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German Pages 243 [245] Year 1956
KARL CARSTENS
Das Recht des Europarals
Das Recht des Europarals Von
Karl Carstens Dr. jur., Master of Laws (Yale) Privatdozent an der Universität zu Köln
DUNCKER & HUMBLOT
I
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1956 Duncker & Humblot, Berlin Gedrudd 1956 bei Franz Spiller, Berlin SO 36
Inhalt Verzeichnis der Abkürzungen
7
A. Entstehung
9
....... .. .. .... ........... ... ............. ......
B. Rechtsgrundlage
. .. .. .. ............ ... ....... ....... ........
20 38
D. Mitgliedschaft
54
E. Ziele und Mittel zu ihrer Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
C. Rechtsnatur
F. Rechtsbeziehungen zu den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
G. Das Ministerkomitee und die von ihm eingesetzten Organe . . . . . . . . I. Das Ministerkomitee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Die Ministerbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Sonderbeauftragte des Europarats für nationale Flüchtlinge und Bevölkerungsüberschüsse in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Ausschüsse der Regierungssachverständigen . . . . . . . . . . . . V. Das Sozialkomitee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Budget-Komitee . . ........... . ... . ........... . .... . . VII. Die Rechnungsprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Bedeutung des Ministerkomitees und der von ihm eingesetzten Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 85 94
H. Die Beratende Versammlung ..... . .. .. . . .. .. . .... . ... ......... I. Entstehung und Entwicklung . .. . .. . .... ...... . . . .. . . . .. . li. Befugnisse .... . . .. .... . ... . .......... . ...... . ... . . . ... III. Mitgliedschaft . . . .. . . . ........... . .. . ........ . .... . ... IV. Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Privilegien und Immunitäten . ... . . .. .. . ... .... . ... . . . ... VII. Beziehungen der Beratenden Versammlung zu anderen internationalen Organisationen und zu staatlichen Organen .. . . VIII. Funktion und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J.
Rechtsbeziehungen zwischen Beratender Versammlung und Ministerkomitee
K. Gener alsekretariat
98 99 102 102 104 104 109 109 112 116 131 138 147 149 152 160
177
L. Die europäische K ommission für Menschenrechte .... . ..... . .... . 196 M. Beziehungen zu Nichtmitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 N. Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen . . . . . . . . . . 216 0. Beziehungen zu nichtstaatlichen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Schrifttum
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Abkürzungen Vorbemerkung Ziffern hinter den Abkürzungen des Statuts, der Geschäftsordnungen oder Abkommen bezeichnen die Artikel des betreffenden Dokuments (Beispiel: Stat. 7.) Ace. C.I.P.M.E.E.
Accord entre le Secretariat General du Conseil de l'Europe et le Directeur du Comite Intergouvernemental Provisoire pour le Mouvement des :E:migrants d'Europe (Drucksache von 1952). Accord entre le Conseil de l'Europe et !'Institut InterAce. I.I.U.D.P. national pour l'Uniftcation du Droit Prive (Drucksache des Europarats von 1954) Ace. N.U. Accord entre le Secretariat du Conseil de l'Europe et le Secretariat des Nations Unies (Drucksache des Europarats von 1951) Ace. O.E.C.E. Accord entre le Conseil de l'Europe et !'Organisation Europeenne de Cooperation Economique vom März 1951, mit Zusatzvereinbarungen vom Juli 1952 und November 1953 (Drucksache von 1954). Ace. O.I.T. Accord entre le Conseil de l'Europe et !'Organisation Internationale du Travail (Drucksache von 1951). Ace. O.M.S. Accord entre le Secretariat General du Conseil de l'Europe et le Directeur du Bureau Regional de l'Europe de !'Organisation Mondiale de Sante (Drucksache von 1952). Ace. O.T.B. Accord entre le Secretariat General du Conseil de l'Europe et le Secretariat General de !'Organisation du Traite de Bruxelles (Drucksache von 1952). Accord General sur les Privileges et Immunites, Ace. Priv. Allgemeines Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarats (B.G.Bl. 1954 II, S. 493), abgedruckt in Annuaire europeen Bd. I, 1955, S. 297. Ace. Spec. Accord Special relatif au Siege du Conseil de l'Europe. Sonderabkommen betreffend den Sitz des Europarats vom 2. 9. 1949. (Abgedruckt in Annuaire europeen, Bd. I, 1955, s. 312.) Ace. U.N.E.S.C.O. Accord entre le Conseil de l'Europe et !'Organisation des Nations Unies pour l'Education, la Science et la Culture (Drucksache von 1952). B.G.Bl. Bundesgesetzblatt C.R. Comptes rendus, Protokolle der Beratenden Versammlung, zitiert nach Sitzungsperiode und Seitenzahl (Bsp. C.R. 3/1225).
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Doc. oder Doc.A.S. I.C.J. Msch.R.K. O.E.E.C. Prot. Ace. Priv.
Rec.A.C. Regl. A.C. Regl. Budg. Regl. Comm.
Regl. C.M. Regl. Del. Regl. Exp.
Regl. Fin. Res.A.C. Res.C.M. Stat.
St.I.G.H. Stat. Ag. Z.a.ö.V.
Verzeichnis der Abkürzungen Dokumente der Beratenden Versammlung, zitiert nach Sitzungsperiode, laufender Nummer und Jahrgang [Beispiel: Doc. A.S. (2) 22 (1950) oder Doc. (5) 3 (1953)]. International Court of Justice. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. (B.G.Bl. 1952 II, S. 685), abgedruckt in Annuaire europeen Bd. I, 1955, S. 317. Organisation for European Economic Cooperation, Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit. Protocole additionnel a l'Accord Generale sur les Privileges et Immunites, Zusatzprotokoll zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarats (B.G.Bl. 1954, Teil II, S. 501). Abgedruckt in Annuaire europeen Bd. I, 1955, S. 308. Recommendations de !'Assemblee Consultative, Empfehlungen der Beratenden Versammlung, zitiert nach laufender Nummer und Jahrgang. Reglement de !'Assemblee Consultative (Geschäftsordnung der Beratenden Versammlung, Drucksache des Europarats von 1954). Reglement interieur du Comite du Budget (Geschäftsordnung des Haushaltsausschusses, Drucksache des Europarats von 1952). Reglement interieur de la Commission europeenne des Droits de l'Homme (Geschäftsordnung der europäischen Kommission für Menschenrechte, Drucksache des Europarats vom Mai 1955). Reglement interieur du Comite des Mirristres (Geschäftsordnung des Ministerkomitees, Drucksache des Europarats von 1952). Reglement interieur des Reunions des Delegues des Mirristres (Geschäftsordnung für die Sitzungen der Ministerbeauftragten, Drucksache von 1955). Reglement interieur des Comites d'experts gouvernementaux (Geschäftsordnung der Ausschüsse der Regierungssachverständigen, Drucksache des Europarats von 1954). Reglement financier (Finanzordnung, Drucksache von 1949). Resolution de !'Assemblee Consultative, Entschließung der Beratenden Versammlung, zitiert nach laufender Nummer und Jahr [Bsp.: Res. A.C. 12 (1953)]. Resolution du Comite des Ministres, Entschließung des Ministerkomitees, zitiert nach Jahr und laufender Nummer [Bsp. Res. C.M. (53) 12]. Statut du Conseil de l'Europe (avec amendements) (Satzung des Europarats, Drucksache des Europarats vom März 1954). Abgedruckt in Annuaire europeen Bd. I, 1955, s. 274. Ständiger internationaler Gerichtshof. Statut des Agents (Personalstatut, Drucksache des Europarats von 1949). Zeitschrüt für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.
A. Entstehung
Seit dem Zerfall des mittelalterlichen Reiches ist die Einigung der europäischen Staaten und ihre Zusammenfassung in einer organisierten Verbindung das Ziel vieler politischer und wissenschaftlicher Bestrebungen gewesen. Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges sind diese Bemühungen über das Stadium von P.l änen oder Projekten ;edoch nicht hinausgekommen1 . In dem trostlosen Chaos, in dem sich die europäische Menschheit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges befand, lebte die Hoffnung, nunmehr endlich das durch Jahrhunderte verfolgte Ziel verwirklichen zu können, plötzlich mit einer vorher nie erreichten Stärke auf2. Vielen erschien die Möglichkeit, die alten Feindschaften der europäischen Völker überwinden und eine Einigung des Kontinents auf der Grundlage einer allgemeinen Achtung vor den Menschenrechten realisieren zu können, als einziger Trost nach dem namenlooen Elend, dem sie, die Überlebenden, gerade entronnen waren. Zugleich legte die zunächst hoffnungslos erscheinende wirtschaftliche Lage Europas, dessen Industriekapazität großenteils zerstört war, und dessen Landwirtschaft darniederlag, den Gedanken nahe, die noch vorhandenen wirtschaftlichen Möglichkeiten zusammenzufassen und einen planvollen Wiederaufbau innerhalb des gesamten europäischen Bereichs zu versuchen. Die im amerikanischen Wirt1 Die Geschichte der europäischen Idee kann i'm Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden. Sie findet sich in einer allerdings meist recht summariEchen Form in den Darstellungen über den Europarat und über den Europäischen Gedanken. Vgl. etwa European Movement and the Council of Europe, London, o. J., S. 23 ff., Edouard Bonnefous, L'idee europeenne et sa realisation, Paris 1950, S. 39 ff. Eine ti'efschürfende geistesgeschichtliche Untersuchung gibt Kurt von Raumer, Ewiger Friede, Freiburg, 1953. Das umfassendste Quellenmaterial findet sich bei Jacob ter Meulen, Der Gedanke der internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 2 Bände, Haag 1917, 1929, 1940. über die Projekte der Zeit nach dem ersten Weltkrieg unterrichtet "Europa", Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Bonn 1953, und Olivier Philip, Le problerne de l'union europeenne, Neuchätel 1950, S. 137 ff. 2 über die noch in die Kriegszeit zurückreichenden, vor allem in der französischen Resistance vorhandenen Ursprünge der europäischen Bewegung vgl. v. Cornides, Europaarchiv 1949, S. 2012. Über die Europa-Pläne der deutschen Opposition s. Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1954, S. 329, 334.
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Entstehung
schaftsge:tüge erkennbaren Vorzüge eines einzigen großen Marktes ließen die Berechtigung und den Nutzen der innereuropäischen Wirtschaftsgrenzen fragwürdig erscheinen. Auf Grund dieser oder ähnlicher Überlegungen bildeten sich in den meisten europäischen Ländern zahlreiche private Vereinigungen und Organisationen, die sich die Einigung Europas und die Pflege der Beziehungen zwischen europäischen Menschen verschiedener Nationalität zum Ziele setzten. Gleichgesinnte nationale Organisationen schlossen sich zu übernationalen Verbänden zusammen. So entstand im Jahre 1946 die Union europäischer Föderalisten, die in der Folgezeit 40 nationale Bewegungen aus 16 verschiedenen europäischen Ländern in sich vereinigte3 . In ihr fanden sich diejenigen Verbände zusammen, die einen europäischen Bundesstaat mit echten legislativen, exekutiven und gerichtlichen Befugnissen anstrebten. Ihr Schwe11punkt lag in den kontinentalen Staaten, vor allem in Frankreich, den Beneluxländern, Deutschland, Italien und der Schweiz4 • Im Jahre 1947 bildete sich unter dem Vorsitz V·On Winston Churchill in England die United Europe Movement. Ihr Ziel war die Einigung Europas in Form einer engeren Zusammenarbeit der europäischen Staaten, ohne daß sie jedoch zunächst die Übertragung staatlicher Souveränitätsrechte an eine europäische Foederation ins Auge faßte 5 . Eine sozialistische Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa nahm die verschiedenen sozialistischen Europaverbände und die Nouvelles Equi'Pes Internationales die entspechenden katholischen Organisationen in sich auf6. Trotz dieser Bemühungen um eine Zusammenfassung der privaten europäischen Verbände war das Gesamtbild zunächst schwer zu überblicken. Außer den vier genannten Dachorganisationen bestanden weitere Gruppen 7 • Die Gefahr einer Zersplitterung und einer wechselseitigen Behinderung der auf das europäische Ziel gerichteten Anstrengungen war unverkennbar. Um ihr zu begegnen, wurde im Jahre 1947 das Internationale Komitee der Bewegungen für die Einheit 3 Vgl. Europa, Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, Bonn 1953, S. 87 und PhiHp a.a.O., S. 193 ff. 4 Vgl. "Europa" a.a.O., S. 87 ff. 6 Vgl. Philip a.a.O., S. 180 ff. 6 Vgl. Philip a.a.O., S. 18~ ff. u. S. 183 ff. 7 So die ELEC (Europäische Liga für wirtschaftliche Zusammenarbeit), Le Conseil franc;ais pour l'Europe Unie, die europäische ParlamentarierUnion, die Ligue independante de cooperation europeenne u. a. Vgl. Europaarchiv, S. 1442.
Entstehung
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Europas8 gegründet, dem einige der großen privaten Organisationen, vor allem die Union europäischer Foederalisten und die United Europe Movement beitraten. Das Komitee berief für den Monat Mai des Jahres 1948 den Raager Kongreß ein, auf dem sich der Europa-Gedanke mit großem Elan und starker publizistischer Wirkung manifestierte. Die etwa 800 Delegierten aus mehr als 20 Sta,aten, darunter führende europäische Politiker, ferner Wissenschaftler, Künstler, Vertreter der Kirchen, der Gewerkschaften, der Frauen- und der Jugendorganisationen faßten eine Reihe von Resolutionen, in denen sie konkrete Forderungen bezüglich der von ihnen erstrebten Form des Zusammenschlusses der europäischen Staaten formulierten9 • Die Wirkung dieses Appells war durchschlagend. Man kann den von dem Raager Kongreß ausgehenden Impuls als den wichtigsten und stärksten zur Gründung des Europarats hinführenden Kraftstrom bezeichnen10. Der Raager Kongreß hatte noch ein weiteres wichtiges Resultat. Er führte im Oktober 1948 zu der Schaffung einer neuen umfassenden Dachorganisation, die alle europäischen Verbände mit Ausnahme der von Coudenhove-Kalergi ins Leben gerufenen europäischen Parlamentarier-Union in sich aufnahm, der Europäischen Bewegung. Die neue Organisation, an deren Spitze die prominentesten europäischen Staatsmänner, wie Church.ill, Spaak und de Gasperl traten, verfolgte die auf dem Raager Kong.reß aufgestellten Forderungen weiter. Sie unterbreitete den europäischen Regierungen mehrere Memoranden, in denen sie die von ihr angestrebte europäische Organisation im einzelnen umschrieb. Der große Erfolg des Raager Kongresses und der anschließenden Bestrebungen der Europäischen Bewegung wurde wesentlich begünstigt durch die seit 1947 unverkennbar einsetzende Verschlechterung der weltpolitischen Lage, d. h. durch den Beginn der Nachkriegsperiode, die später als der "Kalte Krieg" bezeichnet wurde. Schon Anfang 1946 hatte Churchill in seiner Fulton-Rede, damals allgemein als übertriebener Schwarzseher kritisiert, auf die drohenden Gefahren hingewiesen11. Er hatte die Allianz mit Rußl und der D1plomatie2 widmet den internationalen Verwaltungsgemeinschaften einen .ausführlichen von Strupp verfaßten BeitragS. Der Begriff der internationalen Organisation kommt darin nicht vor. An anderer Stelle werden in dem gleichen Wörterbuch solche Erscheinungsformen des V:ölkerrechts wie internationale Unionen4 , internationale Verw.altungsgemeinschaftens, internationale Organe, Ämter und Kommissionen6 sowie organisierte Staatenverbindungen7 behandelt, ohne daß der Versuch unternommen wird, diese Institutionen zu einer Gruppe unter einen einheitlichen Oberbegriff zusammenzufassen. Soweit feststellbar, wird der Begriff der internationalen Organisationen erst seit dem 2. Weltkrieg ein fester Bestandteil der deutSchen völkerrechtlichen Terminologie. Verdross verwendet ihn in seinem Lehrbuch des Völkerrechts mehrfachs, ohne ihn jedoch zu definieren. Jaenicke widmet einer besonders wichtigen Frage aus dem Recht der internationalen Organisationen eine Abhandlung9. SchätzeP0
Das Völkerrecht, 12. Aufl., Berlin 1925, S. 96 ff. Walter de Gruyter & Co., Berlin und Leipzig 1924. 3 a.a.O., Bd. III, S. 735. 4 a.a.O., Bd. I, S. 573 ff. 5 Bd. I, S. 573 ff.; II, S. 573, 577, a.a.O. 6 Bd. I, S. 575; Bd. II, S. 9; Bd. III, S. 869 ff.; II, S . 182, a.a.O. 7 Bd. II, S. 573, a.a.O. s Verdross Völkerrecht, 2. Aufl. 1950, S. 418 ff. 9 Günther Jaenicke, Die Sicherung des übernationalen Charakters der Organe internationaler Organisationen Z. a. ö. V. Bd. XIV, S. 46 ff. (1951). 10 Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen. Archiv des Völkerrechts I. Bd., S. 3 ff. (1940/49). 1
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Rechtsnatur
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und Roggell wenden den Begriff im Zusammenhang mit dem Völkerbund und den Vereinten Nationen an. Schlochauer setzt sich eingehend mit ihm auseinander1 2 • Das plötzliche und allgemein wie selbstverständlich hingenommene Eindringen des Begriffs der internationalen Organisation in den deutschen Sprachgebrauch beruht vor allem auf der Tatsache, daß der Gesamtheit.\ der im J,ahre 1945 geschaffenen, der Sicherung des Weltfriedens dienenden Institutionen der Name "Organisation der Vereinten Nationen" beigelegt worden war. Dadurch erhielt der Begriff der Organisation einen konkreten und sinnfälligen Gehalt, der seine Verwendung im wissenschaftlichen und allgemeinen Sprach.gebrauch außerordentlich erleichterte. Die amtliche deutsche Übersetzung ging sogar soweit, den Ausdruck dort einzuführen, wo im englischen und französischen Urtext andere Bezeichnungen gewählt worden waren. So erscheinen die "8pecialized agencies" bZ'W. "institutions speciales" im deutschen Sprachgebrauch als "Sonderorganisationen" der Vereinten Nationen13, In den vorstehend genannten Fällen wird der Begriff "internationale Organisation" ebenso wie in dieser Arbeit in seiner konkreten Bedeutung gebraucht im Gegensatz zu der abstrakten nur im Singular verwendbaren F·o rm, in der das Wort gelegentlich im deutschen und im ausländischen Schrifttum vorkommt, wenn von der Gesamtheit der Beziehungen der Staaten untereinander die Rede ist. So rechnet Potter14 zu der internationalen Organisation in diesem abstrakten Sinne den gesamten zwischenstaatlichen diplomatischen Verkehr und das die Beziehungen der Staaten zueinander normierende Völkerrecht15. 2. Ein Versuch, den Begriff der internationalen Organisation in seiner konkreten Bedeutung zu definieren, muß von dem in der deutschen, schweizerischen und Österreichischen Völkerrechtslehre entwickelten Begriff der völkerrechtlichen Staatenverbindung16 aus11 Rechtssysteme der Internationalen Friedenssicherungen. Archiv des Völkerrechts 11, S. 171 und 177 (19~0). 12 Der Rechtsschutz gegenüber der Tätigkeit internationaler und übernationaler Behörden, Frankfurt 19~2, S. 8 ff. 13 Bundestagsdrucksache, 2. Wahlperiode, Nr. 156. 14 Pitman B. Potter, An Introduction to the Study of International Organisation 5th ed. New York 1948. 15 a.a.O., S. 15. 18 S. dazu G. Jellinek, Lehre von den Staatenverbindungen 1882; Brie, Theorie der Staatenverbindungen 1886, Kunz, Die Staatenverbindungen 1929. Schlochauer, Rechtsformen der europäischen Ordnung, Archiv des Völkerrechts Bd. 5, S. 42 (195~).
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Rechtsnatur
gehen. Darunter wird im weitesten Sinne jede auf einer Völkerrechtsnorm beruhende Rechtsbeziehung zwischen mehreren Staaten verstanden17. Zwar vertreten einige Schriftsteller ahweichende engere Auffassungen. Heilbom18 sieht als völkerrechtliche Staatenverbindung eine solche Vereinigung mehrerer Staaten an, die die gemeinsame Ausübung staatlicher Funktionen zum Ziel hat und schließt dadurch z. B. schlichte Bündnisverträge aus. Verdross 19 will als völkerrechtliche Staatenverbindung diejenigen auf einer Völkerrechtsnorm beruhenden Beziehungen zwischen mehreren Staaten ansehen, die entweder Gesamtorgane besitzen (organisierte Staatenverbindungen) oder eine engere außenpolitische Verbindung be.g ründen. Die Antithese "organisiert" und "außenpolitisch" befriedigt nicht. Es ist außerdem nicht einzusehen, warum zwischenstaatliche Vereinbarungen, die wirtschaftliche, kulturelle oder soziale Fragen zum Gegenstand haben, nicht auch als völkerrechtliche Sta·atenverbindungen sollten bezeichnet werden können. Eine noch engere Bedeutung als Verdross gibt Guggenheim dem Begriff. Er fordert 20, daß ein Eigenorgan, welches "nicht mit den die Staatenverbindung erzeugenden Organen der Staaten zusammenfallen" darf, rechtssetzende oder rechtsvollziehende Befugnisse hat. Abgesehen davon, daß nicht ganz klar ist, wie das von Guggenheim umschriebene Eigenorgan beschaffen sein muß, und ob insbesondere das in jeder internationalen Organisation vorhandene Regierungsvertreterorgan ein solches Eigenorgan darstellt, schließt die Definition Guggenheims ohne ersichtlichen Grund diejenigen zwischenstaatlichen Einrichtungen aus, die nur beratende Funktionen haben. Um für die folgenden E~örterungen einen möglichst sicheren Ausgangspunkt zu gewinnen, empfiehlt es sich, der weitesten Definition, die alle auf Völkerrechtsnorm beruhenden zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen einschließt, den Vorzug zu geben; um so mehr als die engeren Definitionen unter sich erhebliclle Abweichungen zeigen. Geht man von dieser Bestimmung der völkerrechtlichen Staatenverbindung aus, so kann man die Fülle der von ihr erfaßten Erscheinungsformen nacll mannigfachen rechtlichen Gesichtspunkten einteilen. Man kann je nach dem Rechtsgrund der Staatenverbindung zwischen 17 Kunz, Die Staatenverbindungen 1929, S. 2. Im Ergebnis ähnlich LisztFleischmann a.a.O., S. 96. Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, S. 17.
18 Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie. Herausgegeben von Strupp Bd. li, S. 574. 19 Völkerrecht 2. Aufl. 1950, S. 250. 20 Lehrbuch des Völkerrechts Bd. I, S. 221 (1948).
Rechtsnatur
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solchen, die auf einem völkerrechtlichen Vertrag, und solchen, die auf nicht vertraglichen Tatbeständen, z. B. der occupatio bellica, beruhen, unterscheiden. Man kann Staatenverbindungen, in denen die Staaten auf .gleicher Rechtsstufe einander nebengeordnet sind, solchen gegenüberstellen, in denen ein Staat einem anderen untergeordnet ist (Fall des Protektorates), und man kann je nachdem, ob eine Staatenverbindung über ein ·oder mehrere eigene Organe verfügt, oder ob keine solchen Organe vorhanden sind, zwischen organisierten und nichtorganisierten Staatenverbindungen unterscheiden21 • Alle drei Unterscheidungsmerkmale sind für die Bestimmung des Begriffs der internationalen Organisationen wichtig. In seiner weitesten im deutschen und im ausländischen Schrifttum verwendeten Bedeutung rumfaßt dieser Ausdruck d i e auf Ver t r a g b er u h e n d e n , n a c h dem Grundsatz der Nebenordnung der Staaten .aufgebauten, organisierten Staatenverbindung e n 22• Nebenordnung ist nicht gleichbedeutend mit vollkommener rEchtlicher Gleichstellung aller Mitgliedstaaten. Doch bezeiclmet man andererseits solche Tatbestände, in denen sich ein Staat in Abhängigkeit zu einem anderen Staat befindet, üblicherweise nicht als internationale Organisationen. Weiter zeichnen sich internationale Organisationen dadurch aus, daß sie mindestens ein ständiges die Gemeinschaft repräsentierendes eigenes Organ besitzen. Nicht entscheidend ist dabei, welche Befugnisse dieses Organ hat. Auch wenn das Organ nur Empfehlungen aussprechen kann, oder wenn es lediglich der gegenseitigen Konsultation dient, oder selbst wenn es nur technische Aufgaben, wie die Vorbereitung von Sitzungen oder die Führung von Verzeichnissen oder die Sammlung von Dokumenten zu erfüllen hat, handelt es sich um eine internationale Organisation. Durch das Vorhandensein eines ständigen eigenen Organs unterscheiden sich die internationalen Organisationen von den nichtorganisierten Staatengemeinschaften. Selbst wenn man mit Kunz23 annimmt, daß jeder Staat nicht nur Mitglied, sondern zugleich Organ der Völkerrechtsgemeinschaft ist, und wenn daher auch jede nichtorganisierte Staatengemeinschaft über mindestens so viele Organe verfügt, als sie Staaten umfaßt, so fehlt ihr doch das die internationale Organisation 21 Über weitere Einteilungsmöglichkeiten vgl. Kunz a.a.O., S. 113 und S. 288 ff. und Bindschedler a.a.O., S. 18. 22 Vgl. etwa Yearbook of International Organisations, Brüssel 1954 und Schlochauer a.a.O., S. 8 "ein durch mehrere Staaten geschaffener Organismus mit ständigen Organen". 23 Joseph L. Kunz, Die Staatenverbindungen, Stuttgart 1929, S. 270 und
s.
402 f. Kunz a.a.O., S. 403 f.
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kennzeichnende eigene oder wie Kunz24 es ausdrückt, das "eigene besondere Organ der partikulär völkerrechtlichen Rechtsgemeinschaft". 3. In dem hier gebrauchten weiten Sinne umfaßit der Begriff der internationalen Organisation einen beträchtlichen Ausschnitt der gesamten völkerrechtlichen Staatenverbindungen und eine große VieUalt sehr verschiedenartiger Gebilde, die man wiederum nach mehreren Gesichtspunkten einteilen kann. Man kann zunächst nach der Anzahl der beteiligten Staaten zwischen bilateralen und multilateralen, und nach der geographischen Lage der Mitgliedstaaten Zlwischen regionalen und weltumspannenden Organisationen unterscheiden. Man kann den hauptsächlich verfolgten Zweck hervorheben und demgemäß politische, wirtschaftliche, kulturelle, militärische Organisationen nebeneinanderstellen. Man kann ihre innere Struktur untersuchen und die Organisationen in solche mit nur einem Organ und solche mit mehreren Organen einteilen, wobei die Zusammensetzung und die wechselseitigen Befugnisse der Organe untereinander buntscheckige Kombinationen ergeben. Organisationen, deren Willensbildung in einem aus Regierungsvertretern bestehenden Organ erfolgt, bezeichnet man üblicherweise als intergouvernementale Organisationen25. Innerhalb 26 der internationalen Organisationen wird vielfach eine Gruppe besonders herausgehoben, die man als "supranational" oder "überstaatlich" bezeichnet. Allerdings ist dieser Begriff weit davon entfernt, eindeutig bestimmt zu sein2 7 • Nach der Auffassung einiger Schriftsteller ist eine Organisation als supranational anzusehen, wenn ihr staatliche Hoheitsrechte übertragen worden sind28 . Doch mangelt es dieser Begriffsbestimmung an der erforderlichen Exaktheit. Sie läßt die entscheidende Frage, welcher Art die übertragenen Hoheitsrechte sein müssen, offen. Nach einer anderen Lehrmeinung ist eine Organisation dann supranational, wenn ihre Organe unmittelbar Herrschaftsgewalt über innerstaatliche Personen oder Personenvereinigungen ausüben können2D. 25
Vgl. Doc. A.S. (5) 195, Teil li, Kap. 2 (1953) und Doc. A.S. (6) 237, Ziffer 73
(1954).
26 Darüber, daß supranationale Organisationen eine Unterart der internationalen Organisationen sind, vgl. unten Text bei Anm. 35. 27 Reuter, Communaute europeenne de charbon et de l'acier, Paris 1953, S. 138 bezeichnet das Wort als unklar und schillernd. 28 Kunz, Supranational Organs, 46 American Journal of International Law 690 (1952). Vgl. auch Elsbeth Friedländer, Das Wesen des übernationalen, ungedruckte Hamburger Dissertation 1954, S. 15. 28 Reuter a.a.O., S. 96 ff., Robertson, American Journal of Comparative Law, Oktober 1954, S. 579.
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Eine dritte Ansicht sieht als das entscheidende Merkmal der Supranationalität die Freiheit eines Organs gegenüber Weisungsrechten der Regierungen oder anderer innerstaatlicher Institutionen :an30. Eine weitere Gruppe sucht die zweite und die dritte Theorie miteinander zu verbinden. Sie fordert sowohl Unabhängigkeit der Organe gegenüber staatlichen Weisungen wie unmittelbare Herrschaftsgewalt gegenüber Einzelpersonenat. Schließlich vertreten einige Autoren Definitionen, die weitere zusätzliche Merkmale enthalten. So fordert Schlochauer32 außer den beiden Hauptmerkmalen, die nach der vermittelnden Theorie erforderlich sind, eine verfassungsmäßige Konstruktion der Gemeinscllaft, eine eigene für sie geltende Reclltsordnung und eine eigene Gerichtsbarketit. Wie bei allen terminologischen Auseinandersetzungen gibt es auch in der Streitfrage über den Begrüf des Supranationalen keine absoluten Kriterien. Der Verfasser neigt der zweiten Definition zu, die die Herrschaftsgewalt über Einzelpersonen als das entsclleidende Merkmal hervorhebt, weil sie zugleich am einfachsten und am eindeutigsten ist. Sie bedarf allerdings in zweifacher Richtung der Ergänzung. Viele Organisationen üben Herrschaftsgewalt über ihre eigenen Bediensteten aus, ohne daß sie deswegen als supranational angesehen werden sollten. Die Herrsch.aftsgewalt einer supranationalen Organisation muß sich vielmehr auch auf solche Personen erstrecken, die nicht in ihren Diensten stehen. Zum anderen ist eine supranationale Autorität nur dann vorhanden, wenn der betroffene Staat, in dessen Gebiet die Organisation Herrschaftsakte setzt, nicht selbst zuzustimmen braucht. In den Fällen, in denen für bestimmte Hoheitsakte ein einstimmiger Beschluß• des Organs der Regierungsvertreter erforderlich ist, wie z. B. im Falle der Einführung eines Rationierungssystems durch die Montangemeinschaft33, liegt keine s