Das Nachleben des pergamenischen Gigantenkampfes [Reprint 2019 ed.] 9783111382609


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Das Nachleben des pergamenischen Gigantenkampfes [Reprint 2019 ed.]
 9783111382609

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DAS NACHLEBEN DES P E R G A M E N I S C H E N GIGANTENKAMPFES VON

GERHARD

KLEINER

BERLIN 1 949

V E R L A G W A L T E R D E G R U Y T E R & CO.

105. W I N C K E L M A N N S P R O G R A M M DER A R C H Ä O L O G I S C H E N

G E S E L L S C H A F T ZU

Archiv-Nr. 3 1 7 9 4 9 DRUCK; LANGENSCHEIDT KG., BERLIN-SCHÖNEBERG

BERLIN

EINLEITUNG Epochen-Gliederung bedeutet mehr als Stoff-Einteilung — zum mindesten in der Kunstgeschichte. Es ist keineswegs gleichgültig, ob man die frühhellenistische oder die hochhellenistische Kunst, also vor allem die pergamenische Plastik, als Gipfelleistung betrachtet und in ihr den Höhepunkt der Epoche sucht. Solange man das Werturteil oder — wie man sich meist ausdrückt — den QualitätsbegrifF ausschaltete, konnte es vielleicht anders sein. Aber das war nur innerhalb eines Durchgangsstadiums in der Entwicklung der Wissenschaft möglich. Im Grunde handelte es sich lediglich um eine Reaktion gegen den Klassizismus noch der Goethezeit. Gewiß hatte diese Gegenbewegung ihre Berechtigung und ihre Bedeutung. Denn es wurden erst durch sie neben dem 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. (oder höchstens noch der Zeit des Augustus) solche Zeitalter wie der Hellenismus oder die Spätantike ins Blickfeld gerückt. Irgendwie mußte sich j a auch die Stilentwicklung im Wandel der Forschung abzeichnen, mußte sich noch in ihr die unklassische Haltung der Zeit 3

zu erkennen geben. Aber sowie man begann, besondere Zeitabschnitte neben der Klassik (und allenfalls dem römischen Klassizismus) als selbständige Einheiten anzusehen, also zu würdigen, war auch wieder das Werturteil da. Wie sollte es auch anders sein? In der Art, wie man die Denkmäler beschrieb, wurde allerdings meist die alte klassizistische Einstellung beibehalten. Zum Beispiel analysierte Gerhard Krahmer in seinen bahnbrechenden Abhandlungen über die hellenistische Plastik deren besondere Erscheinungen eigentlich nur als unklassisch, ohne neue Begriffe und Ausdrücke zu prägen, die dem Wesen der Epoche, aber auch dem eigenen inneren Verhältnis zu ihr gerecht wurden. Und noch neuere Arbeiten zur Spätantike lassen wenig von der Nähe zum Gegenstand erkennen, die die Verfasser überhaupt erst zum Verständnis befähigte. — Gewiß muß man sich, um im geschichtlichen Rahmen zu bleiben, auch wieder distanzieren, aber man muß es auch erst „wieder", das heißt in zweiter Linie. Man muß zwei Wege gehen: einen der Annäherung und einen der Entfernung. Aber man darf die beiden Bewegungen nicht verschleiern — weder bewußt, noch unbewußt. Paradox gesagt: es wäre objektiver, seine Subjektivität zu bekennen — aus sachlichen wie persönlichen Gründen. Denn es gehört schließlich zur wissenschaftlichen Verantwortung, auch über die Relativität des eigenen Standortes sich und anderen Rechenschaft abzulegen. Sonst kommt man wie G. Krahmer dazu, den Höhepunkt der hellenistischen Kunst, die hochpergamenische Epoche, nicht angemessen zur Geltung zu bringen, obwohl niemand — am wenigsten der Verfasser dieser Zeilen — behaupten möchte, daß jener sie übersehen habe. Er hat sich ihre Rangstellung nur nicht recht bewußt gemacht. Er konnte allerdings auch kaum wissen, daß die Kunstgeschichte selbst einen Maßstab dafür bietet: im Nachleben der Epoche. Bis vor kurzem hat man keine rechte Vorstellung von den Nachwirkungen der pergamenischen Kunst gehabt. Für den großen Altar hat man sie möglichst aus der Welt schaffen oder auf nicht erhaltene Vorbilder zurückführen wollen, was ziemlich auf dasselbe herauskommt. So sehr man in der römischen Kunst die klassizistische Haltung sah, so wenig dachte man daran, daß es in ihr auch ein klassizistisches Verhalten gegenüber der hellenistischen Kunst geben könne. Aber schließlich entdeckte man eine Epoche der römischen Kunstgeschichte, die sich der hellenistischen verwandt zeigte: das spätere 2. Jahrhundert n. Chr. Man fand, daß es einen „barocken" Stil habe 2 ). Die Denkmäler führten auf die Spur, daß hier eine Erneuerung hellenistischer Formen und Bestrebungen vorliegt. Man könnte von einer Renaissance des Hellenismus sprechen oder auch von seiner klassizistischen Wiedererweckung. Wieweit es ein Erwachen, wieweit es ein Erwecken war, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, daß es sich auch hier um eine Art Klassizismus handelt. Denn damit ergibt sich die merkwürdige Schlußfolgerung, daß selbst der Hellenismus klassisch wirken kann. Das bedeutet aber auch, daß auch er am klassischen Maßstab zu messen ist. Daher mag er 4

sogar vom klassizistischen Standpunkt aus beschrieben werden. Nur muß dies allerdings bewußt geschehen. Im Folgenden soll es am Beispiel des sogenannten großen Frieses des berühmten pergamenischen Altars versucht werden, der durch Heinz Kählers Arbeit wieder in den Brennpunkt der hellenistischen Kunstgeschichte gerückt ist 3 ). Der Kampf der Götter gegen die Riesen, ein alter Mythos indogermanischer Völker, bei dem es um die bessere Weltordnung geht, hat an jenem hellenistischen Denkmal seine großartigste hellenische Darstellung gefunden. Sie hat im 2. Jahrhundert n. Chr. auf einem römischen und einem kleinasiatischen Relieffriese eine unverächtliche Erneuerung erfahren. Um diese beiden Monumente handelt es sich hier vor allem. Beides: Gedankengut und Formengut der pergamenischen Gigantomachie haben ein langes Nachleben gehabt. Das soll hier verfolgt oder vielmehr skizziert werden. Denn zunächst ist ein Uberblick nötig. Er ist aber auch allein möglich, solange lediglich die alten, großenteils bekannten Aufnahmen zur Verfügung stehen.

DER RÖMISCHE

GIGANTENFRIES

Ausgangspunkt unserer Darlegungen soll jenes Denkmal bilden, bei dem unsere Betrachtung auch ursprünglich, und zwar vor zwölf Jahren, eingesetzt hat: ein aus vier Bruchstücken bestehender Fries in Rom, von denen zwei in der Nähe des Colosseums gefunden worden sind. Diese befinden sich heute im Neuen KonservatorenPalast — dem ehemaligen Museo Mussolini —, die beiden anderen im Vatikan (Abb. 2, 4, 6 und g) 4 ). Das größte Fragment ist das im Hof des Belvedere eingemauerte Relief, das zwei Göttinnen im Kampf gegen drei Giganten zeigt. Einiges, wie der Kopf der ersten Göttin, die unschwer als die Jägerin Artemis zu erkennen ist, ist ergänzt; anderes, besonders an den beiden Giganten rechts, überarbeitet (Abb. 2). In bergiger, baumbestandener Landschaft geht die Schlacht vor sich. Artemis hat den Bogen auf einen Giganten angelegt, der ganz vom Rücken her gesehen ist. In beiden Händen schwingt er große Steine. Der Hund der Jägerin beißt ihn ins linke Bein, das ebenso wie das rechte unterhalb des Knies in einen Schlangenleib übergeht. Während der eine Schlangenkopf den Hund ins Genick schlägt, züngelt der andere gegen die zweite Göttin. Diese geht in weit ausgreifender Bewegung mit zwei (z. T. ergänzten) Fackeln gegen ihre beiden Gegner vor, die gemeinsam einen größeren Felsblock heranbewegen. Der eine ist nach rechts ausgewichen und ins Knie gesunken, den bärtigen Kopf umgewendet. Er achtet nicht auf den Felsen, den ihm sein jüngerer Genosse heranschleppt und den seine Hände bereits gepackt haben. Die Göttin trägt einen doppelt gegürteten, lang wallenden Chiton und einen großen Mantelschleier, der über den Kopf gezogen ist. Das ist die Tracht matronaler Gottheiten wie Hera, Leto oder Hekate. 5

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Auf Hekate könnten die Fackeln deuten. Sie schließen aber auch Leto nicht aus, an die man wegen der Nähe ihrer Tochter Artemis am ehesten denken möchte. — Am pergamenischen Fries ist auch Leto mit einer Fackel ausgestattet. Allerdings sieht die Göttin dort ganz anders aus. Aber die sogenannte Adrasteia des Südfrieses ist sehr ähnlich in Tracht und Bewegung (Abb. 3), ähnlicher noch als ihre formverwandten Nachfahren am Nordfries: Dione und die sogenannte Moire 5 ). Sie muß für die Leto des römischen Frieses das Vorbild abgegeben haben. — Sieht man nämlich in dem hammerschwingenden Gott, der am pergamenischen Friese neben der sogenannten Adrasteia den Stiergiganten niederschlägt, nicht Okeanos oder den Kabiren, sondern dessen Vater Hephaistos, so kann seine Begleiterin auch auf ihn bezogen werden 6 ). Es wäre keine Nymphe aus dem Umkreis der Kybele, sondern die Verkörperung der Stärke, die Hephaistos beisteht: Bia. Ihrer Bewegung nach ist sie besser nicht mit Schwert und Scheide, sondern mit zwei Fackeln wie auf dem römischen Relief zu ergänzen. Diese gehören zur Gehilfin des Feuergottes, so wie der Schurz des Schmiedegottes gut zu seinem anderen Gefährten paßt, zu Kratos, der Gewalt. — Kratos und Bia sind in Aischylos' Prometheus die Begleiter des Hephaistos. Sie helfen ihm im Auftrag des Zeus, den Titanen an den Kaukasos zu fesseln. Kratos ist es und nicht Aither, der den Löwengiganten im Ringkampf bezwingt, zumal der Löwengigant das sichtliche Gegenstück zum Stiergiganten ist. . Daß aus der Gefährtin des Hephaist Leto werden kann, ist für Kunst und Künstler des römischen Reliefs sehr bezeichnend. Bald hier, bald dort übernehmen sie teils um des Inhalts, teils um der Form willen eine Darstellung, einen Vorwurf oder auch nur ein einzelnes Motiv. So ist der Gegner der Artemis, wie schon verschiedentlich festgestellt wurde, dem Porphyrion nachgebildet, dem Fürsten der Giganten, der sich am pergamenischen Altar mit noch ungebrochener Wildheit und Kraft unter den drei 6

Gegnern des Zeus behauptet (Abb. i). Der zweite, der unter den Blitz- und Donnerschlägen bereits ins Knie gesunken ist, hat offensichtlich beim ersten Gegner der Leto Pate gestanden. U m der Wiedergabe der Rumpfmuskulatur willen hat er jedenfalls die größte Anwartschaft auf diesen Titel, auch wenn das Motiv der übergreifenden Arme verändert ist. Beides: das Bewegungsmotiv und die Aktzeichnung stimmen bei den anderen ähnlichen Figuren in Pergamon viel weniger überein: beim Giganten der Gruppe rechts von Dione und beim Gegner der vorhin genannten Moire am Nordfries. Dasselbe gilt für den Gegner des Triton oder auch des Okeanos (fälschlich Hephaistos) am Westfries und an der nördlichen Treppenwange, wo die ganze Zeus-Gruppe mehr oder weniger nachgebildet ist. Dagegen ist es schon fraglich, ob die Artemis auf die Göttin der pergamenischen Gigantomachie oder auch nur irgendeine andere Gestalt am großen Fries zurückgeht. Ganz zweifelhaft ist es aber bei dem zweiten Gegner der Leto, bei dem man noch mehr als bei der Artemis an statuarische Motive denkt (z.B. an den Alexander Rondanini in München 6 a )), unter den erhaltenen Figuren von Pergamon aber vergeblich sucht. Und was ist schließlich aus dem rauschenden Gewand und dem bogenförmig geblähten Schleier der Bia geworden, die dieser Gestalt am Altar soviel Wucht und Kraft verleihen? Bei der Leto des römischen Frieses schwingt allenfalls noch in den unteren Chiton-Falten jene stürmische Bewegung

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nach. Der Mantelschleier macht sie aber „gar nicht mehr mit, liegt auf dem Kopf auf, fällt über Schulter und Arme senkrecht herab und ist auch nicht quer über den Leib geführt. Vielmehr liegt er über dem rechten Bein in einer Drapierung, die sich offenbar bewußt in Widerspruch zum Vorbild setzt und bestimmte Chitonfalten umdeutet. Was von der einzelnen Figur und ihrer Bewegung gilt, das trifft ebenso auf die gesamte Darstellung zu und auf die Entwicklung des Reliefs von Figur zu Figur. Gegenüber dem Vorbild erscheint auch die Gesamtbewegung schwunglos und gebrochen. Das liegt weniger an den Unterbrechungen durch Baum und Fels, von denen man doch auch sagen könnte, daß sie eine vermittelnde Rolle spielen und die Bewegung weiterleiten, als daran, daß es sich um Figuren handelt, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst sind. Wie sehr das Leben des griechischen Reliefs von den Gestalten abhängt, wie sehr seine Komposition auf ihnen aufbaut und auf ihren Beziehungen beruht, erkennt man gerade hier, wo diese Grundlagen fehlen. 8

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Von welchen Voraussetzungen ging der Künstler dann aber aus? War er nicht in der Lage, neue Formen zu erfinden, warum hat er dann nicht einfach das Vorbild kopiert wie das in der römischen Kunst bei der Rundplastik soundso oft geschehen ist? Warum hat er seine Gigantomachie so frei gestaltet, daß selbst ihr Abhängigkeitsverhältnis vom großen pergamenischen Fries angezweifelt worden ist? Wer diesen Fragen nachgeht, wird finden, daß Relief-Kopien überhaupt verhältnismäßig selten sind und daß sie leicht freier gehandhabt wurden als es in der Rundskulptur üblich gewesen ist. Das Nachleben der Kunst des großen Frieses unterliegt also von vornherein gewissen Einschränkungen, jedenfalls soweit es sich um die eigentliche „Kopistenzeit", die römische Kaiserzeit, handelt. Der beste Beweis dafür ist vielleicht die Tatsache, daß die Beißergruppe des Nordfrieses im 2. Jahrhundert n. Chr. in eine Rundskulptur übersetzt worden ist: die Marmorgruppe in Wilton-House, die schon Lukas Cranach gekannt hat 7 ). 2

Winckelmannsprogramm 1949

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Bei dem Problem der Relief-Kopie spielt offenbar sehr wesentlich die andere Rolle mit, die dem Relief in der römischen Kunst zufiel. Hier war es nicht nur seine Aufgabe, Gestalten in einer räumlichen Wirkung zu geben, deren Ausmaß die Möglichkeiten der Freiplastik überstieg, sondern das römische Relief geht überhaupt von einem anderen Verhältnis zur Gestalt aus. Es sieht sie nicht nur anders im Raum, sondern auch anders in der Zeit: in der Wirklichkeit und in der Geschichte. Von vornherein kommt dem römischen Relief nicht eine sekundäre Rolle gegenüber der Rundskulptur zu, wie das doch im wesentlichen für das griechische Relief gilt. Das historische römische Relief stellt vielmehr eine so neue und primäre Aufgabe, daß auf die Kopie verzichtet wird. Diese findet sich daher nur im mythologischen und im dekorativen Bereich, und zwar vornehmlich innerhalb klassizistischer 10

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Tradition in der sogenannten neuattischen Kunst, die vom hellenistischen Osten, von Athen, aber auch von Pergamon ihren Ausgang nimmt. Danach bleibt für unsere Reliefs zu fragen, ob es bei ihren Darstellungen mehr auf den mythologischen Gehalt oder die dekorative Bestimmung ankam, und wie sie überhaupt zu ihren pergamenischen Motiven gelangt sind. Zur Beantwortung helfen die anderen Bruchstücke des römischen Gigantenfrieses weiter, die teils die Abhängigkeit von Pergamon, teils den Stil seiner Entstehungszeit noch deutlicher zu erkennen geben. Das kleinere vatikanische Fragment, das einst im Lateran aufbewahrt wurde, zeigt einen bärtigen Giganten, der wie die Gegner der Leto Menschenbeine hat. Trotzdem ist er in seiner weit ausholenden Bewegung vom „schlangenfüßigen" Klytios, dem Gegner der Hekate am pergamenischen Ostfries, abhängig (Abb. 4 und 5). Auch diese

Figur hat ihre Wirkung auf jüngere Meister des Altars ausgeübt. Der Gegner der Dione am Nordfries und der der Amphitrite des Westfrieses wären hier zu nennen. Aber gerade diese Gegenüberstellungen lassen den Blick wieder zum Hekate-Gegner zurückkehren, an den nicht zuletzt auch der mächtige Kopf erinnert. Es ist nicht nur der fragmentarische Zustand des Reliefs, etwa das Fehlen der Kulissen, der die Mängel des Ganzen weniger hervortreten läßt. Denn sieht man näher zu, sind auch Baum oder jedenfalls Fels da. Der Baumstamm wird freilich wohl eine Waffe in der Hand dieses oder eines benachbarten Giganten sein. Aber es sind auch noch weitere Versatzstücke vorhanden, zum Beispiel das Tierfell über dem Arm des Riesen oder auch der Rest eines Flügels. Auch diese Attribute führen in größere Nähe zum Altar, vor allem zur Zeus- und Athena-Gruppe, dem Herzstück des ganzen Frieses (Abb. i und 15). Erst recht sind die Formen aus einer inneren Nähe zum pergamenischen Stil gestaltet. Sie zeugen für seine, aber auch für eigene Größe. So sehr jenes Haupt bis in den Umriß hinein und bis in das wallende Nackenhaar an den Klytios denken läßt, die Wiedergabe der Locken mit den kurzen, tiefen Bohrgängen, die die Haarmasse „schwammartig" durchlöchert, spricht vernehmlich die Sprache der Antoninen-Zeit des späteren 2. Jahrhunderts n. Chr. Vor allem erscheinen vier Reliefs von einem römischen Bogen des Marc Aurel verwandt, den dieser beim Triumph über Germanen und Sarmaten 176 n. Chr. für sich und seinen Sohn Commodus errichten ließ. Drei davon befinden sich im Konservatoren-Palast, der Rest des vierten in der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen, wie M. Wegner nachgewiesen hat 8 ). Der von diesem Stück allein erhaltene Kopf des Kaisers erscheint besonders vergleichbar. Licht und Schatten sind sehr ähnlich und wie in kleinen Zellen in der Form eingefangen. Der Zusammenhang des Bart-, aber auch des Kopfhaares bleibt nur für den optischen Eindruck gewahrt. — Beim Klytios dagegen sind die Locken zu einzelnen Büscheln zusammengefaßt, die zwar für sich gegeben, aber von der Gesamtbewegung so erfüllt sind, als wären es Gliedmaßen. Das alte hellenische Bestreben, alles organisch vorzustellen, bemächtigt sich in der hochhellenistischen Kunst j a selbst des Gewandes. — Gleichwohl kommt Licht und Schatten im Formenaufbau in der hellenistischen und in der antoninischen Zeit eine vergleichbare Aufgabe zu. Sie stellen das einigende Element dar, hier aus dem Gegensatz zur Plastizität, dort in Ubereinstimmung mit ihr. Der verschieden große Aufwand von Masse und Bewegung bezeichnet den Unterschied. Er beruht auf dem anderen Verhältnis zur Gestalt, von dem bereits die Rede war und hinter dem letztlich ein anderes Verhalten gegenüber Raum und Zeit steht. Die Gestalt behauptet sich nicht mehr aus dem Gegensatz zu ihnen, sondern in Anerkennung ihrer Größe. Eine neue Wirklichkeit gibt das Gesetz, dem die Gestalt unterworfen wird, ganz im Gegensatz zur griechischen Welt, der sie „das Maß aller Dinge" bedeutet. Von den beiden Bruchstücken im Neuen Konservatoren-Palast gibt das eine mit den bewegten weiblichen Gewandfiguren offenbar inhaltlich wie formal Ausschnitte aus dem Nordfries des Altars wieder. Jedenfalls ist bei der halb weggebrochenen Figur noch soviel von der Bewegung und dem flatternden Gewand erhalten, daß man ihr 12

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Vorbild in der Löwengöttin erkennen kann, die wahrscheinlich eine Moire darstellt (Abb. 6 und 7). Besonders die Falten, die das weite Gewand um das Bein schlägt, und der Schnürschuh sind gut zu vergleichen, aber auch der Arm mit der Lanze. Die besser erhaltene Figur mit Fackel, Flügelstiefeln und wirrem Haar, dessen Lokken sich wie Schlangen winden, soll zweifellos eine Erinye sein, eine der Eumeniden. Sie kämpfen am pergamenischen Nordfries in der Nähe der Moiren, ihnen und den Gorgonen in Wesen und Erscheinung verwandt. Leider ist das Vorbild schwer ausfindig zu machen, da diese Gestalt offensichtlich Motive verschiedener pergamenischer Figuren vereint, und zwar nicht nur aus dem Gigantenfries. Das gorgonenartige Haupt, das sichtlich zu groß ist, scheint auf die sogenannte Medusa Ludovisi oder ihr Urbild zurückzugehen (Abb. 8)9). Nach einer Vermutung

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E. Buschors gehörte dieser Kopf zu einer sterbenden Keltin, die von ihrem kleinen Kinde geliebkost wird. Plinius berichtet von einem solchen Werk des Epigonos (nat. hist. 34, 88), eines berühmten pergamenischen Bildhauers, von dessen Kunst auch noch der sterbende Gallier des Kapitals eine Vorstellung gibt. Er paßt im Stil dazu, und zwar wie es scheint, noch besser als die Keltin aus der ebenso bekannten Gruppe Ludovisi, die äußerlich leichter zu vergleichen ist: der Gallier, der sein Weib getötet hat und sich selbst nun im.Angesicht der Feinde den Todesstoß versetzt 10 ). — Wer kennte nicht die beiden Denkmäler der trotzigen Barbaren, die den Hellenen wie die riesenhaften Gegner der olympischen Götter erschienen! Die Medusa Ludovisi hat zwar langes Haar und der sterbende Gallier kurzes, aber im Verhältnis der gesamten Masse zur einzelnen Strähne und noch im Duktus der künstlerischen Handschrift ergeben sich Berührungspunkte. Nicht zuletzt gilt das jedoch für den Ausdruck. — Schon öfter hat man vermutet, daß uns im sterbenden Gallier der Tuba-Bläser des Epigonos erhalten sei, von dem Plinius an der gleichen Stelle berichtet 11 ). —

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An diese Werke zu erinnern ist auch deshalb wichtig, weil die Kopien, in denen sie erhalten sind, offenbar in derselben Epoche wie jene römischen Reliefs entstanden. So getreu etwa der sterbende Gallier nachgebildet erscheint, in weniger auf Sicht berechneten Partien wie dem Nacken findet sich im Haar wieder jene antoninische Technik, die dem Bohrer freien Lauf läßt. An der Medusa Ludovisi ist das noch deutlicher. In der Antoninen-Zeit scheint demnach nicht nur der pergamenische Gigantenkampf eine Erneuerung zu erfahren. Es ist vielmehr anzunehmen, daß aus dem Kreis und den Werkstätten jener Künstler, die den römischen Gigantenfries nach dem Vorbild des pergamenischen Altars gestalteten, ebenfalls die Kopien des sogenannten großen und auch des kleinen attalischen Weihgeschenks hervorgingen: der sterbende Gallier im Kapitol, der Gallier und sein Weib im Thermen-Museum, aber auch die Giganten, Gallier, Amazonen und Perser in Neapel, Venedig usw. Diese sind neuerdings nicht nur mit der Kunst des pergamenischen Altars, sondern auch mit seinem Aufbau in unmittelbaren Zusammenhang gebracht worden. H. Kähler hat ihre ehernen Urbilder dem bankartigen Postament zugewiesen, das an der Wand der äußeren Säulenhalle umlief 12 ). Der Stil der Kopien läßt dieselbe Arbeitsweise erkennen, die die großen Gallier, aber auch den römischen Gigantenfries auszeichnet. So mag der Kopf der Keltin des Epigonos zur Erinye des Reliefs gekommen sein, zu der er ebensowenig wie der hinterfangende Schleier paßt. Bei diesem handelt es sich offenbar wieder um eine Reminiszenz an die Bia. Demgegenüber ist die übrige Gewandung viel knapper gegeben — so knapp, daß es selbst kaum möglich erscheint, sie auf das Gewand der Jägerin des Nordfrieses zu beziehen 13 ). Von dieser ist allein der Oberkörper erhalten, und er ist zwar ähnlich, aber doch nur bis zu einem gewissen Grade. Daher wird man den Gedanken, in dem römischen Bruchstück könne ein zusammenhängender Abschnitt des Nordfrieses erhalten sein, fallen lassen, zumal dem schon die Gleichung mit der Löwengöttin entgegensteht. — Aber für die Deutung jener umstrittenen Partien des pergamenischen Gigantenfrieses gibt das römische Fragment doch etwas aus. Es sichert die Erinyen in der Nachbarschaft der Moiren 14 ). — Ob das zweite Bruchstück (Abb. 9) zum Gigantenkampf-Fries gehört, erscheint trotz der gleichen Höhe (1,05 m) fraglich. Zunächst sieht man überhaupt nichts von Giganten oder auch nur von Kampf. Sodann ist der Stil anders bis in das Laub des Lorbeerbaums hinein, neben dem hier Artemis auftritt. Auch wenn die Göttin mit Flügeln ausgestattet ist, fällt außerdem auf, daß sie zweimal im selben Fries erscheinen soll. Der Ausweg, es handele sich hier um Selene, führt kaum weiter und keinesfalls in größere Nähe zum pergamenischen Altar. Ähnliches gilt von der stehenden matronalen Gottheit neben Artemis, in der Hera vermutet worden ist. Ihr spannungsreiches Gewand mit dem durchsichtigen Mantel sieht zwar sehr hellenistisch aus und könnte auch pergamenisch sein, dann aber nicht vom großen Fries. Außerdem läßt der Lorbeerbaum neben Artemis auf seiner anderen Seite Apollo erwarten. Dementsprechend würde man jedoch in der stehenden Göttin lieber Leto sehen, das heißt wieder eine Gottheit, die zweimal vorkäme. 15

Die dritte, großenteils verlorene Figur jenseits eines zweiten Baumes ist durch ihren Hammer als Hephaistos gekennzeichnet. Mit dem Pergamener Feuergott hat er offensichtlich nichts zu tun, ebensowenig mit Kampf. Vielmehr ist bei der ganzen Szene an eine Götterversammlung zu denken. Wichtig ist gleichwohl, daß hier ebenfalls hellenistisches Formengut erneuert ist, und zwar allem Anschein nach auf früherer Stufe. Flavisch wie man vermutet hat 1 5 ), kann der Stil freilich kaum sein, eher hadrianisch, wenn man die sogenannten Tondi von Hadrians Jagdmonument am Constantinsbogen vergleicht, zum Beispiel den Baumschlag der Opferszenen dort 16 ). Die Artemis steht dem Kultbild der Diana nicht nur im Typus, sondern auch im Stil nahe, mag aber eher jünger als älter sein. — So käme vielleicht doch noch eine Entstehung unter Antoninus Pius in Frage und damit auch wieder die Möglichkeit, die Götterversammlung mit dem Gigantenfries am selben Bau unterzubringen. Man könnte dafür etwa an die Front denken; während die Gigantomachie an jüngeren Partien oder auch erst im Innern Platz gefunden haben mag. Der Charakter ihres Reliefs spricht vielleicht gerade für diesen Ort 1 7 ). Zwei Tempel lagen in der Nähe der Fundstelle: einer, dessen Gottheit nicht bekannt ist, und ein anderer, der Tellus gehörte, d. h. der Erdgöttin, griechisch Gaia oder Ge, der Mutter der Giganten. Man hat gemeint, der Untergang ihrer Söhne stelle keinen passenden Schmuck für ihr Heiligtum dar 18 ). Das wäre aber mehr rational als mythologisch gedacht und stünde nicht im Einklang mit jener Spätzeit, die beide Denkweisen eigentümlich zu verbinden trachtete. Es könnte eigentlich nur dann gelten, wenn man jenen Schmuck als mehr oder weniger sinnvollen Dekor auffaßte und nicht als eine Darstellung, die den Mythos von der Wirklichkeit her erneuert — ganz abgesehen davon, daß die Gigantomachie nun einmal zu Ge als bezeichnender mythischer Vorgang gehört. Tatsächlich läßt sich zeigen, daß jene Sage durch bestimmte historische Ereignisse in der Antoninen-Zeit eine Wiederbelebung erfuhr. Der K a m p f der Götter gegen die Riesen hat gerade damals die Gemüter sehr beschäftigt. 16

So findet sich die Gigantomachie auch in der Kunst gleichzeitiger römischer Sarkophage. Bekannt ist vor allem der vatikanische Giganten-Sarkophag, dessen Deckel leider verloren ist (Abb. 10) 19 ). Auf ihm müssen ähnlich wie etwa bei Niobiden-Sarkophagen die siegreichen Götter dargestellt gewesen sein. Denn auf der vorderen Langseite (und auf den beiden Schmalseiten) sind nur schlangenbeinige Riesen gegeben, und ihre Kampfeswut richtet sich nach oben. Zweimal oder sogar dreimal begegnet hier wieder der mächtige Rücken des Porphyrion: in der Gestalt der rechten Ecke und wohl auch in der ganz von hinten gesehenen Figur daneben, sowie in der vierten Figur von links. Man hat sogar gemeint, bis auf die Gefallenen liege überall jenes Urbild zugrunde. Es ist auch nicht zu leugnen, daß die Motive hier schon abgeschliffen sind und eine gewisse, Gleichförmigkeit erkennen lassen. Diese verrät sich zum Beispiel noch in den stereotypen Schlangenbeinen, die in der Folgezeit das römische Gigäntenbild so gut wie ausschließlich beherrschen. Aber die linke Eckfigur stellt doch nicht einfach eine Umkehrung der rechten dar, sondern geht offensichtlich auf den Klytios zurück ebenso wie das kleinere vatikanische Bruchstück (Abb. 4 und 5). Der Ast in der linken Hand trägt dabei nicht 3 Wmckelmannsprogramm 1949

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nur zur Erklärung des Baumstammes auf jenem Fragment bei, sondern er läßt auch die Annahme zu, daß jener römische Fries dem Künstler des Sarkophags bekannt gewesen sei. Auch dieses Motiv kehrt doppelt und dreifach wieder, und zwar bei den Mittelfiguren. Sie erinnern an die Eckfiguren. Jedoch ist der eine Gigant unbärtig oder vielmehr nur schnurrbärtig, und beide sind außerdem in anderer Wendung und in weniger ausgreifender Bewegung gegeben. Wahrscheinlich war hier jener pergamenische Nachfahre des Klytios Vorbild, von dem schon kurz die Rede war. Gemeint ist der Gegner der Dione am Nordfries. Dorther stammen nämlich auch die Gefallenen oder jedenfalls die zwei Stürzenden: der eine neben der Eckfigur, der mit kraftlos durchgebogenem Rücken von seinem Felsensitz herabsinkt, und der andere neben der Mittelfigur, der kopfüber mit hängenden Armen zusammensackt. Schon öfter hat man festgestellt, daß diese Gestalten auf die beiden Giganten zurückgehen, die in der pergamenischen Schlacht zwischen Aphrodite und dem Gegner der Dione übereinander gestürzt sind. Die Göttin der Liebe tritt dem einen mit dem Fuß ins Gesicht — eine Gruppe die schon um dieses Motivs willen, aber auch wegen ihrer künstlerischen Gestaltung im Gedächtnis haftet (Abb. n ) . — Die Gattung der Giganten-Sarkophage ist nur auf einige wenige Stücke beschränkt. Wichtig ist unter ihnen noch eines, und zwar um seiner Herkunft willen, die den Zusammenhang mit Kleinasien und Pergamon herzustellen vermag. Es ist ein kleines Fragment in Smyrna, das aus Pergamon stammen soll20). Sonst aber ist deutlich, daß der römische Sarkophag in seinen Motiven der pergamenischen Gigantomachic ferner steht als der römische Fries. Daher mag es auch kommen, daß man die Kunst des Sarkophags als einheitlicher empfunden hat. Jedenfalls ist in ihr alles mehr zu ganzheitlicher Wirkung verschmolzen. Unverkennbar ist aber auch, daß hier schon eine andere Stilstufe oder wenigstens eine reifere Entwicklung vorliegt. Der Giganten-Sarkophag muß später als der Giganten-Fries sein, dessen Kunst er offenbar voraussetzt. Wohl sind selbst Baum und Fels noch da, aber sie spielen nicht mehr die Rolle von Kulissen. Statt dessen ist ein Gedränge von Figuren gegeben, das seinerseits nun wieder an den pergamenischen Reliefstil erinnert. Obwohl die räumliche Anschauung der Gestalten auch jetzt anders bleibt, möchte man doch von einer größeren inneren Nähe zur hochpergamenischen Kunst sprechen. Dabei ist keine Frage, daß sich hier eine spezifisch römische Entwicklung auswirkt. Man kann sie im Stilwandel, man kann sie aber auch schon an den Themen verfolgen, die in der Kunst der Sarkophage einander ablösen. Gerhart Rodenwaldt hat hier bereits den Weg gewiesen 21 ). Er führt — kurz gesagt — vom mythologischen zum historischen Bild, vom Giganten- zum Gallier-Kampfund zur Schlacht gegen Germanen und andere Barbaren, öffentliche, staatliche Monumente wie der Tellus-Tempel und die Marcus-Säule können als Wegmarken dienen.

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GIGANTEN

UND

GERMANEN

Wahrscheinlich ist es nicht Zufall, daß so wenig Giganten-Sarkophage erhalten blieben und daß die Gallier-Sarkophage trotz ihrer etruskischen und italischen Vorläufer nicht sehr viel zahlreicher sind 22 ). Jedenfalls knüpfen sie unmittelbar an die Giganten-Sarkophage an. Der berühmte Sarkophag Amendola im Kapitol steht dem vatikanischen Giganten-Sarkophag nicht nur im Reliefstil nahe, sondern auch in der Wiedergabe der einzelnen Figuren bis aufs Haar. Der Schnurrbart des sonst jugendlichen Giganten in der Mitte gibt diesem eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit einem Gallier, eine mythologische Gleichung, wie sie schon in Pergamon gegeben war 23 ). Zwischen den beiden Sarkophag-Reihen bestehen offenbar formale und inhaltliche Beziehungen. Gäbe es Perser-Sarkophage, könnte man meinen, daß in diesen Zusammenhang auch die römischen Amazonen-Sarkophage gehörten, die stilistisch ebenfalls verwandt sind. Die Themen, des „kleinen attalischen Weihgeschenks" wären dann vollzählig vertreten. Anscheinend liegen die Dinge jedoch anders. Gewiß hat es seinen Grund, daß trotz des Parther-Feldzuges des Lucius Verus (162—165 n. Chr.) kein gleichzeitiger römischer Sarkophag erhalten ist, der Kämpfe gegen Perser darstellt. Dabei begegnen in Ephesos auf den Reliefs eines Denkmals, das allem Anschein nach jenen Krieg feiert, Barbaren in Hosen und persischer Mütze. Der Stil dieses Monuments hat auch schon immer an die pergamenische Gigantomachie und die attalischen Weihgeschenke erinnert 24 ). Wenn in Rom sich trotzdem erst in der Folgezeit hochpergamenische Motive einbürgern und unter diesen die Giganten- und Gallier-Kämpfe sichtlich bevorzugt werden, so ergibt sich daraus schon eine Deutung der Entwicklung: Erst die alsbald hereinbrechenden Vorstürme der Völkerwanderung und die durch sie ausgelösten Feldzüge gegen Markomannen, Sarmaten, Quaden und andere germanische und barbarische Völkerschaften von Gallien bis zum Schwarzen Meer haben die Erinnerung an die Gallier weithin geweckt und die Bilder jener Schlachten ins Gedächtnis gerufen, in denen sie einst an Rom und Pergamon ihre Meister gefunden hatten. Gleich den Gallier-Horden drangen einzelne Barbarenstämme tief ins Land ein. Die Bastarner gelangten bis an die Küsten Kleinasiens, die Kostoboken stießen ins Herz von Griechenland vor und zerstörten den Mysterien-Tempel von Eleusis 25 ). Marc Aurel stellte ihn dann wieder her (Schol. zu Ael. Arist. Dindorf I I I 308—9). Der vielfache Sieger über die Barbaren kann darum auch auf den Schulterklappen seines Panzers das Relief eines schlangenbeinigen Giganten tragen, wie dies seine Schildbüste an den sogenannten großen Propyläen von Eleusis, aber auch eine Pariser Büste aus Attika zeigt (Abb. 22). Das hat schon Otfried Deubner so gedeutet26). Darum kann aber auch eine Büste des Mitkaisers Lucius Verus, der bis zu seinem Tode (169 n. Chr.) am ersten Markomannen-Krieg teilnahm, die gleiche Darstellung bringen, zumal es sich anscheinend um ein unmittelbares Gegenstück zu jenem Pariser 3

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Marc Aurel handelt 27 ). Darum setzt aber auch um diese Zeit im germanischen Grenzgebiet die Reihe der sogenannten Giganten-Säulen ein, die das Monument eines Reiters über einem Giganten tragen: Jupiter oder auch der Kaiser als Jupiter, der über die Giganten triumphiert. Auf Grund von Inschriften läßt sich der Zeitpunkt mit ziemlicher Genauigkeit auf 170 n. Chr. bestimmen, wie Ferdinand Haug dargelegt hat 28 ). Eine Fülle von Reliefbildern der Gigantomachie schließt sich in den germanischen und gallischen Provinzen, bald aber auch andernorts an und reicht bis in die Spätantike. Die gelegentliche Verbindung mit dem Mithras-Kult erneuert nur den alten Sinn des Ringens um eine bessere Weltordnung, für die Ahuramazda und Jupiter und der römische Kaiser gleichermaßen eintreten29). Es scheint in der Natur der Sache zu liegen, daß diese Darstellungen zuerst in den von den Barbaren besonders bedrohten Provinzen begegnen. Es hat aber auch seine eigenen geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Gründe, wenn Rom, die Hauptstadt des Reiches, sich erst einige Jahre später einschaltet. Trotzdem hatte die Gleichung Gallier und Gigant, aber auch die Gleichung Germane und Gigant hier schon eine Tradition — ganz abgesehen davon, daß noch die Römer zwischen Kelten, Germanen und anderen mehr oder weniger nordischen Barbaren meist keinen Unterschied machten. Ebenso wie für die Hellenen war für sie das „tertiumcomparationis" beim Vergleich mit den Giganten die riesenhafte ungeschlachte äußere Erscheinung des Feindes und seine gesetzlose und aufsässige Wildheit. So hatte man schon die Cimbern mit den Giganten verglichen; und auf den Cimbern-Sieg von Vercellae (101 v. Chr.) geht wahrscheinlich auch die erste römische Münze, die Jupiter im GigantenKampf zeigt. Auf dem Rückseitenbild eines um 100 v. Chr. geschlagenen Denars stürmt der Gott in seiner Quadriga über einen schlangenbeinigen Giganten daher und schwingt seinen Blitz gegen ihn 30 ). — Gewöhnlich wird diese Darstellung auf andere historische Ereignisse als den Cimbern-Krieg bezogen. Denn es handelt sich um eine Prägung des Sisenna, eines Corneliers, der wie seine ganze gens im Gegensatz zu dem Populären Marius, dem Sieger von Vercellae, stand. Es ist aber daran zu erinnern, daß damals auch L. Cornelius Sulla, der spätere Diktator, als Legat mitgekämpft hat. Im Anschluß daran schlug er noch die mit den Cimbern verbündeten Tiguriner, und vorher hatte er bereits die Tektosagen besiegt. Beides waren keltische Volksstämme. — Auf die Rettung des Vaterlandes hat damals jedenfalls auch die Optimaten-Partei Anspruch erhoben, und zwar gerade zum Ruhme Sullas. Noch in dem Geschichtswerk des L. Cornelius Sisenna, eines etwas jüngeren Verwandten des genannten Sisenna, war Sulla die Hauptperson 31 ). Aus jenen Cimbern-Kämpfen ist hier noch eine Episode bedeutsam: Sie trug sich im Vorjahre von Vercellae zu, als der Consul Q_. Lutatius Catulus an der Etsch bei der Veroneser Klause eine schwere Schlappe erlitt. Plutarch erzählt (Marius 23), die römischen Soldaten seien von Schrecken übermannt worden, als die Cimbern „wie die Giganten entwurzelte Bäume und Felsblöcke und halbe Berge in den Fluß wälzten", um das Wasser zu stauen und die römische Brücke zu zerstören32). — Ist es 20

nicht, als sei die Erinnerung daran noch bei dem Künstler des römischen Gigantenfrieses wach gewesen? Plutarch, der die Geschichte nach dem zeitgenössischen Philosophen und Historiker Poseidonios überliefert, war garnicht so viel älter, ebensowenig Tacitus, den gerade bei seiner Schilderung der Cimbern das Bewußtsein des ewig unruhigen Germaniens leitet (Germ. 37): ,,Tam diu Germania vincitur" „So lange schon wird Germanien besiegt". — Der „furor Teutonicus" bildet jedenfalls den Hintergrund für die Erneuerung, die die Gigantenschlacht durch die Germanenkämpfe in der Zeit Marc Aurels erfuhr. Das Bild des ewigen Deutschen taucht hier bereits auf. Auch in Horaz' Musengedicht (Od. I I I 4,33 ff.) muß man annehmen, daß es vor allem die Briten gewesen sind, die die Titanen und Giganten heraufbeschworen, dann erst der spanische „Concaner, der in Roßblut schwelgt" und die thrakischen Gelonen und der Skythe. Galten doch die Britannier für wildere Barbaren noch als die Kelten, wie Strabo berichtet (IV 200). — Damals, als das Gedicht entstand, hatte Augustus den Plan, gegen Britannien zu ziehen (Horaz, Od. I 35,29 f.). Er soll seine Bewohner bezwingen so wie Jupiter „die frevelhaften Titanen und die Schar der Ungeheuer mit herabfallendem Blitz vernichtet hat" 3 3 ). Die Gleichung mit Jupiter ist für den römischen Kaiser allgemein gegeben 34 ). In dem besonderen Sinne des Gigantenkampfes wird sie von neuem bei Martial ( V I I I 50) lebendig, als er Domitians Sarmaten-Sieg preist (93 n. Chr.). Es sind dieselben Sarmaten, gegen die noch Marc Aurel zu Felde zieht. Und wenn dann zum ersten Male seit der Prägung des Sisenna unter Antoninus Pius Medaillons geschlagen werden, die Jupiter auf der Quadriga in der Gigantenschlacht darstellen (Abb. 12) 35 ), so ist hier wieder der Brite der Gigant wie bei Augustus. Die wesentlichen Kriegshandlungen des „frommen" Friedenskaisers, der als Herrscher Rom und Italien nicht mehr verlassen hat und, wie seine „ V i t a " berichtet (Hist. Aug. Pius 7, 12), „nur noch Expeditionen zu seinen Ländereien unternahm", erstrecken sich auf Britannien. Schon bald nach seinem Regierungsantritt war hier Krieg ausgebrochen (142 n. Chr.) und später wurde dort wieder ein Feldzug nötig (155 n. Chr.), der sich wahrscheinlich gegen die Briganten richtete (Paus. V I I I 4.3, 4) und Anlaß bot, „Jupiter dem Siegreichen" auf Münzen zu danken und dann auch jene Medaillons auszugeben36). Es waren kriegerische Erfolge und, soweit wir wissen, gehören sie zu den größten, die der Imperator oder vielmehr seine Feldherren errangen. Aber es waren keine Siege wie sie Jupiter über die Giganten erstritt und denen darum dieses Bild gebührt hätte. Die Größe des Feindes, die Gefahr, die von ihm drohte, drängten allenfalls zum Vergleich mit der Gigantenschlacht. Bei der Medaillon-Prägung des Antoninus Pius liegen vielleicht schon pergamenische Reminiszenzen vor. Sie kann an den bekannten Kameo des Athenion in Neapel erinnern, das Werk eines pergamenischen Künstlers oder wenigstens eines, der unmittelbar in der pergamenischen Tradition stand 37 ). Freilich ist beim Medaillon das Viergespann in anderer Richtung gegeben, es bäumt auch nur das letzte Pferd, und aus den zwei Giganten ist einer geworden. 21

12 Deutlicher und bewußter ist offenbar die Anlehnung auf entsprechenden Stücken des Marc Aurel gesucht (Abb. 13) 38 ). Da ist der schlangenbeinige Gigant in einen Krieger verwandelt, der ins Knie gestürzt ist und seinen Schild zu verlieren droht. Der geschichtliche Anlaß zu dieser Verwandlung ist ebenso klar wie ihr innerer Zusammenhang mit den älteren Prägungen: Der Krieger an der Stelle des Giganten ist der König der Quaden, die Jupiter durch Blitzschlag zur Unterwerfung gebracht hatte. Mögen zwischendurch auch einmal andere als Barbarenkriege mit dem Kampf der Götter und Giganten verglichen worden sein, zum Beispiel bei Lucan (I 33 fF.) die Bürgerkriege39), noch mehr als für den Hellenen bedeuten für den Römer Gallier und Germanen schlechthin Barbaren und Wilde, die den Giganten gleichen. J e länger das Imperium Romanum bestand, desto mehr wurden die Germanen zum Reichsfeind, der die Herrschaft Roms und des Kaisers gefährdet wie die Riesen das olympische Reich des Zeus. Von Anfang an schon drohte die Gefahr, unter Marc Aurel wurde sie akut. Die Parther, (nach einem berühmten Worte Mommsens) die einzige Großmacht neben Rom, waren keine wilde Völkerschaft, deren Unwesen den Vergleich mit den Giganten gerechtfertigt hätte. Sie waren außerdem zu sehr Nachfahren der Perser, die als solche dargestellt werden wollten, wie das Denkmal von Ephesos zeigt. Ihr Bild war in etwa schon durch die Hellenen festgelegt, die sie wohl als Barbaren angesehen, aber nie mit den Giganten verglichen hatten. Das Bild der Germanen hatte bei den Römern schon seine festen Umrisse, bevor es die Gestalt der Giganten annahm. Die Gleichsetzung von Giganten und Germanen ging über das Bild der Gallier, das die Griechen von diesen geprägt hatten. Es hatte seinen künstlerischen Ausdruck in einer Zeit gefunden, die den Römern zuerst innerlich ferner lag: im Hellenismus. Schon darum mag es sein, daß erst so spät größere bildliche Darstellungen der Gigantomachie begegnen, die sich auf die Kämpfe gegen die Germanen beziehen. Entscheidend ist aber doch, daß diese seit dem Cimbern22

schrecken erst unter Marc Aurel wieder so bedrohliches Ausmaß annahmen. Die Belagerung Aquilejas und die Bedrohung Veronas durch Markomannen und Quaden gehören zu den schweren Erschütterungen, die Rom in dieser Zeit erlebte, ähnlich wie Hellas durch den Sturm auf Eleusis aufgerüttelt wurde. Um so verständlicher ist, daß bestimmte Vorkommnisse aus dem Feldzuge im Quadenlande, durch die Jupiter selbst zugunsten Roms einzugreifen schien, die Gemüter besonders bewegt haben. Das Regen- und das Blitzwunder haben dem alten Vergleich des Kaisers mit Jupiter im Gigantenkampf neue Impulse verliehen, die anscheinend die Kunst der Gigantenund Galliersarkophage hervorriefen und die Schmückung des Tellus-Tempels mit dem Gigantenfries bewirkten. Dem entsprechen jedenfalls die Daten, die die stilistische Untersuchung für diese Denkmäler an die Hand gibt. Vor dem am 23. Dezember 176 n. Chr. gefeierten großen Triumph über die Germanen und Sarmaten ist kaum eines jener Monumente entstanden. Jene wunderbaren Geschehnisse sind, wie man längst bemerkt hat, die einzigen, „die als besonders merkwürdige Vorfälle des Krieges durch die Quellen überliefert werden" 40 ). Darum sind sie wohl auch in den untersten Windungen an der Reliefspirale der Marcus-Säule auf der Piazza Colonna in Rom dargestellt 41 ). Einmal sieht man (XVI) 4 2 ) Jupiter Pluvius mit ausgebreiteten Flügeln und Armen über Freund und Feind schweben. Wie von den Ärmeln eines Mantels trieft an dem Gott Wasser hernieder, die verschmachtenden Römer zu erquicken. Die Feinde und ihre Pferde werden vom Wasserschwall bedrängt und vernichtet, während auf dem anschließenden Bilde der Regen über die Legionäre strömt, die teilweise ihre Schilde über sich halten 43 ). Die andere Szene (XI) ist noch bedeutsamer, weil sie zeitlich vorangeht und vor allem, weil hier der Kaiser selber in Erscheinung tritt. Bei jenem Wolkenbruch war noch nach der bildlichen Darstellung nur einer seiner Feldherren zugegen, und zwar war es 23

M der spätere ImperatorPertinax, wie Eusebius überliefert (II 173, ed. A.Schöne) 4 4 ).— Leider ist das Relief stärker zerstört; man erkennt jedoch immer noch genug: Die Germanen haben versucht, mit einem Belagerungsturm ein römisches Kastell zu ersteigen. Aber ein großer Blitz geht nieder, erschlägt sie, und der T u r m wird ein Opfer der Flammen. Kaiser Marcus deutet auf das Wunder. „ E r ist es gewesen, der durch sein Gebet einen Blitz vom Himmel gegen das Machwerk der Feinde ausgelöst hat", wie seine Vita erzählt (24). Schon die Soldaten und erst recht die Hauptstadt erkannten hier sogleich sichtbare Zeichen für Jupiters Beistand. Münzen stellen den Kaiser mit dem göttlichen Blitz dar, und Victoria kränzt ihn 4 5 ). Noch deutlicher redet in diesem Sinne die schon besprochene Medaillonprägung. Bald wollten selbst die Christen an jenen Wundern beteiligt sein. Man wüßte gern, was Marcus selber darüber gedacht hat. Ein Schreiben an den Senat, das in der Uberlieferung eine Rolle spielt, ist leider verloren. Aber es blieb und bleibt jenes Bild, auf dem die kaiserliche Gestalt in bezeichnender Gebärde auf die Katastrophe weist.

DER GIGANTEN-FRIES AUS

APHRODISIAS

Es waren nicht nur Vorgänge der Kunstentwicklung, die zur Wiederaufnahme hellenistischer Formen und Motive im R o m der Antonine führten. Wenn da gelegentlich Statuen entstehen, die in das klassische Vorbild, das sie nachahmen, einen eigentümlich verschobenen oder verbogenen „Contrapost" hineintragen 46 ), so mag man jetzt ahnen, daß solche Figuren auch aus inneren Gründen sich so eigentümlich ge24

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zwungen und verkrampft bewegen. Sie erinnern nicht umsonst und nicht nur äußerlich an hellenistische Skulpturen des sogenannten zentrifugalen Stiles47), die sich nur unter äußerster Anstrengung als selbständige Gestalten behaupten. — Mit gewissem Recht könnte man sogar sagen, daß das spätere 2. Jahrhundert nach Chr. noch mehr unter Zentrifugalität litte als das spätere 2. Jahrhundert vor Chr., für das sie als bezeichnendes Stilmerkmal hervorgehoben ist. In der Kunstgeschichte bedeutet diese Zentrifugalität, daß Rom nicht mehr ausschließliches Zentrum des Geschehens ist. Schon seit Hadrian ist zu beobachten, daß die Provinzen wieder mehr in Führung gehen. Die — wenn überhaupt — durch diesen Kaiser verbreitete sogenannte Reichskunst enthüllt gerade von Rom aus gesehen ihre Schwächen und Widersprüche. Sie ergeben sich bereits aus der Tatsache, daß Hadrian eine Erneuerung aus dem Geiste der hellenischen Klassik erstrebte, die unter seinen Nachfolgern zu einer Renaissance des Hellenismus führte. Schon an der Darstellung der Gigantomachie konnte deutlich werden, daß die Provinzen oder wenigstens bestimmte Provinzen Rom darin voraus waren. Gewiß haben hier sachliche Gründe mitgesprochen. Die äußere Nähe zu den neuen Riesen, den Germanen, förderte auch die innere Annäherung an die Giganten. Aber auch 4

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ohne diese Gelegenheit scheint es im Heimatlande hellenistischer Kunst, in Kleinasien, bereits zu einer Wiederbelebung der Kunst des großen Frieses von Pergamon gekommen zu sein. Aus Aphrodisias, einer Stadt, die in einem Seitental des Maeander an der Grenze Kariens liegt, sind die frühesten römischen Reliefs erhalten, die in Thema und Stil auf die pergamenische Gigantomachie zurückgehen. Nach Kleinasien, vielleicht sogar nach Pergamon selbst, wies schon das eine Fragment eines Giganten-Sarkophags. Dort befand sich in der einstigen Residenz der Attaliden, die immer eine besondere Stätte des Kaiserkultes war, das Urbild aller dieser Gigantomachie-Reliefs: Der große Fries am pergamenischen Altar. Schon darum ist kaum zu bezweifeln, daß aus Kleinasien die Künstler kamen, die die hochpergamenischen Formen und Motive in Rom verbreiteten. Die Bildhauer-Schule von Aphrodisias war fast durch die ganze Kaiserzeit hin berühmt 48 ). Sie hat jedoch unter Hadrian und seinen Nachfolgern, von denen Antoninus Pius Statthalter in Kleinasien war (134—135 n. Chr.), in Rom besondere Förderung erfahren. In Aphrodisias selbst aber tragen die Thermen Inschriften von Weihungen an Aphrodite und Hadrian, die den reichen Skulpturenschmuck datieren und darüber hinaus einen wichtigen Anhalt für die römische Kunstgeschichte im hellenistischen Osten bieten49). Als Gönner der Stadt wird schließlich auch Marc Aurel genannt, der das Asylrecht des berühmten Aphrodite-Heiligtums erneuert hat. Die Gigantomachre-Reliefs aus Aphrodisias befinden sich heute in Istanbul im Museum, wo sie leider sehr hoch angebracht und schlecht zu betrachten sind (Abb. 14, 16 und 17) 50 ). Uber ihre ursprüngliche architektonische Eingliederung ist nichts bekannt. Sie fanden sich in zweiter Verwendung einer Brunnenanlage eingefügt, wobei 26

17 die Schlangenbeine der Giganten offenbar als Schuppenleiber von Tritonen angesehen werden sollten. Einer solchen Auffassung konnten noch die Göttinnen des einen größeren Bruchstückes (Abb. 16) Vorschub leisten, die in windgeblähten Schleiergewändern teils laufend, teils schwebend wie See- oder Luftgottheiten, Nereiden, Aurae oder andere Nymphen bewegt sind. Für diese beiden Figuren lassen sich nicht leicht Vorbilder am pergamenischen Altar ausfindig machen. Bei der laufenden mag man wieder an die Adrasteia-Bia denken, deren Gewandung auch für die schwebende von Bedeutung gewesen zu sein scheint. Bei ihrer Bewegung könnte man auch noch an die Nike der Athena-Gruppe erinnern (Abb. 15). Eine gewisse Unsicherheit bleibt bestehen, zumal es sich in beiden Fällen um eine Umkehrung der Bewegungsrichtung handeln müßte. Deutlicher sind die Beziehungen bei den Giganten. Die beiden ersten, die tödlich getroffen zusammenbrechen oder zusammengebrochen sind, gehen offensichtlich auf den Gefallenen zwischen Themis und Phoibe am Südfries zurück 51 ). Teils ist es seine gesamte Bewegung, teils die verschränkte Haltung, teils die Neigung des Kopfes mit dem wirren, ins Gesicht fallenden Haar, die dem Künstler von Aphrodisias für seine Gestalten von Nutzen gewesen sind. Der vom Rücken gesehene dritte Gigant, über dessen Schultern ein Fell wie der Mantel auf römischen Büsten liegt, ist trotz seiner Jugendlichkeit wieder vom Porphyrion aus der Zeus-Gruppe hergeleitet. Aber ein näherer Vergleich zeigt doch auch, wie sehr abgeleitet er ist. Das gilt erst recht für seine Genossen, wenn man nach dem Ausdruck barbarischer Wildheit fragt, der die Giganten in Pergamon und vornehmlich ihren Fürsten Porphyrion auszeichnet. In der T a t : Diese Gestalten gleichen eher Tritonen als Riesen, die an Barbaren vom Schlage der Gallier und Germanen erinnern könnten. 27

Ähnliches läßt sich auch von der Giganten-Figur des einen der beiden kleineren Fragmente sagen (Abb. 17). (Das andere ist zu sehr zerstört.) Sie mag den Gegner der Asteria an der Ost-Ecke des Südfrieses in Erinnerung rufen 52 ). Aber da reißt die Göttin den Feind am Haar, um ihn niederzustechen, und ihr Hund beißt in sein Schlangenbein, während hier der Gigant noch über volle Bewegungsfreiheit verfügt. Unbeeinträchtigt durch seinen (nicht mehr erhaltenen) Gegner oder gar durch die Erscheinung der Artemis holt er zum Wurf mit einem Steine aus. Und die Göttin selbst ist eine winzige Gestalt, die über einen Felsensockel schreitend eher einem Kultbild der „fernhintreffenden" Jägerin gleicht als jener Gottheit, die sich am pergamenischen Altar über Leichen ins Handgemenge stürzt. Auch an dem anderen großen Bruchstück (Abb. 14) fällt das Mißverhältnis von Gottheit und Gegner auf. Am pergamenischen Fries liegt schon in der vollen Größe der Gestalt, zu der die Götter aufragen, die Gewißheit ihres Sieges 53 ). Die Giganten sind trotz ihrer Riesenstärke gewöhnlich näher zum Boden bewegt und niedriger gehalten. Das gilt vor allem für die Zeus-Gruppe (Abb. 1), das maßgebliche Werk des führenden Meisters. Aus der Zeus-Gruppe stammen die beiden Giganten, die in Aphrodisias mit Athena verbunden sind. Unverkennbar ist es Porphyrion und sein jugendlicher Gefährte, die hier gegen die Schlachtengöttin streiten. Beide tragen auch noch Porphyrions Spitzohr 54 ). Seine Gestalt ist — abgesehen von der anderen Windung der Schlangenbeine — bei dem zweiten Gegner der Athena ziemlich unverändert beibehalten, füllt aber fast die volle Höhe des Reliefs aus. Stärker ist sein Genosse umgebildet, und zwar nicht nur dadurch, daß er Bart, Fell und Schlangenbeine bekommen hat. Auch seine Bewegung ist abgewandelt, und auch er ragt höher empor. Die halb abwehrende, halb bittende Geste seiner rechten Hand reicht fast bis zu dem architektonischen Profil, mit dem der Fries oben abschließt. Sie ist offensichtlich von der großen Gebärde beeinflußt, mit der die Erdgöttin Ge in der Athena-Gruppe am Altar für ihre Söhne fleht (Abb. 15). Athena selbst überragt auch in Aphrodisias ihre Gegner; aber ihrer Gestalt und ihrer Bewegung fehlt es so sehr an Wucht, daß man fast zu zweifeln geneigt ist, ob der Künstler die mächtige Erscheinung der pergamenischen Göttin nachbilden wollte. Denn diese Fries-Figur hatte, als sie am Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. entstand, schon eine lange Geschichte hinter sich 55 ). Der Typus könnte also vielleicht auch auf anderem Wege nach Aphrodisias gekommen sein. Aber die in eine regelmäßige Form überführte Aegis, die in Pergamon und ursprünglich bei diesem Typus schräg gelegt war, und die Zutat des flatternden Mantels sind so bezeichnend für die Arbeitsweise jener Bildhauer von Aphrodisias, daß diese Eigenheiten nicht gegen die Herleitung des Vorwurfes aus Pergamon ins Feld zu führen sind. Vielmehr ist nicht zu verkennen, daß der rechteckigen Aegis auch eine Begradigung des darunter zum Vorschein kommenden Gewandteils entspricht, und daß der den Gewandfalten fehlende Schwung durch den wehenden Mantel wieder wett gemacht werden sollte, ähnlich wie bei den beiden Göttinnen des anderen großen Bruchstückes. Es handelt sich offenbar um ganz bewußte Abweichungen. 28

Gerechterweise kann man hier nicht nur eine Verkümmerung der hochpergamenischen Vorbilder erkennen wollen. Man muß auch anerkennen, daß ein anderer Wille am Werke war, der weniger auf die Wirkung der Gestalten als auf Richtigkeit und Wirklichkeit der Darstellung ausging. Er drückt sich im Gewandstil, er drückt sich aber auch in der Gestaltung des Gegenstandes aus; und wie so oft läßt er sich gerade da am besten definieren, wo der Künstler am wenigsten interessiert war. Ein anderes, mehr logisches Verhältnis zur Realität hat sich durchgesetzt, das dem Mythos allerdings zum Verhängnis wird. Doch hat es aus diesem Gedankengang heraus auch noch seinen Sinn, daß die Götter nicht mehr so machtvoll auftreten, daß sie kleiner gegeben werden und geradezu entrückt erscheinen, — ähnlich wie sie bei dem Giganten-Sarkophag dem Schlachtengetümmel entzogen und auf dem Deckelrelief darüber dargestellt waren (Abb. 10). Bei einem Vergleich mit dem Giganten-Sarkophag und dem Gigantenfries in Rom werden Zusammenhänge und Unterschiede deutlich (Abb. 2). Sie betreifen nicht nur den Stil, sondern auch die Motive 56 ). Das Bild der Landschaft tritt zurück, und das kann für die Deutung wichtig sein. Denn es ist keineswegs nur um des größeren Figurengedränges und des anderen Reliefstiles willen zu kurz gekommen. Gewiß spricht d^r Reliefgrund stärker in der Komposition mit; aber doch nicht im neutralen Sinne des älteren griechischen Reliefs, gleichsam als Folie für die Figur, sondern auch hier als Hintergrund im räumlichen Sinne des römischen Reliefs. Das beweisen schon die Bäume und erst recht Überschneidungen, Staffelungen und Verkürzungen: die schwebende Göttin des ersten großen Bruchstückes und eben dort vor der laufenden Göttin der zusammengebrochene Gigant, dessen Unterkörper im Relief verschwindet — die um den Baum sich ringelnde Schlange des ersten Athenagegners auf dem zweiten großen Bruchstück — die Artemisfigur auf dem kleinen Fragment usw. Man kann sagen, es hätte durchaus im Bereich der Möglichkeiten gelegen, auch eine felsige Landschaft zu geben, wenn sie gefordert war. Sie war es offenbar' nicht. In diesem Sinne scheint es, daß die Gigantomachie aus Aphrodisias eher dekorativ gemeint ist. Nichts deutet darauf, daß hier ein mythologisches Gleichnis für historische Ereignisse gegeben werden sollte wie etwa bei dem römischen Fries, hinter dessen Giganten die Germanen der Feldzüge Marc Aurels stehen. Daß darüber hinaus Stildifferenzen bestehen, die nicht nur Zeitunterschiede sind, soll keineswegs geleugnet werden. Der Verzicht der Bäume auf Laub, ihr stärkerer Kulissencharakter ist griechisches Erbe im hellenistischen Osten. Ebenso ist es die Anpassung der Figuren an die Reliefhöhe, die selbst gegenüber dem pergamenischen Altar hervorzuheben war: das Mißverhältnis von Gott und Gegner. Dann ist auch nicht zu verkennen, daß die Figuren mehr in parallelen Reliefschichten bewegt sind, daß eben räumliche Wirkungen nur mit Zurückhaltung angestrebt sind. Und schließlich ist auch die Bohrarbeit sparsamer zur Anwendung gekommen, wie das für Werke des griechischen Ostens in dieser Zeit auch sonst zu beobachten ist 57 ). 29

Der Zeitunterschied kann nicht sehr groß sein. Die Bohrarbeit ist zwar seltener, bezieht aber besonders am ersten großen Bruchstück die Zwischenstege im H a a r ebenso in die künstlerische Rechnung ein wie die nachgezogenen Reliefkonturen und nutzt diese geradezu zu tiefenräumlicher Wirkung (vor allem bei den ersten beiden Figuren) . Damit geht sie sichtlich über das hinaus, was die Skulpturen der Thermen von Aphrodisias bringen, wenn sie auch aus deren Tradition entwickelt ist. I m Reliefstil besteht noch ein engerer Zusammenhang, aber auch in einzelnen Motiven, zum Beispiel, wenn man wieder vom ersten großen Bruchstück ausgeht und die windbewegten Göttinnen mit den ähnlichen Eckfiguren an den Kapitellen der Thermen vergleicht 58 ).

RENAISSANCE DES

HELLENISMUS

Die Gigantomachie von Aphrodisias mag unter Antoninus Pius entstanden sein. Aber es ist sehr fraglich, ob sie sich entsprechend den Medaillon-Prägungen desselben Kaisers auf seine Erfolge in Britannien bezieht. Schon die Interpretation sprach nicht dafür, der Vergleich mit der römischen Gigantomachie erst recht nicht. Mag diese auch später entstanden sein, innerlich steht sie ihrem Vorbild näher, hat sie mehr von Sinn und Größe des pergamenischen Giganten-Kampfes bewahrt. Das hat offenbar seihe sachlichen Gründe. Es liegt aber auch daran, daß die Reliefs von Aphrodisias anscheinend nicht die erste Erneuerung der pergamenischen Gigantomachie darstellen. Dazu stehen die beiden Monumente einander auch schon äußerlich zu fern. M a n sieht dem Giganten-Fries von Aphrodisias an, daß er Vorläufer gehabt hat. Aus der römischen Kaiserzeit sind einstweilen keine früheren Beispiele bekannt, wohl aber aus der hellenistischen Epoche 59 ). Die sogenannte kleine Gigantomachie von Pergamon, die jedenfalls zu den Balustraden des Athena-Heiligtums gehört, ist dem Stil nach zum sogenannten kleinen Altar-Fries zu schlagen, der an den Wänden des eigentlichen Opfer-Hofes die Sage von Telephos, dem Ahnherrn der Pergamener, erzählte 60 ). Hier handelt es sich u m eine unmittelbare Weiterentwicklung der Kunst des großen Frieses: mehr um ein Weiterleben als u m ein Nachleben. Ähnliches gilt für die Gigantomachie-Reliefs aus Priene, die früher am Altar des Athena-Tempels, jetzt in dessen Kassetten-Decke untergebracht worden sind 61 ). Dasselbe läßt sich auch noch für den Westfries des Hekate-Tempels von Lagina behatipten 6 2 ). Diese Kunst beruht noch auf der echt hellenischen Typen-Tradition, die zum klassischen Grundzug auch der hellenistischen Form gehört und eine besondere Stärke ausmacht. Die Stetigkeit der Uberlieferung führte zu einer Weiterentwicklung der in Pergamon vorgebildeten Motive. Sie verstand sich von selbst, wo es sich um dasselbe Thema handelt, so, wie auch in Pergamon nicht alles neu war. Gewiß wäre es interessant zu verfolgen, welche Motive hier etwa weiterwirkten, u m auch daraus Rückschlüsse auf die Rangstellung der pergamenischen Giganto30

machie zu ziehen. Aber das erforderte eine eigene Untersuchung. Die Erinnerung daran ist hier nur für die Feststellung wichtig, daß unser Begriff von Originalität, der ohne weiteres Qualität damit gleichsetzt, fehl am Platze ist. — Anders als bei den Reliefs aus Pergamon, Priene und Lagina liegt es bei der Laokoon-Gruppe. Die Ähnlichkeit zwischen dem Gegner der Athena am Ostfries und dem Laokoon ist schon bald nach der Auffindung des Altars aufgefallen. Die richtige Ergänzung des rechten Armes beim Laokoon macht die Ubereinstimmung des Motivs noch deutlicher. Für anatomische Einzelheiten könnte man noch auf den Rumpf des Zeus verweisen, ähnlich wie man den Kopf des Klytios neben den Laokoon gestellt hat. Die Zusammenhänge sind jedenfalls nicht zu leugnen. Sie sind keineswegs zufällig, wie auch behauptet worden ist, sondern sie gehen so sehr ins Detail, daß sie den drei rhodischen Meistern durchaus bewußt gewesen sein müssen63). Hagesandros, Polydoros und Athanodoros von Rhodos kamen wohl noch aus der Tradition der kleinasiatischen Kunst, die den wesentlichsten Anteil zur Ausbildung des hochhellenistischen „Barockstils" beigetragen hatte. Aber zwischen diesem „Barock" und ihrem „Neobarock" lag bereits eine Epoche, die die ersten getreuen Kopien nach klassischen Werken hervorgebracht hatte64). Die aus äußeren Gründen gegebene Datierung des Laokoon in die Zeit des Augustus macht es ganz deutlich, daß jetzt ebensowohl die Formen der Hochklassik des 5. Jahrhunderts v. Chr. wie die des Hochhellenismus des 2. Jahrhunderts v. Chr. Vorbild waren 65 ). Beide galten als klassisch und hatten für den augusteischen Klassizismus nahezu denselben Rang und Wert. Sie konnten daher auch ganz äußerlich übernommen werden wie beim Laokoon, wo es sich um einen ganz anderen Vorwurf handelte. Denn die Typen-Tradition galt in der griechischen Kunst vornehmlich für Darstellungen desselben oder eines annähernd gleichen Gegenstandes und erfuhr schon dadurch ihre Rechtfertigung. Dem Wesen römischer Kunst entspricht es, daß danach nicht mehr gefragt wird. Darin ist der Laokoon „römisch". Trotzdem steht das Werk in einer eigenen Uberlieferung, nämlich in der Kleinasiens, die stets mehr hellenistisch als klassisch gedacht und geformt hat. In der Kaiserzeit scheint sie ihre Hauptpflegestätte in Aphrodisias gefunden zu haben, das offenbar an die Stelle von Pergamon und Rhodos trat. Dabei hat vielleicht schon der Umstand eine Rolle gespielt, daß Aphrodisias im Gegensatz zu Pergamon über eigene Marmorbrüche in nächster Nähe verfügte 66 ). „Marmor-Statuen aus Aphrodisias" spielen in Inschriften eine Rolle und diese wissen sogar von Wettkämpfen, von „Agonen" der Bildhauer zu berichten, die in der Stadt abgehalten wurden 67 ). Mit dem 2. Jahrhundert n. Chr. haben ihre Meister auch den Weg nach der Reichshauptstadt und an den Kaiserhof gefunden, so daß es nicht wundernimmt, wenn sie mit dem 3. Jahrhundert n. Chr. selbst in Afrika, in Leptis Magna, dem Geburtsort des Kaisers Septimius Severus, begegnen. Dort sind sogar zwei skulpierte Basen unbekannter Bestimmung zutage gekommen, die mit Relief bildern vom Giganten-Kampf geschmückt sind. Der kunstgeschichtliche Zusammenhang mit Aphrodisias steht außer Frage und ist auch sonst schon öfter für Leptis konstatiert worden68). Es ist hier aber auch nicht 3i

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der Ort, die Geschichte der Bildhauerschule von Aphrodisias zu schreiben. Nur einige Fragen aus dieser Geschichte sind noch von Belang. Sie betreffen das Thema der Gigantomachie und die Vorgeschichte seiner Erneuerung in Rom. Schon öfter ist festgestellt worden, daß zahlreiche Bildhauerarbeiten in Ephesos, der Hauptstadt der römischen Provinz „Asia", die in der Kaiserzeit an die Stelle der hellenistischen Residenz Pergamon trat, auf die Schule von Aphrodisias zurückgehen. U n d zwar fällt hier nicht nur der Zusammenhang etwa zwischen den gelagerten Gottheiten des Parther-Monuments und denen der Thermen von Aphrodisias auf. Auch die stilistische Beziehung des Denkmals zum pergamenischen Altar ist öfter bemerkt worden 69 ). Sie ist vor allem für die wagenfahrenden und geflügelten Gottheiten der allegorischen Bilder hervorzuheben. Hier liegt es also ähnlich wie beim Laokoon: die schlechthin vollendete Form des Vorbildes übt einen Zwang aus, ohne daß er durch den Vorwurf gefordert wäre. — Von hier aus sind Verbindungen bis zu den spätantoninischen Reliefs des Constantins-Bogens herzustellen 70 ). Auch in Milet und Didyma, am Theater und am Apollo-Tempel, lassen sich in dieser Zeit gelegentlich sogar dieselben Künstlerhände wie in Aphrodisias nachweisen. 32

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Das gilt nicht nur für das Motiv der Medusen- und ähnlichen Masken und Protomen, das a m Didymeion den Schmuck des Ringhallenfrieses bestreitet und auch nach R o m und selbst nach Leptis Magna geradezu wie ein Leitmotiv ausgestrahlt hat. Es trifft auch für Darstellungen von Giganten an Portalen des Mileter Theaters zu 71 ). — Wieweit sie dekorativ, wieweit sie mythologisch-historisch bedingt sind, soll hier nicht mehr gefragt werden. Wichtig ist nur noch, daß von hier aus die figürlich ausgestalteten Kapitelle des Didymeion in neuem Licht erscheinen. Büsten von Zeus und Apollo, Artemis und Leto sind hier den ionischen Eck-Kapitellen der Front angefügt gewesen. 5

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Sie gehören in diese Zeit und erinnern sehr an den hochpergamenischen Stil (Abb. 18, 20) 72 ). Wie Apollo selbst noch seiner Schwester am großen Fries nahekommt (Abb. 19), so wird Zeus in etwa das verlorene Haupt des Gottes in der mächtigen Gruppe des Ostfrieses ersetzen können. Darum sind uns diese Bruchstücke besonders kostbar. Eine Gegenüberstellung des Zeus mit einem Giganten-Kopf aus dem Ostfries (Abb. 21) 73 ) lehrt gewiß, daß die Arbeit den Stempel ihres Zeitalters trägt: Bohrlöcher und Bohrstege in maßvoller Verwendung, aber ein stark zerklüftetes Relief, dessen Lichtund Schattenkontrast mit erheblicher Fernwirkung rechnet. Danach mag eine Datierung in frühantoninische Zeit gerechtfertigt erscheinen. Unverkennbar schlägt gleichwohl die Größe des Vorbildes durch und verbürgt eine innere Nähe zur hochhellenistischen Kunst, die geradezu von einer Renaissance des Hellenismus zu sprechen 34

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erlaubt. — In der Tat bewähren denn auch die neu eroberten hochhellenistischen Formen in der Folgezeit ihre Kraft. Besonders am Thema der Gigantomachie läßt sich die Wirkung jener Wiedergeburt erweisen. Sie reicht selbst nach Hellas, dem klassischen Land 7 4 ). Ob sie von Rom oder unmittelbar von Aphrodisias ausgeht, ist dort vorerst noch nicht klar. Wahrscheinlich stammten die Künstler aus Aphrodisias, während die Idee, der die Darstellung des Kampfes der Götter mit den Riesen diente, über Rom kam. Ihre Bedeutung steht jedenfalls fest. — Es heißt, Dichter der sogenannten alten attischen Komödie, darunter auch Aristophanes (Av. 2. Hypoth.) hätten zur Zeit der sizilischen Expedition und mitten im peloponnesischen Kriege das „abgeleierte Thema der Gigantomachie parodieren wollen" 7 5 ). In der T a t könnte damit der Umstand erklärt werden, daß damals der Kampf der Götter gegen die Riesen verhältnismäßig häufig auf Vasenbildern dar5

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gestellt ist. Aber was besagt die Nachricht selbst ? Wollten die Dichter mit ihren Parodien nur gegen einen allzu häufig behandelten Gegenstand angehen, oder wollten sie damit etwa über die Großmannssucht der „imperialistischen" Politik Athens herziehen ? — Wie dem auch sei, der Gedanke liegt nicht allzu fern, daß schon die Gigantomachie an den Ostmetopen des Parthenon als mythologisches Gleichnis zum Perserkrieg anzusehen sei. So wie die Kentauren-Schlacht im Süden, die AmazonenSchlacht im Westen und der K a m p f in Troja im Norden die große Zeit von Hellas und Athen im Bilde feiern, könnte man dies gerade auch für die Darstellung der Frontseite vermuten wollen. — Aber eine solche Anschauung verkennt den R a n g , der der Giganten-Schlacht ihrem Ursprung nach in der griechischen Sage und in der griechischen Kunst zukommt, die (nach einem Worte J a k o b Burckhardts) immer der treueste Hüter des Mythos war. Der Sieg der Olympier über die Giganten und Titanen liegt auf einer anderen Ebene als der K a m p f der Kentauren und Lapithen 76 ). Wohl kann man sagen, im göttlichen Bereich komme der Gigantomachie dieselbe Bedeutung zu wie im menschlichen Bezirk der Kentauromachie, nämlich: Gleichnis des Kampfes der Mächte zu sein. Es entspricht dem Wesen des hellenischen Glaubens, daß nicht nur der Mensch, sondern daß auch die Götter gefährdet sind und zu streiten haben. Dahinter steht jene uralte indogermanische Anschauung, von der schon die Rede war. Aber daß der Mensch den Göttern gleichgesetzt wird, ist in diesem Glauben ursprünglich nicht enthalten. Noch in der hellenistischen Zeit, mit deren Beginn es anders wird, kann dies deutlich werden. Plutarch berichtet nämlich (Demetr. 12) 7 7 ), die Athener hätten in dem Giganten-Kampf, mit dem sie das Gewand der Burggöttin alle vier J a h r e zum großen Panathenäen-Feste schmückten, auch einmal Bilder des Demetrios Poliorketes und seines Vaters Antigonos verwoben. Beim Transport in der feierlichen Prozession sei aber jener „Heilige Peplos" der Athena durch einen plötzlichen Windstoß in Stücke gerissen worden. Es war die Strafe dafür, „Ehrungen, die den Göttern gebührten, für menschliche Auszeichnungen mißbraucht zu haben", wie der Komödiendichter Philippides es ausdrückte 78 ). Hier kann noch deutlich werden, warum das Thema der Gigantomachie in der Kunst der Alexander-Zeit nicht die Rolle spielt, die man erwarten könnte. Auch in der Literatur sind offenbar erst spät und selten (Plut. de Alexandri Magni fort, seu virt. 341 DE) Alexanders gewaltige Schlachten mit Zeus' K a m p f gegen Typhon und dem Giganten-Kampf verglichen worden 79 ). Die Voraussetzung dafür war einmal die Vergöttlichung des Herrschers, die sogenannte Apotheose, die sich erst mit dem Hellenismus allgemein durchsetzt. Dann aber mußte es sich auch um Gegner handeln, die von anderer wilderer Art als die Perser waren. Dafür kamen bei Alexander allenfalls die Inder in Frage, die denn am Ausgang der Antike auch im Epos des Nonnos als Giganten gegen Dionysos streiten. Es ist keine Frage, daß es sich in diesem Falle um eine Gleichung zum Alexander-Zug handelt.

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V o r allem forderten dann aber die Gallier- und Kelten-Horden, die seit dem frühen 3. Jahrhundert v. Chr. Hellas und Kleinasien verheert haben, zum Vergleich mit den Giganten heraus. Zum ersten Male findet er sich denn auch bei dem berühmten alexandrinischen Dichter Kallimachos, als er von einem Aufstand gallischer Söldner unter dem zweiten Ptolemäer-König spricht (Hym. in Del. 171 ff.). — Das erste Denkmal der bildenden Kunst, das den K a m p f gegen die zerstörerischen K r ä f t e der Gallier unter dem Gleichnis der Gigantomachie feiert, ist der große Fries des Altars von Pergamon. Auf Siegen über die Gallier beruhte der R u h m der pergamenischen Fürsten. Der große Altar ist ein Denkmal dieses Ruhms. Ein Kelten-Sieg ist es gewesen, der Attalos I. bewog, das Diadem anzulegen und damit die Dynastie des pergamenischen Königshauses zu begründen 80 ). Darum hatte noch sein Sohn 37

Eumenes I I . Veranlassung, diesen Sieg in den Reliefs jenes Altars zu verherrlichen, den er dem Zeus und der Athena weihte, den Vorkämpfern in der Schlacht der Götter mit den Riesen. Lind dieser Giganten-Fries prägte dann auch erst ein Giganten-Bild von klassischer Gültigkeit. Wohl waren schon vorher einzelne Giganten als Ungeheuer mit Schlangenbeinen dargestellt worden, zuerst Typhon, dann auch andere 8 1 ). Aber erst am pergamenischen Altar erhielt dieses Bild typische Bedeutung, so wie die Gigantomachie durch ihn auch erst zum klassischen Beispiel des Sieges eines Fürsten über anarchische Mächte wurde. Reden römische Dichter wie Lucrez, Vergil, Horaz oder Ovid vom Gigantenkampf und vom schlangenbeinigen Giganten-Heer, haben sie kaum die Bilder des pergamenischen Altars vor Augen, aber allem Anschein nach doch das Epos eines hellenistischen Dichters, der jenes Denkmal gekannt hat — ganz gleich, ob er nun Kleanthes oder Neanthes hieß 82 ). Und noch in der Zeit des Theodosius, noch im 4. Jahrhundert n. Chr. erinnern Verse Claudians, des letzten Dichters der Alten, an Bilder aus dem pergamenischen Giganten-Kampf. Vor allem für seine in griechischer Sprache abgefaßte „Gigantomachie" gilt das, aber auch für das lateinische Epos desselben Titels, — so wenig uns von beiden Dichtungen übrig blieb. Längst war der Herrscher christlich, dem solche mythologische Huldigung galt. Aber immer waren es noch Germanen, die sein Reich bedrohten und mit den Giganten verglichen wurden. Erst als die Barbaren selber an die Herrschaft gelangt waren und das Erbe des Altertums angetreten hatten, erst im Mittelalter, verblaßte dieser Sinn der Gigantomachie. Aber immer noch kann ein Fürst, der gegen wilde und gesetzlose Mächte streitet, mit dem Sieger im Giganten-Kampf verglichen werden. So kämpft auch der Herr der neuen Weltordnung, so kämpft selbst Christus noch gegen Giganten, wie es im Karfreitags-Offizium heißt 83 ): Tradiderunt me in manus impiorum . . . congregati sunt adversum me fortes, et sicut g i g a n t e s steterunt contra me . . .". ,,In die Hände der Gottlosen haben sie mich ausgeliefert . . . gegen mich haben sie versammelt die Starken, und wie die G i g a n t e n stehen sie wider mich. . . . "

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ANMERKUNGEN 1

Vgl. H. Winnefeld, Die Friese des großen Altars von Pergamon, AvP. I I I 2, 136 fr. A. v. Salis, Der Altar von Pergamon (im folgenden zitiert: Salis) 24fr. bes. 79fr. 2 Vgl. Rodenwaldt, Uber den Stilwandel in der antoninischen Kunst, AbhBerl. 1935, 25fr. 3 H. Kähler, Der große Fries von Pergamon, Untersuchungen zur Kunstgeschichte und Geschichte Pergamons (im folgendien zitiert: Kähler), bes. 180 Anm. 1 2 1 . — Soweit im folgenden nicht noch besondere Verweise gegeben werden, ist immer dieses Werk heranzuziehen, dessen Indices ein rasches Arbeiten ermöglichen. Es ist aber darauf aufmerksam zu Ynachen, daß die Wiedergabe der Abbildungen nicht die Güte hat erreichen können, die die große Pergamon-Publikation (Anm. 1) oder auch das kleine Heft von A. E. Napp, Der Altar von Pergamon auszeichnet. — Die meisten der hier besprochenen Reliefs des großen Frieses sind auch bei H. Kähler, Pergamon, Bilderhefte antiker Kunst I X abgebildet. 4 D. Mustilli, Il Museo Mussolini 62fr. Taf. 40, 164-165. Vgl. auch R . Bianchi-Bandinelli, Storicità dell' Arte Classica Taf. 84 Abb. 157. Amelung, V