemälde Davids wurde im Auftrag des Napoleon-Verehrers Alexander Marquis de Douglas (1767-1852) geschaffen. Es zeigt Napoleon im Begriff, sein Arbeitszimmer zu verlassen, dessen Wanduhr 4.13 Uhr morgens zeigt, was darauf hindeutet, dass er die ganze Nacht am Code civil gearbeitet habe (die Kerzen sind am Verlöschen) und damit zur Legende seiner außergewöhnlichen Arbeitskapazität beitragen soll. Auf der Rolle, die neben dem Schwert auf dem Tisch liegt, sind die Anfangsbuchstaben COD zu erkennen, dabei ein Federkiel und eine Landkarte. So wird auch eine scheinbar private Atmosphäre durch die Symbolik des unermüdlichen Schaffens für Frankreich „aufgeladen". Napoleon bemerkte zu David: „Vous m'avez deviné , mon cher David; la nuit je m'occupe du bonheur de mes sujets et le jour je travaille à leur gloire". 25 Auch als Teil der kaiserlichen Repräsentation darf der Hinweis auf das Gesetzbuch nicht fehlen. Auf einem anonymen Stich, der Napoleon im Prunkgewand zeigt und der in Haltung und Ausstattung das bekannte Gemälde Gérards zitiert, 2 6 stützt sich dieser auf ein Buch, das ebenfalls als Code civil zu erkennen ist. 21
Jean-Antoine Gros, Napoleon als Erster Konsul, 1802, Musée National de la Légion d'honneur, Paris. Kurz nach dem Frieden von Amiens, 25.3.1802. Die Hand weist auf eine Liste von Verträgen (u.a. Lunéville), die unter ihm als General und erster Konsul abgeschlossen wurden. Vgl. O'Brien, Gros (Anm. 3), S. 85; Albert Boime, Art in an Age of Bonapartism 1800-1815, Chicago/London 1990, S. 49. 22 Jean-Auguste-Dominique Ingres, Napoleon als Erster Konsul in gold und scharlachrotem Kostüm. Durch einen Spalt im Vorhang sieht man die Kathedrale von St. Lambert (Lüttich), Musée des Beaux-Arts, Lille; vgl. Timothy Wilson-Smith, Napoleon and his Artists, London 1996, S. 89 f.; Schoch, Herrscherbild (Anm. 2), S. 58 f. 23 Schock, Herrscherbild (Anm. 2), S. 57. 24 Kunsthistorisches Museum Wien; vgl. Faltblatt zur Ausstellung „Altes Reich und neues Recht. Von den Anfängen der bürgerlichen Freiheit", Reichskammergerichtsmuseum Wetzlar 15.9. bis 10.12.2006, Wetzlar 2006. 25 Zitiert bei Telesko, Napoleon (Anm. 1), S. 41. 26 François-Pascal-Simon Gérard (1770-1837), Napoleon I. im Krönungsornat, Paris 1805/1810; Öl auf Leinwand, Dresden Staatliche Kunstsammlungen, Gemälde-
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Abbildung 5: Anonymer Stich, Napoleon im Prunkgewand, in der rechten Hand den Code civil haltend (Anf. 19. Jh.) 2 7
Diese Darstellung Napoleons unter dem Thronbaldachin mit Adlerszepter trägt „priesterliche Züge". In die Haltung der ausgestreckten rechten Hand über dem Kreuz des Reichsapfels und der main de justice ist auch der Code Napoléon als Evangelium, als „heiliges Buch" einbezogen, als Teil der symbolischen Darstellung Napoleons, der am „Altar des Vaterlandes" seinen Eid leistet, stets zum Wohle der Nation zu wirken. 2 8
galerie (Abb. u.a. in: Katalog 1/1 Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Stuttgart 1987, S. 132). 27 Anonymer Stich, Anfang 19. Jh., 64 x 47,5 cm, Musée d'Unterlinden; Abb.: Norbert Gross, Der Code Napoléon in Baden und sein Verleger C.F. Müller, Heidelberg 1997, Umschlaginnenseite. 28
Schoch, Herrscherbild (Anm. 2), S. 64.
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Abbildung 6: Anne-Louis Girodet-Trioson, Napoleon im Krönungsornat, 1812 2 9
Auch in dem von Antoine-Jean Gros für die Kirche Sainte-Geneviève (Panthéon) in Paris 1812/13 geschaffenen Entwurf eines Kuppelgemäldes hat das Gesetzbuch einen Platz in der napoleonischen Mythologie gefunden. Das Gemälde sollte die Kontinuität der französischen Monarchie unter dem Aspekt der nationalen Geschichte evozieren, wobei Napoleons Kaiserreich als eine von vier großen Linien der französischen Monarchie dargestellt ist (selbstverständlich unter Übergehung der Bourbonen): Vier Figurengruppen repräsentieren: Chlodwig und Clotilde, Karl den Großen und Hildegard, den Hl. Ludwig und Margerite sowie Napoleon und Marie Luise mit dem „Aiglon". Putti halten ein Buch mit der Aufschrift CODE NAP in die Höhe. 29
Öl auf Leinwand, 270 x 195 cm; Montargis, Musée Girodet; Schock, Herrscherbild (Anm. 2), Abb. 49.
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Abbildung 7: Antoine-Jean Gros, Entwurf für das Kuppelgemälde des Panthéon, Paris, 1812/13 30
I I . Napoleonische Renaissance und Légende napoléonienne Einige Jahre nach dem Sturz Napoleons begann eine Phase der „napoleonischen Renaissance", noch verstärkt durch die Epoche des Zweiten Kaiserreichs unter Napoleon III. seit 1852. Das Gemälde des Historienmalers Jean-Baptiste Mauzaisse „Napoleon, den Code schreibend" entstand 1833, auf dem Höhepunkt dieser napoleo30 Öl auf Leinwand, Durchmesser 73 cm, Paris Musée Carnavalet; das Bild wurde erst 1824 und stark verändert fertiggestellt; vgl. Schock, Herrscherbild (Anm.
2), S. 85 f. und Abb. 79; O'Brien, Gros (Anm. 3), S. 176 und Abb. 103.
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Abbildung 8: Jean-Baptiste Mauzaisse (1784-1844), Napoléon den Code schreibend, 1833 31
nischen Renaissance. Die Apotheose Napoleons als Rechtsschöpfer, als Verfasser des Code civil/Code Napoléon zeigt diesen zwar in der Uniform seiner Zeit, weist aber mythologische antike Elemente auf: Das Gesetzbuch ist als Gesetzestafel dargestellt, der Verfasser wird vom griechischen Gott Chronos mit einem Lorbeerkranz gekrönt. Ein weiteres charakteristisches Beispiel für diese Tendenz ist die Kombination der Nachbildung der Totenmaske mit einem Buch, dessen Rückeninschrift „CODE N " dieses als das Zivilgesetzbuch ausweist. 31 Öl auf Leinwand, 1833, Château de Malmaison; vgl. Altes Reich und neues Recht. Von den Anfängen der bürgerlichen Freiheit, hg. von Georg Schmidt-von
Rhein und Albrecht Cordes,
Ausstellungskatalog Reichskammergerichtsmuseum
Wetzlar 15.9. bis 10.12.2006, Wetzlar 2006, S. 215, S. 300. Siehe auch Jean Carbonnier, Le Code civil, in: Pierre Nora (Hg.), Les Lieux de Mémoire II, Paris 1992, S. 293-315, Abb. 57.
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Abbildung 9: Unbekannter Künstler, Napoleons Totenmaske auf dem Code civil, nach 1828 32
Die Verbindung der Gipsmaske, welche Napoléons Leibarzt diesem auf dem Totenbett auf St. Helena 1821 abgenommen hatte, mit dem Zivilgesetzbuch weist nochmals und ganz eindringlich auf die in den Memoiren überlieferte Einschätzung Napoleons hin, der das Gesetzgebungswerk als vorbildhaft und große zivilisatorische Leistung sah: „ M a gloire n'est pas d'avoir gagné quarante batailles et d'avoir fait la loi aux rois [...] Waterloo effacera le souvenir de tant de victoires [...], mais ce que rien n'effacera et qui vivra éternellement , c 'est mon code civil. " 33 32
35 x 22 cm; Marmor; Worms, Schloß Herrnsheim; vgl. ebenda, S. 301. „Mein Ruhm beruht nicht auf den 40 gewonnenen Schlachten und darauf, daß ich den Königen, die es gewagt hatten, dem französischen Volk zu verbieten, seine Regierungsform zu ändern, meinen Willen diktiert habe. Waterloo wird die Erinnerung an diese Siege auswischen, so wie der letzte Akt alle vorangegangenen vergessen macht. Doch was nichts auslöschen kann, was ewig bleiben wird, das ist mein Code civil, das sind die Protokolle meines Staatsrates, meine gesamte Korrespon33
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Ein großes ikonographisches Zeugnis der Légende napoléonienne , das in dieser Traditionslinie zu sehen ist, ist die Darstellung der Promulgation des Code in der Reihe der „Fastes civils de Napoléon", über die Clausdieter Schott einen ausführlichen Beitrag veröffentlicht hat. 3 4 Sie steht in einer gewissen Parallele bzw. in der Fortführung der Herrscherpropaganda zu Lebzeiten: Napoleons Sarg war bekanntlich 1840 aus St. Helena nach Paris überführt und am 2. April 1861 unter der Kuppel des Invalidendoms beigesetzt worden. Der Invalidendom wurde zum „St. Denis der Familie Bonaparte", 35 hier wurden auch die Brüder Napoleons, Jérôme und Joseph, beigesetzt. An der umlaufenden Galerie wand befinden sich zwischen den 12 Viktorien-Statuen, die die 36 gewonnenen Schlachten symbolisieren, zehn Marmorreliefs (1853 fertiggestellt), welche die fastes civils de la vie de Napoléon verherrlichen, darunter die Gründung der Légion d'honneur , das Concordat von 1801 mit dem heiligen Stuhl, die Einrichtung der Cour des Comptes 1807 etc. Eines der Reliefs zeigt die Promulgation des Code: Napoleon ist dargestellt als antike Herrscherfigur auf dem Thron (ähnlich etwa der Figur aus der Apotheose Napoleons von Andrea Appiani von 1808); 36 sie wird flankiert von je zwei allegorischen Gestalten, einem kahlköpfigen, bärtigen Greis und einem lorbeerbekränzten Jüngling, die - an den Thron herantretend das alte und das neue Recht symbolisieren. Napoleons rechte Hand ruht auf einer niedergesunkenen Tafel mit der Aufschrift „Droit romain - Institutes de Justinien"; die linke deutet auf eine emporgehaltene Tafel: „Code Napoléon - Justice égale et intelligible pour tous"? 1 Eine deutlichere Gegenüberstellung, die auf Napoleon als den „neuen Justinian" verweist, ist kaum zu denken. Auf den unteren Stufen des Throns liegen einige Schriftrollen, die u.a. die Coutumes , die Lehrbücher Domats und Pothiers symbolisieren. An den Außenseiten sind zwei Frauengestalten zu sehen, deren linke ein Buch zerreißt, welches das Gewohnheitsrecht (Droit coutumier) beinhaltet. Unterhalb des Throns finden sich die programmatischen Worte Napoleons: „Mon denz mit meinen Ministern, kurz all das Gute, das ich als Administrator, als Erneuerer der großen Familie Frankreich geschaffen habe." Entretien du 26 septembre 1816, in: Claude-François Tristan de Montholon, Récits de la captivité de l'Empereur Napoléon à Sainte-Hélène I-II, Paris 1847, hier I, S. 401; Übersetzung Eckhard Maria Theewen, Napoléons Anteil am Code civil (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 2), Berlin 1991, S. 15. 34 Clausdieter Schott, Der Code Napoléon - Das Marmor-Monument, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 19, 2001, S. 27-48. 35 Jean Tulard, Invalides, in: ders., (Hg.), Dictionnaire Napoléon, 2. Aufl. Paris 1999, II, S. 43; ders., Retour des cendres, ebenda, S. 639 f. 36 Vgl. Schoch, Herrscherbild (Anm. 2), Abb. 83. 37 Zum Zeitpunkt der Promulgation war der Titel bekanntlich Code civil; die Darstellung im Invalidendom verwendet die 1807 eingeführte Benennung Code Napoléon.
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Abbildung 10: Monument im Invalidendom: Marmorrelief: Promulgation du Code civil (Code Napoléon)
seul code , par sa simplicité , a fait plus de bien, en France , que la masse de toutes les lois qui m'ont précédé. Las Cases (Mém.)" 3S
I I I . Flächendeckende „Medienpräsenz" Nahezu alle verfügbaren Medien wurden in den Dienst der napoleonischen Selbststilisierung gestellt. Neben den hier behandelten der Malerei und der Medaillenkunst, die eine hervorragende Rolle spielten, seien aus der Verwendung der Musik und der Dichtung zur Verherrlichung des Genies nur zwei Beispiele gebracht. Das eine zeigt, dass selbst die Opernbühne dazu diente, Napoleons Ruhm als législateur zu verbreiten und es verdeutlicht auch den gerne gewählten Rückgriff auf antike Vorbilder für die My38 Vgl. Gilbert Martineau, Mémorial de Sainte-Hélène, in: Jean Tulard (Hg.), Dictionnaire Napoléon, 2. Aufl. Paris 1999, II, S. 300; Schott, Marmor-Monument (Anm. 34), S. 45.
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